Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/24/2002

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Es gibt einige Fragen zu diesem Bericht der Frau Bundesministerin. Zunächst gebe ich der Kollegin Fischbach das Wort.

Ingrid Fischbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003117, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, Sie haben in Ihrem Bericht die sozialen Sicherungssysteme und in diesem Zusammenhang die Renten der Frauen angesprochen. Hier spielt auch die betriebliche Altersvorsorge eine Rolle. In einer Pressemeldung der „Süddeutschen Zeitung“ von gestern stellt nicht nur die CDU/CSU, sondern auch die Finanzexpertin der Grünen, Frau Scheel, fest, dass bei der betrieblichen Altersvorsorge vor allem die Frauen schlechter gestellt sind und es hier einen dringenden Nachbesserungsbedarf gibt. Sehen auch Sie diesen Nachbesserungsbedarf und, wenn ja, wie wollen Sie ihm Rechnung tragen? Im Vermittlungsausschuss ist schon thematisiert worden, dass die Frauen in diesem Bereich schlechter gestellt werden; dennoch ist von Ihren Kollegen Eichel und Riester abgeblockt worden. Wie sehen Sie dieses Thema und welche Möglichkeiten haben Sie als Familienministerin, dieser Schlechterstellung entgegenzuwirken?

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005300

Frau Abgeordnete Fischbach, dort, wo wir bei der Rentenreform eigene Akzente setzen konnten, haben wir es zugunsten von Frauen getan. Im Hinblick auf Teilzeitarbeit haben wir mit der Rente nach Mindesteinkommen und der Aufstockung von Beträgen einen gewissen Ausgleich geschaffen. Auch haben wir bei der privaten Säule sehr darauf geachtet, dass sie den Frauen und insbesondere den Kinder erziehenden Müttern zugute kommt. Allerdings befinden wir uns hier zum Teil auch auf dem Gebiet des Tarifvertragsrechts; dies fällt unter den von mir zuletzt genannten Punkt. Die Tarifvertragsparteien müssen die Tarifverträge daraufhin überprüfen, wie sich die Regelungen auswirken und wo unter Umständen Änderungen erforderlich sind. Ich bin zuversichtlich, dass es hierfür zumindest von der Gewerkschaftsseite her Unterstützung geben wird.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Schewe-Gerigk.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, zunächst einmal halte ich fest, dass es sehr positiv ist, dass sich die Einkommenssituation der Frauen in den neuen Ländern sehr viel gerechter als in den alten Bundesländern darstellt. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat vor kurzem berechnet, dass es noch 86 Jahre dauern wird, bis Frauen das Gleiche wie Männer verdienen, wenn die Lohnangleichung zwischen Männern und Frauen mit der bisherigen Geschwindigkeit fortschreitet. Ich nehme an, dass Sie mit mir einer Meinung sind, dass wir so lange nicht warten wollen. Daher frage ich Sie, welche Mittel es gibt, um diesen Prozess abzukürzen. Bei den Gewerkschaften gibt es zwischenzeitlich zum Beispiel die Möglichkeit, die Arbeit anders zu bewerten. Was halten Sie von solchen neuen analytischen Verfahren, die dazu führen sollen, dass von Frauen ausgeübte Tätigkeiten nicht schlechter als überwiegend von Männern ausgeübte Tätigkeiten bewertet werden?

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005300

Frau Abgeordnete Schewe-Gerigk, ich bin mit Ihnen der Meinung, dass wir nicht mehr 86 Jahre warten wollen, bis wir auf diesem Gebiet mehr Gerechtigkeit hergestellt haben werden. Die Ursachen dafür, dass sich die Einkommenssituation in den neuen Ländern gerechter darstellt, sind klar: In der Regel waren Frauen dort vollzeitbeschäftigt und ohne größere Unterbrechungen erwerbstätig und auch mehr in den Bereichen zu Hause, die eher von Männern dominiert sind. Leider ist dies bei den jungen Frauen heute nicht mehr so ausgeprägt. Sie haben auch die Tarifvertragsgestaltung angesprochen: Hierzu enthält dieser Bericht sehr interessante und ausführliche Darstellungen bestimmter Untersuchungen. Es geht darum, dass wir EU-Recht umzusetzen haben, nach dem die Gleichwertigkeit von Tätigkeiten zu berücksichtigen ist: Gleiche Tätigkeiten müssen gleich bezahlt werden. Dies gilt bei uns in aller Regel bereits. Unmittelbare Diskriminierungen sind kaum noch festzustellen, jedoch mittelbare. Ich nenne ein Beispiel dafür: In der Altenpflege wird körperliche Arbeit nicht als Bewertungskriterium herangezogen, während sie aber im Metallbereich ein ganz entscheidendes Kriterium für die Einstufung von Tätigkeiten ist. Daran wird deutlich, worauf wir bei der Bewertung achten müssen. Das ist ein Thema, das uns in der nächsten Zeit sehr beschäftigen wird, natürlich in erster Linie dort, wo wir selbst Arbeitgeber sind. Es gibt aber auch Bemühungen auf europäischer Ebene. Wir werden im Juni hier in Berlin mit Unterstützung der EU eine Konferenz durchführen, bei der es darum geht, solche Bewertungskriterien der Länder miteinander zu vergleichen und zu analysieren, wo es Veränderungen geben muss, sowie darum, die Bewertungskriterien auf den Prüfstand zu stellen, also das Thema einmal richtig in Angriff zu nehmen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin Gradistanac.

Renate Gradistanac (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003134, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, zunächst einen zweifachen Dank: zum einen für Ihren mündlichen Bericht, zum anderen aber vor allem für den schriftlichen Bericht. Es war schon ein bisschen unzureichend, sich in der Vergangenheit nur auf die so genannten Leichtlohngruppen zu konzentrieren. Dieser Bericht trifft qualitativ eine ganz andere Aussage, aus der wir Handlungsempfehlungen ableiten können. In der letzten Woche hatten wir eine ausführliche familienpolitische Debatte. Eines war klar: Wenn die Voraussetzungen für Frauen nicht gegeben sind, Familie und Erwerbsarbeit zu vereinbaren, wird es in Zukunft ganz schwierig. Ich frage Sie: Was hat die Bundesregierung getan und was haben Sie noch vor?

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005300

Frau Abgeordnete Gradistanac, Sie haben Recht: Wir können lange über die Einkommenssituation reden, wenn wir nicht die Voraussetzungen dafür schaffen, dass es für Männer und Frauen möglich ist, Erwerbsarbeit mit Familienarbeit in Übereinstimmung zu bringen. Ich weise aber noch einmal darauf hin, dass wir in der Hinsicht in dieser Legislaturperiode viele Steine aus dem Weg geräumt haben. Genannt sei das Elternzeitgesetz, nach dem es jetzt möglich ist, dass beide Elternteile zur gleichen Zeit Elternzeit nehmen und die Reduzierung der Arbeitszeit nicht immer nur bei den Müttern hängen bleibt. Wir alle wünschen uns viele Väter, die davon Gebrauch machen, auch deshalb, weil es für die Familie, für die Kinder und für das Zusammenleben gut ist. Das Teilzeitgesetz setzt diese Bemühungen in ganz erheblichem Umfange fort. Kinderbetreuung muss sehr dringlich und gemeinsam mit allen Partnern - mit den Kommunen, den Ländern und dem Bund - ausgebaut werden. Der Bund muss das zwar nicht tun, weil es verfassungsgemäß nicht seine Aufgabe ist. Obwohl wir schon gescholten worden sind, wir mischten uns unzulässig in die Kompetenz der Länder ein, kenne ich viele, die froh sind, wenn sie ein Stück weit unterstützt werden. Ich will erst einmal sehen, ob Länder sagen, sie wollten kein Geld vom Bund. Gleichzeitig haben hier auch die Unternehmen eine Verpflichtung. Es gibt bereits Unternehmen, die sich auf diesem Gebiet engagieren. So bietet zum Beispiel die Telekom Unterstützung in Form von Kinderbetreuung für die berühmten Brückentage an. Es ist ja eine Unsitte, dass es keine Kinderbetreuung gibt, wenn zwischen einem freien Tag und einem Wochenende nur ein Arbeitstag liegt. Was macht dann eine alleinerziehende Mutter, wenn niemand in der Nähe ist, der ihr das Problem der Kinderbetreuung abnehmen kann? Es gibt auch Unternehmen, die einen Familienservice anbieten oder Kinderbetreuungsmöglichkeiten in der Kommune mitfinanzieren. Die angesprochenen Unterschiede im Einkommen zwischen Ost und West zeigen deutlich: Das Vorhandensein von Kinderbetreuung führt dazu, dass Frauen in sehr viel größerem Umfang erwerbstätig sein können. Dieser Bericht besagt ebenso wie andere Studien, die auf unserem Tisch liegen: Die meisten Mütter wollen erwerbstätig sein. Sie wollen zum großen Teil mehr Stunden pro Woche erwerbstätig sein, als es jetzt möglich ist. Das Problem ist: Wenn die Kita mittags schließt, haben die Mütter eben Pech gehabt, ebenso, wenn es dort kein Mittagessen gibt und sie noch kochen müssen. Die Verbesserung der Kinderbetreuung ist ein ganz wesentlicher Schritt, der in der Folge zur Verbesserung der Einkommenssituation beitragen und berufliche Karrieren ermöglichen wird. Aber wir müssen ebenfalls um die Aufwertung der Familienarbeit bemüht sein sowie darum, von der vollen Verfügbarkeit als Grundlage für berufliche Karrieren wegzukommen; auch bei reduzierter Arbeitszeit sollen berufliche Karrieren und Führungspositionen infrage kommen. Wir haben mit dem Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz einen Anfang für den öffentlichen Dienst gemacht. Darin ist auch festgelegt, dass es bei Bewerbungen keine Benachteiligungen geben darf. Auch Männer - manchmal bewerben sich Väter - kommen in diesen Genuss; die entsprechende Formulierung ist geschlechtsneutral. Bei Bewerbungen dürfen Ausfälle wegen Kinderbetreuung oder wegen Pflege nicht als Nachteil gewertet werden. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Da muss sich auch in den Köpfen noch viel verändern.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Mein Vorschlag lautet: kurze Fragen, kurze Antworten. Sonst schaffen wir unser Pensum nicht. Frau Kollegin Bläss, bitte.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Ministerin, Sie haben das Stichwort „Europäische Union“ bereits genannt. Es gibt klare Vorgaben in Form von Richtlinien, was das Vorgehen gegen unmittelbare und mittelbare Entgeltdiskriminierungen betrifft. Erste Frage: Inwieweit sehen Sie sich auch als Frauenministerin im Kabinett jetzt gestärkt, auf diesem Gebiet offensiver vorzugehen, und wie sehen Sie die nächsten strategischen Schritte, diese EU-Richtlinien konsequent umzusetzen? Meine nächste Frage betrifft die europäischen Erfahrungen der 90er-Jahre. Insbesondere die Analysen und Initiativen Norwegens und des Nordischen Rates sind die weitestgehenden gewesen. Es liegen also entsprechende Ergebnisse auf dem Tisch. Inwieweit sehen Sie Möglichkeiten, aus diesen Erfahrungen unmittelbar zu schöpfen? Sie haben bereits etwas zu Möglichkeiten und Grenzen, in der Tarifpolitik Pflöcke zu setzen, gesagt. Ich fand den Ansatz, „Gender“ als Prüfungskriterium zu verwenden, sehr interessant. Inwiefern sehen Sie darin eine neue Qualität dafür, dass Politik Rahmenbedingungen für Tarifverhandlungen setzen kann? Letzte Frage: Sprechen die klaren Ergebnisse, die Sie in Ihrem Vortrag genannt haben, nicht doch dafür, dass es auch in der Privatwirtschaft gesetzliche Regelungen zur Frauenförderung geben muss?

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005300

Frau Abgeordnete Bläss, das waren mehrere Fragen. Ich will auf den europäischen Aspekt eingehen. Ich muss klar sagen, dass es kein europäisches Land gibt, in dem es eine hundertprozentige Einkommensgleichheit gibt. Auch in den von uns immer wieder hochgelobten nordischen Ländern, die uns wirklich in vielem eine Nasenlänge voraus sind, gibt es noch ein Stück Ungleichheit beim Einkommen und eine geschlechtsspezifische Segmentierung des Arbeitsmarktes. Natürlich sind die Aussagen des Berichts - zusätzlich zu dem, was es im europäischen Bereich gibt - sehr hilfreich. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass wir im Juni - alle sind herzlich eingeladen - eine Konferenz veranstalten, auf der die Bewertungskriterien auf dem Gebiet der Tarifverträge ein Thema sein werden. Auf dieser Konferenz werden wir hören, wie weit die anderen Länder sind. Auch in Schweden arbeitet man an der Beantwortung der Frage: Wie kann man dort, wo Tarifautonomie herrscht, politische Zeichen setzen? Dieser Punkt spielt eine Rolle. Das hat sich auch in dem Kriterienkatalog, der unsere Vereinbarungen mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft enthält, niedergeschlagen. Bei der Behandlung des Themas Chancengleichheit geht es auch um Lohngleichheit. In den entsprechenden Gremien wird man sich zusammensetzen müssen, um zu klären, wie eine Gender-gemäße Prüfung von Tarifverträgen erfolgen sollte. Eine solche Prüfung wird - wie es so ist im Leben - an der einen Stelle schneller gehen als an der anderen. Wir sollten mit gutem Beispiel vorangehen und erst einmal den BAT entsprechend überprüfen. Das wäre ganz wichtig. Wir werden uns die Partner suchen, mit denen wir schrittweise vorangehen können. Einiges liegt schon auf dem Tisch. Auch Verdi hat bereits etwas vorgelegt.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Dehnel, bitte.

Wolfgang Dehnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, Sie haben gesagt, dass auch Frauen in führenden Positionen praktisch immer benachteiligt sind; Sie haben eine Prozentzahl genannt. Glauben Sie persönlich daran, dass es vielfach an den Frauen selbst liegt - ich denke an die Art, wie sie in den politischen Parteien oder in anderen Institutionen um ihre Rechte kämpfen -, ob sie Führungspositionen bekommen? Sollten Frauen Ihrer Meinung nach ihre eigenen Interessen nicht viel stärker wahrnehmen? Ich meine, dass Frauen auch in den Spitzenpositionen des parlamentarischen Geschehens - ich denke auch an das Amt des Bundespräsidenten - stärker vertreten sein sollten und dass sie ihre Rechte dort stärker wahrnehmen sollten.

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005300

Ich sage dazu nur: Kanzlerkandidatin. ({0}) Auch das ist so ein Punkt. Die Parteien müssen Rahmenbedingungen setzen, und zwar sehr unterschiedliche. Ich glaube, wir von der Sozialdemokratischen Partei sind da nicht schlecht aufgestellt. Auch im Kabinett gibt es immerhin sechs Ministerinnen; das sind gut 40 Prozent. Das ist nicht so schlecht. ({1}) Wenn wir uns das Verhältnis bei den Mitgliedern des Bundestages und den Parlamentarischen anschauen, dann glaube ich feststellen zu können, dass die Probleme nicht auf unserer Seite liegen, sondern auf der anderen Seite. Ich würde den schwarzen Peter aber nicht den Frauen in die Schuhe schieben. Auch Männer sind dafür verantwortlich, dass der Verfassungsgrundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Gesellschaft umgesetzt wird. Dafür muss man Rahmenbedingungen schaffen; aber man muss auch Frauen ermutigen, damit diese genau wissen, dass sie es schaffen können. Das haben wir mit unserer Quotenregelung erreicht. Dass wir jetzt im Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz des Bundes für den öffentlichen Dienst wieder eine einzelfallbezogene Quote haben, halte ich für sehr wichtig. Vor diesem Hintergrund wissen Frauen genau, dass sie es schaffen können, wenn sie sich für einen Job qualifiziert haben; denn die Quote ist ja immer auf gleiche Qualifikation bezogen. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin Wolf.

Hanna Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002553, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, ich finde es immer spannend, wenn die CDU/CSU-Fraktion das Thema Quote anspricht und entsprechende Fragen stellt. Sie hat erstens keine und zweitens hat sie in ihren Reihen weniger Frauen als in der letzten Legislaturperiode. ({0}) Ich habe eine Frage zu Ihrem Bericht: Für mich ist es nicht überraschend, dass es immer noch Lohnungleichheiten gibt. Das Überraschende für mich ist, dass die besser Qualifizierten eigentlich schlechter wegkommen als die weniger Qualifizierten. Die Ursachen dafür muss man natürlich analysieren. Mich würde interessieren, welche Maßnahmen Sie schon ergriffen haben und welche Maßnahmen Sie vorhaben. Gerade angesichts der Tatsache, dass die Wirtschaft Hochqualifizierte braucht und wir die bestqualifizierte Frauengeneration haben, muss es doch endlich einmal zu einer Gleichbehandlung bei der Bezahlung kommen. Was macht die Bundesregierung in diesem Bereich und was hat sie in Zukunft vor?

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005300

Wir verfolgen vor allen Dingen zwei Strategien. Die eine ist, junge Frauen zu werben und zu überzeugen, auch in die gut bezahlten Bereiche hineinzugehen, in denen Fachkräftemangel herrscht. Denken wir an den Bereich der Informationstechnologien. Dort sucht man nach wie vor händeringend Fachkräfte. Wir sagen dabei nicht nur: „Mädchen, macht das einmal, das ist doch was für euch und schaut euch das einmal an“, sondern kooperieren wirklich mit den Unternehmen. Wichtig ist ja, dass auch die Unternehmen sagen: Wir wollen euch und bieten euch Aufstiegsmöglichkeiten; ihr habt bei uns gute Chancen. Ich weise noch einmal auf den morgigen „Girls’ Day“ hin. Gerade einige Unternehmen aus der D-21-Initiative werfen sich da richtig ins Zeug, nicht nur, weil sie Mädchen so furchtbar nett finden, sondern weil sie einfach wissen, dass sie diese jungen Frauen brauchen. Wenn sie einmal junge Frauen eingestellt haben, wissen sie, dass diese so gut und so überzeugend sind, dass - das sagen sie mir dann auch -, wenn sie die nicht hätten, es schlecht bei ihnen aussähe. Das hat sich zwar noch nicht allgemein herumgesprochen; aber beispielsweise habe ich gerade vom Handwerksverband eine Mitteilung bekommen, dass sich da langsam die Nachwuchsfrage stelle. Man handelt also nicht, weil man endlich Art. 3 der Verfassung gerecht werden will, sondern weil man sich fragt, woher man angesichts geburtenschwacher Jahrgänge gute Leute bekommen kann, und wirbt dann noch einmal verstärkt um Mädchen. Das heißt zum Beispiel auch, dass man ihnen ordentliche und nicht irgendwelche Positionen anbietet. Denn wenn man sich die verschiedenen Branchen anschaut, stellt man fest, dass in einigen relativ gut bezahlt wird - das sind eher Männer-Branchen - und in anderen schlecht bzw. im Niedriglohnbereich bezahlt wird; in diesen findet man fast durchgehend Frauen. Man muss jetzt die Frauen fragen, warum sie sich für diese Branchen entscheiden, und sie auffordern, sich doch einmal zu überlegen, ob es nicht woanders genauso spannend für sie wäre. Man muss sie auch ermutigen und ihnen sagen, dass sie das auch können. Zum anderen setzen wir wie bei der Vereinbarung darauf, dass man die Unternehmen auffordert, sich selber Gedanken zu machen und es nicht dem Selbstlauf zu überlassen. Wir fragen, was sie machen wollen, um Mädchen zu gewinnen, wie für Ausbildungsplätze geworben wird, was gemacht wird, um Frauen in Führungspositionen zu bekommen, und was zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie getan wird. Da sind wir jetzt dran. 2003 gibt es, wie Sie wissen, eine Bestandsanalyse. Bis dahin werden Daten ermittelt, erfasst und analysiert, was nicht ganz einfach ist. Wenn anhand der Bestandsanalyse 2003 festgestellt wird, dass diese Mechanismen nichts bringen, werden - diese klare Aussage steht im Raum - gesetzliche Maßnahmen gemäß der zweiten Stufe des Gesetzes ergriffen. Zurzeit greift noch die erste Stufe des Gesetzes, wo allen überlassen ist, was sie tun wollen. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, Sie haben auch über die Einkommenssituation von Frauen und Männern gesprochen. Nun haben Sie ja bei einem bestimmten Klientel, nämlich bei den Alleinerziehenden, ein bestimmtes Image. Sie haben sich gegenüber Minister Eichel damals nicht durchsetzen können, als im Zusammenhang mit der Kindergelderhöhung auch die Freibeträge bei den Alleinerziehenden gestrichen worden sind. Können Sie uns sagen, warum Sie sich damals nicht haben durchsetzen können? Wie wollen Sie sich denn bei dem, was Sie heute hier vortragen, durchsetzen, wenn Sie sich schon bei solch einfachen Dingen nicht durchsetzen konnten? ({0})

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005300

Herr Koppelin, es geht hier nicht um durchsetzen oder nicht durchsetzen. Wir haben Beschlüsse von Karlsruhe; das muss sich doch langsam in diesem Hause herumgesprochen haben. ({0}) Nach den Karlsruher Beschlüssen ist es nicht zulässig, den Haushaltsfreibetrag in dieser Form zu gewähren und die Alleinerziehenden besser zu stellen, obwohl das ja einmal bewusst getan wurde als Ausgleich für das Splitting bei den Ehepaaren. Diese Beschlüsse mussten wir umsetzen. Daran war niemand interessiert, das wollten wir eigentlich gar nicht, aber das mussten wir machen. Wir haben mit dem Abschmelzen eine Form gewählt, durch die das einigermaßen verträglich geschah. Gleichzeitig haben wir die Möglichkeit geschaffen, Kinderbetreuungskosten von der Steuer abzusetzen, und wir haben die Freibeträge erhöht. Dadurch haben wir versucht, einen Ausgleich zu schaffen. Sie wissen, dass wir uns auch weiterhin fragen: Was können wir noch tun? Können wir die Grenzen verbessern? Sind in dem Bereich weitere Verbesserungen möglich? Dazu gibt es noch Beratungen. Wir werden zu einem vernünftigen Ergebnis kommen, das ist ganz klar. Bei den Punkten, auf die dieser Bericht hinweist, sind wir schon wirklich an die Ursachen herangegangen. Ich nenne hier nur die Themen Berufswahlverhalten, Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder die Bemühungen, Frauen in Führungspositionen zu bringen. Da haben wir eine ganze Menge auf den Weg gebracht. Wir können aber in drei Jahren nicht alles aufarbeiten, was Sie in den 16 Jahren vorher nicht getan haben. Das ist leider nicht möglich. ({1}) Mit dieser Strategie werden wir weitermachen; da sind wir uns einig. Sie haben die Regierungserklärung des Kanzlers hier gehört. Wir geben Geld in die Kinderbetreuung, das hat für uns Priorität. Wir setzen auf die guten, qualifizierten Frauen. Wir wollen die Möglichkeiten schaffen, damit sich jeder in seiner Familie so einrichten kann, wie er das gern möchte, und nicht Frauen aufgrund mangelnder Betreuung gezwungen werden, auf Erwerbstätigkeit zu verzichten. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin Griese hat das Wort.

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, Sie haben schon auf die positive Entwicklung bei der Ausbildung von Mädchen und jungen Frauen hingewiesen, die ja durch die Bank bessere Schulabschlüsse machen. Nichtsdestotrotz gibt es noch Unterschiede im Berufswahlverhalten. Mädchen streben immer noch sehr viel stärker in bestimmte Ausbildungsberufe, die später schlechter bezahlt werden. Hier muss man an der Wurzel ansetzen. Deshalb meine Frage: Was tut die Bundesregierung, um diesen indirekten Einkommensunterschieden schon dadurch vorzubeugen, dass auch Mädchen motiviert werden, in ihrem Berufswahlverhalten stärker auf Berufe zu setzen, die zumindest gleiche Einkommenschancen bieten wie die, die hauptsächlich von jungen Männern ergriffen werden, sodass dadurch mit dazu beigetragen werden kann, dass dort die Einkommensunterschiede verringert werden?

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005300

Das Thema Berufswahlverhalten liegt mir sehr am Herzen. Ich sehe auf der einen Seite diese guten, kompetenten jungen Frauen und auf der anderen Seite sehe ich, dass die meisten Mädchen in zehn Berufe - darunter ist kein technischer Beruf, auch die neuen Berufe sind nicht darunter - gehen, obwohl sie anderes durchaus könnten. Nun wollen wir nicht alle zwingen, in die Informatik zu gehen. Aber wir wollen vor allen Dingen die Mädchen auch mit den neuen Berufen vertraut machen und ihnen klar machen: Ihr könnt das. - Man sollte ihnen zum Beispiel Schnupperkurse anbieten. Wir haben in den letzten Monaten viele Veranstaltungen unter anderem mit den Industrie- und Handelskammern durchgeführt. In Berlin haben wir ganze Schulklassen und Unternehmen eingeladen. Die Schülerinnen und Schüler konnten sehen, was in den Unternehmen passiert, sie konnten am Computer spielen oder haben Termine genannt bekommen, zu denen sie in die Unternehmen gehen können - das, was wir eben auch morgen mit dem „Girls’ Day“ machen. Die Schülerinnen und Schüler gehen in die Betriebe, um zu erfahren, was sich hinter diesem oder jenem Beruf, der manchmal wenig anschaulich klingt oder wenig Anreiz hat, verbirgt. Wir merken aber auch, dass in dem gesamten Umfeld der Jugendlichen immer noch traditionelle Rollenbilder vermittelt werden. In einem Seminar bei Siemens, in dem es darum ging, Mädchen auch für technische Berufe zu begeistern, sagte mir eine Schülerin, in der Schule sei ihr von ihrer Koordinatorin, als sie Physik als Wahlfach nehmen wollte, gesagt worden: Ach, lass das mal. Nach einem halben Jahr kommst du sowieso wieder und es gefällt dir nicht. - Das wurde der Schülerin gesagt, obwohl sie Physik studieren wollte. Wenn ich so etwas höre, verzweifle ich. Wir sagen immer: Auch in den neuen Berufen muss man nicht unbedingt in Mathematik eine Eins haben. Die haben die jungen Männer, die in diese Berufe gehen, nämlich auch nicht alle. Wir müssen den Mädchen sagen: Ihr könnt das. Guckt euch da um. Macht das. Die Wissenschaftsministerin wirbt für Ingenieurberufe, macht also Gleiches. - Wir haben da wirklich ein breites Netz geknüpft. Viel passiert auch vor Ort bei den Regionalstellen, dort, wo sich die Länder ebenfalls darum kümmern. Wir müssen jetzt sehen, dass das wirkt. Ich habe von der Bildungsministerin gehört, dass es im Bereich der Informatik jetzt wieder eine Aufwärtsbewegung gibt. Da bewerben sich wieder mehr junge Frauen. Ich hoffe, dass die vereinten Bemühungen doch langsam zum Tragen kommen. Auch die Arbeitsämter haben die Aufgabe, sich in diesem Bereich kräftig mit um junge Frauen zu kümmern. Was die Arbeitsmarktprogramme angeht, so führen wir gezielt dort Projekte bzw. Modelle durch, wo Mädchen unterrepräsentiert sind, insbesondere im technischen Bereich. Es gibt viele Möglichkeiten. Aber es müssen auch viele mitziehen. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Blumenthal.

Antje Blumenthal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003480, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, Sie haben vorhin in einer Ihrer Antworten sowohl auf den Anspruch auf Elternzeit als auch auf das Recht auf Teilzeit hingewiesen. Welche Entwicklungen gibt es bei dem Anspruch auf Elternzeit? Liegt die Zahl der Väter, die das Recht in Anspruch nehmen, weiterhin bei unter 2 Prozent? Sie verfügen jetzt über einen Erfahrungszeitraum von mehr als einem Jahr. Welche Entwicklungen haben Sie bei dem Recht auf Teilzeit festgestellt, zumal die Wirtschaft sagt, dass damit beschäftigungshemmende Effekte verbunden sind?

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005300

Was die Frage nach der Elternzeit angeht, so haben wir noch keine neuen statistischen Daten. Das Gesetz gibt es erst seit einem Jahr. Ich weiß nicht genau, wann wir die erste Statistik bekommen. Das kann am Ende des Jahres oder erst im nächsten Jahr der Fall sein. Grundsätzlich muss man Folgendes sagen: Wir haben noch nicht alle Väter, die das könnten, dazu gebracht, dies in Anspruch zu nehmen. Wir wissen, dass es sich um einen Prozess der Überzeugung handelt, bei dem wir auch viel Unterstützung durch die Unternehmen brauchen. Ich war im Zusammenhang mit der Väterkampagne in vielen kleinen und großen Unternehmen. Ich habe festgestellt, dass es dort, wo die Unternehmensleitung das mit unterstützt, wo sie es zu ihrer Aufgabe macht und es nicht nur bei der Gleichstellungsbeauftragten ablädt und sagt: „Sie soll sich einmal darum kümmern“, wo auch die Betriebsräte mitmachen und sagen: „Wie kriegen wir das jetzt hin? Wie kriegen wir familienfreundliche Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen? Wie bringen wir das Thema den Vätern nahe? Wie signalisieren wir, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die davon Gebrauch machen, nicht als solche betrachtet werden, die an beruflicher Karriere nicht interessiert sind?“, positive Erfahrungen gibt. Auch in diesen Unternehmen sind es noch nicht 50 Prozent der Väter, die das in Anspruch nehmen. Aber es gibt dort Väter, die sagen: Ja, ich mache das. VW zum Beispiel veranstaltet Elternseminare, in denen Väter und Mütter gemeinsam über die vorhandenen Möglichkeiten beraten werden. Ich bin schon optimistisch, dass sich da einiges tun wird; denn wir wissen, dass 20 Prozent der Väter das gerne möchten. Sie möchten mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen. Sie möchten nicht nur am Rande der Familie wahrgenommen werden. Diese wollen wir natürlich zuerst erreichen. Zu dem Teilzeitgesetz gibt es noch keine statistischen Daten. Eines muss man auch sagen - Sie haben das angesprochen -: Es wird immer so getan, als sei das furchtbar für Unternehmen. Die Unternehmen, die sich auf Elternzeit, Teilzeit, familienfreundliche Arbeitzeiten, Telearbeit - was auch immer - einlassen, sagen, dass es sich für sie lohnt. Es macht mehr Arbeit und ist mit mehr Organisation verbunden. Aber sie haben motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und sie halten ihre qualifizierten Beschäftigten. Das wird immer mehr ein Faktor, der im betrieblichen Wettbewerb eine Rolle spielen wird, und zwar ein positiver; davon bin ich überzeugt. Wer sich da schneller auf den Weg macht, hat einen Vorteil. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin Rupprecht, darf ich Ihr Gespräch für die von Ihnen angemeldete Frage einmal kurz unterbrechen?

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist eine Kollegin, die man sonst nicht sieht; Entschuldigung. ({0}) - Nein, wir sehen uns so selten, weil unsere Räumlichkeiten so weit voneinander entfernt sind. Aber darum ging es in meiner Frage nicht. Frau Ministerin, es gibt mehrere Untersuchungen zur Entlohnung und Bezahlung von Frauen in der freien Wirtschaft. Unter anderem gibt es eine Untersuchung der Universität Hohenheim, die zu dem Ergebnis kommt, dass die Bereitschaft der Unternehmen, junge Frauen, die Führungspositionen anstreben, genauso zu behandeln wie junge Männer in derselben Situation, die die gleiche Qualifikation und die gleichen Voraussetzungen haben, schon bei der Einstellung nicht vorhanden ist. Es wurde errechnet, dass Frauen, die sich bei gleicher Qualifikation und gleichem Können beruflich gleich entwickeln, im Laufe ihres Erwerbslebens etwa 350 000 DM - bzw. die Hälfte in Euro - weniger als Männer bekommen. Wenn sie sich entscheiden, Mutter zu werden, haben sie ungefähr 800 000 bis 850 000 DM Einkommenseinbußen, nur aufgrund des Geschlechts. Das ist das so genannte Gender Gap. Was können die Arbeitgeber da tatsächlich tun und wie können wir die Arbeitgeber motivieren, dass sie sich im Bereich der Führungskräfte bei gleicher Qualifikation den Frauen gegenüber anders verhalten? Solche Unterschiede darf es nicht geben, wenn wir unsere Rolle darin sehen, auch in der Wirtschaft Anreize für Gleichstellung zu schaffen.

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005300

Frau Abgeordnete Rupprecht, der Bericht bringt zum Ausdruck, dass die Unterschiede zu Beginn des Berufslebens - allerdings ist das die Gruppe der 20- bis 24-Jährigen, da ist man in der Regel noch nicht in der obersten Führungsetage angekommen - relativ gering sind, im Osten noch geringer als im Westen - das kann ich mir gar nicht erklären -, dass sie aber im Laufe des Berufslebens, je weiter jemand im Betrieb aufsteigt, immer größer werden. Ich erwähnte bereits, dass Männer mit zunehmendem Alter eher in Führungspositionen gelangen als Frauen. Wenn man nach der Familienphase wieder einsteigt, fängt man meistens wieder ganz unten an. Da gibt es natürlich auch für die Arbeitgeber einen großen Handlungsbedarf. Dabei geht es unter anderem um das Thema Vereinbarkeit. Es geht darum, die Zeiten außerhalb der Erwerbsarbeit relativ gering zu halten. Es ist wichtig, auch während der Elternzeit im Betrieb weiter qualifiziert zu werden, mitzulaufen, um den Wissensverlust einzugrenzen. Hier ist viel Handlungsspielraum; dafür gibt es das eine oder andere gute Beispiel. Ich will Ihnen aber noch eine erschütternde Zahl nennen: Wenn man sich bei den über 60-Jährigen anschaut, wie sich die Einkommensverluste im Laufe eines Berufslebens auswirken, stellt man fest, dass Frauen ein kumuliertes Erwerbseinkommen haben, das im Durchschnitt nur 42 Prozent des Männereinkommens beträgt.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin Lehder.

Christine Lehder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003169, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön, Herr Präsident, dass Sie mir diese Frage trotz der zeitlichen Enge noch gestatten. - Frau Ministerin, der vorliegende Bericht zeigt, dass die Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern in Ost und West sehr verschieden sind. In Ostdeutschland ist die Differenz zwischen den Einkommen von Frauen und Männern weitaus geringer als in Westdeutschland. Wodurch lassen sich diese Unterschiede Ihrer Meinung nach begründen?

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005300

Frau Abgeordnete Lehder, das hängt zum einen mit der kontinuierlichen Erwerbsarbeit zusammen. Die Erwerbsbiografien in Ost und West sind unterschiedlich. Es handelt sich hierbei ja um Längsschnittstudien. Verdienstvoll an dem Bericht ist, dass Daten über 22 Jahre ausgewertet werden. Man kann feststellen, dass die unterschiedlichen Zahlen mit der anderen Akzeptanz der Erwerbsarbeit in den neuen Bundesländern zusammenhängen, die traditionellerweise besteht und entsprechend gelebt wird. Das führt dazu, dass Frauen im Osten weniger Unterbrechungen haben und weniger Teilzeit arbeiten. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass für die Kinderbetreuung gesorgt wird. Sonst wäre das nicht möglich. Der zweite Faktor ist, dass die Frauen im Osten, jedenfalls in unserer Generation, sehr viel stärker in den Männerbranchen vertreten sind. Es gibt sehr viel mehr Ingenieurinnen, zum Beispiel Bauingenieurinnen, als in den alten Bundesländern. Hinzu kommt, dass die Erwerbsarbeit von Frauen immer auf Eigenständigkeit ausgerichtet war und es auch jetzt noch ist. Sie werden nicht als Zuverdienerinnen gesehen. Was eine Zuverdienerin ist, habe ich erst nach 1990 gelernt; ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Der Bericht sagt ganz klar, dass das ostdeutsche Modell gleichberechtigte erwerbstätige Partner vorzieht, während es in den alten Bundesländern eher das Modell der Hauptverdiener und Zuverdiener gibt. Aber das ändert sich jetzt. Die jungen Frauen wollen das so nicht mehr.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Die letzte Frage zum Bericht aus der Kabinettssitzung hat die Kollegin Fischbach.

Ingrid Fischbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003117, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, ich möchte nachfragen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat festgestellt, dass der Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit eher beschäftigungshemmend ist und dass dem Bedürfnis der Eltern nach Teilzeit dadurch nicht Rechnung getragen wird. Ich frage Sie daher, ob Sie diese Einschätzung teilen. Wenn diese Einschätzung des Sachverständigenrates zutrifft: Welche Maßnahmen müssten Sie in Angriff nehmen, um dafür zu sorgen, dass der Anspruch auf Teilzeitarbeit nicht beschäftigungshemmend ist und dass mehr Teilzeitarbeitsplätze angeboten werden? Wäre es nicht sinnvoll, diesen Rechtsanspruch zurückzunehmen?

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005300

Ich höre immer wieder die gerade von Ihnen vertretene Meinung. Ich kann sie nach meinem Kenntnisstand nicht teilen. Wir sollten uns einmal die Situation in den Nachbarländern anschauen, die uns ansonsten als Vorbild dienen. Ich nenne zum Beispiel die Niederlande, die sowohl bei Männern als auch bei Frauen einen hohen Anteil von Teilzeitbeschäftigten haben. Es ist ja nicht so, dass die Niederlande wirtschaftlich sehr schlecht dastehen würden. Sie wissen auch, wie dieser Teilzeitanspruch ausgestattet ist. Es besteht die Möglichkeit, dass dieser Anspruch - wie übrigens auch beim Elternzeitgesetz - aus betrieblichen Gründen nicht erfüllt werden muss. Nach meinen Erfahrungen ist es aber so, dass eher darüber geklagt wird, dass versucht wird, den Beschäftigten diesen Anspruch nicht zu erfüllen, obwohl keine betrieblichen Gründe dagegen sprechen. Nicht alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wollen nur noch 50, 60 oder 70 Prozent arbeiten. Wenn keine betrieblichen Gründe dagegen sprechen, ist Teilzeitarbeit aus meiner Sicht leistbar.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich danke Ihnen, Frau Bundesministerin. Es liegt noch eine so genannte sonstige Frage an die Bundesregierung vor. Bitte, Herr Kollege Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nach der Wahl in SachsenAnhalt, bei der die Koalitionsparteien zusammen nur 23 Prozent erhalten haben, hat der Bundeskanzler erklärt, die Koalition müsse nun dichter zusammenrücken. Ich habe immer gedacht, diese Parteien seien schon ganz dicht zusammen und die Grünen seien fast erdrückt durch das bisherige Zusammenrücken. Hat der Bundeskanzler im Kabinett diese Aussage wiederholt? Hat er auch erklärt, was er mit dem dichteren Zusammenrücken der Koalitionsparteien meint? ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Der Staatsminister im Kanzleramt, Herr Kollege Bury, wird darauf antworten.

Not found (Gast)

Es bestand kein Anlass, diese Aussage im Kabinett zu wiederholen, da die Bundesregierung eng, vertrauensvoll, gut und erfolgreich zusammenarbeitet. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Es gibt also wenigsten einen, der sich an meinen Vorschlag „kurze Frage, kurze Antwort“ hält. ({0}) - Ja. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksache 14/8828 Ich weise vorweg darauf hin, dass die Fragen aus den Geschäftsbereichen des Bundesministeriums des Innern, der Verteidigung, für Gesundheit und für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung schriftlich beantwortet werden. Es handelt sich um die Frage 1 des Kollegen Erwin Marschewski, um die Fragen 5 und 6 des Kollegen Werner Siemann, um die Fragen 7 und 8 des Kollegen Wolfgang Zöller und um die Frage 9 des Kollegen Dirk Niebel.1 Somit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur Verfügung. 1 Die Antwort zu Frage 9 lag bei Redaktionsschluss nicht vor und wird zu einem späteren Zeitpunkt abgedruckt. Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Andreas Storm auf: Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die gesamtwirtschaftlichen Rahmendaten vor, die die EU-Kommission ihrer Schätzung zugrunde gelegt hat, nach der für das Jahr 2002 ein gesamtstaatliches Defizit der Bundesrepublik Deutschland in Höhe von 2,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erwartet wird?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Storm, die EU-Kommission stellt heute ihre Frühjahrsprognose der Öffentlichkeit vor. Sie schätzt das gesamtwirtschaftliche Wachstum in Deutschland für 2002 auf 0,8 Prozent. Dies entspricht der Jahresprojektion der Bundesregierung. Die Kommission geht wie nahezu alle Prognostiker - und auch wie die Bundesregierung - von einer Überwindung der weltwirtschaftlichen Schwäche zu Beginn dieses Jahres aus. Zudem trägt sie mit ihrer Prognose den günstigen Konjunkturindikatoren in Deutschland Rechnung, wie zum Beispiel dem günstigen Ifo-Geschäftsklimaindex, den steigenden Auftragseingängen sowie den kräftig zunehmenden Produktionsplänen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfrage.

Andreas Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, treffen nach Ihrem Kenntnisstand die heutigen Presseberichte zu, wonach die EU-Kommission ihre Defizitschätzung für die Bundesrepublik Deutschland auf 2,8 Prozent nach oben revidiert hat?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Ich habe die heutigen Presseberichte noch nicht zur Kenntnis nehmen können, weil ich den ganzen Morgen im Parlament war. Es ist aber denkbar, dass die EU-Kommission die Defizitschätzung auf 2,8 Prozent angehoben hat. Die Bundesregierung ist jedoch weiterhin der Auffassung, dass ihre Schätzung von 2,5 Prozent des BIP zutreffend ist.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Andreas Storm auf: Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung darüber vor, wie hoch die EU-Kommission bei der Schätzung des gesamtstaatlichen Defizits der Bundesrepublik Deutschland für das Jahr 2002 das anteilige Defizit des Sektors „Sozialversicherungen“ angesetzt hat?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Die Europäische Kommission nimmt keine Einzelbetrachtung von Teilsektoren vor, sondern schätzt die Entwicklung der relevanten Einnahmen- und Ausgabenkomponenten lediglich für den Sektor Staat insgesamt. Insofern ist keine Aussage über die Annahmen zur Entwicklung der Sozialversicherungsfinanzen in der Kommissionsprojektion möglich.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfrage.

Andreas Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, beim Vergleich der Defizitentwicklung, die nach Meinung der EU-Kommission eintreten wird, mit der Defizitschätzung der Bundesregierung ist von besonderem Interesse, inwieweit sich die Steuerausfälle im ersten Quartal auf die Defizitentwicklung auswirken. Beabsichtigt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund, in den nächsten Wochen ihre Defizitschätzung zu verändern und, wenn ja, in welcher Größenordnung?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Die Bundesregierung hat schon im Stabilitätsprogramm 2001 deutlich gemacht, dass sich das Defizit in Deutschland bei einem Wachstum von dreiviertel Prozent etwa auf dem Niveau des Vorjahres bewegen wird. In dieser Projektion sind konjunkturbedingte Steuerausfälle gegenüber der letzten Finanzplanung bereits berücksichtigt. Für genaue Daten müssen allerdings die Ergebnisse der gesamtwirtschaftlichen Projektion Ende April - wir werden sie in einer Woche vorlegen - und der Steuerschätzung im Mai abgewartet werden. Unter Berücksichtigung aller derzeit verfügbaren Informationen gehen wir für 2002 allerdings weiterhin von einem Staatsdefizit von 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen Hans Michelbach.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, können Sie mir die Veröffentlichungen bestätigen, wonach die Steuereinnahmen, die für das gesamtstaatliche Defizit eine große Rolle spielen, gegenüber der Prognose für das Jahr 2002 um etwa 10 Prozent zurückgegangen sind? Wie wollen Sie in diesem Zusammenhang einen ausgeglichen Haushalt erreichen, wenn Sie dem Parlament keinen Nachtragshaushalt vorlegen bzw. keine wesentlichen Sparmaßnahmen für den Haushalt 2003 vorschlagen wollen?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Michelbach, die Fragen des Herrn Kollegen Storm richteten sich auf die Defizitquote des Jahres 2002. Wir haben die Steuern, die bis zum Ende des Monats März zu entrichten waren, eingenommen. Auf diese wirkten sich Sondereinflüsse aus, sodass keine endgültigen Voraussagen bis zum Jahresende gemacht werden können. Wir sind zuversichtlich, dass sich die Steuereinnahmen im Jahresverlauf erholen werden. Ich kann Ihre Annahme, dass die Steuereinnahmen im Vergleich zu den Schätzungen um 10 Prozent zurückgegangen sind, nicht bestätigen. Allerdings sind sie bis jetzt - bis zum ersten Quartal - unbefriedigend. Wir sind aber weiterhin zuversichtlich - ich sagte es gerade schon -, dass die Defizitquote des Gesamtstaates weiterhin - bis zum Jahresende - 2,5 Prozent des BIP betragen wird. Wir gehen nicht davon aus, dass die Notwendigkeit besteht, einen Nachtragshaushalt vorzulegen oder weitere besondere Sparanstrengungen vorzunehmen; denn dieser Bundeshaushalt beruht auf den schon Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters seit 1999 mit aller Anstrengung durch die rot-grüne Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien vorgenommenen Konsolidierungsanstrengungen, die selbstverständlich auch in dieses Jahr hinein fortwirken.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretärin. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Michelbach, die durch die Parlamentarische Staatssekretärin Margareta Wolf beantwortet wird, auf: Was gedenkt die Bundesregierung an Fördermaßnahmen zur Wettbewerbsgleichheit vor dem Hintergrund der neuesten Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertages für Firmenstandorte in Deutschland, die hohe Defizite für die strukturschwächeren Räume zeigt, zu veranlassen?

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Herr Michelbach, Sie wissen, dass zugunsten von strukturschwachen Regionen bereits ein breites regionalpolitisches Förderinstrumentarium von Bund und Ländern, aber auch der EU zur Verfügung steht. Die Bundesregierung unterstützt die wirtschaftliche Entwicklung in strukturschwachen Gebieten insbesondere mit der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Die Förderung von Investitionen der gewerblichen Wirtschaft zielt darauf ab, Standortnachteile von Betrieben in den Fördergebieten abzubauen und so die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu verbessern. Der Schwerpunkt der Förderung - das werden Sie wissen - liegt weiterhin in den neuen Ländern, damit dort der wirtschaftliche Aufholprozess fortgesetzt und eine moderne wettbewerbsfähige Wirtschaftsstruktur geschaffen werden können. Wir sind sehr erfreut, dass fünf Institute festgestellt haben, dass dieser Aufholprozess langsam an Fahrt gewinnt. Kleine und mittlere Unternehmen erhalten deutliche Förderpräferenzen. Darüber hinaus können kleine und mittlere Unternehmen das ergänzende GA-Förderangebot für nicht investive Unternehmensaktivitäten zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft in Anspruch nehmen. Dabei handelt es sich um die Förderung von Beratungs- und Schulungsmaßnahmen, aber auch von Humankapitalbildung und angewandter Forschung und Entwicklung. Wie Sie wissen, werden diese Instrumente in regelmäßigen Abständen, in der Regel in einem Rhythmus von drei bis vier Jahren, überprüft und den strukturellen Veränderungen angepasst. Folgende Indikatoren der einzelnen Arbeitsmarktregionen werden verglichen: Das ist zum Ersten die durchschnittliche Arbeitslosen- respektive Unterbeschäftigungsquote; das ist zum Zweiten das Einkommen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten pro Kopf und zum Dritten eine Erwerbstätigenprognose sowie eine Infrastrukturprognose. Herr Kollege Michelbach, wenn ich vielleicht noch einen Zusatz machen darf: In dem Gutachten, das Herr Wansleben am 12. April 2002 vorgestellt hat, spielt die Forderung an die Kommunen seitens der beteiligten 20 000 Unternehmen eine zentrale Rolle. Hier wird gesagt, man müsse von den hohen Abgaben und Gebühren herunter, die Verwaltung müsse schlanker werden und die Behörden müssten schneller entscheiden. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf das Gutachten der Institute, das heute vorgelegt worden ist, kommen: Ich bin ausgesprochen erfreut - das entspricht dem Statement von Herrn Wansleben -, dass die Institute empfehlen, dass die Abgabenerhöhungen der Städte und Gemeinden sowie der Länder auf 1 Prozent zu begrenzen sind. Ich bin des Weiteren darüber erfreut, dass es mit dem Landkreistag und dem Deutschen Städtetag vonseiten meines Hauses regelmäßige Treffen zu dem Thema gibt, dass nicht nur 80 Prozent der Kommunen im Netz präsent sind, sondern dass sie auch ihre Verwaltungsanforderungen über das Netz abwickeln. Ich kann Ihnen mitteilen, dass wir in diesem Zusammenhang einen Wettbewerb durchführen. Er heißt „Media@com“ und hat das Ziel, bürokratische Anforderungen der Verwaltungen der Kommunen zu reduzieren. Ich freue mich insbesondere, dass das Land Bayern bereit ist, den Modellversuch „Einheitliche Unternehmensnummer“ zusammen mit uns zu realisieren.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfrage.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich freue mich, dass Sie über meine Frage erfreut sind. Aber ich bin mit Ihren Antworten nicht sehr einverstanden. Sie sind sehr global. Deswegen eine Zusatzfrage: Sehen Sie nicht, dass es spezielle Förderinstrumente geben muss und dass die diesbezüglich vorhandenen Förderinstrumente im Moment nicht ausreichen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass von 69 in der genannten DIHK-Umfrage erfolgten Bewertungen zum Beispiel der oberfränkische Firmenstandort Coburg auf Platz 55 und Bayreuth auf Platz 62 liegen, das heißt am Schluss zu finden sind, und es nur noch in den neuen Bundesländern schlechtere Standorte gibt? Ist hier nicht dringend ein zielgenaues Maßnahmenbündel notwendig, damit die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes der Region Oberfranken verbessert werden kann?

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Sehr geehrter Herr Kollege Michelbach, ich weiß nicht, ob es die Aufgabe der Bundesregierung ist, den Wettbewerb zwischen den IHK-Bezirken tatsächlich auch monetär zu fördern. Ich bin Herrn Wansleben allerdings ausgesprochen dankbar dafür, dass er sagt, es gebe einen Lichtblick, nämlich eine Stärkung des Wettbewerbs zwischen den IHK-Bezirken. Gerade auch deshalb hat der DHIK in der vorgelegten Studie ein Ranking eingeführt. Dort ist zum Beispiel ausgewiesen, dass Frankfurt auf Platz eins und Aschaffenburg - das ja bekanntlich in Bayern liegt - auf Platz zwei kam. Vielleicht sollten Sie Ihrerseits in Gesprächen gegenüber den dortigen IHK-Bezirken tätig werden. Ich werde das auch machen. Vielleicht müssen sich diese dort auch mehr als Dienstleister verstehen, um die Attraktivität der Standorte zu fördern. Sie können in diesem Kontext darauf aufmerksam machen, dass wir mit Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe auch Maßnahmen wie die Erschließung von Industrie- und Gewerbegelände fördern, dass wir den Ausbau und die Anbindung von Verkehrsnetzen fördern, dass wir die Errichtung von Abwasser- und Abfallanlagen fördern, dass wir zur Verbesserung der Infrastruktur für Tourismus beitragen und dass wir durchaus bereit sind, bei der Errichtung von Zentren der beruflichen Bildung und von Gründungszentren unterstützend unter die Arme zu greifen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretärin. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzleramts auf. Herr Staatsminister Hans Martin Bury beantwortet die Fragen 10 und 11 des Kollegen Eckart von Klaeden: Hat Bundeskanzler Gerhard Schröder mit SPD-Generalsekretär Franz Müntefering dessen Verhalten gegenüber dem 1. Untersuchungsausschuss besprochen bzw. war das Verhalten von SPD-Generalsekretär Franz Müntefering gegenüber dem 1. Untersuchungsausschuss mit Bundeskanzler Gerhard Schröder sogar abgestimmt? Hat Bundeskanzler Gerhard Schröder mit SPD-Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier deren Verhalten gegenüber dem 1. Untersuchungsausschuss besprochen bzw. war das Verhalten von SPD-Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier gegenüber dem 1. Untersuchungsausschuss mit Bundeskanzler Gerhard Schröder sogar abgestimmt?

Not found (Gast)

Herr Kollege von Klaeden, Ihre Fragen beziehen sich nicht auf Bereiche, für die die Bundesregierung mittelbar oder unmittelbar verantwortlich ist. Deshalb erübrigt sich an sich die Antwort in der Sache. Nun kann ich grundsätzlich nicht ausschließen, dass der Zweck einer Frage nicht darin besteht, eine Antwort zu erhalten. Um hier nicht Raum für Spekulationen zu lassen, füge ich deshalb hinzu: Der Bundeskanzler hat weder mit dem Generalsekretär noch mit der Schatzmeisterin der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands deren Verhalten im 1. Untersuchungsausschuss abgestimmt.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, billigt denn der Bundeskanzler das Verhalten zum Beispiel des Generalsekretärs Müntefering am 21. März bei seiner Vernehmung, angeblich eine Liste von Spendern nicht gekannt zu haben, die dem Willy-Brandt-Haus bereits am 14. März per Einschreiben mit Rückschein zugegangen ist?

Not found (Gast)

Herr Kollege von Klaeden, ich darf Sie noch einmal darauf hinweisen, dass Voraussetzung für die Zulässigkeit von Fragen ist, dass diese sich auf Bereiche beziehen, für die die Bundesregierung unmittelbar oder mittelbar verantwortlich ist. Das ist beim vorliegenden Sachverhalt erkennbar nicht der Fall. Allenfalls könnte sich bei Bundesminister a. D. Franz Müntefering durch seine ehemalige Zugehörigkeit zur Bundesregierung ein Bezug zur Verantwortlichkeit der Bundesregierung ergeben. Bei der von Ihnen angesprochenen Aussage des Kollegen Müntefering vor dem 1. Untersuchungsausschuss liegt ein solcher Bezug jedoch nicht vor. Aus diesem Grunde war das Bundeskabinett auch nicht mit der Frage einer Aussagegenehmigung für Herrn Bundesminister a. D. Müntefering befasst. Die Abgeordnete Wettig-Danielmeier hingegen hat der Bundesregierung niemals angehört. Ein Bezug zur Verantwortlichkeit der Bundesregierung ist auch hier in keiner Weise ersichtlich.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine zweite Zusatzfrage.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist es denn richtig, Herr Staatsminister, dass der Bundeskanzler im Zusammenhang mit der Kölner SPD-Spendenaffäre angekündigt hat, alles zu unternehmen, um für eine rasche und gründliche Aufklärung zu sorgen? ({0})

Not found (Gast)

Richtig ist, dass der Parteivorsitzende der SPD angekündigt hat, dass die Vorgänge in Köln konsequent aufgeklärt und die Konsequenzen gezogen werden. Aber auch dies liegt nicht in der mittelbaren oder unmittelbaren Verantwortung der Bundesregierung und ist somit nicht Gegenstand dessen, worauf sich Fragen in der Fragestunde des Bundestages beziehen können.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002156, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Eine Zusatzfrage des Kollegen Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, hat es mit dem Bundeskanzler zusammen im Bundeskanzleramt Gespräche mit Herrn Müntefering oder anderen Personen der SPD über die Spendenaffäre in Köln gegeben?

Not found (Gast)

Herr Kollege Koppelin, ich verweise auf die bereits gegebene Antwort auf die Frage des Kollegen von Klaeden.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen Carstensen.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ich weiß nicht, ob ich richtig zugehört habe, aber ich kann nicht erkennen, dass Sie die Frage des Kollegen Koppelin im Nachgang zu der Frage des Kollegen von Klaeden beantwortet haben. Hier wurde gefragt, ob es Gespräche im Bundeskanzleramt gegeben hat. Können Sie dies mit Ja oder Nein beantworten?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich habe in der Antwort auf die Frage des Kollegen von Klaeden bereits klargestellt, dass es keine Abstimmung des Verhaltens des Generalsekretärs oder der Schatzmeisterin im 1. Untersuchungsausschuss mit dem Bundeskanzler gegeben hat. Sie können mich auch fragen, wie die Bundesregierung die programmatischen Kontroversen innerhalb der Union oder die innerparteiliche Kritik am CSU/CDU-Kandidaten bewertet. ({0}) Auch das sind allerdings Fragen, die nicht Gegenstand der Befragung der Bundesregierung oder der Fragestunde des Deutschen Bundestages sind bzw. dort nicht von der Bundesregierung zu kommentieren sind.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Es gibt keine weiteren Fragen. Herr Staatsminister, ich danke Ihnen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Zur Beantwortung steht Staatsminister Dr. Christoph Zöpel zur Verfügung. ({0}) - Ich habe beide Fragen gemeinsam aufgerufen und sie sind auch gemeinsam beantwortet worden. Es ist kein Widerspruch erfolgt. Es tut mir Leid. Ich habe beide Fragen aufgerufen. Der Staatsminister hat beide Fragen gemeinsam beantwortet. Wir sind also im Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Die Frage 12 der Abgeordneten Sylvia Bonitz kann nicht beantwortet werden, weil die Kollegin nicht anwesend ist. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Hartmut Koschyk auf: Wie hat sich der Anteil deutscher Schüler an den deutschen Auslandsschulen in den letzten Jahren entwickelt und wie bewertet die Bundesregierung Presseberichte - „Frankfurter Rundschau“ vom 11. April 2002 -, wonach die aufgrund der Mittelkürzungen gestiegenen Schulgebühren für den Besuch einer deutschen Schule im Ausland zu einem Rückgang bei den deutschen Schülerzahlen geführt haben?

Not found (Gast)

Herr Präsident! Herr Kollege, im Rahmen der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik fördert das Auswärtige Amt 117 Auslandsschulen. Davon sind 44 deutschsprachige Schulen, 48 Begegnungsschulen und 25 landessprachliche Schulen mit verstärktem Deutschunterricht. Die Gesamtschülerzahl ist in den vergangenen zehn Jahren mit rund 70 000 konstant geblieben. Gleiches gilt für den Anteil deutscher Schülerinnen und Schüler bei einer Schwankungsbreite zwischen circa 16 500 und 17 500 Schülern. Die Größe einzelner Schulen bzw. ihre Schülerzahl variiert lokal sehr stark. So stieg die Anzahl der Schüler an der deutschen Schule in Peking von 113 Schülern 1995/96 auf 230 Schüler 2001/02 und an der deutschen Schule in Schanghai in dem gleichen Jahresvergleich von elf auf 140 Schülern stark an. Aufgrund wirtschaftlicher und politischer Probleme sind die Zahlen für den Vergleichszeitraum beispielsweise in Lagos rückläufig. Dort ging die Anzahl der Schüler von 152 auf 77 zurück. An Standorten mit schwierigeren Lebensumständen ist tendenziell erkennbar, dass die Exportwirtschaft zunehmend weniger Mitarbeiter aus Deutschland oder ihre Mitarbeiter nur vorübergehend bzw. ohne Familie entsendet, was sich unmittelbar auf die Schülerzahl auswirkt. Die Auslandsschulen bleiben von der Haushaltskonsolidierung nicht ausgenommen. Interne Umstrukturierungen sichern gleichzeitig Qualität und Leistungsvermögen der Schulen. Auf ergänzende Finanzierungsmöglichkeiten, beispielsweise erhöhte Schulgelder oder Sponsoring, sind die Schulen gleichwohl verstärkt angewiesen. Ein Zusammenhang zwischen Schulgelderhöhungen und dem Rückgang von Schülerzahlen ist allerdings nicht nachweisbar. Für viele Eltern sind andere internationale Schulen keine Alternative, da sie an einer an deutschen Normen orientierten Ausbildung interessiert sind. Hinzu kommt, dass die deutschen Auslandsschulen im Vergleich zu britischen oder amerikanischen Schulen weiterhin vergleichsweise günstige Schulgelder erheben.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfrage.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, die Frage bezieht sich auf einen Pressebericht in der „Frankfurter Rundschau“ vom 11. April 2002. In diesem Pressebericht wird über den ersten Weltkongress der deutschen Auslandsschulen in Mexiko City berichtet und Klage über die erheblichen Mittelkürzungen im Etat des Auswärtigen Amtes für die deutschen Auslandsschulen geführt. Das Auswärtige Amt war auf diesem Kongress vertreten. Konnte die Bundesregierung den Vertretern der deutschen Auslandsschulen in Aussicht stellen, dass im Haushalt des nächsten Jahres eventuell eine Erhöhung der Fördermittel für die deutschen Auslandsschulen vorgesehen wird? Denn der Rückgang hat ja inzwischen zu qualitativen Einbußen - bis hin zur Frage hinsichtlich der an deutschen Auslandsschulen tätigen Lehrkräfte - geführt.

Not found (Gast)

Herr Kollege, das Auswärtige Amt hat so etwas mit guten Gründen - nicht in Aussicht gestellt. Es gibt gar keinen Zweifel daran, dass die Konsolidierungspolitik fortgeführt werden muss, schon allein, um im Einklang mit den entsprechenden Rahmenbedingungen der Europäischen Union zu bleiben. Das ist allgemein bekannt. Davon kann kein Ressort ausgenommen werden. Ich wiederhole einen Hinweis, den ich für wesentlich halte und der eine Grundlage des deutschen Systems in diesem Zusammenhang ist: Amerikanische und britische Schulen erheben vergleichsweise höhere Schulgelder. Ich glaube, dies ist eine der notwendigen und auch gewollten Folgen der Reduzierung von Transferzahlungen in Haushalten hoch entwickelter Staaten.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine zweite Zusatzfrage.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, folglich scheinen Angehörige deutscher Unternehmen im Ausland andere Erfahrungen zu haben, als sie die Bundesregierung für sich in Anspruch nimmt. In dem zitierten Presseartikel heißt es wörtlich: Eine wachsende Zahl von Eltern, die aus beruflichen Gründen ins Ausland geschickt wurden, kann sich den Besuch einer deutschen Schule nicht mehr leisten. Dies geht zurück auf Aussagen, die bei dem Kongress der deutschen Auslandsschulen getätigt worden sind. Ich frage erneut, ob sich das Auswärtige Amt nicht doch noch einmal überlegt, die Förderung der deutschen Auslandsschulen zu verstärken. Denn auch die deutsche Wirtschaft - es gibt eine entsprechende Entschließung der Konferenz der Wirtschaftsminister des Bundes und der Länder - beklagt einen Substanzverlust bei den deutschen Schulen im Ausland und fürchtet, dass der Anreiz für junge Familien mit Kindern, für deutsche Unternehmen ins Ausland zu gehen und somit den Wirtschaftsstandort Deutschland im Ausland zu stärken, Schaden nimmt, wenn hier nicht ein Kurswechsel erfolgt.

Not found (Gast)

Herr Kollege, das Auswärtige Amt trägt die notwendige Konsolidierungspolitik voll mit. Ich glaube, gerade in den von Ihnen wiedergegebenen Berichten wird die grundsätzliche gesellschaftliche Problematik der notwendigen Haushaltskonsolidierung und der damit verbundenen steuerlichen Entlastung von Unternehmen deutlich. Für den größten Teil der infrage kommenden Fälle - soziale Härten kann man nie ausschließen; mit denen sollte man sich individuell beschäftigen - wird die Frage, wie von Unternehmen ins Ausland entsandte Mitarbeiter ihre Kinder beschulen, Vertragsbestandteil zwischen diesen Mitarbeitern und den Unternehmen sein. Dies entspricht auch der gesellschaftspolitischen Philosophie, welche der entsprechenden Haushaltskonsolidierung und Steuerentlastung zugrunde liegt.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Staatsminister, wir sind schon bei Frage 13. Es liegt an Ihnen, ob Sie bereit sind - die Kollegin Bonitz ist gerade eingetroffen -, die Frage 12 jetzt noch zu beantworten.

Not found (Gast)

Ich bin immer bereit, alles das zu tun, was dem Parlamentarismus angemessen ist.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Können Sie uns das schriftlich geben?

Not found (Gast)

Das gebe ich Ihnen gerne schriftlich. Das ist eine meiner ethischen Überzeugungen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Dann rufe ich die Frage 12 auf: Ist die in der „Wirtschaftswoche“ vom 21. März 2002 zitierte Äußerung des Bundesministers des Auswärtigen, Joseph Fischer, „Wissen Sie, ich kann Interviews geben, wem ich will - Sie müssen sich dafür immer erniedrigen“ gegenüber der ARD-Korrespondentin Hanni Hüsch korrekt wiedergegeben worden, und falls ja, was versteht der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer, ganz konkret unter der zitierten „Erniedrigung“?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, Herr Bundesaußenminister Fischer pflegt einen engen und vertrauensvollen Umgang mit den Medien. Dies können Sie auch daran feststellen, dass viel über ihn geschrieben wird. Auf Ihre Frage kann ich Ihnen nur eine grundsätzliche und alternativlose Antwort geben: Die Bundesregierung sieht grundsätzlich keine Veranlassung, nicht öffentliche vermeintliche oder tatsächliche Äußerungen von Bundesministern zu kommentieren.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfrage.

Sylvia Bonitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, zunächst ganz herzlichen Dank, dass Sie die Frage noch beantworten. Es geht hier aber nicht darum, dass Sie die Äußerung kommentieren, sondern darum, dass Sie sagen, ob dieser Ausspruch von Herrn Fischer gegenüber einer ARD-Korrespondentin überhaupt zutreffend wiedergegeben ist. Ich nenne das Zitat noch einmal: „Wissen Sie, ich kann Interviews geben, wem ich will - Sie müssen sich dafür immer erniedrigen.“

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Frau Kollegin, die Bundesregierung - Sie fragen die Bundesregierung - untersucht grundsätzlich nicht die unendliche Vielfalt von angeblichen, tatsächlichen, richtig, modifiziert dargestellten Äußerungen von Bundesministern. Ich glaube, wenn sie es tun würde, würde das Parlament die Bundesregierung zu Recht kritisieren, weil es wichtigere Aufgaben gibt als diese.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine weitere Zusatzfrage.

Sylvia Bonitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist schon bemerkenswert, dass man als Parlamentarier keine Auskunft darüber erhält, ob eine angebliche Aussage eines Ministers stimmt oder nicht. Sieht die Bundesregierung denn einen Zusammenhang zu einer früheren Äußerung von Herrn Fischer, die so auch bestätigt worden ist, als er Journalisten als - ich zitiere - „Fünf-Mark-Huren“ bezeichnet hat? Dies passt in den Zusammenhang.

Dr. Christoph Zöpel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002604, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, Sie werden mir nicht verübeln, dass ich die Frage zwingend genauso wie die davor beantworte. Es gibt keine Stelle in der Bundesregierung, die die unübersehbare Fülle von Bundesministern zugeschriebenen Äußerungen - das findet täglich statt - daraufhin überprüft, ob es sie gibt und ob sie richtig sind. Ich füge hinzu: Es ist sehr vernünftig, dass es eine solche Stelle nicht gibt.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Damit sind wir am Ende Ihres Geschäftsbereichs. Herr Staatsminister, ich danke Ihnen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz auf. Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär, Professor Dr. Eckhart Pick. Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Dr. Norbert Röttgen auf: Welche Gründe sprechen aus Sicht der Bundesregierung für oder gegen eine Novellierung der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, BRAGO, und in welchem Zeitraum müsste eine solche Novellierung aus Sicht der Bundesregierung erfolgen?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Präsident! Herr Kollege Dr. Röttgen, das neue Vergütungsrecht der Rechtsanwälte soll transparenter, anwenderfreundlicher und aufwandsorientierter werden sowie den veränderten Strukturen der Anwaltskanzlei Rechnung tragen. Im Hinblick darauf, dass die Gebührensätze der Rechtsanwälte bekanntlich seit 1994 nicht mehr angepasst worden sind, soll im Zuge der Strukturreform eine Angleichung der Einkommen der Anwaltschaft an die Einkommensentwicklung in anderen Bereichen erfolgen. Daran arbeitet die Bundesregierung mit Nachdruck.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfrage.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Staatssekretär Professor Pick, allen Interessierten stellt sich die Frage, zu welchem Ergebnis dieser Nachdruck führt. Im letzten Sommer hat die Expertenkommission das Gutachten vorgelegt. Die Verbände haben dazu Stellung bezogen. Sie haben die Bedeutung dieses Vorhabens gerade unterstrichen und betont, dass es Anlass gibt. Die Legislaturperiode ist in fünf Monaten zu Ende. Ich möchte Sie fragen: Wollen Sie noch in dieser Legislaturperiode zu einem Ergebnis kommen? Anders gefragt: Was sind die Gründe für die Schneckenhaftigkeit der Gesetzgebungsarbeit, die in diesem Bereich betrieben wird?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Kollege Röttgen, ich weise den Ausdruck „Schneckenhaftigkeit“ - natürlich mit der gebührenden Empörung - zurück. Sie können aus der Tatsache, dass die Strukturkommission am 12.April dieses Jahres erneut getagt und sich mit der Fortschreibung des Berichtes und der Vorschläge beschäftigt hat, ersehen, dass wir mitten in den Beratungen sind. Insofern hoffen wir, dass wir dieses Unternehmen möglichst bald abschließen können.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Wird es noch in dieser Legislaturperiode einen entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung geben?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Kollege, die Bundesregierung unternimmt alle Anstrengungen, um noch in dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Röttgen auf: Mit welchen anderen rechtspolitischen Projekten wie zum Beispiel der Novellierung des Gerichtskostengesetzes, GKG, beabsichtigt die Bundesregierung eine etwaige Novellierung der BRAGO gegebenenfalls zu verknüpfen und warum?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Kollege Dr. Röttgen, mit den Ländern und den Repräsentanten der Anwaltschaft ist sich die Bundesregierung darin einig, dass die Reform des anwaltschaftlichen Gebührenrechts aus Gründen struktureller Abhängigkeiten und finanzieller Auswirkungen auf die Länderjustizhaushalte in die Gesamtreform des Gerichtskostenrechts eingebettet sein muss.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfrage.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist sich die Bundesregierung bewusst, dass durch die Verklammerung beider Bereiche, anwaltliches Gebührenrecht und Gerichtskostengesetz, eine enorme Verzögerung im gesamten Vorhaben bewirkt wird, was eine inhaltliche Bremse bedeutet, ohne dass ein zwingender sachlicher Zusammenhang zwischen beiden Bereichen besteht? Nimmt die Bundesregierung damit nicht in Kauf, dass aus dem Projekt nichts wird, sondern in die Rubrik Ankündigungsprojekt einzugruppieren ist?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Dr. Röttgen, es gibt keinen Zweifel - darin war sich die Kommission, die die Bundesministerin der Justiz eingesetzt hat, einig -, dass es einen strukturellen Zusammenhang zwischen der Änderung der Struktur der Gebührenordnung für Anwälte und dem Gerichtskostenrecht gibt. Es war von Anfang an ein Ziel dieser Kommission, zum Beispiel die Frage der Vergütung von Sachverständigen, Zeugen sowie ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern in diesem Zusammenhang mit einzubringen. Das ist die Vorbemerkung. Sie werden verstehen, dass insbesondere die Länder mit Argusaugen darauf achten, dass sie bei dieser Reform aus ihrer Sicht nicht unter die Räder kommen. Insofern muss es natürlich einen einigermaßen austarierten Ausgleich zwischen den Belangen der Anwälte, die wir alle unterstützen - darin bin ich mit Ihnen einer Meinung -, und den Interessen der Länder geben. Darüber hinaus gibt es noch andere Beteiligte bei diesem Vorhaben, nämlich die so genannten Konsumenten, diejenigen, die diese Kosten letztlich tragen müssen. Dazu gehören sicherlich auch Teile der Versicherungswirtschaft. Die Struktur dieses Vorhabens ist also grundsätzlich gerechtfertigt. Die Frage, ob es möglich ist, die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte aus dem Konzept herauszulösen, ist noch nicht geklärt. Wir überlegen noch. Nur so viel ist klar: Insgesamt muss jedes Konzept mit der Struktur des Gerichtskostenrechts abgestimmt sein und geklärt sein, was das bringt. Wir brauchen dazu keine ausformulierte Gebührenordnung. Wir arbeiten an diesem Thema. Ich hoffe, dass es uns bald gelingt, einen Referentenentwurf in die Gremien einzubringen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Die Fragen 16 und 17 des Kollegen Dr. Jürgen Gehb werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 18 des Kollegen Volker Kauder auf: Wird die Bundesregierung die von der Arbeitsgruppe Gebührenrecht der Bundesrechtsanwaltskammer, BRAK, erarbeiteten Anregungen im Hinblick auf den von der Expertenkommission BRAGO-Strukturreform vorgelegten Entwurf eines RVG-E aufgreifen und wenn nein, warum nicht?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Kollege Kauder, die Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer wird wie auch die Stellungnahmen der anderen Verbände - dazu gehört auch die des Deutschen Anwalt-Vereins - im Bundesministerium der Justiz geprüft und bewertet.

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, können Sie uns mitteilen, wie viel Zeit diese Prüfung noch in Anspruch nehmen wird? Die Fakten liegen ja schon eine Zeit lang auf dem Tisch.

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Wir sind auch mit der von Ihnen angesprochenen Bundesrechtsanwaltskammer im Gespräch. Das letzte Gespräch hat am 27. März dieses Jahres in unserem Haus stattgefunden. Wir haben die Bundesrechtsanwaltskammer gebeten, sich noch einmal mit der Versicherungswirtschaft in Verbindung zu setzen, weil es offensichtlich unterschiedliche Einschätzungen gibt. Wir haben gebeten, uns über das Ergebnis der Gespräche - auch wir haben bereits mit der Versicherungswirtschaft Gespräche geführt - in Kenntnis zu setzen. Das ist bisher noch nicht erfolgt. Im Übrigen habe ich bei der Beantwortung der Fragen des Kollegen Dr. Röttgen schon darauf hingewiesen, dass wir im Moment im Lichte der Stellungnahmen und mithilfe der Kommission den Entwurf überarbeiten. Sobald er einen gewissen Stand erreicht hat, wird er als Referentenentwurf eingebracht werden.

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, vielleicht kann ich Sie doch noch dazu bringen, eine genauere Aussage im Namen der Bundesregierung zu machen: Teilen Sie die Auffassung des rechtspolitischen Sprechers der Grünen, der die Novellierung noch in dieser Legislaturperiode gefordert hat?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Es gibt keinen Zweifel, dass die Anhebung der Gebühren wichtig ist. Aus unserer Sicht ist die Strukturreform der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte genauso wichtig. Das ist eine vordringliche Aufgabe; denn wir sehen hier Nachholbedarf. Das Bundesministerium der Justiz ist bemüht. Sie erkennen auch an den Terminen, die es in der letzten Zeit gegeben hat, dass diese Reform von uns nach wie vor als ein wichtiges Vorhaben angesehen wird.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Volker Kauder auf: Entspricht der Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 24. März 2002, nach dem Bundeskanzler Gerhard Schröder das Vorhaben der Bundesministerin der Justiz, Dr. Herta Däubler-Gmelin, zur besseren Vergütung von Rechtsanwälten im Kabinett gestoppt haben soll, den Tatsachen und wenn ja, wie wirkt sich dies auf den Zeitplan für eine Novellierung der BRAGO aus?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Kollege Kauder, aus meinen bisherigen Antworten dürfte sich bereits ergeben haben, dass der Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ nicht den Tatsachen entsprechen kann; denn das Bundesministerium der Justiz arbeitet nach wie vor mit Nachdruck an dem Entwurf.

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob aus Ihrem Hause ein entsprechender Vermerk an das Bundeskanzleramt gegeben wurde, aus dem hervorgeht, wie sich der Bundeskanzler vielleicht in den nächsten Tagen bei der einen oder anderen Veranstaltung äußern will?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Das Bundesministerium der Justiz hat keinen Anlass, dem Herrn Bundeskanzler irgendwelche Vorgaben zu machen.

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Haben Sie solche Vorgaben denn gemacht?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Wir haben keine solchen Vorgaben gemacht.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Peter Weiß ({0}) auf: Trifft es zu, dass die Bundesregierung beabsichtigt, den von der Bundesministerin der Justiz, Dr. Herta Däubler-Gmelin, erarbeiteten Entwurf eines Gesetzes zur Verhinderung von Diskriminierungen im Zivilrecht nicht mehr in dieser Legislaturperiode in den Deutschen Bundestag einzubringen?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Kollege Weiß, der in Ihrer Frage unterstellte Sachverhalt trifft nicht zu. Vielmehr wird angestrebt, Regelungen zur Verhinderungen von Diskriminierungen im Zivilrecht noch in dieser Legislaturperiode zu verwirklichen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfrage.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, dass Berichte zum Beispiel im „Focus“, dass der Bundeskanzler der Bundesjustizministerin mitgeteilt habe, dass er diesen Entwurf auf keinen Fall als Regierungsentwurf einbringen wolle, und Meldungen wie die im „Tagesspiegel“ von heute, wonach feststehe, dass es zu keinem Regierungsentwurf kommen, sondern allenfalls einen Entwurf der beiden Koalitionsfraktionen geben werde und dass der rechtspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen festgestellt habe, es gebe „bei der SPD ... starke Absetzbewegungen“, den Gesetzentwurf als Entwurf der Koalitionsfraktionen einzubringen, zutreffen? Wird es also zu keinem Regierungsentwurf mehr kommen und wird damit die Bundesregierung ihr Versprechen brechen, das sie anlässlich der Beratungen des Gleichstellungsgesetzes insbesondere den Behindertenverbänden gegeben hat?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Der letzte Teil Ihrer Ausführungen war wohl keine Frage, sondern schon eine vorweggenommene Bewertung. Ich kann nur sagen, dass die Bundesregierung nach wie vor an dem Entwurf arbeitet. Wir befinden uns in der Abstimmung mit den Ressorts. Insofern handelt es sich hier um einen ganz normalen Vorgang. Wir sind auch weiterhin bemüht - das habe ich bereits in der letzten Woche auf entsprechende Fragen von Herrn Dr. Seifert gesagt -, diesen Entwurf, in welcher Form auch immer, noch in die Gremien zu bringen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zweite Zusatzfrage.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, da mir das Thema Gleichstellung Behinderter besonders am Herzen liegt, frage ich Sie, ob es nicht klüger gewesen wäre, die Bundesregierung hätte daran festgehalten - das war ursprünglich geplant gewesen -, im Gleichstellungsgesetz auch die Fragen der zivilrechtlichen Gleichstellung von Behinderten zu regeln, statt diesen Teil herauszunehmen und jetzt in einen offensichtlich eher dilettantisch zusammengestrickten und in der Bundesregierung höchst umstrittenen Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes aufzunehmen? Im Übrigen erinnere ich daran, dass das Bundesjustizministerium den Referentenentwurf erst herausgerückt hat, nachdem die Behindertenverbände angekündigt hatten, am 3. Dezember vergangenen Jahres hier in Berlin zu demonstrieren.

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Das Konzept der Bundesregierung beinhaltet, dass es zu einem zivilrechtlichen Antidiskriminierungsgesetz kommt. Insofern handelt es sich hier um eine klare Entscheidung. Wie Sie vielleicht wissen, haben wir auch schon zivilrechtliche Regelungen dort, wo es sinnvoll war, aufgenommen, beispielsweise in das neue Mietrecht. Dort ist im Einvernehmen mit den Verbänden zum ersten Mal die Barrierefreiheit aufgenommen worden. Wir haben uns also auch schon bei unseren bisherigen Projekten bemüht, entsprechende Regelungen einzubringen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wird das Antidiskriminierungsgesetz zustimmungsbedürftig sein und können Sie mir den Zeitplan erläutern, nach dem dieses Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verwirklicht werden soll?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr von Klaeden, ob das Gesetz zustimmungsbedürftig ist, hängt von der Regelungsmaterie ab, wie Sie als besonderer Kenner des Rechts natürlich wissen. ({0}) Den zweiten Teil Ihrer Frage beanworte ich wie folgt: Sie sind auch erfahren genug, um zu wissen, dass es unterschiedlichste Möglichkeiten gibt, um ein Projekt noch vor Ende der Legislaturperiode durch die Gremien zu bringen. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage der Kollegin Claudia Nolte.

Claudia Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, da Zeitungsmeldungen doch relativ selten ganz und gar unwahr sind und ohne jeglichen Anlass erscheinen, frage ich ausdrücklich nach: Sind die Berichte darüber, dass die Bundesregierung nicht mehr beabsichtige, den Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes einzubringen, wahr oder falsch?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Diese Berichte sind falsch.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär, Dr. Gerald Thalheim, zur Verfügung. Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Peter Dreßen auf: Welche Gründe gibt es dafür, dass das Pflanzenschutzmittel Lebaycid in Frankreich bis zehn Tage vor der Ernte gespritzt werden darf, in Deutschland jedoch verboten ist, und wird dadurch nach Ansicht der Bundesregierung nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz in der Europäischen Union verstoßen? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Kollege Dreßen! Das Pflanzenschutzmittel Lebaycid, Wirkstoff Fenthion, wurde in Deutschland letztmals im Jahre 1993 zugelassen. Schon aufgrund der damals nachzuweisenden Zulassungsvoraussetzungen konnte das Pflanzenschutzmittel wegen seiner möglichen Auswirkungen auf den Naturhaushalt nur nach einer Vertretbarkeitsabwägung zugelassen werden, und zwar befristet auf fünf Jahre. Mit dem nachfolgenden Antrag auf erneute Zulassung konnten die schon früher bestehenden Bedenken nicht ausgeräumt werden. Der Wirkstoff Fenthion wurde in der ersten Stufe der europäischen Überprüfung von Altwirkstoffen geprüft. Bis heute konnte noch keine Entscheidung über die Aufnahme dieses Wirkstoffes in Anhang I der Richtlinie 91/414/EWG getroffen werden. Es steht jedoch fest, dass man nach heutigem Stand der Bewertung höchstens gewillt ist, einer Köderanwendung zuzustimmen. Eine Flächenanwendung mit deutlich höherem Mittelaufwand wie beim Einsatz zur Kirschfruchtfliegenbekämpfung ist jedoch abzulehnen. Deutschland konnte aufgrund der Datenlage keine sichere, durch Daten belegte Anwendung identifizieren und spricht sich demzufolge gegen eine Aufnahme des Wirkstoffes in Anhang I der Richtlinie 91/414/EWG aus.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfrage.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich habe eigentlich danach gefragt, warum dieses Mittel in Frankreich zugelassen ist. ({0}) Mein Wahlkreis liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zur französischen Grenze. Das heißt also, fünf Kilometer westlich meines Wahlkreises darf Lebaycid verspritzt werden, die Kirschen dürfen geerntet und anschließend nach Deutschland eingeführt werden. Sehen Sie darin nicht eine Ungerechtigkeit gegenüber den deutschen Kirschbauern? Diese Landwirte haben jetzt tatsächlich Existenzängste und Existenznöte, weil sie befürchten, dass ihre Kirschen von Maden befallen sind, wenn sie dieses Mittel nicht mehr spritzen können. Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: In der Tat, Lebaycid ist ein Präparat, das in Frankreich noch zugelassen ist. Die Zulassung in Frankreich geht auf frühere Entscheidungen zurück. Das Ziel der Bundesregierung ist eine Harmonisierung im Pflanzenschutzrecht; es wurde auch in der von mir zitierten Richtlinie 91/414/EWG festgelegt. Die von mir ebenfalls angesprochene Aufnahme in Anhang I der genannten Richtlinie entspricht praktisch einer gemeinschaftlichen europäischen Zulassung. Solange die Entscheidung über die einzelnen Präparate in diesem Bereich nicht erfolgt ist, gelten nach wie vor die alten Zulassungen und damit die unterschiedliche Bewertung in den einzelnen Mitgliedsländern. Entscheidend für die Ablehnung in Deutschland war die Umwelttoxikologie und in Übereinstimmung damit das 1986 im Deutschen Bundestag erlassene Gesetz, das dem Vorsorgegedanken sowohl im Umweltbereich als auch im Bereich des Verbraucherschutzes Vorrang vor allen anderen wirtschaftlichen Überlegungen einräumt.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, das, was Sie jetzt sagen, hilft den Landwirten natürlich sehr wenig. Sie waren schon einmal so weit zu sagen, dass im Falle einer Gefahr im Verzuge nach einer Lösung gesucht werden muss. Ich kann Ihnen versichern: Die Existenz einiger Betriebe steht auf dem Spiel. Sie sehen natürlich nicht ein, dass fünf Kilometer weiter die Kirschen mit dem Mittel gespritzt, nach Deutschland eingeführt und hier verkauft werden dürfen, während unsere Kirschen nicht damit behandelt werden dürfen. Das ist unverständlich. Können Sie mir deutlich machen, warum die Lage so ist? Wird in den nächsten Tagen nicht doch noch einmal versucht werden, eine Lösung herbeizuführen? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: In der Tat habe ich vor einigen Wochen hier in der Fragestunde die im Pflanzenschutzgesetz vorhandene Möglichkeit angesprochen, Präparate mit dem Hinweis „Gefahr im Verzug“ zuzulassen. Die Erwartungen, die damit verbunden waren, hatten eine reale Grundlage, nämlich ein Gespräch mit dem Umweltbundesamt. In diesem Gespräch ist seitens des Umweltbundesamtes angedeutet worden, das einer Ausnahmegenehmigung nichts entgegenstehe. Die Biologische Bundesanstalt - sie ist bei Zulassungen nach § 11 des Pflanzenschutzgesetzes einzig entscheidend - ist zu einem anderen Ergebnis gekommen, weil mit dem Wirkstoff Dimethoat eine Alternative zur Verfügung steht. Ich möchte es folgendermaßen auf den Punkt bringen: Wir haben keine beste Lösung, sondern zwei zweitbeste Lösungen: Die eine ist die Anwendung von Dimethoat - seine Zulassung besteht nur für begrenzte Zeit -, die andere ist die Anwendung von Fenthion, mit dem umwelttoxikologische Probleme einhergehen. Wir geben dem Dimethoat den Vorzug; zumal sich in der Zeit, die seit meiner Antwort im Deutschen Bundestag vergangen ist, die Bewertung des Wirkstoffs Dimethoat in der Europäischen Union geändert hat. Das heißt, der Wirkstoff wird nach heutiger Kenntnis für die nächsten drei Jahre zur Verfügung stehen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen Koschyk.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, es überrascht mich jetzt doch, dass Sie heute auf einmal auf den anderen Wirkstoff - Sie können seinen schönen Namen besser als ich aussprechen - verweisen. Sie haben nämlich in der Fragestunde am 13. März 2000 auf meine Nachfrage hin gesagt: Gefahr im Verzuge besteht insofern, als wir außer diesem einen Präparat Lebaycid über keine anwendbaren Alternativen verfügen. Sie haben damals darauf hingewiesen, dass bei Gefahr im Verzuge, eine Ausnahmegenehmigung für den Einsatz von Lebaycid gewährt werden kann und dass keine Alternative besteht. Jetzt verweisen Sie auf eine angebliche Alternative, die vor allem die Praktiker in den Kirschanbaugebieten ablehnen. Ich wäre dafür dankbar, wenn sich die Bundesregierung nicht hinter der Alleinzuständigkeit einer Behörde verschanzen, sondern im Interesse der Existenz von vielen Kirschanbaubetrieben - es gibt zahlreiche Kirschanbauregionen in Deutschland - nach einer praktikablen Lösung suchen würde; zumal - der Kollege Dreßen hat darauf hingewiesen - eine Ungleichbehandlung gegenüber den französischen Kirschanbauern besteht. Herr Staatssekretär, nach meiner Kenntnis bestehen gegenwärtig vonseiten der EU keine rechtlichen Hürden für eine weitere Ausnahmeregelung in Deutschland. Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Kollege Koschyk, die Bundesregierung ist nicht die für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zuständige Behörde. Die Pflanzenschutzmittelzulassung geschieht auf der Basis des Pflanzenschutzgesetzes. Ich habe in meiner Antwort auf die vorangegangene Frage schon deutlich gemacht: Die Pflanzenschutzmittelzulassung beruht auf einer Gesetzesregelung aus dem Jahre 1986. Damals wurde in diesem Gesetz dem Vorsorgegedanken sowohl im Hinblick auf die menschliche Gesundheit als auch auf die Umwelt absoluter Vorrang eingeräumt. Aufgrund dieser Regelung musste die Biologische Bundesanstalt eine Abwägung treffen. Sie ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Anwendung von Dimethoat letztendlich der bessere Weg ist. Der Grund für den Widerspruch zu meiner Antwort vor einigen Wochen, den Sie angemerkt haben, liegt darin, dass auf europäischer Ebene mittlerweile eine andere Bewertung von Dimethoat vorliegt. Auch in Deutschland hat es in der Vergangenheit Versuche gegeben, die Kirschfruchtfliege mit Dimethoat zu bekämpfen. Diese Versuche sind zwar nicht optimal verlaufen, hatten aber zumindest ein praktikables Ergebnis - auch in Bayern. Insofern sehen wir in der Anwendung von Dimethoat zur Kirschfruchtfliegenbekämpfung eine durchaus machbare Lösung für die Betriebe.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Urbaniak, bitte.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, es ist für mich völlig unbefriedigend, dass die Existenz der deutschen Bauern im Grenzbereich gefährdet ist, während auf der anderen Seite der Grenze kräftig produziert werden kann, die Waren von dort auf den Märkten, die bisher die in ihrer Existenz gefährdeten Bauern bedienten, abgesetzt werden und damit eine Ungleichbehandlung innerhalb der EU stattfindet. Wir haben das auch in anderen Bereichen: So fordern wir andere Staaten auf, in der Energiepolitik gleiche Regelungen wie bei uns anzuwenden. Ist denn vonseiten der Bundesergierung beabsichtigt, Initiativen zu unternehmen, um diesen unhaltbaren Zustand im Südwesten der Republik zu beenden? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Es ist das Ziel der Bundesregierung, eine Harmonisierung in diesem wichtigen Bereich zu erreichen. Ich durfte hier schon vortragen, dass ein Kernpunkt der Harmonisierung eine europaweite Zulassung durch Aufnahme in den so genannten Anhang I ist. Auf diesem Gebiet sind wir in den letzten Jahren deutlich vorangekommen, aber noch nicht so weit, wie wir uns das wünschen. Fenthion ist einer der Wirkstoffe, der in Frankreich noch aufgrund einer früheren Zulassung angewandt werden darf; diese Zulassung wird aber auch dort im nächsten Jahr auslaufen. Wir sind auf dem Weg der Harmonisierung, mit all den Problemen, die aus der Vergangenheit herrühren. Allerdings sehen wir eine existenzbedrohende Situation für die deutschen Kirschanbauer nicht, weil hier, wie von mir dargestellt, mit dem Wirkstoff Dimethoat eine Lösung, wenn auch keine optimale, zur Verfügung steht.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Weiß, Emmendingen.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Thalheim, ist dem Bundesverbraucherministerium ein wenig die deutsche Wetterkarte bekannt? Können Sie vielleicht zugestehen, dass der Wirkstoff Adimethoat, der nur mit einer Wartezeit von 21 Tagen verwandt werden darf, für den Kirschanbau in Süddeutschland, insbesondere im Kaiserstuhl, vollkommen unbrauchbar ist, weil die Kirschen bei uns bei einer Wartezeit von 21 Tagen nicht nur reif, sondern überreif sind ({0}) und sich folglich für die Ernte, für den Verkauf und für das Inverkehrbringen nicht mehr eignen? Von daher sind die Feststellungen der Biologischen Bundesanstalt falsch. Deswegen müsste es die von Ihnen aus § 11 des Pflanzenschutzgesetzes zitierte Regelung von Gefahr im Verzuge in der Tat nahe legen, endlich grünes Licht dafür zu geben, dass in diesem Jahr ausnahmsweise noch einmal Lebaycid angewandt werden kann. Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Die Biologische Bundesanstalt als zuständige Zulassungsbehörde ist unter Abwägung der Gesichtspunkte zu dem Ergebnis gekommen, dass Fenthion nicht zugelassen werden kann. In der Tat müssen Dimethoat-Präparate zu einem sehr frühen Zeitpunkt angewandt werden. Trotzdem sind wir der Auffassung, dass die Wartezeit von 21 Tagen eingehalten werden kann. Ein anderes Vorgehen der Bundesregierung - auch Sie sprachen vom Verbraucherschutz - würde Sie möglicherweise in einigen Wochen zu Fragen danach provozieren, warum die Bundesregierung ihre hochgesteckten Ziele im Verbraucherschutz nicht erfüllt. Insofern sind wir unter Abwägung der Widersprüche, die ich eben beschrieben habe, der Meinung: Mit Dimethoat ist die Bekämpfung von Kirschfruchtfliegen in Deutschland möglich, ohne den Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit und des Verbraucherschutzes zu widersprechen. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen Schockenhoff.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, nachdem Sie dem Kollegen Koschyk geantwortet haben, die Bundesregierung sei nicht die Zulassungsbehörde für Pflanzenschutzmittel, möchte ich Sie fragen: Wem untersteht die Biologische Bundesanstalt? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Die Biologische Bundesanstalt untersteht der Bundesministerin Frau Künast. ({0}) - Sie können ruhig murmeln. - Die Pflanzenschutzmittelzulassung ist zum Glück keine politische Entscheidung. Ich kann mich während der Zeit meiner Zugehörigkeit zum Bundestag auch an politisch begründete Anträge erinnern, nach denen Pflanzenschutzmittel verboten werden sollten. Wir haben hier deshalb klare gesetzliche Regelungen, nach denen die Zulassung erfolgt. Das sind im Übrigen Gesetze, die dieses Hohe Haus erlassen hat. Wenn es zu anderen Regeln kommen soll, dann muss der Gesetzgeber tätig werden. Das ist die ganz klare Argumentation der Biologischen Bundesanstalt. Ich darf noch einmal darauf verweisen: Der absolute Vorrang des Vorsorgegedankens in Bezug auf Umwelt und Verbraucher ist 1986 in das Pflanzenschutzgesetz geschrieben worden.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Wir bleiben beim Thema. Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Dreßen auf: Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass durch das Verbot des Pflanzenschutzmittels Lebaycid und das Versprühen des Ersatzmittels Dimethoat bis maximal 21 Tage vor der Ernte viele Kirschenanbauer in ihrer Existenz gefährdet sind, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Existenz der Kirschenanbauer zu erhalten?

Dr. Gerald Thalheim (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002311

Herr Kollege Dreßen, die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft hat im November 2001 ein Expertenkolloquium unter Beteiligung des Berufsstandes zur Frage der Kirschfruchtfliegenbekämpfung durchgeführt. Die Experten kamen zu dem Ergebnis, dass Dimethoat für die Kirschfruchtfliegenbekämpfung geeignet ist. Die Bestimmung des Einsatztermines ist wegen der Wartezeit von 21 Tagen jedoch nicht ganz einfach, aufgrund der Erfahrungen in der Schweiz, in Österreich und insbesondere in der DDR aber durchaus möglich. Die Pflanzenschutzberatung der Länder hat dies aufgegriffen. Um den Süßkirschenanbau in Deutschland mittelund langfristig zu sichern, muss jedoch nach weiteren Wirkstoffen und Verfahren gesucht werden. Für die hierzu notwendige Forschung führt das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft regelmäßig Abstimmungsgespräche mit den Ländern durch.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, der Kollege Weiß hat gerade sehr aufgeregt auf eine Problematik hingewiesen, die natürlich ihre Berechtigung hat. Ich möchte Ihnen das Problem in aller Ruhe noch einmal darlegen. Bei uns beträgt die Reifezeit höchstens 14 Tage. Wenn Dimethoat 21 Tage vor der Ernte gespritzt werden muss, dann reicht es eben nicht. Zu diesem Zeitpunkt ist die Kirsche noch sehr grün. Ein paar Tage später kommt dann eben diese Fliege und setzt die Maden. Deswegen sagen die Landwirte und die Kirschbauern mit Recht, dass Dimethoat bei uns eben nicht die Wirkung haben kann. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass der Kaiserstuhl die wärmste Region in Deutschland ist. Deshalb ist hier die Reifezeit auch am kürzesten. Das mag in der Lüneburger Heide etwas anders sein, aber am Kaiserstuhl ist das Problem so, wie ich versucht habe, es Ihnen zu beschreiben. Wenn die Kirsche noch gelb ist und gerade anfängt, sich rot zu färben, dann muss das Mittel gespritzt werden. Aber dann dauert es höchstens noch zehn Tage bis zur Reife. Wenn Sie früher spritzen, ist alles hinfällig, wenn nur ein Regenwetter kommt. Sie wissen, dass die Kirschen, die mit Maden versehen sind, weder in den Handel gebracht noch sonst verwendet werden dürfen. Die Biologische Bundesanstalt sagt selbst, dass es in manchen Regionen problematisch ist. Sie haben es vorgelesen: Die Bestimmung des Einsatztermines ist wegen der Wartezeit von 21 Tagen jedoch nicht ganz einfach. Am Kaiserstuhl ist es sehr gefährlich und sehr schwierig. Deswegen stellt sich die Frage, ob man hier nicht zumindest regional eine Ausnahmegenehmigung dafür erhalten kann, das alte Mittel noch einmal zu verwenden. Oder was muss getan werden, um die Not der Kirschbauern in irgendeiner Form zu lindern? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Ich habe in der Beantwortung der vorangegangenen Fragen deutlich gemacht: Dimethoat ist die zweitbeste Lösung, insbesondere weil es zu einem sehr frühen Zeitpunkt angewandt werden muss. Aber die Erfahrungen - aus der Schweiz und aus Österreich, in denen es vor allem um den Bodenseeraum mit klimatisch nicht so sehr anderen Verhältnissen geht - haben gezeigt, dass dieser Wirkstoff eingesetzt werden kann. Ich gehe davon aus, dass die Biologische Bundesanstalt bei der Bewertung dieses Antrags für eine Zulassung auf der Basis von § 11 des Pflanzenschutzgesetzes auch die Argumente geprüft und gewürdigt hat, die Sie eben vorgetragen haben.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, eine letzte Frage: Ist die Regierung vielleicht bereit, den Schaden in irgendeiner Form auszugleichen, der dadurch entsteht, dass 21 Tage vor der Ernte mit Dimethoat gespritzt wird und es dann eben keinen Wert mehr haben wird? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Eine gesetzliche Grundlage, auf der ein Schadensersatzausgleich erfolgen könnte, existiert nicht.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Koschyk.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist denn die Bundesregierung bereit, mit der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft in dieser Angelegenheit noch einmal zu sprechen? Mir liegt ein Schreiben der Landesanstalt für Pflanzenbau und Pflanzenschutz des Landes Rheinland-Pfalz vor, also einer Landesbehörde, die den Antrag des Herstellers auf Ausnahmegenehmigung für Lebaycid durch eine Stellungnahme unterstützt. Die Landesanstalt für Pflanzenbau und Pflanzenschutz des Landes Rheinland-Pfalz kommt in dieser Stellungnahme vom 4. April 2002 zu dem Ergebnis, dass Dimethoat eben nicht eine wirksame Alternative ist, und befürwortet den Antrag des Herstellers auf Ausnahmegenehmigung für Lebaycid ganz ausdrücklich. Wenn es eine Landesbehörde gibt, die in dieser Frage zu einem völlig anderen Ergebnis kommt als die Bundesanstalt, dann muss die Bundesregierung doch bereit sein, ein Fachgespräch zwischen der Landesbehörde und der Bundesbehörde zu moderieren. Sich einfach dahinter zu verstecken, Herr Staatssekretär, dass eine Bundesbehörde das alleinige Zulassungsrecht hat, ist angesichts der existenziell schwierigen Situation der Kirschanbaubetriebe nach meiner Überzeugung nicht gerechtfertigt. Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Kollege Koschyk, ich bin gern bereit, ein solches Gespräch zu moderieren. Interpretieren Sie aber bitte meine Antworten in der Fragestunde vom 13. März als Nachweis der Bemühungen der Bundesregierung im Hinblick auf die Entscheidung der Biologischen Bundesanstalt, hier wirklich alle Gesichtspunkte zu prüfen. Ich wiederhole jedoch: Die Biologische Bundesanstalt lässt bei der Zulassung nach § 11 des Pflanzenschutzgesetzes Pflanzenschutzmittel auf der Basis des geltenden Pflanzenschutzgesetzes zu. Ich sage noch einmal: Der Vorsorgegesichtspunkt ist dort der maßgebliche. Er ist 1986 mit gutem Grund in das Gesetz geschrieben worden.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Kollege Weiß.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Thalheim, wenn die Bundesregierung aufgrund der Stellungnahme der Biologischen Bundesanstalt unbedingt daran festhalten will, dass Lebaycid keinesfalls mehr zum Einsatz kommen darf, frage ich Sie: Warum wird dann nicht für den Einsatz von Adimethoat in den Gebieten, in denen das von den klimatischen Bedingungen her geboten erscheint, wegen Gefahr im Verzuge, also unter Anwendung von § 11 des Pflanzenschutzgesetzes, eine verkürzte Wartezeit von zum Beispiel zehn, zwölf oder vierzehn Tagen gestattet, damit für den Kirschanbau tatsächlich ein sinnvoller Pflanzenschutz möglich ist? Wenn Sie dies in Ihrer Anwort ebenfalls ausschließen wollen, dann frage ich Sie: Wird die Bundesregierung andererseits den Import von Kirschen aus Frankreich, den Niederlanden und anderen Staaten, in denen Adimethoat mit einer kürzeren Wartezeit als 21 Tage eingesetzt werden kann oder in denen Lebaycid angewendet werden kann, verbieten und, falls Sie dieses Verbot nicht aussprechen, welche inhaltliche Konzeption haben der Verbraucherschutz und der Gesundheitsschutz dieser Bundesregierung, wenn ich in Deutschland ohne jede Einschränkung in diesem Jahr Kirschen zum Beispiel aus Frankreich kaufen kann, die mit Lebaycid oder Adimethoat mit einer Wartezeit von zehn Tagen behandelt worden sind, die deutschen Kirschen aber nicht in Verkehr gebracht werden dürfen? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Kollege, egal, aus welchem Land und aus welcher Produktion Kirschen nach Deutschland importiert werden oder hier angeboten werden, sie müssen alle - ich betone: ausnahmslos alle - die gleichen Rückstandswerte einhalten. Bei Dimethoat sind das 1 mg/kg, wobei zu dem Dimethoat der Wirkstoff Omethoat, ein Anabolit des Dimethoats, dazuzurechnen ist. Dieses Abbauprodukt hat eine zehnmal so hohe Toxizität als der ursprüngliche Wirkstoff. - Sie lächeln. Wir sind genau bei diesem Punkt. - Auch Kirschen, die aus Frankreich importiert werden, müssen diesem Rückstandshöchstwert entsprechen. Das Problem ist - hier kommen wir wieder zu dem Vorsorgegedanken -, dass es natürlich leichter ist, diesen Rückstandshöchstwert bei einer Wartezeit von 21 Tagen einzuhalten - so ist die zustande gekommen -, im Vergleich zu Frankreich mit den sieben Tagen. Die Frage des Rückstandshöchstwerts hat nichts mit der Entscheidung nach § 11 des Pflanzenschutzgesetzes, der Zulassung, zu tun, sondern sie ist bundesrechtlich in der Rückstandshöchstmengenverordnung geregelt. Das heißt, diese Entscheidung ist nicht zu korrigieren.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Tappe.

Joachim Tappe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002299, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich komme aus einer Gegend, wo zurzeit etwa 160 000 Kirschbäume in voller Blüte stehen. Dort gibt es viele, über 2 000, Kirschenanbauer, die unter der Not des Befalls durch die Kirschfruchtfliege leiden. Nun haben Sie eben gesagt, dass die Bundesregierung nicht regresspflichtig ist für Ausfälle, die sich durch das nicht so wirksame Mittel Dimethoat ergeben. Ist es dann eventuell die Zulassungsstelle, nämlich in diesem Fall die Biologische Bundesanstalt, die für Schadensersatzleistungen in Anspruch genommen werden könnte? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Kollege Tappe, in Hessen, speziell in Nordhessen, in dem Bundesland, aus dem Sie kommen, dürften die Argumente, die insbesondere gegen Dimethoat vorgetragen wurden, vor allem die 21 Tage Karenzzeit, nicht in dem Maße zutreffen wie in den wärmsten Gebieten, also am Kaiserstuhl. Das heißt, gerade in Hessen dürfte, wie auch die Erfahrungen aus Franken belegen, mit dem Wirkstoff Dimethoat eine erfolgreiche Bekämpfung der Kirschfruchtfliege möglich sein.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Hartmut Koschyk auf: Warum hat die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft, BBA, auf den Antrag des Herstellers auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für das Pflanzenschutzmittel Lebaycid vom 10. April 2002 hin bereits zu erkennen gegeben, den Antrag ablehnen zu wollen, nachdem der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Dr. Gerald Thalheim, in der Fragestunde des Deutschen Bundestages vom 13. März 2002 die Erteilung einer solchen Ausnahmegenehmigung für möglich gehalten hat, und ist seitens der BBA sichergestellt, dass der einzige weitere zur Bekämpfung der Kirschfruchtfliege zugelassene Wirkstoff Dimethoat bezüglich seiner Umwelteigenschaften demselben hohen Standard genügt, an dem derzeit Lebaycid gemessen wird? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Kollege Koschyk, vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen habe ich die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft, die als zuständige Behörde die Entscheidungen über Zulassungen oder Genehmigungen für Pflanzenschutzmittel zu treffen hat, nochmals persönlich um erneute Prüfung der Angelegenheit gebeten. Sie hat daraufhin mitgeteilt, dass das bisher angewandte Pflanzenschutzmittel Lebaycid mit dem Wirkstoff Fenthion in Deutschland seit 1998 wegen der gemeinsam von Biologischer Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft und Umweltbundesamt als unvertretbar bewerteten Auswirkungen auf den Naturhaushalt nicht mehr zugelassen ist. Eine Möglichkeit zur Erteilung einer Genehmigung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Pflanzenschutzgesetzes - Gefahr im Verzuge - sieht sie daher auch nach erneuter Prüfung nicht.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben uns vorhin freundlicherweise gesagt, dass das Umweltbundesamt, das nach Ihrer Aussage für eine solche Entscheidung mit herangezogen worden ist, zu einem anderen Ergebnis kommt als die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft. Ich habe gerade die Stellungnahme der Landesanstalt für Pflanzenbau und Pflanzenschutz des Landes Rheinland-Pfalz zitiert. Ich bitte Sie wirklich noch einmal eindringlich, Folgendes zu beachten: Niemand in Deutschland versteht, dass sich die Bundesregierung hinter der alleinigen Zuständigkeit einer Behörde verschanzt, wenn eine andere im Benehmen mit zu hörende Behörde wie das Umweltbundesamt hier eine Ausnahmeregelung weiter für möglich hält und eine Landesbehörde - ich bin sicher, es gibt auch andere Landesbehörden, die das so sehen; ich habe jetzt aber nur die Stellungnahme von Rheinland-Pfalz - ebenfalls fachlich zu einer anderen Auffassung kommt. Da kann sich doch die Bundesregierung nicht zurücklehnen und sich auf eine Behörde mit alleinigem Zulassungsrecht stützen. Ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie dem Haus hier heute zusichern könnten, dass die Bundesregierung in dieser Sache noch einmal entsprechende Aktivitäten unternimmt. Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Die Antwort in der Fragestunde vom 13. März basierte auf den Bemühungen, die ich seinerzeit unternommen hatte. Meine Antwort hat heute das Ergebnis der speziell auch von mir persönlich initiierten Prüfungen der Biologischen Bundesanstalt dargelegt. Ich habe darüber hinaus keinerlei Spielraum, auf die Biologische Bundesanstalt einzuwirken, da es, wie gesagt, nicht in die politische Entscheidung gestellt ist, welche Pflanzenschutzmittel in Deutschland zugelassen werden. Zu der Frage nach den Auskünften des Umweltbundesamtes, die Sie gestellt haben. Es handelte sich hier um ein informelles Gespräch mit dem zuständigen Referatsleiter, nicht um eine offizielle Stellungnahme. Aber das informelle Gespräch hat mich motiviert, noch einmal auf die Biologische Bundesanstalt zuzugehen. Das Ergebnis ist bekannt.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, liegt die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft in Ihrem Zuständigkeitsbereich? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Ja, die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft ist eine Anstalt unseres Hauses.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehen Sie wirklich keine Möglichkeit mehr, dass Ihr Haus noch einmal auf die Biologische Bundesanstalt einwirkt? ({0}) Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Die Biologische Bundesanstalt muss Zulassungen von Pflanzenschutzmitteln nach dem Pflanzenschutzgesetz vornehmen. Dort ist im Detail geregelt, nach welchen Verfahren und unter welchen Abwägungsgesichtspunkten eine Zulassung zu erfolgen hat. Insbesondere muss sich die Biologische Bundesanstalt bei Zulassungen an den mehrmals von mir erwähnten Vorsorgegedanken nach § 11 des Pflanzenschutzgesetzes halten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat sich der Kollege Schockenhoff zu einer Zusatzfrage gemeldet.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, warum hat die Biologische Bundesanstalt den Einsatz des Pflanzenschutzmittels Plantomycin in der vergangenen Woche nur für Versuchszwecke genehmigt und damit den Anträgen der Pflanzenschutzämter der akut von Feuerbrand bedrohten Regionen nur sehr eingeschränkt entsprochen, nachdem doch der Bundeskanzler in einem Schriftwechsel mit dem Oberbürgermeister von Friedrichshafen mitgeteilt hatte, im Falle eines akuten Feuerbrandrisikos werde die zurzeit ruhende Zulassung von Plantomycin für alle betroffenen Obstbauern modifiziert? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Die Zulassungen von Plantomycin und Lebaycid sind in keiner Weise zu vergleichen. Bei der Zulassung von Lebaycid hat der Gesichtspunkt der Umwelttoxikologie, also der Auswirkungen auf den Naturhaushalt, zur Ablehnung geführt. Im Falle von Plantomycin waren Gesichtspunkte der Humantoxikologie maßgeblich, also der Auswirkungen auf den Menschen, insbesondere der Auswirkungen aufgrund von Rückständen im Honig. Die Sonderzulassung, die jetzt zu Versuchszwecken erfolgt ist und die beinhaltet, dass jedes Bundesland die notwendigen Mengen an Plantomycin mit den entsprechenden Landesbehörden vereinbaren kann, hat das Ziel, den Obstbauern die Bekämpfung der Schädlinge zu ermöglichen. Auf der anderen Seite soll aber sichergestellt sein, dass der enge Grenzwert für Rückstandswerte im Honig von 0,02 Milligramm pro Kilogramm eingehalten wird. Das heißt, wir bewegen uns bei der Sonderzulassung des Plantomycin eindeutig im Rechtsrahmen des Pflanzenschutzgesetzes. Bei der Zulassung von Lebaycid würden wir diesen verlassen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat der Kollege Dreßen das Fragerecht.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, die Tatsache, dass es in dieser Frage eine große Koalition in diesem Hause gibt - ich weise auf die Frage des Kollegen Koschyk hin -, müsste Ihnen zeigen, dass hier ein ernstes Problem vorliegt. Deswegen frage ich Sie: Besteht die Möglichkeit, dass Sie mit dem Präsidenten der Biologischen Bundesanstalt in den nächsten Tagen noch einmal ein Gespräch führen, um zu einer befriedigenden Lösung zu kommen? Die jetzige Lösung ist nach Auffassung der Kirschbauern nicht ausreichend. Sie haben die große Sorge, dass sie die ganze Ernte vernichten müssen. Sollte daher in den nächsten Tagen nicht ein Gespräch angestoßen werden, in dem man noch einmal über die Probleme spricht? Ich würde mich bereit erklären, daran teilzunehmen. Ich bin mir sicher, dass auch andere Kollegen dazu bereit wären. Denn das Ganze ist ja nicht nur ein Problem meines Wahlkreises. Drei oder vier Nachbarwahlkreise haben dasselbe Problem. Halten Sie ein Gespräch in den nächsten Tagen nicht für dringend notwendig? Ich halte es für wichtig, dass man ein solches Gespräch führt und dass man den Versuch unternimmt, eine Ausnahmeregelung zu finden, die die Kirschbauern in geeigneter Weise zufrieden stellt. Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Kollege Dreßen, meine Antwort auf die Frage des Kollegen Koschyk hat eine solche Zusage enthalten. Ich kann mir aber - das ist meine ganz persönliche Bewertung - die Erörterung dieser Frage lediglich für Gebiete wie dem Kaiserstuhl vorstellen, wo eine besondere klimatische Situation vorliegt. In den anderen Kirschanbaugebieten Deutschlands - das betrifft insbesondere Franken, Hessen und Ostdeutschland - ist mit Präparaten auf der Wirkstoffbasis Dimethoat eine erfolgreiche Kirschfruchtfliegenbekämpfung - das haben Erfahrungen in der Vergangenheit gezeigt - möglich. Die Zusage für ein Gespräch kann ich von dieser Stelle aus geben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat der Kollege Kauder.

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Position der Biologischen Bundesanstalt in Bezug auf den Einsatz von Plantomycin vor dem Hintergrund der Aussagen Ihres Hauses, dass außer Plantomycin derzeit kein vergleichbarer wirksamer Stoff zur Bekämpfung des Feuerbrandes zur Verfügung steht? Wie will die Bundesregierung angesichts der für das kommende Wochenende ausgesprochenen Feuerbrandwarnung der für den deutschen Erwerbsobstbau nachteiligen Wettbewerbssituation im Hinblick auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln begegnen? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Kollege, wenn Sie meine bisherigen Antworten verfolgt hätten, wäre Ihnen deutlich geworden, dass eine Genehmigung, also eine Zulassung, für die Feuerbrandbekämpfung mit Plantomycin ausgesprochen worden ist. Mit den jeweiligen Landesbehörden wurden sogar Wirkstoffmengen vereinbart. In diesen Bundesländern ist die Feuerbrandbekämpfung geregelt. Es kann also nicht die Rede davon sein, dass die Obstbauern in Gefahr seien.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kollege Weiß hat eine Frage.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Thalheim, können Sie uns Abgeordneten des Deutschen Bundestages und den Obstbauern in Deutschland erklären, wie sich diese bezüglich ihrer Erzeugnisse in diesem Jahr konkret verhalten sollen, da erstens nach der Ausnahmeregelung, die Sie jetzt erlassen haben, der Einsatz von Plantomycin auf höchstens einem Achtel der Anbaufläche möglich ist - im weit überwiegenden Teil des Erwerbsobstbaus ist dies also nicht der Fall ({0}) und zweitens, wie soeben erörtert, für die Bekämpfung der Kirschfruchtfliege sowohl der Einsatz von Lebaycid als auch der Einsatz von Adimethoat - mit einer dem Reifungsprozess der Kirschen angemessenen Wartezeit - von der Bundesregierung nicht ermöglicht werden soll? Sie haben vorhin erwähnt, dass Sie bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln die Höchstrückstandsmengen - diese gelten natürlich auch für importierte Waren - begrenzen wollen. Da Sie etwas für den Verbraucherschutz tun wollen, möchte ich Sie konkret fragen: Durch wen wird jede einzelne nach Deutschland importierte Kirsche auf eventuelle Rückstände geprüft? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Kollege, ich beginne mit der letzten Frage. Die Untersuchung der Rückstände von Pflanzenschutzmitteln erfolgt durch die zuständigen Landesbehörden. Diese entscheiden auch darüber, wie hoch die Kontrolldichte ist. Wir können konstatieren - Herr Weiß, Sie brauchen nicht zu lachen -, dass die Kontrollen in den letzten Jahren intensiviert worden sind. In weniger als 1 Prozent der Proben wurden Pflanzenschutzmittel nachgewiesen. Soweit zu dem Teil der Frage, mit dem Sie danach gefragt haben, was die Bundesregierung ganz konkret macht. Es ist nicht zutreffend, dass die Mengen an Plantomycin nur für ein Achtel der Obstflächen reichen würden. Verwendet man Plantomycin, ist unter Umständen eine zweifache Behandlung notwendig. Insofern ist das der eingrenzende Faktor. Aufgrund der Witterung in den letzten Wochen muss in den stark befallenen Gebieten nicht die gesamte Fläche behandelt werden. Das heißt, es wird nur eine punktuelle Behandlung notwendig sein. Dafür steht ausreichend Plantomycin zur Verfügung, wobei die Bundesländer mit der Biologischen Bundesanstalt vereinbart haben, dass diese Mengen gegebenenfalls noch erhöht werden. Bezüglich der Einhaltung der Rückstandswerte geht es in dem ganz konkreten Fall um den Honig. Die Landesbehörden, allen voran diejenige von Baden-Württemberg, haben gemeinsam mit den Imkern und Obstbauern vereinbart, dass der Honig auf Rückstände untersucht wird. Sollten die Grenzwerte überschritten werden, wird der Honig nicht für den Verzehr durch Menschen freigegeben, sondern vernichtet. Ich denke, dies ist eine vernünftige Regelung. Es wurde Vorsorge dafür getroffen, dass auf der einen Seite den Erfordernissen des Obstbaus Rechnung getragen wird und auf der anderen Seite keine Gefährdung der Verbraucher eintritt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir sind am Ende der Befragung zu Ihrem Geschäftsbereich. Ich komme jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Ulrike Mascher zur Verfügung. Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Wolfgang Dehnel auf: Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, dass von den erheblichen Mittelkürzungen im Bereich der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, ABM, insbesondere die neuen Bundesländer betroffen sind und die Kürzungen dort teilweise dramatische Auswirkungen haben?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Herr Kollege Dehnel, die Bundesregierung teilt nicht Ihre Auffassung, dass von den erheblichen Mittelkürzungen im Bereich der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen insbesondere die neuen Bundesländer betroffen sind. Der von der Bundesregierung genehmigte Haushaltsplan der Bundesanstalt für Arbeit für das laufende Haushaltsjahr 2002 weist den Arbeitsämtern im Eingliederungstitel bundesweit 14,2 Milliarden Euro zu. Das sind rund 200 Millionen Euro mehr, als 2001 verausgabt wurden. Den Arbeitsämtern in den neuen Bundesländern wurden für das laufende Haushaltsjahr im Eingliederungstitel rund 6,9 Milliarden Euro und damit 200 Millionen Euro mehr zugewiesen, als 2001 verausgabt wurden. Die Bundesregierung teilt daher nicht die Einschätzung, dass insbesondere die neuen Bundesländer von erheblichen Mittelkürzungen betroffen sind. Für die Bewilligung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind die Arbeitsämter vor Ort zuständig. Diese erhalten in einem so genannten Eingliederungstitel Mittel, die sie für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und andere Ermessensleistungen der aktiven Arbeitsförderung einsetzen. Spezielle Arbeitsbeschaffungsmaßnahmenmittel wurden den Arbeitsämtern letztmals im Haushaltsjahr 1997 zugewiesen. Bei der Zuweisung der Mittel im Rahmen des Eingliederungstitels sind insbesondere die regionale Entwicklung der Beschäftigung, die Nachfrage nach Arbeitskräften, Art und Umfang der Arbeitslosigkeit sowie die jeweilige Ausgabenentwicklung im abgelaufenen Haushaltsjahr zu berücksichtigen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Herr Kollege Dehnel.

Wolfgang Dehnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wie erklären Sie sich dann, dass in den letzten zwei Monaten allein mir circa 20 Eingaben bzw. Briefe zugegangen sind, in denen sich Verbände und Vereine, aber auch Landratsämter und indirekt Arbeitsämter - denn in den Anfragen der Vereine waren Arbeitsämter genannt darüber beklagen, dass entsprechende Mittel gekürzt und Maßnahmen, die bisher gang und gäbe gewesen sind, zum Beispiel Unterstützung von Sportverbänden sowie anderen Verbänden und Vereinen, nicht mehr gefördert werden?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Herr Abgeordneter Dehnel, ich habe schon darauf hingewiesen, dass wir im Rahmen des Eingliederungstitels keinen Rückgang bei den Mittelzuweisungen zu verzeichnen haben und dass die Arbeitsämter vor Ort entscheiden, wie sie die vorhandenen Mittel des Eingliederungstitels auf Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder auf andere Maßnahmen verteilen. Daher ist die Frage zu stellen: Welche Entscheidungen haben die einzelnen Arbeitsämter bzw. die Verwaltungsausschüsse, in denen die Tarifvertragsparteien, die Gewerkschaften und die Arbeitgeber, sowie die jeweilige Kommune vertreten sind, getroffen?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage.

Wolfgang Dehnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Einige Kolleginnen von Ihnen aus der SPD-Fraktion haben mir berichtet, dass sie ähnlich viele Schreiben über die Situation vor Ort bekommen haben. Hat auch die Bundesregierung solche Schreiben bekommen? Ich kann mir das gut vorstellen, weil teilweise erwähnt worden ist, dass Duplikate dieser Briefe an die Bundesregierung geschickt worden sind. Können Sie dem zustimmen?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Auch wir haben solche Briefe bekommen. Nur, meine Antwort bleibt gleich: Die Entscheidung liegt nicht bei der Bundesregierung und auch nicht bei der Bundesanstalt für Arbeit. Vielmehr bekommen die örtlichen Arbeitsämter nach dem von mir dargestellten Schlüssel - ich habe versucht, Ihnen an einigen Punkten deutlich zu machen, woran sich dieser Schlüssel bemisst - Mittel des Eingliederungstitels. Die Arbeitsämter vor Ort entscheiden zusammen mit den Verwaltungsausschüssen, wie diese Mittel auf die unterschiedlichen Maßnahmen verteilt werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen wir zur Frage 25 des Kollegen Dehnel: Wie steht die Bundesregierung zu den Forderungen aus den Kommunen, Landkreisen und Verbänden bzw. Vereinen, die ABM-Mittel wieder zu erhöhen bzw. nicht weiter zu kürzen?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Ich habe versucht, Ihnen deutlich zu machen, dass der Umfang des Einsatzes von Mitteln für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht von der Bundesregierung, sondern von den örtlichen Arbeitsämtern und Verwaltungsausschüssen festgelegt wird. In den Verwaltungsausschüssen entscheiden neben den Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern auch die Kommunen darüber, wie hoch der Mitteleinsatz für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im jeweiligen Haushaltsjahr sein soll. Darüber hinaus muss man auch immer sehen: Die Förderung im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ist ein zeitlich befristetes Instrument der individuellen Förderung von Arbeitslosen. Damit werden also nicht Institutionen oder Projekte gefördert, sondern es wird der Arbeitslose X, also Meier, Müller, Schulze, gefördert. Das bitte ich dabei immer zu berücksichtigen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollege Dehnel.

Wolfgang Dehnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber sind Sie mit mir einer Meinung, dass diese ABM große Unterstützung gerade im Bereich des Sports und im sozialen Bereich in den neuen, aber auch in den alten Bundesländern geleistet haben? Es sind insbesondere Maßnahmen unterstützt worden, um Jugendliche und Kinder von der Straße wegzuholen.

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Herr Dehnel, ich sehe es ganz genauso, dass die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in der Tat wichtige Maßnahmen sind, wobei in der Vergangenheit insbesondere in den neuen Bundesländern viele Einrichtungen der sozialen Infrastruktur zunächst über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen finanziert worden sind und es den Kommunen offensichtlich noch nicht in ausreichendem Maße gelingt, solche Einrichtungen ausschließlich aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Aber das ist nicht der eigentliche Sinn von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Der eigentliche Sinn von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ist vielmehr, Menschen eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt zu bauen. Ich möchte jedoch nicht irgendwelche Grundsätze hochhalten, da ich weiß, welche Bedeutung Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in den neuen Bundesländern haben. Deswegen haben wir auch keine Kürzung dieser Mittel vorgenommen. Sie müssten also jeweils im Einzelfall bei den Arbeitsämtern bzw. bei den Verwaltungsausschüssen nachfragen, warum hier Mittel nicht mehr für Arbeitsmaßnahmen, sondern für Lohnkostenzuschüsse ausgegeben werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage des Kollegen Urbaniak.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, es ist sehr erfreulich, dass Sie feststellen, dass die Mittel nicht gekürzt worden sind. Wir haben immer Wert darauf gelegt, dass genügend - ich formuliere es einmal volkstümlich - Pulver in den Arbeitsämtern vorhanden ist. Welche Erfahrungen liegen der Bundesregierung vor, dass dies, nachdem jetzt die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vor Ort unmittelbar vergeben werden, also sozusagen basisorientiert, weitaus besser funktioniert, als das in früheren Zeiten der Fall war?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Ich meine, dass die Politik der Bundesregierung, die Mittel für Eingliederungsmaßnahmen zu verstetigen, wichtig gewesen ist. Wir sind gegen hektische Ausschläge: Zunächst Dürrejahre und dann im Jahr vor einer Bundestagswahl steigen die Mittel erheblich an. ({0}) Aber in der Tat stellen wir im Moment fest, dass in den neuen Bundesländern im Jahr 2002 nur noch 1,7 Milliarden Euro für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen eingesetzt werden, während es im Jahr 2001 2,1 Milliarden Euro waren. Aber ich bitte, hier nicht mit dem Finger auf die Bundesregierung zu zeigen. Die Entscheidung liegt bei den Arbeitsämtern vor Ort, bei den Verwaltungsausschüssen - die Kommunen sind in den Verwaltungsausschüssen -, wie viel Geld für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und wie viel Geld für andere Eingliederungsmaßnahmen ausgegeben wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Die Fragen der Kollegen Austermann und Singhammer werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Stephan Hilsberg zur Verfügung. Die Frage 29 des Kollegen Michelbach soll schriftlich beantwortet werden. Ich rufe die Frage 30 des Kollegen Grund auf: Wann ist mit dem Baubeginn des Autobahnteilstücks Leinefelde-Heiligenstadt im Zuge der Bundesautobahn A 38 von Göttingen nach Halle zu rechnen, nachdem der vorgesehene Termin schon um ein halbes Jahr überschritten wurde, und wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass es zu keinen weiteren Verzögerungen kommt?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sehr geehrter Herr Präsident, für die Bundesautobahn A 38 Göttingen-Halle zwischen den Anschlussstellen Heilbad Heiligenstadt und Leinefelde wird derzeit das Planfeststellungsverfahren durchgeführt. Auf der Basis von Plangenehmigungen wurde auf dem genannten Streckenabschnitt mit dem Bau der Steinbachtalbrücke am 4. Mai 2000 und mit dem Bau der Etzelsbachtalbrücke am 28. September 2000 begonnen. Die Überfahrbarkeit der Etzelsbachtalbrücke ist Voraussetzung für den Baubeginn des Streckenloses. Die Bedingung für diesen Baubeginn ist jedoch ein rechtskräftiger Planfeststellungsbeschluss. Nach derzeitigem Stand des Planfeststellungsverfahrens - der Erörterungstermin wurde ja bereits durchgeführt - ist mit dem Erdund Deckenbau nicht vor dem ersten Quartal des Jahres 2003 auszugehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollege Grund.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wir sind ja in zeitlichem Verzug. Der Bau dieses Streckenabschnittes hätte schon vor einem halben Jahr beginnen sollen. Wenn jetzt in diesem Bereich zum ersten Quartal 2003 mit dem Baubeginn zu rechnen ist, wie wird denn gewährleistet, dass das Ende der Baumaßnahmen, also die durchgängige Befahrbarkeit der A 38, so wie seit Jahren geplant, im Jahre 2005 realisiert werden kann?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Herr Grund, diese Frage steht nicht in Zusammenhang mit dem Verlauf, mit dem wir es gegenwärtig zu tun haben. Wie Sie wissen, muss das Planfeststellungsverfahren ordentlich abgearbeitet werden. Wir haben, wie das nach den rechtlichen Rahmenbedingungen richtigerweise der Fall ist, keinen Einfluss hierauf. Die Durchführung des Planfeststellungsverfahrens obliegt der Verwaltung des Freistaats Thüringen. Diese muss das nach Recht und Gesetz abwickeln und ist Herrin des Verfahrens. Der sachliche Zusammenhang, wie er sich darstellt und wie ich ihn geschildert habe, führt dazu, dass mit dem Bau erst im Jahre 2003 begonnen wird. Das liegt nicht etwa an mangelndem Willen, das liegt auch nicht an den Finanzen. So die Bauarbeiten zügig abgewickelt werden können, kann mit einem rechtzeitigen Fertigstellen der A 38 gerechnet werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Kollege Grund.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Beim Bauabschnitt Breitenworbis-Leinefelde haben es die Ausschreibungsunterlagen ermöglicht, dass ortsansässige mittelständische Unternehmer, die sich in einer Bietergemeinschaft zusammengeschlossen haben, bei der Bauausführung haben zum Zuge kommen können, was sehr wichtig ist, auch angesichts der regionalen Arbeitsmarktlage. Würde das Ministerium Einfluss nehmen, dass auch die Ausschreibungsunterlagen für den Abschnitt Leinefelde-Heiligenstadt so ausgestellt werden, dass wiederum eine ortsansässige Bietergemeinschaft zum Zuge kommen bzw. sich bewerben könnte?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Dies, Herr Grund, ist eine Frage, die einen völlig neuen Themenbereich aufmacht. Ich kann Ihnen an dieser Stelle nur zusichern: An uns wird es nicht liegen. Wir sind gerne bereit, die hierfür erforderlichen unterstützenden Maßnahmen zu ergreifen. Im Übrigen gehört es sowieso zu den Rahmenbedingungen der Auftragsverwaltung, so weit wie möglich ortsansässige Firmen an den Aufträgen zu beteiligen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nun kommen wir zur Frage 31 des Kollegen Grund: Was spricht dagegen, bereits jetzt mit dem Trassenbau und dem Bau weiterer Brückenbauwerke zu beginnen, auch wenn letzte Entscheidungen zur Fahrbahnentwässerung noch zu treffen sind?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sehr geehrter Herr Grund, mit dem Trassenbau kann derzeit aufgrund des noch laufenden Planfeststellungsverfahrens, in dem von der Planfeststellungsbehörde auch eine Entscheidung zur Entwässerungsproblematik getroffen wird, nicht begonnen werden. Mit dem Bau weiterer Brücken im oben genannten Streckenabschnitt kann, wenn im Planfeststellungsverfahren keine Einwände gegen die Trassenführung der Bundesautobahn A 38 erhoben werden, mittels Plangenehmigung, sofern diese von der Planfeststellungsbehörde erteilt wird, vor Baurechtschaffung für den Streckenbau begonnen werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollege Grund.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Fahrbahnentwässerung kollidiert ja mit den Trinkwasserschutzzonen 1 und 2, durch die die Trasse der A 38 führt. Zurzeit werden Bohrungen durchgeführt, um die Trinkwasserschutzzonen so zu verändern, dass Brunnen, die in diesem Bereich liegen, vielleicht entbehrlich werden. Die Sorge vor Ort, insbesondere des zuständigen Trinkwasserverbandes, ist, dass sich ein Teil des Problems auf den Trinkwasserverband verlagert, indem Quellen angeboten werden, die vielleicht von der Qualität und von der Quantität her nicht in der Lage sind, das jetzige Dargebot zu ersetzen. Ich bitte Sie, mit dafür Sorge zu getragen, dass die vorhandenen Befürchtungen und Ängste zerstreut werden und dass nicht ein Teil des Problems auf die Trinkwasserverbände verlagert wird.

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sehr geehrter Herr Grund, das war keine Frage, sondern eine Bitte. Wie Sie wissen, ist das ein komplexes Problem, das schon einige Jahre besteht. In vielen umfangreichen Gesprächen, an denen unter anderen Sie selbst beteiligt waren, ist dies zu einer Lösung gebracht worden. Dies steht kurz vor dem Abschluss. Ich bin sicher, dass auch die beteiligten Trinkwasserverbände in das Lösungsverfahren mit einbezogen sind und dass keine Entscheidung erfolgt, die eine unzumutbare Belastung des Trinkwasserhaushaltes in der dortigen Gegend nach sich zöge.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Frage 32 der Kollegin Gerda Hasselfeldt soll schriftlich beantwortet werden. Damit kommen wir zur Frage 33 des Kollegen Dr. Michael Luther: Auf welcher Finanzierungsbasis ermittelte die Bundesregierung die Gesamthöhe der Investitionen des im Investitionsbericht Infrastruktur angekündigten langfristigen 90-Milliarden-Euro-Investitionsprogramms für die Modernisierung, den Ausbau und die bessere Vernetzung der Verkehrswege, und wie ist es beabsichtigt, in den neuen Bundesländern einen Investitionsschwerpunkt zu setzen?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sehr geehrter Herr Luther, die Bundesregierung hat trotz der notwendigen und unstrittigen Haushaltskonsolidierung den Infrastrukturinvestitionen Vorrang eingeräumt. Der Investitionsanteil des Bau- und Verkehrshaushaltes konnte deshalb von 45 Prozent im Jahre 1998 auf über 51 Prozent in diesem Jahr erhöht werden. Dabei sind die Investitionen der Bundesregierung in den neuen Ländern gemessen an Bevölkerung und Fläche überproportional hoch. Die Bundesregierung wird die bisherige Finanzierungslinie fortsetzen. Bestandteile sind die Nutzung der Spielräume, die sich aus der Konsolidierung des Bundeshaushalts ergeben, die Mobilisierung privaten Kapitals zum Beispiel mit privaten Betreibermodellen im Autobahnausbau sowie die Reinvestition der Einnahmen aus der LKW-Maut in die Verkehrsinfrastruktur. Mit dieser Finanzierungslinie wird die Bundesregierung auf Basis des neuen Bundesverkehrswegeplans ein 90-MilliardenEuro-Investitionsprogramm erarbeiten. Mit dem Investitionsbericht vom 6. März dieses Jahres hat die Bundesregierung zugleich festgelegt, dass einer der Schwerpunkte des Zukunftsprogramms Mobilität die weitere Stärkung der Verkehrsinfrastruktur in den neuen Ländern ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollege Luther.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, ich habe eine Frage: Der Investitionsbericht spricht von 90 Milliarden Euro. Für welchen Zeitraum sind diese vorgesehen?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

In erster Linie umreißt der Investitionsbericht mit dem Zukunftsprogramm Mobilität den Inhalt der Zukunftsaufgaben. Ich kann Ihnen darüber hinaus aber sagen, dass es sich um Maßnahmen handelt, die noch im Laufe dieses Jahrzehnts abgearbeitet werden sollen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage des Kollegen Dehnel.

Wolfgang Dehnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben gerade den Bundesverkehrswegeplan erwähnt. Wie kommt es, dass Ihnen die Erstellung Ihres Bundesverkehrswegeplans bis Ende des Jahres 2002 nicht gelingt, während die Bundesregierung unter Helmut Kohl einen Bundesverkehrswegeplan innerhalb von zwei Jahren - also in sehr viel kürzerer Zeit und unter sehr viel schwierigeren Problemen - vorgelegt hat, und zwar den von 1991/1992? Wieso dauert die Ausarbeitung des Bundesverkehrswegeplans bei Ihnen so lange?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sehr geehrter Herr Dehnel, Ihre Frage hat mit der Fragestellung von Herrn Luther in keiner Weise etwas zu tun. Ich bin dennoch gerne bereit, Sie darauf hinzuweisen, dass der Bundesverkehrswegeplan 1991/1992 seinerzeit unter ganz anderen Rahmenbedingungen und unter einem ganz anderen Zeitdruck erstellt wurde und es darin in erster Linie um die Verknüpfung der ost- und westdeutschen Infrastruktur ging. Heute haben wir umfangreiche Modernisierungsaufgaben zu erfüllen und müssen verkehrsträgerübergreifende Verkehrskonzepte verwirklichen. Wir sind eng am Zeitplan und werden diesen neuen Bundesverkehrswegeplan zu Beginn der neuen Legislaturperiode im Jahre 2003 verabschieden können.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. Wir kommen nun zur Frage 34 des Kollegen Luther: Nach welchen konkreten Gesichtspunkten wählte die Bundesregierung die Einzelprojekte für den „beschleunigten Bau von etwa 300 Ortsumgehungen“ aus und wie viele dieser Ortsumgehungen befinden sich jeweils in den einzelnen Bundesländern?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sehr geehrter Herr Luther, das Zukunftsprogramm Mobilität wird 2003 auf der Grundlage eines neuen Bundesverkehrswegeplans erarbeitet. Darin wird auch die Konkretisierung des beschleunigten Baues von etwa 300 Ortsumgehungen erfolgen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Kollege Luther.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

300 Ortsumgehungen sind eine ganze Menge. Über die Wahrnehmung als Wahlkampfthema hinaus interessiert die Menschen vor Ort natürlich, welche 300 Ortsumgehungen dies sein sollen. Gibt es konkrete Überlegungen, welche 300 Ortsumgehungen gemeint sind?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sehr geehrter Herr Luther, mit dem Zukunftsprogramm Mobilität haben wir unsere verkehrspolitische Strategie für die nächsten Jahre festgelegt, wie dies unsere Pflicht ist. Dies wurde aufgrund der neu geschaffenen Finanzierungsspielräume ermöglicht, die bereits jetzt ihre segensreiche Wirkung für die Verkehrsinfrastrukturinvestitionen entfaltet haben. Man muss Planungssicherheit schaffen. Das bedeutet aber nicht, dass alle konkreten Projekte bereits jetzt in einem solchen Stadium sind, dass eine Entscheidung bekannt gegeben werden kann. Es gibt gegenwärtig auch noch keine Möglichkeit, eine solche Entscheidung zu treffen, weil die Untersuchungsergebnisse in Vorbereitung des Bundesverkehrswegeplans noch nicht in Gänze vorliegen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage, Kollege Luther, bitte.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe noch eine weitere Zusatzfrage. Einen Teil der zweiten Frage haben Sie nicht beantwortet. Deswegen will ich noch einmal konkret nachfragen. Sie haben von einem Investitionsschwerpunkt für die neuen Bundesländer gesprochen. Welcher Anteil von diesen 90 Milliarden Euro bzw. von diesen 300 Ortsumgehungen kann in den neuen Bundesländern in etwa erwartet werden? Wie viel entfällt - das war die Frage - auf die einzelnen Bundesländer? Mich interessiert hier konkret der Freistaat Sachsen.

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Herr Luther, die Frage ist zwar verständlich. Ich weise aber darauf hin, dass allein mit den drei Projekten, für die bereits eine Entscheidung getroffen wurde, für Ostdeutschland milliardenschwere Investitionen festgelegt wurden. Als Beispiele nenne ich den Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke von Leipzig über Erfurt nach Nürnberg, für die allein 10 Milliarden DM zu investieren sind, den Bau der A 14 zwischen Magdeburg, Lüneburg und Ludwigslust und den Bau der A 72, der einzig und allein Ihrem hoch verehrten Bundesland Sachsen zugute kommen wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage des Kollegen Dehnel.

Wolfgang Dehnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie sprachen gerade von der segensreichen Wirkung des Investitionsplans. Stimmen Sie mir zu, dass der Bundesverkehrswegeplan noch unter der Kohl-Regierung ausgearbeitet wurde und die gesamten Maßnahmen bereits beinhaltete, die Sie in Ihren Investitionsplan eingearbeitet haben und nun umsetzen, sodass dieser Segen also von uns vorbereitet worden ist?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Ich stimme Ihnen dahin gehend zu, dass die Planung für die von Ihnen genannten Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ - ich nehme an, dass Sie davon sprechen - selbstverständlich in den 90er-Jahren erfolgt ist. Ich darf aber gleichzeitig darauf hinweisen, dass sich die zur Verfügung gestellten Mittel in der Zeit unserer Regierungsverantwortung zum Teil verdoppelt haben. Das führte dazu, dass wir im Haushalt beispielsweise für den Straßenbau im Jahr 2001 einen Investitionsanteil von fast 60 Prozent hatten, der einzig und allein in die neuen Bundesländer geflossen ist. Das war unter der alten Regierung nicht zu beobachten. ({0}) - Das stimmt exakt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage des Kollegen Urbaniak.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, in der Frage 34 wird im Zusammenhang mit Ortsumgehungen die Zahl 300 genannt. Kann man davon ausgehen, dass sowohl der finanzielle Rahmen als auch jener der Planfeststellungen so übereinstimmen, dass man die Maßnahmen koordinieren und durchführen kann? Erfahrungsgemäß ist es immer so: Hast du eine Planfeststellung, hast du kein Geld. Hast du Geld, hast du keine Planfeststellung. Wie sieht das bei diesem Projekt aus? Beides muss in Übereinstimmung gebracht werden.

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sehr geehrter Herr Urbaniak, ich bin Ihnen für diese Frage dankbar. Das war einer der Gründe dafür, dass wir mit der Erarbeitung eines neuen Bundesverkehrswegeplans vorfristig begonnen haben; denn der alte Bundesverkehrswegeplan hat in keiner Weise mehr Planungssicherheit ermöglicht. Die Umsetzung der dort enthaltenen Maßnahmen hätte angesichts des damals vorhandenen Finanzierungsspielraums zehn Jahre länger gedauert, als ursprünglich gedacht war. Wir tragen dafür Sorge, dass die bestehende Planungssicherheit, wie sie im Investitionsprogramm geschaffen wurde, auch im neuen Bundesverkehrswegeplan die Grundlage unserer Verkehrsinfrastrukturpolitik sein wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage des Kollegen Schemken.

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich möchte die Frage von Herrn Urbaniak vertiefen. Sie haben darauf nur eine halbe Antwort gegeben. Nach Ihrer Aussage haben Sie die Prioritäten verändert oder zumindest stärker auf die Finanzen abgestellt. Aber Herr Urbaniak hat zu Recht gesagt: Wenn du Geld hast, hast du keine Planung; wenn die Planung da ist, ist kein Geld da. Wenn der vordringliche Plan im Vorhinein sehr eng abgesteckt wird, dann gibt es kaum die Möglichkeit, mit einer vorhandenen Planfeststellung und dem dafür nötigen Geld vor Ort zum Zuge zu kommen und anderen Maßnahmen, die nicht im Planfeststellungsverfahren enthalten sind, Rechnung zu tragen. Sehen Sie darin nicht ein Problem?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sehr geehrter Herr Schemken, ich möchte zuerst darauf hinweisen, dass wir den Finanzierungsspielraum für Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen im letzten Jahr im Zusammenhang mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm um 3 Milliarden DM verbessert haben. Das heißt, pro Jahr stehen 3 Milliarden DM mehr zur Verfügung, als dies zu Ihrer Regierungszeit der Fall gewesen ist. Auch vor diesem Hintergrund ist die Lösung eines solchen Problems, wie es Herr Urbaniak angesprochen hat und wie es leider vorgekommen ist, heutzutage lange nicht mehr so dringlich, wie das noch vor einigen Jahren der Fall gewesen ist. Im Zusammenhang damit möchte ich Ihnen Folgendes deutlich machen: Das Investitionsprogramm, das für den Zeitraum von 1999 bis 2002 gilt, enthält keine einzige Maßnahme, die an den notwendigen Finanzierungsspielräumen gescheitert ist. Wir können und konnten die geplanten Maßnahmen fast zu 100 Prozent realisieren. Wir sind bei der Realisierung der Bedarfsplanvorhaben im Plan. Wir wollen uns gerne daran messen lassen, ob wir alles, was wir in einem Programm festgelegt haben, auch realisiert haben. Das ist die Qualitätsrichtschnur für unsere Politik auch in den kommenden Jahren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir sind am Ende der Fragestunde. Ich schließe diese. Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zu aktuellen Vorschlägen, in der GKV die Lohnfortzahlung zu kürzen und die Vorleistungspflicht der Krankenversicherten einzuführen. Das Wort zur Begründung hat als erste Rednerin die Kollegin Hildegard Wester von der SPD-Fraktion.

Hildegard Wester (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! CDU und CSU verfügen nach wie vor über kein schlüssiges Konzept zur Weiterentwicklung des Gesundheitswesens. Diese Konzeptlosigkeit hat sich in den jüngsten Äußerungen verschiedener Spitzenpolitiker der CDU/CSU gezeigt. Das gibt Anlass, heute darüber zu diskutieren, wie die Gesundheitspolitik aussehen wird, wenn Sie Gelegenheit haben sollten - das werden wir zu verhindern wissen -, Politik zu gestalten. Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz hat davon gesprochen, dass die Patientinnen und Patienten eine Vollkaskomentalität hätten, die es abzuschaffen gelte. ({0}) Offensichtlich hat Herr Merz nicht verstanden, dass ein großer Teil der Behandlungskosten in der Krankenversicherung bei der Behandlung von chronisch Kranken sowie älteren Bürgerinnen und Bürgern entsteht. Deswegen müssen wir fragen: Wo stellen Sie bei diesen Menschen eigentlich eine Vollkaskomentalität fest? Wo wollen Sie diesen Kranken, ({1}) die in hohem Maße Kosten verursachen, eine Teilkaskoversicherung anbieten? Welche Bereiche der medizinisch notwendigen Versorgung wollen Sie denn diesen Menschen wegnehmen? Wie sollen chronisch Kranke die in Ihrem Teilkaskomodell ausgeschlossene medizinische Versorgung bezahlen? Oder unterstellen Sie etwa dem Großteil der Kranken, sie gingen ohne Grund zum Arzt, sie nähmen also ohne Not Leistungen in Anspruch, die die Gemeinschaft der Versicherten erbringt? Wer den Patientinnen und Patienten unterstellt, sie nähmen wegen jedes Zipperleins die Krankenversicherung in Anspruch, ignoriert die Sorgen und Nöte der Menschen. Das muss hier ganz klar herausgestellt werden. ({2}) Das hat nichts, aber auch gar nichts mit der von Ihnen viel gepriesenen Mündigkeit der Patientinnen und Patienten zu tun. Ihnen geht es nicht darum, den mühsamen und konfliktreichen Weg der Verbesserung der Qualität und der medizinischen Behandlungsabläufe zu gehen. Ihre Reformvorstellungen bezüglich des Gesundheitswesens sind die gleichen wie schon am Ende der letzten Legislaturperiode, in der Sie die Verantwortung getragen haben. ({3}) Es geht Ihnen vor allem darum, Patientinnen und Patienten stärker zu belasten, Teile der Gesundheitsversorgung zu privatisieren und Lasten zuungunsten der Kranken zu verschieben. ({4}) So sollen Kranke und nicht etwa Gesunde demnächst 500 Euro jährlich mehr zahlen, ({5}) wohlgemerkt für die gleiche medizinische Versorgung, wie sie sie jetzt haben. All dies geschieht unter dem Deckmantel der Stärkung der Eigenverantwortung der Versicherten. Eigenverantwortung wollen die Menschen gerne übernehmen. Das haben wir in den letzten Jahren erfahren. Aber wer Eigenverantwortung so definiert wie Sie, der wird auch zukünftig weitere Lasten zuungunsten der Kranken verschieben, der wird Leistungen aus der Krankenversicherung ausgliedern wollen, die medizinisch notwendig sind. ({6}) Zusätzlich wollen Sie von der Union die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wieder begrenzen. ({7}) - Es gab einige entsprechende Stimmen, auch wenn das Hauptzitat zugegebenermaßen von Rexrodt stammt. Aber es gab auch aus Ihren Reihen Stimmen, dass man die Entgeltfortzahlung überprüfen müsse. ({8}) - Es sind keine Spitzenpolitiker. Die Namen kann ich Ihnen gleich noch nennen. Sie wissen das genauso gut wie ich. ({9}) - Sie kennen bei uns auch nicht jeden Politiker und jede Politikerin, der bzw. die irgendwann einmal ein Interview gegeben hat. Deutlich wird damit auf jeden Fall, dass Sie in Ihrer Konzeptionslosigkeit sogar zu den Mitteln zurückgreifen, die Ihnen mit großer Wahrscheinlichkeit - ich will nicht sagen: mit Sicherheit - eingehandelt haben, dass Sie 1998 von der Regierung abgewählt worden sind: ({10}) die einseitige Abkassiererei bei den Erwerbstätigen und Beitragszahlern. ({11}) Wir haben diesen unsozialen Einschnitt der Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gleich zu Beginn unserer Regierungsverantwortung zurückgenommen. Wir haben auch die Zuzahlungen der Patientinnen und Patienten zurückgeführt ({12}) und Leistungsausgrenzungen wieder rückgängig gemacht. ({13}) Wenn jetzt Ihr Kanzlerkandidat Stoiber eine Absage an die „Jahrzehnte gewachsene Versicherungs- und Versorgungsmentalität“ fordert, ist dies ein weiteres klares Bekenntnis dazu, dass er sich aus der Solidarität in der Krankenversicherung verabschieden will. Mit der Klage Bayerns und anderer unionsregierter Länder gegen den Risikostrukturausgleich hat Stoiber auch deutlich gemacht, ({14}) dass er das Eigeninteresse vor das Gemeininteresse setzt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Wester, kommen Sie bitte zum Schluss.

Hildegard Wester (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme sofort zum Schluss. - Es gäbe zu diesem Punkt noch vieles zu sagen. Gott sei Dank reden noch Rednerinnen und Redner der Koalition nach mir. Eines muss deutlich werden: Wir werden uns nicht auf diesen Weg begeben. ({0}) Wir werden all unsere Kräfte, die wir aufgrund des Wählervotums mobilisieren können, nutzen, um zu verHildegard Wester hindern, dass ein Weg beschritten wird, der aus der Solidarität und Parität hinausführt. ({1}) Wir werden unser Gesundheitssystem stabilisieren. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Annette Widmann-Mauz von der CDU/CSU-Fraktion.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen, liebe Kollegen! Frau Wester, was Sie und die SPD heute hier wieder zu inszenieren versuchen, ist so einfältig und durchsichtig, dass es Ihnen die Menschen wirklich nicht mehr abnehmen. Sie haben den Menschen so viel versprochen und dann haben Sie alle Versprechen gebrochen. ({0}) Jetzt bekommen Sie kalte Füße und meinen, Sie könnten uns ein bisschen Feuer machen. Das passt doch nicht zusammen. ({1}) Wenn es überhaupt einen Grund gibt, warum wir heute Nachmittag in einer Aktuellen Stunde über die Gesundheitspolitik diskutieren müssen, dann ist es doch wohl der, dass diese Bundesregierung in der Sozialpolitik auf der ganzen Linie versagt hat und nichts tut, dass wir aber ganz dringend Reformen gerade in der Gesundheitspolitik brauchen. Wie sieht denn Ihre Bilanz nach drei Jahren aus? - Katastrophal! Die Lage der Krankenversicherung ist desolat, die Versorgung der Patienten und Pflegebedürftigen verliert immer mehr an Qualität, die Ärzte und das Pflegepersonal sind vielfach überlastet und die Krankenversicherungsbeiträge steigen landauf, landab. ({2}) Noch nie mussten die Menschen durch eine verfehlte Gesundheitspolitik so viele Hiobsbotschaften gleichzeitig schlucken. Die gesetzliche Krankenversicherung ist aus den Fugen geraten. Wenn Sie es mir nicht glauben, dann glauben Sie es doch einfach einmal dem Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten, Herrn Bahlo. ({3}) Er hat erklärt, die Versorgungssituation in der gesetzlichen Krankenversicherung werde von Ihnen schöngeredet. Er sagt, Eigenlob habe die notwendige kritische Analyse ersetzt. Recht hat er! Sie würden kein Wort über die schweren Missstände in der Versorgung kranker Menschen, kein Wort über die zum Teil verheerenden Zustände in der Pflege und kein Wort über die längst praktizierte Zweiklassenmedizin verlieren. Recht hat Herr Bahlo! Hören Sie endlich auf die Menschen; sie sagen es Ihnen. ({4}) Hinzu kommen die Entwicklung der Altersstruktur und all die in der Medizin vorhandenen Fortschritte. Mit dem „Weiter so“, das Sie heute Nachmittag wieder propagiert haben, werden die Beitragssätze mittelfristig auf 20 Prozent steigen. Sie tun überhaupt nichts dagegen. Ich frage Sie: Wie lange wollen Sie das den Menschen in unserem Land eigentlich noch zumuten? Ich will Ihnen eines sagen: Eine Politik ist dann unsozial, wenn die Menschen immer mehr bezahlen müssen und immer weniger dafür bekommen. ({5}) Angesichts Ihrer Politik ist es kein Wunder, wenn die Menschen Sie - wie am vergangenen Sonntag in SachsenAnhalt - aus der Regierungsverantwortung jagen. ({6}) Sie wissen doch überhaupt nicht mehr, was es für die Menschen bedeutet, Monat für Monat weniger in der Tasche zu haben, weil die Krankenversicherungsbeiträge immer höher werden. ({7}) Wenn Sie schon keinen Kontakt mehr zu den Menschen in unserem Land haben, vielleicht hören Sie dann noch auf die Demoskopen. Auch sie sagen Ihnen: Nur 4 Prozent der Bevölkerung haben den Eindruck, dass sich die Gesundheitsversorgung unter Rot-Grün verbessert hat. 37 Prozent sehen für die letzten drei Jahre eine Verschlechterung. 70 Prozent sehen Deutschland auf dem Weg in die Zweiklassenmedizin. Je mehr persönliche Erfahrungen die Menschen mit dem Gesundheitswesen unter Rot-Grün haben, desto kritischer fällt ihre Bilanz aus. Nur noch 37 Prozent der ernsthaft kranken Menschen halten das System für gut. Gesunde wie Kranke sind gleichermaßen davon überzeugt, dass die Versorgung weiter reduziert werden wird. 50 Prozent der Bevölkerung machen sich bereits Sorgen, nicht ausreichend versorgt zu werden. ({8}) 43 Prozent der Patienten haben in den letzten zwei Jahren aufgrund der von Ihnen veränderten gesetzlichen Vorschriften auf Leistungen verzichten müssen. Das alles wollen Sie nicht wahrhaben. ({9}) Ich kann Ihnen nur eines sagen: Sie haben ein gesundes System mit Überschüssen und mit Rücklagen übernommen. ({10}) - Mit milliardenschweren Rücklagen. Darüber haben wir hier vor Wochen diskutiert. Lesen Sie es nach; in den Protokollen finden Sie es schwarz auf weiß. Davon ist nichts übrig geblieben. ({11}) Das, was wir Ihnen übergeben haben, war das Ergebnis einer erfolgreichen Politik. Sie hat einen Namen, nämlich Horst Seehofer. ({12}) Was Andrea Fischer angerichtet hat, ist hinlänglich bekannt: Rationierung, Budgetierung, Zweiklassenmedizin. Auch das, was Sie abgeliefert haben, Frau Schmidt, ist nicht besser. Sie haben es mit Beruhigungspillen versucht. ({13}) Ich finde, die „Frankfurter Rundschau“ hat absolut Recht, wenn sie schreibt, dass bei den Beratungen am runden Tisch, mit dem Sie zwei Dutzend Verbände und das halbe Gesundheitsministerium über Wochen lahm gelegt haben, ein Papier herausgekommen ist, das „die Grenze zur Satire streift“. Das Ganze sei „eine Beschäftigungstherapie für die Lobbyisten des Gesundheitswesens“. - Ich zitiere weiter: Der runde Tisch taugt nicht einmal mehr als Placebo. Dem ist nichts hinzuzufügen. Ihre Gesundheitspolitik geht immer mehr in Richtung Bürokratie statt menschlicher Zuwendung, immer häufiger in Richtung Gängelung der Patienten statt freier Arztwahl, in Richtung Staats- und Listenmedizin statt Therapiefreiheit. Statt den Wettbewerb auszubauen, werden die Weichen in Richtung Einheitsversicherung gestellt. Das Wahlprogramm der SPD verheißt hierzu nichts Gutes. Besserung ist nicht in Sicht. Was wollen denn die Menschen in unserem Land? Sie wollen mehr Wahlfreiheit, mehr Transparenz und mehr Information. ({14}) Das werden wir den Menschen anbieten. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Katrin Göring-Eckardt von Bündnis 90/Die Grünen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Widmann-Mauz, Sie können so viele Statistiken vorlesen, wie Sie wollen: Wir werden die Probleme, die das deutsche Gesundheitswesen hat, nicht wegdiskutieren, auch nicht anhand von Statistiken, sondern wir werden sie lösen. ({0}) - In dieser Hinsicht können Sie ganz beruhigt sein, ({1}) weil wir auf einem guten Weg sind, weil wir viele wichtige und unverzichtbare Dinge angepackt haben. Wir mussten im Sinne der Versicherten und Patienten eine Reihe von Regelungen dringend zurücknehmen, die Sie in Ihrer Regierungszeit auf den Weg gebracht hatten. Wir mussten sie zurücknehmen, weil das System, das Sie hinterlassen haben, vor allen Dingen eines war: unsozial. ({2}) Sie haben jetzt aber die Katze aus dem Sack gelassen. ({3}) Frau Widmann-Mauz, Sie haben gerade gesagt, Sie wollten den Patientinnen und Patienten, den Versicherten Wahlfreiheit, Transparenz und Information bieten. Ich sage Ihnen: Die Versicherten würden in Ihrem System zwischen schlechter und ganz schlechter Versorgung wählen können. ({4}) Sie würden in Ihrem System wissen, wie schlecht die Versorgung ist. Die Beiträge würden weiter steigen. Sie wollen keine wirkliche Reform des Systems. ({5}) Ihnen geht es nicht um Gesundheit und auch nicht um eine Reform des Systems, sondern ganz klar um die Abschaffung der Gerechtigkeit. Sie haben sich wieder einmal von der zentralen Frage der Gerechtigkeit im Gesundheitssystem verabschiedet. ({6}) Ich will Ihnen auch sagen, woran man das erkennt: Das erkennt man unter anderem an der Tonlage, mit der Ihr Fraktionsvorsitzender die Versicherten und Patienten behandelt. Wenn man sagt: „Wir wollen keine Vollkaskoversicherung mehr für jedes Zipperlein vorschreiben“, dann ist man nicht in der Realität der Patienten, der Patientinnen und der Versicherten in diesem Land; dann ist man vielmehr in der Realität von Leuten, denen es gut geht, die nicht krank sind und die genug Geld haben, für Gesundheit zu bezahlen. ({7}) Jedes Zipperlein wird in dieser Republik schon lange nicht mehr versichert. Wenn man von „jedes Zipperlein“ redet, dann weiß man nicht, wovon man redet. Jedenfalls redet man nicht von chronisch Kranken und von Leuten, die dringend eine qualitativ gute Versorgung brauchen. Zurzeit bekommen sie sie tatsächlich. Wir lehnen Ihre Pläne ab, weil sie ungerecht sind. Ihre Pläne machen sehr deutlich, wohin Sie eigentlich wollen. Sie wollen die Abkehr von der sozialen Gerechtigkeit. ({8}) Sie wollen eine Kostenerstattung. Dies soll ungefähr folgendermaßen funktionieren: Man geht als AOK-Versicherter, dessen Portemonnaie möglicherweise nicht so voll wie das des Herrn Merz ist, zum Arzt und anschließend bekommt man eine Rechnung - man kennt deren Höhe vorher nicht -, ({9}) die man bezahlen muss, ohne zu wissen, wie. Geht man angesichts dieser so genannten Wahlfreiheit wirklich zum Arzt? Insbesondere die FDP will die Reduzierung auf das medizinisch unbedingt Notwendige. Was ist medizinisch unbedingt notwendig? Ist es das, wodurch man gesund wird, oder ist es vielleicht das, wodurch man gerade einmal überleben kann? Ich befürchte „medizinisch unbedingt notwendig“ heißt eher das Letztere. Sie haben die Idee der Selbstbeteiligung aufgenommen. Die Selbstbeteiligung soll 500 Euro im Jahr betragen. Man kann sich dann überlegen, ob man es sich leisten kann, krank zu werden oder nicht. Ich sage Ihnen: Menschen sind keine Autos. ({10}) Insbesondere kranke Menschen sind keine Autos. Wir lehnen diese Idee ab, weil sie nichts mit der Realität der Kranken, weil sie nichts mit der Realität der Menschen in diesem Land zu tun hat. ({11}) Ich komme auf das Thema Lohnfortzahlung zu sprechen. Herr Laumann, Sie haben dazu am 22. April eine Presseerklärung veröffentlicht, wofür es irgendeinen Grund gegeben haben muss. Sie haben in dieser Presseerklärung festgestellt, dass Sie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, so wie sie ist, beibehalten wollen. Sie haben gesagt: Forderungen nach Einschränkungen machen wenig Sinn. Ich kenne weder bei der SPD noch bei den Grünen jemanden, der gefordert hat, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einzuschränken. Vielmehr taten dies die Herren Wadephul und Eckhoff. Beide sind in der Union. ({12}) - Wer das ist, müssen Sie besser wissen; denn es sind Mitglieder Ihrer Partei. ({13}) Es sind auch nicht irgendwelche Mitglieder. Der eine ist Fraktionschef in Bremen und der andere ist ein Kollege aus Schleswig-Holstein. Ihre Frage: „Wer ist das?“ dürfte damit beantwortet sein, Herr Lohmann. Außerdem sind die Aussagen dieser Politiker der Grund für Ihre Pressemitteilung, Herr Laumann. Ich sage Ihnen zum Schluss: Sie stellen die Gerechtigkeitsfrage neu. Sie wollen Gerechtigkeit auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und zwar dadurch, dass Sie einerseits zwar den Arbeitgeberanteil festschreiben, andererseits aber den Arbeitnehmeranteil zur Disposition stellen, dadurch, dass die Arbeitslosen die Familienleistungen bezahlen sollen, dadurch, dass die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nicht mehr ganz so wichtig sein soll und dadurch, dass - nach dem Motto: Patienten sind wie Autos - der Selbstbehalt erhöht werden soll. ({14}) Ich kann Ihnen sagen: Weder die Menschen in diesem Land noch Rot und Grün in diesem Parlament werden Ihnen Ihre Behandlung der Gerechtigkeitsfrage so durchgehen lassen. Vielen Dank. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von der FDPFraktion.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie tief muss der Schreck von Sachsen-Anhalt in Ihre Glieder gefahren sein, dass Sie heute mit einem derart durchsichtigem Manöver, wie dieser Aktuellen Stunde, einen Entlastungsangriff versuchen! ({0}) Der Öffentlichkeit soll vorgegaukelt werden, bei einem Regierungswechsel im September drohe eine arbeitnehmerfeindliche Politik. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das verfängt nicht mehr. Sie sollten wirklich zur Kenntnis genommen haben, dass am letzten Wochenende in Sachsen-Anhalt ebenso viele Arbeitnehmer und Arbeitslose FDP wie SPD gewählt haben. ({2}) - Da standen Arbeitsplätze zur Debatte, Frau Fuchs. Darüber reden wir hier. ({3}) Das heißt: Die Menschen in unserem Lande haben mittlerweile sehr klare Vorstellungen davon, welche Konzepte und welcher Politikansatz im Ergebnis zu mehr Arbeitsplätzen führen wird. ({4}) Rot-Grün hat in den letzten drei Jahren auch und gerade in den Bereichen Arbeitsrechts-, Arbeitsmarkt- und Gesundheitspolitik nichts, aber auch absolut nichts dazugelernt. ({5}) Deswegen glauben Sie auch, hier weiter die Schlachten der Vergangenheit führen zu müssen, und diskutieren über Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Gängelung von Patienten. Wir von der FDP hingegen haben die Zeit genutzt und neue Konzepte entwickelt, die für die Menschen in unserem Lande, gerade auch die Arbeitslosen, neue Chancen eröffnen. ({6}) Die Positionen der FDP zu den vordringlichen Fragen der Arbeitsrechts-, Arbeitsmarkt- und Gesundheitspolitik sind ganz klar. ({7}) Wenn Sie sich die Mühe gemacht hätten, in den Entwurf unseres Wahlprogramms zu sehen, bräuchten wir diese Debatte hier heute eigentlich gar nicht zu führen. Schon am 11. April hat die Generalsekretärin der FDP, meine Kollegin Cornelia Pieper, der deutschen Öffentlichkeit das Wahlprogramm der FDP vorgestellt. Wir haben damit als erste Partei auf Bundesebene klar und deutlich und detailliert auf 82 Seiten - anders etwa als das SPD-Programm - gesagt, was wir ab dem 22. September in Deutschland verändern wollen. ({8}) Schon ab Seite 4 listen wir unter der Überschrift „Arbeitsplätze schaffen statt Arbeitslosigkeit verwalten“ und auf Seite 9 unter der Überschrift „Für eine Leistungsfähige und bezahlbare Gesundheitsversorgung“ auf, wie wir den Arbeitsmarkt aufbrechen und wieder mehr Menschen in Arbeit und Brot bringen wollen. Ich nenne hier nur die wichtigsten Punkte: Wir wollen, dass betriebliche Bündnisse für Arbeit auch ohne Zustimmung der Tarifverbände möglich werden, weil die Menschen in den Betrieben - Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen - am besten wissen, was noch geht und wo die Grenze der Leistungsfähigkeit überschritten wird. ({9}) Wir vertrauen hier eher den Menschen im Betrieb und misstrauen den Funktionären. Deswegen muss das Tarifvertragsrecht ebenso geändert werden wie das Günstigkeitsprinzip. ({10}) Wir wollen eine Beseitigung der Restriktion bei der Befristung von Arbeitsverhältnissen. Das neue Befristungsrecht hat beschäftigungshemmende Wirkung. Das sagt auch Ihr Sachverständigenrat. Wir wollen die Erleichterung und Entbürokratisierung von Zeitarbeit. Lernen wir von unseren Nachbarn und stärken wir diese Brücke in den ersten Arbeitsmarkt. ({11}) Wir wollen keinen Rechtsanspruch auf Teilzeit, sondern stattdessen die Förderung der Teilzeitarbeit auf freiwilliger Basis. Wir wollen eine Reform des Kündigungsschutzes, und zwar ein Optionsmodell, welches Arbeitgebern und Arbeitnehmern erlaubt, auszuhandeln, ob der gesetzliche Kündigungsschutz oder eine Abfindung oder eine Qualifizierungsverpflichtung des Arbeitgebers gelten soll. Wir wollen eine mittelstandsfreundliche Reform der betrieblichen Mitbestimmung, die die kleinen Betriebe von Kosten und Bürokratie entlastet, ohne die Arbeitnehmer in ihren Rechten einzuschränken. ({12}) Das sind Eckpunkte unserer modernen, zukunftsfähigen Arbeitsmarktpolitik. ({13}) Das sind Reformkonzepte für mehr Arbeitsplätze und Wachstum in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Kürzung der Lohnfortzahlung nach dem Vorbild der Reform von 1996 findet sich in unserem Programm nicht; das will ich hier sehr deutlich sagen. Ich sage Ihnen auch warum: Eine Veränderung der Lohnfortzahlung würde erstens kurz- und mittelfristig gar keine Entlastung der Unternehmen bringen; zweitens würde ein solcher Vorschlag eine Win-loose-Situation schaffen. Das heißt, es wird dem einen genommen, um dem anderen zu geben. Das ist aber ein Konzept von gestern. Wir wollen mit unserem neuen strukturellen Reformen am Arbeitsmarkt Win-win-Situationen schaffen. Es sind Veränderungen möglich, von denen alle profitieren, Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen. ({14}) Das zeichnet eine moderne Arbeitsmarktpolitik aus. Wir Liberale haben als einzige politische Kraft in Deutschland bisher wirkliche Reformkonzepte auf den Tisch gelegt, ({15}) die nicht auf Einschränkung von Leistungen setzen, sondern auf neue, innovative und standortstärkende Elemente zum Wohle der Unternehmen und Betriebe und auch der Arbeitnehmer. Die Menschen beginnen, das zu honorieren, siehe Sachsen-Anhalt. Das war, glaube ich, deutlich. ({16}) Immer mehr Menschen verstehen: Ein Arbeitsplatz im Rahmen eines Zeitarbeitsvertrages oder ein befristeter Arbeitsvertrag ist eben besser als kein Arbeitsplatz. Immer mehr in Arbeit stehende Menschen verstehen, dass es besser ist, im Rahmen eines betrieblichen Bündnisses für Arbeit einen sicheren Arbeitsplatz zu behalten, als die Pleite des Arbeitgebers sehendes Auges herbeizuführen. ({17}) Immer mehr Menschen verstehen, dass nur die FDP für eine Politik eintritt, die hierfür die Rahmenbedingungen schafft. ({18}) Deswegen sehen wir mit Interesse den nächsten Monaten und auch dem September dieses Jahres entgegen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({19})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Ruth Fuchs von der PDS-Fraktion.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie Kollegin Wester ausgeführt hat, sind Anlass der Aktuellen Stunde ein Interview von Herrn Merz in der „Bild am Sonntag“ sowie ein Vorschlag von CDUund FDP-Politikern - Herr Rexrodt müsste Ihnen bekannt sein -, die die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wieder abschaffen wollen, falls Sie nach dem 22. September an die Regierung kommen. ({0}) Liebe Kollegin Widmann-Mauz, Herr Merz ist kein Nobody. ({1}) Er ist Ihr Fraktionsvorsitzender. Herr Merz und Sie müssen wissen: Wenn er etwas sagt, wird das gleichgesetzt mit den Zukunftsvorstellungen der CDU/CSU in der Gesundheitspolitik, ({2}) ob das nun in einem Konzept aufgeschrieben ist oder nicht. Das ist einfach so. ({3}) Trotzdem oder gerade deshalb, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, frage ich mich nach den Ankündigungen Ihres Fraktionsvorsitzenden wirklich: Wo leben Sie? Und vor allem: Wo sind Sie und Ihr Herr Fraktionsvorsitzender eigentlich krankenversichert? Ganz sicher nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung; denn nach meinen Erfahrungen - ich bin nämlich noch gesetzlich krankenversichert - gibt es schon seit langer Zeit in der gesetzlichen Krankenversicherung keine Vollkaskoversicherung mehr. Eigenbeteiligung und Zuzahlung, vor allem durch Ihre Politik in die gesetzliche Krankenversicherung hereingebracht, sind doch schon lange gang und gäbe. ({4}) Abgesehen davon, lieber Kollege Lohmann, dass Ihr Fraktionsvorsitzender und auch Sie den Menschen wirklich erst einmal erklären müssen, welche Krankheit Sie dem Begriff Zipperlein zuordnen, sage ich Ihnen: Sie wollen ganz etwas anderes: ({5}) Es geht Ihnen um die Wiedereinführung von Elementen der privaten Krankenversicherung in die gesetzliche Krankenversicherung, so wie es Herr Seehofer schon einmal versucht hat. Sie wollen die Probleme im Gesundheitswesen, die niemand leugnet, auf Kosten der Versicherten lösen, weil Sie zu feige sind, Reformen durchzuführen, um die tatsächlichen Ursachen anzugehen. ({6}) - Ja, wie wir. ({7}) Sie wollen durch Abwahl bzw. Zuwahl von Leistungen, durch Selbstbehalte und Kostenerstattungen in der gesetzlichen Krankenversicherung diese Probleme lösen, und zwar nach dem Motto: Der Versicherte ist das schwächste Glied in der Kette; er ist am besten zu verführen. Durch Kostenerstattung sollen den Versicherten Regelund Wahlleistungen schmackhaft gemacht werden. Genau das ist Ihr Ziel. Das Ganze verkaufen Sie den Versicherten unter dem verführerischen Deckmantel der höchstpersönlichen freien Entscheidung, ({8}) das heißt, ohne Druck des Gesetzgebers allein über die Höhe ihres Beitrages zu entscheiden. Aber vorher bitte schön erst einmal ein Obulus von 500 Euro auf den Tisch, damit bis zu dem Betrag die Beteiligung an den eigenen Krankheitskosten selbst getragen wird. Das ist natürlich ein verführerisches Angebot. Aber für wen denn? Doch nur für junge und gesunde Versicherte. Die sparen Geld, das ist wahr. Aber verheerend ist es für Kranke und chronisch Kranke, die ständig auf medizinische Versorgung angewiesen sind. Verheerend ist es vor allem für eine solidarische Krankenversicherung, deren Sinn damit völlig auf den Kopf gestellt wird. Wenn das Ihre Absicht ist - es hat ja keiner etwas dagegen -, dann sagen Sie das den Menschen auch. ({9}) Haben Sie den Mut zu sagen, dass der Wert Solidarität für Sie out ist, dass Entsolidarisierung, weiterer Verlust an Menschlichkeit in der Medizin und zunehmende Diskriminierung sozial schwacher, älterer und behinderter Menschen Ihr Gesundheitskonzept für die Zukunft sind. Es gibt ein fantastisches Buch mit dem Titel „Zeit, das Visier zu öffnen“. Es wurde 1998 nach Ihrer Wahlniederlage geschrieben. Der Autor heißt Heiner Geißler; den kennen Sie alle sehr gut. Was ist in dem Buch unter anderem zu lesen? Den folgenden Satz sollten Sie sich wirklich hinter die Ohren schreiben: „Mit einer Gesundheitsreform kann man zwar keine Wahl gewinnen, aber verlieren.“ Bitte denken Sie darüber noch einmal intensiv nach. ({10}) Die Menschen in der ganzen Bundesrepublik sind nicht so dumm, dass sie nicht begreifen, dass Solidarität ein ganz wichtiger Wert ist. Sie wollen diese Solidarität nicht aufgeben. ({11}) Lieber Kollege Kolb, der Vorschlag von CDU/CSU und FDP, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wieder aufzuheben, ist doch nur ein weiteres Beispiel dafür, dass Solidarität für Sie out ist. ({12}) Er ist zudem realitätsfern. Der Krankenstand in Deutschland ist - das konnten wir erst vor wenigen Wochen lesen noch nie so niedrig gewesen wie jetzt: bei den Betriebskrankenkassen gut 3 Prozent. Anfang der 90er-Jahre war er doppelt so hoch. Was ich Ihnen jetzt sage, sind keine Erkenntnisse aus staatlicher Gesundheitsvorsorge: Sozialpolitiker und Arbeitsmarktpolitiker sagen, dass nach arbeitsmedizinischen Erfahrungswerten ein Krankenstand von unter 4 Prozent aus gesundheitlicher Sicht eher Anlass zur Sorge bietet. Das bedeutet nämlich, dass eine zunehmende Anzahl von Beschäftigten am Arbeitsplatz ist, die eigentlich - ({13}) - Gehen Sie doch einmal in die Betriebe! Gehen Sie doch einmal in die Praxen in den neuen Bundesländern! Unterhalten Sie sich doch einmal mit den Patienten! ({14}) - Hören Sie auf, Mensch! Sie sind jetzt schon zwölf Jahre an der Regierung. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Fuchs, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Mit einer so primitiven Argumentation gewinnen Sie keine Wahl. Hören Sie doch auf! Ich komme zum Schluss, Herr Präsident: Wenn Sie glauben, dass Sie mit solchen Methoden die Leute hinters Licht führen können, dann irren Sie sich. So dumm sind sie nicht - trotz PISA-Studie. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Bundesregierung spricht jetzt die Bundesministerin Ulla Schmidt.

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der FDP, ich glaube schon, dass das, was am Wochenende erneut von führenden Vertretern der CDU, der CSU und auch der FDP in Interviews im Hinblick auf die Reformen in der gesetzlichen Krankenversicherung geäußert wurde, diese Aktuelle Stunde rechtfertigt. ({0}) Denn wir müssen uns darüber unterhalten, ob auch in Zukunft das gilt, was in Deutschland in der Sozialversicherung gewachsen ist: dass jeder und jede ohne Ansehen der Person und des Einkommens die medizinische Leistung erhält, die er oder sie braucht, um gesund zu werden, ({1}) um die Schmerzen zu lindern oder um - manchmal, am Ende des Lebens - noch ein Stück Lebensqualität zu erhalten. ({2}) Ich gehöre nicht zu denen, denen man unterstellen könnte, dass sie in all den Jahren im Bundestag reformunfreudig gewesen seien. Ich weiß aber den Wert dieser gesetzlichen Krankenversicherung zu schätzen. ({3}) Die gesetzliche Krankenversicherung ist in meinen Augen das Herzstück des Sozialstaates. ({4}) Denn inwieweit der einzelne Mensch in der Lage ist, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, eine Familie zu gründen, Kinder aufzuziehen, ältere Menschen zu pflegen oder auch durch eigene Erwerbsarbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ist davon abhängig, inwieweit er gesundheitlich dazu in der Lage ist. ({5}) - Ich werde noch auf einzelne Dinge eingehen. Das Sozialgesetzbuch V ist eindeutig: Jeder Versicherte hat Anspruch auf eine angemessene und notwendige Leistung, die wirtschaftlich zu erbringen ist. ({6}) Die Kunst der Reform besteht darin, dafür zu sorgen, dass jeder einzelne Euro, der von Versicherten in die gesetzliche Krankenversicherung eingezahlt wird, optimal eingesetzt wird, ({7}) und Über-, Unter- und Fehlversorgungen zu beseitigen. Wir müssen dafür sorgen, dass aufhört, was heute im Gesundheitswesen passiert: dass der eine Arzt oft gar nicht weiß, was die andere Ärztin macht, und dass das zulasten der Patientinnen und Patienten und deren Gesundheit geht. ({8}) Wir müssen die integrierte Versorgung weiter auf den Weg bringen. Wir tun dies, Herr Kollege. Wir sind derzeit dabei, die Programme für eine bessere Versorgung chronisch kranker Menschen auf den Weg zu bringen; denn die chronisch kranken Menschen werden in diesem Lande nicht optimal behandelt. Das liegt aber nicht, Kollegin Mauz, ({9}) an der Politik, sondern daran, dass zu wenig zusammengearbeitet wird, weil es zu wenig Abstimmung gibt. Das hat etwas mit den Strukturen in unserer Selbstverwaltung zu tun. Deshalb folgende Frage. Wenn Sie sagen, Kollegin Mauz, dass Leistungen nicht erbracht werden, dann passt das doch nicht mit der Aussage vom Kollegen Merz zusammen, dass jedes Zimperlein bezahlt wird. Wenn Sie behaupten, die Menschen bekommen ihre Medikamente nicht mehr, dann erklären Sie mir doch einmal den hohen Anstieg der Kosten für Medikamente. Das passt doch alles nicht zusammen. Im Gesundheitswesen fehlt es häufig an Abstimmung; das beeinträchtigt die Qualität. Dadurch werden die hohen Kosten verursacht. Deshalb müssen wir da ansetzen: die Qualität der Versorgung verbessern ({10}) und Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen. Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass dies nicht zulasten von kranken Menschen geschieht. ({11}) Jetzt komme ich zu Ihren Vorschlägen. Zu den Grundund Wahlleistungen sagen Sie gar nichts mehr, ({12}) weil niemand von Ihnen, weder von der FDP noch von der CDU/CSU, mir sagen kann, welche Leistung er nicht erhalten möchte, wenn er krank ist. ({13}) - Welche Leistung? Sagen Sie es, ({14}) schriftlich! Aber die CDU/CSU ist da schon vorsichtiger. Deshalb sage ich: Wer anfängt, Leistungen auszugrenzen, ({15}) der macht Schluss damit, dass, wie es heute der Fall ist, die Erbringung von Leistungen allein vom medizinisch Notwendigen her definiert wird. Das ist der Unterschied. ({16}) Grund- und Wahlleistungen oder die Schaffung von, wie es jetzt so schön heißt, kleinen Paketchen, ({17}) bei denen jeder etwas abwählen kann, wodurch er Beiträge sparen kann, funktionieren vielleicht in der privaten Versicherung; da hat jeder eine individuelle Versicherung. Aber was passiert mit Ihren Paketen, wenn der Ernährer der Familie - seltener ist es die Ernährerin - sagt: Ich bin jung, brauche keine Rehabilitation, keine Hospize und auch für bestimmte andere Dinge keine Versicherung. Er oder sie weiß ja nicht, was vielleicht in der nächsten Minute passiert. Aber was ist mit den Kindern? Ein Kind kann schon krank sein, ehe es das Licht der Welt erblickt hat. Die gesetzliche Krankenkasse, wie sie heute ist, mit ihrem umfassenden Anspruch auf das medizinisch Notwendige für alle, hat auch dafür gesorgt, dass jedes Kind in diesem Lande eine Versorgung erhält. Andere Länder wären froh, wenn sie eine solche Versorgung hätten. ({18}) Ich kann nicht zulassen, dass jemand aus dieser Solidargemeinschaft, bei der das Familieneinkommen die Grundlage für die Krankenversorgung der gesamten Familie ist, etwas abwählt, wodurch auch die Versorgung für die Kinder eingeschränkt wird. ({19}) Sie können doch nicht ernsthaft vorschlagen, dass die Kinder davon ausgenommen werden. Das kann nicht sein. ({20}) - Sie haben vorgeschlagen, dass man Leistungen abwählen kann. Gilt das nur für den, der bezahlt? Gilt das nicht für alle, die versichert sind? Wie funktioniert denn unser System? Zweitens. Wer wählt denn zum Beispiel die 500 Euro Eigenbeteiligung? ({21}) Wählen das die älteren Menschen? - Nein. Wählen das die kranken Menschen? - Nein. Wählen das Menschen mit Behinderungen? - Nein. Wer wählt sie denn? Das sind die jungen, gut verdienenden Männer! Den Kranken in diesem Versicherungssystem fehlt hierdurch das Geld für die Versorgung, die sie brauchen. ({22}) Das ist unsolidarisch. So funktioniert die Versicherung nicht. ({23}) Unter Ihrer Ägide sind die Krankenkassenbeiträge in sechs Jahren um 1,2 Prozent gestiegen. ({24}) - Doch, ich kann es Ihnen nachweisen; ich kenne die maßgeblichen Statistiken. - Unter Rot-Grün sind sie in vier Jahren im Schnitt nur um 0,35 Prozent gestiegen. Dritter Punkt. Wenn Sie den Weg der Kostenerstattung, wie sie in der privaten Krankenversicherung zu finden ist, einschlagen, dann nehmen Sie der gesetzlichen Krankenkasse das Instrument, das sie braucht, um eine Qualitätskontrolle und eine Ausgabensteuerung durchführen zu können. ({25}) So kann man nicht vorgehen. Wir werden an diesem solidarischen, paritätisch finanzierten System festhalten, weil es das einzige System ist, das den Menschen von der Geburt bis zu seinem Tode davor schützt, im Krankheitsfalle alleine gelassen zu werden. Vielen Dank. ({26})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Ulf Fink von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es waren die Christlich Demokratische und die Christlich-Soziale Union, die das System der Gesundheitsversorgung in der Bundesrepublik Deutschland geschaffen haben. ({0}) Sie haben dafür gesorgt - das sagen alle internationalen Studien -, dass in unserem Land die Menschen, unabhängig von ihrem Einkommen, ihrem Alter und ihrer Stellung, in den Genuss der notwendigen medizinischen Leistungen kommen. Wir waren es, die dieses System geschaffen haben, und zwar gegen zum Teil erhebliche Widerstände der Sozialdemokraten. ({1}) Deshalb ist für uns die Tatsache von allergrößter Bedeutung - sie erschreckt uns sehr -, dass in der Bundesrepublik Deutschland die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung nach über drei Jahren rot-grüner Regierungskoalition zu über 50 Prozent befürchten, nicht mehr in den Genuss der notwendigen Leistungen zu kommen. ({2}) Nach Untersuchungen von Allensbach sagen 24 Prozent der Bevölkerung, dass sie bereits die Folgen der Budgetierung dadurch zu spüren bekommen haben, dass ein Arzt ein bestimmtes Medikament oder eine Behandlung verweigern musste, da das ihm zugebilligte Budget ausgeschöpft war. Über dieses Thema müssen wir uns unterhalten. Angesichts der Tatsache, dass Zuckerkranke nicht mehr die zur Blutzuckerkontrolle notwendigen Teststreifen, dass Krebskranke nicht mehr die notwendige Lymphdrainage und dass Menschen, die an Schizophrenie erkrankt sind, von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr die modernen Neuroleptika bekommen, muss ich sagen: Das ist für jeden vernünftig Denkenden ein Menetekel in der Gesundheitspolitik. ({3}) Deshalb sage ich Ihnen, Frau Ministerin Schmidt: ({4}) Sie haben für meine Begriffe richtig gehandelt - damit stehen Sie im Gegensatz zu Ihrer Vorgängerin -, als Sie dafür gesorgt haben, das Arzneimittelbudget abzuschaffen. Sie haben erkannt, dass das von der rot-grünen Koalition beschlossene Arzeimittelbudget falsch war. Es gibt aber noch weitere Budgets. Beispielsweise gibt es das Budget für die Ärzte. Die Konsequenz ist, dass es in Ostdeutschland mittlerweile eine Situation gibt, in der die ambulante ärztliche Versorgung mit Hausärzten nicht mehr sichergestellt ist. ({5}) Über 500 Hausarztstellen in Ostdeutschland können nämlich nicht mehr besetzt werden: 150 Stellen in Brandenburg, 120 Stellen in Sachsen-Anhalt, 107 Stellen in Mecklenburg-Vorpommern, 80 Stellen in Sachsen und über 100 Stellen in Thüringen. Das liegt doch nicht zuletzt daran, dass es ein Budget gibt. ({6}) Die Ärzte in Ostdeutschland haben nicht einmal 75 Prozent des Verdienstes ihrer westdeutschen Kollegen. Auf der anderen Seite müssen sie aber mehr tun, weil die Menschen in Ostdeutschland kränker als die Menschen in Westdeutschland sind. Das ist die Wahrheit. ({7}) Ich sage Ihnen zur Budgetierung in aller Klarheit: ({8}) Sie sagen - ich habe allerdings in Ihrem Regierungsprogramm vergeblich ein Wort zur Budgetierung gesucht -, dass Sie die Budgetierung nicht abschaffen wollen. Daraus kann ich nur entnehmen, dass Sie mit der Budgetierung erst einmal fortfahren wollen. Dann muss ich Ihnen aber sagen: Budgetierung ist die brutalste Form der Selbstbeteiligung, die man sich überhaupt vorstellen kann. ({9}) Leistungen werden den Menschen vorenthalten und es gibt keine Härtefall- und Überforderungsklauseln. Das ist eine wahre soziale Ungerechtigkeit. ({10}) Deshalb sage ich Ihnen: Ich bin der Auffassung, dass man den Menschen auch im System der gesetzlichen Krankenversicherung mehr Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung geben muss. Die Transparenz muss erhöht werden. ({11}) Es ist doch vernünftig, dass der Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz gesagt hat, dass jemandem, der nicht das volle Leistungspaket, sondern beispielsweise etwas weniger erhalten will, ({12}) die Ersparnis daraus - es geht nicht nur um den Arbeitnehmeranteil, sondern auch um den Anteil des Arbeitgebers - ausgezahlt werden soll. ({13}) Es wäre doch gut, wenn die volle Ersparnis einer geminderten und sparsameren Inanspruchnahme des Leistungskatalogs nicht dem Arbeitgeber, sondern dem Versicherten zugute kommen würde. ({14}) Das eine sage ich Ihnen zum Schluss: Die notwendige Solidarität muss künftig mehr und mehr mit einer größeren Wahlfreiheit verbunden werden. Sie werden am 22. September Ihr Desaster erleben, weil Sie den Bürger bevormunden; Sie bürokratisieren. Das wollen die Menschen nicht. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Monika Knoche vom Bündnis 90/Die Grünen.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Fink, ich habe oftmals das Vergnügen, nach Ihnen zu sprechen. Sind Sie ernsthaft der Auffassung, dass Sie die Probleme, die Sie geschildert haben, damit lösen können, dass Sie eine historische Zäsur machen und aus der paritätischen Finanzierung aussteigen? ({0}) Nichts würde die Finanzierungsprobleme der Krankenkasse tiefer treffen als ein Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung und die Festschreibung des Arbeitgeberanteils. ({1}) Kommen wir zum Kern der Sache. Was hat Herrn Merz eigentlich veranlasst, diese Bemerkungen zu machen? ({2}) Wollte er damit signalisieren, dass er sich mit den vor kurzem von der Arbeitgeberseite wieder vorgebrachten Forderungen konform fühlt, oder wollte er das, was die Fachdebatten im Gesundheitsbereich im Parlament prägt, nämlich die Finanzierungsprobleme der gesetzlichen Krankenkassen, unterstreichen? Wenn er einen konstruktiven Beitrag zur Stärkung der Finanzkraft der gesetzlichen Krankenkassen leisten will, muss er allerdings die Finger davon lassen, bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall Kürzungen vorzunehmen. ({3}) Ich weiß, es ist nicht die ganz feine Art, aber ich habe es mir trotzdem nicht verkneifen können: Ich habe mir eine Rede, die ich am 10. Oktober 1996 gehalten habe, herausgesucht. Herr Seehofer hatte damals dargelegt, genau dieses in Gesetzesform gießen zu wollen. ({4}) Eine meiner Bemerkungen war damals, dass es eine Pervertierung des Spargedankens ist, durch die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall eine Beitragssatzstabilität erreichen zu wollen. Im Gegenteil: Nach dem heutigen Stand würde die Umsetzung bei den gesetzlichen Krankenkassen zu Mindereinnahmen in Höhe von 500 Millionen Euro führen. ({5}) Erzählen Sie mir bitte, wie Sie die angesprochenen Probleme in den neuen Bundesländern gerechter lösen wollen. Wie wollen Sie das finanzieren? ({6}) Abgesehen davon sage ich ohne jede Polemik, dass ich in dem System, das Herr Merz proklamiert hat, nicht alt werden möchte. Das würde ich auch meinen Kindern und der gesamten Bevölkerung nicht wünschen. ({7}) Warum nicht? - Sie haben Forderungen aufgestellt, die den Sockel der Finanzierung und die Parität auflösen. ({8}) Das heißt, wenn Sie den Arbeitgeberanteil festschreiben, haben Sie eine frei floatende Zuzahlung aufseiten derer, die nicht ausreichend versichert sind, aber Patientinnen und Patient werden. ({9}) Woher sollen sie das Geld nehmen? - Das ist die erste Sache. Die zweite Sache ist: Sie sagen, Personen, die sich jung und gesund fühlen - sie können natürlich nichts von ihrer Zukunft wissen -, können sich in geringerem Umfang versichern und werden dafür durch geringere Beitragssätze belohnt. Was heißt denn das? Auch das entzieht den gesetzlichen Krankenkassen Beiträge in Milliardenhöhe, ({10}) die sie brauchen, um eine qualitätsgesicherte Versorgung sicherstellen zu können. ({11}) Wenn Sie dann darüber hinaus auch noch auf die Idee kommen, eine Kostenerstattung einzuführen - die Patientinnen und Patienten sollen die entsprechenden Belege in der Arztpraxis abholen -, dann machen Sie die Krankenkassen zu nichts anderem als zu einer Zahlstelle, aber nicht zu einem Player im System, der die Interessen der Versicherten vertritt und in der Vertragsausgestaltung für eine auf Evidenz basierende Medizin sorgt. Das sind grundlegende Dinge. Ich rate Ihnen in Ihrem Interesse - eigentlich möchte ich ja keine Wahlkampfhelferin der CDU/CSU sein -, ({12}) dass Herr Merz einige basale und grundlegende Informationen über die gesetzliche Krankenversicherung zur Kenntnis nimmt, bevor er eine öffentliche Auseinandersetzung beginnt. ({13}) Da er nicht weiß, dass es schon lange eine weit verbreitete Mär ist, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung Zipperlein bezahlt werden, muss ich sagen: Er ist nicht up to date. ({14}) Er kennt sich nicht aus und weiß nicht, was Sache ist, und auch nicht, dass es schon immer im eigenen Benehmen der Krankenversicherungen und der niedergelassenen Ärzteschaft lag, das in den Leistungskatalog aufzunehmen, was für eine qualitätsgesicherte Gesundheitsversorgung notwendig ist. Zipperlein hatten darin noch nie einen Platz. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Horst Schmidbauer von der SPDFraktion.

Horst Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001996, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wahlleistungen sind Zahlleistungen. Wer für das CDU/CSU-Wahlsystem optiert, dem muss klar sein, dass auf der anderen Seite ein Zahlsystem für Patienten entsteht. Die Abwahlfreiheit ist die Doppelzahlkarte für chronisch Kranke in unserem Lande. ({0}) Wir müssen sehen, dass derjenige, der für ein Wahlsystem ist, zur Spaltung unserer Gesellschaft im Gesundheitswesen beiträgt. ({1}) Für den Fall, dass der Appell an die ethische Verantwortung nicht ausreicht, darf ich an Adam Riese erinnern. Die Leistungen, die die Gesunden abwählen, müssen die Kranken bei gleichen Kostenbelastungen für die Gesundheit in unserer Gesellschaft mit mehr Leistungen bezahlen. ({2}) Es ist also völlig klar: Wenn abgewählt wird und gleiche Ausgabenblöcke bestehen bleiben, muss der Kreis der Kranken und vor allem jener der chronisch Kranken mehr zahlen. ({3}) Wenn die Gesunden, rein mathematisch betrachtet, ihren Gesamtbeitrag zur Krankenkasse um 4 Prozent reduzieren würden, hätte das zur Folge, dass der GKV-Beitrag der Kranken, in Euro betrachtet, um 20 Prozent erhöht werden müsste. ({4}) Das hängt damit zusammen - das haben die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU noch nicht begriffen -, ({5}) dass 20 Prozent der Versicherten 80 Prozent der Kosten bewirken. Wer das nicht nachvollziehen kann, der sollte noch einmal die Schulbank drücken. ({6}) Aber ich möchte hier nicht für Wahlsysteme eintreten, die in unserem Land letztendlich den Einstieg in eine Zweiklassenmedizin bedeuten. Wir werden dafür sorgen, dass der Bevölkerung klar wird, was Sie vorhaben: Dies ist eine neue Form der Abzockerei. Die alte Form der Abzockerei, bei der Sie ganz plump den Versicherten - besser gesagt: den Kranken - in die Tasche gelangt haben, hat dazu geführt, dass die Ihnen 1998 ganz kräftig auf die Finger geklopft haben. ({7}) Wenn Sie nicht davon ablassen, den Versicherten in die Brieftasche zu langen, werden Ihnen die Versicherten am 22. September genauso kräftig auf die Finger klopfen. ({8}) Wir müssen es ganz klar sehen: Hier wird eine versteckte Form der Abkassiererei kreiert. Sie wollten gewissermaßen die Dunkelkammer nutzen, um den Patienten in die Tasche zu greifen. Aber wir werden dafür sorgen, dass Ihre Vorstellungen durchschaubar, transparent werden, damit die Menschen nachvollziehen können, was Sie mit ihnen vorhaben. ({9}) Wir haben in unserer Regierungszeit dafür gesorgt, dass fast 1 Milliarde Euro, also fast 2 Milliarden DM, an die Versicherten zurückgegeben worden sind, die Sie vorher durch Zuzahlungen abgezockt haben. ({10}) Sie werden doch nicht glauben, dass wir zuschauen, wie Sie das Geld, das wir den Versicherten zurückgegeben haben, wieder abkassieren. Da machen wir nicht mit! ({11}) Viel schlimmer ist, glaube ich, dass in dieser Situation - ich habe gedacht, ich bin auf der falschen Veranstaltung das, was Generationen von Menschen in diesem Lande aufgebaut haben, nämlich Solidarität und ein solidarisches System, von Ihnen derart madig gemacht und untergraben wird. Ich habe den Eindruck, dass man selbst einem Kollegen wie Herrn Fink, den ich als Sozialpolitiker sehr geschätzt habe, allmählich beibringen muss, wie Solidarität buchstabiert wird, damit wir wenigstens sagen können: Solidarität wird in unserem Lande groß geschrieben. ({12}) Schauen Sie sich in der nächsten Zeit einmal an, was wir Sozialdemokraten zum Thema Solidarität in unser Wahlprogramm geschrieben haben. Wir werden es zum 22. September auf den Punkt bringen und Sie werden dann große Augen machen. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Karl-Josef Laumann von der CDU/CSU-Fraktion.

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann mir gut vorstellen, wie am Montag oder am Dienstagmorgen in den Fraktionsgremien der SPD die Idee geboren worden ist, diese Aktuelle Stunde zu beantragen: ({0}) Man steht nach dem Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt vor dem Abgrund. ({1}) Man wertet alle Presseberichterstattungen des Wochenendes aus und sucht irgendetwas, mit dem man die CDU/CSU und die FDP vorführen kann. Am Sonntagabend habe ich Ihren Generalsekretär gehört, der davon sprach, dass Sie den Stahlhelm jetzt etwas strammer aufsetzen wollten. ({2}) Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn diese Aktuelle Stunde der neue Stahlhelm sein soll, haben Sie zurzeit noch einen Strohhut auf. ({3}) Viel mehr hat diese Aktuelle Stunde nicht an Bedeutung. Bei dem, was heute von Lafontaine in der Zeitung zu lesen ist, fasst man sich an den Kopf. Lafontaine sagt, 50 Prozent des Wahlergebnisses in Sachsen-Anhalt gingen auf das Konto der Bundes-SPD, die einen Kurswechsel zu verantworten habe, bei dem Milliardengeschenke an die Unternehmen gemacht und Renten gekürzt würden. Lafontaine sagt, Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe und Milliardengeschenke an die Unternehmen seien unmöglich; sogar Stoiber wolle die Erlöse aus Verkäufen von Beteiligungen an Banken, Versicherungen und Großbetrieben wieder besteuern. Angesichts dessen müssen Sie hier im Bundestag nicht einen solchen Popanz aufbauen, ({4}) wenn sich Mitglieder der CDU/CSU, die nicht dem Bundestag angehören, sondern nur eine regionale Bedeutung in der Partei haben, zur Frage der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall äußern. Ich kann Ihnen sagen, dass die CDU/CSU-Fraktion - Sie werden es am Montag in den Zeitungen nachlesen können, wenn unser Regierungsbzw. Wahlprogramm veröffentlicht wird ({5}) nicht vorhat, hinsichtlich der Lohnfortzahlung etwas zu verändern. ({6}) Sehen wir uns einmal die tatsächliche Lage an: Wenn man die Krankheitstage von einem bis drei Tagen zusammenzählt, so kommt man zu dem Ergebnis, dass der dadurch bedingte Arbeitsausfall, verglichen mit den mehr als 2 Milliarden Arbeitsstunden, die in Deutschland insgesamt wegen Krankheit ausfallen, lediglich 0,1 Milliarden Arbeitsstunden ausmacht. ({7}) Dagegen beträgt der Anteil derer, die länger als sechs Wochen krank sind, alleine 0,8 Milliarden Arbeitsstunden. Das ist im Übrigens auch das Ergebnis einer IAB-Studie und das IAB ist ja, zumindest unter Sozialpolitikern, durchaus als objektiv anerkannt. ({8}) Das macht deutlich, dass es in diesem Bereich überhaupt keinen Missbrauch gibt. Zudem ist - sicherlich auch aufgrund der schwierigen Lage auf dem Arbeitsmarkt psychologisch bedingt - in den letzten Jahren ein Rückgang bei der Zahl der Krankheitstage zu verzeichnen gewesen. Nach den Statistiken aus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland war es immer so: Ist die Arbeitsmarktlage schwierig, sinkt die Zahl der Krankheitstage. Ist die Arbeitsmarktlage nicht so schwierig, steigt die Zahl ein wenig. Ich kann für die CDU/CSU-Fraktion eindeutig sagen - Sie werden es am Montag auch in dem gemeinsamen Regierungsprogramm lesen -, dass solche Überlegungen von uns nicht verfolgt werden ({9}) und wir dies auch nicht machen. ({10}) Ich sage Ihnen noch etwas: Die Veränderung bei der Lohnfortzahlung 1996 war im Nachhinein aus mehreren Gründen ein Fehler. Dass es mir sehr schwer gefallen ist, zuzustimmen, wissen alle, die mich kennen. Wenn aber die Arbeitgeber anschließend bei den ersten Tarifverhandlungen all diese Fragen wieder aufnehmen, dann sollte mir zumindest aus der Wirtschaft niemand mehr mit solchen Vorschlägen kommen. Ich sage ganz klar: Diese Frage haben die Unternehmer und die Unternehmensleitungen selber verbraucht. ({11}) Wir sind in den letzen drei bis vier Jahren in der Sozialpolitik weitergegangen. Ich glaube, wir brauchen einfach intelligentere Modelle, die auf der einen Seite eine bestimmte Flexibilität, eine bestimmte Zukunftsorientierung der sozialen Sicherungssysteme möglich machen und auf der anderen Seite für die Menschen Sicherheit bedeuten. Wie wir uns das vorstellen, werden Sie am Montag im Regierungsprogramm von CDU und CSU im Einzelnen nachlesen können. Schönen Dank. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Dr. Margrit Spielmann von der SPDFraktion.

Dr. Margrit Spielmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Laumann, so gestalten sich die Sonntagabende ganz anders: Als ich am Sonntag die „Bild“-Zeitung las, habe ich gedacht: Gut, dass von den angekündigten Plänen zu lesen war. Ich bin auch für diese Diskussion dankbar; denn es wird wieder einmal offensichtlich: Sie wollen die Kranken bestrafen. ({0}) Sie kündigen in meinen Augen und in den Augen vieler Menschen die Solidarität mit den Schwachen und mit den Kranken in unserer Gesellschaft. Anders sind Ihre angekündigten Pläne zur Kürzung der Fortzahlung im Krankheitsfall - Rexrodt, Wadephul, Eckhoff und andere haben sie benannt - nicht zu interpretieren. Sie haben offenbar nicht verstanden, dass gerade die Kranken und Schwachen in unserer Gesellschaft unsere Unterstützung und unseren Rückhalt benötigen. ({1}) Wer sich so etwas ausdenkt, Herr Fink, der kennt die Situation in den ostdeutschen Ländern nicht und scheint sich auch nicht besonders dafür zu interessieren. Ich lebe dort und weiß, wovon ich rede. Sie wissen alle: Wenn diese Regelung käme, wären die ostdeutschen Länder besonders hart betroffen. Bei der angespannten wirtschaftlichen Situation der Haushalte wäre es eine Katastrophe, würde der Hauptverdiener krank oder ausfallen. Ich denke, Sie haben schon des Öfteren zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Löhne und Gehälter im Osten in vielen Bereichen eben noch nicht auf das Westniveau gestiegen sind. Sie stellen damit noch einmal die Solidarität mit den ostdeutschen Ländern infrage. Wer Kranken die Entgeltfortzahlung um 20 Prozent kürzen will, setzt einseitig auf die Belastung der Menschen. ({2}) Übrigens passt auch die Absage des Kanzlerkandidaten Stoiber an die über Jahrezehnte gewachsene Versicherungs- und Versorgungsmentalität in dieses Bild. ({3}) Das ist ein weiteres Bekenntnis, dass man sich von dem Solidaritätsprinzip in der Krankenversicherung verabschieden will. Ich denke, auch mit der Verfassungsklage gegen den Risikostrukturausgleich haben Sie nichts anderes im Sinn. Wenn der gesamte Risikostrukturausgleich zu Fall gebracht würde, ({4}) bedeutete dies allein bei der AOK Ost eine Beitragssatzerhöhung um 7,5 Prozent. Dann hätten wir im Osten einen Beitragssatz von 21,6 Prozent. ({5}) Der Risikostrukturausgleich ist dazu da, die Lastenverteilung innerhalb der GKV auszugleichen und eine möglichst gerechte Beitragsverteilung für die Versicherten zu erreichen. Er ist ein Instrument des Solidaritätsprinzips. Wer hierbei den Osten aussparen möchte, ({6}) dem geht es nicht darum - wie Stoiber immerzu sagt -, Brücken zu bauen und Unterstützung für Ostdeutschland zu leisten, sondern der möchte den gegenwärtigen Zustand festschreiben und Ungleichheiten beibehalten. ({7}) Als ostdeutsche Abgeordnete, die lange Zeit Gesundheitspolitik im Osten gemacht hat, sage ich Ihnen: Ihre angekündigten Pläne sind eine Strafaktion. ({8}) Sie bedeuten eine Entsolidarisierung mit den Menschen im Osten, insbesondere wenn sie krank sind. Herr Lohmann, ich bin zutiefst enttäuscht, dass die angekündigten Maßnahmen - das muss ich an dieser Stelle einmal sagen - Ihrem und auch meinem christlichen Menschenbild, welches sich klar zur Solidarität bekennt, in keiner Weise entsprechen. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Aribert Wolf von der CDU/CSUFraktion.

Aribert Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einer modernen Zivilgesellschaft geht es „um mehr Eigenverantwortung, die zu Gemeinwohl führt“ und „ein Gesundheitswesen ohne finanzielle, geistige und ... buchstäblich körperliche Selbstbeteiligung der Versicherten“ ist „nicht mehr vorstellbar“. ({0}) Dieser Satz stammt nicht von einem Unionspolitiker, wie Sie jetzt vermuten, sondern von Gerhard Schröder höchstpersönlich, ({1}) geschrieben im April 2000 in der Zeitschrift „Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte“. ({2}) Dies zeigt, wie verlogen die Debatte derzeit von der SPD geführt wird und wie wenig ehrlich Sie es mit Ihren Konzepten und damit mit den Bürgern draußen im Land meinen. ({3}) Sie befinden sich in einer solch verzweifelten Situation und in einem solchen Abwärtsstrudel, dass Sie, statt Ihre Politik zu überprüfen und zu fragen, warum Sie nicht die Richtung ändern, um Ihre miserable Leistungsbilanz in der Gesundheitspolitik zu verbessern, versuchen, die Lage schöner zu reden und unhaltbare Versprechen abzugeben. Zugleich versuchen Sie, Konzepte der Union zu verdrehen und Unionspolitiker zu verleumden. Ihr Bundeskanzler hat heute Nachmittag sein neues Wahlprogramm vorgestellt. ({4}) Es lohnt sich wirklich, darin manches nachzulesen. Zum Gesundheitswesen steht dort zum Beispiel in der Einleitung folgender bemerkenswerter Satz: Wer im Gesundheitswesen die Solidarität erhalten und die Qualität stärken will, muss zu mutigen Reformen bereit sein. ({5}) Rot-Grün ist seit dreieinhalb Jahren in der politischen Verantwortung. Was haben Sie denn in den letzten dreieinhalb Jahren an mutigen Reformen vorangebracht, meine Damen und Herren? ({6}) - Nichts. Ich will nur ein einziges Beispiel nennen: Ihre Arzneimittelpolitik. ({7}) Zu Beginn führten Sie die Budgetierung ein. Diese führte dazu, dass ein erheblicher Teil der Versicherten nicht mehr ordentlich versorgt wurde, dass Medikamente nur noch dann verabreicht wurden, wenn der Versicherte sie selbst bezahlte, dass die Kosten dennoch in die Höhe schnellten. Nach einiger Zeit merkten Sie dann, dass Sie einen Fehler gemacht haben. Dann haben Sie die Budgetierung abgeschafft und etwas Neues eingeführt, aber nichts, um die Kosten zu steuern. Plötzlich stellen Sie fest, dass die Arzneimittelkosten explodieren. Alle Kosten steigen, alles wird teurer. Sie sagen: Schnell, schnell, wir müssen etwas Neues machen. Ihre Lösung ist: Budgetierung weg, jetzt machen wir ein Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz. Dazu stellen Sie einige Überlegungen an. Dann marschiert die Pharmaindustrie zum Bundeskanzler und erklärt: Lieber Bundeskanzler, in dem Gesetz stehen einige Bestimmungen, die uns nicht passen. Diese sollen weg. Dafür legen wir 400 Millionen auf den Tisch. - Brav machen das SPD und Grüne. ({8}) Jetzt frage ich Sie: Ist das Gerechtigkeit? Ist das die mutige Reformpolitik, von der Sie in Ihrem Wahlprogramm schreiben? - Das ist das Gegenteil davon! ({9}) Ich frage Sie weiter: Ist es die Gerechtigkeit, von der Sie hier so gerne reden, wenn Sozialhilfeempfänger in Arztpraxen besser als der Großteil der gesetzlich Versicherten versorgt werden? ({10}) Diejenigen, die Sozialabgaben zahlen und damit die Sozialhilfeempfänger finanzieren, bekommen eine schlechtere medizinische Versorgung, weil sie anders als die Sozialhilfeempfänger von den Budgetierungszwängen betroffen sind. Ist es vielleicht rot-grüne Gerechtigkeit, wenn die Bundesbürger im Durchschnitt einen Krankenversicherungsbeitrag von 14 Prozent bezahlen müssen? Noch nie zuvor wurde in Deutschland so viel für die Krankenversicherung ausgegeben. ({11}) Das ist der rot-grüne Griff in die Taschen der Bürger. Das ist doch nicht die Gerechtigkeit, von der Sie hier immer reden. ({12}) Schauen wir uns einmal die Arbeitsbedingungen im Krankenhaus an! Wissen Sie, unter welchen Bedingungen Pflegekräfte heute zu arbeiten haben? Sehen wir nach Bayern; das machen Sie doch so gerne. Die AOK Bayern ist aufgrund Ihrer schlechten Gesundheitspolitik gezwungen, für die Mutter-Kind-Kuren - das betrifft die Ärmsten in unserer Gesellschaft, die dringend Erholung brauchen die Zuschüsse zu streichen. Das alles sind Folgen Ihrer Politik. ({13}) Ist das vielleicht Gerechtigkeit, was Rot-Grün damit auf den Weg gebracht hat? Sind das vielleicht mutige Reformen? - Nein, das ist das Gegenteil. Aber Sie können hier nur andere verleumden und einen Popanz aufbauen, weil Sie eine miserable Leistungsbilanz aufzuweisen haben. Schauen wir uns die Herausforderungen an, vor denen wir jetzt stehen! Die Alterspyramide in Deutschland entwickelt sich leider so, dass immer mehr Menschen Leistungen nachfragen, aber immer weniger Menschen die Beiträge für diese Leistungen bezahlen. Jetzt frage ich: Wie will die SPD eigentlich die Versprechen halten, die sie im Wahlprogramm gemacht hat? Dort steht, dass der Leistungskatalog nicht angetastet, gleichzeitig auch auf der Einnahmenseite nichts verändert werden soll. ({14}) Mich erinnert das fatal an etwas, was Sie gemacht haben. 1998 haben Sie vor der Bundestagswahl bei der Rente genau das gemacht, was Sie jetzt in der Gesundheitspolitik versuchen. Sie wollten alles so lassen, wie es ist. Kaum waren Sie in der Regierungsverantwortung, haben Sie den Menschen eine Rentenreform beschert, ({15}) die das glatte Gegenteil von dem war, was Sie vor der Wahl immer versprochen haben, und unter der viele Menschen zu leiden haben. ({16}) Deswegen sage ich: Die rot-grüne Koalition hatte die Chance, in der Gesundheitspolitik zu zeigen, was sie kann. Sie hat die Chance nicht genutzt. Sie hat auf eine Politik der ruhigen Hand gesetzt. Es ist Zeit, dass die Verantwortung wieder in andere politische Hände gelegt wird, dass die Krankenversicherung zukunftsfähig gemacht wird und die Menschen die Wahrheit darüber erfahren, was die Politiker vorhaben, die in die Regierungsverantwortung gewählt werden. Es darf nicht das Blaue vom Himmel versprochen werden, was ohnehin nicht gehalten werden kann. Das wünsche ich mir. Ich bin überzeugt davon, dass die Bürger eine solche Politik mehr honorieren als das, was Sie an den Tag legen. Ich bedanke mich. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Walter Hoffmann von der SPD-Fraktion.

Walter Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003150, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Laumann, es war am Sonntag in der Tat eine bittere Niederlage für uns. ({0}) Daran führt kein Weg vorbei. Es ist auch nichts schönzureden. Sie können gewiss sein, dass wir daraus die entsprechenden Konsequenzen ziehen werden und sie bereits ziehen. Eine Konsequenz wird sein, dass wir den Menschen in diesem Land klarer und deutlicher als bisher sagen werden, was die anderen wollen, ({1}) was Sie in der Gesundheitspolitik vorschlagen und welche unmittelbaren Auswirkungen das für die Menschen haben wird. ({2}) Es ist doch kein Zufall, wenn in mehreren Interviews an diesem Wochenende praktisch zeitgleich von Politikern der CDU aus der zweiten Reihe sowie maßgeblichen Repräsentanten - wohlgemerkt vor allen Dingen der FDP eine alte Kamelle ausgegraben wird, nämlich die Diskussion um die Einschränkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. ({3}) Das ist kein Zufall, sondern dahinter steckt System. Man schickt zuerst einmal die zweite Reihe vor, die den Boden ein wenig vorbereitet, damit dann die anderen den Vollzug durchführen können. ({4}) Ich möchte daran erinnern, dass die Rücknahme der Einschränkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall eine der ersten Maßnahmen unserer Regierung in dieser Wahlperiode war. ({5}) Für diese Entscheidung hat es gewichtige Gründe gegeben. ({6}) Die Entscheidung, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einzuschränken, war ein Produkt sozialer Kälte und des Misstrauens auch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land, Herr Kolb. Sie hat vor allen Dingen Menschen getroffen, die schon durch ihre Krankheit stark belastet waren. Daran möchte ich, wie gesagt, deutlich erinnern. Diese Entscheidung machte Krankheit wieder zu einem finanziellen und individuellen Risiko. Sie war ein Rückschritt in alte, verstaubte und ideologisch verblendete Positionen, die die Bedürfnisse der Menschen in diesem Land zugunsten von Anreizen ignorierte, die angeblich notwendig sind, um Menschen wieder zum Arbeiten zu bringen. Der Krankenstand ist - die Fakten sind ja schon von meinen Vorrednern dargestellt worden - auf dem niedrigsten Stand seit 1970, wohlgemerkt seit dem Jahr, in dem die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durch eine von uns gestellte Regierung gesetzgeberisch eingeführt wurde. ({7}) Der Krankenstand war im Jahresdurchschnitt im Zeitraum von 1991 bis 1998 wesentlich höher als jetzt, da es die volle Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wieder gibt. Ich möchte auch daran erinnern, dass die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall - darauf ist heute noch nicht hingewiesen worden - eine der großen historischen Errungenschaften der deutschen Arbeiterbewegung war. 14 Wochen wurde dafür in Schleswig-Holstein gestreikt. Politisch betrachtet, haben wir die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall der Union und der FDP im wahrsten Sinne des Wortes abgetrotzt. ({8}) Deswegen sage ich: Wir Sozialdemokraten werden nicht zulassen, dass Sie die Uhren auf das 19. Jahrhundert zurückstellen. Darauf können Sie sich und - das ist noch viel wichtiger - die Menschen in unserem Land auch in Zukunft fest verlassen. ({9}) Es ist gut, dass Sie gerade jetzt mit dieser Debatte beginnen. Von der FDP habe ich persönlich nichts Besseres erwartet. Aber auch die Union entlarvt durch die Äußerungen aus der zweiten Reihe endlich, was im Grunde realisiert werden soll: Sie wollen durch eine Vielzahl von Maßnahmen im Endeffekt die soziale Sicherung in dieser Republik aushöhlen und die Rechte der Arbeitnehmer einschränken, wo immer Sie nur können. ({10}) Sie wollen die Entlastung der Arbeitgeber auf Kosten der Arbeitnehmer. Sie wollen die Stärkung des Kapitals auf Kosten der Beschäftigten. ({11}) Gute Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik muss die Interessen beider Seiten, der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, berücksichtigen und ausgleichen. Wir haben das durch eine Fülle von Maßnahmen in der Tat gemacht. ({12}) Wir haben die Arbeitgeber durch die Steuerreform, die Senkung des Rentenversicherungsbeitrags und die Verbesserung vieler anderer Rahmenbedingungen für die Unternehmen spürbar entlastet, ohne die Arbeitnehmer weiter zu belasten. ({13}) Wir haben den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in unserem Land wieder mehr soziale und finanzielle Sicherheit gegeben und wieder für eine ausgeglichene Lastenverteilung gesorgt. ({14}) Die Erfolge liegen klar auf der Hand: Wir haben über 1 Million neue Arbeitsplätze entstehen lassen und die Arbeitslosigkeit spürbar gesenkt. Sie wird - davon bin ich felsenfest überzeugt - weiter sinken. ({15}) Wir haben jungen Menschen, Langzeitarbeitslosen, Studierenden aus ärmeren Elternhäusern und Existenzgründern neue Perspektiven und Chancen gegeben. ({16}) Wir haben die Bürgerinnen und Bürger massiv von Steuern und Abgaben entlastet. Wir haben dafür gesorgt, dass Spitzenverdiener ihren angemessenen Anteil an den Lasten unseres Gemeinwesens tragen müssen. Wir haben den Menschen durch unsere Rentenreform wieder Sicherheit im Alter gegeben und unangemessene Härten Ihrer Reform rückgängig gemacht. ({17}) Wir haben Familien durch höheres Kindergeld und höheres Wohngeld, durch die Modernisierung des Erziehungsurlaubs hin zur Elternzeit und durch das Recht auf Teilzeitarbeit erheblich gefördert. Wir haben für Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt gesorgt sowie endlich wirksame Maßnahmen gegen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung ergriffen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Hoffmann, kommen Sie bitte zum Schluss.

Walter Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003150, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich denke, dass sich diese Politik für die Arbeitnehmer sehen lassen kann. Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir werden die Arbeitslosigkeit weiter abbauen. Der Aufschwung hat begonnen. Ich bin sicher, dass die Menschen in unserem Land dies am 22. September auch honorieren werden. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Hans Urbaniak von der SPD-Fraktion.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich habe hier zwei Meldungen vorliegen. Die Erste ist aus der „Westfälischen Rundschau“ vom 22. April dieses Jahres. Dort steht: „Union will 500 Euro Selbstbeteiligung“. Das ist von Ihnen hier nicht dementiert worden. Ich habe eine Meldung aus der „Berliner Morgenpost“, die wohl heute veröffentlicht worden ist und aus der hervorgeht, was Friedrich Merz - das ist hier schon angesprochen worden - zum „Zipperlein“ gesagt hat. Er wird das sicherlich selber noch begründen, aber von dem Wort kommt er nicht mehr los. ({0}) Was er in Bezug auf das Gesundheitswesen damit meint, wird man ihm ständig vorwerfen müssen. Das ist eine Diskriminierung. Wir dürfen die sozialen Grundlagen der Krankenversicherung nicht aufgeben. Es muss so gemacht werden, wie es Ulla Schmidt hier gesagt hat. ({1}) Walter Hoffmann ({2}) - Herr Kolb, Sie brauchen mir doch nichts zur Lohnfortzahlung zu erzählen. Was sind Sie gegen Rexrodt? Das ist doch ein Kaliber. ({3}) Hier steht, was er sagte: Wir müssen daran gehen; dies muss geändert werden. Darauf haben Sie doch gar keinen Einfluss mehr, da werden Sie doch heruntergefahren. Wir haben in den Jahren 1955/56 in der IG Metall um die Einführung der Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten bei der Lohnfortzahlung gekämpft. Das war der erste Schritt. ({4}) Wir haben dann in der großen Koalition das entsprechende Gesetz verabschiedet. ({5}) - Heinz Schemken, Du darfst es jetzt nicht nach unten reformieren. Du musst Kurs halten. Das wäre eine vernünftige Position. Aber so etwas geht aus den Meldungen nicht hervor. Wenn ich hier lese, was Ihr sehr verehrter Kollege Stoiber so sagt, dann kommt mir das Grauen. Er will das ja ändern. Ferner haben sich ein CDU-Landesvorsitzender und ein CDU-Fraktionsvorsitzender - der eine kommt aus Schleswig-Holstein, der andere aus Bremen dahin gehend geäußert, die Lohnfortzahlung müsse angepackt und reformiert werden. Auch das ist eine schlimme Sache. ({6}) - Kollege Lohmann ({7}) - ({8}) - Es sind doch mehrere Lohmänner im Bundestag. Haben Sie das in den vier Jahren noch nicht begriffen? ({9}) Ich habe den Eindruck, dass Sie einen Wahltarif einführen wollen. Er würde in der Arztpraxis folgendermaßen funktionieren: Da kommt ein Arbeitnehmer zum Arzt und sagt: Herr Doktor, ich habe Schmaltarif, nur abtasten! ({10}) Alles andere ist nicht abgedeckt und Geld habe ich auch keines, um zusätzliche Leistungen zu bezahlen. Dann kommt ein Zweiter mit einem gehobenen Tarif. Bei dem ist es schon ein bisschen besser. Er sagt: Ich habe den gehobenen Tarif, da müssen Sie ein bisschen mehr machen. Der Dritte hat den höchsten Tarif und hat Anspruch auf eine Vollversorgung. ({11}) Das ist menschenverachtend. Die Solidargemeinschaft muss so bleiben, wie sie jetzt ist. Davon weichen wir nicht ab; das sage ich in aller Deutlichkeit. ({12}) Ich werde mir erlauben, den Kollegen Merz als „Mister Zipperlein“ zu bezeichnen. Die Grundlagen der Sozialpolitik, insbesondere die der Krankenversicherung, ({13}) sind bei den Sozialdemokraten gut aufgehoben. Wir werden uns in der Sozialpolitik nicht überholen lassen und wir warnen die Bevölkerung vor einem verkehrten Schritt; denn dann würde die Demontage der Sozialpolitik von Ihnen vollzogen. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 25.April 2002, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.