Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/18/2002

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, zunächst gratuliere ich Ihnen im Namen der CDU/CSUBundestagsfraktion nachträglich herzlich zu Ihrem Geburtstag. Wer Ihre Regierungserklärung heute Morgen angehört hat, dem sollte ganz offensichtlich der einseitig auf den beginnenden Bundestagswahlkampf ausgerichtete Eindruck vermittelt werden, Familienpolitik habe in Deutschland sozusagen erst mit der rot-grünen Bundesregierung begonnen. ({0}) Wer die richtige Politik für die Familien so einseitig für sich in Anspruch nimmt, wie Sie das heute Morgen hier getan haben, der nutzt den Familien und vor allem den Kindern in Deutschland nicht, sondern er nutzt sie für seine parteipolitischen Zwecke aus, Herr Bundeskanzler. ({1}) Bevor Sie weiter Zwischenrufe machen, will ich Ihnen noch sagen, Herr Bundeskanzler: Sie stoßen mit dem, was Sie heute Morgen an Familienpolitik entdeckt haben, in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf ein Langzeitgedächtnis. ({2}) Wir können uns nämlich relativ gut daran erinnern - einige von uns waren dabei -, als Sie vor Ihrer Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident schon einmal Mitglied des Deutschen Bundestages waren. Das ist lange her. Aus dieser Zeit, Herr Bundeskanzler, stammen solche Zitate von Ihnen wie dieses: „Topfblumen und Kinder gehören in keinen anständigen Haushalt.“ ({3}) Alle hier im Haus können sich daran erinnern, wie Sie noch im Oktober des Jahres 1998 von „Frauenpolitik und so einem Gedöns“ gesprochen haben. Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, heute die Familien und die Kinder entdecken, dann ist das gut. Aber glaubwürdig ist das vor dem Hintergrund dessen, was Sie in den vergangenen Jahren dazu gesagt und was Sie in den letzten drei Jahren in der Regierungsverantwortung gemacht haben, nicht. Das werde ich Ihnen im Einzelnen belegen. ({4}) Wenn wir mit dem Thema „Familienpolitik/Zukunft der Kinder in unserem Land“ verantwortungsvoll umgehen wollen und wenn wir die uns gesellschaftspolitisch gestellte Aufgabe wirklich annehmen wollen, dann bedarf es differenzierterer Antworten als der, die Sie heute Morgen zum Teil gegeben haben. Zu diesen Antworten gehört zunächst einmal, dass Deutschland ein sehr wohlhabendes Land ist, ({5}) in dem Kinder von engagierten Eltern verantwortungsvoll erzogen werden und gesund sowie in Frieden und Freiheit aufwachsen können. Das ist vor dem Hintergrund der Lage der Kinder in vielen anderen Ländern dieser Welt ein Befund, der nicht ganz ohne Bedeutung ist. Familien mit ihren Kindern stehen jedenfalls in Deutschland sehr viel besser da als in vielen anderen Ländern dieser Welt. ({6}) Über Jahre und Jahrzehnte hinweg, Herr Bundeskanzler, hat es in unserer Gesellschaft den Konsens gegeben, dass die Erziehung von Kindern nicht in erster Linie bzw. überhaupt nicht eine staatliche Aufgabe, sondern die Aufgabe ihrer Eltern ist. Wir haben über Jahre und Jahrzehnte auch einen Konsens darüber gehabt, dass Familien mit Kindern finanziell entlastet werden müssen. Wir haben Bundeskanzler Gerhard Schröder diese Aufgabe weitgehend gemeinsam Schritt für Schritt zu erfüllen versucht. ({7}) Herr Bundeskanzler, wenn wir jetzt schon wechselseitig Bilanz Ihrer Amtszeit und unserer Regierungszeit ziehen, dann gehört zu dieser Bilanz auch, dass es eben nicht die SPD, sondern die unionsgeführte Bundesregierung war, die aus dem Familienlastenausgleich einen Familienleistungsausgleich gemacht hat. ({8}) Wir haben den Grundfreibetrag in der Steuer und das Kindergeld eingeführt. Den Grundfreibetrag mussten wir erst wieder einführen, weil Sie ihn zu Zeiten der sozialliberalen Koalition abgeschafft hatten. ({9}) Wir haben die Kindererziehungszeiten in der Rente anerkannt. Wir haben Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub ebenso wie den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz eingeführt. Herr Bundeskanzler, es war die von Ihnen hier so verächtlich herabgesetzte unionsgeführte Bundesregierung, die in den Jahren von 1982 bis 1998 die Leistungen für die Familien mit Kindern in Deutschland von etwa 27 Milliarden DM auf rund 75 Milliarden DM im Jahr praktisch verdreifacht hat. ({10}) Eine solche Steigerung der Leistungen für die Familien hat es vorher und nachher in Deutschland nicht gegeben. Trotzdem, meine Damen und Herren, hat das Bundesverfassungsgericht diese Leistungen als nicht ausreichend angesehen. Deswegen war es auch richtig - wir haben es nicht kritisiert -, dass Sie das Kindergeld Schritt für Schritt weiter erhöht haben. ({11}) Herr Bundeskanzler, ich stelle in diesem Zusammenhang die Frage, ob Sie denn der Meinung sind, dass Sie mit dem, was Sie in den letzten dreieinhalb Jahren gemacht haben, heute einen verfassungsgemäßen Zustand hergestellt haben. Ist es verfassungsgemäß, wenn eine Familie mit zwei Kindern heute immer noch etwa 5 000 Euro im Jahr mehr versteuern muss als vier Erwachsene mit einem vergleichbaren Einkommen? Herr Bundeskanzler, die Lebenswirklichkeit in Deutschland sieht anders aus, als Sie sie heute hier beschrieben haben. ({12}) Zu dieser Lebenswirklichkeit gehört, dass Sie den Familien die rund 13 Milliarden Euro, die Sie ihnen an nominalen Leistungen zusätzlich zur Verfügung gestellt haben, über die Ökosteuer weitgehend wieder aus der Tasche ziehen. ({13}) Herr Bundeskanzler, die nächste Erhöhung der steuerlichen Belastungen für die Familien ist bereits fest eingeplant: Sie soll, wenn es nach Ihren Vorstellungen geht, am 1. Januar des Jahres 2003 mit einer weiteren kräftigen Anhebung der Ökosteuer erfolgen. Lassen Sie mich über den finanziellen Aspekt hinaus noch einen weiteren Aspekt hinzufügen, den Sie in Ihrer Regierungserklärung heute Morgen überhaupt nicht erwähnt haben. Es gibt heute in Deutschland etwa 1 Million Kinder, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, übrigens knapp zwei Drittel davon in SPD-geführten Bundesländern. ({14}) Wenn in einem der wohlhabendsten Länder dieser Welt, nämlich in Deutschland, 1 Million Kinder auf Sozialhilfe angewiesen sind, dann ist dies ein großer anhaltender gesellschaftspolitischer Skandal. Daran müssen wir schnell, und wenn es geht, gemeinsam, etwas ändern. ({15}) Meine Damen und Herren, wir schlagen deshalb vor, den Familienleistungsausgleich so zu ändern, dass in Deutschland sehr bald kein Kind mehr auf Sozialhilfe angewiesen ist. ({16}) Sie kennen unsere Vorschläge. Wir wollen ein einheitliches Familiengeld von 600 Euro pro Kind und Monat für die ersten drei Lebensjahre, ({17}) von 300 Euro bis zur Volljährigkeit und danach während der Zeit der Ausbildung von 150 Euro pro Monat. ({18}) Wir wissen, dass dies eine enorme finanzpolitische Kraftanstrengung erfordert. Wir wissen, dass dies rund 20 Milliarden Euro zusätzlich für die Familien in Deutschland bedeutet. Aber ich will Ihnen in aller Klarheit sagen, dass wir mit diesem Vorschlag nicht aus der Opposition heraus in einen unbezahlbaren Überbietungswettbewerb mit Ihnen eintreten, sondern auch klar dazu sagen: Dieses Geld, diese zusätzlichen Leistungen müssen an anderer Stelle eingespart werden. ({19}) Ich füge ausdrücklich hinzu, dass dies nur geht, wenn die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammengelegt werden, wenn wir einen Teil der hohen Bewirtschaftungskosten für die Arbeitslosigkeit in Deutschland reduzieren und die dadurch frei werdenden Mittel zugunsten der Familien mit Kindern einsetzen. ({20}) Ich will den gesellschaftspolitischen, den arbeitsmarktpolitischen, ja den ordnungspolitischen Gesamtzusammenhang dieses von uns unterbreiteten Vorschlages noch einmal erläutern. Erst mit diesen Leistungen des Familiengeldes für die Kinder, so wie ich sie skizziert habe, werden arbeitslose Sozialhilfeempfänger und sozialversiFriedrich Merz cherungspflichtig beschäftigte Arbeitnehmer im Familienleistungsausgleich wirklich gleich behandelt. Damit wird zugleich die Schwelle, ab der es sich wieder lohnt, eine Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt anzunehmen, deutlich herabgesetzt. Dieser Zusammenhang ist auch von entscheidender Bedeutung für die Lösung des Arbeitsmarktproblems. Die Eltern von Kindern dürfen auf dem Weg von der Arbeitslosigkeit in die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nicht fast die Hälfte der staatlichen Leistungen für ihre Kinder verlieren. ({21}) Geschieht dies trotzdem, lohnt es sich praktisch nicht, in den ersten Arbeitsmarkt zurückzukehren. Deswegen haben unsere Vorschläge zum Familiengeld, die tatsächlich eine Herausforderung darstellen und eine Kraftanstrengung erfordern, etwas mit der Lösung des Arbeitsmarktproblems und der Absenkung der Beschäftigungsschwelle in Deutschland zu tun. Wer diesen Zusammenhang nicht sieht, wird die Probleme in Deutschland weder auf dem Arbeitsmarkt noch im Bereich der Familien lösen. ({22}) Meine Damen und Herren, Familienpolitik in Deutschland darf sich nicht in einer Diskussion über die finanziellen Zuwendungen für Familien erschöpfen. Wir sind mit Ihnen, Herr Bundeskanzler, der Meinung, dass wir der Ökonomisierung der Familienpolitik entgegentreten und den gesellschaftspolitischen Wert der Arbeit der Familien und der Eltern in den Vordergrund stellen müssen. ({23}) Deswegen ist die Anerkennung und Förderung der ideellen Leistungen der Familien in unserer Gesellschaft mindestens ebenso wichtig wie die bessere finanzielle Ausstattung der Familien. Ob Sie es wollen oder nicht, lernen Kinder zuallererst vom Vorbild ihrer Eltern. Eltern stehen heute vielleicht größeren Herausforderungen gegenüber als früher, sie machen heute wie früher Fehler in der Erziehung, aber sie sind und bleiben die wichtigsten Bezugspersonen für ihre Kinder. ({24}) Ich sage dies deshalb, meine Damen und Herren von der rot-grünen Koalition, weil das Miteinander der Eltern nicht ohne Bedeutung für das Heranwachsen ihrer Kinder ist. Auffallend war bei der Regierungserklärung - ich weiß nicht, ob Sie es alle gehört haben; ich habe aber aufmerksam zugehört -, dass Sie das Grundgesetz, Art. 6, zitiert haben und gesagt haben, dort stehe: „Familie steht unter dem besonderen Schutz des Staates.“ ({25}) Nein, meine Damen und Herren, das ist unvollständig zitiert. Im Grundgesetz steht nicht: „Familie steht unter dem besonderen Schutz“, sondern darin steht: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“ ({26}) Dass hier unvollständig zitiert wird, ist kein Zufall. Es ist auch kein Zufall, dass es derzeit eine neue ausschließliche Ausrichtung Ihrer Familienpolitik auf generell zwei außer Haus berufstätige Elternteile gibt. ({27}) Ich sage das in aller Klarheit. Ich habe auch mit dem Zwischenruf gerechnet. Wir wollen nicht, dass das frühere Leitbild der Familie, in der in der Regel die Mutter auf eine Erwerbstätigkeit außer Haus verzichtet, nun ausschließlich durch das neue Leitbild einer Familie ersetzt wird, ({28}) in der grundsätzlich beide Elternteile ganztägig außer Haus berufstätig sind und Kinder vom ersten Lebensjahr an in Krippen, Horten, Ganztagskindergärten und Ganztagsschulen groß werden. ({29}) Herr Bundesaußenminister, aus Ihrer reichhaltigen Erfahrung mit den Zwischenrufen von der Regierungsbank will ich Ihnen klar beantworten, was unsere Vorstellungen sind. Wir wollen wirklich Wahlfreiheit der Eltern. ({30}) Wir wollen insgesamt in Deutschland ein besseres Klima für Kinder. Wir wollen, dass Frauen ihre gute Ausbildung besser mit dem Wunsch nach Beruf und Familie vereinbaren können als bisher. Wir wollen aber beispielsweise auch, dass sich Männer der Familienarbeit und ihren Kindern besser und intensiver zuwenden können und dies auch wollen als bisher. Das ist unser Leitbild für eine zukunftsorientierte Familienpolitik. ({31}) Meine Damen und Herren, dazu gehört, dass die Erziehungskompetenz der Eltern gestärkt wird. Das geht aber nicht, wenn mit der Gemeinschaft der Eltern jede beliebige Verbindung zweier Menschen auf Zeit auf eine Stufe gestellt wird. Dann wird es beliebig und die Erziehungskompetenz der Eltern nimmt mit der Bindungsfähigkeit der Gesellschaft ab. ({32}) Verantwortung wahrzunehmen, Bindungsfähigkeit zu entwickeln, Zuverlässigkeit und Verlässlichkeit zu erproben, dies alles lernen Kinder nur, wenn die Eltern ihnen dies auch - selbst in aller Unvollkommenheit - vorleben. Deshalb, Herr Bundeskanzler, steht im Grundgesetz zu Recht: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“ ({33}) Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei Ihrer Behauptungen oder Vorschläge aus Ihrer Regierungserklärung aufgreifen. Sie haben behauptet, Ihre rot-grüne Koalition habe begonnen, den Staatshaushalt in Deutschland wieder in Ordnung zu bringen. ({34}) Aber auch dies sollte eine interessierte deutsche Öffentlichkeit wissen: Am Ende Ihrer vierjährigen Regierungszeit wird die Staatsschuld des Bundes in Deutschland mindestens 40 Milliarden Euro höher sein als zu Beginn Ihrer Regierungstätigkeit. Ohne die UMTS-Lizenz-Erlöse hätten wir eine knapp 100 Milliarden Euro höhere Staatsverschuldung des Bundes als zu Anfang Ihrer Regierungszeit im Jahre 1998. ({35}) Woher nehmen Sie in diesem Zusammenhang eigentlich die Zuständigkeit und das Recht, in die Kompetenz der Länder und Kommunen einzudringen, Herr Bundeskanzler, ({36}) indem Sie heute vonseiten der Bundesregierung vorschlagen, Ganztagsschulen in Deutschland mit 4 Milliarden Euro zu finanzieren? Dafür hat der Bund keine Zuständigkeit, Herr Bundeskanzler. Ich habe noch in relativ guter Erinnerung - die Parallele ist deutlich erkennbar -: Kurz vor der NiedersachsenWahl am 1. März 1998 hat der damalige Ministerpräsident Gerhard Schröder im gleichen Zusammenhang das Versprechen gegeben, nach der Wahl für die Schulen in Niedersachsen 1 Milliarde DM zusätzlich zur Verfügung zu stellen. Auch das war wenige Monate vor einer Wahl. Auf diese 1 Milliarde DM warten die Schüler und Eltern in Niedersachsen bis heute, Herr Bundeskanzler. ({37}) Deswegen ist auch das Versprechen, das Sie heute Morgen gegeben haben, nicht mehr als eine unzulässige Einmischung in die Zuständigkeiten der Kommunen und Länder ({38}) und ein hohles Wahlkampfversprechen, das Ihnen in Deutschland aufgrund Ihrer Vorgeschichte niemand mehr glaubt. ({39}) Wir haben stattdessen eine Antwort von Ihnen auf die Frage erwartet, wie Sie denn Ihre bundespolitischen Zuständigkeiten im Hinblick auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem letzten Jahr wahrzunehmen gedenken. Damals hat das Bundesverfassungsgericht nicht etwa den Ländern, sondern dem Bund, also Ihrer Bundesregierung, für die letzten fünf Monate Ihrer Regierungszeit den Auftrag erteilt, zu klären, wie die Sozialversicherungsbeiträge unterschiedlich ausgestaltet werden können, je nachdem, ob die Beitragszahler Kinder haben oder nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat das im Hinblick auf die Pflegeversicherung entschieden. Ich sehe kaum Gründe, warum diese Entscheidung nicht auch für die Rentenversicherung gelten sollte. Darauf hätten Sie heute Morgen eine Antwort geben müssen, Herr Bundeskanzler. ({40}) Abschließend möchte ich sagen: Ich stimme Ihrer Aussage völlig zu - wir suchen ja den gesellschaftspolitischen Konsens, so weit es möglich ist -, dass Gewalt in der Erziehung nichts zu suchen habe. Aber Sie haben heute Morgen den Eindruck erweckt, als ob dies eine Erfindung Ihrer rot-grünen Regierung gewesen sei. Herr Bundeskanzler, das Kindschaftsrecht in Deutschland ist - ich sage das nur zur Erinnerung; die meisten Kolleginnen und Kollegen waren bei den Beratungen ja dabei - im September 1997, also in der Verantwortung der früheren Bundesregierung, geändert worden. Seitdem steht die Gewaltfreiheit in der Erziehung im Bürgerlichen Gesetzbuch, also nicht erst, seitdem Sie regieren. ({41}) Wenn es aber Defizite bei der Gewaltfreiheit der Erziehung gibt, dann hätte ich mir gewünscht, dass Sie, Herr Bundeskanzler, heute Morgen von diesem Rednerpult aus uns alle - wir hätten gerne mitgemacht - aufgefordert hätten, endlich gemeinsam die Initiative zur Zurückdrängung bzw. Vermeidung von Gewalt verherrlichenden Horrorfilmen, deren Zahl sowohl in den öffentlich-rechtlichen als auch in den privaten Fernsehanstalten zunimmt, zu ergreifen. Das wäre ein gesellschaftspolitischer Beitrag zur Gewaltfreiheit in der Erziehung gewesen. ({42}) - Es gibt offensichtlich - das war ja in den Zeitungen nachzulesen - einen Krawallerlass in Ihrer Fraktion: Jedes Mal, wenn ein Oppositionsredner spricht, rufen Sie ständig dazwischen. Die Art und Weise, wie Sie dazwischenrufen, ist auch ein Stück Gewalt. ({43}) Ich lasse mich nicht davon beirren. Es bleibt dabei: Nicht nur die finanziellen Leistungen für die Familien müssen in erheblichem Maße verbessert werden. Familien mit Kindern müssen auch einen neuen Stellenwert in unserer Gesellschaft bekommen. Dafür engagieren wir uns und setzen wir neue Prioritäten. Vor allem muss aber die eigene Politik glaubwürdig sein. Herzlichen Dank. ({44})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Peter Struck, SPD-Fraktion.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Merz, seien Sie nicht so empfindlich. Ein paar Zwischenrufe muss ein Fraktionsvorsitzender schon vertragen können. Das ist keine Gewalt im Parlament. ({0}) Es gibt in meiner Fraktion auch keinen Krawallerlass. ({1}) In meiner Fraktion gibt es überhaupt keine Erlasse, sondern nur Überzeugungsentscheidungen, Herr Kollege Merz. ({2}) Die „Frankfurter Rundschau“ hat anlässlich der heutigen Regierungserklärung getitelt: Siegerthema Familie. Beim Lesen dieser Überschrift ist mir klar geworden, dass Edmund Stoiber heute nicht hier sein wird. Dem haben am letzten Dienstag 30 Minuten gereicht, um aus der Familienpolitik für sich ein Verliererthema zu machen. ({3}) Er wollte - wohl aufgrund eines Ratschlags seines Medienberaters - schlau sein und nicht die Regierungserklärung des Kanzlers abwarten, sondern vorpreschen. Er hat deshalb schon vorgestern eine Pressekonferenz zu dem heute hier zu diskutierenden Thema gegeben und auf dieser gemeinsam mit dem Kollegen Merz - Sie haben das schon eben angesprochen - verkündet: Monatlich 600 Euro Familiengeld für jedes Kind in den ersten drei Lebensjahren! ({4}) Das sollte ein Überraschungscoup sein. Das war es auch, vor allen Dingen für die Kollegin Merkel, die CDU-Vorsitzende; denn sie hatte nur einen Tag vorher erklärt, für ein Familiengeld in Höhe von 600 Euro sei kein Geld da und der Betrag müsse niedriger sein. ({5}) Sie hat Recht, wenn sie behauptet, dass das im Moment nicht finanzierbar ist. Ich werde darauf noch zu sprechen kommen. Am Dienstagnachmittag war die Lage dann anders: 600 Euro Familiengeld für jedes Kind in den ersten drei Lebensjahren. Dieses Versprechen hatte die Halbwertzeit von wenigen Stunden; denn noch am gleichen Abend musste ein Stoiber-Sprecher es gegenüber der „Financial Times Deutschland“ korrigieren. Er sagte, der Kandidat habe sich vertan, das Versprechen gelte nur für das erste Lebensjahr. ({6}) Das war wieder einmal ein Glanzstück, wie wir es schon mehrmals in den 100 Tagen Stoiber-Kandidatur erlebt haben: Als Tiger gestartet, als Stoiber und Bettvorleger gelandet. ({7}) Die Äußerungen von Stoiber und natürlich auch Ihre Äußerungen von heute haben eines deutlich gemacht: 600 Euro Familiengeld sind nichts anderes als eine Mogelpackung. ({8}) Zunächst war der Vorschlag vorgelegt worden, diese großartige Summe aus dem Wirtschaftswachstum zu finanzieren, das er, Stoiber, mit sich bringe. Daran glaubt er nun selbst nicht mehr. Also haben Sie heute einen überaus interessanten, neuen Vorschlag gemacht. Ich komme jetzt zu Ihrem Finanzierungsvorschlag. Zunächst einmal sagen Sie: Das Ganze kostet 20 Milliarden Euro. Unsere Experten haben ausgerechnet: 30 Milliarden Euro. Ich gehe ruhig von Ihren 20 Milliarden Euro aus. Sie haben gerade gesagt: Das finanzieren wir durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Nun sage ich Ihnen: Die Arbeitslosenhilfe kostet 13,5 Milliarden Euro; die Sozialhilfe kostet 9,5 Milliarden Euro. Das sind nach Adam Riese 23 Milliarden Euro. Wenn Sie Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe abschaffen wollen, dann kommen Sie mit Ihrer Rechnung vielleicht gerade hin. Herr Merz, ich sage Ihnen: Sie wollen, dass die Arbeitslosen Ihr Familiengeld bezahlen. Das machen wir nicht mit! ({9}) Was heißt 600 Euro Familiengeld eigentlich? Das heißt, so vermute ich einmal, dass es kein Kindergeld und kein Erziehungsgeld mehr gibt. Was ist eigentlich mit den anderen kinderbezogenen Leistungen, die unsere Gesetze vorsehen? Was ist eigentlich mit dem Kinderzuschlag bei der Eigenheimzulage? ({10}) Wollen Sie auch das abschaffen? Was ist mit den Kinderzuschlägen beim Wohngeld? Wollen Sie auch das abschaffen? Sie schütteln immer den Kopf. Wenn Sie das tun, dann müssen Sie hier schon freimütig bekennen: Ihr Vorschlag eines Familiengeldes in Höhe von 600 Euro ist eine reine Luftnummer, die nicht zu bezahlen ist. ({11}) Sie haben sich des Längeren und des Breiteren über das Angebot des Bundeskanzlers zur Betreuung ausgelassen. Ich will Ihren 1. stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, den Kollegen Glos, zitieren. Der Bundeskanzler hat zum Thema Betreuung Folgendes vorgeschlagen: vier Jahre lang 1 Milliarde Euro pro Jahr. Dieser Vorschlag ist ein Angebot des Bundes an die Länder. Zu sagen, das sei formaljuristisch nicht zulässig, weil der Bund nicht zuständig sei, ist doch lächerlich. Es ist ein Angebot, das wir den Ländern machen, und wir gehen davon aus, dass es angenommen wird. ({12}) Herr Glos hat in einer Pressemeldung von gestern gesagt - nun hören Sie einmal zu, Herr Glos -: Die Ankündigung des SPD-Vorsitzenden Gerhard Schröder, mit 4 Milliarden Euro die Ganztagsbetreuung von Kindern fördern zu wollen, wird strikt abgelehnt. Das Geld solle stattdessen der Bundeswehr zur Verfügung gestellt werden. ({13}) Wir sollten schon bei dem bleiben, was die Meinung der Opposition ist. Herr Merz hat gesagt: Weil der Bund nicht zuständig ist, sind wir dagegen. Ich höre allerdings schon mit großem Interesse Stimmen derjenigen, auch aus CDU-geführten Bundesländern, die sich freuen, wenn es 1 Milliarde Euro gibt. Sie sind die Ersten, die dabei sind, trotz Ihrer formalen Bedenken, Herr Kollege Merz. Sie tun gut daran, wenn Sie unser Angebot, auf das wir stolz sind, annehmen. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Struck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Glos?

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Struck, da ich mich an das, was ich erst vor allerkürzester Zeit gesagt habe, immer besonders gut erinnere, ({0})

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Na, na, na!

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- kann ich genau schildern, wie es gewesen ist.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber nicht so lange, Herr Glos! Sagen Sie doch nur, ob es stimmt, dass Sie gesagt haben, das Geld solle lieber für die Bundeswehr ausgegeben werden. Das reicht mir.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es gibt eindeutige Zuständigkeiten. Der Bund ist eindeutig für die äußere Sicherheit zuständig; hier gibt es Mängel. Der Bund ist nicht für die Förderung der Schulen zuständig. Dafür sind die Länder zuständig. In diesem Zusammenhang war das gemeint. Niemand hat aber etwas dagegen, wenn mehr öffentliche Mittel, insbesondere der Länder, in den wichtigen Bereich Ganztagesschulen fließen. ({0})

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Glos - Sie müssen einen Augenblick stehen bleiben, ich antworte Ihnen ja -, darf ich Ihre Äußerung so verstehen - ich verstehe sie so -, dass Sie jetzt gerade Ihren Fraktionsvorsitzenden korrigieren, der nämlich erzählt hat, er wolle das nicht? Wenn das so ist, dann nehme ich das mit Zufriedenheit zur Kenntnis. Ich weiß allerdings nicht, ob Sie in Ihrer Fraktion mehr zu sagen haben als Ihr Fraktionsvorsitzender. Bei uns ist es nicht so, dass einer mehr zu sagen hat als der Fraktionsvorsitzende. ({0}) Sie dürfen jetzt gern Platz nehmen, Herr Glos. Ich stelle fest, dass wir in der Familienpolitik eine großartige Bilanz vorweisen können. ({1}) Ich stelle auch fest, dass es in den vergangenen Jahren viele Regierungserklärungen zur Familienpolitik gegeben hat, auch zu Zeiten der konservativ-liberalen Regierung. Dass es Gerhard Schröder ist, der als erster Bundeskanzler eine solche Regierungserklärung abgibt, zeigt die Bedeutung, die wir diesem Thema beimessen werden. ({2}) Die Bilanz hat der Bundeskanzler vorgetragen. Wir werden auch dafür sorgen, dass diese Bilanz bis zum 22. September vielen Menschen in Deutschland immer wieder vorgelegt wird, damit sie erkennen, was wir zusätzlich getan haben. Hätten Sie es in Ihrer Regierungszeit geschafft, das Kindergeld dreimal zu erhöhen - von 220 DM auf 300 DM -, dann hätten Sie jeden Tag Jubelarien gesungen. Das jetzt als nicht ausreichend zu kritisieren ist - da hat der Bundeskanzler völlig Recht - absolut lächerlich. ({3}) Wir gehen mit dem Angebot der Bundesregierung, 1 Milliarde Euro pro Jahr zusätzlich für Betreuung zur Verfügung zu stellen, das dem Finanzminister sicherlich nicht ganz leicht gefallen ist und bei dessen Umsetzung sicherlich schwierige Fragen entstehen werden - das ist so, wenn man mit Ländern und Gemeinden darüber zu verhandeln hat, wie man mehr Ganztagsbetreuungsplätze schafft -, in die Bundestagswahl. Wir wollen, dass insbesondere mehr und mehr Frauen wieder in den Beruf zurückkehren können, weil wir wissen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein wichtiges Gut ist. Das hat nichts mit Kritik an der Institution Ehe und dergleichen zu tun. ({4}) Wir haben die notwendigen Sofortmaßnahmen getroffen, auch die, die nach dem Bundesverfasssungsgerichtsurteil von uns erwartet wurden. Wir haben die Versäumnisse der 16 Jahre von Helmut Kohl wettgemacht und jetzt haben wir Luft, um uns neuen Herausforderungen einer noch familienfreundlicheren Politik zu stellen. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Cornelia Pieper, FDP-Fraktion, das Wort.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, ich möchte Ihnen zunächst dazu gratulieren, dass Sie nun endlich die Bedeutung der Familienpolitik für die Zukunft unseres Landes erkannt haben. ({0}) Früher - Herr Merz hat es ja schon gesagt - haben Sie Derartiges gern als „Gedöns“ bezeichnet, aber man lernt ja nie aus. Nun sei es jedem gegönnt, seine Meinung zu ändern, nur: Glaubwürdig ist das eben nicht, besonders dann, wenn sich ein solcher Meinungswandel pünktlich zum Bundestagswahlkampf einstellt. ({1}) So, Herr Bundeskanzler, müssen Sie sich eben auch an Ihren Taten messen lassen; hehre Worte genügen nicht. Ich sage es einmal mit einem alten deutschen Sprichwort: Man sollte nicht mit Steinen werfen, wenn man selbst im Glashaus sitzt. ({2}) Sie sprachen von Versäumnissen der letzten Bundesregierung in der Familien- und Bildungspolitik in den vergangenen Jahren. Es sind in der Tat Fehler gemacht worden. Das kann man ja auch einmal zugeben. Wir müssen aber überhaupt erst einmal für ein kinder- und familienfreundliches Klima in Deutschland sorgen. ({3}) Sie haben damals als Ministerpräsident von Niedersachen jedenfalls nicht sehr viel dazu beigetragen: Wenn man sich anschaut, wie hoch der Versorgungsgrad an Kindergartenplätzen in den einzelnen Bundesländern ist, stellt man fest, dass ausgerechnet Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen an letzter Stelle liegen. ({4}) Die Bilanz Ihrer knapp vier Regierungsjahre in der Familien-, Frauen- und Kinderpolitik ist wahrhaftig nicht glanzvoll. Die Bundesregierung rühmt sich gerne der Erhöhung des Kindergeldes. Sie erwähnen natürlich nicht, dass Sie aus der einen Tasche nehmen, was Sie in die andere geben. Dass Sie die Maßnahmen für Familien von Familien selber bezahlen lassen, ist nämlich die ganze Wahrheit: ({5}) zum einen durch Steuererhöhungen, nicht zuletzt der Ökosteuer, durch die Streichung des Haushaltsfreibetrages für Alleinerziehende, durch den Wegfall des Ausbildungsfreibetrages für Kinder, die auswärts studieren, und durch den Wegfall der Möglichkeit der kostengünstigen Beschäftigung von Haushaltshilfen und Tagesmüttern. ({6}) Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, wenn man das alles zusammenrechnet, kommt man am Ende zu dem Ergebnis: Die Familien in Deutschland zahlen drauf, ({7}) besonders die kinderreichen Familien und die Alleinerziehenden, die ohnehin am stärksten von Armut bedroht sind. SPD und Grüne haben gegenüber den Familien vollmundige Versprechungen gemacht. Die Realität Ihrer Politik sieht aber anders aus: Die Bundesregierung macht eine Politik, die Familien schadet. Die von Ihnen viel beschworene Vereinbarkeit von Beruf und Familie macht es erforderlich, die Mobilität von Familien zu verbessern. Die so genannte Ökosteuer aber bestraft Mobilität. Wer Familie und Beruf unter einen Hut bringen will, der ist auf Mobilität angewiesen: Er muss die Kinder morgens mit dem eigenen Auto in die Schule bringen oder am Wochenende zum Fußball. ({8}) Deswegen belastet die Ökosteuer auch ganz besonders die Familien. Die Bundesregierung bestraft Familien in doppelter Weise: Familien, in denen es nur einen Erwerbstätigen gibt, profitieren nämlich nicht von der Senkung der Rentenbeiträge. Herr Bundeskanzler, erklären Sie mir doch einmal, welche Hintergründe es hat, dass der Deutsche Familienverband der Bundesregierung ein schlechtes Zeugnis ausstellt. Die Steuerreform, sagt der Familienverband, sei familienfeindlich, die Rentenreform sei familienfeindlich. Auch viel zu hohe Verbrauchsteuern sind familienfeindlich. Das ist ein vernichtendes Urteil von denen, die es angeht. ({9}) Ich sagte ja: Wir schätzen Lernfähigkeit. Es ist also schon einmal ein Fortschritt, dass auch die Bundesregierung eingesehen hat, dass eine stärkere Förderung von Kindern und Familien das Gebot der Stunde ist, insbesondere angesichts der zurückgehenden Geburtenraten mit weit reichenden gesellschaftlichen Folgen für die sozialen Sicherungssysteme in diesem Land. Zu den Kolleginnen und Kollegen von der Union, Herr Merz, sage ich auch ganz deutlich: Sie müssen einmal Ihr antiquiertes Familienbild überarbeiten. ({10}) Es ist eben so, dass heute Kinder nicht nur in ehelichen Gemeinschaften, sondern zunehmend auch in unehelichen Lebensgemeinschaften, so genannten Verantwortungsgemeinschaften, leben. Auch das ist anerkennenswert und sie müssen aufgewertet werden. Ihr Familiengeld, meine Damen und Herren von der Union, trägt gerade dazu bei - das hat auch der Deutsche Familienverband heute noch einmal deutlich gemacht -, dass zukünftig Frauen vom Erwerbsleben ausgeschlossen werden. ({11}) Genau das wollen junge Männer und Frauen mit Kindern heute nicht. ({12}) Bevölkerungswissenschaftler gehen davon aus, dass eine Erhöhung des Kindergeldes alleine eine Steigerung der Geburtenrate von nur 0,1 Kind pro Frau bewirkt. Eine Gesellschaft, die dringend auf qualifizierte Arbeitskräfte angewiesen ist, muss daher neue Möglichkeiten schaffen, dass sich Männer und Frauen für Kinder und Karriere entscheiden können. Dies muss das zentrale Element einer wirksamen Familienförderung sein. Ein Blick über die Grenzen belegt diese Annahme. Ein Vergleich der Geburtenraten in Europa zeigt, dass mehr Kinder in Ländern geboren werden, in denen Frauen stärker erwerbstätig sind. Die Entscheidung für Kinder fällt eindeutig da leichter, wo es genug Möglichkeiten der Kinderbetreuung gibt. ({13}) Die Situation in Deutschland ist - mit einem Wort schlecht. Für nur 2,8 Prozent der Kinder stehen hier Krippenplätze zur Verfügung; bei den anderen Kinderbetreuungsplätzen sieht es nicht besser aus. In Österreich zum Beispiel sind 90 Prozent der Fünfjährigen im Kindergarten oder in einer Vorschule. In Dänemark besucht fast die Hälfte der Ein- bis Dreijährigen eine Betreuungseinrichtung. Etwa ein Drittel sind es in Schweden. Deutschland liegt mit 8,5 Prozent am Schluss. Hier muss sich dringend etwas ändern. Deswegen setzen wir als Fraktion der Freien Demokratischen Partei als Erstes auf die Verbesserung der Kinderbetreuungseinrichtungen in Deutschland. Ich wünschte mir sehr, dass wir bei diesem Thema gemeinsam einen großen Schritt vorankommen, denn auch hier sind wir Schlusslicht in Europa. Wir müssen eine bessere Versorgung gewährleisten, damit Frauen und Männer trotz Kindern unabhängig ihre Lebensentwürfe gestalten können. Darauf kommt es an. Deswegen wollen wir, dass der Kindergarten dort, wo er auch vorschulische Aufgaben erfüllt, zukünftig kostenfrei gestellt wird. Das soll aus dem Bund-Länder-Finanzausgleich finanziert werden. ({14}) Wir wollen durch eine Steuersenkungspolitik zu mehr sozialer Gerechtigkeit beitragen und die Familien entlasten. Darüber hinaus wollen wir, dass Kinder steuerrechtlich zu Erwachsenen gemacht werden. Wir fordern zur Sicherung des Existenzminimums für Familien einen einheitlichen steuerlichen Grundfreibetrag von 7 500 Euro für jeden Erwachsenen wie für jedes Kind. ({15}) Es bleibt immer viel zu wenig Zeit, um über Familienpolitik zu sprechen. Gehen wir Reformen in Deutschland auch in der Familien- und Bildungspolitik endlich an. Die beste Investition in die Zukunft ist die in unsere Kinder. Vielen Dank. ({16})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Pieper, Sie haben dem Bundeskanzler Meinungswandel vorgeworfen. Nun hat ja die FDP in der letzten Woche plötzlich festgestellt, dass sie das Thema Familie völlig vergessen hatte, und hat dann schnell einige Vorschläge aus der Kiste geholt und nachgelegt, die völlig ohne Gegenfinanzierung sind. Dabei haben Sie so getan, als ob Sie sich mit diesem Thema schon beschäftigt hätten. Wissen Sie, woran ich dabei gedacht habe? - An das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“, in dem der Kaiser zum Schluss nackt dasteht und die Bühne verlässt. Das sollten Sie in der Familienpolitik auch tun. Denn die Bilanz, die Sie gemeinsam mit der angeblichen Familienfraktion CDU/CSU vorzuweisen haben, ist dramatisch.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin GöringEckardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pieper?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr gern, Frau Pieper.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kollegin, ist Ihnen bekannt, dass der beste Versorgungsgrad in Bezug auf Kindergartenplätze ausgerechnet in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz vorzufinden ist, ({0}) wo die FDP mitregiert, und ist Ihnen auch bekannt, dass insbesondere in Rheinland-Pfalz 225 Millionen Euro für Ganztagsschulen ausgegeben werden sollen, um ein flächendeckendes Ganztagsschulennetz aufzubauen? Irgendwie muss Ihnen das entgangen sein, sonst hätten Sie etwas Derartiges jetzt nicht gesagt. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Pieper, Ihre Frage zeigt in eindeutiger Weise, dass Sie noch nicht einmal wissen, was Realität ist. Den schlechtesten Betreuungsgrad für Kinder unter drei JahCornelia Pieper ren gibt es in den Ländern Bayern und Baden-Württemberg. ({0}) Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen. Die Tatsache, dass es in Rheinland-Pfalz eine Initiative für Ganztagsschulen gibt, deren tatsächliche Kosten Sie offensichtlich nicht kennen, hat eindeutig nichts mit der Beteiligung der FDP an der Regierung in Rheinland-Pfalz zu tun. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar des Kollegen Tauss von der SPD-Fraktion?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr gern, Herr Tauss.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, dass die hervorragenden und hier wirklich zu Recht positiv erwähnten Ganztagsschulen in Rheinland-Pfalz gegen den Widerstand des Koalitionspartners FDP mithilfe des Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz durchgesetzt werden mussten? ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Ganztagsschulen nichts mit der FDP zu tun haben. ({0}) Ich kann Ihnen nur zustimmen. Ich denke, dass die FDP in dieser Frage ausreichend entlarvt ist. ({1}) Es gehört zur Wahrheit, dass die Koalition, der Sie ja 16 Jahre lang angehört haben, die Kinderbetreuung nur mangelhaft angepackt hat. Zur Wahrheit gehört auch, dass die damalige Familienministerin, Claudia Nolte - sie ist heute nicht anwesend -, allein erziehende Eltern mit Kindern als unvollständige Familien bezeichnet hat. So sah die Realität aus, die Sie uns zurückgelassen haben.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, es gibt einen weiteren Wunsch nach einer Zwischenfrage, diesmal von der Frau Kollegin Sehn.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, ich möchte keine weiteren Zwischenfragen zulassen, ({0}) weil ich jetzt gerne zu den Versprechungen von Herrn Merz kommen möchte. Das Familiengeld - Herr Merz hat hier seine Vorstellungen ausgebreitet; wir wissen aber immer noch nicht so genau, wann es kommt und wie hoch es ist, weil Sie sich mit Herrn Stoiber und Frau Merkel noch nicht einig sind soll in irgendeiner Form kommen. Die Realität ist: In Bayern gibt es die wenigsten Betreuungsplätze in ganz Deutschland. ({1}) Ihre Vorstellungen gehen weit an den Bedürfnissen der Eltern vorbei. Ihr Familiengeld ist nichts weiter als eine ZuHause-bleib-Prämie für die Mütter und damit eine Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt. Bezahlen sollen es am Ende die Arbeitslosen. Ich halte das für unanständig, Herr Merz. ({2}) Vielleicht hätten Sie einmal junge Eltern fragen sollen, was sie wirklich brauchen. Junge Eltern brauchen zum Beispiel Zeit. Diese Zeit brauchen sie nämlich für die Organisation von Kindergarten, Tagesmutter und Nachhilfeunterricht oder um die Kinder beispielsweise zur Musikschule, zum Sportverein oder zum Kindergeburtstag zu fahren. Das Problem dieser Familien ist nicht - das kann man ausrechnen - die Ökosteuer, Herr Merz. Wenn Sie das meinen, verkennen Sie die Lebenswirklichkeit. Eine vierköpfige Familie in Deutschland hat heute nach Abzug der Belastungen durch die Ökosteuer noch 1 500 Euro mehr als zu Ihrer Regierungszeit. Das ist die Realität. Herr Merz, die Ökosteuer ist ja so „schrecklich“. ({3}) Herr Stoiber will sie aber nicht abschaffen. ({4}) Sie sollten einmal den Wählerinnen und Wählern sagen, dass Herr Stoiber das Schreckensinstrument Ökosteuer beibehalten will. ({5}) Sie hätten auch einmal mit Eltern sprechen sollen, die mit ihren Kindern von Sozialhilfe oder von einem Einkommen etwas über Sozialhilfeniveau leben müssen. Dann wüssten Sie nämlich, was für eine große Scham es bedeutet, wenn man sich die Klassenfahrt nach Italien nicht leisten kann. Als Entschuldigung für die Nichtteilnahme wird dann die angebliche Erkrankung des Kindes vorgeschoben. ({6}) Herr Merz, die dringenden Aufgaben, die vor uns liegen, stehen bei Ihnen noch nicht einmal auf der Tagesordnung. Sie kritisieren in diesem Zusammenhang den Bundeskanzler wegen seines Vorstoßes zur Ganztagsschule, weil er dafür angeblich nicht zuständig sei. ({7}) Herr Merz, es ist eine Bürokratenmentalität pur, mit der Sie Familienpolitik machen wollen. ({8}) Wir lassen die Kinder doch nicht wegen einer ungeklärten Zuständigkeit im Regen stehen. ({9}) Natürlich geht es zuerst um die Verantwortung der Eltern. Eltern müssen den Bedürfnissen der Kinder mit dem nötigen Maß an Zuwendung und an Zeit gerecht werden. Sie müssen sie mit gesundem Essen versorgen und ihnen Werte und Kultur vermitteln. Der Staat aber hat die Aufgabe, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Eltern müssen endlich aus den Schmuddelecken dieser Gesellschaft heraus. Sie sollen sich nicht dauernd entschuldigen müssen, nur weil sie Kinder haben: im Beruf, in der S-Bahn, beim Vermieter oder im Supermarkt. Es geht nicht um ein Familienidyll nach dem Motto - wenn es so sein sollte, ist das natürlich schön -: „Und sie lebten glücklich bis an ihr Ende.“ Herr Merz, ich habe bis heute wirklich nicht verstanden, warum Sie meinen, sich dafür quasi entschuldigen zu müssen - so drückte es jemand aus -, dass Sie schon so lange mit Ihrer Frau verheiratet sind. Wir alle gönnen Ihnen das genauso wie Ihre Rowdyvergangenheit. ({10}) Wenn diese Entschuldigung aber irgendwie ironisch gemeint sein sollte und sich vielleicht auf andere Lebensentwürfe bezogen hat, dann ist dies ein verdammt schlechter Scherz. ({11}) Die Lebensrealität in Deutschland ist nämlich vielfältig. ({12}) Wie die Menschen heute zusammenleben, das ist ihre Privatsache. Uns betrifft dabei die Frage: Wie geht es den Kindern? Um diesen Bereich müssen wir uns kümmern. Dies tun wir auch im Gegensatz zu Ihnen, die Sie vor allen Dingen ein Hohes Lied auf die Ehe singen. ({13}) Wir brauchen übrigens kein Ehegattensplitting, wie es heute besteht. Denn das Geld muss dahin, wo es wirklich gebraucht wird: zu den Kindern. ({14}) Deshalb machen wir vordringlich bei der Kinderbetreuung Ernst. Die Betreuung ist der zentrale Hebel. Es geht um eine freie Wahl der Kinderbetreuung. Sie muss ganztags und flächendeckend angeboten werden, von hoher Qualität sein und von Anfang an erfolgen. Es geht um eine freie Wahl der Schule, die den ganzen Tag offen ist und die ein Lebensort sein muss, wo Begabte und weniger Begabte gleichermaßen gefördert werden, wo Kinder mit und ohne Behinderungen zusammen lernen, wo Musik und Handwerk, genügend Bewegung und der Umgang mit dem Internet nicht nur Randthemen sind. Wir brauchen eine Kinderbetreuung, in der das gesunde Mittagessen ebenso selbstverständlich ist wie das kostenfreie Vorschuljahr, damit alle Kinder - auch solche aus Migrantenfamilien - gut vorbereitet in die Schule kommen. ({15}) Kinderarmut kann in einem so reichen Land wie Deutschland nicht hingenommen werden. Die Grundsicherung der Grünen gibt darauf die richtige Antwort. ({16}) Auch die Arbeitswelt - der Bundeskanzler hat darauf hingewiesen - muss sich ändern. Viele Unternehmen haben dazu bereits gute Ideen. Denn sie wissen genau: Sie können nicht auf das Potenzial gut ausgebildeter Mütter und Väter verzichten, auch wenn der klassische Betriebskindergarten nicht unbedingt die richtige Antwort sein wird. Wir brauchen kinderfreundliche Städte und keine abgeschotteten Spielplatzgehege und Wohnviertel, in denen sich die Kinder aufhalten müssen, damit außerhalb die Autos „spielen“ können. Wir brauchen auch für morgen und übermorgen eine neue Lebensqualität und eine gesunde Umwelt. Das ist ebenso eine echte Kinderpolitik wie der Satz „Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt“, den die Grünen übrigens schon 1980 auf ein Wahlplakat geschrieben haben und der eindrücklich aussagt: Nachhaltige Politik ist Politik für Kinder. Da steht viel auf der Habenseite: der Ausstieg aus der Atomkraft, die Einführung der Windenergie, die Haushaltssanierung, die generationengerechte Rentenpolitik, mehr Kindergeld und Steuergerechtigkeit. Auch die Verbesserung der Situation der Alleinerziehenden sollte eigentlich auf der Habenseite stehen. Zu Recht wollen Eltern und solche, die es werden wollen, heute ganz genau wissen, was auf sie zukommt. Wir sagen es ihnen ehrlich und verlässlich. Wir sagen, wie wir unsere Vorhaben finanzieren wollen. Dies ist zwar eine große Anstrengung für die gesamte Gesellschaft, sie lohnt sich aber; denn Familienpolitik ist echte Standortpolitik. Mit dieser Standortpolitik wollen wir beginnen. Wir sind dabei auf einem wirklich guten Weg. ({17}) Das ist vielleicht ein wenig wie Politik auf Kindernasenhöhe - auch wenn das für manchen lächerlich klingt. Aber in Kindernasenhöhe bekommt man zum Beispiel mehr Schadstoffe ab. Deswegen müssen Grenzwerte bezogen auf den kindlichen Körper festgelegt werden. ({18}) In Kindernasenhöhe - lassen Sie mich das zum Schluss sagen - träumt es sich vielleicht ein bisschen leichter von der Zukunft. Dass die Tatsache, dass beide Eltern berufstätig sind, für das Selbstvertrauen eines Kindes nicht schädlich ist, sieht man möglicherweise an meinem Sohn, der zwölf Jahre alt ist und Friedrich heißt. Der will nämlich Bundeskanzler werden. ({19}) Auch Edmund Stoiber will das. Aber angesichts der Familienpolitik von Edmund Stoiber, der zurückgenommenen Versprechungen und vor allen Dingen der Versprecher, glaube ich: Mein Sohn hat eine größere Chance. Bis dahin werden nach dem 22. September 2002 Rot und Grün mit einer großen Offensive für Kinder und Familien, für ein kinderfreundliches Deutschland weitermachen. Edmund Stoiber kann sich dann in Bayern endlich um die Kinderbetreuungsplätze kümmern. Da hat er weiß Gott genug zu tun. ({20})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegin Petra Pau, PDS-Fraktion, das Wort.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Thema Familienpolitik gibt es viel zu sagen und noch mehr zu tun. Viel zu sagen haben in diesen Tagen die beiden Kanzlerkandidaten; es ist Wahlkampf. Es ist aber noch mehr zu tun; das wissen wir aus dem Leben. Deshalb will ich auch gar nicht klagen, dass Familien, Frauen und Kinder in das Wahlkampflicht gerückt werden, weil ich finde, sie haben es nötig und auch verdient. ({0}) Nicht verdient allerdings und überhaupt nicht nötig haben sie eine Verbalzuwendung, die sich danach als folgenloser Wahlwerbespot herausstellt. Das ehrlichste Wort zu einem solchen Umgang mit dem Thema habe ich übrigens diese Woche von der Kollegin Pieper gehört. Nicht heute, sondern gestern früh im ZDF-„Morgenmagazin“ lobten Sie erst Ihr Wahlprogramm - klar, das ist Ihr Job - und fügten dann hinzu, die FDP habe jetzt auch noch was in Sachen Familie aufgenommen. Ich wette, wäre gerade die Lage der Vögel in der Großstadt das Thema der Woche, hätten Sie auch dazu noch schnell ein paar wohlfeile Worte gefunden. ({1}) Aber genau das ist es nicht, was Familien, Frauen und Kinder erwarten, übrigens auch nicht in Sachsen-Anhalt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Pau, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke, FDPFraktion? - Bitte schön. ({0})

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Pau, haben Sie die Legislaturperiode im Griff, was die Drucksachen anbelangt, in denen die Vorstellungen der FDP niedergelegt sind? ({0})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich denke, ich habe zumindest einen Überblick.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn Sie sagen, Sie haben einen Überblick, dann scheint der Überblick aber sehr missraten zu sein. Denn wir haben, seit wir in dieser Legislaturperiode in der Opposition sind, sehr viele Anträge zur Familienpolitik vorgelegt. ({0}) Das ist auch unsere Aufgabe. Die Anträge, die wir vorgelegt haben, werden wir in der nächsten Legislaturperiode in der Regierung umsetzen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich habe Ihre Anträge durchaus im Blick, einschließlich derjenigen, die wir gewogen haben und die wir, etwa diejenigen zum Thema Steuerpolitik, nicht richtig gefunden haben. Ich darf doch wohl das Wort Ihrer Generalsekretärin, das sie gestern früh im Fernsehen verkündet hat, ernst nehmen, ({0}) als sie ganz deutlich sagte: Wir haben ein Programm. Pause. Sie fuhr fort: Und jetzt haben wir uns noch was zur Familienpolitik einfallen lassen. ({1}) Das Folgende gehört auch zum aktuellen Befund in Bezug auf die Lage in der Bundesrepublik, weil es sich dabei um eine von den Parteien unabhängige Analyse handelt: Kinder gelten in der Bundesrepublik immer noch als Armutsrisiko. Frauen werden in der Bundesrepublik noch immer grundlegend benachteiligt; das heilen auch Ihre Anträge nicht. Ferner: Wer oder was eine Familie ist, darüber entscheiden offensichtlich immer noch Parteistrategen, nicht aber jene, die eine Familie sein wollen oder sind. Da empfehle ich zum Selbststudium einen Artikel des CSU-Kollegen Geis, der vor einigen Wochen in der „Frankfurter Rundschau“ erschienen ist. Ich muss zugeben: So viel pangermanischen Ungeist zum Thema Familie und so viel Abscheu gegen anders Lebende, gegen anders Liebende und anders Sorgende habe ich im 21. Jahrhundert nicht mehr für möglich gehalten. Da werden vom Kollegen Geis Schwule als abartig verhöhnt und die Rechte gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften - ich darf zitieren - als „explosiver USA-Import“ beschrieben, der das deutsche Volk gefährde. ({2}) Ich vermisse bis heute ein klares Wort des CDU/CSUKanzlerkandidaten dazu und auch Sie, Herr Merz, haben es heute versäumt, sich dazu deutlich zu äußern. ({3}) Die PDS hat vor Wochen ein Familienprogramm vorgestellt, das auf den Säulen Gerechtigkeit, Kinderrecht und Gleichstellung fußt. Dazu bedurfte es weder eines Wahlkampfhöhepunktes noch der Mahnung des Bundesverfassungsgerichtes. Denn wir wollen nicht ganz vergessen: So manche unter Rot-Grün beschlossene Verbesserung der Situation der Kinder und Familien bedurfte des Drucks aus Karlsruhe und so mancher Spruch aus Karlsruhe betraf die familienunfreundliche Ära Kohl. Insofern finde ich, der Bundeskanzler hätte es heute eine Nummer kleiner machen können; ich finde den Lobgesang in eigener Sache etwas überzogen. ({4}) Ich finde allerdings auch die Töne, die der Kollege Merz angestimmt hat, etwas überzogen. Wir kennen alle das Problem vieler Frauen: Sie müssen sich letztendlich zwischen Beruf und Kindern entscheiden, weil die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beides schwer oder kaum miteinander vereinbaren lassen. Das sind die Zwänge, die in dieser Gesellschaft auf Familien und Frauen wirken, Herr Kollege Merz, und nicht das, was hier heute politisch debattiert wird. Ich bin also beim Thema Kitas, Ganztagsschulen usw. Davon wurde heute schon gesprochen. Daran mangelt es, und zwar in den alten Bundesländern mehr als in den neuen. Das stimmt und wäre eigentlich eine Extradebatte wert. Ich will heute nur wiederholen, was ich neulich in Nürnberg gesagt habe. Verglichen mit Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt ist Bayern in diesen Fragen ein Entwicklungsland. ({5}) Insofern sollte der Kanzlerkandidat der CDU/CSU etwas vorsichtiger sein, wenn er die neuen Bundesländer missionieren will. Vielleicht sollte er doch erst einmal zu Hause mittel-, ost- und nordeuropäische Standards anstreben, wenn es um Familien-, Kinder- und Frauenrechte geht. ({6}) Die PDS hat im Laufe dieser Legislaturperiode mehrere Anträge und Initiativen eingebracht, die einen Paradigmenwechsel zugunsten von Familien und Kindern erbracht hätten. Ich muss heute sagen „hätten“, denn auch Rot-Grün hat diese abgelehnt. Dabei hatten wir natürlich auch Vorschläge zur Finanzierung gemacht, Vorschläge, die nun wieder zum Teil bei SPD und Grünen auftauchen. Gut, könnte man sagen, spät kommt ihr, aber ihr kommt. Oder sagen wir besser: Vielleicht kommt etwas. Denn nicht nur der Präsident des Deutschen Familienverbandes äußerte sich gestern aus Erfahrung skeptisch, was von den vielen Ankündigungen dieser Tage wirklich bleiben wird. Einen Gedanken möchte ich dennoch der Finanzierungsfrage widmen. Kaum hatten wir im März unser Familienprogramm vorgestellt, da rechnete ein Kommentator vor: Das CDU/CSU-Programm kostet x Milliarden, es ist also fragwürdig. Das SPD-Programm kostet y Milliarden, es ist also problematisch. Das PDS-Programm kostet noch mehr und ist folglich illusorisch. Einmal abgesehen davon, dass der Vergleich nicht stimmt, will ich diese Rechenart deutlich übersetzen: Soziale Gerechtigkeit rechnet sich nicht, Kinderrechte rechnen sich nicht, Gleichstellung rechnet sich nicht. Das ist die Denkart, die dahinter steckt. Deshalb sage ich: Wer so argumentiert, trifft nicht uns. Wer so argumentiert und zuerst die Frage stellt, was rechnet sich, polemisiert gegen zig Betroffene, gegen gesellschaftliche Werte und gegen die Zukunft der Bundesrepublik. Nun hat das Schönreden in Wahlkampfzeiten Konjunktur. Deshalb will ich auf ein Beispiel zurückkommen, das mir noch niemand vernünftig erklären konnte, das aber auch zur rot-grünen Bilanz gehört. Wir erinnern uns: Das Kindergeld wurde erhöht. So weit, so gut. Denjenigen aber, die es am nötigsten brauchen, den Empfängerinnen und Empfängern von Sozialhilfe, wurde die Kindergelderhöhung sofort verrechnet, sodass sie keinen Groschen oder Cent mehr in der Kasse haben. So weit und leider so schlecht; ({7}) denn das Beispiel der Kindergelderhöhung zeigt die Generalkrux der schwarz-gelben Familienpolitik, mit der Rot-Grün nicht gebrochen hat: Die Reichen bekommen immer noch etwas dazu, während die Armen links liegen gelassen werden. ({8}) - Ich habe das sehr wohl verstanden und vor allen Dingen mit den Betroffenen, Herr Kollege, anhand ihres Geldbeutels debattiert. Ich erkenne an, dass Rot-Grün für die Förderung und Entlastung von Familien fast ein Drittel mehr Mittel bereitgestellt hat als die CDU/CSU zu ihrer Zeit, aber die Ungerechtigkeitsschere bleibt. Und darüber rede ich heute. Deshalb hätte ich gern vom Bundeskanzler heute ein klareres Wort zu einer weiteren Episode aus seiner Amtszeit gehört. Es gab Jahre, in denen immer wieder einmal Verwandte von ihm auftauchten und für Schlagzeilen sorgten: Cousinen aus dem Osten und eine Schwester aus dem Westen. Letztere ist mit der Kinderpolitik der Koalition und des Kanzlers höchst unzufrieden und zog sogar vor das Bundesverfassungsgericht. Auch das ist eine Form von Familienpolitik, bei der ich der Schwester viel Erfolg wünsche. ({9}) - Nein. - Da hilft es auch nicht, wenn der Kanzler heute Morgen ankündigt, dass er den gestern abgelehnten PDSAntrag zum Haushaltsfreibetrag nun selbst umsetzen möchte. ({10}) Ein letztes Beispiel. Frau Bundesministerin Bergmann, Sie sagten, im Familienbericht stehe - völlig richtig -: Familienpolitik heißt auch Gleichstellung deutscher und nicht deutscher Kinder. Wem bitte wollen Sie ernsthaft vermitteln, dass das jüngst beschlossene Einwanderungsgesetz in diesem Sinne ein Beitrag zur Familienpolitik und zur Gleichstellung ist, wenn das Kindsein bei ausländischen Familien mit zwölf Jahren endet? So etwas hat nichts mit Familienpolitik zu tun und entspricht auch nicht etwa UN-Konventionen. Unser Vorschlag liegt auf dem Tisch. Kinder und Familien sollen begünstigt werden, und zwar ganz egal, ob ihre Art zu leben altdeutschen Heimatfilmen oder modernen Gemeinschaftsvorstellungen entspricht. Danke schön. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Bundesministerin Christine Bergmann das Wort. Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Familienpolitik stand für diese Regierung vom ersten Tag des Regierungshandelns an im Mittelpunkt der Politik, nicht erst wie bei Ihnen, Frau Pieper, in der letzten Phase, wenn es um das Warmlaufen für den Wahlkampf geht. ({1}) Wir haben vom ersten Tag an gehandelt. Die erste Kindergelderhöhung ist sofort beschlossen worden. Wir sind an die Rahmenbedingungen herangegangen. ({2}) - Ich reagiere nur auf das, was Frau Pieper vorhin gesagt hat. Ich denke, wir haben eine überzeugende Bilanz auf den Tisch zu legen. ({3}) Davon muss ich nur Sie überzeugen. Die Bevölkerung ist überzeugt. Es wird der Kompetenz der SPD und dieser rot-grünen Regierung für Familienpolitik zugeschrieben und das mit Recht und nicht umsonst. ({4}) Wir wissen auch, warum wir von Anfang an gehandelt haben, nämlich weil wir die wichtige Rolle, die Familien in der Gesellschaft spielen, ernst nehmen. Wir wissen, welche Leistungen Väter und Mütter tagtäglich erbringen. Es ist keine einfache Aufgabe, Kinder großzuziehen. Wir sagen dies nicht nur sonntags. ({5}) Vielmehr unterstützen wir Familien dort, wo sie die Unterstützung am nötigsten brauchen. ({6}) Dies fängt natürlich schon bei der Akzeptanz der Vielfalt der Familienformen an. Der Bundeskanzler hat dazu einiges gesagt. Ich will dies wiederholen: Für uns stehen alle Familienformen gleichwertig nebeneinander. Wir haben eine breite Vielfalt, obwohl nach wie vor 80 Prozent der Kinder bei ihren verheirateten Eltern aufwachsen. Aber diese Vielfalt der Familienformen besteht. Herr Merz, was Sie vorhin gesagt haben, nämlich dass wir lieber über Ehe und Familie statt über die beliebigen Verbindungen, die es noch so gibt, reden sollten, war schon verräterisch. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten - dies sage ich mit allem Ernst - zählen die Werte, die in diesem Zusammenleben vermittelt werden, ({7}) wie Geborgenheit, Sicherheit und Zuversicht, sich um Kinder und auch um die alte Generation kümmern, und zwar unabhängig von der jeweiligen Familienform. ({8}) - Ich bin eine bekennende Ehefrau. Das ist nichts Neues. Ich betrachte dies nicht als besondere Leistung und entschuldige mich auch nicht dafür. Wir akzeptieren aber trotzdem die Vielfalt der Familienformen, weil es uns darum geht, dass die Kinder und auch die Gesellschaft das erhalten, was sie am Nötigsten brauchen. Wir schreiben auch niemandem vor, wie er leben soll. Wir akzeptieren die unterschiedliche Rollenverteilung in den Familien. Selbstverständlich haben die Frauen das gleiche Recht auf Erwerbsarbeit wie die Männer. Ebenso unterstützen wir Väter, die ihr Recht auf Erziehungsarbeit wahrnehmen wollen. Hier haben wir noch ein wenig Nachholbedarf, dies ist uns aber ein ernstes Anliegen. Genauso unterstützen und fördern wir die Kinderrechte. ({9}) Ich glaube, hier haben wir in den letzten vier Jahren Entscheidendes getan. ({10}) Wir wissen natürlich, wie schwierig dies für Familien im Alltag zu leben ist. Dies gilt besonders für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Daher steht die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Familien im Mittelpunkt unserer Politik. Wir wissen, woran es häufig hapert, nämlich an entsprechenden Arbeitszeitregelungen, Arbeitsbedingungen und der Kinderbetreuung. Familien können ein Lied davon singen, wie schwierig es ist, alles unter einen Hut zu bringen. Ich will auf die Fortschritte bei der Verbesserung der Rahmenbedingungen hinweisen. Hier nenne ich als erstes das Elternzeitgesetz. Wenn Sie sich nun hier hinstellen und sagen, dass auch Väter Erziehungsarbeit wahrnehmen sollen und wollen, ist dies schon ein Fortschritt. Ich kann mich aber nicht erinnern, dass Sie diesem Gesetz im Deutschen Bundestag zugestimmt hätten. ({11}) Mit dem Gesetz machen wir genau das, was Sie verkünden. Wir schaffen Wahlfreiheit. Die Eltern sollen sehen, wie sie gut klarkommen, wie sie ihre Arbeitzeit regeln. Beide können zur gleichen Zeit Elternzeit nehmen. Sie haben einen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit. Dadurch haben Eltern viele Möglichkeiten. Das müssen wir - es wird natürlich fortgesetzt - im Zusammenhang mit dem Teilzeitgesetz sehen, zu dem es von Ihnen auch keine Zustimmung gab. Das sind die Rahmenbedingungen, die die Familien brauchen, um ihre Lebenswünsche umzusetzen und die Bedürfnisse der Kinder zu erfüllen. Wir alle, die wir Kinder erziehen oder erzogen haben, wissen, dass Kinder Zeit brauchen. Das halte ich für eine zeitgemäße Familienpolitik. Wir haben für dieses veränderte Rollenverständnis geworben und versuchen, Väter zu ermutigen. Das tun wir nicht, indem wir ihnen nur sagen, dass es nett wäre, wenn sie auch etwas tun würden, sondern das tun wir, indem wir in große Unternehmen wie Daimler-Chrysler, VW, Telekom und BMW und in kleine Unternehmen gegangen sind. ({12}) Mit diesen haben wir gemeinsam beraten, wie das Ziel zu erreichen ist, welche Möglichkeiten der Arbeitszeitflexibilisierung, die beiden Teilen zugute kommt, es gibt und welche Arbeitsbedingungen man verbessern kann. Bei der Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf darf man sich nicht nur an die Mütter, sondern muss sich in gleicher Weise auch an die Väter wenden. Und siehe da: Alle Unternehmen, die sich darum kümmern, stellen fest, dass es ein Gewinn für sie ist. Sie sind in einer Win-win-Situation. Die Eltern sind zufrieden und die Unternehmen sehen, dass es ein ökonomischer Vorteil für sie ist, wenn sie die Arbeitszeiten den bestehenden Familienwünschen anpassen und versuchen, Teilzeitarbeit - auch bei Führungskräften - anzubieten, um die Karrieremöglichkeiten von Menschen, die eine Familie haben, nicht zu beschneiden. ({13}) Seit Jahren besuche ich die Unternehmen. Es macht richtig Spaß, wenn man sieht, dass sich etwas tut. Es ist wunderbar, dass das jetzt auch im Bündnis für Arbeit geschieht. Mehr Familienfreundlichkeit ist Bestandteil unserer Vereinbarung mit den Arbeitgeberverbänden. Auch das ist ein Prüfstein. Er wird zum gegebenen Zeitpunkt zu kontrollieren sein. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme noch einmal zum Thema Kinderbetreuung, weil das in der Debatte eine große Rolle spielt und weil ich mich natürlich nicht erst seit heute dafür einsetze, dass sich auf dem Gebiet in diesem Land endlich etwas tut. ({14}) Einiges wurde bereits genannt. Es wird wirklich allerhöchste Zeit. Wir stehen europaweit ziemlich weit hinten. ({15}) Das ist übrigens - das muss man klar sagen - vor allen Dingen das Problem der alten Bundesländer. Es gibt ein Ost-West-Gefälle. In den neuen Bundesländern ist das alles relativ gut - das sage ich vorsichtig -, und zwar von der Geburt bis zum 12. Lebensjahr, geregelt. Frau Pieper, weil Sie sich hier so vehement für einige Länder eingesetzt haben, die an der Spitze der Statistik stehen, habe ich mir einige Daten herausgesucht. Es gibt ein Ost-West- und ein Nord-Süd-Gefälle. Es ist wirklich so. Im Süden, zum Beispiel in Bayern, sieht es sowohl bei den Betreuungsangeboten für die unter 3-Jährigen als auch bei Ganztagsschulen am schlechtesten aus. ({16}) Frau Pieper, Ihnen müsste ein Land doch ziemlich nahe stehen. Schauen wir einmal, wie es in Sachsen-Anhalt aussieht. Sachsen-Anhalt steht an der Spitze, wenn es um die Betreuung für die unter 3-Jährigen und die Schulkinder geht. ({17}) Es hat ein wunderbares Kita-Gesetz. Wenn ich richtig informiert bin, gilt dieses für gerade geborene Kinder bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie aus der sechsten Klasse entlassen werden. Nach Sachsen-Anhalt folgen, bevor die alten Bundesländer kommen, andere neue Bundesländer. ({18})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pieper?

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005300

Ja, bitte.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Ministerin, da ich, wie Sie wissen, zufällig aus Sachsen-Anhalt komme, frage ich Sie, ob Ihnen bekannt ist, dass das Kindertagesstättengesetz, das einen Rechtsanspruch enthält, Anfang der 90er-Jahre unter Beteiligung der FDP beschlossen worden ist. ({0}) Ist Ihnen bekannt - ich war im Landtag damals übrigens dabei und habe an diesem Gesetz mitgearbeitet -, dass Ihr Ministerpräsident Höppner gemeinsam mit der PDS das Schulhortgesetz abgeschafft hat, dem die FDP 1992 mit zugestimmt hatte? ({1})

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005300

Frau Pieper, ich habe nur die Zahlen, die Sie vorhin genannt haben, richtig gestellt. Nach wie vor hat Sachsen-Anhalt neben den anderen neuen Bundesländern - das muss man auch sagen - in diesem Bereich das beste Angebot. Wenn Sie damals an dem Gesetz beteiligt waren, dann ist es gut. Ich denke, wir brauchen ein flächendeckendes und bedarfsgerechtes Kinderbetreuungsangebot für die unter 3-Jährigen sowie ein Ganztagsangebot für die 3- bis 6-Jährigen und für die Schulkinder. ({0}) Das ist eine wichtige Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ansonsten brauchten wir über das Thema gar nicht zu reden. Es hat auch ökonomische Gründe. Herr Merz, ich wende mich jetzt an Sie, weil Sie sehr verräterisch über Wahlfreiheit geredet haben. Sie versuchen nach wie vor, das Thema Kinderbetreuung zu ideologisieren. ({1}) Sie tun so, als ob all diejenigen, die ein Angebot fordern, ihre Kinder generell in Betreuungseinrichtungen geben wollen. Wir wollen die Wahlfreiheit der Eltern. Wir haben sie noch nicht. Ihre Wahlfreiheit sieht so aus: Ich kann wählen, ob ich esse oder nicht esse. Das heißt, wenn ich kein Angebot habe, kann ich nicht auswählen. Die Frage, ob ich erwerbstätig sein will oder nicht, stellt sich damit nicht. ({2}) Die Mütter haben längst gewählt. Schauen Sie sich die Statistiken an, die wir haben! Ich kann Ihnen auch eine neue Studie auf den Tisch legen; auch diese werden wir noch behandeln. Die Mehrzahl der Mütter will erwerbstätig sein. Zum großen Teil müssen sie arbeiten, aber sie wollen es auch. Bisher haben wir kein flächendeckendes Angebot an Kinderbetreuung. Das müssen wir in den nächsten Jahren schaffen. Dabei geht es natürlich in gleicher Weise um das Thema Bildung und Integration. Kinderbetreuungseinrichtungen sind wichtig für die Integration. ({3}) Kommen wir zum Thema Erziehungskompetenz. Sie haben über Gewalt geredet. Ich hoffe, Sie betrachten es nicht als Ausübung meiner Gewalt, wenn ich Sie auf das Thema anspreche. Wir haben das Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung als Gesetz verankert. Das haben Sie offensichtlich vergessen. ({4}) Meines Wissens haben Sie nicht zugestimmt. Es ist ein Unterschied zu der vergangenen Rechtslage, als diese generelle gewaltfreie Erziehung nicht festgeschrieben war. Damit haben wir ein wichtiges Signal in diese Gesellschaft gesandt. Wir wollen, dass Kinder lernen, Konflikte gewaltfrei zu lösen. Das haben wir mit vielen Aktionen begleitet. Der Erfolg ist da. Wir haben dazu Studien gemacht. Das Gesetz und die Aktionen sind bekannt und werden akzeptiert. Es gibt auch im Erziehungsverhalten Veränderungen. Manches wäre noch zu wünschen, aber so etwas dauert lange. Wir arbeiten daran, das gesellschaftliche Klima in einem ganz entscheidenden Punkt zu verbessern. Das sollten Sie anerkennen und honorieren. ({5}) Zum Thema Familiengeld haben wir schon einiges gehört. Frau Böhmer und ich waren gestern gemeinsam bei einem Empfang der Caritas in Berlin. Der dort anwesende Kardinal Sterzinsky hat uns auf den Weg gegeben: Das, was wir in Zukunft erreichen wollen, muss finanzierbar sein; wir müssen alles gründlich auf die Finanzierbarkeit überprüfen. - Wir haben ein Angebot gemacht, das Sie ablehnen. Darüber kann ich wirklich nur lachen. Der Bund beteiligt sich nun endlich an der Kinderbetreuung. Er ist bereit, seinen Teil dazu beizutragen, aber er erwartet natürlich auch von den Ländern und Kommunen, dass sie in den nächsten Jahren die Lücken schließen. Wir werden ein gemeinsames Paket schnüren. Sie erklären, dass Sie das nicht wollen, weil der Bund dafür nicht zuständig ist. Dafür kommen Sie uns zum wiederholten Male mit Ihrem Familiengeld. Aber finanzierbar ist das nicht; das wissen Sie ganz genau. Ihren zynischen Vorschlag, dieses Familiengeld sozusagen auf dem Rücken der Arbeitslosen zu finanzieren, sollten Sie in den nächsten Wochen und Monaten verkünden. Dafür wünsche ich Ihnen viel Erfolg. Dieser Vorschlag kann wohl nicht ganz ernst gemeint sein. ({6}) Wir werden in der nächsten Legislaturperiode weitere finanzielle Spielräume anbieten. Frau Göring-Eckardt, Sie können Ihrem Sohn Friedrich sagen: Wir bleiben zunächst bei unserem Kanzler. Aber er kann sich schon einmal vorbereiten. Er hat noch ein bisschen Zeit. Ich glaube, mit der Familienpolitik, die wir machen und in der Zukunft vorhaben, die genau an den Punkten ansetzt, bei denen es in den Familien wirklich brennt, sind wir auf dem richtigen Weg. Damit stehen wir gut da. Dass Sie das ärgert, verstehe ich. Aber wir werden sie fortsetzen. Danke. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Maria Böhmer, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute haben wir die erste Regierungserklärung des Bundeskanzlers zur Familienpolitik gehört. Ich halte es schon für bemerkenswert, dass wir nach dreieinhalb Jahren erstmals erfahren, was der Bundeskanzler zur Familienpolitik zu sagen hat. ({0}) Dreieinhalb Jahre sind inzwischen nutzlos verstrichen. ({1}) Tatsache ist, dass Sie erst kurz vor Toresschluss dieser Legislaturperiode und am Ende der Regierungszeit von Rot-Grün das Wort zum Thema Familie ergreifen. Das ist in der Tat mehr als spät. ({2}) So erleben auch die Familien in Deutschland Ihre Politik. Das Urteil in der Presse war in den letzten Jahren rundweg vernichtend. ({3}) Vor einem Jahr hieß es in der „Welt“: „Die ausgebeutete Familie“. In der „Frankfurter Rundschau“ war von dem „Skandal der Familienpolitik“ zu lesen; dort war davon die Rede, dass die Struktur in Deutschland immer noch eine ausgesprochen familienfeindliche sei. ({4}) Nach dreieinhalb Jahren rot-grüner Regierung haben Sie es nicht geschafft, das einzulösen, was Sie an und für sich einlösen wollten. ({5}) Vor wenigen Wochen hat Ihnen Petra Kohse in der „Frankfurter Rundschau“ bescheinigt, dass die deutsche Familienpolitik an einem „Mangel an Visionen“ leide. Wer heute die Regierungserklärung des Bundeskanzlers und die Worte von Frau Bergmann gehört hat, muss in der Tat sagen, dass Sie kein Konzept für die Familien in Deutschland haben. Was Sie hier zu bieten haben, ist bruchstückhaft und Flickwerk. ({6}) Typisch für Ihren Ansatz in der Familienpolitik ist das Kindergeld. Richtig ist zwar, dass das Kindergeld erhöht worden ist und dass Sie hier eine Verpflichtung erfüllt haben, die das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat. Aber Sie haben nicht mehr als das getan. Sehen wir uns nun einmal ganz genau an, wie Sie die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im steuerlichen Bereich tatsächlich erfüllt haben: Sie könnten diese Vorgaben erst dann erreichen, wenn Sie überhaupt noch die Möglichkeit hätten, Ihre Steuerpolitik bis zum Jahre 2005 durchzuhalten. Es fehlt also immer noch an der Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Das heißt, diese rotgrüne Bundesregierung macht nach wie vor eine verfassungswidrige Familienpolitik. ({7}) Wenn Sie nicht hören wollen, was ich sage, dann sollten Sie wenigstens die Worte des Deutschen Frauenrates hören. Der Deutsche Frauenrat hat festgestellt, die Kindergelderhöhung - damals war noch von 30 DM die Rede - sei, gemessen an dem Bedarf, völlig unzulänglich und es sei unverständlich, warum nur eine Erhöhung für das erste und zweite Kind, nicht aber für die weiteren Kinder in der Familie vorgesehen sei. Man darf es nicht hinnehmen, dass dritte und vierte Kinder dieser Bundesregierung keine Kindergelderhöhung wert sind. ({8}) Herr Bundeskanzler, Sie haben nichts zur Anerkennung von Kindererziehung und zum Wert von Familienarbeit in Bezug auf die Rente gesagt. Das wundert mich, ehrlich gesagt, nicht; denn die Rentenreform, die Sie auf den Weg gebracht haben, versagt hinsichtlich der Berücksichtigung der Leistungen in der Familie völlig. Im letzten Januar haben Sie sogar per Gesetz hier im Bundestag die Witwenrente gestrichen. ({9}) Rot-Grün hat das Aus der Witwenrente beschlossen. Nur weil wir gemeinsam mit den Frauen- und Familienverbänden in Deutschland deutlich gemacht haben, dass die Arbeit in der Familie auch bei der Rente ihre Anerkennung finden muss und dass auf die Witwenrente auch zukünftig nicht verzichtet werden kann, haben Sie sich in der letzten Sitzung des Vermittlungsausschusses unserem Druck gebeugt. Das Gesetz ist dann zurückgenommen worden, allerdings nicht in voller Höhe. Aber wir haben immerhin sicherstellen können, dass Frauen auch zukünftig mit einer Witwenrente rechnen können. ({10}) Ich habe Ihren langatmigen Erklärungen zu den Alleinerziehenden wohl zugehört. Die Alleinerziehenden sind in der Tat die Verliererinnen Ihrer Politik. ({11}) Wenn Sie immer wieder versuchen, den allein erziehenden Frauen in Deutschland zu erklären, Sie hätten objektiv nicht anders handeln können, dann sage ich dazu: Angesichts Ihrer Wirtschaftspolitik wundert es mich nicht, dass Sie kein Geld in der Kasse haben. ({12}) Angesichts der hohen Zahl von Arbeitslosen wundert mich das auch nicht; denn Sie müssen das Geld zur Versorgung der Arbeitslosen ausgeben, statt dass Sie endlich für die Alleinerziehenden das leisten, was Not tut. Sie streichen ihnen ein Gehalt pro Jahr, Herr Bundeskanzler. Das ist die Wahrheit. Von daher wundert es uns nicht, dass die Frauen, angeführt von Ihrer Schwester, vor das Bundesverfassungsgericht gegangen sind und dort klagen. Eine solche Ungerechtigkeit kann man nicht hinnehmen. ({13}) - Sie kennen doch die Klage, die eingereicht worden ist. Ist sie Ihnen unbekannt? ({14}) Dann sollten Sie das einmal registrieren und wieder rückgängig machen. Sie haben doch die Chance; Sie können doch handeln. Es ist doch Ihre Sache, Ihre Politik zu korrigieren, sodass die Alleinerziehenden nicht auf dieses eine Monatsgehalt pro Jahr verzichten müssen. ({15}) Ein Ausweis dafür, dass Sie an dieser Stelle gescheitert sind, ist auch der Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen, für die Kinder, deren Eltern Sozialhilfe beziehen, 100 Euro mehr zu geben. Dies jetzt, nach einer langen Regierungszeit, zu erklären, wohlgemerkt am Ende einer Legislaturperiode, zeigt, dass Sie in diesem Bereich nicht gehandelt haben. Gerade der Prozentsatz der unter 7-jährigen Kinder, die von Sozialhilfe abhängig sind, ist über die Jahre Ihrer Regierungszeit gleich geblieben. Hier ist es zu keiner Verbesserung gekommen. Die Kinder sind von Ihnen nicht aus der Sozialhilfe herausgeholt worden. So kann man in diesem Land nicht handeln. ({16}) Wir haben dazu ein Konzept vorgelegt, denn wir meinen, wir brauchen einen deutlich anderen Weg in der Familienpolitik. Wir brauchen eine Familienpolitik aus einem Guss, die innovativ ist, die in die Zukunft weist und die Familien in unserem Land wirklich eine Chance gibt. ({17}) Die drei Säulen unseres familienpolitischen Konzeptes lauten: Wir wollen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Wir wollen an dieser Stelle mit dem fortfahren, was wir im Bereich der Kinderbetreuung getan haben, denn ohne Union gäbe es in Deutschland keinen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Er ist von uns eingeführt worden. ({18}) Wenn ich mir einmal die Zahlen anschaue - Frau Bergmann, Sie haben übrigens in Ihrem Ministerium die neuen Daten, die Sie nicht nach draußen geben, weil die Bilanz, die Sie im Bereich der Kinderbetreuung ziehen, für die SPD-regierten Bundesländer in der Tat vernichtend ist -, so sehe ich, dass die Schlusslichter im Bereich der Kinderbetreuung, also im Hinblick auf Kindergärten, Krippen und Horte, nach wie vor die SPD-regierten Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein sowie Hamburg sind. Das sind die drei Schlusslichter im Bereich der Kindergärten. Wenn ich mir anschaue, wie es im Hinblick auf die Horte aussieht, so stelle ich fest: Niedersachsen liegt auf dem viertletzten Platz. ({19})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Böhmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wolf?

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, mit Freude, Frau Wolf. Ich habe schon die ganze Zeit darauf gewartet. Bitte.

Hanna Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002553, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich musste ja erst auf das Stichwort warten. Nun haben Sie es gegeben. Wir haben es doch zusammen im Parlament erlebt: Können Sie bestätigen, dass der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz durchgesetzt wurde, weil wir eine Reform des § 218 verabschiedet haben und dieser Rechtsanspruch die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Voraussetzung dafür war und ihn die SPD-Frauen gemeinsam mit vielen Frauen aus Ihrer Fraktion erkämpft haben? Bestätigen Sie, dass es so gelaufen ist? ({0})

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Wolf, an dieser Stelle sage ich Ihnen, dass es die Union auszeichnet, darüber nie nur geredet, sondern stets gehandelt zu haben. ({0}) Betrachten wir die Situation in den Bundesländern, so hat als erstes unter den alten Bundesländern das damals noch unionsregierte Rheinland-Pfalz den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz eingeführt. Von dem, was wir gemacht haben, zehrt heute noch die SPD in RheinlandPfalz. Deshalb ist die dortige Bilanz im Hinblick auf die Kinderbetreuung besser als in den anderen SPD-Ländern. Ansonsten ist die Situation in den SPD-Ländern katastrophal. ({1}) Was die Frauenerwerbstätigkeit anbetrifft - Frau Wolf, Sie dürfen mir ruhig noch zuhören; das gehört immer noch zu der Antwort auf Ihre Frage -, so möchte ich als Frau nicht in einem SPD-regierten Land leben. ({2}) Die Frauenerwerbsquote ist beispielsweise in NordrheinWestfalen deutlich niedriger als in unionsregierten Bundesländern. Die Spitzenreiter hierbei sind Bayern und BadenWürttemberg. Das liegt darin begründet, dass sie auch die Spitzenreiter im Hinblick auf die Versorgung mit Kindergartenplätzen sind. Unter den alten Bundesländern hat Baden-Württemberg die beste Ausstattung mit Kindergartenplätzen. Die Bayern haben in diesem Bereich auch einen Spitzenplatz. Sie haben im Bereich der Krippen zugelegt. Dort gibt es jetzt Krippenplätze für 3,5 Prozent der Kinder, in Nordrhein-Westfalen dagegen für nur 2,3 Prozent. Sie können jetzt gern eine weitere Frage stellen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt gibt es eine zweite Zwischenfrage der Kollegin Wolf.

Hanna Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002553, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zum Stichwort Krippenplätze: Der Bundeskanzler hat vorhin angegeben, wie viele Krippenplätze es in Bayern gibt. Könnten Sie wenn Sie München herausrechnen würden, das bekanntlich von der SPD regiert wird - vielleicht bestätigen, dass es in Bayern dann 0,4 Prozent sind? ({0})

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Wolf, dann können wir auch bei Niedersachsen Hannover herausrechnen. In diesem Fall würde dieses Land endgültig das Schlusslicht bilden. Dort gab es bekanntlich einen Ministerpräsidenten namens Schröder, der - das will ich Ihnen auch noch sagen - jetzt als Bundeskanzler erklärt, dass er die Ganztagsschule als zentrales Projekt für unser Land ansieht. ({0}) Ich halte es für richtig, dass es im schulischen Bereich mehr Ganztagsangebote gibt. Man muss es aber auch richtig machen, Herr Bundeskanzler. Sie hatten damals die Gelegenheit, als Ministerpräsident in Ihrem Land die Weichen entsprechend zu stellen. In Niedersachsen beträgt der Deckungsgrad bei den Ganztagsschulen ganze 3 Prozent. ({1}) In Baden-Württemberg beträgt der Deckungsgrad 6,8 Prozent. ({2}) Wenn das kein Unterschied ist! Ein Blick nach NordrheinWestfalen, das in puncto Ganztagsschulen immer wieder als Paradeland genannt wird, zeigt, dass es zwar richtig ist, dass der Deckungsgrad dort 8,7 Prozent beträgt, dass es sich aber überwiegend um Gesamtschulen handelt, ({3}) sodass die Eltern gar keine Wahl haben, sich für eine bestimmte Form von Ganztagsschulen zu entscheiden. Mit dem Weg, den man dort beschritten hat, wollte man das Ganztagsschulenprogramm schmackhaft machen. ({4}) Wenn das, was uns Ihre Bildungsministerin Frau Bulmahn derzeit verkündet, wirklich stimmen würde, nämlich dass Ganztagsschulen den Schlüssel zu einer besseren Bildung darstellten, dann müssten doch die Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen das Paradebeispiel für die beste Bildung sein. Im Zusammenhang mit der PISA-Studie verweigern sich aber gerade die Gesamtschulen der Erhebung. Das spricht doch Bände. Es geht hier also nicht um die Frage der Organisation, sondern um die Inhalte. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Böhmer, Ihre Redezeit ist jetzt etwas überschritten. Ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich will zum Schluss noch auf eines aufmerksam machen. Frau Schmidt - immerhin stellvertretende Vorsitzende der SPD - hat gestern erklärt, dass die Familien in Deutschland kein Familiengeld bräuchten, ({0}) sondern Kindergarten- und Ganztagsplätze. Das hat sie im Zusammenhang mit Akademikerinnen gesagt. Es ist sicherlich richtig, dass Akademikerinnen eine andere Ausgangssituation haben. Aber, Herr Bundeskanzler, erklären Sie doch bitte der Verkäuferin im Supermarkt, der Frau bei VW am Band, der Krankenschwester, der Polizistin oder der Botin hier im Deutschen Bundestag, dass sie kein Familiengeld brauchen. Wer ein solches Verständnis von gerechter Förderung von Familien und Anerkennung ihrer Leistungen hat, dem kann ich nur sagen: Es ist gut, wenn Ihre Zeit hier endet. Denn man kann es nur als Drohung empfinden, dass Ihre Familienpolitik fortgesetzt würde. Dann wäre es auch weiterhin schlecht um die Familien in unserem Land bestellt. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat die Kollegin Ekin Deligöz.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Böhmer, es wundert mich sehr, wenn ausgerechnet Sie beginnen, Zahlen von Kindergärten miteinander zu vergleichen. ({0}) - Was heißt denn „richtig“? - Warum wundert mich das? Wir - und zwar nicht wir alle, sondern die Frauen im Bundestag - haben gemeinsam ein Recht auf einen Kindergartenplatz in Deutschland durchgesetzt. Ein Recht auf einen Kindergartenplatz heißt für mich, dass es eigentlich ein 100-prozentiges statt ein 98- oder 95- oder 93-prozentiges Angebotsniveau geben müsste. Das ist nichts, dessen man sich rühmen kann, sondern das sollte ein Mindeststandard sein. ({1}) Ein Kindergartenplatz steht 3- bis 6-Jährigen offen. Kinderbetreuung fängt aber mit der Kinderkrippe an und setzt sich fort bis zur Ganztagsschule. Ihr Kanzlerkandidat kommt aus Bayern. Sie haben vorhin ausgeführt, wer das Recht auf einen Kindergartenplatz als erstes anerkannt hat; ich sage Ihnen, wer es immer noch nicht umgesetzt hat: Das ist Bayern. Bayern wehrt sich mit Händen und Füßen, dieses Recht anzuerkennen und umzusetzen. ({2}) - Bayern hat einen Versorgungsgrad nicht von 100 Prozent, sondern von 93 Prozent. Bayern bildet nicht nur ein Schlusslicht bei den Kinderkrippen und den Kinderhorten, sondern auch bei der Nachmittagsbetreuung und vor allem bei den Ganztagsschulen. ({3}) In Bayern liegt der Anteil der Ganztagsschulen bei 3 Prozent. Das sind in absoluten Zahlen 24 Ganztagsschulen. Davon sind gerade einmal drei in öffentlicher Hand. Die restlichen sind in anderer Trägerschaft. ({4}) Wir reden über die Bilanz der Familienpolitik. Dabei dürfen wir eine Sache nicht vergessen: Es gibt verschiedene Lebenskonzepte. Für uns besteht die Familie nicht nur aus Mama, Papa und Kind. Die Familie beginnt für uns auch nicht erst mit dem Trauschein. Für uns stehen vor allem die Kinder im Mittelpunkt, egal, für welche Lebensform sich ihre Eltern entschieden haben, egal, ob sie allein erziehend sind, ob sie in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften leben, ob sie verheiratet sind oder nicht. Im Mittelpunkt muss immer das Wohl der Kinder stehen. Vor allem sind für uns alle Kinder gleich viel wert. ({5}) Wenn Sie sich darüber beschweren, dass wir das Kindergeld für das dritte Kind nicht erhöht haben, dann sage ich Ihnen: Für das dritte Kind werden bereits 300 DM bzw. 154 Euro an Kindergeld gezahlt. Endlich ist es so weit, dass alle Kinder in Deutschland beim Kindergeld gleich viel wert sind. Das war während Ihrer Regierungszeit nicht der Fall. Sie greifen uns wegen der Abschaffung des Haushaltsfreibetrages für Alleinerziehende an. Es stimmt, es gibt dazu eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, und wir haben darauf reagiert. Aber warum gibt es eine solche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts? Es gibt sie nicht, weil wir falsch gehandelt haben. Vielmehr hat Ihr Regierungshandeln uns diese Entscheidung eingebrockt. Sie haben die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts durch Ihre falsche Politik herbeigeführt. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollegin Deligöz, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bitte.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Deligöz, ich muss Ihnen wirklich sagen: Es geht mir langsam auf den Keks, wenn der Bundeskanzler und Sie ständig behaupten, dass das Bundesverfassungsgericht schuld daran gewesen sei, dass Sie den Haushaltsfreibetrag für Alleinerziehende abschaffen mussten.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Was heißt hier „schuld“? Von Schuld habe ich nicht gesprochen.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Deligöz, ich möchte Sie fragen: Hat das Bundesverfassungsgericht der Regierung die Abschaffung des Haushaltsfreibetrages für Alleinerziehende dezidiert vorgeschrieben?

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Lenke, das Bundesverfassungsgericht hat ganz konkret gesagt, dass man alle, Verheiratete und Nichtverheiratete, gleich behandeln solle. Daraus ergeben sich zwei mögliche Konsequenzen: Wir hätten den Haushaltsfreibetrag für alle auf das gleiche Niveau anheben können. Das hätte allerdings Mehrkosten in Höhe von fast 30 Milliarden Euro zur Folge gehabt, die wir in Zeiten der Haushaltskonsolidierung de facto nicht finanzieren können. ({0}) Wir möchten keine Familienpolitik zulasten kommender Generationen betreiben. ({1}) Die Alternative wäre gewesen, den Haushaltsfreibetrag komplett abzuschaffen. Das wollten wir auch nicht. Wir hätten also den Haushaltsfreibetrag ganz abschaffen oder fast 30 Milliarden Euro herzaubern müssen. Das eine wollten wir nicht; das andere war nicht möglich. Was haben wir getan? Für uns stand die Bekämpfung der Armut im Vordergrund. Deshalb haben wir das Unterhaltsrecht reformiert. Wir haben das Kindergeld für alle Verdienenden in gleichem Maße erhöht. Wir haben die Möglichkeiten, die Kosten für die Kinderbetreuung abzusetzen, verbessert. Die Grünen fordern darüber hinaus, dass künftig die Kinderbetreuungskosten ab dem ersten Euro abgesetzt werden können. ({2}) - Ich zähle Ihnen nicht das auf, was wir haben wollen, sondern das, was wir gemacht haben. Wir haben die Gelder im Sinne der Kinderförderung umgeschichtet. Dabei haben wir alle gleich behandelt. Sie dürfen nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Es stimmt, diejenigen Frauen, die Sozialhilfe beziehen, profitieren von der Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten nicht. Es profitieren nur diejenigen, die Steuern zahlen. ({3}) - Frau Lenke, ich bin mit meiner Antwort auf Ihre Zwischenfrage noch nicht fertig. Sie können ruhig noch ein bisschen stehen bleiben. Wie gesagt, nur diejenigen, die eine hohe Steuerbelastung haben, profitieren von dieser Maßnahme; denn nur sie können die Kinderbetreuungskosten entsprechend absetzen. Es profitieren also nicht die Sozialhilfeempfänger und nicht die Bezieher geringer Einkommen. ({4}) Wir haben die Gelder im Sinne der Kinderförderung umgeschichtet, im Sinne derjenigen Familien, die ein geringes Einkommen haben. Das werden wir auch mit der geplanten Kindergrundsicherung fortsetzen. Sie sollten darüber keine Unwahrheiten verbreiten. Mit der Kindergrundsicherung wollen wir Familien aus der Sozialhilfe herausholen. Wir wollen für sie Anreize zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit schaffen. Eines kann ich Ihnen aber auch sagen: Die beste Form der Armutsbekämpfung ist noch immer die Erwerbstätigkeit. ({5}) Die beste Form der Armutsbekämpfung ist noch immer, wenn hoch qualifizierte Frauen berufstätig sein dürfen und nicht dazu verdammt werden, am heimischen Herd zu bleiben und das Haus zu hüten. Genau auf diese Aspekte gründet sich unsere Kinder- und Familienpolitik. Ich möchte noch eines hinzufügen: Wir werden die Familienpolitik oder die Kinderpolitik auf keinen Fall konjunkturabhängig gestalten. Diese Regierung hat es, auch in Zeiten knapper Kassen, in Zeiten der Haushaltskonsolidierung, geschafft, Milliarden für Kinder zu investieren. Die Mittel wurden in die Familienpolitik umgeleitet. Diese Politik werden wir fortsetzen. Die Unterstützung der Schwächsten in unserer Gesellschaft, unserer Kinder, die unsere Zukunft sind, und unserer Familien werden wir ganz bestimmt nicht von einer Konjunkturprognose abhängig machen. ({6}) Im Gegensatz zu Ihnen werden wir dies auch nicht von Goodwillaktionen abhängig machen. Wir werden auch nicht einfach irgendwelche Konzepte vorlegen, die im Grunde bewusst falsche Versprechungen sind, weil sie definitiv nicht realisierbar sind. Das wissen Sie genauso gut wie ich. ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt hat die Kollegin Ina Lenke, FDP-Fraktion, das Wort.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Deligöz, Herr Eichel hat die Erhöhung des Kindergeldes von den Einnahmen des Bundes abhängig gemacht. Von daher ist all das, was Sie gesagt haben, nicht richtig. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gemessen an den großartigen Ankündigungen haben Sie in den letzten drei Jahren wirklich kleine Brötchen gebacken. ({0}) In der Steuerpolitik haben Sie eine grundlegende Reform im Sinne der Familien nicht zustande gebracht; ich sage nur: Steuerklasse V. Sie haben den Zugang für Frauen zum Arbeitsmarkt durch stringente Gesetze verschärft und Sie sind für die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich. ({1}) Frau Deligöz hat auf die Wichtigkeit von Arbeitsplätzen für Frauen verwiesen. Dem stimme ich zu. Die Grünen haben aber durch eine falsche Wirtschafts- und Steuerpolitik die Arbeitslosigkeit so hoch getrieben. ({2}) Sie wissen genau, dass eine hohe Arbeitslosigkeit ganz besonders den Frauen schadet. Sie haben den Koalitionsvertrag gebrochen, zumindest haben Sie ihn nicht erfüllt. Ich zitiere: Ein ausreichendes Angebot an Kindertagesstätten und Ganztagsbetreuung ist zu gewährleisten. Was haben Sie in den letzten dreieinhalb Jahren denn gemacht? In dieser Beziehung: nichts, nichts, nichts. ({3}) Herr Schröder spricht im Zusammenhang mit Familien nicht umsonst von „Gedöns“. Als Ihre Familienministerin, Frau Bergmann, versuchte, den rot-grünen Koalitionsvertrag umzusetzen, und mehr Geld für die Kinderbetreuung forderte, bekam der Finanzminister einen Ohnmachtsanfall. Sie haben für die Familien etwas getan; aber immer nur so viel, dass Sie die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gerade erfüllten. Sie haben das nicht freiwillig gemacht, sondern Sie mussten das machen. Um negative Schlagzeilen zu verhindern, haben Sie das Urteil laut bejubelt. Das hat aber nichts genutzt. Sie sprechen von einer Entlastung für die Familien, erheben aber höhere Steuern. Ich frage mich, wie das Ergebnis aussieht. Ich will zum von Ihnen verabschiedeten Zweiten Gesetz zur Familienförderung etwas sagen: Sie verabschieden eine Kindergelderhöhung, natürlich nur für das erste und das zweite Kind, in Höhe von 30 DM. Die Familien mussten diese Erhöhung des Kindergeldes selbst gegenfinanzieren. Was soll denn das? Nur, den Bürgern sagen Sie etwas anderes. Die Aussage der Familienverbände war dazu damals: Taschenspielertricks. Ihre Familienpolitik wurde zum Verschiebebahnhof. Wissenschaftler rechnen Ihnen vor, dass die Nettoentlastung der Familien insgesamt gegen null tendiert. Ich verwahre mich für die FDP gegen Angriffe von Familienministerin Bergmann, wir griffen dieses Thema erst kurz vor der Wahl auf. Das ist die Unwahrheit. Frau Bergmann weiß ganz genau, welche Anträge wir hier, im Bundestag, gestellt haben. ({4}) Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eines der zentralen Ziele liberaler Familien- und Frauenpolitik. Populäre Wahlversprechen Ihres Herrn Schröder, 10 000 neue Ganztagsschulen zu schaffen, helfen den Frauen nicht allein. Ich bitte die Frauen aus der Regierungskoalition, einmal zuzuhören - sie müssten eigentlich protestieren -: Dieses Versprechen hilft den Frauen, die Kinder haben und wieder in den Beruf einsteigen wollen, wenn ihr Kind ein, zwei oder drei Jahre alt ist, überhaupt nicht. Sollen wir erst einmal sechs Jahre zu Hause bleiben, bis der schrödersche Goodwill einer Ganztagsschule umgesetzt wurde? So geht das nicht. ({5}) Das zeigt, dass Herr Schröder hier zwar eine Regierungserklärung gehalten hat, aber von realer Familienpolitik keine Ahnung hat. Wir wollen ein breiteres und flexibleres Angebot an Kinderbetreuungsplätzen. Wir wollen das für Männer und für Frauen. Wir haben deutlich gemacht - Cornelia Pieper hat es auch schon gesagt -: Wir wollen, dass der Halbtagsplatz, auf den ein Rechtsanspruch besteht, kostenlos zur Verfügung gestellt wird: Denn wir meinen, dass die Bildung im Kindergarten genauso viel wert ist wie an der Schule und an der Hochschule, und da wird sie kostenfrei zur Verfügung gestellt. ({6}) Wir werden in der neuen Regierung einen Weg finden, die Kosten, die den Kommunen entstehen, im Bund-LänderFinanzausgleich zu berücksichtigen. Wir müssen auch andere Formen der Kinderbetreuung als die staatlich subventionierten Kindergartenplätze schaffen. Wer hat hier über Tagesmütter als eine Säule der Kinderbetreuung gesprochen? Wer hat hier von privaten Einrichtungen gesprochen? Ich sage Ihnen: Staatliche Kindergartenplätze können die Flexibilität, die Eltern wollen, überhaupt nicht schaffen. ({7}) Dazu ist von Ihnen auf Bundesebene kein Konzept vorgelegt worden. Sie alle, auch Sie von den Grünen, schwafeln hier davon, die Kinderbetreuung solle kostenlos sein. Wir haben dazu einen Antrag im Bundestag vorgelegt. Sie haben ihn abgelehnt. Warum haben Sie diesen Teil nicht herausgenommen und ihm zugestimmt? ({8}) - Frau Schewe-Gerigk, genau so ist es. Wir können es belegen. Es war nicht erst gestern.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Lenke, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme jetzt zum Schluss. Die FDP will einen Aufbruch in der Familienpolitik. Es muss ein Ruck durch unser Land gehen. Wir müssen vieles gemeinsam machen. Frau Wolf, wir müssen uns von dem einen oder anderen ollen Zopf trennen. Wir sind von Folgendem überzeugt, meine Damen und Herren: Kinderlärm ist Zukunftsmusik. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion der SPD spricht jetzt die Kollegin Hildegard Wester.

Hildegard Wester (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir wollen Deutschland wieder zu einem kinder- und familienfreundlichen Land machen. ({0}) Damit leisten wir eine wichtige Investition in die Zukunft unseres Landes. ({1}) Dies hat die rot-grüne Koalition vor dreieinhalb Jahren in ihre Koalitionsvereinbarung geschrieben. ({2}) Ich stelle heute fest: Viele Beiträge haben bestätigt, dass wir eine positive Bilanz ziehen können. ({3}) - Dr. Gerd Müller [CDU/ CSU]: Als Praktiker kann ich das nicht sagen!) Wir können eine positive Bilanz ziehen, obwohl hier von vielen Rednern der Opposition das Gegenteil behauptet wird. Ich will mich jetzt einmal mit einigen Aussagen, vor allem von Frau Böhmer und Frau Pieper, befassen. Frau Pieper, Sie haben gesagt, der Kanzler solle sich an den Taten messen lassen. ({4}) Wir haben Ihnen heute eindrucksvoll gezeigt, dass wir das durchaus können. ({5}) Es war auch der richtige Zeitpunkt, zu dem der Bundeskanzler das Wort zur Familienpolitik ergriffen hat, Frau Böhmer; denn hätte er das zu Beginn der Legislaturperiode getan, hätte man ihm vielleicht vorwerfen können, er würde hohle Worte sagen, so wie wir das von den Vorgängerregierungen gewohnt waren. ({6}) Zum heutigen Zeitpunkt können wir feststellen, dass wir auf dem Weg zu einer kinderfreundlichen Gesellschaft ein großes Stück vorangekommen sind. ({7}) In der Koalitionsvereinbarung steht neben vielen anderen konkreten Maßnahmen auch die Erhöhung des Kindergeldes um 30 DM zum 1. Januar 1999. ({8}) Wenn Sie rechnen können, dann wissen Sie, dass wir die Koalitionsvereinbarung geschrieben haben, bevor das Bundesverfassungsgericht das vernichtende Urteil über Ihre Familienpolitik gesprochen hat. ({9}) Wir hatten es nicht nötig, auf das Verfassungsgerichtsurteil zu warten. Wir haben auch keine leeren Versprechungen gemacht. Sie alle wissen, wann die Wahl war, und Sie alle wissen, welchen zeitlichen Abstand der 1. Januar 1999 zu diesem Termin hatte. Es ging nicht schneller und wir haben die Politik konsequent weitergeführt. ({10}) Ich kann verstehen, dass hier viel Wahlkampf gemacht wird; unbegreiflich ist mir aber, dass man mit den Gefühlen von Menschen so Schindluder treibt und damit so unverantwortlich umgeht. Frau Böhmer, bei allem Respekt: Wenn Sie sagen, wir hätten die Witwenrente gestrichen, dann ist das unglaublich. ({11}) Wir haben in der Rentenreform zum ersten Mal seit Jahrzehnten stärkere Akzente für Kinder gesetzt. Wir haben für Kindererziehung sogar einen Bonus zur Witwenrente gegeben. ({12}) Witwen, die mehrere Kinder erzogen haben, bekommen eine höhere Witwenrente. Wir haben auch die Rente für Frauen, die Kinder erziehen und erwerbstätig sind, erhöht, und egal, ob sie berufstätig sind oder nicht, werden für die ersten drei Lebensjahre drei Punkte angerechnet. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Dass Sie hier mit den Ängsten der Menschen, sie könnten unter Umständen im Alter in Armut fallen, so unverantwortlich umgehen, enttäuscht mich sehr. Das macht wieder einmal deutlich, dass wir in der Familienpolitik leider weit davon entfernt sind, mit der Opposition in diesem Hause an einem Strang zu ziehen. Ich halte das für bedauerlich. ({13}) Ihr Versprecher in Form der Feststellung, wir hätten heute immer noch eine kinderunfreundliche Gesellschaft, spricht ebenso Bände. Wie Sie es trotz der Diagnose, dass Sie eine kinderunfreundliche Gesellschaft hinterlassen haben, wagen können, uns vorzuwerfen, wir hätten nichts getan, ist mir angesichts der Bilanz, die wir hier vorweisen können, schleierhaft. Sie sollten sich lieber auf den Weg machen und uns unterstützen. ({14}) Ich habe in den Ausführungen von Ihnen, Frau Böhmer, und auch in denen von Herrn Merz, der nicht mehr da ist, konkret vermisst - ({15}) - Das liegt sehr wahrscheinlich daran - ({16}) - Unterste Schublade, ehrlich. ({17}) Da Sie nun mittlerweile alle miteinander entdeckt haben, dass die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf die zentrale Frage der Familienpolitik ist, frage ich mich allerdings, wieso weder Sie, Frau Böhmer, noch der Herr Merz irgendeinen Ton dazu gesagt haben, wie das Problem vonseiten des Bundes angegangen werden soll. ({18}) - Ach, aber Sie wollen doch an die Regierung. Seit wann kommt man an die Regierung mit hohlen Versprechungen? ({19}) Gut, ich stelle fest, Sie wollen nicht an die Regierung, weil Sie keine Konzepte vorweisen können. ({20}) Ich erwarte - das tun, wie ich glaube, auch die Menschen -, dass eine Partei bzw. eine Fraktion, die für sich familienpolitische Kompetenz in Anspruch nimmt und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als zentrales Thema der Familienpolitik ansieht, Lösungsansätze dafür bietet. Das haben wir getan; der Kanzler hat das heute vorgetragen. Wir lassen uns nicht von denjenigen abhalten, die nicht zur Lösung beitragen wollen und auf die Kompetenzverteilung in unserem Staat hinweisen. Es gibt Übereinstimmungen und man kann Vereinbarungen treffen, ({21}) natürlich unter Beachtung der staatlichen Ordnung. Ich sehe auch überhaupt kein Problem darin, das gemeinsam anzupacken. Aber offensichtlich will man es nicht gemeinsam tun. ({22}) Wenn Sie in sturer Konsequenz immer wieder behaupten, es gebe in Bayern oder Baden-Württemberg eine Vollversorgung mit Kindergartenplätzen, ({23}) - lassen Sie mich doch einmal ausreden -, dann zeigt das eigentlich nur, dass Sie nicht wollen, dass eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf hergestellt wird. Die Plätze, von denen Sie reden, sind Kindergartenplätze. Das heißt bei uns im Westen in der Regel immer noch: Plätze für drei bis vier Stunden am Tag. ({24}) Dass unter dieser Voraussetzung keine einzige Frau und kein einziger Mann einem vernünftigen Halbtagsberuf nachgehen kann, wissen Sie genauso gut wie ich. ({25}) Wenn Sie darin kein Problem sehen, dann kann ich Ihnen nur entgegnen: Sie meinen es nicht ernst mit Ihrer Aussage, dass die Herstellung von Vereinbarkeit von Familie und Beruf das wichtigste zu lösende Problem ist. Es ist heute schon so viel gesagt worden, dass ich meine vorbereitete Rede beiseite gelegt habe. Zum Abschluss möchte ich Ihnen aber noch eines sagen, obwohl das schon gesagt worden ist: Sie meinen, mit einem Familiengeld von 600 Euro, das zudem noch abenteuerlich finanziert ist und Fragen hinsichtlich der Wirksamkeit aufwirft, eine Lösung angeboten zu haben; aber wir müssen doch erst einmal darüber reden, welcher Gedanke hinter diesem Vorschlag steckt. Hier haben Sie komischerweise einen konkreten Vorschlag, obwohl Sie vorhin gesagt haben, Sie brauchten zur Vereinbarkeit nichts zu sagen, weil Sie nicht an der Regierung seien. ({26}) - Sie haben gehandelt? Wunderbar. - Ich sage Ihnen: Sie wollen die Frage der Kinderbetreuung mit Ihrem Familiengeld so lösen, dass die Frauen in den ersten drei Jahren und nach Möglichkeit noch länger zu Hause bleiben. ({27}) Wir wissen doch ganz genau, dass 600 Euro Familiengeld für die meisten Menschen verdammt viel Geld ist. Viele mit mittlerem und unterem Einkommen werden sich überlegen, ob es sich dann überhaupt lohnt, arbeiten zu gehen. Sie werden aber später, wenn sie nicht arbeiten gegangen sind, den Anschluss im Beruf verpasst haben. Wenn die Kinder aus dem Haus sind, werden entsprechende Probleme auftauchen, die Sie dann vielleicht mit einer hohen Witwenrente lösen wollen. Oder welche Vorschläge haben Sie da? ({28}) - Das ist kein Unsinn, das ist die Realität. ({29}) Das bescheinigen Ihnen auch andere. Sie wollen dadurch die lästige Frage klären, ob und wie Sie sich an der Finanzierung der Kinderbetreuung beteiligen, und Sie wollen auch die lästige Frage der Rollenverteilung in den Familien klären, und das alles auf Kosten der Frauen und Kinder. Ich halte das für unverantwortlich. ({30}) Sie haben die Zeichen der Zeit nicht begriffen. Sie haben nicht begriffen, dass unsere Gesellschaft nur vorankommen kann, wenn sich alle mit vereinten Kräften am wirtschaftlichen, staatlichen und familiären Leben beteiligen. Nur dann werden alle Ressourcen, die in den Menschen liegen, geweckt und genutzt werden können. Das ist unsere Politik und in der werden wir fortschreiten. Vielen Dank. ({31})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort für die Fraktion der CDU/CSU hat jetzt die Kollegin Maria Eichhorn.

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will in dieser Debatte zunächst einmal allen Müttern und Vätern danken; denn sie sind es, die für unsere Zukunft und damit unseren Generationenvertrag sorgen. Familien eine Zukunft zu geben, das versprach Bundeskanzler Schröder 1998. Was ist daraus geworden? „Mehr Steuergerechtigkeit durch Entlastung von Familien um 2 500 DM pro Jahr und mehr Kindergeld“, das war Punkt sieben des Wahlversprechens von Kanzler Schröder. ({0}) Ich habe mir eine Karte mit Ihren Wahlversprechen aufgehoben. ({1}) Ich werde sie in diesem Wahlkampf immer wieder vorzeigen und Sie an Ihren Taten messen. Sie werden sehen, wie Ihre Bilanz dann aussieht. Kernstück der gesetzgeberischen Initiativen Ihrer Regierungszeit war das Zweite Gesetz zur so genannten Familienförderung. Dies ist jedoch keine echte Familienförderung, sondern der minimalste Schritt, den Sie bei der Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils überhaupt gehen konnten. Ihre Kindergelderhöhung schließt Familien mit drei und mehr Kindern aus. ({2}) Dies ist keine Politik, die Familien fördert. Was die Alleinerziehenden von Ihrer Politik halten, haben diese durch den Gang nach Karlsruhe deutlich gemacht. Die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts, Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, ist in Ihrer Regierungszeit erfolgt, aufgrund Ihrer Familienpolitik. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis! ({3}) - Selbstverständlich. Die Alleinerziehenden haben sich auf das Familienförderungsgesetz bezogen, das Sie verabschiedet haben. ({4}) Der Verband Alleinerziehender Mütter und Väter hat Ihnen vorgerechnet - er weiß, wovon er redet -, dass Alleinerziehende durch die Kürzung des Haushaltsfreibetrages bis 2005 ihre eigene Kindergelderhöhung mit 900 Millionen Euro finanzieren. ({5}) Ihre ständig wechselnden Vorschläge zur Förderung von Familien machen das ganze Desaster Ihrer Familienpolitik deutlich: Am 12. März forderte Renate Schmidt, dass der Ausbau der Betreuungsangebote Vorrang vor einer erneuten Erhöhung des Kindergeldes haben solle. Am 13. März, einen Tag später, war zu lesen, dass die Grünen mit ihrer Familieninitiative gescheitert seien, die steuerliche Förderung von Familien jährlich um 600 Millionen Euro auszuweiten. Am 26. März dieses Jahres war wiederum zu lesen, dass der Bundeskanzler das Kindergeld erhöhen und Betreuungseinrichtungen fördern wolle. Jetzt, drei Wochen später, wollen die Grünen das Kindergeld allein für Einkommensschwache um bis zu 100 Euro pro Kind und Monat erhöhen. ({6}) Außerdem fordern sie Investitionen zum Ausbau der Kinderbetreuung. Ein Finanzierungsvorschlag dazu, Frau Schewe-Gerigk, fehlt völlig. ({7}) Ich frage Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün: Was wollen Sie denn nun wirklich? Was gilt denn jetzt in Ihrer Familienpolitik? Diese Politik ist in höchstem Maße unglaubwürdig. Sie ist irreführend. Die Wählerinnen und Wähler wissen nicht mehr, woran sie sind. Seit dreieinhalb Jahren tragen Sie nun Verantwortung. Sie haben die Familien nicht entlastet - im Gegenteil. Durch die Ökosteuer haben Sie den Familien in die Tasche gegriffen und damit zusätzlich belastet. ({8}) Das gilt vor allen Dingen für die Familien auf dem flachen Land. Sie planen offensichtlich weiterhin - selbstverständlich erst nach der Wahl -, das Ehegattensplitting einzuschränken oder gar abzuschaffen. ({9}) Tatsache ist aber, Frau Schewe-Gerigk, dass eine Streichung oder Kappung des Splittings in über 90 Prozent der Fälle Familien mit Kindern träfe. ({10}) Betroffen wären vor allem die Familien, in denen ein Elternteil wegen der Kindererziehung die Erwerbstätigkeit einschränkt oder darauf verzichtet. Aber auf diese Personengruppe legen Sie keinen Wert; sie wollen sie gar nicht fördern; denn schließlich werden die Betreuungskosten für Kinder nur dann steuerlich berücksichtigt, wenn beide Eltern erwerbstätig sind. Das Bundesverfassungsgericht hat am 5. Februar, also vor kurzer Zeit, klargestellt, dass Kindererziehung, Hausarbeit und Erwerbstätigkeit gleichberechtigt nebeneinander stehen. Diese Gleichberechtigung findet aber in Ihrer Politik keine Berücksichtigung. Hier unterscheidet sich die Politik der Union deutlich von der Politik der amtierenden Bundesregierung. ({11}) Wir sind der Überzeugung: Wenn sich Eltern bewusst entscheiden, für eine bestimmte Zeit zugunsten ihrer Kinder auf Erwerbstätigkeit zu verzichten, dürfen sie nicht durch eine Einschränkung der Leistungen bestraft werden. ({12}) Wir wollen keine einseitige Bevorzugung der Erwerbstätigkeit. Wir setzen uns für echte Wahlfreiheit ein. Wir wollen nicht wie Sie Müttern und Vätern durch einseitige Förderung vorschreiben, wie sie zu leben haben. Wir meinen, dass dies die Eltern selber entscheiden sollen, was sie auch wollen. Der Bundeskanzler und diese Regierung haben dreieinhalb Jahre nichts zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf getan. ({13}) Kurz vor Toresschluss kommt das Versprechen, 10 000 neue Ganztagsschulen schaffen zu wollen. ({14}) Wenn man diesen Vorschlag etwas näher durchleuchtet, dann stellt man fest: Es gibt keine einheitliche Definition der Ganztagsschulen. Daher frage ich: Herr Bundeskanzler - er ist nicht mehr anwesend -, an welche Form der Ganztagsschule denken Sie? ({15}) Frau Ministerin - auch sie ist nicht mehr anwesend -, wie viele Lehrer und Fachkräfte müssen dafür eigentlich eingestellt werden? Sagen Sie den Wählerinnen und Wählern auch, an welchen Stellen Sie bei den Familien wieder einsparen wollen! Bleiben Sie bei der Wahrheit! Im Übrigen wissen Sie ganz genau, dass die Schulen eine Sache der Länder sind. Angesichts dieser Tatsache kann man natürlich leicht Versprechungen machen. Verwunderlich ist, dass die Bundesfamilienministerin, heute durch einen vielstimmigen Chor unterstützt, gebetsmühlenartig wiederholt, dass die Kinderbetreuung der unter Dreijährigen in Bayern schlecht sei. Ich glaube, die Ministerin kennt ihre eigene Aufstellung nicht. ({16}) Wenn sie nämlich die Aufstellung vom Dezember 2000 gelesen hätte, dann würde sie feststellen, dass Bayern unter den Flächenstaaten bereits heute mit an vorderster Stelle liegt, was die Betreuung von Kindern von null bis drei Jahren und die Kindergärten betrifft. Auch im Hortbereich liegt Bayern im vorderen Feld. ({17}) Ich lese Ihnen einmal die Vergleichszahlen vor: Laut Ihrer Statistik vom Dezember 2000 hat Bayern einen Versorgungsgrad bezüglich der Kinder von null bis drei Jahren von 3,5 Prozent, ({18}) Nordrhein-Westfalen von 2,3 Prozent, Rheinland-Pfalz von 1,4 Prozent und Schleswig-Holstein von 2,3 Prozent. Bei Niedersachsen steht in dieser Aufstellung: statistisch nicht erfasst. ({19}) Ähnliche Zahlen kann ich Ihnen für den Kindergartenbereich und auch für die Betreuung der Schulkinder vorlegen. Bitte lesen Sie Ihre eigenen Zahlen nach! Dann ist die Märchenstunde endgültig vorbei. ({20}) Zusätzlich hat die Bayerische Staatsregierung im November letzten Jahres beschlossen, 313 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, um diesen Bereich gerade für Kinder unter drei Jahren und für Schulkinder noch besser auszustatten. Ihre Familienpolitik ist ohne Hand und Fuß. ({21}) Wir setzen eine Politik dagegen, die durch die Einführung eines Familiengeldes für echte Wahlfreiheit sorgt. Frau Wester, hören Sie doch endlich mit dem Märchen auf, dass die Mütter mithilfe des Familiengeldes zum Herd zurückkehren sollen. ({22}) Frau Wester, meine Damen und Herren, wenn Sie genau nachlesen, können Sie feststellen, dass wir den Anspruch auf Familiengeld unabhängig von einer Erwerbstätigkeit vorsehen. ({23}) Das heißt also, wir sorgen für echte Wahlfreiheit. Wir ermöglichen damit erstmals, dass sich Mütter und Väter frei entscheiden können. ({24})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Eichhorn, auch Sie muss ich leider darauf aufmerksam machen, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist.

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme sofort zum Schluss. Ein zweiter Punkt unserer Familienoffensive ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hier haben wir keinen Nachholbedarf. Vielmehr bauen wir auf dem auf, was bereits bestand. Ein dritter Punkt ist die Stärkung der Elternkompetenz. Der Bundeskanzler hat viele Versprechungen gemacht, sie aber nicht gehalten. Sie haben die Familien im Stich gelassen. ({0}) Deswegen brauchen wir eine neue Politik. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die nächste Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Irmingard ScheweGerigk für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Böhmer, Frau Eichhorn, ich kann ja verstehen, dass es Ihnen nicht passt, dass wir in den letzten dreieinhalb Jahren mehr für die Familien erreicht haben als Sie in 16 Jahren. Aber dass Sie so platt argumentieren, das ärgert mich schon! ({0}) Rot-Grün hat 1998 nicht nur einen finanzpolitischen, sondern auch einen familienpolitischen Scherbenhaufen übernommen. Trotz aller schönen Sonntagsreden über den Wert der Familie, die Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der FDP, hier vorgetragen haben, haben Sie eine Familienpolitik gemacht, die frauenfeindlich und verfassungswidrig war. Das steuerfreie Existenzminimum war zu niedrig. Die Erhöhung des Kindergeldes im Jahre 1998 hat Ihnen der Bundesrat aufzwingen müssen. Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren wurde den Frauen quasi als Entschädigung für den Kompromiss im Hinblick auf den § 218 StGB gewährt. Herr Merz, der Bund hat beschlossen und die Kommunen mussten diesen Rechtsanspruch umsetzen. So viel zu Ihrer Politik! ({1}) Ihre konservative Heim-und-Herd-politik haben Sie auf dem Rücken der Frauen ausgetragen. ({2}) Auch die FDP, die sich jetzt wie ein Chamäleon einen modernen Anstrich gibt, hat dieser Ideologie 16 Jahre nichts entgegengesetzt. ({3}) - Das war in der Zeit, als Sie noch nicht hier waren, Frau Lenke. - Dabei müssten Sie doch wissen: Junge Frauen wollen sich nicht länger entweder für eine Berufstätigkeit oder für eine Familie entscheiden müssen. Sie wollen wie Männer auch - beides. Ist das nicht zu vereinbaren, entscheiden sich viele Frauen gegen Kinder. Heute ist bereits jede dritte Frau kinderlos. Die Frauen sind in einen stillen Gebärstreik getreten und das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Dieses Erbe haben wir übernommen. ({4}) Heute überschlagen sich nahezu alle Parteien bei der Frage, wer wohl am meisten für die Familien tut. Konkurrenz belebt zwar das Geschäft und Opposition macht spendabel, wie wir gehört haben. Aber was gut gemeint ist, ist noch lange nicht gut. Das Familiengeld der CDU in Höhe von 600 Euro - die CSU nennt es ehrlicher Familiengehalt; ({5}) das schreibt das alte Rollenbild fest - schafft Anreize, sich zwischen Familienarbeit und Erwerbsarbeit zu entscheiden. ({6}) - Da können Sie noch so viel schreien, Frau Eichhorn. Aber genau das wollen die Frauen nicht. Die Frauen wollen beides. ({7}) Zu Lohn für Hausarbeit - dabei ist der Staat der Arbeitgeber - sagen die Frauen: Nein danke. Herr Stoiber, das können Sie vielleicht den Frauen im Komödienstadl verkaufen; aber die jungen Frauen wollen so etwas nicht. ({8}) - Frau Eichhorn, hören Sie zu! Vier Kindertagesplätze in Bayern für 1 000 Kinder im Alter unter drei Jahren, das ist ein Armutszeugnis! ({9}) - Ich habe die Statistik hier. Ich habe von den Tagesplätzen gesprochen. Bei der FDP ist alles unentgeltlich: Einkommen bis zu 30 000 Euro sollen für eine Familie mit zwei Kindern steuerfrei sein. Erst danach gelten die Steuersätze in Höhe von 15, 25 und 35 Prozent. Kindergärten sind natürlich gebührenfrei. Die Absetzbarkeit der Betreuungskosten ist überhaupt keine Frage. ({10}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie müssen sich schon entscheiden: Entweder Sie nehmen keine Steuern ein - dann können Sie auch keine kostenlose Betreuungseinrichtung schaffen - oder aber die Betreuung ist kostenlos; dann brauchen Sie auch Steuereinnahmen. So sind Sie einfach opportunistisch und unglaubwürdig. ({11})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Schewe-Gerigk, aus den Reihen der FDP gibt es jetzt eine Frage, und zwar von der Kollegin Lenke. - Wie ich sehe, lassen Sie die auch zu. ({0})

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Selbstverständlich.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Schewe-Gerigk, da sieht man, wie nachlässig Drucksachen und Pressemitteilungen von anderen durchgelesen werden. ({0}) Sie haben gesagt, wir hätten gefordert, dass alle Kindergartenplätze gebührenfrei sein sollen. Ich möchte Sie jetzt aufklären und sagen: Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, der vier Stunden umfassen soll, soll gebührenfrei sein, weil wir mehr Bildungspolitik im vorschulischen Bereich wollen. ({1}) Von daher bitte ich Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Lenke, ich habe das schon längst zur Kenntnis genommen. Frau Pieper hat vorhin in Ihrer Erklärung für die FDP gesagt: Kindergärten sollen gebührenfrei sein. ({0}) Sie hat nicht gesagt „alle Kindergärten“, sie hat gesagt: Kindergärten. ({1}) Das betrifft die Kinder zwischen drei und sechs Jahren. ({2}) Mit dem Regierungswechsel hat Rot-Grün einen Fokus auf das Leben mit Kindern gelegt, sowohl materiell - jetzt hören Sie einfach einmal zu: Es gab 13 Milliarden Euro Mehrausgaben für die Familie seit 1998 - als auch strukturell: Eltern können nun gemeinsam während der Elternzeit drei Jahre lang ihre Arbeitszeit bis auf 30 Stunden reduzieren. Ich hoffe, dass dieses Angebot auch von vielen Vätern dafür genutzt wird, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Uns reicht das nicht aus. Wir Bündnisgrünen wollen die Kinderarmut mit einer Kindergrundsicherung bekämpfen, die Kinderbetreuung für Kinder zwischen null und 14 Jahren flächendeckend aufbauen, aber auch inhaltlich aufwerten, um zum einen Chancengleichheit für die Kinder - ich nenne nur das Stichwort PISA - und zum anderen Chancengleichheit für Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen. ({3}) Ferner wollen wir die Kinderbetreuungskosten ab dem 1. Euro steuerlich absetzbar machen; das hilft insbesondere den Alleinerziehenden. Dass diese ehrgeizigen Pläne weder der Bund noch die Länder, noch gar die Kommunen allein umsetzen können, leuchtet ein; das müsste eigentlich auch Herr Merz wissen. Er sollte nicht davon sprechen, wer wohl wofür zuständig ist; er sollte froh sein, wenn sich der Bund endlich einschaltet und Geld gibt. ({4}) Darum brauchen wir einen föderativen Kindergipfel; die Familienministerin hat schon davon gesprochen. Dieser Kindergipfel muss alle Ebenen an einen Tisch bringen. Dazu kommt: Wir müssen von alten Privilegien Abschied nehmen. Sie haben vorhin gefragt: Wie wollen Sie das alles finanzieren? Wir halten das Ehegattensplitting für ungerecht, weil es die Ehe subventioniert und nicht die Familie. ({5}) Ein Paar mit einem hohen Einkommen des Ehemannes und einem niedrigen der Ehefrau ohne Kinder kann einen Vorteil von bis zu 1 000 Euro haben, während ein Paar, das unverheiratet zusammenlebt und Kinder hat, von diesem Ehegattensplitting nichts hat. ({6}) Das ist Ihre Ideologie. Wir wollen das Leben mit Kindern fördern; und nicht den Trauschein. Lassen Sie mich zum Schluss noch Folgendes sagen - das Licht der Präsidentin hat schon aufgeleuchtet -:

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die Redezeit ist schon abgelaufen.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Die Ministerin hat ein Programm „Frau und Beruf“ aufgelegt, das hervorragend gelaufen ist. In der nächsten Legislaturperiode brauchen wir ein neues Programm, das heißen muss: Mann und Familie. ({0}) Ich danke Ihnen. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Christel Humme für die SPD-Fraktion. ({0}) Vizepräsidentin Petra Bläss - Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist durch die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis vertreten. ({1})

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das liegt aber an Ihnen. ({0}) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Die Parteien haben die Familien entdeckt, so der Tenor der Berichterstattung in den Medien in den letzten Tagen und Wochen. Die Debatte heute hat gezeigt: Die SPD und auch die Grünen können damit nicht gemeint sein; denn bei uns stehen die Familien seit eh und je im Vordergrund der Politik. Gemeint sein können nur Sie von der Union und FDP; denn heute wetteifern Sie, meine verehrten Herren und Damen von der Opposition, um die Gunst der Familien und überbieten sich gegenseitig. Ich hatte phasenweise den Eindruck: Wir sind nicht im Deutschen Bundestag, sondern auf einem orientalischen Basar. Familienpolitik ungenügend, so lautete das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1998 über Ihre Politik. Darüber täuscht auch nicht die Milchmädchenrechnung Ihres Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz hinweg, nach der Sie in Ihrer Regierungszeit die Ausgaben für Familien von 27 Milliarden DM auf 75 Milliarden DM erhöht hätten. ({1}) Das sind 12 Milliarden DM pro Legislaturperiode. Wir haben in dieser Legislaturperiode für die Familien das Doppelte ausgegeben. Dass Ihnen das nicht passt, ist klar. ({2}) Ihre Politik bedeutete eine eklatante soziale Schieflage zuungunsten der Familien. Die Familien hatten ein besonders hohes Armutsrisiko. Ihr größtes Problem war die Vereinbarkeit von Familie und Beruf; denn Deutschland war und ist - das muss man zugeben - in Sachen Ganztagsbetreuung ein Entwicklungsland. ({3}) Das ist eine weitere Folge Ihrer falschen Weichenstellung in der Familienpolitik. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Blick auf die westdeutschen Bundesländer zeigt - wir haben das heute schon an verschiedenen Stellen gehört -, dass es für Eltern in den unionsregierten Ländern Baden-Württemberg und Bayern am schwierigsten ist, einen Betreuungsplatz zu bekommen. ({4}) Dass es anders geht - Frau Pieper, ich bitte Sie jetzt, ganz besonders zuzuhören -, ({5}) zeigt ein Land wie Sachsen-Anhalt. Sie haben gesagt, das Hortgesetz sei abgeschafft worden. ({6}) Sie haben aber vergessen, zu sagen, warum es abgeschafft worden ist; denn im Hinblick auf Betreuungsplätze ist Sachsen-Anhalt Spitze. ({7}) Hier hat die SPD-Regierung unter Ministerpräsident Höppner vorbildlich gehandelt ({8}) und für Kinder im Alter von null bis zwölf Jahren einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung eingeführt. ({9}) Dann braucht man keinen Hort mehr und kann das Hortgesetz abschaffen. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Humme, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Pieper?

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie kann zum Schluss eine Kurzintervention machen, wenn sie will. Wir haben die Zeit schon weit überschritten. ({0}) Meine Herren und Damen von der Union und der FDP, noch im Jahre 1997 waren Sie nicht bereit, das Kindergeld um 30 DM auf 250 DM zu erhöhen. Heute, auf den bequemen Oppositionsbänken tönen Sie ganz anders. 600 Euro Familiengeld pro Kind wollen Sie von der CDU/CSU, 7 500 Euro Grundfreibetrag pro Kind wollen Sie von der FDP. Das sind zurzeit die utopischen Höchstangebote. Gestern stand in meiner Rede noch: Die Antwort auf die Frage nach der Finanzierung bleiben Sie schuldig, Sie blenden sie völlig aus. Heute habe ich in der Debatte gelernt, was Sie wirklich wollen: Sie wollen Arbeitslose gegen Kinder oder Bundeswehr gegen Kinder aufrechnen. Das ist unseriös finanziert. ({1}) Sie verabschieden sich aus dem Kreis derjenigen, die ernsthaft und glaubwürdig Politik machen. Frau Böhmer, Sie wollen Familienpolitik aus einem Guss. Ich denke, Ihr Familiengeld ist Familienpolitik aus einem Guss, nämlich aus dem Guss der Gießkanne, es ist Vizepräsidentin Petra Bläss völlig unabhängig von der Einkommenssituation der Eltern. Das ist ungerecht. ({2}) Ihr Familiengeld ist rückwärts gewandt - das hat Frau Wester schon dargestellt -, denn Sie schaffen wieder einmal für Frauen den Anreiz, langfristig aus der Erwerbstätigkeit auszusteigen. Damit stellen Sie Frauen wissentlich eine Falle, eine Falle aus schlechten Erwerbs- und Einkommenschancen, aus der sie sich oft ein Leben lang nicht befreien können. Andererseits schaffen Sie Anreize für eine ausschließliche Betreuung in der Familie. Das ist ein bildungspolitischer Irrweg, wie wir spätestens seit PISA wissen. ({3}) Meine Damen und Herren von der FDP, Ihre Vorstellungen von 7 500 Euro Steuerfreibetrag pro Kind sind ebenso dürftig. Wie Sie dieses Steuergeschenk finanzieren wollen, ist mir in dieser Debatte völlig verschlossen geblieben. Reine Freibetragslösungen sind außerdem ungerecht; denn sie begünstigen ausschließlich Gutverdienende. Den Familien mit niedrigen und mittleren Einkommen nützen sie überhaupt nichts. Da bleiben Sie Ihrer Politik absolut treu. ({4}) Frau Eichhorn hat gerade gesagt, sie wolle eine Familienpolitik mit Hand und Fuß. Lassen Sie uns eine Familienpolitik mit Herz und Verstand machen! ({5}) Familienpolitik mit Herz heißt, Deutschland zu einem kinder- und familienfreundlichen Land zu machen. Dies haben wir im Ansatz schon erreicht. Familien haben nach vier Jahren SPD-geführter Regierung spürbar mehr Geld im Portemonnaie. ({6}) Frau Eichhorn, Sie haben gesagt, wir hätten nichts für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf getan. Wir haben vieles getan. ({7}) Mit dem Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit, der Flexibilisierung - das ist das eigentliche Kernziel - der Elternzeit und der Absetzbarkeit der erwerbsbedingten Betreuungskosten haben wir große Schritte hin zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf gemacht. Dies ist die richtige Weichenstellung in der Familienpolitik. Familienpolitik mit Verstand heißt: Wir konzentrieren uns auch vor dem Hintergrund knapper Kassen auf familienpolitische Schwerpunkte und setzen die zur Verfügung stehenden Mittel effizient ein. Der bedarfsgerechte Ausbau von Ganztagsbetreuungsangeboten wird der wesentliche Schwerpunkt, das zentrale familienpolitische Projekt der nächsten Jahre sein. Damit eröffnen wir Kindern und Jugendlichen bessere Bildungs-, Frauen bessere Erwerbs- und Einkommenschancen und wir stärken den Wirtschaftsstandort Deutschland. Es ist klar, dass wir die Herkulesaufgabe, die Ganztagsbetreuung auszubauen, nicht allein den Kommunen und Ländern aufbürden dürfen. Wir müssen uns als Bund beteiligen. Deshalb ist der Ansatz, 4 Milliarden Euro zuzuschießen, völlig richtig. ({8}) Ein weiterer Schwerpunkt der zukünftigen Arbeit wird die gezielte Förderung von Kindern aus einkommensschwachen Familien sein. Eine solche Lösung ist sozial gerecht, bekämpft Kinderarmut und stärkt die Selbsthilfekräfte der Familien. Sie hilft vor allem den Alleinerziehenden. Besonders der Ausbau der Ganztagsbetreuungsangebote wird die Selbsthilfekräfte der Familien stärken. Dies nenne ich intelligente und effiziente Familienpolitik, die gleichzeitig nachhaltig in die Zukunft wirkt. Die Menschen in Deutschland wissen ganz genau, wer etwas für die Familien tut und wer nur über Familienförderung redet. Deshalb werden wir von Berlin aus - davon bin ich fest überzeugt - auch nach dem 22. September weiter für ein kinder- und familienfreundliches Deutschland sorgen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Bevor ich die Aussprache schließe, erteile ich jetzt der Kollegin Cornelia Pieper zu einer Kurzintervention das Wort.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Punkt eins: Alle, die hier in der Familiendebatte gesprochen haben, insbesondere von der SPD-Bundestagsfraktion, und nicht aus Sachsen-Anhalt kommen, wissen alles besser, was in Sachsen-Anhalt zu tun ist, als diejenigen, die dort zu Hause sind. ({0}) Punkt zwei: Ich möchte auf den Vorwurf von eben reagieren. Ich war von 1990 bis 1994 Landtagsabgeordnete in Sachsen-Anhalt und habe für die FDP-Fraktion im Landtag Familienpolitik gemacht. ({1}) Ich selbst war an der Erarbeitung des Kindertagesstättengesetzes beteiligt, welches einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz von Anfang an verankert hat. Wir haben damals mit Beteiligung der FDP an der Landesregierung durchgesetzt, dass die Kindergartenplätze vom Land mit 60 Prozent bezuschusst worden sind. Dies wurde mit Übernahme der Regierung Höppner, natürlich mithilfe der PDS, 1996 wieder abgeschafft. Die Kosten wurden über Gebühren gedeckt, mit nun entsprechend höheren Standards bei den Kindergärten in Sachsen-Anhalt. 1992 gab es ein Schulhortgesetz, welches ich für die FDP-Fraktion eingebracht habe, allerdings - das gebe ich zu - nicht mit unserem damaligen Koalitionspartner Union, aber mit einer großen Mehrheit im Landtag; übrigens auch mit Zustimmung der SPD-Landtagsfraktion. ({2}) 1997 ist dieses Gesetz, das seinerzeit galt, von Reinhard Höppner mit der PDS abgeschafft worden. Die Kommunen und die Eltern dürfen jetzt mit hohen Gebühren dafür bezahlen. Ich stelle fest: Es nutzt überhaupt nichts, dass wir uns hier gegenseitig Schuldzuweisungen machen. Lassen wir die Polemik, ({3}) tun wir lieber mehr für die Kinder in diesem Land und konzentrieren uns auf die Probleme! Vielen Dank. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zur Erwiderung Frau Kollegin Humme, bitte.

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Pieper, es ist schön, dass Sie uns ein wenig darüber belehren wollen, wie es in Sachsen-Anhalt zugeht. ({0}) Nichtsdestotrotz ist Sachsen-Anhalt nach wie vor SPDregiert. Sachsen-Anhalt hat unter der von Ministerpräsident Höppner geführten SPD-Regierung als einziges Bundesland in Deutschland - das halte ich für wichtig und entscheidend - den Rechtsanspruch auf eine Kinderbetreuung durchgesetzt. Sie reden vom Kindergarten. Es ist klar, dass es einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für die Dreibis Sechsjährigen gibt. ({1}) Ein Rechtsanspruch auf die Betreuung für Kinder im Alter von null bis zwölf Jahren ist eine tolle Sache. Das hilft den Frauen und Männern, die Familie und Beruf in Sachsen-Anhalt miteinander vereinbaren wollen. Um nichts anderes geht es. Danke. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aus- sprache. Es wurde beantragt, den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/8790 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und zur Mitberatung an den Finanzausschuss, den Haus- haltsausschuss, den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie an den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen. Sind Sie da- mit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Über- weisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 c bis g so- wie die Zusatzpunkte 3 und 4 auf: 4 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Angelegenheiten der neuen Länder ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Jürgen Türk, Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Offensive für Zukunftsinvestitionen in neuen Bundesländern starten - Abwanderung stop- pen - Zehnpunkteprogramm für den Aufbau Ost - Drucksachen 14/6066, 14/8569 - Berichterstattung: Abgeordnete Sabine Kaspereit c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Hildebrecht Braun ({1}), Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Perspektiven für die deutschen Waggonbaustandorte verbessern - Drucksache 14/7833 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Christel Riemann-Hanewinckel, Manfred Hampel, Reinhard Weis ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Werner Schulz ({5}), Andrea Fischer ({6}), Antje Hermenau, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN Waggonbaustandorte erhalten - Drucksachen 14/7973, 14/8519 - Berichterstattung: Abgeordneter Ulrich Klinkert e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Angelegenheiten der neuen Länder ({7}) zu dem Antrag der Fraktion der PDS Verlässliche Perspektiven für Ostdeutschland und auch für die westdeutschen Steuerzahlen- den sichern - Drucksachen 14/6492, 14/8567 - Berichterstattung: Abgeordnete Sabine Kaspereit f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({8}) zu dem Antrag der Abgeord- neten Gerhard Jüttemann, Monika Balt, Petra Bläss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Gleichstellung der von Strukturkrisen betroffe- nen Bergleute in Ost und West - Drucksachen 14/2385, 14/4691 - Berichterstattung: Abgeordneter Werner Labsch g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Haupt, Jürgen Türk, Dr. Irmgard Schwaetzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für ein faires Rentenrecht für das ehemalige mittlere medizinische Personal - Drucksache 14/7612 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({9}) Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder ZP 3 Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Michael Luther, Manfred Grund, Günter Nooke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur dringlichen Sicherung von Werkunternehmeransprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen ({10}) - Drucksache 14/8783 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({11}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({12}) Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Haushaltsausschuss ZP 4 Beratung des Antrags der Fraktion der PDS Ostdeutsche Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst bis zum Jahre 2007 stufenweise auf das Niveau der alten Bundesländer anheben - Drucksache 14/8791 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder ({13}) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen, wobei die FDP-Fraktion 15 Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die Kollegin Cornelia Pieper für die FDP-Fraktion. ({14})

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum wiederholten Male geht es in diesem Jahr um die wirtschaftliche Situation der neuen Bundesländer. Diese Diskussionen sind brisant. ({0}) - Herr Küster, ich habe schon gesagt, dass seitens der Bundesregierung nicht Brüllen und Polemik, sondern Handeln gefragt ist. ({1}) Das vermissen wir bei Ihnen. Ich habe mich schon gewundert, warum der Kanzler keine Regierungserklärung zum Aufbau Ost abgibt. Wahrscheinlich hat er sich davor gedrückt. Vielleicht wollte er das Thema auf die nächste Generation verschieben. Deswegen hat er sich heute wohl die Familienpolitik vorgenommen. Wo ist eigentlich Ihr Bundeskanzler? ({2}) - Lieber Herr Kollege, bezüglich der Ministerpräsidentenkandidatur in Sachsen-Anhalt sage ich Ihnen nur: Sachsen-Anhalt hätte gerne einen neuen Ministerpräsidenten; denn unter Reinhard Höppner ist das Land wirtschaftlich in eine Sackgasse geführt worden. ({3}) Beruhigen Sie sich, vielleicht arbeiten wir auch einmal gemeinsam an dem Thema Aufbau Ost. Die ruhige Hand des Kanzlers ist schon sprichwörtlich geworden. Manchmal wünsche ich mir, dass er die Hand wirklich ruhig halten würde, damit er den Menschen im Osten nicht durch eine verfehlte Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik noch zusätzliche Knüppel zwischen die Beine wirft. ({4}) Wie gesagt: Jetzt macht der Kanzler die Familienpolitik zum Wahlkampfthema. Wir als FDP-Bundestagsfraktion haben ein ganz klares Zehnpunkteinvestitionsprogramm für die neuen Bundesländer vorgeschlagen. Ein gravierendes Problem in den neuen Bundesländern, gegen das die Bundesregierung offenbar keine Konzepte hat und das im Westen schlicht und einfach ignoriert wird, ist die dramatische Abwanderung. Vor allem die jungen und qualifizierten Menschen verlassen mehr und mehr ihre angestammte Heimat, weil sie dort keine wirtschaftliche Perspektive mehr sehen und Vizepräsidentin Petra Bläss keine Arbeitsplätze finden. 1999 betrug der Abwanderungssaldo minus 43 600. Fast 60 Prozent davon waren Menschen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren. ({5}) Der Sog in den Westen nimmt weiter zu. Zuletzt vermeldete Mecklenburg-Vorpommern für 2001 einen Anstieg der Abwanderung um 13 Prozent. ({6}) Der Herr Bundeskanzler verstärkt diese Abwanderung mit seiner Regierungspolitik, indem den Menschen Prämien dafür gezahlt werden, dass sie ihre Heimat in Ostdeutschland verlassen. Das ist verantwortungslos. ({7}) Wir müssen eine Politik machen, die Rahmenbedingungen dafür schafft, dass in den neuen Bundesländern Arbeitsplätze entstehen, anstatt hinzunehmen, dass die jungen Leute weggehen müssen, weil sie keine Arbeitsplätze finden. ({8}) Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, haben dafür gesorgt, dass das Jugendsofortprogramm - für das auch ich bin; denn es geht ja grundsätzlich darum, jungen Menschen zu helfen, Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu finden - jetzt auch die Zahlung so genannter Mobilitätshilfen umfasst, die wir schon aus dem SGB III kennen. 88 Prozent der Jugendlichen erhielten die Mobilitätshilfe als reine Prämie. Wer jung und qualifiziert ist, ist ohnehin mobil. Wer einen gut bezahlten Job im Westen findet, braucht nicht zusätzlich eine Prämie dafür zu erhalten, dass er den Osten verlässt. Stattdessen müssen wir dieses Geld in den ersten Arbeitsmarkt der jeweiligen Regionen in Ostdeutschland investieren. Wir können damit Existenzgründer mit innovativen Geschäftsideen fördern und so dort Arbeitsplätze schaffen, wo sie fehlen. Nur so können wir den Osten auf Dauer stärken und verhindern, dass er ausblutet. Ich denke auch daran, dass gerade die Geburtenrate drastisch eingebrochen ist. Allein in Sachsen werden wir im Jahr 2009 nur noch die Hälfte der Schulabgänger im Vergleich zu heute haben. Wir brauchen für die neuen Bundesländer innovative Strategien. Der wirtschaftliche Aufschwung ist mit der Entwicklung einer leistungsfähigen Infrastruktur in den neuen Ländern untrennbar verbunden. Hier liegt einiges im Argen. Der ehemalige Präsident der Wissenschaftsgemeinschaft Leibniz Professor Pobell hat im letzten Jahr in der „Süddeutschen Zeitung“ die Situation des Wissenschaftsstandorts neue Bundesländer wie folgt beschrieben: In Relation zur Bevölkerung gibt es in den neuen Ländern viermal weniger Wissenschaftler als in den alten Ländern und die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung im Wirtschaftssektor sind zum Beispiel in Baden-Württemberg zehnmal höher als in Sachsen und 40-mal höher als in Sachsen-Anhalt. Das ist ein Problem. Wir brauchen mehr Forschungskompetenz, mehr Wissenschaftler und mehr Kompetenzzentren in den strukturschwachen Regionen der neuen Bundesländer, um zukunftssichere Arbeitsplätze zu schaffen. ({9}) Ich verstehe nicht, warum Sie unsere Vorschläge in dieser Richtung ständig ablehnen. Wir haben bei den Haushaltsberatungen ein Hochschulsonderprogramm vorgeschlagen. Sie haben es abgelehnt. Aber genau das tut in den neuen Bundesländern Not. Es gibt jedoch auch gute Beispiele. Bereits heute haben sich in Ostdeutschland Wachstumsregionen herausgebildet, in denen sich um die Hochschulen und Forschungseinrichtungen Wirtschaftsbetriebe aus dem Hochtechnologiebereich angesiedelt haben. Ein gutes Beispiel ist der Forschungsstandort Berlin-Buch. Hier ist es gelungen, die Akademieforschung alter DDR-Prägung schrittweise auf Weltniveau zu bringen. Das Max-Delbrück-Centrum konzentrierte sich auf Spitzenforschungsbereiche, was natürlich einschneidende personelle Konsequenzen erforderte. Heute sind in Berlin-Buch mehr Menschen als vor der politischen Wende 1990 beschäftigt. Dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Aber daraus müssen wir lernen. Die Stärkung dieser Wissenschaftsregionen wird dazu beitragen, dass es Wachstumszentren in den neuen Ländern geben wird, wie wir sie auch aus Halle, Dresden, Leipzig, Erfurt, Chemnitz und Jena kennen. ({10}) Diese Beispiele zeigen, dass der Anschluss des Ostens keine Utopie ist. Die damalige Bundesregierung unter Beteiligung der FDP hat den Bio-Regio-Wettbewerb ins Leben gerufen. Ich glaube, dass dieser Bio-Regio-Wettbewerb eine Erfolgsstory in den neuen Bundesländern war. ({11}) Diese müssen wir fortsetzen. Hier hat damals eine Bundesregierung nicht nur Geld in die Hand genommen, sondern sie hat es ganz im Gegensatz zu Ihrem Inno-Regio-Wettbewerb, meine Damen und Herren von der rot-grünen Regierungskoalition, auch zeitnah an die beteiligten Akteure vergeben. Das Geld fließt wegen irgendwelcher bürokratischer Abläufe, die ich bei einer so hohen Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern einfach nicht nachvollziehen kann, eben nicht in die Forschungsunternehmen. ({12}) Wenn wir über die Zukunftsinvestitionen in den neuen Bundesländern reden, dürfen wir dabei nicht den Mittelstand vergessen. Morgen werden wir als vorletzten Punkt der Tagesordnung den Antrag der FDP gegen den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Tarifzwang im öffentlichen Vergaberecht debattieren. Dieser Antrag richtet sich gegen die Initiative der Regierungskoalition, ein Gesetz zu erlassen, das insbesondere der Bauindustrie in den neuen Ländern ihren letzten Wettbewerbsvorteil nimmt. ({13}) Wenn die ostdeutschen Unternehmen tatsächlich gezwungen werden sollten, die von westdeutschen Gewerkschaftsfunktionären ausgehandelten Tarife an ihre Mitarbeiter zu zahlen, würde dies eine Flut von Firmenpleiten im Osten nach sich ziehen. Das muss verhindert werden. ({14}) Sie debattieren schon lange nicht mehr öffentlich darüber. Wahrscheinlich trauen Sie sich nicht zu debattieren. Ich darf darauf hinweisen, dass dieses Gesetz öffentliche Bauaufträge im Schnitt um mindestens 5 Prozent verteuert. Das alles bezahlen die Kommunen in Deutschland und damit im Übrigen der Steuerzahler. ({15}) Darüber hinaus ist dieses Gesetz verfassungsrechtlich äußerst bedenklich und behindert den Wettbewerb. Trotzdem bleibt es Verfassungsauftrag, die Lebensverhältnisse in Deutschland zu vereinheitlichen. Daran wollen wir als Freie Demokratische Partei mitarbeiten. Wir brauchen eine klare Perspektive für die Ostdeutschen, auch was die Lohnangleichung anbelangt, aber eben nicht zulasten bestehender Arbeitsplätze im Mittelstand. ({16}) Meine Damen und Herren, die Produktivität wächst mit der industriellen Basis. Die Leistungskraft ostdeutscher Firmen ist sehr hoch. Unser oberstes Ziel ist es, die Wirtschaftskraft des Ostens zu stärken, um zukünftig gleiche Löhne zu erreichen. Dabei sollen sich einmal diejenigen an die Nase fassen, die gerade Investitionen in den neuen Bundesländern verhandeln. Jetzt schaue ich einmal zu meinen Kollegen von der PDS. Auch sie haben in Sachsen-Anhalt dazu beigetragen, dass ein interessanter Investitionsstandort für BMW eben nicht interessant war, weil Sachsen-Anhalt einen schlechten Ruf hat. ({17}) Meine Damen und Herren, Sie können notwendige Reformen nicht dadurch wettmachen, dass Sie die vermeintliche Rettung einzelner Unternehmen medienwirksam inszenieren. Von welcher Dauer sind denn Ihre Eingriffe? Geht heute Holzmann und morgen vielleicht Bombardier in Halle-Ammendorf? Ich habe im Februar eine Frage an das Verkehrsministerium gestellt, nachdem Herr Mehdorn in der „FAZ“ mit der Äußerung zitiert worden war, das Bombardier-Werk in Halle-Ammendorf werde von der Deutschen Bahn AG keine neuen oder vorgezogenen Aufträge erhalten. ({18}) Was ist denn von Ihrem Rettungskonzept für den Waggonbau Halle-Ammendorf eigentlich übrig geblieben? Endet nach Ihrem Konzept ein großartiger Industriebetrieb in Halle-Ammendorf, der modernste Waggonbauer, als einfaches Instandhaltungswerk der Deutschen Bahn? ({19}) Sie vernichten damit einen großartigen Industriestandort in Sachsen-Anhalt. Das ist Ihre Politik, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition. ({20})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Pieper, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hanewinckel?

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber gerne.

Christel Hanewinckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Pieper, Sie haben eben die rhetorische Frage in den Raum gestellt: Was ist denn von Bombardier in Ammendorf übrig geblieben? Meines Wissens leben Sie immer noch in Halle an der Saale. Nun muss ich Sie fragen: Sie sind nicht in den letzten Wochen im Bombardier-Werk in Ammendorf gewesen?

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Doch! ({0})

Christel Hanewinckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, wahrscheinlich, weil keine Presse dabei war. - Sie sollten wissen, dass dieses Werk weiter besteht und dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sehr froh darüber sind. ({0}) - Ich habe sie ja gefragt, ob sie das weiß. Sie weiß es offenbar nicht, wenn sie solch eine rhetorische Frage stellt. Deshalb noch einmal meine Frage: Haben Sie das nicht wahrgenommen? Wissen Sie nicht, dass Ammendorf nach wie vor besteht und dass es mehr Aufträge als vorher gibt, unabhängig davon, woher sie kommen? ({1}) Sie schreiben immer die Wirtschaftspolitik auf Ihre Fahnen. Wissen Sie auch nicht, dass die Vergabepraxis so ist, wie sie ist, und dass keine Bundesregierung sagen kann, wohin einzelne Unternehmen ihre Aufträge vergeben sollen? Dann hätten Sie nämlich laut aufgeschrien. Es gab da lange Verhandlungen. An dieser Stelle ist noch sehr viel mehr als das passiert, was Sie jetzt hier klein zu reden versuchen. Ich bin sehr gespannt auf Ihre Antwort. ({2})

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Frau Hanewinckel, ich wünsche mir eine Zukunft für die rund 900 Mitarbeiter im Waggonbau Halle-Ammendorf. Aber wenn ich dort bin, nehme ich nicht immer einen Journalisten mit, wie es der Bundeskanzler und Reinhard Höppner tun. ({0}) Ich sage Ihnen ganz klar: Ich kenne keinen neuen Auftrag für den Waggonbau Halle-Ammendorf. Der ist noch nicht erkennbar. Wir brauchen dringend ein Überleben dieses Industriebetriebes. Dafür aber - darum können Sie nicht herumreden - brauchen wir Aufträge. Meine Damen und Herren, zu den Ursachen für die Probleme in den neuen Bundesländern gibt es viel zu sagen. Wir als FDP-Bundestagsfraktion haben damals ein Niedrigsteuergebiet Ost vorgeschlagen. Hätten wir das mal gemacht! Dann wären heute die Probleme in den neuen Bundesländern nicht so groß; dann wäre die Wirtschaftskraft stärker. ({1}) Damals haben auch Bundesfinanzminister Waigel, die CSU und der bayerische Ministerpräsident verhindert, dass es dieses Niedrigsteuergebiet Ost gibt. Für die FDP sage ich Ihnen ganz klar: Wir brauchen ein gesamtdeutsches Niedrigsteuergebiet mit einfachen und sozial gerechten Steuersätzen. ({2}) Auch das wird ein Befreiungsschlag für die neuen Bundesländer sein, insbesondere für den Mittelstand. Tun wir mehr für die Existenzgründer! Ostdeutschland hat viel zu wenige Unternehmen. Wir brauchen dringend Arbeitsplätze, damit die Menschen, vor allem junge Menschen, Ostdeutschland nicht verlassen, sondern dort ihre Heimat haben. Vielen Dank. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Sabine Kaspereit.

Sabine Kaspereit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Pieper, das war also Ihr großer Auftritt, den Ihre Fraktion für Sie drei Tage vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt arrangiert hat. Die Vorstellung, die Sie heute im Deutschen Bundestag abgeliefert haben, war wirklich alles andere als stark. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Kaspereit, es gibt sofort eine Frage der Kollegin Pieper. Wollen Sie sie zulassen? ({0})

Sabine Kaspereit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Im Moment nicht. - Fazit: Der Unterhaltungswert Ihrer Rede war gering und brachte in der Sache nichts Neues; Sie haben sich bestenfalls mit fremden Federn geschmückt. Hinzu kamen die immer gleiche Polemik, die zum Teil auch gehässigen persönlichen Angriffe auf Mitglieder der Landes- und Bundesregierung und die großmäuligen Versprechungen, von denen Sie wissen, dass sie nicht erfüllbar sind. Ich komme auf Details aus Ihrem alten Antrag, den Sie doch zum Vorwand für diese durchsichtige Wahlkampfaktion nehmen, noch zu sprechen. Es fehlte nur noch, dass Sie hier mit Ihrem pompösen Seidenkleidchen mit der 18-Prozent-Schärpe - vermutlich aus Fallschirmseide - aufgetreten wären. Das ist also die neue FDP unter der Spielleitung der Herren Westerwelle und Möllemann, die FDP mit der Fallschirmspringermentalität. ({0}) Nun, Frau Pieper, wir werden ja am Sonntag sehen, ob Ihr Fallschirm aufgehen wird und wie weit er Sie trägt. Vielleicht landen Sie ja auch da, wo Sie vor wenigen Wochen in Bayern gelandet sind und haben sich mal eben nur in der Kommastelle geirrt. ({1}) Wir haben in den letzten Monaten oft über die Lage in den neuen Ländern diskutiert. Erst in der vergangenen Sitzungswoche wurde sehr ausführlich über den Aufbau Ost gesprochen. Das war am 21. März. Alle Argumente zu diesem Thema wurden ausgetauscht. Die Opposition hat die Bundesregierung kritisiert; das ist ihr gutes Recht. Die Regierungsfraktionen haben die Bundesregierung gegenüber unberechtigter Kritik verteidigt; das ist ebenfalls ihr Recht und war zu erwarten. Es gibt seither keinen einzigen Grund für eine erneute Befassung mit diesem Thema im Deutschen Bundestag. Es gibt keine neuen Erkenntnisse, ({2}) keine neuen Fakten, noch nicht einmal einen neuen FDPAntrag, der dem Deutschen Bundestag zugeleitet worden wäre - nichts von alledem! Es gibt nicht einmal eine öffentlichkeitswirksamere, publikumsträchtigere Debattenzeit, denn auch die letzte Ostdebatte fand in der Kernzeit statt. ({3}) Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP, haben Ihren Antrag am 21. März aus einem einzigen Grund von der Tagesordnung genommen: um den Deutschen Bundestag als wohlfeile Wahlkampftribüne zu missbrauchen, die Ihre Parteikasse schont. Sie zwingen die anderen Parteien qua Geschäftsordnung des Hauses, dieses unwürdige Spiel mitzuspielen, und instrumentalisieren die Mitglieder Ihrer Fraktion zu Claqueuren. ({4}) Frau Pieper, Sie können ja den Menschen das Blaue vom Himmel versprechen. Ich allerdings sage den BürgeCornelia Pieper rinnen und Bürgern in Sachsen-Anhalt, sie sollten sich an den Taten der FDP im Deutschen Bundestag orientieren. ({5}) Hier aber, Frau Pieper, sieht Ihre Bilanz ganz düster aus. Ich nenne als erstes Beispiel den Länderfinanzausgleich. Wir erinnern uns: Der Länderfinanzausgleich wurde im vergangenen Jahr neu geregelt, jedoch ohne die Zustimmung der FDP im Deutschen Bundestag. ({6}) Als einzige Partei hat sich die FDP verweigert. Das will ich einmal festhalten. ({7}) Worum geht es im Länderfinanzausgleich? - Mit dem Länderfinanzausgleich sind die finanziellen Grundlagen der neuen Länder und ihrer Kommunen langfristig gesichert worden. Das ist für Ostdeutsche ein eminent wichtiges Ereignis. Wenn wir damit die staatliche Eigenständigkeit der ostdeutschen Länder garantieren, ist das etwas sehr Wichtiges. ({8}) Dem Versuch, über das Entfallen der finanziellen Zuweisungen im Länderfinanzausgleich eine föderale Neuordnung der Bundesrepublik zu erzwingen, wurde damit eine eindeutige Absage erteilt. Das Engagement der FDP an dieser Stelle: Fehlanzeige! Zweites Beispiel, der Solidarpakt II. Der Solidarpakt I wurde über das Jahr 2004 bis zum Jahr 2019 verlängert, und zwar ohne die Zustimmung der FDP im Deutschen Bundestag. Sie, Frau Pieper, waren dagegen. ({9}) Ich will für die Wählerinnen und Wähler in Sachsen-Anhalt einmal festhalten, was der Solidarpakt II für die neuen Länder bedeutet. Er bedeutet Milliardenhilfen des Bundes für die neuen Länder und Planungssicherheit für die öffentlichen und privaten Investoren. Bis 2019 können die ostdeutschen Länder, Kommunen und privaten Investoren auf insgesamt 156 Milliarden Euro - das sind mehr als 300 Milliarden DM - an Bundeshilfe rechnen. ({10}) Damit werden Schulen und Universitäten, Krankenhäuser und Altenheime gebaut, Straßen, Brücken, Schienen und Wasserwege, Wasserversorgungs- und Entwässerungsanlagen modernisiert und auf den neuesten Stand gesetzt. All das wird durch den Solidarpakt II möglich. Das ist ein Glanzstück der Reformpolitik dieser Bundesregierung, dem Sie sich als einzige Partei in diesem Hohen Hause verweigert haben. ({11}) Das erklären Sie einmal den Ostdeutschen! ({12}) - Sie müssen es nicht mir erklären. ({13}) - Erklären Sie das den ostdeutschen Bürgerinnen und Bürgern, besonders in Sachsen-Anhalt, deren Ministerpräsidentin Sie ja werden wollen. ({14}) Meine Damen und Herren, ich habe mich gewundert, dass es die FDP nicht einmal für nötig erachtet hat, einen neuen Antrag als Anlass für diese Debatte vorzulegen. Der FDP-Antrag auf Drucksache 14/6066 vom Frühjahr des vergangenen Jahres war schon veraltet, als er am 16. Mai 2001 vorgelegt wurde. Im Übrigen muss ich gestehen, dass ich selten einen Antrag gelesen habe, der so schlecht gearbeitet und so unseriös ist wie dieser. Er stellt sogar noch alles in den Schatten, was wir von der PDS-Fraktion gewöhnt sind. Ich will gar nicht weiter auf die Ausgabenseite Ihres Antrags zu sprechen kommen, auf die milliardenschweren Forderungen wie: Sonderprogramm EU-Osterweiterung - Kostenpunkt schlappe 3 Milliarden Euro; neues Hochschulprogramm Ost - Kostenpunkt unbekannt; Rücknahme der Kürzungen für die Leibniz-Gesellschaft; Stärkung der Industrieforschung - Kostenpunkt unbekannt; 1-Milliarde-Wohnungsabrissprogramm. Wie nicht anders zu erwarten, haben Sie für all das keine Finanzierungsvorschläge für den Finanzminister. Geradezu atemberaubend sind die steuerpolitischen Höhepunkte Ihres Antrages: Abschaffung der Ökosteuer ({15}) - Einnahmeausfälle allein im Jahre 2002 gut 14 Milliarden Euro; Wiederherstellung der alten Abschreibungsregelungen - Einnahmeausfälle mehr als 1 Milliarde Euro; ({16}) Vorziehen der für 2005 vorgesehenen Steuerreformstufe - Einnahmeausfälle 65 Milliarden Euro; Abschaffung des Scheinselbstständigengesetzes und der 630-DMRegelung - Einnahmeausfälle 2,7 Milliarden Euro. Das alles hat doch mit seriöser Politik nichts zu tun! ({17}) Statt in sich zu gehen und nachzurechnen, setzen Sie sogar noch einen drauf. Neulich hat die FDP ihre steuerpolitischen Vorschläge der staunenden Öffentlichkeit in einem Papier zur Kenntnis gegeben und es den Wählerinnen und Wählern präsentiert: Knapp 77 Milliarden Euro oder 150 Milliarden DM würden die FDP-Vorschläge kosten, hat das Bundesfinanzministerium ausgerechnet. ({18}) - Gehen wir ruhig um 10 Milliarden herunter, das ist immer noch genug. Darin enthalten sind aber nicht einmal die Steuerausfälle aus der Abschaffung der Ökosteuer. Es ist eine Luftnummer, die Sie auf Ihrer Showbühne verkaufen. Auch das Rechenkunststück, wonach Sie, Frau Pieper, mit 18 Prozent Ministerpräsidentin werden, kann ich nicht nachvollziehen. So schließt sich der Kreis zu der heutigen Vorstellung der Dame mit der Schärpe und zu der Fallschirmspringermentalität einer Partei, die sich in besseren Tagen gerne Partei der Mäßigung und der Vernunft nennen ließ. ({19}) Ich weiß wirklich nicht, ob Sie sich mit der heutigen Debatte einen Gefallen getan haben. Meine Landsleute mögen sicherlich Shows und kennen auch „Big Brother“. Aber sie können auch rechnen. ({20})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion der CDU/CSU hat jetzt das Wort der Kollege Günter Nooke.

Günter Nooke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Es war ja die Fraktion der FDP, die diese Debatte beantragt hat. Es besteht in der Tat Handlungsbedarf bei der schröderschen Chefsache Aufbau Ost. ({0}) Ich glaube, wir müssen darüber noch einmal ernsthaft diskutieren. Noch eine Vorbemerkung: Das letzte Mal waren wir es, die eine Debatte über den Aufbau Ost beantragt haben. Mich wundert schon, dass die Koalitionsfraktionen in den letzten Jahren nicht einen einzigen Antrag zu dem wichtigen Thema „Aufbau Ost“ zustande gebracht und keinen einzigen substanziellen Vorschlag gemacht haben. ({1}) Heute wollten Sie zwar den Entwurf eines Vorleistungssicherungsgesetzes einbringen, mit dem die Zahlungsmoral verbessert werden sollte. Aber selbst dieser Tagesordnungspunkt musste wieder abgesetzt werden, weil Sie sich offensichtlich nicht einig sind. ({2}) Es bleibt also dabei: Sie haben nicht einen einzigen substanziellen Beitrag zum Thema „Aufbau Ost“ geleistet. ({3}) Ich vermute, das Thema „Aufbau Ost“ ist der SPD schlichtweg peinlich; denn nirgends sonst wird das Scheitern der rot-grünen Bundesregierung so deutlich wie bei der angeblichen Chefsache Aufbau Ost. ({4}) Es ist Ihnen aber dank der von uns beantragten Debatten nicht gelungen, dieses Thema totzuschweigen. ({5}) Ich habe ja Herrn Schwanitz einmal den „Spindoctor der Schweigespirale“ genannt. Ich weiß nicht, ob es so intelligent war, dass Sie geschwiegen haben. Auf jeden Fall wollen Sie über den Aufbau Ost nicht reden. Wenn ich mir das anschaue, was mir in den letzten Tagen aufgefallen ist, dann stelle ich fest: Es ist noch schlimmer. Deutschland - so hat es auch Kanzlerkandidat Edmund Stoiber gesagt - hat ernste Probleme im Osten. ({6}) Es geht darum, dass alle in Ost- und Westdeutschland diese Herausforderungen annehmen und sie gemeinsam meistern. ({7}) Darüber zu schweigen schadet, weil es uns davon abhält, die richtigen und notwendigen Schritte zu gehen. In einem EU-Bericht, der in dieser Woche erschienen ist und der ja wohl nicht ohne Zuarbeiten der Bundesregierung zustande gekommen ist, wird die Meinung verbreitet, Deutschland habe in Europa nur deshalb die rote Laterne, weil es solche Probleme im Osten habe. ({8}) Ich glaube, daran wird deutlich, dass Sie sich mit Hinweis auf die Probleme mit der deutschen Einheit und auf das geringere Wirtschaftswachstum im Osten Deutschlands dafür zu entschuldigen versuchen, dass Sie eine schlechte Politik für den ganzen Standort Deutschland machen, also nicht nur für die alten, sondern auch für die neuen Bundesländer. ({9}) Sie sollten sich einmal vor Augen führen, welche Wirkung es hat, wenn Sie behaupten: Nur wegen des Ostens stehen wir so schlecht da. Soll denn in Deutschland quasi wie in Italien nur noch der Norden zählen? Wird es dann vielleicht auch in Deutschland eine Liga Nord geben? Sollen vielleicht Süditalien und Sizilien bei der Berechnung des Wirtschaftswachstums in Italien nicht berücksichtigt werden? So können wir in Deutschland doch nicht rechnen! Die Wachstumsraten sind zum Beispiel auch in Ostfriesland niedriger als in anderen Regionen. Eine solche Entschuldigung lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Im Wahlkampf 1998 haben Sie noch von der Chefsache Aufbau Ost gesprochen. Im Wahlkampf 2002 gibt es nur noch die Ausrede Ost. Auch damit kommen Sie bei uns nicht durch. ({10}) Lassen Sie mich noch einen anderen Punkt ansprechen, der in der letzten Woche eine Rolle gespielt hat und der auch mit dem Osten zu tun hat. Deutsche Außenpolitik findet jetzt offenbar in der Talkshow von Alfred Biolek im Nationaltheater in Weimar statt. Es ist nicht sehr witzig, wenn der Moderator fragt, ob es bei der Stasi und dem KGB in etwa so zugegangen sei wie bei James Bond. So war die DDR nicht! Die Stasi und der KGB waren für viele Menschen in der DDR existenzbedrohend und -vernichtend. So witzig kann man Politik nicht abhandeln. ({11}) Ich finde es auch etwas verwunderlich, wenn sich der russische Präsident beim Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland bedankt und ihn als anständigen Menschen bezeichnet, ({12}) weil er nicht nur einen Kontakt zu einer ehemaligen StasiFreundin ermöglicht hat, sondern diese Stasi-Freundin, die die Frau des ehemaligen Chefs der Staatssicherheit in Dresden ist, auch zum Staatsbesuch einlädt, damit Putin gemeinsam mit ihr auf einem Dampfer die Elbe entlangfahren kann. So geht das nicht. Sie müssen sich einmal klarmachen, was für Fragen einige SED-Opfer und andere stellen. ({13}) Sie können doch nicht behaupten, dass da eine neue Männerfreundschaft zwischen Putin und Schröder entsteht. Mir wurde die Frage gestellt, ob sich Putin als Schröders neuer Führungsoffizier profiliert. So kommt das an. Das ist die Realität. ({14}) Wir haben unseren Antrag, über den wir vor kurzer Zeit hier beraten haben, mit dem Titel „Deutschland 2015“ überschrieben. Sie wissen, dass es uns darum geht, einen zweiten Anlauf für den Aufbau Ost unter der Überschrift „Im Osten was Neues“ zu wagen. ({15}) Lassen Sie mich über das Thema „befristete Öffnungsund Experimentierklauseln“ sprechen. Durch befristete Öffnungs- und Experimentierklauseln soll mehr Freiheit für eigene Wege in den neuen Bundesländern geschaffen werden. ({16}) - Das werden wir sehen. Herr Küster, seien Sie doch einmal ruhig und hören Sie einfach zu! Ein Minister, der der SPD angehört, erklärt immer nur - das wissen Sie ganz genau -, warum etwas nicht geht. Verfassungsrechtlich betrachtet befinden wir uns auf der sicheren Seite. Es ist keineswegs richtig, dass die Landesregierungen von Sachsen oder eines anderen Landes behaupten, das gehe nicht. Wir arbeiten daran, Vorschläge für die konkrete Umsetzung vorzulegen. ({17}) Edmund Stoiber hat keineswegs eine Sonderwirtschaftszone für den Osten gefordert. Vielmehr hat er Sonderregelungen gefordert, um schneller dorthin zu kommen, wo wir alle in Deutschland hinkommen müssen. Wir sind ja bereit, in den neuen Bundesländern voranzugehen. ({18}) Geben Sie uns befristet - wenn es klappt, für immer und vielleicht nicht nur in den neuen Bundesländern - die Möglichkeit, überflüssige Bundesregelungen und -gesetze außer Kraft zu setzen, Bürokratie abzubauen sowie Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsverfahren zu vereinfachen! Geben Sie uns die Möglichkeit, einfach schneller sein zu können, was heute fast die wichtigste Voraussetzung ist, wenn Sie in der Wirtschaft vorankommen wollen! ({19}) - Sie können gern mit Ihrem Ministerpräsidenten darüber reden. ({20}) - Herr Fornahl, wir sollten Herrn Milbradt erst einmal dazu gratulieren, dass er gewählt wurde. Glückwunsch an Herrn Milbradt! ({21}) Eigentlich wollten wir heute über Sachsen-Anhalt reden. Wir sind die Einzigen, die hier keinen Wahlkampf betreiben. Natürlich weiß ich, dass Herr Höppner mit seiner rot-roten Regierung nie den Mut aufbringen wird, Bürokratie abzubauen, sich selbst zurückzunehmen, zu dezentralisieren und eigene Verantwortung im Land zu übernehmen. Natürlich gibt es aber auch andere, CDU-geführte Bundesländer, wo das gemacht werden wird. Deshalb möchte ich darauf hinweisen, dass wir diese unkonventionellen Lösungen wollen. Wir sind sicher, dass das Schule macht und ein Beispiel für die alten Bundesländer sein kann. ({22}) Wir sollten in diesem Haus gemeinsam politische Entscheidungen treffen und nicht nur Verwaltungs- und Ministerialbürokratien fragen, was geht und was nicht geht. Ich hätte mich gefreut, wenn Herr Schwanitz und Herr Höppner nicht die Ersten gewesen wären, die die Hand heben und sagen: Das funktioniert alles nicht und ist verfassungsrechtlich bedenklich. Lassen Sie uns prüfen, was davon möglich ist. Ich bin sicher, es geht eine ganze Menge, und dann kommen wir wieder voran. ({23}) In unserem Antrag wurde die Lohnangleichung mit diesem Punkt in Zusammenhang gebracht. Wir haben uns dafür ausgesprochen, die Lohnangleichung bis 2007 schrittweise um jeweils zwei Prozentpunkte, zumindest für Bundesbedienstete, sicherzustellen. Sie wissen, dass das in Berlin besonders wichtig ist. Herr Schily zahlt im Innenministerium 100 Prozent West. Herr Bodewig darf in der Invalidenstraße im Bezirk Mitte - ehemaliger Osten nur den Osttarif zahlen und es höchstens hintenherum ausgleichen. Das kann nicht vernünftig sein; das kann nicht ewig so bleiben. Man müsste die Angleichung eigentlich noch viel schneller vorantreiben. Wir sollten uns aber wenigstens vornehmen, die Angleichung bis 2007 umzusetzen. Ich finde, dass die Mitarbeiter, die im Bundesumweltamt in Dessau arbeiten, das Gleiche verdienen sollten wie die Mitarbeiter, die im Bundesarchiv in Koblenz, an einem Gericht in Koblenz oder in Karlsruhe arbeiten. Die Menschen in Erfurt brauchen das Geld genauso wie diejenigen in Karlsruhe. Das ist eine Möglichkeit, die Kaufkraft in den neuen Bundesländern, die in den besten Regionen des Ostens schlechter ist als in den schlechtesten Regionen des Westens, zu stärken. Ich weiß, dass das Druck auf die Wirtschaft mit sich bringt. Ich sage aber ganz deutlich: Insgesamt werden wir als Niedriglohnland im Osten keine Chance haben. Wir müssen für die besten Kräfte in Deutschland im Osten eine Heimat schaffen und deshalb eine gute Bezahlung anbieten. ({24}) Warum habe ich das Thema Lohnangleichung noch einmal aufgegriffen? Mit viel Pomp haben Sie am 10. März einen Sonderparteitag in Magdeburg organisiert. Herr Höppner und der Bundeskanzler verkündeten: Auch wir sind für Lohnangleichung bis 2007. - Was ist letzte Woche bei der Kommandeurtagung der Bundeswehr in Hannover passiert, als der Kanzler darauf angesprochen wurde? - Alles einkassiert! Gibt es nicht! Geht nicht! Nicht bezahlbar! Machen wir nicht! ({25}) Insofern, Frau Kaspereit, haben Sie im Ausschuss ja schon gesagt, dass der Kanzler lügt. Sie müssen sich dazu schon noch einmal erklären. Wie ist denn nun der Stand bei der Lohnangleichung? Sie haben die Möglichkeit, dazu noch einmal Stellung zu nehmen. Ich hätte mich gefreut, Sie hätten es gleich gemacht. ({26})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Nooke, die Kollegin Kaspereit hat hierzu eine Frage. ({0})

Sabine Kaspereit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe nur eine sehr kurze Frage: Herr Nooke, wären Sie unter Umständen bereit, zurückzunehmen, dass ich gesagt hätte, der Kanzler lüge?

Günter Nooke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kaspereit, Sie haben im Ausschuss gesagt, Sie sähen das anders als der Kanzler; das werde nicht funktionieren. Das waren Ihre Worte. Ich möchte noch auf einen wichtigen Punkt hinweisen. ({0}) - Ich habe doch akzeptiert, dass sie nicht gesagt hat, der Kanzler lüge, sondern dass sie gesagt hat, der Kanzler sehe es so, wie sie es nicht sehe, ({1}) und dass sie der Meinung ist, es werde nicht funktionieren. Dazu müssen Sie als stellvertretende Fraktionsvorsitzende schon stehen. Wir sitzen gemeinsam im Ausschuss. Da müssen Sie halt aufpassen, was Sie sagen, Frau Kaspereit. ({2}) „Infrastruktur“ ist ein wichtiges Thema. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass der Bund seine Zuständigkeit für Fernstraßen, Schienenwege und Wasserstraßen zwischen 1991 und 1999 mit Investitionen von rund 43 Milliarden Euro in die Verkehrsinfrastruktur der neuen Bundesländer wahrgenommen hat. Dies entspricht 42 Prozent der gesamten Investitionen des Bundes in die Verkehrswege in diesem Zeitraum. Darin ist auch die Förderung von Investitionen in das Verkehrswegenetz der Länder und Kommunen und in Verkehrsknoten, also Hafenumschlagsanlagen, Anlagen des kombinierten Verkehrs usw., enthalten. Im Bereich der Verkehrsinfrastruktur der Länder und Kommunen kommt der Aufholprozess, den wir dringend brauchen, in den letzten Jahren nur ganz langsam voran. Der Bund beteiligt sich an den Investitionen über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Das DIW hat jetzt ausgerechnet, dass der Wert der Straßeninfrastruktur in den ostdeutschen Ländern im Jahr 2005 nur 60 Prozent des Niveaus der westdeutschen Bundesländer erreicht haben wird. Das ist immer noch bedrückend; denn wir wissen ja: Infrastrukturausbau ist das Wichtigste, was wir als Wirtschaftsförderungs- und Ansiedlungspolitik tun können. Es ist ja nicht Herr Tiefensee aus Leipzig, der große Projekte an Land gezogen hat, sondern es sind die Autobahnen und die Flughäfen, die zum Beispiel BMW dahin gebracht haben. ({3}) - Natürlich auch die sächsische Landespolitik, die dafür gesorgt hat, dass da investiert wird. ({4}) Die ostdeutschen Städte müssen nach Angaben des Deutschen Städtetages wegen der kritischen Finanzlage ihre Investitionen drastisch zurückfahren. Sie können die Investitionen in die Infrastruktur ohne Hilfe von außen nicht leisten. In diesem Jahr werden die Kommunen in den neuen Bundesländern voraussichtlich 8,5 Prozent weniger investieren als im Vorjahr. 2001 betrug der Rückgang 7 Prozent. Die Hauptursache für den Rückgang im vergangenen Jahr ist, denke ich, der dramatische Einbruch bei der Gewerbesteuer. In 2001 haben die ostdeutschen Städte durchschnittlich 17,5 Prozent weniger Gewerbesteuer eingenommen als im Vorjahr. Auch hieran wird deutlich, wie wichtig es wäre, unserer Forderung nach einer kommunalen Infrastrukturpauschale zu entsprechen, so wie sie schon im Sonderprogramm von Bernhard Vogel, dem Thüringer Ministerpräsidenten, vor einem Jahr vorgeschlagen wurde. Ein letzer Punkt. Die Beseitigung des Wohnungsleerstandes wird meines Erachtens im Antrag der FDP nicht deutlich genug angesprochen. Das ist in der Tat kein ganz einfaches Thema. Der Punkt „Wohnungsbau und Eigentumsentwicklung stärker fördern“ ist in der Sache schon richtig. Nur: Die Forderung, die Nachfrage nach Wohnungen in Ostdeutschland - Frau Pieper hört jetzt leider nicht zu - durch eine Wohngelderhöhung um 900 Millionen DM anzukurbeln, geht meines Erachtens in die falsche Richtung. Wir müssen nicht mehr Geld in das System Wohnungsbau hineingeben, glaube ich, sondern wir müssen das Geld, das darin ist, intelligenter verteilen. ({5}) Die Situation ist ja klar; aber wir können uns nicht damit herausreden, dass wir damit die Bauwirtschaft ankurbeln können. Wir waren bei der Förderung und den Abschreibungsmöglichkeiten fast zu erfolgreich. Beim Wirtschaftsgut Wohnung hat es einen Umschwung vom Vermieter- zum Mietermarkt gegeben. Wir hatten auch 1990 schon einen erheblichen Leerstand. Aber er ist unter Ihrer Regierung weiter gestiegen, in fast schon unermessliche Höhen. ({6}) Die Kosten bei der Verwaltung der Wohnungen sind kontinuierlich gestiegen; aber die Eigenkapitalquote der Wohnungsunternehmen ist in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken. Die Verschuldung je Quadratmeter Wohnfläche hat sich seit 1993 somit mehr als verdoppelt und liegt jetzt im Durchschnitt bei 600 DM pro Quadratmeter. Das gefährdet natürlich die Ertragskraft der Unternehmen extrem. Ein Wirtschaftsgut, das dauerhaft keinen Ertrag abwirft, verliert an Wert. Es ist dann langfristig kein Aktivposten mehr, sondern eine Belastung. Man kann nicht nur mit historischen Anschaffungspreisen oder Substanzwerten operieren. Irgendwann muss auch die Mietsituation der neuen Länder in die Berechnung eingehen; dann wird das durchschlagen. Lässt man die Wohnungsunternehmen in die Insolvenz trudeln - das sollten wir hier auch ganz klar sagen -, stellt sich die Frage, was dann gewonnen ist. Bei unsicherer Situation der Unternehmen können auch die Sparkassen und die Regionalbanken in erhebliche Turbulenzen geraten. Das hätte wiederum nicht auszudenkende Folgen für die Kommunen in den neuen Bundesländern. Wenn man einen Überschuss an Wohnungen hat, hilft es nicht, wie in vielen Regionen, neue Wohnungen zu bauen, sondern man muss schauen, dass das öffentliche Geld besser verteilt wird. ({7}) Wir müssen im Mietwohnungsbau auch über Rückbau reden, deutlicher gesagt: Es geht um Abriss dessen, was nicht gebraucht wird, von der Peripherie her. Selbstverständlich können wir nicht im Kern- bzw. Innenbereich der Städte einfach wahllos abreißen. ({8}) Ich will noch einmal deutlich sagen, dass es viel besser wäre - ich habe ja vorhin von Öffnungsklauseln und mehr Freiheit für eigene Wege in den neuen Bundesländern gesprochen -, wenn die Länder das Wohngeld - für alle, die es noch nicht wissen: Es ist jeweils hälftig vom Bund und von dem entsprechenden Land zu finanzieren - ganz zur Verfügung hätten und damit eigenständig Politik machen könnten. Dann wäre es zum Beispiel auch leichter, Mieter aus einzelnen Bereichen umzusiedeln oder umziehen zu lassen. ({9}) - Ja, umsiedeln, in dem Sinne, dass man den Mietern billigere Wohnungen anbietet und so weniger öffentliches Geld hereingibt, um dann dort zu sanieren oder abzureißen, wo es in das Konzept der Stadterneuerung in den neuen Bundesländern passt. Hier sind wirklich intelligentere Lösungen zur Verbesserung des Wohnumfeldes möglich. ({10}) Wir müssen natürlich unsere Städte so erneuern, dass junge Leute auf Dauer - über Abwanderung wurde ja schon gesprochen - Lust haben, im Osten zu bleiben und zu wohnen. ({11}) Ein verbessertes Wohnumfeld zieht immer Manager und andere Leute an, ein schlechtes schreckt ab. ({12}) Auch auf diese Weise kann ein Imagegewinn des Ostens erzielt werden. Lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Wir brauchen einen zweiten Anlauf, einen neuen Kraftakt für den Aufbau Ost, einen Aufschwung, der möglichst alle Regionen erreicht und nicht nur punktuell wirkt. Ich habe jetzt über das, was erreicht wurde, nicht so laut gesprochen. ({13}) Es war auch nicht nötig, weil das in Sachsen-Anhalt, wo am nächsten Sonntag Wahl ist, nicht vorkommt.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Nooke, Sie hatten den Schluss angekündigt. Ihre Redezeit ist gut überschritten. ({0})

Günter Nooke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, ich komme zum Schluss. - Wir kommen nur dahin, wenn wir den Mut haben, die Verantwortung nicht nur für das, was gut, sondern auch für das, was schlecht gelaufen ist, zu übernehmen. Am Sonntag übernehmen Sie bitte die Verantwortung für das, was in Sachsen-Anhalt schlecht gelaufen ist. Wir werden am 22. September die Verantwortung in Deutschland übernehmen, damit es wieder besser läuft. Danke schön. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat jetzt der Minister der Finanzen des Landes Sachsen-Anhalt, Wolfgang Gerhards. Wolfgang Gerhards, Minister ({0}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich wollte ich erst später reden und mich dabei darauf beschränken, darzustellen, wie ein ostdeutscher Finanzminister versucht, die Probleme in den Griff zu bekommen. Aber Frau Pieper und auch Herr Nooke haben diese Debatte nun als Wahlkampfplattform benutzt und ein paar Unfreundlichkeiten über das Land gesagt. Ich komme nicht umhin, das zunächst klarzustellen, und zwar relativ früh in der Debatte, damit sich da nichts Falsches festsetzt. Frau Pieper, Sie haben ein paar Sachen gesagt. Dazu kann ich nur sagen: Bestenfalls trübt Sie Ihre Erinnerung. Deshalb möchte ich einiges klarstellen. Sie haben sich am Schluss Ihrer Rede noch einmal dazu geäußert, wie Sie für eine anständige Kinderbetreuung und für ein gutes Hortgesetz gekämpft haben. Vergessen haben Sie da, dass Sie dabei zusammen mit der CDU immer schöne Standards gesetzt haben, aber die Finanzierung nicht gesichert haben. ({1}) - Gell. - Das hat zur Folge gehabt - darauf wird Herr Claus später sicherlich auch noch eingehen -, dass wir zusammen mit der PDS große Mühen gehabt haben, die Erwartung der Eltern, die Sie über Jahre hinweg geschürt haben, zu reduzieren und dafür zu sorgen, dass das überhaupt finanzierbar wird. Wie schwierig das gewesen ist, haben wir bei Bürgerinitiativen gesehen, hinter denen auch Herrschaften aus verschiedenen Parteien gestanden haben, die versucht haben, die Wahrheit zu verschleiern, und auch gegen die Interessen mancher Beschäftigten nicht akzeptiert haben, dass man von den Standards wieder herunterkommen musste. Rechtsansprüche schaffen und die Finanzierung nicht sicherstellen ist eine schöne Nummer, die Sie im Wahlkampf machen können; aber dass Sie uns auch jetzt noch, nach Jahren, erzählen, wie gut das gewesen sei, zeigt, dass Sie auf dem Weg über Berlin zur Ministerpräsidentenkandidatur irgendwann die Wahrheit vergessen haben. ({2}) Das geht dann noch weiter - das richte ich auch an Herrn Nooke -: Sie haben uns, als Sie 1994 abgewählt worden sind, etwas hinterlassen, nämlich eine Verwaltungsstruktur, die die schlechteste in ganz Ostdeutschland war. Wir haben große Mühen, diese jetzt einzustampfen. Sie haben eine zu kurz gesprungene Gebietsreform inszeniert, sodass wir noch immer viel zu kleine Kommunen haben und deren Zahl bis 2005 durch Änderungen in unserer kommunalen Gebietsstruktur mit aller Mühe drastisch reduzieren müssen. Das Gleiche gilt für die Funktionalreform, die wir durchführen müssen, weil die Verwaltung in Sachsen-Anhalt über Jahre hinweg kleinteilig und unübersichtlich aufgebaut worden ist. Das war auch in anderen Ländern der Fall; diese haben aber rechtzeitig die Notbremse gezogen und das nicht so laufen lassen. Wir jedoch haben einen völlig überbesetzten Verwaltungsapparat geerbt. Der Personalstand war in Sachsen-Anhalt noch höher als in anderen Ländern. Auch dieses müssen wir korrigieren. Die Erste, die sich an der Spitze dagegen stellt, ist die CDU. Auch das muss man einmal sagen, Herr Nooke. Ihr Parteifreund Becker, der bis vor zwei Jahren seine Mitarbeit signalisiert hat, ist der Erste, der im Lande Sachsen-Anhalt, je näher die Landtagswahl rückt, dagegen kämpft, dass wir eine ernsthafte Funktionalreform durchführen. Das ist die Wahrheit. ({3}) Das Dritte, das man einmal sagen muss: Sie haben auf die Bildungslandschaft abgehoben; das ist richtig. Aber Sie haben uns eine katastrophale Bildungslandschaft hinterlassen. Wir haben ein völlig ungegliedertes Hochschulsystem geerbt, ({4}) mit vielen Hochschulen, vielen Standorten, zwei medizinischen Fakultäten, einer Fachhochschullandschaft, die wir jetzt mühsam profilieren müssen. Das alles gehört zu dem, was Sie uns hinterlassen haben. Wie schwierig es ist, das zu korrigieren, das wissen Sie nun wirklich selber. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Vaatz? Wolfgang Gerhards, Minister ({0}): Aber bitte sehr.

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, ich kann mich im Augenblick nicht genau erinnern, wann Ihre SPD/PDS-Regierung das erste Mal gewählt worden ist. Können Sie das bitte noch einmal sagen? Wolfgang Gerhards, Minister ({0}): Ich nehme an, Sie wissen, dass das 1994 war.

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

1994? - Wenn ich jetzt richtig rechne, hatten Sie also acht Jahre Zeit. Vielen Dank. ({0}) Wolfgang Gerhards, Minister ({1}): Wissen Sie, wie groß die Sünden sind, die wir abarbeiten müssen? Da werden noch einmal vier Jahre erforderlich sein, um das richtig hinzubekommen. ({2}) Wir haben Mühe, das, was Ihre Parteifreunde in vier Jahren vermasselt haben, in einem Jahrzehnt wieder zurückzudrehen. Ich komme nun aber zu dem, weshalb ich eigentlich hier in den Bundestag gekommen bin.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Minister, bevor Sie fortfahren: Es gibt noch eine Frage der Kollegin Späte. Wolfgang Gerhards, Minister ({0}): Bitte sehr.

Margarete Späte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002802, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, Sie haben eben davon gesprochen, dass der innenpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Herr Curt Becker, keine Funktionalreform wolle. Habe ich das so richtig verstanden? Dann möchte ich Sie hier doch fragen, ob es nicht tatsächlich so ist, dass gerade die CDU-Landtagsfraktion die Funktionalreform immer wieder einfordert, die nämlich auf Länderebene noch nicht vollzogen wird und für die es auch keine Ansätze gibt. Gebietsreformen haben wir ja schon mehrfach hinter uns gebracht. Können Sie mir sagen, inwieweit Sie als Minister in der Landesregierung Sachsen-Anhalts eine Funktionalreform real durchführen? Wolfgang Gerhards, Minister ({0}): Richtig. Wir haben schon einiges gemacht: Wir haben bereits eine Reihe von Behördenstrukturen umgebaut und werden den Rest im Jahre 2005 angehen. Also sage ich Ihnen noch einmal: Ihr Kollege Becker, den Sie genannt haben, ist derjenige, der eine Funktionalreform gefordert hat, ganz wie Sie gesagt haben, weil er nämlich die Strukturen seinerzeit mit verantwortet hat. Aber jetzt, da wir sie wirklich durchführen, sagt er: Nein, so geht es nicht, dieses Amt bitte nicht und jenes auch nicht. - Das ist Ihre Art und die Art Ihrer Parteifreunde bei Verwaltungsreformen. ({1}) Mein Thema war aber ein anderes - darauf will ich mich jetzt beschränken -: Was machen wir mit dem Solidarpakt II und wie gehen wir den Aufbau Ost an? Da sage ich als Erstes: Wir haben im vergangenen Jahr durch mühsame Verhandlungen, an denen auch ich beteiligt war, die Grundlagen für den neuen Länderfinanzausgleich und den Solidarpakt II geschaffen. Wir brauchen keine neuen Sonderprogramme, wir brauchen keine Sonderfördergebiete und wir brauchen keine Ostnummern, sondern wir haben das nötige Instrumentarium. Das haben wir gemeinsam entwickelt, zum Teil gegen den Willen der FDP. Frau Pieper, Ihre Erinnerung ist da zumindest dünn. Die FDP hat beim Solidarpaktfortführungsgesetz dagegen gestimmt. ({2}) Ihre Kollegin Frick hat dagegen gesprochen; ich könnte Ihnen das hier vorlesen. Ich empfehle Ihnen, das Protokoll der 206. Bundestagssitzung vom 30. November 2001 zu lesen. Auf den Seiten 20 401 f. steht alles, was Frau Fricke gesagt hat und warum Sie bei der Abstimmung dagegen gestimmt haben. ({3}) - Sagen Sie nicht Nein; das ist doch so. Sie sind die Partei gewesen, die gegen das Solidarpaktfortführungsgesetz gestimmt hat, in dem nun einmal die Grundlagen enthalten sind. ({4}) Wir brauchen keine Sonderregeln bezüglich Verfahren und wir brauchen auch nicht dauernd frisches Geld. Wir müssen vielmehr das fortzusetzen, was wir schon begonnen haben. Ich habe in diesem Zusammenhang den Korb 2 bzw. 3 erwähnt: Wir brauchen künftig jährlich 10 Milliarden DM. Es ist alles in trockenen Tüchern; wir kriegen das hin. ({5}) - Ja, das schaffe ich. Wir haben schon eine ganze Menge erreicht. Sie müssten sich das selbst einmal anschauen und nicht immer nur Ihre Parteifreunde fragen, die offensichtlich auch nicht vor Ort gewesen sind. Was machen wir mit dem Geld? - Wir investieren in die Infrastruktur. Herr Nooke, Sie haben wenigstens einen Satz dazu gesagt. Bei Frau Pieper ist dieses Thema Infrastruktur überhaupt nicht vorgekommen; ich habe nichts davon gehört. ({6}) Wir müssen hauptsächlich in die Infrastruktur investieren und da vor allen Dingen in den Straßenbau. Wenn man zwei Stunden braucht, um die nächste Autobahn in 50 Kilometer Entfernung zu erreichen, dann ist das ein Standortnachteil. Das muss ich nicht weiter erklären; das haben alle begriffen. ({7}) Es gibt zusätzlich weiche Standortfaktoren wie Sozialeinrichtungen. ({8}) - Wir machen es ja, und wie! Wir bauen die Krankenhäuser, die Kindergärten und die Schulen aus. Das läuft sehr gut. Jeder, der ins Land kommt, kann das sehen. ({9}) Eine Sache kann ich wirklich nicht mehr ausstehen: Sie erzählen, dass das Land die rote Laterne habe, obwohl Sie uns diese rote Laterne übergeben haben. Im Gegensatz zu Ihnen machen wir nämlich eine ganze Menge. ({10}) Wenn Sie in unser Land kommen, dann können Sie sehen, was wir getan haben. Erzählen Sie also den Menschen nicht, es habe sich nichts bewegt! Zweiter Punkt. Wir investieren in die Bildung. Wir bauen die Hochschulen aus, sodass sie sich profilieren können und schlagkräftig sind. Bildung ist nämlich der Rohstoff für ein Land, das keine eigenen Rohstoffe hat und in dem die Schwerindustrie weggebrochen ist. Wenn die Bildungslandschaft ausgebaut wird, dann bleiben die Menschen im Land und es ziehen noch andere Menschen zu. Das funktioniert. ({11}) - Ja, eben. Wir haben in diesem Jahr keinen Abiturjahrgang gehabt. ({12}) Die Folge ist, dass die Universitäten so voll sind wie noch nie, weil wir nämlich inzwischen attraktive Hochschulstandorte bieten können. ({13}) Dadurch werden Menschen aus der ganzen Republik angezogen, die auch an diesen Orten bleiben. Genau das brauchen wir. ({14}) Dritter Punkt. Wir brauchen eine Wirtschaftsförderung, die daran anknüpft. Es müssen also Betriebe gefördert werden, die wichtig für den Aufschwung sind. Darunter verstehe ich nicht jede kleine Klitsche, die sich mit IT-Technologie beschäftigt. Dabei handelt es sich um innovative Betriebe, die mit den Hochschulen zusammenarbeiten und Netzwerke bilden. Auch wenn Sie es immer schlechtreden, muss man ganz deutlich sagen: Dieses funktioniert. Die kleinen und mittleren Unternehmen - und nicht die großen Leuchttürme, deren Zeit vorbei ist; auf ein paar Ausnahmen komme ich gleich noch zu sprechen - bilden die Basis für den Aufschwung und für die Schaffung von Arbeitsplätzen. Wir unterstützen zielgerichtet - und nicht mit der Gießkanne - Existenzgründer, aber nicht auf Kosten der vorhandenen Unternehmen. Man muss sich genau anschauen, wo man fördern will. ({15}) Man darf nicht weitere Elektrobetriebe fördern, wenn schon genug vorhanden sind. Man muss eine Branche auswählen, in der Existenzgründer gefördert werden sollen, damit sie in dieser Branche Fuß fassen können und damit sie die ersten fünf Jahre überstehen. Vielleicht muss man ihnen in der zweiten Phase, also in den nächsten fünf Jahren, noch einmal Geld zur Verfügung stellen. Das ist ein wichtiger Punkt. Vierter Punkt. Wir vermitteln den Unternehmen Knowhow, weil uns eine ganze Unternehmergeneration fehlt. Es gab in Ostdeutschland keine Kinder, die im Gespräch mit den Eltern gelernt haben, wie man einen Betrieb führt, und denen berichtet wurde, welche Sorgen ein Unternehmer hat. Dieses Defizit müssen wir mühsam aufarbeiten. Bezüglich des Know-how ist das der größte Nachteil gegenüber Westdeutschland. Wir müssen an dieser Stelle ansetzen und konsequent darangehen, Know-how zu vermitteln. ({16}) Darüber hinaus gibt es bei den Investitionen ein paar Punkte, die sehr wichtig sind und bei denen uns auch die Bundesregierung hilft. Der erste Punkt betrifft Ammendorf. Jeder weiß, wie schwierig es gewesen ist, den Waggonstandort in Halle-Ammendorf am Leben zu erhalten und dafür zu sorgen, dass er nicht kaputtgeht. Ich muss ausdrücklich sagen: Der Bundeskanzler hat zusammen mit der Bundesregierung das Nötige getan, um da zu helfen. ({17}) Derjenige, der als Erster gesagt hat, das werde niemals funktionieren und das sei eine Luftnummer, war Ihr Kollege, dieser Superwirtschaftswissenschaftler, der vor einigen Jahren die Bundesbahn zugrunde gerichtet hat. Das ist die Wahrheit. ({18})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Frage des Kollegen Vaatz? Wolfgang Gerhards, Minister ({0}): Aber bitte sehr.

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, hier ist, anknüpfend an Ihre Aussagen zur Bildungssituation in Sachsen-Anhalt, kürzlich das Gerücht aufgetaucht, dass das Minister Wolfgang Gerhards ({0}) Land Sachsen-Anhalt aus Sparsamkeitsgründen plane, das 14. Schuljahr einzuführen. Trifft das zu? ({1}) Wolfgang Gerhards, Minister ({2}): Herr Vaatz, ich finde, es ist unter Ihrem Niveau, über Gerüchte zu diskutieren. Ich muss einmal deutlich sagen: Wir sollten über Fakten sprechen und nicht über Gerüchte. Ihre Äußerung finde ich ein bisschen peinlich. ({3}) Zum nächsten Punkt. Eine weitere große Investition ist geplant. Gestern habe ich mit Freude vernommen, dass auch der Bund nunmehr bereit ist, eine Bürgschaft zu übernehmen, um das Zellstoffwerk in Arneburg zu installieren. Das wird ein bedeutender Beitrag für die Schaffung von langfristig gesicherten Arbeitsplätzen in der Region Altmark sein, wo es ganz besonders kneift. Das ist die Art der Investitionsförderung, die wir betreiben. Denn davon hängt sehr viel ab. Wenn diese Investition in die Tat umgesetzt wird, haben wir einen großen Treffer erzielt. ({4}) Es ist sehr wichtig, dass man sich auf Branchen konzentriert, in denen das möglich ist; das habe ich vorhin schon erklärt. Sie haben gefragt, was wir tun. Darauf antworte ich: Das ist das, was wir zusammen mit der Bundesregierung tun. Ich hoffe, dass das so bleibt. ({5}) Ich komme zum letzten Punkt; denn als Gast möchte ich meine Redezeit und Ihre Aufmerksamkeit nicht überstrapazieren. Wir haben im Augenblick noch ein Projekt, an dem unsere Landesregierung zusammen mit der sächsischen arbeitet. Dies ist ein ganz bedeutsames Projekt, das für die Zukunft sehr entscheidend sein kann. Es handelt sich um die Spallationsneutronenquelle, die wir zwischen Halle und Leipzig länderübergreifend, also auf der Ländergrenze, ansiedeln wollen. Beide Länder haben sich dazu entschlossen; denn die ostdeutschen Länder können - auch über Parteigrenzen hinweg - gut zusammenarbeiten. ({6}) Hier befinden wir uns in einem nationalen und internationalen Wettbewerb. Nationaler Wettbewerber ist der Standort Jülich in Nordrhein-Westfalen. Frau Pieper ist im August des vergangenen Jahres dort gewesen und hat gesagt, den Standort Jülich halte sie für richtig. Das sei der Standort, den sie bevorzuge. ({7}) Jedenfalls stand dies so in der Zeitung und ich gehe davon aus, dass es stimmt. Frau Pieper, ich frage Sie als Generalsekretärin, die, da sie Ministerpräsidentin werden will und auch bei der Wahl in Sachsen-Anhalt 18 Prozent erreichen möchte, besser mehr General und weniger Sekretärin sein sollte: Können Sie mir erklären, warum Sie dafür sind, dass die Spallationsneutronenquelle in Jülich angesiedelt wird und nicht in Halle-Leipzig? ({8}) Damit ich nicht mit Fragen schließe, will ich mich ausdrücklich dafür bedanken, dass in den vergangenen Jahren die Zusammenarbeit zum einen bei der Geldbeschaffung, was den Solidarpakt II angeht, und zum anderen bei der Umsetzung sehr gut geklappt hat. Gestatten Sie mir im Hinblick auf den Wahlkampf auch noch Folgendes: Ich hoffe, dass die Situation sowohl im Bund als auch im Land so bleibt und wir die erfolgreiche Arbeit fortsetzen können. Danke sehr. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zu einer - bitte wirklich kurzen - Kurzintervention gebe ich der Kollegin Cornelia Pieper das Wort.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich fühle mich zu dieser Intervention gezwungen, da Herr Gerhards genauso wie Frau Kaspereit der FDP unterstellt hat, sie habe dem Solidarpakt II am 5. Juli 2001 nicht zugestimmt. Ich möchte dazu feststellen: An diesem Tag - ich habe den entsprechenden Stenographischen Bericht in Händen - hat Frau Gisela Frick als steuerpolitische Expertin der FDP gesprochen. ({0}) Damals ging es um das Maßstäbegesetz, das wir vom Grundsatz her abgelehnt haben. Ich zitiere jetzt aus dem Stenographischen Bericht: Ich möchte ganz klar betonen, dass das nicht bedeutet, dass wir alle Abmachungen im Einzelnen ablehnen, insbesondere die nicht, die die Solidarität mit den neuen Ländern, also den Solidarpakt II, betreffen. Das ist hier gerade nicht das Thema. Es ist ganz selbstverständlich, dass immer wieder versucht wird, das in dieser Form umzumünzen. ... Wir stehen zur Solidarität mit den neuen Ländern; das ist bekannt. Wir wissen und unterstützen, dass weiterhin Finanzleistungen in die neuen Länder fließen. ({1}) Ich verwahre mich dagegen, dass diese Anschuldigungen immer wieder hier im Plenum und auch außerhalb von Berlin gemacht werden. Sie sind nicht richtig. Zudem soll die Spallationsneutronenquelle, Herr Minister Gerhards, nach Sachsen-Anhalt; ich weiß das. Es gibt auch noch den Bewerber Jülich als Forschungsstandort. Entschieden wird das alles erst im Jahre 2003. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich bin darüber mit Wissenschaftlern an der Martin-Luther-Universität im Gespräch. Zu dem Zeitpunkt, als sich Jülich um dieses europäische Forschungsprojekt beworben hat, wussten die noch nichts von dem Ansinnen der Landesregierung, sich daran gemeinsam mit Sachsen zu beteiligen. Sie sollten Ihre Informationspolitik gerade gegenüber den Bundestagsabgeordneten aus den neuen Ländern, besonders aus Sachsen-Anhalt, überdenken. Wenn sie anders wäre, könnte man gemeinsam vieles auf den Weg bringen. Dadurch, dass Sie eine solch schlechte Informationspolitik machen, verhindern Sie, dass in Sachsen-Anhalt ein guter Forschungsstandort entsteht. Das ist die Wahrheit. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zur Erwiderung gebe ich das Wort dem Finanzminister Wolfgang Gerhards. Wolfgang Gerhards, Minister ({0}): Es tut mir Leid, Frau Pieper, ich muss darauf antworten. Das Erste ist: Was immer Sie über Professoren erzählen, die das offenbar nicht gewusst haben, ändert nichts daran, dass Sie sich für Jülich ausgesprochen haben. Das wollen wir einmal klarstellen. Zweiter Punkt. Wenn Sie gestatten, Herr Präsident, werde ich jetzt aus dem Protokoll zitieren, damit ich nichts falsch mache. Es ist das Protokoll der 206. Sitzung des Deutschen Bundestages, Freitag, 30. November 2001, Seite 20 401. Es spricht für die FDP-Fraktion die Kollegin Professor Gisela Frick zum Solidarpaktfortführungsgesetz. Das ist das eigentlich spannende Gesetz gewesen. Sie hat unter anderem gesagt, es handle sich gegenüber dem bisherigen Rechtszustand um eine nochmalige Verschlechterung und keine Verbesserung. Wenn wir uns als FDP der Zustimmung zu diesem Gesetz verweigern ..., dann ist das nicht auf bösen Willen zurückzuführen ... Sie haben sich also dagegen ausgesprochen. Das zweite Zitat - ich lese ja jetzt nur vor, was seinerzeit gesagt worden ist -: Sie werden verstehen, dass die FDP-Fraktion dieses Solidarpaktfortführungsgesetz ablehnt. Das ist der Orginaltext des Protokolls. ({1}) Wir reden jetzt nicht über das Maßstäbegesetz; wir reden jetzt über das Solidarpaktfortführungsgesetz. In ihm sind die 206 Milliarden enthalten, um die es geht, und nicht im Maßstäbegesetz. Dritter Punkt. Auf der Seite 20 408 C ist das Abstimmungsergebnis dokumentiert. Da heißt es dann: „Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -“. Dann folgt die Feststellung der amtierenden Präsidentin: „Kollege Fromme und die FDP-Fraktion stimmen dagegen.“ Ich nehme doch an, dass dieses Protokoll korrekt ist. Deshalb sage ich noch einmal: Sie haben dagegen gestimmt; Sie haben Gründe gehabt. Sie haben sie genannt. Die können Sie heute für falsch halten, aber stellen Sie das doch nicht in Abrede. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe nunmehr für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen das Wort der Kollegin Steffi Lemke.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein wahlkampftaktisch platzierter Antrag bringt uns heute zum wiederholten Male eine Ostdebatte. Ich glaube allerdings nicht, Frau Pieper, dass sie den Osten voranbringt. Ich glaube zwar an die Kraft des Wortes, aber nicht daran, dass Sie durch monotone Wiederholung Ihrer Phrasen den Osten voranbringen. ({0}) Ihre Fraktion hat Ihnen den Weg für einen Antrag geebnet, den Sie hier für einen Showauftritt als Ministerpräsidentin in spe benutzen können. Ich prophezeie Ihnen, dass dieser Fallschirm, den Sie Sachsen-Anhalt als Rettung anbieten, am Sonntag nicht aufgehen wird. Ihr Auftritt heute war blass. Bereits vor vier Wochen hat Ihnen mein Kollege Werner Schulz bestätigt, dass der Neuigkeitsgehalt Ihrer Aussagen weit unterhalb der 18-ProzentMarge liegt. ({1}) Die 18 Prozent entschwinden immer weiter am Horizont. Verehrte Kollegen von der Opposition, ich glaube, Sie tun sich selbst, den neuen Bundesländern und dem Land Sachsen-Anhalt keinen Gefallen, wenn Sie einen Standort kleinreden, den Sie eigentlich groß machen wollen. ({2}) Sie wissen genauso gut wie wir alle hier im Saal, dass die positiven Wirtschaftsdaten in Sachsen-Anhalt und den anderen neuen Bundesländern vom Auftragsrückgang in der Bauwirtschaft überlagert werden und dass uns in erster Linie die Bauwirtschaft die negativen Wirtschaftsdaten im Osten beschert. Ich finde, dass zur Ehrlichkeit in der Politik gehört, dass Sie dafür die Verantwortung übernehmen. CDU und FDP haben dieses Problem geschaffen. Durch Ihre falsche Förderpolitik, durch die Sonderabschreibung Ost, ist dieses Problem entstanden. ({3}) Sie haben von 1990 bis 1998 durch ein falsches Steuersparmodell in den neuen Bundesländern Kapazitäten in der Bauwirtschaft aufgebaut, die an jeder Realität vorbei gegangen sind und die uns inzwischen Investitionsruinen in den neuen Bundesländern en masse beschert haben ({4}) und die zusätzlich dazu geführt haben, dass die Kommunen und die Länder an den Rand der maximal möglichen Verschuldung getrieben wurden, weil sie versucht haben, diese Maßnahmen kozufinanzieren. Ich will die Situation in meiner Heimat nicht schönreden, aber mit einer vollkommen undifferenzierten Schwarzmalerei, wie Sie sie seit Monaten, jetzt mit Ihrem Kanzlerkandidaten Stoiber an der Spitze, betreiben, schaden Sie dem Osten. ({5}) Lassen Sie sich von Wirtschaftsexperten erklären, welch negative Auswirkungen solche Schwarzmalerei auf die Wirtschaft in den neuen Ländern hat. Ihre Rote-LaterneKampagne - Ihr Kanzlerkandidat Stoiber sagt, Deutschland trägt die rote Laterne in Europa ({6}) und Sachsen-Anhalt in Deutschland - schadet, und als ob Sie nicht genug davon kriegen könnten, ergötzen Sie sich wöchentlich an diesen Tatbeständen. ({7}) Was hat Rot-Grün für den Aufbau Ost durchgesetzt? Die bedeutendste Entwicklung für die neuen Bundesländer ist der Erfolg bei der Fortführung des Solidarpakts. ({8}) Wir haben mit 150 Milliarden Planungssicherheit und die finanziellen Grundlagen für den Aufbau Ost bis 2020 geschaffen. Sie haben daran nicht mitgewirkt, Sie haben die Verhandlungen über den Solidarpakt II nicht konstruktiv begleitet. Der Solidarpakt II ist die wichtigste Grundlage für den Aufbau Ost für die nächsten Jahre. ({9}) Was tun wir für die Bauwirtschaft? Ich hatte darauf hingewiesen, dass die Bauwirtschaft im Moment das Sorgenkind bei den Wirtschaftsdaten ist. Wir haben das unsinnige Steuersparmodell, das Sie eingeführt hatten, inzwischen ein Stück weit kompensieren können, und zwar, indem wir bei der Städtebauentwicklung im Osten nicht einen quantitativen Zuwachs, sondern einen qualitativen Umbau erreicht haben. ({10}) - Herr Nooke, vielen Dank für Ihren Zwischenruf. Sie haben in Ihrer Rede das Stadtumbauprogramm Ost, das die rot-grüne Bundesregierung aufgelegt hat, minutenlang gelobt. Ich danke Ihnen dafür. Ich finde, dass man über die Parteigrenzen hinweg solche Erfolge durchaus gegenseitig anerkennen kann, wenn man am Osten interessiert ist. ({11}) Das Stadtumbauprogramm Ost wird für die Bauwirtschaft in den nächsten Jahren die Grundlage dafür sein, dass weitere Aufträge reinkommen und dort weiter gebaut werden kann. Es wird in den ostdeutschen Kommunen die Stadtentwicklung für die nächsten Jahre bestimmen. Wir werden mit einer internationalen Bauausstellung dieses Programm innovativ ausgestalten und dafür sorgen, dass das, was dem Osten bevorsteht, nämlich der Abriss von Wohnungen, vernünftig ausgestaltet wird und dort nicht einfach Plattenbauten weggenommen werden. Wir wollen zu einer qualitativen Neuausrichtung kommen. ({12}) - Das kann ich Ihnen, Frau Lengsfeld, genau erzählen. Ich hatte gedacht, dass die Ausführungen Ihres Kollegen Nooke Ihnen auf die Sprünge geholfen haben, aber wir können uns darüber gern noch einmal separat unterhalten. Wir haben mit dem KfW-Modernisierungsprogramm und dem Altbausanierungsprogramm die Grundlagen dafür gelegt, dass es in der Bauwirtschaft auch im Bereich der ökologischen Modernisierung weitere Auftragseingänge geben wird; denn im Neubau wird das nicht mehr passieren. Meine Damen und Herren von der CDU, ich darf Sie daran erinnern: Sie haben durch Ihre Blockade in der Altschuldenhilfeproblematik von 1994 bis 1998 den Wohnungsbauunternehmen in Ostdeutschland die größten Probleme bereitet, die wir heute noch lösen müssen und an denen wir im Interesse der ostdeutschen Kommunen in den nächsten Jahren weiter arbeiten müssen. ({13}) Wo sind neue Arbeitsplätze entstanden? Allein in den letzten beiden Jahren sind deutschlandweit in der Erneuerbare-Energien-Branche rund 60 000 neue zusätzliche Arbeitsplätze entstanden. Das bedeutet gleichzeitig die massive Förderung regionaler Wirtschaftsstrukturen, da diese Jobs hauptsächlich in mittelständischen Unternehmen und in strukturschwachen Regionen entstanden sind. Der größte Gewerbebetrieb in Magdeburg - ich habe das in der letzten Debatte schon angeführt, möchte aber noch einmal darauf eingehen - ist ein Windkraftanlagenhersteller, die Firma Enercon. Ich finde, dass Sie hier deutlich sagen sollten: Wer am kommenden Sonntag FDP wählt, wählt die Schließung von Enercon. Das, was Sie mit Ihrem Antrag im Deutschen Bundestag, der von der CDU unterstützt wird, zur Rücknahme des ErneuerbareEnergien-Gesetzes vorgelegt haben, wird dazu führen, dass der größte Gewerbebetrieb in der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts schließen wird. Das wird die Konsequenz Ihrer Politik sein. ({14}) Wenn auf der Hannover Messe der Unternehmensverband und die Unternehmer aus der Metall verarbeitenden Industrie die CDU und die FDP vor der Wahl - nicht danach, sondern vor der Wahl - auffordern, Klarheit darüber zu schaffen, ob sie dieses Gesetz fortführen wollen oder nicht, dann sollten sie das im Interesse der Wirtschaft insbesondere in den neuen Bundesländern und in SachsenAnhalt tun. ({15}) Wir werden gerade in Sachsen-Anhalt als dem ostdeutschen Bundesland mit der größten Abwanderung in Zukunft nicht mehr hauptsächlich über Arbeitslosigkeit diskutieren, sondern primär darüber, wie qualifizierte Arbeitskräfte in Sachsen-Anhalt zu halten bzw. nach Sachsen-Anhalt zurückzuholen sind. Ich begrüße ausdrücklich, dass die Chemieindustrie in Sachsen-Anhalt bereits jetzt vorausschauend auf dieses Problem eingeht und im Bündnis für Ausbildung und Jugend die Grundlagen dafür schafft, dass sie mit diesem Problem in geringerem Maße konfrontiert sein wird, indem sie jetzt weit über ihren Bedarf hinaus ausbildet, damit sie in Zukunft qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung hat. Ich glaube aber, dass wir insgesamt darüber diskutieren müssen, dass die Lebensbedingungen für junge Menschen in den neuen Bundesländern, dass die weichen Standortfaktoren zu verbessern sind, wenn wir die jungen Menschen dort halten wollen. Diese gehen nicht mehr nur deshalb weg, weil sie keinen Arbeitsplatz in Sachsen-Anhalt finden. Sie gehen vielmehr zunehmend weg, weil die Stimmung in Sachsen-Anhalt viel schlechter ist als die eigentlichen Wirtschaftsdaten und sie für sich dort keine Perspektiven und keine Zukunft sehen. Dies hat etwas damit zu tun - das bestätigen inzwischen auch die Wirtschaftsforschungsinstitute -, dass innovative moderne Unternehmen nicht dorthin gehen, wo es am billigsten ist. Wir werden aufhören müssen, in Sachsen-Anhalt um die billigsten Löhne, die schlechtesten Tarifverträge und die schlechtesten Arbeitnehmerbedingungen zu konkurrieren, wenn wir Arbeitnehmer im Osten halten wollen. ({16}) Ich glaube im Übrigen auch, dass die schlechte Stimmung in meinem Heimatland Sachsen-Anhalt etwas damit zu tun hat, dass die Menschen spüren, dass die Ministerpräsidentenkandidaten, die am kommenden Sonntag zur Wahl stehen, nicht die Zukunft für Sachsen-Anhalt bedeuten. ({17}) Sie spüren, dass es dort eines anderen Personalangebots als einiger Spaßkandidaten und als das, was die CDU mit Herrn Böhmer aufgeboten hat, bei dem Sie noch die Nachfolgefrage klären müssen, bedarf. Vielen Dank. ({18})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der PDS spricht der Kollege Roland Claus. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Drei Tage vor der SachsenAnhalt-Wahl debattieren wir hier - völlig überraschend über neun Anträge zum Osten. Aber - dies gehört auch zur Redlichkeit - erfreulicherweise hat nur einer die Chance, angenommen zu werden, und das, obwohl er sich schon erledigt hat. Ein Schelm, wer da an Wahlkampf denkt. ({0}) Zur Redlichkeit im ganzen Hause gehört aber auch, dass hier nicht der eine Wahlkämpfer den anderen Wahlkämpfer beschimpft, weil er Wahlkampf macht. Irgendwie sind wir doch alle beteiligt. Ich will aber eines deutlich sagen: Natürlich ist auch in Wahlkampfzeiten alles, was wirklich hilft, willkommen. Ich erlebe immer wieder, dass sich die Menschen in den neuen Ländern von uns, den Bundestagsabgeordneten aus den neuen Ländern - wir sind heute wieder nahezu unter uns -, ({1}) wünschen, dass wir hier im Deutschen Bundestag nicht nur Schuldzuweisungen betreiben, sondern gemeinsam die Ärmel hochkrempeln. Dies findet leider sehr selten statt. ({2}) Ich will auf eine angenehme Ausnahme verweisen. Das war die Diskussion über den Waggonbaustandort HalleAmmendorf und über den Waggonbaustandort Vetschau. Damals haben wir es wirklich geschafft, gemeinsam etwas auf den Weg zu bringen. Insofern ist jetzt eines besonders verwunderlich: Die Kollegen von CDU und FDP haben seinerzeit gerufen: Kanzler, tu etwas! Danach hat die Belegschaft Druck auf die Politik gemacht. Der Kanzler hat etwas getan. ({3}) Die gleiche CDU und die gleiche FDP werfen dem Kanzler jetzt vor, dass er etwas getan hat, und reden das Ergebnis in Sachen Waggonbau schlecht. Das ist einfach mies. ({4}) - Es ist etwas daraus geworden, Herr Kollege. Es war immerhin Bombardier selbst und nicht irgendein Wunschkandidat von der politischen Bühne, der dies noch einmal klargestellt hat. Leider erleben wir alle, dass die Debatten über den Osten im Bundestag nach dem Motto ablaufen: Die Koalition erklärt, dass man auf einem guten Weg ist, und die konservative Opposition malt alles in schwarz und weiß. ({5}) Wir wissen es besser: So ist das Leben nicht. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Weder Schönreden noch Schwarzmalen helfen den Menschen in den neuen Bundesländern. Wem zum Thema SachsenAnhalt nichts anderes einfällt, als permanent die rote Laterne zu beschwören, dem kann ich eines sagen: In meiner Heimatstadt Halle gibt es jedes Jahr im August ein Laternenfest. Dort können Sie sich mit Ihrer Laterne hinstellen. Auch Herr Hinsken findet dort vielleicht seine Verwendung. Lassen Sie sich aber gesagt sein, dass das in der Politik zu wenig ist. ({6}) Es ist natürlich dubios, dass Frau Pieper in der morgendlichen Debatte das sachsen-anhaltinische Kinderbetreuungsgesetz über den grünen Klee lobt und versucht, ihren eigenen Anteil herauszustellen, während zur gleichen Zeit ihre Wahlkämpfer in Sachsen-Anhalt unterwegs sind und sagen, dass das, was dort für die Kinderbetreuung getan werde, zu teuer sei und abgeschafft gehöre. Das lassen wir uns hier im Bundestag nicht bieten. ({7}) Die Menschen in den neuen Ländern haben von falschen Versprechen - zum Beispiel dem der blühenden Landschaften - in der Tat die Nase voll. Auch die Chefsache Aufbau Ost haben sie nicht wirklich erlebt. ({8}) Sie fühlen sich deshalb bislang von allen Bundesregierungen im Stich gelassen. ({9}) Nun kommt Herr Stoiber mit seiner angeblichen Wirtschaftskompetenz. Stoibers Wirtschaftskompetenz erleben wir gegenwärtig insbesondere in Berlin. Wenn man sich einmal anschaut, dass die Union - ihr gehört auch Herr Stoiber an - allein in der Bundeshauptstadt Schulden in Höhe von 40 Milliarden Euro hinterlassen hat, muss man sich fragen, was das für eine Wirtschaftskompetenz ist. Ich weiß, dass sich diese Zahlen nicht direkt vergleichen lassen, führe sie aber dennoch an, um die Größenordnung darzustellen: Ende 1989 ist die DDR mit 10 Milliarden Euro Auslandsschulden zugrunde gegangen. Auch das muss man einmal sagen dürfen. ({10}) - Mir war schon klar, dass ich an dieser Stelle Ihren Widerspruch ernte. Die Wahrheit bleibt es aber trotzdem. ({11}) Was hat Herr Stoiber in Bayern zu verantworten? Das sind Kredite von der Bayerischen Landesbank in Höhe von 2 Milliarden Euro, die den Kirch-Unternehmen noch hinterhergeworfen wurden, als schon klar war, dass sie in die Pleite gehen. Das ist das Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Das soll also Wirtschaftskompetenz sein. ({12}) Die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern erwarten von der Politik wirklich keine Wunder. Sie erwarten aber einen politischen Willen zur wirklichen Angleichung der Lebensverhältnisse. Den erleben sie auch unter der Regierung Schröder nicht. Demzufolge ist im Lande leider nach wie vor ein Rentenunrecht anzutreffen. Ich habe mir von ehemaligen Lehrerinnen und Lehrern in Halle exakt vorrechnen lassen, was es ausmacht, dass sie von der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst ausgeschlossen sind. Es ist Fakt, dass die Bergleute, die im Osten ihren Arbeitsplatz verlieren, nicht in gleicher Höhe abgefunden werden wie die Bergleute im Westen. So kommt es zu solch, wie ich finde, tragischen Schicksalen, dass jemand 30 Jahre unter Tage gearbeitet hat und dann Geld nur wenig über dem Sozialhilfeniveau erhält. ({13}) Ich komme zu den Arbeitslosen im Osten. Wir müssen registrieren, dass die Arbeitslosenrate im Jahre 1998 - lassen Sie die Fakten sprechen! - im Osten das 1,8fache und im Jahre 2002 leider das 2,3fache der Rate im Westen betrug. Das ist eine schlechte Entwicklung. Handwerker beklagen die Benachteiligung durch die Steuerreform, während sich Großunternehmen und Banken dank Ihres Steuerrechts immer wieder armrechnen können. Deshalb möchte ich Sie auffordern: Lassen Sie uns heute mit dieser Debatte wenigstens ein Zeichen setzen und lassen Sie uns gemeinsam beschließen, etwas zur Angleichung der Löhne und Gehälter bis zum Jahre 2007 zu tun. ({14}) Ich weiß sehr wohl, was das kostet. Es sind etwa 2 Milliarden Euro für die Länder und etwa 1,5 Milliarden Euro für die Kommunen. Zusammen mit dem Anteil des Bundes macht das etwa 4 Milliarden Euro. Das ist nicht wenig. Das ist nur mit Bundeshilfe möglich; das muss man deutlich aussprechen. Es ist aber noch immer weniger als die Hälfte der Kosten von Rudolf Scharpings neuen Fliegern. ({15}) Deshalb sollten wir diese Anstrengungen gemeinsam wagen. Ich sage Ihnen dazu nur eines: Die Landesregierung in Brandenburg hat für diesen Vorschlag, der nicht nur von der PDS gemacht wird, inzwischen Unterstützung signalisiert. Sie hat dies anders getan, als man dies von der Landesregierung bisher kennt. Sie unterstützt diesen Vorschlag tatsächlich als Landesregierung. Es ist nicht so, dass der eine Ja und der andere Nein gesagt hat. Nein, sie will das gemeinsam tun. ({16}) Wir verlangen - das wollen wir Ihnen sagen - die sofortige Abstimmung des entsprechenden Antrags der PDS zur Angleichung der Löhne und Gehälter bis 2007 im Plenum und nicht die Überweisung. ({17}) Wir wollen Sie daran erinnern: Uns wäre auf diesem Gebiet noch viel mehr eingefallen. Aber das ist exakt die Beschluss- und Verkündungslage von SPD und CDU, wie sie sie vor den Wahlen an den Tag gelegt haben. Deshalb wird die PDS weiter darauf Wert legen, gemeinsam Mut zu machen und nicht schwarz zu malen. Daher sprechen wir in unseren Vorschlägen zur Verbesserung der Lebenslage in den neuen Bundesländern vom Zukunftsfaktor Ost. Es ist noch immer ein gutes Papier, auch wenn viele der Überschriften inzwischen durch die CDU abgeschrieben worden sind. Zu Sachsen-Anhalt: Sie können über die PDS räsonieren und Zwischenrufe machen, wie Sie wollen. Die Abteilung Größenwahn haben in Sachsen-Anhalt andere als die PDS besetzt. Wir sind auf dem Teppich geblieben. Wer hat denn das Land mit Ministerpräsidentenkandidaten zuplakatiert?

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Claus, Sie müssen zum Ende kommen.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Das war nicht die PDS, das waren Ulrich Hansel, der jetzt Marseille heißt, und Cornelia Pieper. ({0}) Deshalb wünschen wir uns - ich komme damit zum Ende, Herr Präsident -, dass die Sozialdemokraten in Sachsen-Anhalt ihren Wählerinnen und Wählern sagen, wohin mit ihnen die Reise gehen soll. Wollen Sie mit der PDS für mehr soziale Gerechtigkeit eintreten oder wollen Sie mit der CDU Sozialabbau betreiben? So viel Klarheit muss sein. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe nunmehr für die Fraktion der SPD dem Kollegen Dr. Rainer Wend das Wort.

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Claus, mit Ihren Bemerkungen fordern Sie mich heraus, Ihnen Folgendes zu sagen. Sie meinen, die DDR sei an 8 Milliarden Euro zugrunde gegangen. ({0}) Sie glauben vermutlich auch noch heute an das Märchen, dass die DDR die achtstärkste Industrienation der Welt gewesen sei. ({1}) Ich will, Herr Claus, einen Satz aus einer Dissertation der Universität Halle zitieren: Die Hinterlassenschaft der DDR für Sachsen-Anhalt ist vor allem durch Umweltschäden größten Ausmaßes sowie durch eine Wirtschaftsund Beschäftigtenstruktur gekennzeichnet, die den Übergang von der sozialistischen Planwirtschaft in die soziale Marktwirtschaft besonders erschwert hat. ({2}) Wir wollen in diesem Lande keinen Ministerpräsidenten von der Nachfolgepartei derjenigen, die dieses Chaos veranstaltet haben, Herr Claus. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Wend, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Luft?

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, selbstverständlich, Frau Luft.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Danke schön, Herr Kollege. Erstens. Sie haben sich vermutlich ein wenig vertan. Es hat nie jemand in der DDR behauptet, die DDR sei die achtgrößte Industrienation. Es wurde behauptet, sie sei die zehntgrößte Industrienation. Ich stimme völlig mit Ihnen überein, dass auch das größenwahnsinnig war. Zweitens. Ich möchte Sie fragen: Haben Sie den Monatsbericht der Deutschen Bundesbank von August 1998 gelesen? Darin wird festgestellt, dass die Auslandsschulden der DDR zum 30. Juni 1990, also einen Tag vor Beginn der Währungsunion, etwa 10 Milliarden Dollar betragen hätten. Das ist etwa das, was Herr Kollege Claus eben in Euro umgerechnet hat. Das ist keine Erfindung der PDS, sondern das hat die Deutsche Bundesbank an Auslandsschulden festgestellt. Genau das hat mein Kollege vorhin in der Debatte gesagt.

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Dr. Luft, ich danke Ihnen sehr herzlich für die in Frageform gekleidete Kurzintervention, die Sie hier gemacht haben. Ich bleibe dabei: Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands hat diesen Teil des östlichen Landes ökonomisch, politisch und moralisch zugrunde gerichtet. Da beißt keine Maus einen Faden ab. ({0}) So unterschiedlich Herr Claus, Herr Nooke und Frau Pieper ihre Positionen hier auch beschreiben, in einem sind sie sich einig: Sie wollen einen Wettlauf beginnen, wer die neuen Länder am schlechtesten redet. In diesen Wettlauf werden wir Sozialdemokraten uns nicht einbinden lassen. ({1}) Ich bedanke mich bei meiner Fraktion dafür, dass ich in dieser Debatte als Einziger aus den alten Ländern sprechen kann. ({2}) Ich komme aus Nordrhein-Westfalen. Gleichgültig, ob CDU, SPD, FDP oder Grüne: Wenn irgendjemand in Nordrhein-Westfalen unser Bundesland so schlecht reden würde, wie Sie dies heute mit den neuen Ländern getan haben, dann würden ihn die Bürgerinnen und Bürgern aus den Sälen treiben. Ich wünsche Ihnen in Sachsen-Anhalt dasselbe, meine Damen und Herren. ({3}) In einem, Herr Claus, möchte ich Ihnen ausdrücklich Recht geben: ({4}) Weder Schönfärberei noch Schwarzmalerei ist die Lösung. Richtig ist, dass wir in den neuen Ländern eine sehr differenzierte Situation haben. Wir haben eine bedrückende Arbeitslosigkeit und wir haben eine bedrückende Anzahl von Insolvenzen. ({5}) Ich möchte auf Folgendes hinweisen: Die Hauptquote der Insolvenzen entfällt auf die Bauwirtschaft. Wer hat dies zu verantworten? Wer hat zu Beginn der 90er-Jahre die Sonderabschreibungsregelungen gemacht, die nicht nur dazu geführt haben, dass Wohnräume und Büropaläste leer stehen, sondern auch dazu, dass heute nach dem Rückgang der überhitzten Konjunktur im Baubereich die Überkapazitäten durch Insolvenzen zurückgeführt werden? Die politische Verantwortung für diese Situation trägt die rechte Seite dieses Hauses und nicht Sozialdemokraten. ({6}) Das ist die negative Seite, die wir nicht verschweigen dürfen. Ich möchte aber auch über die positiven Dinge reden. Es sind zwei Stichworte genannt worden, die ich gerne noch etwas deutlicher beschreiben möchte. Das erste ist Ammendorf: direkt 800 bis 900 Arbeitsplätze. Eben habe ich aus der FDP den Zwischenruf „Holzmann!“ gehört. Holzmann haben wir die Chance gegeben, dass die Marktkräfte auch in diesem Bereich der Bauwirtschaft zu einer Gesundung beitragen. Das hat leider nicht geklappt. Ammendorf geben wir dieselbe Chance. Ich sage Ihnen, dass die Deutsche Bahn Bestellungen in Milliardenhöhe über rollendes Material in Ammendorf getätigt hat. Insbesondere wird dort auch für die S-Bahn Berlin produziert werden. Das ist ein positives Signal. Wir sollten uns gemeinsam darüber freuen, anstatt darüber zu meckern, was dort passiert ist. ({7}) Ich bedanke mich bei der Bundesregierung für die Investition in eine Zellstofffabrik in der strukturschwachen Region der Altmark. Der Finanzminister des Landes hat davon eben schon gesprochen. Über 1 Milliarde Euro wird in rund 580 direkt dort vorhandene Arbeitsplätze investiert, durch eine Bundesbürgschaft von über 500 Millionen Euro gesichert. Das ist praktische Wirtschaftsförderung, auf die wir stolz sind und die wir uns nicht von Ihnen kaputtreden lassen. ({8}) Ich weiß, Sie haben es mit den Zahlen etwas schwer. Im Wahlkampf ist es schwierig, mit differenzierten Zahlen zu argumentieren. Wir sagen: Die ökonomische Situation im Osten ist deutlich besser, als Sie sie hier schildern. Der Tiefpunkt im Osten, was die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts anbelangt, lag im ersten Halbjahr 2001: Es sank um 0,6 Prozent. Im zweiten Halbjahr lag es bereits bei 0 Prozent; es gab also kein Minuswachstum, das es in den alten Bundesländern gab. Für 2002 wird für das Wachstum im Westteil Deutschlands eine Rate von 0,75 Prozent und im Ostteil eine Rate von 0,5 Prozent prognostiziert. Für 2003 liegen die Prognosen aller Institute für das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes für Ost und West mit 2,5 Prozent erstmals gleichauf. Das ist ein gutes Signal für den Osten. Das „Handelsblatt“ schrieb am 21. März 2002: „Ostdeutschland kommt steil aus dem Aufschwung heraus“. Diese Botschaft, meine Damen und Herren, sollten Sie den jungen Menschen überbringen, die Sorgen um die Zukunft in den neuen Ländern haben, denjenigen, die abzuwandern erwägen, um ihnen zu vermitteln, dass es sich lohnt, zu bleiben und um diesen Standort Ost zu kämpfen, weil es aufwärts geht, auch dank dieser Bundesregierung. Das dürfen wir auch einmal so positiv sagen. ({9}) Lassen Sie mich aber auch noch etwas speziell zum verarbeitenden Gewerbe sagen. ({10}) Seit 1993 wächst die Produktion des verarbeitenden Gewerbes in Ostdeutschland um 6,8 Prozent jährlich, Herr Nooke, und damit fünfmal schneller als in Westdeutschland. Allein im Jahr 2001 stieg die Bruttowertschöpfung in Sachsen um stolze 8,4 Prozent - Glückwunsch, Herr Biedenkopf! -, ({11}) gefolgt von Sachsen-Anhalt mit 5,3 Prozent - Glückwunsch, Herr Ministerpräsident Höppner! ({12}) - Klatschen Sie doch auch! Zeigen Sie auf der rechten Seite des Hauses doch einmal Anstand und bekräftigen Sie, dass sich die in Sachsen-Anhalt unternommenen Anstrengungen gelohnt haben! ({13}) Ich komme zu den Rezepten, die auf der rechten Seite des Hauses vertreten werden, wie man nun damit umgehen soll. Frau Kaspereit hat schon gesagt, dass über bereits vorhandene beträchtliche finanzielle Mittel hinaus weitere Staatsprogramme von Ihnen gefordert werden. Dies führt nicht nur zurück in den Verschuldungsstaat, den Sie uns hinterlassen haben, nein, das zeugt auch von einer unsinnigen Staatsgläubigkeit von CDU und FDP, ({14}) im Vergleich zu der die PDS als Marktwirtschaftspartei erscheint, wenn man deren Forderungen für den Osten analysiert. ({15}) Ihr zweites Rezept lautet Aufhebung der Tarifbindung, Senkung von Löhnen und Aufhebung von Arbeitnehmerrechten. Wir haben in den neuen Ländern doch nur noch verhältnismäßig wenige tarifgebundene Unternehmen. Wir haben deutlich niedrigere Löhne als im Westen. Nach Ihrer Logik müssten wir doch in den neuen Bundesländern Vollbeschäftigung haben. Das Gegenteil ist der Fall. Deswegen sage ich: Wir werden es nicht zulassen, dass unter dem Vorwand „Aufbau Ost“ Löhne noch weiter gesenkt und Arbeitnehmerrechte beseitigt werden. Dies ist mit Sozialdemokraten nicht zu machen. ({16}) Ich sage Ihnen deshalb abschließend: Die Bundesregierung hat die Aufgaben richtig beschrieben. Wir stehen vor einer Generationenaufgabe. Sie mag nicht immer nur spektakulär sein, wir brauchen einen langen Atem; aber es ist keine Schönfärberei, wenn ich zum Ende meines Beitrages sage: Ostdeutschland ist auf gutem Wege, wie in der Vorkriegszeit zu den fortgeschrittensten Industrieregionen Deutschlands und Europas aufzuschließen. ({17}) Krempeln wir gemeinsam die Ärmel hoch. Gehen wir die Aufgabe entschlossen an. Wir sind bereit dazu. Kommen Sie aus Ihrer Meckerecke heraus und arbeiten Sie mit uns am weiteren Aufschwung Ost. Es lohnt sich für unser Land. ({18})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der CDU/CSU spricht der Kollege Dr. Michael Luther.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute sehr viel über die Situation in den neuen Bundesländern und über die dortige wirtschaftliche Entwicklung gesprochen worden. Ich hätte an dieser Stelle gern dem Finanzminister von Sachsen-Anhalt, Herrn Gerhards, geantwortet und ihn gefragt, wovon er eigentlich redet. ({0}) Er hat von der Hinterlassenschaft der CDU gesprochen und vergessen, dass Herr Höppner dort acht Jahre lang Regierungsverantwortung getragen hat. ({1}) Das hat dazu geführt, dass Sachsen-Anhalt in der Rangliste der neuen Bundesländer auf dem letzten Platz, jedoch im Hinblick auf die Abwanderung auf dem ersten Platz steht. Das muss deutlich gesagt werden. ({2}) Ich komme aus Sachsen und bin froh, dass die Erfolge dieses Bundeslandes hier einmal erwähnt werden. Sachsen hat es mit der viel gescholtenen schwarzen Regierung geschafft, Spitzenreiter zu sein, Silicon Valley für die neuen Bundesländer zu sein und eine hervorragende wirtschaftliche Entwicklung vorzulegen. Das hat etwas mit der dortigen Unionsregierung und - das will ich an dieser Stelle auch erwähnen - mit Professor Biedenkopf zu tun, der dieses Land als Ministerpräsident elfeinhalb Jahre gut geführt hat. ({3}) Ich möchte ihm recht herzlich dafür danken, dass er dies für Sachsen geleistet hat. ({4}) Heute ist Georg Milbradt vom Sächsischen Landtag zum neuen Ministerpräsidenten gewählt worden. Er wird die Arbeit, die Professor Biedenkopf gemeinsam mit der Union in Sachsen angefangen hat, fortsetzen. Auch ihm herzlichen Glückwunsch! ({5}) Herr Wend, darf ich vielleicht noch auf Ihre Rede reagieren? ({6}) Sie haben die Sonderabschreibungen kritisiert. Ich weiß nicht, ob Sie eine Vorstellung davon haben, wie 1990 die deutsche Einheit in den neuen Bundesländern begonnen hat. Zuallererst musste alles unternommen werden, um Straßen zu bauen, Städte zu sanieren und Gewerberaum zu schaffen. ({7}) Ich meine, dass das Instrument der Sonderabschreibung und die damit verbundene Mobilisierung von Privatkapital ein richtiger und guter Weg waren. ({8}) Es ist richtig, dass im verarbeitenden Gewerbe zum jetzigen Zeitpunkt eine Entwicklung stattfinden muss. Aber - das haben Sie bei Ihren Ausführungen vergessen - Sie ruinieren durch Ihre Politik die Bauwirtschaft in den neuen Bundesländern. Ich will Ihnen auch sagen, wie. Schauen Sie einmal in Ihren Bundeshaushalt 2002. Die Investitionsquote dieses Bundeshaushalts erreicht einen historischen Tiefstand. Sie haben den Kommunen die Mittel, die ihnen für Investitionen zur Verfügung standen, weggenommen. Die Kommunen haben keine Möglichkeit, Investitionen zu tätigen. Das schadet der Bauwirtschaft in den neuen Bundesländern. ({9}) Aber nicht nur das ist ein Thema, das die Bauwirtschaft in den neuen Bundesländern berührt. Auf der heutigen Tagesordnung steht noch ein Antrag der Union als Zusatzpunkt, zu dem ich jetzt sprechen möchte. Es geht darin um das Thema Forderungssicherungsgesetz. Es ist kein Geheimnis, dass nicht nur in den neuen, sondern auch in den alten Bundesländern und insbesondere in der Bauwirtschaft die Unternehmen hohe Zahlungsausfälle zu verzeichnen haben. Gerade das jüngste Beispiel, des Kanzlers Holzmann-Pleite, zeigt, welche Folgen das hat. Sicherlich werden es viele Kollegen in ihrem Wahlkreis gespürt haben: Es gibt dadurch Unternehmen in der Baubranche, die Forderungen nicht geltend machen können und deswegen unverschuldet in die Insolvenz gehen werden. Der Mittelstand muss Jahr für Jahr - das ist Fakt - in der Größenordnung eines einstelligen Milliardenbetrags Zahlungsforderungsausfälle verkraften. Es ist allgemein bekannt, dass mit den bestehenden gesetzlichen Regelungen diesem Problem nicht effektiv begegnet werden kann. Die Hauptursache liegt darin, dass der Werkunternehmer zum einen vorleistungspflichtig ist und zum anderen in dem Moment, in dem er eine Sache in ein Bauwerk einbaut, das Eigentum an der eingebauten Sache verliert. Dann kann die Forderung oftmals nur schwer und manchmal gar nicht geltend gemacht werden. Gegen diese strukturelle Schlechterstellung des Werkvertragunternehmers insbesondere in der Bauwirtschaft muss etwas unternommen werden. Sie wird mitunter - manchmal auch extensiv - ausgenutzt. Ich meine, wir sind im Deutschen Bundestag zum Handeln aufgerufen. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks schätzt, dass 38,2 Prozent aller deutschen Betriebe durch Zahlungsausfälle betroffen sind. Um das Bild vollständig zu zeichnen, stellt sich die Frage nach den Folgen. Zu nennen ist der Schaden für den Unternehmer, wenn er die ausstehenden Summen nicht eintreiben kann. Er bekommt keinen Lohn für seine Arbeit. Dieser Verlust muss irgendwie ausgeglichen werden. Das wird mit vielen Mitteln versucht und darunter leidet sicherlich auch die Bauqualität. Es ist viel von den Arbeitnehmern und ihrer Situation gesprochen worden. Die Lohnspirale geht nach unten, weil versucht wird, das Problem über die Mitarbeiter aufzufangen. Im Fall der Insolvenz kann diese Folgeinsolvenzen nach sich ziehen. Auch das gehört dazu: Diese Bundesregierung hat zumindest eine Bilanz vorzulegen, die nicht großartig ist. Dabei handelt es sich um die Insolvenzbilanz. Diese ist wirklich spitze. Was ist zu tun? Wir, der Gesetzgeber, müssen etwas unternehmen. Vorweg möchte ich auf die Geschichte der Gesetze eingehen, die der Verbesserung der Zahlungsmoral dienen sollten. Schon 1997 hat die Union in den neuen Bundesländern - das ist nicht verwunderlich; denn gerade dort war es am kompliziertesten - über Maßnahmen zur Verbesserung der Zahlungsmoral nachgedacht. In Sachsen wurde zum ersten Mal am 26. Mai 1998 eine Arbeitsgruppe einberufen, die sich intensiv mit diesem Thema beschäftigt hat. Wenn man wirklich etwas verändern will, dann stellt man sehr schnell fest, dass es sich bei diesem Thema um eine sehr schwierige Materie handelt, die auch Eingriffe in die Strukturen des BGB erfordert. Man kann hier keine Entscheidung aus dem Bauch heraus treffen. Das ist allen klar. Ich möchte einmal beispielhaft die Mitglieder der Arbeitsgruppe nennen: An dieser Arbeitsgruppe nahmen nicht nur Justizbeamte, Richter und Rechtsanwälte, sondern auch Vertreter der IHKs, von Haus + Grund, des Baugewerbeverbandes und der Verbraucherschutzverbände teil. Alle saßen an einem Tisch und haben versucht, Lösungen für das drängende Problem zu finden. Die Union hat die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe in ihrem Entwurf eines Bauvertragsgesetzes aufgegriffen, den sie am Anfang dieser Legislaturperiode eingebracht hat. Erst dann - auch das ist bezeichnend für diese Regierung - ist Frau Däubler-Gmelin tätig geworden. ({10}) Zuerst hat sie nur Sprüche gemacht und dann ein Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vorgelegt, das untauglich war. ({11}) Bereits in der Anhörung, die im Herbst 1999 durchgeführt worden ist, hat sich gezeigt, dass dieses Gesetz nicht funktionieren wird. Ich möchte nur an zwei Sachverhalte erinnern: Die 30-Tage-Regelung beim Schuldnerverzug bedeutete eine deutliche Schlechterstellung der Gläubiger. Diese Regelung haben Sie mittlerweile einkassiert, weil Sie selber gemerkt haben, dass man das Schuldrecht so nicht modernisieren kann. Des Weiteren wurde eine Fertigstellungsbescheinigung vorgeschlagen. Alle Sachverständigen haben gesagt, dass das nicht funktionieren werde. Sie haben es trotzdem umgesetzt. Zwei Jahre später müssen wir feststellen, dass das von niemandem angewendet wird, weil es einfach nicht funktioniert. Das ganze Gesetz, das Sie im Schnellschussverfahren beschlossen haben, war ein Flop. ({12}) Hinzu kommt noch etwas anderes: Mit diesem Gesetz wurde das drängende Problem des Zahlungsausfalls nicht gelöst. Der strukturelle Nachteil des Werkunternehmers wurde nicht beseitigt. Unser damaliger Entwurf ging explizit auf die Sicherung der Forderungen des Werkunternehmers ein. Wir wollten das Bauvertragsrecht modernisieren. Im Herbst 1999 - ich betone: Herbst 1999 - hat die Justizministerin die Einrichtung einer Bund-LänderArbeitsgruppe zugesagt, die sich mit der Modernisierung des Bauvertragsrechts beschäftigen sollte. Diese Arbeitsgruppe hat erstmalig am 5. Dezember 2001 getagt, also zwei Jahre nach der Zusage der Justizministerin. Sie hat aber nicht auf Drängen der SPD oder von Frau DäublerGmelin getagt. Nein, sie hat auf unsere Initiative hin getagt; denn wir in Sachsen haben beizeiten gemerkt, dass die Bundesregierung an diesem Thema desinteressiert ist, dass sie die Probleme der deutschen Unternehmen gar nicht aufgreifen wollte. Deshalb haben wir seit diesem Zeitpunkt erneut darüber nachgedacht, wie das Thema „Sicherung der Forderungen des Werkunternehmers“ angegangen werden kann. Eine entsprechende Arbeitsgruppe gab es nicht nur in Sachsen, sondern auch in Thüringen. Es wurde also in zwei Arbeitsgruppen versucht, langfristige Lösungen zu finden. ({13}) - Darauf komme ich gleich zu sprechen. Ich möchte an dieser Stelle nur an die hungerstreikenden Frauen am Brandenburger Tor erinnern. Die Bundesregierung hat nichts gemacht. Das Schicksal der Frauen hat sie kalt gelassen. ({14}) Die Wahrheit ist also: Die Arbeitsgruppe ist erst auf Drängen von Sachsen und Thüringen einberufen worden, und zwar zwei Jahre nach dem zugesagten Termin. Es stellte sich aber schnell heraus, warum diese Arbeitsgruppe einberufen worden ist; auch das ist interessant. Zuerst hat man gesagt, man wolle aufgrund der Vorschläge von Sachsen und Thüringen einen gemeinsamen Gesetzentwurf vorbereiten. Aber im Februar dieses Jahres hat man gesagt, es müsse erst eine rechtstatsächliche Untersuchung durchgeführt werden. Man will dieses Thema also auf die lange Bank schieben. Der Kommentar zu den Vorschlägen ist mir schon ein bisschen aufgestoßen. Im Februar wurde gesagt, die Vorschläge seien völlig unbrauchbar und billige Wahlkampftricks. Ich bin auf den geschichtlichen Ablauf so ausführlich eingegangen, um diesem Argument zu begegnen. Die Vorlage ist kein Schnellschuss, sondern lange überlegt und von vielen kompetenten Beteiligten ausführlich diskutiert worden. Es handelt sich um seriöse und wohl durchdachte Lösungsvorschläge. Handlungsbedarf besteht nach wie vor. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat ein solches Gesetz nicht auf den Weg gebracht, weil das Bundesjustizministerium und die Regierung es nicht wollten. Darum haben wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, uns der Vorschläge von Sachsen und Thüringen angenommen und sie in das Forderungssicherungsgesetz eingearbeitet, das heute in erster Lesung in den Bundestag eingebracht wird. Nun zu Sachsen-Anhalt. Jetzt hat Sie wieder einmal die Panik erfasst. Am Sonntag - das ist schon ein paarmal gesagt worden - ist Wahl in Sachsen-Anhalt. Just, aus heiterem Himmel, kam aus Sachsen-Anhalt der Entwurf eines Vorleistungssicherungsgesetzes. ({15}) Gestern stand die Beratung dieses Gesetzentwurfs noch auf der Tagesordnung für heute. Plötzlich haben Sie es wieder zurückgenommen. Sie haben vielleicht selbst gemerkt, dass es ein Schnellschuss ist und man darüber vielleicht noch einmal nachdenken muss, weil Sie eben nur aus dem Bauch heraus - vielleicht vordergründig wegen der Wahl - etwas in den Bundestag einbringen wollten. Ich hoffe darauf, dass Sie die Gesetzesvorlage noch einmal überarbeiten und beraten, um sie dann in den Bundestag einzubringen. Es nutzt den Handwerkern überhaupt nichts, wenn wir uns jahrelang im Deutschen Bundestag plakativ darüber unterhalten, wie wir das Problem lösen können; vielmehr muss endlich eine tragfähige Lösung her. Wenn Sie Ihre Vorlage in den Bundestag eingebracht haben, können wir das Thema zusammen angehen und versuchen, etwas Gemeinsames auf den Weg zu bringen. Eines bleibt allerdings festzuhalten: Wir, die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, haben unserer Aufgabe als Opposition im Deutschen Bundestag Rechnung getragen; denn wir haben Sie nun schon zum zweiten Mal in dieser Legislaturperiode getrieben. Sie haben auf unsere Vorschläge reagiert. ({16}) - Getrieben. - Sie haben reagiert. Sie haben etwas vielleicht vergessen: Sie sollten zurzeit eigentlich regieren; aber das können Sie nicht. ({17}) Das Forderungssicherungsgesetz ist ein mutiges und notwendiges Gesetz. Wir, die Union, sind nicht der Auffassung, dass man nach dem Motto verfahren sollte: Man sollte etwas tun; aber es darf sich nichts bewegen. Deshalb sind manche Themen, die in der nächsten Zeit vielleicht schwierig und kritisch diskutiert werden können, von uns aufgegriffen und dem Bundestag zur Beratung vorgelegt worden: Erstens. Dazu zählt zum Beispiel die Regelung zum Thema Eigentumsvorbehalt beim Werkunternehmer. Sie wird bei den Juristen in Deutschland eine Diskussion darüber auslösen, ob man das machen kann oder nicht. Ich meine aber, dass diese Regelung weder ein Systembruch noch ein Fremdkörper im BGB ist. Sie schafft vielmehr größtmögliche Klarheit über die Zuordnung von Eigentumsrechten auch für denjenigen, der im Rahmen eines Werkvertrags arbeitet. Zweite Regelung: Änderung der Zivilprozessordnung. Wir verbessern die Möglichkeit, auf zivilprozessualem Weg, im Erkenntnisverfahren, möglichst schnell einen vollstreckbaren Titel zu erlangen. Wir meinen, dass das Voraburteil dazu ein geeignetes Instrument ist. Drittens. Wir schlagen eine Regelung vor, mit deren Hilfe der Aufenthaltsort eines Schuldners leichter ausfindig gemacht werden kann. Das Finanzamt kann dies mithilfe der staatlichen Stellen leisten. Ich glaube, dass auch dem Privatmann, der einen Schuldner sucht, diese Möglichkeit eröffnet werden sollte. ({18}) Ich will ganz klar feststellen, dass das nicht der Beliebigkeit des Privatmanns überlassen werden darf, sondern dass dazu natürlich ein gerichtlicher Beschluss notwendig ist. Viertens. Wir wollen die Gründe für den Ausschluss von der Geschäftsfähigkeit um die Straftatbestände Betrug, Untreue, Veruntreuung von Lohn usw. erweitern. Auch das ist ein richtiger Schritt. Dieses Gesetz beinhaltet sozusagen eine Menge Holz. Ich bin mir sicher, dass dieses Gesetz, wenn es in Kraft treten würde, seine Wirkung nicht verfehlen würde. Ich habe bereits das Angebot unterbreitet, dass wir dieses Gesetz, vielleicht um Vorschläge der Regierung ergänzt, in den Beratungen ausführlich diskutieren. Ziel muss es sein, zu einem Ergebnis zu kommen. Es nutzt den Handwerkern in Deutschland nichts, wenn wir über die Probleme nur reden. Ein Ziel haben wir als Union heute auf jeden Fall schon erreicht. Wir reden seit heute im Deutschen Bundestag wieder über die Frage: Wie kann man etwas zur Verbesserung der Zahlungsmoral tun? Lassen Sie uns dieses Thema angehen! Ehrliche Arbeit in Deutschland muss sich endlich wieder lohnen. ({19})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht der Kollege Werner Schulz.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Attacken von Frau Pieper und Herrn Nooke auf die Bundesregierung wären möglicherweise in den Bereich von Glaubwürdigkeit und Redlichkeit gerückt, wenn sie zumindest eine Prise Selbstkritik enthalten hätten. ({0}) Es ist doch keine faule Ausrede der Bundesregierung, wenn sie sagt, dass die heutige Wachstumsschwäche Deutschlands mit den Problemen und Folgen der Wiedervereinigung zusammenhängt. Schauen Sie sich die Expertise von Pedro Solbes an! Der EU-Wirtschaftskommissar sagt: Ein Drittel der Probleme, die in Deutschland bestehen, ist auf die nach wie vor fließenden hohen Transferleistungen zurückzuführen. Das heißt übersetzt: auf eine Fehlfinanzierung der deutschen Einheit, die nämlich auf Pump finanziert worden ist und nicht durch eine solidarische Einmalleistung, die möglich gewesen wäre. ({1}) Ein Drittel der Wachstumsschwäche! 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die wir nach wie vor permanent in diesen Prozess investieren müssen! Ein weiteres Drittel der Wachstumsschwäche ist mit den Überkapazitäten in der Bauindustrie und dem Schrumpfungsprozess in Verbindung zu bringen. Das ist ein hausgemachtes Problem, weil ein Wirtschaftswunder à la 50er-Jahre erzeugt werden sollte. Frau Pieper, es stimmt eben nicht, was Sie in dem Zehnpunkteprogramm Ihres Antrages schreiben, dass der Wachstumsmotor der Baukonjunktur zum Erlahmen gekommen ist. Den hat es so nie gegeben. Es sind Scheinblüten, die hier entstanden sind, leere Büropaläste, verprellte Anleger, Überkapazitäten, die wir heute mühsam abbauen müssen. Das ist die Wahrheit! ({2}) Das ist eine EU-Expertise. Die können Sie nachlesen. Das ist von außen sehr realistisch analysiert worden. Das letzte Drittel - damit komme ich zu den Problemen, die wir noch lösen müssen - beruht im Grunde - das ist kein Geheimnis - auf den noch ausstehenden Reformen auf dem Arbeitsmarkt, in der Gesundheitspolitik und in der Sozialpolitik. ({3}) Daran arbeiten wir. Wenn Sie wirklich über die Situation in Sachsen-Anhalt sprechen wollen - dafür ist ja diese ganze Debatte angesetzt worden -, dann sollten Sie an dieser Stelle auch ehrlich sein. Das betrifft - das fällt mir gerade ein - übrigens auch Sie, Herr Luther. Sie sollten sich endlich abgewöhnen, immer zu wiederholen: Den Großen, Holzmann, wird geholfen und die Kleinen lässt der Kanzler hängen. ({4}) Wir haben den hungerstreikenden Handwerkerfrauen am Brandenburger Tor mit Millionen unter die Arme gegriffen. Schreiben Sie sich diesen Satz auf! ({5}) Hören Sie auf, so schamlos zu lügen! Ich muss ehrlich sagen: An dieser Stelle verstehe ich keinen Spaß mehr. ({6}) Von Ihrer Seite ist das unverschämt. ({7}) - Schreien Sie doch nicht so! ({8}) Es ist eine Lüge. Sie lügen sich die Dinge doch zurecht. Es stimmt nicht. Wir haben diesen Leuten geholfen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Schulz, bei allem Respekt: Innerhalb einer Minute dreimal das Wort „Lüge“ ist ein bisschen viel. Ich bitte alle Seiten des Hauses, sich in dieser Debatte zu mäßigen.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, ich nehme das an. Es war e i n e Lüge. An der Entwicklung Sachsen-Anhalts beispielsweise ist zu sehen, dass wir nicht mehr von Ostdeutschland als homogenem Gebiet sprechen können. Die ostdeutschen Länder differenzieren sich auseinander. Sachsen-Anhalt hatte einen unglaublich schwierigen Start, weil dort ein Land gebildet worden ist, das nicht auf eine historisch gewachsene Identität zurückgreifen konnte und das die schwersten Hinterlassenschaften - die großen Chemiekombinate, die großen Schwermaschinenbaukombinate hatte. Kollege Claus, die DDR ist nicht wegen ihrer Auslandsschulden zusammengebrochen - ich weiß nicht, was das nun wieder soll -, ({0}) sondern die DDR ist wegen ihres gescheiterten Menschenbilds zusammengebrochen, wegen einer Repressionsschraube, die eine ganze Generation zur Flucht getrieben hat. Im Übrigen haben wir die Abteilung Größenwahn - in einer Außenstelle in Halle haben Sie, wie ich glaube, sogar gearbeitet - glücklicherweise aufgelöst. Die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik war ein großer Flop und hat zum Staatsbankrott geführt. Allerdings muss man erklären, wieso in so einer verschwiemelten Koalition wie in Sachsen-Anhalt die dafür Verantwortlichen ausgerechnet als stille Teilhaber mit Einfluss nehmen, nachdem sie sich nun wirklich nicht gerade durch Kompetenz in Wirtschaftsfragen ausgewiesen haben. Auch das ist eine Frage. ({1}) Es gibt eine Stimmung in Sachsen-Anhalt, die sich ungefähr so wiedergeben lässt: Sachsen-Anhalt ist das Armenhaus; daraus folgt Trostlosigkeit. Daran hat die PDS - darüber sollten wir, Kollege Claus, vertieft diskutieren Anteil und Schuld, weil sie die Leute in ihrer negativen Selbstwahrnehmung und in dem Selbstwertgefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein, bestärkt. ({2}) Das sind sie aber nicht. Sie sind keine Bürger zweiter Klasse. Sie haben Enormes erreicht, auch in Sachsen-Anhalt. ({3}) Wir haben innerhalb von zwölf Jahren einen Strukturwandel hinbekommen, der sich sehen lassen kann und in Europa ohne Beispiel ist. Das ist einfach Fakt. Wenn Sie zusammen mit den zu kurz Gekommenen und denjenigen, die über den Tisch gezogen wurden, dauernd den Sound anstimmen „I can’t get no satisfaction“, dann bedienen Sie zwar antiwestliche Ressentiments, aber das ist nicht richtig und sie tun den Leuten damit auch keinen Gefallen. Gewöhnen Sie sich auch ab, immer im Namen des ganzen Volkes zu sprechen. Das war vielleicht einmal so, ist aber nicht mehr so. Diese Einheit von Partei und Volk gibt es nicht mehr. ({4}) Da ich nur noch wenig Redezeit habe, möchte ich ein positives Beispiel bringen. Den Bündnisgrünen geht es ja in Ostdeutschland nicht gut. ({5}) Das ist richtig. Aber in Rostock hat es sich zum Beispiel schon geändert. Da haben wir bei der Oberbürgermeisterwahl 19 Prozent erzielt. ({6}) Sie sehen: Mit guten Konzepten und Personen ist die Lage für uns nicht hoffnungslos. Das ist auch in Sachsen-Anhalt ganz wichtig. Wir haben beispielsweise auf dem Gelände von SKET, dem Schwermaschinenkombinat Ernst Thälmann, heute einen Windkraftanlagenbauer, der 2 400 Arbeitsplätze in einer Zukunftsbranche geschaffen hat. Das muss man sehen. Wir sind also keine grünen Spinner, sondern haben frischen Wind in die Wirtschaftspolitik von Sachsen-Anhalt gebracht. Nur das bringt uns weiter. ({7})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort Staatsminister Rolf Schwanitz.

Not found (Gast)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil nach meiner Ansicht einfach ein paar Dinge richtig gestellt werden müssen. ({0}) Ich will mich aber zunächst noch einmal ausdrücklich bei Dr. Wend bedanken. Die Zuhörerinnen und Zuhörer, die heute am Fernseher sitzen, hätten ja ansonsten den Werner Schulz ({1}) Eindruck gewinnen können, dass nichts passiere. Ich sage ausdrücklich noch einmal, dass der Haushaltsausschuss in dieser Woche eine Bundesbürgschaft beschlossen hat, mit deren Hilfe 580 Arbeitsplätze in einer Zellstofffabrik in Stendal angesiedelt werden können. Hier handelt es sich ganz konkret um Aufbau Ost. Das rückt Schmalspuranschuldigungen ins rechte Licht. ({2}) Es sind heute Aussagen getätigt worden, die an Unwahrheit grenzen; sie sind eigentlich glatt unwahr. Ich spreche Sie, Herr Nooke, einmal direkt an, da Sie sich ja auch ein wenig als Spezialist profiliert haben. Als Allererstes will ich noch einmal etwas zu Ihrer Anschuldigung bezogen auf die Aussagen des Bundeskanzlers bei der Kommandeurtagung zum Thema Lohnangleichung sagen. Der Bundeskanzler hat tatsächlich gesagt - ich darf hier zitieren -: Das, was angekündigt worden ist - z. B. aus Sachsen-Anhalt -, dass man das in einer gewissen Stufenfolge machen will, scheint mir deswegen der richtige Weg. Das ist das gesprochene Wort: ein konkretes Bekenntnis zum Stufenplan zur Angleichung der Löhne im Bereich des öffentlichen Dienstes bis 2007. So ist der Sachverhalt, nicht so, wie Sie ihn hier darstellten. ({3}) Ich füge ausdrücklich noch einmal hinzu, da wir ja die Unterschiede, Herr Nooke, nicht zukleistern sollten: Sie sehen das in Ihrem Programm nur für Bundesbedienstete vor; wir aber wollen keine neue Spaltung im öffentlichen Dienst Ost. Das mögen Sie bitte Ihren Sympathisanten in den neuen Bundesländern erklären. So viel zum Ersten. ({4}) Zweitens möchte ich schon noch einmal etwas zu den ominösen Öffnungsklauseln Ost sagen. Sie haben dieses Sonderrecht Ost wieder angeführt und es tauchte auch bei verschiedenen anderen wieder auf. Ich will ausdrücklich noch einmal sagen - allein schon aus Respekt vor dem Altbundeskanzler Helmut Schmidt -: Als dieser Vorschlag im Herbst letzten Jahres kam, ({5}) hat die Wirtschaftsministerkonferenz Ost gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsminister sofort eine Arbeitsgruppe eingesetzt - übrigens unter Federführung von Sachsen -, die zu dem Ergebnis kam, dass dies aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist. ({6}) Es hat noch vor Ostern - das wissen Sie alles; ich darf es aber hier noch einmal sagen - eine Ministerpräsidentenkonferenz Ost stattgefunden, bei der die Ministerpräsidenten gesagt haben, sie wollten so etwas für alle Länder. Übrigens war Ministerpräsident Teufel der Erste, der gesagt hat, für den Osten allein könne es das nicht geben, wenn, dann für alle. Das ist die Situation. Also hören Sie doch auf, solche Dinge zu erzählen, von denen Sie ganz genau wissen, dass sie nicht umgesetzt werden können! Wenn übrigens die größte Regionalzeitung in Ostdeutschland unmittelbar zu dieser Diskussion mit Blick auf Stoibers Forderung sinngemäß schreibt, dass etwas versprochen werde, von dem man ganz genau wisse, dass es das nicht geben werde, dann ist das eine klare Antwort auf solche inhaltslosen Perspektiven, die Sie hier formuliert haben. ({7}) Zum Schluss möchte ich ausdrücklich noch einmal sagen - ich kann das in der Kürze der Zeit nicht weiter ausführen; wir haben aber lang und breit darüber geredet -: Das hat natürlich auch etwas mit der Entsolidarisierungsstrategie zu tun, die parallel dazu praktisch vollzogen wird, und zwar durch die Politik des bayerischen Ministerpräsidenten mit der Verfassungsklage in Karlsruhe gegen den Risikostrukturausgleich, die sich gegen den Mittelstand in Ostdeutschland richtet. ({8}) Im Erfolgsfall droht eine Explosion der Lohnnebenkosten und wird bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in die Lohntüte gegriffen werden. Das ist das konkrete Handeln, das Sie gerne verstecken möchten. Das wird Ihnen aber nicht gelingen. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Jürgen Türk.

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Lemke, Kollege Dr. Wend, Sie haben gesagt, die Opposition rede den Standort kaputt und deswegen sei alles so schlecht. Aber einen Standort kann man nur kaputtregieren. ({0}) Das kenne ich aus DDR-Zeiten: Die Meckerer sind die Schlimmen und deshalb sind sie auch eingesperrt worden. So weit gehen Sie nicht. Aber einen Standort kann man nur kaputtregieren. Die jungen Leute gehen nicht weg, weil alles schlechtgeredet wird, sondern sie gehen weg, weil sie keine Perspektive mehr haben. Das ist die Realität. ({1}) Zum Stadtumbauprogramm: Natürlich ist der Ansatz gut; aber Fakt ist auch, dass die Mittel, die dafür vorgesehen sind, nicht reichen. Damit bekommen Sie nicht einmal den Abriss in einem vernünftigen Zeitraum hin. Das kann man vorrechnen. Sie jedoch tun so, als sei alles schön und gut, aber die Leute gehen trotzdem weg. Also Schluss mit dieser Schönrederei! ({2}) Sie sind als SPD insbesondere für mehr Gerechtigkeit angetreten. Das ist eine schöne Sache. Aber es ist Ihnen nicht gelungen, mehr Wirtschaftswachstum zu erreichen, was sich auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar macht. Die Schere zwischen Ost und West öffnet sich. Das ist keine Schlechtrederei, sondern das ist Fakt. Daraus muss man entsprechende Schlussfolgerungen ziehen. ({3}) Jetzt zu einer großen Gerechtigkeitslücke aus jüngster Vergangenheit, der Rentenlücke beim ehemaligen mittleren medizinischen Personal. Das ist bisher vergessen worden. Wahrscheinlich wird das mittlere medizinische Personal immer vergessen. Wir wollen das hier nicht tun. Es handelt sich dabei um eine große Gruppe, die viel verdient hätte, weil sie viel geleistet hat, die aber wenig verdient hat. Die DDR hat sie damals auf die Rente vertröstet; der Rentenanspruch sah einen Faktor von 1,5 vor. Dann ist die DDR zu Ende gegangen ({4}) und da war guter Rat teuer. Wir haben entsprechend dem DDR-Gesetz bis 1996 den Bestandsschutz gewährt und bei den Renten mit 1,5 multipliziert. Krankenschwestern und Pfleger jedoch, die ab 1997 - das ist das Problem Rentner geworden sind, erhalten jetzt monatlich mindestens 500 DM weniger. Das sind immerhin 340 000 Menschen, die ungerecht behandelt werden und sich auch so behandelt fühlen. ({5}) Es ist nachvollziehbar, wenn sie sagen, dass es so nicht geht. Deswegen haben mein Kollege Klaus Haupt, meine Kollegin Cornelia Pieper und ich die Initiative ergriffen und hat die FDP den Antrag gestellt, die Rente für das mittlere medizinische Personal wie bis 1996 zu berechnen. ({6}) Wir fordern ein faires Rentenrecht für alle, die ab 1997 Rentner geworden sind, damit sie als Rentner nicht ganz alt aussehen. ({7}) Ich möchte noch eine letzte Bemerkung machen. Bei den Problemen in Ostdeutschland handelt es sich um Probleme, über die man nicht einfach so daherreden kann. Aber wahrscheinlich halten Sie diese Probleme für nicht so wichtig; denn bei dieser Debatte hat sich kein Minister sehen lassen. ({8}) - Ausnahmen bestätigen die Regel. Vielen Dank. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege Hans-Peter Kemper das Wort für die Fraktion der SPD.

Hans Peter Kemper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001083, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zu dem eigentlichen Thema, nämlich zu der Angleichung der Löhne in Ost und West, komme, möchte ich eine Vorbemerkung zum Verlauf dieser Debatte machen. Mein Kollege Rainer Wend hat darauf hingewiesen, dass es in Wahlkampfzeiten oftmals schwierig ist, sauber zu differenzieren. Wenn Herr Nooke in fachlicher Hinsicht Unsinn erzählt, dann ist das sein Problem; damit muss er allein fertig werden. Wenn er aber angesichts der näher rückenden Wahl in Sachsen-Anhalt nicht in der Lage ist, menschlich sauber und fair mit den Kolleginnen und Kollegen unserer Fraktion umzugehen, dann ist das bedenklich. Er hat meine Kollegin Sabine Kaspereit der Lüge bezichtigt. Als er in diesem Punkt widerlegt worden ist, hat er nicht einmal den Anstand gehabt, sich zu entschuldigen und diese Behauptung zurückzunehmen. Das ist menschlich zutiefst unanständig und hat nachteilige Auswirkungen auf den Umgang miteinander. ({0}) Die Forderung gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist ein Stück sozialer Gerechtigkeit und damit auch ein Stück grundsätzlicher Politik der Sozialdemokratie. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass im Osten unseres Landes Menschen für engagierte und gute Arbeit weniger Geld bekommen als im Westen. Daher begrüßen wir, dass sich Ministerpräsident Höppner und Bundeskanzler Schröder in dieser Frage sehr deutlich geäußert haben und energisch eine Angleichung gefordert haben. Wir unterstützen nachdrücklich diese Forderung und werden alles daransetzen, den einmal eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Bei den letzten Tarifverhandlungen sind die Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst im Osten in drei Stufen von 86,5 auf heute 90 Prozent angehoben worden. Das ist zwar noch nicht genug und reicht nicht aus. ({1}) Aber es sind wichtige Schritte in die richtige Richtung. Die Nettobetrachtung ergibt ein etwas günstigeres Bild. Aber trotzdem unterstütze ich nachdrücklich das Ziel einer Angleichung der Löhne und Gehälter. Diese Forderung müssen wir bis zum Jahre 2007 in die Tarifverhandlungen einbringen. Hier bin ich bei einem ganz wichtigen Punkt. Vielleicht nicht alle, aber doch die meisten Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause wissen, dass Besoldungserhöhungen immer in einem engen zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang mit den Tarifabschlüssen im öffentlichen Dienst stehen. Es gilt nämlich die Regel: Tarif muss vorangehen; den Tarifverhandlungen darf nicht vorgegriffen werden. Das gilt auch für die Angleichung der Löhne und Gehälter in Ost und West. Genau dies und nichts anderes haben Gerhard Schröder und Reinhard Höppner gefordert. Es ist völlig unstrittig, dass die Einheitlichkeit der Löhne und Gehälter in Ost und West die Menschen seit der Wiedervereinigung beschäftigt. Es ist auch klar, dass gleicher Lohn für gleiche Arbeit ein wichtiges Element für das Zusammenwachsen unserer Gesellschaft ist. Aber auch wenn man diese Erkenntnis teilt, kann man nicht alle Regeln über Bord werfen. Wir müssen die Kompetenzen bezüglich dieser Frage dort lassen, wo sie hingehören, nämlich bei den Tarifparteien. Das gilt umso mehr, als ungefähr 78 Prozent der öffentlich Bediensteten in den neuen Bundesländern Arbeiter und Angestellte und nur 22 Prozent Beamte sind. Lassen Sie mich noch einen anderen wichtigen Aspekt ansprechen. 1998 haben wir von der Vorgängerregierung eine Rekordverschuldung übernommen. ({2}) Der Staatshaushalt musste stabilisiert werden. Gleichzeitig musste die Rekordarbeitslosigkeit abgebaut werden, die Sie uns ebenfalls überlassen hatten. Deswegen sind die Forderungen der PDS nach einer schnellen Angleichung nur schrittweise zu erfüllen. Es darf nicht zu einer Präjudizierung der Verhandlungen über die Beamtenbesoldung kommen. Auf der anderen Seite müssen wir die Länder und Kommunen in Ostdeutschland einbeziehen. Diejenigen, die später die Hauptlast dieser Regelungen im finanziellen Bereich zu tragen haben, müssen auch beteiligt werden. Denn in den neuen Bundesländern gibt es 733 000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Eine Anhebung der Löhne und Gehälter auf 100 Prozent würde etwa 8 Milliarden DM kosten. Auf Bundesebene würden nur 700 000 DM anfallen. Das könnte der Bund leicht leisten. Aber es wäre unverantwortlich, das auf Bundesebene zu beschließen, ohne Länder und Kommunen einzubeziehen, und dann die Länder und Kommunen mit diesem Problem allein zu lassen. ({3}) Die Länder und Kommunen werden ungleich höher belastet. Deswegen kann es für Bund, Länder und Kommunen nur einen Weg geben. Wir werden gemeinsam dazu beitragen, dass die Löhne und Gehälter in den Tarifverhandlungen bis zum Jahre 2007 - zumindest soll dies versucht werden auf Westniveau angeglichen werden. Allerdings muss dies unter den schon heute geltenden Voraussetzungen geschehen, dass der Tarif weiterentwickelt wird, den Tarifverhandlungen nicht vorgegriffen wird und es nicht zu untragbaren finanziellen Belastungen von Kommunen und Ländern kommt. Hier ist nur ein gemeinsamer Weg erfolgversprechend und den werden wir gehen. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Angelegenheiten der neuen Länder auf Drucksache 14/8569 zu dem Antrag der FDP-Fraktion mit dem Titel „Offensive für Zukunftsinvestitionen in neuen Bundeslän- dern starten - Abwanderung stoppen - 10-Punkte-Pro- gramm für den Aufbau Ost“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/6066 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal- tung? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von FDP und CDU/CSU angenommen. Tagesordnungspunkt 4 c: Interfraktionell wird Über- weisung der Vorlage auf Drucksache 14/7833 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 4 d: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Druck- sache 14/8519 zu dem Antrag der Fraktion der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Waggon- baustandorte erhalten“. Der Ausschuss empfiehlt, den An- trag auf Drucksache 14/7973 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal- tungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthal- tung der CDU/CSU und der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 4 e: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Angelegenheiten der neuen Länder auf Drucksache 14/8567 zu dem Antrag der PDS-Fraktion „Verlässliche Perspektiven für Ostdeutschland und auch für die westdeutschen Steuerzahlenden sichern“. Der Aus- schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/6492 ab- zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfeh- lung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 4 f: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Druck- sache 14/4691 zu dem Antrag der PDS-Fraktion „Gleich- stellung der von Strukturkrisen betroffenen Bergleute in Ost und West“. Der Ausschuss empfiehlt, diesen Antrag auf Drucksache 14/2385 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltun- gen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 4 g sowie Zusatzpunkte 3 und 4: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/7612 und 14/8783 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Das Haus ist damit einverstanden. Bei der Drucksache 14/8791 wünscht die PDS eine Ab- stimmung zur Sache. Wer stimmt dafür, dass zur Sache abgestimmt wird? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann überweisen wir, wenn Sie damit einverstanden sind, auch diese Drucksache an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse. Wir kommen jetzt zu Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Ich rufe die Tagesordnungs- punkte 29 a bis 29 q sowie Zusatzpunkte 5 a und 5 b auf: 29 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ({0}) - Drucksache 14/8766 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zum NATO-Truppenstatut und anderer Gesetze ({2}) - Drucksache 14/8764 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({3}) Verteidigungsausschuss c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ - Drucksache 14/8733 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4}) Ausschuss für Gesundheit d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes - Drucksache 14/8711 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({5}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen e) Erste Beratung des von den Abgeordneten Christine Ostrowski, Heidemarie Ehlert, Rolf Kutzmutz, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagegesetzes 1999 - Drucksache 14/8549 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({6}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Stiftungsrechts - Drucksache 14/8765 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({7}) Innenausschuss Sportausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes und anderer versicherungsrechtlicher Vorschriften - Drucksache 14/8770 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({8}) Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft h) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Rechts der Vertretung durch Rechts- anwälte vor den Oberlandesgerichten - Drucksache 14/8763 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung des Marktzugangs im Luftverkehr - Drucksache 14/8730 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({9}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes ({10}) - Drucksache 14/8732 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({11}) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend k) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, Dr. Irmgard Schwaetzer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung einer angemessenen Vergütung psychotherapeutischer Leistungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung - Drucksache 14/8400 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({12}) Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tobias Marhold, Brigitte Adler, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Monika Knoche, Dr. Angelika Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Entwicklungszusammenarbeit mit Namibia - Drucksache 14/5796 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({13}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Tourismus m)Beratung des Antrags der Abgeordneten KlausJürgen Hedrich, Dr. Norbert Blüm, Siegfried Helias, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Gezielter und intensiver als bisher Demokratisierung und Wiederherstellung des Rechtsstaates in Simbabwe unterstützen - Drucksache 14/5757 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({14}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe n) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidemarie Ehlert, Heidemarie Lüth, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Bestellung einer Amtsanklägerin/eines Amtsanklägers - Drucksache 14/7227 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({15}) Innenausschuss Rechtsausschuss o) Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Bläss, Wolfgang Gehrcke, Uwe Hiksch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Partnerschaftliche Beziehungen zu Lateinamerika festigen und ausbauen - Drucksache 14/8558 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({16}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union p) Beratung des Antrags der Abgeordneten Georg Brunnhuber, Dirk Fischer ({17}), Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages bei Transrapid-Entscheidungen sichern - Drucksache 14/8590 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({18}) Haushaltsausschuss q) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartmut Büttner ({19}), Kurt-Dieter Grill, Peter Letzgus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans Erschließung der Altmark und angrenzender Gebiete mittels der Autobahnen A 14 und A 39 in Form der so genannten X-Konzeption - Drucksache 14/8591 ({20}) - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ZP 5a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung tierarzneimittelrechtlicher Vorschriften - Drucksache 14/8613 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({21}) Ausschuss für Gesundheit b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes - Drucksache 14/8781 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({22}) Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Gesetzentwurf auf Drucksache 14/8711 - Tagesordnungspunkt 29 d - soll zusätzlich an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen werden. - Ich sehe, dass das Haus damit einverstanden ist. Dann ist so beschlossen. Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten 30 a bis 30 l sowie zu Zusatzpunkt 6. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 30 a: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Winfried Wolf, Dr. Dietmar Bartsch, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes ({23}) - Drucksache 14/3332 ({24}) a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({25}) - Drucksache 14/8551 - Berichterstattung: Abgeordneter Wieland Sorge Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters b) Bericht des Haushaltsausschusses ({26}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 14/8556 Berichterstattung: Abgeordnete Bartholomäus Kalb Gerhard Rübenkönig Matthias Berninger Dr. Günter Rexrodt Der Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel, PDS-Fraktion, hat gebeten, eine kurze persönliche Erklärung dazu abgeben zu dürfen. Ich gebe ihm das Wort.

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mein Abstimmungsverhalten bei der Entscheidung über den von der PDS eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes darlegen und kurz begründen. Dazu liegen die Beschlussempfehlung und der Bericht des federführenden Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksache 14/8551 vor. Die Beschlussempfehlung lautet, den Gesetzentwurf der PDS-Fraktion abzulehnen. Ich stimme gegen diese Beschlussempfehlung, weil damit eine Ungleichbehandlung ostdeutscher Kommunen zementiert und für rechtens erklärt wird. Es geht darum, dass ostdeutsche Kommunen auch weiterhin die Grundsanierungskosten, die sich bei der Rekonstruktion der über Jahrzehnte vernachlässigten Straßenbrücken über Schienenwege der Eisenbahn ergeben, tragen müssen, ({0}) während im Altbundesgebiet dafür die Eisenbahnunternehmen aufzukommen haben. Das ist Ungleichbehandlung pur. Als so genannte Begründung für diese Ungleichbehandlung muss eine formale DDR-Verwaltungsvereinbarung aus dem Jahre 1953 herhalten, nach der Straßenüberführungen in die Baulast der Kommunen übertragen wurden. Ich stimme gegen diese Beschlussempfehlung, weil die eben angesprochene Übertragung aufgrund einer 49 Jahre alten DDR-Verwaltungsvereinbarung nur eine Verantwortung, bloß auf dem Papier, mit sich brachte. Die Kommunen in der ehemaligen DDR hatten - ich zitiere keine eigene Finanzhoheit und sind mithin für den schlechten Erhaltungszustand der Brückenbauwerke nicht verantwortlich zu machen. Dieses Zitat stammt aus einem Änderungsantrag der SPD-Fraktion zum Eisenbahnkreuzungsgesetz aus der letzten Wahlperiode. Damals, vor fünf Jahren, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat auch die SPD-Fraktion verlangt - ich zitiere Ihren eigenen Antrag -, dass die Kosten für die aufgelaufenen Unterhaltungsrückstände nicht den ostdeutschen Kommunen aufgebürdet werden, sondern je zur Hälfte vom Bund und vom Eisenbahnunternehmen zu tragen sind. Genau diese damalige Forderung der SPD - und nichts anderes - steht heute im Gesetzentwurf der PDS.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Rössel, Sie können begründen, warum Sie wie stimmen, aber Sie haben nicht das Recht, sich im Rahmen einer persönlichen Erklärung mit den Positionen der anderen Fraktionen auseinander zu setzen. Ich bitte Sie daher, zum Schluss zu kommen.

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich stimme gegen die Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses, weil die im Bericht des Ausschusses erwähnten Entlastungsmaßnahmen für die Jahre 1999 bis 2003 in einer Gesamthöhe von rund 125 Millionen Euro das Problem nicht lösen werden. Ich stimme ferner gegen die Beschlussempfehlung, weil damit die jahrelangen Hilferufe der Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker ignoriert werden. Ich stimme gegen die Beschlussempfehlung, weil sich die kommunalen Spitzenverbände in Stellungnahmen, die uns vorgelegt worden sind, deutlich für die Annahme dieser parlamentarischen Initiative ausgesprochen haben. Die Annahme des PDS-Gesetzentwurfes durch das Hohe Haus wäre gerade in Zeiten dramatischer Finanznot ostdeutscher Kommunen ein spürbarer Schritt zu deren Entlastung von Ausgaben, die sie nicht zu verantworten haben. Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, helfen Sie mit, zu retten, was noch zu retten ist. Stimmen Sie gegen diese Beschlussempfehlung!

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Rössel, Sie können Ihr Abstimmungsverhalten begründen. Ich entziehe Ihnen das Wort.

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Sie können Ihr Abstimmungsverhalten begründen und sonst nichts. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt auf Drucksache 14/8551, den Gesetzentwurf abzulehnen. Diejenigen, die diesem Gesetzentwurf zustimmen möchten, bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 30 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 3. Juni 1999 betreffend die Änderung des Übereinkommens vom 9. Mai 1980 über den internationalen Eisenbahnverkehr ({0}) - Drucksache 14/8172 ({1}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({2}) - Drucksache 14/8547 Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters Berichterstattung: Abgeordneter Horst Friedrich ({3}) Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt auf Drucksache 14/8547, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen Mehrheit wie in der zweiten Beratung angenommen. Tagesordnungspunkt 30 c: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 2. Februar 1998 über die Vorrechte und Befreiungen der Kommission zum Schutz der Meeresumwelt der Ostsee - Drucksache 14/8217 ({4}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({5}) - Drucksache 14/8614 Berichterstattung: Abgeordnete Christel Deichmann Kurt-Dieter Grill Birgit Homburger Eva Bulling-Schröter Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 14/8614, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen möchten, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 30 d: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. November 2000 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über den Bau und die Erhaltung von Grenzbrücken im nachgeordneten Straßennetz - Drucksache 14/8224 ({6}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({7}) - Drucksache 14/8641 Berichterstattung: Abgeordnete Renate Blank Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt auf Drucksache 14/8641, den Gesetzentwurf anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen möchten, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte, sich zu erheben, wenn Sie zustimmen möchten. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 30 e: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 10. November 2000 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über die Zusammenarbeit bei der Wahrnehmung schifffahrtspolizeilicher Aufgaben auf dem deutsch-französischen Rheinabschnitt - Drucksache 14/8219 ({8}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({9}) - Drucksache 14/8645 Berichterstattung: Abgeordnete Renate Blank Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt, diesen Gesetzentwurf anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen möchten, bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 30 f: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. September 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über den Zusammenschluss der deutschen Autobahn A 17 und der tschechischen Autobahn D 8 an der gemeinsamen Staatsgrenze durch Errichtung einer Grenzbrücke - Drucksache 14/8220 ({10}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({11}) - Drucksache 14/8646 Berichterstattung: Abgeordnete Renate Blank Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters Der bereits genannte Ausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf anzunehmen. Diejenigen, die zustimmen möchten, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 30 g: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Juni 2001 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über den Bau und die Erhaltung von Grenzbrücken über den Rhein, die nicht in der Baulast der Vertragsparteien liegen - Drucksache 14/8216 ({12}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({13}) - Drucksache 14/8647 Berichterstattung: Abgeordnete Renate Blank Der genannte Ausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf anzunehmen. Diejenigen, die zustimmen möchten, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte, sich zu erheben, wenn Sie zustimmen möchten. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 30 h: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll Nr. 6 vom 21. Oktober 1999 zu der Revidierten Rheinschifffahrtsakte vom 17. Oktober 1868 - Drucksache 14/8215 ({14}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({15}) - Drucksache 14/8650 Berichterstattung: Abgeordnete Renate Blank Der genannte Ausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 30 i ist einmal etwas anderes: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Abkommens vom 4. Dezember 1991 zur Erhaltung der Fledermäuse in Europa - Drucksache 14/7980 ({16}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({17}) - Drucksache 14/8409 Berichterstattung: Abgeordnete Christel Deichmann Cajus Caesar Sylvia Voß Birgit Homburger Eva Bulling-Schröter ({18}) - Besonderer Beifall aus der Fraktion der Grünen! Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 14/8409, den Gesetzentwurf über die Erhaltung der Fledermäuse in Europa anzunehmen. ({19}) Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt gegen die Erhaltung der Fledermäuse in Europa? - Niemand. Enthaltungen? - Auch niemand. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. ({20}) - Noch sind wir nicht fertig. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Das ist ein erhebendes Bild. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Ich danke Ihnen. Tagesordnungspunkt 30 j: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 10. März 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Korea zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters - Drucksache 14/8213 ({21}) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({22}) - Drucksache 14/8794 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Schultz ({23}) Hansgeorg Hauser ({24}) Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/8794, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich sage nur zur Klärung, dass es keine dritte Lesung gibt, da es sich um ein Vertragsgesetz handelt. Ich bitte diejenigen, die dafür stimmen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 30 k: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({25}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Kurdische Namensgebung in der Bundesrepublik Deutschland ermöglichen - Drucksachen 14/3749, 14/8513 Berichterstattung: Abgeordnete Harald Friese Martin Hohmann Cem Özdemir Dr. Max Stadler Ulla Jelpke Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3749 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 30 l: Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS Änderung des Zeitraumes für die Berichte der Bundesregierung über den Stand der Auszahlungen und die Zusammenarbeit der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ mit den Partnerorganisationen - Drucksache 14/8612 Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen. Nun kommen wir zu Zusatzpunkt 6: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({26}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Entwicklung der Konvergenz in der Europäischen Union im Jahr 2000 - Drucksachen 14/7563, 14/8580 Berichterstattung: Abgeordnete Lothar Binding ({27}) Klaus-Peter Willsch Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis der Unterrichtung auf Drucksache 14/7563, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 5 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Zollfahndungsdienstes ({28}) - Drucksache 14/8007 ({29}) ({30}) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({31}) - Drucksache 14/8515 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Schultz ({32}) Heidemarie Ehlert Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch, dann ist dies so beschlossen. Bevor ich die Aussprache eröffne, weise ich darauf hin, dass zur Annahme des Gesetzes, über das wir in einer halben Stunde namentlich abstimmen werden, nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes die absolute Mehrheit erforderlich ist. Das sind 334 Stimmen. Nunmehr eröffne ich die Aussprache und gebe als erster Rednerin der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen, der Kollegin Dr. Barbara Hendricks, das Wort.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Danke schön, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Anforderungen an eine wirksame und nachhaltige Kriminalitätsbekämpfung durch den Zollfahndungsdienst haben sich in den letzten Jahren aufgrund der Verwirklichung des Binnenmarktes, der Öffnung der Grenzen nach Osteuropa und der immer häufiger anzutreffenden Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität grundlegend geändert. Der heute zu verabschiedende Entwurf eines Zollfahndungsneuregelungsgesetzes schafft die Voraussetzungen dafür, diesen geänderten Anforderungen Rechnung zu tragen. Dabei verfolgen wir mit diesem Gesetz drei Ziele: erstens die Errichtung eines einheitlichen Organisationsstranges für den Zollfahndungsdienst, zweitens die detaillierte Regelung der Aufgaben und der Befugnisse des Zollkriminalamtes und der Zollfahndungsämter sowie drittens die Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters Schaffung bereichsspezifischer Datenschutzbestimmungen für das Zollkriminalamt und die Zollfahndungsämter. Bisher sind die Zollfahndungsämter organisatorisch und personell den Oberfinanzdirektionen unterstellt und erhalten daneben vom Zollkriminalamt fachliche Weisungen. Die einheitliche organisatorische, personelle und fachliche Unterstellung der Zollfahndungsämter unter das Zollkriminalamt schafft nunmehr klare Organisationsstränge, wie sie im Übrigen auch vom Rechnungsprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages und vom Bundesrechnungshof angesichts der engen Verzahnung der Aufgaben des Zollkriminalamtes und der Zollfahndungsämter gefordert werden. Wegen der hierzu erforderlichen Umwandlung des Zollkriminalamtes in eine Mittelbehörde bedarf der Gesetzentwurf gemäß Art. 87 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes der Zustimmung des Bundesrates sowie der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages; der Herr Präsident hat soeben darauf hingewiesen. Die Anbindung der Zollfahndungsämter an das Zollkriminalamt ist ein wichtiger Schritt im Rahmen der Neustrukturierung der Bundesfinanzverwaltung innerhalb unseres Regierungsprogramms „Moderner Staat Moderne Verwaltung“. Der Gesetzentwurf stellt die Aufgaben und Befugnisse des Zollkriminalamtes und der Zollfahndungsämter, soweit sie nicht bereits in anderen Gesetzen geregelt sind, auf eine eindeutige Rechtsgrundlage und knüpft im Wesentlichen an die gegenwärtigen Tätigkeiten des Zollfahndungsdienstes an. Dabei spiegeln die Aufgaben des Zollkriminalamtes dessen unterschiedlichen Charakter einerseits als Überwachungsbehörde, soweit es an der Überwachung des Außenwirtschaftsverkehrs und des grenzüberschreitenden Waren- und Bargeldverkehrs mitwirkt, und andererseits als Strafverfolgungs- und als Finanzbehörde, soweit es im Rahmen seiner Ermittlungsaufgaben zum Zwecke einer gesetz- und gleichmäßigen Besteuerung im Zoll- und Verbrauchsteuerbereich auch steuerlich tätig wird, wider. Die Aufgabe, eigenständig an der durch die Hauptzollämter und Zollfahndungsämter durchzuführenden Bekämpfung der international organisierten Geldwäsche mitzuwirken, geht über die bisherige Tätigkeit des Zollkriminalamtes hinaus. ({0}) Der Entwurf stellt den Zollfahndungsbehörden zur Erfüllung präventiver Aufgaben neben allgemeinen Befugnissen nunmehr auch besondere Mittel der Datenerhebung zur Verfügung. Insofern wird durch den Entwurf eine Angleichung an die in den Länderpolizeigesetzen vorhandenen Regelungen hergestellt. Nicht zuletzt schaffen wir mit dem Gesetzentwurf die zur Wahrung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung des Bürgers notwendigen bereichspezifischen Datenschutzbestimmungen und tragen somit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung. Wegen der besonderen Eingriffsintensität einiger Befugnisse sind diese datenschutzrechtlichen Bestimmungen teilweise sehr detailliert. Sie berücksichtigen im Übrigen die im Mai 2001 in Kraft getretenen Änderungen des Bundesdatenschutzgesetzes. Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme vom Dezember 2001 Ergänzungs- und Änderungsvorschläge unterbreitet, die aus fachlicher und datenschutzrechtlicher Sicht nicht vollständig aufgegriffen werden konnten. Zu der zustimmungsbedürftigen Errichtung des Zollkriminalamtes als Mittelbehörde hat der Bundesrat nicht Stellung genommen. Die Änderungen im Finanzverwaltungsgesetz betreffen die geänderte Unterstellung der Zollfahndungsämter und die Aufhebung der ohnehin als vorübergehend konzipierten Vorschrift über Aufgaben und Befugnisse des Zollkriminalamtes. Soweit andere Gesetze, wie das Grundstoffüberwachungsgesetz, das Bundeskriminalamtsgesetz und die Abgabenordnung, auf diese aufzuhebenden Regelungen verweisen, bestand ein Anpassungsbedarf. Im Bereich des Straßenverkehrsrechts werden die Zugriffsmöglichkeiten des Zollfahndungsdienstes sowie der Zolldienststellen, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben auch Kontrollen von Beförderungsmitteln durchführen und hierzu ein Anhalterecht besitzen, verbessert. Im Bereich des Außenwirtschaftsrechts war die Schaffung einer Bußgeldandrohung notwendig, um bei der Durchführung von Maßnahmen nach dem Außenwirtschaftsgesetz die Erteilung von Auskünften und die Herausgabe von Sendungen auch erzwingen zu können. Das Bundesverfassungsschutzgesetz und das Bundesnachrichtendienstgesetz werden um bereichsspezifische Datenschutzregelungen für so genannte Spontanübermittlungen der Behörden des Zollfahndungsdienstes ergänzt. Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden Organisation, Aufgaben und Befugnisse des Zollfahndungsdienstes neu definiert und klar geregelt. ({1}) Dies dient sowohl der inneren Sicherheit als auch der Rechtssicherheit der mit diesen Aufgaben betrauten Stellen. Schließlich wird ein datenschutzrechtlich angemessener Ausgleich zwischen den Belangen des Staates bei der Kriminalitätsbekämpfung und den berechtigten Interessen des Einzelnen geschaffen. Im Finanzausschuss war es zeitweise zu Irritationen gekommen, weil die Verwaltung im Vorgriff auf die zu erwartende Gesetzesänderung bereits Personaldienststellen ausgeschrieben hatte. Von den ausgeschriebenen Stellen sind im Hinblick auf die zu erwartenden Gesetzesänderungen 19 Dienstposten ausgeschrieben gewesen, damit die Gesetzesänderungen im künftigen Bereich Organisation, Personal und Haushalt zügig umgesetzt werden können. Selbstverständlich werden diese Stellen erst dann besetzt, wenn dieses Gesetz verabschiedet ist, zumal diese Stellen sonst gar nicht vorhanden wären. Insofern erfolgt kein unzulässiger Vorgriff, sondern dies ist verwaltungsübliches Handeln, um eine rasche Umsetzung der Gesetzgebung tatsächlich vollziehen zu können. Ich bitte deshalb um die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Jochen-Konrad Fromme.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir als Union unterstützen die Grundanliegen dieses Gesetzentwurfes. Veränderte Verhältnisse erfordern neue Strukturen. Deswegen ist es selbstverständlich, dass diese von Zeit zu Zeit angepasst werden müssen. Wo immer es geht, unterstützen wir natürlich die Kriminalitätsbekämpfung. Deswegen braucht der Bund der Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft keine Sorge zu haben, dass wir etwa nicht hinter der Arbeit der Beamten und der anderen Mitarbeiter des Staates stehen. ({0}) Aber es müssen der richtige Weg und die richtigen Mittel sein. Genau das ist hier nicht der Fall. Wir können diesem Gesetzentwurf aus zwei Gründen nicht zustimmen. Es geht zunächst einmal um den Umgang der Regierung mit dem Parlament. Frau Staatssekretärin, ich beurteile es völlig anders, wenn im Vorgriff auf ein Gesetz, das sogar eine Kanzlermehrheit benötigt, hierzu in der Verwaltung schon Fakten geschaffen werden. Es war nicht nur so, dass die Stellen schon ausgeschrieben wurden, sondern Sie haben dies im Ausschuss zunächst sogar geleugnet und mussten sich dann selber verbessern. Ein solcher Umgang macht es unmöglich, einem solchen Gesetzentwurf zuzustimmen. Im Übrigen stärkt es nicht gerade das Vertrauen, wenn die Regierungsvertreter so schlecht informiert sind und den Sachverhalt noch nicht einmal erklären können. Deswegen können wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. ({1}) Daneben führen natürlich auch handwerkliche Mängel dazu, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Die datenschutzrechtlichen Regelungen entsprechen nicht den Vorstellungen, die wir damit verbinden. Wenn beispielsweise in § 11 Abs. 4 des Zollfahndungsneuregelungsgesetzes davon die Rede ist, dass bei durchschnittlich jedem zehnten Datenabruf zu Zwecken der Datenschutzkontrolle Protokolle gefertigt werden, dann ist das viel zu unbestimmt und ermöglicht gerade die Manipulation, die durch solche Kontrollvorschriften ausgeschlossen werden soll. Es soll doch protokolliert werden, um zum einen diejenigen, die damit umgehen, zu disziplinieren, und zum anderen diejenigen, die betroffen sind, in ihren Rechten zu schützen. Wenn ich nun etwas nicht ganz Koscheres machen will, dann erkläre ich, dass nicht das zehnte, sondern das elfte Mal protokolliert wird. So etwas geht nicht. Wenn ein Gesetz handwerklich so schlecht gestaltet ist, dann können und werden wir das nicht billigen. Deswegen werden wir dem nicht zustimmen. ({2}) Sie haben auf eine ähnliche Formulierung im BKAGesetz hingewiesen, das unter unserer Verantwortung beschlossen worden ist. Ich habe mir die Diskussion einmal angeschaut. Ich weiß jetzt, was Sie damals dazu gesagt haben und dass Sie dazu sehr kritisch Stellung genommen haben. Gleiches gilt für andere unbestimmte Begriffe, wie „Straftaten mit erheblicher Bedeutung“, die damals eine große Rolle gespielt haben. Ich frage mich schon, woher der Meinungswandel kommt, dass Sie plötzlich Dinge, die Sie vor Ihrer Regierungstätigkeit verteufelt haben, jetzt nicht nur billigen, sondern sogar als selbstverständlich und handwerklich in Ordnung darstellen. Ich hätte gerne erlebt, wie Ihre Reaktion gewesen wäre, wenn wir ein solches Gesetz vorgelegt hätten. Sie wäre wahrscheinlich genauso ablehnend wie damals beim BKA-Gesetz gewesen. Deswegen muss man schon ein bisschen Ursachenforschung betreiben, um herauszufinden, was zu Ihrem Meinungsumschwung geführt hat. Ich glaube, Sie nutzen jede Gelegenheit, um Geld in die staatlichen Kassen zu holen. Das ist Ihr Grundprinzip. Deswegen ist es Ihnen auch völlig egal, was Sie früher zum Datenschutz und zu ähnlichen Dingen gesagt haben. Wenn sich damit jetzt das Steueraufkommen erhöhen lässt, dann ist es Ihnen recht und billig. Das ist nicht in Ordnung. ({3}) Sie setzen doch Ihre Linie mit Ökosteuer, Tabaksteuer und Versicherungsteuer fort. Sie behaupten, Sie hätten den Mittelstand entlastet. Gestern konnten wir in der Anhörung zum Familienrecht wieder einmal hören, dass die Familien weniger Geld als vorher in der Tasche haben. Das haben Experten gesagt. Das waren nicht unsere Vorstellungen. Da bemüht sich der Finanzminister angesichts der desolaten Haushaltslage, deutlich zu machen, dass es keine Steuererhöhungen geben soll. Im gleichen Atemzug sagen Ihnen die Gewerkschaften: Vermögensteuer und Erbschaftsteuer müssen kräftig erhöht werden. - Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist ein Thema, das jedermann angeht. Denn spätestens über die Miete wird es jeden einholen. ({4}) Das ist Ihre Politik. Genau in diese Politik reiht sich auch Ihr Meinungswandel ein, was die Frage des Datenschutzes und ähnliche Dinge betrifft. ({5}) Sie haben in der Steuerpolitik jedes Maß für praktische Regelungen verloren. ({6}) Sie machen viele Eingriffe und haben in der Steuerpolitik ein Klima geschaffen, das es den Betroffenen vermiest und unmöglich macht, zu wirtschaften. Wer mit Schrot auf Mücken schießt, wie Sie es tun, meine Damen und Herren, der wird sehr wahrscheinlich die Mücken nicht treffen, aber rundum großen Schaden anrichten. Genau so ist Ihre Steuerpolitik. Ich werde Ihnen das gleich an wenigen Beispielen erläutern. ({7}) Um einem Zwischenruf vorzubeugen, will ich dazu gleich sagen: Steuermissbrauch und -kriminalität bezeichnen wir nicht als Mücke. Vielmehr geht es um die Frage der handwerklichen Durchführung ihrer Bekämpfung. Sie haben einen neuen Feind entdeckt. Dieser Feind ist bei Ihnen der Unternehmer, der wirtschaftlich Tätige. ({8}) Für Sie ist jeder ein potenzieller Krimineller. Deswegen behandeln Sie ihn so. Ich nehme nur einmal das Thema Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz. Meine Damen und Herren, Sie haben ein Recht statuiert, Wohnungen und Geschäftslokale ohne vorherige Ankündigung zu betreten, ohne dass - wie es in anderen Eilfällen ist - vorher ein Staatsanwalt das prüft. Sie haben die Regelung geschaffen, dass man sofort ohne Anordnung in eine Betriebsprüfung eintreten kann. Wer so jeden Steuerpflichtigen als Quasikriminellen behandelt, ({9}) der darf sich doch nicht wundern, wenn ihm diese Leute weglaufen. ({10}) Nehmen Sie den Tatbestand des § 370 a, gewerbsmäßige oder bandenmäßige Steuerhinterziehung. ({11}) - Ich schildere das Klima, in dem sich dieses Thema bewegt. Da haben Sie jeden wegen der kleinsten Steuerverfehlung gleich zum Schwerkriminellen gemacht. Das war nicht etwa, wie die Deutsche Steuergewerkschaft es gestern verniedlichen wollte, eine versehentliche Kriminalisierung. Ich erinnere mich an die intensive Debatte im Ausschuss gerade um diese Punkte. Sie haben es trotzdem gemacht. Jetzt merken Sie es. Ich komme zum Thema Steuernummer. Meine Damen und Herren, Sie haben den Datenschutz immer sehr ernst genommen. Jetzt wollen Sie plötzlich einführen, dass die Steuernummer auf jede Rechnung geschrieben werden muss. Damit ist das Steuergeheimnis im höchsten Maße gefährdet. ({12}) - Herr Tauss, richtiger Datenschutz ist natürlich in Ordnung. Sie haben das in der Vergangenheit überzogen. Jetzt sind Sie ins andere Extrem gefallen und sagen: Das interessiert uns alles nicht mehr; wir müssen nur diesen bösen Steuerpflichtigen ständig auf die Finger schauen und auf die Finger klopfen. Wer sich so benimmt, der braucht sich nicht zu wundern, dass der Mittelstand als Hauptbetroffener keine Lust hat, in Deutschland zu arbeiten und zu wirtschaften. ({13}) Wer sich so benimmt, der braucht sich nicht zu wundern, wenn das notwendige Wirtschaftswachstum nicht zustande kommt. Statt hier zu überziehen, sollten Sie sich einmal richtig um die Frage der Arbeitslosigkeit kümmern. Dann bräuchten wir uns nicht über 4,3 Millionen Arbeitslose zu unterhalten. Sie sollten handwerklich ordentlich und sauber arbeiten! ({14}) Meine Damen und Herren, ich wiederhole, was ich eingangs gesagt habe: Wenn am Parlament vorbei Fakten geschaffen werden, dann ist das nicht zu billigen. Wenn eine Koalitionsfraktion dies einfach hinnimmt, dann zeigt das, dass sie im Grunde ihre parlamentarische Aufgabe gar nicht wahrnimmt, sondern Büttel der Regierung ist und immer nur applaudiert, um das zu unterstreichen, was diese sagt. Das kann es nicht sein. Wir werden deshalb diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. ({15})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht die Kollegin Christine Scheel.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Fromme, Ihr Beitrag war insofern wieder sehr erhellend, ({0}) als wir jetzt wissen, dass die Union wirklich überhaupt kein Interesse daran hat, Steuerhinterziehung zu bekämpfen. ({1}) Das ist aus Ihren Ausführungen sehr deutlich geworden. Welchen Sinn macht es denn, wenn ein Fahnder oder ein Prüfer kommt, nachdem er sich schriftlich angekündigt hat, und derjenige, der geprüft werden soll, vorher die Akten oder die Disketten verschwinden lässt? Das ist doch Unsinn. Um Kriminalitätsbekämpfung vorzunehmen, ist es deshalb notwendig, dass man vernünftige Zugriffe organisiert. Das haben wir gesetzlich geregelt; das ist auch richtig so. Wir sprechen jetzt hier über das Zollfahndungsneuregelungsgesetz. Es war für die Union anscheinend nicht so einfach, Gründe zu finden, warum sie dieses Gesetz abJochen-Konrad Fromme lehnen will. Sie haben sich dann auf die eher formale Ebene zurückgezogen, ({2}) sich aber nicht zu inhaltlichen Aspekten geäußert. Das finde ich sehr bedauerlich, denn es geht darum, dass wir wegen des europäischen Binnenmarktes, wegen der Öffnung der Grenzen nach Osteuropa und wegen der in den letzten Jahren in verschiedenen Formen zunehmend auftretenden organisierten Kriminalität eine sehr wirksame Kriminalitätsbekämpfung benötigen. Dafür ist dieses Gesetz gedacht, denn bei den Zollfahndungsbehörden sind eine stärkere Konzentration von Personal und dessen stärkere Spezialisierung bei der Umsetzung der Aufgaben nötig. Dies gewährleistet einen effektiveren Personaleinsatz. Zollfahndungsaktivitäten werden in Deutschland künftig hochspezialisiert mit schlagkräftigen Einheiten erfolgen können. Das ist der Hintergrund dieses Gesetzes. Es reicht aber nicht aus, allein auf diesen Punkt zu setzen. Vielmehr benötigt der Zollfahndungsdienst auch klare Kompetenzen und klare Weisungswege. Die gesamte Organisation muss weiter gestrafft werden. Auch dies ist Bestandteil des vorgelegten Gesetzentwurfes. Mit diesem Gesetzentwurf, über den wir heute abschließend beraten, findet die Neuordnung bei der Zollfahndung ihren Abschluss. Die Zollfahndungsbehörden erhalten mehr Befugnisse, um Zollvergehen im Vorfeld zu verhindern, um sie aufzudecken, um die Täter zu ermitteln. So dürfen sie künftig beispielsweise personenbezogene Daten sammeln. Sie dürfen zur Erhebung dieser Daten in gleicher Weise wie Polizeibeamte ermitteln. Dabei ist ganz klar geregelt, dass sehr eingriffsintensive Methoden wie zum Beispiel längerfristige Observationen mit Bild- und Tonaufzeichnungen eben nur bei gewerbs-, gewohnheits- oder bandenmäßig begangenen Straftaten eingesetzt werden dürfen. Dies ist auch dringend notwendig, denn Zollkriminalität und organisierte Kriminalität überschneiden sich immer stärker. Eine Behörde kann nur effektiv arbeiten, wenn klar ist, wer welche Weisungen zu erteilen hat. Bisher überschneiden sich diese Weisungskompetenzen im Zollfahndungsdienst. Das erschwert die Arbeit; die eindeutige Anbindung der Zollfahndungsämter an das Zollkriminalamt ist auch aus diesem Grund dringend notwendig. Klare Organisationsstränge im Zollfahndungsdienst haben im Übrigen der Bundesrechnungshof schon seit 1996 und auch der Rechnungsprüfungsausschuss seit 1997 eingefordert. Diese Forderungen setzen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf um. Jetzt kann durch die direkte Zusammenarbeit des koordinierenden Zollkriminalamtes mit den regional selbstständigen Zollfahndungsämtern Kriminalität nachhaltig und erfolgreich bekämpft werden. So können zum Beispiel die Zollfahndungsämter die Spezialeinheiten des Zollkriminalamtes nun kurzfristig und unkompliziert anfordern. Umgekehrt laufen verschiedene dezentral gesammelte Informationen im Zollkriminalamt zusammen und können dort weiter ausgewertet werden. Unsere europäischen Partner brauchen einen eindeutigen Ansprechpartner, wenn Ermittlungen auch über die Grenzen hinweg - wir alle betonen immer, dass dies notwendig ist - erfolgreich sein sollen. Gerade auf der europäischen Ebene sind in den letzten Jahren neue Aufgaben entstanden. In diesem Zusammenhang denke ich nur an die Bekämpfung der Geldwäsche. Aber auch bei der Erledigung ihrer klassischen Aufgaben trifft die Zollfahndung heute immer wieder auf Täterstrukturen, die in der gesamten Europäischen Union agieren. Für die erfolgreiche Bekämpfung ist deshalb eine effektive Amts- und Rechtshilfe durch und für andere Länder immer wichtiger geworden. Das Zollkriminalamt wird hier eine zuverlässige Verbindung zu den entsprechenden Dienststellen der europäischen Partner sichern. Alle damit verbundenen Veränderungen werden uns in Zukunft helfen, Kriminalität zu bekämpfen. Deshalb bedaure ich es sehr, dass die Union diesen Gesetzentwurf nicht mittragen will. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Carl-Ludwig Thiele.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Um es gleich vorwegzunehmen: Die FDP lehnt den Entwurf des Zollfahndungsneuregelungsgesetzes ab. ({0}) Es ist eine unglaubliche Missachtung des Parlaments, wenn mit Datum vom 28. Februar 2002 Stellen auf der Basis eines Gesetzes ausgeschrieben werden, das erst danach, nämlich am 13. März, im Finanzausschuss beraten und heute, am 18. April 2002, im Deutschen Bundestag verabschiedet werden soll. ({1}) Mit Datum vom 28. Februar sind in den VSF-Nachrichten - das ist die Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung - unter Nr. 14 insgesamt 43 Dienstposten für das Zollkriminalamt ausgeschrieben worden. Hiervon betreffen zumindest 19 Stellen - das ist auch laut Schreiben der Staatssekretärin Frau Dr. Hendricks unstreitig - die künftige OPH-Gruppe des Zollkriminalamts. Dabei handelt es sich um die Gruppe, die für Organisation, Personal und Haushalt verantwortlich ist. Zum einen stellt sich die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, beim Zollkriminalamt neue Stellen auszuschreiben, weil der Bedarf an Zollbeamten durch das Schengener Abkommen deutlich gesunken ist. Der Bundesrechnungshof hat kritisiert, dass das Zollkriminalamt schon jetzt mit circa 600 Stellen über einen zu stark aufgeblähten Apparat verfügt. Dass im Zuge angeblicher Sparmaßnahmen zusätzliche Stellen im Zollkriminalamt ausgeschrieben werden, ist nicht zu verstehen und nicht nachvollziehbar. ({2}) Die Staatssekretärin rechtfertigt dieses unglaubliche Vorgehen der Verwaltung damit, dass es sich um eine - ich zitiere - „reine Vorbereitungsmaßnahme“ handele. Frau Staatssekretärin, wenn Sie wirklich eine reine Vorbereitungsmaßnahme hätten treffen wollen, dann hätten Sie doch die Ausschreibung vorbereiten können. Das würde jeder akzeptieren. Dagegen hätte niemand etwas. Das wäre ein vernünftiges Verhalten der Verwaltung. Aber woher nimmt das Finanzministerium eigentlich die unglaubliche Frechheit, diese Ausschreibung schon vor dem Beschluss des Parlaments zu veröffentlichen und damit schon im Februar das Verfahren bzw. die Auswirkungen des am heutigen Tage durch das Parlament zu beschließende Gesetzes vorwegzunehmen? ({3}) Dieses gesamte Verfahren wird wieder einmal klaglos von den rot-grünen Kolleginnen und Kollegen akzeptiert. ({4}) Welches Parlamentsverständnis haben Sie eigentlich? Welches Verständnis haben Sie eigentlich von der Rolle eines Abgeordneten? Welches Verständnis haben Sie als Gesetzgeber, wenn Sie dieses Verhalten der Verwaltung ohne jegliche Kritik akzeptieren? ({5}) Bedauerlicherweise ist gerade in dieser Legislaturperiode insbesondere der Gesetzgeber in der Federführung des Finanzausschusses fast ausschließlich zum verlängerten und willfährigen Arm der Finanzverwaltung geworden. ({6}) Hierzu reichen wir von der FDP nicht die Hand. Deshalb möchte ich noch einmal auf das Selbstverständnis zurückkommen, das jeder - auch ein roter oder ein grüner - Abgeordnete haben sollte. Gesetze werden nicht von der Regierung beschlossen und verabschiedet. Gesetze werden auch nicht von Ministerialbeamten beschlossen und verabschiedet. Gesetze werden hier im Bundestag von den Abgeordneten des Deutschen Bundestages verabschiedet. Darüber müssen wir uns im Klaren sein. Deshalb ist ein solches Präjudiz durch die Verwaltung nicht hinnehmbar. ({7}) Aus diesem Grunde ist es eine Frechheit sondergleichen, wenn die Verwaltung Strukturveränderungen vornimmt und Stellen ausschreibt, bevor das Gesetz verabschiedet ist. Die Zollfahndungsstelle Heidelberg ist schon jetzt aufgelöst und die Mitarbeiter sind bereits versetzt worden. ({8}) Dieses Vorgehen ist eine krasse Missachtung des Parlamentes, zu der die FDP nicht die Hand reicht. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat die Kollegin Heidemarie Ehlert von der PDS-Fraktion.

Heidemarie Ehlert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003112, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Zoll hat mit seinen 37 000 Beschäftigten in der letzten Zeit einen wertvollen Beitrag zur Bekämpfung der Zollkriminalität geleistet. Das betrifft die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, der Steuerhinterziehung, der Geldwäsche und der Embargoverstöße. Die Aufgabenstellung des Zolls hat sich durch die politischen Entwicklungen der letzten Jahre in der Tat verändert. Der Binnenmarkt wird mehr und mehr verwirklicht. Die Grenzen nach Osteuropa werden geöffnet. Die Bundesrepublik Deutschland verliert im Schengener System ihre Außengrenzen fast vollständig. Die Zahl der Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität nimmt damit zu. Der Zoll muss auf diese neue Entwicklung eingestellt werden. Das ist aber mit dem vorliegenden Gesetzentwurf aus unserer Sicht schlecht gelungen, und das in mehrfacher Hinsicht. Wäre es nur um eine Umstrukturierung der Aufgabenverteilung gegangen, dann hätten wir dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen können. Dem ist aber nicht so. ({0}) Im komplizierten Gefüge des Apparates der inneren Sicherheit werden die Kompetenzen und die Befugnisse des Zolls aus unserer Sicht schlechter mit den Befugnissen der Länderpolizeien und der Bundespolizei abgestimmt. ({1}) Die Befugnisse des Zolls im präventiven Bereich werden nicht ausreichend von den Befugnissen der Länderpolizeien abgegrenzt. ({2}) Wir sehen auch nicht die Notwendigkeit ein, eine Sondereinsatzeinheit beim Zoll - ähnlich der GSG 9 - einzurichten. ({3}) Ebenso wenig notwendig und akzeptabel ist die vorgesehene Speicherung von Telefonaten. Neben den Problemen der Befugnissabgrenzung und der Aufgabenstellung sehe ich auch Anlass zur Kritik an der Struktur des Zollfahndungsdienstes insgesamt. Stimmt das Gefüge schon im nationalen Maßstab nicht, so muss ich feststellen, dass das Gefüge auch im europäischen Maßstab nicht stimmig ist. Zur Strukturierung der Bekämpfung der Kriminalität im europäischen Maßstab müssen und sollen die erforderlichen Schritte von den einheitlichen Institutionen der EU, also von Europol und OLAF, ausgehen. Das erfordert aber auch eine parlamentarische Kontrolle dieser Institutionen. ({4}) Ich sehe ein weiteres Problem im Gefüge des Zollfahndungsdienstes insgesamt. Durch die Umstrukturierung wird das Zollamt zur Mittelbehörde aufgebaut. Auf die Beschäftigten der Zollfahndungsämter hat dies entsprechende soziale Auswirkungen. Mit der Erweiterung der Aufgaben des Zollfahndungsdienstes hätte die Bundesregierung sehr wohl die Möglichkeit gehabt, die Mitarbeiter des Zollfahndungsdienstes mit denen der Polizei gleichzustellen. Soziale Regelungen bedeuten aber auch, dass beim Wegfall von Aufgaben den Beschäftigten keine neuen Aufgaben übertragen werden. Zielgerichtete und strukturierte Umschulung für den Einsatz in anderen Bereichen, in denen Personalmangel herrscht, ist die Lösung. Zum Abschluss möchte ich noch auf einen Punkt hinweisen, den ich für unerhört halte. Obwohl das Verfassungsorgan Deutscher Bundestag noch nicht einmal das Gesetz gelesen und die Ausschussarbeit aufgenommen hatte, begann die Bundesfinanzverwaltung schon mit der Stellenausschreibung für die geplante Erweiterung des Zollkriminalamtes. All das sind für unsere Fraktion Gründe, das Gesetz abzulehnen. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zum Abschluss der Debatte erteile ich das Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte es kurz machen. Vielleicht kann ich trotz der zunehmenden Lautstärke dazu beitragen, dass die Kirche im Dorf bleibt. Wenn der Kollege Fromme in der Debatte über die Neuordnung des Zollfahndungsdienstes behauptet, der Bundesfinanzminister tue alles, um mehr Geld einzunehmen, und das sei im Sinne ständig steigender Steuern, dann kann ich nur sagen: Sie müssen in einem anderen Land leben. ({0}) Zum einen senken wir die Steuern. Zum anderen - das muss ich Ihnen offenbar klar machen - wird der Zollfahndungsdienst nur dann tätig, wenn es einen Anhaltspunkt für kriminelles Handeln - in diesem Fall: für Steuerhinterziehung und Geldwäsche - gibt. Es muss doch wohl in jedem Rechtsstaat erlaubt sein, dass der Zollfahndungsdienst solche kriminellen Handlungen mit rechtsstaatlichen Mitteln verfolgt, so wie es die Polizei auch in anderen Fällen tut. ({1}) Insofern sind die Beamten des Zollfahndungsdienstes ebenso wie die Polizeibeamten und die Steuerfahnder auch Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft. Warum um Himmels willen wollen Sie immer diejenigen in Schutz nehmen, die zur Last des Staates Geld hinterziehen, obwohl Sie gleichzeitig wollen, dass die Polizei eingreift, wenn es einen Vermögensschaden zulasten der Bürger gibt? Warum sollen diejenigen, die zur Last des Staates Geld hinterziehen, nicht genauso verfolgt werden? Das müssen Sie mir einmal unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten erläutern. Ich weise Ihren Vergleich ausdrücklich zurück. ({2}) Im Übrigen will ich kurz auf die 19 Stellen eingehen. Herr Kollege Thiele, es handelt sich natürlich nicht um neue Stellen. Wie Sie richtig gesagt haben, sind sie verwaltungsintern ausgeschrieben worden; deswegen können sich nur Menschen, die schon Zollbeamte sind, auf diese Stellen bewerben. Es sind natürlich keine zusätzlichen Stellen. Wenn die Aufgabenumstrukturierung erfolgt ist und die Aufsicht zukünftig nicht mehr bei den Oberfinanzdirektionen angesiedelt ist, dann liegt es geradezu nahe, dass sich diejenigen, die diese Arbeit bisher bei den Oberfinanzdirektionen wahrgenommen haben, nunmehr auf die Stellen beim Zollkriminalamt bewerben. Ich darf es noch einmal sagen: Es handelt sich um 19 Stellen im künftigen Bereich Organisation, Personal, Haushalt. Das ist in der Tat - das müsste jeder einsehen, der schon einmal irgendetwas mit Verwaltung zu tun hatte - die Voraussetzung dafür, dass eine Neuordnung greifen kann, die sich gerade in Organisation, Haushalt und Personal wegen der Verlagerung von Aufgabenströmen von den Oberfinanzdirektionen auf das Zollkriminalamt darstellt. Dies wird ohne die Beamten nicht gehen, die dann sozusagen mitverlagert werden. Deswegen werden sie selbstverständlich nicht eingestellt, bevor dieses Gesetz verabschiedet worden ist. Im Hinblick auf einen reibungslosen Übergang sowie darauf, dass keine Fahndungslücke entsteht und dass keine Steuerhinterzieher und keine Geldwäscher, also Kriminelle, entkommen können, ist es unbedingt notwendig, dieses Vorhaben zeitnah umzusetzen. ({3})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat der Kollege Fromme das Wort zu einer Kurzintervention. Bitte sehr, Herr Kollege.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Erstens. Wenn Sie, Frau Staatssekretärin, es so eilig hatten, dass Sie die Stellen schon so früh ausschreiben mussten, dann verstehe ich nicht, warum Sie dreimal dafür gesorgt haben, dass die Beratung des Gesetzes von der Tagesordnung des Plenums abgesetzt wird. ({0}) Zweitens. Sie haben mir nicht richtig zugehört. Ich habe nicht gesagt, dass ich die Kriminellen schützen will. Ich habe nach einem Motiv dafür gesucht, dass die Koalitionsfraktionen ihre Einstellung zum Datenschutz geändert haben. Das habe ich deutlich gemacht und damit habe ich keinen Kriminellen in Schutz genommen. An der Bekämpfung von Kriminalität liegt uns genauso wie Ihnen. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung des Zollfahndungsdienstes, Drucksachen 14/8007 ({0}) und 14/8515. Es liegt eine persönliche Erklärung des Kolle- gen Dirk Niebel zur Abstimmung vor. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Nach Art. 87 Abs. 3 des Grund- gesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfs die absolute Mehrheit der Mitglieder des Bundestages - das sind 334 Stimmen - erforderlich. Es ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Bitte kontrollieren Sie, ob die von Ihnen benutzten Stimmkarten Ihren Namen tragen, den Sie si- cherlich alle kennen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentli- chen Abstimmung wird Ihnen nachher bekannt gegeben.1) Wir setzen die Beratungen fort. Ich bitte diejenigen, die zuhören wollen, Platz zu nehmen, und diejenigen, die nicht zuhören wollen, den Saal zu verlassen. Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU Haltung der Bundesregierung zu dem Befund, dass fast drei Viertel der Versicherten keinen Vertrag für eine so genannte Riester-Rente abschließen wollen Das Wort hat der Kollege Johannes Singhammer für die CDU/CSU-Fraktion.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister Riester, Ihnen ist es gelungen, sich aus der Schar der grauen Mäuse im Kabinett herauszuheben. Ihr Name wird mit einem Gesetz verbunden. Man spricht von der Riester-Rente. ({0}) Ihr Name, Herr Minister, ist aber auch zu einem Negativsymbol geworden. Immer mehr Menschen in Deutschland erfahren: Die Riester-Rente ist nicht top, sondern die Riester-Rente ist ein Flop. ({1}) Das Deutsche Institut für Altersvorsorge hat gerade in den vergangenen Tagen das „Rentenbarometer“ veröffentlicht. Drei Aussagen sind von herausragender Bedeutung: Erstens. Bisher haben nur 1,5 Millionen Menschen einen förderfähigen Vorsorgevertrag abgeschlossen, obwohl mehr als 35 Millionen Menschen anspruchsberechtigt sind. Nach dieser Studie wollten von denjenigen, die einen privaten, förderfähigen Vorsorgevertrag abschließen könnten, im Oktober 2001 wie auch im März dieses Jahres 71 Prozent keine derartigen Verträge abschließen. Es hat sich also trotz großer Werbekampagnen überhaupt nichts bewegt. Zweitens. Nach der Einschätzung der in dieser Studie Befragten hat das Vertrauen in die Sicherheit der gesetzlichen Rente im März 2002 einen neuen Tiefstand erreicht. Drittens. Bei 60 Prozent der Befragten hat sich dementsprechend das Gefühl eingestellt, vom Staat in Fragen der Altersvorsorge im Stich gelassen zu werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind die Auswirkungen der so genannten Rentenreform von Herrn Riester. Rot-Grün steht vor einem Scherbenhaufen. ({2}) Das Vertrauen der Menschen in unserem Land in die Rente ist auf einem Tiefstand angelangt. ({3}) Wer die Rentenanpassungsformeln so gestaltet, dass sie willkürlich manipuliert werden können, schafft kein Vertrauen. Wer das Rentenniveau schönt und ein höheres angibt, als es der Wirklichkeit entspricht, schafft Misstrauen. Die Gründe, warum es mit der so genannten RiesterRente nicht vorangeht, liegen auf der Hand: Sie haben ein bürokratisches Monster geschaffen. ({4}) Die Regulierungswut konnte sich austoben, weil Sie den Menschen nicht vertrauen und jeden Missbrauchstatbestand ausschließen wollten. Die Folge: Sie haben ein Gebilde geschaffen, das keiner mehr versteht, bei dem Transparenz und Vergleichsmaßstäbe fehlen. ({5}) Deshalb sind die Menschen schwer verunsichert und überlegen sich, ob sie überhaupt einen Antrag auf Abschluss einer derartigen Vorsorge stellen sollen. Immer mehr zögern und immer weniger sind bereit, diese Art der Altersvorsorge anzunehmen. Die Konsequenz ist allerdings - jetzt kommt das eigentlich Dramatische -: Die Riester-Lücke, die entstanden ist, nachdem Sie die Renten gekürzt haben, und die Sie mit Ihrer privaten Altersvorsorge auffüllen wollten, kann nicht geschlossen werden, weil die Menschen kaum Vertrauen in diesen Weg gewonnen haben. Im Gegenteil, es schwindet immer mehr. ({6}) Vizepräsidentin Anke Fuchs 1) Seite 22845 - Das ist kein dummes Zeug, Herr Kollege, denn die Gründe liegen auf der Hand. So sind zum Beispiel die Aufwendungen der Versicherer, also der Unternehmen, die einen solchen Vertrag anbieten, dermaßen hoch, dass sie erst einmal einkalkuliert werden müssen, sodass die entsprechenden Leistungen niedrig sind. Die Zahl der Abschlüsse ist deshalb so niedrig, weil die Menschen eigentlich mehr erwarten. Die Versicherer sind zudem gezwungen, die entsprechenden Auflagen zu erfüllen. Das Ganze führt in der Konsequenz dazu, dass immer weniger Menschen bereit sind, sich für die notwendige private Ergänzung zu entschließen. Nun haben Sie etwas durchaus Löbliches vor: Sie wollen die Menschen mit einer Renteninformation darüber informieren, was sie an Rente erwarten können. Dazu soll Mitte dieses Jahres, am 1. Juli, ein Pilotprojekt gestartet werden. Jetzt haben Sie allerdings festgestellt, dass es sich möglicherweise nicht vorteilhaft für Sie auf die Bundestagswahl auswirken könnte, wenn die Menschen erkennen, dass sie sich mehr erhofft haben, als sie tatsächlich erwarten dürfen. Deshalb legen Sie Wert darauf, dass im Rahmen dieses Pilotversuchs diejenigen informiert werden, die 23 Jahre oder etwas älter sind, weil deren Perspektiven noch nicht so präzise wie die derjenigen bestimmt werden können, die 54 oder 55 Jahre alt sind und in absehbarer Zeit in Rente gehen. ({7}) An dieser Stelle sage ich Ihnen deshalb: Wenn Sie es ehrlich meinen, fangen Sie, wenn Sie schon einen solchen Pilotversuch machen, mit der Generation der über 50Jährigen an. Die älteren Jahrgänge haben nämlich nur noch wenig Zeit, sich auf die neue Praxis einzustellen. Für sie zählt jeder Tag. Das wäre ehrlich und macht Sinn. Alles andere nährt den Verdacht, dass Sie zunächst noch einige Nebelkerzen werfen wollen, bevor bekannt wird, was Sie mit Ihrer Rentenreform angerichtet haben, um sich über den Wahltermin herüberzuretten. Das werden wir nicht zulassen. ({8})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, kehre ich zurück zu Tagesordnungspunkt 5 und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des Zollfahndungsdienstes bekannt - die Schriftführer haben ein Lob verdient, dass sie so schnell auszählen können; deswegen möchte ich das Ergebnis auch gleich verkünden -: ({0}) Abgegebene Stimmen 612. Mit Ja haben gestimmt 339, mit Nein haben gestimmt 84, Enthaltungen 189. Der Gesetzentwurf ist damit mit der erforderlichen Mehrheit angenommen. 22845 Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 612; davon ja: 339 nein: 84 enthalten: 189 Ja SPD Brigitte Adler Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({1}) Klaus Barthel ({2}) Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({3}) Kurt Bodewig Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Rainer Brinkmann ({4}) Bernhard Brinkmann ({5}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({6}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Sebastian Edathy Ludwig Eich Peter Enders Annette Faße Lothar Fischer ({7}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Peter Friedrich ({8}) Lilo Friedrich ({9}) Harald Friese Anke Fuchs ({10}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Günter Graf ({11}) Angelika Graf ({12}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl-Hermann Haack ({13}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Anke Hartnagel Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({14}) Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({15}) Walter Hoffmann ({16}) Iris Hoffmann ({17}) Frank Hofmann ({18}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Lothar Ibrügger Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({19}) Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Susanne Kastner Ulrich Kelber Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Vizepräsidentin Anke Fuchs Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Christian Lange ({20}) Detlev von Larcher Christine Lehder Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({21}) Gabriele Lösekrug-Möller Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({22}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Ulrike Mascher Christoph Matschie Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({23}) Ursula Mogg Christoph Moosbauer Siegmar Mosdorf Michael Müller ({24}) Jutta Müller ({25}) Christian Müller ({26}) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann ({27}) Gerhard Neumann ({28}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Carola Reimann Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Christel RiemannHanewinckel Reinhold Robbe Gudrun Roos René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({29}) Birgit Roth ({30}) Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Otto Schily Dieter Schloten ({31}) Ulla Schmidt ({32}) Silvia Schmidt ({33}) Dagmar Schmidt ({34}) Wilhelm Schmidt ({35}) Dr. Frank Schmidt ({36}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({37}) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Walter Schöler Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Gerhard Schröder Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({38}) Brigitte Schulte ({39}) Reinhard Schultz ({40}) Volkmar Schultz ({41}) Ewald Schurer Dr. Angelica Schwall-Düren Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl ({42}) Joachim Stünker Joachim Tappe Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({43}) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({44}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({45}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Jürgen Wieczorek ({46}) Helmut Wieczorek ({47}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Heino Wiese ({48}) Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer ({49}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({50}) Waltraud Wolff ({51}) Heidemarie Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gila Altmann ({52}) Marieluise Beck ({53}) Volker Beck ({54}) Angelika Beer Matthias Berninger Grietje Bettin Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Andrea Fischer ({55}) Joseph Fischer ({56}) Rita Grießhaber Gerald Häfner Antje Hermenau Ulrike Höfken Michaele Hustedt Monika Knoche Steffi Lemke Dr. Helmut Lippelt Dr. Reinhard Loske Oswald Metzger Kerstin Müller ({57}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Cem Özdemir Simone Probst Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({58}) Werner Schulz ({59}) Christian Simmert Christian Sterzing Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Dr. Ludger Volmer Sylvia Voß Helmut Wilhelm ({60}) Margareta Wolf ({61}) Fraktionslos Christa Lörcher Nein CDU/CSU Dr. Heribert Blens Albert Deß Albrecht Feibel Axel E. Fischer ({62}) Herbert Frankenhauser Ernst Hinsken Martin Hohmann Josef Hollerith Susanne Jaffke Helmut Lamp Julius Louven Meinolf Michels Eduard Oswald Norbert Otto ({63}) Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Anita Schäfer Norbert Schindler Michael von Schmude Dr. Rupert Scholz Max Straubinger Dr. Theodor Waigel Benno Zierer FDP Ina Albowitz Hildebrecht Braun ({64}) Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({65}) Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({66}) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Ulrich Heinrich Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Dr. Klaus Kinkel Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Dirk Niebel Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto ({67}) Cornelia Pieper Dr. Günter Rexrodt Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler Marita Sehn Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Dr. Dieter Thomae PDS Wolfgang Bierstedt Maritta Böttcher Heidemarie Ehlert Dr. Heinrich Fink Wolfgang Gehrcke Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Sabine Jünger Gerhard Jüttemann Rolf Kutzmutz Heidi Lippmann Heidemarie Lüth Angela Marquardt Manfred Müller ({68}) Kersten Naumann Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Dr. Winfried Wolf Enthaltungen CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Dietrich Austermann Norbert Barthle Günter Baumann Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Norbert Blüm Antje Blumenthal Sylvia Bonitz Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({69}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Paul Breuer Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Dankward Buwitt Manfred Carstens ({70}) Peter H. Carstensen ({71}) Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Renate Diemers Dr. Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Rainer Eppelmann Anke Eymer ({72}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Ingrid Fischbach Klaus Francke Dr. Gerhard Friedrich ({73}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({74}) Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Michael Glos Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Manfred Grund Horst Günther ({75}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({76}) Gerda Hasselfeldt Hansgeorg Hauser ({77}) Helmut Heiderich Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Detlef Helling Hans Jochen Henke Peter Hintze Klaus Holetschek Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Irmgard Karwatzki Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Werner Kuhn Dr. Karl A. Lamers ({78}) Dr. Norbert Lammert Dr. Paul Laufs Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Walter Link ({79}) Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold ({80}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({81}) Erich Maaß ({82}) Erwin Marschewski ({83}) Dr. Martin Mayer ({84}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Hans Michelbach Dr. Gerd Müller Bernward Müller ({85}) Elmar Müller ({86}) Bernd Neumann ({87}) Claudia Nolte Franz Obermeier Dr. Peter Paziorek Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard ({88}) Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch ({89}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Adolf Roth ({90}) Dr. Norbert Röttgen Dr. Wolfgang Schäuble Karl-Heinz Scherhag Dr. Gerhard Scheu Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({91}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({92}) Andreas Schmidt ({93}) Dr. Andreas Schockenhoff Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Gerhard Schulz Diethard Schütze ({94}) Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm Josef Sebastian Heinz Seiffert Bernd Siebert Bärbel Sothmann Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Dorothea Störr-Ritter Thomas Strobl ({95}) Michael Stübgen Dr. Susanne Tiemann Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Angelika Volquartz Andrea Voßhoff Peter Weiß ({96}) Gerald Weiß ({97}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({98}) Hans-Otto Wilhelm ({99}) Klaus-Peter Willsch Bernd Wilz Willy Wimmer ({100}) Matthias Wissmann Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Aribert Wolf Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller Vizepräsidentin Anke Fuchs Vizepräsidentin Anke Fuchs Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({101}) Bühler ({102}), Klaus Süssmuth, Rita Dr. CDU/CSU CDU/CSU Wir setzen die Beratungen fort. Das Wort hat jetzt die Kollegin Erika Lotz für die SPD-Fraktion.

Erika Lotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002726, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Singhammer, zum Thema Riester-Rente sage ich Ihnen: Nur kein Neid! Die RiesterRente ist eine gute Sache und Sie hätten sie gepriesen, wenn Sie sie eingeführt hätten. ({0}) Aber das haben Sie nicht gemacht. Sie haben, was die private Vorsorge angeht, nichts gemacht. Sie haben bei der Rentenreform nur gekürzt, aber nicht dafür gesorgt, dass die Menschen mit einer staatlich geförderten Vorsorge etwas für ihre Altersversorgung tun. Ich weiß nicht, zum wievielten Male Sie in dieser Legislaturperiode in einer Aktuellen Stunde das Thema Rente angesprochen haben, ({1}) womit Sie immer wieder versuchen, Verwirrung zu stiften und die Menschen in diesem Lande zu verunsichern. Das ist unredlich, dieses Mal genauso wie bei allen Malen zuvor. ({2}) Bis Ende dieses Jahres ist Zeit, sich für eine der verschiedenen Möglichkeiten der privaten Altersvorsorge zu entscheiden, wenn man in den Genuss der vollen Förderung für das Jahr 2002 kommen will. Jetzt ist gerade einmal Mitte April und nicht etwa schon Mitte Dezember. Es ist gut, dass sich die Menschen Zeit für die Entscheidung nehmen und alle Möglichkeiten abwägen. Schließlich gibt es ja für einen großen Teil von ihnen neben der reinen privaten Altersvorsorge auch noch die Möglichkeit einer betrieblichen Altersvorsorge. Die Tarifvertragsparteien haben erst im Frühjahr die Tarifverträge abgeschlossen. Deshalb können jetzt, Mitte April, aus meiner Sicht noch gar keine anderen Zahlen vorliegen, als sie in dieser Befragung zutage getreten sind. Dass Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, sich jetzt so entsetzt darüber zeigen, dass bisher so wenige Vorsorgeverträge abgeschlossen worden sind, kann ich also kaum verstehen. ({3}) Dass mit dem 1. Januar 2002 nicht explosionsartig Versicherungsverträge für die Riester-Rente abgeschlossen werden, mag die Versicherungen beunruhigen. Aber das ist doch auch das Ergebnis von voreiligen Geschäftspraktiken. Es zeigt einfach, dass die Verunsicherung noch immer nachwirkt, die ausgelöst wurde, als schon auf Kundenfang gegangen wurde, bevor die nötigen Voraussetzungen, die Zertifizierungen der Verträge, vorlagen. Es zeigt auch, dass unsere Warnungen vor unseriösen Geschäftspraktiken Wirkung hatten. Die Umfrage, auf die Sie sich beziehen, kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass die Unwissenheit über das eigene Rentenkonto ein Grund dafür ist, dass bisher wenig vorgesorgt wird. Das ist aber ein Manko, das wir mit der Rentenreform beheben. Ab 2004 wird jeder und jede Versicherte eine jährliche Renteninformation erhalten. Darin enthalten sind auch die Auswirkungen, die zukünftige Anpassungen haben werden. Deshalb finde ich es unglaublich, dass Sie jetzt schon wieder versuchen, etwas Sinnvolles und Notwendiges zu verhindern und zu diskreditieren. ({4}) Der Plan des VDR nämlich, in einem Pilotprojekt jüngere Versicherte - bis 45 Jahre - nicht erst ab 2004, sondern schon in diesem und im nächsten Jahr über den Stand ihres Rentenkontos und darüber zu informieren, wie hoch die gesetzliche Rente ist, die sie zu erwarten haben, ist notwendig und sinnvoll. Es ist auch notwendig und sinnvoll, dass die Versicherten diese Information bekommen, insbesonderes für die Planung der zusätzlichen Vorsorge. Es ist wichtig, mit den jüngeren Versicherten anzufangen. Wer 55 Jahre und älter ist, wird schon jetzt über den Stand seines Rentenkontos informiert. Das wissen Sie doch, Herr Singhammer. ({5}) Aber es ist ganz klar, weshalb Sie sich gegen das Pilotprojekt sträuben. ({6}) Dann ist nämlich für jeden deutlich sichtbar, dass Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung durch unsere Rentenreform stärker wachsen, als sie nach Ihrer Rentenreform gewachsen wären. Gerade Mütter werden dies merken. ({7}) Warum Sie dieses Pilotprojekt verhindern wollen, ist also klar. ({8}) Ich verstehe aber nicht, dass Sie in Kauf nehmen, dass den Menschen Informationen vorenthalten werden, die sie für ihre Zukunftsplanung dringend brauchen. Das ist einfach infam. Ich kann den Menschen nur empfehlen, die Verträge weiter zu prüfen. Die Förderung für 2002 erhält man für Verträge, die bis zum Ende dieses Jahres abgeschlossen werden. Es besteht also kein Grund zur Panik und zur Beunruhigung. Ihnen empfehle ich: Bleiben Sie ruhig! Bis zum Jahresende sehen die Zahlen ganz anders aus. ({9})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich der Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer das Wort.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Alles paletti“ könnte die Überschrift für das lauten, was uns Frau Lotz gerade zu erklären versuchte. Es ist aber nicht alles paletti. ({0}) Denn wenn man sich einmal genau anschaut, warum drei Viertel der Befragten sagen, dass sie keinen Vertrag für eine Riester-Rente abschließen wollen, dann erkennt man, dass die Sache wirklich alarmierend ist. Das heißt also, Frau Lotz, dass nichts paletti ist und dass Sie dringend handeln müssen. Es reicht einfach nicht aus, wenn Herr Riester Imagekampagnen durchführt und den Menschen sagt, dass schon alles gut werde. Er muss vielmehr die Notwendigkeit dieser Rente erklären. ({1}) Als wir dieses Thema im Bundestag behandelt haben - wir haben diesem Gesetz nicht zugestimmt -, haben wir ganz klar gesagt: Im Grundsatz ist es richtig, dass es eine ergänzende Rentenversicherung für all diejenigen gibt, die in Zukunft in Rente gehen. Keiner von dieser Personengruppe sollte davon ausgeschlossen sein; diese Zusatzrente brauchen alle. Wenn jetzt aber herauskommt, dass drei Viertel der Versicherten diese Zusatzrente nicht wollen, dann müssen Sie sich wirklich fragen lassen, woran es liegt. ({2}) Hierfür gibt es zwei Gründe. Wenn sich jemand bei einem Berater einer Bank erkundigt, was er für den Abschluss eines solchen Vertrages braucht, dann bekommt er einen Fragebogen in die Hand gedrückt, auf dem - eng beschrieben - eine Menge an persönlichen Informationen abgefragt wird. Auf der Rückseite steht - wiederum eng beschrieben - Kleingedrucktes, das jeden von vornherein abschreckt. ({3}) Die mangelnde Akzeptanz dieser Versicherung zeigt, dass die gesamte Konzeption viel zu kompliziert ist. ({4}) Ich will Ihnen einmal eine Stelle aus der Erklärung vorlesen, die jedem an den Riester-Produkten Interessierten in die Hand gedrückt wird. ({5}) Auf den zwei ziemlich eng bedruckten Seiten ist folgender Satz zu finden: Die staatlichen Zulagen und die steuerlichen Förderungen fordert der Staat nicht zurück, wenn im Todesfall der Rückkaufswert des Vertrages in einen bereits bestehenden Altersvorsorgevertrag des Ehepartners überführt wird. Verstehen Sie das? Wir alle verstehen dies sicherlich, weil wir uns intensiv damit beschäftigt haben. Aber fragen Sie doch bitte einmal Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ihren Büros, was sie darunter verstehen. Ich sage es noch einmal: Der entscheidende Grund, weshalb diese Versicherungen nicht angenommen werden, ist die Kompliziertheit des gesamten Verfahrens. ({6}) Es gibt aber noch einen zweiten Grund - auch das werden Ihnen die Berater sagen, egal ob sie bei einer Bank oder bei einer Versicherung tätig sind -: Wenn es um die Frage geht, wie viel der Einzelne für diese Versicherung monatlich aufbringen muss, dann sagen viele, dass die Höhe für dieses Jahr in Ordnung geht, aber dass der vierfache Beitrag im Jahre 2008 einfach zu hoch ist. Sie müssen sich wirklich fragen lassen, warum Sie über die Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung nicht besser informiert haben. Wenn Sie das getan hätten, dann wüssten viele Menschen, dass sie ohne eine solche Zusatzrente ihren Lebensstandard im Alter nicht mehr sichern können. ({7}) In diesem Zusammenhang habe ich an Sie die Aufforderung, sich vor der Bundestagswahl nicht vor der Lösung dieser Probleme zu drücken. Frau Lotz, Sie haben soeben behauptet, wir würden den Pilotversuch bezüglich der Information des Bürgers über die Höhe seiner zukünftige Rente ablehnen. ({8}) Das stimmt überhaupt nicht. Aber wenn Sie so etwas tun wollen - dies ist ja richtig, gut und notwendig -, dann sollten Sie mit denjenigen anfangen, die ganz besonders darauf angewiesen sind, noch in diesem Jahr eine Zusatzrente abzuschließen. ({9}) Aber das sind natürlich diejenigen, bei denen ganz schnell klar wird, wie sehr der von ihnen erwartete Rentenanspruch durch die Rentenreform gekürzt worden ist. Deswegen kann ich nur sagen: Machen Sie diesen Pilotversuch mit denjenigen, die über 45 Jahre alt sind! ({10}) Das sind diejenigen, die diese Information jetzt benötigen. Ich hoffe, dass Sie in den nächsten Wochen klug werden. Die Zeit läuft davon. ({11}) Noch in diesem Jahr müssen möglichst viele einen solchen Zusatzvorsorgevertrag abschließen; denn sonst wird die zukünftige Alterssicherung gefährdet. Sie werden mit Ihrer verfehlten Informationspolitik dafür sorgen, dass das Ziel der Alterssicherung verfehlt wird. Das ist schlecht für die Bürger in diesem Lande. Ich bitte Sie nachdrücklich: Kommen Sie Ihrer Verantwortung nach! Tun Sie mehr, als Sie bisher getan haben! ({12})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns in der Aktuellen Stunde. Herr Kollege Gilges, ich konnte deswegen Ihre Zwischenfrage nicht akzeptieren und bitte daher um Verständnis. Außerdem will ich darauf hinweisen, dass die Redezeit in der Aktuellen Stunde - einschließlich des Schlussgedankens - fünf Minuten beträgt. Das Wort hat jetzt die Kollegin Christine Scheel für das Bündnis 90/Die Grünen.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Schwaetzer, es ist schon verrückt: Die FDP war 29 Jahre lang ununterbrochen an der Regierung beteiligt, hat nichts in Richtung privater Altersvorsorge durchgesetzt ({0}) und macht nun der Koalition, die endlich den Weg in die private Altersvorsorge eröffnet hat, ({1}) Vorhaltungen, weil zum jetzigen Zeitpunkt, Mitte April, noch nicht jeder einen Vertrag abgeschlossen hat. Das ist schon ein bisschen verrückt. ({2}) Wenn man sich einmal die Studie des Deutschen Instituts für Altersvorsorge ansieht, dann findet man ganz interessante Zahlen, die Sie - aus Ihrem Interesse heraus; das verstehe ich aus Ihrer Sicht sogar - nicht genannt haben. Aber wie ist es 1996 gewesen? Wie viele haben überhaupt ein Interesse daran gehabt bzw. darüber nachgedacht, etwas für ihre private Altersvorsorge zu tun? ({3}) Das waren 7 Prozent der im Jahre 1996 Befragten. Heute dagegen, nachdem Rot-Grün verstärkt ein entsprechendes Problembewusstsein geschaffen hat, indem wir ehrlich gesagt haben, wie es in Zukunft für die Menschen, vor allen Dingen für die jungen Leute, aussieht und wie notwendig es ist, eine betriebliche und private Altersvorsorge anzubieten, gehen über 80 Prozent der Bevölkerung davon aus, dass sie privat vorsorgen müssen. Bei den jungen Leuten zwischen 18 und 29 Jahren - das finde ich besonders phänomenal - wollen heute sogar mehr als 90 Prozent, eine private Vorsorge, weil sie wissen, dass sie diese brauchen. ({4}) - Herr Meckelburg, ich gehe jetzt auf Ihren Zuruf ein. Die jetzige Situation ist dadurch entstanden, dass wir den Bürgern aufgrund der Vielzahl der Angebote, die auf dem Markt bestehen, gesagt haben: Schließt nicht voreilig irgendwelche Verträge ab! Prüft die angebotenen Verträge! Schaut sie euch an, vergleicht sie miteinander und überlegt in aller Ruhe, was, individuell gesehen, das günstigere Angebot ist! Denn es hängt natürlich immer von der persönlichen Lebenssituation, also davon, ob ich verheiratet bin oder nicht, wie alt ich bin, ob ich Kinder habe und wie die Einkommensverhältnisse sind, ab, inwieweit sich der eine Vertrag im Vergleich zum anderen positiver darstellt. Das ist doch logisch. Deswegen ist es überhaupt nicht verwunderlich, dass sich die Menschen hierüber informieren. Wenn Sie sagen, dass 71 Prozent der befragten Pflichtversicherten überhaupt keinen Altersvorsorgevertrag abschließen wollen, dann ist das ja nur die halbe Wahrheit. Die ganze Wahrheit ist, dass in dieser Studie steht, dass diese 71 Prozent in naher Zukunft, das heißt morgen, übermorgen oder nächste Woche, einen solchen Vertrag noch nicht abschließen wollen. ({5}) Ferner hat man nicht berücksichtigt, wie sich das bei den Pensionsfonds und bei Altersvorsorgeangeboten auf der betrieblichen Ebene darstellt, die ja zum Teil jetzt erst zertifiziert werden. Auch das wurde ja in dieser Studie außen vor gelassen. Deswegen bitte ich darum: Tragen Sie mit Ihren Beiträgen hier nicht dazu bei, die Leute zu verunsichern, ({6}) sondern machen Sie das, was Aufgabe der Politik ist, nämlich zu sagen: Es gibt ein vernünftiges und gutes Angebot für die private, staatlich geförderte Altersvorsorge. Das ist vor allen Dingen gut für Familien mit Kindern. ({7}) Tun Sie nicht so, als ob das wertlos wäre. Alle Berechnungen, gerade auch in Bezug auf die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen und auf Familien mit Kindern, haben gezeigt, dass die Angebote für die private Altersvorsorge günstiger sind als andere Altersvorsorgeangebote, die ich jetzt nicht aufzählen will. Diese Entscheidung muss jeder für sich treffen. ({8}) Es kommt noch etwas hinzu. Im Licht anderer Studien, die es nämlich auch gibt, relativiert sich das Ganze. So kam eine Infratest-Umfrage im Januar zu ganz anderen Ergebnissen. Demzufolge hatten 13,4 Prozent der Förderberechtigten bereits einen Vertrag abgeschlossen; 43 Prozent hatten die Absicht, in kurzer Zeit einen Vertrag abzuschließen. Das zeigt, dass andere Studien zu anderen Ergebnissen kommen können. Man muss sich auch einmal anschauen, wer die Gesellschafter jenes Instituts sind, das diese Studie gemacht hat. Dann sieht man nämlich auch die Interessen, die dahinter stehen. ({9}) Verbraucherschützerinnen und Verbraucherschützer und viele öffentliche Stellen raten den Bürgern, zu warten, bis mehr Produkte auf dem Markt sind, sodass sie auch Vergleiche anstellen können. Darauf bin ich bereits eingegangen. Wir müssen auch sehen, dass es bereits in über 100 Tarifverträgen Regelungen zur betrieblichen Altersvorsorge gibt. Davon profitieren gut 15 Millionen Deutsche bzw. 60 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - heute schon!

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist weit überschritten.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. - Wir sehen zudem, dass es neue Pensionsfonds gibt, die derzeit erst zertifiziert werden. Auch in diese Fonds werden die Menschen stärker einsteigen. Es steht jedenfalls fest: Die neue Förderung ist ein attraktives Angebot für den Einstieg in die private und betriebliche Altersvorsorge. Daran können auch Sie nicht rütteln. Danke schön. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich das Wort der Kollegin Pia Maier für die PDS-Fraktion.

Pia Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003449, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch ich habe mir die Mühe gemacht, zu schauen, was denn die Ziele und wer die Gesellschafter des Instituts sind, das die Studie vorgelegt hat, von der Herr Singhammer gesprochen hat. Das Deutsche Institut für Altersvorsorge - ich zitiere aus der Selbstdarstellung hat zum Ziel, Chancen und Risiken der Altersvorsorge bewusst zu machen und die private Initiative zu fördern. Gesellschafter des Instituts sind die Deutsche Bank AG, die Deutsche Bank Bauspar AG, DWS Investment GmbH, zugehörige Lebensversicherungen und weitere. ({0}) Diese Studie ist also garantiert interessengeleitet. Es ist kein Wunder, dass diese Studie besagt, dass drei Viertel der Befragten kein Riester-Produkt wählen wollen, weil die gestellten Fragen suggerieren, dass man besser in private Fonds investiert. Diese Interessenvertreter wollen natürlich lieber ihre Fonds verkaufen und kein RiesterProdukt, das einer Regulierung unterliegt. ({1}) Es gibt auch andere Untersuchungen. Ich möchte mich hier auf das Sozio-ökonomische Panel beziehen, das die „FAZ“ am Dienstag dieser Woche veröffentlicht hat. Darin stehen so bedenkenswerte Dinge wie: 80 Prozent der Befragten geben an, dass sie „weniger gute“ bis „schlechte“ Erwartungen an die Rente haben, und gerade einmal 20 Prozent der Befragten erwarten etwas Gutes von ihrem Lebensunterhalt im Alter. ({2}) Dieses Ergebnis der Rentenreform von Herrn Riester interessiert mich. Die Riester-Rente muss man nämlich inhaltlich kritisieren und nicht anhand der Zahl der bis jetzt abgeschlossenen Verträge. Warum ist der Riester-Boom bisher ausgeblieben? Warum wird er auch weiter ausbleiben? - Weil viele Versicherte noch kalkulieren, was sie eigentlich tun sollen. Für viele lohnen sich die Riester-Produkte nicht. Wer nach der besten Rendite sucht, kauft in der Tat keine Riester-Rente; das erklärt uns die FDP immer wieder. Viele andere wollen und können sich aber die private Vorsorge nicht leisten; denn wer wenig verdient, hat keine Möglichkeit, genug beiseite zu legen. Selbst wenn jetzt einige Euro reichen würden, fehlt die Sicherheit, ob man sich diese wenigen Euro auch künftig leisten kann. Die leidvolle Erfahrung zeigt außerdem, dass sich die Gesetzeslage auch immer wieder ändert und man sich die Vorsorge vielleicht auch deshalb in Zukunft nicht leisten kann. Die Bundesregierung hat mit dieser Rentenreform das Vertrauen in die gesetzliche Rente untergraben. Das ist das Problem. Wenn Sie erst erklären, jede und jeder müsse privat vorsorgen, weil die gesetzliche Rente nicht mehr reichen wird, dann brauchen Sie sich auch nicht zu wundern, wenn die gesetzlich regulierte und geförderte private Vorsorge nicht der Renner ist. Wenn die Riester-Rentenreform als schlecht empfunden wird, färbt das auf die Riester-Produkte ab. So sind die Marktgesetze. Würden Sie einen Sessel von einem Händler kaufen, der Ihnen die ganze Zeit erklärt, wie schlecht das Sofa ist, das Sie bei ihm kaufen müssen? - Sicher nicht. Mich interessiert an diesen Umfragen zum Sozio-ökonomischen Panel ein anderes Ergebnis: 40 Prozent halten die Altersvorsorge „nur“ oder „vor allem“ für eine staatliche Aufgabe. Nur 6 Prozent der Befragten sagen, Altersvorsorge sei eine private Aufgabe. Solche Ergebnisse zeigen, dass die Privatisierung der Rente die falsche Lösung ist. Die künftigen Rentnerinnen und Rentner halten die Rente aus gutem Grund für eine staatliche Aufgabe; denn nur so kann die Rente ausgleichend und gerecht wirken. ({3}) Dieser Artikel zeigt leider nicht, wie hoch der Anteil der Frauen unter den Befragten ist, die sich nicht für ein Riester-Produkt oder für eine andere private Vorsorge entscheiden wollen. Ich glaube, dass dieser Anteil sehr hoch ist, weil gerade die Frauen die Entsolidarisierung, die in der Privatisierung steckt, am drastischsten erleben. Für Frauen gilt nämlich nicht mehr das Prinzip: gleiche Leistung für gleiche Beiträge. Sie zahlen bei der privaten Rente die gleichen Beiträge und bekommen weniger heraus als die Männer, weil hier die Versicherungsmathematik zählt und nicht die gesetzliche solidarische Rente die Regeln bestimmt. Das führt dazu, dass die gleichen Beiträge wegen der längeren Rentenbezugsdauer der Frauen zu geringeren Leistungen führen. Der Kern Ihrer Rentenreform ist ein Systembruch, der wesentlich schwerer wiegt. Sie haben das Prinzip der paritätischen gesetzlichen Rente aufgegeben, weil das oberste Ziel Ihrer Rentenreform die Begrenzung der Beitragshöhe auf 22 Prozent war. Man muss das genauer sagen: Es geht um die Begrenzung auf 11 Prozent aufseiten der Arbeitgeber; denn von den Arbeitnehmern erwarten Sie künftig mehr, 15 Prozent insgesamt ab 2004. Das ist keine solidarische Rente mehr, das ist ein Umverteilungsprogramm von unten nach oben. Das wollten wir eigentlich in dieser Legislaturperiode beendet sehen. ({4}) Die gesetzliche Rente hätte auch reformiert werden können, indem der Kreis der Beitragszahler erweitert worden wäre. Bislang konnten sich vor allem Besserverdienende aus der gesetzlichen Rente verabschieden. Damit wurde die Rente zur Angelegenheit der Lohnabhängigen und ihrer Arbeitgeber. Gerade die Selbstständigen und die Politiker, die eher besser verdienen, haben sich an der Finanzierung der Renten nicht beteiligt. So setzt sich die ungleiche Reichtumsverteilung aus dem Berufsleben im Alter fort. Wer besser verdiente, bekam bessere Renditen als die, die in die gesetzliche Rente von ihrem geringeren Lohn einzahlten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Pia Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003449, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich komme zum Schluss. - Diese Ungleichheit abzubauen und die Rentenreform auf einen Ausbau des Sozialgedankens zu orientieren haben Sie verpasst. Deshalb geschieht Ihnen auch das Schimpfen mit den falschen Studien recht. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort dem Bundesarbeitsminister, Walter Riester.

Walter Riester (Minister:in)

Politiker ID: 11003616

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Erstes möchte ich mich bei der Union bedanken: Machen Sie möglichst in jeder Sitzungswoche eine solche Debatte! Darüber müssen wir sprechen. Die staatlich geförderte Rente ist ein Produkt, das sich wirklich gut vertreten lässt. ({0}) Nun komme ich zu den Fakten: Zwei Monate nachdem die Förderung begonnen hatte, gab es schon 1,4 Millionen abgeschlossene Verträge. Nunmehr, nach dreieinhalb Monaten, sind es 1,9 Millionen abgeschlossene Verträge. ({1}) Nächste Information: Am 11. Mai letzten Jahres haben wir die Rentenreform gegen Ihren Widerstand verabschiedet. ({2}) Seit dem 11. Mai haben die deutschen Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände 106 Tarifverträge zur Entgeltumwandlung für 15,7 Millionen Menschen abgeschlossen. ({3}) Wir haben große Altersvorsorgevereinbarungen vorliegen von VW, von der Telekom, von Ford. Nachdem die betriebliche Altersvorsorge ein Auslaufprodukt geworden war, erleben wir jetzt eine Renaissance der betrieblichen Altersvorsorge, in einer Dimension, die niemand erwartet hat. Angesichts dessen sagt auch der Fachverband für die betriebliche Altersvorsorge: Viele Klein- und Mittelbetriebe werden diese betriebliche Altersvorsorge nach dem neuen Rentengesetz aufbauen. Das sind die Fakten. Über diese Fakten freue ich mich. Ich würde liebend gern jede Woche einmal auch von diesem Pult aus darüber sprechen. Stellen Sie bitte mehr solcher Anfragen! ({4}) Frau Schwaetzer schwätzt, das alles sei zu kompliziert, und wedelt zum Beleg mit einem Bogen. Frau Schwaetzer, wenn es danach ginge, dürfte dürfte es keinen Finanzdienstleister, keine Versicherung geben und dürften keine Lebensversicherung und kein Bausparvertrag mehr abgeschlossen werden. Die Informationen, die der Bürger geben muss, um die Zulage zu bekommen, sind: Familienstand, Kinderzahl und Verdienst des letzten Jahres. Dies kann man jedem zutrauen. Dies sieht man auch an den 1,9 Millionen Menschen, die dies bereits getan haben. Die Zulage bekommen diese dann so einfach wie das Kindergeld. Sie müssen sich darum in der Tat keine Sorgen mehr machen. Sie bekommen sie auf ihr Konto überwiesen. Bei aller Verunsicherung, die Sie zu streuen versuchen: Das merken die Bürger. ({5}) Ich bin davon überzeugt, dass das, was wir angestoßen haben, von der Bevölkerung in einem Tempo aufgenommen wird, das in der Tat einmalig ist. ({6}) Ich rate Ihnen, sich einmal darüber zu informieren, wie die Rentenreform in Schweden durchgeführt worden ist. Nach fünf Jahren Verhandlungen und drei Jahren Einführung sind die noch nicht so weit wie wir jetzt - und haben für die kapitalgedeckte Anlage nur 2,5 Prozent vorgesehen. ({7}) Über dieses Thema möchte ich gern reden und angesichts des 22. September bitte ich Sie direkt: Sprechen Sie darüber! Dies ist ein Thema, das ich gerne aufgreife. An diesem Thema kann man aufzeigen, wo über Jahrzehnte nichts gemacht worden ist. Die betriebliche Altersvorsorge war ein Auslaufprodukt. Die Menschen haben die Formel, die Rente sei sicher, nicht mehr geglaubt. Sie haben eine Rentenreform vorgelegt, die im Ergebnis das Rentenniveau auf 64 Prozent abgesenkt, aber keinen Aufbau einer zusätzlichen kapitalgedeckten Rente vorgesehen hätte. ({8}) Dazu höre ich Frau Schwaetzer, wie sie hier sagt: Bitte ganz schnell abschließen, sonst fallen die Leute in ein Rentenloch. - In welches Rentenloch wären sie denn gefallen, ({9}) wenn es keine Zustimmung zur kapitalgedeckten zusätzlichen Vorsorge gegeben hätte? Welches Rentenloch hätte es dann gegeben? ({10}) Wo blieb denn da die Gestaltungsoffensive der Opposition? ({11}) Meine Damen und Herren, liebend gern würde ich dieses Thema jeden Tag diskutieren, von mir aus auch im Wahlkampf. Wir werden die Leute informieren. ({12}) Sie werden auf breiter Ebene darüber informiert, was sie jetzt ergänzend, zusätzlich, staatlich gefördert einbringen können. ({13}) Ich war mit vielem, was Frau Maier sagte, nicht einverstanden; sie hat aber völlig zu Recht darauf hingewiesen, wer hinter dem Institut steckt, auf das Sie sich bei der Beantragung der aktuellen Stunde gestützt haben. Die vier Institute, die Sie genannt haben, gehören alle zur Deutschen Bank. Es gibt natürlich ein Gerangel derer, die die Fonds und Versicherungsverträge anbieten. Auch aus der Immobilienwirtschaft - für die haben Sie ja gekämpft ({14}) haben sich einige eingeklinkt. Diese Auseinandersetzung läuft. Darüber muss man sich nicht wundern. Hier wird mit harten Bandagen gekämpft. Auch darüber muss man sich nicht wundern. Aber was wäre denn passiert, meine Damen und Herren von der Opposition, wenn wir nicht Mindestvoraussetzungen des Verbraucherschutzes im Gesetz festgeschrieben hätten? Was wäre denn dann jetzt? ({15}) Sie haben es Bürokratie genannt. Was wäre denn, wenn wir das Geld für die Bürger nicht abgesichert hätten, wie es jetzt geschehen ist, ({16}) wenn wir nicht sichergestellt hätten, dass eine lebenslange ergänzende Rente ausgezahlt wird, und wenn wir nicht abgesichert hätten, ({17}) dass der Bürger über seine Kontenstände bei der Sozialversicherung und der ergänzenden kapitalgedeckten Rente informiert wird? ({18}) - Liebe Frau Schwaetzer, wir haben dafür gesorgt, dass dies spätestens ab 2004 geschieht. Nach Absprache mit den Rentenversicherern wird es sogar noch schneller gehen. ({19}) Es ist jetzt schon sicher, dass ab dem 1. Juli 25 000 Renteninformationen - Tag für Tag - versandt werden. Das haben Sie jahrelang versäumt und verhindert. ({20}) Die Menschen sind nicht darüber informiert worden, wie sich ihre tatsächlichen Rentenrücklagen entwickeln. Das haben Sie jahrzehntelang verhindert. Wir führen es jetzt ein. Kaum beginnen die Informationen zu fließen, kreischt die Opposition auf und sagt, dass man gerne wüsste, welche Jahrgänge zuerst drankommen. Mir ist es im Prinzip ziemlich schnuppe. ({21}) Ich tanze aber nicht nach Ihrer Pfeife. Wir gehen nach sachlichen Gesichtspunkten vor. Lieber Herr Singhammer, es geht nicht darum, dass unklare Informationen gegeben werden. Den jetzt zu informierenden Jahrgängen wird der wahrscheinliche Rentenverlauf bis zum 65. Lebensjahr dargelegt. ({22}) Hier wird erstmals in der Geschichte der deutschen Rentenpolitik Transparenz beim Bürger hergestellt, sodass er es nachvollziehen kann. Ich kann mir vorstellen, dass Sie das ärgert. ({23}) Ich kann mir auch vorstellen, dass es Sie ärgert, dass wir die Renten für die Rentnerinnen und Rentner ab dem 1. Juli erstmals nach acht Jahren wieder um mehr als 2 Prozent anheben. ({24}) In den letzten vier Jahren betrug die durchschnittliche Rentenanhebung im Westen etwas mehr als 1,5 Prozent. In den letzten vier Jahren Ihrer Regierungszeit betrug sie 0,9 Prozent. ({25}) Das ist die Wahrheit und das werden wir draußen offen vertreten. Deswegen freue ich mich über jede Rentendebatte. Ich lade Sie dazu ein. Herzlichen Dank. ({26})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile dem Kollegen Andreas Storm für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Andreas Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, wissen Sie, was im Duden unter dem Stichwort Riester zu finden ist? Dort steht: „veraltend für Lederflicken auf dem Schuh.“ Jetzt wird manches klar. Der Name ist Programm. Jetzt wissen wir, warum die Riester-Rente im wahrsten Sinne des Wortes zur Flickschusterei geworden ist. ({0}) Es geht kein Weg daran vorbei: Alle Anbieter der so genannten Riester-Produkte stellen fest, dass sie weit unter den Erwartungen liegen. Die Umfrage des Deutschen Instituts für Altersvorsorge belegt es schwarz auf weiß: Die große Mehrheit der Menschen in unserem Land - 71 Prozent - plant keinen Vertragsabschluss. Das hat gute Gründe. Ich will Ihnen die wichtigsten nennen. Grund eins. Ihr Modell ist viel zu kompliziert. ({1}) Nicht nur die Verbraucherschutzverbände klagen. Ich frage mich, wo die Verbraucherschutzministerin bei diesem wichtigen Thema ist. Grund zwei. Die Versorgungslücke wird überhaupt nicht erkennbar. Herr Riester, im Übereifer des Gefechts in den Rentendebatten haben Sie dafür gesorgt, dass in den Statistiken ausgewiesen wird, dass das Rentenniveau in der gesetzlichen Rentenversicherung nach der Reform angeblich nicht mehr sinkt, sondern steigt. Laut Rentenversicherungsbericht landen wir im Jahre 2015 angeblich bei einem Rentenniveau von über 70 Prozent. Sie sagen aber selber, dass die Leistung für die junge Generation in Wirklichkeit viel geringer sein wird. Kein Mensch kann mehr erkennen, wie hoch der Vorsorgebedarf eigentlich ist, weil Sie die Dinge so lange manipuliert haben, bis niemand mehr eine Versorgungslücke erkennen konnte. ({2}) Ganz wichtig ist Grund drei. Ich nenne das Stichwort Altverträge. Was soll man mit einer Verkäuferin, die nur 700 Euro netto im Monat zur Verfügung hat, machen? Sie kann den Euro genauso wie vorher die Mark nur einmal ausgeben. Wenn sie bisher schon Altersvorsorge betrieben hat, muss sie deswegen überlegen, ob sie diese Verträge umwandelt. ({3}) Aber das ist zu akzeptablen Bedingungen nicht möglich. Das ist nicht nur die Meinung der Unionsfraktion. Ich zitiere jetzt aus der Bertelsmann-Studie, die die Defizite der Riester-Rente in hervorragender Weise vor wenigen Wochen aufgezeigt hat. Die Bertelsmann-Studie kommt zu dem Ergebnis: „Die Umstellung von Altverträgen muss praktisch möglich sein und darf keine Nachteile für den Verbraucher enthalten.“ Meine persönliche Überzeugung ist die, dass der ins Stocken geratene Prozess beim Abschluss von neuen VerBundesminister Walter Riester trägen vor allen Dingen darauf zurückzuführen ist, dass diejenigen, die bisher vorgesorgt haben, zögern, ihren alten Vertrag umzuwandeln oder einen Vertrag zusätzlich abzuschließen. Weil es jedoch keine vernünftigen Bedingungen bei der Umstellung von Altverträgen gibt, werden diese Menschen abgeschreckt. Die Studie des Deutschen Instituts für Altersvorsorge bringt es auf den Punkt: Trotz massiver Werbekampagnen von Finanzdienstleistern und Medienberichten ist die Abschlussbereitschaft im letzten Halbjahr insgesamt tendenziell sogar gesunken. Grund vier. Herr Riester, das bürokratische Förderdickicht, das Sie geschaffen haben, führt zu einem enormen Verwaltungsaufwand mit hohen Kosten. ({4}) Das schlägt sich in einer Rendite nieder, die nicht attraktiv ist. Vor wenigen Tagen war im „Spiegel“ zu lesen - das ist nicht nur eine Erkenntnis der Unionsfraktionen -, dass der Berliner Ökonom Klaus Jaeger von der Freien Universität in einer Studie nachgewiesen hat, dass die Rendite bei Riester-Produkten bis zu 0,4 Prozentpunkte unter der von herkömmlichen Lebensversicherungen liegt. Unter solchen Bedingungen ist es doch kein Wunder, dass die Menschen zögern, einen Vertrag abzuschließen. ({5}) Grund fünf. Es ist zu wenig attraktiv, bei Versicherungsprodukten die Riester-Rente zu wählen, weil man bei der Mittelverwendung völlig eingeschränkt ist. Eine monatliche Auszahlung bis ans Lebensende ist vorgeschrieben. Sie können noch nicht einmal über einen Teil der Mittel selbst verfügen. Es ist jedoch ein wichtiger Punkt, über einen Teil des selbst angesparten Vermögens frei verfügen zu können. Hierzu ist im Bericht der Bertelsmann-Stiftung zu lesen: Für die Akzeptanz der Vorsorge wird es wesentlich davon abhängen, ob wir hier eine vernünftige Regelung finden. Herr Riester, es gibt eine gravierende sozialpolitische Schieflage in Ihrem Konzept. Die Schlagzeile im Bertelsmann-Bericht lautete: „Riester-Rente benachteiligt Haushalte in Notlagen und sozial schwache Bevölkerungsgruppen.“ Benachteiligt sind vor allen Dingen Langzeitarbeitslose und allein erziehende Mütter, die einen Vorsorgevertrag kurzfristig nicht oder zumindest nicht in der vorgeschriebenen Höhe weiterverfolgen können. Sie verlieren massiv. Es kann doch nicht sein, dass ausgerechnet diejenigen, die am stärksten darauf angewiesen wären, die Benachteiligten sind. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Andreas Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl, Frau Präsidentin! Last, but not least: Es fehlt eine angemessene Förderung des Wohneigentums. Deswegen wird es nach dem 22. September für uns oberste Priorität haben, in der Sozialpolitik aus der nicht funktionsfähigen Riester-Rente eine wirkliche Sparrente für die gesamte Bevölkerung zu machen. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat das Wort die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist der 18. April 2002. An diesem Tag erklärt die Opposition: Es haben noch nicht genügend Menschen die neue Riester-Rente abgeschlossen. ({0}) Seit dem 1. Januar dieses Jahres sind die Produkte am Markt. Sie mussten vorher zertifiziert werden. ({1}) Wir haben sie zertifizieren lassen, weil die Menschen sicher sein müssen, dass ihnen ihr angelegtes Geld ganz sicher wieder zur Verfügung stehen wird, also aus Gründen des Verbraucherschutzes. ({2}) 3 500 Produkte sind zum 1. Januar zertifiziert worden. Daneben gibt es eine Reihe von Musterverträgen, die zum Beispiel von der Sparkassenorganisation vielfältig angeboten werden. Diese 3 500 Produkte haben natürlich unterschiedliche Ausprägungen. Nicht nur wir als Bundesregierung, sondern auch alle Verbraucherschützer haben dazu geraten, mit diesen neuen Produkten vorsichtig umzugehen und die Produkte zunächst miteinander zu vergleichen. Es ist und bleibt richtig: Man verliert nicht einen Euro aus dem ersten Förderjahrgang, wenn man den Vertrag am 31. Dezember 2002 abschließt. Wenn man das erste Förderjahr in Anspruch nehmen will, reicht es also völlig aus, dies bis zum Ende des Jahres zu tun. Darauf sind natürlich auch die Verwaltungen eingestellt. Selbstverständlich kann es auch sein, dass jemand auf das erste Förderjahr verzichtet und erst im nächsten Jahr einen Vertrag abschließt. Dies bleibt jedem selbst überlassen. Wenn Sie uns nun den Vorhalt machen, wir würden die Menschen nicht genügend darüber aufklären, welche Versorgungslücken bei der Sozialversicherungsrente entstehen könnten, ({3}) dann kann ich nur sagen: Das muss daran liegen, dass insbesondere die älteren Bürgerinnen und Bürger 16 Jahre lang von Herrn Blüm in die Ohren getutet bekommen haben, die Rente sei sicher. Wir mussten nun die Bürgerinnen und Bürger darauf aufmerksam machen, dass diese Versprechungen der alten Bundesregierung nicht einzuhalten waren, und haben, weil für die Zukunft tatsächlich nicht mehr sicher ist, dass man aus der Sozialversicherungsrente 70 Prozent des bisherigen Nettoeinkommens erhält, ({4}) diese Blüm-Lücke durch die kapitalgedeckte Altersvorsorge aufgefüllt. Diese kapitalgedeckte Altersvorsorge ist insbesondere für Familien mit Kindern interessant und insoweit besonders sozial ausgerichtet. Wenn Sie uns heute auf der Basis einer windigen Untersuchung vorhalten, die Riester-Rente sei nicht attraktiv genug, dann kann ich nur sagen, dass Sie mindestens auf einem Auge blind sind. ({5}) Daneben hat der Bundesarbeitsminister schon zu Recht darauf hingewiesen, dass die betriebliche Altersvorsorge vor einer Renaissance steht oder sich schon in einer Renaissance befindet. Er hat auf die große Anzahl der neuen Abschlüsse im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge hingewiesen. Als drittes Element haben wir die Genehmigung von Pensionsfonds ermöglicht. Zu Beginn dieses Monats - ich glaube, es war in der ersten Aprilwoche - ist ({6}) - am 9. April - der erste Pensionsfonds genehmigt worden; es war ein Fonds der IG Chemie. Weitere Pensionsfonds liegen zur Genehmigung vor. Über ihre Genehmigung wird noch im zweiten Quartal dieses Jahres entschieden werden. Natürlich muss der Genehmigung eine Prüfung vorangehen, weil unter aufsichtsrechtlichen Gesichtspunkten die Neuerrichtung eines Pensionsfonds mit der Neuerrichtung einer Lebensversicherung vergleichbar ist. Ein Pensionsfonds ist also nicht irgendein neues Produkt, sondern er stellt gleichsam eine neue Lebensversicherung für einen bestimmten Personenkreis dar. Dies unterliegt auch unter Verbraucherschutzgesichtspunkten - dazu sind ohnehin alle aufsichtsrechtlichen Regelungen da - der Prüfung. Ich sage Ihnen noch einmal: Über alle Pensionsfonds, deren Genehmigung zurzeit beantragt ist, wird zum Ende des zweiten Quartals auch entschieden werden. Natürlich wissen sehr viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer insbesondere in den großen Betrieben, aber auch - Herr Kollege Riester hat zu Recht darauf hingewiesen - in den Betrieben des Mittelstandes, dass ihre Arbeitgeber und ihre Gewerkschaften daran arbeiten, solche Pensionsfonds auf die Beine zu stellen. Selbstverständlich warten sie darauf und schließen nicht einen Vertrag mit einem der übrigen Anbieter ab. Uns nun zum Vorwurf zu machen, dass wir eine Renaissance der betrieblichen Altersvorsorge herbeigeführt hätten und zum ersten Mal in der Bundesrepublik Deutschland das moderne Finanzierungsinstrument des Pensionsfonds für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nutzbar machen, ist an Ignoranz überhaupt nicht zu überbieten. Die Vorwürfe, die Sie uns in diesem Zusammenhang machen, sind völlig unhaltbar. Gegen Ende des Jahres werden wir noch einmal eine ordentliche Kampagne durchführen, damit niemand das erste Förderjahr verpasst. Herzlichen Dank. ({7})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat jetzt der Kollege Heinz Schemken für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ein gutes Gedächtnis. Frau Staatssekretärin, wer hat denn die Blüm-Reform zu Fall gebracht? - Sie. Wer hat die Rentner 1998 verunsichert? - Sie. ({0}) Wer muss die Verbraucher vor einem Produkt schützen? Sie. ({1}) - Ja, das Produkt kann doch gar nicht so gut sein, weil hier ständig von Verbraucherschutz die Rede ist. Wir haben den Minister vor handwerklichen Fehlern im Zusammenhang mit dieser Gesetzgebung vergeblich gewarnt. Das rächt sich jetzt. Ich bin noch einer von der Sorte, die die letzten Reformen, die Blüm-Reform und diese Reform, gern gemeinsam mit großen Mehrheiten herbeigeführt hätten, weil wir uns bezüglich dieser Fragen nicht jahrelang wechselseitig Vorwürfe machen sollten; denn damit würden die Rentner verunsichert werden. ({2}) 8 Prozent der Förderberechtigten haben sich bisher informiert; 5 Prozent haben bisher Versicherungsverträge abgeschlossen. Das ist nun weiß Gott kein großartiger Erfolg, auch wenn Sie das so darstellen. Wenn man Ihren Ausführungen glaubte, müsste das Produkt ein Selbstläufer sein. Wir haben jedoch große Defizite festzustellen. Das wäre ja nicht tragisch, wenn es um irgendein Gesetz ginge. Es geht hier aber um die Sicherung der zukünftigen Existenz der Menschen. ({3}) Hiervon sind fast 40 Millionen Menschen betroffen. ({4}) - Bei Blüm waren alle betroffen; hier werden unterschiedliche Maßstäbe angelegt. ({5}) Das hat Folgen für diejenigen, die nach dem Prinzip Hoffnung - die SPD hat es immer wieder verstanden, auf das Prinzip Hoffnung zu setzen, insbesondere dann, wenn es um Rentner ging - auf die Sicherheit ihrer Altersversorgung setzten. Ich kann mich nur wundern, wenn hier von 2 Prozent Rentenerhöhung gesprochen wird. Jeder weiß, dass die Rentner in den vorangegangenen Jahren ausgebremst worden sind. ({6}) Da die Renten nicht erhöht wurden, kann bei vorherigen Nullrunden in einem Wahljahr natürlich leicht mit 2 Prozent Steigerung aufgewartet werden. ({7}) - Ich weiß, was im Gesetz steht. Ich weiß auch, dass Sie die Mindestreserve nicht mehr einhalten. Sie ändern ja ständig die Gesetze. Man kann gar nicht so schnell lesen, wie Sie die Gesetze ändern. ({8}) Es gibt auch noch andere Zeitzeugen. Herr Achenbach, der Fachmann aus dem Ministerium, hat die nächste Rentenreform schon angekündigt. Das sehen also nicht nur wir voraus. Herr Achenbach hat in der Öffentlichkeit erklärt, dass eine Rentenreform notwendig sei, und zwar genau auf dem Hintergrund, den wir Ihnen aufgezeigt haben. Auch die Auswirkungen infolge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Rentenbesteuerung kommen noch auf uns zu. ({9}) - Ja, das wird die Lage völlig verändern. ({10}) Die Warnungen im Hinblick auf die Kompliziertheit, die überzogenen Verfahren und die Bürokratie bestätigen sich. Ich frage Sie: Mit wem sollen wir denn sonst sprechen, wenn nicht mit der Versicherungswirtschaft, mit den Betroffenen, mit den Gewerkschaften - das haben wir im Übrigen in dieser Woche getan - und mit den Bausparkassen? Das sind doch die Anbieter, mit denen wir darüber reden müssen, wie sie mit den Menschen im Hinblick auf diese Gesetzgebung umgehen. Wissen Sie, was das Dramatische ist? Die Verwaltungskosten belaufen sich durch den Apparat, den Sie aufbauen, auf bis zu 20 Prozent, wie uns in dieser Woche erklärt wurde. Das gilt für die Zertifizierungsbehörde. ({11}) Das wäre nicht nötig. Die von Ihnen vorgeschlagenen Regelungen haben erhebliche Schwächen. Die Konstante, die bis 2008 gilt, bringt insbesondere für Frauen, für Geringverdiener und für die Familien eine erhebliche Schwächung in der Altersversorgung. Weil Sie nicht an die Versicherungsgrenze als Maßstab herangehen - das wäre eine Möglichkeit der Fortschreibung gewesen -, frieren Sie hier letztlich die Fortschreibung der Zulagen ein. ({12}) Die dynamische Rente wurde ja einmal von der Koalition aus CDU/CSU und FDP eingeführt. ({13}) - Wenn wir schon in die Vergangenheit blicken, dann heißt das: Derjenige, der damit rechnet, im Alter an der Steigerung des Lebensstandards teilzuhaben, erwartet, dass er dies durch eine Fortschreibung erreicht. Das ist bei Ihnen jedoch nicht der Fall. ({14}) Im Gegenteil, durch die Abgaben im Jahr 2008 schmelzen Sie die Rente zwangsläufig von 70 auf 64 Prozent der früheren Bezüge ab. Das hätte Herr Blüm einmal machen sollen. ({15})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist weit überschritten.

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber einen Satz lassen Sie noch zu, Frau Präsidentin, weil Sie ein Herz für Frauen haben: Die Betroffenen sind die Hinterbliebenen, die Frauen, die Geringverdiener, die Familien und die Alleinerziehenden. ({0}) Damit habe ich ein Problem. Da kann man eigentlich nur traurig werden, Frau Lotz. Ich bin überhaupt nicht neidisch, wie Sie glauben; man kann das, was Sie machen, nur bedauern. Schönen Dank. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat die Kollegin Katrin Göring-Eckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich meine, der Vorwurf, Herr Schemken sei eine Frau, ist sicherlich unparlamentarisch. Ich würde aber gern auf das eingehen, was Sie zur Liquidität der Rentenversicherung gesagt haben, Herr Schemken. Weil sie relativ kurz ist, verlese ich die Stellungnahme des VDR: Die heutige Meldung in der „Bild“-Zeitung, - Sie haben sich ja darauf bezogen die pünktliche Auszahlung der Renten im Herbst dieses Jahres sei möglicherweise gefährdet, entbehrt jeglicher Grundlage. Zum Ende dieses Jahres wird die Schwankungsreserve in der Rentenversicherung nach den Berechnungen des Verbandes 12,3 Milliarden Euro betragen. ({0}) Sie entspricht damit der gesetzlich festgelegten Mindestschwankungsreserve von 0,8 Monatsausgaben zum Jahresende. Auch für den Herbst dieses Jahres gibt es daher an der Liquidität der Rentenversicherung keine Zweifel. ({1}) Das hat der VDR festgestellt. Ich meine, Sie sollten es zur Kenntnis nehmen ({2}) und hier keine Verunsicherungskampagne betreiben, die niemandem nutzt, insbesondere nicht den Menschen, die auf ihre Renten angewiesen sind. ({3}) Ich komme jetzt zum Thema Riester-Rente und zu Ihrer Panikmache in Bezug darauf. Dass wir nicht informiert haben, ist Quatsch. Eigentlich wird über nichts so viel geredet wie über die private Vorsorge, ({4}) und zwar nicht nur von den Politikern. Über nichts werden so viele Informationen verbreitet, auf sehr vielen Ratgeberseiten und in sehr vielen Zeitungen, von der Bundesregierung, den Verbraucherverbänden und insbesondere vom VDR, den wir nämlich damit beauftragt haben. Ich meine, niemand kann sagen, dass jemand an fehlenden Informationen scheitert. Im Gegenteil: Die vermittelten Informationen werden von den Menschen sehr ernst genommen. Das ist der Grund dafür, warum sie nicht schnell irgendwelche Verträge unterschreiben, weil nämlich das, was die Verbraucherverbände sagen, richtig ist: Abwarten, genau prüfen und vergleichen - übrigens auch die betrieblichen Vorsorgeangebote, die es zum Teil aber auf dem Markt noch nicht gibt - und erst dann einen Vertrag abschließen. Niemandem wird auch nur eine Mark der Förderung entgehen, wenn er das in diesem Jahr in aller Ruhe tut. Deswegen rate ich zu Gelassenheit in dieser Frage, was die Abschlüsse und vor allem auch die Verunsicherung der Menschen angeht, die sich solche Vorsorgeleistungen genau anschauen. Für wichtig halte ich, dass besonders die jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein großes Interesse an der Riester-Rente und ihren Produkten zeigen. Das sind nämlich diejenigen, die wir selbstverständlich besonders erreichen wollen, weil vor allem sie darauf angewiesen sein werden. Deswegen ist es gut, dass gerade die jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein großes Interesse zeigen. Wenn Sie uns vorwerfen, wir hätten nicht ausreichend informiert, dann muss ich - auch wenn ich nicht mehr gerne auf Ihre Regierungszeit verweise ({5}) darauf hinweisen, dass nicht wir diejenigen waren, die versichert haben, die Rente sei sicher und man könne damit auskommen. Wir waren vielmehr diejenigen, die erstmals klar gemacht haben: Nein, ganz so einfach ist es nicht; wir müssen eine generationengerechte Rentenpolitik machen. Dazu gehört die private Vorsorge, die wir, nicht Sie, auf den Weg gebracht haben. Wir haben sie ausgestaltet, und zwar vor allen Dingen so, dass sich auch Menschen, die nicht so viel im Geldbeutel haben, dass sie es sich schon vorher leisten konnten, heute tatsächlich eine zusätzliche private Vorsorge leisten können. ({6}) Es sind insbesondere Familien und Geringverdiener, denen wir unter die Arme greifen. Inzwischen sind schon 3 500 Produkte zertifiziert worden. Außerdem gibt es betriebliche Vorsorgeprodukte, die aber noch nicht auf den Weg gebracht worden sind. Ich meine, das ist eine gute Ausgangsbasis, wenn man bedenkt, das erst der Monat April erreicht ist. Die Verbraucherverbände raten dazu, sich zu informieren. Es geht um verantwortungsbewusstes Handeln der Menschen, das nicht geeignet ist, Panik auszulösen. Wenn man sich damit befasst, was dieses Informationsbedürfnis bedeutet, sollte man sich auch damit beschäftigen, worüber wir hier gestritten haben, nämlich über erhöhte Transparenz bei den Angeboten, zum Beispiel hinsichtlich der Informationspflicht bei den Anlageformen. Es war uns als Grünen besonders wichtig, dass die Produktanbieter offen legen, in welche Bereiche sie investieren bzw. ob sie in ökologische, soziale oder ethische Anlageprodukte nach entsprechenden Kriterien investieren. Deswegen ist es richtig, sich zu informieren. Das muss man deutlich machen. Zum Schluss: Auf den Internetseiten des gleichen Instituts, das festgestellt hat, dass bisher nur wenige Riester-Verträge abgeschlossen worden seien, findet sich die Überschrift: Riester-Rente schwer zu schlagen. Das ist das Ergebnis der Rentenpolitik dieser Bundesregierung. Vielen Dank. ({7})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat nunmehr der Kollege Gerald Weiß für die CDU/CSU-Fraktion.

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün! Herr Riester, das Ärgerlichste ist Ihre elende Selbstgerechtigkeit. Angesichts des Umfrageergebnisses, dass nur 8 Prozent der Befragten bisher einen Riester-Vertrag abgeschlossen haben und dass 71 Prozent sagen, dass sie gar keine RiesterRente wollten, sollten Sie sich fragen, warum das so schleppend anläuft und wo - das machen Sie ja am liebsten - nachgebessert werden muss. Sie sollten eine unvoreingenommene Fehlursachenanalyse durchführen. Nein, das tun Sie nicht. Sie behaupten stattdessen selbstgerecht, dass man auf dem richtigen Wege sei. Wenn die Menschen das anders sähen, dann hätten sie eben Pech gehabt. Diesen Standpunkt können wir nicht akzeptieren. ({0}) Frau Scheel, der Herr Minister und Frau Hendricks reden nur von Verbraucherschutz und Transparenz. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssten sich nur erst informieren. Dann werde es schon laufen. - Pustekuchen! Ich sage Ihnen: Die Arbeiter, die zum Beispiel am Fließband bei Opel arbeiten, werden durch die komplizierten Riester-Modelle nicht durchsteigen können, wenn selbst die Fachleute das nicht können. Das möchte ich Ihnen an einem Beispiel deutlich machen: Die Verbraucherschutzzentralen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen weisen darauf hin, dass den Riester-Rentnern deshalb riesige finanzielle Verluste drohen, weil 15 von 23 untersuchten Riester-Modellen - so sieht der von Ihnen gepriesene Verbraucherschutz aus, Herr Riester - so konstruiert seien, dass die Rente im Falle des Ablebens des Ehepartners noch fünf bis zehn Jahre an die Hinterbliebenen gezahlt werde. Herr Eichel hat dazu gesagt, dass dies förderschädlich sei. Deshalb müssten die Zulagen in diesen Fällen zurückgezahlt werden. Wenn die Fachleute, die Juristen der Versicherungswirtschaft, in Detailkenntnis des Gesetzes etwas Falsches gebastelt haben bzw. eine große Rechtsunsicherheit verursacht haben vielleicht haben sie das, was der Bundesfinanzminister gesagt hat, falsch ausgelegt -, dann kann man vom kleinen Mann und von der kleinen Frau nicht erwarten, dass sie durch die komplizierten Riester-Modelle durchsteigen. Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass die Riester-Rente kompliziert ist. Sie ist auch sozial ungerecht. Vielleicht wollen nur so wenige die Riester-Rente, weil sie sich einfach überfordert fühlen. Ich möchte Ihnen einmal ein Zahlenbeispiel geben: Eine allein stehende Verkäuferin, die ein jährliches Einkommen von 15 000 Euro hat, wird im Jahr 2008 eine so genannte Grundzulage von 154 Euro bekommen. Der Filialleiter, unterstelltes Jahreseinkommen 50 000 Euro, wird neben der Grundzulage von 154 Euro noch einen Steuervorteil von 650 Euro pro Jahr in Anspruch nehmen können. Das ist doch eine windschiefe Förderung. Die Familien mit Kindern und die Einkommensschwachen werden zu schwach gefördert. Deshalb fragen sie auch nur schwach die Riester-Rente nach. Dass Sie als Sozialdemokraten diesen Zusammenhang nicht sehen, ist traurig. ({1}) Die Riester-Rente ist bürokratisch, kompliziert, in der Förderung unzureichend und ungerecht gegenüber den Familien. Sie ist - darauf hat der Kollege Storm schon vorhin hingewiesen - auch renditeschwach. Vielleicht ist das der entscheidende Grund, warum so viele sie nicht wollen. Ich möchte nicht noch einmal Professor Jaeger zitieren. Ich verweise stattdessen auf die Berechnungen des Bundesverbandes Deutscher Versicherungsmakler, wonach die Riester-Produkte im Schnitt 5 bis 10 Prozent weniger Rendite bringen als vergleichbare herkömmliche Produkte. Die Riester-Rente ist unter diesem Gesichtspunkt also unattraktiv. Fragen Sie doch einmal nach den Ursachen. Es liegen elf komplizierte Kriterien zugrunde, obwohl Sie eigentlich nur zwei benötigen: Sicherheit und Langfristigkeit. Durch Ihre Kataloge schließen Sie wichtige, wertvolle Wahlmöglichkeiten von vornherein aus. Welch ein Kampf war es, wenigstens die Auszahlungsmöglichkeit von nur 20 Prozent bei Beginn des Ruhestands sicherzustellen! Warum nehmen Sie den Leuten die Lebensplanung ab? Wenn sich jemand in ein Seniorenstift einkaufen möchte, benötigt er mehr als 20 Prozent. ({2}) - Das ist ein Stück Alterssicherung. Begreifen Sie doch, dass die Menschen nicht nur nach Ihrer Schablone selig werden wollen, sondern ihren Lebensabend nach ihrer eigenen Lebensplanung gestalten wollen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({3})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat jetzt der Kollege Franz Thönnes für die SPD-Fraktion. ({0})

Franz Thönnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002818, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Titel dieser Aktuellen Stunde lautet „Haltung der Bundesregierung zu dem Befund, dass fast drei Viertel der Versicherten keinen Vertrag für eine so genannte Riester-Rente abschließen wollen“. Man stellt sich schon die Frage, was das für ein Befund ist. Es handelt sich um eine Untersuchung aus dem März 2002. In dem entsprechenden Bericht wird erläutert, dass noch immer fast drei Viertel der Versicherten - Pflichtversicherte, Arbeitnehmer und Angestellte machen insgesamt immerhin 62 Prozent aus - keine RiesterRente abschließen wollen. Angesichts einer massiven Werbekampagne sei das enttäuschend. Die Bundesregierung, so heißt es weiter - das haben Sie nicht zitiert -, mache die Wahrheit über den schlechten Zustand des Umlagesystems nicht deutlich. Ich will der Frage nachgehen, worüber wir hier eigentlich reden und was die Basis dafür ist. 1 000 Beschäftigte - bei ungefähr 27 bis 28 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind - wurden befragt. Davon waren 45 Prozent Männer und 55 Prozent Frauen. In der Realität sieht es aber so aus, dass 55 Prozent Männer und 45 Prozent Frauen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Darum sind Zweifel an der Aussagekraft dieser Umfrage angebracht. Die Verlässlichkeit der gesetzlichen Rentenversicherung wird in dieser Untersuchung anhand einer Skala bewertet: völlig sicher: 10 Punkte, völlig unsicher: 0 Punkte. Auf dieser Skala findet man für das Jahr 1980 die Größenordnung 7,5 Prozent. Bis zum Jahr 2002 verringert sich diese Größe auf 4,1 Punkte. Sie verschweigen völlig, dass diese Größe bis 1996, also im Laufe Ihrer Regierungszeit, von 7,5 auf 5 Punkte sank, weil die Menschen gemerkt haben, dass Ihr Spruch „Die Renten sind sicher“ schlichtweg eine Lüge war. Das Vertrauen in das System ist unter Ihrer Regierung verloren gegangen. Das haben Sie nicht zitiert. ({0}) Der Rückgang des Vertrauens in die Rentenversicherung war während Ihrer Regierungszeit dreimal höher als unter unserer Verantwortung. Uns ist es gelungen, diese Tendenz zu bremsen. Es ist gesagt worden, wer hinter diesem Institut steht. Man muss aber auch sagen, dass der wissenschaftliche Berater Professor Dr. Meinhard Miegel ist, der, so glaube ich, Leiter der Bundesgeschäftsstelle der CDU in Bonn gewesen ist. Darum müssen Sie diese Untersuchung aufgreifen; es bleibt Ihnen gar nichts anderes übrig. Sie müssen das aufgreifen, weil Sie auch in der jetzigen Situation versuchen, in Deutschland Angst zu schüren: Angst vor Zuwanderung, Angst, obwohl eine Verbesserung der Konjunktur, die sich jetzt am Himmel abzeichnet, abzusehen ist, Angst bei der Rente. Sie sind auch in dieser Situation die eigentlichen Angstverursacher. Sie wollen wieder dazu beitragen, dass diese Rente, die private Altersvorsorge, die von der Wirtschaft, von Gewerkschaften und Fachleuten akzeptiert und als eine gute politische Entscheidung bewertet wird, schlecht geredet wird. ({1}) - Frau Schwaetzer, Ihnen ist es am liebsten - ich bleibe bei meiner Philosophie -, wenn gar nichts geregelt wird. Sie wissen nicht, was geregelt werden soll. Sie, Frau Maier, wollen alles geregelt haben. Mithilfe der elf Punkte, die wir aufgeschrieben haben, versuchen wir aus dem Gesetz mehr praktischen Verbraucherschutz, der die Menschen vor dem schützen soll, was auf dem Markt üblich ist, herauszuholen. Es geht um Marktanteile für die Unternehmen. Das ist auch gar nicht schlimm; aber da muss ein bisschen geregelter Wettbewerb hinein und das machen wir. Die Menschen - das ist völlig klar - gehen sehr vorsichtig damit um. Sie lassen sich das erklären. Die Zahl von 1,9 Millionen Verträgen ist schon ein ganz großer Erfolg. 1,9 Millionen Verträge in vier Monaten, das ist kein Zeichen des Scheiterns, sondern das ist ein riesiger Erfolg, weil alle Prognosen davon ausgehen, dass zwei Drittel bis drei Viertel aller Verträge in der betrieblichen Altersvorsorge abgeschlossen werden. Am Ende werden es also nicht einmal 8 Millionen Verträge in der privaten Vorsorge sein. Demnach haben wir nach gut drei Monaten schon ein Viertel erreicht. Jedes Unternehmen im Wettbewerb wäre froh, wenn es bei einem neuen Produkt diese Einführungsquote erreichen würde. Deswegen sind wir auch stolz darauf. ({2}) Es ist deutlich gesagt worden, dass jetzt mehr als 106 Tarifverträge das für 15,7 Millionen Menschen regeln. Damit kommen mehr als 60 Prozent der Beschäftigten im Bereich von Tarifverträgen in den Genuss einer gut geregelten betrieblichen Altersvorsorge. Es ist klar, dass die Menschen jetzt warten. Der Vorteil bei der betrieblichen Altersvorsorge besteht darin, dass die Verwaltungskosten nur bei ungefähr 5 bis 6 Prozent liegen. Wenn sie bei den Privaten bei 20 Prozent liegen, dann kann ich nur sagen: Munter rein in den Wettbewerb! Es wird sich zeigen, wo die besseren Verträge gemacht werden. Wir werden dann sehen, dass das am Ende im tariflichen Bereich der Fall sein wird. ({3}) Deswegen werden wir sehr vertrauensvoll abwarten, was die Stiftung Warentest sagen wird, die Mitte des Jahres die Untersuchungsergebnisse vorlegen wird. Die Menschen werden sich ein Bild davon machen, wo sie Vorteile haben werden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit überzogen.

Franz Thönnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002818, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir lassen uns das auch nicht schlecht reden. Sie sagen, dass wir die Bezieher höherer Einkommen stärker fördern als die niedriger. Nein! Verheiratet, zwei Kinder, Durchschnittseinkommen 30 000 Euro: 57 Prozent Förderquote. Gleiche Einkommensklasse, allein stehend: 30 Prozent Förderquote. Ich sage abschließend: Der Erfolg der Rentenpolitik dieser Regierung wird aus der Grafik, die ich hier habe, deutlich.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Franz Thönnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002818, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In den letzten vier Jahren Ihrer Regierungszeit gab es nur 3,5 Prozent Rentenzuwachs in Westdeutschland und in den vier Jahren dieser Regierung 6,14 Prozent. ({0}) Ihnen wird es nicht gelingen, die Menschen zu verunsichern. Dieses Produkt ist ein gutes Produkt und es wird im Wettbewerb Bestand haben. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bevor ich dem Kollegen Matthäus Strebl für die CDU/CSU-Fraktion das Wort gebe, folgender Hinweis: Wir sind in der Aktuellen Stunde. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie müssen sich an die Redezeit halten. Wenn das nicht funktioniert, werde ich irgendwann das Mikrofon abschalten. Ich werde es nicht bei Ihnen tun, Herr Kollege Strebl; denn Sie werden sich ja an die Redezeit von fünf Minuten halten. Bitte sehr.

Matthäus Strebl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002940, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich hoffe es. - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vergangenes Jahr stellte der Bundesarbeitsminister Walter Riester mit ungeheurem Werbeaufwand seine so genannte Riester-Rente vor, die die Bürgerinnen und Bürger zur privaten Altersvorsorge anhalten sollte. Ziel war es, die angeschlagene Rentenkasse zu entlasten. Herr Thönnes, weil Sie von der Wahrheit sprachen, muss ich Folgendes sagen: Die Wahrheit ist, dass Sie im Jahr 2000 die Nettolohnanpassung ausgesetzt haben. Die Wahrheit ist auch, dass Sie es waren, die die Blüm-Reform behindert haben. Die so genannte Riester-Rente floppt an allen Ecken und Enden, wie wir heute feststellen müssen. Eine Studie des Deutschen Instituts für Altersvorsorge belegt, dass rund 71 Prozent keinen Vertrag für eine zusätzliche private Altersvorsorge abschließen wollen und 49 Prozent an der Riester-Rente generell nicht interessiert sind. Jetzt kommt Licht ins Dunkel der Rentenreform dieser Bundesregierung. Dabei wächst die Angst in der Bevölkerung vor der Unsicherheit der gesetzlichen Rente. 82 Prozent der Befragten sind sich zwar darüber im Klaren, dass eine private Altersvorsorge prinzipiell notwendig ist; aber 60 Prozent haben den Eindruck, vom Staat im Stich gelassen zu werden. Das ist das Ergebnis der viel zitierten „Solidarität mit Gewinn“. Anstatt eines ausgewogenen, transparenten Modells haben wir nun ein einseitiges, übereilt vorgestelltes Machwerk, das auf Kosten von Rentnerinnen und Rentnern sowie Verbrauchern geht. Es wurde eine Vielzahl von Regeln aufgestellt, damit ein Anlageprodukt die Zertifizierung erhält. Doch leider hat Bundesminister Riester dabei nur an Rahmenbedingungen gedacht. Die Frage der Wirtschaftlichkeit derartiger Verträge spielte keine Rolle; denn die Zertifizierung ist nach seinen Angaben kein staatliches Prüfsiegel. Ich frage daher: Ist das für Sie Verbraucherschutz? Lieber eine späte Warnung als eine gut ausgearbeitete Reform des Modells. Immer mehr treten die Unzulänglichkeiten der Riester-Rente zutage: Die Riester-Rente ist nur auf den so genannten Eckrentner zugeschnitten, der 45 Jahre in die Rentenkasse einzahlt, aber es ist doch, wie wir alle wissen, realitätsfern, von 45 Jahren auszugehen. ({0}) Prognosen besagen, dass die durchschnittliche Lebensarbeitszeit bei Männern 40 Jahre und bei Frauen 30 Jahre betragen wird, womöglich sogar darunter liegt. Das bedeutet, dass die Versorgungslücke in den kommenden Jahren von 29,9 Prozent auf über 32 Prozent anwachsen wird. Ein weiteres Problem ist, dass bestehende Altverträge nicht die Förderkriterien der Riester-Rente erfüllen. Die Betroffenen müssen neue Verträge abschließen und eventuell wieder Abschlussprämien zahlen, um die Förderung zu erhalten, was sich gerade Bezieher von unterdurchschnittlichem Einkommen nicht leisten können. Diese Gruppe wird ohnehin durch die Förderung benachteiligt, denn grundsätzlich gilt frei nach Riester: je höher das Einkommen, desto höher die Förderung. Nach Schätzungen der Verbraucherschutzzentrale Nordrhein-Westfalen drohen nachher Hunderttausenden Deutschen aufgrund einer Vertragsklausel Nachzahlungen. 15 von 23 Versicherern garantieren auch nach dem Tod des Einzahlers die Auszahlung der Rente für einen Zeitraum von mehreren Jahren. Diese Vertragskonstruktion soll eigentlich Eheleute schützen und absichern, aber sie verstößt gegen Ausführungsbestimmungen des Bundesfinanzministeriums, welches in einer Auszahlung der Rente in Raten an den überlebenden Ehepartner eine schädliche Verwendung der staatlichen Zuschüsse, die in die Riester-Rentenverträge geflossen sind, sieht. Die Folge: Die so genannten Riester-Zahlungen müssen beim Tod des Ehepartners auf einen Schlag versteuert werden. So sieht die Familienförderung bei Ihnen aus, die Sie sich für Ihr Wahlprogramm auf die Fahne geschrieben haben. Herkömmliche Anlagemodelle dagegen sind flexibler und besser auf die individuellen Bedürfnisse der Verbraucher zugeschnitten, denn Fondssparpläne erlauben zum Beispiel, dass der Anleger jederzeit über sein Geld verfügen kann, was bei Riester-Produkten erst ab dem 60. Lebensjahr möglich ist. ({1}) Das Riester-Programm ist besonders aufwendig in der Beratung. Die Policen fallen aufgrund der vielen Auflagen eher ertragsschwach aus. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist kein Wunder, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes dieser Flop-Rente kaum Beachtung schenken.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist leider längst abgelaufen. ({0})

Matthäus Strebl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002940, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Experten halten es für möglich, dass in einigen Jahren wieder über eine obligatorische Versicherung nachgedacht werden muss. Zum Schluss: Diese Bundesregierung hat mit der Riester-Rente eine Chance verspielt und den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes den Weg zu einer zukunftsorientierten privaten Alterssicherung nicht geebnet. Das ist für mich nicht solidarisch und erst recht kein Gewinn. Vielen Dank. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun ruht meine ganze Hoffnung auf dem Kollegen Horst Schild, SPD-Fraktion.

Horst Schild (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002775, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Kollege Strebl, es handelt sich doch um ein fundamentales Missverständnis, was Ihren zum Teil auch gar nicht zutreffenden Ausführungen zugrunde liegt. Hier geht es um die Schließung der Lücke zwischen dem früheren und dem zukünftigen Rentenniveau der gesetzlichen Rentenversicherung. Hier geht es nicht um die staatliche Förderung der Erben, sondern um die der Hinterbliebenen. Das ist etwas völlig anderes. ({0}) Was wollte denn die Union mit der Beantragung dieser Aktuellen Stunde? Sie haben eine Momentaufnahme aus einer Studie von vielen, der vom Deutschen Institut für Altersvorsorge, zum Anlass genommen und darüber hinaus wahrscheinlich auch nur die Schlagzeile der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 12. April dieses Jahres gelesen. ({1}) Ich hätte Ihnen - dann hätten wir uns das Ganze heute ersparen können - geraten, die Schlagzeile der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 25. Januar zu nehmen. Sie lautete: „Interesse an der Riester-Rente“. Jetzt hat man das kleine Wörtchen „wenig“ hinzugefügt und die Basis der empirischen Daten ist keine andere. ({2}) - Das ist doch Unsinn, Frau Schwaetzer. ({3}) Sie wollten den untauglichen Versuch unternehmen, negative Schlagzeilen zu provozieren und damit das mies zu machen, was Sie in Ihrer Amtszeit nicht auf die Beine gestellt haben, nämlich den Weg staatlich geförderter zusätzlicher privater und betrieblicher Altersvorsorge. ({4}) In der Studie steht ausdrücklich: Entgegen den hohen Erwartungen - das ist sicherlich richtig; Erwartungen hatten wir und auch die Finanzdienstleister - wollen auch im März dieses Jahres, wenige Wochen nach In-Kraft-Treten dieses Gesetzes, 71 Prozent der Befragten nicht abschließen. Aber wenn Sie sich einmal die weiteren Befunde dieser Studie anschauen, dann sehen Sie, dass es berechtigten Anlass zu Optimismus gibt, dass dieser Anteil in Zukunft wesentlich größer wird. Das sollten Sie, wenn auch Sie die Notwendigkeit einer zusätzlichen, kapitalgedeckten Altersvorsorge sehen, nicht in Zweifel ziehen und Sie sollten nicht Zweifel säen. Nehmen wir einmal das Positive - einiges ist dazu gesagt worden -: Nur 18 Prozent gehen davon aus, dass sie keine Vorsorge treffen müssen. Aber 82 Prozent der Befragten gingen im März davon aus, dass sie etwas tun müssen. Frau Kollegin Scheel hat vorhin darauf verwiesen - das ist für uns besonders wichtig -: Gerade bei den jungen Menschen, bei den 18- bis 29-Jährigen, steigt das Bewusstsein; 91 Prozent gehen davon aus, dass die Notwendigkeit einer zusätzlichen Altersvorsorge besteht. Ich gehe davon aus, dass sie, wenn dieses Bewusstsein vorhanden ist, in Zukunft den von uns angebotenen Weg einer zusätzlichen betrieblichen oder privaten Altersvorsorge gehen werden. ({5}) Es gibt weitere erfreuliche Daten. In den neuen Ländern gibt es eine starke Nachfrage nach Riester-Produkten. Das freut uns besonders. Die Umfrage von Infratest - man sollte sich nicht nur auf die Studie des DIA beziehen - kommt zu dem Ergebnis, dass bereits jeder Achte einen Vertrag abgeschlossen hat und noch 43 Prozent im Laufe dieses Jahres einen abschließen wollen. Das sind positive Signale. ({6}) - Wir werden abwarten und sehen - wir haben entsprechende Befunde -, dass bei den neuen Durchführungswegen der staatlich geförderten betrieblichen Altersvorsorge bis zu 80 Prozent all derjenigen, die dafür infrage kommen, diesen Weg gehen werden. ({7}) Sie können doch nicht nur wenige Wochen - auch der Minister hat vorhin darauf verwiesen - als Maßstab nehmen. Hier ist auch auf die Einführung anderer Produkte verwiesen worden. Wir werden erleben, dass die Bereitschaft zum Abschluss einer staatlich geförderten privaten oder betrieblichen Altersvorsorge in den nächsten Monaten deutlich zunehmen wird und die Riester-Rente ein Erfolg wird. Ich danke Ihnen. - Frau Präsidentin, ich bin unter fünf Minuten geblieben. ({8})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Es geht doch, liebe Kolleginnen und Kollegen! - Die Aktuelle Stunde ist be- endet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Norbert Geis, Wolfgang Bosbach, Dr. Maria Böhmer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der Bevölkerung vor Sexualverbrechen und anderen schweren Straftaten - Drucksache 14/6709 ({0}) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Sexueller Missbrauch von Kindern - Drucksache 14/1125 ({1}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2}) - Drucksache 14/8779 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer ({3}) Joachim Stünker Volker Beck ({4}) Dr. Evelyn Kenzler b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ingrid Fischbach, Peter Weiß ({6}), Erika Reinhardt, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU Gegen die sexuelle Ausbeutung und den Miss- brauch von Kindern - Drucksachen 14/7610, 14/8806 - Berichterstattung: Abgeordnete Renate Gradistanac Irmingard Schewe-Gerigk Klaus Haupt c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Carsten Hübner, Rosel Neuhäuser, Sabine Jünger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Kinder vor sexueller Ausbeutung schützen Kindersextourismus bekämpfen - Drucksachen 14/7793, 14/8795 Berichterstattung: Abgeordnete Rolf Stöckel Hermann Gröhe Christa Nickels Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Carsten Hübner Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Norbert Geis für die CDU/CSU-Fraktion.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das letzte Sommerloch stand ganz im Zeichen des Ausspruchs des Herrn Bundeskanzlers, man müsse die Sexualstraftäter wegschließen, und das für immer. Aber es ist nichts geschehen; Sie haben nichts unternommen. Das muss man immer wieder feststellen. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, über den wir heute beschließen werden. Wir wollen durch diesen Gesetzentwurf die Bevölkerung vor Sexualverbrechen, insbesondere an Kindern, und vor anderen schweren Delikten stärker schützen. Wir haben uns in der vergangenen Legislaturperiode große Mühe gegeben, gerade diesen Bereich gesetzlich neu zu regeln. Das ist uns auch größtenteils gelungen. Aber es gibt Defizite, die wir heute aufgreifen wollen. Wir wollen den Kindesmissbrauch als Verbrechen hochstufen. Der Straftatbestand des § 176 StGB soll in Zukunft nicht mehr als Vergehen behandelt werden, sondern er soll zum Verbrechen hochgestuft werden. Wir greifen damit einen Gesetzentwurf des Bundesrates auf. Die Grundformen des sexuellen Missbrauchs von Kindern waren bereits vor 1973 in jedem Fall als Verbrechen konzipiert. Erst im Jahre 1973 hat man eine Differenzierung zwischen Vergehen und Verbrechen vorgenommen. Nur bei ganz schweren Taten handelte es sich um ein Verbrechen. Damals hat der Gesetzgeber erklärt, es sei nicht so ganz sicher, ob ein Kind wirklich immer einen großen Schaden erleidet, wenn es sexuell missbraucht wird. Das war die offizielle Gesetzesbegründung für die Differenzierung zwischen Vergehen und Verbrechen. Heute haben wir weiter gehende Erkenntnisse. Wir wissen, dass ein Kind immer einen schweren Schaden erleidet, wenn es sexuell missbraucht wird. Es kann psychische Schäden und negative Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung geben. Der Schaden kann sich auch in der mangelnden sexuellen Reife und in Traumata zeigen, die oftmals ein Leben lang andauern können. Deswegen sind wir der Auffassung, dass jedweder sexueller Missbrauch von Kindern als Verbrechen zu qualifizieren ist. Daraus ergeben sich natürlich gewisse Folgen. Das Gericht kann das Verfahren nicht mehr nach §§ 153 und 153 a StPO einstellen. Es kann Straftaten aus dem unteren Bereich nicht mehr einfach nur mit Strafbefehl ahnden. Es muss vielmehr Anklage vor dem Schöffengericht erhoben werden. Der Richter und das Gericht müssen sich selbst einen Eindruck von der Tat und von dem Täter verschaffen. Aber es ist nicht so, dass auf leichte Begehungstaten keine Rücksicht genommen werden könnte. Das Verfahren kann zwar nicht mehr eingestellt werden. Aber es gibt dennoch die Möglichkeit, über § 47 Abs. 2 StGB eine Geldstrafe zu verhängen oder eine Verwarnung mit Strafvorbehalt auszusprechen. Eine ausreichende Reaktionsmöglichkeit der Gerichte - zu Recht wurde diesbezüglich eine Einschränkung befürchtet; das ist das eigentliche Gegenargument gegen die Hochstufung zum Verbrechen ist durchaus gegeben. Wir müssen also nicht befürchten, dass minderschwere Fälle unter der Erheblichkeitsschwelle liegen. Wir glauben, dass wir diesen Weg gehen können. Auch der Bundesrat schlägt ihn vor. Wir bekommen außerdem Signale aus dem Bereich der Strafverfolgung, die uns zeigen, dass dies der bessere Weg ist und dass die Maßnahmen aus dem Jahre 1973 korrigiert werden müssen. In unserem Gesetzgebungsvorhaben greifen wir einen zweiten Punkt heraus, nämlich die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung. ({0}) - Ich bitte die Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, ihre Diskussion zu beenden, damit ich fortfahren kann.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, wir hatten eben eine lebhafte sozialpolitische Debatte. Ich habe mich noch nicht richtig auf diese juristische Debatte eingestellt. Ich weiß, dass die Juristen unter den Kollegen meistens aufmerksam zuhören. Sie haben mit Ihrer Bemerkung also völlig Recht. - Herr Kollege Geis, Sie haben das Wort.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke. Ich hätte mich nicht getraut, diese Rüge den Kolleginnen und Kollegen von der SPD auszusprechen; ich habe meine eigenen Freunde ansprechen wollen. Vielleicht kann man die sozialpolitische Debatte außerhalb des Plenarsaals fortsetzen und vielleicht ist es möglich, dass wir hier einmal ein paar Minuten lang über ein wichtiges strafrechtliches Thema diskutieren. Denn es ist kein einfaches Thema. Frau Präsidentin, ich stimme Ihnen zu: Es ist vielleicht nicht ganz so geläufig wie sozialpolitische Themen. Wir wollen die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung. Wir haben schon jetzt die Möglichkeit, dass der Richter bei einem Täter, der einen Hang zu schweren Straftaten hat und außerdem unter Umständen ein gefährlicher Wiederholungstäter ist, die Strafe aussprechen kann und ihn nach Absitzen der Strafe in die so genannte Sicherungsverwahrung schicken kann. Aufgrund unserer gesetzlichen Regelung aus dem Jahre 1998 ist das erleichtert worden. Das, was der Bundeskanzler möchte, ist schon aufgrund gesetzlicher Regelungen aus dem Jahre 1998 möglich. Aber wir haben eine Regelungslücke. Diese Regelungslücke besteht darin, dass das Gericht unter Umständen nicht immer in der Lage ist, schon beim Urteil festzustellen, ob es sich wirklich um einen Täter handelt, der einen Hang zu schweren Straftaten hat und zugleich gefährlich ist, und dass sich diese Tatsache erst während des Vollzugs, während der Therapie herausstellt, also in Kontakt mit den Vollzugsbeamten. Die stellen dann fest: Das ist ja ein gefährlicher Täter. Eine solche Feststellung liegt an sich nicht fern; das ist durchaus möglich. Für diese Fälle haben wir keine Regelung. Wenn also der Vollzugsbeamte zu dem Ergebnis kommt, dass es sich um einen Täter handelt, der einen Hang zu schweren Straftaten hat, dann muss er dennoch in die Freiheit entlassen werden, wenn das Gericht nicht zuvor bereits die Sicherungsverwahrung angeordnet hat. Das ist eine echte Regelungslücke. Das wird erkannt und das sieht auch die SPD so. Deswegen hat die Koalition die Regelung vorgeschlagen, dass das Gericht eine solche Sicherungsverwahrung unter Vorbehalt aussprechen kann. Wir halten diese Regelung für nicht ausreichend. Gestern fand dazu eine Anhörung statt. In dieser Anhörung hat dieser Gesetzentwurf auch bei den Sachverständigen, die von der SPD benannt wurden, keinen großen Anklang gefunden. Deswegen sollte man aufseiten der Koalition noch einmal darüber nachdenken, ob man nicht andere Formulierungen findet. Wir sind der Meinung, dass unser Vorschlag der bessere ist. ({0}) - Lieber Herr Hartenbach, der ist nicht verfassungswidrig. Ihr Gesetzentwurf - das haben wir gestern von einem Sachverständigen, den Sie selber benannt haben, gehört ist unter Umständen verfassungswidrig. Jedenfalls gibt es dagegen ganz erhebliche Bedenken. Wir meinen, dass der Vorbehalt, den Sie machen wollen, deswegen nicht in Ordnung ist, weil dann zum einen das Gericht keine Sicherungsverwahrung mehr aussprechen wird - jedenfalls im größten Teil der Fälle -, sondern immer nur eine Sicherungsverwahrung unter Vorbehalt. Das halten wir für eine Verschlechterung der jetzigen Möglichkeit. Zum anderen ist Ihre Formulierung, die Sie vorschlagen, sehr unbestimmt und unter Umständen verfassungswidrig. In einem solchen Fall ist ohne weiteres auch die Möglichkeit gegeben, dass das Gericht nicht mit der nötigen Sicherheit feststellen kann, dass es sich um einen Täter handelt, der einen Hang zu schweren Straftaten hat und gefährlich ist, und dass das Gericht dann den Vorbehalt gar nicht aussprechen darf. Denn der Vorbehalt bedeutet eine Belastung für den Betroffenen, gegen die er sich im Rahmen von Revisionsverfahren wehren kann. Es besteht also ohne weiteres die Möglichkeit, dass das Gericht den Vorbehalt nicht aussprechen kann. Wenn dann im Vollzug festgestellt wird, dass es sich tatsächlich um einen gefährlichen Täter handelt, haben wir die gleiche Situation wie im Augenblick: In diesem Fall besteht eine Regelungslücke. Deswegen ist Ihre Vorbehaltslösung sehr, sehr mangelhaft. Eine zeitliche Lücke kommt hinzu: Was machen wir mit den Tätern, die bereits verurteilt sind und bei denen dann festgestellt wird, dass sie gefährlich sind? Mit der Vorbehaltslösung können Sie die nicht mehr erfassen; denn die greift erst in der Zukunft. Das ist also ein schlechter Vorschlag. Deswegen meinen wir, dass wir ihn nicht annehmen können. Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die gegen unseren Vorschlag vorgebracht werden, gelten auch für die Vorbehaltsregelung. Wir sind der Meinung, dass diese verfassungsrechtlichen Bedenken nicht durchgreifen. Zum einen ist die Verbindung zur Strafe selbst gegeben; der Betreffende sitzt deswegen im Strafvollzug. Zum Zweiten handelt es sich nicht um eine erneute Bestrafung; es ist kein Verstoß gegen den Grundsatz „ne bis in idem“, und zwar deswegen nicht, weil diese Sicherungsverwahrung keine Strafe, sondern eine Maßnahme der Sicherung und Besserung ist. Das Dritte ist: Natürlich darf eine solche Sicherungsverwahrung nur ausgesprochen werden, wenn sie notwendig, das geeignete Mittel und angemessen ist. Das kann im Einzelfall entschieden werden. Aus diesen Gründen ist unser Vorschlag verfassungsrechtlich nicht bedenklich. Wir haben einen dritten Vorschlag unterbreitet; er betrifft die DNA-Analyse. Wir wollen ihre Anwendung ausweiten. Wir haben schon jetzt die Möglichkeit, eine DNAAnalyse vornehmen zu lassen. Die DNA-Analyse mit ihrer Möglichkeit der genetischen Identifizierung ist ein exzellentes Mittel der Strafverfolgung. Eine solche Analyse können wir schon jetzt vornehmen. Es sind aber große Hürden zu überwinden. Eine Voraussetzung ist, dass es sich um eine schwere Straftat handelt. Zum Zweiten muss der Richter zu der Prognose gelangen, dass der Betreffende wiederum eine schwere Straftat begehen wird. Dann ist eine DNA-Analyse möglich. Wir wollen den Katalog der Anlasstaten ausweiten und sagen: Das ist bei jedweder Tat möglich. Allerdings muss der Richter eine erneute Prognose stellen, derzufolge es sich bei dem Betreffenden um einen potenziell schweren Straftäter handeln wird, und muss dann die DNA-Analyse verfügen. Der Richtervorbehalt bleibt also erhalten. Wir meinen, dass dies notwendig und für die Strafverfolgung wichtig ist. Der letzte Punkt. Wir wollen den Katalog in § 100 a der Strafprozessordnung, der die Telefonüberwachung regelt, um die Straftaten Kindesmissbrauch und Kinderpornographie ergänzen. Das SPD-regierte Land Niedersachsen will mit einem neuen Gesetzentwurf genau das Gleiche. Wir halten die Aufnahme dieser Straftaten in den Katalog für notwendig und meinen, dass Sie zumindest in dieser Frage mit uns stimmen sollten. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort der Kollegin Anni Brandt-Elsweier für die SPD-Fraktion.

Anni Brandt-Elsweier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000247, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Vorbereitung zu dieser Rede habe ich festgestellt, dass ich zu diesem Thema bereits im November 1997 gesprochen habe. Es ging damals um das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten und um das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts, das noch unter der Kohl-Regierung - Sie erinnern sich - verabschiedet wurde. Wir Sozialdemokraten haben diese Gesetze damals mitgetragen; denn es wurden damit wichtige Voraussetzungen für den strafrechtlichen Schutz in diesem Bereich geschaffen. Sexueller Missbrauch von Kindern, Kinderhandel, Kindersextourismus und Kinderpornographie, aber auch Misshandlung und Vernachlässigung von Kindern müssen mit aller Kraft verfolgt und geächtet werden, da sie mit schwerwiegenden Folgen für die betroffenen Kinder verbunden sind. ({0}) Aus diesem Grunde haben wir uns sehr intensiv mit den beiden Gesetzentwürfen der CDU/CSU und des Bundesrates, die heute zur Abstimmung stehen, auseinander gesetzt. Es ist jedoch fraglich, ob die von Ihnen vorgeschlagenen einzelnen strafrechtlichen Verschärfungen wirklich geeignet sind, unsere Kinder zukünftig besser zu schützen. ({1}) Eines ist leider Fakt: Einzelfälle, die uns erschrecken, wird es immer wieder geben. Lückenlose Sicherheit kann es in einem demokratischen Rechtsstaat - für den stehen wir alle hier ein - nie geben. Wir sollten uns davor hüten, das Strafrecht für eine Politik des „Unschädlichmachens“ zu missbrauchen, so der Sachverständige Dr. Pollähne vom Bremer Institut für Kriminalpolitik in der gestrigen Anhörung. Die Sachverständigenanhörung zu den vorliegenden Gesetzentwürfen hat ergeben, dass zum Beispiel Ihr Vorschlag einer nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken stößt. Es kann in der Tat Fälle geben - Sie haben sie angesprochen, Herr Geis -, bei denen die Gefährlichkeit des Verurteilten zum Zeitpunkt des Urteils nicht hinreichend sicher festgestellt werden kann, aber auch nicht auszuschließen ist. Aus diesem Grunde hat die Koalition den Gesetzentwurf vorgelegt, der die spätere Anordnung der Sicherungsverwahrung dann möglich macht, wenn sie denn im Urteil des erkennenden Gerichts vorbehalten worden ist. Die gestrige Anhörung hierzu wird noch auszuwerten sein. Ihre Kritik, im Rahmen einer rechtsstaatlich korrekten Nutzung der DNA-Analyse gäbe es erhebliche Defizite, ist so sicherlich nicht berechtigt; denn die schrecklichen Verbrechen der jüngsten Zeit haben gezeigt, dass das vorhandene gesetzliche Instrumentarium im Bereich der DNA-Analyse zur effektiven Kriminalitätsbekämpfung ausreichend ist, wenn es sachgerecht genutzt wird. Ebenso stehen den Strafverfolgungsbehörden bei Telefonüberwachungen auch weit reichende Instrumentarien zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern und der Verbreitung von Kinderpornographie zur Verfügung. Wir meinen, das ist zunächst einmal ausreichend, wir werden das aber, wie Sie bereits gesagt haben, anhand der Initiative des Landes Niedersachsen überprüfen müssen. Ich habe bereits 1997 ausgeführt, dass eine strafrechtliche Verschärfung nicht für ausreichend gehalten wird, unsere Kinder wirksam vor sexuellen Übergriffen zu schützen. Das Strafrecht wird erst dann wirksam, wenn das Kind bereits Opfer sexueller Gewalt geworden ist. Wir können uns sicher nicht ernsthaft damit begnügen, darauf zu warten, dass etwas passiert, um dann die Keule des Gesetzes zu schwingen und uns zufrieden zurückzulehnen, weil wir den Täter hinter Gitter, möglicherweise sogar für immer, gebracht haben. Ich kann Ihnen aus der Erfahrung meiner langjährigen Tätigkeit als Richterin versichern, dass die Androhung einer schweren Strafe einen potenziellen Täter, auch einen Wiederholungstäter, nicht davon abhält, erneut eine Straftat zu begehen. Die Abschreckungswirkung ist minimal. Das können Sie daran sehen, dass in Ländern mit Todesstrafe immer noch Morde geschehen. Eines der großen Probleme bei der Bekämpfung von sexuellem Missbrauch ist die Tatsache, dass in den meisten Fällen der Täter aus dem vertrauten Umfeld kommt. Bei nur etwa 6 Prozent der Fälle handelt es sich um einen Fremden. Dabei - das muss man sehen - umfasst sexueller Missbrauch nicht nur die körperliche Misshandlung. Seelische Verletzungen, die Angst, das Gefühl der Verlassenheit, ein gestörtes Gefühl zum eigenen Körper, das zerbrochene Vertrauen, Schuld- und Schamgefühle können das ganze Leben andauern. Viele der Betroffenen - das wissen wir aus Gesprächen mit den Beratungsstellen schweigen jahrelang. Das liegt vor allem daran, dass das Kind gar nicht versteht, was geschieht, und meist nicht weiß, dass dies Unrecht ist. Aus dieser Verwirrung heraus haben Kinder Schwierigkeiten, sich an jemanden zu wenden. So zeigen Untersuchungen aus den USA, dass sich ein missbrauchtes Kind im Durchschnitt sechs Mal an einen Erwachsenen wendet, bevor der siebte ihm endlich glaubt oder erkennt, was das Kind ihm wirklich sagen will. Hier liegt eine weitere Schwierigkeit in der Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs. Es gibt wenig Fälle, bei denen es sich um die Tat eines erkennbar sexuell abartig veranlagten Menschen, also eines Triebtäters, handelt. In der Regel erfolgt der Missbrauch durch unauffällige Menschen, die von Außenstehenden meist als „ganz normale“ Männer, nicht selten sogar als vorbildliche Familienväter wahrgenommen werden. Wo also können wir ansetzen, um unseren Kindern zu helfen? Prävention, Unterstützung und Hilfe sind die Stichworte, die in diesem Zusammenhang wichtig sind. Prävention bedeutet, dass wir Aufklärung betreiben müssen. Nur dann, wenn wir in der Gesellschaft ein Bewusstsein für dieses Thema schaffen, steigen die Chancen, dass ein Missbrauch erkannt und den Kindern geholfen wird. Unterstützung heißt, wir müssen das Selbstbewusstsein und den Mut unserer Kinder stärken. Erwachsenen muss klar sein, dass sie nicht frei über ihre Kinder verfügen können, sondern die Verpflichtung haben, sie zu fördern und zu schützen. Kinder sind eigenständige Persönlichkeiten mit eigenen Rechten. ({2}) Hilfe bedeutet, dass wir den betroffenen Kindern, aber auch den Erwachsenen - zum Beispiel in Form von Beratungsstellen - Hilfe anbieten müssen. Die Betroffenen dürfen nicht das Gefühl haben, in solchen Situationen allein gelassen zu werden. Die rot-grüne Koalition hat die letzten drei Jahre genutzt, um mit Gesetzen, aber auch mit Aufklärungskampagnen viel für den Schutz von Kindern zu tun und die Rechte der Kinder zu stärken. ({3}) Ich nenne hier beispielhaft das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung, das Gewaltschutzgesetz und das Kinderrechteverbesserungsgesetz. All diese Gesetze haben eine gemeinsame Zielsetzung: das Recht der Kinder auf eine gewaltfreie Erziehung und den Schutz der Kinder vor Gewalt. Das Wegweisungsrecht gegenüber dem Täter ist eine wichtige Verbesserung, die auf die Psyche der Kinder positive Wirkung hat. Das Kind wird bei Misshandlung nicht noch zusätzlich bestraft, indem es gezwungen wird, seine vertraute Umgebung zu verlassen. Es kann in seinem Zuhause bleiben. An das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung knüpft auch die Kampagne „Mehr Respekt vor Kindern“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend an. Diese Kampagne setzt vor allem auf ein verstärktes Beratungsangebot und Informationsveranstaltungen bei Kinder- und Jugendschutzverbänden, Trägern der Familienbildung, aber auch in Schulen und Kindergärten, also dort, wo Kinder ihr alltägliches Leben verbringen. Beispielhaft finde ich in diesem Zusammenhang das Präventionsprogramm Power Child, das ein wesentlicher Bestandteil der Präventionsarbeit von Kobra e. V. ist, einem mit staatlicher Förderung gegründeten gemeinnützigen Verein mit Sitz in Stuttgart, der für Angebote der Beratung, Therapie und Prävention bei sexueller Gewalt oder sexuellen Übergriffen an Kindern und Jugendlichen steht. Power Child richtet sich an Kinder und Jugendliche in Kindergärten und Schulen unter Beteiligung der Eltern, Erzieher und Lehrer. Ziel von Power Child ist es, Kinder und Jugendliche in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken. Sie sollen befähigt werden, sich gegen Belästigung und sexuelle Übergriffe zur Wehr zu setzen oder Hilfe zu holen. Die Kinder werden mithilfe von zwei Handpuppen behutsam an das Thema herangeführt. Den Erwachsenen werden realistische Hilfemöglichkeiten zum Schutz ihrer Kinder vor sexueller Gewalt aufgezeigt. So können durch Information und Aufklärung Ängste im Umgang mit dieser Thematik abgebaut werden. ({4}) Wir können leider nicht alle Kinder vor Gewalt und Missbrauch schützen. Aber in der richtigen Kombination von Gesetzen, Aufklärung und Prävention können wir versuchen, den notwendigen Schutz zu gewähren. Im Interesse unserer Kinder reicht es nicht aus, nur einzelne Strafnormen zu verschärfen. Aus diesem Grunde lehnen wir die Gesetzentwürfe der CDU/CSU und des Bundesrates ab. ({5}) - Doch.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jörg van Essen.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Geis hat Recht: Sexualstraftaten führen zu Schäden bei Kindern, insbesondere zu Langzeitschäden. Deshalb ist das Thema jede Debatte wert. Ich habe heute Vormittag - vielleicht hat es der eine oder andere auch gesehen - im Frühstücksfernsehen - ich weiß gar nicht mehr, bei welchem Sender - einen Bericht über ein Sexualdelikt eines Geistlichen an einem Jungen gesehen. So, wie dieser Bericht präsentiert wurde, konnte das Ganze bei dem Kind, das dort zur Sensationsmache verwendet wurde, nur noch zu einem zusätzlichen Schaden führen. Ich denke, dass wir gut beraten sind, auch von dieser Stelle aus an die Medien zu appellieren, Kinder nicht zu instrumentalisieren. ({0}) Gerade weil es solche Schäden gibt, auf die der Kollege Geis zu Recht hingewiesen hat, hätte ich eigentlich erwartet, dass Sie in Ihrem Antrag etwas zum Opferschutz gesagt hätten. Dort besteht Regelungsbedarf, und zwar sowohl hinsichtlich der Frage der Kostentragung für die Betreuung nach einem Sexualdelikt als auch hinsichtlich der Betreuung von Angehörigen, deren Kind beispielsweise Opfer eines Sexualdeliktes eines Sexualmordes, geworden ist. Unter uns sind einige, die aus der juristischen Praxis kommen. Diese wissen, dass das Leben für eine solche Familie nie wieder normal sein wird und eine langwierige Betreuung notwendig ist. Wir als FDP haben einen entsprechenden Antrag in den Bundestag eingebracht. Wir hatten gehofft, dass wir diesen heute zusammen mit Ihrem Antrag hätten behandeln können; denn ich glaube, dass man das nicht trennen kann. Ich bedauere es sehr, dass die CDU/CSU es abgelehnt hat, dass es hier zu einer gemeinsamen Behandlung kommt. ({1}) Ich habe gerade die Frage des Verbrechens angesprochen. Ich glaube, dass wir uns alle darin einig sind, dass ein Sexualdelikt ein Verbrechen an der Seele ist. Die Frage, ob es auch juristisch ein Verbrechen ist, hat uns in der Vergangenheit schon mehrfach beschäftigt. Einige, die hier sitzen - das kann ich nur noch einmal aufführen -, sind auch in der letzten Legislaturperiode schon als Berichterstatter damit befasst gewesen. Wir haben eine Anhörung dazu durchgeführt. Das Interessante ist, dass uns auch die Sachverständigen, die von der CDU/CSU benannt worden sind, davon abgeraten haben. ({2}) - Herr Geis, selbst wenn es nur einer gewesen ist, war doch auffällig, dass es eine breite Ablehnung gab. Sie selbst waren bei der letzten Beratung von den guten Argumenten überzeugt, es rechtstechnisch nicht zu einem Verbrechen hochzustufen. Ich will noch einmal die für mich durchgreifende Begründung dafür nennen: Die Rechtsprechung hat die Definition des Begriffs „Sexualdelikt“ sehr weit ausgedehnt. Es beginnt sehr früh. Ich denke, dass das auch gut und richtig ist, weil es dem Täter signalisiert, dass er sehr vorsichtig sein muss, da sein Verhalten sehr früh als Delikt angesehen wird. Bereits leichte Annäherungen können als Sexualdelikt angesehen werden. Ich glaube, dass es ein sehr wirksamer Schutz für Kinder ist, dass Erwachsenen klar gemacht wird, dass sie sehr vorsichtig zu sein haben. Ich bin mir sicher, dass die Gerichte darauf reagieren und mehr verlangen würden, wenn das Ganze ein Verbrechen mit einer entsprechend hohen Strafe wäre. ({3}) - So ist es. Das kommt noch hinzu. Frau Renesse, ich finde, dass das ein sehr guter Hinweis gewesen ist, den Sie als erfahrene Richterin gegeben haben. - Deshalb plädieren wir dafür, es so zu belassen. Wir haben das Ganze aus guten Gründen und zum Schutz der Kinder so gestaltet. Ein weiterer Punkt, den Sie in Ihrem Gesetzentwurf ansprechen, beschäftigt mich ebenfalls. Dabei geht es um die Gendaten. Das Bundesverfassungsgericht hat uns klar gemacht, dass es verfassungsrechtlich nicht möglich ist, die Daten von jedem Straftäter aufzunehmen. ({4}) Ich denke, dass wir uns im Rahmen der Verfassung zu bewegen haben. ({5}) Das bedeutet, dass wir Ihrem Vorschlag nicht folgen werden. Trotzdem können und dürfen wir nicht zufrieden sein. Bezüglich der Möglichkeiten der Übermittlung von Gendaten an das Bundeskriminalamt habe ich bei einer anderen Debatte auf völlig unterschiedliche Statistiken in den einzelnen Bundesländern hingewiesen. Es gibt einzelne Bundesländer, die das vorbildlich gestaltet haben. Bei anderen Bundesländern gibt es erhebliche Defizite. Ich nutze meine Rede dazu, an die Länder, die Defizite haben, dringend zu appellieren, zu einem ähnlichen Ergebnis zu kommen wie beispielsweise Baden-Württemberg, wo das Ganze, wie ich finde, vorbildlich geregelt wurde. ({6}) Dass das sinnvoll und ein aktiver Beitrag zum Opferschutz ist, hat uns der Fall in München, wo es eine schwere Sexualstraftat an einer Schülerin gegeben hat, gezeigt. Der Täter konnte erst Anfang dieses Jahres nach einer dritten schweren Sexualtat festgenommen werden. Bei den Ermittlungen hat sich herausgestellt, dass er vor der Serie schon einmal wegen eines versuchten Sexualdelikts, und zwar in Köln, festgenommen worden war. Die Straftaten und die entsprechenden Gendaten wurden von Köln jedoch nicht an das Bundeskriminalamt gemeldet. Wäre das geschehen, wäre beispielsweise die dritte Tat, die zu der Verhaftung des Täters geführt hat, nicht mehr geschehen. Das zeigt, in welcher Verantwortung die Länder in diesem Zusammenhang stehen. Als weiteres Thema möchte ich die Telefonüberwachung ansprechen. Herr Geis, ich bin durchaus dafür offen, über das eine oder andere bezüglich der Notwendigkeiten und Möglichkeiten der Telefonüberwachung zu diskutieren. Sie wissen, dass ich in jedem Jahr die Daten der Telefonüberwachung abfrage. Es gibt einen enormen Anstieg. Ich denke, dass wir zunächst einmal aufgerufen sind, eine Bestandsaufnahme zu machen. Es gibt Vorschriften, nach denen wir die Telefonüberwachung durchführen dürfen. ({7}) Diese haben keinerlei Bedeutung. Sie wissen, dass ein entsprechender Bericht in Auftrag gegeben wurde. Ich finde, das ist der richtige Weg, weil wir dadurch die entsprechenden Grundlagen für die Diskussion erhalten. Wenn es so weit ist, sollten wir zu einer breiten Diskussion kommen und darüber reden, wie die Telefonüberwachung geregelt wird, sodass sie weiterhin möglich ist. Ich bin selbst Oberstaatsanwalt und weiß, wie notwendig Telefonüberwachung ist. Aber ich möchte das in einer rechtsstaatlich einwandfreien Weise geregelt wissen. Deshalb muss der Katalog überarbeitet werden. Es hilft nicht, wenn wir diesem Katalog ständig neue Straftaten hinzufügen. ({8}) Das Ergebnis der Prüfung ergibt für die Freien Demokraten: Wir wollen, dass die Rechte der Opfer, insbesondere die Opfer von Sexualstraftaten, gestärkt werden. Die Vorschläge, die Sie konkret gemacht haben, ermöglichen aber nicht unsere Zustimmung. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat der Abgeordnete Volker Beck das Wort.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin mit dem, was Herr van Essen gesagt hat, sehr einverstanden. Ich glaube, es besteht in diesem Haus völlige Einigkeit: Sexuell motivierte Gewalt, vor allem Sexualstraftaten an Kindern, gehört zu den schlimmsten und widerwärtigsten Verbrechen, die es überhaupt gibt. ({0}) Den Tätern drohen nach unserem Strafgesetz zu Recht sehr hohe Strafen. Keine Frage: Der Schutz der Bevölkerung vor Sexualverbrechen und vor allen Dingen der Schutz von Kindern hat für diese Koalition Top-Priorität. ({1}) Wir haben dies gerade wieder unter Beweis gestellt. Mit unserem Entwurf zur vorbehaltenen Sicherungsverwahrung schließen wir gesetzliche Lücken und schützen damit die Bevölkerung und insbesondere die Kinder vor gefährlichen Sexualstraftätern noch wirkungsvoller. Wir tun dies in einer rechtsstaatlich vertretbaren, verfassungskonformen Art und Weise. ({2}) - Geschätzter Kollege Geis, gestern gab es in der Tat eine Kontroverse zwischen den Sachverständigen um die Frage, wie weit man gehen und was man überhaupt alles tun darf. Einige Sachverständige haben das Instrument der Sicherungsverwahrung überhaupt infrage gestellt, weil sie bezweifeln, dass dies in einem Rechtsstaat zulässig ist. Ich meine, es gibt rechtsstaatlich und verfassungsrechtlich gute Gründe für diese Argumentation. Aber weil wir hier ein Sicherungsbedürfnis sehen, nähern wir uns alle diesem Instrument mit einem sehr schlechten Gewissen. Das hat gestern die Zerrissenheit der Sachverständigen gezeigt. Die einen haben erklärt: Wir gehen viel zu weit. Die anderen haben in Ihrem Sinne erklärt: Wir sollten noch weitergehen. Das zeigt zumindest, dass der Lösungsansatz von der Linie her versucht, Ausgewogenheit zwischen Sicherung und Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Diese Aufgabe ist nicht leicht zu bewältigen. Wir werden im Ausschuss noch darüber reden müssen, was wir aus den Kritikpunkten der Sachverständigen im Einzelnen machen. Aber Ihr Entwurf stößt natürlich bei denjenigen, die selbst schon an unserem Entwurf den einen oder anderen Punkt auszusetzen haben und rechtsstaatliche Bedenken haben, noch viel eindeutiger auf Kritik. ({3}) Rechtsstaatliche und trotzdem effektive Kriminalpolitik, das unterscheidet uns grundlegend von Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union. Die meisten Ihrer Vorschläge sind entweder nur symbolische Luftnummern oder schlichtweg verfassungswidrig. Manchmal sind sie sogar beides. ({4}) - Herr Geis, Sie haben sich vorhin beschwert, dass bei Ihnen sogar Ihre eigene Fraktion dauernd dazwischenredet. Wieder fällt Ihre Fraktion auf, aber dieses Mal sind Sie selbst es, der dauernd dazwischenredet.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Geis?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte erst diesen Abschnitt der Argumentation zu Ende bringen. Danach kann Herr Geis fragen. Beispiel nachträgliche Sicherungsverwahrung. Ihr Vorschlag verstößt gegen das Verbot der Doppelbestrafung und auch gegen das Rückwirkungsverbot. Fazit: verfassungswidrig. Erweiterung des genetischen Fingerabdrucks: Sie wollen die DNA-Analyse bei sämtlichen Delikten ermöglichen und nicht nur bei Straftaten von einer gewissen Schwere. Damit verletzen Sie bewusst das Postulat der Verhältnismäßigkeit, das das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang immer wieder angemahnt hat. Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde begründet, warum die jetzige Rechtslage verfassungskonform ist. Weiter dürfen wir im Wesentlichen aber nicht gehen. Fazit: Ihr Vorschlag ist verfassungswidrig. Die Heraufstufung der Tatbestände gemäß § 176 StGB zum Verbrechen ist in Ihren Augen ein besonders opferfreundlicher Vorschlag. Ich behaupte, das Gegenteil ist der Fall. Die besonders schweren Formen des sexuellen Missbrauches werden in § 176 a StGB bereits heute als Verbrechen qualifiziert. Den Opfern ist mehr geholfen, wenn die besonders schweren Missbrauchsformen auch als solche bezeichnet werden. Mit Ihrem Vorschlag bringen Sie nur die vernünftige Systematik des jetzigen Sexualstrafrechts aus dem Gleichgewicht. Obwohl ursprünglich ein anderer Vorschlag in den Bundestag eingebracht worden war, hat der Gesetzgeber nicht ohne Grund in diesem Bereich sorgfältige Differenzierungen zwischen Vergehens- und Verbrechenstatbeständen vorgenommen. Strafunwürdige Fälle wie die einverständliche Sexualität - das kann ein Kuss sein - zwischen einem, sagen wir, vierzehneinhalbjährigen Jugendlichen und seiner dreizehnjährigen Freundin können so von den Gerichten und der Staatsanwaltschaft unbürokratisch nach § 153 a StPO eingestellt werden. Es ist gut so, wenn Jugendliche bei ihren ersten einvernehmlichen Gehversuchen auf diesem Gebiet nicht gleich mit Polizei, Gericht und Staatsanwaltschaft Bekanntschaft machen. Sie dagegen wollen so etwas zum Verbrechen hoch stufen, obwohl Sie wissen, was dies zwangsläufig auslöst: Es würde am Ende nicht zu einer Verurteilung führen, wohl aber zu untragbaren Verfahrensschritten, die für die Kinder und Jugendlichen ein großes Problem darstellten. Meine Damen und Herren, wir werden bei dem Thema Kinderpornographie in diesem Haus wahrscheinlich über Strafrahmen zu reden haben, weil die Europäische Union eine Vereinheitlichung der Strafrahmen anstrebt. Dazu merke ich an, dass höhere Strafrahmen - das wurde von Frau Brandt-Elsweier völlig zu Recht angesprochen nicht dazu führen, dass die Leute davon lassen. Das Einzige, was sie allenfalls abschreckt, ist eine höhere Kontrolldichte, die zum Aufspüren der Täter führt. Herr Geis, ich bin völlig damit einverstanden, dass wir bei der Telefonüberwachung über den Straftatenkatalog reden, aber wir müssen - das ist dringend überfällig auch über die Konstruktion der Zulässigkeit von Telefonüberwachung reden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, jetzt ist Ihre Redezeit vorbei.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir sind auf diesem Gebiet Weltmeister. Die Bundesregierung hat dazu ein Gutachten in Auftrag gegeben, um das Recht zu erforschen. Dass es noch nicht vorliegt, liegt insbesondere an Ländern, in denen die Union an der Regierung beteiligt ist, weil von ihnen lange Zeit nicht zugeliefert wurde. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Eine Kurzintervention des Kollegen Geis, bitte. ({0})

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Hartenbach, Sie sollten es mir nicht verübeln, wenn ich von einem parlamentarischen Recht Gebrauch mache. Sie sollten so viel Respekt vor dem parlamentarischen Brauch und unserer Geschäftsordnung haben und nicht dazwischenrufen, wenn ich von meinem parlamentarischen Recht Gebrauch mache. Aber vielleicht sind Sie kein guter Parlamentarier. Ich möchte kurz zu dem Stellung nehmen, was Herr Beck gesagt hat, zunächst zu seiner Behauptung, die Sicherungsverwahrung stelle eine doppelte Bestrafung dar. Das würde dann auch für die Vorbehaltslösung gelten, sodass der Gesetzentwurf der Koalition ebenso verfassungswidrig wäre. Hier handelt es sich - das habe ich vorhin gesagt - nicht um eine Bestrafung, sondern um eine Maßnahme der Sicherung und Besserung. Deswegen ist es keine Doppelbestrafung und verstößt auch nicht gegen den Grundsatz „ne bis in idem“. Dann sagten Sie, unser Vorschlag zur DNA-Analyse sei verfassungswidrig. Wir vertreten die Auffassung, dass eine Anlasstat und die Prognose des Richters notwendig sind. Das Gleiche gibt es schon jetzt und das ist als verfassungskonform angesehen worden. Wir sprechen nur von jedweder Anlasstat, weil wir aus der Statistik wissen, dass ein Sexualstraftäter in der Regel vorher - zum Beispiel als Dieb - straffällig geworden ist. Wenn der Richter zu dem Ergebnis kommt, ein Straftäter habe einen Hang zum Begehen schwerer Straftaten, dann ist diese Prognose dafür ausschlaggebend, dass eine DNA-Analyse gemacht werden kann. Insofern halten wir uns völlig an den Rahmen des Bundesverfassungsgerichtsurteils. Über die Aufstufung des Tatbestandes nach § 176 StGB zum Verbrechen ist schon 1973 eine Diskussion geführt worden. Die damaligen Voraussetzungen treffen nicht zu. Es sind Erfahrungen aus der Sozialpsychologie vorhanden; Volker Beck ({0}) diese Erkenntnisse sollten wir berücksichtigen. Deswegen kommen wir zu dem Ergebnis, dass wir hier eine Aufstufung zum Verbrechen vornehmen sollten. Zur Telefonüberwachung: Wir sollten in der Tat den Straftatenkatalog überprüfen. Dabei sollten wir aber das andere nicht lassen. Es ist dringend notwendig, dass wir die beiden schweren Verbrechen Kindesmissbrauch und Verbreitung von Kinderpornographie in die Telefonüberwachung hineinnehmen. So lautet auch eine Forderung der Polizeigewerkschaft, der wir entsprechen sollten. Danke schön.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Geis, es tut mir Leid, eine Doppelbestrafung kommt bei der Sicherungsverwahrung natürlich nicht allein durch die Verhängung der Maßregel zustande, sondern dadurch, dass im erkennenden Urteil dazu noch nichts gesagt wird. Bei der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung wird im erkennenden Urteil stehen, dass Sicherungsverwahrung entweder bereits verhängt oder aber vorbehalten wird. ({0}) Insofern resultiert aus Ihrem System, ohne dass es für den Strafgefangenen absehbar wäre, eine neue Strafe, eine neue Sanktion. Die Maßregel der Sicherungsverwahrung - das wissen Sie auch - unterscheidet sich tatsächlich in nichts vom Strafvollzug. ({1}) - Das ist leider so. Das wurde gestern auch ausdrücklich von einigen Sachverständigen angesprochen. ({2}) - Herr Geis, Sie regen sich auf, dass man dazwischenruft. Sie rufen ständig dazwischen. Dass die Sicherungsverwahrung nach dem Vollzugsgesetz einen anderen Vollzug ermöglicht, war gestern auch ein Thema, das wir meines Erachtens in der nächsten Wahlperiode aufgreifen sollten. Im Hinblick auf die DNA-Analyse haben Sie verschwiegen, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Urteilsbegründung ausdrücklich auf die Erheblichkeit der Straftaten abgestellt hat. ({3}) - Nein, nicht bei der Prognose, sondern bei den Anlasstaten. ({4}) Wir haben uns 1997 und nicht 1973 darüber unterhalten, Herr Kollege, warum wir zwischen dem Tatbestand gemäß § 176 StGB als Vergehen und der schweren Begehensform gemäß § 176 a als Verbrechen unterscheiden. Die in der damaligen Debatte angeführten Gründe sind heute genauso richtig wie damals. Man muss einfach beachten, dass in § 176 ganz unterschiedliche soziosexuelle Situationen angesprochen werden. Es sind einerseits Opfer im Alter von null bis 14 Jahren und andererseits Täter im Alter von 14 bis 99 Jahren denkbar, und zwar in allen Kombinationen. Deshalb ist es auch wichtig, das alles weiterhin als strafbar gelten zu lassen. Herr van Essen hat vorhin zu Recht ausgeführt, wie weit wir die Begehensform gemäß diesem Paragraphen vorverlagert haben. Das brauchen wir, wenn wir wirksam schützen wollen. Wenn wir bereits bei dem kleinstmöglichen Unrecht immer wegen eines Verbrechens anklagen, geben wir den Opfern Steine statt Brot, weil damit der Begründungsaufwand für eine Verurteilung höher wird und es damit zu mehr Freisprüchen kommen wird. Deshalb ist das, was Sie hier vorschlagen, nur gut gemeint, aber schlecht gemacht. Es nützt für den Schutz der Kinder an diesem Punkt leider überhaupt nichts. Deshalb lehnen wir das auch weiterhin ab. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Rosel Neuhäuser.

Rosel Neuhäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002744, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Geis hat vorhin ausgeführt, Strafverschärfung sei der bessere Weg. Ich hielte es für den besseren Weg, dafür Sorge zu tragen, dass es überhaupt keiner Strafen wegen sexueller Ausbeutung von Kindern bedürfte. ({0}) Wir sind uns sicherlich in diesem Hause einig, dass für den Schutz von Kindern und gegen ihren sexuellen Missbrauch Regelungen gefunden und Gesetze geschaffen werden müssen. Nicht allein die zweite Weltkonferenz gegen sexuelle Ausbeutung, an der ich teilnahm, sondern auch viele bekannt gewordene Fälle in der Bundesrepublik Deutschland unterstreichen das mit Nachdruck. Der Ansatz, Kindern zu helfen, sie zu schützen und zu unterstützen, ist richtig. Aber gerade diesem Anspruch werden die heute vorliegenden Anträge der Fraktion der CDU/CSU nicht gerecht. Neben den allgemeinen unverbindlichen Bekenntnissen zur Unterstützung von Präventionsarbeit setzen Sie vor allem darauf, verstärkt staatliche Regelungen zu schaffen. Nach dem Willen der Union soll gegenüber hoch gefährlichen Straftätern die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich angeordnet werden. Außerdem sollen die Grundfälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern wieder als Verbrechen gekennzeichnet werden. Mit einer solchen Strafverschärfung wird zugleich erreicht, dass im Bereich des Kindesmissbrauchs bereits die Verabredung und der Anstiftungsversuch unter Strafe zu stellen wären. Als weiteres Kernstück bezeichnen Sie die Ergänzung des Strafgesetzbuchs um den Tatbestand der Anbahnung von Kontakten, die Erweiterung der Telefonüberwachung und die konsequente Nutzung der DNA-Analyse im Strafverfahren als die Mittel, dem Problem des sexuellen Missbrauchs zu begegnen. Dass das der falsche Weg ist, haben Ihnen sicherlich viele Experten, aber in der heutigen Debatte auch Kollegen aus den Fraktionen gesagt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit dem ersten Weltkongress gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern 1996 in Stockholm hat sich das Problem sexualisierter Gewalt gegen Kinder erheblich verschärft. Wir hatten auf der Folgekonferenz in Japan in verschiedenen Workshops die Möglichkeit, mit Regierungen, NGOs, Vereinen, Initiativen und Verbänden Gespräche zu führen, die die unterschiedlichsten Entwicklungen verdeutlichten. War es zum ersten Weltkongress noch eine Frage der so genannten Dritten Welt, so ist derzeit eine weltweite Zunahme von sexuellem Missbrauch von Kindern und dem Kinderhandel zu verzeichnen. Dazu liegt auch ein Antrag der PDSFraktion mit dem Titel „Kinder vor sexueller Ausbeutung schützen - Kindersextourismus bekämpfen“ vor, den wir in dieser Debatte mitberaten. Bereits vor der zweiten Weltkonferenz in Yokohama eingebracht, betrachtet er die gesellschaftlich notwendigen Bedingungen, die Missbrauchstaten an Kindern und Kinderhandel verhindern helfen sollen, viel aktueller und vor allem facettenreicher. Unser Antrag setzt auf umfassende Maßnahmen im Bereich der Prävention im In- und Ausland, bei der Schaffung rechtlicher Grundlagen zur Bekämpfung von sexueller Ausbeutung, der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit sowie der Stärkung des Kindes. Außerdem fordern wir effektive Opferschutzprogramme und, nicht zu vergessen, zielgerichtete Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit. Ich denke zum Beispiel an die Entschuldung der Dritten Welt. Auf andere Punkte hat Herr van Essen in seinem Beitrag hingewiesen. Stichpunktartig möchte ich einige weitere Forderungen der PDS, die in unserem Antrag niedergelegt sind, nennen: die Ratifizierung internationaler Konventionen gegen Kinderhandel, die Einstufung von Kinderhandel als organisierte Kriminalität und den Abschiebeschutz für Opfer von Kinderhandel. Die Ergebnisse der zweiten Weltkonferenz zeigen auch, dass es notwendig ist, den Aktionsplan der Bundesrepublik Deutschland zu aktualisieren und zielstrebig umzusetzen. Im Zusammenhang damit müssen wir die Frage nach der Entwicklung von jugendlichen Straftätern, die Probleme der Internetanbieter - es sind schließlich täglich immerhin mehr als 1 000 neue Angebote verfügbar -, die Situation im familiären Nahbereich und das Problem des Missbrauchs in Institutionen konsequent in Betracht ziehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade heute beginnt in Weimar eine Fachtagung, die sich inhaltlich mit dem Umgang mit sexuellem Missbrauch, mit den Problemen der Jugendhilfe und des Opferschutzes, der praktischen Kinderschutzarbeit, den Konsequenzen der UN-Kinderrechtskonvention und den Hilfesystemen im Internet beschäftigt. Diese Fragen sind nicht allein über Strafgesetzänderungen oder -gebung zu regeln, vielmehr handelt es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem, das gesamtgesellschaftliche Lösungsansätze erfordert. In Auswertung der Konferenz in Yokohama führen wir am 12. Juni 2002 gemeinsam mit dem Familienausschuss, dem Tourismusausschuss und der Kinderkommission eine Anhörung durch. Wir laden Sie herzlich dazu ein, gemeinsam an diesem Problem weiter zu arbeiten. Vielen Dank.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Renate Gradistanac.

Renate Gradistanac (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003134, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf 2 Millionen Kinder schätzt UNICEF die Zahl der weltweit sexuell ausgebeuteten Kinder in Deutschland, in Europa, weltweit, in Familien, in Verbänden und von Touristen. Kindesmissbrauch, kommerzielle sexuelle Ausbeutung, Kinderprostitution und Kinderpornographie sind - das klang heute schon mehrfach an - Verletzungen an Kinderseelen bis hin zum Seelenmord. Eine Welt, in der so viele Kinder ihrer Kindheit beraubt und zu Sexobjekten für Erwachsene degradiert werden, darf nicht toleriert werden. Diese Überzeugung hat uns bisher Kraft und Ausdauer gegeben. Das hat Ron O’Grady gesagt, Mitbegründer und langjähriger Vorsitzender von ECPAT. Auch wir stehen in dieser Verantwortung. Drei Schwerpunkte bestimmen unsere Arbeit: Prävention und Aufklärung - es geht hierbei in verstärktem Maße um die Täterprävention mit besonderem Augenmerk auf jugendliche Täter -, Gesetzgebung sowie internationale Strafverfolgung und Opferschutz. Viel wurde getan. Dabei beziehe ich ausdrücklich auch die alte Regierung ein. Auf dem ersten Weltkongress gegen die gewerbsmäßige sexuelle Ausbeutung von Kindern, der 1996 in Stockholm stattfand, verpflichteten sich 122 Staaten, nationale Aktionspläne zum Schutz der betroffenen Kinder zu erstellen und zu verabschieden. Leider haben nur ein Drittel der Länder ihre Zusagen eingehalten. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat ein vorbildliches nationales Arbeitsprogramm gegen Kindesmissbrauch, Kinderpornographie und Sextourismus vorgelegt. ({0}) Der Zwischenbericht von 1998 wurde im Bericht vom Januar 2001 um die Maßnahmen ergänzt, die bis Dezember 2000 umgesetzt wurden. Damit hat Deutschland - ich denke, man muss an dieser Stelle auch einmal etwas Positives sagen - als eines der ersten Länder überhaupt die in Stockholm eingegangenen Verpflichtungen erfüllt. ({1}) Erwähnenswert ist auch, dass Deutschland, soweit bekannt, bisher das einzige Land ist, das eine nationale Nachfolgekonferenz veranstaltet hat. Zur Erinnerung: Diese fand im März 2001 in Berlin statt. Im Einzelnen möchte ich auf die Prävention eingehen. Die SPD-geführte Bundesregierung hat in Deutschland einen Paradigmenwechsel hin zu einem neuen, von Respekt getragenen Leitbild in der Erziehung eingeleitet. Wir haben das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung verabschiedet. Es schreibt ein eigenes Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung fest und betont die Subjektstellung des Kindes. Die Bundesregierung hat gleichzeitig eine Kampagne mit dem Titel „Mehr Respekt vor Kindern“ ins Leben gerufen. Ein weiteres deutliches Zeichen zum Schutz der Kinder vor häuslicher Gewalt und Missbrauch wurde durch das verabschiedete Gesetz zur weiteren Verbesserung von Kinderrechten gesetzt. Demnach können Väter, Mütter oder auch andere im Haushalt lebende Personen, die Kinder schlagen oder missbrauchen, der Wohnung verwiesen werden. ({2}) Erwähnenswert ist der hervorragende Inflightspot, den das Familienministerium gemeinsam mit Terre des hommes entwickelt hat. Er sollte auf Flugreisen eingesetzt werden. In Yokohama mussten wir allerdings erfahren, dass er nach nur einem halben Jahr von den Fluggesellschaften zurückgezogen wurde. Das ist ein Wermutstropfen. Ich finde das schade. ({3}) Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat ein Faltblatt mit dem Titel „Kleine Seelen, große Gefahr“ unterstützt. Es soll in den Reisebüros an die Kunden verteilt werden. Reisende sollen informiert und sensibilisiert werden sowie durch Zivilcourage mithelfen, den Tätern das Terrain zu entziehen. Es wird darüber informiert, dass Kindesmissbrauch weltweit strafbar ist. Überführte Täter können nach deutschem Recht bestraft werden, selbst wenn sie Kinder im Ausland sexuell missbraucht haben. Diese Aktion ist notwendig; denn es gibt Schätzungen, wonach allein aus Deutschland jährlich 10 000 Täter kommen. Darunter sind auch jugendliche Täter, deren Zahl leider steigt. Es sind fast ausschließlich Männer, die Kinder missbrauchen. Was treibt Menschen dazu, Kinder als Handelsware dafür in kriminellen Netzwerken bereitzustellen? Heinz Fuchs meint weiter: Erziehung und Sozialisierungskonzepte sind gefragt, die Männer anleiten, neue Wege ihrer Identität zu suchen. Männeridentitäten, die nicht länger über den Umweg der Unterdrückung von Frauen und Kindern laufen dürfen. ({4}) Ich freue mich, dass immer mehr Männer in der ersten Reihe stehen, um gegen Kindesmissbrauch durch Sextouristen zu kämpfen. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz besonders bei Herrn Paschold aus dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bedanken. Frau Staatssekretärin, ich bitte Sie, den Dank weiterzugeben. Wir lehnen die Anträge von PDS und CDU/CSU ab. Sie wurden vor dem zweiten Weltkongress in Yokohama geschrieben. Sie enthalten zahlreiche Forderungen, die von der Regierung bereits umgesetzt worden sind. Die Bekämpfung der kommerziellen sexuellen Ausbeutung bleibt für unsere Fraktion auf der Tagesordnung. Die Anhörung, die für den 12. Juni 2002 angekündigt wurde, ist beschlossen. Nach dieser Anhörung werden wir weitersehen. Vielen Dank. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ingrid Fischbach.

Ingrid Fischbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003117, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegin Gradistanac hat gerade schon darauf hingewiesen - ich denke, man kann es nicht oft genug sagen -: Über 2 Millionen Kinder werden weltweit Opfer sexueller Ausbeutung. Über 2 Millionen! Kinderprostitution, Kindesmissbrauch und Kinderpornographie sind in allen gesellschaftlichen Bereichen angesiedelt. Es ist für mich kaum vorstellbar, aber es ist Realität: Es gibt Familien, Eltern oder andere Familienangehörige, die Klein- und Kleinstkinder zum Zweck des kommerziellen Missbrauchs zur Verfügung stellen. Für pornographische Aufnahmen werden Kinder unter Drogen gesetzt, sexuell missbraucht, misshandelt und manchmal zu Tode gequält. Der Markt ist weltweit verzweigt. Kinder stellen lediglich eine Ware dar, mit der viel Geld verdient werden kann. Die Nachfrage - auch darauf haben Sie hingewiesen - ist sehr groß. Aufgrund dieses Stellenwerts der Kinder sind sie zum größten Teil auf sich ganz allein gestellt. Viele Kinder stammen aus sozial benachteiligten sowie verarmten Familien und müssen mit ihren Einnahmen die gesamte Familie ernähren. Alkoholismus, Drogenabhängigkeit sowie kriminelle Strukturen prägen größtenteils die Herkunftsfamilien. Viele Kinder haben bereits innerhalb der Familie Gewalt und/oder sexuellen Missbrauch erfahren. Häufig waren die Kinder in Heimen untergebracht, wurden von dort entführt, sind weggelaufen oder wurden sogar verkauft. Unzählige Kinder werden in andere Länder verkauft. Vor allem Flüchtlingskinder sind beliebte Opfer; deshalb brauchen sie unseren besonderen Schutz. ({0}) Einige Kinder und Jugendliche leben auf der Straße, bei Zuhältern oder Freunden. Waisen, die durch Aids oder Flucht beide Elternteile verloren haben, haben teilweise keine andere Chance, als durch Prostitution zu überleben. Hieran wird deutlich, dass wir, gerade was den Aidsfonds angeht, auch die Waisen berücksichtigen müssen. Genau wie die Kinder, welche von den eigenen Angehörigen angeboten werden, stellen diese Kinder eine Randgruppe ohne Perspektive dar. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Armut darf für uns keine Entschuldigung sein, die sexuelle Ausbeutung von Kindern zu dulden. Wir Politiker sind gefragt und müssen handeln. ({1}) Die sexuelle Ausbeutung ist aber nicht nur ein Problem der Entwicklungsländer Südostasiens, Lateinamerikas und Afrikas, sondern es ist auch ein Problem der westlichen Welt, Osteuropas, auch Deutschlands. Jährlich werden bundesweit mehr als 15 000 Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern registriert. Die Dunkelziffer liegt um ein Vielfaches höher. Wenn man nach Gründen fragt, dann muss man feststellen, dass das stark ausgeprägte Wohlstandsgefälle, unzureichende Informationen und Aufklärung der Öffentlichkeit, subjektives Empfinden für straffreie Räume und die Tabuisierung des Themas in der Öffentlichkeit unter anderem begünstigend wirken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb muss es unser dringlichstes Ziel sein, die sexuelle Ausbeutung von Kindern nicht nur bei uns, sondern auch weltweit zu bekämpfen. ({2}) Durch sexuelle Ausbeutung wird einem Kind - die UNKinderrechtskonvention sagt: jede Personen unter 18 Jahren ist ein Kind - die Würde geraubt. Ihm wird das Recht auf die Kindheit und auf ein stabiles Leben verwehrt. ({3}) Schwere psychische und physische Schäden der Kinder, zum Beispiel Geschlechtskrankheiten und Infektionen mit HIV, Drogenmissbrauch sowie Selbstmordversuche sind unter anderem als Folgen sexueller Ausbeutung zu verzeichnen. Auf dem ersten Weltkongress gegen die gewerbsmäßige sexuelle Ausbeutung von Kindern 1996 in Stockholm - die Kollegin Neuhäuser hat darauf hingewiesen - wurde eine Erklärung unterzeichnet, mit der der Durchbruch im gemeinsamen Vorgehen gegen die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern geschafft wurde. Mit dieser Erklärung wurde zum einen der Passus der UN-Kinderrechtskonvention bestätigt, dass jedes Kind ein Recht auf umfassenden Schutz vor allen Formen sexueller Ausbeutung oder sexuellen Missbrauchs hat. ({4}) Zum anderen verpflichteten sich die unterzeichnenden Staaten, bestimmte Maßnahmen zum Schutz der betroffenen Kinder zu ergreifen. Dem Weltkongress folgte im Jahr 2001 - darauf haben Sie auch hingewiesen - die nationale Nachfolgekonferenz in Berlin, auf der im Zusammenwirken von Bundesregierung und Vertretern der NGOs, der Initiativen, der Polizei, der Justiz sowie Sachverständigen aus Wissenschaft und Wirtschaft Herangehensweisen und Konzepte für eine effektive Bekämpfung der kommerziellen sexuellen Ausbeutung von Kindern erörtert wurden. Dabei wurden Eckpunkte für einen nationalen Aktionsplan erarbeitet. Anders als Sie, Frau Kollegin Gradistanac, stellen wir fest, dass die entscheidenden Schritte immer noch fehlen. Ich gebe Ihnen Recht darin, dass wir Schritte unternommen haben, aber sie reichen bei weitem nicht aus. ({5}) Wir müssen Strategien entwickeln, um Kinder wirksam zu schützen, und daran sollten wir gemeinsam arbeiten. Aktionen der NGOs im Zusammenwirken mit der Wirtschaft, etwa der Verhaltenskodex zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung, den ECPAT Deutschland zusammen mit dem „Deutschen Reisebüro und Reiseveranstalter Verband“ geschaffen hat, haben im Gegensatz zu anderen Projekten Fortschritte erzielt. Mit diesem Verhaltenskodex haben sich die Mitglieder des DRV verpflichtet, aktiv und nachhaltig für die Kinderrechte einzutreten. Im Einzelnen bedeutet dies: Information und Aufklärung von Kunden, Sensibilisierung und Schulung von Mitarbeitern, Aufnahme in die Unternehmensphilosophie, Vereinbarungen und Regelungen mit Hotels und anderen Leistungsträgern, regelmäßige Berichterstattung über die durchgeführten Maßnahmen. Gerade solche Maßnahmen sollten wir auch weiterhin gezielt unterstützen und fördern. ({6}) Die Vertreter auf dem zweiten Weltkongress in Yokohama haben sich intensiv mit den Entwicklungen seit Stockholm beschäftigt und erneut festgestellt, dass ihre vorrangige Aufgabe darin besteht, die Interessen und die Rechte des Kindes auf Schutz vor jeder Form von sexueller Ausbeutung zu schützen und zu fördern. Das zeigt, dass nach 1996 nicht genügend passiert ist und dass noch viel zu tun ist. Es ist wichtig, dass gerade die Förderung einer wirksamen Umsetzung von politischen Maßnahmen, Gesetzen und Programmen intensiviert werden muss. Man muss versuchen, auch europa- und weltweit zusammenzuarbeiten, um dem Phänomen der sexuellen Ausbeutung von Kindern vorzubeugen und entgegenzuwirken. Dazu gehören Aufklärungskampagnen zur Bewusstseinsbildung, bessere Bildungsmöglichkeiten für Kinder, soziale Unterstützungsmaßnahmen für Familien und Kinder, um Armut zu bekämpfen, Maßnahmen gegen Kriminalität und gegen die Nachfrage nach sexueller Ausbeutung von Kindern sowie die strafrechtliche Verfolgung derer, die Kinder ausbeuten. Wir, die wir Verantwortung in der Politik tragen, müssen sicherstellen, dass die Täter und nicht die Opfer zur Rechenschaft gezogen werden. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stellen gemeinsam fest - das habe ich auch den anderen Reden entnommen -, dass wesentlich mehr getan werden muss, um unsere Kinder besser zu schützen. Es wird Zeit, dass den Erklärungen von Stockholm und Yokohama Rechnung getragen wird. Sorgen wir dafür, dass die vielen Dokumente, die inzwischen verabschiedet wurden, auch umgesetzt werden! Dazu haben wir, wie ich denke, auch in unseren Anträgen Vorschläge gemacht, die im Übrigen auch von der Jungen Gruppe der Gewerkschaft der Polizei begrüßt werden. Gerade diejenigen, die vor Ort aktiv sind, sagen - das Schreiben werden Sie alle bekommen haben -, dass es wichtig ist, den Straftatenkatalog um die Straftatbestände Verbreitung von Kinderpornographie und Kindesmissbrauch zu erweitern. Ebenso sagen sie: Es ist daher erforderlich und konsequent, die Überwachung der Telekommunikation ... auf diese Deliktsformen auszudehnen. Zum Schluss schreiben sie: Denn zum Schutz der Kinder und zur Verfolgung dieser Delikte ist es dringend geboten, dieses Regelungsdefizit zu beseitigen. Also nicht nur wir sehen es so, sondern auch die vor Ort tätige Polizei. ({8}) Frau Brandt-Elsweier, Sie haben am Anfang gesagt: Einzelfälle wird es immer geben, lückenlose Sicherheit gibt es nicht. Deshalb möchte ich mit einem Zitat von Albert Camus, dem französischen Philosophen, schließen. Er hat gesagt: Das Erschütternde ist nicht das Leiden der Kinder an sich, sondern der Umstand, dass sie unverdient leiden ... Wenn wir nicht eine Welt aufbauen können, in der Kinder nicht mehr leiden, können wir wenigstens versuchen, das Maß der Leiden der Kinder zu verringern. Das sollten wir gemeinsam tun. Danke schön. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Angelika Köster-Loßack.

Dr. Angelika Köster-Loßack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002704, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jenseits aller international inzwischen schon getroffenen Abmachungen, Unterzeichnungen und Ratifizierungen zur Kinderrechtskonvention müssen wir uns klarmachen, dass es bisher keine globalen Einsichten für die Implementierung aller dieser Vorgaben gibt. Es gibt ganz unterschiedliche Wahrnehmungen von Kindern und von Kindheit in den verschiedenen Kulturen der Welt. Eines haben alle gemeinsam, nämlich dass die Schwächeren sexuell ausgebeutet werden. Das ist hier von vielen gesagt worden. Das passiert nicht nur in Familien oder unter informellen Rahmenbedingungen, sondern auch das organisierte Verbrechen ist an diesen Dingen beteiligt. Die UNICEF hat geschätzt, dass pro Jahr 5 Milliarden Dollar Umsatz mit Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornographie gemacht werden. Bei der Reise des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die uns im letzten Jahr nach Kambodscha geführt hat, war eine der erschütterndsten Erfahrungen der Besuch eines Projektes zur Rehabilitation von Kindern im Alter zwischen vier und 14 Jahren, die über die kambodschanisch-thailändische Grenze zum Zwecke der Kinderprostitution verschleppt worden waren. Nach den Gesprächen, die wir dort geführt haben, und auch nach den Gesprächen, die jetzt vor einigen Wochen wieder im Rahmen der internationalen Parlamentarierunion in diesem Zusammenhang geführt wurden, glaube ich aber nach wie vor, dass sich die politischen Entscheidungsträger in vielen Ländern des Südens nicht über die Bedeutung dieser Fragen im Klaren sind, einfach weil sie die Verantwortung für diese Formen der Ausbeutung nicht übernehmen. Deswegen müssen wir jenseits der Forderungen, europaweit eine Harmonisierung im Strafrecht vorzunehmen oder die Zusatzprotokolle zur Kinderrechtskonvention zu den Bereichen Kinder in bewaffneten Konflikten, Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornographie zu ratifizieren, wie sie in unseren Anträgen gestellt werden, sicherstellen, dass sowohl im außenpolitischen wie im entwicklungspolitischen Dialog bei Regierungsverhandlungen diese Themen systematisch mit angesprochen werden und nicht tabuisiert werden. Sie müssen vielmehr nicht nur in den Programmen und Projekten berücksichtigt werden, die wir selber vorschlagen, sondern auch in den relevanten Programmen und Projekten, die in den Ländern selber aufgebaut worden sind. ({0}) Im CDU/CSU-Antrag wird der Vorwurf erhoben - das hat die Kollegin vorhin schon gesagt -, dass die Implementierung der auf der nationalen Nachfolgekonferenz „Kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern“ entwickelten Strategien auf sich warten lasse. Es geht hier aber nicht nur um die Einforderung von Regierungshandeln, sondern auch um die Einforderung des Handelns aller relevanten Akteure. Das betrifft natürlich auch die Ebene der Länder, Kommunen und Regionen sowie der NROs und aller Initiativen, die in diesem Bereich arbeiten, wie Polizei, Justiz, Wissenschaft und Wirtschaft. Ich habe im Zusammenhang mit Aufklärungskampagnen selber die Erfahrung gemacht, dass es auch in unserer eigenen Gesellschaft auf diesem Feld sehr viele Mythen gibt, die wir auflösen müssen. Das bedeutet auch, dass das, was erreicht worden ist, was von Kolleginnen und Kollegen hier dargestellt worden ist, in einem größeren Bereich vermittelt werden muss, als es durch den Bundestag möglich ist. Der internationale Politikdialog darf nicht vergessen werden. Es ist sehr schwer, diesen Dialog mit politischen Vertretern aus Ländern zu führen, die Sexualität tabuisieren; auch in unserer Gesellschaft sind bestimmte Fragen in diesem Zusammenhang noch tabuisiert. Es kostet sehr viel Mut und Engagement, die Implementierung der Regeln, die bisher bestehen, einzufordern und sich selber daran zu beteiligen. Ich weiß, wovon ich rede; denn ich habe mit Mitstreiterinnen auf kommunaler Ebene noch vor wenigen Jahren große Schwierigkeiten gehabt, dieses Thema über die Ressortgrenzen hinweg so zu behandeln, wie es notwendig gewesen wäre. Jedenfalls glaube ich, dass wir auf diesem Feld in den nächsten Jahren einen der schwierigsten Politikbereiche zu bearbeiten haben. Dazu brauchen wir Mut. Ich wünsche uns allen, dass wir das gemeinsam weiterhin angehen. Danke. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Margot von Renesse.

Margot Renesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die Verhinderung oder Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern ist, wie wir hier aus verschiedenen Ausschüssen und Blickwinkeln gehört haben, weiß Gott nicht nur, aber auch Strafrecht erforderlich. Es ist ein ganzes Netzwerk notwendig, von der Stärkung der Kinder in ihrer eigenen Subjektqualität, wie das hier von der Kollegin mit dem schwierigen Namen ausgeführt worden ist, bis zur Einwirkung auf Personen, die möglicherweise für andere gefährlich werden können. Prävention im Sinne der Verhinderung oder der Verhütung von dergleichen Straftaten ist nicht nur durch Strafrecht möglich, obgleich Strafrecht dazugehört. Prävention ist beim Strafrecht Generalprävention und Spezialprävention; das wissen wir. Nur, wenn man weiß, wie sexueller Kindesmissbrauch oft motiviert ist, hat man so seine Zweifel, ob das wirkt. Glauben Sie wirklich, Herr Geis, dass sich ein Elternpaar, Eltern einer kleinen, entzückenden Tochter, sicherer fühlt, wenn aus dem sexuellen Missbrauch ein Verbrechen gemacht wird? ({0}) - Lieber Herr Geis, wenn sie sich im Schoß der Sicherheit wähnten, weil die CDU/CSU eine höhere Bestrafung des sexuellen Kindesmissbrauchs vorsieht oder weil die Sicherungsverwahrung möglich wird, dann könnte man ihnen nur sagen: Ihr verkennt eure elterliche Sorge. ({1}) Wenn sie ihre Kinder wirklich sichern wollen, müssen sie in dem Sinne handeln, wie es Anni Brandt-Elsweier dargestellt hat und wie es auch von der Kollegin und anderen hier ausgeführt worden ist: Sie müssen darauf achten, dass sich ihre Kinder möglichst so zu verhalten lernen, dass sie den vielen Gefährdungen, die es in dieser Gesellschaft nun einmal gibt, so gut es geht widerstehen können. Sie müssen behütet werden, aber nicht überbehütet, denn auch das ist gefährlich. ({2}) Sicherheit gibt es nicht. Die Illusion einer Sicherheit durch Strafrecht wäre geradezu gefährlich. ({3}) - Ich habe gesagt, dass alles zusammengehört. Dazu gehört zweifelsfrei auch das Strafrecht. Aber Ihre Begründung, Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch mit schrecklichen Folgen hätten gezeigt, dass das Strafrecht verschärft werden müsse, ({4}) unterstellt, dass das Strafrecht die Sicherheit erhöht. Das ist aber leider nicht der Fall. Das zu glauben wäre eine gefährliche Illusion. Was Sie mit Ihrem Gesetzentwurf befriedigen, ist etwas ganz anderes: Einfache Menschen nennen es Rachebedürfnis und die Juristen nennen es die Versöhnung des verletzten Rechtsgefühls. An dieser Auffassung ist etwas dran. Wir wollen nämlich, dass der sexuelle Kindesmissbrauch als schwere Straftat von der Gesellschaft geächtet und geahndet wird. Beides hängt miteinander zusammen, was wir nicht verkennen wollen. Lassen Sie mich aber Folgendes sagen - ich habe während der Rede des Kollegen van Essen einen entsprechenden Zuruf gemacht -: Jede Verschärfung des Strafrechts bringt nicht nur die Gefahr mit sich, dass der Täter seine Tat nicht zugibt und dass deswegen die Kinder als Zeugen angehört werden müssen, was ihnen nicht gut tut. Damit ist vielmehr auch die Gefahr verbunden, dass es Kindern schwerer fällt, als Zeugen aufzutreten. Wir wissen nämlich genau, dass die meisten Täter aus dem Nahbereich kommen. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an ein furchtbares Verfahren. Ein zwölfjähriges Mädchen verschloss sich während des zweijährigen Ermittlungsverfahrens in einem Heim wie eine Auster, obgleich sie diejenige war, von der das Verfahren ausgegangen ist. Sie hatte im Schoß ihrer Lehrerin geweint und berichtet, was ihr von dem Freund ihrer Mutter angetan wurde. Sie wollte aber während des zweijährigen Ermittlungsverfahrens nichts mehr davon wissen, weil sie ihre Mutter nicht ans Messer liefern wollte. Das ist eine sehr verständliche Reaktion von Kindern. Auch angesichts dieser furchtbaren Verbrechen dürfen wir eines nicht tun: Wir dürfen uns dem rationalen Umgang mit diesen Taten nicht verweigern. Wir wollen, dass darüber geredet werden kann. Wir wollen aber auf keinen Fall die Gefahr verschärfen, dass der Täter vor Entsetzen über sich und seine Tat und aus Angst vor möglichen Zeugenaussagen verletzter Kinder diese Kinder auch noch umbringt. Die Verdeckung einer Straftat ist oftmals der Grund für Morde, die im Anschluss von sexuellen Straftaten auf schreckliche Weise begangen werden. Der Ausdruck rationaler Umgang hört sich an, als wolle man die Täter schützen. Davon bin ich weit entfernt. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass die Eltern oder die Opfer Rache verüben oder - anders gesagt - die Versöhnung des verletzten Rechtsgefühls selbst in die Hand nehmen. Wir müssen ein rechtsstaatliches Verfahren durchführen und dürfen uns vor dem rationalen Umgang mit der Tat nicht verschließen, wenn wir eine präventiv sinnvolle Strafrechtspflege wollen. Wenn man Verfahren erlebt, in denen sich Kinder weigern, zur Bestrafung ihrer brutalen Peiniger beizutragen, dann wird einem klar, dass man sehr häufig - gerade wenn es um den Nahbereich geht - nicht zwischen dem Schutz für das Kind und der Frage, was mit dem Täter geschieht, trennen kann. Je näher der Täter dem Opfer steht, desto mehr wird das Kind seiner Fähigkeit beraubt, als Zeuge aufzutreten. Die Erfahrung zeigt auch, dass die von uns so gut gemeinte Videovernehmung nur wenig bewirkt. Das Bewusstsein, dass durch die Aussage die Familienbande gesprengt werden - es ist schizophren und paradox, dass man den Täter liebt, auch wenn man durch ihn geschädigt wurde -, kommt einem Kind auch dann nicht abhanden, wenn es dem Täter oder beispielsweise seiner Mutter nicht unmittelbar gegenübersitzt. Ich bitte daher eindringlich um einen rationalen Umgang. Ich kann gut verstehen, dass uns allen der rationale Umgang sehr schwer fällt. Wenn ich an meine Enkeltöchter und an die vielen entzückenden kleinen Mädchen und Jungen denke, dann kann ich mir nur schwer vorstellen, dass irgendjemand sie auf diese schreckliche Weise schädigt. Es ist nicht nur ein Verbrechen, sondern ein brutaler Tabubruch. In uns allen steckt doch das Bedürfnis, die kleinen Kinder zu schützen. Es ist sozusagen ein biologischer Reflex, der bewirkt, dass wir uns für die Kinder verantwortlich fühlen. Das bedeutet, dass jeder, der Kinder schädigt, unser Feind zu sein scheint und dass wir die Rationalität schnell verlieren. Ich bitte darum, das nicht zu tun; denn es ist wirklich gefährlich. Ein Letztes: Frau Fischbach, in Ihrem Antrag gibt es einen Punkt, den ich besonders herausheben will, obgleich wir als Bund dafür leider nicht zuständig sind. In Ihrem Punkt 14 haben Sie von der Prävention in Bezug auf Jugendliche, die als Täter auffallen, gesprochen; ich komme gleich darauf zurück. Ich möchte nicht lange über das Problem der Sicherungsverwahrung sprechen. Nach meiner Meinung besteht bei Ihrem Vorschlag nicht das Problem der Zweifachbestrafung, sondern das der schweren beeinträchtigenden Maßnahme ohne Tat. Denn die Verurteilung liegt zurück. Wie wollen Sie rechtsstaatlich korrekt - das möchte ich einmal wissen - ohne Tat einen Hang feststellen? Denn die Tat ist einer Aburteilung zugeführt worden. Wenn Sie mir erklären könnten, wie Sie eine solche Maßnahme, die die Gefangenen als „Rucksack“ bezeichnen, das Härteste, was es gibt, die eigentliche wirkliche Strafe, die lebenslänglich ist, unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit an lose Reden anknüpfen wollen, würde ich meinen Standpunkt noch einmal überdenken. Aber auch bei unserem Vorschlag habe ich Sorge. Frau Fischbach, das, was Sie in Punkt 14 vorschlagen, ist sehr vernünftig. Soweit ich weiß, ist eine Vielzahl dieser Taten im Grunde das Ergebnis von Serien. Das fängt mitunter in früher Jugend an, durch eine Fehlentwicklung aus der Lust an Macht, aus dem Hochgefühl der Macht, indem man ein anderes Menschenkind zwar nicht schädigt, aber demütigt, erniedrigt und sich dies leisten kann. Dies betrifft insbesondere auch Kinder, die selber Gegenstand von Macht sind. Hier aufzupassen, dass daraus nicht das Gesetz der Serie entsteht, in der Macht, Kraft und Kompetenz wachsen, ist eine ganz wichtige Sache. In Bochum existiert ein solches Projekt. Man bestätigt mir dort ständig, was dahinter steht, nämlich dass sich dieses Machtgefühl in der Streubreite wie eine umgekehrte Pyramide erhöht, je älter, je kräftiger und je kompetenter ein Mensch wird. Dies kann zur Sucht werden. Ich denke, das ist etwas, worüber wir genau nachdenken sollten. Ich fürchte, unsere Zuständigkeit als Bund reicht nicht so weit. Aber darauf zu achten wäre wichtig. Danke sehr. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU zur Verbesserung des Schutzes der Bevölkerung vor Sexualverbrechen und anderen schweren Straftaten. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/8779, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte die, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der CDU/CSU abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes „Sexueller Missbrauch von Kindern“. Das ist jetzt die Drucksache 14/1125. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/8779, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte die, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen von CDU/CSU abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung auch hier die weitere Beratung. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 14/8806 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Gegen die sexuelle Ausbeutung und den Missbrauch von Kindern“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7610 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen worden. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe auf Drucksache 14/8795 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Kinder vor sexueller Ausbeutung schützen - Kindersextourismus bekämpfen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7793 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung der FDP angenommen worden. Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften - Drucksache 14/7752 ({0}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1}) - Drucksache 14/8780 Berichterstattung: Abgeordnete Christine Lambrecht Volker Beck ({2}) Dr. Evelyn Kenzler Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der FDP sowie ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Pick.

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir behandeln ein Gesetz, das den etwas bescheidenen Namen „Zweites Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften“ trägt. Dahinter verbirgt sich eine Reform, die diesen Namen auch verdient. Es ist ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zur Modernisierung des deutschen Rechts. Die Modernisierung des Schadenersatzrechtes war überfällig. Nehmen wir zum Beispiel die Haftungshöchstgrenzen im Straßenverkehrsgesetz und im Haftpflichtgesetz: Sie sind seit mehr als 20 Jahren nicht mehr erhöht worden. Oder nehmen wir die Haftung von Kindern im Straßenverkehr. Damit schließen wir eigentlich an einen Gesichtspunkt an, den wir gerade behandelt haben, nämlich den Schutz der Schwächsten. In diesem Fall geht es um den Schutz der Schwächsten im Straßenverkehr - auf einem ganz anderen Gebiet also, als vorhin behandelt. Seit Jahren fordert zum Beispiel der Deutsche Verkehrsgerichtstag einen besseren haftungsrechtlichen Schutz von Kindern im Straßenverkehr, ohne dass das bisher größere Folgen gehabt hätte. Oder nehmen Sie das Thema Schmerzensgeld: Obwohl bereits die Gutachten zur Schuldrechtsreform aus dem Jahre 1980 forderten, einen allgemeinen Anspruch auf Schmerzensgeld einzuführen, der auch die Vertragshaftung und die Fälle der Gefährdungshaftung mit umfasst, besteht der unbefriedigende Rechtszustand bis heute fort. Meine Damen und Herren, das hat heute ein Ende. Mit unserem heutigen Beschluss setzen wir endlich viele längst fällige Änderungen im deutschen Schadenersatzrecht um. ({0}) Eines wird an diesem Gesetz besonders deutlich: Modernisierung ist kein Selbstzweck. Modernisierung ist immer mit neuen, mit veränderten Wertentscheidungen verbunden. Die Wertentscheidung dieses Gesetzes ist ganz klar: Der Opferschutz wird gestärkt. Wenn ich von Opfern rede, dann denke ich in erster Linie an die Opfer von Personenschäden, an Menschen, die an Körper und Gesundheit verletzt worden sind. Ein Beispiel: die Haftung für fehlerhafte Arzneimittel. Bisher steht dem Patienten mit dem pharmazeutischen Unternehmer ein an Informationen und Wissen weit überlegener Antragsgegner gegenüber. Das wird sich nun ändern. Wir schaffen ein Stück „Waffengleichheit“ durch einen Auskunftsanspruch gegen den pharmazeutischen Unternehmer und gegen die Überwachungsbehörde. Auf diese Weise kann sich der Geschädigte in Zukunft die notwendigen Informationen verschaffen, um seine Situation richtig beurteilen zu können. Wir gehen aber noch einen wichtigen Schritt weiter, um die Beweissituation des Patienten zu verbessern. Bisher hatte es der Patient schwer, den Nachweis zu führen, dass sein Gesundheitsschaden durch ein ganz bestimmtes Arzneimittel hervorgerufen wurde. In Zukunft wird ihm dabei eine gesetzliche Ursachenvermutung helfen. Wenn das Arzneimittel im Einzelfall geeignet ist, den infrage stehenden Gesundheitsschaden zu verursachen, so wird zugunsten des Patienten vermutet, dass der Gesundheitsschaden von diesem Arzneimittel hervorgerufen wurde. Das ist für die Patienten eine wichtige Verbesserung von hoher und, wie ich glaube, auch praktischer Bedeutung. ({1}) Es kommen noch weitere Verbesserungen der Arzneimittelhaftung hinzu. Die Haftungshöchstgrenzen im Arzneimittelgesetz werden zum Beispiel erhöht, und es wird erstmals ein Anspruch auf Schmerzensgeld in die Arzneimittelhaftung eingeführt. Das heißt, neben dem eigentlichen Schadensersatzanspruch wird es zukünftig auch einen Anspruch auf Schmerzensgeld geben. Schließlich wird in Zukunft der Arzneimittelhersteller beweisen müssen, dass ein Fehler des Arzneimittels nicht schon in seinem Bereich bei der Entwicklung oder Herstellung entstanden ist. Bislang musste der Patient den entsprechenden Nachweis erbringen. Alles in allem können wir feststellen, dass die Rechtsstellung von Arzneimittelgeschädigten ganz erheblich verbessert wird. Ich bin auch sicher, dass sich diese Verbesserungen in der Praxis bewähren werden. Über die Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Erfahrungen wird die Bundesregierung drei Jahre nach In-Kraft-Treten des Gesetzes berichten, so wie es der auch zur Abstimmung stehende Entschließungsantrag der Koalition vorsieht. ({2}) Ich möchte nun auf einen Punkt eingehen, zu dem viele Anfragen besorgter Bürger mein Haus erreicht haben: die Änderung der Straßenverkehrshaftung. Ein wichtiges Ziel des Gesetzentwurfs besteht darin - ich habe es schon gesagt -, die Rechtsstellung von Kindern im Straßenverkehr zu verbessern. Um dieses Ziel zu erreichen, haben wir den Ausschluss der Haftung durch das unabwendbare Ereignis im Straßenverkehrsgesetz geändert, mit dem sich Autofahrer bisher bekanntlich von ihrer Haftung gegenüber Kindern befreien konnten. Allerdings entfällt der Haftungsausschlussgrund des unabwendbaren Ereignisses anders als ursprünglich vorgesehen nicht vollständig, sondern besteht für Unfälle zwischen Kraftfahrzeugen weiter fort. Es bleibt also dabei, dass sich ein Kraftfahrzeughalter gegenüber einem anderen Kraftfahrzeughalter auf die Unabwendbarkeit des Unfalls nach wie vor berufen kann. Ich denke, dass damit Rechtssicherheit gewährleistet wird. Es wird ebenso verhindert, dass es zu mehr Quotenfällen kommt, wenn mehrere Kraftfahrzeuge - was häufig der Fall ist - am Unfall beteiligt sind. Nur für Unfälle von Kraftfahrzeugen mit nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern, also zum Beispiel Fußgängern, ganz besonders Kindern, entfällt der Haftungsausschluss wegen eines unabwendbaren Ereignisses. Denn sonst, meine Damen und Herren, würde das Ziel, Kinder im Straßenverkehr besser zu schützen, nicht erreicht. Wir wollen damit auch die Besorgnisse der Bürger ernst nehmen und ziehen daraus die Konsequenzen. Ich will noch drei weitere Punkte ansprechen: Ein bedeutender Punkt ist die Tatsache, dass sich die Gefährdungshaftung in § 7 Straßenverkehrsgesetz künftig auch auf unentgeltlich, nicht gewerbsmäßig transportierte Personen zum Beispiel in einem PKW erstreckt. Ich finde das umso wichtiger, als wir die Erfahrung machen, dass häufig Eltern Kinder anderer Eltern zu Sportereignissen oder zum Training fahren. Ich denke, dass dieser Schutz der mitfahrenden Kinder sehr begrüßenswert ist. ({3}) Der zweite Punkt, der in der Debatte eine Rolle gespielt hat, ist der so genannte fiktive Ausgleich von Sachschäden, die fiktive Abrechnung. Wir haben eine Lösung gefunden, die ausgewogen ist und die unterschiedlichen Interessen berücksichtigt. Es hat uns nicht eingeleuchtet, dass zum Beispiel der Umsatzsteueranteil im Falle eines Sachschadens - nur darum geht es - geltend gemacht werden kann, ohne dass nachgewiesen wird, dass tatsächlich Umsatzsteuer angefallen ist. Ich weiß, dass das die Rechtsprechung so entwickelt hat, aber ich meine, es ist richtig, dass wir die Mehrwertsteuer nur dann ersetzen, wenn sie auch tatsächlich angefallen ist. Das hat mehrere Vorteile. Es hat einmal den Vorteil, dass gewährleistet wird, dass Schäden fachgerecht beseitigt werden. ({4}) Ich möchte nicht wissen, wie viele PKWs auf unseren Straßen fahren, die im Zuge einer falsch verstandenen Nachbarschaftshilfe repariert worden sind und sehr gefährlich sind. ({5}) Zum anderen - das müsste die FDP auch freuen, Herr Funke - haben wir damit einen mittelständischen Akzent gesetzt, denn wir erwarten, dass diese Reparaturen in den Fachwerkstätten durchgeführt werden. ({6}) Ein dritter Punkt - damit möchte ich schließen - betrifft das Schmerzensgeld. Der Regierungsentwurf hatte die Einführung einer Bagatellschwelle vorgesehen. Wir haben uns im Laufe der Diskussionen davon überzeugen lassen, dass es richtig ist, den bisherigen Rechtszustand beizubehalten. Für uns ist besonders wichtig, dass die Opfer mit Schäden an Körper und Gesundheit angemessen entschädigt werden. Hierbei hat die Rechtsprechung ihren Spielraum. Ich denke, die Verbesserung des Opferschutzes ist ein Thema, bei dem wir uns alle einig sein sollten. Vielen Dank. ({7})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Götzer für die CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen zweiten und dritten Lesung des Schadensersatzänderungsgesetzes wird eine umfassende und weit reichende Reform zum Abschluss gebracht. Der Reformbedarf ist unbestritten. Manche unserer seit dem Jahre 1900 fast unverändert gebliebenen Bestimmungen im BGB zum Schadensersatzrecht müssen einfach der heutigen Lebenswirklichkeit angepasst werden. Deshalb hatte bereits die Regierung Kohl hierzu in der 13. Legislaturperiode einen Gesetzentwurf eingebracht, auf dem der heute vorliegende Entwurf im Wesentlichen basiert. Einen Schwerpunkt in dem Gesetzentwurf bilden Neuregelungen im Bereich des Arzneimittelgesetzes. Der neue § 84 Abs. 2 des Arzneimittelgesetzes beinhaltet nun eine Beweiserleichterung in Form einer Kausalitätsvermutung, die dem Patienten eine zu begrüßende beweisrechtliche Besserstellung beschert. § 84 Abs. 2 AMG schließt somit die bisher bestehende Regelungslücke in den Fällen ungeklärter Kausalität bei der Anwendung mehrerer Arzneimittel. Ist das angewendete Arzneimittel nach den Gegebenheiten des Einzelfalles geeignet, den Schaden zu verursachen, so wird vermutet, dass der Schaden durch dieses Arzneimittel verursacht wurde. Diese Vermutung gilt auch dann, wenn ein gleichzeitig eingenommenes Medikament ebenfalls als Schadensursache in Betracht kommt, ohne dass der Betroffene klären kann, welches der einzelnen Präparate konkret schadensursächlich war. Dies ist im Sinne eines umfassenden Patientenschutzes grundsätzlich zu begrüßen. Soweit auch nach dieser Neuregelung zum Beispiel wegen ungeklärter Kausalität oder ungenügender Deckungsgrenzen aufseiten des Herstellers noch Haftungslücken bestehen sollten, ist gelegentlich eine solidarische Einstandspflicht pharmazeutischer Unternehmen in Form eines Fonds angedacht worden. Diese Lösung ginge allerdings zulasten derjenigen Unternehmen, die sich zum einen ausreichend selbst gegen eventuelle Schadensersatzansprüche versichern und zum anderen auch noch in den Fonds einzahlen müssten. Diese Unternehmen müssten dann mit ihren Beiträgen für jene Hersteller einstehen, die sich nicht ausreichend versichern und zu denen sie meist auch noch in einem harten Konkurrenzkampf stehen. Eine solche Fondslösung ist daher keine sachgerechte Lösung. Diese Auffassung wurde im Übrigen auch von den meisten Sachverständigen in der Anhörung vertreten. In dem geplanten neuen § 84 Abs. 3 Arzneimittelgesetz wird nun die Darlegungs- und Beweislast dafür umgekehrt, dass die feststehenden schädlichen Wirkungen eines Arzneimittels ihre Ursache im Bereich der Entwicklung oder Herstellung haben. Künftig soll der pharmazeutische Unternehmer die Beweislast für Fehler in diesem Bereich tragen. Er muss also darlegen und beweisen, dass die schädliche Wirkung des Mittels nicht im Bereich von Herstellung und Entwicklung liegt. Mit dieser im Bereich des Arzneimittelrechts durchaus zu begrüßenden Änderung greifen wir einmal mehr zu dem inzwischen immer häufiger angewandten Mittel der Beweislastumkehr. Grundsätzlich muss bekanntlich derjenige, der einen Anspruch geltend macht, auch beweisen, dass ihm dieser Anspruch nach Recht und Gesetz zusteht. Bei diesem Grundsatz muss es meiner Meinung nach auch bleiben. Bei vielen immer komplizierter werdenden Herstellungsverfahren wird es heute jedoch - und zwar nicht nur bei der Herstellung von Arzneimitteln - für den Geschädigten immer schwieriger, die erforderlichen Beweise zu erbringen, da die Schadensursachen meist in einer für den Anspruchsteller nicht oder kaum durchschaubaren Sphäre liegen. Deshalb befürworten wir die Beweislastumkehr im Arzneimittelrecht. In diesem Zusammenhang wäre bezüglich der Einbeziehung mittelbar Geschädigter in den Schutzbereich dieses Paragraphen eine weitere Klarstellung in § 84 Arzneimittelgesetz wünschenswert gewesen. Die Gesetzesbegründung sieht dies zwar bereits vor, doch fehlt nach wie vor eine klarstellende Ergänzung im Gesetzestext. Eine erfreuliche Neuregelung erhält das Schadensersatzrecht mit der Einfügung des § 84 a Arzneimittelgesetz, der dem Patienten einen Auskunftsanspruch gegenüber dem Arzneimittelhersteller einräumt. Liegen demnach Tatsachen vor, die die Annahme begründen, dass ein Arzneimittel den Schaden verursacht hat, kann der Geschädigte Auskunft von dem pharmazeutischen Unternehmen verlangen, wenn dies zur Feststellung eines Anspruchs erforderlich ist. Damit wird die Position des Geschädigten gegenüber dem oft übermächtig erscheinenden Pharmaunternehmen zusätzlich gestärkt. Zum Schutz vor einer für die Unternehmen nachteiligen Darlegungspflicht, zum Beispiel zugunsten der Konkurrenz, begrenzt der Gesetzentwurf den Auskunftsanspruch jedoch und nimmt, wie ich finde, zu Recht solche Informationen aus, die aufgrund grundgesetzlicher Vorschriften geheim zu halten sind oder die in einem überwiegenden Interesse des pharmazeutischen Unternehmens liegen. Somit ist gewährleistet, dass sich der Auskunftsanspruch tatsächlich auf den konkreten Schadensfall beschränkt. Die CDU/CSU-Mitglieder im Rechtsausschuss hätten es allerdings begrüßt, wenn dem Unternehmen seinerseits ein Auskunftsanspruch gegenüber dem Patienten eingeräumt worden wäre; denn der überwiegende Teil des Schadensablaufes spielt sich erfahrungsgemäß in der Sphäre des Geschädigten ab. Ohne die Gegenseitigkeit des Auskunftsanspruchs wird es dem Hersteller vor allem angesichts der künftig vorgesehenen Beweislastumkehr erheblich erschwert, die durch § 84 Abs. 2 Arzneimittelgesetz geschaffene Kausalitätsvermutung zu erschüttern. Leider hat die Regierungskoalition dieser Forderung des Bundesrates nicht Rechnung getragen. Dass es für die Durchsetzung des Auskunftsanspruchs nach § 84 a Abs. 2 künftig zwei verschiedene Rechtswege gibt, nämlich zum einen den zu den ordentlichen Gerichten gegenüber den Herstellern und zum anderen den zu den Verwaltungsgerichten gegenüber den Behörden, erscheint auf den ersten Blick unpraktisch. Für den Geschädigten bietet der Verwaltungsrechtsweg aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes jedoch einen nicht zu unterschätzenden Vorteil. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch zu einigen weiteren Schwerpunkten des Gesetzentwurfs Stellung nehmen. Mit dem neu gefassten § 253 BGB wird eine einheitliche Norm für den Ersatz immaterieller Schäden geschaffen. Damit gibt es künftig einen allgemeinen Anspruch auf Schmerzensgeld bei der Verletzung von Körper, Gesundheit und sexueller Selbstbestimmung. Dies wird vonseiten unserer Fraktion nachhaltig begrüßt. Eine daraus abgeleitete Angst vor amerikanischen Verhältnissen und vor astronomischen Haftungssummen halte ich für unbegründet. Das Verschulden wird weiterhin vielfach Voraussetzung eines jeden Anspruchs sein und bei der Zumessung des Schmerzensgeldes die entscheidende Grundlage bilden. In diesem Zusammenhang erscheint es mir sinnvoll, die Gewährung von Schmerzensgeld auch auf Ansprüche aufgrund der Gefährdungshaftung auszudehnen. Eine weitere Änderung betrifft die Haftung des gerichtlichen Sachverständigen gemäß dem neuen § 839 a BGB. Kaum ein etwas umfangreicherer Zivilprozess kommt heute ohne einen Sachverständigen aus. Besonders wenn es um technisch komplizierte Anlagen oder um Immobilien geht, kann man auf sie nicht mehr verzichten. Solche Gutachten dienen einer soliden Verhandlungsgrundlage und haben daher auch eine große wirtschaftliche Bedeutung für alle Verfahrensbeteiligten. Ob und in welchem Umfang ein Sachverständiger nach gegenwärtiger Rechtslage haftet, hängt nicht zuletzt davon ab, ob es sich um einen vereidigten Sachverständigen handelt oder nicht. Diese Unterscheidung wird durch die Einführung des neuen § 839 a BGB zu Recht aufgehoben und die Haftung wird auf Fälle grober Fahrlässigkeit beschränkt. Somit umgehen wir die Gefahr, dass Gutachter die Begutachtung aufgrund der Haftungsrisiken ablehnen oder sich nicht öffentlich bestellen lassen. Wichtige Änderungen sind auch bei den Regelungen, bei denen es um Unfälle im Straßen- und Bahnverkehr geht, vorgesehen. So werden die Haftung und das Mitverschulden von Kindern unter zehn Jahren künftig grundsätzlich ausgeschlossen. Damit wird den Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie Rechnung getragen, nach denen Kinder regelmäßig frühestens ab Vollendung des zehnten Lebensjahres imstande sind, die besonderen Gefahren des Straßenverkehrs zu erkennen und sich entsprechend zu verhalten. Auch dies sah der alte Entwurf aus der 13. Legislaturperiode bereits vor. Dass diese Beschränkung der Deliktsfähigkeit nicht bei Vorsatz gilt, halte ich für richtig. Die ausnahmslose Ersetzung des unabwendbaren Ereignisses als Haftausschließungsgrund im Regierungsentwurf durch den Begriff „höhere Gewalt“ ist nicht nur von uns, sondern auch vonseiten der Sachverständigen in der Anhörung kritisiert worden. Daraus hätten sich für den so genannten Idealfahrer ungerechtfertigte Nachteile mit der praktischen Konsequenz einer Haftung ohne jegliche Entlastungsmöglichkeit ergeben. Deshalb begrüßen wir, dass die Bundesregierung im Laufe der Beratungen hiervon abgerückt ist. Die jetzt in der vom Rechtsausschuss beschlossenen Fassung enthaltene Differenzierung können wir mittragen. Bei Unfällen im motorisierten Straßenverkehr zwischen motorisierten Verkehrsteilnehmern bleibt es bei der Entlastungsmöglichkeit im Falle eines unabwendbaren Ereignisses. Sind an einem Unfall nicht motorisierte Verkehrsteilnehmer beteiligt, wird es künftig zu einem Haftungsausschluss nur dann kommen, wenn sich der Unfall für den Fahrer als höhere Gewalt darstellt. Mit dieser Differenzierung ist insbesondere unserem Anliegen Rechnung getragen, Kinder und hilfsbedürftige Menschen im Straßenverkehr besser zu schützen. Begrüßenswert ist zudem die geplante Ausweitung der Halterhaftung auf unentgeltlich beförderte Fahrzeuginsassen. Es kann nach unserer Ansicht bei dem Ersatz eines erlittenen Schadens keinen Unterschied machen, ob dieser bei einer Taxifahrt oder zum Beispiel bei der Mitnahme aus Gefälligkeit entstanden ist. Uneingeschränkt begrüßen wir auch die geplante Erhöhung der Haftungshöchstbeträge im Straßenverkehrsgesetz bei der Verletzung bzw. Tötung von Menschen. Damit wird der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung, aber auch der Erkenntnis Rechnung getragen, dass die bisher im Gesetz vorgesehenen Höchstbeträge völlig unzureichend sind. Eine dadurch möglicherweise zu erwartende Erhöhung der Versicherungsbeiträge ist im Hinblick auf diese Problematik und vor allem im Hinblick auf die Geschädigten durchaus hinnehmbar. Sachgerecht ist auch die in dem Gesetzentwurf vorgesehene Neuregelung bei der Abrechnung fiktiver Reparaturkosten. Bisher konnte die Umsatzsteuer bekanntlich auch dann geltend gemacht werden, wenn das Fahrzeug gar nicht repariert wurde und sie daher tatsächlich nicht angefallen ist. Die Neufassung von § 249 Abs. 2 BGB stellt nun sicher, dass der Geschädigte nur die tatsächlich anfallenden Umsatzsteuerkosten ersetzt bekommen kann. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, so viel zu den aus meiner Sicht wichtigsten Punkten des Gesetzentwurfs. Uns Juristen ist natürlich klar, dass das Schadensersatzrecht nicht gerade zu den spannendsten politischen Themen gehört. ({0}) - Ich hatte gedacht, Herr Hartenbach, Sie kämpften mit dem Schlaf. Aber ich stelle fest, Sie haben aufgepasst wie ein Luchs. ({1}) - Der Eindruck täuscht. Ich nehme das zurück.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun bringen Sie mal keine Schärfe in die Debatte! ({0})

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe den Eindruck, dass die heutige Debatte diese Meinung zur Brisanz und Spannung dieses Themas vielleicht bei dem einen oder anderen Nichtjuristen be- oder verstärkt hat. Trotzdem handelt es sich um wichtige Fragen, die für jeden von uns - auch wenn wir es nicht hoffen wollen - vielleicht einmal große Bedeutung erlangen können. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der heute zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf, der in wesentlichen Teilen - darauf habe ich schon hingewiesen - unsere Handschrift trägt, bringt deutliche Verbesserungen für Geschädigte. Deshalb wird die CDU/CSU-Fraktion dem Gesetzentwurf trotz einiger Kritikpunkte zustimmen. Ich bedanke mich. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dazu kann man nur sagen, Herr Dr. Götzer: Machen Sie so weiter, den vernünftigen Gesetzen der Koalition zum Ende der Wahlperiode immer kräftig zuzustimmen. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Markenzeichen rot-grüner Rechtspolitik ist die Stärkung der Schwachen durch das Recht. Die Reform des Schadensersatzrechtes ist hierfür ein weiterer eindrucksvoller Beleg. Mit dem Gesetz optimieren wir den zivilrechtlichen Opferschutz in breiter Hinsicht. Für die Opfer von Arzneimittelskandalen, wie wir sie in den 80er-Jahren beim HIV-Bluter-Skandal oder jüngst bei Lipobay hatten, ist dieses Gesetz der Durchbruch. Weiter verbessern wir die Rechtsstellung von Kindern im Straßenverkehr. Wir weiten die Gefährdungshaftung im Straßenverkehr auf alle Fahrzeuginsassen aus, sodass künftig alle Mitfahrer, zum Beispiel auch der mitgenommene Tramper, als Opfer eines Unfalls geschützt werden. Mit der Ausweitung eines Schmerzensgeldanspruches auf den Bereich der Gefährdungs- und Vertragshaftung helfen wir zum Beispiel denjenigen Verkehrsunfallopfern, die das Verschulden eines Dritten nicht nachweisen können. Meine Damen und Herren, diese Reform des Schadensersatzrechtes war längst überfällig. Das zeigt auch die Erhöhung der Haftungshöchstgrenzen. In einigen Gesetzen war hier seit mehr als 20 Jahren nichts mehr geschehen. Schwarz-Gelb hat da offensichtlich lange geschlafen, wenn die schwarz-gelbe Koalition auch kurz vor Ende der letzten Legislaturperiode beinahe aufgewacht wäre. Das aber hat die FDP dann noch verhindert. Jetzt wird der Wert von Schäden an Leib und Leben erstmals wieder deutlich angehoben. Damit wird der Abstand zu Schadenssummen in anderen Ländern überwunden. Deutschland gibt hier endlich seine Schlusslichtposition auf. ({0}) Bei einzelnen Personenschäden erhöhen wir die individuelle Haftungshöchstgrenze sogar um mehr als das Doppelte. Bei einer schweren Querschnittslähmung hat der bisherige Betrag von 500 000 DM für Heilungskosten, den eingetretenen Erwerbs- und Unterhaltsschaden sowie Schmerzensgeld hinten und vorne nicht ausgereicht. Deshalb werden künftig im Straßenverkehrsgesetz der Kapitalbetrag für die Tötung oder Verletzung eines Menschen bei 600 000 Euro und die Jahresrente bei 36 000 Euro liegen. Zu gering war auch der bisherige Haftungshöchstbetrag bei mehreren Verletzten. Wenn sich drei Schwerverletzte bislang 750 000 DM teilen mussten, war dies eindeutig zu wenig. Hier haben wir die Grenze auf 3 Millionen Euro hoch geschraubt. Das ist für die beklagenswerten Opfer solcher Tragödien auch gut. ({1}) Für Opfer von Arzneimitteln schaffen wir mit diesem Gesetz endlich die nötigen Haftungserleichterungen. Ein Auskunftsanspruch gegen Behörde und Pharmaunternehmen sowie eine angemessene Beweislastverlagerung wird es den Betroffenen künftig ermöglichen, den Nachweis der Kausalität zwischen Präparat und Schädigung leichter zu führen. Nicht erst Lipobay hat uns daran erinnert. Schon seit dem HIV-Bluter-Skandal in den 80er-Jahren wissen wir, wie schwer es für die Betroffenen ist, ihre berechtigten Ansprüche auch tatsächlich gegen die potenten Pharmaunternehmen durchzusetzen. Ich freue mich, dass wir hier endlich vorangekommen sind. Unter SchwarzGelb war das nicht möglich. Ich freue mich übrigens auch, dass wir im Gesetzgebungsverfahren keine Aufweichungen zulasten der Geschädigten mitgemacht haben, wie es die Pharmalobby und die FDP wollten. Die Beweislastumkehr für die Erforderlichkeit einer Auskunft wieder abzumildern oder sogar dem Pharmaunternehmer einen Auskunftsanspruch gegenüber dem Patienten einzuräumen, wäre verfehlt gewesen. Solche Ideen widersprechen dem Geist dieses opferfreundlichen Gesetzes. Sie nehmen die rechtliche Verbesserung für die Patienten an anderer Stelle wieder zurück. Das war mit uns nicht zu machen. Abschließend noch ein Wort zum Entschließungsantrag, der diese Reform begleitet: Er belegt, wie sehr uns der Schutz der Arzneimittelanwender am Herzen liegt. Wir werden in den nächsten drei Jahren sorgfältig beobachten, ob das Gesetz in der Praxis auch die gewünschten Erleichterungen für die Patienten bringt. Wenn dies in einigen Punkten noch nicht ausreichend der Fall sein sollte, dann wird es zu einem Pharmahaftungsfonds keine Alternative geben. Für uns ist eine Diskussion darüber mit diesem Gesetz noch nicht beendet. Aber wir werden sie auch nur weiterführen, wenn wir feststellen sollten, dass wir diesen Weg unbedingt brauchen. Vielen Dank. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat nun der Kollege Rainer Funke für die FDP-Fraktion.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das vorliegende Schadensersatzrechtsänderungsgesetz ist hinsichtlich seiner Wirkungen auf die Bürger, aber auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Auswirkungen auf die betroffene Industrie, insbesondere auf die Pharmaindustrie, sicherlich eines der wichtigeren Gesetze der derzeitigen Bundesregierung. Dieses Gesetz stützt sich auf Vorüberlegungen und Arbeiten der vergangenen Legislaturperiode. Umso mehr verwundert es, dass die Bundesregierung so spät, nämlich erst am Ende der Legislaturperiode, ihren Gesetzentwurf vorgelegt hat. Es hätte sich durchaus angeboten, diese schadensersatzrechtlichen Fragen früher - vielleicht im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung - zu behandeln. ({0}) Meine Damen und Herren, meine Fraktion wird dem Gesetz die Zustimmung verweigern. Die Verschärfung der Arzneimittelhaftung ist zweifellos ein Schwerpunkt des Gesetzes. Unter verbraucherpolitischen Gesichtspunkten mag man diese Verschärfung noch begrüßen, obwohl Volker Beck ({1}) die dadurch höheren Kosten der Pharmaindustrie und der Versicherungswirtschaft im Ergebnis auf die Verbraucherpreise und damit auf den Verbraucher umgelegt werden müssen. Dadurch werden Arzneimittel teurer; dies führt zur Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Pharmaindustrie. Insbesondere die in § 84 Abs. 2 des Arzneimittelgesetzes eingeführte Kausalitätsvermutung wird dazu führen, dass die Zuerkennung unberechtigter Ansprüche erheblich steigt, weil nur einseitig ein Auskunftsanspruch besteht; ein solcher Anspruch des möglicherweise beklagten Pharmaunternehmens gegenüber dem klagenden Patienten ist nicht gegeben. Dabei wäre es durchaus möglich gewesen, den Auskunftsanspruch nach dem Vorbild des Umwelthaftungsrechts auszugestalten, also eine gewisse Gegenseitigkeit der Auskunftsansprüche zu gewährleisten; denn gerade bei der Wirkung der Medikamente kommt es doch nicht nur auf die Arzneien an, sondern auch auf die Verhältnisse beim Patienten, zum Beispiel auf das Zusammenwirken des eingenommenen Medikaments mit anderen Medikamenten oder den Gesundheitszustand des Patienten. Wir räumen durchaus ein, dass es angemessen sein kann, einen verschuldensunabhängigen Schmerzensgeldanspruch auch im Falle der Gefährdungshaftung zu kreieren, da dies international immer mehr üblich geworden ist. Dabei ist jedoch streitig, wie weit ein angemessener Schmerzensgeldanspruch gehen soll. Schon der 62. Deutsche Juristentag 1998 hat sich dafür ausgesprochen, diesen Schmerzensgeldanspruch bei schwer wiegenden und dauerhaften Körper- und Gesundheitsschäden zu beschränken. Dieser Lösung hätten wir gegenüber der hier gefundenen den Vorzug gegeben. ({2}) Wir begrüßen die Regelung zur Verbesserung der Rechtsstellung von Kindern bei Unfällen im Straßenund Bahnverkehr durch den grundsätzlichen Ausschluss der Haftung und des Mitverschuldens von Kindern unter zehn Jahren. Dies ist ja auch eine alte Forderung des Verkehrsgerichtstages; darauf hat Herr Professor Dr. Pick bereits hingewiesen. Die anderen Änderungen des Straßenverkehrsrechts und im Sachschadenabrechnungsrecht des BGB lehnen wir jedoch ab. Erstens. Der Haftungsausschluss des Kraftfahrzeughalters gegenüber nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern kann zu zahlreichen Ungerechtigkeiten gegenüber Kraftfahrzeugführer und -halter führen, weil selbst vorsätzliches verkehrswidriges Verhalten des nicht motorisierten Verkehrsteilnehmers, zum Beispiel des Radfahrers - das erleben wir tagtäglich im Straßenverkehr -, zur Haftung des sorgfältig handelnden Kraftfahrzeugfahrers führt. Zweitens. Die Änderung der Sachschadenabrechnung in § 249 BGB wird zu zahlreichen Ungereimtheiten bei der Abrechnung von Kraftfahrzeugschäden bei der Versicherung führen. Dies gilt insbesondere für die Einbeziehung der 16-prozentigen Umsatzsteuer bei der Schadensberechnung. Darauf hat der ADAC in der Anhörung, die wir in gründlicher Weise im Rechtsausschuss vorgenommen haben, hingewiesen. Im Übrigen trifft gerade diese Regelung den kleinen Bürger ganz besonders, der häufig unmittelbar nach dem Unfall noch nicht weiß, ob er das Auto reparieren oder teilweise reparieren lassen will oder ob er es verkaufen und sich vielleicht ein neues Fahrzeug kaufen will. Die bisherige Abrechnung ist im Grunde nicht auf größere Schwierigkeiten gestoßen - auch nicht bei der Abwicklung -, sodass man sie durchaus hätte beibehalten können. Meine Damen und Herren, wir werden auch den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen ablehnen. ({3}) Die Prüfung von Dokumentationspflichten hätten wir nicht abgelehnt. Jedoch lehnen wir die Prüfung des Erfordernisses der ergänzenden Schaffung eines Haftungsfonds generell ab. Solche Haftungsfonds sind unter keinem Gesichtspunkt akzeptabel; denn dadurch finanzieren die weißen Schafe die schwarzen Schafe der Branche. Wer schadensbegründende Arzneimittel in den Verkehr bringt, soll selber dafür haften. Im Übrigen bitte ich Sie, unseren Änderungsanträgen zuzustimmen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Wir haben reizenden Besuch auf der Besuchertribüne, meine Damen und Herren. Die Kornkönigin ist unter uns. Herzlich willkommen bei uns im Deutschen Bundestag. ({0}) Nun erteile ich der Kollegin Dr. Evelyn Kenzler von der PDS-Fraktion das Wort.

Dr. Evelyn Kenzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003159, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Gesetzentwurf will die Bundesregierung Haftungslücken schließen und Gerechtigkeitsdefizite beseitigen. In der Tat werden wichtige Lücken geschlossen. Auch manches Gerechtigkeitsdefizit wird beseitigt, allerdings nicht, ohne neue Gerechtigkeitsprobleme entstehen zu lassen. Es ist auf jeden Fall ein Fortschritt, dass das Schadensersatzrecht des BGB endlich novelliert wird. Das betrifft zum Beispiel die Absenkung der Verantwortlichkeit von Kindern bei der Teilnahme am Straßenverkehr und setzt sich mit der Ausweitung des Schmerzensgeldanspruchs fort. Der Ersatz des immateriellen Schadens bei Körperund Gesundheitsverletzungen und die Erhöhung der Haftungssummen bei Gefährdungshaftung gehören ebenso dazu. Schließlich ist die Verbesserung der Rechtsstellung der Geschädigten bei der Arzneimittelhaftung in diesem Zusammenhang zu nennen. Das Unternehmen ist also alles in allem im Interesse der betroffenen Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich zu begrüßen. Der Teufel liegt jedoch wie immer im Detail. Ich begrüße sehr, dass es gelungen ist, den Opferschutz deutlich zu verbessern. ({0}) Dass auf die zunächst vorgesehene Bagatellgrenze für Schmerzensgeld nunmehr verzichtet wurde und es der Rechtsprechung überlassen bleiben soll, halte ich ebenfalls für vernünftig. Bedauerlich ist, dass der insbesondere vom Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände vorgetragene Wunsch nach Einbeziehung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in die Aufzählung der geschützten Rechtsgüter nicht erfolgte. Gerade hier gibt es bekanntlich ein verstärktes Rechtsschutzbedürfnis. Begrüßenswert ist dagegen die Anhebung der Haftungshöchstgrenzen. Sie wird allerdings nicht in allen Fällen zu befriedigenden Lösungen führen. Beim Arzneimittelrecht sieht der Entwurf die Einführung eines Auskunftsanspruchs gegen Pharmaunternehmen, aber auch gegen Behörden vor. Durch ihn werden die Möglichkeiten des Geschädigten, seinen Schadensersatzanspruch im Prozess durchzusetzen, klar erleichtert. Aber es gibt weiter gehende Vorstellungen, die man nicht als überzogen abtun sollte. Ein Haftungsfonds für Schadensfälle bei ungeklärter Kausalität für die Fälle, in denen der Arzneimittelhersteller nicht mehr identifiziert werden kann, sowie beim Fehlen einer Arzneimittelzulassung bzw. Deckungsvorsorge wäre ebenfalls wichtig gewesen. ({1}) Auch die Haftungshöchstbeträge könnten durchaus höher sein. Wenn Kollegin Lambrecht in ihrer Rede zur ersten Lesung äußerte: „Es ist oft so, dass Dinge von großer Tragweite ohne die große Aufmerksamkeit stattfinden“, dann hat sie sicherlich Recht. Aber ich habe im Zusammenhang mit der Diskussion dieses Gesetzentwurfs die Erfahrung gemacht: Autofahrer merken alles und machen auch schnell mobil. Das hat ein wenig genutzt. Dass der ursprünglich vorgesehene vollständige Verzicht auf den Haftungsausschluss des „unabwendbaren Ereignisses“ und seine Ersetzung durch den Haftungsausschluss bei „höherer Gewalt“ nicht apodiktisch aufrechterhalten wurde, ist vernünftig. Nun muss sich zeigen, wie die modifizierte Regelung beim Schadensausgleich bei mehreren haftpflichtigen Fahrzeughaltern wirken wird. Das gilt auch für die Unabwendbarkeitsdefinition. Was noch übrig bleibt, ist die Einführung eines Schmerzensgeldes für die verschuldungsunabhängige Gefährdungshaftung. Wie schmerzhaft sich diese Regelung für die Autofahrer auswirkt, muss man abwarten. Finanzschwache Geschädigte werden im Einzelfall sowohl den Autofahrer als auch die Verkehrsunternehmen belasten. Wie häufig das vorkommen wird und wie hoch die Belastungen sein werden, wird sich zeigen. Da ich gegen ungerechtfertigt hohe Belastungen bin, halte ich alsbald einen Bericht für notwendig, aus dem man gegebenenfalls die entsprechenden Konsequenzen ziehen kann. Die Einschränkung der fiktiven Abrechnung bei KfzSchadensfällen durch Ausschluss des Ersatzes der fiktiven Umsatzsteuer lehne ich dagegen ab. Das bedeutet eine Beschneidung der Dispositionsbefugnis der Betroffenen und trifft letztlich vor allem finanzschwache Geschädigte. Insofern unterstütze ich den diesbezüglichen Änderungsantrag der FDP. Trotz meiner kritischen Anmerkungen zu bestimmten Fragen befürwortet meine Fraktion den vorliegenden Gesetzentwurf; denn alles in allem verbessert er die gegenwärtige Rechtslage. In der nächsten Legislaturperiode müssen wir jedoch nach einer rechtstatsächlichen Wirksamkeitsanalyse das Gesetz nochmals einer kritischen Überprüfung unterziehen. Danke. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Hartenbach.

Alfred Hartenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002669, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Verehrter Kollege Götzer, Sie haben vorhin zuerst vermutet, dass ich schlafe, dann aber festgestellt, dass ich wachsam sei wie ein Luchs. Ich möchte mich bei Ihnen für dieses Kompliment bedanken und überreiche Ihnen deshalb die CD „Don Cato - Die Rückkehr des Luchses“. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zum Abschluss der Debatte hat das Wort die Kollegin Christine Lambrecht für die SPD-Fraktion.

Christine Lambrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde versuchen, in ähnlich charmanter Weise wie Herr Hartenbach meine Rede zu gestalten. ({0}) - Lassen Sie sich überraschen. Ich wäre mir an Ihrer Stelle nicht so sicher, ob ich das schaffen kann. Lassen Sie mich gleich zu Beginn meiner Rede etwas zu den Änderungsanträgen der FDP sagen. Herr Funke, Sie haben kritisiert, dass bei der Regulierung eines Schadens, der aufgrund eines Gutachtens, aber ohne tatsächliche Reparatur erfolgt, die Umsatzsteuer nicht mehr erstattet werden solle. Noch einmal zur Klarstellung: Wenn jemand seinen Unfallschaden in einer Werkstatt reparieren lässt und zusätzlich zu den Reparaturkosten die 16-prozentige Umsatzsteuer zahlen muss, dann bekommt er auch nach der Novellierung des jetzt geltenden Gesetzes die Umsatzsteuer erstattet. Ich halte es aber nur für logisch, dass jemandem, der eine Reparatur nicht ausführen lässt und demnach auch keine Umsatzsteuer zahlt, keine Umsatzsteuer erstattet wird. Das entspricht dem Prinzip der Naturalrestitution, wonach keine Überkompensation erfolgen darf, das heißt, man darf nicht besser gestellt werden als vor dem Schaden. Im Übrigen finde ich es sehr dreist, dass Sie in diesem Zusammenhang in Ihren Änderungsanträgen ausgerechnet auf die so genannten freien Reparaturwerkstätten hinweisen und behaupten, dass diese nun benachteiligt würden. Ich finde, das ist beinahe schon rufschädigend für diese Art der Werkstätten. Ich sage Ihnen: Eine freie Werkstatt, die die Arbeiten sauber und ordentlich durchführt, steht einer an einen Autohersteller gebundenen Werkstatt in nichts nach. Ich möchte Ihnen aus meinem kurzen Leben ein Beispiel geben: Ich habe während meines Jurastudiums an der Kasse einer Tankstelle gejobbt, an die eine freie Reparaturwerkstatt angeschlossen war. Mein damaliger Chef hat die Reparatur- und Wartungsarbeiten, die TÜVVorbereitungsarbeiten und die ASU-Untersuchungen immer zur vollsten Zufriedenheit seiner Kunden durchgeführt. Wenn einer seiner Kunden einen bei einem Verkehrsunfall entstandenen Schaden hatte, dann brachte er sein Auto zur Reparatur in diese Werkstatt. Mein damaliger Chef hatte überhaupt keine Probleme, ganz normal, also inklusive Mehrwertsteuer, abzurechnen. Die Schadensregulierung hat also mit der Frage der Umsatzsteuer nichts, aber auch gar nichts zu tun. Dass Sie das wissen und dass Sie von dem, was Sie in Ihren Änderungsanträgen fordern, gar nicht überzeugt sind, zeigt ein Gesetzentwurf aus der 13. Legislaturperiode. In der letzten Legislaturperiode hat nämlich die FDP den Justizminister gestellt. Interessanterweise waren ausgerechnet Sie, Herr Funke, damals Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz. ({1}) Aus dem damaligen Justizministerium kam damals ein Gesetzentwurf, der Folgendes vorsah - gestatten Sie, dass ich zitiere -: Bei der Beschädigung einer Sache beläuft sich der Geldbetrag auf die nachgewiesenen Kosten der Reparatur. Soweit der Geschädigte auf die Wiederherstellung durch einen gewerblichen Betrieb verzichtet, bleiben die in dem Betrag enthaltenen öffentlichen Abgaben bei der Feststellung des Schadensersatzes außer Ansatz. Das heißt, Sie gingen sogar noch einen Schritt weiter. Sie haben nicht nur gesagt, dass die Umsatzsteuer nicht erstattet wird, sondern dass auch die öffentlichen Abgaben, sprich: die Sozialabgaben, nicht erstattet werden. ({2}) - Ich finde das schon sehr dreist. Sie haben Recht. - In der Begründung heißt es: Der Geschädigte kann auch wie bisher auf eine Reparatur ganz verzichten oder die beschädigte Sache in sonstiger Weise wiederherstellen. Für den Geschädigten ist - trotz der Einschränkung, dass ihm die öffentlichen Abgaben nicht erstattet werden sichergestellt, - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen dass er grundsätzlich weiterhin den vollen Ersatz seines Schadens erhält. Allerdings muss er nun eine Entscheidung treffen, welche der beiden Alternativen für ihn vorteilhaft ist.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Funke?

Christine Lambrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. Herr Funke und ich haben unsere Argumente im Rechtsausschuss bereits ausgetauscht. Darauf komme ich gleich zu sprechen. In Ihrem Entwurf von 1998 gingen Sie viel weiter, als wir das nun tun. Jetzt kritisieren Sie das Ganze. Ich weiß nicht genau, was ich davon halten soll. ({0}) Ich weiß nicht, wie die Bürgerinnen und Bürger Ihre Position in diesem Zusammenhang einschätzen. Vielleicht war der Gesetzentwurf von 1998 gar nicht ernst gemeint, das heißt, er entsprach gar nicht Ihrer Position, obwohl er aus Ihrem Hause kam. ({1}) Wir werden diesen Antrag ablehnen. Was Sie vorgetragen haben, ist nicht sonderlich glaubwürdig. Ähnlich verhält es sich mit Ihrem zweiten Änderungsantrag, in dem Sie einen Auskunftsanspruch auf Gegenseitigkeit im Arzneimittelrecht fordern. Einen Schwerpunkt des heute zu verabschiedenden Gesetzentwurfs bildet die Beseitigung von Haftungslücken bei Arzneimittelschäden. Seit dem Skandal um aidsverseuchte Blutprodukte zu Beginn der 90er-Jahre besteht Einigkeit, dass der Schutz geschädigter Arzneimittelanwender dringend verbessert werden muss. Die Koalition bringt die seit zwei Legislaturperioden andauernde Diskussion über die notwendigen Änderungen im Arzneimittelgesetz endlich zum Abschluss. ({2}) Unter Berücksichtigung der Ergebnisse des 3. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages zu den HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte wird die haftungsrechtliche Position des Arzneimittelanwenders durch mehrere Neuregelungen konsequent gestärkt. Es wird ein Auskunftsanspruch des Geschädigten eingeführt, der sich gegen die pharmazeutischen Unternehmen richtet, aber auch gegen die für die Zulassung und Überwachung des Arzneimittels zuständige Behörde. Eine Reihe von Beweiserleichterungen, wie eine dem Umwelthaftungsgesetz nachgebildete Kausalitätsvermutung, trägt der besonders schwierigen Beweissituation des geschädigten Anwenders Rechnung. Jetzt ist ausreichend, dass der Geschädigte im Einzelfall die Schadensgeeignetheit des Arzneimittels darlegt. Es liegt in den Händen des Herstellers, dies zu widerlegen. Dass dies jetzt im Interesse der Anwender leichter möglich ist, ist Folge des eingeführten Auskunftsanspruchs des Arnzeimittelanwenders. Sie, meine Damen und Herren der FDP, wollen, dass dies ein Anspruch auf Gegenseitigkeit ist, das heißt, er soll im gleichen Umfang auch den Arzneimittelherstellern gegenüber den Verbrauchern zustehen. Das verwundert schon. Sie übersehen offensichtlich völlig, dass im Rahmen einer Schadensersatzklage wegen einer Schädigung, etwa durch ein Medikament, der Geschädigte schon durch die Vorlage der erforderlichen Krankenakten einen weit gehenden Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte zulassen muss. Das wollen Sie noch mehr ausweiten, egal, ob die erlangte Information etwas mit dem konkreten Fall zu tun hat oder nicht. Wenn ich mir den besagten Entwurf aus der letzten Legislaturperiode anschaue, dann muss ich feststellen, dass Sie dort ebenfalls einen Auskunftsanspruch des Geschädigten vorgesehen haben, wenn auch in modifizierter Form, jedoch keine Gegenseitigkeit. Es gilt das bereits Gesagte: In Ihren Änderungsanträgen fordern Sie etwas, was von Ihnen selbst nicht vorgesehen war. Das spricht nicht für eine glaubwürdige Politik und ist bei einem so wichtigen Gesetz wie dem vorliegenden nicht angebracht. Lassen Sie mich jetzt noch etwas zu dem Entschließungsantrag sagen, der Ihnen vorliegt. Sämtliche Verbesserungen sind gut und schön; aber es muss auch beobachtet werden, ob sie sich in der Realität, das heißt in der Praxis, durchsetzen lassen. Aus diesem Grunde wollen wir Bericht darüber bekommen, inwieweit die Dokumentation so erfolgt, dass diese Rechte auch durchgesetzt werden können. Darüber hinaus wollen wir nach drei Jahren einen Bericht darüber vorgelegt bekommen, wie sich die Änderungen der schadensersatzrechtlichen Vorschriften ausgewirkt haben. Das entspricht bei weitem nicht der Forderung nach einem Fonds, Herr Funke. Auch ich als Jurist weiß, dass es keinen Fonds als Auffangtatbestand geben kann und geben wird. Aber es muss ja wohl gestattet sein, zu schauen, ob sich das, was wir heute beschließen, in der Realität bewährt oder ob in dem einen oder anderen Punkt noch eine Veränderung erforderlich ist. Lassen Sie mich zum Schluss noch zu einem zentralen Ansatz der Neuregelung des Schadensersatzrechts kommen, dem verbesserten rechtlichen Schutz der Kinder im Straßenverkehr. Mich hat die Medienberichterstattung zu diesem Thema - das muss ich zugeben - zum Teil schon sehr verwundert. Offensichtlich trägt man in einigen Medien der Tatsache Rechnung, dass der größte Teil der Leser bzw. der Zuschauer Autofahrer sind. Ein großer Teil sind aber auch Eltern. Der Blick unserer Politik auf die Welt sollte nicht der Blick durch die Frontscheibe eines Autos sein. ({3}) Unser Blick bezieht vielmehr alle Verkehrsteilnehmer mit ein. Wir wissen, dass Kinder aufgrund ihrer Statur und ihres Wahrnehmungsvermögens im Straßenverkehr benachteiligt und besonders gefährdet sind. Dies bestätigen die Zahlen von Verkehrsunfällen, an denen Kinder beteiligt sind. In meinem Wahlkreis - Bergstraße - wurden im Jahr 2001 1 640 Menschen im Straßenverkehr verletzt. Davon waren 123 unter 15 Jahren. Zwei in der Altersgruppe kamen bedauerlicherweise sogar zu Tode. Das macht deutlich: Kinder sind im Straßenverkehr besonders gefährdet und bedürfen eines besonderen Schutzes. Diesem Umstand tragen wir jetzt Rechnung. Es gilt inzwischen als erwiesen, dass Kinder aufgrund ihrer physischen und psychischen Fähigkeiten frühestens ab Vollendung des 10. Lebensjahres imstande sind, die besonderen Gefahren des Straßenverkehrs zu erkennen und sich dann auch dementsprechend zu verhalten. Das Gesetz zieht daraus die notwendigen Konsequenzen für das Haftungsrecht. Die Haftung von Kindern vor Vollendung des 10. Lebensjahres wird nunmehr ausgeschlossen. Nur zur Klarstellung, damit hier nichts, wie in manchen Medien, in den falschen Hals gerät: Hiervon werden keine Vorsatztaten erfasst. Das heißt, das Werfen von Kanaldeckeln auf Autobahnen oder andere Straßen führt selbstverständlich auch weiterhin zur Haftung. Das wird von dieser Novellierung nicht berührt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Christine Lambrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. - Lassen Sie mich noch den Dank an die Kolleginnen und Kollegen aus dem Rechtsausschuss aussprechen. Wir haben dort in sehr sachlicher Weise über die Novellierung beraten. ({0}) Mein Dank geht ganz besonders an die Vertreter des Justizministeriums, allen voran an die Frau Ministerin, die heute krankheitsbedingt nicht dabei sein kann, an den Parlamentarischen Staatssekretär nicht minder, aber ganz besonders an die Mitarbeiter, die keine Mühen gescheut haben, um uns mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Dass ein guter Gesetzentwurf zustande gekommen ist, der im Großen und Ganzen aus dem Wahlkampfgetöse herausgehalten werden konnte, sieht man am Abstimmungsergebnis im Rechtsausschuss. Alle vertretenen Parteien - außer der FDP - haben zugestimmt. Zur Glaubwürdigkeit Ihrer Position, meine Kolleginnen und Kollegen der FDP, habe ich schon einiges ausgeführt. Ich kann Sie im Interesse der Sache nur auffordern, dieser sinnvollen und dringend notwendigen Novellierung heute hier zuzustimmen. Vielen Dank. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Funke das Wort. ({0})

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Lambrecht, Sie haben in diese Diskussion jetzt doch ein bisschen Schärfe hineingebracht. ({0}) - Nein, das kann ich gar nicht; das wissen Sie auch. - Sie sollten sich nicht nur auf Ihre sehr klugen juristischen Ausführungen beschränken, sondern sich auch einmal die politische Situation in der letzten Legislaturperiode vergegenwärtigen. Es hatte zuvor einen Untersuchungsausschuss gegeben. Da sind Emotionen entstanden, auch bei Kollegen der CDU beispielsweise. Sie haben hinsichtlich des Arzneimittelrechts einen dringenden Änderungsbedarf geltend gemacht. Das Justizministerium ist natürlich auch Dienstleister. Insoweit ist in diesem Dienstleistungsbereich ein Gesetzentwurf entstanden, den Sie ja zitiert haben. Aber dass man politisch nicht immer hinter diesen Gesetzen gestanden hat, können Sie sich vielleicht vorstellen. ({1}) Dass wir dieses Gesetz nicht wollten, habe ich immer deutlich gemacht, auch in den Beratungen. ({2}) Dass es nicht zu diesem Gesetz gekommen ist, haben wir sicherlich mit zu vertreten gehabt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun darf die Kollegin Lambrecht antworten.

Christine Lambrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe Sie dann recht verstanden, Herr Funke, dass Sie, wie ich es in meiner Rede auch schon ausgeführt habe, als Parlamentarischer Staatssekretär im Justizministerium, das von einem FDPMinister geleitet wurde, einen Gesetzentwurf vorgelegt hatten, der zu keinem Zeitpunkt von Ihnen ernst gemeint war. Das war also lediglich weiße Salbe, gefühlvoll verabreicht für die verängstigten und emotional aufgeregten Kollegen der CDU/CSU. - Das ist das Fazit, das ich jetzt aus Ihrem Redebeitrag ziehe. Vielen Dank. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, Drucksachen 14/7752 und 14/8780. Es liegen Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/8797? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der FDP, bei Enthaltung der CDU/CSU mit den Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen, SPD und PDS abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/8798? - Gegenprobe! - Der Antrag ist abgelehnt. ({0}) - Das Präsidium ist sich einig. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der FDP ist der Gesetzentwurf in der Ausschussfassung und damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen der FDP in dritter Lesung angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/8799. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung von CDU/CSU ist der Entschließungsantrag angenommen. Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten KarlJosef Laumann, Brigitte Baumeister, Rainer Eppelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Arbeitsrecht flexibilisieren - Beschäftigung schaffen - Drucksache 14/8267 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Das ist jetzt so beschlossen. ({2}) - Ich lese einmal die vereinbarte Redezeiten vor. Vielleicht können sich die Geschäftsführer darauf einigen: CDU/CSU sieben Minuten, SPD sieben Minuten, Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten, FDP fünf Minuten und PDS fünf Minuten. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Kollegen Karl-Josef Laumann. Bitte sehr. ({3})

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute den von der Union eingebrachten Antrag mit dem Titel „Arbeitsrecht flexibilisieren - Beschäftigung schaffen“. Wir haben in unserem Antrag eine Reihe von Vorschlägen zur Reform des Arbeitsrechts gemacht, von der Ermöglichung betrieblicher Bündnisse für Arbeit über eine Lockerung der Arbeitnehmerüberlassung bis hin zur Erleichterung befristeter Arbeitsverhältnisse. In dem Antrag wird deutlich aufgezeigt, worin die Unterschiede zwischen SPD und Union liegen: Nicht in der weiteren Zementierung des Arbeitsrechts liegt die Lösung der Beschäftigungskrise, sondern in einem modernen, an den betrieblichen Erfordernissen orientierten Arbeitsrecht. Die Bundesregierung hat auf dem Gebiet der beschäftigungsorientierten Flexibilisierung des Arbeitsrechts völlig versagt. Die seit Regierungsantritt vom Arbeitsminister durchgeführten Reformen waren nicht auf ein Mehr an Beschäftigung gerichtet, sondern haben die ohnehin starren arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen noch verhärtet. Das Ergebnis liegt auf der Hand: eine konstant hohe Arbeitslosigkeit trotz demographischer Entlastung, ein Rekordniveau bei den Insolvenzen und steigende Sozialversicherungsbeiträge. Der zum 1. Januar 2001 eingeführte Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit hat in der betrieblichen Praxis zu vielfältigen Problemen geführt. Die unterschiedlichen Entscheidungen der Arbeitsgerichte sind Beleg hierfür. So wundert es nicht, wenn Fachanwälte für Arbeitsrecht zusammenfassend feststellen: Bis hier das Bundesarbeitsgericht Klarheit geschaffen hat, scheint die Umsetzung des Teilzeitanspruches in jeder Hinsicht unkalkulierbar. So zu lesen in der „FAZ“ am 6. April dieses Jahres. So schreibt auch der Sachverständigenrat in seinem Gutachten: Die anderen in diesem Jahr vorgenommenen gesetzlichen Änderungen sind für die Flexibilität eindeutig kontraproduktiv. Und weiter heißt es: Demnach hat das Gesetz beschäftigungshemmende Effekte für teilzeitinteressierte Arbeitnehmer. Hätten Sie auf die Fachleute wirklich gehört, hätten Sie ein solches Gesetz nicht verabschiedet. So hat der 63. Deutsche Juristentag im September 2000 vor einem wie dem von Ihnen verabschiedeten Gesetz gewarnt und klar festgestellt: „Ein Teilzeitanspruch für alle Arbeitnehmer darf nicht begründet werden.“ Die Regierung hat auch die Forderungen des Sachverständigenrats nach Flexibilisierung des Arbeitsrechts ignoriert. Unter der Überschrift „Wo der Gesetzgeber gefragt ist“ fordert der Sachverständigenrat - wie auch die Union -, endlich eine Modifikation des Günstigkeitsprinzips innerhalb des Tarifvertragsgesetzes vorzunehmen, um betriebliche Bündnisse für Arbeit auf eine rechtlich einwandfreie Grundlage zu stellen. Dabei geht es nicht, wie von Ihnen immer wieder behauptet, um die Abschaffung der Tarifautonomie. Vielmehr geht es darum, die ohnehin gängige Praxis endlich abzusichern. Jeder von uns kennt doch Betriebe, in denen Unternehmensführung, Betriebsrat und die Beschäftigten sich auf Entgelt- oder Arbeitszeitregelungen verständigt haben, die am geltenden Tarifvertrag vorbeigehen, aber letztlich den Bestand des Betriebes und damit die Arbeitsplätze sichern. Die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände dulden diese Tarifabweichungen in aller Regel, weil es ihnen um die Sicherung von Arbeitsplätzen geht. Ich meine, hier darf man nicht wegschauen, sondern muss sich zu diesen Bemühungen der Betriebspartner klar bekennen und die rechtlichen Rahmenbedingungen für betriebliche Bündnisse für Arbeit schaffen. Die gesetzgeberische Umsetzung scheitert in diesem Haus allein an den Strukturkonservativen in der SPD. Union, FDP und auch die Grünen dagegen wollen die betrieblichen Bündnisse für Arbeit auf eine sichere Rechtsgrundlage stellen. Allein die SPD-Ideologen verhindern durch ihren Widerstand, dass in vielen Fällen Arbeitsplätze gerettet werden könnten. ({0}) Als Ergebnis dieser Politik des Nichtstuns steigt stattdessen die Zahl der Insolvenzen auf ein Rekordniveau. Nicht nur die Wirtschaftssachverständigen haben die Beschäftigungspolitik in Deutschland stark kritisiert, sondern auch die Europäische Union. So hat die Europäische Kommission am 12. September 2001 Deutschland ein besonders schlechtes Zeugnis ausgestellt. Dort heißt es, Deutschland müsse Arbeitsverträge und Arbeitsorganisation flexibilisieren. Der Bundeskanzler wartet dagegen nur auf die konjunkturelle Erholung. Abwarten allein aber wird die Probleme auf dem Arbeitsmarkt nicht lösen. Reformen müssen endlich her, um den Arbeit Suchenden wieder neue Perspektiven zu geben. Das Fazit ist klar: Deutschland braucht einen flexibleren Arbeitsmarkt für mehr Beschäftigung. Mit der jetzigen Bundesregierung war dies und wird dies auch in Zukunft leider nicht zu schaffen sein. Heute diskutieren wir das erste Mal über unseren Antrag. Da nicht mehr so viele Themen im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung auf der Tagesordnung stehen, würde ich mir schon wünschen, dass unser Antrag und damit unsere konkreten Vorschläge dort einmal Punkt für Punkt unideologisch diskutiert werden. ({1}) Ich habe in meiner Rede mit vielen Beispielen aus der Fachwelt und aus der Politik sowie mit Stellungnahmen von unabhängigen Sachverständigenkommissionen deutlich gemacht - das wird uns schon seit Jahren gesagt -, was in diesem Bereich zu tun ist. Da ich weiß, dass man mit diesem Thema große Emotionen wecken kann, ({2}) würde es dem Arbeitsmarkt dienen und sicherlich auch die Politik auszeichnen, wenn wir wenige Monate vor der Wahl einmal unideologisch über solche schwierigen Fragen miteinander reden könnten. Schönen Dank. ({3})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat nun der Kollege Klaus Brandner für die SPD-Fraktion.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Laumann, Ihr Antrag trägt den Titel „Arbeitsrecht flexibilisieren - Beschäftigung schaffen“. Ich bin wirklich davon beeindruckt, ({0}) dass Sie sich einen solch schönen Titel für Ihren unsäglichen Antrag ausgedacht haben. Flexibilisieren ist ja eines von den derzeit so beliebten Modezauberwörtern; alles muss flexibel sein. Wenigstens mit dem Titel Ihres Antrages liegen Sie voll im Trend. Aber mit dem Inhalt, der sich dahinter verbirgt, befinden Sie sich auf der Gegenfahrbahn. ({1}) Jeder von uns weiß: Wer sich auf der Gegenfahrbahn befindet, der kommt nicht vorwärts. Er muss zurückrudern. ({2}) Für Sie gilt die simple Gleichung: je weniger Arbeitsrecht, desto mehr Beschäftigung. Diese Auffassung ist absurd. Tatsächlich besteht kein nachgewiesener Zusammenhang zwischen dem Arbeitsrecht und der Höhe der Arbeitslosigkeit. ({3}) Das zeigt auch ein vergleichender Blick auf Europa. Selbst die OECD, gewiss eine eher wirtschaftsfreundliche internationale Institution, kommt in ihrer Analyse zu dem Schluss, dass ein solcher Zusammenhang empirisch nicht nachweisbar ist. Der Abbau von Arbeitsrechten während Ihrer Regierungszeit hat jedenfalls nicht zu mehr, sondern zu weniger Beschäftigung geführt. Zur Erinnerung und um Ihnen einen Spiegel vorzuhalten, will ich Ihnen folgende Zahlen nennen: 1996 - das war das Jahr, in dem Sie das grausame Sparpaket beschlossen haben - hatten wir 3,96 Millionen Arbeitslose. Nachdem Ihre gesetzlichen Maßnahmen zur Deregulierung griffen, hatten wir 1997 im Jahresdurchschnitt 4,38 Millionen Arbeitslose. Die Auffassung, dass der Abbau von Schutzrechten zu mehr Beschäftigung führt, ist damit eindeutig widerlegt. ({4}) Genau das Gegenteil tritt ein. Ich war im Übrigen nicht nur beeindruckt, sondern auch ein wenig überrascht angesichts des so sorgsam formulierten Titels Ihres Antrages. Ansonsten sind Sie von der Opposition nicht so wählerisch in Ihrer Wortwahl. Herr Stoiber und Frau Merkel sprechen immer gern davon, dass der Arbeitsmarkt und das Arbeitsrecht „entrümpelt“, „entriegelt“ oder „entfesselt“ werden müssten. ({5}) Sie tun gerade so, als hätten wir den Arbeitsmarkt geknebelt. Das ist ein ungeheuerlicher Vorwurf. Wir haben die Schutzrechte der Arbeitnehmer verbessert und wir haben da, wo es notwendig war, den Missbrauch eingeschränkt. Wir haben Ihre sozialen Versäumnisse aufgearbeitet und Fehlentwicklungen korrigiert. ({6}) Mich wundert in diesem Zusammenhang, dass gerade die Sozialpolitiker in den Reihen der CDU/CSU das noch nicht gemerkt haben. Man sieht, wie tief Sie gesunken sind. Ein ganz wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist das Teilzeit- und Befristungsgesetz. Mit dem Gesetz über Teilzeit und befristete Arbeitsverträge haben wir einen effektiven Beitrag zum Beschäftigungsaufbau und zur Beschäftigungssicherung geleistet. Wir haben damit zwei Missstände beseitigt: erstens den Mangel an Teilzeitarbeitsplätzen und zweitens den Missbrauch von befristeten Arbeitsverträgen. ({7}) Es war gut und richtig, die Dauerbefristungen abzuschaffen. Dauerbefristungen und die Umgehung des Kündigungsschutzes haben nie zu unbefristeten Arbeitsverträgen, sondern zur Rechtlosigkeit von Arbeitnehmern geführt. Dort, wo eine Befristung wirklich zur Beschäftigung beiträgt, haben wir sie erhalten und sogar ausgedehnt. Für Arbeitnehmer ab dem 58. Lebensjahr sind befristete Einstellungen weiterhin dauerhaft möglich. Dies hält den Zugang zum Arbeitsmarkt lange offen und verbessert die Einstiegschancen - und das übrigens mit Erfolg: In den letzten drei Jahren, in denen wir die Regierungsverantwortung hatten, ist die Arbeitslosigkeit der über 55-Jährigen um 250 000 gesunken. Das belegt, dass unsere Politik richtig ist und auf dem Arbeitsmarkt wirkt. ({8}) Der Teilzeitanspruch war unsere Antwort auf das steigende Bedürfnis nach Teilzeitarbeit. Das ist wahre Flexibilisierung! In statistischen Erhebungen ist nachgewiesen worden, dass Arbeitnehmer zunehmend den Wunsch nach Teilzeitarbeit haben. Wir haben das gesetzlich möglich gemacht. Sie können das zum Beispiel an den Zahlen des Mikrozensus für Baden-Württemberg, der im Jahr 2001 veröffentlicht worden ist, nachlesen. Von 1980 bis 2001 ist dort die Teilzeitquote von 14 auf 24 Prozent gestiegen. Fast jede zweite weibliche Beschäftigte, 47 Prozent, arbeitet in Teilzeit. Ein besonders sprunghafter Anstieg der Teilzeitbeschäftigung ist in dem Bereich der bis zu 21 Wochenstunden Beschäftigten erfolgt. Die Zahl der BeschäfKarl-Josef Laumann tigten, die bis zu 15 Stunden arbeiten, hat sich von 1990 bis heute mehr als verdoppelt. ({9}) Aus den bisherigen Erfahrungen in der Praxis wissen wir, dass der Teilzeitanspruch flexibel und praktikabel ist. Die Behauptung der CDU/CSU, das neue Gesetz verhindere Jobs, ist schlichtweg falsch und wurde durch diese Zahlen nachdrücklich widerlegt. ({10}) Wenn man den uns heute vorliegenden Antrag genau liest, dann wird leider deutlich, was Sie tatsächlich wollen: Es geht Ihnen nicht um eine Flexibilisierung, sondern darum, den Arbeitnehmern Rechte und Gestaltungsmöglichkeiten wegzunehmen. Da hilft es auch nicht, dass der Kanzlerkandidat mit wolkigen Aussagen durch das Land reist und verkündet, er wolle auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zugehen. Damit will der bayerische Ministerpräsident nur von seiner wahren Politik ablenken. Denn hier wird schwarz auf weiß offenbar, was die CDU/CSU eigentlich im Schilde führt: Sie wollen nicht nur die Rechte zum Schutz der Arbeitnehmer beschneiden, sondern gleichzeitig auch die Mitbestimmung wieder einschränken, weil sie angeblich zu teuer ist. Was haben Sie eigentlich gegen mehr Teilhabe, gegen mehr Demokratie in den Betrieben? Mit der Reduzierung der Mitbestimmung nehmen Sie den Arbeitnehmern die Möglichkeit, an der Sicherung und dem Erhalt der Beschäftigung selber mitzuwirken. Dabei ist das Kostenargument nur vorgeschoben. Die zusätzlichen Kosten werden nämlich durch eine kompetente und qualifizierte Arbeit der Betriebsräte wettgemacht. Das, was hingegen Sie in Ihrem Antrag vorschlagen, grenzt an einen Missbrauch der Betriebsräte. Kollege Laumann hat es gerade deutlich gemacht: Sie wollen, dass die Betriebsräte Vereinbarungen treffen, die die Tarifverträge unterlaufen. Das ist ein Angriff auf die Tarifautonomie. ({11}) Das gilt, eindeutig gesagt, auch für die Vorschläge zum Tarifvertragsgesetz, die Sie hier formuliert haben. Tarifverträge, die nicht verbindlich sind, sind nämlich nichts wert. ({12}) Die Tarifverträge und die Tarifpolitik in Deutschland sind flexibel. Da Sie der Sozialdemokratischen Partei in diesem Zusammenhang Ideologie unterstellen, muss ich Ihnen sagen: Ideologie führen Sie ein, weil Sie einseitig Arbeitgeberinteressen formulieren. So plappern Sie in Ihrem Antrag von Punkt 1 bis zum Schluss nur die politischen Forderungen nach, die die Arbeitgeber in diesem Land vorher formuliert haben. Von Arbeitnehmerorganisationen, von Gewerkschaften, findet man in Ihrem Antrag nicht ein Wort. Das zeigt, welche Positionierung Sie in diesem Lande eingenommen haben. ({13}) Die Tarifverträge, die gerade bei VW abgeschlossen worden sind, zeigen, dass die Gewerkschaften keine Prinzipienreiter sind, sondern nach vorne marschieren, wenn es um die Beschäftigten, um Neueinstellungen und die Nutzung neuer Chancen geht. Die Union ist in diesem Fall aus meiner Sicht auf einem Holzweg. Sie unterschätzt nämlich die Wähler. Die lassen sich nichts vormachen. Das zeigt sehr eindrucksvoll die letzte Forsa-Umfrage.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme sofort zum Schluss. - Der Unionskanzlerkandidat verliert nämlich durch diese Politik bei den Bürgern - auch bei den Managern - deutlich an Zustimmung. ({0}) AP meldet: Kanzlerkandidat Stoiber im Stimmungstief. ({1}) Die Popularität von Kanzlerkandidat Edmund Stoiber ist einer Umfrage zufolge stark gesunken. Nur 29 Prozent der Deutschen würden den CDU/CSU-Kandidaten derzeit direkt zum Bundeskanzler wählen - 6 Prozent weniger als in der Vorwoche. Das ist das Ergebnis einer Politik, mit der Sie den Arbeitnehmern vorgaukeln wollen, Sie wollten für sie mehr Beschäftigung erreichen; tatsächlich wollen Sie ihre Rechte abbauen. Das können Sie mit Sozialdemokraten nicht machen. Wir stehen für die Arbeitnehmerrechte. Wir werden dafür auch weiterhin eintreten und erfolgreiche Beschäftigungspolitik betreiben. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat der Kollege Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion das Wort.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht, Herr Kollege Brandner, anders als Sie hier vorgetragen haben, eben nicht darum, Rechte zu mindern oder gar zu beseitigen. Vielmehr geht es uns darum - das nehme ich für uns in Anspruch -, die Voraussetzungen für mehr Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen. ({0}) Den Kollegen von der Unionsfraktion muss man Recht geben, wenn sie in ihrem Antrag schreiben: Die Bundesregierung hat auf dem Gebiet der beschäftigungsorientierten Flexibilisierung des Arbeitsrechts versagt. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Ich habe Ihnen, Herr Brandner, in den letzten dreieinhalb Jahren in fast jeder Debatte zum Thema Arbeitsrecht Ihre Sündenfälle vorgetragen - ob es um das 630-MarkGesetz, um Scheinselbstständigkeit, befristete Arbeitsverhältnisse, Teilzeitarbeit, Reform der Betriebsverfassung oder die völlig verkorkste Neuregelung des Betriebsübergangs in § 613 a BGB ging. ({1}) All das hat leider nicht gefruchtet. Vielmehr hat die rotgrüne Bundesregierung entgegen dem Rat aller Sachverständigen weiter reglementiert, den deutschen Arbeitsmarkt weiter „verriestert“ und verrammelt. Damit haben Sie das Gegenteil von dem erreicht, was eigentlich das Ziel sein sollte, nämlich mehr Beschäftigung. ({2}) Letztendlich, Herr Brandner - ich will es Ihnen noch einmal erklären -, sind Empirie und Wissenschaft an der Stelle gar nicht so ausschlaggebend. Die Frage ist: Wie empfinden die Menschen, die in Deutschland über Beschäftigung entscheiden, also diejenigen, die konkret einen Arbeitsplatz anbieten - oder auch nicht -, die Regelungen, die Sie geschaffen haben? Hier muss man sagen: Ihre Regelungen sind deutlich kontraproduktiv. Insbesondere dem Mittelstand steht zunehmend die Regelungsdichte, die er von Ihnen auferlegt bekommt, bis zum Hals. Das führt dazu, dass Beschäftigungsdynamik nicht stattfindet. ({3}) Wenn Sie, Herr Brandner, aber nicht bereit sind, das aus dem Mund eines mittelständischen Unternehmers entgegenzunehmen, dann muss ich doch einmal aus den Gutachten des Sachverständigenrates zitieren. Zum Rechtsanspruch auf Teilzeit - dazu hat Herr Kollege Laumann auch schon zitiert - heißt es dort: Demnach hat das Gesetz beschäftigungshemmende Effekte für teilzeitinteressierte Arbeitnehmer. Das sagt Ihr Sachverständigenrat! - Zur Einschränkung der Befristungsmöglichkeiten heißt es dort: Auf diese Weise wird die Nachfrage nach Arbeitnehmern reduziert. Auch das schreibt Ihr Sachverständigenrat! - Zur so genannten Reform der Betriebsverfassung heißt es: Zu befürchten ist, dass die inhaltliche Erweiterung der Mitbestimmung in den unternehmerischen Handlungsspielraum eingreift, die Betriebsabläufe komplizierter macht und damit der notwendigen Flexibilität bei den betrieblichen Entscheidungsprozessen entgegenwirkt. Daran sehen Sie doch, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün: Es hat eine Ursache, dass Sie nach dreieinhalb Jahren mit Ihrer Arbeitsmarktpolitik gescheitert sind ({4}) und dass wir, anders als alle anderen Länder in Europa, im letzten Aufschwung eben nicht die Arbeitslosigkeit reduziert haben. Sie haben im Vergleich die schlechteste Arbeitsmarktbilanz in ganz Europa. Sie haben die Chance vertan, Strukturreformen durchzusetzen. Im Bündnis für Arbeit wurde zwar groß debattiert, ({5}) aber der entsprechende Benchmarkingbericht durfte gar nicht veröffentlicht werden, weil Empfehlungen geäußert wurden, die konträr zu Ihrer Politik im Deutschen Bundestag standen. ({6}) Herr Kollege Laumann hat ja gesagt, mit diesem Antrag würden die Unterschiede zwischen CDU/CSU und SPD deutlich. Ich will hier klar sagen: Mit dem vorliegenden Antrag, Herr Laumann, werden auch die Unterschiede zwischen CDU/CSU und FDP sehr deutlich. Wir teilen mit Ihnen die Analyse des heute zu debattierenden Antrages. Bei den Lösungen sind wir dann aber im Detail doch etwas konkreter. Um es umgekehrt zu sagen: Ich finde Ihre Lösungsvorschläge oft zu bescheiden, zu zaghaft und zu wenig entschlossen. ({7}) So wollen Sie, ausgehend von dem Bekenntnis zur Tarifautonomie die „Möglichkeiten tarifdispositiver Rechtsvorschriften genutzt, aber auch, um tarifdispositive Regelungen erweitert“ sehen. ({8}) Schön gesagt, aber welche? Mit diesen Leerformeln können wir nichts anfangen. Sie wollen den Spielraum für betriebliche Bündnisse für Arbeit erweitern, indem Sie Lohn und Arbeitszeit in den Günstigkeitsvergleich einbeziehen. Der Knackpunkt aber ist: Den Tarifvertragsparteien soll ein begründetes Vetorecht verbleiben. Dazu muss ich Ihnen sagen: Da fallen Sie hinter frühere Einsichten zurück. Das haben wir doch in der Debatte anlässlich unseres Gesetzentwurfs zur Legalisierung betrieblicher Bündnisse für Arbeit schon gehabt und damals haben Sie in namentlicher Abstimmung einem Entwurf ohne ein solches Vetorecht zugestimmt. Warum gehen Sie hinter diese Forderung zurück?

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Lassen Sie eine Frage des Kollegen Laumann zu?

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr gern.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr, Herr Kollege Laumann, Sie dürfen eine Frage stellen.

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kolb, mir ist wichtig, hier festzustellen, dass ich anlässlich der Debatte über Ihren Antrag für die CDU/CSUFraktion ganz eindeutig festgestellt habe, dass eine solche Öffnung beim Günstigkeitsprinzip ohne ein Vetorecht der Tarifvertragsparteien für uns nicht infrage kommt. In dieser Frage besteht in der Tat ein Unterschied zwischen CDU/CSU und FDP. Wir begründen unsere Haltung damit, dass sich ein Arbeitgeber mit dem Eintritt in den Arbeitgeberverband bewusst einer Tarifgemeinschaft anschließt - genauso wie ein Arbeitnehmer, der Mitglied einer tarifabschließenden Gewerkschaft wird. Wenn man anschließend davon abweichen will, denke ich, müssen die Tarifvertragsparteien ein Einspruchsrecht haben. Wenn das ein Unterschied ist, kann ich gut damit leben. Mir war vor allen Dingen wichtig: Wir haben damals in der Debatte sehr deutlich gemacht, dass hier ein wesentlicher Unterschied besteht. Wir haben dem Antrag dennoch zugestimmt, weil er in allen anderen Punkten unserer Auffassung sehr nahe kam. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Was war Ihre Frage? ({0}) - Ob ich das mitnehme? Ich nehme das gerne mit, Herr Laumann, ich frage mich aber im Nachhinein, warum die CDU damals in namentlicher Abstimmung unserem Antrag zugestimmt hat, wenn sie hier so offensichtliche Bedenken hat.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, jetzt will der Kollege Schemken Sie etwas fragen.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr gern.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr.

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Eine Frage, Herr Kollege Kolb: Können Sie bestätigen, dass zu dem, was Herr Kollege Laumann gesagt hat, doch ein Unterschied besteht?

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Schemken, ich kann Ihnen bestätigen, dass hier ein Unterschied besteht. Ich kann Ihnen aber auch gern bestätigen, dass dieser Unterschied in Ihrem damaligen Abstimmungsverhalten nicht deutlich geworden ist. Deswegen müssen Sie sich heute diese Frage stellen lassen. Ich finde es auch nicht schlimm, dass es Unterschiede zwischen CDU/CSU und FDP gibt, im Gegenteil! Auch in anderen Bereichen, bei der Betriebsverfassung etwa, gibt es deutliche Unterschiede. Sie schreiben zwar auch, dass diese wieder mittelstandsfreundlicher gestaltet werden muss. Aber Sie schreiben nicht, ob Sie auch ein Quorum für die Wahl des Betriebsrats wollen, ob Sie die Mitbestimmung in Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten formalisieren wollen oder ob Sie glauben, dass die informelle Mitbestimmung, die es dort gibt, ausreicht, unter Umständen sogar die bessere Lösung ist. Hier gibt es noch sehr viele Fragen. Ich kann, weil meine Redezeit langsam zu Ende geht, nur feststellen: Die CDU/CSU-Fraktion fällt als Reformmotor in dem Bereich der Überarbeitung des Arbeitsrechts offensichtlich aus. ({0}) - Sie fällt als Motor aus, habe ich hier sehr deutlich gesagt. Der Antrag, den Sie hier vorlegen, ist ein Me-tooProdukt. Sie wollen auch ein bisschen Flexibilisierung, aber Schrittmacher in diesem Bereich ist die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag. Das ist gut so und soll auch in Zukunft so bleiben. Vielen Dank. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat die Kollegin Thea Dückert für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Ich sehe, dass das Telefonieren mit Handy hier zunimmt. Das finde ich nicht so gut. - Das war eine geschäftsleitende Bemerkung. Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach diesem besserwisserischen Vortrag der FDP muss ich eine kleine Vorbemerkung machen. Da Sie, Herr Kolb, die FDP sozusagen zum Schrittmacher stilisieren wollten, muss ich doch noch einmal daran erinnern, was nach 29 Jahren Regierungsbeteiligung der FDP übrig geblieben ist: ({0}) die höchste Steuerbelastung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, die höchste Staatsverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, die höchste Arbeitslosigkeit in unserer Geschichte und die höchsten Sozialabgaben, und zwar auf der Basis einer verfassungswidrigen Vernachlässigung von Kindern und einer verfassungswidrigen Vernachlässigung des Arbeitslosengeldes; sie haben nämlich die Einmalzahlungen den Arbeitslosen nicht zugute kommen lassen. Das war Ihre Bilanz. Das ist Ihr „Schrittmachertum“. Das ist unsozial und das wollen wir nicht. ({1}) Jetzt zum Antrag der CDU/CSU: ({2}) - Ich habe zur FDP gesprochen, Herr Kollege. - Dies ist ein interessanter Antrag, weil er uns in dem beliebten Ratespiel „Was will die CDU?“, das in den letzten Wochen und Monaten lief, weiterhilft. ({3}) Die Antwort darauf steht in diesem Antrag. Er sagt uns nämlich, dass Sie vorschlagen, zu dem Arsenal von alten beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zurückzukehren. Zudem präsentieren Sie uns hier eine Liste - sie ist sehr lückenhaft - Ihrer Streichungsvorschläge, mit der Sie eine zukunftsgerichtete Politik einleiten wollen. ({4}) Es tut mir Leid, aber Sie schlagen nichts anderes vor als Streichungen. Dies gilt beispielsweise für das Teilzeitgesetz, für die Reduzierung der Mitbestimmungsrechte und für die Aushöhlung des Flächentarifvertrages durch Zurückschrauben des Günstigkeitsprinzips. Sie wollen alles verändern. Sie waren sogar so weit - das haben Sie wieder zurückgenommen -, die Ökosteuer zurückzunehmen, die dazu geführt hat, dass wir die Sozialabgaben haben senken können. Auch dies haben Sie vorgeschlagen. Die erste Antwort, die Sie auf die beliebte Frage, was die CDU will, geben, ist also: rückwärts gewandt in die Zukunft. Dies wird uns nicht weiterbringen. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin Dückert, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Kolb?

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir hatten uns zwar geeinigt, heute eine kurze Debatte zu führen, aber wenn es denn sein muss: Ja. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Also lassen Sie eine Frage zu?

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bedanke mich auch ausdrücklich, Frau Kollegin Dückert. Aber wenn es gar zu schlimm wird, muss man nachhaken dürfen. Ich möchte nicht, dass hier der Eindruck bestehen bleibt, Sie hätten im Bereich der Sozialversicherungsbeiträge wirklich etwas Nachhaltiges erreicht. Wenn Sie alles hineinrechnen, stimmt das ganz einfach nicht. Sie haben nur durch eine Manipulation der Mindestreserve den Beitragssatz auf 19,1 Prozent senken können. ({0}) Auch haben wir in diesem Jahr mit 37 Milliarden DM einen neuen Höchststand bei den Einnahmen durch die Ökosteuer. ({1}) Wenn Sie wissen, dass 17 Milliarden DM einen Prozentpunkt in der Rentenversicherung ausmachen, und Sie dies umrechnen, stellen Sie fest, dass wir einen neuen Höchststand bei den Beitragssätzen erreicht haben, ({2}) dass also das, was Sie gesagt haben, nicht stimmt. Wie stehen Sie dazu?

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Kolb, ich danke Ihnen für diese Frage, weil sie ein bezeichnendes Licht auf Ihr kurzes Gedächtnis wirft. ({0}) Ich will Ihnen zwei Zahlen nennen. Erstens. Die Sozialversicherungsbeiträge sind unter CDU-Regierungsbeteiligung zwischen 1993 und 1998 um 6,6 Prozent gestiegen. ({1}) Zweitens. Die Sozialversicherungsbeiträge sind in den ersten Jahren rot-grüner Regierung innerhalb von drei Jahren um 1,2 Prozent gesunken, und zwar auch mithilfe der Ökosteuer. Ohne die Ökosteuer, die Sie ja abschaffen wollen, hätten wir jetzt um zwei Prozentpunkte höhere Rentenversicherungsbeiträge. Das ist Ihre Art von Sozialpolitik. ({2}) Sie halten die Augen und Ohren zu. Das ist die Politik der drei Affen: Sie wollen nicht wissen, was Sie getan haben, und schlagen etwas ohne richtiges Konzept vor. ({3}) Herr Kolb, ich fasse zusammen: Wir haben die Sozialversicherungsbeiträge gesenkt und Sie haben sie exorbitant steigen lassen. ({4}) Kommen wir zurück zu dem Antrag der CDU/CSU, über den wir hier diskutieren. Ich würde gerne mit Ihnen über weitere Reformschritte in der Arbeitsmarktpolitik diskutieren, weil diese wirklich notwendig sind. Wenn Sie aber all die Modernisierungsmaßnahmen der letzten Jahre überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen oder zurückdrehen wollen wie zum Beispiel das Job-AQTIV-Gesetz mit seinem bei der Verhinderung von Arbeitslosigkeit ansetzenden neuen Konzept, das neue Elemente wie Jobrotation und Ähnliches beinhaltet, wenn Sie solche Ansätze einfach in Bausch und Bogen ablehnen, ({5}) weiß ich nicht, worüber wir in diesem Zusammenhang noch reden wollen. Was haben Sie in der letzten Zeit noch abgelehnt? Zum Beispiel haben Sie an einer Stelle, an der wirklich Reformbedarf besteht, nämlich bei der Bundesanstalt für Arbeit, abgelehnt, die Spitze zügig zu verändern. Das war der erste Punkt. Zweitens wollten Sie auch noch den gesamten Reformprozess aufhalten. ({6}) Es tut mir wirklich Leid, aber ich weiß nicht, wie ich mit Ihnen über arbeitsmarktpolitische Veränderungen für die Zukunft reden soll, wenn Sie noch nicht einmal über das diskutieren, was hier aktuell notwendig ist. ({7}) Sie schlagen - Herr Laumann hat es eben noch einmal vorgetragen; das finde ich vom Ansatz her auch richtig zum Beispiel mehr betriebliche Bündnisse für Arbeit vor. Natürlich brauchen wir die. ({8}) Was sind aber die Voraussetzungen dafür, dass wir mehr betriebliche Bündnisse für Arbeit erhalten? Es gibt drei Voraussetzungen: Erstens brauchen wir starke Betriebsräte, ({9}) zweitens brauchen wir - sozusagen als Korsett - funktionierende Flächentarifverträge und drittens brauchen wir ein funktionierendes allgemeines Bündnis für Arbeit, weil es diesen Prozess unterstützen kann. ({10}) Wenn diese Voraussetzungen eingehalten werden, können so zukunftsfähige Bündnisse für Arbeit auf betrieblicher Ebene wie bei VW zustande kommen. Dort gibt es den Vertrag „5000 mal 5000“. Sie haben gesagt, Sie wollen, dass die betrieblichen Bündnisse für Arbeit auf einer rechtlich einwandfreien Basis stehen. Das Bündnis für Arbeit bei VW steht auf einer rechtlich einwandfreien Basis. Nach unserem Recht ist es möglich. Es gibt sehr viel mehr Bündnisse für Arbeit auf betrieblicher Ebene in dieser Republik. Ich denke, wir müssen sehr viel dafür tun, dass diese - auch das allgemeine Bündnis für Arbeit in der Bundesrepublik - vorangebracht werden. ({11})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brandner?

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich lasse sie zu, obwohl es mich langsam reizt, wieder ein Zitat des Weihbischofs Hengsbach anzuführen, das ich bereits beim letzten Mal gebracht habe. Das mache ich jetzt aber nicht.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Dückert, können Sie bestätigen, dass, wenn wir die Arbeitsmarktpolitik nicht reformiert und wir nicht das Prinzip des Förderns und Forderns eingeführt hätten, es heute noch mehrere hunterttausend Menschen in ABM-Stellen versteckt gäbe, sodass die Arbeitslosenstatistik geschönt würde? ({0})

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das kann ich Ihnen bestätigen. Wir haben hier eine sehr ehrliche Politik betrieben. Im Gegensatz dazu - wir befinden uns ja in einem Wahljahr - hat die alte Regierung im Wahljahr die Zahl der ABM-Stellen verdoppelt. Kurzfristig hat sie 5 Milliarden DM dort hineingepumpt. ({0}) In den vergangenen Jahren haben wir in diesem Bereich die ABM zurückgefahren und haben andere Instrumente, die arbeitsmarktnah sind, genutzt. ({1}) Das heißt, wir versuchen hier eine ehrliche Politik zu machen ({2}) und haben gleichzeitig die Arbeitslosenzahl noch einmal um 400 000 gesenkt und über 1 Million neue Arbeitsplätze geschaffen. Das hat in der Tat mit unserer Politik zu tun. ({3}) Ich möchte noch eine abschließende Bemerkung machen, weil Sie einiges, zum Beispiel das Teilzeitgesetz, abschaffen wollen. Ich finde Ihre Argumentation in diesem Zusammenhang wirklich absolut absurd. Sie haben sie im Ausschuss vorgetragen. Dieses Teilzeitgesetz hat die Gleichbehandlung von Männern und Frauen zur Grundlage. Sie sagen, dass Sie es verändern wollen, weil es zur Diskriminierung von Frauen führen würde. Es tut mir furchtbar Leid, aber aufgrund meiner Erfahrungen aus der Vergangenheit bin ich sehr misstrauisch, wenn Männer plötzlich Frauenrechte auf dem Arbeitsmarkt verteidigen. Da wird es schon komisch. Sie wissen doch auch, dass die Schutzrechte von Frauen auf dem Arbeitsmarkt in der Vergangenheit immer dazu geführt haben, dass sie letzten Endes ausgeschlossen worden sind. Hier treffen wir Regelungen für eine Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Teilzeitbereich. ({4}) Wir wollen Männern und Frauen die gleiche Möglichkeit geben, sich zum Beispiel durch Teilzeitarbeit mehr um die Familie zu kümmern. Sie drehen den Spieß in absurder Weise um und behaupten, dass dies eine Diskriminierung von Frauen sei.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, jetzt müssen Sie aber zum Schluss kommen.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. - Ich glaube, das, was Sie hier präsentiert haben, ist rückwärts gewandt und hilft uns nicht weiter. Ich lade Sie gerne ein, mit uns über vorwärts gewandte Konzepte zu diskutieren. Schönen Dank. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Da es eine kurze Debatte ist, lasse ich keine Zwischenfragen mehr zu und erteile nun der Kollegin Pia Maier für die PDS-Fraktion das Wort. ({0})

Pia Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003449, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist ein interessanter Antrag. Die Oppositionspartei zählt all das auf, was die Regierung gemacht hat, was nicht ihrer Meinung entsprach. Sie ist dagegen und will, dass das alles zurückgenommen wird. Alle Vorschläge, die die CDU/CSU hier bringt, sind bekannt. Bei jeder arbeitsmarktpolitischen Debatte und als jedes einzelne hier genannte Gesetz verabschiedet wurde, haben Sie das alles schon ausgeführt. Entweder kennen wir die Ideen, weil es zu Ihrer Zeit so war - dann haben Sie den Regierungswechsel wohl noch nicht verwunden -, oder Sie reden schon seit Jahren davon und haben es selbst nicht umgesetzt. Die Reden und Forderungen jedenfalls sind immer wieder dieselben. Dieser Antrag ist so interessant wie die Zeitung von vorgestern. Das alles können Sie in Ihrem Wahlprogramm fordern, aber als neue Initiative im Bundestag kurz vor der Wahl ist der Antrag ziemlich überflüssig. ({0}) Zu den einzelnen Punkten. Sie fordern eine Ausweitung befristeter Beschäftigung. Die Ausweitung von Rot-Grün reicht Ihnen noch nicht. Das Gesetz soll zurückgenommen werden, damit noch öfter noch länger befristet eingestellt werden kann. Wie damit Arbeitsplätze geschaffen werden sollen, kann ich nicht nachvollziehen. Es werden höchstens Möglichkeiten zum Jobben geschaffen, aber keine existenzsichernden Arbeitsplätze. Als Nächstes will die CDU/CSU den Teilzeitanspruch, der jüngst eingeführt wurde, wieder rückgängig machen. ({1}) Im Wahlkampf müssen die einzelnen Teile Ihres Programms noch nicht richtig zusammenpassen. Diese Forderung verträgt sich überhaupt nicht mit der Familienförderung, die auch Sie heute Morgen hochgehalten haben. Herr Merz hat die Familienförderung beschworen. Gerade in den Jahren, in denen eine Familie Kinder erzieht, ist Teilzeit eine Möglichkeit, Beruf und Familie zu vereinbaren. Das geht aber nur, wenn ein entsprechender Anspruch besteht und der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin ein Recht darauf hat und nicht dem Willen des Chefs ausgeliefert ist. Das Teilzeitgesetz müsste um das Recht ergänzt werden, nach einer solchen Familienphase mit reduzierter Arbeitszeit wieder voll arbeiten zu können. Das wäre Familienförderung und keine Wahlkampfquietscheente. ({2}) Dann wollen Sie natürlich das Betriebsverfassungsgesetz wieder zurückverändern. Es ist ein Wunder, dass bei diesem Betriebsverfassungsgesetz die Wirtschaft überhaupt noch funktioniert. Sie beschwören in Ihrem Antrag Kosten in Milliardenhöhe, die den Unternehmen allein durch das Betriebsverfassungsgesetz entstanden sein sollen. ({3}) Wenn Sie mit diesen Zahlen nicht so übertreiben würden, dann könnte man vielleicht darüber reden. Allerdings ist Ihre Schlussfolgerung, dass den Betrieben mit diesem Betriebsverfassungsgesetz Schaden entstanden wäre, garantiert falsch, wenn es um Arbeitsplätze geht. In den Tarifauseinandersetzungen werden jetzt die Betriebsräte und Gewerkschaften hoffentlich für mehr Beschäftigung sorgen, indem mehr Lohn ausgehandelt und damit die Binnennachfrage angekurbelt wird. Die Lohnzurückhaltung hat in den letzten Jahren keine Arbeitsplätze geschaffen. Jetzt ist eine andere Strategie gefragt. Die Antwort der CDU/CSU auf die Arbeitslosigkeit heißt, Sicherheiten für Arbeitnehmer abschaffen und mehr Leiharbeit zulassen. ({4}) Für diesen Weg in die Unsicherheit, den Weg des Abbaus aller erkämpften Standards bekommen Sie von uns keine Unterstützung. ({5}) Dies geschieht vor allem aus einem einfachen Grund: Es bringt keine Arbeitsplätze. Sie schaffen nichts Neues, aber gute Regeln ab. Wer hierzulande Arbeitsplätze schaffen will, muss Geld in die Hand nehmen. Ein Beispiel, damit die Kommunen wieder investieren können, ist eine kommunale Investitionspauschale. Die Kommunen, die kein Geld für Investitionen haben, können ihre Infrastruktur nicht mehr renovieren und erhalten. Für den Ausbau von Schulen und Straßen in den Kommunen, die überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen und pleite sind, braucht es ein besonderes Programm. Hier müssten der Bund und die Länder Geld geben, ohne eine Kofinanzierung von den Kommunen einzufordern, weil sie schon pleite und zusätzlich von überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit betroffen sind. Die PDS schlägt als Grenze 30 Prozent über dem Durchschnitt der alten Bundesländer vor. Viele Ostkommunen, aber auch besonders betroffene Gemeinden im Westen liegen unterhalb dieser Grenze. Damit kann man einen Teufelskreis verhindern, der entsteht, wenn Kommunen wegen Arbeitslosigkeit und Verarmung wenig Einnahmen haben, damit schlechtere Bedingungen für Investoren und Bildung bieten, um dann weiter zu verarmen und Arbeitsplätze zu verlieren. Dieser Entwicklung schieben wir mit Investitionen einen Riegel vor. Befristete Beschäftigung, Teilzeitverbot und Leiharbeit sind Ihre Antworten. Damit schaffen Sie Unsicherheit, aber keine Arbeitsplätze. Das soll nur der Disziplinierung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern dienen. Das alles ist nichts Neues und wird heute genauso schlecht wie in den letzten Jahren funktionieren. Danke. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Die Vereinbarung über die verkürzte Redezeit hat mit sich gebracht, dass der Kollege Schemken und der Kollege Meckelburg ihre Reden zu Protokoll gegeben haben. Ist das richtig so? ({0}) - Wenn etwas zu Protokoll gegeben worden ist, müssen Sie mir die Redner nennen. Ich stelle fest: Herr Grotthaus und Frau Kramme geben ihre Reden ebenfalls zu Proto- koll.1) Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/8267 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie ein- verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 e sowie Zusatzpunkt 8 auf: 9 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Verbraucherinformationsgesetzes ({1}) - Drucksache 14/8738 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes und der Lebensmittelsicherheit - Drucksache 14/8747 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({3}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet des ökologischen Landbaus ({4}) - Drucksache 14/8768 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({5}) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Ulrich Heinrich, Marita Sehn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Obstbauern vor dem Ruin retten - Plantomycin für Notfallmaßnahmen zulassen - Drucksache 14/8180 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({6}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marita Sehn, Ulrich Heinrich, Walter Hirche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Pflanzenschutzpolitik neu ausrichten, heimische Produzenten unterstützen und Verbraucher schützen - Drucksache 14/8430 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({7}) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP 8 Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Verbraucherinformationsgesetz effektiv gestalten - Drucksache 14/8784 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({8}) 1) Anlage 3 Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Mir ist mitgeteilt worden, dass alle Reden zu Protokoll gegeben worden sind. Ich eröffne die Aussprache, nehme alle Reden zu Protokoll und schließe die Aussprache.1) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 14/8738, 14/8747, 14/8768, 14/8180, 14/8430 und 14/8784 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 10 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Willi Brase, Klaus Barthel ({9}), Hans-Werner Bertl, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Christian Simmert, Hans-Josef Fell, Dr. Reinhard Loske, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes - Drucksache 14/8359 ({10}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({11}) - Drucksache 14/8699 - Berichterstattung: Abgeordnete Willi Brase Dr.-Ing. Rainer Jork Hans-Josef Fell Maritta Böttcher Auch hier höre ich, dass die Reden zu Protokoll gege- ben sind. Dann eröffne ich die Aussprache, nehme die Re- den zu Protokoll und schließe die Aussprache.2) Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Berufsbil- dungsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes auf Druck- sache 14/8359. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt auf Druck- sache 14/8699, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in der dritten Lesung angenommen. Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf: 11 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulf Fink, Wolfgang Lohmann ({12}), Maria Eichhorn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verstärkung der Personalausstattung in Pflegeheimen ({13}) - Drucksache 14/8364 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({14}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der ambulanten Hospizarbeit - Drucksache 14/6754 ({15}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({16}) - Drucksache 14/8518 Berichterstattung: Abgeordneter Horst Schmidbauer ({17}) Hierzu ist interfraktionell vereinbart worden, dass die Redezeit eine halbe Stunde betragen soll. - Das ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Ulf Fink für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundes- tagsfraktion legt Ihnen einen Gesetzentwurf vor, der zum Inhalt hat, dass vom 1. Juli dieses Jahres an bis einschließ- lich 2004 die Pflegekassen an die Pflegeheime je Pflege- bedürftigen der Stufen II und III - das sind die Schwer- und Schwerstpflegebedürftigen - monatlich einen Betrag von 102 Euro und für jeden Pflegebedürftigen, der als Härte- fall anerkannt ist, einen Betrag von 204 Euro zahlen sol- len. Dies bedeutet eine Erhöhung der Leistungen der Pflegeversicherung um etwa 5 Prozent. Gemessen am Gesamtvolumen der Leistungsausgaben der sozialen Pfle- geversicherung von über 30 Milliarden DM ist das eine verhältnismäßig geringe Summe. Da wir auf keinen Fall wollen, dass das eine Auswirkung auf die Beitragssätze hat, haben wir diese Erhöhung auf den Zeitraum von zwei- einhalb Jahres begrenzt. Das bedeutet jährlich zusätzliche Mittel der Pflegeversicherung von knapp 400 Milli- onen DM. Falls die Einnahmeverbesserung der Pflegever- sicherung nicht ausreichen sollte, lassen sich diese Mittel gegebenenfalls aus den Rücklagen finanzieren, die be- kanntlich ein sehr viel höheres Ausmaß haben. Wir halten diese Änderungen für zwingend, weil sich seit Einführung der Pflegeversicherung vor sieben, acht Vizepräsidentin Anke Fuchs 1) Anlage 4 2) Anlage 5 Jahren die Preise und Lohnkosten erhöht haben und in fast allen Feldern Kostensteigerungen festzustellen sind. Lediglich die Leistungen der Pflegeversicherung sind seit Mitte der 90er-Jahre überhaupt nicht angepasst worden. Es gab nicht einmal einen Inflationsausgleich oder etwas Ähnliches. ({0}) - Nein, die Leistungen der Pflegeversicherung sind in all diesen Jahren um keinen Pfennig erhöht worden. Lese ich die diesbezügliche Regierungserklärung von Kanzler Schröder oder führe ich mir die Wahlaussagen der Sozialdemokraten aus dem Jahr 1998, noch einmal vor Augen, so finde ich darin vor allem die Aussage, Sie wollten sich für mehr soziale Gerechtigkeit einsetzen. Ich frage Sie: Wie können Sie es denn damit vereinbaren, dass die Leistungen der Pflegeversicherung, also für diejenigen, die der Leistungen des Staates besonders bedürfen, nicht angepasst wurden? ({1}) Stellen Sie sich nur einmal vor, was in der Bundesrepublik Deutschland los wäre, wenn seit sechs, sieben, acht Jahren die Renten nicht erhöht, die Leistungen der Arbeitslosenversicherung nicht angepasst oder gar die Löhne um überhaupt keinen Pfennig erhöht worden wären: Sie würden sich vor Demonstrationen überhaupt nicht mehr zurechtfinden. ({2}) Nur, bei den Pflegebedürftigen denken Sie, Sie könnten es sich leisten. ({3}) Ich sage Ihnen, wozu das führt. Wir haben die Pflegeversicherung in einer nicht einfachen Situation gegen zum Teil erhebliche Widerstände eingeführt, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil wir es nicht länger vertreten zu können glaubten, dass die Rente von Menschen, wenn sie in ein Pflegeheim müssen, nicht ausreicht, um die Kosten des Pflegeheims zu decken, sodass sie auf Sozialhilfe angewiesen sind und sogar ihr Taschengeld beim Sozialamt abholen müssen. Das hielten wir für einen unwürdigen Zustand. Wir haben erklärt: Wir müssen erreichen, dass Menschen, wenn sie das Schicksal ereilt, pflegebedürftig zu werden, aus eigener Kraft, von ihrer Rente und von den Leistungen der Pflegeversicherung, leben können, ohne auf das Sozialamt angewiesen zu sein. Das war der Sinn der Einführung der Pflegeversicherung. ({4}) Jetzt darf ich darstellen, wie sich das entwickelt hat. Ich habe die Zahlen des Statistischen Bundesamtes vor mir. Danach hat sich die Zahl der Menschen, die auf Pflege angewiesen sind, bei denen die Leistungen aus der Pflegeversicherung sowie die Rente nicht ausgereicht haben und die deshalb zum Sozialamt gehen mussten, wie folgt entwickelt: 1994 waren 454 000 Menschen wegen zu geringer Eigenleistungen auf Leistungen des Sozialamtes angewiesen. Dann wurde die Pflegeversicherung eingeführt. Die Zahl sank von 454 000 auf 373 000. Im Jahr 1996, als wir die Leistungen im stationären Bereich eingeführt haben, sank die Zahl auf 285 000, 1997 auf 251 000 und im Jahr 1998 sogar auf 222 000. Das waren immer noch 222 000 zu viel, aber immerhin war ihre Zahl von ehedem 454 000 auf 222 000 gesunken. Dann traten Sie die Regierung an und sagten, Sie wollten es besser machen und mehr soziale Gerechtigkeit schaffen. Ich darf Ihnen die Zahlen vorlesen: 1999 stieg die Zahl derjenigen, die wegen Pflegebedürftigkeit wieder auf ergänzende Hilfen des Sozialamtes angewiesen waren, auf 247 000 und im Jahr 2000 - das ist die letzte mir vorliegende Zahl - bereits auf 261 000. Lägen mir die Zahlen für 2001 und 2002 vor, würde deutlich, dass schon wieder mehr als 300 000 Menschen wegen zu geringer eigener Leistungen auf ergänzende Leistungen des Sozialamtes angewiesen sind. Das ist ein Menetekel für Ihre Politik. ({5}) Aber das ist nicht alles. Hinzu kommt, dass die Heime häufig nicht in der Lage waren, die Leistungen so anzupassen, wie es der gestiegenen Kosten wegen eigentlich notwendig wäre. Als Konsequenz mussten die Heime bei der Personalausstattung sparen. Mir liegen auch hierzu Zahlen vor. Danach hat sich die personelle Ausstattung der Pflegeheime in den vergangenen Jahren kaum verbessert und ist in vielen Fällen deutlich zurückgegangen. ({6}) Mittlerweile liegen auch einige Studien zur Personalbemessung vor. Ich darf auf ein besonders wichtiges Verfahren aufmerksam machen. Fast alle diese Studien haben ergeben, dass die Personalausstattung in den Heimen um fast 20 Prozent unter dem liegt, was eigentlich notwendig wäre. Frau Kollegin, Herr Kollege Schmidbauer, eine Studie zum Verfahren PLAISIR hat ergeben, dass zum Beispiel in den Einrichtungen der Arbeiterwohlfahrt die personelle Ausstattung sogar um mehr als 20 Prozent hinter dem herhinkt, was eigentlich erforderlich wäre. ({7}) Bei den Untersuchungen in Schleswig-Holstein sind ebenfalls solche Ergebnisse zutage getreten. ({8}) Wir hatten vor kurzem die Gelegenheit, uns das Verfahren in Quebec anzuschauen. Wir waren alle der Überzeugung, dass es sich um gute Methoden handelt. PLAISIR ist sogar in einem Gesetzentwurf aufgeführt. ({9}) - Das ist eine Abkürzung für ein Verfahren, das nichts anderes beinhaltet, als dass gefragt wird: Was ist eigentlich nötig? Man fragt also nicht: Welche Personalausstattung haben die Heime? Vielmehr geht es darum: Was müsste eigentlich vorhanden sein, damit die Menschen ordentlich versorgt werden? Danach liegen wir in fast allen Bereichen weit unterhalb der für die Sicherstellung einer ordentlichen Versorgung notwendigen Zahlen. Wir schlagen ja eine Sofortmaßnahme vor. Es ist erkennbar, dass wir gern mehr getan und die Leistungen um mehr als 5 Prozent erhöht hätten. Wir hätten auch gern für den ambulanten Sektor noch etwas getan. Trotzdem müssen wir uns jetzt darauf konzentrieren, die dringendsten Missstände in der finanziellen Ausstattung der Heime zu lindern. Es hilft nichts, dass Sie auf der einen Seite die mangelnde Qualität in den Pflegeheimen beklagen, aber auf der anderen Seite ein Pflege-Qualitätssicherungsgesetz verabschieden, das nur zum Inhalt hat, dass die Pflegenden zusätzlich zu den ohnehin großen Belastungen ihre Zeit noch darauf verwenden müssen, Tausende von Formularen auszufüllen. Pflegequalität kann man nicht in die Heime hineinprüfen, sondern man muss die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Menschen in den Heimen gut gepflegt werden. ({10})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich der Kollegin Marga Elser für die SPD-Fraktion das Wort.

Marga Elser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003113, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ihr Antrag, sehr geehrter Herr Fink und sehr geehrte CDU/CSU-Fraktion, ist wortwörtlich von einem Antrag Bayerns für den Bundesrat abgeschrieben. ({0}) Der bayerische Antrag ist bereits im Bundesrat abgelehnt worden. ({1}) Ihrem Antrag wird es sicherlich heute auch so ergehen. Ich halte es schon für merkwürdig, wenn Sie in diesem Antrag beispielsweise auf die Ökosteuer und anderes - ich möchte gar nicht darauf eingehen - verweisen. Ich meine, unsere Regierungskoalition hat in dieser Legislaturperiode viel für die Pflege getan. ({2}) Aus dem Wissen heraus, dass wir für die Pflege älterer Menschen mehr tun müssen, dass wir politische Rahmenbedingungen für eine hochwertige, menschenwürdige Pflege schaffen müssen, haben wir drei Gesetzesvorhaben angestoßen und zum Abschluss gebracht. Mit dem PflegeQualitätssicherungsgesetz setzen wir verstärkte Kontrollen und die Einführung eines Qualitätsmanagements in den Heimen und den Pflegediensten durch. Damit lösen wir einen Qualitätsschub aus. ({3}) Es ist in dem Pflege-Qualitätssicherungsgesetz auch etwas über die Instrumentarien für eine ausreichende Personalausstattung zu lesen. Es wird verlangt, dass landesweite Personalbedarfsermittlungsverfahren oder landesweite Personalrichtwerte Teil der Rahmenverträge über die pflegerische Versorgung werden. Außerdem ist vorgesehen, dass sich die Vertragspartner künftig über die Personalausstattung eines jeden Pflegeheims einigen müssen. Voraussetzung für den Betrieb eines Heimes ist, dass der Träger sicherstellt, dass die Zahl der Beschäftigten sowie ihre persönliche und fachliche Eignung für die von ihnen zu leistende Tätigkeit ausreichen. Ob und inwieweit dies der Fall ist, wird von den Heimaufsichtsbehörden geprüft werden. Jetzt kommt das PLAISIR ins Spiel. Es wird im Mai eine Sitzung geben. Wir möchten das einführen. Unsere Novelle des Heimgesetzes stärkt die Bedürftigen in ihren Rechten. Sie erhalten mehr Mitbestimmungsrechte in den Heimbeiräten. Im November letzten Jahres haben wir das Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz beschlossen. Damit haben wir nach der Verbesserung der stationären Pflege auch Entlastungen für die häusliche Pflege von Demenzkranken auf den Weg gebracht. ({4}) - Herr Fink, man muss ja einmal anfangen. ({5}) Wenn wir heute darüber reden, wie schwierig es ist, Personal für die Pflege in ausreichender Zahl zu finden, dann kann es aber nicht nur darum gehen, welche Rahmenentscheidungen die Politik trifft. Ich halte es für ganz wichtig, dass sich auch die Träger von Heimen und Pflegestationen für den Pflegeberuf einsetzen und ihn attraktiver machen. ({6}) Die Pflegeberufe werden in unserer älter werdenden Gesellschaft immer wichtiger. Der Personalbedarf wird in den kommenden Jahren - ich denke, darüber gibt es keine Meinungsverschiedenheiten, Herr Fink - weiter steigen. Dabei kommt den Trägern die wichtige Aufgabe zu, junge Menschen für diesen Beruf zu gewinnen. Dass wir von politischer Seite her die Rahmenbedingungen erheblich verbessert haben, ist dabei eine wichtige Unterstützung. ({7}) Auch in der Frage des Personals - ich bitte Sie, genau zuzuhören - waren wir nicht untätig. Die Bundesregierung will die Pflegeausbildung bundeseinheitlich gesetzlich regeln. Aber blockiert wird dieses Vorhaben derzeit durch die bayerische Landesregierung. Diese hat das Bundesverfassungsgericht angerufen. ({8}) Wir könnten ohne diese Kompetenzrangeleien heute schon sehr viel weiter sein. ({9}) Ich habe bei meinen Heimbesuchen immer wieder den Eindruck gewonnen, dass manche Träger von Pflegeheimen ihrem Personal die Auffassung vermitteln, dass alle, die in den Pflegeheimen arbeiten dürfen, froh sein müssen. Das, was in anderen Berufen gang und gäbe ist, nämlich dass man für den eigenen Beruf wirbt und dass man den Berufseinsteigern klar macht, in welchem schönen und erfolgreichen Beruf sie sich ausbilden lassen, gibt es in den Pflegeberufen nur ganz selten. Wir brauchen aber offensive Maßnahmen, zum einen um Pflegekräfte zu gewinnen und zum anderen um sie - ich denke, das ist noch wichtiger - an ihren Beruf zu binden. Die in der Pflege Tätigen sind täglich starken Belastungen ausgesetzt. Man darf sie deshalb nicht alleine lassen. Die Träger sollten beispielsweise Instrumente wie die Supervision nutzen, um Probleme und Belastungen offen ansprechen zu können. Das verbessert das Arbeitsklima und stärkt die Motivation unter den Mitarbeitern. Auch das Zuwanderungsgesetz, dem Sie ebenfalls Ihre Zustimmung versagt haben, dient dazu, hoch qualifizierte Arbeitskräfte für Arbeitsplätze zu gewinnen, die trotz Arbeitslosigkeit im Inland nicht besetzt werden können. Die CDU-regierten Länder wollen auf der einen Seite ausländische Pflegekräfte anwerben, haben aber auf der anderen Seite das Zuwanderungsgesetz abgelehnt. Ich weiß nicht, wie das zusammenpasst. Für mich passt es nicht zusammen. Was die nicht ausgebildeten Pflegekräfte anbelangt: Auch hier haben wir eine pragmatische Lösung auf den Weg gebracht. Gerade für die Familien, die Angehörige zu Hause pflegen, soll weiterhin eine bezahlbare Entlastung gesichert werden. Auch der Bundespflegeausschuss zur Fortentwicklung der Pflegeversicherung hat unter anderem die Themen „Personalausstattung“ und „Qualität in der Pflege“ auf der Tagesordnung. Von diesen Erörterungen erhoffen wir uns weitere Anregungen für künftige Maßnahmen und Initiativen aller, die am Pflegegeschehen beteiligt sind. Auch der Schlussbericht der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“, der uns seit kurzem vorliegt, macht mit seinen Überlegungen zur Personalentwicklung und zur Personalgewinnung deutlich, dass in naher Zukunft große Herausforderungen auf diesem Gebiet auf uns zukommen werden. Mit unserer bisherigen Politik sind wir auf dem richtigen Weg, um Lösungen für unsere Gesellschaft zu finden. ({10})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat der Kollege Detlef Parr für die FDP-Fraktion das Wort.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist der Wunsch vieler Menschen, in Würde zu Hause zu sterben, in der vertrauten Umgebung, die ein Leben lang Geborgenheit bedeutet hat, und nicht in einer Einrichtung. Aus diesem Grund begrüßt die FDP den Gesetzentwurf des Bundesrates, und zwar insbesondere deshalb, weil er den größten Fehler der Regelung, die die rot-grüne Koalition im Zuge des Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetzes beschlossen hat, vermeidet, nämlich einen zu starken Anspruch an eine Professionalisierung der Helfenden. Gerade das kann nicht im Sinne der Sache sein. Sterbebegleitung ist von der Idee der ehrenamtlichen Hilfe sehr stark geprägt. Dass die Helfer Unterstützungsangebote brauchen, um einen Sterbenden kompetent zu begleiten und um besser damit umgehen zu können, wenn ein Mensch stirbt, ist eine Selbstverständlichkeit. Aber das möge doch bitte nicht als Pflicht oder als Zwang geschehen, sondern als Angebot. ({0}) Gesetzentwürfe müssen gerade im Gesundheitsbereich solide finanziert sein. Wir wissen um die Finanzprobleme. Wenn die CDU/CSU hier vorschlägt, dass ab dem 1. Juli 2002 die GKV die Kosten für die medizinische Behandlungspflege übernimmt - das ist im Gesetz bisher erst ab dem 1. Januar 2005 vorgesehen -, dann erfüllt dieser Vorschlag gerade diese Bedingung nicht. Die gesetzliche Krankenversicherung soll hiermit noch schneller in die Pflicht genommen werden. Es wäre wohl sachgerechter gewesen, die Behandlungspflege auf Dauer bei der Pflegeversicherung zu belassen. Pflege und Behandlungspflege in den Heimen gehen stark ineinander über. Durch den Gesetzentwurf der CDU/CSU würde eine künstliche Schnittstelle geschaffen, die zu Problemen zwischen GKV und gesetzlicher Pflegeversicherung und damit zu Versorgungsproblemen führen kann. ({1}) Zudem: Hat nicht auch die Union noch vor kurzem die Verschiebebahnhöfe hinsichtlich der sozialen Sicherungszweige vehement verdammt? Mit diesem Gesetzentwurf will sie jetzt die Begrenzung aufheben, dass die Pflegekassen nicht mehr als durchschnittlich 15 339 Euro pro Jahr je Pflegebedürftigen ausgeben dürfen. Nicht mehr als 5 Prozent der Pflegebedürftigen der Stufe III dürfen als Härtefälle eingestuft werden. Die Pflegekassen sollen verpflichtet werden, bis Ende 2004 je Pflegebedürftigen der Stufen II und III 102 Euro monatlich an die jeweilige Pflegeeinrichtung zu zahlen. Zusätzliches Personal soll eingestellt werden. Die Mehrkosten sollen aus den Rückstellungen finanziert werden. Das ist angesichts der großen Probleme, die aufgrund unserer älter werdenden Bevölkerung auf die Pflegeversicherung zukommen, Beispiel Demenzerkrankungen, nicht zu verantworten. ({2}) Die sozialpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion der letzten Legislaturperiode, Gisela Babel, hatte schon Recht: Reserven bei gesetzlichen Sicherungssystemen, auf die der Gesetzgeber Zugriff hat, sind vor Übergriffen nicht geschützt. Sie dürfen deshalb innerhalb dieses Systems eigentlich gar nicht erst entstehen. Wenn Vorsorge getroffen wird, liebe Freunde, dann nur in einer privaten Absicherung als ergänzender Säule zur Pflegeversicherung. ({3}) Einer Forderung der FDP entspricht dagegen die geplante Einrichtung einer Schiedsstelle zur Schlichtung von Streitigkeiten im Rahmen der häuslichen Krankenpflege über die Einzelheiten der Versorgung, die Preise der Leistungen und ihre Abrechnung. Zu häufig beobachten wir, dass der Anreiz für eine vernünftige Einigung aufseiten der Kostenträger eher begrenzt ist, weil eine Nichteinigung ihnen Vorteile bringt. Ein Schlichtungsgremium ist deshalb notwendig und sollte so schnell wie möglich eingerichtet werden. Vor dem Hintergrund der jüngsten Gesetzgebung in unserem Nachbarland, den Niederlanden, die Autonomie am Lebensende betreffend, und der damit verbundenen Diskussion auch bei uns haben wir immer wieder betont, dass der Förderung der Palliativmedizin und der ambulanten Hospizarbeit eine besondere Bedeutung zukommt. Deshalb stimmen wir dem Bundesratsentwurf gerne zu. Der Gesetzentwurf der Union bedarf dagegen noch einer eingehenden Diskussion im Gesundheitsausschuss und neuer Überlegungen. Dazu werden wir gern unseren Beitrag leisten. ({4})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat jetzt die Kollegin Katrin Göring-Eckardt für das Bündnis 90/Die Grünen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Parr, Sie sind auf den Gesetzentwurf zur ambulanten Hospizarbeit eingegangen. Was die Inhalte angeht, stimmen wir insoweit überein, als auch wir als Regierungskoalition der Meinung sind, dass steriles Sterben, das heute noch allzu oft Alltag und Normalfall in unserer Gesellschaft ist, nicht mehr die Norm sein soll. Deswegen haben wir schon ein entsprechendes Gesetz beschlossen, das bereits in Kraft getreten ist. Ein Tod in technischer Atmosphäre, ein anonymer Tod, ein Tod in einem klinischen Umfeld ist nicht das, was wir unseren Angehörigen, Freunden, Bekannten und uns selbst wünschen. Deswegen ist die ambulante Hospizarbeit so wichtig. Deswegen bin ich auch froh darüber, dass wir mit dem Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz seit dem 1. Januar die ambulante Hospizarbeit verbessert haben. Die Voraussetzungen dafür, die Möglichkeiten, zu Hause zu sterben, zu fördern und die Angehörigen und Pflegenden bei dieser Aufgabe zu unterstützen, sind damit geschaffen worden. Ich bin wirklich der Überzeugung, dass wir mit diesem Gesetz bereits das Richtige getan haben. Herr Fink, Sie haben noch einmal das alte Lied davon gesungen, dass man Qualität nicht in die Heime hineinprüfen könne. Ich bin auf der einen Seite wirklich der festen Überzeugung, dass die Frage der Qualität eine ganz zentrale Frage ist und dass wir da nicht über bestimmte Dinge hinwegsehen dürfen. Ich bin auf der anderen Seite der festen Überzeugung, dass es in der Tat darum geht, die Rechte derjenigen zu stärken, die sich als zu Pflegende in diesen Heimen finden. Deswegen ist das, was wir im Sinne von Mitbestimmung, im Sinne von Rechten der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner beschlossen haben, ganz zentral. Diese Rechte können nur wahrgenommen werden, wenn auch tatsächlich überprüft werden kann und überprüft wird, wie die Situation in den Heimen tatsächlich ist. Solche Überprüfungen finden statt und sie führen vor allem hinsichtlich des Managements und der Managementplanungen auch tatsächlich zu einer neuen Qualität. Es ist zu einfach zu sagen, glaube ich, dass man nur das Personal aufstocken muss. Ich stimme mit Ihnen zwar darin überein, dass wir in vielen Bereichen tatsächlich zu wenig Personal haben, aber vordringlich müssen die Fragen geklärt werden, wie das Personal aufgestockt werden soll und wie das Management verbessert werden soll. Insofern sind wir mit den Gesetzen zu den Qualitätsverbesserungen auf dem richtigen Weg. Gemeinsam mit meiner Vorvorrednerin bedaure ich, dass die Frage der Ausbildung in der Pflege nicht geklärt werden konnte, weil sich das Land Bayern querstellt. Wir brauchen in diesem für die Zukunft so wichtigen Beruf tatsächlich einen Neuanfang. Dieser Neuanfang ist zurzeit nicht möglich. Wenn wir das nicht sehr bald schaffen, dann - davon bin ich ganz fest überzeugt - werden wir in eine Situation hineinkommen, die sich niemand wünschen kann und die in der Tat bedrohlich ist. Alles in allem, meine Damen und Herren: Wir sind in der Pflege auf dem richtigen Weg. Wir sind noch nicht da, wohin wir wollen, aber wir sind so weit gekommen, wie es zurzeit vor dem Hintergrund der Finanzierungsfragen und der Tatsache, dass sich andere quer stellen, möglich ist. ({0}) Ich bin der Überzeugung, wir müssen hier in der Tat zu weiteren Qualitätsverbesserungen kommen. Die Evaluation findet jetzt statt. Darüber bin ich sehr froh. Vielen Dank. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun ist es für Herrn Fink zu spät, noch eine Zwischenfrage zu stellen. Jetzt erteile ich dem Kollegen Dr. Ilja Seifert das Wort.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Heute früh in der Kernzeit der Debatte haben wir sehr ausführlich und teilweise sehr emotional über Familienpolitik gesprochen. Der Wahlkampf ließ grüßen. Mir fällt dabei auf, dass überhaupt niemand über Familien mit pflegenden Angehörigen spricht. Ist das vielleicht im Wahlkampf kein Thema? Interessiert das etwa niemanden? Heute Abend sprechen wir über zwei Gesetzentwürfe. Einer davon ist von Ihnen, Herr Fink und liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, in dem es um die Pflege in Heimen geht und wieder nicht um die pflegenden Angehörigen. Aber nun zur Sache: Im Kern schlagen Sie vor, den Heimen bzw. Einrichtungen mehr Geld zu geben, um Personal einzustellen. Dagegen kann man im Prinzip nichts sagen; denn nötig ist es allemal. Jedenfalls ist es viel nötiger als das so genannte Pflege-Qualitätssicherungsgesetz, das nichts anderes ist als Bürokratisierung und zusätzlicher Papierkram - wodurch die pflegefernen Bereiche gestärkt werden und nicht die pflegenahen - das nicht am Menschen arbeitet, sondern am Papier. Aber, Herr Fink, was Sie überhaupt nicht tun - das kreide ich Ihnen auch heute wieder an -: Sie kritisieren die Pflegeversicherung und sagen dazu nicht, dass sie von Ihnen mit dem Geburtsfehler erfunden wurde, dass sie nicht einmal einen Dynamisierungsfaktor beinhaltet, ({0}) geschweige denn, dass Sie das Dogma der Beitragsstabilität auch nur antasten. Sie wollen im Grunde genommen die geringen Überschüsse, die zurzeit noch da sind, auffressen. Deswegen sagen Sie, dass Sie Ihr Vorhaben auf zwei Jahre befristen und dann einmal sehen, wie es weitergeht. Wenn wir sagen würden, dass wir diese zwei Jahre nutzen, um bis dahin dieses Dogma zu durchbrechen und eine zukunftssichere Lösung zu finden, die tatsächlich mehr qualifiziertes Personal in die Einrichtungen bringt, dann wäre ich auf Ihrer Seite. Darüber möchte ich einmal im Ausschuss diskutieren und vielleicht könnten wir dann am Ende auch etwas Vernünftiges beschließen. Aber nur zu sagen:„Wir leben von der Substanz“, ist mir zu billig. Das reicht im Prinzip auch nicht aus, jedenfalls nicht, wenn es eine Dauerlösung sein soll. Dies ist nur eine Übergangslösung, die wir sofort umsetzen könnten. Das ist notwendig, aber leider nicht der Fall. Die Kuschel-Lösung wäre ganz gut umzusetzen. Mehr und qualifiziertes Pflegepersonal brauchen wir so bald als möglich. Das kann ich Ihnen nur sagen. Reden Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen von der CSU, damit nun endlich diese unsägliche Blockierung in Form des Altenpflegeausbildungsgesetzes verschwindet. Lassen Sie uns zu vernünftigen Lösungen kommen! Leider reicht meine Zeit jetzt nicht mehr aus, ausführlich über die Förderung der Hospizarbeit zu reden. Ich habe zu einer anderen Zeit an diesem Ort schon ausführlich darüber gesprochen. Die Betroffenenorganisationen wissen, wie die PDS dazu steht. Wir werden den Gesetzentwurf des Bundesrates unterstützen; denn er geht in die richtige Richtung. Das Geld muss dorthin, wo die ambulante Pflege geleistet wird, und nicht in die Bürokratie. Wir werden versuchen, in der Richtung dieses Vorschlages weiterzukommen. Danke schön für die Aufmerksamkeit. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bei den Zwischenfragen bin ich ein bisschen zögerlich, weil wir gemeinsam vereinbart haben, nur kurze Debatten zu führen. Es ist am besten, wenn sich alle daran halten. Zum Abschluss hat jetzt der Kollege Horst Schmidbauer das Wort. Danach bitte ich alle Geschäftsführer aufzupassen, weil wir dann einen Abstimmungsmarathon haben, bevor wir einen weiteren Punkt debattieren.

Horst Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001996, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass heute schon wieder über Hospizarbeit in Deutschland geredet wird, finde ich gut; denn wir können nicht dankbar genug sein, dass wir die Hospizarbeit in Deutschland im Kern verankert haben und dass sie einen festen Stand hat. Wir können den 35 000 Frauen und Männern nicht oft genug danken, die ehrenamtlich in der Hospizbewegung tätig sind. Wir können auch nicht oft genug den 10 000 Profis, Frauen und Männern, danken, die als Ärzte oder Pflegefachkräfte - teilweise im 24-Stunden-Dienst ihren Einsatz in der hauptamtlichen Hospizarbeit leisten. ({0}) Aber heute noch einmal über die Förderung der ambulanten Hospizarbeit durch die Krankenkassen zu beraten, macht eigentlich keinen Sinn. Wir haben die Aufgabe, die dringend anstand und auf deren Lösung wir stolz sind, gelöst, indem wir endlich die ambulante Versorgung in der Hospizarbeit durch Beitragsgelder sichergestellt haben. Dies haben wir bereits mit der Neufassung des § 39 a des Sozialgesetzbuches V vor 22 Wochen geleistet. ({1}) Heute können wir feststellen, dass wir mit unserer Lösung richtig liegen. Wir haben von den Betroffenen der Hospizbewegung die volle Anerkennung erhalten. Das sollte man auch in diesem Hause endlich zur Kenntnis nehmen. Wir haben für diesen neuen Weg auch bei den Krankenkassen die volle Anerkennung und Akzeptanz verzeichnen können und wir haben die Anerkennung bei dem Gros der Bundesländer gefunden. Man muss deutlich sagen: Bei der Lösung ging es nicht um das Ob der Finanzierung der ambulanten Hospizarbeit an sich, sondern es ging vor allem um das, was mit Krankenkassenbeitragsgeldern finanziert werden soll. Das, was die Hospizbewegung leisten soll, hat sie selbst auf den Punkt gebracht. Gerda Graf, die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz, hat dazu bei der Anhörung zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates gesagt, ...dass es im Grunde genommen auch darum geht, dass gerade die Ehrenamtler erfahren, dass sie qualifiziert begleitet und geführt werden, damit sie eben nicht zu Lückenbüßern in der Gesellschaft werden. ({2}) Das ist ein ganz wichtiger Ansatz, wo wir auch in der Hospizarbeit sagen: Es muss ein qualifiziertes Netzwerk im Sinne einer palliativen Versorgung geben, damit Ehrenamtliche so begleitet werden, dass sie nicht selber zum hilflosen Helfer degradieren. Herr Kollege Parr, ich glaube, man sollte das einfach einmal zur Kenntnis nehmen. Frau Graf hat nämlich Recht. Der zentrale Unterschied heißt also: Qualität und Qualifikation. Über Qualität und Qualitätsanforderungsprofile kann man nicht, auch nicht durch eine Bundesratsinitiative, in Verhandlungen eintreten. Entweder man ist dafür oder man ist nicht dafür. ({3}) Aber gerade dieses hohe Anforderungsprofil an Qualität ist notwendig, damit die Ehrenamtler auch eine qualifizierte Anleitung, Ausbildung und Unterstützung erhalten können. Am Sonntag war ich Schirmherr beim zehnjährigen Bestehen einer Hospizbewegung. Dort sagten die Betroffenen, als sie vor 20 Jahren angefangen hätten, habe man für die Ehrenamtlichen 20 Stunden Ausbildung aufgewendet. Heute erhalten sie 250 Stunden Ausbildung, und zwar durch höher qualifiziertes Personal; denn es ist klar geworden, dass man das den Menschen schuldig ist, die sich für das Ehrenamt zur Verfügung stellen. Darüber kann man nicht verhandeln, sondern man muss mit Blick auf das handeln, was die Menschen benötigen und was notwendig ist. Deshalb ist es konsequent, dass wir diese Fragen auch im Gesetz verankert haben. Ich zitiere aus dem Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz: ...dass der ambulante Hospitzdienst ...unter der fachlichen Verantwortung einer Krankenschwester, eines Krankenpflegers oder einer anderen fachlich qualifizierten Person steht, die über mehrjährige Erfahrung in der palliativ-medizinischen Pflege oder über eine entsprechende Weiterbildung verfügt und eine Weiterbildung als verantwortliche Pflegefachkraft oder in Leitungsfunktionen nachweisen kann. Ansonsten müssten wir die Frage stellen: Was hilft den Ehrenamtlichen eine hauptamtliche Kraft, die keine Erfahrung in der Leitung von Menschen hat und die nicht weiß, wovon sie spricht, wenn es um die Sterbebegleitung und um die Bedeutung von palliativ-medizinischer Versorgung oder Palliativpflege geht? Noch schlimmer: Wenn der hauptamtlichen Kraft diese Qualifikationen und Kompetenzen fehlen, bleiben die Ehrenamtlichen mit ihrer schwierigen Arbeit allein. Die Folge ist, dass die Ehrenamtler dann niemanden mehr haben, auf den sie sich stützen können. Es ist noch ein zweiter Punkt unbedingt zu beachten. Ich zitiere noch einmal aus dem Gesetz: Voraussetzung der Förderung ist außerdem, dass der ambulante Hospizdienst... mit palliativ-medizinisch erfahrenen Pflegediensten und Ärzten zusammenarbeitet. Aus dem bereits am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Gesetz geht also ein weiteres Förderkriterium hervor: Voraussetzung für eine Förderung ist, dass die ambulanten Hospizdienste mit in der Palliativpflege erfahrenen Pflegediensten zusammenarbeiten müssen, und das ist gut so. Nur Palliativmedizin und Sterbebegleitung, in einer Einheit zusammengefasst, verkörpern Hospizarbeit. Wer Teile davon abtrennt, kann nicht mehr von einer sinnvollen Hospizarbeit sprechen. Palliativmedizin und Sterbebegleitung müssen unabdingbar als eine Einheit betrachtet werden. ({4}) Bis zuletzt würdig zu leben beinhaltet eine qualifizierte ambulante Versorgungsstruktur für Schwerkranke und Sterbende, um möglichst vielen Menschen ein Sterben zu Hause zu ermöglichen. Der Wunsch von 80 Prozent der Menschen in Deutschland, zu Hause in ihrer familiären Umgebung ihre letzten Tage verbringen zu können, ist leider nicht bestimmend. Die Wirklichkeit sieht nämlich anders aus: Nur 5 Prozent sterben tatsächlich zu Hause; 4 Prozent sterben in Hospizen oder Palliativstationen. Bis zuletzt würdig zu leben bedeutet aber vor allem: ein schmerzfreies Leben bis zuletzt. Ein schmerzfreies Leben in dieser letzten Lebensphase ist aber nicht ohne Palliativpflege und Palliativmedizin zu erreichen. Ohne das Muss zur Zusammenarbeit zwischen palliativ-medizinisch erfahrenen Pflegediensten und Ärzten ist das Ziel, bis zuletzt würdig zu leben, nicht zu erreichen. Es ist nachvollziehbar und nicht überraschend, wenn wir sagen: Qualität muss sein. Deshalb muss die Qualität, die beschlossen worden ist, durchgesetzt werden. Sie werden daher nicht überrascht sein, wenn wir dem Gesetzentwurf des Bundesrates, der hinter unseren Vorstellungen geblieben ist, heute nicht zustimmen werden. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 14/8364 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 11 b: Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Förderung der ambulanten Hospizarbeit auf Drucksache 14/6754. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/8518, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die dritte Beratung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Iris Gleicke, Dr. Hans-Peter Bartels, Anni Brandt-Elsweier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Albert Schmidt ({0}), Franziska Eichstädt-Bohlig, Helmut Wilhelm ({1}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes ({2}) Horst Schmidbauer ({3}) - Drucksache 14/6434 ({4}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({5}) - Drucksache 14/8354 - Berichterstattung: Abgeordneter Peter Letzgus Ich eröffne die Aussprache. Mir ist mitgeteilt worden, dass alle Reden zu Protokoll gegangen seien.1) Da für mehrere Tagesordnungspunkte die Reden zu Protokoll gegeben wurden, sind Sie sicherlich damit einverstanden, dass ich die entsprechenden Namen nicht alle nenne. Sie erscheinen mit den Reden im Protokoll. - Damit sind Sie einverstanden. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes, Drucksachen 14/6434 und 14/8354. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung der CDU/CSU in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Andreas Schmidt ({6}), Dr. Wolfgang Bötsch, Dr. Hans-Peter Friedrich ({7}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Untätigkeit der Bundesregierung gegenüber der Europäischen Kommission im Hinblick auf den Abschluss des Hauptprüfverfahrens in Sachen Investitionsbeihilfen für Leuna/Minol - Drucksache 14/8283 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({8}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Haushaltsausschuss Ich öffne die Aussprache. Auch hier sind alle Reden zu Protokoll gegeben worden, sodass ich die Aussprache schließe.2) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/8283 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Auch damit sind Sie einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({9}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Heide Mattischeck, Reinhard Weis ({10}), HansGünter Bruckmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Winfried Hermann, Marieluise Beck ({11}), Volker Beck ({12}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Fahr Rad - für ein fahrradfreundliches Deutschland - zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen ({13}), Dirk Fischer ({14}), Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Für ein fahrradfreundliches Deutschland - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs - Drucksachen 14/6441, 14/3773, 14/3445, 14/8431 Berichterstattung: Abgeordnete Heide Mattischeck Wolfgang Börnsen ({15}) Albert Schmidt ({16}) Hans-Michael Goldmann Ich eröffne die Aussprache. Auch hier sind alle Reden zu Protokoll gegeben worden.3) ({17}) Deswegen schließe ich die Aussprache, was ich sehr bedauere. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksache 14/8431. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrages der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/6441 mit dem Titel „Fahr Rad - für ein fahrradfreundliches Deutschland“. ({18}) Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/3773 mit dem Titel „Für Vizepräsidentin Anke Fuchs 1) Anlage 6 2) Anlage 7 3) Anlage 8 ein fahrradfreundliches Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ist die Beschlussempfehlung angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Verkehr, Bauund Wohnungswesen unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung, in Kenntnis des „Berichts der Bundesregierung über Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs“ auf Drucksache 14/3445 eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Diese Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({19}) zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Hintze, Klaus Hofbauer, Arnold Vaatz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Förderung der Grenzregionen zu den Beitrittsländern - Drucksachen 14/6638, 14/7970 Berichterstattung: Abgeordnete Winfried Mante Markus Meckel Peter Hintze Michael Stübgen Klaus Hofbauer Christian Sterzing Manfred Müller ({20}) Auch hier eröffne ich die Aussprache und stelle fest, dass alle Reden zu Protokoll gegeben worden sind.1) Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union auf Drucksache 14/7970 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Förderung der Grenzregionen zu den Beitrittsländern“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/6638 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ist die Beschlussempfehlung angenommen. Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 16 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und der Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus ({21}) - Drucksache 14/8739 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({22}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Auch hier eröffne ich die Aussprache und stelle fest, dass alle Reden zu Protokoll gegeben worden sind.2) Des- wegen schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur- fes auf Drucksache 14/8739 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Dazu gibt es keine weiteren Vorschläge. Sie sind einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf: a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Finanzierung der Sanierung von Rüstungsaltlasten in der Bundesrepublik Deutschland Rüstungsaltlastenfinanzierungsgesetz - RüstAltFG - Drucksache 14/7464 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({23}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Petra Bläss, Maritta Böttcher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Sofortmaßnahmen des Bundes bei der Rüstungskonversion einleiten - Drucksache 14/8657 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({24}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Haushaltsausschuss Auch hier eröffne ich die Aussprache und stelle fest, dass alle Reden zu Protokoll gegeben worden sind.3) Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/7464 und 14/8657 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Damit sind Sie einverstanden? - Das sehe ich. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Neumann ({25}), Heide Mattischeck, Rudolf Bindig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Dr. Christian SchwarzSchilling, Hermann Gröhe, Hartmut Koschyk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU, der Abgeordneten Christa Nickels, Kerstin Müller ({26}), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie Vizepräsidentin Anke Fuchs 1) Anlage 9 2) Anlage 10 3) Anlage 11 der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP Menschenrechte und Entwicklung in Tibet - Drucksache 14/8782 - Ich eröffne die Aussprache und stelle fest, dass alle Re- den zu Protokoll gegeben worden sind.1) Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP auf Drucksache 14/8782 mit dem Titel „Menschenrechte und Entwicklung in Tibet“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Die Gegenprobe! Enthaltungen? - Bei Enthaltung der PDS ist dieser Antrag angenommen. Jetzt rufe ich Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Weltoffenheit als Chance für die Hochschulen - Drucksache 14/7425 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({27}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss Ich eröffne die Aussprache. Auch hier sind alle Reden zu Protokoll gegeben.2) Deswegen schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/7425 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist so beschlossen. Jetzt kommt noch ein Zusatzpunkt. Ich habe die Tagesordnungspunkte getauscht, damit wir nicht auf eine zu Protokoll gegebene Debatte zurückkommen müssen. Somit ist nun dieser Zusatzpunkt der letzte Punkt des heutigen Tages. Ich rufe Zusatzpunkt 9 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. Oktober 2001 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Durchführung der Flugverkehrskontrolle durch die Schweizerische Eidgenossenschaft über deutschem Hoheitsgebiet und über Auswirkungen des Betriebes des Flughafens Zürich auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland ({28}) - Drucksache 14/8731 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({29}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Debatte eine halbe Stunde vorgesehen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Stephan Hilsberg.

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sehr ge- ehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gegenstand der heutigen Abenddebatte ist der Einstieg in das Ratifizierungsverfahren eines deutsch-schweizeri- schen Staatsvertrages. Dieser zielt auf eine deutliche Ent- lastung des süddeutschen Raumes - insbesondere von Baden-Württemberg - von dem Fluglärm, der von dem Hauptflughafen der Schweiz, nämlich dem Flughafen Zürich, ausgeht. Dabei spielen folgende Essentials eine Rolle: Erstens. Am Tag nach der Vertragsunterzeichnung - das ist bereits jetzt - ist für die Nachtzeit von 22 bis 6 Uhr eine Nachtflugbeschränkung in Kraft getreten, die insbesondere den Landkreis Waldshut entlastet. Landun- gen auf den beiden Pisten 14 und 16 - dieser Flughafen hat drei Pisten; die Pisten 14 und 16 befinden sich im We- sentlichen in Nord-Süd-Richtung - dürfen über deut- schem Gebiet nur abgewickelt werden, wenn es flug- betrieblich und technisch unvermeidbar ist. Die anderen Flüge über deutschem Gebiet haben in der Regel eine Mindestflughöhe von circa 3 000 Metern über Normalnull einzuhalten. Zweitens. Ab dem 27. Oktober dieses Jahres treten für Wochenenden und Feiertage für die Tagesrandstunden von 6 bis 9 Uhr und von 20 bis 22 Uhr die gleichen Be- schränkungen wie nachts in Kraft. Drittens. Die Anzahl der Anflüge wird nach einer Übergangszeit von 41 Monaten auf 100 000 pro Jahr be- schränkt; diese Zahl bleibt dann konstant, unbeschadet ei- ner wahrscheinlichen Zunahme des Gesamtluftverkehrs am Standort Zürich. Viertens. Mit der Festlegung eines Grenzabstandes für die Abflüge und einer Mindesteinflughöhe von 3 000 Me- ter über Normalnull in den deutschen Luftraum wird die deutsche Bevölkerung vor dem wesentlich lauteren Ab- fluglärm geschützt. Fünftens. Mit der Verpflichtung der Schweiz, zusätz- lich zu den Pisten 14 und 16 Präzisionsanflugverfahren auf andere Pisten und Anflugverfahren mit Warteverfah- ren über schweizerischem Gebiet einzurichten und ent- sprechend zu nutzen, wird erneut ein erheblicher Teil der aus dem Anflugverkehr resultierenden Umweltbelastung auf Schweizer Gebiet verlagert werden. Insgesamt, meinen wir, sind dies wesentliche Punkte, die den süddeutschen Luftraum deutlich zulasten der Schweiz entlasten. Gegenüber der alten Regelung von 1984, die die Benutzung des deutschen Luftraumes bis zum Mai 2001 geregelt hat, sind weit gehende Verbesse- rungen erreicht worden. Zum Beispiel enthielt die alte Vereinbarung keinerlei Nachtflugbeschränkungen. Die Vizepräsidentin Anke Fuchs 1) Anlage 12 2) Anlage 13 Zahl der Überflüge in den Höhen unter 3 000 Metern über Normalnull war eben nicht begrenzt. Vor dem Abschluss der Vereinbarungen sind 154 000 Flüge unter 3 000 Metern über Normalnull abgewickelt worden. Das ist deutlich mehr als das, was jetzt im Vertrag als Zielvorgabe geregelt ist. Für die Abflüge nach Norden bestanden überhaupt kaum Einschränkungen. Die wenigen Beschränkungen, die die Vereinbarung enthielt, wurden zudem von der Schweiz kaum eingehalten. Die alte Bundesregierung kannte das Problem. Sie hat sich damit nicht beschäftigt. Protestbriefe sind keine politischen Maßnahmen. Die Landesregierung von BadenWürttemberg hat dabei mitgespielt, weil sie offenbar befürchtete, sonst auch für den Landesflughafen Stuttgart mit gleichen Forderungen nach Beschränkung des Flugbetriebs konfrontiert zu werden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hornhues?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Ja.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr, Herr Kollege.

Prof. Dr. Karl Heinz Hornhues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000960, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, Sie haben uns ja geschildert, wie sehr wir entlastet und die Schweizer belastet werden. Plant die Bundesregierung, auch dafür zu sorgen, dass künftig weniger deutsche Staatsbürger ab Zürich fliegen, damit vielleicht auch die Schweizer durch die Deutschen entlastet werden können?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sehr geehrter Herr Kollege, es wird weiterhin den deutschen Staatsbürgern überlassen bleiben, zu entscheiden, von und zu welchem Flughafen sie fliegen. Das betrifft auch den Flughafen Zürich. ({0}) Lassen Sie mich fortfahren: Wir wissen, dass sich die süddeutsche Bevölkerung noch mehr erhofft hatte, doch in einem Kompromissverfahren bekommt man nie 100 Prozent dessen, was man gerne hätte. Ich glaube, Sie stimmen mir zu, dass eine gütliche und ausgewogene Lösung immer besser ist als einseitige Maßnahmen. Viele werden auf ein Schreiben des Schweizerischen Bundesrats an das schweizerische Parlament verweisen, mit dem dort das Vertragsgesetz zur Ratifizierung eingebracht worden ist. Dies spielt in der politischen Debatte eine Rolle. Das Schreiben hat - das ist wichtig - auch den politischen Zweck, dem schweizerischen Parlament die Ratifizierung des Staatsvertrags nahe zu bringen; denn - das ist unüberhörbar - es gibt in der Schweiz Stimmen, die sagen, die Schweiz führe besser damit, wenn sie diesen Staatsvertrag nicht ratifizierte. Wir meinen schon, dass das der Schweiz nicht gut bekäme; denn dann sähen wir uns gezwungen, folgende Maßnahmen durchzuführen: Zum einen würde die Flugsicherung sofort an uns zurückfallen, und zum anderen entstünde sofort ein rechtsfreier Raum, den wir dann mit einer eigenen Rechtsverordnung ausfüllen müssten, und zwar ohne Rücksicht auf eventuelle Nachbarn im dortigen Raum zu nehmen. Wir sind deshalb der Auffassung, dass die Ratifizierung dieses Staatsvertrags auch für die Schweiz die bessere Lösung ist. In den vergangenen Monaten gab es den bedauerlichen Absturz eines Flugzeugs der Crossair in Zürich. Danach wurde der Vorwurf erhoben, der Staatsvertrag werde schon in seiner Anfangsphase nicht eingehalten. Wir haben die Abwicklung des Verkehrs immer, insbesondere nach diesem Absturz, sorgfältig beobachtet. Natürlich gewinnt man den Eindruck, dass Ausnahmeregelungen über einen längeren Zeitraum zugegebenermaßen intensiv genutzt wurden. Das lag nicht nur an den infolge des Absturzes hoch gesetzten Wettermindestbedingungen für Landungen auf die nachts zu nutzende Piste. Wir werden der Schweiz gegenüber sehr deutlich werden, wenn bei uns der Eindruck entstehen sollte, dass der Vertrag nicht eingehalten wird. Ich verweise hier auf die Konsequenzen eines gar nicht erst zustande gekommen Vertrags. Diese stehen uns jederzeit zur Verfügung. Es gibt genug Möglichkeiten, diesen Vertrag durchzusetzen. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie deshalb: Unterstützen Sie dieses Gesetz, damit die süddeutsche Bevölkerung durch die Regelungen dieses Vertrags geschützt wird und wieder Frieden in der Region einkehrt. Diesen hat die Region und haben wir insgesamt nötig. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort dem Kollegen Thomas Dörflinger für die CDU/CSUFraktion.

Thomas Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003069, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ({0}) - Ich fürchte, Sie würden das nicht verstehen, und wir bräuchten noch einen Übersetzer, Herr Kollege. Es lohnt die Überlegung, was passiert wäre, wenn die Tagesordnung des heutigen Tages so abgewickelt worden wäre, wie sie ausgedruckt war, und die Kolleginnen und Kollegen vor uns Ihre Reden nicht zu Protokoll gegeben hätten. Dann hätten wir diese Debatte entweder um 2.30 Uhr morgens geführt oder aber die Reden zu Protokoll gegeben. Ich frage, Herr Staatssekretär, nachdem diese Debatte auf ausdrücklichen Wunsch der CDU/CSU-Bundestagsfraktion heute in erster Lesung stattfindet: Warum sind Sie so öffentlichkeitsscheu bei einem Staatsvertrag, ({1}) der der süddeutschen Bevölkerung bezüglich der Belastungen durch den Luftverkehr geradezu paradiesische Zustände zu versprechen scheint? Es gibt Gründe, die ich ausführen werde. Zur Vorgeschichte will ich eine Bemerkung machen: Es war richtig und fand die ausdrückliche Unterstützung unserer Fraktion und meiner Kollegen im Deutschen Bundestag, die in ihren Wahlkreisen ebenso betroffen sind - das sind die Kollegin Störr-Ritter, der Kollege Belle aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis und die Kollegen Kauder und Repnik -, dass die Bundesregierung die Vereinbarung von 1984 gekündigt hat. Es fand auch unsere Unterstützung, dass die Bundesregierung Verhandlungen mit der Schweiz aufgenommen hat, um die Fragen, die bekannt sind, in einem Staatsvertrag zu regeln. Wenn Sie aber die Botschaft nachlesen - im Sprachgebrauch unserer Geschäftsordnung würden wir von einer Beschlussempfehlung reden -, die der Schweizer Bundesrat an den Nationalrat gegeben hat, dann wird deutlich, wo der Knackpunkt dieses Vertrags liegt. Der Beratungsverlauf teilt sich in zwei Phasen. In der ersten Phase standen wir auf der Seite der Bundesregierung. Da wurde nämlich glaubhaft der Eindruck vermittelt, der Vertrag würde dazu dienen, die Belastungen künftig abzuschaffen oder aber deutlich zu verringern. In der zweiten Phase wurden die Verhandlungen auf die ministerielle Ebene gehoben. Von diesem Punkt an - dies ist nicht nur ausschließlich meine Meinung, sondern dies ist auch in der Botschaft des Bundesrates an die Nationalrätinnen und Nationalräte nachzulesen - gestaltete sich der Beratungsprozess so, dass der Vertrag für die Schweizer zustimmungsfähig wurde, weil nämlich die deutsche Verhandlungsdelegation unter der Leitung von Kurt Bodewig Zug um Zug die Positionen, die sie auch im Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg, also vor der Landtagswahl, vertreten hat, verlassen hat. Dadurch wurde der Vertrag für die Schweizer zustimmungsfähig. Heute stellen Sie sich, Herr Staatssekretär, hierher und sagen, dass nur das im Vertrag steht, was Sie ursprünglich angekündigt haben. Das ist nachweislich nicht der Fall. Es gibt acht zentrale Kritikpunkte zu diesem Staatsvertrag; ich will sie im Einzelnen nennen. Der erste Punkt, der auch zu einer Bundesratsinitiative des Landes BadenWürttemberg geführt hat, betrifft die Frage der Verfassungskonformität mit Blick auf Art. 24 und Art. 87 d des Grundgesetzes, ({2}) und zwar hinsichtlich der Frage, ob es denn gestattet ist, dass die Bundesregierung Hoheitsrechte an einen ausländischen Staat respektive an ein ausländisches Unternehmen, in diesem Fall die Skyguide als privatrechtliche Flugüberwachungsorganisation der Schweiz, überträgt. Das Grundgesetz spricht von der Zulässigkeit der Übertragung an zwischenstaatliche Organisationen. Ein Blick in den renommiertesten Grundgesetzkommentar, den wir haben, von Maunz, Dürig, Roman Herzog und Rupert Scholz, hätte genügt, um festzustellen, dass die Grenzen einer Übertragung von Hoheitsrechten sehr eng gezogen sind und dass diese Bestimmung in dem Staatsvertrag zumindest am Rande der Verfassungsmäßigkeit steht. Ich hätte erwartet, dass man die Verfassungskonformität dieses Vertrages klärt, bevor man ihn dem Deutschen Bundestag zur Beschlussfassung vorlegt. ({3}) Der zweite Punkt hängt damit zusammen: Es ist durchaus gebräuchlich, dass bei grenznahen Flughäfen der angrenzende Staat die Luftverkehrsüberwachung übernimmt. Dies ist zum Beispiel beim Flughafen Salzburg und dem angrenzenden Gebiet in Bayern der Fall. Wenn Sie sich aber einmal das Gebiet ansehen, das zukünftig nicht von der Bundesrepublik Deutschland, sondern von der Schweiz luftverkehrsüberwacht werden soll, werden Sie feststellen, dass dieses Gebiet nicht nur halb BadenWürttemberg, sondern auch einen Zipfel des Freistaates Bayern umfasst. Dies geht weit über das hinaus, was eigentlich notwendig wäre, um den Betrieb auf dem Flughafen Zürich-Kloten zu regeln. ({4}) Dritter Punkt: Sie haben selbst darauf hingewiesen, welche mögliche martialische Reaktion die Bundesregierung für den Fall plant, dass der Vertrag nicht eingehalten wird. Der Fehler wurde schon einen Schritt vorher gemacht, Herr Staatssekretär. Wie nämlich soll bewiesen werden, dass der Staatsvertrag nicht eingehalten worden ist, wenn die Daten, die zur Überprüfung notwendig sind, von einer der beiden Vertragsparteien bzw. einer nachgeordneten Organisation kommen? Wie wollen Sie in der Gemeinsamen Luftverkehrskommission überprüfen, ob die Schweiz diesen Staatsvertrag möglicherweise nicht eingehalten hat, wenn die Daten von Skyguide geliefert werden? Das ist schlichtweg nicht möglich. Lassen Sie mich auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen: Sehen Sie sich bitte einmal genau die Ausnahmeregelungen in diesem Staatsvertrag an. Hierbei spreche ich einmal die Juristen unter den Kolleginnen und Kollegen an. Ich habe noch keinen Vertrag gesehen, in dem die Worte „und so weiter“ vorkommen. Selbst für mich als Nichtjuristen erscheint diese Formulierung gänzlich unjuristisch. Juristen pflegen in der Regel sehr konkret und explizit zu formulieren. In diesem Staatsvertrag werden bestimmte meteorologische Erscheinungen wie Nässe und hohe Temperaturen erwähnt. Danach findet man die Worte „und so weiter“. Damit haben Sie eigentlich jede meteorologische Erscheinungsform abgedeckt, die man sich vorstellen kann. Einen zweiten Punkt bei den Ausnahmeregelungen haben Sie selbst angesprochen: Die Beschränkungen gelten nur für Flüge unterhalb einer Flughöhe von Flugfläche 100. Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch daran, dass wir über ein Gebiet reden, das nicht nur in BadenWürttemberg, sondern auch in der gesamten Bundesrepublik Deutschland zu den bevorzugten Feriengebieten gehört. Das gilt für den Hochrhein, für den Südschwarzwald und insbesondere für den Bodensee. Ich frage mich, wie die Zukunft dieser Tourismusregionen aussieht, wenn Sie einen solchen Staatsvertrag abschließen. ({5}) Nächster Punkt. Herr Staatssekretär, Sie haben vermutlich zur Kenntnis genommen, dass vor wenigen Tagen ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs in BadenWürttemberg über den Warteraum RILAX ergangen ist. In Ihrem Staatsvertragsentwurf steht, dass Sie der Schweiz zumindest in der nächsten Zeit das Recht zubilligen, Warteräume auf deutschem Gebiet einzurichten. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg stellt in seinem Urteil von vor wenigen Tagen fest, dass die Einrichtung des Warteraumes RILAX die Interessen der dort betroffenen Bevölkerung nicht ausreichend berücksichtigt. Das heißt, Sie hätten sehr wohl die Möglichkeit gehabt, in den bilateralen Verhandlungen zwischen der Schweiz und Deutschland darauf zu drängen, dass die Schweiz ihre Möglichkeiten ausschöpft, um auf ihrem Staatsterritorium die notwendigen Warteräume für ZürichKloten einzurichten. Ein Letztes: Sie räumen eine Übergangsfrist von 41 Monaten ein. Innerhalb dieser 41 Monate soll - es ist eine Soll- und keine Mussbestimmung - die Schweiz beispielsweise durch die Umrüstung der Pisten dafür sorgen, dass den Forderungen, die Sie erhoben haben, anschließend Genüge getan wird. Erinnern Sie sich an die Genese des Staatsvertrages und daran, wie die Schweiz mit der Vereinbarung von 1984 verfahren ist, die sie - das gehört auch zur Vollständigkeit - gut zwei Jahre eingehalten hat. Es wäre notwendig gewesen, das Ganze etwas konkreter zu formulieren und nicht den Versuch zu unternehmen, dem Deutschen Bundestag nur deshalb einen Staatsvertrag vorzulegen, damit ein solcher vorgelegt wird. Der vorliegende Entwurf schützt die Interessen der betroffenen Bevölkerung im deutschen Südwesten nicht. Deswegen lehnt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion diesen Staatsvertrag ab. Herzlichen Dank. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich dem Kollegen Winfried Hermann, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat ist es so: Wer in Südwestdeutschland Politik macht und Verantwortung trägt, weiß, dass die Themen Fluglärm und Züricher Flughafen seit vielen Jahren eine immense Rolle spielen, und zwar mit wachsender Vehemenz. Überall, querbeet durch alle Parteien und in allen Wahlkreisen entlang des Hochrheins, am Bodensee sowie im Schwarzwald-Baar-Kreis, gibt es Proteste. - Meine Kollegen von der CDU nicken mir zu: Die Zunahme des Fluglärms in dieser Region ist belästigend und belastend. Von daher war es aus unserer Sicht allerhöchste Zeit, etwas zu tun. Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn es 1998 eines Grundes bedurfte, weshalb ein Regierungswechsel gut war, dann war es der, dass Sie als Opposition jetzt erkennen können, was Sie hätten tun müssen, als Sie in der Regierung waren. ({0}) Das ist die Weisheit, die ich aus der Rede des Herrn Dörflinger herausgehört habe. Er hat durchaus kritische Punkte erwähnt und viele Punkte der Bürgerinitiativen aufgegriffen. Man fragt sich aber wirklich, warum in all den Jahren weder die Landes- noch die letzte Bundesregierung diesen schwierigen und unsäglichen Zustand durch ein Vertragswerk, das genau Ihren Forderungen entsprochen und die Bürgerinteressen berücksichtigt hätte, nicht angegangen ist. Das alles haben Sie nicht gemacht. Insofern muss ich Ihnen leider sagen, dass Sie heute besserwisserisch aufgetreten sind. Man kann Ihnen zugute halten, dass Sie, genau wie ich, neu im Parlament sind. Da kann man das, was vorher war, schon einmal vergessen. Kollege Repnik ist aber schon lange genug in einer mächtigen Position dabei und hätte schon längst aktiv werden können. Unbestreitbar ist, dass dieser Staatsvertrag - gemessen an den Zuständen vorher - bedeutende Verbesserungen bringt. Man kann doch nicht bestreiten, dass mit diesem Staatsvertrag eine deutliche Reduktion der Flugbewegungen innerhalb von drei Jahren erreicht wird. ({1}) Man kann auch nicht bestreiten, dass durch die Nachtflugverbote und die sie ergänzenden Beschränkungen an Feiertagen insgesamt ein bedeutender Fortschritt für die Bevölkerung erreicht wird. Ein Großteil der Bürger, die protestieren, erkennen dies an und auch die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in dieser Region sagen das. ({2}) - Nein, ich bin oft genug dort. Diese Wahlkreise betreue ich. Ich weiß, wovon ich rede. Es ist vollkommen richtig - Sie müssen Ihren eigenen Kollegen zurücknehmen, der danach gefragt hat, in wessen Interessen wir eigentlich reden und was mit den Schweizern ist -, dass der große Schweizer Verkehrsflughafen Zürich seine Fluglärmbelastungen im Wesentlichen auf Südwestdeutschland abgeladen hat. Natürlich fliegen von dort auch Deutsche, aber es ist in erster Linie ein Schweizer Flughafen. Es ist nicht rechtens und nicht richtig, dass vor allen Dingen die deutsche Bevölkerung davon betroffen ist. Nun will ich gerne einige Kritikpunkte aufnehmen; das sage ich in aller Offenheit. Ein Staatsvertrag wird von der Regierung ausgehandelt. Parlamentarier werden dabei weitgehend nicht einbezogen. Deswegen ist es klar, dass einige der Punkte der Bürgerinitiativen nicht aufgenommen wurden. Ich kann aus Sicht der Grünen sagen: Wir hätten uns gewünscht, dass die Zahl der Flugbewegungen schneller reduziert und insgesamt niedriger wird. Die Flughöhen von 3 000 Meter über Normalnull, die Sie genannt haben, können unter Umständen 2 000 Meter über Grund bedeuten. Es wäre schön, wenn wir hier niedrigere Höhen hätten vereinbaren können. Das alles sind Punkte, die ich sofort unterschreiben würde. Ich glaube, dies sollte nicht auf Dauer so bleiben. Eine dauerhafte Belastung der Menschen durch den Fluglärm ist nicht zu ertragen. Da der Flugverkehr so organisiert ist, dass Flugzeuge über dem Fughafen Warteschleifen drehen müssen, wodurch es zu Lärmbelästigungen kommt, muss es bei der Abwicklung des Flugverkehrs zu einer Verbesserung kommen. Es ist nicht einzusehen, dass Flugzeuge überhaupt aufsteigen dürfen, wenn man weiß, dass sich ihre Landung verzögert, was dazu führt, dass sie über Regionen kreisen müssen, die dann schwer belastet werden. Ich wünsche mir, dass beim Abschluss eines Staatsvertrags und bei möglichen Nachverhandlungen eine bessere Beteiligung der Bürger vor Ort erreicht wird. Es ist doch völlig klar: Wenn Bürgerinitiativen und Bürgermeister mit ihrem Sachverstand einbezogen werden, dann werden sie den Staatsvertrag anders als jetzt akzeptieren können, weil sie sehen, wo Kompromisse gemacht wurden und zu machen waren. Ich finde es erstaunlich, dass Sie heute so auftreten, als könne man bei internationalen Vertragsverhandlungen die eigenen Interessen einseitig durchsetzen. Ihr eigener Kollege hat so getan, als sei es völlig illegitim, deutsche Bürgerinteressen in diesem Rahmen durchzusetzen. Sie haben sich zwar davon distanziert, aber innerhalb Ihrer Fraktion deutet das auf keine gute Absprache hin. Ich will zum Schluss den Bürgerinitiativen und den Bürgern vor Ort meinen herzlichen Dank aussprechen. Mich jedenfalls haben sie immer mit Argumenten unterstützt und mich in der Sache kundig gemacht. Bleiben Sie weiter dran. Ich glaube, dass wir in den nächsten Jahren eine deutliche Verbesserung schaffen werden. Aber wir sollten nicht aufgeben, um noch mehr herauszuholen. Ein letztes Wort an die Opposition. Die eigentliche Lösung wäre, in Deutschland ein ambitioniertes Gesetz zur Reduktion des Fluglärms durchzusetzen. ({3}) Dazu brauchen wir die Unterstützung aller, also auch Ihrer Landesfürsten. Es wäre gut gewesen, wenn zu Beginn der Beratungen zum neuen Fluglärmgesetz nicht alle Ministerpräsidenten sowohl von der SPD als auch von der CDU - allen voran Ministerpräsident Teufel - deutlich signalisiert hätten: Wir wollen kein ambitioniertes Fluglärmgesetz. Dieses Gesetz hätte natürlich auch Veränderungen für die Flughäfen in Stuttgart, Frankfurt und in anderen Städten bedeutet. Wenn man etwas gegen Fluglärm und für die Bevölkerung tun will, dann muss man konsequent sein und im eigenen Land neue Regelungen finden, die dem Anspruch einer bürgerfreundlichen fluglärmreduzierenden Politik tatsächlich gerecht werden. Vielen Dank. ({4})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat das Wort der Kollege Ernst Burgbacher für die FDP.

Ernst Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003063, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde gern eine Bemerkung zur vorherigen Zwischenfrage des Kollegen Hornhues machen. Sehr geehrter Herr Hornhues, Sie haben hier angedeutet, dass Deutsche nicht von einem Schweizer Flughafen fliegen. Natürlich fliegen viele Deutsche von Zürich aus. Übrigens ist der Flughafen Zürich-Kloten auch für die deutsche Bevölkerung in diesem Raum ein ganz wichtiger Arbeitgeber. Das ist völlig unbestritten. Zumindest die große Mehrheit der Bevölkerung und auch die Abgeordneten der Region sind nicht der Meinung, wir müssten den ganzen Lärm auf das Schweizer Gebiet verlagern. Die Frage ist eine ganz andere. Die Frage lautet: Ist eine gerechte Lastenverteilung zwischen den Gebieten möglich? Man muss an dieser Stelle die berühmte Goldküste am Zürichsee mit ihren schönen Villen erwähnen. Wenn ein verantwortlicher Schweizer Politiker offen erklärt: „Es geht nicht an, dass wir die Flieger über der Goldküste beim Anflug warten lassen“, dann können Sie sich vorstellen, zu welchen Reaktionen das in der deutschen Bevölkerung führt. Hinzu kommt, dass die Schweiz 50 Prozent ihres Luftraums für militärische Zwecke gesperrt hat. Das hat natürlich enorme Auswirkungen, ist aber für die andere Seite so nicht nachvollziehbar. Diese Dinge spielen in unserer Region eine große Rolle. Durch die jahrzehntelange Nutzung des süddeutschen Luftraumes für den Flughafen Zürich-Kloten hat sich der Warteraum mehr und mehr auf deutsches Gebiet verlagert. Das ist nicht über Nacht gekommen, sondern diese Entwicklung erfolgte nach und nach. Die Belastungen durch den vermehrten Luftverkehr wurden immer stärker und die Lärmbelästigung vor allem im Kreis Waldshut, aber auch in den angrenzenden Kreisen Konstanz und Schwarzwald-Baar bis hin zum Kreis Tuttlingen ist zum Teil schon unerträglich. Eines der Hauptanliegen der Betroffenen - in der Kürze der Zeit kann ich nur auf wenige Punkte eingehen - war die Verlagerung des Warteraumes RILAX. Das ist nach wie vor ein großes Problem. Der Text des Staatsvertrags enthält keine verbindliche Regelung, die eine Verlagerung vorsieht, soweit diese - das ist völlig klar; mehr fordern wir nicht - flugtechnisch möglich ist. Die Prüfungsoption, die lediglich im Protokoll verankert ist, ist völlig unzureichend. Nach unserer Auffassung muss der Warteraum RILAX unbedingt überprüft werden, da dessen Einrichtung nicht ordnungsgemäß zustande kam. In diesem Punkt hat uns der Verwaltungsgerichtshof Recht gegeben; daher muss es auf jeden Fall eine Überprüfung geben. Die FDP fordert die Bundesregierung auf, Herr Staatssekretär, auf die Schweiz dahin gehend Einfluss zu nehmen, dass sie ihre Verpflichtung baldmöglichst erfüllt, eigene Warteräume einzurichten und auch tatsächlich zu nutzen. Die Rechtsverordnung, in der die Einrichtung des Warteraumes RILAX geregelt ist, muss entsprechend geändert werden. Ein zweiter Punkt: Im Staatsvertrag ist geregelt, dass die „Warteverfahren über deutschem Hoheitsgebiet in der Regel nur für Anflüge auf die Pisten 14 und 16 genutzt“ werden. Dieser Grundsatz muss präzisiert sowie streng überprüft werden. Ein dritter Punkt: In Art. 17 des Staatsvertrages wird ausdrücklich den im sektoriellen Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft „festgelegten Rechten und Verpflichtungen“ ein Vorrang eingeräumt. Dies sorgt zumindest für Unsicherheit; denn offensichtlich kann nach Schweizer Erwartungen die Kontingentierung der Anflüge durch zukünftiges EU-Recht hinfällig werden. Der Verzicht auf entsprechende Vorrangregelungen des Vertrags ist aus Sicht der FDP unverständlich. Wir werden Schwierigkeiten haben, dem so zuzustimmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hatten immer ein hervorragendes Verhältnis zu unserem Nachbarn im Süden. Dieses Verhältnis wird auch nicht auf den Prüfstand gestellt werden. Der vorliegende Vertrag ist aber absolut unzureichend. Wir können dem Bundesverkehrsminister den Vorwurf nicht ersparen, dass der Vertrag schlecht ausgehandelt ist. Deshalb fordern wir im Interesse der betroffenen Bevölkerung dringend Nachbesserungen des deutsch-schweizerischen Staatsvertrages. Herzlichen Dank. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat nun Dr. Winfried Wolf für die PDS-Fraktion.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen! Werte Kollegen! Es ist ziemlich klar, dass dieser Vertrag für die baden-württembergische Bevölkerung einen Fortschritt darstellt, und zwar unabhängig von der Frage, ob er juristisch sauber ist oder nicht. Die Festlegungen, dass zum Teil ein Nacht- und Wochenendflugverbot gelten soll und dass eine Reduktion der Überflüge stattfinden soll, sind wirklich ein Fortschritt. Man muss aber sagen - mich wundert, dass bisher niemand dieses Wort in den Mund genommen hat -, dass der Vertrag durch und durch von einer Doppelmoral geprägt ist, weil alle dort vorgeschlagenen Regelungen der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland vorenthalten werden. So finden zum Beispiel in Frankfurt am Main pro Nacht 120 Flüge statt. ({0}) - Es wird gerade korrigiert und gesagt, es seien noch mehr. - Hunderttausende von Menschen engagieren sich dafür, dass dort wenigstens ein begrenztes Nachtflugverbot eingeführt wird. Dabei wird auch darüber diskutiert, dass im Koalitionsvertrag von 1998 versprochen wurde, den „Schutz vor Verkehrslärm, besonders während der Nachtruhe, auf eine verbesserte gesetzliche Grundlage“ zu stellen. Wir haben jedoch vier Jahre Nichtstun oder Lavieren erlebt. Wir stellen fest, dass Herr Trittin als grüner Kaiser ohne Kleider dasteht. Wir stellen fest, dass es keine Gesetzesinitiative zur Verminderung des Fluglärms gibt, dass der Lärm bleibt und weiter wächst. Ich halte fest, dass der Binnenflugverkehr in Deutschland seit 1990 um 50 Prozent gesteigert wurde, so auch in den Jahren 1999 und 2000, und dass die durchschnittliche Reiseweite bei jedem Binnenflug heute bei 454 Kilometern liegt, also eindeutig auf die Schiene verlagert werden könnte. Ich stelle fest, dass die Entwicklung des Fernverkehrs der Bahn trotz des Wachstums des Binnenflugverkehrs seit acht Jahren stagniert. Ich füge hinzu, dass zum Beispiel das Flugzeug A 380/A 3XX ein Projekt darstellt, das mit 600 Millionen DM subventioniert wird. Die interne Kalkulation von Airbus - schriftlich festgelegt von Herrn Bischoff von DASA - basiert darauf, dass sich das Flugzeug nur rechnet, wenn sich der Flugverkehr nochmals verdoppelt. Man muss 800 Jets verkaufen; man kann sie nur in den Weltmarkt hineindrücken, wenn sich der Flugverkehr nochmals verdoppelt, wie dies bereits in den letzten zwölf Jahren geschehen ist. Deswegen sage ich, dass dieser Vertrag möglicherweise unterstützenswert ist - das werden wir in den Diskussionen im Ausschuss sehen -, aber durch und durch von Doppelmoral geprägt ist. Ich meine auch, Herr Staatssekretär Hilsberg, dass der von Ihnen geäußerte Satz, es „würde der Schweiz nicht gut bekommen“, wenn sie den Vertrag im Parlament nicht annähme, im Grunde auf den Tatbestand der Erpressung hinausläuft. Es fragt sich, was noch passieren soll. Ein nochmaliger Abgang eines Botschafters kann es ja wohl nicht sein. Nochmals: Der Vertrag hat gute Seiten, ist aber durch und durch problematisch. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat das Wort die Kollegin Karin Rehbock-Zureich für die SPD-Fraktion.

Karin Rehbock-Zureich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002756, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich bin schon erstaunt über die hier geführte Diskussion. ({0}) Wir haben seit 1998 Folgendes zustande gebracht: Erstens wurde in einem Staatsvertrag mit der Schweiz festgeschrieben, dass eine Sonn- und Feiertagsregelung für Ruhe von 20 Uhr abends bis 9 Uhr morgens sorgt. Zweitens haben wir festgelegt, dass die Nachtruheregelung für die Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr in der Region einzuhalten ist. Drittens - das ist das Wichtigste - haben wir festgelegt, dass der bisher zu 90 Prozent von Norden her erfolgende Anflug zum Schweizer Flughafen Kloten nun gedeckelt ist. Wir hatten bisher 160 000 Anflüge auf diesen Flughafen ausschließlich über deutsches Gebiet. Nun haben wir eine Deckelung auf 100 000 Anflüge erreicht, unabhängig davon, wie die weitere Entwicklung der Flugbewegungen in Kloten insgesamt verlaufen wird. Dies sind Erfolge für die deutsche Bevölkerung, von denen sie in den letzten 16 Jahren nur geträumt hat, Herr Dörflinger. Das muss man hier einmal ganz deutlich sagen. ({1}) Wir hatten 1984 eine Vereinbarung. Ich will Ihnen sagen, warum die Verhandlungen mit der Schweiz, die sich über drei Jahre erstreckten, so schwierig waren. Der Grund lag im Gewohnheitsrecht der Schweizer. In den letzten 16 Jahren hat man sich aufgrund der ständigen Proteste der Bevölkerung zusammengesetzt, der Protest wurde vorgetragen, aber es wurde nichts getan. Es hat sich nichts bewegt. Aus dieser Haltung heraus, die man in den letzten 16 Jahren vonseiten Deutschlands erlebt hat, dass es nämlich sowohl der konservativen baden-württembergischen Landesregierung wie auch der konservativen Bundesregierung egal war, welche Proteste vonseiten der Bevölkerung herangetragen wurden, hat man einfach gar nichts getan. Ich gebe Ihnen Recht: Die Übergangsfrist ist sicherlich eine Kröte. Man muss der Ehrlichkeit halber aber sagen, warum diese Übergangsfrist festgelegt wurde. Wenn wir diese Deckelung nämlich in einer kürzeren Frist verlangt hätten, hätte die Schweiz, die jetzt die bilateralen Verträge mit der EU abgeschlossen hat, die am 1. Juni rechtskräftig werden, diese Diskriminierung vor der EU beanstanden können. Dies wäre ein Diskriminierungstatbestand gewesen, weil das in der Schweiz in diesem Zeitraum verwaltungstechnisch nicht abwickelbar ist. Das ist für den Zeitraum von 41 Monaten - wie übrigens auch von dem konservativen Landrat in einem Gutachten festgehalten wurde - eine Kröte, die es zu schlucken gilt. Selbstverständlich waren die Verhandlungen schwierig. Wir mussten das EU-Recht und internationale Verträge berücksichtigen. Aber ich meine, mit dem Kompromiss, den wir erzielt haben, haben wir es endlich geschafft, dass auch vor dem Hintergrund zu erwartender steigender Flugbewegungen eine verbindliche Regelung für die Region festgeschrieben wird. Wenn Sie dem Staatsvertrag nicht zustimmen, frage ich Sie, welche Alternative es mit Ihrer Politik gäbe. ({2}) Wäre die Alternative wieder 14 Jahre warten, reden und nichts tun? Bei aller Kritik und angesichts dessen, dass bei allen Kompromissen nicht für beide Seiten alles 100-prozentig geregelt werden kann, ist dies eine Regelung, ({3}) die die Region entlastet - aus der Region ist auch sehr wohl Zustimmung zu hören - und es zustande gebracht hat, dass wir endlich und vor allen Dingen auch nachts Ruhe haben. ({4}) Wir haben die Situation - der Staatssekretär ist auch darauf eingegangen und ich bin dankbar für diese klaren Worte -, dass wir - auch das ist aus dieser Haltung heraus entstanden - zwar selbstverständlich Ausnahmeregelungen zulassen, um bei schwierigen Wetterlagen Flugsicherheit zu gewährleisten, dass diese aber vonseiten der Schweiz in manchen vergangenen Wochen in einem Ausmaß in Anspruch genommen wurden, das wir so nicht zulassen können und werden. Ich meine, dass in der Schweiz der Bundesrat selbstverständlich gegenüber dem Parlament darlegen muss, dass der Vertrag positiv zu beurteilen ist. Es ist nämlich für die Schweiz schwierig, den Vertrag zu vertreten, wenn in der Presse berichtet wird, dass man sich vom großen Nachbarn über den Tisch gezogen fühlt. Auch diese Diskussionen zeigen, dass wir einen Kompromiss geschlossen haben und bereit sind, Lasten zu tragen. Die ganze Region legt auch immer Wert auf ein gutnachbarschaftliches Verhältnis. Die Schweiz muss aber - das ist die Erwartung für die Zukunft - endlich sämtliche Pisten mit allen technischen Voraussetzungen ausrüsten, damit die Anflüge von allen Seiten - Nord, Süd, Ost und West - so abgesichert sind, dass sie genau wie von Norden her erfolgen können. Wir werden Wert darauf legen - das ist gegenüber der Vereinbarung von 1984 auch neu -, dass eine gemeinsame Luftverkehrskommission diesen Staatsvertrag begleitet und die Einhaltung kritisch beobachtet. Das heißt, wir haben ein Gremium, in dem wir immer das zur Sprache bringen, was aus der Sicht der Region nicht in Ordnung ist. Dass die technischen Voraussetzungen geschaffen werden müssen, damit der Anflug auch von Süden möglich ist, wird auf der Tagesordnung stehen. ({5}) Sie haben hier ausgeführt, dass Sie diesem Staatsvertrag nicht zuzustimmen werden. Wenn Sie diesem Staatsvertrag nicht zustimmen, werden Sie sich wahrscheinlich genauso wie die Konservativen in der Schweiz verhalten, die dem Staatsvertrag auch nicht zustimmen wollen. Verfolgen Sie denn hierbei die gleiche Linie?, muss ich Sie fragen. Wenn Sie dem Staatsvertrag nicht zustimmen, dann stimmen Sie auch nicht zu, dass es hierbei zu einer Verbesserung in der Region kommt. Gott sei Dank haben wir die Mehrheit, ({6}) sodass wir dafür sorgen können, dass eine Entlastung stattfindet. Vielen Dank. ({7})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/8731 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 19. April 2002, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Restabend. Die Sitzung ist geschlossen.