Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/26/1999

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Guten Morgen, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Wir beginnen die Sitzung auf Wunsch der Sozialde- mokraten etwas später, weil diese noch eine Fraktions- sitzung hatten. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, teile ich Ihnen mit, daß der Tagesordnungspunkt 2, Beratung der Vorlagen zur ökologischen Steuerreform, abgesetzt ist und in der nächsten Woche, voraussichtlich am Mitt- woch, beraten wird. Wir setzen die Haushaltsberatungen - Punkt 1 der Tagesordnung - fort: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1999 ({0}) - Drucksache 14/300 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über den Stand und die voraussichtliche Entwicklung der Finanzwirtschaft - Drucksache 14/350 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß ({1}) Finanzausschuß Wir kommen zur Schlußrunde. Ich erinnere daran, daß wir am Dienstag für die heutige Aussprache zwei Stunden beschlossen haben. Das Wort hat der Kollege Jacoby von der CDU/CSUFraktion.

Peter Jacoby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002690, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in den zurückliegenden Tagen dieser Haushaltswoche des Deutschen Bundestages über zentrale Fragen unserer Haushalts-, Finanzund Steuerpolitik diskutiert. Dabei haben drei Themen im Mittelpunkt der Diskussionen gestanden: Erstens. Wie gelingt es uns, die Arbeitslosigkeit abzubauen und zu mehr Beschäftigung in unserem Land zu kommen? Zweitens. Was muß geschehen, damit die Systeme der sozialen Sicherheit zukunftsfähig und wetterfest gemacht werden? Drittens. Wie und wo können wir sparen? Eine Reduzierung der Staatsquote, verbunden mit einer Reduzierung der Steuer- und Abgabenlast, ist in unserem Land dringend notwendig. Das sind die drei zentralen Themen unserer Diskussion. Ich möchte an die Überschrift der Haushaltsrede des Bundesfinanzministers „Versprochen - gehalten“ anknüpfen. Sie haben in der Tat in den letzten Wochen und Monaten Gesetze beschlossen; allerdings ist deren Finanzierung bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht gesichert, sondern offen. ({0}) Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, haben darüber hinaus Gesetze, die wir in der letzten Legislaturperiode beschlossen haben, zurückgenommen - kostenbegrenzende Maßnahmen, deren Gegenfinanzierung bis zur Stunde ebenfalls nicht geklärt ist. Entscheidend ist - in dem Sinne, der auch in Ausführungen des Kanzleramtsministers nachzulesen ist -: Das Zurücknehmen von Reformen bedeutet noch keine Reform. Ich stelle fest: Am Ende der Beratungen in dieser Haushaltswoche gibt es bis zur Stunde noch kein geschlossenes Politikkonzept, das den Herausforderungen der Gegenwart oder gar der Zukunft - den Herausforderungen wirtschaftspolitischer, finanzpolitischer oder arbeitsmarktpolitischer Art - entspräche. ({1}) In diese Kritik stimmen auch andere mit ein, und zwar solche, die unverdächtig sind. Wenn zum Beispiel der Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung darlegt, die Bundesrepublik Deutschland stehe vor einem Jahrzehnt des Umbaus des Sozialsystems, des Subventions1760 systems, des Steuersystems und des Arbeitsmarktes, dann kann ich nur sagen: Das alles vermissen wir in den bisherigen Darlegungen der Koalition. ({2}) Jedenfalls schlagen Sie, auch in der Debatte dieser Tage, die Schlachten der Vergangenheit. Herr Minister, mir ist aufgefallen, daß Sie in dieser Woche wieder das Argument mit dem Hinweis auf die Steuerquote in unserem Land bemüht haben. Ich will Sie daran erinnern, daß es in dieser Frage einen interessanten Brief des stellvertretenden Vizepräsidenten der Industrie- und Handelskammer des Saarlandes, eines Unternehmers, der weltweit über 5 000 Menschen beschäftigt, gibt, in dem er darauf hinweist, daß es völlig falsch ist, die Steuerquote zum Vergleichsmaßstab zu machen, weil in diese Steuerquote in anderen Ländern ganz andere Mehrwertsteuerbeträge und zum Beispiel in Dänemark, wo alles haushaltsfinanziert ist, Sozialversicherungsleistungen einfließen. Insofern ist der globale Hinweis auf die Steuerquote nichts anderes als eine Ablenkung von den hausgemachten Herausforderungen, die es hier in Deutschland anzunehmen gilt. Besonders bedauernswert finde ich dies angesichts der Tatsache, daß Sie in einer öffentlichen Diskussion eingeräumt haben - Sie haben es so auf Papier gebracht und unterschrieben; das ist also auch nachzulesen -, daß die Steuerquote nicht taugt, um einen internationalen Vergleich in bezug auf die Besteuerung einzelner Einkommensarten in unserem Land anzustellen. Wenn Sie dieser Meinung sind, dann bringen Sie bitte in die Debatten des Deutschen Bundestages nicht dieses Totschlagargument ein. Das möchte ich Ihnen bei dieser Gelegenheit sagen. ({3}) Deshalb bleibt für uns am Ende dieser Debatte bestehen: Ihre Steuerreform, die eine strategische Antwort auf die Herausforderungen finanzpolitischer, wirtschaftspolitischer und arbeitsmarktpolitischer Art ist, erfüllt die Erwartungen in keiner Weise.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Jacoby, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Matthäus-Maier?

Peter Jacoby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002690, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Frau Matthäus-Maier. ({0})

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Jacoby, ganz sicher sind Quoten immer schwierig zu benutzen, weil man vieles, wie zum Beispiel das Kindergeld, herein- und herausrechnen kann. Können Sie mir erklären, warum nach Ihrer Ansicht das Benutzen des Wortes Steuerquote und die Einführung dieses Wortes in die Diskussion durch den Finanzminister so furchtbar unsinnig sein sollen, wenn selbst die Bundesbank in ihren letzten Berichten ausdrücklich auf die Steuerquote eingeht und feststellt, daß sie mit 22,1 Prozent sehr niedrig liegt?

Peter Jacoby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002690, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, daß mit der Steuerquote argumentiert und diskutiert werden kann, steht nicht in Frage. Nur, der Hinweis auf die Steuerquote kann nicht dafür herhalten, die Notwendigkeit einer breiten Entlastung zugunsten des Mittelstands, des Handwerks und der investierenden Wirtschaft zu bestreiten. ({0}) Das ist der entscheidende Punkt. Insofern geht Ihre Frage eindeutig an der Sache vorbei. ({1}) Meine Damen und Herren, was bisher an strategischen Antworten auf die Probleme, die sich in unserem Land stellen, vorgelegt worden ist, erfüllt jedenfalls die Erwartungen über weite Strecken in keiner Weise. Die Absichten, das Steuersystem radikal zu vereinfachen, sind völlig aufgegeben worden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Jacoby, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Michelbach?

Peter Jacoby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002690, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Michelbach, bitte.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Jacoby, halten Sie die Diskussion um die Steuerquote nicht für eine Frage, die zur Volksverdummung ins Volk getragen wird, ({0}) da eine Durchschnittsbewertung unter Einbeziehung der Mehrwertsteuer, wie Sie gesagt haben, dem Vergleich gar nicht standhält und gar keine Aussage zu der hohen Steuerbelastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft ermöglicht?

Peter Jacoby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002690, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich will gleich im Zusammenhang mit den jüngsten Abläufen und den gestrigen Gesprächen im Rahmen des Bündnisses für Arbeit auf die Notwendigkeit, eine wirkliche Steuerreform in Kraft zu setzen, hinweisen. Jedenfalls hört man auch aus der Bundesregierung heraus ganz unterschiedliche Zungenschläge zu diesem Thema, von denen manche das, was ich eben gesagt habe, bestätigen. Deshalb ist meinen Ausführungen, Herr Kollege Michelbach, daß der Hinweis auf die Steuerquote für die aktuelle Diskussion völlig untauglich ist, nichts mehr hinzuzufügen. ({0}) Meine Damen und Herren, ich will darauf hinweisen, daß die Erwartungen nicht erfüllt worden sind. Deshalb sind neben der Überschrift Ihrer Rede „Versprochen gehalten“, Herr Minister, als weitere Kategorie die Erwartungen in die Debatte einzuführen, die Teile Ihrer Partei, an der Spitze der damalige Kanzlerkandidat, in den Wochen und Monaten des Wahlkampfes im vergangenen Jahr geweckt haben. Damals ist jedenfalls die Rede davon gewesen, man müsse zu wirklichen Reformen in unserem Land kommen. Dies ist unter der Überschrift „Mit Mut und neuer Kraft für Innovation und Wachstum in Deutschland“ zu Papier gebracht worden. Dort heißt es: Wir müssen Wirtschaft und Gesellschaft umfassend modernisieren. Wer morgen sicher leben will, muß heute zu Reformen bereit sein. Er muß sie kraftvoll durchsetzen. In dem Dresdner Manifest, das von Gerhard Schröder geschrieben worden ist, heißt es sogar: Um wirklich voranzukommen, müssen Brüche und Sprünge gewagt werden, denn nur sie schaffen neue Chancen. Wir erleben in der Tat Brüche und Sprünge. Nur ergeben sich diese Brüche und Sprünge aus den nicht geklärten Grundsatzpositionen innerhalb der Regierung. Es gibt in den zentralen Fragen jedenfalls kein überzeugendes Zukunftskonzept: Bewältigung der Herausforderungen des Arbeitsmarktes, des Umbaus des Sozialsystems und der Verbreiterung der Möglichkeiten, um zu mehr Investitionen und Wachstum in unserem Land zu kommen. Das gilt es, in der heutigen Debatte festzuhalten. ({1}) Wenn es noch eines Beweises für die nicht eingehaltenen Versprechen bedurft hätte, dann gibt es ihn jetzt. Die Gespräche im Rahmen des Bündnisses für Arbeit, die mit großen Erwartungen angekündigt wurden, sind in ihrem bisherigen Verlauf und in ihrer Unverbindlichkeit nicht mehr zu überbieten. Auch dies muß am heutigen Tag gesagt werden. ({2}) Wir können der heutigen Tagespresse entnehmen, daß Schröder der Wirtschaft eine neue Steuerreform verspricht. ({3}) Dazu will ich sagen: Sie haben in der letzten Woche den erneuten Versuch unternommen, bei der Reform der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer über drei Schritte zu einem Abschluß zu kommen. Das Thema Unternehmensteuerreform haben Sie nur nachgeschoben und waren gestern nicht in der Lage, entsprechende Eckdaten zu präsentieren, was durch die kritischen Kommentare sämtlicher Beteiligter deutlich wurde. Bezogen auf Ihr Motto „Versprochen - gehalten“ muß man also feststellen, daß Sie im letzten Jahr weit hinter den Erwartungen der sogenannten Neuen Mitte, des Handwerks, des Mittelstands und der investierenden Wirtschaft - im übrigen auch der Arbeitnehmerschaft, deren Interesse auf den ersten und nicht allzusehr auf den zweiten Arbeitsmarkt gerichtet ist - zurückgeblieben sind. ({4}) Deshalb ist sich die gesamte Öffentlichkeit in der Bewertung Ihrer Politik einig: Sie ist enttäuscht. Zum Bundeshaushalt selbst möchte ich sagen: Steigende Bundesausgaben, die weit über die Empfehlungen des Finanzplanungsrates hinausgehen, eine höhere Staatsquote und eine gemessen am Bruttoinlandsprodukt niedrigere Investitionsquote sind die falschen Antworten in der jetzigen Zeit. Herr Finanzminister, in diesem Jahr können Sie trotz 30 Milliarden DM prognostizierter Steuermehreinnahmen die Neuverschuldungsgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes nur deshalb einhalten, weil Sie 10 Milliarden DM Privatisierungserlöse aus dem vergangenen Jahr übertragen können. Soweit zum Thema Erblast und Bilanz im September 1998. Angesichts der Tatsache, daß Sie außerdem die Neuverschuldungsgrenze nur deshalb einhalten können, weil Sie die Bundesbürgschaften um 3 Milliarden DM ausgeweitet haben - diese werden als Investition gewertet, sind es de facto aber nicht -, kann man feststellen, daß Ihre Politik alles andere als der Ausdruck von Sparsamkeit und das ernsthafte Bemühen ist, die Staatsquote in unserem Land zu reduzieren, um damit zu einer Senkung von Steuern und Abgaben als der Voraussetzung für mehr Wachstum, Investition und Arbeitsplätze zu kommen. Das ist der entscheidende Zusammenhang. ({5}) Deshalb sei noch einmal darauf hingewiesen: Was wir bisher, in den ersten Monaten der Tätigkeit dieser Bundesregierung, erlebt haben - das drückt sich auch im Bundeshaushalt aus -, das ist nicht eine Entlastung breiter Schichten der Bevölkerung, sondern das hat ausschließlich mit Belastung zu tun. Sie sollten die Gelegenheit des heutigen Tages nutzen, zu der Frage Stellung zu beziehen, mit welchen weiteren Steuererhöhungen - über die Einführung der Ökosteuer hinaus - zur Bewältigung der von Ihnen selbst verursachten Risiken in Milliardenhöhe zu rechnen ist. Das betrifft die Mehrwertsteuer, die Vermögensteuer und andere Steuerarten, die in der Diskussion sind. Wir hören, daß jetzt die zweite Stufe der Ökosteuerreform angegangen werden soll. Wie wird die Entwicklung bei der Mineralölsteuer und bei der Stromsteuer weiter vonstatten gehen? Über diese Fragen muß diese Debatte Aufschluß geben. Denn das sind die Grundfragen, um die es in diesen Wochen und Monaten geht angesichts dessen, daß sich die konjunkturelle Situation eingetrübt hat, und angesichts der Situation, daß wir seit dem Regierungswechsel einen Zuwachs an Arbeitslosen in der Größenordnung von rund 470 000 haben. Das eine oder andere mag saisonal bedingt sein. Aber Sie sehen selbst die breite Enttäuschung, die breite Frustration derjenigen, die Sie im vergangenen Jahr in den Wochen und Monaten des Wahlkampfes umworben haben und die wir jetzt brauchen, damit wir die sozialen und die strukturellen Probleme unseres Landes bewältigen können. Das ist das Thema der heutigen Zeit. Deshalb sollten wir auch in dieser Debatte zu diesen Themen von Ihnen mehr erfahren, Herr Minister, als das bisher geschehen ist. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Ottmar Schreiner von der SPD-Fraktion.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst will ich einmal die letztgenannte Zahl von Herrn Jacoby zurechtrücken. Sie wissen genausogut wie ich, daß Vergleiche über wenige Monate hinweg bei den Arbeitslosendaten völlig belanglos sind. Entscheidend sind die Jahresvergleiche. Wir hatten im Januar dieses Jahres etwa 370 000 Arbeitslose weniger als im Januar letzten Jahres, ({0}) das heißt, die Arbeitslosenquote ist von 12,5 auf 11,6 Prozent gesunken. Das ist die Realität. Insoweit sind wir auf diesem Feld auf einem guten Weg. ({1}) Ich habe heute das Vergnügen, zum erstenmal nach sehr langen 16 Jahren hier als Mitglied einer Regierungsfraktion reden zu können. Das ist ein gutes Gefühl, darf ich Ihnen mitteilen. Ich hoffe, das wird noch sehr lange anhalten. ({2}) Ich erinnere mich sehr gut an den Wechsel 1982. Damals sind wir jahrelang mit angeblichen Erblasten der Regierung von Helmut Schmidt gepiesackt worden. Gemessen an dem, was die neue Bundesregierung an Erblasten übernommen hat, ist das, was 1982 der Fall gewesen ist, ein wahres Kinderspiel. ({3}) Ich will Ihnen heute, wenige Monate nach der Wahl, einige zentrale Daten in Erinnerung rufen, die mit Ihrer Regierungstätigkeit untrennbar verbunden sind. Wir hatten 1982 eine Arbeitslosenzahl von etwa 1,8 Millionen. Bestand beim Regierungswechsel im Herbst vorigen Jahres: 4,3 Millionen. ({4}) Sozialhilfeempfänger 1982: 900 000, 1998: knapp 3 Millionen, also mehr als eine Verdreifachung von ausgegrenzten Menschen. ({5}) Die Summe der Sozialversicherungsbeiträge betrug 1982 einschließlich des Arbeitgeberbeitrages 34 Prozent vom Bruttoeinkommen; 1998 waren es 42 Prozent, ein historischer Höchststand an Lohnnebenkosten. - Sie haben alle Ihre zentralen Ziele verfehlt. ({6}) Die Markenzeichen Ihrer Politik, meine Damen und Herren von den Oppositionsparteien: von Jahr zu Jahr steigende Arbeitslosigkeit in Deutschland, wachsende Abhängigkeit von Millionen von Menschen von Sozialleistungen, steigende Lohnnebenkosten, damit ein zentrales Beschäftigungshemmnis. Alle Ihre Ziele, die Lohnnebenkosten zu senken, sind verfehlt worden. ({7}) Umverteilung von unten nach oben war ein weiteres Markenzeichen Ihrer Politik seit 1982. Und Sie haben einen der größten Skandale zu verantworten: In einem der reichsten Länder dieser Welt ist das Vorhandensein von Kindern zum gesellschaftlichen Armutsrisiko geworden. ({8}) Das sind die wesentlichen Bilanzierungen, die Sie zu verantworten haben. Die Zeit liegt noch nicht sehr lange zurück. Deshalb macht es wenig Sinn, in den Parlamentsdebatten jetzt mit einem gehörigen Ausmaß an Maulheldentum zu argumentieren. ({9}) Sie sollten zunächst einmal bedenken, was Sie selbst angerichtet haben und in welch schwieriger Ausgangslage sich die neue Bundesregierung befunden hat. ({10}) Wenn man sich nun am Ende dieser Haushaltsdebatte fragt, welche Lehre Sie aus Ihrer eigenen Bilanz gezogen haben, ({11}) was Ihre politischen Schlußfolgerungen sind, ({12}) dann verbleibt ein leeres Blatt. Ich habe in der gesamten Haushaltsdebatte von der Unionsfraktion zu keinem zentralen Politikfeld irgendeinen diskussionsfähigen Vorschlag gehört. Nichts, absolut nichts! ({13}) Wo sind Ihre diskussionsfähigen Alternativen in Sachen Beschäftigungspolitik? Wo sind Ihre diskussionsfähigen Vorschläge in Sachen Wirtschaftspolitik? Wo sind Ihre diskussionsfähigen Vorschläge in Sachen Arbeits- und Sozialpolitik? Nur Gemaule, nur Genörgel, nur Herumkritisiererei! Sie haben in diesem Parlament nichts Positives zu präsentieren. ({14}) Wo sind Ihre Vorschläge im Bereich der Energiepolitik? Wo sind Ihre positiven Vorschläge im Bereich der überfälligen Novellierung des Staatsbürgerschaftsrechts? Nichts ist da. Sie sind intern in einem hohen Maße zerstritten. ({15}) Durch bloßes Maulheldentum können Sie nicht über diese Negativsituation hinwegtäuschen. Sie sind zur Stunde nicht einmal oppositionsfähig. Das ist die wahre Lage. ({16}) Ihre Alternativlosigkeit ist kein Zufall. Sie ist die zwingende Folge von völlig ungelösten inhaltlichen Widersprüchen innerhalb der CDU/CSU, insbesondere innerhalb der CDU. Die CDU zerfällt in zwei Lager. Sie haben auf der einen Seite ein neoliberales Lager, das das Wahldebakel vom 27. September letzten Jahres gewissermaßen als einen Betriebsunfall abzutun scheint, und Sie haben auf der anderen Seite einen Sozialstaatsflügel innerhalb der Union, der sich offenkundig auf dem Rückzug befindet. Wenn Sie sich die Analysen von Teilen der Union ansehen, dann werden Sie sehr schnell feststellen, daß die zentrale Ursache für Ihr Wahldebakel am 27. September darin besteht, daß die Menschen in diesem Lande den Eindruck gewinnen mußten, daß die abgewählte Bundesregierung jede Sensibilität für soziale Gerechtigkeit verloren hatte. Das ist der entscheidende Grund Ihrer Abwahl. ({17}) Ich will Ihnen das beispielhaft an Hand von einigen wenigen Aussagen im Verlauf dieser Woche präsentieren. Ihr Fraktionsvorsitzender Schäuble hat in seiner Rede immer wieder die Rücknahme sogenannter Reformen durch die neue Bundesregierung beklagt; das hat der Kollege Jacoby eben wiederholt. - Übrigens ist der Reformbegriff von Ihnen verhunzt worden. ({18}) Reformen sind eigentlich Maßnahmen, die die Lebensbedingungen der Menschen verbessern. Sie haben die Lebensbedingungen der Menschen verschlechtert; das hat mit Reformen überhaupt nichts zu tun. Diese Begrifflichkeit wollte ich nur klarstellen. ({19}) Schäuble und andere Oppositionsredner haben immer wieder beklagt, daß die Reformen der abgewählten Regierung zurückgenommen worden seien. Ich will einmal zitieren: Zwei Tage nach dem Wahldebakel vom 27. September 1998 veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Artikel von Georg Paul Hefty unter der Überschrift: Vom sozialen Gewissen der Union enttäuscht. Dieser Artikel beginnt mit dem Satz: Die Niederlage der Union hat sachlich wohl einen Hauptgrund: die Sozialpolitik der CDU/CSUFDP-Koalition. Genau das ist richtig. Das ist der entscheidende Grund. Nochmals: Sie haben in den letzten 16 Jahren, ganz besonders in den letzten Jahren, jedes soziale Gespür vermissen lassen. Deshalb sind Sie zu Recht abgewählt worden. ({20}) Meine Damen und Herren, die Menschen in Deutschland wie in Europa können, wenn sie die politische Entwicklung in der Europäischen Union verfolgen, feststellen, daß Sie nicht die einzige konservative Regierung sind, die abgewählt worden ist. Nahezu alle anderen konservativen Regierungen in Europa sind ebenfalls abgewählt worden. Die Lehre daraus ist Ende der 90er Jahre: Die Menschen in Deutschland, die Menschen in der Europäischen Union wollen keine Rückkehr in die soziale Kälte einer radikalen Marktwirtschaft. Sie wollen eine vernünftige Balance, einen vernünftigen Ausgleich, ein Gleichgewicht zwischen Marktkräften einerseits und sozialen Ausgleichsmechanismen andererseits. Das ist eine der entscheidenden Lehren der späten 90er Jahre. ({21}) Ich will Ihnen nicht ersparen, Ihren früheren Generalsekretär ({22}) - nicht den der CSU, sondern den der CDU - aus einem Artikel im „Publik-Forum“, der erst wenige Wochen alt ist - er stammt vom 29. Januar dieses Jahres -, zu zitieren. Da schreibt Herr Geißler: Die CDU hat in der Mitte verloren - die Folge einer Politik, die das Bündnis für Arbeit zerstört hat, das Ergebnis einer Koalition mit den Liberalen, die mit ihrer kapitalistischen Philosophie des Shareholder Value über soziale Leichen gingen, ({23}) das Resultat einer rechtskonservativ geprägten Innen- und Ausländerpolitik. Diese Politik mündete in eine Entfremdung von den Gewerkschaften, den großen Sozialverbänden wie Caritas und Diakonie und den Kirchen. ({24}) Meine sechs Jahre alte Warnung wurde bestätigt: Wer nach rechts rückt, wird links regiert. Dem ist nichts hinzuzufügen. Das ist die Analyse eines klugen Kopfes aus der CDU/CSU-Fraktion, der bei Ihnen leider Gottes keine Rolle mehr spielt. ({25}) Meine Damen und Herren, Sie sind abgewählt worden, weil es die Menschen leid sind, wenn ihnen erzählt wurde, daß es wirtschaftlich nur dann aufwärts gehen könne, wenn es sozial abwärts geht. Sie sind abgewählt worden, weil es die Menschen leid sind, wenn ihnen gesagt wurde, daß die Arbeitnehmer bei den Löhnen immer bescheiden sein sollen, während gleichzeitig die Gewinne einen neuen Höchststand erreichen. Sie sind abgewählt worden, weil es die Menschen leid sind, daß die Familie in Sonntagsreden hochgehalten wird, aber Ihre Steuerpolitik vor allen Dingen die ledigen Spitzenverdiener begünstigt hat. Die Steuerurteile des Bundesverfassungsgerichts aus den letzten Wochen haben in einmaliger Klarheit und schwarz auf weiß festgestellt: Die Politik der früheren Bundesregierung hat sich massiv gegen Familien und gegen Kinder gerichtet. Die CDU/CSU und die F.D.P. sind dabei nicht einmal davor zurückgeschreckt, gegen die zwingenden Vorgaben der Verfassung zu verstoßen. Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen im nachhinein bestätigt, daß Ihre Familienpolitik einer Bankrotterklärung gleichkommt. ({26}) Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie uns Sozialdemokraten gesagt wurde, für die Erhöhung des Kindergeldes sei kein Geld da, weil der Spitzensteuersatz auf 39 Prozent abgesenkt werden müsse. ({27}) Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie Herr Schäuble die Erhöhung des Kindergeldes als unfinanzierbare soziale Wohltat diskriminiert und entwertet hat. Das sind die Resultate Ihrer Erklärungen zur Familienpolitik. ({28}) Das „Bündnis für Arbeit“ ist das zentrale Projekt der neuen Bundesregierung. Auch dazu möchte ich Ihnen ein Zitat von Herrn Geißler aus demselben Artikel im „Publik-Forum“ nicht vorenthalten: Aus diesem Grunde war das Scheitern des Bündnisses für Arbeit im Frühjahr 1996 der eigentliche gravierende Fehler der Koalition, und dieses Scheitern sollte in den darauffolgenden zwei Jahren bis zur Bundestagswahl das gesamte sozial- und wirtschaftspolitische Klima bestimmen. Statt im Konsens mußten alle Reformen in der Konfrontation durchgesetzt werden. Mit der Aufkündigung des Bündnisses für Arbeit - durch die Bundesregierung hatte eine neoliberale Ideologie über die soziale Marktwirtschaft gesiegt. Das Ende des Bündnisses für Arbeit war der Anfang vom Ende der CDU als Regierungspartei. Das präzise ist die Situation. ({29}) Das von Ihnen mutwillig herbeigeführte Ende des „Bündnisses für Arbeit“ war der Anfang vom Ende Ihrer Regierungstätigkeit. Da kann man nur sagen: zu Recht. ({30}) Das jetzige „Bündnis für Arbeit“ ist auf einem guten Weg. Jeder, der sich mit dem Problem der Massenarbeitslosigkeit beschäftigt hat, weiß, daß es keinen Königsweg gibt. Es geht darum, Vertrauenskapital zwischen allen beteiligten Akteuren anzusammeln und Schritt für Schritt voranzukommen. Nochmals: Wir sind da auf einem guten Weg. Die ersten Schritte sind zurückgelegt worden: Erster Punkt. Die Lohnnebenkosten werden zum erstenmal seit Jahren abgesenkt werden. Immer wieder ist von Ihnen gesagt worden, die hohen Lohnnebenkosten seien das zentrale Beschäftigungsproblem. Die jetzige Regierung macht zum erstenmal seit Jahren Ernst damit, die Sozialversicherungsbeiträge, die Lohnnebenkosten, abzusenken, und zwar Schritt für Schritt und Jahr für Jahr. Zweiter Punkt. Die Bundesregierung hat ein Versprechen wahrgemacht, nämlich unverzüglich ein Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit aufgelegt. Wenn der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Herr Schäuble, dieses Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, das sich zum Ziel gesetzt hat, viele junge Menschen von der Straße zu holen, sie einer Beschäftigungsmöglichkeit zuzuführen, ihnen einen Ausbildungsplatz anzubieten und ihnen in ihrer Not zu helfen, als „Ruhigstellung von jungen Menschen“ denunziert, ({31}) dann ist das keine Entgleisung mehr, sondern eine perverse Verdrehung aller Tatsachen. ({32}) Ich sage Ihnen dazu: Wer so redet, muß darauf hingewiesen werden, daß die frühere Bundesregierung, die tatenlos den jährlichen Anstieg der Zahl arbeitsloser junger Menschen hingenommen hat, mitverantwortlich ist für steigende Jugendkriminalität, für das steigende Abgleiten in die Drogenszene und für die steigende Gewaltbereitschaft von jungen Menschen. ({33}) Wer so redet, muß an diese Sachverhalte erinnert werden. Das haben Sie sich an Ihre Brust zu heften, meine Damen und Herren von der Opposition. ({34}) Wer so redet, hat jedes Maß verloren und hat den Anspruch verloren, in diesem Parlament noch ernst genommen zu werden. ({35})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Schreiner, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken erlauben?

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, wenn sie halbwegs intelligent ist. Bei Ihnen ist man einiges gewohnt, Herr Hinsken. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Hinsken, bitte schön.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es kann nicht jeder so intelligent sein wie Sie, Herr Schreiner, ({0}) der Sie heute schon wissen, was morgen passiert. Wir liegen auf der Höhe der Zeit. Deshalb stellen wir Fragen, die diesbezüglich eben berechtigt sind. Wenn Sie hier die Jugendarbeitslosigkeit ansprechen und anprangern, daß sie in den letzten Jahren gewachsen ist, pflichte ich Ihnen bei. Es wäre aber angebracht, daß Sie hier auch hinzufügen, wo diese Jugendarbeitslosigkeit besonders angewachsen ist: nicht in den CDU/CSUgeführten Ländern, ({1}) sondern vor allen Dingen dort, wo Sie an der Regierung sind. Da haben Sie versagt. ({2}) Das ist vor allen Dingen ein länderpolitisches Problem. Sie sollten das nicht außen vor lassen, sondern diesbezüglich Stellung nehmen. ({3})

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mir ist der Sinn Ihrer Frage nicht völlig klar. Sie wissen genauso gut wie ich, daß die Arbeitslosigkeit in Deutschland ebenso wie in Frankreich, in England, in Italien und in den Vereinigten Staaten von Amerika regional unterschiedlich ausgeprägt ist. Es gibt Regionen mit starken strukturellen Problemen, die gelöst werden müssen - dort ist die Arbeitslosigkeit vorübergehend höher -, ({0}) und andere Regionen, die ihre strukturellen Probleme für die es andere Gründe gibt - bereits hinter sich gebracht haben. Insoweit ist es eine Binsenweisheit, daß wir in Deutschland Regionen mit unterschiedlich hoher Arbeitslosigkeit haben. Das ist in allen anderen industriell geprägten Ländern ganz genauso. - Sie sollten sich jetzt hinsetzen; das war keine sehr erleuchtende Frage. ({1}) Ich will zum Schluß sagen: Am Ende dieser Legislaturperiode wird die neue Bundesregierung nicht an der Arbeit der ersten drei Monate gemessen werden. Im übrigen hat sie in den ersten drei Monaten mehr Aufgaben geschultert als die Schlafmützen der alten Bundesregierung in den letzten zwei Jahren. ({2}) - Warum fassen Sie sich an den Kopf? Meinen Sie sich damit selbst? Fehlt Ihnen etwas? Kann man Ihnen helfen?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Schreiner, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Fromme?

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn es ihn zufriedenstellt, bitte sehr.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Fromme, bitte schön.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schreiner, geben Sie mir recht in der Tatsache, daß sich die Arbeitslosenquoten in den einzelnen Bundesländern recht unterschiedlich entwickelt haben und daß die Situation in Bayern früher ganz anders gewesen ist als heute?

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe eben versucht, darauf hinzuweisen, daß es in Bayern früher große strukturelle Probleme gegeben hat, die einigermaßen gelöst sind, ({0}) daß es in anderen Bundesländern aus ganz anderen Gründen ebenfalls strukturelle Probleme gibt, die jetzt gelöst werden, und daß deshalb die regionale Verteilung von Arbeitslosigkeit ungleichgewichtig ist. Ich sage es noch einmal: Das ist nicht nur in Deutschland so. Das ist zum Beispiel in Italien und in allen anderen Ländern auch so. Deshalb glaube ich, daß wir diesen Punkt wirklich abschließen können. Schauen Sie sich die Statistiken in anderen Ländern an. Ich will zum Schluß sagen: Die Regierungsarbeit wird nicht an den ersten drei Monaten gemessen werden. Ich wiederhole es: In den ersten drei Monaten sind mehr Lasten geschultert worden, als dies die alte Bundesregierung in den letzten zwei Jahren getan hat. Das war Schlafmützigkeit, Mehltau und wie die Stichworte alle geheißen haben mögen. ({1}) Die Bundesregierung wird daran gemessen werden, ob sie es schafft, in ihren zentralen Projekten deutliche Fortschritte zu machen, die Arbeitslosigkeit erkennbar zu reduzieren, den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu fördern, eine familien- und kinderfreundliche Politik neu zu gestalten und ein gesellschaftliches Klima der Toleranz, der Liberalität und der guten Nachbarschaft nach innen wie nach außen zu schaffen. Meine Damen und Herren von der Opposition, das trauen wir von den Regierungsfraktionen uns zu. Wir wünschen uns eine Opposition, mit der es sich in der Sache wirklich zu streiten lohnt. Dazu brauchen Sie noch eine Weile. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Jürgen Koppelin von der F.D.P.-Fraktion.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Ottmar Schreiner hat eben nach Alternativen gefragt. Eine solche will ich jetzt nennen. ({0}) Ich meine nämlich, unser Ziel muß sein, Barrieren gegen Beschäftigung und gegen Arbeitsmarktflexibilität abzubauen, unnötige Bürokratie für kleine und mittlere Betriebe einzudämmen, den europäischen Binnenmarkt zu vollenden und dafür zu sorgen, daß soziale Hilfe beschäftigungswirksam ausgerichtet ist. Unsere Bürgerinnen und Bürger werden sich schlicht weigern, mehr Steuern und Abgaben zur Finanzierung eines nicht reformierten sozialen Sicherungssystems zu zahlen. - Das wäre unsere Alternative. Das ist übrigens auch die Alternative von Tony Blair gewesen. Das hat er nämlich auf dem Kongreß der europäischen Sozialisten in Malmö gesagt. ({1}) Wenn wir uns auf dieser Basis finden können, können wir sehr schnell zu einer guten Zusammenarbeit kommen. Das jedenfalls wäre unsere Alternative. Aber Ihre Politik sieht nicht so aus wie die Politik von Tony Blair. ({2}) Aus der Koalition höre ich aber auch andere Stimmen, die, finde ich, ernst zu nehmen sind. So hat der Kollege Metzger erklärt, der Staat müsse auch Ansprüche an seine Bürger stellen können. Sie müßten sich aus eigener Kraft aus der Patsche ziehen können. Dazu würden stärkere Anreize gebraucht, aber auch ein System der Sanktionierungen, wenn Arbeitslose beispielsweise nicht an Qualifizierungsmaßnahmen teilnehmen oder keine Arbeit annehmen. - Kollege Metzger, da stimmen wir überein. Aber wenn wir Freien Demokraten das in der Vergangenheit gesagt haben, haben Sie uns der sozialen Kälte bezichtigt. ({3}) Auch darüber sollten Sie einmal nachdenken. ({4}) Es ist noch kein halbes Jahr her, da sah man in unserem Lande Wahlplakate der Sozialdemokraten mit dem Slogan: „Wir sind bereit“. Schon nach 100 Tagen rotgrüner Bundesregierung muß festgestellt werden, daß davon überhaupt keine Rede sein kann. Da kommt der Bundeskanzler dann mit einer ganz einfachen Entschuldigung: Wir haben uns in den ersten 100 Tagen zuviel vorgenommen und wollten zu vieles zu schnell umsetzen. Die F.D.P. kann diese Entschuldigung nicht gelten lassen. Bundeskanzler Schröder hat jahrelang Erfahrungen als Ministerpräsident eines großen Bundeslandes gesammelt. Ihm zur Seite steht Oskar Lafontaine, der ebenfalls viele Jahre Ministerpräsident eines Bundeslandes war. Aber statt diese Erfahrungen in die Regierungspolitik der rotgrünen Koalition einzubringen und einen Neuanfang für Deutschland zu wagen, finden wir jetzt nur Übereifer, Unfertigkeiten, planlose Hektik, Konzeptlosigkeit und vor allem auch Ahnungslosigkeit vor. ({5}) Von ausgereiften und durchdachten Konzepten ist weit und breit nichts zu sehen. Statt dessen präsentieren Sie uns das muntere Spiel - wie von der „FAZ“ ironisch vermerkt wurde -: „Roter Kasper verhaut herzerfrischend das grüne Krokodil“. Wie unabgestimmt die Politik des Bundeskanzlers ist, hat der Bundesfinanzminister, der ja auch noch SPDVorsitzender sein soll, vor wenigen Tagen bei den SPDParteilinken offenbart. So meldet „dpa“, Oskar Lafontaine habe sich bei den Parteilinken beklagt, daß der Bundeskanzler ihn in den vergangenen Wochen ohne Absprache wiederholt vor vollendete Tatsachen gestellt habe. Manche Entscheidung Schröders habe er, Lafontaine, erst aus der Zeitung erfahren. - Da geht es dem Bundesminister der Finanzen anscheinend nicht besser als den Fraktionen von SPD und Grünen. Bundesminister Trittin hat die Arbeit der Bundesregierung öffentlich so kommentiert: „Wenn politische Vereinbarungen eine Halbwertszeit von Stunden haben, dann ist es schwer, eine Koalition zu führen.“ ({6}) Da wundert es nicht, daß ein Haushalt vorgelegt wird, der den Zustand dieser rotgrünen Koalition so widerspiegelt. Ich will noch einmal Bundesminister Trittin zitieren. Er hat gesagt, die Unentschlossenheit der SPD trage zu einem negativen Gesamteindruck der Bonner Regierungspolitik bei. „Es gibt in der SPD“, so Trittin, „eine Option Schröder und eine Option Lafontaine.“ Trittin muß es wissen; denn er ist Mitglied im Bundeskabinett. Nun wird aber alles viel besser; denn die Fraktionsvorsitzenden von SPD und Bündnis 90/Die Grünen werden zukünftig regelmäßig am Kabinettstisch Platz nehmen. Die Probleme der rotgrünen Koalition, meine ich, werden aber nicht weniger werden; denn es gibt nicht nur Streit in Sachthemen, sondern es gibt auch Probleme im menschlichen Umgang. Das alles liegt bei Ihnen viel, viel tiefer. Bundeskanzler Schröder rühmt sich eines guten Verhältnisses zu Altbundeskanzler Helmut Schmidt. Das ist in Ordnung; von dem kann er auch etwas lernen. Aber ich frage Sie, meine Kolleginnen und Kollegen: Sind die Grünen, die jetzt der Koalition angehören, nicht deshalb gegründet worden, weil sie gegen die Politik des Kanzlers Helmut Schmidt waren? Joschka Fischer hat das in einem Interview mit dem „Spiegel“ durchaus eingestanden. In diesen Tagen erleben wir das bei der Kernenergie: Von Helmut Schmidt wurde das Ganze eingeleitet; die Grünen rudern jetzt zurück. Der eine ist also sehr für Helmut Schmidt, und die anderen mögen Helmut Schmidt überhaupt nicht. Sie sind sich in der Richtung Ihrer Politik überhaupt nicht einig. Was die Grünen in Wirklichkeit von Gerhard Schröder halten, das hat Joseph Fischer, jetzt Außenminister, ebenfalls im „Spiegel“ einmal erläutert, und das möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Die Frage des „Spiegel“ an Joseph Fischer lautete: Schröder stilisiert sich als Neuauflage von Helmut Schmidt. Wie können diese Grünen dessen Epigonen zum Regierungschef wählen? Die Antwort von Joseph Fischer: Wie Sie richtig sagen, stilisiert er sich. Wenn die Mehrheit es morgen erfordert, daß er sich zu Kaiser Wilhelm stilisiert, würde er sich einen wunderbaren Zwirbelbart zulegen. Und wenn es notwendig wäre, als bayerischer König Ludwig II. ins Bundeskanzleramt zu kommen, würde er im Starnberger See schwimmen und einen Schwan küssen. ({7}) So Joseph Fischer über Gerhard Schröder. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bundeshaushalt 1999 zeichnet sich vor allem durch eines aus: durch Notoperationen, Einmaleffekte, Verschiebebahnhöfe und verwirrenden Zahlensalat. Der grüne Partner in der Koalition sattelt noch drauf: Der Vorsitzende der Grünen-Fraktion schließt Steuererhöhungen nicht aus; ({9}) der haushaltspolitische Sprecher der Grünen fordert Kürzungen bei den Beamtenpensionen; seine Kollegin Hermenau, die in dieser Debatte noch sprechen wird, verlangt Kürzungen beim Straßenbau Ost usw. Das werden ganz spannende Haushaltsberatungen werden. Wir sind gespannt, wie sich die Koalition einigen wird. Ich will die Gelegenheit meiner heutigen Rede nutzen, noch auf einen Punkt aufmerksam zu machen, der uns als F.D.P. wichtig ist. Ich möchte an dieser Stelle an die Bundesanstalt für Arbeit und an das beaufsichtigende Ministerium für Arbeit und Sozialordnung appellieren: Die sorgfältige Kontrolle aller Leistungen muß fortgesetzt werden! Das sage ich auch mit Blick auf ein Thema, das uns, glaube ich, alle beschäftigt: Das ist das Thema Schwarzarbeit. Die Schwarzarbeit muß bekämpft werden. Die Schwarzarbeit hat für unsere Volkswirtschaft, besonders für den Mittelstand, fatale Folgen. ({10}) Ich befürchte allerdings, daß wir zukünftig eine Ausweitung der Schwarzarbeit erleben werden. Das fällt dann in die Verantwortung der rotgrünen Koalition. Ihre Gesetzgebung zu den 630-DM-Jobs wird die Ursache dafür sein. Die rotgrüne Koalition lobt sich und feiert sich ab zum Beispiel, weil sie das Kindergeld angehoben hat. Eine löbliche Sache! Ich frage mich aber: Wenn wir als Koalition und Opposition in wichtigen Fragen zusammenarbeiten wollen, wäre es dann nicht besser gewesen, einmal darüber nachzudenken, ob wir das Geld, das wir für die Erhöhung des Kindergeldes verwenden, nicht statt dessen in Bildung oder in andere Aktionen für die junge Generation hätten stecken sollen? ({11}) Das wären doch haushaltspolitische Maßnahmen gewesen, um die Zukunft der jungen Generation zu sichern. Mit dem Kindergeld werden Sie das nicht schaffen. ({12}) Es gibt noch einen Spruch des Bundesfinanzministers - ich verkneife mir nicht, darauf einzugehen, Herr Bundesfinanzminister, denn Sie haben ihn, glaube ich, nicht das erste Mal gebracht -, und zwar in einem Interview der „Bild“-Zeitung. Der Kollege Ottmar Schreiner hat ähnliches gesagt - heute allerdings nicht auf die F.D.P. bezogen -; er sprach immer von der sozialen Kälte und von der sozialen Gerechtigkeit. Nun aber zum Zitat des Bundesfinanzministers: Die F.D.P. will, daß die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer. So Lafontaine. ({13}) Ich bin ein bißchen enttäuscht, denn in meinem Manuskript steht an dieser Stelle „Beifall bei der SPD“. Schade, daß Sie das nicht gemacht haben. ({14}) Herr Bundesfinanzminister, wenn zukünftig die Einkommensschwachen belastet werden, so ist das doch die Folge der rotgrünen Regierung in dieser kurzen Zeit von 100 Tagen. Ich nenne Ihnen einmal Beispiele: Wo ist denn im Bundeshaushalt 1999 eine Erhöhung des Wohngeldes? Das hat die SPD vor der Wahl versprochen, und jetzt hält sie dieses Versprechen nicht. Der zuständige Bundesminister Müntefering erklärt: „Wohngeld unterstützt die Familien zielgenauer als das Kindergeld.“ Wo er recht hat, hat er recht. Das meinen wir auch. Wo finde ich denn im Bundeshaushalt 1999 die von der SPD versprochene Erhöhung des Wehrsoldes für unsere Wehrpflichtigen? Nichts davon finde ich im Bundeshaushalt. ({15}) Mit der Einführung der Ökosteuer werden besonders Rentner und sozial Schwache belastet. Das muß ich doch zur Kenntnis nehmen. Wir Freien Demokraten sind für ein Steuersystem, das stärker ökologisch ausgerichtet ist. Das macht Sinn; Sie werden uns auf Ihrer Seite finden. ({16}) Doch was Sie mit Ihrer Ökosteuer machen, ist reines Abkassieren. ({17}) So werden jetzt zum Beispiel Bus und Bahn durch die Ökosteuer stärker belastet. Die sozial Schwachen zahlen wieder drauf. Die Umsetzung des Vorschlages, der aus den sozialdemokratischen Reihen gekommen ist, daß man zukünftig nur noch dreimal pro Vierteljahr zum Arzt gehen sollte, würde doch wohl auch eher die sozial Schwachen als die Reichen treffen. ({18}) Sie haben versprochen, den sozialen Wohnungsbau stärker zu fördern. Nichts davon haben Sie im Bundeshaushalt gemacht. Nicht die F.D.P. macht die Armen ärmer, sondern Ihre Politik, Ihr Bundeshaushalt 1999. Im übrigen, Herr Bundesfinanzminister, die Reichen sehe ich viel mehr in trauter Runde mit dem Bundeskanzler als mit Mitgliedern der Freien Demokratischen Partei. ({19}) Der Bundesfinanzminister hat davon gesprochen, daß die Binnennachfrage gestärkt werden soll. Ich finde, er übersieht bei seinen Vorstellungen, daß eine solche Stärkung der Nachfrage nur über Investitionen und Beschäftigung zu erreichen ist und nicht über die Verteilung finanzieller Wohltaten aus dem Bundeshaushalt. In der Debatte dieser Woche ist erneut deutlich geworden, daß wir alle über die hohen Arbeitslosenzahlen in unserem Land besorgt sind. Der Bundesfinanzminister hat den Rückgang der Arbeitslosenzahlen um bis zu 200 000 angekündigt. Herr Bundesfinanzminister, wir werden Sie an diese Zahlen erinnern. Ich sage allerdings, wir hoffen trotz aller politischer Differenzen - wir haben eine andere Auffassung über den Weg zum Abbau der Arbeitslosigkeit -, daß Sie dieses Ziel erreichen. Im Augenblick sieht die Realität jedoch ganz anders aus. Seit dem Regierungswechsel sind die Arbeitslosenzahlen in Deutschland gestiegen. Die „Wirtschaftswoche“ vermeldet für diese Woche, daß es seit dem Regierungswechsel 489 789 Arbeitslose mehr gibt. ({20}) Der Kollege Kalb hält die „Wirtschaftswoche“ gerade hoch. Ich gehe davon aus - die „Wirtschaftswoche“ ist seriös -, daß die Zahlen stimmen. Das ist die Wirklichkeit. Die F.D.P. sieht als Oppositionspartei bei den Haushaltsberatungen die Aufgabe, die Regierung und ihren Haushaltsentwurf kritisch und konstruktiv zu begleiten. Wir sind zur Diskussion bereit. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wenn Sie wirklich das Gespräch mit uns wollen - Sie haben die Mehrheit, das wissen und akzeptieren wir -, dann bitte ich Sie darum, wirklich in den Ausschüssen mit uns zu diskutieren. ({21}) Sie haben immer angekündigt, daß Sie uns zu allem möglichen einladen. Das haben Sie zumindest von diesem Pult aus nach dem Motto „Nehmen Sie an der Diskussion teil“ immer verkündet. Anschließend sah es in den Ausschüssen so aus, daß sich nur ein, zwei Leute zu Wort melden durften ({22}) und daß Sie anschließend den Schluß der Debatte beantragten. So sieht die Wirklichkeit aus. ({23}) Deswegen sind wir so verärgert. Wir führen in den Ausschüssen gar kein Gespräch mehr. ({24}) Wir diskutieren gar nicht mehr. Eines haben wir nie gemacht: Ich kann mich nicht daran erinnern - auch wir als alte Koalition haben bestimmte Dinge durchziehen müssen -, daß wir Ihnen jemals das Wort in den Ausschüssen abgeschnitten hätten. ({25}) Sie haben doch teilweise filibustert. Ich erinnere daran, wie oft der Kollege Diller seinen Zettelkasten im Haushaltsausschuß aufgemacht und uns stundenlang genervt hat. Keiner von uns hat jemals gesagt: Schluß der Debatte. Das haben wir nicht gemacht! ({26}) Wir dürfen überhaupt nicht mehr in den Ausschüssen diskutieren. Das ist der Umgang, den Sie mit der Opposition augenblicklich pflegen. ({27}) Wir sind zur Diskussion mit Ihnen bereit. Wir tauschen gern mit Ihnen Argumente aus, aber dann geben Sie uns als Opposition in den Ausschüssen auch die Möglichkeit, unsere Argumente überhaupt nennen zu können. ({28}) Wir Freien Demokraten - das erneuere ich hier - sind zur Zusammenarbeit in bestimmten politischen Feldern - auch bei diesem Haushalt - mit der Regierung bereit. Ich will das ausdrücklich sagen. Die Ausführungen des Bundesverteidigungsministers in dieser Woche hier im Bundestag - so meinen wir als Freie Demokraten - bieten durchaus die Möglichkeit, zu versuchen, den Etat des Bundesverteidigungsministers gemeinsam zu verabschieden. Wir jedenfalls sind dazu bereit. ({29}) Wir könnten uns das auch in anderen Politikfeldern vorstellen. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Der grüne Kollege Metzger, den ich gern zitieren will, hat den Haushaltsentwurf des Bundesfinanzministers als verbesserungsbedürftig kritisiert. Er fordert die SPD auf, sich um ein echtes Konsolidierungsprogramm zu bemühen. In der „FAZ“ wird derselbe Kollege zitiert: Metzger ist allerdings skeptisch, daß die Koalition ein Sparprogramm zustande bringt. „Ich sehe noch zuwenig Substanz“, sagt er selbstkritisch. Kollege Metzger, die F.D.P. teilt Ihre Auffassung: zuwenig Substanz nicht nur bei Oskar Lafontaine und seinem Haushalt 1999, sondern auch zuwenig Substanz in der gesamten Bundesregierung. Vielen Dank. ({30})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Antje Hermenau, Bündnis 90/Die Grünen.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr erleichtert, Herr Koppelin, daß Sie in dieser Woche nicht mit Ihrem Lieblingsplüschteddy nach uns geworfen haben. So, wie ich Sie verstanden habe, ist das, was Sie zu diskutieren gedenken, keineswegs der Bundeshaushalt. Sie haben nur über Ihre verletzte Eitelkeit gesprochen. ({0}) Ich möchte mich gern dem eigentlichen Thema, dem Debattengegenstand dieser Woche, nämlich dem Haushalt, zuwenden. Wenn sich in den sehr schwierigen Diskussionen etwas gezeigt hat, dann ist es die Tatsache, daß der Haushalt, der uns vorgelegt worden ist, durchaus eine belastbare Planungsgrundlage für die Aufgaben, die 1999 anstehen, darstellt. Es ist darauf verzichtet worden, sich solcher Tricks zu bedienen, wie sie noch in Waigels Entwurf für 1999 standen: zum Beispiel die Bundesergänzungszuweisungen für das Saarland und Bremen zu unterschlagen oder die Steinkohlehilfe nicht ordentlich auszuweisen. ({1}) Insofern kann man schon einmal festhalten, daß es sich bei dem von uns vorgelegten Haushalt um eine Planungsgrundlage handelt, die man einigermaßen belasten kann. Die verfassungsrechtliche Verschuldungsgrenze wird eingehalten werden. Die Kreditfinanzierungsquote sinkt von 12,3 Prozent im letzten Jahr auf 11,5 Prozent in diesem Jahr. Der Aufwuchs beträgt weniger als 2 Prozent. Wir haben auch eine größere Haushaltsklarheit geschaffen, indem die Schattenhaushalte in den Bundeshaushalt aufgenommen und der allgemeinen Verschuldung zugeordnet worden sind. Für besonders gelungen halte ich - das ist mir ein besonderes Anliegen -, daß es zum erstenmal seit mehreren Jahren nicht dazu gekommen ist, daß Bundesleistungen für Ostdeutschland gekürzt werden. Im Gegenteil, es werden sogar Schwerpunkte betont. Das betrifft Forschung und Entwicklung in den neuen Ländern und auch - so notwendig, wie es eben noch ist - den zweiten Arbeitsmarkt. ({2}) Wir alle haben in dieser Woche sehr viel mit dem Thema Erblast argumentiert. Die einen weisen sie zurück, die anderen werfen sie vor; das ist auch ganz normal. Ich versuche, das Thema Erblast noch einmal anders anzufassen. Wir hatten 1995 in der Bundesrepublik Deutschland eine sehr unerquickliche Debatte darüber, daß in Ostdeutschland die Kläranlagen viel zu groß projektiert worden sind. Es gab einen gewissen Größenwahn hinsichtlich der Vorstellung, wie sich die wirtschaftliche Entwicklung in den fünf neuen Ländern vollziehen wird. Wir haben auch eine Erblast in diesem Bereich: Durch die Haushalte der alten Bundesregierung wurden in den letzten Jahren sehr viele infrastrukturelle Vorhaben auf Jahre hinaus festgeschrieben, die in den Jahren 1990 und 1991 angemeldet worden sind und inzwischen zum Teil durch die Realitäten auch in ihrer Dimensionierung ad absurdum geführt werden. Das betrifft die Energiewirtschaft, den Straßenbau, die Gewerbegebiete und den Wohnraum. Natürlich wird in den nächsten Jahren die Debatte über solche Großprojekte über uns hereinbrechen, und man wird sagen, daß das nicht alles richtig funktioniert hat. Als Ostdeutsche befürchte ich, daß wir wieder eine Debatte an den Hals bekommen, in der es heißt, wir Ostdeutschen könnten nicht mit Geld umgehen. Dazu möchte ich einmal deutlich sagen: Diese Vorgaben wurden von der Bundesregierung aus Bonn gemacht. ({3}) Eine der Hauptaufgaben, der wir uns bei den vielen Aufgaben, die es anzufassen gilt, gestellt haben, ist, die Sanierung der Staatsfinanzen in Kooperation mit den Kommunen und den Ländern in Angriff zu nehmen. Daß wir das ernst meinen und damit tatsächlich beginnen, erkennen Sie auch schon an diesem Übergangshaushalt. Anders kann man ihn noch nicht bezeichnen; denn die Zeit war zu kurz, um alle strukturellen Veränderungen, die vorgenommen werden müssen, durchzuführen. Man will ja auch seriös arbeiten. Vor diesem Hintergrund ist es ganz klar, daß der Haushalt 1999 erst einmal das Management der Altlasten, die in dieser Woche in verschiedener Art und Weise beschrieben worden sind, darstellen muß. Das läßt sich noch nicht anders machen. Dennoch haben wir nicht auf das Einschlagen eines Konsolidierungspfades verzichtet, was Sie daran erkennen, daß wir versuchen wollen, weitere 0,5 Prozent einzusparen, um bei der Neuverschuldung auf deutlich unter 1,5 Prozent zu kommen. Das halte ich für einen ganz wesentlichen Beitrag, wenn man bedenkt, wie schwierig die Finanzlage der öffentlichen Hand ist. ({4}) Ich glaube sogar, daß man dem Übergangshaushalt 1999 schon ansehen kann, daß es um drei große Ziele geht, die neben der Nachhaltigkeit der Finanzpolitik und -struktur stehen. Das erste - das ist nun wirklich allen bekannt - ist die Senkung der Arbeitslosigkeit. Das wird in Angriff genommen: Wir reden über die Ökosteuer, auch wenn sich das nun um eine Woche verspätet, und wir reden dann natürlich auch über die Senkung der Lohnnebenkosten. Damit gehen wir erste Schritte, um den ersten Arbeitsmarkt zu entlasten und dazu beizutragen, daß mehr Leute auf dem ersten Arbeitsmarkt in Lohn und Brot kommen. Das halte ich für wesentlich. Wir führen die Gespräche im „Bündnis für Arbeit“. Die Theorie, die Sie in dieser Woche aufzubauen versucht haben und die besagt, dieser Haushalt sei so fürchterlich, daß er die Stimmung im Land drücke und die Konjunktur beschädige, ist ad absurdum geführt, wenn Sie sich die heutige Berichterstattung - Sie lesen ja ständig Zeitung, Herr Koppelin, wie ich vorhin bemerkt habe - zu Gemüte führen und einmal nachlesen, wie sich das Klima in der Gesprächsrunde des „Bündnisses für Arbeit“ im Laufe dieser Woche deutlich erholt und verbessert hat. Das ist ein gutes Zeichen. ({5}) Das heißt, dieser Haushaltsberatung wird zumindest außerhalb des Parlamentes Bedeutung beigemessen, wenn schon nicht von seiten der Opposition. Wir haben auch versucht, notwendige Impulse für die Wirtschaft zu geben. Wir reden da über Impulse für einige Branchen. Die Ökosteuerdiskussion ist nicht nur eine Finanzdebatte, sie ist natürlich auch eine Wirtschaftsdebatte. Denn es geht darum, bestimmte Branchen in diesem Land, die wir für zukunftsträchtig halten, zu stärken und zu puschen. Es gibt sogar schon erste Programme, die in diesem Haushalt etatisiert sind, wie das 100 000-Dächer-Solarprogramm. Ich halte das für ganz wesentliche Schritte. Die Sachinvestitionen belaufen sich auf 14,1 Milliarden DM, im Vorjahr waren es im Vergleich nur 13,5 Milliarden DM. Ich glaube, daß das der richtige Weg ist. Zwei Gerüste stützen diesen Haushalt und auch unsere Überlegungen zur mittelfristigen Finanzplanung. Das eine Gerüst ist die soziale Gerechtigkeit. Wir haben sie in vielen Einzelfragen in dieser Woche debattiert. Deutlich wird sie daran, daß die Nettobezüge von Empfängern kleiner und mittlerer Einkommen steigen. Das ist zum 1. Januar zum Teil schon eingetreten und wird sich weiter verbessern. Daran erkennen viele Menschen, daß auf diesem Gebiet tatsächlich etwas geschieht. Durch diese Verschiebung zugunsten der kleinen und mittleren Einkommen wird die soziale Gerechtigkeit verbessert. Das zweite Gerüst, das man diesem Haushalt und der mittelfristigen Finanzplanung anmerken kann, ist die Generationengerechtigkeit, die unserer Fraktion besonders am Herzen liegt. Wir haben in den letzten vier Jahren versucht, den Begriff der Nachhaltigkeit nicht mehr nur auf ökologische Fragestellungen zu konzentrieren, sondern ihn auf soziale, auf finanzpolitische Fragestellungen auszuweiten. Man kann doch nicht, genausowenig, wie man eine verdorbene Umwelt hinterlassen kann, eine Finanzstruktur hinterlassen, die den nachfolgenden Generationen jegliche Handlungsspielräume nimmt und ihnen verwehrt, ihr eigenes Leben zu gestalten. ({6}) Sie haben in den Debatten gehört, daß wir in diese Richtung arbeiten. Wir haben über die nachhaltige Finanzstruktur gesprochen, wir haben über die Notwendigkeit der Konsolidierung gesprochen, so schmerzhaft sie auch ist, weil nicht alle Blütenträume reifen werden. Das Konsolidieren muß sein. Wenn es etwas gibt, was alle erschrecken sollte, die sich mit der Finanzpolitik beschäftigen, dann ist es der sprunghafte Anstieg in zwei Bereichen des Haushalts in den letzten Jahren, strukturell bedingt: Das betrifft die Alterssicherung und die Zinsen. Das sind zwei Beispiele, die vor allem die jungen Leute und die nachfolgenden Generationen drastisch belasten werden. Diese beiden Themen müssen angeAntje Hermenau gangen werden. Diese Verpflichtung hat Ihre Generation, hat meine Generation den nachfolgenden Generationen gegenüber. Das ist eindeutig. ({7}) Ich hoffe, daß sich die Debatte weiter mit dem Bundeshaushalt beschäftigt, und freue mich auf die nachfolgenden Redner. Danke. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Christa Luft von der PDS.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie, daß ich mit einem Wort an den Kollegen Jacoby und den Kollegen Koppelin beginne. Auch wir von der PDS als Oppositionspartei prüfen diesen vorgelegten Haushaltsentwurf natürlich ganz kritisch und wollen vor allen Dingen wissen, ob sich das, was als Einstieg in den Politikwechsel angekündigt war, hier niederschlägt. Da haben wir vieles auch Enttäuschende zu sagen. Aber daß Sie beide für Ihre Parteien so gar nichts an diesem Haushalt gefunden haben, von dem man sagen könnte, es gibt etwas Hoffnungsvolles, hat mich doch sehr erstaunt. Sie haben eine vorgefaßte Meinung zu diesem Haushalt. Sie desinformieren auch die Öffentlichkeit, wenn Sie nicht auf einige Punkte eingehen, die unser aller Unterstützung bedürfen. In den kommenden Berichterstattergesprächen, in den kommenden Haushaltsberatungen müssen wir einige Punkte festklopfen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Luft, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Kollege.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Kollegin Luft, haben Sie vielleicht nicht zur Kenntnis nehmen können, daß ich gesagt und auch angeboten habe, daß es durchaus Möglichkeiten gibt, bestimmte Politikfelder gemeinsam zu beschließen? Ich habe als Beispiel - da werden Sie aber Schwierigkeiten haben; ich vermute, daß da nur die PDS nicht mitmachen wird - den Verteidigungshaushalt genannt. Es ist zum Beispiel eine positive Sache, daß wir versuchen, dort gemeinsam etwas zu bewirken.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Koppelin, Sie haben Ihre Frage gestellt, bevor ich diesen Satz sagen konnte: Bei Ihnen habe ich sehr wohl vernommen, daß es einen Etat gibt, mit dem Sie sehr übereinstimmen, das ist der Verteidigungsetat. Sie können überzeugt sein, daß wir dazu eine Menge von Anträgen stellen werden, um an diesem Etat noch etwas zu verändern. ({0}) Kolleginnen und Kollegen von der neuen Koalition, wir finden es wichtig und gut, daß der Titel für die aktive Arbeitsmarktpolitik aufgestockt worden ist. Dadurch werden wir endlich davon wegkommen können, im Haushaltsausschuß im nachhinein pausenlos überplanmäßige Ausgaben zu bewilligen, wie in der vergangenen Legislaturperiode geschehen, obwohl, wie es immer hieß, vorher realistisch geplant worden ist. Zudem sind wir mit Wahlkampf-ABM konfrontiert worden. Das war Ihre Hinterlassenschaft. Wir sind also einverstanden mit der Aufstockung dieses Titels. Sie werden uns aber gestatten müssen, daß wir sehr genau hinschauen, ob es nur bei einer quantitativen Aufstockung bleibt oder ob auch Kurs genommen wird auf die Einleitung einiger qualitativ neuer Projekte. Ich sage Ihnen: Wir werden einen Antrag zum Einstieg in eine Projektförderung, zum Beispiel für die Schaffung eines Programms für feste Stellen in der Jugendarbeit, stellen. Jugendarbeit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. ({1}) Die Kommunen sind damit weit überfordert. Im übrigen gibt es auf diesem Gebiet keinerlei Konkurrenz mit privaten Unternehmen, was immer als Einwand gebracht wird, weshalb man die Mittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik für die Finanzierung solcher Projekte nicht nutzen könne. Wir wollen den Einstieg in mehrjährige Projekte, beispielsweise in ein Programm für feste Stellen in der Jugendarbeit, einfordern. Das ist für uns eine Umsetzung der neuen Quantitäten in eine neue Qualität. Dasselbe darf ich bezogen auf die neuen Bundesländer sagen. Meine Ausschußkollegin Hermenau hat eben schon gesagt, daß es in den neuen Bundesländern eine große Verschwendung von Mitteln gegeben hat, nicht weil die Menschen dort zu dumm waren, diese einzusetzen, sondern weil es in den vergangenen Jahren an zielgenauen Vergabekriterien mangelte. Es gab keinerlei Beschäftigungsorientierung bei ihrem Einsatz. Auch das wollen wir diesmal einfordern. Wir wollen auch ein Modellprojekt zur Schaffung regionalisierter wirtschaftlicher Kreisläufe einfordern. Wir müssen doch einmal wegkommen von der Mittelstandsrhetorik. ({2}) Wenn wir endlich regionalisierte wirtschaftliche Kreisläufe initiieren, dann ist dies zum Nutzen kleiner und mittlerer Unternehmen, die doch vor allen Dingen lokal und regional anbieten, und auch zum Nutzen der Landwirtschaft, die gerade in diesen Tagen höchste Angst um ihre Zukunft hat. Wir werden also einen Antrag stellen, den Einstieg in ein Pilotprojekt zur Förderung regionalisierter wirtschaftlicher Kreisläufe mit Bundeshilfe auf den Weg zu bringen. Leider ist in der Rede des Bundeskanzlers, der den Aufbau Ost zur Chefsache machen wollte und hoffentlich auch noch machen will, kein Wort explizit zu den neuen Bundesländern gefallen. Ich möchte nicht annehmen, daß für Ihr Schweigen gilt: nomen est omen. Ich habe heute früh mit großer Aufmerksamkeit gelesen, daß die ostdeutschen SPD-Abgeordneten, eine große Gruppe, sich nun zu einer Einsatztruppe formieren und, wie es heißt, die Muskeln spielen lassen wollen. Ich kann Sie dazu nur couragieren. Aber ein Kompliment für Staatsminister Schwanitz, der aus dem Osten kommt und erstmals die Chance hat, im Bundeskabinett wirksam zu werden, ist dies wahrlich nicht. ({3}) Ich beglückwünsche Sie aber, daß Sie die Muskeln spielen lassen wollen. Wir wollen gerne konstruktiv dabei mitmachen. Nun einige Worte zu dem, was uns enttäuscht. Sie von der Koalition haben hier im Laufe der Woche mehrmals gesagt, Ihr Markenzeichen bei diesem Haushalt sei: versprochen, gehalten. Ich könnte eine ganze Reihe von Punkten aufführen, wo dies bei weitem nicht zutrifft. Hier wird immer das Stichwort Wohngeldreform genannt und gesagt, daß dazu die Finanzierung fehle. Ich will es aber einmal andersherum sagen: Dahinter steckt doch die notwendige Absicherung des menschlichen Grundbedürfnisses auf sicheres und bezahlbares Wohnen. Dies müßte bei der neuen Bundesregierung ganz oben auf der Agenda stehen, wie es der Bundeskanzler auch im Wahlkampf angekündigt hat. Leider ist das nicht der Fall. Bei diesem wichtigen Thema können Sie auch nicht sagen: Wir sind erst ganze vier Monate im Amt. Sie stellen schließlich einen Etat für ein Viertel Ihrer Legislaturperiode auf. Dann müßte bei der Wichtigkeit des Themas der Einstieg auf jeden Fall gegeben sein. ({4}) Auch die ökologischen Akzente sind schwach, wenn man einmal von dem 100 000-Dächer-Solarpogramm absieht. Das habe ich bei einer Regierungsbeteiligung der Grünen nicht erwartet. Ich habe gedacht, daß jetzt ein weites Herz für den Schienenverkehr und den öffentlichen Personennahverkehr zum Vorschein kommt. Was finden wir statt dessen? - Die Hand wird weiter über den Transrapid gehalten. Man sagt heute: Da gibt es Verträge; aus ihnen kommen wir nicht heraus. In all den Jahren, als Sie über die notwendige Beendigung dieses unsinnigen Projekts gesprochen haben, ({5}) haben Sie gewußt, daß es Verträge gibt und daß man schwer aus Verträgen herauskommt. Ich glaube, Sie müßten in dieser Frage auf andere Weise Farbe bekennen, als das jetzt geschieht. Nun lassen Sie sich auch noch von der F.D.P. den Rang ablaufen, was die Umwandlung der Kilometerpauschale in eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale betrifft. Das finde ich noch nicht einmal zum Lachen. Wir haben das lange Zeit gefordert; damals wurde das immer abgelehnt. Es steht in den Wahlprogrammen der beiden heutigen Koalitionsparteien; im Haushalt findet sich nichts. Jetzt kommt die F.D.P., die ja die Chance gehabt hat, beispielsweise unsere Anträge auf diesem Gebiet zu unterstützen, und meldet sich bei diesem für wahrlich viele Menschen wichtigen Thema zu Wort. Sei es, wie es sei. Wir würden, wenn Sie, Herr Koppelin, morgen einen entsprechenden Antrag einbringen würden, diesem Antrag zustimmen. Daß Sie beim Thema der Einnahmenerhöhung - jedenfalls zur Zeit - den Mehrwertsteuersack fest zugebunden halten, ist für mich sehr verständlich, und hoffentlich haben Sie die Courage, das auch durchzuhalten. Daß Sie aber in bezug auf die Steuern allgemein - von der Ökosteuer abgesehen - einer einzigen Tendenz das Wort reden, nämlich einer Steuersenkung, das werden Sie nicht durchhalten können. Auch aus Ihren eigenen Reihen sind ja Stimmen zu vernehmen, wonach die Wiedereinführung der Vermögensteuer dringlich ist, daß eine schnellere Reduzierung des jetzigen Ehegattensplittings unabdingbar ist und daß Sie nicht darum herumkommen, statt dessen eine konsequente Individualveranlagung oder auch ein Familienrealsplitting einzuführen. Das sind aber Steuererhöhungstendenzen, und das könnten und sollten Sie auch heute sagen, weil das die Masse der Bevölkerung gar nicht beunruhigen wird, da sie nicht von solchen Steuererhöhungsmaßnahmen betroffen sein wird. Diese sind aber unendlich wichtig, damit die Löcher im Haushalt nicht noch größer werden. ({6}) Von diesem Haushalt 1999 meinte Herr Riester gestern, er sei ein Haushalt des Vertrauens. Er ist aber in seinen Einnahmestrukturen und seinen Ausgabestrukturen nicht wiederholbar. Herr Kollege Metzger hat ja deshalb auch von einem Übergangshaushalt gesprochen. Ob also das, was Sie heute einen Haushalt des Vertrauens nennen, auch noch im kommenden Jahr ein Haushalt des Vertrauens sein kann, bleibt abzuwarten. Insofern stellt sich die Frage, ob denn der Charakter der Politik der neuen Koalition an diesem Haushalt schon erkennbar ist. Eine solche Einschätzung kann man heute überhaupt noch nicht vornehmen. Dieses Vertrauen muß im kommenden Jahr neu erworben werden - unter zugegebenermaßen viel komplizierteren Bedingungen. Bei den Einnahmen werden Privatisierungserlöse nicht noch einmal im bisherigen Umfang zu erzielen sein. Es ist ja auch fast nichts mehr da, was man verkaufen könnte. ({7}) Der Kollege Diller hat, als er hier als haushaltspolitischer Sprecher der damaligen oppositionellen SPD gestanden hat, immer gegen die von Herrn Waigel betriebene Ausplünderung des Bundesvermögens gewettert, und er hat ihn zu Recht kritisiert. Daß aber diese Tendenz auch im 99er Haushalt mit Unterstützung der SPD fortgesetzt werden wird, das gibt natürlich auch zu denken. ({8}) Auch was die Ausgabenstrukturen betrifft, wird es angesichts der beiden Urteile des Bundesverfassungsgerichts viele Veränderungen geben müssen. Mir scheint allerdings jede Häme, die hier im Laufe der letzten Tage von manchem Kollegen der heutigen oppositionellen CDU/CSU und F.D.P. - vor allen Dingen von der CDU/CSU - gekommen ist, unangebracht; denn Sie haben eigentlich diese Urteile zu vertreten, von denen ich sagen muß, daß sie notwendig und richtig sind. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Luft, kommen Sie bitte zum Schluß.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich bin am Ende. - Wenn es um das Stopfen von Löchern geht, ist natürlich vor allen Dingen wichtig, daß das „Bündnis für Arbeit“ zum Erfolg führen muß. Das wird die wichtigste Maßnahme sein, um höhere Steuereinnahmen und Ausgabensenkungen möglich zu machen. Aber ich will Ihnen auch sagen: Sie werden nicht darum herumkommen, zum Beispiel über eine Millionärsabgabe nachzudenken. Das ist auch in Ihren eigenen Kreisen kein Tabu mehr; Konzerne, Banken, Versicherungen müssen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entsprechend besteuert werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Luft, kommen Sie wirklich zum Schluß. Sie haben anderthalb Minuten überzogen.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Wir können nicht durch Eingriffe in soziale Leistungsgesetze die Haushaltslöcher, die entstanden sind, stopfen. Vielmehr brauchen wir dazu schon einen Zugriff auf die Vermögen und die Einkommen, die heute weder investiv noch konsumtiv verwendet werden. Danke schön. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Seehofer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Haushaltsdebatten dienen im allgemeinen auch der Standortbestimmung in allen wichtigen Politikfeldern. Gerade am heutigen Tag findet ein informelles Treffen der europäischen Staatsund Regierungschefs statt, um die wichtigen Entscheidungen zur Agenda 2000 vorzubereiten. Es geht um den künftigen Finanzrahmen der Europäischen Union, um die schwierige Reform der Agrarpolitik und um die Neuausrichtung der Struktur- und Regionalförderung. Jedes dieser Themen ist von elementarer Bedeutung für die innere Struktur der EU und auch eine wichtige Voraussetzung dafür, daß die Europäische Union im nächsten Jahrhundert weitere Staaten aus Mittel- und Osteuropa aufnehmen kann. Wir bedauern außerordentlich, daß trotz der wichtigen Bedeutung dieses Gipfeltreffens in Bonn weder der Bundeskanzler noch sonst irgendein Regierungsmitglied auch nur mit einem einzigen Satz dem deutschen Parlament mitgeteilt hat, was sie bei diesen schwierigen Verhandlungen als deutsche Position einbringen wollen. Wir bedauern dies und wiederholen, daß dies eine Verletzung der parlamentarischen Rechte und auch des Grundgesetzes ist, das wir gemeinsam vor einigen Jahren dahin gehend geändert haben, daß vor solchen wichtigen Entscheidungen das deutsche Parlament informiert und in den Entscheidungsprozeß einbezogen werden soll. ({0}) Alle europäischen Entscheidungen in den 90er Jahren - vom Vertrag von Maastricht über den Amsterdamer Vertrag bis hin zum Euro - sind mit breiten Mehrheiten im Deutschen Bundestag und auch im Bundesrat verabschiedet worden. Dies war dadurch möglich, daß die Bundesregierung unter Helmut Kohl immer rechtzeitig den Deutschen Bundestag, die Ministerpräsidenten und den Bundesrat in die Entscheidungsprozesse einbezogen hat. Das führte am Ende dazu, daß es hier im Parlament immer einen breiten Konsens über die Entscheidungen in der Europäischen Union gab. Die jetzige Regierung - Gerhard Schröder spricht viel von Konsens - versucht immer wieder, an den wichtigen Entscheidungsträgern vorbei Politik zu machen, jetzt auch in der Europapolitik. Herr Lafontaine, Sie werden in den nächsten Wochen erleben, daß die Ausschaltung des Parlaments bei den wichtigen Gesprächen über die Agenda 2000 ein ganz schwerer politischer Fehler war. ({1}) Sie verzichten auf die Unterstützung des deutschen Parlaments bei diesen schwierigen Verhandlungen, obwohl diese Unterstützung ohne weiteres möglich wäre. Wir sind dazu bereit, wenn man sich auf die im Juni und Juli letzten Jahres im Parlament vereinbarten gemeinsamen europäischen Positionen zurückbesinnt. Es ist in den letzten Tagen oft behauptet worden, die CDU/CSU würde in der Opposition eine neue Europapolitik - Gerhard Schröder sprach von einer populistischen Europapolitik - formulieren. Herr Lafontaine, wir vertreten exakt die gleichen Positionen, die im Juni auf einer Sonder-Ministerpräsidentenkonferenz verabschiedet wurden und in der wir beim Finanzrahmen sowie bei der Agrar- und Strukturpolitik übereinstimmten. Wir vertreten auch jetzt exakt die gleichen Positionen bei den Verhandlungen über die Agenda 2000, die der Deutsche Bundestag noch im Juli letzten Jahres übereinstimmend festgelegt hat. Wir haben uns in keinem einzigen Punkt von diesen einvernehmlich erzielten PosiDr. Christa Luft tionen entfernt. Deshalb fordern wir Sie auf, daß Sie sich ab heute wieder auf diese Positionen zubewegen und die Regierung den europapolitischen Konsens nicht mehr einseitig aufkündigt. ({2}) Worum geht es uns? Ich beschränke mich auf einige Punkte. Zunächst möchte ich über den geltenden Finanzrahmen sprechen, der verändert werden muß. Vor Weihnachten ist von Ihrem Bundeskanzler einiges Unappetitliche gesagt worden: Scheckbuchdiplomatie; der Erfolg der ganzen Europapolitik sei nur darauf zurückzuführen, daß die Deutschen immer den Geldbeutel aufgemacht haben. Ich möchte Sie daran erinnern, daß der geltende Finanzrahmen und die geltenden Beiträge an die Europäische Union gemeinsam mit Ihnen beschlossen worden sind - in diesem Parlament und auch im Bundesrat. Der Beitrag, den die Bundesrepublik Deutschland im Moment an die Europäische Union entrichtet, hat Ihre Zustimmung gefunden. Wir alle waren und sind der Überzeugung, daß der Beitrag, der seit Mitte der 90er Jahre befristet bis Ende 1999 geleistet wird, auch aus übergeordneten Gründen gerechtfertigt ist. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die deutsche Einheit und das herausgehobene Interesse der Deutschen an der Fortsetzung und Verwirklichung der europäischen Integration auf Grund unserer Geschichte und unserer geographischen Lage. Das war 1995 hier gemeinsame Position. Sie haben diesem Finanzrahmen und auch dem deutschen Beitrag dazu zugestimmt. Wir waren gemeinsam der Überzeugung, daß dieser deutsche Beitrag bis Ende 1999 gilt und daß die Bundesregierung Helmut Kohl bis dahin ein neues Beitragssystem in der Europäischen Union aushandelt. Damit haben wir auch begonnen. Es ist der Regierung Helmut Kohl und dem Finanzminister Theo Waigel zuzuschreiben, daß die Europäische Kommission die Berechtigung der Forderung der Deutschen nach einem gerechteren Beitrag - eine lange umstrittene Frage - anerkennt. Dies ist von der Europäischen Kommission noch im letzten Jahr akzeptiert worden. Es war lange umstritten, ob es sich hierbei nur um einen deutschen Sonderweg handelt. Nein, die Europäische Kommission hat noch im letzten Jahr auf das Drängen der Regierung Helmut Kohl und des Finanzministers Theo Waigel hin die Berechtigung dieses Anliegens festgestellt. Sie hat darüber hinaus festgehalten, es gebe kein Argument, das rechtfertigen würde, daß die Deutschen auf Dauer höhere Beiträge zahlen, als es ihrem Anteil am Bruttosozialprodukt in Europa entspricht. ({3}) Herr Lafontaine, mir erscheint sehr wichtig klarzustellen: Es war ein gemeinsamer Weg. Was wollen wir? Wir wollen für die Zukunft nach dem Jahre 1999, daß die europäischen Mitgliedsländer einen Beitrag zur Europäischen Union leisten, der ihrem Anteil am wirtschaftlichen Wohlstand entspricht. Herr Lafontaine, wir werden in dieser Frage auch in der Öffentlichkeit so lange keine Ruhe bekommen, wie wir die Bevölkerung nicht überzeugen können, daß unser Anteil an der Finanzierung der Europäischen Union deshalb gerecht ist, weil er unserem Anteil am wirtschaftlichen Wohlstand in Europa entspricht. Wir sagen hier sehr deutlich: Die Bundesrepublik Deutschland wird immer Nettozahler in der Europäischen Union sein; denn Solidarität in der Europäischen Union ist nur denkbar, wenn die starken Staaten zur Solidarität mit den wirtschaftlich schwachen Staaten bereit sind. Zur Akzeptanz dieser Solidarität wird die deutsche Bevölkerung auf Dauer nur in der Lage sein, wenn wir dem Grundsatz der Leistungsgerechtigkeit entsprechen. Wir werden Sie nach diesen Verhandlungen daran messen, ob Sie diesen Grundsatz realisieren können. Herr Lafontaine, es genügt nicht, daß der Bundeskanzler am Mittwoch hier gesagt hat, es sei schon ein großer Erfolg, Ausgabenkonstanz zu erreichen. Ausgabenkonstanz, also eine Deckelung der Ausgaben, wäre schon ein großer Erfolg; aber sie beseitigt nicht die Ungerechtigkeit der Finanzierung dieser Ausgaben. ({4}) Uns kommt es darauf an, daß die Ungerechtigkeit der Finanzierung beseitigt wird. Wir müssen einfach sehen: Momentan bezahlt die Bundesrepublik Deutschland etwa 29 Prozent der Bruttoeinnahmen der Europäischen Union. Wir müßten nur 24 Prozent bezahlen. Jeder Prozentpunkt weniger bedeutet 1,5 Milliarden DM. Wir zahlen momentan 5 Prozent zuviel, das sind 7,5 Milliarden DM. Das ist exakt derjenige Betrag, den Theo Waigel schon im letzten Jahr als diejenige Summe bezeichnet hat, die bei den Verhandlungen über die Agenda 2000 erreicht werden muß. Herr Lafontaine, wir werden Sie daran messen, ob Sie dieses Ziel erreichen. Es ist ein falscher Weg, auf der einen Seite darüber zu verhandeln, wie die Deutschen weniger in die Europäische Union einzahlen können, aber auf der anderen Seite eine Politik zu betreiben, wonach der Europäischen Union immer mehr Aufgaben und damit immer mehr Finanzlasten übertragen werden. Wenn Sie auf der einen Seite weniger Beitrag zahlen, aber auf der anderen Seite die Kompetenzen für die Beschäftigungspolitik oder die Harmonisierung der Sozialsysteme auf die Europäische Union übertragen wollen, werden Sie politischen Schiffbruch erleiden. Das geht nicht zusammen. ({5}) Ein Satz noch zu den 14 Milliarden DM: Herr Lafontaine, wir erheben die Senkung der Zahlungen um 14 Milliarden DM nicht zu einer politischen Forderung. Wenn wir aber pausenlos mit dem Vorwurf konfrontiert werden, wir würden eine populistische Europapolitik betreiben, erlauben wir uns schon, darauf hinzuweisen, daß diese Forderung von 14 Milliarden DM von den Länderfinanzministern Deutschlands 1997 beschlossen worden ist. Damals kamen sie zu dem Ergebnis, daß die Bundesrepublik Deutschland im Durchschnitt der letzten Jahre auf der einen Seite zuviel bezahlt und auf der anderen Seite zuwenig Rückflüsse erhalten hat. Diese Beschlüsse aus dem Jahre 1997 haben die Länderfinanzminister 1998 bestätigt, und alle Ministerpräsidenten haben im Juni 1998 diese Forderung in Höhe von 14 Milliarden DM beschlossen. Wir weisen nur darauf hin, Herr Lafontaine: Diese Zahl wurde nicht von uns erfunden, sondern Sie haben sie mit beschlossen. Deshalb müssen Sie sich gefallen lassen, daß wir die Hälfte dieses Betrags - das ist der Betrag, den Theo Waigel als Forderung in die Verhandlungen mit der Europäischen Union eingebracht hat nun zur Meßlatte für Sie, meine Damen und Herren, machen, damit gewährleistet wird, daß wir auf dem Boden der Europapolitik der Vergangenheit bleiben. ({6}) Ein weiterer Punkt ist die Struktur- und Regionalförderung. Auch hier verfolgen wir zwei Ziele, die nicht neu sind, sondern in der Kontinuität unserer bisherigen Europapolitik stehen. Wir wollen erstens die Finanzmittel für die Strukturförderung konzentrieren und zweitens auf diesem Feld eine höhere nationale Eigenverantwortung. Für das Erreichen dieser Ziele ist das, was bisher im Zusammenhang mit der Agenda 2000 auf Arbeitsebene diskutiert worden ist, kontraproduktiv. Sie wollen zum Beispiel die ländlichen Räume aus den Fördergebieten herausnehmen und die Förderung einseitig auf die städtischen Ballungsräume verlagern. Wir wissen um die Bedeutung der ländlichen Räume für Kultur, Landschaftspflege und vieles andere mehr. Deshalb sage ich, Herr Lafontaine: Den Weg, die ländlichen Räume als eigenständiges Fördergebiet aus der Regionalförderung herauszunehmen, werden wir nicht mitgehen. ({7}) Unser zweites Ziel bei der Regionalförderung ist, daß die Bundesrepublik Deutschland größere Möglichkeiten für die eigenständige Förderung von Problemgebieten erhält. Genau gegensätzlich dazu laufen derzeit Ihre Verhandlungen auf der europäischen Ebene. Sie wollen die Möglichkeiten für die Bundesrepublik Deutschland, Problemgebiete eigenständig zu fördern oder zu unterstützen, im Verhältnis zum geltenden Recht schmälern. Wir haben heute die Möglichkeit, etwa 5 Prozent der Problemgebiete in Deutschland unabhängig davon, ob sie auch von Europa gefördert werden, national zu fördern. Diese 5 Prozent wollen Sie drastisch zurückfahren. Ich sage Ihnen deutlich: Das paßt nicht zu unserer gemeinsamen Überzeugung, daß wir mehr Subsidiarität in Europa brauchen. Die Europäische Kommission möchte, daß national nur die Gebiete gefördert werden dürfen, die auch von der Europäischen Union gefördert werden. Das entspricht nicht mehr Subsidiarität, sondern mehr Zentralismus. Ich sage vorsorglich: Einen solchen Weg zu mehr Zentralismus in der Regionalpolitik und in der Strukturförderung, Herr Lafontaine, werden wir nicht mitgehen. ({8}) Die Europapolitik wird durch den Vorschlag, über den Sie verhandeln und den auch Sie vertreten, daß die Europäische Kommission künftig die Möglichkeit für eine Effizienzreserve bei der Strukturpolitik erhalten soll, völlig auf den Kopf gestellt. Das heißt, daß die Europäische Kommission unabhängig von irgendwelchen Gesetzen, Richtlinien oder Vereinbarungen einen Reservetopf, der mit Milliardenbeträgen ausgestattet ist, bekommt, aus dem sie nach eigenem Gusto verteilen kann. Nach allem, was wir wissen, haben Sie, Herr Lafontaine, sich für diesen Weg eingesetzt. Sie wollen diesen Weg mitgehen. Angesichts der Kumpanei und der Falschverwendung von Mitteln, über die wir in den letzten Monaten diskutiert haben, stelle ich fest, daß dies genau der falsche Weg ist. Nehmen Sie das Geld, geben Sie es den Nationalstaaten, damit sie eine eigenständige Regionalpolitik betreiben können. ({9}) Bezüglich des Kohäsionsfonds bleiben wir bei unserer Forderung. Dieser Fonds war immer dafür gedacht, den Mitgliedstaaten zu helfen, an der Währungsunion teilnehmen zu können. Nach Realisierung der Währungsunion hat er seine Funktion und seine Berechtigung für Staaten, die an der Währungsunion teilnehmen, eigentlich verloren. Deshalb legen wir Wert darauf, daß der Kohäsionsfonds degressiv im nächsten Förderzeitraum bis zum Jahr 2005 oder 2006 ausläuft. Herr Lafontaine, ich wiederhole: Dies sind keine neuen Forderungen. Wir waren bis Juni, Juli auf nationaler Ebene in diesem Punkt völlig einer Meinung. Nach allen Verhandlungsergebnissen, die uns bisher bekannt sind, kann man aber sagen, daß Sie diesen nationalen Konsens sowohl im Hinblick auf die Beitragsfinanzierung als auch auf die Struktur- und Regionalförderung einseitig aufgegeben haben. Der dritte Punkt ist die Landwirtschaft. Auch wir sind für eine Reform der Agrarpolitik. ({10}) Aber die Vorschläge, die im Moment dazu auf dem Tisch liegen, führen in den nächsten Jahren zu einem höheren Finanzaufwand für die Europäische Union, ({11}) zu geringeren Einkommen für die Landwirte und zu einer größeren Bürokratie für alle. Sie werden in Deutschland niemandem erklären können, daß eine Agrarreform mit dem Ziel durchgeführt werden soll, die Agrarausgaben in der Europäischen Union zurückzufahren, wenn tatsächlich genau das Gegenteil passiert. Deshalb haben die Landwirte, die im Moment in Bonn protestieren, diesbezüglich unsere volle Unterstützung. Ihre Agrarpolitik, Herr Minister, ist falsch. ({12}) Wir haben mehrfach von diesem Pult Ausführungen zu der Frage gehört, wie es zusammenpaßt, auf der einen Seite geringere deutsche Beiträge zu fordern und auf der anderen Seite gegen eine Agrarreform zu sein. Herr Finanzminister, wir haben einen ganz einfachen Vorschlag. Wir wollen, daß in der Agrarpolitik endlich das Prinzip der Subsidiarität realisiert wird. ({13}) Wir wollen, daß die Nationalstaaten in der Agrarpolitik mehr nationale Verantwortung erhalten. Das hat nichts mit Renationalisierung zu tun. Wenn die Rückübertragung mancher Aufgaben derzeit nicht konsensfähig ist, dann wollen wir zumindest, daß die Mitgliedstaaten in einem höheren Maße als bisher die Einkommenspolitik in der Europäischen Union mitfinanzieren - Stichwort: Kofinanzierung. Wir schlagen eine 50prozentige Kofinanzierung der direkten Einkommensbeihilfen in der Europäischen Union vor. Würde man sich darauf verständigen, dann würde der gesamte EU-Haushalt jährlich um insgesamt 13 Prozent - das sind 23 Milliarden DM - und der Agrarhaushalt um 30 Prozent entlastet werden. Deshalb, Herr Lafontaine, war der von uns bis zur Bundestagswahl gemeinsam vertretene Standpunkt schlüssig. Sie haben im Bundesrat als Ministerpräsident mitbeschlossen, daß der einfachste und beste Weg zur Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips und zur Entlastung der EUHaushalte eine stärkere Kofinanzierung der Agrarhaushalte ist. Greifen Sie deshalb den Vorschlag wieder auf! ({14}) Eine letzte Bemerkung zur Osterweiterung. Wir sind und bleiben für die Osterweiterung der Europäischen Union. Wir wollen alles dazu beitragen, daß aus der westeuropäischen Union eines Tages eine gesamteuropäische Union wird. Wir wollen keine neue Politik und bleiben bei unserem Standpunkt, den wir vor der Bundestagswahl immer wieder formuliert haben: Erstens muß sich bis zum Jahre 2002 die Europäische Union institutionell reformieren, um erweiterungsfähig zu sein. Dazu gehört die Verkleinerung der Kommission und die Klärung der Frage von Mehrheits- bzw. Einstimmigkeitsbeschlüssen. Zweitens müssen in absehbarer Zeit die Beitrittsinteressenten Reformen durchführen, um ihrerseits beitrittsfähig für die Europäische Union zu werden. Drittens sollen für bestimmte Bereiche, wie zum Beispiel für den Bereich der Landwirtschaft, ausreichend lange Übergangsfristen vereinbart werden, die im Interesse sowohl der Beitrittsinteressenten als auch der Europäischen Union liegen. Das ist unsere eindeutige Position, an der wir nichts verändert haben. In diesem Zusammenhang, Herr Finanzminister, möchte ich noch drei Punkte anführen. Erstens. Lassen Sie davon ab, pausenlos vom Konsens zu reden, wenn Sie in wichtigen politischen Bereichen, wie jetzt bei der Vorbereitung der Agenda 2000, am deutschen Parlament vorbei verhandeln! Weder Sie noch der Bundeskanzler haben ein Wort über die Zielsetzungen verloren, die Sie heute bei den Gesprächen auf dem Petersberg vertreten. Mit diesem Verhalten werden Sie Schiffbruch erleiden. Es ist ein schwerer politischer Fehler und - das sage ich noch einmal - eine Verletzung des Art. 23 des Grundgesetzes, ({15}) nach dem Sie verpflichtet wären, vor wichtigen Verhandlungen das deutsche Parlament zu unterrichten und ihm die Möglichkeit einzuräumen, eine Meinung zu äußern. ({16}) Zweitens. Herr Lafontaine, wir vertreten exakt die europapolitischen Positionen, die wir gemeinsam definiert, formuliert und beschlossen haben, Sie als Ministerpräsident in den Bundesländern, wir hier im Deutschen Bundestag. Drittens. Wir bieten Ihnen an, daran mitzuwirken, daß die Agenda 2000 ein Erfolg wird. Sie ist eine sehr wichtige, elementare Entscheidung für die Zukunft der Europäischen Union und eine wichtige Voraussetzung für die Erweiterung der Europäischen Union. Aber wir werden diesem Reformpaket nur unter der Voraussetzung zustimmen, daß die notwendigen Kompromisse den Interessen der Bundesrepublik Deutschland entsprechen und daß sie Europa wirtschaftlich, politisch und sozial tatsächlich voranbringen. Europa ist für die Menschen und für die weitere Wohlfahrt der Menschen kein Hindernis, sondern eine große Chance. Wir fordern Sie auf, diese Chance in der Realisierung ernster zu nehmen, ({17}) als Sie dies in den letzten Tagen und Wochen getan haben. Herzlichen Dank. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Klaus Müller, Bündnis 90/Die Grünen.

Klaus Wolfgang Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003195, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Seehofer, ich sehe ein, daß man in einer Haushaltsdebatte nahezu alles unterbringen kann, insbesondere wenn man am Tag davor in der GO-Debatte gescheitert ist. Ich finde es richtig, daß wir die Europadebatte führen, und freue mich, daß wir sie auch sehr detailreich führen werden. Aber einen Punkt habe ich nicht verstanden. Wenn ich Ihren Ausführungen richtig gelauscht habe, dann sind Sie für Einsparungen irgendwo zwischen 7 und 14 Milliarden DM, für die zügige Osterweiterung der EU und für die Wahrung des Finanzstatus in der Agrarpolitik. Wie wir das alles finanzieren sollen, müssen wir nicht heute ausdiskutieren. Ich bin aber sehr gespannt auf Ihre Vorschläge, um dann tatsächlich zu sehen, was Ihre konkreten Anliegen sind und wie das seriös zu finanzieren ist. ({0}) Finanz- und Haushaltspolitik sind zwei Seiten einer Medaille. Wenn Finanzpolitiker in Haushaltsdebatten reden, dann ist das immer ein bißchen zwielichtig, weil dann die Haushaltspolitiker recht leicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden könnten. ({1}) Denn wenn wir jetzt die Lösung für all die Haushaltsprobleme anbieten würden, womöglich über Mehreinnahmen, dann würden wir uns das, glaube ich, zu leicht machen. Das wollen wir nicht, in voller Solidarität mit den Kollegen Metzger und Wagner. Der Haushalt 1999 gehört erst einmal euch, inklusive der schweren Aufgaben, die zu lösen sind und die wir dann gemeinsam mit den beiden Koalitionsfraktionen zu schultern haben. ({2}) Trotzdem sind Finanz- und Haushaltspolitik zwei Seiten der gleichen Medaille. Wenn die eine Seite so versagt hat wie die Steuerpolitik der Regierung Kohl/Waigel in den vergangenen Jahren, dann gerät auch die andere Seite ins Trudeln. Das ist das Problem. Das ist die Suppe, die wir jetzt auszulöffeln haben, mit den Haushaltslöchern, die in den vergangenen Tagen ausführlich zur Sprache gekommen sind. In nur wenigen Bereichen ist die rotgrüne Koalition so schnell ans Werk geschritten wie in der Steuerpolitik. Inzwischen gehört es zum guten Ton, einzuräumen, daß Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehört hätte. Wir hätten uns bestimmt manche Probleme erspart, wenn wir uns mehr Zeit genommen hätten; das ist richtig. Nur, umgekehrt haben wir die Sicherheit, daß wir nächste Woche tatsächlich eine Steuerreform verabschieden werden, was die letzte Koalition leider nicht geschafft hat, weil sie schlicht zu spät daran gedacht und zu spät damit angefangen hat. ({3}) Die nächste Woche im Parlament wird dann die steuerpolitische Woche schlechthin. Wir werden am Mittwoch die erste Stufe der ökologisch-sozialen Steuerreform beschließen, mit einem Volumen von immerhin zirka 12 Milliarden DM pro Jahr, und das Steuerentlastungsgesetz mit einem Entlastungsvolumen von immerhin 57 Milliarden DM, über vier Jahre verteilt. ({4}) - Herr Michelbach, schreien Sie doch nicht so! Es wird aber auch Zeit, daß diese Verabschiedung erfolgt. Immer wieder wurde in den vergangenen Wochen, mit kräftiger Hilfe aus der Opposition, Verwirrung gestiftet. Es ist notwendig, daß wir nächste Woche Klarheit darüber schaffen, daß die Steuersätze im Eingangsbereich um 6 Prozentpunkte sowie im Spitzensteuerbereich um immerhin 4,5 Prozentpunkte und die Lohnnebenkosten um 0,8 Prozentpunkte sinken werden. Beide Gesetze sind sauber und solide gegenfinanziert. Wir belasten den Haushalt durch unsere Steuerpolitik nicht in unzumutbarer Weise, wie das in steuerpolitischen Vorschlägen von CDU/CSU und F.D.P. vorgesehen war. ({5}) Wir haben einen klaren Kurswechsel vollzogen, der keineswegs in Richtung Abkassieren geht, ({6}) wohl aber in Richtung Umschichten. Nach 16 Jahren Politik zu Lasten von Kindern, Ökologie und nichtselbständiger Arbeit kann eine zukunftsweisende Finanzpolitik ohne Umschichtungen nicht auskommen. Auf die zwei Projekte, die wir vor uns haben, möchte ich kurz eingehen. Wissenschaftler aller Nationen und selbst deutscher Fakultäten sagen: Die Energiepreise geben nicht die wahren Kosten wieder, und die Arbeitskosten sind zu hoch. Dieser Gedanke muß für die F.D.P. so abschrekkend sein, daß sie alles darangesetzt hat, die abschließende Debatte zu verzögern. ({7}) Ihren eigenen Antrag, der endlich schriftlich vorliegt, haben Sie nicht einmal in das Beratungsverfahren des Finanzausschusses eingebracht. ({8}) Das fand ich extrem enttäuschend; denn das wäre wirklich eine inhaltliche Debatte gewesen - nicht nur dagegen sein, sondern auch eigene Vorstellungen entwickeln. ({9}) Kollegen von der F.D.P., das wäre hilfreich. Wenn hier beklagt worden ist, wir hätten im Finanzausschuß nicht ausführlich genug debattiert, ({10}) dann antworte ich darauf: Das stimmt nicht. Mit Verlaub, kaum ein Ausschuß außer vielleicht dem Arbeitsund Sozialausschuß und dem Haushaltsausschuß hat in den vergangenen Monaten soviel getagt wie der Finanzausschuß. Sie hatten Zeit, ausführlich über alles zu reden: drei Tage zum Steuerentlastungsgesetz, zwei Anhörungen zur ökologischen Steuerreform. Dafür war viel Zeit. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sind nicht nur der Sand im Getriebe, sondern das Geröll im Getriebe. ({11}) Klaus Wolfgang Müller ({12}) Aber damit werden Sie trotzdem nicht zu Potte kommen. Denn wir werden die Politik, für die wir gewählt worden sind, in der nächsten Woche verabschieden und Ende März da, wo es notwendig ist, die Mehrheit im Bundesrat dafür finden. Wir haben in den vergangenen Tagen die Bedenken des Präsidenten des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche, Herrn Jürgen Gohde, gehört. Ich finde, das ist ein Punkt, den man sehr ernst nehmen muß. Denn er hat sich konstruktiv in die Debatte eingebracht und angemahnt, daß es in der zweiten und dritten Stufe der Ökosteuer eine soziale Komponente geben muß. Das ist richtig; das sehen auch wir so. Ich bin sicher, daß wir dies vereinbaren werden. Für die Rentnerinnen und Rentner ist dies bereits automatisch durch die Anpassung der Renten an die Nettolöhne, die ja steigen werden, der Fall. Aber wir sehen auch, daß wir in der zweiten und dritten Stufe tatsächlich weitere Änderungen vornehmen müssen. Lassen Sie mich jetzt zu der netten Äußerung von Frau Hasselfeldt Anfang der Woche kommen. Sie hat die Erhöhung des Kindergeldes als „für die betroffenen sicherlich schöne Angelegenheit“ bezeichnet. Ich finde, hier kommt ein zweites Mal in dieser Woche neben der Anmerkung von Herrn Schäuble zur Ruhigstellung in bezug auf die Jugendarbeitslosigkeit ein Zynismus durch. ({13}) 1999 wird eine Familie mit zwei Kindern um rund 1 200 DM entlastet. ({14}) Sie nennen das eine „sicherlich schöne Angelegenheit“. Ich nenne das - ich glaube, da haben wir Karlsruhe auf unserer Seite - einen notwendigen Schritt in Richtung Steuergerechtigkeit. Es ist der erste für Familien; weitere werden mit dem Familienentlastungsgesetz folgen. Das ist notwendig und richtig. ({15}) Wir sind mit unserem Steuerentlastungsgesetz aber auch den Belangen der Wirtschaft entgegengekommen: Erhalt der Teilwertabschreibung, mittelstandsfreundlicher Verlustrücktrag, Freibeträge bei den Veräußerungsgewinnen, Steuerfreiheit von Abfindungen und Senkung der Körperschaftsteuersätze. Wir haben uns bewegt, weil wir ein lernender Gesetzgeber sind. ({16}) Wir sind nicht arrogant, wir sind nicht beratungsresistent, sondern wir hören zu, wenn uns Leute Ideen geben. ({17}) Wir halten aber gleichzeitig an unseren Zielen der Steuersatzsenkung und der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage fest. ({18}) Darin werden wir uns nicht beirren lassen. ({19}) Der Bundeskanzler hat gestern angekündigt, daß die nächste Etappe der Unternehmen-, Familien- und Ökosteuerreform zusammengefaßt und in einem Guß erarbeitet werden soll. Dies begrüßen wir ausdrücklich. Denn damit wird garantiert, daß wir in diesem Jahr zwar erstens noch viel Arbeit im Finanzausschuß haben werden, aber zweitens sowohl die Familien durch das Familienentlastungsgesetz entlasten als auch für die Unternehmen durch die Reform der Unternehmensbesteuerung ein vernünftiges, modernes Steuerrecht schaffen werden. Gleichzeitig werden wir die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Umwelt durch die zweite und dritte Stufe der Ökosteuer entlasten. Es ist gut, daß wir all dies noch dieses Jahr auf den Weg bringen, damit wir nicht in die gleiche Situation geraten wie die jetzige Opposition in der letzten Legislaturperiode. ({20})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Müller, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höll?

Klaus Wolfgang Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003195, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Müller, darf ich Ihre Äußerung so verstehen, daß wir das zu verabschiedende Gesetz zur Familienentlastung rückwirkend zum 1. Januar 1999 beschließen werden? Denn Sie sagten soeben: Es wird in diesem Jahr auf alle Fälle zu einer Entlastung der Familien kommen. Es wäre ja auch möglich, daß wir in diesem Jahr über ein entsprechendes Gesetz gründlich beraten und daß es zum 1. Januar 2000 in Kraft tritt. Ihre Äußerung soeben klang anders. Ich würde die von Ihnen genannte Richtung der Koalition sehr begrüßen.

Klaus Wolfgang Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003195, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Höll, wie Sie sicherlich aus dem Finanzausschuß wissen, sieht das Steuerentlastungsgesetz, ({0}) Klaus Wolfgang Müller ({1}) das wir rückwirkend zum 1. Januar 1999 beschließen, vor, daß die Familien - das heißt, das Zusammenleben mit Kindern - bessergestellt werden. Eine Erhöhung des Kindergeldes zum 1. Januar 1999 - es wird ja bereits ausgezahlt - haben wir bereits in einem Vorläufergesetz beschlossen. Das meinte ich mit meinen Ausführungen, daß Familien noch 1999 bessergestellt werden. Das Familienentlastungsgesetz werden wir selbstverständlich zum 1. Januar 2000 in Kraft setzen, so wie uns das die Beschlüsse von Karlsruhe aufgetragen haben. Wir halten dies für richtig, da wir das Jahr 1999 nach dem Prinzip „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ nutzen wollen, um ausführlich darüber zu beraten und es auf eine vernünftige Grundlage zu stellen. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Dr. Rössel von der PDS? - Bitte schön.

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Kollege Müller, Sie haben davon gesprochen, daß die Koalition an einer Modernisierung des Unternehmensteuerrechts arbeiten will. Nun frage ich Sie: Welche Perspektiven hat denn Ihre Koalition für die Gewerbesteuer, die ja bekanntlich nicht nur eine wichtige Unternehmensteuer, sondern traditionell auch eine herausragende Steuereinnahme der Städte und Gemeinden ist? In der Vergangenheit war zu hören, daß daran gedacht ist, im Rahmen einer rechtsformneutralen Unternehmensteuer die Gewerbesteuer abzuschaffen, was auf entschiedenen Protest der kommunalen Spitzenverbände gestoßen ist. Welche Perspektive haben Sie im Hinblick auf die Gewerbesteuer?

Klaus Wolfgang Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003195, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Rössel, vielen Dank. Ich finde, das ist eine sehr wichtige Frage. ({0}) - Klasse! - Das zentrale Problem im Rahmen der Unternehmensteuer in Deutschland ist, daß wir zu hohe nominale Steuersätze und gleichzeitig eine Bemessungsgrundlage haben, die zu schmal ist. ({1}) Dies wollen wir ändern. Wir werden das in der Richtung ändern, daß wir dafür sorgen werden, daß die vorhandenen Steuersätze auch wirklich gezahlt werden und daß das Unternehmensteuerrecht einfacher und transparenter wird. Wir werden gleichzeitig im Auge behalten, daß die Finanzkraft, die Finanzeinnahmen der Kommunen in keiner Weise geschmälert werden. Die Kommunen können sich darauf verlassen, daß wir ihre finanzielle Kraft stärken werden. Wir werden sie erhalten, die entsprechende Steuerart aber möglichst integrieren. Zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form - ob in einer eigenständigen Steuerform oder in Form eines Hebesatzes, wie auch immer - wir das schaffen werden, ist noch ungewiß. Das ist der Grund dafür, daß wir eine Unternehmensteuerreformkommission eingesetzt haben. Sie besteht aus Wissenschaftlern, Vertretern der Länder, Vertretern der Unternehmen und aus einem Vertreter der kommunalen Spitzenverbände. Wir wollen damit erreichen, daß uns nicht das gleiche passiert wie bei anderen Steuerreformprojekten, die das Parlament erarbeitet hat und worüber dann alle herfallen. Wir wollen genau umgekehrt erreichen, daß sich die Expertinnen und Experten zusammensetzen, uns einen Vorschlag unterbreiten und daß wir diesen dann im Parlament auf der Basis eines gewissen gesellschaftlichen Konsenses erörtern und einen Gesetzentwurf erarbeiten. In diesem Sinne werden wir dafür sorgen, daß die Kommunen bedacht werden, daß die Unternehmen ein modernes Steuerrecht erhalten und daß der Staat vernünftige und solide Einnahmen hat. ({2}) Ich möchte noch kurz auf das Vorhaben des „Bündnisses für Arbeit“ eingehen, weil genau das gleiche Konzept, das wir jetzt im Hinblick auf die Unternehmensteuerreform vorhaben, auf die Ökosteuer und dieFamilienentlastung ausgeweitet werden kann. Wir versprechen uns davon, daß eine entsprechende Lösung im „Bündnis für Arbeit“ vorbereitet wird. Die Verantwortung dafür werden wir im Parlament tragen müssen. Wir werden uns ja in vier Jahren der Wiederwahl stellen müssen. Trotzdem ist es gut, daß auf diesem Gebiet vorgearbeitet wird. Gleichzeitig müssen wir natürlich dafür sorgen, daß wir die Ziellinien für diese Arbeit mit auf den Weg geben, wozu ein Dreieck aus sozialer Gerechtigkeit, ökologischer Verträglichkeit und wirtschaftlicher Vernunft gehört. Das sind auch die Koordinaten des internationalen Prozesses im Rahmen der Agenda 21. Dazu gehört ferner die Besserstellung der Familien. Ich bin sicher, daß hier Unternehmer bereit sind, nicht nur über Steuerpolitik zu sprechen, sondern auch über andere Aspekte, zum Beispiel darüber, wie sie dem Geist des Karlsruher Urteils auch in ihren Unternehmen - sei es durch Arbeitszeitgestaltung oder durch andere Maßnahmen - familiengerechter entsprechen können. Auch das ist ein Vorteil davon, dies im „Bündnis für Arbeit“ zu diskutieren. Als weitere Leitlinien nenne ich Transparenz und Ehrlichkeit, das Angleichen der nominalen Steuersätze an die realen Steuersätze - genauso wie der Nettolohn an den Bruttolohn angeglichen werden soll - und die Sicherung der finanziellen Handlungsfähigkeit des Staates. Hier schlage ich den Bogen zurück zur Haushaltspolitik. Der Haushalt ist das Königsrecht des ParlamenKlaus Wolfgang Müller ({3}) tes. Zuerst müssen wir entscheiden, welche Aufgaben wir als rotgrüne Koalition finanzieren wollen; dann werden die Finanzexperten dafür sorgen, daß es auch die richtigen Einnahmen an der richtigen Stelle gibt. Ich freue mich auf die Vorarbeiten im „Bündnis für Arbeit“ und bin mir sicher, daß wir - inklusive der Opposition dazu eine konstruktive Debatte führen werden. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Zwischenbemerkung erteile ich dem Kollegen Walter Hirche das Wort.

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Müller, Sie haben eben ausgeführt, Sie wollten in der nächsten Woche mit Sicherheit, - so haben Sie es gesagt - „eine Steuerreform hingekriegt haben“. Die Wortwahl ist schon interessant: Es geht nicht darum, diese Steuerreform sauber und solide zu machen. Ich stelle erstens zur Ökosteuer fest: Sie ist nicht sozial. Eine Belastung bei den Schwachen bleibt übrig. Es gibt keine Form der Entlastung für Rentner oder Geringverdienende, die kein normales Arbeitsverhältnis haben. ({0}) Zweitens. Sie ist nicht wirtschaftlich; denn der Strompreis in Deutschland ist schon heute 50 Prozent höher als in den Ländern, in denen Steuern darauf erhoben werden. Im übrigen - deswegen ist die Steuerreform drittens auch nicht ökologisch - ist die CO2-Emission in diesen Ländern, zum Beispiel in Dänemark und den Niederlanden, in den letzten Jahren gestiegen. Sie können nicht behaupten, daß das ein Beitrag zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in Deutschland sei. Wichtiger ist mir aber ein anderer Punkt. Sie haben im Finanzausschuß eine saubere und ordentliche Beratung verweigert, indem Sie es abgelehnt haben, noch einmal eine Anhörung zu dem überfallartig eingebrachten neuen § 2b durchzuführen. Ich stelle hier in aller Deutlichkeit fest: Die unausgegorene Bestimmung, die eingefügt worden ist, wird dazu führen, daß wir in Deutschland über 100 000 Arbeitsplätze verlieren. ({1}) Sie meinen, damit die Konstruktion der Verlustzuweisungsgesellschaften zu bekämpfen. Wir haben gesagt, daß wir uns in diesem Zusammenhang durchaus gemeinsam bewegen können. ({2}) Sie treffen damit aber die Arbeitsplätze in Deutschland. Sie treffen damit Hunderttausende von Arbeitsplätzen in der Bauwirtschaft. Sie werden Arbeitsplätze in der Versicherungswirtschaft, auf den Werften und in der Filmwirtschaft treffen. Überall gehen Sie gnadenlos mit den Arbeitsplätzen um. Diese Steuerreform, die Sie beabsichtigen, ist eine Belastung für den Bundeshaushalt 1999 - über den wir uns unterhalten -, weil Sie anschließend mehr Arbeitslosigkeit in Deutschland haben werden als vorher. Sie ist schlampig gemacht im Verfahren, unerträglich im Inhalt, ein Anschlag auf den Arbeitsmarkt ({3}) und schafft kein Vertrauen in die Berechenbarkeit von Politik, die auf der Grundlage von Vertrauen mit längerfristigen Regelungen arbeiten muß. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Erwiderung hat der Kollege Klaus Wolfgang Müller das Wort. ({0})

Klaus Wolfgang Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003195, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Hirche, Sie haben zwei Punkte angesprochen und beide Punkte falsch dargestellt. Das möchte ich gerne kurz korrigieren. Sie haben zum ersten die ökologisch-soziale Steuerreform angesprochen. Diese haben wir mit zwei Anhörungen und mit ausführlichen Debatten im Finanzausschuß eingehend beraten. Sie haben das Beispiel Dänemark angesprochen: Wie Sie sicherlich wissen, verfügt Dänemark über eine Arbeitslosenquote, die fast nur die Hälfte der unseren beträgt. Dänemark verfügt über einen ausgeglichenen Staatshaushalt. Auch davon können wir nach Ihrer Vorarbeit in den letzten 16 Jahren nur träumen. Das heißt, wir sehen, daß Dänemark - und nicht nur Dänemark; es gibt zahlreiche europäische Länder, die diesen Weg erfolgreich beschritten haben; siehe Skandinavien - wesentliche Erfolge erzielt hat. Wir knüpfen mit der ökologisch-sozialen Steuerreform endlich an die europäische Debatte um ein modernes Steuerrecht an. ({0}) Wir hätten darüber heute lang und ausführlich diskutieren können, hätte nicht Ihre Fraktion im Finanzausschuß dafür gesorgt, daß das verzögert, verhindert und blockiert wird. ({1}) Der zweite Punkt, den Sie erwähnt haben, betrifft das Steuerentlastungsgesetz. ({2}) Klaus Wolfgang Müller ({3}) Auch hierzu haben wir am kommenden Montag abschließende Beratungen im Finanzausschuß. Auch dieses Gesetz haben wir in einer dreitägigen Anhörung eingehend diskutiert. ({4}) Da sind alle wichtigen Punkte im Rahmen der Mindestbesteuerung ausführlich zur Sprache gekommen. ({5}) Auf der Grundlage haben wir im Finanzausschuß diskutiert und gesagt: Wir ziehen daraus Konsequenzen. Wir verstecken uns nicht ({6}) hinter vorgeblichen Anhörungen, sondern beraten politisch. Meine lieben Kollegen, ist es so schwer zu ertragen, sich anzuhören, wie der Ablauf im Finanzausschuß war? ({7}) Wir werden am Montag im Finanzausschuß und am Donnerstag im Plenum eine Steuerreform beschließen, mit der die Steuersätze gesenkt werden und die Bemessungsgrundlage verbreitert wird. Wir werden dies mit wirtschaftspolitischer Vernunft tun. Abschließend: Ihr Geblöke finde ich extrem nervig. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat als nächster Redner der Kollege Jochen Borchert von der CDU/CSU-Fraktion.

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser Woche wird in Europa über Reformen verhandelt. Am Wochenende tagt der europäische Gipfel in Bonn. Deshalb, meine ich, muß auch im Bundestag über die laufenden Verhandlungen auf der europäischen Ebene gesprochen werden, auch wenn die Koalition gestern erklärte, das seien komplizierte Verhandlungen und man dürfe den Kanzler in seiner Ruhe nicht stören. Die Europäische Kommission hat mit der Agenda 2000 Vorschläge auch für die Reform der europäischen Agrarpolitik gemacht. Die Bundesregierung unter Helmut Kohl, der europäische Agrarrat, die Agrarminister der Länder - auch der damalige niedersächsische Landwirtschaftsminister Funke - haben wesentliche Änderungen dieser Reformen gefordert. Wir alle waren einhellig der Überzeugung, daß diese Agenda den Interessen und den Bedürfnissen der deutschen Landwirtschaft nicht gerecht wird. Wir haben deshalb gemeinsam in voller Übereinstimmung gefordert, Preissenkungen nur gegen vollen Ausgleich und ausreichenden Außenschutz vorzusehen. Ich habe geglaubt, daß auch die Regierung Schröder diesen Standpunkt teilt und auf eine umfassende Korrektur der Vorschläge drängt. Ich habe von Bundesminister Funke, dem Präsidenten des europäischen Agrarrates, selbstverständlich erwartet, daß er für die Interessen der deutschen Bauern und für Veränderungen kämpft. Aber er hat nicht einmal den Versuch dazu unternommen; das hat mich schon sehr überrascht. Er hat in dieser Woche einen ersten Kompromißvorschlag vorgelegt. In diesem sogenannten Kompromiß hat er alle Positionen der Kommission übernommen, also 30 Prozent Preissenkungen und einen Teilausgleich für diese Preissenkungen. Dies bedeutet Einkommensverluste für die Bauern von im Durchschnitt 20 Prozent. Meine Damen und Herren, wenn es doch noch zu Verbesserungen kommt - was wir sehr hoffen -, dann haben die deutschen Bauern dies auf keinen Fall dem Einsatz der Bundesregierung zu verdanken, sondern ausschließlich anderen Mitgliedstaaten. Die kämpfen für die Interessen ihrer Bauern, die kämpfen um Veränderungen. Davon könnten dann auch die Bauern in Deutschland profitieren. Sie müssen darauf hoffen, daß andere Mitgliedstaaten ihre Interessen vertreten. ({0}) Die Bauern in Deutschland protestieren; sie protestieren heute hier in Bonn. Seit der Vorschlag von Minister Funke auf dem Tisch liegt, wissen sie: Es geht um ihre Existenz, es geht um Sein oder Nichtsein. Es geht auch um die Wirtschaft im ländlichen Raum, es geht um viele Arbeitsplätze. Meine Damen und Herren von der Koalition, auch Bauernhöfe sind Arbeitsplätze. ({1}) Es geht um Tausende menschlicher Schicksale. ({2}) Der Bundeskanzler hat im Wahlkampf mehr Gerechtigkeit versprochen. Doch Ihre Vorstellungen von der Verringerung der Beitragszahlungen gehen voll zu Lasten der Bauern. Damit schaffen Sie erst die Gerechtigkeitslücken, zu deren Schließung Sie doch angetreten sind. Oder wie nennen Sie es, wenn Zehntausende von Bauern in den Ruin getrieben werden? ({3}) - Ja, meine Damen und Herren, Sie nennen das Reform. Herr Schreiner hat uns vorhin vorgeworfen, wir würden das Wort Reform verhunzen. Er hat gesagt: Reformen sind eigentlich Maßnahmen, die die Lebensbedingungen der Menschen verbessern. Dann nennen Sie doch das, was Sie in der Agrarpolitik vorhaben, nicht Reformen! Sie behaupten, diese Reformen seien notwendig, um auf dem Weltmarkt bestehen zu können. Was ist das für ein Weltmarkt, auf dem man nur bestehen kann, wenn man ohne Rücksicht auf Natur und Umwelt proKlaus Wolfgang Müller ({4}) duziert? Wir wollen keinen Weltmarkt, der Hormone notwendig macht, um Milch und Fleisch billig produzieren zu können. Wir wollen keinen Weltmarkt, der die Natur ausräumt und Produktionssteppen erzwingt. Wir wollen keinen Weltmarkt, auf dem die Wellblechschuppen der Agrarfabriken das Bild unserer Dörfer prägen. ({5}) Wenn Herr Minister Funke glaubt, die Agenda 2000 sei in dieser Form nötig und es sei dafür ein zigtausendfaches „Bauernopfer“ zu bringen, so sage ich Ihnen: Wir wollen diesen Preis für die Agenda nicht zahlen. ({6}) Wir wollen eine Reform, die die bäuerliche Landwirtschaft und die Kulturlandschaft in Deutschland auch für die Zukunft sichert. Kollege Seehofer hat auf die ungleiche Lastenverteilung in Europa hingewiesen. Ein System gerät aus der Balance, wenn ein Mitgliedstaat auf Dauer 60 Prozent der Nettotransferleistungen erbringt. Wir brauchen mehr Leistungsgerechtigkeit. Wir brauchen eine gerechte Lastenverteilung. Was Sie aber anstreben - eine lineare Senkung der Beiträge für alle Mitgliedstaaten -, ändert nichts an der Lastenverteilung. Die Ungerechtigkeit bleibt: Deutschland bleibt weiterhin mit 60 Prozent der Transferzahlungen belastet. Was machen Sie nun, um die Beträge zu senken? Sie fordern eine jährliche Degression der Prämien im Agrarbereich um 3 Prozent. Diese Degression bedeutet für die Bauern immer weiter sinkende Einkommen Jahr für Jahr. Damit legen Sie den Bauern einen Strick um den Hals, den Sie von Jahr zu Jahr weiter zuziehen; damit werden Tausende bäuerlicher Existenzen vernichtet. Bundesminister Funke hat in dieser Woche seine Aufgabe, auch Anwalt der Bauern zu sein, endgültig aufgegeben. ({7}) Er hat seine Zusage, im Interesse der deutschen Bauern die Agenda 2000 zu verändern, schlicht gebrochen. Herr Bundeskanzler, Sie haben beim Gipfel noch die Möglichkeit zu retten, was noch zu retten ist. Aber wenn die Bundesregierung dieser Agenda und dem Vorschlag ihres Landwirtschaftsministers zustimmt, dann ist der Bundeskanzler, dann ist diese Bundesregierung für das Höfesterben in Deutschland verantwortlich. ({8}) Meine Damen und Herren, da können Sie ruhig schreien. Sie sind bereit, die Landwirtschaft und den ländlichen Raum zu opfern. ({9}) Der Bundeskanzler hat am Mittwoch der Debatte deutlich gemacht, wie er seine Politik versteht. Ich will das gern zitieren. Er sagte, daß ein Wahlsieg immer nur eine Momentaufnahme in der Gesellschaft ist und daß es insbesondere Aufgabe der Sieger ist, dafür zu sorgen, daß die Mehrheiten, die sie am Wahltag bekommen haben, als gesellschaftliche Mehrheiten dauerhaft zur Verfügung stehen. Mit einer solchen Aussage wird Klientelpolitik betrieben. Die Bauern gehören nicht zu den Mehrheiten, die Sie haben wollen. Deswegen lassen Sie diese Bauern durchs Rost fallen. ({10}) Die CDU/CSU will eine leistungsfähige bäuerliche Landwirtschaft und einen leistungsfähigen ländlichen Raum. Dehalb brauchen wir einen vollen Einkommensausgleich bei Preissenkungen und eine aktive Mengensteuerung. Wir brauchen mehr Subsidiarität, das heißt, mehr nationale Zuständigkeit. Dies sind die Voraussetzungen für unser Modell einer europäischen Landwirtschaft - einer Landwirtschaft, die natur- und umweltverträglich produziert, die qualitativ gesunde Nahrungsmittel liefert, die unsere wunderschönen Kulturlandschaften prägt und pflegt und die tüchtigen Bauern wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet. Dafür müssen wir die Finanzierung der Europäischen Union auf eine geordnete Grundlage stellen und eine gerechte Lastenteilung innerhalb der Europäischen Union erreichen. Vielen Dank. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister der Finanzen, Oskar Lafontaine.

Oskar Lafontaine (Minister:in)

Politiker ID: 11002715

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte den Schluß der Debatte zum Anlaß nehmen, zunächst auf die Europapolitik einzugehen; schließlich sind einige Bemerkungen zur Europapolitik gemacht worden, und die Regierungschefs bemühen sich, während wir hier tagen, in Gesprächen zu sondieren, wie ein Kompromiß gefunden werden kann - mit der klaren Maßgabe, daß der endgültige Kompromiß erst im März gefunden werden wird, weil bekanntlich bis zu diesem Datum die jeweiligen Nationalstaaten ihre Interessen vertreten und sich nur schwer auf einen Kompromiß zubewegen. In diesem Zusammenhang hat Herr Seehofer die Position der Bundesrepublik Deutschland dargestellt und die Frage aufgeworfen, warum nicht das Parlament vorher - er hat dann die Positionen im einzelnen dargestellt - etwa zur Kofinanzierung in der Agrarpolitik - darauf komme ich noch zu sprechen -, zur Degression beim Kohäsionsfonds, zur Degression beim Strukturfonds oder zur Finanzierung entsprechend dem Bruttosozialprodukt einbezogen worden sei. Herr Kollege Seehofer, ich kann Ihnen die Antwort geben: Das sind alles Positionen, die gegenwärtig von der Bundesregierung vertreten werden. Das sind gemeinsame Positionen. Insofern geht Ihr Vorwurf, hier würde ohne Rückendeckung des Parlamentes verhandelt, ins Leere. Genau die Position, die Sie deutlich gemacht haben, vertritt derzeit auch die Bundesregierung. Ich möchte das hier sachlich feststellen. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schäuble?

Oskar Lafontaine (Minister:in)

Politiker ID: 11002715

Ja, bitte.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte, Herr Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie sagen, daß das, was Herr Seehofer gesagt hat und was die Parteivorsitzenden von CSU und CDU, der Kollege Stoiber und ich, am vergangenen Freitag in der Öffentlichkeit vorgetragen haben, den Positionen entspricht, die die Bundesregierung derzeit vertritt, dann kann ich das erstens mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen, und ich möchte zweitens die Sozialdemokraten bitten, daß sie den Vorwurf - ({0}) - Ich würde gern die Sozialdemokraten bitten; denn bitten kann man auch als Frage verstehen. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Im übrigen haben wir die Regelung abgeschafft, daß man nur förmliche Fragen stellen kann. Man kann auch Zwischenbemerkungen machen. Das zur Klarstellung. Jetzt haben Sie, Herr Schäuble, das Wort.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie auch ausdrücklich sagen würden, daß die von der CDU/CSU vertretenen Positionen Positionen für Fortschritte in der europäischen Einigung sind und daß die gegen uns gerichteten Angriffe der SPD offensichtlich ohne Substanz sind, wenn es sich doch um Positionen handelt, die Sie selbst vertreten. ({0})

Oskar Lafontaine (Minister:in)

Politiker ID: 11002715

Kollege Schäuble, vielleicht ergibt sich einmal die Möglichkeit, daß ich das so sagen kann, aber Sie haben mich noch nicht zu Ende gehört. Ich bin erst am Anfang meiner Ausführungen zu diesem Thema und hatte zunächst zu vier Punkten Stellung genommen: Kofinanzierung in der Agrarpolitik, Kohäsions- und Strukturfonds und Finanzierung entsprechend dem BSP. Nun ist die Frage weiterhin streitig: Was kann von dem Kompromiß hinsichtlich des deutschen Nettozahlerbeitrags ernsthaft erwartet werden? Sie haben das alles richtig dargestellt. Ich bin auch gerne bereit, einen Finanzministerbeschluß herbeizuführen, der beinhaltet, den Nettobeitrag auf Null zurückzuführen oder ähnliches. ({0}) Was kann man von einer Finanzministerkonferenz erwarten? ({1}) - Sie glauben doch nicht, daß die Länderfinanzminister beschließen, der Nettobeitrag solle möglichst erhöht werden. ({2}) - Ich wollte nur Ihre Ausführungen etwas relativieren. Die Ministerpräsidenten, die ja nun praktisch auf jeder Ministerpräsidentenkonferenz von dem bayerischen Kollegen mit der Europapolitik beschäftigt worden sind, sind natürlich nicht der Meinung gewesen - für so naiv dürfen Sie niemanden halten -, daß eine Reduktion in Höhe von 14 Milliarden DM das Ergebnis der Verhandlungen sein werde. So naiv sind die Ministerpräsidenten nicht. Vielmehr haben sie hier eine Verhandlungsposition formuliert, um die Bundesregierung zu unterstützen, wohl wissend, daß es angesichts der Tatsache, daß die Deutschen immer draufgezahlt haben, schon ein Durchbruch sein wird, wenn die Deutschen einmal nicht draufzahlen, sondern wenn die Zahlungen Deutschlands heruntergehen. Ich bitte Sie also, die Kirche im Dorf zu lassen. ({3}) Ich möchte auch gar nicht die Zahlen des Kollegen Lamers bemühen, die er kürzlich vorgetragen hat. Ich möchte nur Sie alle bitten, die Erwartungen nicht zu hoch zu spannen. Die Frage wird letztendlich sein, wie wir auf europäischer Ebene zurechtkommen. Dabei können wir uns aus den Festlegungen der Vergangenheit überhaupt nicht befreien, um das einmal in aller Klarheit zu sagen. Manches, was sich dort strukturell entwickelt hat, gefällt mir überhaupt nicht; aus Zeitgründen kann ich darauf nicht im einzelnen eingehen. Aber aus vielerlei Gründen können wir uns daraus nicht befreien. Herr Kollege Seehofer, Sie haben immer wieder gesagt, wir hätten doch den Verträgen zugestimmt. Das ist zwar wahr, aber wir hatten zwischen dem, was wir sachlich für richtig hielten, und dem Fortgang der gesamteuropäischen Einigung abzuwägen. In diesem Abwägungsprozeß haben wir manchmal auch Verträgen zugestimmt, bei denen wir in einzelnen Sachfragen völlig anderer Auffassung waren. Wir haben es aber nicht für vertretbar gehalten, die europäische Einigung insgesamt zu beschädigen. Ich wünsche mir, daß auch Sie sich so verhalten, meine Damen und Herren. ({4}) Dann sagten Sie, Sie seien nicht genügend beteiligt. Ich nehme gern diesen Fingerzeig auf und werde darauf drängen, daß eine stärkere Beteiligung von Ihnen oder auch eine Abstimmung mit Ihnen stattfindet, weil wir schon aus dem Europäischen Parlament immer wieder gefragt werden, was sich denn bei uns verändert habe. Früher haben die Deutschen zumindest in der europäischen Position - ich habe das gerade dargestellt - unabhängig, ob Regierung oder Opposition, im großen und ganzen an einem Strick gezogen. Nun wird gefragt, warum sich das plötzlich geändert habe. Das ist die Diskussion, die in Europa geführt wird. Zur Sache selbst möchte ich Ihnen sagen, daß ich als SPD-Parteivorsitzender in den schwierigen Jahren, als es darum ging, den Euro einzuführen, nicht die Gelegenheit hatte, mit einem führenden Politiker des Koalitionslagers über diese Frage ausführlich zu sprechen, obwohl Ihnen bekannt war, daß meine Entscheidung durchaus eine Rolle gespielt hat, und obwohl ich diese Entscheidung für eine der wichtigsten überhaupt gehalten habe. Dennoch hat die SPD als große deutsche Volkspartei den Euro unterstützt. Wir haben es um der Sache willen getan, weil wir uns als europäische Partei verstehen und unsere Antwort das Gesamtinteresse zu berücksichtigen hatte. Ich appelliere an Sie, ähnlich zu verfahren. ({5}) Ich möchte nun auf die Beiträge eingehen, die eben wirklich nicht sachlich waren und die in mir die Befürchtung verstärkt haben, daß Sie bei der Europawahl natürlich unter der Vorgabe, europäischen Zielen zu dienen - eine antieuropäische Kampagne machen wollen. Das beginnt bei der Landwirtschaft. Die dazu vorgetragenen Positionen sind sachlich schlicht und einfach nicht haltbar; denn die Partei, die am stärksten eine Reduktion der deutschen Zahlungen an Europa fordert die CSU vertritt hier die weitestgehenden Forderungen -, kann nicht zugleich sagen, für die Bauern müsse in Europa noch mehr ausgegeben werden. Das ist doch völlig unglaubwürdig. ({6}) Ich frage mich manchmal, wie man so etwas machen kann. ({7}) Ich habe vorhin auch Herrn Sonnleitner, der mir zusammen mit Bauern eine Resolution übergeben hat, gesagt, daß ich seine Anliegen sehr wohl verstünde. Gleichwohl müsse hier auch angesichts der bayerischen CSU - ich sage nicht Bayern; ich spreche immer von der bayerischen CSU - Klarheit geschaffen werden. Es geht nun wirklich nicht, daß man die ganze Welt verrückt macht, indem man sagt, wir zahlten viel zuviel für Europa, und damit ganze Kampagnen macht und dann noch fordert, die bayerischen Bauern sollten mehr Geld aus Europa erhalten. Das ist unmöglich. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seehofer?

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Finanzminister, darf ich Sie noch einmal darauf hinweisen, daß wir erstens ja zu einer Agrarreform sagen und daß wir zweitens, was die Finanzierungsfrage betrifft, gemeinsam den Vorschlag vertreten, die Agrarausgaben und direkte Beihilfen stärker national mitzufinanzieren, und daß wir eine 50prozentige Kofinanzierung vorschlagen, mit der Folge, daß der EU-Haushalt jährlich insgesamt um 23 Milliarden DM entlastet würde? Selbst wenn man nicht alles davon verwirklicht, wäre das eine deutliche Entlastung, jedenfalls eine deutlichere Entlastung als durch die jetzt vorgelegte Agrarreform. Es hätte für die Bauern allerdings nicht den Nachteil, daß sie massenhaft in ihrer Existenz gefährdet würden. Würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß wir hier voll in der Kontinuität unserer bisherigen Vorschläge bleiben, wie die EUAusgaben deutlich reduziert werden können und daß wir nicht einerseits die Senkung der Beiträge und andererseits Mehrausgaben fordern? ({0})

Oskar Lafontaine (Minister:in)

Politiker ID: 11002715

Ich kenne Ihre Haltung, Herr Kollege Seehofer, daß Sie eine stärkere nationale Finanzierung der Landwirtschaft fordern. Ich sage Ihnen dazu aber schon jetzt: Glauben Sie nur nicht, daß das alles aus dem Bundeshaushalt kommt. Ich sage das in aller Sachlichkeit. Ich habe das alles aufmerksam registriert. Sie können bei dieser Frage in mir einen Verbündeten haben. Aber glauben Sie nicht, daß das alles aus dem Bundeshaushalt kommt. Ich will das in aller Klarheit sagen, auch angesichts der Diskussion, die wir geführt haben. ({0}) Diese Methode, Versprechungen zu machen, ist mir zu einfach. Ich will das nicht vertiefen, sondern nur einmal klargestellt haben. ({1}) - Die letzte Frage bitte noch, aber dann bitte ich, mich auch ein bißchen reden zu lassen. - Frau Präsidentin, wenn Sie gestatten.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ist gestattet.

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Finanzminister, Sie haben eben darauf hingewiesen, daß wir bei der Kofinanzierung, bei der dann die Bauern nicht belastet werden, nicht erwarten dürften, daß die Zahlungen aus dem Bundeshaushalt kommen.

Oskar Lafontaine (Minister:in)

Politiker ID: 11002715

„Alle“ Zahlungen aus dem Bundeshaushalt, immer präzise bleiben.

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich will darauf eingehen. Wenn wir eine Kofinanzierung in Europa durchsetzen, dann brauchen wir nur die Hälfte der Mittel, die wir nicht nach Europa einzahlen müssen, um den Bauern eine Preissenkung in voller Höhe ausgleichen zu können. Hier würde der Bundeshaushalt nicht belastet, sondern entlastet. Heißt Ihre Aussage, daß Sie dann die Rückflüsse zu Lasten der Landwirte voll für den Bundeshaushalt vereinnahmen wollen?

Oskar Lafontaine (Minister:in)

Politiker ID: 11002715

Herr Kollege Borchert, so gehen die Rechnungen auf europäischer Ebene nicht. Was Sie vorgetragen haben, ist richtig, sofern nicht alle anderen Entscheidungen auf europäischer Ebene damit verbunden werden. Aber Sie wissen ganz genau, daß die Struktur des Agrarhaushalts natürlich von der Struktur des Strukturfonds, des Kohäsionsfonds und von anderen Entscheidungen, die getroffen werden, bestimmt wird. Insofern ist das, was Sie vorgetragen haben, eine glatte Milchmädchenrechnung. Ich muß Ihnen das in aller Deutlichkeit sagen. Man kann sich so frohrechnen, aber es ist eine glatte Milchmädchenrechnung. ({0}) Wir werden das mit Aufmerksamkeit verfolgen, wenn Sie hier Gemeinsamkeit suchen. Ich lasse es als Vorsitzender der SPD Ihnen persönlich nicht durchgehen, daß Sie alle Landwirte verrückt machen und die Forderungen erheben, einerseits weniger Geld nach Brüssel zu zahlen und andererseits den Bauern mehr Geld aus Brüssel zukommen zu lassen. Diesen Widerspruch werden wir aufdecken und zum Gegenstand der Diskussion machen. ({1}) Dasselbe gilt für die Osterweiterung. Ich habe mit großem Interesse gehört, wie hier für die Osterweiterung gesprochen worden ist. Auch an dieser Stelle gibt es sehr viel Unredlichkeit. Das sage ich nicht nur an die Adresse einer Partei, sondern damit möchte ich mehr umfassen. Wenn man auf der einen Seite nur noch darüber redet, wie man Ausgaben reduzieren oder degressiv gestalten kann, und gleichzeitig in Europa herumreist und Erwartungen weckt, daß die Länder die von den Zahlen her einen hohen Subventionsbedarf und Ausgleichsbedarf aufweisen, sehr schnell in die Gemeinschaft kommen, ist das unglaubwürdig. Das muß in aller Klarheit gesagt werden. Wer für eine schnelle Osterweiterung ist, der muß bitte schön auch bereit sein, die Finanzierungsmittel zur Verfügung zu stellen. Ansonsten ist er unglaubwürdig. ({2}) Nachdem ich auf Ihre Ausführungen zur Landwirtschaft und zur europäischen Politik eingegangen bin - ich will das gar nicht polemisieren; wir müssen diese Debatte führen, auch mit den Landwirten -, einige Bemerkungen zur Debatte über den Haushalt. Es ist unstreitig - ich habe keinen gehört, der das hier bestritten hat -, daß der Bundeshaushalt unter Einrechnung der Auswirkungen des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur Familienpolitik ein strukturelles Defizit in Höhe von 30 Milliarden DM aufweist. Das ist schlicht die Wahrheit. Ich bitte sehr herzlich darum, dies nicht in irgendeiner Form schönzureden oder so zu tun, als hätten wir ein Erbe übernommen, für das wir uns noch bedanken sollten. Es ist schon ein großes Problem, und zwar für uns alle, dieses strukturelle Defizit abzubauen. Das ist nicht leicht; das will ich in aller Klarheit sagen. Ich habe hier selbstkritisch eingeräumt, daß man mit dem Abbau dieses Defizits eigentlich sehr schnell beginnen müßte, daß ich es aber angesichts der labilen konjunkturellen Lage für falsch gehalten habe, diesen Trend durch Kürzungsmaßnahmen noch zu verstärken. Das kann man anders sehen. Ich möchte dies hier aber noch einmal ansprechen. ({3}) Nur, als sich Ihr Sprecher, der Kollege Merz, am Schluß seiner Rede an mich wandte und mit Tremolo in der Stimme sagte: „Herr Lafontaine, Sie gehen einen schweren Gang“, kam mir das schon merkwürdig vor. Das war, als würde ein Betriebsinhaber, nachdem er den Betrieb so richtig ruiniert hat, dann zu dem Sanierer sagen: Sanierer, du gehst wirklich einen schweren Gang. ({4}) Sie haben ja völlig recht: Es ist wirklich ein schwerer Gang. Da stimmen wir überein. Ich habe mich nur etwas an dem Ton gestört. ({5}) - „Sanierer des Saarlands“ haben Sie dazwischengerufen. Dazu kann ich nur sagen: Sie sind schlicht und einfach nicht informiert. Die CDU/F.D.P.-Koalition an der Saar ist im Jahre 1985 mit, was es meines Wissens in der Bundesrepublik sonst noch nie gegeben hat, absoluter Mehrheit von der Oppositionspartei abgelöst worden, weil sie nicht mehr weiterwußte, weil die Finanzen total zerrüttet waren ({6}) und weil die Zins-Steuer-Quote bei 19,8 Prozent lag. Das heißt: Dieses Land war finanziell schlicht und einfach heruntergewirtschaftet. Es ist gelungen, natürlich auch mit Hilfe des Bundes, diese Zins-Steuer-Quote zu halten. Ich habe es Ihnen schon einmal vorgerechnet: Wenn Sie hier im Bund ebenso gewirtschaftet hätten, dann könnte ich mich wirklich für das Erbe bedanken. Leider aber kann ich das nicht. ({7}) Auch da liegen Sie also völlig falsch. Ich gebe Ihnen noch einen kleinen Hinweis, weil Sie das doch so oft getan haben. Dies kann ich heute freier tun als früher, weil ich gemeinsam mit meinen Freunden in diesem Bundesland dreimal eine absolute Mehrheit erreicht habe. Das Urteil der Wählerinnen und Wähler über die Regierungspolitik ist wichtig, nicht Ihr Urteil. ({8}) Natürlich haben Sie sich auch ausführlich mit der Steuerquote beschäftigt. Ich will dies gern noch einmal aufgreifen. Der Kollege Jacoby, der schon im Stadtrat von Saarbrücken zu meiner Opposition gehörte ({9}) - insofern erinnert man sich immer wieder an frühere Zeiten -, führte aus, es sei nicht zulässig, sich hinsichtlich der Steuerquote vor Verschiebungen in der Steuerstruktur zu drücken. Es ist doch völlig unstreitig, daß die Steuerquote nichts über die Steuergerechtigkeit aussagt. Sie sagt überhaupt nichts über die Besteuerung einzelner Betriebe oder der Arbeitnehmer und Familien aus. Das ist gemeinsame Position. Wir haben deshalb zwei Fragen zu beantworten. Zum einen: Ist die Steuerquote ausreichend, oder kann sie weiter gesenkt werden, oder ist sie angesichts der Aufgaben nicht ausreichend? Zum anderen: Wie verteilen wir die Steuerlast? Darüber streiten wir uns. Sie haben recht mit Ihrem Hinweis, daß wir nicht nur über die Steuerquote reden müssen, sondern auch über die Abgabenquote. Das ist deshalb notwendig, weil eine ganze Reihe von Leistungen, die eigentlich aus Steuermitteln finanziert werden müßten, über die Sozialversicherungsbeiträge finanziert werden. Wir haben oft kritisiert, daß Sie das getan haben. Das hat zwei Gründe: Das ist wirtschaftspolitisch falsch, weil Sie dadurch die Arbeitsplätze zu stark besteuern, und es ist sozialpolitisch falsch, weil nur die aktive Arbeitnehmerschaft zur Kasse gebeten wird. ({10}) Das ist der Grund, warum wir Ihre Vorgehensweise kritisieren. Die deutsche Steuer- und Abgabenquote ist Ausweis Ihrer völlig falschen Politik. Denn die Steuerquote ist - wenn Sie so wollen - zu gering, und die Abgabenquote ist zu hoch. So einfach ist das. Das wollte ich nur einmal im Überblick gesagt haben. Nun komme ich zu der Steuer- und Abgabenquote im einzelnen. Ausweislich des letzten Finanzberichts haben wir im Jahre 1997 eine Steuer- und Abgabenquote von 40,2 Prozent gehabt. Ich spreche jetzt, wohlgemerkt, von der Steuer- und Abgabenquote. Darunter liegen in Europa nur Irland, Portugal, Spanien und Großbritannien, wobei ich in bezug auf Großbritannien noch darauf hinweisen möchte, daß dort das Bruttosozialprodukt pro Kopf weitaus geringer ist als in Zentraleuropa. Ich bitte, das bei dieser Betrachtung mit zu würdigen. Wir haben neben diesen vier von mir genannten Staaten die geringste Steuer- und Abgabenquote. Wir haben dabei eine Aufgabe zu leisten, die kein anderer europäischer Staat zu leisten hat, nämlich den Aufbau Ost zu finanzieren. Dies macht rund 4 Prozent des Sozialproduktes aus. Das ist die Lage, in der wir sind. Deshalb muß ich Ihnen als Finanzminister sagen: Wir können in Deutschland angesichts des gewaltigen Schuldenstandes, den wir haben, sehr wohl über die Struktur unseres Steuersystems diskutieren. Wer sich aber hier hinstellt und mehr Geld für die Landwirtschaft fordert und wer fordert, das Wohngeld solle erhöht werden, man solle mehr Geld in die Bildung stecken, ({11}) und wer gleichzeitig eine Steuer- und Abgabensenkung fordert, der ist ebenfalls total unglaubwürdig. Das muß man einmal in dieser Deutlichkeit sagen. ({12}) Denn es ist nicht so, daß in den übrigen europäischen Staaten, die weitaus höhere Steuer- und Abgabenquoten als wir in Deutschland haben, nur unfähige Leute am Werk sind. So ist es nicht. Daß die Steuer- und Abgabenquote mit ökonomischen und verteilungspolitischen Folgen sowie mit den Möglichkeiten des Staates zu tun hat, Infrakstrukturaufgaben, Bildung, Forschung und Wissenschaft zu finanzieren, das weiß doch jeder. Deshalb können wir sehr intensiv über die Struktur der Ausgaben diskutieren; da ist sicherlich einiges zu reformieren. Lassen Sie uns ebenso sehr intensiv über die Struktur der Steuern in Deutschland diskutieren; da ist vieles zu reformieren; wir sind dabei. Lassen Sie uns auch über das Abgabensystem und seine Struktur sehr intensiv diskutieren; auch da ist vieles zu reformieren. Aber wer hier die Bevölkerung immer wieder in die Irre führt und behauptet, wir hätten bei einem strukturellen Defizit von 30 Milliarden DM, das Sie uns hinterlassen haben, einen großen Spielraum für eine Senkung der Steuer- und Abgabenquote - das zu behaupten ist populär -, der gibt falsch Zeugnis in diesem Lande. Das sollte man schlicht und einfach unterlassen. ({13}) - „Mehrwertsteuererhöhung“. Ich bin Ihnen dankbar, verehrter Herr Zwischenrufer. ({14}) Ich respektiere jeden Kollegen, ob mir nun ein Zwischenruf paßt oder nicht. - Sie sprechen also von einer Mehrwertsteuererhöhung. Mancher von Ihnen meint, meine Ausführungen, daß die jetzige konjunkturelle Lage kein Signal gebe, um Steuererhöhungsdiskussionen zu führen, seien unzureichend; ich solle mich langfristig an dieser Stelle festlegen. Das ist doch Ihre Forderung? ({15}) - „Jawohl“, sagen sie. So blöd bin ich schlicht und einfach nicht ({16}) und auch nicht so unehrlich. Ich will nicht in die Situation einiger meiner Kollegen kommen, etwa in die von Helmut Kohl, der vielleicht guten Glaubens versprochen hat, es werde in der betreffenden Legislaturperiode nie eine Mehrwertsteuererhöhung geben, und der dann mit unserer Hilfe - damit die Rentenkasse nicht aus dem Ruder lief - die Mehrwertsteuer erhöhen mußte. So soll man mit dem Volk nicht umgehen, und deshalb soll man nur das sagen, was man im Moment vertreten kann, und soll keine unglaubwürdigen Festlegungen für alle Zeiten treffen, die einem sowieso kein Mensch abnimmt. Das wissen auch Sie. ({17}) Gerade in bezug auf die Steuerpolitik hat sich das deutsche Volk daran gewöhnt, daß es immer wieder belogen worden ist. ({18}) Das wollen wir ändern. Es hat doch keinen Sinn, das Volk immer wieder zu belügen. ({19}) Wenn man gnädig ist, müßte man sagen, daß sich die Betreffenden immer wieder geirrt haben. Aber so blöd, das anzunehmen - das habe ich vorhin gesagt -, bin ich nicht. Ich halte auch nicht alle, die solche Versprechen gegeben haben, für so blöd. Das ist nicht nur ein deutsches Phänomen. Das war auch das Problem von Chirac, Major und Bush. Überall in der Welt ist vor Wahlen bezüglich der Steuerpolitik gelogen worden, daß sich die Balken bogen. Nach den Wahlen wurde das Gegenteil gemacht. Gerade das wollen wir nicht. Deshalb ist unsere Steuerpolitik so angelegt. ({20}) Unser Steuerkonzept ist überschaubar, wenn auch die Materie - ich komme gleich noch einmal darauf zurück sehr schwierig ist. Wir entlasten die Arbeitnehmer und die Familien um 20 Milliarden DM. Das kann man für richtig oder für falsch halten. Aber wir wollen das, weil wir der Meinung sind, daß Arbeitnehmer und Familien im Rahmen der Steuerstruktur der letzten Jahre die Leidtragenden waren und überproportional belastet wurden. Deshalb werden wir das ändern. Wir werden das auf Grund des Bundesverfassungsgerichtsurteils noch stärker ändern müssen. ({21}) Wir wollen den Mittelstand entlasten. Wir haben das auch mit unserem Steueränderungsgesetz getan, vielleicht nicht in dem wünschenswerten Umfang. Nach den Berechnungen des Ifo-Instituts liegt die Entlastung hier bei rund 3 Milliarden DM. Wir haben auch - weil wir nicht pfuschen - darauf hingewiesen, daß diejenigen - vor allem die Großbetriebe -, die in den letzten Jahren durch die betriebliche Vermögensteuer, die Gewerbekapitalsteuer und andere Steueransätze überproportional entlastet worden sind, im Rahmen unserer Strukturveränderung belastet werden. Wir sagen ehrlich: Das wollten wir so. Deshalb ist unser Steuergesetz so angelegt. ({22}) Im übrigen weise ich darauf hin, daß auch Sie langfristig die Körperschaften hätten mehr belasten müssen. Das ist in einer schriftlichen Anfrage niedergelegt. Das sage ich denjenigen, die das wider besseres Wissen in Frage stellen. Das ist hier im Bundestag schriftlich zu Protokoll gegeben worden. Ich wollte das nur in Erinnerung rufen. Herr Kollege Merz hat einen Treffer gelandet, indem er gesagt hat, daß der Finanzminister auf einer Pressekonferenz fachlich inkompetent gewirkt habe. Sie haben diesen Treffer deshalb gelandet, weil ich schlicht und einfach herumgeeiert habe. Ich spreche das hier offen an. Dieser Treffer sei Ihnen gegönnt. Ich habe deshalb herumgeeiert, weil uns auch noch jetzt die Versicherungswirtschaft, die Energiebranche und viele andere Branchen permanent drängen, bestimmte Positionen im Gesetzentwurf zu verändern. Deshalb war ich auf der besagten Pressekonferenz nicht in der Lage, exakte Auskünfte darüber zu geben, wie das Gesetz am Ende aussehen würde. Ich räume das ein. Nur, verehrter Herr Kollege Merz, wenn Sie das mit der Attitüde eines Menschen vortragen, der über fachlich unschlagbares Wissen verfügt, dann kann ich Sie nur davor warnen, daß das auf Sie zurückfallen könnte. Wenn man ein Gesetz mit 70 Subventionsstreichungstatbeständen machen und es in einem bestimmten Zeitraum über die Hürden bringen will, ohne daß es irgendwelche Korrekturen oder Nachbesserungen gibt, dann kann ich Ihnen nur sagen, daß das völlig unmöglich ist. ({23}) Wenn wir den Dialog mit der Wirtschaft sowie das parlamentarische Verfahren und Anhörungen ernst nehmen, dann müssen wir korrigieren, ansonsten können wir uns das Ganze sparen. Das wollte ich einmal in aller Klarheit sagen. ({24})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Bundesminister, gestatten Sie noch weitere Zwischenfragen?

Oskar Lafontaine (Minister:in)

Politiker ID: 11002715

Nein, ich hatte darum gebeten, daß ich meine Ausführungen zusammenhängend vortragen kann. Ich habe mehrere Zwischenfragen zugelassen. Ich werde noch öfters hier sprechen. Wir müssen es deshalb so machen, damit wir Einwendungen - soweit das irgendwie möglich ist -, die gegen unser Steuergesetz erhoben werden, einarbeiten können. Dabei darf man nicht vergessen, daß die Lobby teilweise massiv übertreibt, ({0}) wenn sie mit Abwanderung und Arbeitsplatzverlusten droht sowie mit Zahlen operiert, die schlicht und einfach falsch sind. Das weiß niemand besser als der Kollege Waigel, der momentan sehr intensiv mit der Lektüre einer Zeitung beschäftigt ist. Er war früher in einer solchen Situation. Ich bin jetzt in dieser Situation. Zu einer guten Regierung gehört, daß sie die vorgebrachten Argumente nach sachlicher Prüfung und Diskussion aufgreift, aber nicht irgendwelchen Kampagnen der Lobby nachgibt, die einfach unsachlich und nicht begründet sind. Wir werden das so machen. ({1}) Ich möchte noch etwas zur Unternehmensteuerreform - es handelt sich um eine wirkliche Strukturreform, wenn man eine Betriebsteuer einführt - sagen: Die Zahlen, die jetzt öffentlich gehandelt werden, sind nicht akzeptiert. Sie sind deshalb nicht akzeptiert, weil erst das Verfahren - um das auch hier klarzustellen abgewartet werden muß: Die Kommission arbeitet zu Ende. Sie legt dann unter Beteiligung der Wirtschaft ihren Bericht vor. Danach werden wir darüber beraten, wie die Ergebnisse zu bewerten sind. Dann werden das Parlament und die Regierung entscheiden, ob der Bericht als Ganzes realisiert werden soll oder ob es noch Veränderungen geben soll. Anders kann es nicht gehen. Ich wollte das in dieser Debatte noch einmal klarstellen; denn an dieser Stelle - das ist der zweite Punkt, wo ich Ihnen einen Treffer einräume - haben Sie recht: Wer zuviel auf einmal beginnt, dem unterlaufen handwerkliche Fehler. Daraus sollte man lernen. Deshalb wird dieses Gesetz ordentlich eingebracht und sorgfältig beraten. Das ist die Konsequenz daraus. ({2}) Ich will gerade in diesen Tagen einen Punkt aufgreifen, in dem wir unterschiedlicher Meinung sind und der unser Volk beschäftigt: Es handelt sich um die Lohnund Einkommenspolitik, die gerade jetzt wieder streitig ist. Ich akzeptiere Ihre Position schlicht und einfach nicht. Ich spreche das ganz offen an. Wir sollten die Diskussion dazu immer wieder führen. Wir von seiten der Bundesregierung haben gesagt: Wir wollen eine Lohn- und Einkommenspolitik, die sich am Produktivitätsfortschritt orientiert und die die Zielinflationsrate der EZB mit einbezieht. Das kann man für richtig oder für falsch halten. Es gibt die andere Überzeugung, daß praktisch jede Lohnforderung unanständig ist. - Wo sind wir in Deutschland eigentlich hingekommen? - Man argumentiert so, als sei grundsätzlich die Arbeitnehmerschaft diejenige Gruppe, die man ansprechen müsse, wenn Fehlentwicklungen zu korrigieren seien und wenn es gelte, den Gürtel enger zu schnallen. Ich sage in allem Freimut, obwohl es in den Ohren eines jeden neoliberalen Marktfundamentalisten unglaublich klingt: Wer über Lohnzurückhaltung spricht, der kann sich doch irgendwann einmal die Frage stellen, warum nicht einmal über Gewinnzurückhaltung gesprochen wird. ({3}) Schließlich ist der Lohn der Gewinn des Arbeitnehmers, und der Gewinn ist der Lohn des Unternehmers. Warum wird immer nur auf die eine Seite geschaut? Im übrigen ist diese Überzeugung nicht nur verteilungspolitisch falsch, sondern auch wirtschaftspolitisch erwiesenermaßen falsch. Sie sind deshalb gescheitert, weil Sie - das habe ich Ihnen immer unterstellt - guten Glaubens ({4}) - Frau Kollegin, ich bin vielleicht etwas zu großzügig immer sagten: Wir müssen nur Lohnzurückhaltung üben - wir hatten in den letzten drei Jahren wieder sinkende Lohnstückkosten -, und dann baut sich die Arbeitslosigkeit ab. Ich sage Ihnen noch einmal: Das geht nur, wenn man Exporterfolge hat, sonst logischerweise nicht. Anscheinend ist an dieser Stelle eine ideologische Sperre, diesen Sachverhalt überhaupt anzunehmen. Von Lohnzurückhaltung haben bekanntlich der Einzelhändler und der Handwerker, die uns hier vielleicht zuhören, nichts; denn sie brauchen Kunden, die ihre Waren kaufen bzw. ihnen Aufträge geben. Wir haben es hier mit einer wirtschaftspolitischen Lehrmeinung zu tun, die so zu formulieren ist: Die Wirtschaft verdient am meisten Geld, wenn die Kunden am wenigsten in der Tasche haben. ({5}) Solange man auf dieser Lehrmeinung mit großer Hartnäckigkeit beharrt, darf man sich über die fehlenden Erfolge einer solch unsinnigen Wirtschafts-, Finanz- und in diesem Fall auch Lohnpolitik nicht wundern. Wir brauchen endlich einmal verbindliche Formeln. So wie es etwa 1992 falsch war, weit über dem Produktivitätsfortschritt abzuschließen, so ist es falsch - ich sage das hier in aller Klarheit -, permanent unterhalb der Möglichkeiten zu bleiben, weil die Löhne und Einkommen ein solch großes Aggregat der Volkswirtschaft und so wichtig für den Binnenmarkt sind, daß man sie auf Dauer nicht zum alleinigen Mechanismus der Zurückhaltung machen kann. Das geht volkswirtschaftlich schlicht daneben. Wenn man diese Politik in guten Jahren sehr forciert betreibt, dann kann es einem passieren, daß in einem Jahr, das weniger gut läuft, die Forderungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sehr stark sind und daß man dann insgesamt keine optimalen Ergebnisse erreicht. ({6}) - Der verehrte Herr Hirche hat hier dazwischengerufen: „Sie zerstören Arbeitsplätze!“ - Wenn Sie schon ideologisch fixiert sind, ({7}) dann schauen Sie doch einmal auf die Vereinigten Staaten. Schauen Sie sich einmal an, wie sich die Reallöhne in den letzten Jahren dort und wie sie sich bei uns entwickelt haben. Wenn Sie sich dann immer noch hier hinstellen und unsinnigerweise behaupten, bei uns seien die Reallöhne gestiegen und dort gesunken, dann muß ich feststellen, daß Sie einfach aus ideologischer Verblendung nicht bereit sind, irgendwelche Zahlen zur Kenntnis zu nehmen. Anders ausgedrückt: Irgend jemand hat von Ludwig Erhard gesprochen. Da man sich mit diesem Mann, der im übrigen auch zur Geld- und Währungspolitik viel Interessantes geschrieben hat, natürlich auseinandersetzen muß, will ich ihn einmal zitieren: „Ziel allen Wirtschaftens ist der Konsum.“ Wer die Arbeitnehmereinkommen immer wieder stranguliert und Lohnzurückhaltung predigt, der hat Erhard zumindest nicht verstanden. Das möchte ich hier einmal in aller Klarheit feststellen. ({8}) Steuergerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit sind zwei wichtige, konstituierende Elemente unserer gesamtstaatlichen Ordnung. Es ist selbstverständlich, daß die Frage, ob Steuer- oder Verteilungsgerechtigkeit existiert, von den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen unterschiedlich beantwortet wird. Wenn Sie sich aber einmal in den Statistiken die Selbständigenhaushalte, die Rentnerhaushalte, die Arbeitnehmerhaushalte, die Arbeitslosenhaushalte oder die Haushalte von Sozialhilfeempfängern anschauen, kann eines festgehalten werden: Die Arbeitnehmerhaushalte hatten in den letzten Jahren relativ am wenigsten Zuwachs. Genau das wollen wir ändern. Dafür sind wir angetreten. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch unsere Haushalts- und Steuerpolitik. ({9}) Ich würde es begrüßen - ich weiß nicht, ob das zwischenzeitlich korrigiert worden ist -, wenn der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion seine Bemerkung im Hinblick auf das Programm für arbeitslose Jugendliche zurücknehmen würde. Es kann jedem im Eifer des Gefechts einmal passieren, daß er einen Satz sagt, den er nachher bedauert. Ich würde eine Zurücknahme begrüßen. Bei diesem Programm handelt es sich um einen Schwerpunkt unserer Regierungspolitik. Wir wissen um die Schwierigkeiten, die dann auftreten, wenn man Jugendliche, die schlecht ausgebildet sind, die keinen Schulabschluß haben und vielleicht auch schon eine ganze Reihe von Jahren sich auf der schiefen Bahn, wie man das so im Volksmund sagt, bewegt haben, in den Arbeitsprozeß integrieren will. Hier wollten wir nun einen Schwerpunkt setzen. Ich hatte eigentlich unterstellt, daß wir bei diesem Ziel auch Ihre Unterstützung hätten. Deshalb bitte ich Sie: Korrigieren Sie diesen Satz. Dann soll es erledigt sein. Es wäre besser im Hinblick auf die Jugendlichen, die uns vielleicht zuhören und unsere Debatten hier im Parlament verfolgen. ({10}) Der Bundeshaushalt setzt genau die Akzente, die wir in unserem Programm vor den Wahlen den Wählerinnen und Wählern versprochen haben. Die Argumentationsweise des Kollegen von der F.D.P., der zu Beginn der Debatte die Bereiche Wohngeld und Wehrsold moniert hat, ist doch nicht fair. ({11}) Gleichzeitig werfen Sie uns ja vor, daß wir beim Kindergeld, beim Eingangssteuersatz und bei den anderen sozialpolitischen Maßnahmen finanzpolitisch viel zu viel getan hätten. Wenn man diesen Vorwurf aufrechterhalten will, meine Damen und Herren, dann darf man nicht zusätzlich sagen: Wo bleiben die Erhöhungen des Wohngeldes und des Wehrsoldes? Das ist die typische Argumentationsweise von Oppositionsparteien. Die Redner von der F.D.P., die sich immer als besonders sachkundig in finanz- und wirtschaftspolitischen Fragen geben, müßten eigentlich diese ganzen Reden ändern, denn sonst wirken sie völlig unglaubwürdig. Jeder, der uns jetzt zuhört, weiß, daß das alles nicht stimmt. Meine Erfahrung ist: Mit solchen Geschichten macht man keine Politik. ({12}) Wir haben, meine Damen und Herren, zwei Schwerpunkte gesetzt: Wir wollten ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit und Innovationen in Deutschland in Gang setzen - deshalb auch unsere Bemühungen um die Forschung und um erneuerbare Energien. Den Vorwurf, daß wir in den vier Monaten noch nicht so weit gekommen sind, wie wir eigentlich kommen wollten, den stecken wir gerne ein. Auch den Vorwurf, daß hier oder da Fehler gemacht worden sind, nehme ich gerne auf mich. Es wäre ja albern, wenn wir den Menschen draußen vormachen würden, es würden keine Fehler gemacht. Wir haben aber klare politische Akzente gesetzt: mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Erneuerung und Innovation. So wollen wir fortfahren. Vielen Dank. ({13})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/300 und 14/350 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({0}) - Drucksache 14/371 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen W. Möllemann, Cornelia Pieper, Horst Friedrich ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes - Drucksache 14/358 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maritta Böttcher und der Fraktion der PDS Umsetzung der Reform der Ausbildungsförderung - Drucksache 14/398 ({4}) Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({5}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Bundesministerin Bulmahn.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Heute geht es darum, krasse Ungerechtigkeiten und Fehlentwicklungen bei der Ausbildungsförderung zu korrigieren. Das BAföG hat die Aufgabe, Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit im Bildungswesen zu gewährleisten. Die alte Bundesregierung hat jedoch das BAföG durch eine nicht erfolgte Anpassung der Elternfreibeträge und durch eine unzureichende Erhöhung des Förderbetrages derartig ausgehöhlt, daß das BAföG heute in keiner Weise seiner Aufgabe gerecht werden kann. Die alte Bundesregierung hat damit versäumt, in die Zukunft der jungen Generation zu investieren. Vorrangiges Ziel dieser Bundesregierung ist es, möglichst allen jungen Menschen, unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern, eine Ausbildung zu ermöglichen, die ihren Fähigkeiten, Leistungen und Neigungen entspricht. ({0}) Ich möchte den Generationenvertrag bezüglich der Bildung auf eine neue, dauerhafte und tragfähige Grundlage stellen. Damit leiten wir eine Trendwende in der Ausbildungsförderung hin zu mehr Chancengleichheit und zu mehr Gerechtigkeit ein. Als einen ersten Reparaturschritt gegen die jahrelange Talfahrt des BAföG lege ich deshalb heute dem Deutschen Bundestag den Entwurf für das Zwanzigste Gesetz zur Änderung des BAföG-Gesetzes zur ersten Beratung vor. Damit sollen Sofortmaßnahmen getroffen werden, mit denen wir die Ausbildungsförderung konsolidieren wollen. So wird verhindert, daß noch mehr Studierende aus der BAföG-Förderung herausfallen. Das weitere Abfallen der Gefördertenquote wird gestoppt und ein Aufwuchs in naher Zukunft ermöglicht. Der Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, die Bedarfssätze um 2 Prozent und die Freibeträge um 6 Prozent anzuheben, um wieder mehr jungen Menschen ein Studium zu ermöglichen und die Studierenden wieder zu einem Auslandsstudium zu ermuntern, statt durch eine Verschlechterung der Förderart zu bestrafen, um Sanktionen für einen begründeten frühzeitigen Fachrichtungswechsel im Studium zurückzunehmen und um die Gremientätigkeit von Studierenden in der studentischen Selbstverwaltung wieder zu honorieren und nicht durch eine Verschlechterung der Förderart zu bestrafen. Zu den Einzelpunkten des Gesetzentwurfs. Mit der Anhebung der Bedarfssätze um 2 Prozent und der Freibeträge um 6 Prozent zum Herbst dieses Jahres werden jährlich 289 Millionen DM zusätzlich in die Ausbildungsförderung investiert. Damit steigt der Förderungshöchstsatz beim BAföG von 1 010 DM auf 1 030 DM. Studierende können sich damit wieder stärker auf ihr Studium konzentrieren, so daß ein Abschluß des Studiums in angemessener Zeit möglich ist. Von besonderer Bedeutung ist die vorgesehene Anhebung der Freibeträge um 6 Prozent. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, es ist wohl die Scheinheiligkeit in Potenz, wenn Sie sich über eine unzureichende Anhebung beklagen, nachdem Sie in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung jahrzehntelang nicht die Entschlußkraft und den Mut gefunden haben, hier für eine vernünftige Ausbildungsförderung Sorge zu tragen. ({2}) Da kann ich nur sagen: Packen Sie die Heuchelei in den Koffer. Damit können Sie keinen Blumentopf gewinnen. ({3}) Die Heuchelei ist wirklich das allerletzte. Ich muß ganz offen sagen: Gerade von der F.D.P. hätte ich in den letzten 16 Jahren die Entschlußkraft erwartet, die Sie jetzt vollmundig an den Tag legen. ({4}) Jetzt, wo Sie nichts mehr zu entscheiden und zu sagen haben, kommen Sie auf einmal mit den Vorschlägen heraus. In der letzten Legislaturperiode haben Sie alle Bemühungen und Fortschritte torpediert, weil Sie nicht die Courage hatten, den Streit mit Ihrem Koalitionspartner zu führen. ({5}) - Ich gehe gleich sehr gerne darauf ein, warum ich die Strukturreform jetzt nicht mache. Ich kann Ihnen nur sagen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P.: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. ({6}) Das trifft für Sie zu. ({7}) Zu der Anhebung der Elternfreibeträge. ({8}) Das ist nämlich der Kernpunkt in dieser Reform, neben den „Korrekturen“, die Sie sträflicherweise durchgeführt hatten. ({9}) - Wenn Sie eine Frage stellen wollen, dann stellen Sie eine Frage, Herr Möllemann. Ich antworte gerne auf eine Frage.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Jürgen W. Möllemann.

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, Sie haben gerade prophetisch gesagt: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Ich möchte aus eigener Erfahrung hinzufügen und Sie fragen, ob Sie sich das vorstellen können: Das Leben ist eine Achterbahn.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Möllemann, ich kann mir sehr gut vorstellen, daß das Leben nicht nur eine ständige Aufwärtsbewegung ist, sondern daß es ab und zu auch bergab geht. Daß es bei Ihnen jetzt bergab geht, haben wir festgestellt. Ich kann mir auch sehr gut vorstellen, Herr Möllemann, daß Sie die Versuchung verspürt haben, eiligst einen Entwurf in den Bundestag einzubringen, einen Entwurf, dessen Grundelemente praktisch dem entsprechen, was die SPD, was die Länder in den letzten Jahren erarbeitet haben. Das Ärgerliche, Herr Möllemann - das ist noch immer die Antwort -, ist nur, daß das Bundesverfassungsgericht inzwischen Beschlüsse gefaßt hat, die eine Veränderung des Familienleistungsausgleiches beinhalten. Das kümmert Sie aber offensichtlich überhaupt nicht. ({0}) Sie bringen einfach einen Entwurf ein, in dem Sie die notwendigen Änderungen, die uns das Bundesverfassungsgericht auferlegt, nicht aufgenommen haben. Sie lassen sich überhaupt nicht beirren und bringen diesen Antrag unverdrossen ein. Ich bin aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen, als ich gesehen habe, mit welcher Unbekümmertheit Sie hier einen Sockelbetrag von 400 DM für verfassungsrechtlich möglich halten, obwohl das überhaupt nicht geprüft ist, und mit welcher Unbekümmertheit Sie zum Beispiel sagen: Wir nehmen das Kindergeld; die Ausbildungsfreibeträge und sonstigen Freibeträge werden nicht berücksichtigt. Ich kann nur sagen, ich hätte mir wirklich gewünscht, daß Sie diese „Entscheidungsstärke“, die Sie mit der Einbringung dieses Entwurfes heute demonstrieren wollen, einmal in den letzten 16 Jahren Ihrer Regierungszeit an den Tag gelegt hätten, ({1}) zu einem Zeitpunkt, als Sie entscheiden konnten und solide hätten prüfen können. ({2}) Ich sage Ihnen auch ganz klar, was mich noch gewundert hat, nämlich daß auf einmal sämtliche juristischen Argumente, die ich mir in den letzten vier Jahren ungefähr 30 000 mal habe anhören müssen, zum Beispiel bezüglich der Änderung des Unterhaltsrechtes, überhaupt nicht mehr auftauchen, sondern Sie sie völlig beiseite lassen, als hätte es sie nie gegeben. Dabei waren es doch zwei F.D.P.-Justizminister, die genau diese juristischen Vorbehalte formuliert haben. Ein Stück Glaubwürdigkeit dient der Politik. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Ministerin, der Herr Kollege Möllemann möchte noch eine Zwischenfrage stellen. Ich wollte aber doch noch darauf hinweisen, daß Zwischenfragen und Antworten möglichst nicht länger sein sollten als der Redebeitrag.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Herr Möllemann, vielleicht stellen Sie die Zwischenfrage etwas zurück. Ich gehe davon aus, daß ich darauf, was Sie fragen möchten, im Verlauf meiner Rede ohnehin noch eingehe. ({0}) - Gerne, dann noch eine zweite Zwischenfrage.

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, abgesehen davon, daß meine Frage wirklich kurz war und nur die Antwort lang, nicht beides, möchte ich die zweite Frage stellen. Frau Ministerin, Sie sagten gerade, Sie empfänden es als zu eilig, daß wir den Vorschlag mit dem Drei-Körbe-Modell, der bislang Ihr Vorschlag war, eingebracht hätten. Könnten Sie sich vorstellen, daß wir nach dem, was Oskar Lafontaine gerade gesagt hat, der Meinung waren, es sei nicht das Privileg der Bundesregierung, eilig zu handeln?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Herr Möllemann, ich kann mir vorstellen, daß eine Opposition durchaus für sich das Privileg in Anspruch nimmt, Fehler zu machen und einen Entwurf einzubringen, obwohl sich inzwischen die juristische Grundlage verändert hat. Durch den Bundesverfassungsgerichtsbeschluß haben wir eine andere Grundlage, als wir sie noch vor einem Jahr hatten. Ich kann nur wiederholen: Wenn Sie in der letzten Legislaturperiode die Courage gehabt hätten, ({0}) den breiten Konsens mitzutragen, den Entwurf, den wir vorgelegt haben, zu einem verabschiedungsfähigen Gesetzestext zu machen, dann müßten wir heute nicht darüber diskutieren. Da Sie die Courage nicht gehabt haben, müssen wir heute, aber vor allen Dingen in den kommenden Monaten die Debatte darüber führen. Denn das, was ich heute vorlege, ist eine Eilmaßnahme, ein erster Schritt, eine Reparatur. Wir werden in den nächsten Monaten sehr intensiv über das eigentliche Reformkonzept miteinander diskutieren müssen. ({1}) - Nein, ich bin nicht sauer. Mein lieber Herr Hirche, ich glaube wirklich, daß diese Reform nicht für parteitaktische Spielchen geeignet ist. ({2}) Vielmehr geht es um die lebensnotwendige Förderung vieler Jugendlicher aus einkommensschwächeren Familien. ({3}) Deshalb muß man solide arbeiten. Was Sie vorgelegt haben, entbehrt jeglicher Solidität. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme auf die Anhebung der Freibeträge zurück. Dies ist wirklich ein ganz wichtiger Bestandteil des Vorschlages. Von 1993 bis 1997 ist - ich bitte Sie, sich das noch einmal vor Augen zu halten - die Zahl der geförderten Studierenden von 408 000 auf 238 000 gesunken. Mittlerweile kann eine Familie mit zwei studierenden Kindern nur noch dann mit einer Vollförderung rechnen, wenn das monatliche Bruttoeinkommen 2 985 DM unterschreitet. Soweit sind wir inzwischen durch Ihre Säumnisse, durch Ihre Fehler in den letzten 16 Jahren gekommen. Daß diese Grenze zu niedrig ist, ist eigentlich jedem sonnenklar. Deshalb will ich mit diesem Gesetzentwurf, mit dieser Eilmaßnahme die Bedarfs- und Freibetragssätze anheben, um ein weiteres Absinken der Gefördertenquote zu verhindern. Mit dem zweiten Teil der Novelle werden krasse Fehlentscheidungen, die wiederum die Opposition zu verantworten hat, korrigiert. Erstens. Wir wollen Auslandsaufenthalte und Mobilität von Studierenden stärker fördern, weil wir das für wichtig halten. Wir wollen, daß unsere Jugendlichen die Möglichkeit haben, ihre Fach- und Fremdsprachenkompetenz zu erweitern. Die Jugendlichen müssen für die internationalen Herausforderungen gerüstet sein, um im internationalen Vergleich mithalten zu können. Meine Damen und Herren, fast die Hälfte aller Studierenden würde nach Umfragen an einem obligatorischen Auslandsjahr als Bestandteil eines Studiengangs mit geregelter Anerkennung der Studienleistung teilnehmen. ({5}) Das Haupthindernis für einen Auslandsaufenthalt von Studierenden sind zur Zeit die Probleme bei der Finanzierung. Dies bestärkt uns, jetzt im 20. BAföGÄnderungsgesetz den Bereich der Auslandsförderung wieder auszubauen. Deshalb führen wir die bewährte Regelung des § 5a wieder ein. ({6}) Meine Damen und Herren, es müssen künftig wieder alle Studierenden unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern die gleichen Chancen auf ein Auslandsstudium haben. Die alte Bundesregierung hat Internationalität und Mobilität verhindert. Es war einfach ein krasser Fehler, die Studierenden mit den restriktiven BAföGRegelungen ausgerechnet für ihre Mobilitätsbereitschaft zu bestrafen. ({7}) Wir werden deshalb die Attraktivität von Ausbildung im Ausland wieder erhöhen. Künftig bleibt nach unserem Vorschlag im Rahmen der Förderungshöchstdauer ein Auslandsaufenthalt bis zu einem Jahr unberücksichtigt. Zweitens. Wir erwarten von allen Studierenden ein zielgerichtetes Studium. Aber wir können die Augen vor bestehenden Orientierungsbedürfnissen in der ersten Studienphase nicht verschließen. Dies wird zukünftig in angemessener Weise bis zum Beginn des vierten Fachsemesters durch das Zulassen eines Ausbildungsabbruchs oder Fachrichtungswechsels aus wichtigen Gründen berücksichtigt. Der Beirat für Ausbildungsförderung hat nachdrücklich bestätigt, daß es Fälle gibt, in denen der Studienaufbau einen Fachrichtungswechsel aus wichtigen Gründen noch am Ende des dritten Fachsemesters rechtfertigt. Es wäre ungerecht, wenn das Förderungsrecht die Ausbildung junger Menschen aus einkommensschwachen Familien erschweren würde. Deshalb ist diese Korrektur notwendig. Drittens. Eine weitere Korrektur, die wir durchführen werden, bezieht sich auf das Engagement von Studierenden in Gremien und Organen der studentischen Selbstverwaltung. Wir möchten erreichen, daß dieses Engagement entsprechend berücksichtigt wird, weil es für eine lebendige Hochschule wichtig ist. Das muß dann auch im Ausbildungsförderungsrecht seinen Niederschlag finden. Nachteile für besonders engagierte Studierende müssen vermieden werden. Deshalb sieht unser Gesetzentwurf vor, daß Studierende, bei denen sich die Förderungshöchstdauer durch eine Gremientätigkeit verlängert, für die Zeit dieser Verlängerung wieder auf die Normalförderung zurückgreifen können. Ihnen entstehen also praktisch keine finanziellen Nachteile durch engagiertes Mitarbeiten in den Gremien der Hochschule. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. ({8}) Diese Möglichkeit muß natürlich erst recht gelten, wenn soziale oder andere schwerwiegende Verlängerungsgründe den Ausbildungsabschluß innerhalb der Förderungshöchstdauer unmöglich machen. Darunter fallen zum Beispiel Krankheit, Unterbrechung der Ausbildung durch Grundwehr- bzw. Zivildienst oder Ableistung eines freiwilligen sozialen bzw. ökologischen Jahres. Deshalb führen wir die vorgesehenen Korrekturen durch. Viertens. Wir verlängern - auch dies ist eine weitere Korrektur, die wir durchführen - das bewährte Instrument der Studienabschlußförderung um weitere zwei Jahre bis zum 30. September 2001. Denn es gibt noch immer Studentinnen und Studenten, die alle erforderlichen Studienleistungen innerhalb der Förderungshöchstdauer erbracht haben, die ihre Ausbildung aber trotz Zulassung zur Abschlußprüfung aus hochschulinternen Gründen nicht beenden können. Eine solche Examensverzögerung, die auf organisatorische Defizite der Hochschule zurückgeht, darf nicht zu Lasten der Studierenden gehen. Deshalb ist die Verlängerung der Studienabschlußförderung dringend geboten. Ich habe bereits vorhin in meiner Antwort auf Ihre Zwischenfrage, Herr Möllemann, gesagt, daß wir zwar mit der vorliegenden BAföG-Novelle eine Trendwende hin zu mehr Chancengleichheit und sozialer Gerechtigkeit einleiten, daß aber die Hauptaufgabe noch vor uns liegt, nämlich eine grundlegende Reform der Ausbildungsförderung. Wir werden hierzu bis Ende dieses Jahres ein entscheidungsreifes Konzept vorlegen. Wir bauen bei unseren Überlegungen auf den breiten Konsens auf, ausbildungsbezogene staatliche Leistungen wie Kindergeld und Freibeträge zu einer elternunabhängigen Förderung zusammenzufassen. Ergänzen wollen wir dieses elternunabhängige Ausbildungsgeld durch eine einkommensabhängig gewährte Ausbildungshilfe. Meine Herren und Damen, wer allerdings glaubt das richtet sich jetzt noch einmal ganz konkret an die Adresse der F.D.P. -, diese Reform ohne Berücksichtigung der jüngsten Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichtes zum Familienleistungsausgleich auf den Weg bringen zu können, der liegt falsch. ({9}) Eine Reform der Ausbildungsförderung kann es nur in enger Verknüpfung mit der Reform des Familienleistungsausgleiches geben. Im Interesse der jungen Menschen ist deshalb Sorgfalt angebracht. ({10}) Um es noch einmal zu wiederholen: Die erforderliche Neuorientierung der Ausbildungsförderung darf nicht zu einem parteitaktischen Spielchen verkommen. ({11}) Dabei handelt es sich um eine zu ernste Angelegenheit. Deshalb will ich noch einmal ausdrücklich festhalten: Die Bundesregierung wird noch in diesem Jahr ein Reformkonzept vorlegen. Genauso klar ist aber auch: Ich lasse mich nicht zu unbotmäßiger Hast von denjenigen treiben, die in jahrzehntelanger Regierungsverantwortung die Entschlußkraft, Änderungen vorzunehmen und eine Strukturreform auf den Weg zu bringen, nicht aufgebracht haben. ({12}) - Ich meine damit eine Hast, die dazu führen würde, daß wir hier ein Gesetz verabschieden, Herr Möllemann, das langfristig nicht tragfähig ist. Wir werden eine BAföGReform durchführen, die auch auf längerfristige Sicht Sicherheit für Studierende aus einkommensschwächeren Familien bietet. ({13})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin Pieper, ich kann leider keine Zwischenfrage mehr zulassen, weil die angemeldete Redezeit schon überschritten ist. Frau Ministerin, ich habe kein Recht, Sie zu unterbrechen - das wissen Sie -, aber ich kann es Ihnen zur Kenntnis geben.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Ein letzter Satz: Ich wünsche mir, daß dieser Entwurf eine breite Mehrheit in diesem Hause findet, damit die vielen jungen Menschen, die die notwendigen Leistungsverbesserungen beim BAföG dringend brauchen, diese auch erhalten. Vielen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Angelika Volquartz.

Angelika Volquartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003251, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über die Bedeutung von Studium und Hochschule, Wissenschaft und Forschung brauchen wir in diesem Hause nicht zu streiten. Die Daten liegen auf dem Tisch. Professor Wolfgang Frühwald, ehemaliger Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, weist darauf hin, daß sich die Zahl der Naturwissenschaftler in den USA innerhalb von 13 Jahren verdoppelt. Jürgen Rüttgers stellt fest: Weltweit erscheinen pro Arbeitstag 20 000 Fachpublikationen in Wissenschaft und Technik. Wenn wir vom Aufbruch in die Wissensgesellschaft sprechen, dann geht es nicht um eine Utopie, sondern um die Lösung drängender praktischer Probleme. Dazu zählt die Situation an den Hochschulen ebenso wie die Förderung der Studierenden. Es geht um Chancen für den einzelnen und um unseren Platz im globalen Wettbewerb. Lassen Sie mich deshalb zunächst mit der gebotenen Deutlichkeit feststellen: Der Zugang zum Studium und dessen Verwirklichung dürfen nicht von der wirtschaftlichen Lage des Elternhauses abhängen. Das war schon immer CDU/CSU-Position. ({0}) Die Union war es schließlich, die mit dem Vorläufer des BAföG, dem Honnefer Modell, im Jahre 1957 die Ausbildungsförderung in Deutschland überhaupt begründet hat. Das muß einmal festgestellt werden. ({1}) Der Entwurf des 20. BAföG-Änderungsgesetzes, über den wir heute beraten, wird von der Regierung als „Reparaturgesetz“ bezeichnet. Die Frage ist allerdings, was dieses Gesetz repariert. Es besteht sicherlich Einigkeit auf allen Seiten des Hauses, daß bei insgesamt 1,8 Millionen Studierenden in Deutschland der Kreis der Geförderten in den letzten Jahren - mit einer Förderquote von 22 Prozent im Jahre 1998, berechnet nach der normativen Methode, bei der die dem Grunde nach BAföGBerechtigten die Bezugsgröße sind - aus verschiedenen Gründen deutlich kleiner geworden ist. Wir sind uns auch darüber einig, daß die Anhebung der Bedarfssätze und der Freibeträge für die Auszubildenden bzw. Studierenden selbstverständlich zu begrüßen ist. Auch hier gilt: Bildungsinvestitionen sind Zukunftsinvestitionen. Jeder Manager weiß, was der Standortfaktor Bildung bedeutet. Die letzte OECDBildungsstudie stellt kurz und prägnant fest, daß Bildung ebenso zur Stärkung des wirtschaftlichen Wachstums wie zur persönlichen und sozialen Weiterentwicklung und auch zur Verringerung sozialer Ungleichheiten beitragen kann. Deshalb waren in dem von uns zu verantwortenden Regierungsentwurf für den Haushalt 1999 noch entsprechende Erhöhungen beim BAföG vorgesehen. Ich muß Sie, meine Damen und Herren von der rotgrünen Mehrheit, allerdings auch daran erinnern, daß Sie mit Ihrer BAföG-Novelle deutlich hinter dem zurückgeblieben sind, was Sie hier im Hause vor der Wahl lautstark gefordert haben. ({2}) Erinnern wir uns: 2 Prozent mehr bei den Bedarfssätzen und 6 Prozent mehr bei den Freibeträgen - das sah die von uns verantwortete 19. Novelle vor, also exakt die von Ihnen in der 20. Novelle geplante Erhöhung. Doris Odendahl, die damalige bildungspolitische Sprecherin der SPD, hat diese 19. Novelle hier am 2. April 1998, also vor noch nicht einmal einem Jahr, mit der Note „unzureichend“ versehen. ({3}) Da stellt sich natürlich die Frage, ob dieses Hohe Haus die damalige Bewertung auch für die 20. Novelle übernimmt. Naheliegend wäre das. Die Ministerin spricht davon, daß mit der vorliegenden 20. Novelle krasse Ungerechtigkeiten beseitigt würden und daß die alte Bundesregierung Investitionen in die Zukunft nicht vorgenommen habe. Da muß ich Sie fragen: Wo ist der Unterschied zwischen dem letzten Jahr und diesem Jahr? ({4}) Dazu und zu Ihrer Äußerung, es sei seitens der vorherigen Koalition nichts geschehen, würde ich gern noch etwas von Ihnen hören. ({5}) Wir sind schließlich bei der 20. BAföG-Novelle. Davor muß doch irgend etwas gelaufen sein. Ich denke, man sollte darüber noch einmal gründlich nachdenken. ({6}) Mit der 19. Novelle haben wir eine Trendwende bei der rückläufigen Entwicklung der Förderquote erreicht. ({7}) Wurden 1998 - berechnet nach der eingangs erwähnten normativen Methode - insgesamt 22 Prozent der Studierenden gefördert, sind es nach der von uns zu verantwortenden 19. Novelle für 1999 nunmehr 22,5 Prozent. Hier von „Schweinereien“ der alten Regierung zu reden, die es nun zu beseitigen gelte, wie es der Kollege Stephan Hilsberg am 12. November 1998 von dieser Stelle aus getan hat, erscheint grotesk. ({8}) Meine Damen und Herren, mit der Ankündigung der Verdoppelung der Aufwendungen im Bildungsbereich in den nächsten fünf Jahren sind Sie in den Wahlkampf gezogen. ({9}) Von diesen Aufwendungen muß ein Teil auch in das BAföG gehen, für Investitionen in Köpfe verwendet werden. Sie erhöhen die Bedarfssätze jetzt aber lediglich um 2 Prozent und die Freibeträge um 6 Prozent. ({10}) Da gibt es natürlich Erklärungsbedarf. Sie haben in Ihrem sonst so schwammigen Koalitionsvertrag das Thema BAföG als einen Hauptschwerpunkt benannt. Trotzdem sehen Sie eine Erhöhung der Bedarfssätze um nur 2 Prozent vor. ({11}) Das bedeutet eine Realkürzung. So ist eine erfolgreiche BAföG-Reform nicht möglich. Im übrigen fallen die BAföG-Steigerungen nicht höher aus als der Durchschnitt der übrigen Erhöhungen im Bildungshaushalt. Wenn Sie also gewissermaßen überall nur einen Schnaps drauftun, kann von einem Hauptschwerpunkt wirklich nicht mehr die Rede sein. ({12}) Wie schon in anderen Fällen von dieser Stelle aus gesagt wurde: Sie haben ein Hauptversprechen aus dem Wahlkampf und dem Koalitionsvertrag gebrochen. So sieht es offensichtlich auch die Zeitschrift „Die Woche“, von der man wahrlich nicht sagen kann, daß sie der Opposition sonderlich nahesteht. Dort heißt es lapidar: Auch das BAföG-Reförmchen im Mai, maximal 20 DM - oder 10,23 Euro - mehr im Monat, bringt da keine Besserung. Wenn die Ministerin an der Stelle davon spricht, Studierende könnten sich mit dieser Erhöhung wieder mehr dem Studium widmen, dann frage ich mich wirklich: Frau Ministerin, wissen Sie eigentlich, was 20 DM mehr bedeuten? Damit kommen wir zum eigentlichen Problem: Mehr als 25 Prozent der Studierenden brechen das Studium ab. - Das hat vor allem strukturelle Ursachen. Natürlich stellt sich die Frage, ob das Reifezeugnis heute noch in jedem Fall Hochschulreife bedeutet. - Das hat gravierende Folgen für den einzelnen und für die Gesellschaft. Niemand wird annehmen, daß dieses Problem mit 20 DM BAföG mehr oder weniger gelöst sei. Wenn wir uns die Studiendauer an deutschen Hochschulen ansehen, dann müssen wir uns die Frage nach der Organisation des Studiums auch vor dem Hintergrund der studentischen Erwerbstätigkeit stellen. Während Ende der 60er Jahre die studentische Erwerbstätigkeit noch überwiegend in den Semesterferien stattfand, ist der Anteil derjenigen, die während des Semesters arbeiten, heute höher, nämlich so hoch, wie er damals auf das ganze Jahr verteilt war: zirka 65 Prozent. Von diesen jobbenden Studierenden arbeiten 49 Prozent tatsächlich, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen, ({13}) hingegen arbeiten 46 Prozent von ihnen mit dem Motiv, Erfahrung für die Berufspraxis zu sammeln. So sagt es die 15. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes. Man muß also differenzieren, warum gejobbt wird, und kann nicht alles über einen Kamm scheren. Es ist nicht nur erforderlich, eine BAföG-Novelle voranzubringen; wir müssen den Studierenden zugleich deutlich machen, daß damit Leistungsanforderungen verknüpft werden. Es ist im Interesse der Studierenden ebenso wie im Interesse der Hochschulen, Studienfortschritte durch Prüfungen festzustellen. Deshalb haben wir bereits in der letzten Wahlperiode das Hochschulrahmengesetz geändert und am 20. August 1998 in § 15 HRG studienbegleitende Prüfungen festgeschrieben. Nachweise von Studienfortschritten sind inzwischen in den meisten OECD-Ländern ein wichtiges Kriterium. Die Bundesrepublik Deutschland als Export- und Wissenschaftsnation ist im Hinblick auf die europäische Entwicklung auf den Dialog mit ausländischen Eliten angewiesen. Deshalb begrüße ich für meine Fraktion ganz außerordentlich, daß die geplante Wiedereinführung des § 5a BAföG tatsächlich stattfindet. Wir unterstreichen, daß das eine richtige Maßnahme ist. ({14}) Weitere Anstrengungen sind auf dem Gebiet der Vergleichbarkeit und gegenseitigen Anrechenbarkeit von Leistungsnachweisen erforderlich, wenn die Mittel für Auslandsausbildung wirklich effizient verwendet werden sollen. Ein besonders geeigneter Weg ist das „European Credit Transfer System“. Es trägt zu einer höheren Kompatibilität von im gesamten europäischen Ausland erbrachten Studienleistungen bei und stellt ein geeignetes Berechnungsmodell für deren Anerkennung dar. Eine Ausweitung des Systems sollte zum Beispiel durch die Schaffung einer zentralen, unabhängigen und effizienten Beratungsstelle erreicht werden. In einem weiteren Schritt ist anzustreben, daß die Studienförderung der fortschreitenden europäischen Integration angeglichen wird. Wenn wir heute in der ersten Lesung über die BAföG-Novelle beraten, dann müssen wir auch über die schon genannten Leistungsanforderungen, die sich verändert haben und die sich verändern müssen, und über die Hochschulsituation sprechen. Es ist kontraproduktiv, daß der Ausbildungsabbruch oder der FachrichAngelika Volquartz tungswechsel einmal mehr möglich sein soll, ohne daß diese zahlenmäßig erweiterte und studienverlängernde Möglichkeit begründet wird. Drei Semester für die Selbstfindungsphase an der Hochschule für Studierende, die im allgemeinen mit dem Reifezeugnis ausgestattet sind, das ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Zeit. Das Zeichen am Rednerpult soll Ihnen das signalisieren.

Angelika Volquartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003251, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke, Frau Präsidentin, ich bin gleich fertig. - Es reicht nicht, darauf zu vertrauen, daß die Geförderten im eigenen Interesse ihre Abschlüsse zügig anstreben. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns bei der gemeinsamen Diskussion über die weitere Förderung der Studierenden daran arbeiten, die relativ bescheidenen Veränderungen, die heute bei der ersten Lesung der 20. BAföG-Novelle deutlich geworden sind, auszuweiten. Lassen Sie uns gemeinsam an einer Reform arbeiten, an der sich die CDU/CSU-Fraktion konstruktiv beteiligen wird. Das ist selbstverständlich. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das war die erste Rede der Kollegin Volquartz in diesem Plenum. Herzlichen Glückwunsch! ({0}) Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Matthias Berninger.

Matthias Berninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002627, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Regierung hat sich ein sehr ehrgeiziges Ziel gesetzt, ein Ziel, von dem noch nicht klar ist, ob wir es erreichen werden. Das zeigt die Diskussion, die die Bildungspolitiker mit den Rechts- und Finanzpolitikern auch in der Amtszeit der von der CDU/CSU geführten Bundesregierung geführt haben. Für die Bildungspolitiker ist noch nicht klar, ob wir es schaffen werden, eine Strukturreform des BAföG auf den Weg zu bringen. Für sie ist noch nicht entschieden, ob es uns gelingt, das Versprechen, das wir den Wählerinnen und Wählern gegeben haben, tatsächlich einzuhalten. Ich gestehe Ihnen gern zu, daß das ein Problem sein wird, bei dessen Lösung die Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker durchaus an einem Strang ziehen müssen. Insofern freue ich mich über die Hinweise der F.D.P. zu ihrem möglichen Verhalten gegenüber der Regierung, und ich freue mich, daß Sie, Frau Volquartz, das Angebot zur Mitarbeit gemacht haben. Uns geht es darum, den Startschuß für eine zweite Stufe der Bildungsreform in Deutschland zu geben. Das BAföG hat eine ganz wesentliche Rolle bei der letzten Bildungsreform gespielt. ({0}) Ohne die Einführung des BAföG wären die Hochschulen nicht geöffnet worden. Ohne die Einführung des BAföG hätten eine Menge Leute keine Chance zum Studieren gehabt. Selbst unser Bundeskanzler erwähnt immer wieder, daß das BAföG für ihn eine relevante Rolle gespielt habe. Deshalb ist für die zweite Stufe der Bildungsreform eine große Veränderung bei der Studierendenförderung unabdingbar. Das BAföG stand für die erste Stufe der Bildungsreform. Das Ausbildungsgeld, das diese Koalition verwirklichen will, wird für die zweite Stufe stehen. Ein wesentlicher Punkt, an dem wir uns orientieren werden, wird sein, die Studierenden als selbständige erwachsene Menschen zu betrachten, von denen wir an der Hochschule etwas verlangen. Wir verlangen von ihnen, daß sie etwas leisten, wobei man sich - das schiebe ich gern ein - inzwischen einig ist, daß die Leistungsbereitschaft der Studierenden sehr hoch ist und die Zumutungen, mit denen sie an den Universitäten zu tun haben, das eigentliche Problem darstellen. Also: Wir behandeln diese Menschen als Erwachsene, und auch die Förderung sollte sich daran orientieren. Sie sollte ihnen möglichst viele Freiheiten geben und Elemente von Elternunabhängigkeit beinhalten. Diesen Weg wollen wir gehen. ({1}) Vor diesem Hintergrund komme ich zur Benotung der „BAföG-Reparaturnovelle“, die wir vorlegen. Ich denke, das, was wir vorlegen, ist selbstverständlich unzureichend. Es ist noch keine Strukturnovelle. Was wir vorlegen, reicht überhaupt noch nicht aus. Wir haben in der letzten Legislaturperiode im Vergleich zu dem, was wir heute vorlegen, viel mehr eingefordert. Wir sagen aber auch gar nicht, daß diese Novelle der große Wurf ist, sondern wir sagen: Das ist die erste Stufe, das ist eine „Reparaturnovelle“; die zweite Stufe wird die entscheidende sein. Insofern fühlen wir uns auch durch die Angriffe, die von seiten der Opposition geführt worden sind, nicht getroffen; denn dies ist nur die „Reparaturnovelle“, entscheidend ist die zweite Stufe. Unsere Koalitionsvereinbarung ist an dieser Stelle keineswegs schwammig, sondern sie setzt sich ein ehrgeiziges Ziel. Wir sagen: Ende 1999 wollen wir den Vorschlag zur Strukturreform auf den Tisch legen. Bis Ende 1999 - bekanntermaßen hat das Jahr bereits begonnen - wollen wir die BAföG-Strukturreform angepackt und Ihnen eine Lösung, über die es sich zu diskutieren lohnt, auf den Tisch gelegt haben. Meine Damen und Herren, das ist ein ehrgeiziges Ziel. Ich freue mich aber, daß wir in der Bildungspolitik nicht den Fehler gemacht haben, den diese Regierung in vielen anderen Bereichen gemacht hat. Wir haben uns nämlich nicht treiben und hetzen lassen, um dann Vorschläge, die zum Teil noch nicht ausgegoren waren, vorzulegen und uns letzten Endes nicht mehr um die Substanz der Reform zu streiten, sondern um zu verbessern, zu verbessern, zu verbessern. Unsere Ministerin ist den geschickteren Weg gegangen. Ich glaube auch, sie wird den erfolgreicheren Weg gehen und diese Strukturreform mit Sorgfalt auf den Weg bringen. Sie ist uns zu wichtig, als daß wir uns von irgend jemandem - sei es von der Opposition, sei es von der öffentlichen Meinung - hetzen lassen. ({2}) Sollten wir dies nicht erreichen, sollten wir in der Regierungsverantwortung keinen Vorschlag auf den Tisch legen, von dem man wirklich sagen kann, das sei die Strukturnovelle, dann können Sie auf uns losprügeln. Aber ich bitte Sie doch so lange um die nötige Geduld und erwarte von Ihnen, daß Sie uns zumindest erst einmal diese Chance einräumen. Im übrigen bin ich sehr optimistisch, weil bei dieser Regierung nicht nur die Bildungspolitiker sagen, wir bräuchten diese Reform, sondern weil - das haben Sie bei den Haushaltsberatungen gemerkt; hier haben wir Akzente gesetzt - die gesamte Regierung und die gesamte rotgrüne Koalition die Bildungsreform für eine zentrale Frage halten. Das ist einer der ganz wesentlichen Unterschiede zu der Zeit vor dem Regierungswechsel. Sie haben in den letzten Jahren beim BAföG gespart. Wir hingegen sind einen anderen Weg gegangen und werden diesen anderen Weg gemeinsam mit allen Kolleginnen und Kollegen der rotgrünen Koalition auch zu Ende gehen. Jeder, der sich von der Opposition dem anschließen möchte, ist dazu herzlich eingeladen. ({3}) - Herr Kollege Möllemann, wenn Sie wieder einmal aufstehen möchten, dann stellen Sie mir doch einfach eine Frage. Ich werde sie Ihnen auch gerne beantworten. Im übrigen haben Sie mich nicht gekitzelt; dazu sind Sie mir doch ein bißchen zu weit entfernt. ({4}) Der entscheidende Punkt ist folgender, Herr Kollege Möllemann: Sie waren vier Jahre lang in den Gesundheitsausschuß strafversetzt. Insofern haben Sie die Bildungsdebatte nicht verfolgen können, und auch Sie, Frau Kollegin Pieper, waren damals noch nicht hier. Aber für uns ist es schon eine komische Situation, daß die Fraktion, die ständig herumgenölt hat und sich im offenen Streit mit Rüttgers befand, an der entscheidenden Stelle aber immer wieder eingeknickt ist, uns jetzt sagen will, wie wir es machen sollen. Darüber wundern wir uns ein wenig. Sie haben das Glück der Gnade des Zuspätkommens in den Bildungsausschuß. Trotzdem dürfen wir uns einmal über Ihre Fraktion und Ihre politische Initiative köstlich amüsieren. Das ist insofern kein Kitzeln, sondern nichts anderes als das Eingeständnis, daß Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., in der Opposition angekommen sind. Wir wollen, daß Sie möglichst lange da bleiben. Ob Ihre Opposition einmal außerparlamentarisch sein wird, lasse ich dahingestellt. Wir wollen die Reform gestalten, und Sie können Hinweise dazu geben und daran mitarbeiten. Wir können einen breiten Konsens dazu hinbekommen. Aber Sie werden nicht diejenigen sein, die diese Reform komplett ausgestalten werden. ({5}) Für den Aufbruch in die Wissensgesellschaft, für die Veränderung der Art und Weise, wie Studierende studieren, ist es nötig, daß man von einem Entwurf wegkommt, der alles bis ins letzte Detail regelt, und zu einem Entwurf gelangt, der den Geförderten möglichst viel Freiheit läßt. Es wird auch nötig sein, daß der Entwurf wieder dem Gebot der sozialen Gerechtigkeit Rechnung trägt. Wir haben beim BAföG und bei der sonstigen Förderung der Studierenden heute das Problem, daß es eine große soziale Ungerechtigkeit gibt. Es werden nämlich viele Wohlhabende weit mehr als solche gefördert, die es nötig haben. Das bedeutet, daß man innerhalb der Studierendenförderung eine Umverteilung vornimmt. Das wird diese Koalition versuchen. Wir werden zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen, die sich um das Familienrecht kümmern, mit denen, die sich um das Steuerrecht kümmern, und mit denen, die sich darum kümmern, die BAföG-Reform zu finanzieren, einen vernünftigen Vorschlag auf den Tisch legen, der sozial gerechter ist als alles, was bisher war. ({6}) Das wird allerdings ausgesprochen kompliziert, weil das Bundesverfassungsgericht uns die Lösung einiger zusätzlicher Probleme aufgegeben hat. Ich freue mich aber trotzdem darüber, weil das Verfassungsgericht dem Grunde nach gesagt hat, daß mehr Geld zu den Familien fließen müsse. Daß wir eine bessere Ausstattung der Familien brauchen, bedeutet in der Konsequenz, daß auch die Ausstattung der Studierenden am Ende besser sein muß als das, was wir heute auf den Tisch gelegt haben. ({7}) Wer definiert nun, was soziale Gerechtigkeit ist? ({8}) - Entschuldigen Sie, dazu haben wir höchstrichterliche Urteile. In Karlsruhe sitzt jemand, der für diese Politik einsteht und der jetzt höchstrichterlich bestätigt hat, daß den Familien während der Regierung Kohl 20 Milliarden DM jährlich vorenthalten wurden. ({9}) Jetzt fragen ausgerechnet Sie uns, wer definiert, was soziale Gerechtigkeit ist. Das ist meiner Meinung nach etwas, was Sie sich in der Opposition leisten können, aber was Sie sich gegenüber den Menschen außerhalb dieses Parlaments nicht erlauben können. Schauen Sie sich an, wie wenig junge Menschen aus Familien mit geringem Einkommen den Weg in die Universität tatsächlich finden. Angesichts dessen ist heute das Bildungssystem in Deutschland jedenfalls nicht mit dem Label zu versehen, daß es sozial gerecht sei. Vielmehr ist es sozial selektiv, und das wollen wir ändern. ({10}) - Jetzt gehe ich auf die Landesregierungen ein, und ich finde es ausgesprochen wichtig, daß Sie das ansprechen. Dazu gab es nämlich im Bildungsausschuß - Herr Friedrich hat die Diskussion auch verfolgen können - eine sehr einhellige Meinung. Wir haben mit gutem Grund in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben, daß wir bei dieser Reform die Zusammenarbeit mit den Ländern brauchen; denn sie müssen dieser Reform zustimmen. Bis jetzt sieht die Arbeitsteilung zwischen Bund und Ländern ungefähr so aus: Man streitet sich über die Reform, erreicht am Ende nichts, das BAföG sinkt, alle freuen sich, daß ein bißchen Geld gespart wird, aber man übersieht, daß das zu Lasten derer geht, die den Weg in die Universität nicht finden können. Das ist ein stillschweigendes Agreement gewesen, an dem Grüne, Sozialdemokraten, die verbliebenen Liberalen, vor allem aber auch die Konservativen beteiligt waren. Die Aufgabe, vor der wir stehen, ist, daß diese stillschweigende Übereinkunft gebrochen wird. Die Aufgabe, vor der wir stehen, ist, daß wir auch die Länder für diese Reform gewinnen müssen. Insofern brauchen wir ein klares Signal auch von den CDU-regierten Ländern, daß sie eine elternunabhängige Förderung wollen. ({11}) Wir brauchen das klare Signal, daran mitarbeiten zu wollen. Wir haben diese klaren Signale bereits von den sozialdemokratischen Landesregierungen, auch gibt es Gesetzentwürfe, so daß ich mich in diesem Fall ausnahmsweise an die CDU-regierten Länder wenden muß. Dieses klare Signal zur Zusammenarbeit ist nötig, weil wir bei dieser Reform schnell sein müssen. Wir müssen schnell sein, damit die Bildungsreform in Gang kommen kann. Sie kommt nicht in Gang, solange die Studierenden gezwungen sind, zu jobben, statt zu studieren. Sie wird auch dann nicht in Gang kommen, wenn wir weiterhin sagen: Wer reich ist, der kann im Ausland studieren, die anderen nicht. - Insofern haben wir bei dieser Novelle an einer ganz wesentlichen Stelle angesetzt. Wir haben uns über Herrn Rüttgers sehr geärgert, der das einfach weggestrichen hat. Wir haben uns auch sehr darüber geärgert, daß er gesagt hat, Gremientätigkeit sei ihm nicht wichtig. Ich finde es gut, daß Sie eingestehen, daß das ein Fehler war. Die Bundesregierung hält es für elementar, daß sich Studierende engagieren. Wir wollen, daß nicht der Geldbeutel darüber entscheiden darf, wer international, sprich: im Ausland studieren darf. Angesichts der Zahlen liegt eine enorme Arbeit vor uns. Diese Arbeit schaffen wir nur gemeinsam. Ich wünsche mir, daß die CDU mitarbeitet. Ich verspreche Ihnen, daß diese Bundesregierung eine Strukturreform auf den Weg bringen wird, die diesen Namen verdient hat. ({12}) Auch dann werden Sie mäkeln, aber wir werden am Ende zufrieden sein. Vielen Dank. ({13})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Cornelia Pieper.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Frau Ministerin Bulmahn, bei allem Respekt für Ihr bildungspolitisches Engagement meine ich, man sollte nicht mit Steinen werfen, wenn man selbst im Glashaus sitzt. Ich bin der Auffassung, Sie haben sich hinter Ihren Bemerkungen über das parteipolitische Kalkül, das die Opposition, das die F.D.P. mit ihrem Antrag verfolge, versteckt. Wir haben ein gemeinsames Ziel, auch das will ich hier einmal feststellen. Wenn das so ist, dann sollten wir diese Debatte nicht auf dem Rücken der jungen Menschen, der Studierenden in diesem Lande austragen. Wenn wir ein gemeinsames Ziel haben, dann, denke ich, sollte man eigentlich gemeinsam das Ziel verfolgen, die BAföGReform endlich in Gang zu bringen. Da muß sich die F.D.P. sicher selbst einmal auf die Schulter klopfen. ({0}) - Auch an die Nase fassen. - Aber ich sage ganz deutlich, Herr Berninger: Die Liberalen sind diejenigen gewesen, die in der alten Koalition die BAföG-Reform überhaupt zum Thema gemacht und vorangetrieben haben. In der Tat haben wir alle einen großen Zeitverlust hinnehmen müssen. Ich denke, Sie sollten jetzt nicht mehr dafür sorgen, daß dieser Zeitverlust noch größer wird. Sie haben im Bundestagswahlkampf doch große Versprechungen gemacht, das will ich hier einmal festhalten. Sie haben den Studierenden versprochen, daß bei einer Regierungsübernahme die BAföG-Reform stattfindet. Wenn die BAföG-Reform stattfinden soll, dann müssen wir sie jetzt anschieben. ({1}) Ziel unseres Antrags ist, daß die Bundesregierung bis zum Sommer einen Gesetzentwurf vorlegt, weil wir wollen, daß das reformierte Gesetz zur Bundesausbildungsförderung den Studierenden bereits im Wintersemester 1999/2000 zugute kommt. ({2}) Sie erreichen dies nicht mehr, wenn dieser Gesetzentwurf erst Ende des Jahres vorgelegt wird. Das heißt, Sie betreiben hier ein Täuschungsmanöver. Dieses Täuschungsmanöver werden wir nicht hinnehmen. ({3}) Sie sollten eigentlich klüger sein und die offene Hand ergreifen, die wir Ihnen reichen. ({4}) Wir sollten die Zeit gemeinsam nutzen, um auch im Ausschuß über diesen Gesetzentwurf zu beraten. In der Tat darf dieser Gesetzentwurf kein Schnellschuß sein, wie wir es bei Ihnen in Ihrer ersten Regierungszeit oftmals erfahren mußten. Wir wollen uns die Zeit nehmen, über diesen Gesetzentwurf gemeinsam zu beraten, aber dazu muß er im Ausschuß vorliegen. Dazu soll unser Antrag letztendlich beitragen. Frau Ministerin, Sie machen es der Opposition leicht, weil Sie ausgerechnet den Gesetzentwurf einbringen, den Sie selbst als Opposition in der 13. Wahlperiode kritisiert haben. Wieder einmal ist der Hebel des Gesetzes an den Symptomen und nicht an den Ursachen angesetzt worden. Auch die neue Regierung hat damit die Chance einer längst überfälligen Reform des BAföG im ersten Anlauf verpaßt. Die Wahrheit ist, daß Ihre 20. Novelle mit der 2prozentigen Anhebung der Bedarfssätze und der 6prozentigen Anhebung der Elternfreibeträge lediglich einen - notwendigen - Inflationsausgleich darstellt. Das soll hier noch einmal gesagt werden. Auch Ihre Ankündigung, eine Steigerung des BAföG-Satzes um 20 DM, von 1 010 DM auf 1 030 DM, vorzunehmen, kann man den Studierenden weiß Gott nicht als ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit verkaufen. Die 15. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes hat deutlich gemacht, daß die Lebenshaltungskosten für die Studierenden in den alten Bundesländern seit 1994 um 4 Prozent gestiegen sind, in den neuen sogar um 19 Prozent. Auch das ist bedauerlicherweise kein Thema für Sie. Sie haben mit dieser 20. Novelle das Wahlversprechen gegenüber den Studierenden aus den fünf neuen, nun langsam nicht mehr ganz so neuen Bundesländern und einem Teil Berlins nicht eingehalten, das heißt: einen Betrug vollzogen. Diese nämlich gehen trotz fast gleich hoher Lebenshaltungskosten mit geringeren Bedarfssätzen und geringeren Zuschüssen für den Wohnbedarf leer aus. Ich empfehle Ihnen, einmal die Drucksache des federführenden Ausschusses im Bundesrat zu lesen, der deutlich gemacht hat, daß es jetzt an der Zeit sei, die für die Unterkunft gemäß § 13 Abs. 2 BAföG gewährten Beträge endlich anzugleichen. Auch das beinhaltet Ihr Gesetzentwurf nicht. Ich frage mich erneut: Hat der Bundeskanzler die neuen Bundesländer nicht zur Chefsache erklärt? Auch zu diesem Punkt hört man von Ihnen nichts. Im übrigen ist die F.D.P. der Auffassung, daß mit der BAföG-Reform endlich auch die Angleichung der übrigen Bedarfssätze erfolgen sollte, daß also keine Differenzierung mehr zwischen den Studierenden in Ost und West vorgenommen wird. ({5}) Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie sind mit einer großen BAföG-Reform im Wort. Das, was Sie vorgelegt haben, ist unglaubwürdig. Sie sind dringend aufgefordert, Ihren Gesetzentwurf bis zur Sommerpause vorzulegen. Wir haben Ihnen ein DreiKörbe-Modell vorgeschlagen, welches nicht nur die Zustimmung des zuständigen Ausschusses im Bundesrat findet. Auch der Bundesrat, Frau Ministerin, also die Länder, hat sich für eine umfassende Reform der Ausbildungsförderung ausgesprochen. Er ist für die Schaffung einer einheitlichen Grundförderung. Damit ist die Zusammenfassung aller ausbildungsbezogenen staatlichen Leistungen gemeint. - Sie können sich also nicht damit rausreden, daß die Länder, in denen die Union und die F.D.P. an der Regierung beteiligt sind, nicht willig seien, die BAföG-Reform mit auf den Weg zu bringen. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Unterstützen Sie den Antrag der F.D.P., damit wir den Gesetzentwurf endlich im Ausschuß behandeln können! Legen Sie einen Gesetzentwurf vor! Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, den Antrag der F.D.P. heute im Plenum ablehnen, dann ist das ein eindeutiges Zeichen dafür, daß Sie nicht vorhaben, bis zum Wintersemester 1999/2000 eine BAföG-Reform umzusetzen und den Studierenden damit das zu geben, was sie schon seit Jahren einfordern. Unterstützen Sie das Anliegen der F.D.P.! Bringen wir die BAföG-Reform endlich auf den Weg! Es ist Zeit dafür. Vielen Dank. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Maritta Böttcher.

Maritta Böttcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002631, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Pieper, Sie waren in der letzten Legislaturperiode noch nicht im Deutschen Bundestag. Aber was Sie sagen, klingt schon ein bißchen eigenartig. Es klingt, als wäre die F.D.P. heimlich Opposition gewesen. Das war sie wahrlich nicht. ({0}) Frau Bulmahn, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und vom Bündnis 90/Die Grünen, eigentlich hatte ich nach dem Wahlergebnis erwartet, daß wir bereits zum jetzigen Zeitpunkt über die BAföGStrukturreform diskutieren können, um spätestens im nächsten Studienjahr zu neuen, gerechteren Förderbedingungen zu kommen. Das findet nun leider nicht statt. Mehr als das Signal „Wir bleiben dran“ kann von dem vorliegenden Entwurf nicht ausgehen; das hat allerdings die Frau Ministerin ehrlicherweise hier gesagt. Daß die 20. Novelle nicht geeignet ist, grundlegende Negativtrends in der Ausbildungsförderung zu stoppen, kann ein einfacher Kostenvergleich deutlich machen. Wenn sich der Finanzaufwand von Bund und Ländern für das BAföG 1997 auf dem Niveau von 1988 bewegt - und das trotz deutscher Einheit -, so wird er sich auch angesichts der Verbesserungen des vorliegenden Entwurfs 1999 auf dem Niveau von 1977 und im Jahre 2002 auf dem Niveau von 1975 bewegen. Richtig ist zwar, daß bei der Rüttgersschen Zukunftsvariante zu diesem Zeitpunkt schon die Ansätze von 1972 unterschritten worden wären; an der Tendenz hat sich jedoch nicht allzuviel geändert. Die Auswüchse des neoliberalen Bildungsprogramms kann keine Reparaturnovelle mehr beseitigen, mit der man nur an einigen Details herumbastelt - auch das noch unzureichend. So werden weder die Erwartungen der Studierendenvertretungen, der studentischen Verbände, der Gewerkschaften noch die des Deutschen Studentenwerkes erfüllt. Die Verschlechterungen der 18. Novelle, die 1996 auch mit den Stimmen der SPD beschlossen wurde, werden nur teilweise korrigiert. Vor allem aber bleibt die Verzinsung von Teilen der Förderung erhalten. Die Studienabschlußförderung ist weiterhin nur als verzinsliches Volldarlehen verfügbar. Seit Einführung im Herbst 1996 verzichtet ein Großteil der Studierenden auf diese Förderung. Zunehmend wird die fehlende finanzielle Absicherung durch vermehrte Werksarbeit kompensiert. Inzwischen sind 24 Prozent der Studierenden dauerhaft erwerbstätig. Fast die Hälfte davon arbeitet über 13 Stunden pro Woche, und die Tatsache, daß 70 Prozent der erwerbstätigen Studierenden keinen und weitere 19 Prozent nur einen geringen Zusammenhang zwischen ihrer Arbeit und dem Studienfach sehen, widerlegt die landläufige Meinung, sie würden arbeiten, um praktische Erfahrungen für den künftigen Beruf zu sammeln. Die ersten Erfahrungen mit den Zwangsexmatrikulationen von sogenannten Langzeitstudierenden über Studiengebühren in Baden-Württemberg zeigen doch, daß es sich bei den meisten von ihnen um hart arbeitende Selbstfinanzierer handelt, die seit Jahren versuchen, einen Studienabschluß zu erlangen und sich dazu ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Über den sozialen Nummerus clausus werden sie endgültig ins Aus gedrängt. Die Begeisterung der baden-württembergischen Landesregierung über den Rückgang der Studierendenzahlen zeigt einmal mehr, wie weit sich Politik hierzulande schon von den Realitäten entfernt hat. Entgegen den verbreiteten Ansichten wird in Deutschland nämlich nicht zuviel, sondern zuwenig studiert. Laut OECDAnalysen nimmt hier nur jeder vierte Jugendliche ein Studium auf, während in den USA jeder zweite studiert, in Polen, Finnland und Großbritannien über 40 Prozent studieren. An diesem Zustand könnte durchaus etwas geändert werden, nicht zuletzt mit Hilfe einer vernünftigen Politik. Dazu gehören eben auch grundlegende Veränderungen in der Ausbildungsförderung, die seit Jahren auf der Tagesordnung stehen. Die jetzige BAföG-Anpassung, die hoffentlich endgültig die letzte Korrektur des alten BAföGs sein wird, hat trotzdem noch einige Verbesserungen nötig. Außerdem weiß man ja nie, wie lange die angekündigten großen Reformwerke auf sich warten lassen; Notlösungen sind ja bekanntlich auch die dauerhaftesten - und das nicht nur in diesem Bereich. Neben der schon angesprochenen ausstehenden Rücknahme der Verzinsung wurde auch wieder einmal die Ost-West-Anpassung verpaßt. Wir haben in unserem Antrag die einzelnen Punkte aufgeführt. Das Grundproblem, eine Förderung zu entwickeln, die weiter greift als nur für jene 15 Prozent der Studierenden und die eine dauerhafte, bedarfsgerechte, elternunabhängige Absicherung während des Studiums ermöglicht, muß in einem neuen Gesetz geregelt werden. Da, liebe Kollegin Pieper, gebe ich Ihnen recht: Das muß sehr, sehr schnell passieren, das muß bis Sommer vorgelegt werden. Wir werden auf jeden Fall dabei sein. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hilsberg?

Maritta Böttcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002631, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja bitte, Herr Kollege.

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Böttcher, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß sich die Benachteiligung in Ostdeutschland nicht auf finanzielle Dinge, sondern auf ein Problem der reinen Verwaltung erstreckt? Was den finanziellen Beitrag des BAföG zu Studium und Unterhalt betrifft, so können ostdeutsche Studenten den gleichen Betrag in Anspruch nehmen wie die westdeutschen Studenten.

Maritta Böttcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002631, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Das nehme ich sehr wohl zur Kenntnis. Aber Sie wissen auch, Herr Kollege Hilsberg, daß am Ende, wenn man es nachrechnet, der ostdeutsche Student oder die ostdeutsche Studentin weniger im Geldbeutel hat als der oder die westdeutsche Studierende. Vielen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt kann ich den Abgeordneten Ernst Dieter Rossmann aufrufen.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich hier die Debatte anhört, dann könnte man das Gefühl haben, daß dem Parlament ein Grundsatz verlorengegangen ist: Wir dürfen auch den kleinen Fortschritt nicht verachten. ({0}) Deshalb ist es gut, wenn heute in erster Lesung eine Novelle zum BAföG eingebracht wird. Dies ist vor allen Dingen nicht nur gut für die jungen Menschen an den Schulen und Hochschulen; mit dieser BAföG-Novelle werden auch die Richtsätze für die berufliche BilMaritta Böttcher dung, für die Eingliederung Behinderter und für die Meisteraufstiegsfortbildung erhöht. Ich stelle das hier deshalb heraus, damit sich nicht bei der Bevölkerung der Eindruck festsetzt, man würde hier eine Extrawurst für Studentinnen und Studenten braten. Diese Richtsätze sind der Bezugspunkt für die persönliche Ausbildungsförderung, und diese geht über die Hochschule hinaus. Darauf muß immer wieder hingewiesen werden, wenn wir uns hier im Parlament gemeinsam Mühe geben, die Akzeptanz von Erhöhungen beim BAföG zu erreichen. Dafür setzt sich die SPD ein. Das haben wir versprochen. Wir haben auch versprochen, den kleinen Fortschritt in den ersten hundert Tagen unserer Regierungszeit voranzubringen, und zwar immer dort, wo es möglich ist, die soziale Lage von jungen Menschen zu verbessern, und sei es in kleinen Schritten. ({1}) Unser Grundsatz ist: Ohne ausreichende soziale Grundförderung gibt es kein freies Lernen. Ohne freies Lernen gibt es keine Chancengleichheit, keine Leistung und keine Motivation. Dies ist die Grundüberzeugung der Sozialdemokraten. Diesen Grundsatz haben wir in Ihrer politischen Handlungsweise der letzten Jahre nicht immer wiederfinden können. Wenn man in eine bestimmte Ecke dieses Parlaments geht, kann man einen schönen Spruch des Dichters Jandl - er wird auch Sie erfreuen, Herr Möllemann - lesen, in dem er mit den Worten „lechts“ und „rinks“ veranschaulicht, daß rechts und links durcheinandergebracht werden. Das ist vielleicht hier gar nicht mehr die Frage. Aber was es bedeutet, soziale Gerechtigkeit in kleinen Schritten umzusetzen, das kann man auch an einer solchen Reparaturnovelle sehen. ({2}) Ich möchte Ihren Eifer ebenso wie Ihre Scheinheiligkeit deshalb ein bißchen dämpfen, indem ich drei Fragen stelle: Haben Sie eigentlich vergessen, daß das BAföG während Ihrer 16 Jahre dauernden Regierung nicht jedes Jahr angepaßt wurde? Da sollten Sie jetzt erst recht keine großen Töne spucken. Haben Sie eigentlich vergessen, daß die Gegenfinanzierung Ihrer Verbesserungen beim BaföG häufig nur durch Kürzungen in vielen anderen Bereichen erreicht werden konnte? Um es anders auszudrücken: Sie haben das Kleingedruckte verschlechtert, damit auf dem Titelblatt noch eine einigermaßen passable Zahl stehen konnte. Das unterscheidet sich von dem Ansatz, den wir jetzt verfolgen. Hier wird eben auch im Kleingedruckten verbessert, aber nicht verschlechtert. ({3}) - Zu dem Großgedruckten, das Sie hier einfordern: Haben Sie vergessen, daß Ihre Politik in der letzten Legislaturperiode - wenn ich mich richtig erinnere - lediglich zu 12 Prozent höheren Freibeträgen und zu 6 Prozent höheren Bedarfssätzen geführt hat? Auf diese bemerkenswerte Leistung hat einer Ihrer F.D.P.-Kollegen noch einen Lobgesang abgehalten. Aber wenn Sie sich diese Zahlen vergegenwärtigen, dann müssen Sie feststellen, daß wir schon im ersten Schritt fast die Hälfte der Steigerungen realisiert haben, für die Sie vier Jahre gebraucht haben. ({4}) Deshalb sollte man etwas vorsichtiger sein. Im übrigen ist auch eine Erhöhung um 20 DM im Sinne eines zeitnahen Inflationsausgleiches nicht zu verachten. Für viele, die durch die Erhöhung der Freibeträge überhaupt erst BAföG-fähig werden oder bleiben, ist das mehr als die in der Dienstag-Debatte von Herrn Rachel eingeführte und mittlerweile vielgerühmte Pizza. Ich finde, daß hier Herr Rachel damit auf eine bemerkenswert subtile Weise den vormaligen Bildungsminister Rüttgers nachträglich als Pizzaminister abqualifiziert hat. Das ist er auch tatsächlich gewesen. ({5}) Ich möchte wieder auf das zurückkommen, was junge Menschen von uns erwarten. Die Ministerin hat es angesprochen: Gerade die Erhöhung der Freibeträge ist das eigentlich Wichtige, wenn wir die Zahl der geförderten Fälle halten wollen. Ich will darauf hinweisen, daß eine Erhöhung um 6 Prozent dazu führt, daß 23 000 junge Menschen mehr gefördert werden können. Diese Zahl mag gering erscheinen. Aber es handelt sich - dies zur Veranschaulichung; vor allem weil Kollegin Volquartz wie ich auch aus Schleswig-Holstein stammt - immerhin um die gesamte Anzahl von Menschen, die an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel studieren. ({6}) Wir stehen nicht an, hier zu sagen, daß diese kleine Novellierung, diese Reparaturnovelle, nicht der entscheidende Durchbruch ist. Dennoch möchten wir herausheben, daß es neben der Anpassung auch darum gegangen ist, klare Fehlentscheidungen der alten Mehrheiten aus dem Jahre 1996 zu korrigieren. Als Sozialdemokrat mag man den RCDS, Ihren Führungsnachwuchs, nicht häufig als Kronzeugen für die Richtigkeit unserer Politik heranziehen wollen. Aber der RCDS hat ausdrücklich begrüßt, daß genau diese beiden Punkte repariert werden, und er hat ausdrücklich anerkannt, daß dies Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen machen. Als vorhin Frau Volquartz geredet hat, hatte ich das Gefühl, daß sie gar nicht sagen mochte, was Sie damals den Studentinnen und Studenten wirklich eingebrockt haben. Ihre Ausdrucksweise war auf einmal - um es deutlich zu sagen - sehr verschwommen und sehr verquast. Haben Sie sich eigentlich vorgestellt, die beste Hochschule sei diejenige, in der sich keine jungen Menschen mehr in Selbstverwaltungsgremien der Hochschulen engagieren? Haben Sie deshalb 1996 diese Strafbelastung eingeführt? Man muß hier offen ansprechen, daß wir dies ausdrücklich wieder zurücknehmen. ({7}) In bezug auf die Spracherfahrung und die Auslandserfahrung, die junge Menschen generell machen sollen, hat es zumindest gewisse Verbesserungen gegeben. Ich finde es durchaus bemerkenswert, daß der Aufwuchs an Studenten, die Auslandserfahrung haben, wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe, bis zu 27 Prozent beträgt. Aber es geht doch nicht an, daß wir gerade denjenigen, die BAföG beziehen und damit aus Familien kommen, die materiell schlechter gestellt sind, mit der Bestrafung von Auslandsstudienzeiten die Garotte in den Nacken legen. Wir machen damit jetzt Schluß. An Ihrer Stelle wäre es fairer gewesen, zu sagen: „Wir haben damals Mist gemacht; die neue Regierung nimmt es wieder zurück; das ist gut, das ist in Ordnung“, statt den Mantel des Schweigens darüber zu breiten. ({8}) Ich stelle fest: Es wird sicherlich keine großen Debatten mehr dazu geben, daß diese Reparaturnovelle in sich sinnvoll ist. Wir wollen ja auch noch weitergehen. Es fällt auf, daß es von vielen Anträge gibt, aber keinen von der CDU. Zeigt das Ihr Desinteresse? Zeigt das Ihr schlechtes Gewissen? Zeigt das vielleicht auch, daß Sie nicht fähig sind, in diesem Gebiet Positionen zu formulieren? ({9}) Jedenfalls haben F.D.P. und PDS, die vereinigten kleinen Oppositionsparteien, Anträge vorgelegt. Wir müssen ausdrücklich anerkennen, daß das bei der PDS zur politischen Linie gehört. ({10}) Bei der F.D.P. hat man dagegen das Gefühl, daß sie ihre Linie - aus der Regierung in die Opposition und von dort ins Nirgendwo - noch sucht. Wir haben von der F.D.P. im übrigen nichts anderes erwartet. Ihr konstanter Ehrgeiz als „Möchtegernbauchnabel“ der deutschen Nachkriegsgeschichte bewegt Sie dann natürlich dazu, auch noch besonders viel zu fördern. Auch wenn Sie jetzt 16 Jahre lang geübt haben, unter dem Teppich Fallschirm zu springen, nehmen wir Ihr Angebot dennoch an, sich um eine gemeinsame grundlegende BAföG-Novellierung zu bemühen. Immerhin haben 1971 Willy Brandt und Walter Scheel in bester sozialliberaler Tradition das wirkliche BAföG, nicht das Honnefer Modell, mitbegründet. Ich möchte an die F.D.P. im übrigen nur ein paar Bemerkungen richten. Erstens. Der Grundgedanke des Drei-Körbe-Modells ist endlich auch von Ihnen akzeptiert. Zweitens. Wenn Sie jetzt das Hohelied der Basisförderung mitsingen wollen, dann ist es gut. Ich denke an Sockelbeträge und anderes. Wenn aber in der Parlamentsdebatte am Mittwoch der Kollege Gerhardt mit Vehemenz gegen soziale Sicherungssysteme, gegen Kollektivismus, gegen Immobilität und anderes wettert, dann möchte ich an Sie die Rückfrage stellen: Ist das, was Sie jetzt als Ihr BAföG-Modell einbringen - wo offensichtlich die Sozialliberalen Wort führen -, noch mit dem vertretbar, was am Mittwoch von Ihren Neoliberalen als Grundsatzposition verkündet wurde? ({11}) Ich habe das Gefühl, daß Ihre Position uneinheitlich ist, was jetzt überdeckt werden kann, weil Sie in der Opposition sind. Wir wollen sehen, ob Ihre Position am Ende Teil der Regierungsposition wird; ({12}) denn wir wissen, daß wir die Länder in die große BAföG-Reform einbeziehen müssen. Drittens. Für uns als Sozialdemokraten bleibt der Zugang aller Bevölkerungsschichten, besonders der finanziell Schlechtergestellten, zur höheren Bildung und Ausbildung sicherlich der Kern. Aber der Hinweis ist richtig, daß speziell der sogenannte Mittelstand, die „Neue Mitte“, in den letzten 16 Jahren - da haben Sie regiert - von manchem, was in bezug auf Bildungsförderung bei ihm ankommen müßte, abgekoppelt worden ist. Das haben Sie ja jetzt sogar in einen Ihrer Anträge hineingeschrieben. Der Mittelstand wird jetzt erleben, daß von der SPD zusammen mit den Grünen mehr Bildungsförderung ausgehen wird, als es CDU/CSU und F.D.P. geschafft haben. ({13}) Viertens: Solidarität durch Solidität. Unser Finanzminister würde relativ schnell merken, daß Ihr Finanzplafond mit 5,9 Milliarden DM zu kurzsichtig angelegt war. Wir tun wirklich gut daran, wie es die Ministerin gesagt hat, nicht nur die aktuelle Kindergelderhöhung, die ja immerhin mit zusätzlichen 420 Millionen DM neues Wasser auf die Mühlen des Drei-Körbe-Modells gebracht hat, sondern auch das Gebot des Bundesverfassungsgerichts mit einzubeziehen. Es ist nämlich nun einmal so, daß man, wenn man etwas grundlegend Neues auf den Weg bringen will, nachdenken darf und muß. Die große BAföG-Reform wird tatsächlich ein Jahrhundertwerk werden, auch weil es in dieser Form in Europa dafür keine Beispiele gibt. Es wird gut sein, wenn es gleich am Anfang des nächsten Jahrhunderts steht. Sie sind herzlich eingeladen, uns Beifall zu klatschen und unser Projekt mit kritischen Fragen nach vorne zu bringen. Wir sagen Ihnen aber ganz ehrlich: Ihre Vaterbzw. Mutterschaft brauchen wir an dieser Stelle nicht. Danke schön. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Auch Ihnen, Herr Kollege Rossmann, im Namen des Hauses meine Gratulation zur ersten Rede. ({0}) Als letzter in der Debatte hat jetzt der Abgeordnete Dr. Martin Mayer das Wort.

Dr. Martin Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001448, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung behandeln, vollzieht eine routinemäßige Anpassung. Es handelt sich um keine Reparatur, sondern im Grunde um eine routinemäßige Anpassung der Sätze des Bundesausbildungsförderungsgesetzes an die gestiegenen Lebenshaltungskosten. ({0}) Die Union stimmt dem im Grundsatz zu. Wenn Sie, Frau Ministerin, hier von einer Trendwende sprechen, dann kann ich nur sagen, Sie haben sehr bescheidene Ansprüche. ({1}) Der Gesetzentwurf ist nämlich wahrlich kein Anlaß, um Weihrauchfässer zu schwingen oder Lorbeerkränze zu binden. Der Mehrbetrag von 20 DM, den die Studierenden bekommen sollen, wird nämlich den Studenten durch die Beschlüsse der Koalition zur Scheinökosteuer sehr schnell wieder aus der Tasche genommen. ({2}) Am Ende der Rechnung wird für viele ein Minus bleiben. Die groß angekündigte Strukturreform ist auf Herbst verschoben. Das hat vielleicht auch etwas Gutes, weil damit genügend Zeit bleibt und zumindest eine gewisse Chance besteht, daß sie etwas solider wird als all die Gesetze, die die Koalition bisher unter selbstgewähltem Zeitdruck verabschiedet hat und die letztlich zum Schaden der Nation durchgepeitscht worden sind. ({3}) Eine Strukturreform der Ausbildungsförderung des Bundes, die diesen Namen wirklich verdient, wird nur dann gelingen, wenn wir alle unsere fest eingefahrenen Positionen auch einmal verlassen. Dazu gehört, daß wir die Grundsätze vorurteilsfrei diskutieren. Als Grundvoraussetzung gehört dazu auch, daß wir die Meister- und Hochschulausbildung in der staatlichen Förderung gleich behandeln, weil das, was gleich ist, auch gleich behandelt werden muß. Die Ausbildungsgänge haben unterschiedliche Zeitabläufe und unterschiedliche Anteile theoretischer Ausbildung. Aber der Teil der theoretischen Ausbildung, wo der Meister genauso wie der Student kein Geld verdient, muß gleich behandelt werden. ({4}) Die frühere Koalition hat ja mit dem Meister-BAföG einen Einstieg geschaffen. Ich meine, daran sollten wir festhalten. Einigkeit besteht auch darin, daß niemand, der eine entsprechende Begabung und den Fleiß mitbringt, aus Geldmangel an einer Ausbildung gehindert werden soll. Der Leistung des Staates muß aber auch eine entsprechende Gegenleistung des Geförderten gegenüberstehen. Diese Gegenleistung besteht darin, daß er einen seiner Begabung entsprechenden Ausbildungsgang ernsthaft und mit Fleiß betreibt. ({5}) Die Ernsthaftigkeit, mit der jemand einen Ausbildungsgang betreibt, muß mit laufenden - ich sage: in der Regel jährlichen - Leistungsnachweisen dokumentiert werden. Diese Leistungsnachweise liegen auch im Interesse der Studierenden selbst, denn so können sie rechtzeitig erkennen, ob ihr Studiengang ihren Neigungen und Fähigkeiten entspricht. Wie in fast allen Systemen der Sozialleistungen kann auch die staatliche Ausbildungsförderung vor einer allzu großzügigen Ausnutzung der Solidargemeinschaft letztlich nur dadurch geschützt werden, daß wir ein gewisses Maß an Eigenleistung und Eigenbeteiligung von den Betreffenden fordern. Dies ist ein Hilfsmittel, um eine vernünftige Verwendung von Steuergeldern zu erreichen und entspricht auch - dieser Punkt ist noch viel wichtiger - dem Subsidiaritätsprinzip; denn jeder sollte, wenn er oder seine Familie dazu in der Lage ist, zunächst sich selbst helfen, bevor er nach der Gemeinschaft ruft. Es entspricht auch unserem christlich-abendländischen Menschenbild, daß jeder in erster Linie zunächst einmal für sich selbst Verantwortung trägt. ({6}) Bei der Diskussion über die neue Struktur der Ausbildungsförderung sollten wir auch über unkonventionelle Modelle nachdenken. Es sind schon einige vorgelegt worden. Ich füge hinzu, daß wir bereit sind, darüber nachzudenken, ob die finanzielle Leistung des Kindergeldes den erwachsenen Studierenden direkt oder - wie bisher - über die Eltern gegeben wird. Über diesen Punkt sollten wir durchaus einmal nachdenken. ({7}) Im Zusammenhang mit der BAföG-Strukturreform möchte ich zwei Sätze aus der „Süddeutschen Zeitung“ zitieren: Auf lange Sicht wird eine neue BAföG-Regelung den Weg für Studiengebühren ebnen. Je näher eine gerechte Ausbildungsförderung rückt, um so näher rücken damit auch Studiengebühren. Dieser Kommentar macht deutlich, daß, wenn eine vernünftige Regelung für bedürftige Studierende getroffen wird, Studiengebühren ein Element der Eigenverantwortung und Eigenbeteiligung sein können. Die ideologische Festlegung der SPD auf ein Verbot von Studiengebühren bringt die Strukturreform in einem wichtigen Punkt von vornherein zum Scheitern. Deshalb sollten Sie von dieser ideologisch festgelegten Position abrücken. ({8}) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Im Zusammenhang mit dem eben zitierten lesenswerten Kommentar möchte ich darauf hinweisen, daß die Frau Ministerin mit Blick auf die 18. BAföGNovelle von „gröbsten Schweinereien“ spricht. Ich bitte Sie, diese Äußerung zurückzunehmen. ({9}) Als Bildungsministerin sind Sie auch dem Stil der politischen Auseinandersetzung verpflichtet und sollten insoweit ein Vorbild sein. ({10}) Insgesamt kann eine Reform der finanziellen Ausbildungsförderung nur dann gelingen, wenn sie in eine entsprechende Gesamtreform eingebettet ist. Ich kann dies jetzt nicht im einzelnen ausführen, will aber sagen, daß die Hochschulen durch Elemente des Wettbewerbs und mit Leistungsanreizen effizienter gestaltet werden müssen. Der Weg, den die unionsgeführte Koalition mit der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes vorgezeichnet hat, muß weiter gegangen werden. Eine Verfestigung von Strukturen und der Abbau von Leistungsanreizen und Elementen des Wettbewerbs, wie von der neuen Koalition im letzten Vierteljahr im Bereich der Sozialgesetze durchgeführt, läßt für die Reform des Hochschulwesens und des BAföGs nichts Gutes erahnen. Deshalb rufe ich Ihnen von der Koalition zu: Schwören Sie dieser rückwärtsgerichteten Politik ab ({11}) und verwirklichen Sie mit uns gemeinsam, was Sie vor den Wahlen versprochen haben, nämlich Innovation, Initiative und Kreativität zu fördern! ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/371, 14/358 und 14/398 ({0}) an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 14/371 soll dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, 3. März 1999, 13 Uhr ein. Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß am Dienstag, dem 2. März, aus Anlaß des Jubiläums „40 Jahre Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages“ im Ersatzplenarsaal Wasserwerk eine Feierstunde stattfindet, zu der Sie alle herzlich eingeladen sind. Die Sitzung ist geschlossen.