Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich
eröffne die Aussprache. Das Wort als erster Debattenredner hat der Kollege Dr. Klaus Lippold von der CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Die Entscheidung von heute hat Bedeutung über den
Tag hinaus. Der Beschluss, das Kioto-Protokoll zu ratifizieren, ist ein Beschluss in Verantwortung für die zukünftigen Generationen, denen wir eine möglichst intakte Umwelt übergeben wollen und die wir vor den dramatischen
Folgen der zunehmenden Erderwärmung bewahren
wollen.
Ob es das Abschmelzen der Gletscherpole an den beiden Polenden ist, ob es darum geht, der Versteppung und
Verwüstung entgegenzuwirken: Dies sind so zentrale Fragen für die kommenden Jahrzehnte, dass wir uns der Mitwirkung an einem solchen Entscheid selbstverständlich
nicht verschließen, sondern ihn mittragen werden, weil er
zwingend notwendig ist.
({0})
Mit dem Entscheid heute ist der Prozess nicht abgeschlossen. Wir müssen weiter daran arbeiten.
Ich will auch deutlich machen, dass es notwendig ist,
dass nicht wir allein so handeln und entscheiden; denn Erfolge, die zwingend und auch dringend notwendig sind,
werden wir nur erreichen, wenn wir global handeln. Die
Bundesrepublik Deutschland allein wäre dazu nicht in der
Bundesminister Jürgen Trittin
Lage. Deshalb müssen wir uns in Zukunft stärker, als Sie,
Herr Minister Trittin, es in der Vergangenheit getan haben,
dahin gehend orientieren, internationale Impulse zu geben, wie dies die Vorgängerregierung gemacht hat.
({1})
Hört man sich heute auf dem internationalen Parkett
um, so stellt man fest, dass diese Impulse und dass neue
Ideen fehlen. Wir haben die Einführung einer Klimarahmenkonvention vorangebracht. Wir haben uns mit der
Rolle der UNEP und der der Commission for Sustainable
Development auseinander gesetzt.
Herr Trittin, warum denken Sie nicht visionär weiter,
wohin die Entwicklung in Zukunft führen muss? Derzeit
gibt es die G 8. Aber die G 8 beschäftigten sich nicht allein mit Umweltschutzfragen; sie tun dies nur am Rande.
Warum erweitern wir die G 8 gerade im Sinne des Einbezugs der Entwicklungs- und Schwellenländer nicht zu
einer G 24? Wir könnten die G 8 bestehen lassen, würden
aber ein zusätzliches Gremium schaffen, in dem die Industrie-, die Schwellen- und die Entwicklungsländer an der
Beantwortung der großen Fragen dieser Welt gemeinschaftlich zusammenarbeiten und insbesondere den Umweltschutz vorantreiben, und das stärker in Verbindung
mit der Armutsbekämpfung.
({2})
Hierzu gibt es von Ihnen keine innovativen Ideen. Das alles sind Positionen, die man von Ihnen erwarten müsste,
wenn Sie über den Tellerrand der Bundesrepublik
Deutschland hinausschauen würden.
Sie haben heute nur mit einem Satz die Entwicklung
innerhalb der EU und insbesondere das Emissions Trading erwähnt. Es muss deutlich werden, dass auch hier
Initiativen Ihrerseits viel stärker gefragt sind. Denn die
Beschränkung der EU-Kommission auf Emissions Trading ohne den Einbezug von Clean Development Mechanism und Joint Implementation ist der falsche Weg.
({3})
Herr Minister, die entsprechende Richtlinie schädigt in
der jetzt vorliegenden Fassung die Wettbewerbsfähigkeit
der Bundesrepublik Deutschland. Sie haben das in zwei
kurzen Sätzen erwähnt und damit abgetan.
Ich möchte von Ihnen natürlich auch wissen, wo Ihre
Initiativen in diese Richtung sind, was Sie tun wollen, was
Sie bereits getan haben und ob Sie in absehbarer Zeit Ergebnisse vorweisen können, die deutlich machen, dass die
Bundesrepublik nicht durch den Fortschritt bei den Verhandlungen auf dieser Ebene geschädigt wird. Wir wollen
Fortschritt, aber keinen Schaden für die Bundesrepublik
Deutschland.
({4})
Herr Minister - damit komme ich zu einem wichtigen
Part -, Sie haben gesagt, wer international etwas bewegen
wolle - das tun Sie nicht -, müsse zu Hause Erfolge vorweisen können. Ich sage ganz deutlich: Aufgrund der Art
und Weise, in der Sie diese Frage angesprochen haben,
könnte man Sie zum „Mister Plagiat“ ernennen,
({5})
und zwar deshalb, weil Sie zu Ihren Erfolgen all das
zählen, was zur Zeit der Vorgängerregierung geschehen
ist.
({6})
Zu den Minderungen der CO2-Emissionen in Höhe von
18,7 Prozent, Herr Minister Trittin, sind 17 Prozent von
uns beigesteuert worden. In den drei Jahren Ihrer Verantwortung sind Sie gerade einmal für knapp 2 Prozent weiterer Minderungen verantwortlich, obgleich wir die Anfangshindernisse aus dem Weg geräumt haben
({7})
und jetzt die Zeit wäre, schneller voranzukommen.
({8})
Herr Minister, Sie haben die entscheidenden Akzente
falsch gesetzt. Sie strafen die Menschen ab. Sie kassieren
sie ab
({9})
und bitten hinterher bei diesen um Investitionen in Klimaschutzanlagen, zum Beispiel im Altbaubestand.
Herr Minister, was Sie hier zur Ökosteuer vorgetragen
haben, ist falsch. Alle Experten bzw. Wissenschaftler bescheinigen Ihnen
({10})
- Herr Schlauch, Sie haben früher schon einmal interessantere Zurufe gemacht; es lohnt sich noch nicht einmal,
darauf einzugehen -,
({11})
dass die Ökosteuer kein Instrument ist, um den Klimaschutz voranzubringen. Herr Minister, nach wie vor ist es
so, dass die Ökosteuer ein Instrument zum Abkassieren
ist. Wo sind die Summen, die aus der Ökosteuer in Umweltinitiativen, in den Klimaschutz fließen? Das alles,
Herr Minister, fehlt. Sie tun nichts anderes, als abzukassieren. Das muss aufhören!
({12})
- Warten Sie doch einmal ab! Brüllen Sie nicht dazwischen! Hören Sie zu!
Auch im Bereich des Altbaubestandes ist ein Plagiat
festzustellen.
({13})
Das Zinsbezuschussungsprogramm, das wir eingeführt
haben, haben Sie zwar etwas aufgestockt, aber qualitativ
nicht verbessert. Warum schaffen Sie im Altbaubestand
Dr. Klaus W. Lippold ({14})
keine steuerlichen Anreize, zum Beispiel durch Abschreibungsmöglichkeiten im Rahmen der Lohn- und
Einkommensteuer
({15})
oder durch Absetzungsmöglichkeiten im Rahmen der
Erbschaftsteuer, um in den Altbaubestand Initiativen aus
dem privaten Bereich hineinzulenken? Sie sind nicht bereit, sich mit all diesen Positionen gedanklich auseinander
zu setzen;
({16})
denn Sie sind fixiert auf die Kernenergieproblematik.
({17})
Zur Kernenergieproblematik sage ich Ihnen: Wer die
Kernenergie ausgrenzt, wird die mittel- und langfristigen
Entscheidungen für den Klimaschutz negativ beeinflussen. Denn durch die regenerativen Energien gleichen Sie
den Wegfall der Kernenergie nicht aus.
Herr Minister, des Weiteren sage ich: Auch wir wollen
regenerative Energien; wir wollen aber Mechanismen, die
sie innovativ gestalten. Ihre Förderpolitik steht in diesem
Zusammenhang vor dem Scheitern, weil sich hier zwar
quantitativ etwas bewegt, die Zahlen, die Sie nennen, aber
mit Subventionen zulasten der Verbraucher teuer erkauft
wurden. Das verschweigen Sie.
({18})
- Herr Schlauch, Sie haben - das sieht man heute Morgen - einen schlechten Tag. Aus Ihren Zwischenrufen war
bislang nichts Intelligentes herauszuhören.
({19})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer steuerliche Anreizmodelle gerade auch für die privaten Haushalte schafft, der verfehlt sein Ziel
({20})
- hören Sie doch zu; gerade haben Sie noch gerufen, dass
Sie wissen wollen, wo es langgehen soll - und bringt uns
nicht dahin, wo wir hinwollen. Ich sage noch einmal:
Wenn Sie sich - das wurde zu Recht angesprochen - den
Schwellenländern zuwenden, werden Sie mit unserer Unterstützung rechnen können.
Es gibt einen zweiten Punkt. Bei aller Kritik, die ich
wie Sie wegen des Ausstiegs aus dem Protokoll an den
USA übe: Es gibt erste Signale, dass sie sich rückbesinnen und die Problematik anders gewichten. Wir sollten
diese Signale nutzen, um in einen erneuten Dialog einzutreten. Schlussendlich werden wir die Klimaproblematik
ohne die USA und andere nämlich nicht lösen können.
Herr Minister, bei einem solchen Vorhaben würden wir
Sie unterstützen. Bei den anderen Positionen haben Sie
bedauerlicherweise noch viele Hausaufgaben zu machen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({21})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Ulrike Mehl von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lippold, Ihre ersten zwei oder
drei Sätze waren dem Thema angemessen konstruktiv.
Danach folgte leider nur noch kleinkariertes Gezeter. Ich
finde, das ist dem Thema nicht angemessen; aber man
kennt das ja.
({0})
Wir ratifizieren heute das Kioto-Protokoll. Das ist sehr
wichtig für den Klimaschutz. Es ist allerdings nur ein
Schritt. Viele mühselige Schritte haben wir bereits hinter
uns. Ich bin sehr optimistisch, dass mit diesem Kioto-Protokoll weitere große Schritte ausgelöst werden.
Dass wir zu diesem Punkt überhaupt kommen, war
- das wird jeder, der es verfolgt hat, wissen - durchaus
nicht zu jedem Zeitpunkt zu erwarten. Wenn man nämlich
rückblickend die Entstehungsgeschichte betrachtet, sieht
man, dass es zwar gute Ansätze mit großen Startvorbereitungen, wie dem Brundtland-Bericht und der Klimarahmenkonvention 1992, gab, denen dann aber mit einiger
Verzögerung nur kleine Trippelschritte folgten. Wie langwierig und schwierig der Prozess von der Erkenntnis hin
zum Handeln ist, kann man an der Geschichte der Umwelt- und Klimapolitik ersehen.
Der Club of Rome legte 1972, also vor 30 Jahren, seinen Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ vor. 1980
legte Jimmy Carter den Bericht „Global 2000“ vor, der
auch in Deutschland heiß diskutiert wurde. Wenn man
sich in Erinnerung ruft, in welcher politischen Situation
sich die USA damals befanden, reibt man sich heute
manchmal die Augen. Damals waren die USA die Vorreiter in der Umweltpolitik. Sie waren sich ihrer Verantwortung auch gegenüber den Entwicklungsländern sehr bewusst.
1987 folgte der Brundtland-Bericht, der zum ersten
Mal den Begriff der nachhaltigen Entwicklung definierte.
Er ist zweifellos ein Meilenstein in der Klimaschutzpolitik. Er war auch eine der Grundlagen für die Konferenz
für Umwelt und Entwicklung in Rio 1992, die die Klimarahmenkonvention, die Agenda 21 und die Konvention
zum Schutz der biologischen Vielfalt hervorbrachte. Hier
wurde zum ersten Mal international anerkannt, dass die
Bekämpfung von Umweltzerstörung und Armut durch internationale Zusammenarbeit erfolgen muss, und es
Dr. Klaus W. Lippold ({1})
wurde das Leitziel der nachhaltigen Entwicklung beschlossen. Das war die entscheidende Voraussetzung
dafür, dass endlich Bewegung in den Klima- und Naturschutz kam.
Diese Ergebnisse, auf die alles aufbaut, hatte man vor
der Konferenz allerdings nicht erwartet. Umso ernüchternder ist es, wenn man einmal die letzten Jahre seit 1992
weltweit betrachtet und Bilanz zieht. Die negativen
Trends, die zur Rio-Konferenz geführt haben, sind ungebrochen und haben sich teilweise sogar verschärft. Steigende Temperaturen, der Anstieg des Meeresspiegels, das
Absinken des Grundwassers, der Rückgang des arktischen Eises, das Abschmelzen der Inlandgletscher, die
Ausdehnung der Wüsten und die Veränderung der Verbreitungsgebiete für Pflanzen und Tiere sind nur einige
Beispiele. Die Folgen sind Ernteausfälle, Wassermangel
und Hungersnöte.
Mittlerweile ist der Zusammenhang zwischen diesem
Effekt und der Konzentrationserhöhung der Treibhausgase wissenschaftlich belegt, zum Beispiel durch das „Intergovernmental Panel on Climate Change“. Darüber gibt
es keinen Streit mehr. Trotzdem gab und gibt es langwierige und mühselige Verhandlungen über die Ratifizierung
der Klimarahmenkonvention. Das macht deutlich, wie
schwierig es ist, bei unterschiedlichen Interessenlagen der
einzelnen Staaten zu einer gemeinsamen Position zu kommen, die dann allerdings meistens den kleinsten gemeinsamen Nenner darstellt, obwohl die Ursachen und Folgen
bekannt sind. Das gleiche Phänomen kann man bei der
Überfischung der Meere feststellen.
Auf der anderen Seite ist aber festzuhalten, dass man
über die konkreten Auswirkungen der Rio-Konferenz und
der dort unterzeichneten Dokumente selbstverständlich
streiten kann. Aber der von dort ausgesandte Impuls für
die internationalen und nationalen Umweltpolitiken ist
bis heute spürbar. Heute kommt man im Gegensatz zu der
Zeit vor zehn Jahren an den Begriffen Nachhaltigkeit, Klimaschutz oder biologische Vielfalt nicht mehr vorbei.
Deswegen möchte ich an dieser Stelle einen Vergleich
bringen, weil diejenigen, die sich in diesem Politikfeld engagieren, manchmal zur Resignation neigen. Es gibt Beispiele, die zum Erfolg geführt haben. Ich möchte hierfür
das Montreal-Abkommen zum Schutz der Ozonschicht
nennen, ein ebenfalls internationales Abkommen, mit
dem es beispielhaft gelungen ist, eine Stoffgruppe, nämlich das Ozon abbauende FCKW, weltweit zu reduzieren.
Vor kurzem wurde eine neue Stufe auf dem Weg zum endgültigen Ausstieg aus Produktion, Handel und Verbrauch
dieser Stoffe beschlossen.
Noch ist das Ozonloch zwar so groß wie Nordamerika, obwohl die Produktion und der Verbrauch von
FCKW bereits um 80 Prozent reduziert und auf wenig
oder nicht ozonschädigende Substanzen ausgewichen
wurde. Wenn aber die Umsetzung des Montreal-Abkommens so weitergeht und auch die restlichen Länder
aus der Produktion und dem Verbrauch aussteigen, wird
bis zum Ende des Jahrzehnts das Einsetzen der Erholung
der Ozonschicht erwartet. Allerdings wird das ein halbes
Jahrhundert dauern.
Auch beim Montreal-Abkommen gab es anfangs viel
Skepsis, ob es wirken würde. Heute wissen wir, dass es
zumindest beachtliche Erfolge gibt.
({2})
Deshalb ist die Hoffnung durchaus berechtigt, dass das
Kioto-Protokoll ebenso erfolgreich werden kann. Dafür
müssen wir jetzt natürlich die Anstrengungen um die
Umsetzung des Kioto-Protokolls und seine Weiterentwicklung genauso beharrlich fortsetzen, damit sich der
Klimawandel nicht ökonomisch und ökologisch zur Katastrophe entwickelt.
Dafür schaffen wir heute durch das Gesetz zur Umsetzung des Kioto-Protokolls einen wichtigen Zwischenschritt. Dieser wichtige Schritt heißt allerdings
nicht, dass dann, wenn wir die Startblöcke verlassen und
die ersten Hürden genommen haben, ein bequemer Sonntagsspaziergang vor uns liegt. Das wird wie beim Montreal-Abkommen eher ein Langstreckenlauf mit Hindernissen über Berg und Tal.
Wir müssen uns darüber klar sein, dass Klimaschutz
nicht nur eine Aufgabe der Umweltpolitik ist, sondern
dass Klimaschutz in fast alle anderen Politikbereiche eingreift.
({3})
Deshalb ist es nötig, die Instrumente, die es schon gibt,
zügig anzuwenden und weiter auszubauen. Die Bundesregierung hat schon viel Vorarbeit zur Umsetzung geleistet:
von der energieeffizienten Altbausanierung bis zur massiven Förderung der erneuerbaren Energien mit dem Ziel einer Energiewende. Zum anderen müssen die Politiken insgesamt zur Nachhaltigkeit in ihrer Wirkung entwickelt und
neue Instrumente wie der Emissionshandel schnell eingeführt werden. Oberstes Ziel muss dabei die Reduktion klimaschädlicher Gase sein. Es geht nicht darum, mit dem
Emissionshandel eine Lizenz zum Gelddrucken zu erfinden und am Emissionshandel ordentlich Geld zu verdienen,
ohne dass die Emissionen an CO2 gesenkt werden.
Herr Lippold, Sie hätten sich über das Vorgehen der
Bundesregierung und den Stand der Verhandlungen sehr
leicht informieren können. Wir haben nämlich in der letzten Sitzung des Umweltausschusses sehr ausführlich darüber geredet. Hätten Sie das Angebot angenommen,
wären Sie jetzt auf dem neuesten Stand.
({4})
Beim Emissionshandel geht es darum, kostengünstig
CO2 einzusparen. In diesem Sinne wäre es außerordentlich zu begrüßen, wenn die Kritiker in der Wirtschaft - es
sind nicht alle, aber es gibt heftige Kritiker in der Wirtschaft, allen voran die Führung des BDI - endlich die
Laufschuhe anziehen und sich warm laufen würden, anstatt ihre Energie mit dem Versuch zu verschwenden, den
Emissionshandel auszubremsen.
({5})
Wenn wir in einem gesamtgesellschaftlichen Konsens
die Lösung von Problemen angehen, lassen sich manche
Hürden leichter überwinden. Dabei muss allen klar sein,
dass es noch viele Hürden sein werden und dass wir mit
dem angestrebten Reduktionszeitraum von 2005 bis 2012
durchaus noch nicht am Ziel sein werden. Viele seriöse
wissenschaftliche Institutionen und Gremien - angefangen vom zwischenstaatlichen Ausschuss, den ich vorhin
bereits zitierte, über die Klimaenquete, den Sachverständigenrat für Umweltfragen und den Wissenschaftlichen
Beirat der Bundesregierung „Globale Umweltveränderung“ bis hin zum Rat für nachhaltige Entwicklung mahnen dringend das Setzen weitergehender Ziele an und
nennen eine Zielgröße von 40 Prozent bei der CO2-Reduzierung bis zum Jahre 2020.
Wenn man sich ansieht, wie lange es dauert, bis belastbare internationale Abkommen zustande kommen, muss
man erkennen, dass wir in absehbarer Zeit diese Diskussion in der internationalen Familie führen müssen. Wenn
wir das kraftvoll gestalten wollen, müssen wir mit gutem
Beispiel vorangehen. Nur dann können wir den anderen
Mitspielern sagen, dass auch sie ihre Hausaufgaben zu
machen haben. Wir können, so glaube ich, auf die Vorreiterrolle Deutschlands beim Klimaschutz stolz sein und
werden alles daransetzen, diese Vorreiterrolle zu behalten.
({6})
Das ist auch deshalb wichtig, weil die internationale
Gemeinschaft über kurz oder lang die USA aus ihrer harten Bremserrolle in eine positive Vorwärtsbewegung bringen muss. Ohne aktive Mitarbeit des weltweit größten
Emittenten würde es langfristig nicht möglich sein, unsere
Ziele zu erreichen. Wenn dann irgendwann alle begriffen
haben, dass Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz
keine nostalgischen Spinnereien von großherzigen Gutmenschen sind, sondern die Voraussetzung für unser aller
Zukunft, dann haben wir den Wettlauf gewonnen.
({7})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger von der FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich vonseiten der FDP-Fraktion sagen, dass der heutige Tag ein
guter Tag ist, weil wir heute den Beschluss fassen werden,
das Kioto-Protokoll zu ratifizieren. Wir haben das lange
gefordert und sind froh, dass es am heutigen Tag im Deutschen Bundestag beschlossen werden wird.
({0})
Wir hätten uns allerdings gewünscht, dass die Bundesregierung früher damit rüberkommt.
({1})
Wir haben das in vielen Anträgen immer wieder gefordert.
Um Ihnen meine Position deutlich zu machen, möchte ich
Ihnen vorhalten: Sie haben immer gesagt, es gebe Probleme, weil die Sache sehr viel komplizierter sei, als man
sich das in der Opposition vorstelle; insofern sei ein entsprechendes Regelwerk nötig. Im Februar dieses Jahres
haben Sie uns dann einen Gesetzentwurf mit drei Artikeln
vorgelegt, der allerdings nicht so kompliziert ist. Das hätte
man also schon früher machen können.
({2})
Insofern kann ich Ihnen nur sagen: Man hätte in Deutschland früher ein Signal an die Staatengemeinschaft senden
können, wenn wir früher ratifiziert hätten.
({3})
Allerdings muss ich sagen, Herr Trittin, Sie haben vorhin in Ihrer Rede meines Erachtens einen zentralen Punkt
vergessen. Zwischenzeitlich sind wir auf nationaler
Ebene sehr viel weiter gekommen. Mittlerweile geht es
um die Umsetzung des Kioto-Protokolls und darum, wie
sie in Europa gestaltet wird. Dazu liegt inzwischen ein
zweiter Richtlinienentwurf der EU-Kommission vor, zu
dem Sie mit Ausnahme der Äußerung, die Vorleistungen
der deutschen Wirtschaft müssten anerkannt werden, kein
Wort verloren haben. Dabei wäre es dringend notwendig,
zu dem EU-Richtlinienentwurf Stellung zu nehmen.
({4})
Sie haben dazu so schön ausgeführt: Nur wer zu Hause
seine Hausaufgaben macht, kann auf internationaler
Ebene mitgestalten.
Es ist bemerkenswert, wie Sie sich gewandelt haben.
Der Kollege Lippold hat bereits alles Notwendige zu
Ihren Ausführungen zu der Reduktion von Treibhausgasen in Deutschland gesagt.
({5})
Früher haben Sie das nämlich noch mit dem Argument gegeißelt, das sei alles auf die deutsche Einheit zurückzuführen. Zurzeit aber wird das, was unter der alten Koalition durchgeführt wurde, einkassiert und für sich in
Anspruch genommen.
({6})
Ein zweiter Punkt, den ich für bemerkenswert halte, ist,
dass Sie über das nationale Ziel der Emissionsminderung, das wir seinerzeit gemeinsam beschlossen haben
und zu dem die FDP nach wie vor steht, kein Wort mehr
verlieren. Da Sie wissen, dass Sie dieses Ziel mit Ihrer Politik nicht erreichen werden, beziehen Sie sich nur noch
auf das, was auf internationaler Ebene gefordert wird, und
tun so, als stünden wir sehr gut da. Ich möchte von Ihnen
wissen, ob Sie noch zu dem nationalen Ziel der Emissionsminderung stehen.
({7})
Lassen Sie mich noch einen dritten Punkt ansprechen.
Es geht auch darum, die flexiblen Instrumente des KiotoUlrike Mehl
Protokolls zu nutzen. Auch darauf sind Sie in Ihrer Rede
nicht eingegangen. Das halte ich ebenfalls für bemerkenswert. Sie sagten, Glaubwürdigkeit zeige sich durch
Handeln. Aber genau das haben Sie in den letzten Jahren
versäumt.
Ihre Einstellung zu der bevorstehenden Einführung des
Emissionshandels haben Sie mit dem Satz deutlich gemacht: Handel wird kommen; man muss sich der Realität
stellen. Das zeigt, dass Sie nicht begriffen haben, welches
Potenzial in ökologischer und ökonomischer Hinsicht in
diesen neuen Instrumenten liegt, Herr Minister. Sie handeln so, weil es Ihnen von außen aufgezwungen wird, aber
in Deutschland tragen Sie nichts zu der Umsetzung bei.
({8})
Der Emissionshandel wird 2005 europaweit eingeführt. Großbritannien, Dänemark und die Niederlande bereiten sich darauf vor. In Deutschland herrscht absolute
Fehlanzeige.
({9})
Während die anderen ihre Börsenplätze für den Emissionshandel fit und attraktiv machen, passiert in Deutschland nichts in dieser Richtung.
Ein Antrag der FDP-Bundestagsfraktion liegt heute zur
Mitberatung vor.
({10})
Sie sollten diesen Antrag genau lesen, Herr Trittin, weil
darin aufgezeigt wird, wie die flexiblen Instrumente des
Kioto-Protokolls mit der deutschen Selbstverpflichtung
der Industrie zur Reduktion von Klimagasen verknüpft
werden können. Darauf kommt es jetzt an. Wir müssen
weiterkommen, statt ausschließlich über die Ratifizierung
von etwas längst Beschlossenem zu diskutieren.
({11})
Wir wollen, dass in Deutschland die ökologischen und
ökonomischen Chancen des Emissionshandels genutzt
werden können. Ihrer Äußerung, Frau Mehl, dass es auch
um die Verantwortung gegenüber den Entwicklungsländern geht, ist entgegenzuhalten, dass das Kioto-Protokoll
mit dem Emissionshandel etwas Hervorragendes beinhaltet. Wenn der Emissionshandel betrieben wird und gemeinsame Projekte mit den Entwicklungsländern durchgeführt werden,
({12})
dann werden diese Länder zukünftig nicht mehr nur Hilfeempfänger sein, sondern Teilnehmer am Weltmarkt,
weil sie mit den CO2-Zertifikaten selbst etwas zum Handel beisteuern können.
({13})
Diese Chance müssen wir ihnen endlich bieten. Selbst
ohne die Ratifizierung des Protokolls ist es seit dem
Jahr 2000 möglich, in der konkreten Umsetzung die flexiblen Instrumente anzuwenden und schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Vorgriff auf den ersten Verpflichtungszeitraum von Kioto solche Emissionszertifikate zu
sammeln. In anderen Ländern geschieht das bereits. In
Deutschland aber sind bisher die Voraussetzungen dafür
nicht geschaffen worden. Wir fordern Sie auf, dies endlich
zu tun und damit auch Chancen für die Entwicklungsländer zu schaffen.
({14})
Sie haben immerhin verstanden, Herr Trittin, dass
Deutschland den Löwenanteil der Verpflichtungen in Europa trägt. Wir haben aber Kritik an dem EU-Richtlinienentwurf. Dieser Entwurf muss dringend überarbeitet
werden, und zwar deshalb, weil er nicht von vornherein
alle Klimagase einbezieht, nicht alle flexiblen Instrumente zulässt und weil er hinsichtlich des Bezugsjahrs für
Deutschland nachteilig ist. Wenn Sie wollen, dass der
Emissionshandel in Deutschland kommt, dann müssen
Sie endlich auf europäischer Ebene aktiv werden und
berechtigte deutsche Interessen durchsetzen, anstatt nur
hier im Plenum zu schwadronieren.
({15})
Herr Kollege Trittin, wir erwarten, dass der Emissionshandel in Deutschland endlich vorbereitet wird.
({16})
Sie ziehen sich stets hinter eine Arbeitsgruppe Ihres Ministeriums zurück. Diese Arbeitsgruppe beschäftigt sich
aber mitnichten mit der Vorbereitung des Emissionshandels, sondern, wie gerade ausgeführt wurde und auch in
der Presse zu lesen war, vor allen Dingen mit der Bewertung des Richtlinienentwurfs. Sie haben in Ihrem Hause
nicht einen einzigen Mitarbeiter, der daran arbeitet, diese
flexiblen Instrumente in Deutschland zu etablieren.
Die Erklärung dafür ist, dass Sie diese Instrumente
nicht wirklich wollen. Wenn Sie weiterhin untätig bleiben, dann wird es in Deutschland ein EU-Recht geben,
das auf die deutsche Situation nicht passt, und dann wird
auf Dauer der Emissionshandel scheitern, weil wir in
Deutschland nicht vorbereitet sind. Das aber ist Ihnen
recht, weil dann das Instrument kaputt sein wird und Sie
mit Ordnungsrecht und Ökosteuer weitermachen können.
({17})
Das wollen Sie offensichtlich, Herr Trittin, und deswegen
sagen wir Ihnen sehr deutlich: Sie haben nicht wirklich
ein Interesse daran. Anderenfalls würden Sie sich endlich
bemühen, Deutschland für den Emissionshandel fit zu
machen, der international demnächst stattfinden wird.
Dazu fordern wir Sie auf.
({18})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Reinhard Loske vom Bündnis 90/
Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau
Homburger, wenn ich Sie hier als radikal-ökologische
Vorkämpferin für den Klimaschutz erlebe, denke ich immer, ich sei im falschen Film.
({0})
Ich bewundere Sie wirklich, wünschte mir aber, dass Sie
Ihren missionarischen Eifer den Herren Westerwelle und
Möllemann angedeihen ließen. Die können es gebrauchen; dessen können Sie sicher sein.
({1})
Hinsichtlich des Emissionshandels, für den Sie Seit‘ an
Seit‘ mit uns so eifrig streiten,
({2})
haben Sie eine falsche Wahrnehmung. Das Hauptproblem
ist der BDI, auf dessen Schoß Sie doch sonst immer sitzen.
({3})
Lassen Sie sich in dieser Frage nicht vom BDI irreleiten!
Auch wenn es mir nach der Rede von Herrn Lippold
schwer fällt, möchte ich doch einen kurzen historischen
Rückblick geben; denn es haben in der Tat viele auch aus
diesem Hause am Zustandekommen des Kioto-Protokolls mitgewirkt. So hat Klaus Töpfer 1992 in Rio eine
uneingeschränkt positive Rolle gespielt; das darf und
muss man sagen. Man kann sogar zugeben - auch wenn
es noch schwerer fällt -, dass der ehemalige Bundeskanzler Kohl 1995 einen bedeutenden Anteil daran gehabt hat,
dass die Konferenz nicht vor die Hunde gegangen ist. Als
sie auf der Kippe stand, hat er durch eine fulminante Rede
einen Stimmungswechsel hinbekommen, der dazu führte,
dass wir wenigstens das Berliner Mandat erhielten. Auch
das ist zu würdigen.
Zu würdigen ist aber auch nicht minder das Engagement von Bundeskanzler Schröder 1999 auf der Konferenz in Bonn. Dort hat er das klare Signal gegeben, dass
wir Europäer eine Vorreiterrolle einnehmen wollen, weil
wir an dem Gelingen des Kioto-Protokolls interessiert
sind.
Vor allen Dingen zu würdigen ist die Rolle, die Bundesumweltminister Trittin in Bonn und auf der Vertragsstaatenkonferenz in Den Haag gespielt hat. Dort ist es
erstmals gelungen, dass Europa als eigenständiger Akteur
in der internationalen Klimapolitik mit einer Stimme
sprach, um die Sache gemeinsam mit den Entwicklungsländern zum Erfolg zu führen. Dafür gebührt ihm ohne
Zweifel Dank.
({4})
Auch das Parlament hat seinen Anteil an diesem Erfolg. In den Enquete-Kommissionen von 1987 bis 1990
und von 1990 bis 1994 haben wir die Vorarbeiten geleistet. Auch können wir stolz darauf sein, dass wir in
Deutschland eine international so anerkannte Klimaforschung haben. Ich denke hier an das Potsdam-Institut für
Klimawirkungsforschung, an das Wuppertal-Institut oder
an das Max-Planck-Institut in Hamburg. Wir haben auf
diesem Gebiet eine lebendige Forschungslandschaft, die
es uns ermöglicht, in der internationalen Diskussion eine
Vorreiterrolle einzunehmen.
({5})
Anders als in vielen anderen internationalen Gremien
spielen deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine wichtige Rolle im Intergovernmental Panel on
Climate Change.
Nicht zuletzt muss die Rolle der Nichtregierungsorganisationen gewürdigt werden. Auch den Umweltverbänden gebührt der Dank dieses Hauses. Durch ihr lang anhaltendes Engagement haben sie es geschafft, das Thema
ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken.
({6})
Vor allen Dingen freue ich mich darüber, dass es auch
NGOs wie beispielsweise German Watch gibt, die das
Thema Nord-Süd-Gerechtigkeit in das Zentrum ihrer Argumentation rücken. Das ist ganz wichtig.
Last, but not least: Seit einigen Jahren vertreten die Gewinnerindustrien des Strukturwandels und die Umweltverbände ihre Interessen gemeinsam. Das ist ganz wichtig; denn diejenigen, die mit grünen Zielen schwarze
Zahlen schreiben wollen, und diejenigen, die wie die Versicherungswirtschaft vor den hohen Kosten des Klimawandels warnen, waren ein Motor im internationalen Verhandlungsprozess. Auch ihnen gebührt unser Dank.
({7})
Herr Lippold, diejenigen, die Technologien anzubieten
haben, die Versicherungswirtschaft und andere Branchen,
wissen ganz genau, dass sie bei uns sehr gut, aber bei Ihnen sehr schlecht aufgehoben sind, weil Sie sich nur zum
Sprecher der sklerotischen Beharrungskräfte machen.
Diese haben bei uns in der Tat kein gutes Standing.
({8})
Ich möchte das Ganze wie folgt zusammenfassen: All
diesen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen gebührt
Dank dafür, dass das Thema Klimapolitik bei uns eine
so große öffentliche Aufmerksamkeit genießt und dass
unsere Zivilgesellschaft in dieser Frage so vital ist. Das
alles ist sehr positiv. Ich neige normalerweise nicht zum
Pathos. Aber ich sage heute: Die Ratifizierung des KiotoProtokolls verdient das Attribut historisch. Ich glaube,
über diese Ratifizierung können wir alle froh sein.
({9})
Als wäre das alles nicht genug - eine kleine Anekdote
am Rande, Herr Minister; ich nehme an, das ist Zufall -,
trägt die Drucksache des Entwurfs eines Gesetzes zum
Kioto-Protokoll das Datum 15. Februar. Das ist das Datum meines Geburtstages. Danke schön!
({10})
- Sie hätten es für mich auch gemacht? Darüber freue ich
mich. Wunderbar!
({11})
- Das heutige Niveau der FDP-Fraktion ist große Klasse.
Ich erinnere Sie nur sicherheitshalber daran: Wir sind
hier nicht im Karnevalsverein, sondern im Deutschen
Bundestag.
({12})
Zur Sache, zum Kioto-Protokoll! Im Umfeld der Bonner Konferenz und in der deutschen Öffentlichkeit hat es
viele Diskussionen über die Frage gegeben: Ist das KiotoProtokoll ein Durchbruch oder ist es nichts anderes, wie
manche gesagt haben, als ein Placebo? Ist es nicht eine Art
Abrüstungsvertrag, der aber in Wahrheit zur Aufrüstung
führt? Diesen Fragen sollte man sich ernsthaft stellen. Ihrer Beantwortung sollte man sich aus drei Richtungen
nähern, nämlich aus der Richtung des Völkerrechtes, aus
der Richtung der Ökologie und aus der Richtung der Gerechtigkeit. Das führt also zu den Fragen: Ist das KiotoProtokoll ein guter Vertrag? Ist es ein ökologisch zielführender Vertrag? Ist es ein gerechter Vertrag?
Aus der Sicht des Völkerrechts kann man, denke ich,
uneingeschränkt sagen: Das Kioto-Protokoll ist ein guter
Vertrag. Er schließt alle Staaten ein. Es gibt eine gemeinsame, wenn auch unterschiedliche Verantwortung. Klar
ist aber, dass das globale Problem des Klimawandels
letztendlich nur von allen Staaten gemeinsam gelöst werden kann. Trittbrettfahren soll ausgeschlossen werden.
({13})
Das ist das erste Ziel des Vertrages.
Das zweite Ziel ist: Die Reduktion aller klimaverändernden Spurengase wird geregelt - mit Ausnahme der
auch die Ozonschicht zerstörenden FCKW-Gase, deren
Reduzierung im Montrealer Protokoll geregelt ist. Insofern erfasst der Vertrag die Problembereiche vollständig.
Die Regelungen des Vertrages bezüglich der Reduktion
des Kohlendioxidausstoßes - Kohlendioxid ist ja bekanntlich ein unmittelbares Resultat der Verbrennung fossiler Energieträger - werden unsere Art des Wirtschaftens
- darauf hat Minister Trittin schon hingewiesen - sehr
stark verändern; denn im Vertrag wird im Prinzip die
Menge an fossilen Energieträgern festgelegt, die in Zukunft noch verbrannt werden darf. Insofern handelt es sich
um einen sehr weit gehenden Vertrag. Ich glaube, das ist
der eigentliche Quantensprung im internationalen Recht.
({14})
Neu an diesem Vertrag ist auch, dass ihm ein dynami-
sches, evolutives Konzept zugrunde liegt. Es ist vorgese-
hen, die wissenschaftlichen Fakten regelmäßig zu über-
prüfen, jährlich Vertragsstaatenkonferenzen einzuberufen
sowie - das ist besonders wichtig - die Klimaschutzziele
regelmäßig fortzuschreiben und weiterzuentwickeln. Das
Kioto-Protokoll ist also kein Vertrag, der nur einfach ge-
schlossen und dann umgesetzt wird. Dieser Vertrag setzt
vielmehr einen permanenten Prozess in Gang. Hier hat
man also vom Montrealer Protokoll gelernt, das ja heute
- wie ich finde: zu Recht - als eine der Erfolgsgeschich-
ten der internationalen Umweltpolitik gilt.
Der Vertrag orientiert sich an einem erweiterten
Gerechtigkeitsbegriff. Er enthält zwei Dimensionen der
Gerechtigkeit, nämlich die intergenerative Gerechtigkeit
- Herr Minister Fischer, die Kinderpolitik findet sich also
auch im Kioto-Protokoll wieder; im Prinzip steckt die
Idee dahinter, dass wir die Erde nur von unseren Kindern
geborgt haben; der Gedanke der intergenerativen Gerech-
tigkeit ist also ein zentrales, konstitutives Element dieses
Vertrages - und die internationale Gerechtigkeit. Wenn
die Industrieländer nicht wollen, dass die Entwicklungs-
länder im Zuge ihrer Entwicklung die gleichen energie-
intensiven Umwege gehen, wie wir das getan haben, dann
müssen sie a) eine Vorreiterrolle einnehmen und b) Finanz- und Technologietransfers leisten. Auch das ist ein
ganz wichtiges Element dieses Vertrages.
Mit dem nächsten Punkt wende ich mich noch einmal an
Ihre Adresse, Frau Homburger. Der Vertrag orientiert sich
auch am Prinzip der kosteneffizienten Erreichung von
Klimaschutzzielen; Stichwort: flexible Mechanismen.
({15})
Deswegen ist es umso unverständlicher, dass die Vereinigten Staaten, die genau diese flexiblen Mechanismen
wie JI, CDM und Emissionshandel hineingeboxt haben,
just zu dem Zeitpunkt aussteigen, zu dem diese Mechanismen Elemente des Vertrags werden.
({16})
Insofern ist die Position der USA wirklich sehr kurzsichtig.
({17})
Aus der Sicht des Völkerrechts kann man zusammenfassend sagen: Dieser Vertrag hat eine sehr gute Architektur. Sie ist ausbaufähig und entwicklungsfähig. Insofern
ist es aus der Sicht des Völkerrechts ein guter, ein bahnbrechender Vertrag, nachgerade ein Quantensprung.
Aus der Perspektive des Klimaschutzes und der Ökologie kann man sagen: Der Vertrag ist nicht hinreichend.
Er ist - das ist ganz klar - bestenfalls ein erster Schritt. Die
Klimaforschung sagt uns: Im Weltmaßstab müssen wir bis
2050 den Ausstoß an klimaverändernden Gasen um
60 Prozent reduzieren, wir Industrieländer sogar um
80 Prozent, weil wir an der Verringerung unseres Übergewichts arbeiten müssen. Wir müssen sozusagen Raum
dafür schaffen, dass sich die Entwicklungsländer entwickeln können. Wenn nach dem Kioto-Protokoll bis
2012 in den Industriestaaten eine Emissionsminderung
um 2 bis 3 Prozent stattfindet, dann - Frau Mehl hat das
zu Recht gesagt - reicht das nicht aus. Dieser Vertrag
muss weiterentwickelt werden.
({18})
Auf ein Problem müssen wir sehr achten: All die
Schlupflöcher, die in diesen Vertrag hineingeraten sind
- sei es die Senkenproblematik, sei es die Problematik der
heißen Luft; Stichwort Russland -, gefährden die ökologische Integrität des Protokolls. In der Umsetzung des
Vertrages müssen wir sehr darauf achten, dass das ganze
Regelwerk nicht unterhöhlt wird.
Trotzdem glaube ich - dazu will ich einen historischen
Vergleich heranziehen -, dass dieser Vertrag auch ökologisch ein großer Schritt nach vorn ist. Wir haben das auch
beim Montrealer Protokoll gehabt. Als es 1987 in Kraft
trat, schrieb eine wichtige Hamburger Wochenzeitung,
dieser Vertrag sei eine Sterbehilfe für die Ozonschicht.
Heute, 15 Jahre später, sagen wir: Es ist der größte Erfolg
in der internationalen Umweltpolitik. Dass das so ist, liegt
natürlich genau an dem Grundkonzept des Montrealer
Protokolls; man konnte es schrittweise verschärfen. Es
gibt den Mechanismus, dass man wissenschaftliche Erkenntnisse einfließen lässt. Es ist eine Tatsache, dass die
Sorgen der Menschen zugenommen haben. Es ist eine Tatsache, dass es Alternativen gegeben hat. Es ist eine Tatsache, dass es einzelne Staaten und Unternehmen gegeben
hat, die gewillt waren, eine Vorreiterrolle einzunehmen.
Man kann die Verhältnisse des Montrealer Vertrags
nicht 1:1 auf den Kioto-Vertrag übertragen - da bin ich
mir sicher -; aber die Lehren, die wir dabei gewonnen haben, können wir nutzen. Der wissenschaftliche Sachstand
entwickelt sich weiter. Die Sensibilität der Menschen
steigt. Wir haben ganz klare Alternativen. Stichworte: erneuerbare Energien, Energieeffizienz, Energieeinsparung. Das ist die Richtung, in die wir gehen; wir setzen
nicht auf die Atomkraft. Außerdem gibt es Vorreiterstaaten und Vorreiterunternehmen. Solche Staaten brauchen
wir; sonst kommen wir international nicht voran. Dabei
wollen wir ganz vorneweg sein.
({19})
Ich will jetzt nicht großartig über die nationale Klimapolitik sprechen, aber ich will Herrn Lippold, auch wenn
er gerade telefoniert, doch noch zweierlei sagen.
Erster Punkt. Was die ökologische Steuerreform angeht, Herr Lippold, so können Sie sich nicht auf die gesamte Wissenschaft beziehen. Die Wissenschaft attestiert
uns, dass die ökologische Steuerreform in ihrer jetzigen
Form einen Beitrag zum Klimaschutz bis 2010 im Umfang von 20 bis 25 Millionen Tonnen CO2 leistet - das ist
sehr viel - und gleichzeitig 250 000 Arbeitsplätze
schafft. - Herr Lippold telefoniert und hört nicht zu,
({20})
aber das ist sein Problem. Die Ökosteuer ist eine gute
Sache.
({21})
Zweiter Punkt. Herr Lippold, die Kollegin Hustedt hat
mir gerade verraten, dass Sie in der letzten Legislaturperiode - da war ich noch nicht hier - für die Altbausanierung zuständig waren. Der Ansatz der Bundesregierung
für die Altbausanierung im Rahmen des KfW-Programms
betrug 20 Millionen DM.
({22})
Heute beträgt er 400 Millionen DM. Das ist ein Faktor 20.
Das ist genau der Unterschied zwischen der Qualität Ihrer
Umweltpolitik und der unserer Umweltpolitik.
({23})
Zu der Frage, ob das ein gerechter Vertrag ist, habe ich
schon einiges gesagt. Ich glaube, dass es ein gerechter
Vertrag ist. Wir haben die Verantwortung. Wir müssen
eine Vorreiterrolle übernehmen. Wenn wir nicht wollen,
dass auch in der Südhemisphäre die energieintensiven
Umwege gegangen werden, dann müssen wir voranschreiten.
Abschließend ganz kurz noch zwei Punkte zu Europa.
Ich neige normalerweise nicht zum Pathos, aber ich muss
schon sagen: In dem Moment, als in Bonn Herr Pronk sozusagen den Tagungshammer hat niederfahren lassen, hat
mich für den Bruchteil einer Sekunde der Hauch der Geschichte angeweht.
({24})
Das gebe ich ganz offen zu. Das lag daran, dass Europa
wirklich erstmalig mit nur einer Stimme sprach. Die Länder, die der Europäischen Union beitreten wollen, haben
nämlich mit der EU an einem Strang gezogen. Wir haben
zusammen mit den Entwicklungsländern einen Erfolg erzielt, den viele nicht für möglich gehalten hatten.
({25})
Darauf kann man als Europäer ein wenig stolz sein.
({26})
Ein letzter Gedanke zu den Vereinigten Staaten von
Amerika: Man muss ja feststellen, dass ironischerweise
die radikale Verweigerung der Teilnahme am Kioto-Prozess von Präsident Bush dazu geführt hat, dass sich viele,
die in Wahrheit gar nicht wollten, nicht mehr hinter dem
breiten Kreuz der Amerikaner verstecken konnten. Das
hat im Ergebnis einen Einigungszwang auf den Rest der
Welt ausgeübt. Insofern ist Präsident Bush im Grunde genommen einer der Geburtshelfer für den Kioto-Vertrag.
({27})
Ich wünsche mir aber, dass die Amerikaner ihre Blockadehaltung aufgeben. Klimaschutz ohne die Vereinigten
Staaten ist auf Dauer nicht möglich. Ich hoffe, dass sich
dort über kurz oder lang die Vernunft wieder durchsetzt.
Danke schön.
({28})
Das Wort
hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter von der PDS-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das Kioto-Abkommen wurde
ja von vielen Seiten hoch gelobt; dennoch stellt es aus unserer Sicht keinen wirklichen Fortschritt dar. Allerdings
gibt es angesichts der herrschenden Kräfteverhältnisse
keine Alternative. So werden wir zustimmen.
({0})
Gleichzeitig möchte ich aber mit einigen Mythen aufräumen. Fakt ist: Von realer Reduzierung der Treibhausgase durch die Industriestaaten - auf Deutschland
komme ich gleich noch zu sprechen - kann kaum die Rede
sein. So kann die Aufforstung angerechnet werden. Das
drückt die eingegangenen Reduktionsverpflichtungen;
damit wird das im Kioto-Protokoll vorgesehene Reduktionsziel von 5,2 auf schlappe 1,8 Prozent gedrückt. Ginge
es in diesem Stil weiter, so würde die Zielmarke von
Kioto nicht 2012, sondern erst Mitte des Jahrhunderts erreicht werden.
Mit den Null-Reduktionszielen für Russland und die
Ukraine sowie den niedrigen Zielen für andere osteuropäische Staaten gegenüber 1990 bleibt zudem das Problem der heißen Luft: Diese Länder können zusätzliche
Treibhausgase ausstoßen oder ab 2008 entsprechende
Emissionsrechte verkaufen. Schließlich reduzierten sich
bei ihnen die Emissionen durch den wirtschaftlichen Zusammenbruch schon um 15 bis 30 Prozent. Alle westlichen Industrieländer, mit Ausnahme von Deutschland,
Großbritannien und Luxemburg, haben dagegen mehr
und nicht weniger Klimagase emittiert. Wer da künftig
mit wem Zertifikate handeln wird, dürfte klar sein.
Die jetzige US-Regierung möchte in den nächsten
zehn Jahren den Ausstoß von Klimagasen um 18 Prozent
reduzieren, allerdings je Einheit Sozialprodukt. Da aber
die US-Wirtschaft zwischen 1992 und 1999 kräftig gewachsen ist und hemmungslos CO2 emittiert hat, ergibt
das Klimaschutzprogramm à la Bush, wenn wir diese Faktoren nach Adam Riese zusammenrechnen und das bisherige US-Wirtschaftswachstum für die Zukunft fortschreiben, eine Steigerung des absoluten US-Ausstoßes um ein
Drittel gegenüber 1990. Unsere Berechnungen liegen damit noch höher als die, die vorhin vorgetragen wurden.
Wenn es so käme, könnte man Kioto völlig vergessen. Aus
dem Ziel einer Reduktion um 5 Prozent wird dann eine
Zunahme um 5 Prozent. Ich bezeichne so etwas als Aggression gegen die Weltbevölkerung. Das muss man so
beim Namen nennen und nicht so kleinreden, wie Herr
Loske es hier gemacht hat.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen eigentlich
vor dem Scherbenhaufen der internationalen Klimapolitik. Es ist wesentlich mehr notwendig; das wissen wir alle.
({2})
Für mich und die PDS ergeben sich vorrangig folgende
Schlussfolgerungen:
Erstens. Wir dürfen das Verhalten der USAnicht durchgehen lassen, sondern müssen sie dringend ins Boot der
internationalen Klimapolitik zurückholen.
({3})
Uneingeschränkte Solidarität ist auch hier absolut nicht
angebracht.
({4})
Herr Kollege Lippold, Sie sprachen von visionärer Politik. Sie hätten aber lange genug Zeit gehabt, in diesem Bereich visionäre Politik umzusetzen; da ist aber nichts passiert.
({5})
Zweitens. Technologie- und Finanztransfers müssen
zum Bestandteil internationaler Klimapolitik werden. Die
in Marrakesch in Aussicht gestellten 419 Millionen Dollar
sind hierbei wirklich nur Peanuts. Wenn man bedenkt,
dass der Entwicklungshilfeetat in Deutschland in etwa nur
den Umfang der damaligen Berlin-Hilfe hat, dann erkennt
man, dass es ziemlich düster aussieht.
Drittens. Jeder Emissionshandel mit Osteuropa zieht
global einen zusätzlichen Ausstoß von Treibhausgasen
nach sich. Dies muss unbedingt verhindert werden.
Viertens. Die Anrechnung von Senken - ich denke an
die schwer zu überprüfenden Nettoaufforstungen von
Wäldern - öffnet Manipulationen Tür und Tor. Ich meine:
Damit muss Schluss sein.
Fünftens. Die Europäische Union muss sich ehrgeizigere Ziele setzen. Die 8 Prozent aus der Lastenverteilung
sind zu wenig.
Sechstens - ich komme auf Deutschland zu sprechen -:
Auch in Deutschland muss das Tempo deutlich erhöht
werden; denn wir werden das nationale Klimaschutzziel
von 25 Prozent bis 2005 kaum erreichen. Die CO2-Emissionenen steigen mittlerweile schon das zweite Jahr hintereinander an. Das ist bekannt. Momentan liegt der entsprechende Wert zwar bei minus 13,5 Prozent
- temperaturbereinigt ist er höher -; betrachtet man den
Gesamtzeitraum des Rückgangs bis 1999, dann zeigt sich
aber, dass in Deutschland drei Viertel auf die ersten drei
Jahre entfielen - der Osteffekt. Da man sich hier so brüstet, kann ich nur fragen: Handelt es sich um eine sinnvolle
CO2-Einsparung, wenn man eine ganze Industrie platt
macht? Ich denke, das muss man anders machen.
({6})
Ob die Lösung aller Probleme im Emissionshandel
liegt, den die FDP vorantreiben will, wage ich zu bezweifeln. Für den Handel über die EU-Grenzen hinweg ist er
unserer Überzeugung nach sogar klimaschädlich.
Eines bleibt, egal, welches Instrument letztlich favorisiert wird: Scharfe absolute Obergrenzen sind notwendig. Diese bedeuten schmerzliche Einschnitte, aber auch
wirkliche Chancen für eine zukunftsfähige Entwicklung.
Nehmen wir unsere Verantwortung wahr!
({7})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Peter Paziorek von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Die Kioto-Konferenz war ein
großer Erfolg, da sie in völkerrechtlichen Fragen einen
entscheidenden Durchbruch für den internationalen Klimaschutz gebracht hat. Zwar vermindert das Kioto-Protokoll nach übereinstimmender Meinung der Klimaforscher
den globalen Temperaturanstieg nur um ein Zehntel Grad;
aber der Signaleffekt des Ergebnisses dieser Konferenz
darf nicht unterschätzt werden. Ebenso darf das völkerrechtliche Fundament, auf dem wir Klimaschutzpolitik
zukünftig betreiben können, nicht unterschätzt werden.
Nach dem In-Kraft-Treten dieses Protokolls werden wir
flexible Instrumente einsetzen können. Wenn später
größere und wichtigere Schritte auf dem Gebiet des Klimaschutzes vollzogen werden, werden sie ihre erste Testphase hinter sich haben.
Herr Minister, Sie haben heute aber nichts zu den aktuellen Umsetzungsschritten gesagt, die nach Kioto sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene
durchgeführt werden müssen. Das ist für die Umweltpolitik enttäuschend. Wer Ihre bisherigen Einlassungen zu
diesem Thema kennt, der wird davon allerdings nicht
überrascht sein.
({0})
Wenn man die verschiedenen Stellungnahmen aus dem
Regierungslager verfolgt, wenn man sich Ihre knappen
Aussagen, die Sie vorhin zum Emissionshandel gemacht
haben, anschaut, dann muss man feststellen, dass Sie
- das hängt mit Ihrem Verständnis von Klimaschutzpolitik zusammen - die ökonomischen Schwierigkeiten einer
weiteren, jetzt noch anstehenden CO2-Reduktionspolitik - als Umweltpolitiker muss man sagen: leider vernachlässigen.
In der zukünftigen, neuen, modernen Umweltpolitik
geht es nicht immer nur darum, zu sagen: Wir wollen da
noch etwas verbessern und dort ein neues Ziel vorgeben.
Nein, in der Umweltpolitik muss man heutzutage sagen,
wie man ein Ziel mit den neuen, modernen Instrumenten
erreichen will, ohne dass der Wirtschaftsstandort
Deutschland und ohne dass der Wirtschaftsstandort Europa beeinträchtigt werden. Das ist die spannende Frage
der Umweltpolitik der Zukunft. Sie haben in den vergangenen Monaten nichts dazu gesagt, wie man Umweltpolitik und Wirtschaftspolitik verbinden kann. Auch
heute haben Sie die Chance versäumt, dazu etwas zu sagen. Sie haben es nicht getan, weil Sie für diese entscheidende Frage der Zukunft leider kein Konzept haben. In
dieser Frage versagen Sie.
({1})
- Herr Matschie, schauen Sie sich einmal die Ausgangszahlen an! Die EU hat sich bereit erklärt, bis zum Jahre
2012 bei den Klimagasen eine 8-prozentige Reduktion
vorzunehmen. Deutschland übernimmt im Rahmen des
Burden Sharing fast zwei Drittel dieser Reduktion der
Klimagase in Europa. Die spannende Frage ist, wie wir es
in Deutschland schaffen, dieses umweltpolitisch wichtige
Ziel zu erreichen, ohne dass hier Arbeitsplätze wegfallen.
({2})
Ihr Argument ist immer wieder, Umweltschutzpolitik
schaffe auch Arbeitsplätze. Das ist aber nur die eine Seite
der Medaille. Wenn Sie bei Umweltschutzmaßnahmen
auch die Kostensituation sehen, dann stellt sich die Frage,
wie wir diesen Prozess so gestalten können, dass Deutschland ein interessanter Industriestandort bleibt und dennoch seinen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Dazu haben
Sie hier heute Morgen leider nichts gesagt.
({3})
Es besteht eine große Chance, dieses Problem zu lösen,
da uns das Kioto-Protokoll moderne, flexible Instrumente
anbietet: Clean Development Mechanism, Joint Implementation und Emission Trading, den Emissionshandel.
Die entscheidende Frage ist: Können wir mit den alten Instrumenten in der deutschen Umweltpolitik so weitermachen wie bisher? Wir haben in den 90er-Jahren das
Instrument der Selbstverpflichtung hervorragend weiterentwickelt. Damit haben wir in der Klimaschutzpolitik
große Erfolge erzielt. Es ist eine historische Wahrheit,
dass Sie dieses Instrument Anfang der 90er-Jahre in diesem Hause politisch bekämpft haben. Es ist interessant, zu
sehen, wie sich der Bundesumweltminister in Den Haag,
Bonn und Marrakesch hinstellt, dieses Instrument lobt
und erklärt, gerade mit diesem Instrument seien die Reduktionszahlen in Deutschland erreicht worden. Ich sage
noch einmal: Dabei handelt es sich um ein Instrument, das
von Rot und Grün zunächst bekämpft worden ist und das
letztlich wir damals mit unserer parlamentarischen Mehrheit hier in Deutschland auf den Weg gebracht haben.
Sie, Kollege Loske, weisen hier auf die Finanzzahlen
in Nebenhaushalten hin, zum Beispiel für den Gebäudeansatz bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Wir waren
vor einigen Wochen bei der KfW in Berlin und haben gefragt, wie dieses Programm läuft, wie die Geldmittel eingesetzt werden. Da waren alle von der KfW ganz vorsichtig, weil festgestellt werden musste, dass das
Programm nicht läuft. Sie haben es so bürokratisch und
kompliziert gestaltet, dass die Bauherren in Deutschland
mit dem Programm im Grunde nichts zu tun haben wollen. Sie haben das Programm rein rechnerisch, nominal
aufgelegt und es so kompliziert angelegt, dass Sie damit
im Gebäudebereich nichts bewirkt haben. Aber der Gebäudebereich ist wichtig, denn in diesem Bereich können
wir tatsächlich noch CO2 reduzieren. Hier haben Sie klimapolitisch wiederum versagt.
({4})
Klimapolitik ist aus Vorsorgegründen dringend geboten. Sie muss aber so ausgestaltet werden, dass wirtschaftlicher Erfolg und wirtschaftliches Wachstum nicht
verhindert werden. Damit sind wir bei der aktuellen politischen Bedeutung des Kioto-Protokolls. Wir benötigen
ein Konzept, das Klimaschutzmaßnahmen mit marktwirtschaftlichen Instrumenten dahin lenkt, wo die Kosten dieser Maßnahmen am niedrigsten sind. Zu dieser ganz entscheidenden modernen Frage der Umweltpolitik haben
wir heute Morgen von der Regierung hier leider nichts
gehört.
Wir brauchen auf internationaler Ebene eine Kombination von Klimaschutzpolitik, Entwicklungszusammenarbeit und Privatinvestitionen; denn nur eine solche Kombination bringt die Chance, die globalen
Herausforderungen des Klimawandels zu bewältigen,
insbesondere durch einen verstärkten Technologietransfer. Technologie- und Kapitaltransfer in die Schwellenund Entwicklungsländer ist nach Ansicht der Union ein
erster wichtiger Schritt zu einem guten internationalen
Klimafortschritt. Das müssen wir hier so deutlich sagen.
({5})
Wer sich für den Emissionshandel ausspricht, der
muss wissen, dass er damit für neue und schärfere Obergrenzen in der industriellen Produktion plädiert. Sonst
kann es keinen Emissionshandel geben. Neue Obergrenzen, durch die die Emissionen gesenkt werden sollen, haben zum Beispiel bei der Strom einsetzenden Industrie
immer zur Folge, dass Auswirkungen auf die verschiedenen industriellen Sparten in Deutschland eintreten. Wenn
die Obergrenzen immer weiter abgesenkt werden, kann
das zur Konsequenz haben, dass ganze Industriebereiche
in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht werden, insbesondere die Bereiche, die mit einem hohen Energieeinsatz
Produkte erzeugen.
Vielfach wird das auch von Ihnen bewusst gesagt.
Umweltpolitisch ist der erste Schritt, in der Industrie kohlenstoffreiche durch kohlenstofffreie Energieträger zu ersetzen, auch richtig. Die spannende Frage ist aber: Wie
wollen wir dieses Ziel in der Umweltpolitik erreichen,
ohne dass es zu Einbrüchen in unserer Wirtschaftsstruktur
kommt und ohne dass es nachher auf dem Arbeitsmarkt
große Probleme gibt? Sie sagen ja selbst, dass Sie durch
den Emissionshandel eine solche Verschiebung innerhalb
der Industriestruktur erreichen wollen.
Die Umweltpolitik muss die Antwort darauf geben,
wie wir unser Ziel erreichen können, ohne dass wir die
Menschen in Deutschland in große existenzielle Nöte
bringen.
({6})
- Herr Matschie, wer national aggressivere Ziele als seine
Nachbarn festlegt - ich denke beispielsweise an EU-Partner wie Frankreich und Spanien -, der entscheidet damit
auch darüber, ob die Wirtschaft und auch die Bürger in
Deutschland stärker belastet werden.
Wir sind für die Ratifizierung des Kioto-Protokolls.
Wir sehen darin eine entscheidende Chance, dass eine
moderne Umweltpolitik gemacht wird. Aber wir müssen
ein Konzept entwickeln, wie wir die entsprechenden Instrumente nutzen. Nur so kann die Umweltpolitik ihre
Ziele erreichen und Deutschland als Wirtschaftsstandort
dennoch erhalten werden. Dazu haben Sie heute Morgen
leider nichts gesagt.
({7})
Der große Nachteil Ihrer gesamten Umweltpolitik ist,
dass Sie nur Ziele vorgeben, ohne zu sagen, wie man sie
tatsächlich erreichen kann.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Michael Müller von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Die Menschheitsherausforderung Klimaschutz zeigt wie kaum eine andere Herausforderung die Dimension der Globalisierung auf. Hans Küng
stellt deshalb zu Recht fest, dass für diese Herausforderung ein globales Ethos notwendig ist. Aber dieses globale Ethos wird nur gegeben sein, wenn man anfängt,
konkret zu handeln. Es gibt nämlich kein abstraktes
Ethos. Das globale Ethos manifestiert sich vielmehr im
Handeln des Einzelnen, einer gesellschaftlichen Gruppe,
der gesamten Gesellschaft und der Wirtschaft.
Es ist deshalb wichtig, gleich am Anfang zu sagen: Wir
bitten alle, bei der großen Menschheitsherausforderung
Klimaschutz mitzumachen. Das ist für uns kein Thema für
eine vordergründige parteipolitische Auseinandersetzung.
Diese Herausforderung hat eine solche Dimension, dass
ein kleinkarierter Streit vermieden werden muss. Es gibt
keinen anderen Weg.
({0})
Das war der Konsens zu Beginn der 90er-Jahre und dieser
Konsens sollte auch in diesem Jahrzehnt gerade vor dem
Hintergrund des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung
in Johannesburg möglich sein. Wenn es zu einem kleinkarierten Streit kommen würde, könnten wir niemanden
auf der Welt davon überzeugen, dass wir es ernst mit der
Annahme dieser Herausforderung meinen. Deshalb sollten wir trotz aller Unterschiede das Gemeinsame betonen.
Herr Lippold wollte uns weismachen - ich spreche diesen Punkt an, weil ich der Meinung bin, dass man dann so
nicht argumentieren sollte -, dass der gesamte Klimaschutz das Ergebnis der Arbeit der früheren Bundesregierung war. Herr Loske hat zu Recht darauf hingewiesen,
dass sie auf diesem Gebiet durchaus Verdienste hat. Das
ist keine Frage. Wenn die Erfolge in der Umweltschutzpolitik nur das Verdienst der früheren Bundesregierung
sind und wenn Sie jetzt der Meinung sind, es würde auf
diesem Gebiet nichts mehr getan, dann muss ich allerdings fragen: Warum waren Sie beispielsweise gegen die
ökologische Steuerreform?
({1})
Warum waren Sie gegen das Gesetz zur Kraft-WärmeKopplung? Warum waren Sie gegen die Schritte zum
Ausbau der regenerativen Energien? So, wie Sie jetzt
argumentieren, passt es einfach nicht zusammen. Das ist
der entscheidende Punkt.
({2})
Herr Loske hat völlig zu Recht auf Folgendes hingewiesen - das muss man zur Kenntnis nehmen -: Nach den
ersten Auswertungen zeigt sich, dass die Ökosteuer sowohl beschäftigungspolitisch als auch umweltpolitisch
deutlich erfolgreicher war, als Sie es darstellen. In Wahrheit ist es doch so, dass Sie Ihre eigene Vergangenheit verdrängen. In den 90er-Jahren waren Sie bei der Ökosteuer
zwar auf dem richtigen Weg. Aber Sie hatten eben nicht
die Kraft, Ihre Ziele durchzusetzen.
Frau Homburger, Ihnen muss ich sagen, dass es auch
nicht zusammenpasst, sich hier einerseits vehement für
den Emissionshandel einzusetzen, aber andererseits zu
verschweigen, dass beispielsweise in der Koalitionsvereinbarung von Rheinland-Pfalz mit der FDP die Absicht
aufgenommen wurde, dass Rheinland-Pfalz auf jeden Fall
gegen einen Emissionshandel stimmt. Das passt nicht zusammen; Sie müssen schon sauber argumentieren.
({3})
Ich bitte einfach darum, dass man angesichts einer solchen Herausforderung ein Mindestmaß an intellektueller
Redlichkeit bewahrt. Anders funktioniert es nicht.
({4})
Ich glaube, dass in der Frage des Energie- und Ressourcenverbrauchs die zentrale Herausforderung für die
Zukunft der Industriegesellschaften liegt. Die hohe Energie- und Ressourcenabhängigkeit der Industriestaaten ist
das historische Kontinuum der Globalisierung. Eine wirkliche Globalisierung mit menschenwürdigem, sozialem
und ökologischem Gesicht ist nur dann möglich, wenn wir
die hohe Abhängigkeit von den Energie- und Ressourcenströmen verringern. Es gibt keinen anderen Weg.
({5})
Das ist eine der Schlüsselfragen für die Gestaltung der
Globalisierung. Sie müssen einfach sehen: In den letzten
50 Jahren hat die Menschheit mehr Energie verbraucht als
in der gesamten Menschheitsgeschichte zuvor. Rechnen
Sie das vor dem Tatbestand hoch, dass dieser Energieverbrauch in Wahrheit zu 72 Prozent auf die Industriestaaten
entfällt.
Wenn man die Entwicklung von 1990 bis 1998 genau
betrachtet, dann erkennt man: Der größte Zuwachs liegt
bei China. Das Bild beginnt sich jetzt zu wenden. China
hat in diesem Zeitraum einen Zuwachs an CO2-Emissionen von 21,1 Prozent gehabt. Das heißt, wenn es in den
Industriestaaten, die auch weiterhin beim CO2 dramatisch
wachsen - es gibt beispielsweise einen Zuwachs von
13,3 Prozent in Kanada und von 11,7 Prozent in den
USA -, nicht zu einem Umbau kommt, dann wird in den
Entwicklungs- und Schwellenländern vor dem Hintergrund der globalen Herausforderungen erst recht keine
Möglichkeit gegeben sein, sich ökologisch zu organisieren.
({6})
Das ist aber die zentrale Herausforderung, vor der wir stehen. Hierbei ist der Einstieg von Kioto ein wichtiger
Punkt.
Wir müssen die Zahlen ernst nehmen, die besagen,
dass aufgrund der nachholenden Industrialisierung, des
Bevölkerungswachstums und des nach wie vor hohen
Energieverbrauchs in den Industriestaaten eine reale
Erhöhung der mittleren Erdtemperatur von 2,5 Grad
bis zum Ende dieses Jahrhunderts wahrscheinlich ist. Anders als 1990, als wir die mögliche Bandbreite noch mit
bis zu 4,5 Grad angesetzt haben, besteht jetzt die Gefahr,
dass die Bandbreite sogar bis 5,8 Grad geht. Das wäre das
Vierfache dessen, was die Erde überhaupt verkraften
kann. Deshalb müssen wir den Widerspruch zwischen unserem Wissen und unserem Handeln beseitigen. Das geht
nur, wenn Einzelne beginnen; anders geht es nicht.
({7})
Um es zusammenzufassen: Wir haben bereits die ersten Alarmsignale. Der Bundesumweltminister hat zu
Recht von dem Abbrechen großer Eisteile in der Antarktis gesprochen. Vor kurzem gab es die Alarmmeldung
vom Inselstaat Tuvalu, wo bei Stürmen bereits bis zu
80 Prozent des Landes unter Wasser stehen. Im Augenblick verändern wir durch die von Menschen verursachten Klimaveränderungen die Landkarte der Erde. Doch
das dürfen wir nicht.
Wir müssen klar sagen: Die Hoffnung beim Klimaschutz liegt auf Europa, weil wir - wir bedauern das sehr -,
Michael Müller ({8})
von den USA im Augenblick nicht viel erwarten können.
Das ist unverantwortlich. Die USA haben, wie schon gesagt, einen Zuwachs von 11,7 Prozent. Nach den Angaben
der Internationalen Energieagentur werden die CO2-Emissionen in den USA bis zum Jahre 2012 im Trend um
41 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 steigen. Das ist
nicht zu verantworten.
Jetzt hat Präsident Bush einen neuen Vorschlag gemacht. Aber auch dieser Vorschlag ist keine Lösung, weil
er nur eine spezifische Reduktion der CO2-Emissionen
vorsieht. Denn in Wahrheit würden nach den Untersuchungen der amerikanischen Umweltbehörden im Zeitraum bis 2012 die CO2-Emissionen in den USA weiter um
12 Prozent ansteigen, statt, wie im Kioto-Protokoll vorgesehen, um 5,2 Prozent zu sinken.
Bei aller Solidarität mit den USA müssen wir sagen:
Ihr, die USA, müsst, wenn ihr eine neue Weltordnung haben wollt, dies auch in eurem ökologischen Verhalten zeigen, sonst seid ihr nicht glaubwürdig.
({9})
Die amerikanischen Umweltverbände haben die gegenwärtige Situation mit Recht als Triumph der Ideologie
über den gesunden Menschenverstand bezeichnet. Die
USA haben, wie kaum ein anderes Land, große Möglichkeiten. Man muss beispielsweise zur Kenntnis nehmen:
43 Prozent der neu zugelassen amerikanischen PKWs
sind spritfressende Fahrzeuge. Wenn beispielsweise der
Benzinverbrauch nur um 5 Prozent reduziert würde,
würde das eine Verringerung des Verbrauchs von 1,5 Millionen Barrel Öl pro Tag ausmachen. Das sind riesige
Mengen, deren Einsparung leicht möglich ist. Es wäre ein
moderner Ansatz, mit einer effizienten und umweltschonenden Verkehrspolitik zu beginnen. Ich glaube, dass
dies in der Zukunft das Bild einer modernen Gesellschaft
sein wird:
({10})
Vermeidung, Vernunft, schonender Umgang mit der Natur.
Aber auch wir in der Bundesrepublik werden noch
mehr tun müssen - und wir wollen das auch. Ich halte den
Emissionshandel für einen wichtigen Ansatz, vor allem
unter dem Gesichtspunkt, andere europäische Staaten
dazu zu bringen, mehr für den Klimaschutz zu tun. Ökonomisch ist dies ein sinnvolles Instrument. Aber es muss
- hier liegt unsere Aufgabe - so ausgestaltet werden, dass
sich nicht Einzelne von ihren Pflichten befreien und die
Lasten auf andere abschieben können. Der Richtlinienentwurf lässt in dieser Hinsicht eine ganze Menge zu.
({11})
Gemeinsam - Parlament und Regierung - sollten wir
Druck machen, damit dieser Emissionshandel in vernünftiger Weise ausgestaltet wird.
Um auch das gleich zu sagen: Der Emissionshandel ist
aber keine Alternative beispielsweise zur Ökosteuer. Es
kommt vielmehr darauf an, die Instrumente sinnvoll miteinander zu verbinden, um so eine möglichst hohe Wirksamkeit zu erzielen.
Meine Damen und Herren, bald findet in Johannesburg der Weltgipfel zur Nachhaltigkeit statt. Es ist völlig klar: Nachhaltigkeit wird es ohne mehr Klimaschutz
nicht geben.
({12})
Aber Klimaschutz ist nicht nur wegen der Erderwärmung
notwendig; ein solcher Beitrag bedeutet zudem die große
Chance für eine Modernisierung der Industriestaaten, damit diese im 21. Jahrhundert Nutzer des technologischen
Fortschritts sein können. Die Vergangenheit war geprägt
durch Großkraftwerke mit enormen Leitungssystemen
und Verteilungszentren, die höchst ineffizient und verschwenderisch arbeiteten. Heute sind wir in der Lage,
zum Beispiel durch die Informations- und Kommunikationstechnologie, dezentrale effiziente Strukturen zu vernetzen. Wir sind in der Lage, den Sprung ins Solarzeitalter zu schaffen. Es ist nicht eine Frage der Möglichkeiten; die Frage ist, ob wir den Mut dazu haben. Wir haben
in den letzten Jahren die ersten Schritte in diese Richtung
unternommen. Diese Schritte werden wir im Sinne von
Hans Küng und eines „globalen Ethos“ weiter tun.
({13})
Aber das alles wird nur gehen, wenn wir in Europa stärker zusammenrücken. Deshalb bedeutet die Vorbereitung
von Johannesburg auch, die europäischen Stärken im
Sinne von mehr Klimaschutz auszuspielen. Nicht alle in
Europa sind dabei auf dem richtigen Weg. Ich sehe mit
großer Sorge, was derzeit in Dänemark passiert,
({14})
wo man von dem bisherigen Kurs, auf erneuerbare Energien zu setzen, abgeht. Das ist keine gute Entwicklung.
Aber umso mehr kommt es darauf an, dass die wirtschaftlich besonders starken Länder in Europa sich entsprechend einsetzen. Deshalb unterstützen wir die Bundesregierung. Das sollte das ganze Haus tun:
Bundesrepublik - Vorreiter beim Klimaschutz!
Vielen Dank.
({15})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Christian Ruck von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Die Diskussion hat, wie schon
in der Vergangenheit, gezeigt, dass wir uns im Ziel einig
Michael Müller ({0})
sind, die Klimaschutzziele für Deutschland und Europa zu
erfüllen und das Kioto-Protokoll rasch in Kraft zu setzen.
({1})
Deshalb ist das heute auch für uns ein wichtiger Schritt.
Worüber wir uns nicht einig sind, ist die Frage des richtigen Instrumentariums. Bis zu den Wahlen werden wir
uns darüber auch sicher nicht mehr einig werden.
({2})
Diesen Streit als „kleinkariert“ zu bezeichnen, ist aber,
Herr Müller, so glaube ich, falsch. Denn natürlich gibt es
zwischen uns fundamentale Unterschiede, die durchaus
über das Wohl und Wehe des Klimaschutzprozesses bestimmen können.
Unser Vorwurf an Rot-Grün ist, auf einen Nenner gebracht, dass Sie zwar ungeniert die Grundlagen, die noch
die Union im Klimaschutz gelegt hat, als Ihre Erfolge verbuchen - mit Ausnahme von Herrn Loske; dafür danke
ich -, aber dort, wo wir richtig angefangen haben, falsch
weitermachen
({3})
und damit das endgültige Erreichen der Klimaschutzziele
in Deutschland mittel- und langfristig aufs Spiel setzen.
Der Grund ist: Ihr Instrumentarium ist ideologiebefrachtet,
({4})
deshalb widersprüchlich und volkswirtschaftlich zu teuer
- siehe Atomausstieg, siehe Ökosteuer, die eine Rentensteuer ist, siehe KWK.
Natürlich freuen auch wir uns über neue Arbeitsplätze.
Unser Vorwurf ist aber, dass Sie die neu geschaffenen
Arbeitsplätze zu einem großen Teil subventionieren, was
zu einem Verlust von wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen
führt.
({5})
Jetzt könnte der nächste folgenschwere Fehler folgen,
wenn es nicht gelingt, den Richtlinienentwurf der EU zum
Emissionshandel entscheidend zu verändern. Um es klar
zu sagen: Auch wir sehen in dem Emissionshandel eine
viel versprechende Option. Es gibt bereits positive Erfahrungen in anderen Ländern und auch bei Firmen wie zum
Beispiel BP. Wie wir gehört haben, haben sie gewaltige
innerbetriebliche Kosteneinsparungen erzielt.
({6})
- Emissionsreduktionen und innerbetriebliche Kosteneinsparungen.
Aber der bisherige Entwurf - ich glaube, darin sind wir
uns einig - birgt noch erhebliche Risiken. Diese müssen
beseitigt werden, wenn wir Ja sagen sollen.
({7})
So droht die Abstrafung der deutschen Wirtschaft für ihre
gewaltigen Vorleistungen, die sie bereits erbracht hat;
denn es ist völlig offen, wie der Zertifikatehandel mit anderen Instrumenten wie zum Beispiel der freiwilligen
Selbstverpflichtung in Einklang gebracht werden soll. Zudem ist zu befürchten, dass energieintensive Branchen aus
Deutschland ausflaggen und dafür auch noch Emissionsprämien bekommen. Es würde die deutsche Klimaschutzpolitik ad absurdum führen, wenn wir auf der einen Seite
ein ökologisches Nullsummenspiel hätten und auf der anderen Seite auch noch Arbeitsplätze verlieren würden.
Das kann nicht Sinn der Sache sein.
Deutschland und damit die deutsche Wirtschaft trägt
ohnehin schon die Hauptlast in Europa, indem es 75 Prozent der Reduktionsverpflichtungen der EU für den Zeitraum zwischen 2008 und 2012 übernommen hat. Wir sind
bisher eines der wenigen Länder, die diese Verpflichtungen ernst nehmen. Andere Länder, zum Beispiel die Niederlande oder Spanien, hinken weit hinter ihren sehr viel
geringeren Verpflichtungen her.
({8})
Herr Trittin, die Bundesregierung muss dafür sorgen,
dass Deutschland nicht vom Vorreiter zum Betrogenen
wird. Deshalb muss es zu unseren Zielen gehören, erstens
eine Pilot- und Testphase zur Fehlerminimierung einzuführen, zweitens „early actions“ angemessen zu berücksichtigen, drittens dafür zu sorgen, dass unsere Unternehmen Wahlfreiheit zwischen den einzelnen Instrumenten
bekommen und dass viertens die deutsche Wirtschaft
gleichwertig und alternativ zum Zertifikatehandel in den
Clean Development Mechanism und in Joint Implementation einsteigen kann.
Gerade diese beiden Instrumente sind aus meiner Sicht
für den langfristigen Erfolg der internationalen Klimapolitik entscheidend, weil sie den notwendigen Kapitalund Know-how-Transfer in die Entwicklungs- und
Schwellenländer erleichtern. Dadurch können die Menschen in den Entwicklungsländern Wohlstand und Wachstum erreichen, ohne dass der Klimaschutz zur Farce wird.
Die Spielräume dort - zum Beispiel über deutsche Messund Filtertechnik - sind ungeheuer groß. Beispielsweise
verlieren China und Indien 50 Prozent ihres Stroms allein
durch Löcher im Verteilersystem. Hier könnten deutsche
Unternehmen in ganz anderer Weise als bisher, und zwar
mit wesentlich geringeren Kosten, ihre Verpflichtungen
erfüllen. Deswegen ist es eine vordringliche Aufgabe,
dass wir mit diesen beiden Instrumenten schnell vorankommen. Wir sind weder in Deutschland noch in Europa
so weit, dies zu tun. Das wissen Sie. Auch hier sind Sie,
Herr Trittin, gefordert, in Brüssel Ihre Hausaufgaben zu
machen; denn die EU hat ihren Richtlinienentwurf sehr
viel schneller auf den Tisch gelegt, als wir alle gedacht haben.
Um eine Klimakatastrophe zu vermeiden, werden die
Anforderungen an unsere Energiepolitik wohl noch sehr
viel größer werden, als sie es bisher schon sind. Wir müssen auch die Vereinigten Staaten ins Boot bringen. Frau
Mehl, in diesem Zusammenhang erinnere ich an das, was
ein hochrangiger Vertreter vom BDI neulich gesagt hat. Er
hat sich von Bushs Devise distanziert,
({9})
Wirtschaftswachstum gehe vor Klimaschutz. Weiter hat er
gesagt, wir müssten beide Dinge zusammenbringen. Dies
ist auch unsere Haltung.
Herr Trittin, da Sie immer so unqualifiziert über
Bayern reden: Bayern exerziert dies vor. Bayern hat in
Deutschland das höchste Wirtschaftswachstum, die niedrigste Arbeitslosigkeit und einen gegenüber dem Bundesdurchschnitt um 30 Prozent niedrigeren CO2-Ausstoß pro
Kopf.
({10})
Deswegen kann ich sagen: Die Union handelt pragmatisch und Sie handeln ideologisch. Deswegen wird unsere
Klimapolitik erfolgreich sein und Ihre langfristig ökologisch und ökonomisch in die Sackgasse führen.
({11})
Ich
schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/8495 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf
Drucksache 14/8582. Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Annahme des Antrags
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/8026 mit dem Titel „Das KiotoProtokoll ratifizieren und zum Weltgipfel 2002 in Johannisburg in Kraft setzen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionfraktionen und der PDS-Fraktion bei Gegenstimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/8028 mit dem Titel „Kioto Bonn - Marrakesch, ein wichtiger Schritt für die internationale Klimapolitik“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS-Fraktion bei Gegenstimmen
von CDU/CSU- und FDP-Fraktion angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der FDP auf Drucksache 14/7450 mit dem Titel
„Gesetz zur Ratifizierung des Kioto-Protokolls unverzüglich vorlegen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist wiederum mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der PDS-Fraktion bei Gegenstimmen von CDU/CSU- und FDP-Fraktion angenommen.
Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll von
Kioto vom 11. Dezember 1997 zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen,
Drucksachen 14/8250 und 14/8581. Der Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
({0})
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b
sowie 19 d auf:
19 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Angelegenheiten der
neuen Länder ({1}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Günter Nooke, Friedrich Merz,
Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Deutschland 2015 - Aufbau Ost als Leitbild für
ein modernes Deutschland
- Drucksachen 14/6038, 14/8568 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Sabine Kaspereit
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2}) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Wolfgang Dehnel, Günter Nooke, Michael
Stübgen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Uranerzbergbau-Schäden beseitigen
- Drucksachen 14/3373, 14/4689 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Ulrich Klinkert
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Angelegenheiten der
neuen Länder ({3}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahresbericht 2001 der Bundesregierung zum
Stand der deutschen Einheit
- Drucksachen 14/6979, 14/8620 Dr. Christian Ruck
Berichterstattung:
Abgeordnete Sabine Kaspereit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Günter Nooke von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Sehr
verehrte Damen und Herren! Heute steht der Antrag der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion „Deutschland 2015 Aufbau Ost als Leitbild für ein modernes Deutschland“
auf der Tagesordnung. Angesichts der verwirrenden Diskussionen in der SPD vor rund einem Jahr, ob denn nun
der Aufbau Ost bzw. der Osten insgesamt auf der Kippe
stehe oder nicht, hatte die Union einen Gegenentwurf zur
Ratlosigkeit und Konzeptionslosigkeit der Regierungspartei bezüglich des Aufbaus Ost präsentiert.
Der Antrag vom Mai 2001 beinhaltet die Bilanz und die
Visionen der Union beim Aufbau Ost. In dem Antrag wird
zum einen auf das hingewiesen, was erreicht wurde, zum
anderen darauf, dass es noch erhebliche Probleme gibt.
Die Schere zwischen Ost und West geht beim Wirtschaftswachstum auseinander. Wir haben den Handlungsbedarf in zwölf Punkten zusammengefasst und
diese in dem Antrag formuliert. In diesen Punkten halten
wir ein unmittelbares Regierungshandeln - ein solches
hatten wir erwartet - für erforderlich.
Ich will einige dieser Punkte kurz aufzählen: „Wirtschafts- und Forschungsstandort stärken - für eine selbsttragende Wirtschaftsentwicklung sorgen“ - das muss unser Ziel bleiben -, „Infrastruktur verbessern Voraussetzungen für höhere Produktivität schaffen“ sowie planfestgestellte Verkehrsprojekte vorziehen, „Arbeitsmarkt- und Tarifpolitik - den Bedingungen vor Ort
anpassen“, „Lohnangleichung im öffentlichen Dienst Beamtenbesoldung und Honorare für freie Berufe - Sonderregelungen Ost abschaffen“, „Stadtsanierung voranbringen - Wohnungsleerstand abbauen“, „EU-Osterweiterung - die östlichen Bundesländer im Zentrum
Europas“ und nicht zuletzt generell mehr Flexibilität bei
bundesgesetzlichen Rahmenvorgaben, um den spezifischen Problemen der neuen Bundesländer mit spezifischen Antworten und vor Ort tragfähigen Lösungen begegnen zu können.
({0})
In diesem Jahrzehnt wird Ostdeutschland durch die
EU-Osterweiterung wieder zur Mitte Europas. Der Wandel von der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft
wird zu weit reichenden Veränderungen führen. Beides
sind große Herausforderungen; man muss dies als Chance
begreifen. Wir haben daher mit dem Antrag zu einer kreativen Neuausrichtung beim Aufbau Ost aufgefordert.
Der Aufbau Ost ist bei uns in ein Konzept für die Modernisierung in ganz Deutschland bis zum Jahre 2015 eingebettet.
({1})
In Ausführung dieses Antrages planen wir zum Beispiel ein Aufbau-Ost-Beschleunigungsgesetz, ein Modernisierungsgesetz für ganz Deutschland, das den neuen
Bundesländern Öffnungsklauseln dafür gibt, Bundesgesetze befristet außer Kraft zu setzen oder durch eigene
spezifische Landesregelungen zu ersetzen.
({2})
Übrigens, falls Sie sich nicht erinnern: Das hat auch
Helmut Schmidt im Oktober in der „Zeit“ geschrieben.
Wir hatten das mit unserem Antrag bereits im Mai vorgelegt.
({3})
Wir meinen, dass die Verbreiterung und Vertiefung der
industriellen Basis in den neuen Bundesländern für einen
erfolgreichen Aufbau Ost absoluten Vorrang haben muss.
({4})
Wenn die Betriebe und Unternehmen in ihrer Flexibilität
und ihrem Reaktionsradius beschnitten sowie die Kosten
in die Höhe getrieben werden, geht das zulasten von Arbeitsplätzen. Weniger Regulierung ist notwendig. Wenn
das nicht neu ist, hätten Sie in den letzten dreieinhalb
Jahre nicht das Gegenteil davon machen dürfen.
({5})
Gerade in den neuen Ländern ist festzustellen, dass
Überregulierung und überbordende Verwaltungsvorschriften sowie Auflagen junge und kapitalschwache Unternehmen extrem behindern. Deshalb müssen Möglichkeiten geschaffen werden, Genehmigungsverfahren nach
dem Vorbild des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes zu entrümpeln. Überflüssige Vorschriften und
Regulierungen müssen ausgesetzt werden.
({6})
Die Betriebe und Unternehmen brauchen weniger
restriktive Bestimmungen im Arbeitsrecht.
({7})
Sie haben zum Beispiel das Recht auf Teilzeitarbeit verabschiedet, das dazu führt, dass Frauen nicht mehr eingestellt werden. Durch das von Ihnen geschaffene Betriebsverfassungsrecht können Sie die Betriebe von außen
regieren. Tun Sie doch nicht so, als ob Sie in den letzten
Jahren etwas in der von mir angesprochenen Richtung getan hätten!
({8})
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Es kann nicht sein, dass dem Mittelstand die Aufträge
und dem ersten Arbeitsmarkt die Fachkräfte fehlen,
während das Geschäft von Umschulungsträgern boomt,
weil ältere Arbeitslose bis zur Rente permanent umgeschult werden,
({9})
wofür die Bundesanstalt für Arbeit offensichtlich genügend Mittel hat. Staatlich subventionierte ABM, die notwendig sind - darin besteht kein Zweifel -, dürfen die gewerbliche Wirtschaft aber nicht aus dem Markt drängen.
Auch die Verkehrsinfrastruktur muss so ausgebaut
werden, dass sie produktivitätsverbessernd und nicht
-hemmend wirkt.
Die Forschungsstruktur in den neuen Ländern ist
schwach genug. Sie muss endlich gestärkt werden, um
eine innovationsfördernde und flächendeckende Wirkung
zu erzielen. Die Forschungseinrichtungen müssen zum
Kern innovativer Netzwerke werden. Ostdeutsche Unternehmen und Forschungseinrichtungen müssen sich an
bundesweit geförderten Forschungsprojekten beteiligen
können, damit die Einrichtungen endlich selbst Geld verdienen und auf eigenen Füßen stehen können.
({10})
- Hören Sie nur zu! - Leider hat das die Bundesregierung
bei den Projekten im Kommunikations- und IT-Bereich
- dort geht es um die Gelder aus der Versteigerung der
UMTS-Lizenzen - schon durch die Ausschreibungskriterien verhindert.
Die Sozialdemokraten haben sich auf ihrem Ostparteitag in Magdeburg für die Wirtschaftsförderung im Bestand ausgesprochen. Das heißt doch: Sie haben den Versuch, die Unternehmensdichte in Ostdeutschland zu
verbessern, längst aufgegeben.
({11})
Die Unternehmensdichte dort ist immer noch zu gering,
um die Wirtschaftskraft Ostdeutschlands wieder auf spürbaren Wachstumskurs zu bringen.
Auch die Finanzierung der jetzt auf dem Ostparteitag
der SPD von Ihnen, Herr Kanzler, großartig angekündigten Verkehrsprojekte hätten Sie schon eher mit Finanzminister Eichel vereinbaren können, um damit ein prima
Konjunkturprogramm für die ostdeutsche und mittelständische Wirtschaft zu schaffen.
({12})
Bisher haben Sie als Chefsachenkanzler mit Ihrer Regierungspartei SPD leider nur einen Balken im Auge, nicht
aber den Aufschwung Ost im Blick gehabt.
({13})
Sie haben den Aufbau Ost sich selbst und ein Stück weit
auch der Haushaltssanierung überlassen.
Ein weiteres wichtiges Thema ist die Tarifpolitik bzw.
die im Antrag geforderte stufenweise Angleichung der
Bezüge im öffentlichen Dienst und bei freien Berufen.
Die von uns initiierte Anhörung - daran will ich noch einmal erinnern - im Ausschuss für Angelegenheiten der
neuen Länder hat unsere Einschätzung voll und ganz bestätigt, dass es auf längere Sicht nicht mehr tragbar ist,
wenn ungleiche Gehälter und Einkommen bezogen werden. Dabei muss die Bundesregierung bei den Bundesbediensteten den Anfang machen
({14})
- hören Sie gut zu, Werner Schulz! -; denn sie ist schließlich für die Tarifverhandlungen und das Besoldungsrecht
zuständig.
({15})
Die neuen Ländern sollten dabei nicht überfordert werden
und Öffnungsklauseln für eigene Wege, wie Zu- und Abschläge, erhalten.
({16})
Nachdem die SPD unsere Forderungen zunächst als
schlicht unbezahlbar und jenseits von Gut und Böse abqualifiziert hat, konnten wir vor knapp zwei Wochen die
Wandlung vom Saulus zum Paulus beobachten. Auf dem
Ostparteitag der SPD hat der Bundeskanzler die von uns
vorgeschlagene Stufenregelung übernommen und erklärt:
Die Angleichung der Bezüge muss bis 2007 abgeschlossen sein. Exakt dieses Datum steht in unserem Antrag.
Auch bei der Stadtsanierung sehen wir großen Handlungsbedarf. Es reicht nicht aus, dass die Regierung
großartige Programme auflegt und über mehrere Jahre gesammelte Summen in Umlauf bringt. Die Programme
sollten solide finanziert werden und keine Umverteilung
nach dem Motto „linke Tasche, rechte Tasche“ sein. Was
beim Programm Stadtumbau Ost passiert, halte ich für
völlig inakzeptabel und eine riesige Mogelpackung. Unser Antrag setzt dagegen: Wir fordern eine Weiterführung
der Investitionsförderung.
({17})
Dies dient als Anreiz für zügige Modernisierung und nutzt
der gewerblichen Wirtschaft. Wenn es der gewerblichen
Wirtschaft gut geht, geht es auch dem Fiskus gut.
Außerdem brauchen wir eine viel unbürokratischere
Altschuldenregelung, zum Beispiel beim Abriss überzähliger leer stehender Wohnungen, insbesondere wenn
es sich um nicht sanierte Plattenbauten außerhalb der
Stadtkerne handelt.
({18})
Die inhaltlichen Schwerpunkte, die die Union beim
Aufbau Ost setzt, liegen mit diesem Antrag seit Anfang
2001 auf dem Tisch. Die Linie der Union ist klar und konsequent. Die Schwerpunkte wurden vom Bundesparteitag
der CDU im vergangenen Dezember unter der Überschrift: „Im Osten was Neues“ beschlossen.
({19})
Mit einigen Ergänzungen zur Mittelstandsförderung wurden all die Punkte, die ich genannt habe, vom Präsidium
von CDU und CSU als Bausteine für das Wahlprogramm
der Union beschlossen.
({20})
Der Antrag belegt, dass wir die Situation schon im Frühjahr des vergangenen Jahres richtig erkannt - weil nüchtern analysiert - haben. Wir haben immer wieder darauf
hingewiesen, dass es Handlungsbedarf gibt, und haben
diesen auch benannt.
Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, haben versucht, uns mit Spott und Häme zu
überschütten.
({21})
Sie haben sich schützend vor Ihren Chefsachenkanzler
gestellt, damit die „ruhige Hand“ nicht die Ärmel aufkrempeln muss. Frau Kaspereit, auch Sie lachen hier immer. Sie haben uns noch am 26. Februar dieses Jahres im
Ausschuss aufgefordert, unseren Antrag zurückzuziehen,
weil es sich um unbezahlbare Forderungen handele. Ich
glaube, der Widerspruch zu den Aussagen des Kanzlers
und zu dem, was vor 14 Tagen in Magdeburg verkündet
wurde, hielt sich doch in Grenzen.
Dass die Union mit dem Inhalt des Antrages „Deutschland 2015“ richtig liegt, ist offenkundig. Auch die SPD
hat das erkannt; denn sie hat die meisten unserer Forderungen umformuliert und in ihren Antrag an den Bundesparteitag übernommen.
({22})
Wenn Sie sich eher dazu entschlossen und sich nicht angesichts der Bundestagswahl im September dazu gezwungen gesehen hätten - das scheint Sie zu treffen; Sie
schreien so viel -, wäre aus einer gemeinsamen Aktion
eventuell etwas geworden, was bei den Menschen in den
neuen Bundesländern spürbar angekommen wäre. So aber
merkt der Wähler inzwischen, dass Sie beim Aufbau Ost
nur hinterherjagen, statt durch Regierungshandeln die
Rahmenbedingungen aktiv zu gestalten.
Auf die Frage seitens des Allensbacher Instituts: „Welcher Partei trauen Sie am ehesten zu, die Arbeitslosigkeit
zu bekämpfen?“, sagten nach der „FAZ“ von vorgestern
33 Prozent der Befragten: „Der CDU“ und nur noch
18 Prozent: „Der SPD“.
Herr Kollege Nooke, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich bin gleich fertig. Das ist ein deutliches Zeichen, dass die Wählerinnen und
Wähler die Schröder-Aussage, er wolle sich an der Zahl
der Arbeitslosen messen lassen, ernst nehmen. Gerade
den Menschen in den neuen Bundesländern hat die SPD
viel versprochen und gerade dort hat sie fast alles gebrochen.
({0})
Die Regierungskoalition steht am heutigen Tage ohne
eigenen Antrag und ohne eigenes Konzept zum Aufbau
Ost da. Sie haben dreieinhalb Jahre vertan und können das
im letzten halben Jahr vor der Wahl nicht mehr aufholen.
({1})
Nehmen wir also gemeinsam Bundeskanzler Schröder
beim Wort! Angesichts der Arbeitslosenzahlen und der
Wirtschaftsdaten - gerade im Osten Deutschlands -, ist
Rot-Grün es nicht wert, wieder gewählt zu werden.
Danke schön.
({2})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Mathias Schubert von der SPDFraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute über
einen CDU/CSU-Antrag, dem ein trauriges Schicksal beschieden gewesen ist. Der Antrag ist ein Gebilde sich widersprechender Versatzstücke, die so wirken, als seien sie
per Zufall oder Zuruf zu diesem Sammelsurium geronnen,
({0})
an dessen Ende die christkonservativen Heilsbringer den
Ostdeutschen die Erlösung aus allen Miseren versprechen, wenn sie die Maquiladora-Ansiedlungen Mexikos
als Vorbild nehmen.
({1})
- Das kann man auf Seite 11 nachlesen.
Bevor dieser Antrag nachher in diesem Haus glücklicherweise abgelehnt werden wird, hat er nicht nur in weiten Teilen Ostdeutschlands Kopfschütteln ausgelöst; auch
Ihre eigene Parteispitze hat ihn längst kassiert. Es gibt
nämlich seit dem 9. März - Herr Nooke, ich bin ausgesprochen dankbar, dass Sie dies angesprochen haben - ein
neues Programm mit dem Titel „Im Osten was Neues“.
Schon der Titel ist im Vergleich zu Remarques „Im
Westen nichts Neues“ stark. Das klingt so nach: „Sprung
auf, Marsch, Marsch“, nach Minenräumung, Geländegewinnung mit aufgepflanztem politischen Bajonett.
({2})
Das klingt nach Hurra-Geschrei unter christsozialem
Gamsbart.
({3})
Es gibt nur ein Problem: Der Oberkommandierende, der
so genannte Kanzlerkandidat, entpuppt sich mehr und
mehr als Pappkamerad, dem nach dem markigen „Sprung
auf“ nur noch laue Luft entweicht. Wenn man sich nämlich Ihr Sonderförderprogramm Ost und seinen Verkünder
ansieht, kann man feststellen, dass Sie erstens inhaltlich
und zweitens mit der Person erhebliche Probleme haben.
Was an dem Programm neu sein soll, erschließt sich
dem ostdeutschen Normalbürger nur schwer. Wirklich
neu gegenüber unserer Politik für Ostdeutschland ist das
Maß an inhaltlicher Unkonkretheit, mit der Sie Ihre politische Werbemelodie pfeifen.
({4})
Dabei wollen Sie nur einen kleinen Teil dessen erreichen,
was wir seit 1998 schon umgesetzt haben.
Ein Beispiel zur Ergötzung: Sie wollen eine Innovationsoffensive durch die Förderung von Netzwerken.
Warum auch nicht? Wir machen das - und zwar mit Erfolg - mit Inno-Regio seit 1999.
({5})
Es ehrt den Einfallslosen immer, wenn er sich die besten
Ideen des Kreativen zu Eigen macht.
({6})
Während IhrPapierchen„ImOstenwasNeues“ inhaltlicheLangeweileausdünstet, habenSiebeiderFinanzierung
den Vogel abgeschossen. Zum einen hat Ihr so genannter
Kandidat dieVorstellungen des thüringischen Ministerpräsidenten im Umfang von 20 Milliarden nachträglich eingesammelt,
({7})
zum anderen hat er Ihr ganzes Neues für den Osten unter
Finanzierungsvorbehalt gestellt - und unter was für einen:
Privatisierungserlöse des Bundes sollen das Heil bringen.
Wer sich noch erinnert: Der berüchtigte Waigel-Wisch
von 1997 lässt grüßen. Auf einer Dreiviertelseite hatte der
damalige Bundesfinanzminister den Ausverkauf des Bundes eingeleitet, um seinen Haushalt mit Hängen und Würgen verfassungskonform zu bekommen.
Wenn Ihr Kandidat in dieselbe Ausverkaufsmentalität
verfällt, dann fügt er der inhaltlichen Einfallslosigkeit
noch die Offenbarung finanztechnischer Unbedarftheit
hinzu.
({8})
Wir jedenfalls werden uns durch Stoiber-Wische den
Aufbau Ost nicht platt machen lassen.
({9})
Eines muss man dem so genannten Kandidaten in diesem Zusammenhang allerdings lassen: Er ist in einem gewissen Sinne ein echter christlich-sozialer Konservativer.
Er bleibt standhaft bei dem, was er einmal gesagt hat.
Zum Beispiel hat Herr Stoiber zusammen mit den Herren Koch und Teufel 1999 ein Positionspapier zur Reform
des Finanzausgleichs vorgelegt.
({10})
An erster Stelle stand darin die Beseitigung des Umsatzsteuerausgleichs. Das saubere Trio wollte so dem Osten
sein eigenes Steueraufkommen wegnehmen, das den Ländern nach der Verfassung allerdings zusteht.
({11})
Das war ein eindrucksvoller Versuch finanzieller Entmündigung, der im Osten jährlich Steuerausfälle in Höhe
von etwa 8,5 Milliarden Euro zur Folge gehabt hätte.
Zu dem Versuch der finanziellen Entmündigung kam
dann auch noch - wir erinnern uns alle daran - der Versuch der moralischen Erniedrigung. Seit Anfang 1995 erklärt die nunmehr personifizierte K-Frage immer mal
wieder, die Menschen im Osten hätten dankbar zu sein,
die finanziellen Segnungen hätten sich im entsprechenden
Wahlverhalten niederzuschlagen. Ansonsten drohe Liebes-, das heißt: Geldentzug. Wer mit einer solchen Art der
moralischen Erniedrigung arbeitet, hält den mündigen
Bürger offensichtlich für ein rein theoretisches Gebilde.
Solch einem indirekten Lob der Unmündigkeit sollten
nicht nur die Ossis, sondern auch die Wessis im September einen Denkzettel verpassen.
({12})
Bei solchen Offenbarungen des wirklichen Wesens und
Denkens des Herrn Stoiber wundert auch der Versuch des
famosen Kleeblatts Stoiber, Teufel und Koch nicht mehr,
mithilfe des Verfassungsgerichts den Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung zu beseitigen.
({13})
Pikanterweise wurde die Klageschrift dem Bundesverfassungsgericht zugestellt, während der so genannte Kandidat seine Antrittsbesuche im Osten zu zelebrieren versuchte.
({14})
Das also heißt „Im Osten was Neues“. Entsolidarisierung lautet die Botschaft, verpackt in langweilige inhaltliche Mittelmäßigkeit. Das Neue daran ist der Weg zurück
noch hinter Kohls Aufbau Ost und seine damaligen Ideen:
Entmündigung und Alimentation in Abhängigkeit vom
Wahlverhalten der Ossis.
Meine Damen und Herren, mit einem solchen Selbstbildnis und mit so unverblümten Botschaften auch noch
Kanzler werden zu wollen zeigt einen Herrschaftszynismus, den selbst bei größtmöglicher Bosheit noch nicht
einmal wir Ihrer Antwort auf die K-Frage unterstellt hätten.
({15})
Vielen Dank.
({16})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Cornelia Pieper von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin Kaspereit,
Sie sagen es: Wenn wir den Ministerpräsidenten Höppner
in Sachsen-Anhalt nicht hätten, dann ginge es den Menschen dort wesentlich besser.
({0})
Meine Damen und Herren, ich erinnere daran, dass der
ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher, der
gestern 75 Jahre alt geworden ist, Anfang der 90er-Jahre
den sehr guten Vorschlag gemacht hat, ein Niedrigsteuergebiet Ost einzurichten.
({1})
Aber leider haben damals weder unser Koalitionspartner
noch die SPD unseren Vorschlag unterstützt. Ich betone
allerdings ausdrücklich - auch Klaus von Dohnanyi hat
das festgestellt, liebe Frau Kaspereit -: Wenn wir Anfang
der 90er-Jahre ein solches Niedrigsteuergebiet durchgesetzt hätten, dann gäbe es heute die Probleme in Ostdeutschland nicht.
({2})
- Ich weiß, dass das Sie Thema aufregt. Sie sind ja schon
fast vier Jahre in der Regierung und haben es in der Hand
zu handeln. Sie handeln aber nicht, meine Damen und
Herren von der Regierungskoalition.
Die Negativbilanz der Bundesregierung bei der Wirtschafts- und Finanzpolitik setzt sich beim Aufbau Ost
fort.
({3})
Da nutzt auch keine Augenwischerei, meine Damen und
Herren von den Koalitionsfraktionen. Sie haben doch mit
Ihrem Bundeskanzler, Herrn Schröder, den Aufbau Ost
zur Chefsache erklärt. Nachdem er Chef war, war aber der
Aufbau Ost nicht mehr seine Sache. Seit vier Jahren debattieren wir an dieser Stelle über dieses Thema und es bewegt sich nichts - und wenn, dann nur rückwärts.
({4})
Deutschland ist in Europa Schlusslicht, was das Wirtschaftswachstum anbelangt. Wegen des zu hohen Haushaltsdefizits droht dem Finanzminister ein blauer Brief
aus Brüssel.
({5})
Die EU mahnt Deutschland zu längst überfälligen Reformen im Arbeits- und Sozialrecht, aber auch im Steuerrecht. Handeln Sie endlich, meine Damen und Herren von
der Regierungskoalition! Die verpassten Reformen in
Deutschland gehen auch zulasten des Aufbaus Ost.
({6})
Verhindern Sie das Tariftreuegesetz im Bundesrat, das
dazu führt, dass sich kleine Handwerksbetriebe nicht um
Aufträge in Baden-Württemberg und Bayern bewerben
können, weil sie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
nicht die Tariflöhne zahlen können.
({7})
Sie schließen kleine Handwerksbetriebe und mittelständische Betriebe im Osten von diesen Aufträgen aus und
schicken sie damit in die Pleite.
({8})
Wir brauchen endlich ein Niedrigsteuergebiet in
Deutschland mit einfacheren und niedrigeren Steuersätzen. Dafür hat die FDP einen klaren Vorschlag vorlegt:
15 Prozent, 25 Prozent und 35 Prozent.
({9})
Statt die Steuern für den wichtigsten Arbeitgeber, nämlich
das Handwerk und den Mittelstand, zu senken, subventionieren Sie die großen unrentablen Konzerne, meine
Damen und Herren von der Regierungskoalition.
({10})
Noch gestern haben Sie dem Baukonzern Holzmann die
Rettung versprochen, aber auch den Waggonbauern in
Halle-Ammendorf.
({11})
({12})
Ich sehe es heute schon kommen, wie es morgen sein
wird: Heute stirbt Holzmann, morgen Waggonbau Ammendorf. Das ist Ihre Industriepolitik auch für die neuen
Länder.
({13})
- Handeln Sie doch! Sie haben es in der Hand. Ich habe
es an dieser Stelle schon einmal gesagt: Als Herr Rexrodt
Bundeswirtschaftsminister war,
({14})
hat er sich 1994 um Aufträge für Waggonbau Ammendorf
gekümmert.
({15})
- In Russland hat er einen Auftrag für Waggonbau Ammendorf herein geholt.
({16})
Meine Damen und Herren, tun Sie etwas! Wir brauchen für den Osten eine neue Perspektive. Immer mehr
junge Menschen wandern von Ost nach West.
({17})
Der Wanderungssaldo der neuen Bundesländer ist in jedem einzelnen Land negativ, sieht man von der Region in
und um Berlin ab. Während 1997 der Wanderungssaldo
noch rund 10 000 Personen betrug, waren es 1999 bereits
43 600 Personen.
({18})
Die Dramatik besteht darin, dass fast 60 Prozent der Abwanderer zwischen 18 und 25 Jahre alt sind.
({19})
Im Zusammenspiel mit den niedrigen Geburtenraten hat
das fatale Auswirkungen auf die strukturschwachen
neuen Bundesländer. Ob man das nun das Ausbluten einer
Region nennt oder nicht, es ändert nichts an der Tatsache,
dass gegen die Folgen dieser Entwicklung etwas unternommen werden muss.
({20})
Das geht aber nicht, indem man die Abwanderung der
qualifizierten Fachkräfte aus dem Westen in den Osten
subventioniert, sondern indem man in strukturschwache
Regionen investiert.
({21})
Im Jahr 2001 sind von den nach dem Sozialgesetzbuch III
gezahlten Mobilitätshilfen in Höhe von 102,5 Millionen Euro allein 84,5 Millionen Euro in die neuen Bundesländer geflossen, obwohl die neuen Länder nur 23 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung ausmachen.
Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, haben zusätzlich in das Jugendsofortprogramm
der Bundesregierung Mobilitätshilfen eingestellt und verstärken dadurch den Abwanderungstrend. Schaffen Sie
diese Abwanderungsprämie ab und investieren sie in den
ersten Arbeitsmarkt, vor allem in Forschung und Entwicklung.
({22})
An dieser Stelle möchte ich mit Ihrer Genehmigung,
Herr Präsident, den ehemaligen Präsidenten der LeibnizGemeinschaft zitieren:
In Relation zur Bevölkerung gibt es in den neuen
Bundesländern viermal weniger Wissenschaftler als
in den alten Ländern und die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung im Wirtschaftssektor sind
zum Beispiel in Baden-Württemberg zehnmal höher
als in Sachsen und 40-mal höher als in Sachsen-Anhalt.
Hier ist klar aufgezeigt, wo das Problem liegt: Der
Wettbewerb zwischen Industrie, Universitäten und Forschungsinstituten um begabte Wissenschaftler geht zulasten der neuen Bundesländer. Sie müssen in diesen Kampf
um die Köpfe mit deutlich niedrigeren Gehältern eintreten.
({23})
- Hören Sie lieber zu! Dann können Sie noch etwas
lernen!
({24})
Der Braindrain führt nicht nur in das Ausland, sondern
auch von Ost nach West. Hier sind die finanzschwachen
neuen Bundesländer überfordert. Deshalb hat die FDPFraktion bei den letzten Haushaltsberatungen ein Hochschulsonderprogramm mit einer finanziellen Ausstattung
von 200 Millionen Euro vorgeschlagen. Aber Sie, meine
Damen und Herren von der Regierungskoalition, haben es
abgelehnt.
({25})
Aber auch der Bund sollte sich in stärkerem Maße an der
Finanzierung des Hochschulbaus beteiligen und einen
Anteil von 75 Prozent übernehmen. Wir haben vorgeschlagen, dies aus den UMTS-Erlösen zu finanzieren.
Machen Sie endlich etwas!
({26})
Wenn Sie schon nicht auf mich hören, dann hören Sie vielleicht auf Erich Kästner, der einmal gesagt hat: „Es gibt
nichts Gutes, außer: Man tut es!“
({27})
Nicht Aussitzen, sondern Handeln ist die Aufgabe der Regierung.
Zur Stärkung der Infrastruktur in den neuen Bundesländern: Sie regieren zwar schon seit fast vier Jahren.
Aber erst jetzt, am Ende Ihrer Regierungszeit, kurz vor
der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt und der Bundestagswahl, wollen Sie die Nordverlängerung der A 14 in
Angriff nehmen und die A 72 - das ist die Verlängerung
der Autobahn zwischen Leipzig und Chemnitz - bauen.
({28})
Die Ankündigung, diese Projekte bei Vorlage des Bundesverkehrswegeplanes in den vordringlichen Bedarf aufzunehmen, bedeutet doch noch lange nicht, dass die Projekte in absehbarer Zeit auch tatsächlich realisiert werden.
({29})
- Das ist so. - Da die Bundesregierung die Investitionen
in den Straßenbau nicht erhöht, müssen Sie die Frage beantworten, welches Fernstraßenprojekt wo gestrichen
werden soll.
({30})
Auch der Ausbau der ICE-Hochgeschwindigkeitsstrecke von Nürnberg über Erfurt, Leipzig und Halle nach
Berlin ist ein Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“. Die
rot-grüne Bundesregierung hat die Finanzierung aber bis
heute aufgeschoben.
({31})
Ich erwarte, dass, wenn der Bundeskanzler Autobahnen
und ICE-Strecken verspricht, der Bundesfinanzminister
eine klare Aussage dazu macht und dass die entsprechenden Summen etatisiert werden.
({32})
Die FDP schlägt neben Investitionen in Entwicklung
und Forschung selbstverständlich auch eine Mittelstands- und Existenzgründeroffensive vor. Wir brauchen mehr Unternehmen in den neuen Bundesländern.
Tatsächlich gehen in Ostdeutschland immer mehr Unternehmen Pleite. Davon ist besonders Sachsen-Anhalt betroffen. Dort sind in den letzten fünf Jahren 11,4 Prozent
der Unternehmen vom Markt verschwunden. Es muss insbesondere mehr als bisher die Eigenkapitaldecke der Unternehmen gestärkt werden. Wir schlagen vor, dass die
Deutsche Ausgleichsbank zur effizienten Mittelstandsbank des Bundes profiliert wird.
({33})
Wir brauchen auch dringend eine Fortsetzung der Investitionszulage für die neuen Länder ab 2004, weil sie ganz
wesentlich zur Verbesserung der Liquidität ostdeutscher
Unternehmen beiträgt.
({34})
Wir werden das alles umsetzen; denn im Herbst wird
die FDP - Sie werden es erleben - in der Regierungsverantwortung sein. Bei Ihnen jedenfalls bewegt sich in Sachen Aufbau Ost überhaupt nichts, meine Damen und
Herren von der Regierungskoalition.
({35})
Als nächster
Redner erhält das Wort der Kollege Werner Schulz für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Pieper, ich bin Ihrer Aufforderung, genau zuzuhören,
nachgekommen. Ich stelle fest: Der Neuigkeitswert Ihrer
Rede lag unter 18 Prozent.
({0})
Ich weiß nicht, wie Sie so Ministerpräsidentin in SachsenAnhalt werden wollen. Ich glaube, Sie hängen sich an den
Running Gag Möllemann heran. Ich befürchte, damit ist
nichts zu holen.
Vor sieben Wochen haben wir die letzte Debatte über
den Aufbau Ost geführt. Wir tun für die Sache wenig
Gutes, wenn wir dem Motto folgen: Der Aufbau Ost
kommt voran, wenn wir nur oft und lang genug über ihn
reden. Wie gesagt: Viel Neues ist hier nicht zu entdecken.
Dafür entdeckt mancher Wahlkämpfer - dafür habe ich
Verständnis - momentan unbekanntes Terrain, ungebundene Wähler - auch das gibt es ja - und lernt enorm dazu,
zum Beispiel dass die „Halloreenkugeln“ richtig „Hallorenkugeln“ heißen
({1})
und dass nicht alles so rund läuft oder gar im Munde zergeht wie diese süßen Energiespender, sondern dass der
Osten etwas schwieriger ist.
({2})
Heute, Herr Faust, liegen glücklicherweise der Jahresbericht der Bundesregierung sowie der große Antrag der
Union vor - ein Kontrastprogramm sondergleichen.
({3})
Im Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der
deutschen Einheit werden sehr klar ein Zukunftsprogramm und ein Strategiewechsel in der Förderpolitik beschrieben. In zwölf Kapiteln können Sie nachlesen, wie
wir in den letzten Jahren im Osten vorangekommen sind,
von der Wirtschaftsförderung über den Arbeitsmarkt, den
Stadtumbau Ost, Innovationspolitik, regionale Netzwerke
bis hin zu Kultur, Sport und Freizeit,
({4})
und wie wir uns das künftig weiter vorstellen.
({5})
- Es freut mich, dass Sie sich so rege an der Debatte beteiligen. Das spricht zumindest für eine lebendige Demokratie und dafür, dass Sie mein Beitrag sehr anregt,
({6})
was man von Ihren Beiträgen nicht behaupten kann.
({7})
Ich freue mich darüber, dass heute die abschließende
Beratung des CDU-Antrags stattfindet. Er ist großartig
überschrieben mit „Deutschland 2015 - Aufbau Ost als
Leitbild für ein modernes Deutschland“. Das war offensichtlich auch Edmund Stoiber etwas zu dick aufgetragen;
er hätte lieber Bayern als Leitbild für ein modernes
Deutschland.
({8})
Deshalb wurden die meisten Forderungen in Wörlitz kassiert. Ihr Antrag hat die interne Lesung in Wörlitz nicht
überstanden.
({9})
Zu dem Schluss kommt man, wenn man sich einmal anschaut, welch dünnes Papier von diesem Antrag übrig geblieben ist.
({10})
Geblieben sind eine Mittelstandsoffensive, die genialen
Vorschläge, die Infrastruktur auszubauen,
({11})
die Forschungslandschaft auszubauen - das ist unglaublich originell - und Vereinfachungen im Bundesrecht vorzusehen, ansonsten sehr viele Allgemeinplätze, auf die am
Ende ein Freiheits- und Einheitsdenkmal gestellt wird.
Das ist dieser geniale Antrag von Wörlitz. Die Idee von
der Maquiladora-Industrie taucht nicht mehr auf, Kollege
Schubert. Das hat man bereinigt. Man hat gemerkt, dass
es höchst problematisch wäre, wenn man dabei bliebe.
Dafür gibt es ein geniales Finanzierungskonzept der
Union. Ich war ja gespannt, woher die 20 Milliarden Euro
kommen sollen. Die sind „zerstoibert“. Die sind irgendwie völlig weg
({12})
oder aus der Thüringer Vogel-Perspektive ganz, ganz
klein geworden. Also, man findet davon nichts mehr.
({13})
Tatsache ist, Herr Grund, dass Ihr Finanzierungskonzept
einfach nicht ausgegoren ist.
Sie sprechen von Privatisierungserlösen. Ich frage
mich: Woher wollen Sie die denn nehmen, nachdem Sie
über die Treuhand alles verscherbelt haben? Woher sollen
denn die Privatisierungserlöse kommen?
({14})
Dann wollen Sie Umschichtungen im Haushalt vornehmen. Ich bin wirklich sehr gespannt, wie Sie das machen wollen. Den Haushalt haben wir gerade konsolidiert.
Den haben wir in einem wirklich liederlichen Zustand
übernehmen müssen. Wie Sie da noch umschichten wollen und Mittel für den Aufbau Ost herausquetschen wollen, bleibt Ihr Geheimnis. Ich würde das im Wahlkampf
gern hören.
Dann kommt der größte Clou: Steuereinnahmen durch
Anspringen der Konjunktur. Was Sie uns bisher nirgendwo bescheinigt haben, nämlich dass dieses Anspringen in diesem Jahr stattfindet, bescheinigen Sie uns mit
diesem Antrag von Wörlitz. Ich danke Ihnen ganz herzlich
dafür.
({15})
Selbst Sie rechnen also mit einem Aufschwung und würden das Geld am liebsten schon verbraten.
Wir haben in dieser Legislaturperiode einen wirklich
großen Kraftakt geleistet.
({16})
- Das Protokoll notiert: Anerkennung vonseiten der FDP.
Ich danke Ihnen. - Das ist der Solidarpakt II. Als der
Finanzierungsbedarf von den ostdeutschen Ministerpräsidenten öffentlich gemacht worden ist - von fünf seriösen
Instituten ist ein Finanzierungsbedarf von etwa 300 Milliarden DM für die nächsten zehn bis 15 Jahre ermittelt
worden -, wurde er von einigen Ministerpräsidenten, beispielsweise dem von Bayern, vehement bezweifelt. Es
war davon die Rede, dass man nicht bereit ist, für weitere
Milliardengräber im Osten geradezustehen, das Wahlverhalten der Ostdeutschen auch keinen Grund biete, das
weiter zu unterstützen, und dergleichen mehr. Also satte
Drohungen aus der Staatskanzlei in München.
({17})
Der jetzige Solidarpakt über 150 Milliarden Euro gibt
den ostdeutschen Gebietskörperschaften eine solide
Finanzgrundlage. Hier wurde eine makroökonomische
Werner Schulz ({18})
Entscheidung getroffen, die Sicherheit bis 2020 gibt.
Manche westdeutsche Kommune bzw. Stadt würde sich
darüber freuen, eine solch sichere Finanzgrundlage für so
lange Zeit zu haben.
({19})
- Ich weiß nicht, was Sie jetzt machen, aber ich wollte Ihnen gerade sagen, was wir jetzt machen.
({20})
Die Wirtschaft im Osten - das zeigt gerade die jüngste
Erhebung des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle - entwickelt sich schneller und kommt eher aus der Talsohle heraus als die im Westen. Es ist deutlich zu sehen:
Wenn die Konjunktur anspringt, springt sie zuerst im
Osten an. Das Interessante am Aufbau Ost ist, dass wir seit
1993 im verarbeitenden Gewerbe einen jährlichen Zuwachs von 6,8 Prozent - das ist fünfmal so viel wie in den
alten Bundesländern - haben. Dieser Strukturwandel
beim Aufbau Ost ist das eigentlich Interessante.
Nach dem Zusammenbruch und dem Staatsbankrott
haben wir eine einzigartige Deindustrialisierung erlebt; es
sind Betriebe abgewickelt worden und alles ist neu
gegründet worden. In der momentanen Phase der
Reindustrialisierung werden zweistellige Wachstumsraten in Zukunftsbranchen wie der Elektronik, der Elektrotechnik, der Medizintechnik und dergleichen mehr erzielt.
Das ist hochinteressant. Diese Arbeitsplätze sind sehr
wichtig für den Osten, weil sie zukunftsfähig sind. 1989
gab es 10 Millionen Arbeitsplätze in der DDR. Jeder, der
die Verhältnisse in der DDR kennt, weiß, dass sich dahinter viele unproduktive Tätigkeiten versteckten: die Betriebsparteiorganisationen, Herr Claus, die GST-Verantwortlichen und dergleichen mehr. Ich würde sagen, dass
deren Arbeit nicht ganz so produktiv war.
({21})
Wir haben heute 6 Millionen Arbeitsplätze in den
neuen Bundesländern.
({22})
Das Neue daran ist, dass es sich dabei um zukunftsfähige
und wettbewerbsfähige Arbeitsplätze handelt, Herr
Grund. Die Basis mag ja noch zu schmal sein - da stimmen wir zu - und die Arbeitslosigkeit ist noch unerträglich hoch - auch darin stimmen wir überein -, aber Sie
müssen Folgendes sehen: Während wir von Ihnen
440 000 ABM-Stellen übernommen haben, ist die Zahl
der ABM-Stellen im Osten heute auf unter 140 000 gesunken. Da trotz Arbeitsplatzabbau in der Bauindustrie
und im öffentlichen Dienst die Arbeitslosigkeit aber
gleich hoch geblieben ist, heißt das, dass sich dahinter ein
ganz dynamisches Wirtschaftswachstum versteckt. Es
sind also jede Menge neue Arbeitsplätze hinzugekommen.
({23})
Auf ein besonderes Phänomen - das Problem beschäftigt uns alle und es ist schwierig, es zu lösen -, auf die Abwanderung bzw. den Weggang junger Leute, möchte ich
noch zu sprechen kommen. Auf der einen Seite sollten wir
daraus kein Drama machen. Wenn ich mich richtig entsinne, haben wir uns damals nicht deswegen gegen die Abriegelung gestemmt, damit jetzt die Jugend ewig drinbleibt,
({24})
sondern damit sie nicht mehr Botschaften in Budapest,
Prag und Warschau besetzen muss, um aus dem Land herauszukommen. Im Übrigen halte ich es für zynisch, wenn
die PDS von einem Ausbluten der Regionen und von einer
Abwanderung wie 1989 spricht. Das war wirklich ein anderer Vorgang. Damals hat die ganze Jugend das Land verlassen, weil sie keine Perspektive mehr sah. Heute gehen
einzelne junge Leute weg, weil sie Perspektiven suchen.
Weil es sich hier aber um ein schwerwiegendes Problem handelt, stellen wir auf der anderen Seite jede
Menge überbetriebliche Ausbildungsplätze zur Verfügung. Im Gegensatz zu Ihrer Regierungszeit hat mittlerweile jeder Jugendliche die Chance auf Ausbildung und
Qualifizierung im Osten.
({25})
Dass junge Leute nicht in einer Region bleiben müssen, wo sie keine Weiterbeschäftigung finden
({26})
- auch wenn Sie hereinrufen, wird es nicht besser -, sondern sich im ganzen Land umschauen können, war eines
der politischen Ziele von 1989. Das muss man nicht als
Verlust betrachten.
({27})
Wir müssen uns darauf einstellen, dass es sehr bald einen höheren Arbeitskräftebedarf im Osten als momentan
geben wird. In den Betrieben gibt es nämlich eine sehr
verfestigte Arbeitsplatzstruktur.
({28})
- Herr Grehn, davon wissen Sie wirklich wenig. Kümmern Sie sich um Ihren Verein!
Herr Kollege Schulz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Büttner?
Ja, gerne.
({0})
Werner Schulz ({1})
- Wissen hat mit Arroganz nichts zu tun, Frau Fuchs.
({2})
Herr
Kollege Schulz, könnten Sie uns einmal erläutern, warum
die Saldozahl der Abwanderer seit dem Regierungswechsel drei Jahre hintereinander dramatisch, und zwar
von damals 10 000 Menschen auf derzeit über 60 000 Menschen, gestiegen ist, wenn das alles so gut gewesen sein
soll? Können Sie uns einmal erklären, warum die jungen
Leute nach wie vor weglaufen?
Herr Büttner, ich war gerade dabei, das zu erklären. Wenn Sie zuhören würden, dann könnten wir uns
ernsthaft darüber verständigen. Wenn Sie den Bericht zum
Stand der deutschen Einheit lesen, dann werden Sie
zunächst einmal feststellen, dass es bei der Abwanderung
ein Nord-Süd-Problem gibt. Die meisten Menschen wandern aus dem Land Niedersachsen ab. Erst dann erscheinen in der Statistik ostdeutsche Bundesländer.
({0})
- Wollen Sie durch diese Zwischenrufe beweisen, dass
Sie diese Debatte ernst nehmen? - Im Zusammenhang mit
der Abwanderung gibt es auch ein Ost-West-Problem:
Viele junge Leute wandern ab, weil sie in der Regel nach
der Berufsausbildung eine Perspektive, also einen Arbeitsplatz, suchen und sich in der Nähe ihres Arbeitsplatzes niederlassen. Das Problem ist - das wollte ich Ihnen
gerade erklären -, dass es im Osten nach 1990 überwiegend Betriebsneugründungen, zum einen Teil Filialbetriebe und zum anderen Teil Zweigbetriebe, also Ableger
von insbesondere westdeutschen Großkonzernen, gab.
Die Besonderheit dieser Betriebe ist aber, dass sie Mitarbeiter im Alter zwischen Anfang 20 und Mitte 40 eingestellt haben. Man hat nicht diejenigen eingestellt, die
50 Jahre oder älter waren. Diese Menschen gingen in den
Vorruhestand oder haben die Altersteilzeitregelung in Anspruch genommen. Eine ganze Generation ist ausgemustert worden. Wenn Sie so wollen, ist das die Tragik.
({1})
Darum gibt es keine natürliche Fluktuation. Es gibt keinen so genannten Altersabgang, der zum Nachrücken
neuer Leute führt. In einigen Jahren wird es im Osten einen sehr plötzlich auftretenden Arbeitskräftebedarf geben.
({2})
Das bedeutet, dass sich die Regionen heute darauf vorbereiten müssen, dass junge Leute nach Ostdeutschland
kommen und bleiben. Das müssen nicht die gleichen
Menschen sein, die dort groß geworden sind. Das ist aufgrund der Dynamik der Binnenwanderung in unserem
Land gar nicht erforderlich. Wichtig ist, dass die Regionen ihre Potenziale stärken, indem sie die Lebensbedingungen für junge Leute attraktiver machen und damit
zum Selbstwertgefühl der Menschen in diesen Regionen
beitragen. Wir bestehen also auf der Verbesserung der so
genannten weichen Standortfaktoren: Es sind dies soziale
Infrastruktur, Bildungsmöglichkeiten, Betreuungsmöglichkeiten für Kinder, Freizeit- und Kulturangebote, all
das, worauf junge Leute heute Wert legen.
({3})
In den ostdeutschen Regionen, in denen man dies berücksichtigt, lassen sich Jugendliche nieder und richten ihren
Lebensmittelpunkt ein. Ich will überhaupt nicht bestreiten, dass das ein schwieriger Prozess ist. Man kann das
Problem aber nicht auf die platte Art abtun, wie Sie das
hier versucht haben. Wir müssen gemeinsam an der Lösung dieses Problems arbeiten.
Ich möchte darauf hinweisen, dass das auch mit der
Einwanderungsfrage - sie wird gleichzeitig an anderer
Stelle diskutiert - in Verbindung steht.
({4})
Wir haben die Mauer nicht nur als einen Akt der Selbstbefreiung überwunden, sondern auch, um deutlich zu machen, dass es sich um ein offenes Land handelt, in das die
Leute auch hineinkommen sollen. Es ist ein Widerspruch,
auf der einen Seite Investitionen hereinholen zu wollen,
auf der anderen Seite die Investoren aber außen vor zu lassen. Wer will, dass ausländisches Kapital investiert wird,
der muss auch für die Investoren und deren Mitarbeiter,
die ins Land kommen, offen sein.
({5})
Warum schütteln Sie denn mit dem Kopf? Sie sagen,
die hohe Arbeitslosigkeit und die Abwanderung im Osten
schlössen Zuwanderung aus. Ich halte diese Verknüpfung
für demagogisch und unverantwortlich. Dies ist eine
törichte Vermutung.
({6})
Wir müssen vielmehr heute Regelungen für das treffen,
was wir morgen brauchen. Wir brauchen qualifizierte,
neue Arbeitskräfte. Wir müssen für die Bevölkerungsentwicklung einiges tun.
({7})
Herr Büttner, Ihnen möchte ich ferner sagen, dass der
Osten unterproportional wenig Ausländer aufgenommen
und integriert hat. In den neuen Ländern lag der Anteil bei
nur 2 Prozent, während er in den westdeutschen Ländern
im zweistelligen Bereich lag. Das hängt mit der Entwicklung in der DDR zusammen. Die PDS könnte sich zu dem
Thema der Einwanderungspolitik bis 1989 einmal äußern.
Wir haben im Grunde noch Restschäden zu beheben.
({8})
- Aber selbstverständlich. Ich würde, wenn wir einmal
mehr Zeit haben, gerne etwas kritischer mit Ihnen über
Werner Schulz ({9})
dieses Kapitel reden, darüber, wie Sie bis 1989 mit Ausländern umgegangen sind.
({10})
Damals hatten sie noch nicht einmal den Status Gastarbeiter.
Aber meine Redezeit ist leider zu Ende. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und die rege Beteiligung.
({11})
Für die
Fraktion der PDS spricht die Kollegin Frau Professor
Dr. Christa Luft.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Schulz, Sie haben
gewiss Recht, wenn Sie sagen, Frau Pieper werde bestimmt nicht Ministerpräsidentin von Sachsen-Anhalt. Da
stimmen wir überein.
({0})
Aber Ihnen muss ich sagen: Weil die Bündnisgrünen im
Osten weder präsent noch gefragt sind, müssen Sie offenbar in solchen Debatten hier so lautstark und überklug reden, wie Sie das eben gemacht haben.
({1})
Sie haben im Osten doch keine Ansprechpartner, die Ihre
klugen Ratschläge und Rezepte aufnehmen würden.
({2})
Den Menschen in den neuen Bundesländern, vornehmlich den Arbeitslosen, den Jugendlichen, die auf gepackten Koffern sitzen, den Handwerksbetrieben, die
keine Aufträge bekommen, nützt der Wettbewerb zwischen den Parteien, der augenblicklich vor der Wahl wieder darüber stattfindet, wer die wohlklingendsten Angebote und Zuwendungen verbaler Art für die betreffenden
Schichten hat, nichts. Sie brauchen handfeste Vorschläge,
Maßnahmen zur realen Veränderung ihrer Situation.
({3})
Die Lage im Osten ist zu ernst, als dass sie sich für billige Wahlkampfattacken eignen würde. Herr Nooke, es
war doch gerade die CDU, die nach 1990 sowohl im Bund
als auch in vier neuen Bundesländern die Regierungen geführt hat und Fehlentwicklungen zu verantworten hat, die
Sie heute - wie ich finde, zu Recht - beklagen.
({4})
Aber ein bisschen Selbstkritik wäre dabei angebracht.
Die neuen Länder sind mit 18 Prozent Anteil an der in
der Bundesrepublik Deutschland lebenden Bevölkerung
aktuell zu 33 Prozent an der Zahl der offiziell Arbeitslosen beteiligt. Das ist eine Katastrophe und das kann man
im zwölften Jahr der deutschen Einheit nicht noch immer
nur auf die Hinterlassenschaften der DDR zurückführen.
Die Arbeitslosen im Osten werden ebenso wie die im
Westen bestimmt mit Begeisterung vom Hocker springen,
wenn sie zur Kenntnis nehmen, dass der neue Präsident
der Bundesanstalt für Arbeit 250 000 Euro im Jahr für
seine Arbeit bekommen soll. Das ist das Doppelte von
dem, was sein Vorgänger bekommen hat. Das ist in der
Öffentlichkeit nicht vermittelbar und das hat, Herr Schulz,
wohl auch nichts mit Arbeitsproduktivität zu tun.
({5})
Die Unternehmenspleiten im Osten erreichen Rekordwerte. Seit 1998 schwillt die Abwanderung junger
Leute wieder massiv an und setzt nach der rigiden Industrieabwicklung durch die Treuhand - das muss man sich
einmal in Erinnerung rufen, Herr Schulz - eine zweite
Welle der Entwertung von Sachvermögen in Gang, das
mit viel öffentlichem und auch privatem Geld aufgebaut
worden ist. Gleichzeitig schrumpft der einstige Vorzug
des Ostens, von dem immer alle gesprochen haben, nämlich sein qualifiziertes Humankapital. Ich denke, das ist
eine Gefahr für die Zukunft.
Dass das Tor jetzt offen ist, ist zu begrüßen. Aber
warum kommen so wenige in die östliche Richtung durch
das Tor?
({6})
Das ist doch die Frage. Ein Herunterspielen dieses Problems ist absolut aberwitzig.
Es herrscht inzwischen Übereinstimmung zwischen
allen Parteien, dass der Nachbau des Westens als Leitbild des Ostens gescheitert ist. Wir von der PDS lehnen
aber auch ein anderes Leitbild ab, nämlich das der
CDU/CSU, das sie in ihrem Antrag vorstellt. Danach soll
der Osten die Vorreiterrolle bei der massenhaften Einführung prekärer Jobs, bei der Flexibilisierung des
Arbeitsmarktes, bei der Herabsetzung sozialer Standards
und bei der Kürzung von Mitwirkungsmöglichkeiten der
Beschäftigten spielen. Auf diese Weise können die
Ostländer nicht zu einer Wachstumsregion ersten Ranges
werden, wie es die CDU/CSU in ihrem Antrag schreibt.
Wir haben ein anderes Leitbild. Wir wollen, dass die
neuen Länder nach den schmerzlichen Umbruchprozessen, von denen keine Familie verschont worden ist, eine
Region mit existenzsichernden und zukunftsfähigen Arbeitsplätzen werden, die die Menschen von einer Alimentierung unabhängig machen.
({7})
Fragen wir, was nach der verunglückten „Chefsache
Ost“ des SPD-Kanzlers nun die Union in einem Sonderprogramm als „was Neues“ für den Osten ankündigt,
dann lautet die Antwort: Viel Neues und Eigenes fällt der
Union nicht ein; denn bürokratische Hemmnisse im BauWerner Schulz ({8})
recht und bei Genehmigungsverfahren abzubauen ist eine
bei Helmut Schmidt abgeschriebene Idee.
({9})
Die Angleichung der Ostgehälter im öffentlichen
Dienst an das Westniveau bis 2007 ist - es tut mir Leid bei der PDS abgeschrieben. Sie fordert sie nämlich seit
langem und wurde dafür immer des Populismus geziehen.
Vor der Wahl meinen Sie jetzt offenbar, auf diesen Zug
aufspringen zu müssen. Wir werden Sie - ohne Frage bei der Erreichung dieses Zieles unterstützen. Aber Sie
müssen noch beweisen, dass Sie es mit Ihrem Vorschlag
ernst meinen. Die Aufstellung des Bundeshaushaltes 2003
steht bevor und bietet die erste Gelegenheit, zu zeigen, ob
Sie zu Ihrem Wort stehen. Auch für die SPD, die die Angleichung im gleichen Zeitraum verwirklichen möchte,
gilt: Wir werden Sie darin unterstützen.
Ansonsten gibt es in dem Programm „Was Neues für
den Osten“ - das ist schon gesagt worden - viele ungedeckte Schecks. Die Finanzierung des Ausbaus der Infrastruktur wird nicht konkretisiert. Es wird angekündigt,
dass man eine Innovations- und Existenzgründeroffensive
starten wolle. Auch deren Finanzierung bleibt unklar. Sie
jonglieren mit Privatisierungserlösen, die Sie noch gar
nicht haben. Im Übrigen gilt: Jede weitere Privatisierung
engt den Handlungsspielraum der öffentlichen Hände ein.
Damit schränken Sie im Übrigen auch die Demokratie
weiter ein.
({10})
Warum sagen Sie von der Union nicht, dass Sie bei Regierungsübernahme die Steuerfreistellung für Veräußerungsgewinne von Kapitalgesellschaften zurücknehmen?
Damit stünde Ihnen ein großer Milliardenbetrag zur Verfügung, um eine Innovations- und Existenzgründeroffensive zu finanzieren. Warum sagen Sie nicht, dass Sie eine
dreijährige Steuerfreiheit für Existenzgründer auch dann
ermöglichen wollen, wenn diese Unternehmen schon in
den ersten Jahren Gewinne machen? Das würde ihre Liquidität erhöhen und damit ihr Überleben ermöglichen.
Warum sagen Sie nicht, dass Sie alles tun werden, um die
schlechte Zahlungsmoral zu bekämpfen? Die schlechte
Zahlungsmoral treibt viele Unternehmen in den Ruin. Es
gibt also viele Möglichkeiten, was man tun könnte.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Die neuen Bundesländer hatten im Unterschied zur alten Bundesrepublik nach 1945, als ein Wirtschaftswunder in Gang gesetzt
wurde, eine völlig andere Ausgangsposition: Sie hatten es
nämlich mit gesättigten Märkten zu tun - im Unterschied
zur alten Bundesrepublik, die auf ungesättigte Märkte gestoßen ist. Auf gesättigten Märkten kann man sich aber
nur etablieren, wenn man technologie- und forschungsintensive Erzeugnisse und innovative Leistungen anbieten
kann. Das setzt aber voraus, dass die ostdeutschen Länder
eine Region mit attraktiven Möglichkeiten für Bildung,
Wissenschaft, Forschung und Kultur werden.
({11})
In diesem Fall werden sich junge Leute dort zu Hause
fühlen und durch ihr Bleiben verhindern, dass die neuen
Länder zu einem Altenheim werden, was der ganzen Bundesrepublik Deutschland nicht gut tut.
Es ist also wichtiger, dass das Kapital zur Arbeit geht
und dass die Arbeit nicht ständig dem Kapital hinterherläuft. Dafür brauchen wir neue Weichenstellungen, die im
Antrag der CDU/CSU nicht enthalten sind. Auch die SPD
muss auf diesem Gebiet noch einiges leisten.
({12})
Ich gebe
dem Kollegen Rainer Fornahl für die SPD-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute zum zweiten Mal in diesem Jahr über den Aufbau Ost. Das ist eine
gute Gelegenheit, sich den Jahresbericht 2001 zum Stand
der deutschen Einheit einmal anzuschauen. Er ist aufschlussreich und sehr interessant und zeigt, welches Ergebnis man mit einem konstruktiven und engagierten Regierungshandeln für die neuen Bundesländer erreichen kann.
Die heute vorliegenden Anträge der Opposition bieten
wenig Anlass, sich intensiv mit ihnen auseinander zu setzen. Sie von der Opposition handeln auf diesem Gebiet
schon seit Jahren nach dem Motto „Am Anfang war der
Plan, am Ende war er falsch“. Die Ostdeutschen wissen,
wovon ich rede; sie alle kennen diesen Spruch. Ihre „Ostexperten“ sind von Berlin über Dresden bis nach Wörlitz
geeiert und geschlingert oder sind, um der FDP die Ehre
zu geben, „getürkt“ und „gepiepert“. Wenn diese Anträge
im Ergebnis ein Konzept für die neuen Bundesländer darstellen sollen, dann sind wir uns, wie ich glaube, darüber
einig, dass das nicht viel taugt. Es ist, wenn ich das einmal vergleichen darf, wie ein Schwamm: Drückt man ihn
aus, kommt nur laue Luft heraus. Das Ganze sind ungedeckte Schecks, wie Frau Professor Luft schon gesagt hat.
So kommen wir nicht weiter.
({0})
Das Handeln der Regierung und der rot-grünen Koalition seit 1998 ist, wie ich meine, die richtige Antwort auf
die Probleme in den neuen Bundesländern und insbesondere auf die Hinterlassenschaften von Kohl und Co. Erinnern wir uns einmal an die 90er-Jahre. Die jahrelange
Deindustrialisierung mit der Zerstörung fast aller industriellen Kerne im Osten ist die entscheidende Ursache
dafür, dass wir heute - das ist hier schon gesagt worden eine unerträglich hohe Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern zu verzeichnen haben. Es ist übrigens auch
gestern in der europapolitischen Debatte - mit Blick auf
Herrn Merz, den Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU sehr treffend beschrieben worden, dass die Politik, die
CDU/CSU und FDP in den 90er-Jahren mit Blick auf die
ostdeutsche Industrie gemacht haben, ein industriepolitisches „Meisterstück“ gewesen ist.
({1})
- Ich lebe im Jahr 2002. Ich bin Mitglied der Regierungskoalition, und zwar des Teils, der sich mit dem Thema
Aufbau Ost konstruktiv und aktiv auseinander setzt und
die richtigen Konzepte umsetzt.
({2})
Ich will mich, nach dem Motto „Gesagt - getan“, nun
auf zwei Komplexe unseres Regierungshandelns konzentrieren, und zwar zum einen auf die Infrastruktur und
zum anderen auf den Stadtumbau. Eine gute Infrastruktur ist - das ist schon angesprochen worden - eine ganz
wesentliche Voraussetzung für die Verbesserung der
Standortbedingungen und für Unternehmensansiedlungen. Zur Förderung der Infrastruktur gehört zuallererst
der Solidarpakt II mit der sicheren Finanzierung bis zum
Jahr 2019. Dazu gehört aber auch das Investitionsprogramm 1999 bis 2002, von dem immerhin 50 Prozent der
Mittel - das sind fast 20 Milliarden Euro - in die neuen
Länder fließen. Dazu gehört das kürzlich beschlossene
Mobilitätsprogramm 2010, insgesamt finanziert mit
80 Milliarden Euro für die Verkehrsinfrastruktur in
Deutschland, die zu einem großen Teil in die neuen Länder fließen. Dazu gehört das Zukunftsinvestitionsprogramm, das bis 2007 fortgeschrieben wird und 1,5 Milliarden Euro für Schienen und Straßen insbesondere auch
in den neuen Bundesländern enthält. Dazu gehört aber
natürlich auch der neue Bundesverkehrswegeplan, den
wir im nächsten Jahr verabschieden werden; die Vorbereitungen dazu sind weitgehend abgeschlossen. - Diese
Programme ergeben ein solide durchgearbeitetes Konzept
mit einem Schwerpunkt auf den neuen Bundesländern,
durch das sich die Verkehrsinfrastrukturprojekte im Bereich der Straße, Schiene und Wasserwege vernünftig vernetzt realisieren lassen.
({3})
Dazu gehört insbesondere auch die Zusage von Bundeskanzler Gerhard Schröder, zentrale Infrastrukturprojekte jetzt sicher finanziert zu beginnen oder fortzuführen.
Ich erinnere den Bau der A 14 nördlich von Magdeburg,
an die Fortführung der A 72 von Chemnitz nach Leipzig
und insbesondere an den Weiterbau der ICE-Neubaustrecke von Nürnberg über Erfurt nach Halle/Leipzig
oder, wie man sagen kann, von Berlin nach München, damit der bayerische Ministerpräsident auch nach dem
22. September mit der Eisenbahn zu seinen Bundesratssitzungen fahren kann.
({4})
Genau das, was ich eben angesprochen habe, ist konstruktive und aktive Aufbaupolitik.
Aber auch der Stadtumbau ist eine Hinterlassenschaft
von Kohl und Co. Wir haben 1 Million Arbeitslose aufgrund einer völlig verfehlten Förder- und Steuerpolitik.
Wir haben das Problem angepackt. Wir haben 1999 die
Lehmann-Grube-Kommission eingerichtet. Uns liegt eine
Analyse der Situation bei der Wohnungswirtschaft vor,
wir haben Vorschläge, wir haben Konzepte. Diese haben
wir mit dem Stadtumbauprogramm umgesetzt. Bund,
Länder und Gemeinden finanzieren insgesamt 3 Milliarden DM bis zum Jahr 2009. Die Kommunen nehmen dieses Programm außerordentlich gerne an; sie sind begeistert. Es gibt Hunderte von Modellprojekten und erste
erfolgreiche Einzelmaßnahmen.
({5})
Natürlich ist eine Umschichtung der Mittel nicht zu
vermeiden gewesen. Aber wir brauchen keine neuen Wohnungen, sondern eine Aufwertung der Stadtquartiere und
eine bessere Lebensqualität der Menschen in den neuen
Bundesländern. Eben dafür wird das Geld ausgegeben.
Das ist die praktische Umsetzung unseres Leitbildes für
Ostdeutschland: der Osten, ein starkes Stück Deutschland! Unsere Politik ist auf die Zukunft gerichtet.
({6})
Noch eines zu Ihrem Kanzlerkandidaten: Herr
Stoiber sagt, er mache den Osten zur „Herzenssache“. Mit
seinen Ideen und Vorschlägen, insbesondere zu dem hier
schon angesprochenen Risikostrukturausgleich, hat er
aber deutlich gemacht, dass dies nicht stimmt. Frei nach
dem Märchen von Wilhelm Hauff, das wir alle kennen,
handelt es sich wohl eher um das „kalte Herz“. Es ist der
kalte Edmund, der hier Kanzler werden will. Er wird es
aber nicht schaffen, keine Bange!
Im Tenor ist die Opposition auf der rechten Seite dieses Hauses immer gleich: Sie reden Land und Stimmung
schlecht und demotivieren damit die Menschen in den
neuen Bundesländern. Das ist fatal. Denn die Menschen
in den neuen Bundesländern sind es, die für den Aufbau
Ost gearbeitet haben, arbeiten und noch arbeiten werden.
Wir müssen sie motivieren und unterstützen - wie mit unseren Konzepten, unseren Programmen.
({7})
Noch eines will ich Ihnen sagen: Sie kennen alle den
Spruch „Schwarz hören und sehen kommt teuer zu stehen“. Aber Schwarzmalerei bekommt am Ende uns allen
schlecht.
Vielen Dank.
({8})
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Peter Rauen.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Von Schönfärberei haben die Leute in den neuen Bundesländern überhaupt
nichts.
({0})
Faktum ist: In den letzten drei Jahren ist die Wirtschaft in den neuen Bundesländern weniger stark gewachsen als in den alten Bundesländern; das war nach der
Wende völlig anders. Wenn das so bleibt, kommen wir
dem Ziel, gleiche Lebensverhältnisse herzustellen, nicht
näher; der Unterschied wird sogar noch größer werden.
({1})
Wir brauchen nicht herumzureden: Das gründet sich auf
Ereignisse, die von dieser Regierung - nicht von irgendeiner Vorgängerregierung - zu verantworten sind.
({2})
Der Aufbau selbstständiger Existenzen in den neuen
Bundesländern ist faktisch zum Stillstand gekommen.
Während der Saldo aus Gewerbeanmeldungen und -abmeldungen in 1998 noch fast 19 000 betrug, belief er sich
im letzten Jahr gerade noch auf 1 000. In einigen neuen
Bundesländern, zum Beispiel in Sachsen-Anhalt, haben
mehr Firmen dicht machen müssen, als neue hinzugekommen sind. Ohne Unternehmer gibt es aber keine
Arbeitsplätze.
Das Ganze wird flankiert von einem gewaltigen Rückgang der Zahl der Erwerbstätigen und einer Arbeitslosigkeit, die in den neuen Ländern doppelt so hoch ist wie in
den alten. Da gibt es nichts zu beschönigen; das ist die
traurige Wahrheit.
Das ganze Ausmaß der Beschäftigungsmisere wird an
einer Feststellung deutlich, die der Sachverständigenrat in
seinem jüngsten Jahresgutachten getroffen hat: Im Jahre
2000 betrug die Erwerbstätigenquote - also das Verhältnis von Erwerbstätigen zu Erwerbspersonen - in den
neuen Bundesländern gerade noch 78,8 Prozent. Diese
Zahl ist dramatisch; auch hier gibt es nichts zu beschönigen.
Natürlich trifft die Rezession, in der wir uns befinden,
die neuen Bundesländer weit stärker als die alten Bundesländer. Denn in Bezug auf die Binnennachfrage kann
man schon seit Anfang letzten Jahres von Rezession sprechen, wobei aufgrund der höheren Exportanteile der Wirtschaft in den alten Bundesländern einiges noch für etliche
Zeit kaschiert werden konnte. Über diese Fakten kann
man einfach nicht hinweggehen.
Was mir, liebe Kolleginnen und Kollegen, unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten am meisten Sorge
macht, ist die Tatsache, dass die Lücke zwischen Lohnkosten und Produktivität in den letzten drei bis vier Jahren konstant bei 25 Prozent verharrt. Das heißt, die Menschen in den neuen Bundesländern sind nicht in der Lage,
die Kosten für Arbeit, insbesondere im Dienstleistungsbereich, zu tragen. Wenn diese Lücke nicht geschlossen
wird, kann es nicht zu einem sich selbst tragenden Aufschwung kommen.
An dieser Stelle will ich als Mittelständler deutlich sagen: Die Chance sind die Mittelständler, die selbstständigen Unternehmen in den neuen Bundesländern.
({3})
Der Unternehmer ist nicht dazu da, Arbeitsplätze zu
schaffen. Er ist dazu da, die Wünsche seiner Kunden zu
bezahlbaren Preisen zu erfüllen. Daraus erwachsen dann
Aufträge und daraus wiederum Arbeitsplätze. Deshalb ist
das ungünstige Verhältnis zwischen Produktivität einerseits und Lohnkosten andererseits aus meiner Sicht verheerend.
({4})
- Herr Schulz, ich respektiere Ihr Bemühen. Es wäre besser, Sie würden mir zuhören, statt einfach dazwischenzuquatschen.
({5})
Ich bemühe mich mit Sicherheit genauso wie Sie, hier
eine Lösung zu finden. Ich darf Sie also bitten, mir zuzuhören, wie ich auch Ihnen zugehört habe.
Wir wissen seit langer Zeit, dass 10 Prozent der verringerten Produktivität auf fehlender Infrastruktur basieren. Dieses Problem können die Firmen bzw. die Menschen nicht beheben, das muss der Staat tun. Er muss
diese Infrastrukturlücken viel schneller schließen, als es
zurzeit geschieht.
({6})
Ich war vor zwei Abenden in der Altmark, einem dünn
besiedelten Raum. Dort gibt es die gleichen Probleme wie
in vielen anderen dünn besiedelten Räumen auch. Solche
Räume kommen erst dann auf die Beine, wenn sie durch
Autobahnen erschlossen werden. Dies haben wir in meiner Heimat, der Eifel, und auch in der Oberpfalz erlebt.
Das wird in der Altmark genauso sein. Dazu muss aber die
Anbindung an Magdeburg, Schwerin und Hamburg sehr
schnell kommen, sonst kann sich dieser Raum nicht entsprechend entwickeln.
({7})
Die Menschen, die dort leben, können nicht 20 Jahre warten, bis dies passiert.
Ich habe an dieser Stelle schon öfter darauf hingewiesen: Finanzminister Eichel hat den Bundeshaushalt in erster Linie über die Senkung der Investitionen konsolidiert.
Die Investitionsquote in diesem Jahr mit 10,1 Prozent ist
die niedrigste, die es jemals in Deutschland gegeben hat.
Trotz der UMTS-Milliarden investiert dieser Finanzminister in Absprache mit dem Kanzler im Jahre 2002
5 Milliarden Euro weniger als 1998. Man braucht nicht
darum herumzureden: Dadurch sind keine Mittel da, um
die notwendigen Maßnahmen zu finanzieren.
({8})
Ich sage es noch einmal sehr deutlich - dies haben auch
die Präsidien der Union gesagt -: Selbst dann, wenn wir
es schaffen, dass die Wirtschaft wieder anspringt, wird
es uns nicht gelingen, die entsprechenden Mittel frei zu
bekommen, um die notwendigen Autobahnen und Verkehrswege schnell zu bauen. Deshalb muss man dafür
privates Kapital mobilisieren.
({9})
Was getan werden muss, ist klar: Wir brauchen Konzessionsmodelle mit privater Vorfinanzierung in der Planungs- und Bauphase, um dann, wenn die Maßnahme fertig ist und volkswirtschaftlichen Nutzen bringt, das Geld
zurückzuzahlen.
({10})
Ich möchte noch etwas anderes sagen, weil ich schon
seit langem der Ansicht bin, dass wir dies alles ändern
müssen: Wenn ich mich mit Vertretern von Firmen in den
neuen Bundesländern unterhalten habe, die um ihre Existenz kämpfen, habe ich mir oft die Frage gestellt,
({11})
ob ich selbst vor 37 Jahren unter diesen Ausgangsvoraussetzungen auf die Beine gekommen wäre. Ich fürchte,
nicht. Wir in den alten Bundesländern haben uns mit
wachsendem Wohlstand erlaubt, den Firmen immer mehr
bürokratische Regelungen aufzuerlegen. Nach der
Wende haben wir all das, was wir geglaubt haben, uns an
bürokratischen Regelungen leisten zu können, den neuen
Bundesländern aufgestülpt.
({12})
Wir haben nicht daran gedacht, ob die jungen Unternehmen, die noch keine Erfahrung und auch kein Eigenkapital haben, mit diesen Regulierungen fertig werden können.
({13})
Dazu muss man deutlich sagen: Dabei hat diese Regierung am meisten gefehlt. Ihr habt die von uns eingeführten Deregulierungen rückgängig gemacht und den Arbeitsmarkt weiter reguliert. Das ist für die neuen
Bundesländer natürlich tödlich.
({14})
Ich bin mir sicher, dass dieses System schnell wieder
umgedreht werden kann. Ich bin dankbar - dazu können
Sie jetzt sagen, was Sie wollen -, dass unsere Präsidien
klar gesagt haben:
({15})
Wenn wir an die Regierung kommen, werden wir Öffnungs- und Experimentierklauseln einführen, damit dieses Übermaß an Bürokratie zumindest in den neuen Bundesländern beseitigt werden kann.
({16})
Ich habe schon vor einiger Zeit mit den Ministern
Fürniß aus Brandenburg und Schommer aus Sachsen gesprochen. Diese haben ganz klar gesagt: Wenn unsere
Länder Experimentierfeld für Deregulierungen wären,
könnten wir viele Probleme selbst lösen, die wir so nicht
lösen können. Wir sollten das ernst nehmen, was diese
Leute sagen.
Wir müssen aber auch die erforderlichen Maßnahmen
ergreifen, um wieder einen funktionierenden Niedriglohnsektor zu schaffen.
({17})
- Nein, nein. - Es ist ein unerträglicher Zustand, dass angesichts von 6 Millionen Menschen in unserem Land, die
offen oder verdeckt arbeitslos sind, im Bundesrat zurzeit
darüber nachgedacht wird, ob wir zur Besetzung von Arbeitsplätzen auch im Niedriglohnbereich mehr Zuwanderung zulassen sollten. Die in diesem Bereich bestehenden
Arbeitsplätze werden teilweise nicht besetzt, weil sich
netto diese Arbeit für den Einzelnen nicht lohnt.
Es wäre doch besser, wenn wir dieses Geld, anstatt es
in ABM-Organisationen zu stecken, die dann noch in
Konkurrenz zu mittelständischen Firmen treten, in Wirtschaftsbereiche investieren würden, in denen noch nicht
so hohe Löhne wie an anderer Stelle gezahlt werden können, es also den Menschen gäben, damit sie netto deutlich
mehr von ihrem geringen Lohn zur Verfügung haben.
({18})
Damit wäre sehr viel mehr getan als das sinnlose Verschwenden von Geld für die Sanierung des Arbeitsmarktes.
({19})
Wenn die Menschen in den neuen Bundesländern eine
Perspektive haben sollen, werden sie noch für eine ganze
Reihe von Jahren auf die finanzielle Solidarität der alten
Bundesländer angewiesen sein. Diese finanzielle Solidarität reicht aber nicht aus. Nur wenn wir es schaffen, unsere Volkswirtschaft als Ganzes wieder leistungsfähiger
zu machen, wenn wir den Mut haben, durch strukturelle
Reformen die Voraussetzungen für mehr Wachstum und
Beschäftigung zu schaffen, können wir den Menschen in
den neuen Bundesländern die Perspektive auf dauerhafte
Prosperität und wachsenden Wohlstand eröffnen.
Schönen Dank.
({20})
Das Wort
hat der Staatsminister im Kanzleramt Rolf Schwanitz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte
heute ist entstanden, weil die CDU/CSU einen Antrag
zum Aufbau Ost auf die Tagesordnung gesetzt hat.
({0})
Ich hatte gehofft, zu erfahren, worin das neue Konzept der
CDU/CSU im Hinblick auf Ostdeutschland besteht.
({1})
Ich kann für mich persönlich nur folgendes Resümee
ziehen: Glatte Fehlanzeige sowohl im Hinblick auf den
Antrag als auch im Hinblick auf die Debatte!
({2})
Was in dem Antrag steht, ist entweder etwas, was wir
schon tun - ich füge hinzu, dass wir es besser tun, als Sie
es formuliert haben und es wollen -, oder es sind glatte
Luftnummern, also Dinge, die man aus grundsätzlichen
Überlegungen inhaltlich ablehnen muss. Es gibt bei der
CDU/CSU kein Konzept für Ostdeutschland. Das ist einer
der ersten großen Mängel - es gibt zwei -, die in Ihr Kontor schlagen.
Mich erinnert Ihr Vorgehen übrigens immer mehr an
die Marx-Karikatur von Roland Beier aus dem Jahre
1990; ich weiß nicht, ob Sie sich noch daran erinnern. Da
steht der kleine, dicke, knubbelige Marx mit den Händen
in den Hosentaschen, schaut auf die Landschaft und sagt:
„Tut mir leid, Jungs! War halt nur so ‘ne Idee von mir.“
Genau nach diesem Muster - so ist mein Eindruck - funktioniert die programmatische Arbeit der Union.
({3})
Das ist das Prinzip von Versuch und Irrtum, das sich offensichtlich seit vielen Wochen durch Ihre programmatische Arbeit zieht. Ob es um die Steuerreform, die Neuverschuldung, die Ökosteuer, den Atomausstieg oder jetzt
um den Aufbau Ost geht: Überall Versuch und Irrtum!
Ich möchte an Folgendes erinnern - vorhin ist dies angedeutet worden -: Ihr Vorschlag war ein 20-MilliardenDM-Programm. Dann gingen Sie in Klausur und dann kamen Bedenken: Das Geld haben wir eigentlich schon in
der letzten Legislaturperiode verausgabt. - Also Rückzug
von dieser Forderung. Es wurde von der Tagesordnung
abgesetzt.
Ein zweiter Vorschlag, den ich von Ihnen in den letzten
Wochen gehört habe: mehr Spielräume durch Neuverschuldung. Es gebe ein Schlupfloch in der Größenordnung von 2,3 Prozent; dieses müsse man aktivieren und
ausschöpfen. Dann gingen Sie in Klausur und dann kamen
die Bedenkenträger: Der Stabilitätspakt stammt von uns.
Dies geht nicht. Schulden haben wir zudem. - Also Rückzug von diesem Vorschlag. Er spielt keine Rolle mehr.
Dann kam ein dritter Vorschlag: Man wollte die Investitionszulage kappen, um Investitionen im Hinblick auf
die Infrastruktur fördern zu können. Dann gingen Sie wiederum in Klausur. Ich nehme einmal an, dass dann Ihre
Mittelstandsorganisation sagte: Das ist nicht gut; wir sind
eigenkapitalschwach. Wir brauchen diese Hilfen. - Die
FDP hat das heute - das finde ich in Ordnung - richtig
kommentiert. Aber dieser Vorschlag ist noch immer Teil
der Programmatik der CDU/CSU. Sie mildern es offensichtlich ab und sprechen jetzt von Rückzug; Sie nehmen
es wieder heraus.
Man könnte die Beispiele fortführen. Das Prinzip Versuch und Irrtum zieht sich bei Ihnen wie ein roter Faden
durch die Programmatik.
({4})
Das ist übrigens ein gutes Prinzip für naturwissenschaftliche Experimente, aber nicht für die Politik und schon gar
nicht für die Politik in Ostdeutschland.
({5})
Sie sind aus dem Stadium einer programmatischen Selbstfindungstruppe noch nicht heraus. Mal sehen, wie lange
das bei Ihnen noch dauert. - Das ist der erste Grundmangel.
Auch den zweiten Grundmangel will ich nicht unterschlagen. Es geht um den Mangel an Solidarität Ihres
Kandidaten gegenüber Ostdeutschland.
({6})
Das ist so, das müssen Sie sich anhören. Dafür gibt es eine
ganze Reihe von Beispielen.
An diesem Punkt möchte ich noch einmal auf den Länderfinanzausgleich zurückkommen.
({7})
Man muss es sich einmal auf der Zunge zergehen lassen,
dass Bayern 37 Jahre lang - die Öffentlichkeit sollte das
trotz Ihrer Zwischenrufe ruhig hören - Nehmerland war.
Als die Ostdeutschen 1989 aufgestanden sind und die
friedliche Revolution durchgeführt haben - das war der
erste Schritt zur deutschen Einheit -, wurde Bayern zum
ersten Mal Geberland.
1995 gab es den Einstieg in den gesamtdeutschen Risikostrukturausgleich.
({8})
Zwei Jahre später war Bayern das erste Land, das nach
Karlsruhe rannte, um eine Verfassungsklage einzureichen.
({9})
Das haben die Menschen nicht vergessen. Natürlich sagen
Sie immer, dass das mit Ostdeutschland nichts zu tun
habe, dabei gehe es ja nur um Gerechtigkeit usw. Wer das
behauptet, möge sich daran erinnern, was Herr Stoiber
noch vor einem halben Jahr als bayerisches Modell für die
Reform des Länderfinanzausgleichs vorgeschlagen hat.
Nach diesem Modell würden die neuen Bundesländer
7,8 Milliarden Euro weniger erhalten. So sieht Ihre Betroffenheit bezüglich Ostdeutschland aus; das ist Ihre Interessenlage.
({10})
Das ist keine Vergangenheits-, sondern eine Gegenwartsbetrachtung. In der politischen Auseinandersetzung
muss diese erfolgen, weil das Handeln Ihres Kandidaten
entsprechend ist. Das haben wir aktuell beim Risikostrukturausgleich auf der politischen Agenda gesehen. Es
ist die Dublette zum Länderfinanzausgleich. Sie wissen
ganz genau, dass die Konsequenzen für die medizinische
Versorgung der Menschen und für die Lohnsituation der
Arbeitnehmer - ein direktes Hineingreifen in die Lohntüte wäre die Folge - in Ostdeutschland katastrophal
wären. Eine Explosion der Lohnnebenkosten - Herr
Rauen, Sie haben davon gesprochen, dass die Kosten der
Arbeit zu hoch seien - wäre die unmittelbare Folge für
den Standort Ostdeutschland.
({11})
So handelt Ihr Kandidat aktuell.
({12})
Ich sage Ihnen deswegen: Wir werden Ihnen dabei
helfen,
({13})
dass diese Unterschiede klar werden; denn die Menschen
müssen wissen, worüber sie im September abstimmen. Da
gibt es klare Alternativen. Der Aufbau Ost - dabei bleibt
es - ist für uns eine gesamtdeutsche Zukunftsaufgabe,
({14})
bei der solche Egoismen überhaupt keine Rolle spielen
dürfen.
({15})
Mit dem Solidarpakt II haben wir den Einstieg gemacht. Diesen werden wir auch fortsetzen. Es bleibt dabei, dass wir die Investitionen in Bildung, Forschung und
Entwicklung sowie Innovationen auf der Grundlage solider Haushaltsfinanzen verstärken werden.
({16})
Entgegen dem, was Sie in Ihrem Programm vorschlagen,
darf die Investitionsfähigkeit der ostdeutschen Wirtschaft
nicht untergraben werden.
({17})
Es bleibt auch dabei, dass wir den Infrastrukturausbau
verstärken
({18})
- ich bin gleich fertig, dann können Sie eine Kurzintervention machen -, und zwar - so haben wir es auch gesagt - konkret bezogen auf einzelne Maßnahmen. Wir
werden den Leuten nichts vom Wolkenkuckucksheim erzählen.
({19})
Meine Damen und Herren, dies alles werden wir auf
der Grundlage eines soliden Generationenvertrages machen; denn die faulen politischen Kompromisse, die die
Enkelgeneration bezahlen muss, müssen aufhören.
({20})
Wir müssen dafür arbeiten, dass die Haushaltsfinanzen
gesunden, um nicht zuletzt auch für Ostdeutschland neue
Spielräume zu ermöglichen. Ich glaube, die Alternativen
sind klar. Die Menschen werden die Alternativen im September zu würdigen wissen. Dessen bin ich mir sicher,
Herr Nooke.
Herzlichen Dank.
({21})
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Manfred Grund.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege
Schwanitz hat sich wenig mit dem Bericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit, sondern
wie seine Vorredner von der Koalition sehr viel mit der
Unionsfraktion und dem Kanzlerkandidaten beschäftigt.
Herr Kollege Schwanitz, wir sollten bei der Wahrheit
bleiben, insbesondere wenn Sie die Klage der Länder
Bayern und Baden-Württemberg gegen den Länderfinanzausgleich ansprechen.
({0})
Zu der Zeit, als die beiden Länder gegen die Ausgestaltung des Länderfinanzausgleiches geklagt haben, ist das
Land Hessen unter dem damaligen Ministerpräsidenten
Eichel, dem jetzigen Finanzminister, dieser Klage beigetreten. Allen drei Ländern ging es nicht um den Transfer
von West nach Ost, sondern um die nicht mehr verfassungsgemäße Ausgestaltung dieses Länderfinanzausgleiches. Das Bundesverfassungsgericht hat dieser
Klage Rechnung getragen und uns allen gemeinsam aufgetragen, den Länderfinanzausgleich neu zu ordnen, was
zur Zufriedenheit aller geschehen ist.
({1})
Ich finde es in einem Rechtsstaat sehr bedenklich,
wenn man jemanden, der seine verfassungsgemäßen
Rechte einklagt, beschuldigt, etwas Falsches zu machen,
oder ihm unterstellt, er wolle den neuen Bundesländern
das, was ihnen zusteht, nicht zukommen lassen. Herr Kollege Schwanitz, ich wünsche mir gerade in diesem Punkt
ein bisschen mehr Wahrhaftigkeit.
({2})
Wir diskutieren heute eigentlich - das muss ich betonen - in verbundener Debatte die Anträge von CDU/CSU
und FDP über den Aufbau der neuen Bundesländer und
den Jahresbericht 2001 der Bundesregierung zum Stand
der deutschen Einheit. Sie haben nichts Eigenständiges
vorgelegt. Dementsprechend waren, Herr Kollege
Schubert und Herr Kollege Schulz, Ihre Reden angelegt.
Das, was uns in den neuen Bundesländern umtreibt, kann
man durchaus als Sachverhalt auflisten, ohne dabei
schönzufärben oder schwarz zu malen.
({3})
Bei den heutigen Reden hat man den Eindruck, dass
wir offensichtlich nicht nur eine gespaltene Wahrnehmung, sondern auch eine gespaltene Wirklichkeit haben.
Wahrscheinlich reden wir von einem gespaltenen Land.
({4})
Insoweit hätte der Bericht zum Stand der deutschen Einheit mit „Bericht zur Lage der Nation im gespaltenen
Deutschland“ überschrieben sein können. Diese Spaltung
ist nicht mehr allein ein Resultat der Spaltung von vor
1989. Seit 1998 klafft die Schere zwischen Ost und West,
die sich bis zu diesem Zeitpunkt etwas geschlossen hatte
- leider war es nicht genug -, wieder weiter auseinander.
Ich will Ihnen das anhand von zwei Grafiken beweisen,
weil vorhin der Zwischenruf kam: Sie glauben wahrscheinlich nur Ihren eigenen gefälschten Statistiken. Die
erste Grafik zeigt die Verteilung der Kaufkraft:
Deutschland ist zwischen Ost und West geteilt. Die letzte
Kaufkrafttabelle aus dem Jahr 2000 zeigte für den Osten
noch eine positivere Entwicklung als die von 2002. Das
heißt, die Kaufkraft in den neuen Bundesländern war
schon höher gewesen.
Ich zeige Ihnen die zweite Tabelle.
({5})
- Es ist nicht die Wetterkarte, Kollege Schulz. Bitte nehmen Sie das Ganze etwas ernster. - Diese Tabelle zeigt die
regionale Verteilung der Arbeitslosigkeit. Wie man sehen kann, ist Deutschland in Ost und West gespalten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD
und den Grünen, der weiße Fleck hier zeigt Ihre „Terra
incognita“, das unbekannte Land. Dieses Land, das Sie
links liegen gelassen haben, sind die neuen Bundesländer.
({6})
Nach dreieinhalb Jahren rot-grüner Bundesregierung
geht die Schere zwischen Ost und West weiter auseinander. Die Spaltung vertieft sich. Sie haben die neuen Bundesländer 1998 in einer besseren Verfassung vorgefunden,
als Sie sie im Jahre 2002 übergeben werden.
({7})
Ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht: Am 21. April dieses Jahres wird in Sachsen-Anhalt Schluss mit lustig
sein. Dann steht nämlich das rot-rote Experiment in Sachsen-Anhalt zur Wahl und mit großer Wahrscheinlichkeit
zur Abwahl. Die Menschen in Sachsen-Anhalt haben
es nicht verdient, aufgrund der verfehlten Wirtschafts-,
Sozial- und Arbeitsmarktpolitik des Bundes und in Sachsen-Anhalt Schlusslicht in Deutschland zu sein. Wo RotRot draufsteht, ist die rote Laterne drin.
({8})
Ich möchte noch etwas zu den Unterschieden sagen.
Wir müssen uns Klarheit über die Ausgangssituation verschaffen, um zu wissen, was wir zu tun haben. Das Wirtschaftswachstum schrumpft in den neuen Bundesländern
um 0,3 Prozent. Erstmals seit zehn Jahren geht damit das
Wirtschaftswachstum zurück. Die Schere geht weiter auseinander. Die Kluft wird größer. Auch im laufenden Jahr
rechnen die Wirtschaftsforschungsinstitute mit einem
zurückgehenden Wirtschaftswachstum.
Kollege Schulz, Sie haben vorhin gesagt, ein bisschen
Abwanderung, ein bisschen Wanderung hin und her, ein
bisschen Bewegung von Nord nach Süd, von Ost nach
West könne gar nicht schaden, denn irgendwann kämen
die alle mal wieder. Gleichzeitig haben Sie gesagt, trotz
Abwanderung und Rücknahme bei der zweiten Arbeitsmarktpolitik sei die Zahl der Arbeitslosen konstant geblieben. Es kann sein, dass ich falsche Zahlen habe,
({9})
aber in diesem Jahr haben wir mit 19,2 Prozent Arbeitslosenquote die höchste Arbeitslosigkeit, die wir in den
neuen Bundesländern jemals gehabt haben. Wir haben uns
in der Differenz zu den alten Bundesländern vom 1,8-fachen auf das 2,3-fache hoch bewegt. Die Schere ist also
bei der Arbeitslosigkeit auseinander gegangen; also nichts
von gleich bleibender Arbeitslosigkeit. Kollege Schulz,
schauen Sie sich die Zahlen einmal etwas genauer an.
({10})
Was uns gemeinsam am meisten umtreiben muss, ist die
Tatsache, dass auf 1,4 Millionen Arbeitslose in den neuen
Bundesländern gerade einmal 67 500 offene Stellen kommen, das heißt, auf jeden 22. Arbeitslosen kommt eine offene Stelle. Wer angesichts dieses Umstandes eine derart
unstrukturierte Debatte über den Abbau der Arbeitsmarktpolitik am zweiten Arbeitsmarkt lostritt und gleichzeitig
noch stolz darauf ist, das von 450 000 auf 140 000 heruntergefahren zu haben, dem fehlt die notwendige Ernsthaftigkeit, sich mit diesem Thema zu beschäftigen.
({11})
Herr Kollege Schwanitz, Sie haben gefragt: Wo sind
Ihre neuen Konzepte? Es sind einige Punkte dabei, die
auch in unserem Antrag stehen. Vieles davon haben wir
schon bis 1998 gemacht. Man muss nicht alles neu erfinden, kann es aber konsequenter fortführen und einige Fehler, die Sie in den letzten vier Jahren gemacht haben, abstellen. Ich nenne als Beispiel die Infrastruktur. Nach
wie vor bleiben wir dabei: Ein Vorziehen des Ausbaus der
Infrastruktur wäre eine große Hilfe für Standorte in den
neuen Bundesländern.
({12})
Mein Kollege Peter Rauen hat davon gesprochen, dass
ungefähr 15 Prozent der Produktivitätslücke auf eine
mangelnde Infrastruktur zurückzuführen sind. Wir wollen
diese Infrastrukturlücke und damit auch die Produktivitätslücke schneller schließen.
({13})
Sie machen es halt nicht, Herr Kollege Fornahl. Sie haben
eines der wichtigsten Infrastrukturprojekte in den neuen
Bundesländern, nämlich die ICE-Trasse von München
über Nürnberg, Erfurt nach Berlin, vor drei Jahren ohne
Begründung gestoppt, sie drei Jahre verzögert und stellen
sich nun als Erfinder des Ganzen hin.
Wenn die Frage gestellt wird, wie das Ganze zu finanzieren ist, muss ich Ihnen sagen: Während die ICE-Trasse
in Thüringen gestoppt wurde, wird parallel in derselben
Zeit eine ICE-Neubaustrecke von Frankfurt am Main
nach Köln gebaut. Die Baukosten für dieses Projekt haben
sich verdoppelt und kein Mensch von euch hat gefragt,
woher das Geld kommt.
({14})
Ausgerechnet in den neuen Bundesländern ist gespart
worden. Wichtig ist also das Vorziehen der Infrastrukturmaßnahmen. - Das ist mein erster Punkt.
Zweiter Punkt: Viele Projekte in den Kommunen - davon ist heute noch nicht gesprochen worden - liegen auf
Eis und können nicht ausgeführt werden, weil die Kommunen in den neuen Bundesländern offensichtlich nur
über ein Drittel bis zur Hälfte der Steuerkraft verfügen,
die die Kommunen in den alten Bundesländern haben.
Eine Investitionspauschale für Infrastrukturmaßnahmen
der Kommunen wäre ein Ansatz, der gangbar und finanzierbar ist.
({15})
Ich sehe, dass der Präsident mir andeutet, dass meine
Redezeit zu Ende ist. Ich nenne deshalb nur noch ein paar
Stichpunkte: multisektorale Beihilfen, Arbeitsbeschaffungsprogramme für Langzeitarbeitslose und für ältere
Menschen wie die 50-plus-Programme in Sachsen und
Thüringen. Hier ist beispielhaft gezeigt worden, dass man
sich auf Schwerpunktbereiche am Arbeitsmarkt konzentrieren und Mittel für Investitionen freisetzen kann. Nicht
umsonst stehen die unionsgeführten Länder Sachsen und
Thüringen besser da, als die von Ihnen geführten Länder.
Wir wollen nach dem 22. September mit den neuen Bundesländern den Strukturwandel nach dem Beispiel Bayerns und Baden-Württembergs vollziehen. Davor fürchten wir uns nicht. Ihre Zeit geht langsam zu Ende.
({16})
Als letzter Redner dieser Debatte hat der Kollege Christian
Müller für die Fraktion der SPD das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als letztem Redner in dieser Debatte fällt mir sicherlich die Aufgabe zu,
auf die eine oder andere Argumentation näher einzugehen.
({0})
Damit komme ich schon zu dem Thema „Scheren und
Weggabelungen“. Diese Bilder werden hier in ausreichendem Maße bemüht. Sie sind aber nach wie vor falsch.
Ich empfehle Herrn Grund, der sehr ausführlich über dieses Thema gesprochen hat, dringend, mit solchen Argumenten etwas vorsichtiger umzugehen.
({1})
Denn man sollte auch einen Blick auf die Zahlen von 1996
oder 1997 werfen, wenn es um die Begründung geht,
wann und wie irgendwelche Scheren auseinander gegangen sind. Dafür gibt es noch andere Interpretationsmöglichkeiten, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Herr Rauen hatte - eigentlich zu Recht - dankenswerterweise auf die bestehenden Infrastrukturlücken hingewiesen. Das ist nach meinem Dafürhalten ein sehr
wichtiges Thema und wir sind uns wohl alle darüber klar,
dass hinsichtlich der weiteren Entwicklung Ostdeutschlands sehr viel davon abhängt, dass diese Lücken geschlossen werden. Darin sind wir sicherlich einer Meinung. Insofern besteht kein Dissens zwischen uns.
Der Dissens beginnt aber vielleicht an einer anderen
Stelle. Ich darf in diesem Zusammenhang an den alten
Bundesverkehrswegeplan erinnern, der eine riesige Anzahl von Projekten beinhaltet, die - wie bei näherer Betrachtung deutlich wird - nicht vorangekommen sind,
weil entweder die Planungsvorleistungen nicht stimmten
oder möglicherweise die Finanzierung nicht gewährleistet
war.
({3})
Ich erwähne in diesem Zusammenhang, dass wir genau
das auf solide Beine gestellt haben und auch mit unserem
Zukunftsinvestitionsprogramm in diese Richtung zielen. Ich bitte um Nachsicht für meine Empfehlung, sich
dieses Programm noch einmal in Erinnerung zu rufen.
({4})
Ich meine, wir sind auf dem Weg, die bestehenden Infrastrukturlücken zu schließen. Das ist eine wichtige und
ernst zu nehmende Aufgabe.
Ich komme nun auf die Rede der Kollegin Pieper zu
sprechen. Sie sind mit einer ausgeprägten Aufforderungsrede an uns herangetreten.
({5})
Ich darf vielleicht im Zusammenhang mit der Forschungsinfrastruktur auf Sie eingehen. In der Debatte
über den vorliegenden Bericht haben Sie offenbar übersehen, dass die Bundesregierung in diesem Zusammenhang
eine klare strategische Entscheidung für Bildung und Forschung getroffen hat, indem sie nämlich den Bundeshaushalt im Jahr 2001 - darüber reden wir schließlich - auf
knapp 16 Milliarden erhöht hatte. Das ist ja wohl keine
Kleinigkeit.
({6})
Für die neuen Länder werden dafür 3,4 Milliarden bereitgestellt.
({7})
Das macht immerhin 21 Prozent des Gesamtetats bei einem Bevölkerungsanteil von 19 Prozent aus und beweist
sicherlich, dass dieser Schwerpunkt als solcher erkannt
wird.
({8})
Dass die Förderung der regionalen Innovationsbündnisse fortgesetzt wird - darauf hat die Frau Bundesministerin für Forschung in diesen Tagen in ihrer jüngsten Pressemitteilung hingewiesen -, macht deutlich, dass es
tatsächlich diese Schwerpunkte sind, die die Politik unserer Bundesregierung bestimmen.
({9})
Wenn Sie das bestreiten, sind Sie nach meinem Dafürhalten auf dem falschen Dampfer.
({10})
Des Weiteren hatten Sie angeführt, wir seien gewissermaßen diejenigen, die die großen Konzerne subventionierten. Das klingt vielleicht schön, aber die Gewinner der
Steuerreform sind Arbeitnehmer und Familien mit Kindern sowie die mittelständischen Unternehmen. Dabei
handelt es sich nicht um Wahlkampfrhetorik, sondern das
ist eine Tatsache. Von den bisher beschlossenen Steuerreformmaßnahmen seit 1998 im Gesamtumfang von rund
57 Milliarden Euro werden die Privathaushalte um
41,7 Milliarden Euro und der Mittelstand um 15,8 Milliarden Euro steuerlich entlastet. Die Großunternehmen,
von denen Sie sprachen, belasten wir sogar mit 0,8 Milliarden Euro.
({11})
Im Übrigen hoffe ich, dass auch Sie dafür sind, dass wir
in Deutschland wettbewerbsfähige Unternehmen behalten.
({12})
Unter diesem Aspekt sollten Sie vielleicht auch einmal die
Steuerreform sehen.
Enttäuscht bin ich darüber, dass niemand von Ihnen das
Wort Solidarpakt in seiner Rede überhaupt verwendet
hatte. Der Kollege Schulz hat das bereits zu Recht ausführlich gewürdigt. Sie müssen zur Kenntnis nehmen,
dass mit der Perspektive bis 2020 und dem Mittelrahmen,
den Sie nachlesen können, zum ersten Mal eine klare Anpassungsperspektive der neuen Bundesländer formulierbar geworden ist. Sie können daran mitwirken, dass die
Bundesländer, aus denen Sie kommen, mit den Mittelzuweisungen vernünftig umgehen. Sie wissen, dass zur Infrastrukturausstattung durchaus einige Anmerkungen zu
machen wären.
Abschließend komme ich auf die Entwicklung einer
modernen Wirtschaftsinfrastruktur zu sprechen; dieses
Thema spielt in dem Bericht eine große Rolle. Die
Bauwirtschaft - hier handelt es sich in der Tat um eine
Weggabelung -, die bisher einen wesentlichen Beitrag geleistet hatte, befindet sich in einem schmerzlichen Anpassungsprozess und wird nun durch andere Auftriebskräfte
abgelöst. Das verarbeitende Gewerbe ist jetzt der Träger
der wirtschaftlichen Entwicklung. Sein Anteil am Bruttoinlandsprodukt lag im letzten Jahr mit 15,2 Prozent
deutlich höher als der des Baugewerbes mit 9,6 Prozent.
Diese Entwicklung führt in die Zukunft; wir müssen sie
auch politisch stärken und unterstützen.
({13})
In diesem Zusammenhang rufe ich unverdächtige Zeugen auf, weil Aussagen ostdeutscher Unternehmer aus der
Industrie, die in Umfragen zum Thema Wettbewerbsfähigkeit dokumentiert werden, ganz interessant sind:
Folgt man der Meinung der Unternehmen, dann ist die
ostdeutsche Industrie inzwischen größtenteils durchaus
wettbewerbsfähig. Knapp ein Drittel der Unternehmen
glaubt immerhin einen Vorsprung im Wettbewerb zu haben. Die meisten meinen, wenigstens ebenso stark wie die
Konkurrenz dazustehen. Vor allen Dingen empfinden sich
die im Fernabsatz engagierten Unternehmen als gut positioniert. Das heißt, die ostdeutsche Industrie hat große
Fortschritte in der Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit gemacht. Natürlich ist auch ihre Konjunkturabhängigkeit in gleichem Maße gewachsen, was sich in diesem
Jahr sehr gut beobachten lässt. Selbst wenn wir die zu
schmale Basis der ostdeutschen Industrie beklagen müssen, gibt es dort doch positive Entwicklungen.
({14})
Christian Müller ({15})
Herr Präsident, ich sehe das rote Licht blinken und
komme zum Schluss. - Summa summarum: Sie kritisieren unseren Jahresbericht, der zugleich ein politisches
Programm für die Zukunft enthält, zu Unrecht, meine Damen und Herren. Sie sollten eigentlich Ihre Anträge an die
Ausschüsse zurückverweisen und zum Wiederaufruf vorlegen.
Vielen Dank.
({16})
Ich schließe
die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Angelegenheiten der neuen Länder auf Drucksache 14/8568 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
mit dem Titel „Deutschland 2015 - Aufbau Ost als Leitbild für ein modernes Deutschland“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/6038 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die
Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und
FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 19 b: Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 14/4689 zu
dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel
„Uranerzbergbau-Schäden beseitigen“. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3373 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und PDS bei Enthaltung der FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 19 d: Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Angelegenheiten der neuen Länder zu dem Jahresbericht
2001 der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit, Drucksachen 14/6979 und 14/8620. Der Ausschuss
empfiehlt, die Unterrichtung durch die Bundesregierung
zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Modulation von Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen
Agrarpolitik ({1})
- Drucksachen 14/7252, 14/7812, 14/8190,
14/8630 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Norbert Wieczorek
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Erklärung gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass über die Änderungen im Deutschen Bundestag gemeinsam abzustimmen ist. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 14/8630? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und
PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Beratung der Beschlusssempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({2}) zu dem Gesetz zur Einführung
von streckenbezogenen Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen mit schweren
Nutzfahrzeugen
- Drucksachen 14/7013, 14/7087, 14/7822,
14/8189, 14/8631 Berichterstattung:
Abgeordneter Wilhelm Schmidt ({3})
Wird das Wort zur Berichterstattung oder zur Er-
klärung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsaus-
schuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsord-
nung beschlossen, dass auch über diese Änderungen im
Parlament gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses
auf Drucksache 14/8631? - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der Fraktion der PDS
angenommen.
Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 20 a und
20 b sowie 20 d und 20 e auf:
a) - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({4}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem NATO-geführten
Einsatz auf mazedonischem Territorium zum
Schutz von Beobachtern internationaler Organisationen im Rahmen der weiteren Implementierung des politischen Rahmenabkommens
vom 13. August 2001 auf der Grundlage des Ersuchens der mazedonischen Regierung vom
8. Februar 2002 und der Resolution Nr. 1371
({5}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 26. September 2001
- Drucksachen 14/8500, 14/8624 Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen ({6})
Christian Müller ({7})
Karl Lamers
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Helmut Haussmann
- Bericht des Haushaltsausschusses ({8})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/8632 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Titze-Stecher
Dietrich Austermann
Antje Hermenau
Dr. Werner Hoyer
b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Stabilisierungs- und
Assoziierungsabkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien andererseits
- Drucksache 14/7766 ({9})
Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({10})
- Drucksache 14/8512 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Heubaum
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Helmut Haussmann
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({11}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Ina Albowitz, Hildebrecht Braun
({12}), Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP zu dem Antrag der
Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an dem NATO-geführten Einsatz auf mazedonischem Territorium zum Einsammeln und
Zerstören der Waffen, die durch die ethnisch
albanischen bewaffneten Gruppen freiwillig
abgegeben werden
- Drucksachen 14/6830, 14/6835, 14/6838,
14/7534 Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen ({13})
Christian Schmidt ({14})
Dr. Helmut Lippelt
Ulrich Irmer
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({15}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zu dem Antrag der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an dem NATO-geführten Einsatz auf mazedonischem Territorium zum Einsammeln und
Zerstören der Waffen, die durch die ethnisch
albanischen bewaffneten Gruppen freiwillig
abgegeben werden
- Drucksachen 14/6830, 14/6835, 14/6839,
14/7535 Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen ({16})
Christian Schmidt ({17})
Dr. Helmut Lippelt
Ulrich Irmer
Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der
Bundesregierung auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am Einsatz in Mazedonien, zu
der ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU
vorliegt, werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Das Haus ist damit
einverstanden. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne somit die Aussprache und gebe als erstem
Redner dem Kollegen Gert Weisskirchen das Wort für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie mussten wir
alle um die Existenz Mazedoniens zittern! So lange ist das
noch nicht her. Noch im Frühjahr des letzten Jahres drohten Morde und brutale Überfälle von politischen Hasardeuren den inneren Frieden zu zerbrechen. Zerbrechlich
genug war er allerdings schon zuvor.
Dieses kleine Land mit seiner großen Geschichte fühlt
sich eingezwängt zwischen Bulgarien und Albanien, zwischen Serbien und Griechenland. Lange, allzu lange, haben die Nachbarn Blicke - begehrliche zumal, skeptische
auch - auf das Land geworfen und die Würde der 2 Millionen Menschen ist dabei nicht geachtet worden. Wir haben dazu beigetragen, dass diese Zeit vorbei ist, und das
ist ein gutes Ergebnis.
({0})
Von Trauma zu Trauma war dieses kleine Land durch
den Lauf der Geschichte getrieben worden. In das historische Gedächtnis dort hat sich die Angst eingegraben zu
verschwinden. Die endlosen Kriege, die Zeit der ethnischen Säuberungen in vielen Jahrzehnten und Jahrhunderten haben - leider - diese Menschen geprägt. Diese
Angst, zu verschwinden, kann immer neu mobilisiert
werden. Leider wird es auch immer wieder politisch Verantwortungslose geben, die diese Angst mobilisieren und
dafür sorgen möchten, dass sich ihre eigene Macht gegen
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
die Interessen des Volkes durchsetzt. Dass das vorbei ist,
ist auch ein Ergebnis, das ich gut finde.
({1})
Ein anderes wird häufig nicht klar genug gesehen. Was
war denn die Zeit vorher, vor 1991, als Mazedonien endlich die wirkliche politische Gestalt gefunden hat? Es war
ein schlimmes Erbe, das in vielen Teilen der gesamten Region leider immer noch lebendig ist. Es war das Erbe Titos - ethnisch begründete Nationalismen im Innern und
von außen überwölbt von einem Mythos, dem Mythos des
Jugoslawismus. Milosevic war es, der über die Mobilisierung virtuos versucht hat, etwas zu retten - vorgeblich -, nämlich den Mythos, aber in einer nationalistischen Gestalt, in der Gestalt Serbiens. Auch das ist zu
Ende. Wir haben dazu beigetragen, dass dies zu Ende ist.
({2})
Lange Zeit, auch in der Zeit nach 1991, sah es so aus,
als wenn Mazedonien ein Modell des inneren Ausgleichs
sein könnte. Auch hoch aufgeladene Konflikte konnten im
Rahmen der politischen Ordnung gehalten werden und
mit den Mitteln des legitimen Streits ausgefochten werden. Als jedoch im Winter des letzten Jahres - daran ist zu
erinnern - Extremisten der UCK begannen, militärische
Gewalt einzusetzen, und die mazedonische Armee unangemessen darauf antwortete, schien die Gefahr zu explodieren. Diese Gefahr konnte nur eingedämmt werden,
weil es eine Koalition der Vernunft im Innern gegeben
hat. Sie hat die internationale Staatengemeinschaft gebeten, eine Koalition der Vernunft von außen zu bilden und
sich mit der Koalition im Innern zu verbinden. Auch das
ist gelungen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es gibt nun
eine Koalition im Innern dieses Landes Mazedonien und
es gibt eine Koalition der Vernunft von außen. Beide haben sich verbunden. Wenn diese beiden Koalitionen vernünftig miteinander kooperieren, dann - auch das ist eine
Lehre aus diesen Konflikten - hat der Frieden eine
Chance.
({3})
Die Koalition der Vernunft im Innern hat uns in der
Mitte des letzten Jahres gefragt, ob wir bereit sind, den
Menschen in Mazedonien zu helfen. Wir haben nach langem Ringen - ich sehe hier einige Kolleginnen und Kollegen, die auch mit sich selbst gerungen haben - eine vernünftige Antwort auf diese Frage gegeben.
Sieben Monate liegt es nun zurück, dass Mitte August
letzten Jahres in Ohrid das Abkommen verabschiedet
werden konnte. Das war die entscheidende Wende. Dieses
Abkommen hat eine Bresche in die Mauer des Nationalismus geschlagen und es hat den Weg für Reformen frei
gemacht - damit die Demokratie gestärkt wird, damit die
Minderheiten geschützt werden, damit der wirtschaftliche
Aufschwung beginnt, damit Flüchtlinge eine Heimat finden, damit sich die Polizei für die ethnische Verschiedenheit öffnet und damit sich die Streitkräfte international
einpassen. Dies ist eine Erfolgsgeschichte.
({4})
Das Ziel der Bundesregierung und des gesamten Hauses war es, Mazedonien dabei zu helfen, sich selbst zu stabilisieren. Gelingen wird dies, wenn die Region Südosteuropa zur Ruhe kommt und den eingeschlagenen Weg
der Selbstzivilisation beibehält. Das ist ein ehrgeiziges
Ziel. Wir tragen zu seiner Verwirklichung mit dem Stabilitätspakt sowie mit Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen bei und eröffnen, gemeinsam mit den regionalen Partnern, eine neue Perspektive.
Die Regierungskoalition hat die Bundesregierung aufgefordert, ein umfassendes Rahmenkonzept zur Stabilisierung der Region vorzulegen. Das ist geschehen. Die
Mitglieder der EU haben sich darauf verständigt. Diese
Bundesregierung aber hat diese Instrumente erfunden; so
konnte von innen die Situation stabilisiert werden und
Friede Fuß fassen.
({5})
Lieber Kollege Rühe, lieber Kollege Lamers, erinnern
Sie sich noch an die Reden, die Sie vor einem Jahr gehalten haben?
({6})
Sind denn die apokalyptischen Ereignisse eingetreten, die
Sie hier aufgezeigt haben? Der Frieden hatte eine Chance,
weil die Regierungskoalition und die Regierung richtig
gehandelt haben.
({7})
Die dortigen Reformkräfte wurden ermutigt, eine Tür
zum Frieden wurde aufgestoßen. Die Europäische
Union, die NATO, die OSZE und der Europarat arbeiten
eng zusammen. Diese internationalen Organisationen
setzen wechselseitig ihre Fähigkeiten ein, damit die
Menschen in der Region ihren Weg nach Europa finden
können.
Nichts beleuchtet die positive Entwicklung besser als
die gestrige Meldung von Reuters aus Skopje: Die Regierung in Skopje
plant offenbar eine neue Runde zum Einsammeln
illegaler Waffen und will sie mit einem weiteren
Amnestieangebot verbinden.
Ist das nicht eine Erfolgsmeldung aus dieser Region?
({8})
Schauen wir uns einmal die Medienberichte genauer
an: Vor einem Jahr waren die Meldungen von apokalyptischen Vorstellungen geprägt. Heute fragt man sich, wo die
Berichte der Medien über die Fortschritte des Friedensprozesses in Mazedonien bleiben. Es ist auch eine BringGert Weisskirchen ({9})
schuld der Medien, darüber zu berichten, dass der Frieden
einen festen Boden gefunden hat.
({10})
Wir wissen sehr wohl - lieber Kollege Gehrcke, Sie
werden ja nachher das apokalyptische Bild weitermalen -,
dass es in der Nähe von Kumanovo im Norden, Tetovo im
Nordwesten und Gostivar im Mittelwesten im Dezember
noch Schüsse gegeben hat. Und doch ist das richtig, was
Vlado Popovski, der mazedonische Verteidigungsminister, sagte. Er erkannte im Dezember nach diesen Ereignissen schon einen „Trend zur Verringerung der Spannungen, ein Nachlassen der Energie von Attacken“. Das
ist eine positive Nachricht.
Was ist mit den Ängsten geschehen und was ist aus den
apokalyptischen Bildern geworden, die noch vor wenigen
Monaten bei uns verbreitet wurden? Wir haben doch gespürt, dass man sich nicht nur dort, sondern auch hier Sorgen über die weitere Entwicklung dieses Landes macht.
Ein großer Teil der Ängste aber konnte abgebaut werden.
Die beständige Fähigkeit zur inneren Reform der Mazedonier ist der Schlüssel zum Erfolg und der Grund für die
Festigung des Friedens in dieser Region.
Die Kolleginnen und Kollegen im Parlament in Skopje
- das sollten wir hier einmal deutlich sagen - sind einen
schweren Weg gegangen. Sie haben das Abkommen von
Ohrid durchgesetzt und die Verfassung geändert. Sie haben sich auf diesem Weg zum Teil fast selbst verleugnet.
Warum haben sie das gemacht? - Weil es einen Unterschied
zwischen tagespolitischem und staatsmännischem Handeln
gibt. Sie haben bewiesen, dass sie den Weg zum Frieden
über die Integration in Europa gegangen sind. Deswegen
werden wir, die SPD-Bundestagsfraktion, den Antrag der
Bundesregierung unterstützen. Mazedonien muss eine
Chance haben, einen festen Platz in der Familie der europäischen Demokratien einzunehmen und zu festigen.
({11})
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Dr. Christian
Schwarz-Schilling.
Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Weisskirchen,
Sie brauchen sich gar nicht so zu ereifern.
({0})
Dadurch, dass wir als Opposition vernünftigen Vorstellungen dieser Bundesregierung zustimmen, sind wir in einer ganz anderen Position. Denken Sie einmal an die Geschichte des Balkans in der letzten Dekade! Ich gratuliere
Ihnen zu Ihrer Lernfähigkeit.
({1})
Die möchte ich Ihnen attestieren.
Diese Debatte über den Balkan ist von einer besonderen Bedeutung, weil die Europäische Union eine ganz andere Verantwortung trägt, als es früher der Fall war. Ich
möchte darauf hinweisen, welche Lektionen wir erst lernen mussten:
Erste Lektion: Europa muss Verantwortung für den
Balkan übernehmen. Das war in der Vergangenheit keineswegs so. Sie wissen, dass Sie schon aufgrund der
lächerlich kleinen Verantwortung, die wir Anfang der
90er-Jahre durch unseren geringen Beitrag zu den Geschehnissen in der Adria geleistet haben, einen riesigen
Verfassungsprozess in Gang gesetzt haben, um selbst diesen Beitrag zu verhindern. Damals war bei Ihnen von Verantwortung nichts zu spüren.
Lieber Kollege Fischer, Sie sagen immer wieder: Wir
haben das alles schon vor dem Krieg im Kosovo richtig eingeschätzt. Ich muss Ihnen sehr deutlich sagen: Sie haben
Ihre Wende erst nach der Tragödie in Bosnien vollzogen.
({2})
Ich erinnere an die Tausende von Toten, an die Zerstörung
von 800 Moscheen und vieler Kulturgüter. All das ist passiert, bevor Sie an die entsprechenden Orte gefahren sind,
um sich das Ganze anzuschauen. Das war kein großes
Kunststück. Man hätte früher eingreifen müssen. Ich gebe
gern zu, dass man das in diesem Hohen Haus vorher gemeinsam nicht erkannt hat; aber das gilt für Sie doch genauso. Daher sollten Sie jetzt nicht immer wieder sagen:
Aber ich habe es schon vorher erkannt. Das ist ein bisschen blauäugig.
({3})
Zweite Lektion: Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte breiten sich nicht von selbst aus.
Das gilt auch nach dem Zusammenbruch des Imperiums
der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Krieges. Dafür
muss gekämpft werden, und zwar in jeder Generation;
sonst verlieren wir diese Werte.
Dritte Lektion: Wir brauchen Verständnis und Geduld.
Europa hat Jahrhunderte gebraucht, ehe es die Prinzipien
der Menschenrechte und des Rechtsstaats entwickelt und
erhalten hat. Selbst nachdem man Jahrhunderte lang daran gearbeitet hatte, ist im 20. Jahrhundert alles zerstört
worden und wir sind in die Barbarei zurückgefallen. Das
zeigt, wie verantwortungsvoll jede Generation sein muss,
um so etwas zu verhindern.
Ich möchte jetzt auf die Vorlagen eingehen, die sich mit
der Zukunft von Amber Fox und des Gesamtkonzepts für
Südosteuropa beschäftigen. Wir müssen zunächst einmal
die gemeinsame Verantwortung Deutschlands und seiner
europäischen Partner für diese Region intensivieren. Der
Verlängerung der NATO-Operation „Amber Fox“ um drei
Monate und der weiteren Entsendung deutscher Streitkräfte nach Mazedonien stimmt die CDU/CSU-Fraktion
selbstverständlich zu. Das möchte ich hier einmal deutlich
erklären.
({4})
Gert Weisskirchen ({5})
Diese Operation wird weiterhin als gut, sinnvoll und notwendig betrachtet. Sie bekommen jede Unterstützung, die
notwendig ist, um das zum Ausdruck zu bringen. Letztlich
sichern wir damit das Rahmenabkommen vom 13. August
2001. Das wissen wir. Wir wissen auch, dass wir in Mazedonien zum ersten Mal auf dem Balkan präventiv einen
Krieg verhindert haben.
({6})
Dabei hatten Sie die volle Unterstützung der Opposition,
obwohl es auch bei uns - wie Sie es immer für sich reklamieren - einige gab, die sich schwer getan haben. Ich habe
mich Anfang der 90er-Jahre schwer getan, als es hier noch
sehr wenigen so ging.
({7})
Gerade weil Deutschland die Führungsrolle übernimmt, müssen wir uns auch über die Strategie der Mission nach dem 26. Juni im Klaren sein. Dafür hat die EU
letzte Woche in der Erklärung des Europäischen Rates
in Barcelona zwar Weichen gestellt; aber das ist noch
immer nicht endgültig in trockenen Tüchern. Das möchte
ich hier einmal sagen; das werden wir noch sehen. Sie ist
sich ihrer Verantwortung für die Stabilisierung, die Aussöhnung und den Wiederaufbau Mazedoniens bewusst
- so heißt es - und deshalb bereit, im Anschluss an die
NATO-Mission die militärische Führung zu übernehmen.
Dies entspricht im Übrigen der schon früher gestellten
Forderung der CDU/CSU, eine etwaige Folgemission unter die Führung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu stellen.
Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, sich in
der EU und bei der NATO nachdrücklich dafür einzusetzen, dass eine militärische Führung im Sinne der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zustande
kommt. Wir fordern von der Bundesregierung des Weiteren, dass sie zum frühestmöglichen Zeitpunkt zusammen
mit den EU- und NATO-Partnern die Berlin-plus-Vereinbarung für die EU-NATO-Zusammenarbeit mit Leben erfüllt und sie tragfähig macht. Dies entspricht den
Forderungen des Rates von Barcelona, soweit es hier eben
dargestellt wurde.
Bereits im letzten Jahr hat die EU in Laeken die Einsatzfähigkeit der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik erklärt. Das ist ein großer Unterschied zu
dem, was noch vor zwei Jahren war. Da sprachen wir über
die Exitstrategie der Amerikaner und darüber, was überhaupt zu tun sei. Jetzt sprechen wir nicht von einer Separierung von der NATO, sondern davon, dass wir in Europa
eine Prioritätensetzung vorzunehmen haben und Europa
dabei in eine besondere Verantwortung tritt, natürlich in
Zusammenarbeit mit der NATO und nicht etwa getrennt
von ihr. Das ist eine völlig andere Konstellation, die von
Amerika genauso gesehen wird. Auch das ist ein riesiger
Fortschritt gegenüber dem, was vorher war.
Deswegen fordere ich Sie auf, sich den Entschließungsantrag der CDU/CSU anzuschauen, der genau
das zum Gegenstand hat, und uns dabei Ihre Unterstützung zu verleihen, so wie wir Ihnen die unsere verleihen.
Nun lassen Sie mich etwas über den Bericht der Bundesregierung über eine politische und ökonomische Gesamtstrategie für die Balkanstaaten und Südosteuropa sagen. Der Stabilitätspakt war sicherlich richtig; die Idee
war gut. Ein Kernelement jeder Strategie für Südosteuropa muss allerdings eine Weiterentwicklungsperspektive
sein. Wir stellen fest, dass es mit der Aussage, Stabilität
erreichen zu wollen, nicht getan ist. Das Kernelement dieser Strategie muss sich auf die verschiedenen Bereiche der
militärischen Absicherung, der wirtschaftlichen Stabilität,
der sozialen Mindestversorgung und der entsprechenden
Menschenrechts- und vor allen Dingen der Rechtsstaatsentwicklung beziehen. Wir stellen fest, dass es in Kroatien, Bosnien, Bulgarien und Albanien noch immer nationalistische Parteien gibt. Dass es diese Parteien noch
gibt, ist nicht das Schlimme; das können wir uns nicht
aussuchen. Aber dass sie noch Macht ausüben, die durchaus nicht überall demokratisch legitimiert ist, das müssen
wir uns jeweils genau anschauen. Da müssen wir dann
auch handeln. Dabei sind wir leider Gottes sehr wenig
mutig; das kann man daraus ersehen, dass es zwar rechtsstaatliche Strukturen, aber keine Verurteilung der Kriegsverbrecher gibt. Was haben wir denn in Bosnien vom
Jahre 1995 bis zum Jahre 2002 getan, um einen Herrn
Karadzic zu fangen? Jetzt gibt es ein paar Aktionen. Aber
Sie können mir doch nicht sagen, dass 70 000 Soldaten
der SFOR, die es dort einmal gab, nicht in der Lage gewesen wären, die Hauptkriegsverbrecher zu fangen und
nach Den Haag zu überstellen, wenn es den politischen
Willen gegeben hätte. Die unterschiedlichen Interessen
verschiedener europäischer Staaten haben dies verhindert.
Diese traurige Entwicklung zeigt, wie die Situation
tatsächlich ist. In dem Bericht der Bundesregierung ist
von einer Überstellung an Den Haag - mit Ausnahme der
Erwähnung von Milosevic - überhaupt keine Rede. Das
ist ein Zustand, welchen ich sehr bedauere.
Ein weiterer Punkt sind die humanitären Aspekte. Das
Wort „Menschenrechte“ kommt in diesem Bericht überhaupt nicht vor. Die Menschenrechte sind aber der wichtigste Punkt, der geklärt werden muss. Man muss deutlich
sagen, dass es keine wirtschaftliche Erholung ohne rechtsstaatliche und die Menschenrechte beachtende Rahmenbedingungen gibt.
({8})
Ich glaube Ihnen, dass Sie die Beachtung der Menschenrechte durchaus im Kopf haben.
({9})
Aber dass Sie vergessen haben, die Menschenrechte in
dem Bericht zu erwähnen, zeigt, wie wenig konkret dieses Thema bei der Umsetzung des Stabilitätspaktes präsent ist.
Ich möchte aber auch erwähnen, dass die Leistungen
durchaus beachtlich sind. Wir wissen, wie schwer es war,
die teilweise kriegsbedingten ökonomischen Schwierigkeiten zu meistern. Wir dürfen uns aber bei unserer Hilfe
für den Balkan nicht unter das Niveau der Hilfe für die
Entwicklungsländer begeben. Wir dürfen den Balkan in
dem Zeitraum, in dem es eine Annäherung an die EU geben muss, nicht einem ungewissen Schicksal überlassen.
Wir müssen vielmehr eine klare Konzeption für die lange
Zeit der Überbrückung haben. Allerdings dürfen wir den
Menschen auch keinen Sand in die Augen streuen. Es
wird nicht zwei oder drei Jahre, sondern es wird fünf,
acht, zehn, 15 oder vielleicht sogar 20 Jahre dauern, bis
diese Länder die Chance haben, Mitglied der EU zu werden. Auf die Frage, was während dieser Zeit geschehen
soll, wird in dem Bericht keine Anwort gegeben.
Ich begrüße die Fortschritte, die sich dort zeigen.
Meine Fraktion nimmt den Bericht der Bundesregierung
zur Kenntnis. Aber wir sollten uns einmal vor Augen
führen, was Matthias Rüb in der „FAZ“ vom 20. März
dazu gesagt hat:
Der Erweiterungsprozess der EU bindet, zugegeben,
enorme Mengen politischer, finanzieller und intellektueller Energie. Doch ohne neue Ideen für den
Balkan wird der jüngsten Balkan-Offensive der Europäer der Erfolg verwehrt bleiben.
Wir sollten ihn ernst nehmen. Er hat schon öfter Prophezeiungen gemacht, die sich bewahrheitet haben.
Wir werden in Schwierigkeiten kommen, wenn es
nicht ein paar neue Ideen hinsichtlich der Anbindung an
die Europäische Union gibt, die zu einem Mechanismus
der Verknüpfung führen. Lesen Sie einmal nach, woran
Hombach gescheitert ist. Bisher haben wir keinen Mechanismus gefunden - auch in dem Bericht der Bundesregierung ist keiner erwähnt -, der diese Schwierigkeit
überwindet.
Einen solchen Mechanismus zu finden ist unsere Aufgabe. Ich möchte die Bundesregierung darauf festlegen,
dass sie eine solche Aufgabe ernst nimmt.
Ich danke Ihnen.
({10})
Für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht die Kollegin Angelika Beer.
Herr
Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir verlängern heute zum zweiten Mal das Mandat für die Operation „Amber Fox“, ein Mandat unter NATO-Führung,
an dem wir nicht nur beteiligt sind, sondern bei dem wir
die Funktion der Lead Nation übernommen haben.
Unsere Soldaten in Mazedonien leisten eine wichtige
Arbeit; ich glaube, das sollte man hier erwähnen. Denn
ihre Anwesenheit schafft Vertrauen sowohl bei der Bevölkerung als auch bei jenen, die jetzt den Vertrag von
Ohrid umsetzen müssen. Der ausdrückliche Wunsch der
mazedonischen Regierung, dass Deutschland weiterhin
die Lead-Funktion übernimmt, ist auch ein Beweis dafür,
dass sich das deutsche Kontingent - oft über den eigentlichen Auftrag hinaus, die EU-Monitore und die OSZE zu
schützen - vor Ort engagiert und die Aussöhnung der zerstrittenen Ethnien damit unterstützt.
({0})
Der Einsatz in Mazedonien charakterisiert ein wesentliches Ziel unserer Außen- und Sicherheitspolitik: Wir
wollen Gewalt verhindern und wollen helfen, an Konflikte zivil heranzugehen und Lösungen zu finden, die die
Konfliktursachen beseitigen.
Lieber Kollege Weisskirchen, ich teile Ihre Euphorie
nicht ganz. Wir müssen zwar erkennen, dass sich Mazedonien von der Gefahr des Ausbruchs eines Bürgerkriegs
Schritt für Schritt entfernt und das ist gut so.
({1})
Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass der politische Prozess, wenn auch zögerlich, vorankommt.
({2})
Wir wissen aber daneben, dass nach wie vor nicht alle Akteure, die an den Auseinandersetzungen beteiligt waren,
bereit sind, diesen konstruktiven Weg tatsächlich und
konsequent bis zum Ende zu gehen. Das Verhältnis zwischen den Ethnien ist nach wie vor angespannt. Ich
glaube, dass die nächsten Monate sehr entscheidend dafür
sein werden, in welchem Maße es gelingt, die Flüchtlinge
zur Rückkehr in dieses Land, in ihre Heimat zu bewegen,
dafür, wann die Volkszählung stattfindet, und dafür, dass
die demokratische Wahl in Mazedonien spätestens im Oktober alle Elemente der Verfassungsänderung mit der
neuen Regierung implementiert.
Parlamentspräsident Andov hat diese Woche Gespräche in Berlin geführt. Er hat, wie ich glaube, in sehr
beeindruckender Weise deutlich gemacht, dass alle im
mazedonischen Parlament vertretenen Parteien willens
sind, die Konsequenzen von Ohrid zu tragen und die Gesetze entsprechend umzusetzen. Das erfordert auch von
uns Geduld, weil wir wissen, dass die Erarbeitung von
Gesetzen sicher noch zu dem einen oder anderen Gezerre
in diesem Land führen wird. Ich glaube, es ist ein positiver Schritt, dass es Ali Ahmeti, dem ehemaligen Führer
der UCK, gelungen ist, eine politische Plattform aller albanischen Parteien zu gründen und sich so bis zur Wahl
im Oktober in den demokratischen Prozess einzubringen.
Das schafft Stabilität in der Innenpolitik Mazedoniens.
Ich möchte kurz auf den Antrag von CDU/CSU eingehen, in dem die Frage aufgeworfen wird, ob nach den kommenden drei Monaten die ESVP den Stab von der NATO
übernehmen soll, um dann die weitere Stabilität zu gewährleisten; Sie, Herr Schwarz-Schilling, haben das eben
ausgeführt. Ich halte diesen Ansatz im Prinzip für diskussionswürdig, möchte aber darauf aufmerksam machen,
dass heute nicht der richtige Zeitpunkt ist, um über einen
solchen Einsatz politisch zu entscheiden, und zwar aus vielen Gründen. Zum einen betreffen sie die Befehlsstruktur,
die Struktur von „Amber Fox“ und KFOR. Die wesentlichen Gründe sind aber die Tatsachen, Herr SchwarzSchilling, dass Mazedonien ein souveräner Staat ist,
({3})
dass Mazedonien uns gebeten hat, „Amber Fox“ fortzusetzen und die NATO im Land zu belassen, und dass eine
Mandatsveränderung nicht hier im Deutschen Bundestag
beschlossen werden kann, sondern nur im Dialog mit der
Regierung in Mazedonien. Die Instrumentalisierung der
Frage bezüglich der ESVP und deren Leistungsfähigkeit
ist da, wie ich glaube, der falsche Weg. Das würde die
Souveränität Mazedoniens einschränken.
({4})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch
einen weiteren Punkt ansprechen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Schwarz-Schilling?
Ja
natürlich.
Ich
möchte Sie, Frau Kollegin, fragen, ob Sie mich vielleicht
missverstanden haben. Ich habe nicht davon gesprochen,
dass wir hier im Bundestag darüber abstimmen; ich habe
vielmehr die Koalition darum gebeten, den Antrag, der die
Bundesregierung auffordert, im Sinne der europäischen
Verteidigungs- und Sicherheitspolitik tätig zu werden, um
nach dem Auslaufen des jetzigen Mandats Ende Juni entsprechende Möglichkeiten der EU zur Verfügung zu haben, zu unterstützen. Das ist ein kleiner Unterschied.
Nein,
Herr Kollege, ich habe den Antrag nicht falsch verstanden. Dass ein Diskussionsprozess im Rahmen der Europäischen Union hierüber läuft, haben Sie schon dargestellt. Es ist bekannt, dass unsere Bundesregierung dort
bestens vertreten ist; der Außenminister wird sich dazu
gleich noch äußern. Es stellt sich aber die Frage, ob wir
auf nationaler Ebene eine Debatte führen dürfen, die über
die Souveränität eines anderen Staates hinweggeht. Das
Gespräch mit Parlamentspräsident Andov - auch ich
selber habe ihn getroffen - in dieser Woche hat gezeigt,
dass Ihre Initiative falsch verstanden worden ist. Er hatte
die Angst, dass eine Verlängerung der Präsenz Deutschlands vollkommen ausgeschlossen sei und die Entscheidung gefällt wird, dass entweder die ESVP oder niemand
die internationale Präsenz und Stabilisierung fortführen
wird. Diese Missverständnisse eignen sich nicht in einem
so schwierigen Prozess.
Ich sage es einmal so: Die Operation läuft erfolgreich.
Der Patient ist noch nicht gerettet. Jeder weitere Eingriff
aber wird nur mit Zustimmung des Patienten vorgenommen. - Mit dieser Situation sollten wir sensibel umgehen.
({0})
Verehrte Kollegen, die Bundeswehr ist mit ihren vielfältigen Einsätzen, an denen sie heute beteiligt ist, eine
Armee im Übergang. Sie befindet sich in einem Reformprozess, der unter Umständen eine Nachsteuerung erfordert. Wir müssen sehen, dass die Bundeswehr bereits
heute mehr leistet, als der Zielstruktur nach von ihr abverlangt werden sollte.
Die Entscheidung der Bundesregierung, in Afghanistan das strategisch-operative Lead bei ISAF nicht zu übernehmen, war eine richtige, kluge Entscheidung und kräfteorientiert. Mit der Übernahme des taktischen Lead in
Afghanistan haben wir die Verantwortung übernommen,
die wir tragen können, zumal wir unseren Schwerpunkt
auf den Aufbau demokratischer Strukturen in Afghanistan, insbesondere den Aufbau der Polizei, gesetzt haben.
Die Bundeswehr ist bis an die Grenze belastet. Mehr
geht nicht. Wir sollten diese Situation als Atempause nutzen, um der Fragestellung zu begegnen, in welchen Fällen wir uns bei Einsätzen in der Zukunft mit wie vielen
Soldaten beteiligen wollen.
Den Kritikern, die den Mazedonien-Einsatz bisher
nicht mitgetragen haben, möchte ich noch einmal sagen:
Unser Konzept ist präventiv orientiert. Die Verteidigungspolitik ist eingebettet in den Rahmen einer präventiven Außen- und Sicherheitspolitik. Der Einsatz in Mazedonien spiegelt eben diese verantwortliche Politik
wider - und das ist gut so.
({1})
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Hildebrecht Braun für die Fraktion
der FDP.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vorab die
nahezu selbstverständliche Aussage: Die FDP wird natürlich dem Antrag auf Verlängerung des Mandats zustimmen.
({0})
Noch vor neun Monaten war die Frage des Einsatzes
der Soldaten in Mazedonien äußerst umstritten. Kanzler
Schröder hätte keine eigene Mehrheit zustande gebracht,
da zu viele seiner eigenen Abgeordneten nicht bereit waren, den deutschen Beitrag zum Friedenseinsatz in diesem
Land mitzutragen.
({1})
Er musste sein politisches Überleben durch Stellen der
Vertrauensfrage mit der Entscheidung zum Einsatz in
Mazedonien verbinden, um seine Leute auf Kurs zu bringen. Mittlerweile haben auch diejenigen bei Rot-Grün,
die seinerzeit gezweifelt haben, erkannt, dass der Einsatz
deutscher Soldaten in Mazedonien hilfreich, ja, notwendig ist.
Herr Weisskirchen, Sie glaubten, der Opposition im
Zusammenhang mit den damaligen Entscheidungen vorhin noch Vorhaltungen machen zu müssen. Erinnern Sie
sich bitte genau, wie die Situation war: Wir standen geschlossen hinter dem Einsatz in Mazedonien und waren
nur deswegen daran gehindert, dafür zu stimmen, weil wir
einen Persilschein für die Regierung hätten ausstellen
müssen. Sie erinnern sich zur Genüge.
({2})
Ich will aber nicht nachtarocken, sondern mich nunmehr an die PDS wenden: Diese Partei stellt sich noch immer quer. Auch dazu eine klare und eindeutige Aussage
meinerseits: Wer den Egoismus in der Bevölkerung aus
wahltaktischen Erwägungen heraus fördert und ausnutzt,
handelt nicht sozial, nicht einmal sozialistisch, sondern
mies. Ein solches Handeln ist nicht besser als der Versuch
von Parteien der äußersten Rechten, die latente Ausländerfeindlichkeit in unserem Land zu wahltaktischen
Zwecken zu schüren und auszunutzen.
({3})
Meine Damen und Herren von der PDS, Sie wissen
ganz genau, dass viele Menschen in unserem Land nicht
erkennen, dass wir Deutschen - wie auch die anderen
Länder - eine gemeinsame Verantwortung für die Sicherung des Friedens in der Welt haben. Dennoch sind Sie
sich nicht zu schade dafür, denen das Wort zu reden, die
sagen: Was scheren uns die Menschen in Mazedonien, im
Kosovo oder in Afghanistan?!
({4})
Um ein geflügeltes Berliner Wort zu verwenden: Das ist
nicht gut so.
({5})
Über Jahrzehnte glaubte Deutschland unter Hinweis
auf eine unklare Verfassungslage und auf die historischen
Belastungen unseres Landes durch Gräueltaten im Zweiten Weltkrieg, den anderen Ländern die Bürde der Friedenssicherung auflasten zu können. Diese Zeit ist vorbei
und ich begrüße dies.
Ich will in diesem Zusammenhang auf zwei Punkte
zu sprechen kommen, die mir wichtig erscheinen. Der
mazedonische Präsident Trajkovski hat namens seiner
Regierung die Bundesrepublik Deutschland nicht nur
gebeten, Soldaten zu schicken, sondern auch, diese
NATO-Operation zu führen. Der Wunsch richtete sich
sehr präzise an die deutsche Bundesregierung und eben
nicht an ein anderes Land. Dies gilt es zu würdigen, denn
es ist noch nicht einmal acht Jahre her, als das Verhältnis
der Menschen auf dem Balkan zu Deutschland primär von
der Erinnerung an schreckliche Geschehnisse im Zweiten
Weltkrieg geprägt war.
Wir glaubten damals auch, dass deutsche Soldaten wegen dieser historischen Belastung gar nicht in der Lage
seien, dort Friedensdienst zu leisten, eben weil die Bevölkerung dort mit unserem Land die Vorstellung von äußerster Brutalität, von nationalistischer Überheblichkeit und
von schrecklichen Menschenrechtsverletzungen verband.
Deutsche Soldaten haben nun gerade in Bosnien und im
Kosovo in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sie ihre
Aufgabe besonders im Schutz der Bevölkerung vor Menschenrechtsverletzungen,undzwarohneAnsehungderethnischenZugehörigkeitderzuSchützenden,undinderHilfe
beim Aufbau des Landes sehen. Tugenden wie Pflichtbewusstsein, Dienstbereitschaft, Verlässlichkeit und Disziplin, die man früher oft mit Deutschen verbunden hat, sind
wieder Merkmal der Aufgabenerfüllung durch deutsche
Soldaten geworden.
In dem Landesteil im Kosovo, der den Deutschen international zugeordnet wurde, ist die Entwicklung besonders positiv.
({6})
Das Verhältnis der Bevölkerung zu den Soldaten ist wohl
besser als in den anderen Sektoren. Die Aufbauleistungen
unserer Soldaten sind beträchtlich. Diese Aufgabenerfüllung deutscher Soldaten hat sich herumgesprochen und
dazu geführt, dass nicht nur der mazedonische Präsident
deutsche Soldaten wünschte, sondern dass auch die afghanische Regierung größten Wert darauf gelegt hätte,
das deutsche Engagement in ihrem Land zu verstärken.
({7})
Ich will dies in aller Öffentlichkeit als eine wunderbare
Entwicklung darstellen. Wir Abgeordneten haben allen
Anlass, stolz darauf zu sein, dass unsere Soldaten das Bild
unseres Landes positiver geprägt haben, als dies Diplomaten, Kulturbotschafter, Leute der Wirtschaft oder wer
auch immer in Jahrzehnten zu schaffen vermochten.
Wenn das Bild unseres Landes mit der Aussicht auf Frieden verbunden wird, ist das gut. Das Zerrbild des Deutschen als Nazibestie kann so überwunden werden.
({8})
Der Aufenthalt deutscher Soldaten in Mazedonien, die
Führungsfunktionen der NATO innehaben, ist zur Absicherung des Friedensprozesses notwendig, ja unverzichtbar. NATO und Vereinte Nationen sind in Mazedonien
wie überhaupt auf dem Balkan nicht nur Gäste, sondern
Mitgestalter einer friedlichen Entwicklung. Der von den
Geberländern ausgeübte finanzielle Druck speziell bei der
Hilfe zur Verbesserung der erschreckenden Zahlungsbilanz Mazedoniens, aber auch die militärische Präsenz ermöglichten den entsprechenden Einfluss, sodass sich
Volksgruppen aufeinander zu bewegten, sodass die notwendigen Verfassungsänderungen verabschiedet wurden,
sodass wenigstens eine teilweise Entwaffnung der albanischen Freischärler erzielt wurde und jetzt auch Parlamentswahlen im Herbst als sicher erscheinen. Schließlich
konnte die für den inneren Frieden in diesem Land erforderliche Amnestie durchgesetzt werden.
Ich denke aber auch daran, dass der albanische Koordinierungsrat jetzt darangehen kann, eine albanische Universität aufzubauen. Diese Entwicklung kann nur positiv sein.
({9})
Hildebrecht Braun ({10})
Frieden und Aufbau auf dem Balkan, eine gute Perspektive für die Menschen, die dort in einem der schwierigsten Teile Europas leben: Das ist das, was unsere Soldaten im Verbund mit anderen Soldaten leisten. Sie
stützen die Beobachter, die dort dringend notwendig sind,
damit sich dort keine Krisen entwickeln können. Aber
auch ihre bloße Präsenz, ihre optische Präsenz verhindert,
dass es dort zu Provokationen zwischen den Volksteilen
und zu einem Aufschaukeln des Hasses kommt, wie wir
es dort gerade erlebt haben.
Kurz: Was wir dort machen, ist Prävention, ist Friedenspolitik im besten Sinne. Deswegen sollte das ganze
Haus diesen Schritt heute unterstützen.
Vielen Dank.
({11})
Ich erteile dem Kollegen Wolfgang Gehrcke, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Den frommen Wunsch, dass
das ganze Haus so entscheidet wie die Mehrheit, werden
wir natürlich nicht erfüllen können.
({0})
Ich möchte Sie eingangs darauf aufmerksam machen
- ich finde es schon interessant, dass bisher kein Redner
darauf eingegangen ist -, dass wir diese Debatte genau am
Vorabend des dritten Jahrestages des Beginns des Krieges
gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, in dem es um das
Kosovo ging, führen. Dies war ein Krieg, den ich verfassungs- und völkerrechtlich nach wie vor für nicht legitim
halte. Diesen inneren Zusammenhang sollten wir sehen.
({1})
Dass die Bundesregierung das Engagement in Mazedonien zum Modell moderner Konfliktbewältigung aufblasen wird - so hat es Kollege Weisskirchen hier getan -,
war zu erwarten und ist, wie ich finde, wenig überzeugend. Ich möchte mich weniger mit den Argumenten auseinander setzen, die Kollege Hildebrecht Braun hier vorgebracht hat. Das alles war so durcheinander und es
stimmte so wenig daran, dass man eigentlich nicht dagegen argumentieren kann.
Ich glaube, dass die Argumente des Kollegen
Weisskirchen und anderer einen Bruch in der Logik beinhalten. Sie betonen zu stark, dass Stabilität eingekehrt ist.
({2})
- Herr Außenminister, zu Ihnen komme ich auch noch. Dadurch können sie nicht begründen, warum die Truppenstationierung verlängert werden soll. Sie machen sehr
deutlich auf die Probleme aufmerksam. Daher müssen sie
auch zugeben, dass mehr Probleme vorhanden sind und
weniger gelöst worden sind, als hier modellhaft präsentiert wird.
Jeder hier weiß doch, dass das eigentliche Problem erst
mit der Endstatusfrage des Kosovo erneut aufbrechen
wird. Jetzt haben wir die Situation, dass das Kosovo völkerrechtlich zu Serbien gehört, faktisch aber bereits wie
ein eigener Staat abgespalten ist. Wenn die Endstatusverhandlungen beginnen, die Auseinandersetzungen darüber
also geführt werden, dann wird die ganze Debatte um ein
Großalbanien wieder aufbrechen.
Deswegen sollten Sie nicht davon ausgehen, dass sich
hier ein Modell durchgesetzt hat. Die Argumentation der
Bundesregierung erinnert mich immer an den armen
Menschen, der aus dem 20. Stock eines Hochhauses fällt,
am 10. Stock vorbeikommt und sagt: Bislang ist alles gut
gegangen. Die Logik Ihrer Argumentation ist, dass sich alles auf einem friedlichen Wege befindet.
({3})
Dass die Bundesregierung in einem freien Fall ist, das
kann jeder sehen.
Auch ein zweites Argument möchte ich nicht unwidersprochen lassen. Hier wird so getan, als ob alle, die im
Hinblick auf die anstehenden Entscheidungen Probleme,
Sorgen und Nöte gehabt haben, falsch gelegen sind. Wenn
diese Probleme nicht eingetreten sind, dann heißt das
nicht, dass die Sorgen darüber unberechtigt waren.
Ich möchte Sie auf Folgendes aufmerksam machen
- die Kollegin Beer von den Grünen hat das besonders betont -: Ich bin gespannt, was passiert, wenn Sie den Beschluss Ihres Parteitages, dass künftig hier im Hause für
die Entscheidung über Militäreinsätze im Ausland eine
Zweidrittelmehrheit notwendig ist, dem Bundestag präsentieren.
({4})
- Ich bin sehr für diesen Antrag. Wenn Sie ihn nicht einbringen, dann bringt ihn meine Fraktion gerne ein. Denn
wir glauben, dass man in dieser Frage die Verantwortung
des einzelnen Abgeordneten erhöhen muss.
({5})
- Das werden wir sehen. Das ist ein Wahlkampfantrag. Ich
bin einmal gespannt, wann er auf den Tisch dieses Hauses
kommt.
Wenn die Zweidrittelmehrheit schon gegolten hätte, als
der Mazedonien-Einsatz beschlossen worden ist, hätten
Sie diese Mehrheit nicht erreicht. Sie sollten sich hier also
nicht so aufblasen,
({6})
sondern sehen, dass Debatten sehr notwendig sind.
({7})
Hildebrecht Braun ({8})
Ich möchte Ihnen sagen, was unserer Meinung nach
notwendig wäre. Die Bundesregierung hat sich aus meiner Sicht nicht ernsthaft genug dafür eingesetzt, dass der
NATO-Einsatz in einen VN-Blauhelmeinsatz überführt
worden ist, obwohl, wie ich weiß, der Generalsekretär der
Vereinten Nationen durchaus mit dem zufrieden ist, was
dort erreicht worden ist. Es hätte ein klassischer Blauhelmeinsatz mit Zustimmung beider Seiten entwickelt
werden können.
({9})
Natürlich sehe auch ich, dass die Bundesregierung die
Chance genutzt hat, sich erstmalig als Lead Nation zu präsentieren - das war in ihrem Interesse -, um sich stärker
durchzusetzen. Ich weiß auch, dass es in ihrem Interesse
ist, endlich den Einsatz der Europäischen Union und damit der Militärmacht Europa an einem praktischen Beispiel durchzusetzen. Dafür nutzen Sie den Einsatz in Mazedonien.
Nun möchte ich hinzufügen - denn ich kenne die Argumente des Kollegen Fischer -: Mein Argument gegen
einen europäischen Einsatz wendet sich nicht gegen die
NATO. Mein Argument gegen eine Militarisierung der
Europäischen Union zielt vielmehr darauf ab, endlich aus
dem Zyklus der Militärpolitik herauszukommen.
({10})
Letztendlich will ich Ihnen auch sagen, dass es schon
deswegen kein Modell ist, weil Sie es nicht durchhalten.
Aufgrund der Kosten und Veränderungen, die bei 10 000
Soldaten im Auslandseinsatz auf Sie zukommen - ich
habe leider nicht mehr die Zeit, alle Staaten aufzuzählen,
in denen momentan deutsche Soldaten stationiert sind -,
werden Sie die Wirtschaft unseres Landes und die Haushalte deformieren müssen, weil Sie nicht mehr um eine
Erhöhung des Militärhaushaltes herumkommen. Volker
Rühe will dies, ich aber nicht. In dem Dilemma stehen
Sie. Meine Fraktion wird Ihren Antrag ablehnen.
({11})
Ich erteile Bundesminister Rudolf Scharping das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stimme
den Kollegen Weisskirchen, Schwarz-Schilling, Braun
und der Kollegin Beer ausdrücklich zu. Wir können stolz
sein auf das, was wir in Mazedonien erreicht haben und
was die Soldaten leisten.
({0})
Das betrifft Brigadegeneral Keerl und seine Soldaten.
Andere Bemühungen müssen wir deswegen nicht
zurücksetzen.
Jeder wird besser verstehen, worüber wir reden, wenn
wir noch einmal die Situation von vor wenigen Monaten
betrachten. Herr Kollege Weisskirchen hat darauf hingewiesen, dass wir vor dem Ausbruch eines Bürgerkrieges
und vor gewalttätigen Auseinandersetzungen standen.
Das ist rund ein Jahr her. Heute schweigen die Waffen.
Die labile Situation ist überwunden. Wir wollen dazu beitragen, dass sie dauerhaft überwunden wurde. Der verfassungsgebende Prozess ist abgeschlossen, die Wiederherstellung der Herrschaft des Rechts in Mazedonien ist auf
einem guten Weg und die Rebellenorganisation wurde
aufgelöst. Viele andere Entscheidungen des mazedonischen Parlaments, insbesondere das am 7. März verabschiedete Amnestiegesetz, haben zu ganz wesentlichen
Fortschritten geführt.
Vor diesem Hintergrund kann man sagen, dass der verfassungsgebende Prozess vollständig umgesetzt wurde.
Die internationale Staatengemeinschaft hat darauf insbesondere mit den Ergebnissen der Geberkonferenz der Europäischen Union und der Weltbank vom 12. März, an der
sich 37 Staaten und 19 internationale Organisationen beteiligt haben, positiv reagiert.
In den nächsten Monaten wird es darauf ankommen,
das langsam wachsende Vertrauen zwischen den Bevölkerungsgruppen, also den slawischen und albanischen
Mazedoniern, zu festigen. Ohne dieses Vertrauen in die
Rechtsstaatlichkeit, die Demokratie, die wirtschaftliche
Stabilität und auch die innere Sicherheit des Landes werden die Risiken wieder auftauchen. Bisher gibt es dafür
keine Anzeichen. Insofern kommt es darauf an, diese umfassende Vertrauensbildung auf allen Ebenen zu fördern
und den fragilen Aussöhnungsprozess nicht erneut in Gefahr zu bringen.
Der zweite Hinweis, den ich geben will, hat mit der
Entwicklung in Mazedonien und dem Engagement der
Soldaten, die sich an der Operation „Fox“ beteiligen, zu
tun. Die multiethnische mazedonische Polizei ist im Aufbau, und deren Programm zur Rückkehr der Flüchtlinge in
die albanisch bewohnten Gebiete verläuft mit Ausnahme
kleinerer Zwischenfälle bisher positiv. Das gilt auch für
die Rückkehr der etwa 16 000 Vertriebenen in die ehemaligen Krisengebiete. Wir müssen allerdings im Auge behalten, dass dort ein Potenzial für neue Spannungen liegt,
wenn die vorher Vertriebenen zurückkehren. Wir müssen
verhindern, dass sich ein Sicherheitsvakuum bildet. Dazu
tragen die Europäische Union und die OSZE mit ihren Beobachtern sowie die NATO mit der Task Force „Fox“ bei.
({1})
Wir werden heute über die Verlängerung dieser Anstrengungen um drei Monate abstimmen. Bezogen auf die
innenpolitischen Debatten sollten wir uns vielleicht eines
noch vor Augen führen: Vergegenwärtigen Sie sich einmal, was wir im Juli des vergangenen Jahres hier im
Deutschen Bundestag auf der Grundlage einer Regierungserklärung erörtert haben, welche Formulierungen
dabei gefallen sind und welche Befürchtungen, als es um
„Essential Harvest“ ging - ich will sie nicht zur Seite wischen -, bestanden! Wenn wir uns die Situation heute,
rund neun Monate später, betrachten, stellt sich die Frage,
was von den ganzen Befürchtungen eines dritten Protektorates in Mazedonien übrig geblieben ist.
Kann man es ein Protektorat nennen, wenn die mazedonische Regierung, der mazedonische Staatspräsident
und alle Parteien im mazedonischen Parlament die Fortsetzung des NATO-Engagements ausdrücklich wünschen
und auch die Fortsetzung der Führung dieses Mandats
durch die Bundesrepublik Deutschland und ihre Bundeswehr befürworten? Ich verstehe das als ein Kompliment
an die Fähigkeiten der Außenpolitik der Bundesrepublik
Deutschland und insbesondere an die Fähigkeiten unserer
Soldaten und ihrer militärischen Führung.
({2})
Es ist richtig, was damals gesagt worden ist: Soldaten
allein können den Frieden nicht erzwingen. Sie schaffen
aber unverzichtbare Voraussetzungen dafür, dass die anderen Elemente der Friedenssicherung und der inneren
Stabilität eines Landes überhaupt greifen können.
Es ist über den Einsatz im Kosovo, in Afghanistan und
anderswo gesprochen worden. Man muss sich einmal anschauen, was die Bundeswehr darüber hinaus in der Operation „Enduring Freedom“ und mit ihrer Sicherheitspräsenz in Afghanistan geschultert hat. Wir müssen uns
entscheiden, wann wir die innenpolitischen, durch den
vor uns liegenden Septembertermin motivierten Debatten
mit dem Bild in Einklang bringen, das die Bundeswehr
tatsächlich bietet und das auch von unseren Freunden und
Bündnispartnern so wahrgenommen wird.
({3})
Mit Verlaub: Das Engagement in Mazedonien ist in
mehrerer Hinsicht idealtypisch. Es beweist das Verantwortungsbewusstsein und die Leistungsfähigkeit der Angehörigen unserer Streitkräfte. Es beweist aber nach den
Erfahrungen in Bosnien, im Kosovo und in den vergangenen zehn oder zwölf Jahren auf dem Balkan noch etwas
anderes: Auf der Grundlage des Stabilitätspaktes und der
Initiative der Bundesregierung sind die Soldaten mit
ihrem Engagement Gott sei Dank nicht in die Lage gekommen, aktuelle Krisen zu managen oder nachfolgende
Krisen zu bewältigen, sondern sie konnten Krieg und Bürgerkrieg präventiv entgegenwirken. Das ist ein ganz enormer Erfolg und ein Lernprozess, den wir nicht vergessen
sollten.
({4})
Damit möchte ich zugleich den Hinweis darauf geben,
dass die Soldaten, so notwendig sie zur Schaffung der
Voraussetzungen für eine stabile und friedliche innere
Entwicklung auch sind, auf Dauer keine zivilen Aufgaben
übernehmen sollten und im Übrigen auch nicht könnten.
Ich sage das auch mit Blick auf anstehende Überlegungen
im Zusammenhang mit dem gesamten Balkan, Bosnien
und dem Kosovo.
Hier wird es in den nächsten Monaten darum gehen,
den zivilen Prozess und die militärische Absicherung so
miteinander zu verzahnen, dass die erzielten Fortschritte
auch im zivilen Bereich eine Restrukturierung, eine Konsolidierung und letztlich eine Reduzierung des Engagements in Bosnien und im Kosovo möglich machen. Ich
halte das für erreichbar und in der Sache für notwendig.
Zum Schluss: Wir alle wissen, dass die innermazedonischen Konflikte politisch-ethnischer und sozialer Natur
sind. Wir wissen, dass sie nur mit politischen Mitteln und
in einem längerfristigen Prozess überwunden werden
können. Wir wissen, dass der Beitrag der NATO zum
Schutz der internationalen Beobachter und ihre schiere
Präsenz für die Sicherheit und Vertrauensbildung in Mazedonien heute noch unverzichtbar sind. Mit Blick auf
mancherlei andere Bemühungen sage ich: Es ist gut, dass
wir diese hoch integrierten Fähigkeiten politischer wie
auch militärischer Art haben. Das wird auch bei künftigen
Entscheidungen zu berücksichtigen sein.
Vor diesem Hintergrund freue ich mich gerade mit
Blick auf die Angehörigen der Soldatinnen und Soldaten,
die wir in solche Einsätze schicken, dass sich - anders als
im Sommer oder im frühen Herbst des letzten Jahres eine sehr breite und von vornherein sichere Mehrheit für
dieses Mandat im Deutschen Bundestag abzeichnet.
Dafür bedanke ich mich auch namens der Bundesregierung ausdrücklich.
In diesen wie auch in allen anderen Fällen kommt es
auf die PDS Gott sei Dank nicht an. Das zeigt im Übrigen
auch die wirklich abstruse Rede des Kollegen Gehrcke.
({5})
Das ist eine freundliche Schlussbemerkung: Bleiben Sie
da sitzen. Wir brauchen Sie nicht. Die Einigkeit im Hause
ist groß. Das braucht die Bundeswehr und das ist auch gut
so.
({6})
Ich erteile dem Kollege Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Frieden muss von innen wachsen“, so war vor einigen Jahren eine Studie der
kirchlichen Hilfswerke überschrieben. Deswegen ist es
richtig, dass man - so wie es der Kollege Weisskirchen getan hat - herausstellt, welch maßgeblichen Beitrag die internationale Staatengemeinschaft und dabei vor allem wir
Deutschen mit der Bundeswehr für den Friedensprozess
in Mazedonien geleistet haben und weiterhin leisten. Unser Dank gilt den deutschen Soldaten und der Bundeswehr. Genauso ist herauszustellen und anzuerkennen, was
die mazedonischen Politikerinnen und Politiker auf den
Weg gebracht haben und was sie jetzt umsetzen.
({0})
Wenn dieser Friede, der von innen wachsen muss,
tatsächlich ein stabiler Friede werden soll, dann ist erforderlich, dass diejenigen, die vielleicht nur aus taktischen
Motiven dem Ohrid-Abkommen und dessen Umsetzung
zugestimmt haben, dies auch zur inneren Überzeugung
werden lassen. Vor allem ist notwendig, die Bevölkerung
etwas davon spüren zu lassen, dass dieser Prozess zu einer echten Friedensdividende führt, nämlich dazu, dass
sich ihre persönliche und wirtschaftliche Lage in den
kommenden Jahren zunehmend bessert.
({1})
Deshalb ist zu Recht auf die Geberkonferenz vom
März dieses Jahres hingewiesen worden. Fakt ist aber: Die
Bundesregierung, die sich so sehr für ihren Beitrag belobigt, hat bei dieser Geberkonferenz keinen Cent mehr zugesagt, als ohnehin schon vor dem Abkommen von Ohrid
in der Mehrjahresplanung für Mazedonien vorgesehen war.
Aber unabhängig davon, wie hoch die Mittel für Mazedonien sind, müssen sie vor allem eines gewährleisten:
Sie müssen beiden großen Volksgruppen, also den Slawomazedoniern und den Albanern, zu gleichen Teilen zugute
kommen. Es macht uns besondere Sorge, dass offenkundig mit der öffentlichen Hilfe bislang kaum Projekte angegangen und durchgesetzt werden konnten, die dem albanischen Bevölkerungsteil tatsächlich den Eindruck
vermitteln konnten, gleichberechtigt zu sein.
Ein Weiteres: Die International Crisis Group hat in einer Studie unter dem Titel „Mazedoniens Frieden und
nicht die Korruption finanzieren“ die Europäische Union,
die USA sowie die Weltbank ermahnt, eine strikte Kontrolle über den immensen Geldfluss an Mazedonien auszuüben. Unser Ziel muss es sein, dass die Mittel, die wir
zur Verfügung stellen, tatsächlich den Menschen zugute
kommen und nicht in einer überregulierten Bürokratie
oder in der Korruption hängen bleiben.
Das Engagement der Bundeswehr im Rahmen des bislang NATO-geführten und hoffentlich künftig unter EUVerantwortung stehenden Einsatzes rechnet sich vor allem dann, wenn die Hilfe und Unterstützung des
politischen und wirtschaftlichen Transformationsprozesses in Mazedonien wie in den anderen Ländern des Stabilitätspaktes eine verlässliche Perspektive auch für die
kommenden Jahre hat.
In diesem Zusammenhang möchte ich Sie, verehrte
Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, daran erinnern,
({2})
dass Sie im August 2001 anlässlich des damals zu erteilenden Mazedoniens-Mandats beschlossen haben, den bilateralen deutschen Beitrag zum Stabilitätspakt für Südosteuropa auch über das Jahr 2003 hinaus fortzusetzen. In
Ihrem Entschließungsantrag heißt es:
Nur rechtzeitige Entscheidungen über die künftige
Ausstattung des Stabilitätspakts schaffen Planungssicherheit und geben wünschenswerte Anstöße für
die anderen Partner des Stabilitätspakts.
Eine ganze Reihe von Abgeordneten der Koalitionsfraktionen haben damals nur wegen dieses Entschließungsantrages dem Mazedonien-Mandat zugestimmt. Fakt ist: Dieser Entschließungsantrag von Rot-Grün ist bis zum heutigen Tag ohne jede Konsequenz geblieben. Sie haben anschließend einen Bundeshaushalt verabschiedet, in dem es
für den Stabilitätspakt null Mark mehr gibt und es vor allen
Dingen null Verpflichtungsermächtigungen gibt. Deshalb
sind bereits jetzt im Rahmen des Stabilitätspakts für Südosteuropa keine neuen Projekte mehr möglich. Damit hat
sich Rot-Grün eigentlich selbst belogen.
Wir fordern, dass das Parlament das, was es mehrheitlich beschlossen hat, auch tatsächlich durchführt und dass
der Stabilitätspakt für Südosteuropa fortgeführt wird. Die
dringend angemahnten Perspektiven für die Zukunft des
Stabilitätspakts sind jedenfalls aus Ihrem konkreten Handeln bislang nicht zu erkennen. Ich halte es für wichtig,
dass Sie sich heute dazu äußern und Ihre Aussagen auch
konkret umsetzen.
({3})
Meine Damen und Herren, der Kollege Weisskirchen
hat vielleicht in der Darstellung der Perspektiven etwas
übertrieben. Ein schönes deutsches Sprichwort lautet:
Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Was Mazedonien und Südosteuropa anbelangt, befinden wir uns
hinsichtlich der Friedenssicherung, der Sicherung und
Verwirklichung von Demokratie und vor allen Dingen der
Perspektiven für die Verbreitung von Wohlstand sozusagen immer noch in den frühen Morgenstunden und haben
noch lange nicht den Mittag erreicht. Schaffen wir also die
Voraussetzungen dafür, dass diese Perspektiven mit unserer Hilfe tatsächlich realisiert werden können.
Vielen Dank.
({4})
Ich erteile dem Bundesminister Joseph Fischer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue
mich, dass wir heute mit Ausnahme einer Fraktion eine so
breite Unterstützung für unseren Antrag über die Verlängerung des Mandats für den friedenserhaltenden Einsatz
der Bundeswehr in Mazedonien bekommen können.
({0})
Ich halte es für ein gelungenes Beispiel der Konfliktprävention, die es ermöglicht hat - verschiedene Kollegen
haben bereits darauf hingewiesen -, einem ganzen Land
das Drama eines blutigen Bürgerkriegs zu ersparen.
({1})
Die Ausführungen des Kollegen Gehrcke hatten weiß
Gott nichts mit Logik zu tun, sondern ausschließlich mit
dem Wahlkampf.
({2})
Peter Weiß ({3})
Ich bin sogar der festen Überzeugung, Sie persönlich
wären bereit, zuzustimmen, Herr Gehrcke, wenn dies das
Wahlkampfkonzept Ihrer Partei nicht kaputtmachen
würde. Denn Sie sind viel zu klug, erfahren und auch den
Dingen zugewandt,
({4})
um nicht selbst zu wissen, dass Sie heute schlichten Unsinn vorgetragen haben.
({5})
Für eine Umstellung auf eine UN-Mission würden Sie
- das wissen Sie auch - zum gegenwärtigen Zeitpunkt in
New York weder im Sicherheitsrat noch unter den Mitgliedstaaten auch nur eine unterstützende Stimme finden.
Es gibt keine Alternative zu der Verlängerung des Mandats, es sei denn, man wollte den erfolgreichen Prozess
der Prävention und der Stabilisierung des Landes gefährden.
({6})
Wir haben es mit der Implementierung eines Friedensabkommens zu tun, bei der sich viele von uns am Anfang nicht sicher waren, ob sie wirklich funktionieren
würde, ob auch das Aufeinanderzugehen der beiden
großen ethnischen Gruppen tatsächlich funktionieren
würde und ob die Bildung gemeinsamer Institutionen
wirklich erfolgreich vonstatten gehen könnte. Heute können wir feststellen: Das Abkommen ist implementiert.
Uns ist sogar bekannt, dass es entscheidend war, dass die
Amnestiegesetze das Parlament durchlaufen haben. Auch
in diesem Zusammenhang gab es durchaus Fragezeichen.
All dies würde infrage gestellt werden, wenn das Mandat
heute nicht verlängert würde.
Darüber hinaus möchte ich noch eines unterstreichen.
Als es um den Wechsel in der Führung des Mandats ging,
kam ich gerade aus dem Nahen Osten zurück. Ich erhielt
noch spätnachts einen Anruf von Präsident Trajkovski. Er
hat uns nachdrücklich seinen Wunsch übermittelt - auch
im Namen aller im Parlament vertretenen albanischen wie
slawomazedonischen Parteien -, dass Deutschland die
Führungsfunktion, die so genannte Lead-Funktion, beibehält. Ein besseres Lob für die Arbeit unserer Soldaten
und den dortigen Kommandeur, Brigadegeneral Keerl,
könnte es wohl nicht geben. Das möchte ich dem Parlament nicht vorenthalten.
({7})
Dennoch sind wir noch nicht über den Berg. Ohne jeden Zweifel ist der endgültige Status des Kosovo eine
ganz wichtige Frage, ebenso die Frage, ob Jugoslawien
fortbestehen wird, ob also Serbien und Montenegro weiterhin einen gemeinsamen Staat bilden werden. Auch
müssen die weitere Entwicklung in Bosnien und der Umgang mit Kriegsverbrechern in diesem Zusammenhang
gesehen werden.
Machen wir uns eines klar: Seitdem die schmerzhaften
Entscheidungen auch im Kosovo getroffen worden sind,
hat die gesamte Region die Perspektive einer dauerhaften
friedlichen und demokratischen Entwicklung hin zu
einer Integration in die Europäische Union. An dieser
Perspektive werden wir auf allen Ebenen entschlossen
weiterarbeiten, da dies die beste Form von Friedenserhaltung und Konfliktprävention ist, wie das Beispiel unseres
eigenen Landes ja gezeigt hat.
({8})
Es war sehr wichtig, dass jetzt im Kosovo eine Regierung gebildet werden konnte. An dieser Stelle möchte ich
es nicht versäumen, den Sonderbeauftragten von Generalsekretär Kofi Annan, den uns allen bekannten Michael
Steiner, nachdrücklich dafür zu loben, dass es ihm gelungen ist, diesen wichtigen Schritt im Kosovo zu vermitteln
und durchzusetzen.
({9})
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Punkt ansprechen, nämlich die Überführung in eine ESVP-Operation.
Ich freue mich hier über die breite Zustimmung. Die Dinge
sind in der Europäischen Union sehr weit gediehen. Da wir
aber keine Doppelstrukturen wollen und zugleich den militärischen Rückhalt und die militärische Tiefe der NATO
brauchen, haben wir die Frage des Verhältnisses zwischen
der ESVP-Struktur und der NATO zu klären. Das ist kein
europäisches Problem, sondern es geht darum, ob Griechenland bereit ist, die mit der Türkei getroffenen Vereinbarungen von Ankara und Istanbul zu akzeptieren. Solange
dieses Problem nicht gelöst ist, wird es zu einer solchen
Überführung nicht kommen können. Aber ich bin optimistisch, dass die spanische Präsidentschaft in ihrem weiteren
Bemühen, diese Problem zu lösen, Erfolg haben wird.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung bittet
Sie um eine Verlängerung des Mandats, damit die erfolgreiche Stabilisierung Mazedoniens weitergehen kann. Ich
bedanke mich bei Ihnen schon jetzt namens der Bundesregierung für die Zustimmung und werbe bei all jenen, die
sich bisher noch nicht dazu durchringen konnten, um
künftige Zustimmung. Es ist wichtig, dass wir an unseren
Stabilisierungsbemühungen für Mazedonien und die
ganze Region festhalten. Dafür brauchen wir die Verlängerung des Mandats für unsere Soldaten.
Vielen Dank.
({10})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Helmut Rauber, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass sich der
Saal füllt und so viele Kolleginnen und Kollegen kommen, um meiner fünfminütigen Rede zu lauschen.
({0})
Die CDU/CSU stimmt der Verlängerung des Mandats
zu, weil sie die Ansicht von Bundesaußenminister Fischer
teilt, dass es keine Alternative gibt.
({1})
Verließen wir dieses Land bzw. diese Region, hätten wir
sehr schnell wieder Verhältnisse wie zu Beginn der 90erJahre, als über 800 000 Flüchtlinge zu uns kamen. Um sie
zu ernähren und unterzubringen, mussten wir jährlich
Kosten in Höhe von etwa 20 Milliarden DM aufbringen.
Die Schutzfunktion für die rund 180 internationalen Beobachter jetzt einzustellen, bedeutete, dass die hier bereits
genannten politischen Erfolge der letzten Monate zunichte gemacht würden.
Wie soll es weitergehen? Ich unterstreiche das, was
hier vom Kollegen Schwarz-Schilling gesagt wurde.
Wenn wir es mit der europäischen Sicherheitspolitik ernst
meinen, dann brauchen wir eine Führung unter den Europäern; alles andere bedeutete, in die falsche Richtung zu
marschieren. Wir können nicht ständig die GASP beschwören und dann wie bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus das Gegenteil tun.
Ich komme zu einem weiteren Kritikpunkt: Wir brauchen mehr Ehrlichkeit und mehr Weitsicht bei der Formulierung unserer Mandate. Während der Präsident Mazedoniens davon ausgeht, dass das Mandat noch in diesem
Jahr auslaufen kann, spricht der EU-Sonderbeauftragte
für Mazedonien LeRoy wegen des weit verbreiteten Waffenbesitzes in der Bevölkerung vom Zieldatum 2003.
Wenn wir von der CDU/CSU-Fraktion von Weitsicht
sprechen, dann meinen wir, dass nicht nur die Frage, wie
die Bundeswehr in Konfliktregionen hineinkommt, sondern auch die Frage, wann und zu welchen Kosten sie
wieder aus den Konfliktregionen herauskommt, angesprochen werden muss.
({2})
Wir sind bei den Auslandseinsätzen an einem Punkt angekommen, an dem wir aufpassen müssen, dass wir weder die Soldatinnen und Soldaten noch unsere Bevölkerung überfordern. Es ist richtig, dass Deutschland als
führende wirtschaftliche und politische Macht nicht wegschauen kann, wenn Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Religion, ihrer politischen Gesinnung oder wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit verfolgt, misshandelt oder
getötet werden. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen,
dass derzeit in der Welt 815 Millionen Menschen Hunger
leiden und dass es rund 30 Konflikte - es sind überwiegend Bürgerkriege - gibt. Deshalb brauchen wir unter
dem Dach der UNO Schlichtungssysteme unter regionaler Beteiligung.
Mir reicht das, was unter dem Begriff „nation building“
auf dem Balkan geschieht, nicht aus. Solange alle
schmerzlichen Entscheidungen in der Region nicht von
gewählten Parlamentariern des Landes, sondern vom Hohen Kommissar getroffen werden, kann sich kein funktionsfähiges System entwickeln.
Zum Schluss möchte ich noch einige Sätze zu dem sagen, was sich auf dem Parteitag der Grünen in dieser
Woche ereignet hat.
({3})
Dort erklärte Bundesminister Trittin, dass er beim Mazedonienkonflikt gelernt habe, dass auch Truppen den
Frieden sichern können. Dies ist eine sehr erstaunliche
und eine sehr späte Erkenntnis.
({4})
Historiker sollten einmal der Frage nachgehen, wie der
Jugoslawienkonflikt verlaufen wäre, wenn es anfangs
nicht den massiven Widerstand derer gegeben hätte, die
heute die Bundesregierung stellen.
({5})
SPD und Grüne haben damals - ich sage das besonders an
Ihre Adresse, Herr Bundesminister Fischer - gegen Maßnahmen der Konfliktverhinderung und der Konflikteindämmung das Bundesverfassungsgericht angerufen. Es sei
daran erinnert, dass es 1994 darum ging, ob sich die deutsche Marine an dem Einsatz zur Kontrolle des Waffenembargos in der Adria beteiligen bzw. ob deutsche Piloten
in den AWACS-Flugzeugen mitfliegen dürfen.
Ähnlich absurd war etwas anderes, was sich ebenfalls
auf dem Parteitag der Grünen letzte Woche zugetragen
hat. Wie weit ist es gekommen, wenn schon ein Delegierter aus Bad Kreuznach mit einem nur als bescheuert zu bezeichnenden Antrag fast eine Regierungskrise auslösen
kann?
({6})
Wir haben nichts dazuzulernen. Wir wussten immer, dass
weder Pazifismus noch Wehrlosigkeit ein mörderisches
System, das entschlossen mit Gewalt und Terror gegen
Schwache vorgeht, aus der Welt schaffen können. Wir
wären froh gewesen, wenn Sie sich damals so verhalten
hätten, wie wir es heute tun.
Wir sind unseren Soldatinnen und Soldaten dankbar,
die stellenweise unter schwierigsten Umständen ihren
Dienst verrichten, damit Menschen in Regionen außerhalb des Bündnisgebietes wieder eine Lebensperspektive
bekommen.
Kollege Rauber, Sie
haben Ihre Redezeit überschritten.
Die Lage in Mazedonien ist nicht stabil. Das hat die Bundesregierung selbst
zugegeben. Wir hoffen, dass alle unsere rund 600 Soldatinnen und Soldaten bald wieder gesund nach Hause kommen. In diesem Sinne stimmen wir der Verlängerung des
Mandats zu.
({0})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache
14/8624 zu dem Antrag der Bundesregierung auf Fortset-
zung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an dem NATO-geführten Einsatz auf mazedonischem
Territorium. Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt, den
Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 14/8500 an-
zunehmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Zur
Abstimmung liegt eine Erklärung nach § 31 der Ge-
schäftsordnung des Bundestages vor.
Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, bei der
Stimmabgabe sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimm-
karten, die sie verwenden, ihren Namen tragen.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Plätze an
den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Ab-
stimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Nein, wir sind so
weit. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be-
ginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben.1)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die Reihe
der Abstimmungen fort.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/8637. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 20 b: Wir kommen zur
Schlussabstimmung
über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaften
und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der ehemaligen
jugoslawischen Republik Mazedonien andererseits,
Drucksachen 14/7766 und 14/8512. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 d: Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen
Ausschusses auf Drucksache 14/7534 zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der FDP zu dem Antrag
der Bundesregierung zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem NATO-geführten Einsatz auf
mazedonischem Territorium zum Einsammeln und Zerstören von Waffen. Der Ausschuss empfiehlt, den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache
14/6838 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen der
beiden anderen Fraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 e: Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 14/7535 zu dem Entschließungsantrag der
Fraktion der CDU/CSU zum Antrag der Bundesregierung
zu dem zuvor genannten NATO-geführten Einsatz. Der
Ausschuss empfiehlt, den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/6839 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit derselben Mehrheit wie soeben angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes
Deutschland ({0})
- Drucksache 14/8017 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
({2})
- Drucksachen 14/8600, 14/8601 Berichterstattung:
Abgeordnete Nina Hauer
Andrea Fischer ({3})
Carl-Ludwig Thiele
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Nina Hauer, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Damen
und Herren! Es freut mich, dass wir heute hier das Vierte
Finanzmarktförderungsgesetz verabschieden können. Es
handelt sich um einen weiteren Schritt einer Politik, die
den Finanzplatz Deutschland stärken soll. Es ist eingebet-
tet in verschiedene Vorhaben, die wir zum größten Teil
schon abgearbeitet haben. Ich nenne als Beispiele die
Strukturreform der Bundesbank, das Übernahmegesetz,
die integrierte Finanzaufsicht, die Allfinanzaufsicht und
natürlich auch die Steuerreform. Deutschlands Finanz-
markt ist leistungs- und wettbewerbsfähig. Wir sorgen da-
für, dass das auch so bleibt und wir auch im internatio-
nalen Wettbewerb Schritt halten können.
Wir beobachten einen Strukturwandel des Finanzmarktes.
Die Entwicklungen in der Kommunikationstechnologie
beschleunigen den Handel mit Geld und Wertpapieren,
die Integration des europäischen Finanzmarktes schreitet
voran, Börsendienstleistungen werden immer internatio-
naler abgefragt und Börsen kooperieren sowohl in
Deutschland als auch europaweit immer stärker miteinan-
Präsident Wolfgang Thierse
1) Ergebnis Seite 22658 A
der, während zugleich der Wettbewerb zwischen Handelssystemen immer größer wird.
Ein starker Finanzmarkt ist für die Finanzierung von
Unternehmen in Deutschland notwendig. Aktienemissionen sind immer noch ein Instrument zur Unternehmensfinanzierung, das in Deutschland zum Teil jetzt erst
richtig von unseren Unternehmen angenommen wird.
Umso wichtiger ist es, dass wir die an den Börsen geltenden Regeln weiterentwickeln und voranbringen. Mit dem
vorliegenden Gesetz wollen wir das tun: Wir erleichtern
die Bildung von Qualitätssegmenten im Börsenhandel,
ordnen das Maklerrecht neu und geben den Börsen die
Möglichkeit, die von ihnen eingesetzten Handelssysteme
selber auszugestalten.
Es ist eine falsche Auffassung, zu denken, dass der Finanzmarkt immer dort am attraktivsten ist, wo er am wenigsten geregelt wird; das Gegenteil ist der Fall. Da, wo
Chaos herrscht, werden Anleger und Emittenten verunsichert und sind dann nicht bereit, zu investieren. Deshalb
sorgen wir dafür, dass die Börsenaufsicht gestrafft wird
und die alternativen Handelssysteme in diese Aufsicht mit
einbezogen werden. Diese Regelung ist, wie ich denke,
dringend überfällig. Wir fassen die Vorschriften, die Kursund Marktpreismanipulationen verbieten, neu, erschweren diese damit und weisen die Aufsicht darüber der von
uns jetzt gegründeten integrierten Finanzaufsicht zu. Es
ist erfreulich, dass wir darüber eine Einigung mit den
Bundesländern erzielt haben.
Ich freue mich darüber, weil es so gelingt, die Aufsicht
konkreter, übersichtlicher und handlungsfähiger zu machen. Eine solche Aufsicht muss in die Hände des Bundes
und darf allein schon deshalb nicht bei den Ländern bleiben, weil Kurse auch aus Bundesländern manipuliert
werden können, die keine eigenen Börsen haben. Eine
Aufsicht auf Länderebene hätte keine Chance, das zu beobachten. Ich denke, die EU tut Recht daran zu sagen,
dass die Börsenaufsicht in nationale Hand gehört und
nicht aufgrund von föderalen Strukturen zerstückelt werden darf.
({0})
Dass wir in diesem Punkt eine Einigung mit dem Bundesrat erzielen konnten, ist im Sinne der Börsen und unseres Finanzmarktes.
Wir haben die Finanzmarktaufsicht aber auch in die
Lage versetzt, Kursmanipulationen sofort und unmittelbar zu sanktionieren. Das ist ein wichtiger Bereich. Es
darf nicht sein, dass dann, wenn ein Manipulationsverdacht aufkommt, erst eine Riesenmaschinerie in Gang gesetzt werden muss. Die Aufsicht muss selber handeln können. Auch das ist im Interesse des Finanzmarkts.
Immer mehr Menschen betreiben ihre Vermögensbildung und auch ihre Altersvorsorge am Kapitalmarkt.
Nicht zuletzt unsere Rentenreform hat dieses Verhalten
aufgegriffen und unterstützt die Vorsorge am Kapitalmarkt. Gerade deshalb müssen Verbraucher am Finanzmarkt vor Falschinformationen geschützt werden und
eine gesicherte Rechtsposition erhalten. Ansonsten wären
die Vermögens- und die Altersvorsorge der Menschen gefährdet. Wir sind der Meinung, dass Anleger auch Verbraucher sind, die einen Anspruch auf Transparenz und
Rechtssicherheit haben. Dieses Gesetz räumt ihnen dies
ein.
Ich will das an Beispielen darstellen:
Bei Ad-hoc-Mitteilungen soll verhindert werden, dass
überflüssige Mitteilungen veröffentlicht werden. Die Flut
von Informationen soll also eingegrenzt werden. Auf der
anderen Seite muss dafür gesorgt werden, dass falsche
Mitteilungen unverzüglich berichtigt werden, weil sie
dazu führen können, dass Anleger in die Irre laufen und
falsch investieren.
Insider müssen mitteilen, wenn sie Insidergeschäfte
tätigen, damit auch auf diesem Gebiet Transparenz
herrscht.
Wertpapieranalysten sind verpflichtet, Interessenkonflikte offen zu legen und mit Sorgfalt zu analysieren. Ich
denke, dass auf diesem Gebiet dringender Handlungsbedarf bestand.
({1})
Wer durch unterlassene oder verspätete Veröffentlichungen geschädigt wurde, hat jetzt Anspruch auf Schadenersatz. Das Zentrale für die Bürgerinnen und Bürger
an diesem Gesetz ist, dass die Anleger als Verbraucher behandelt werden und als solche eine Rechtsposition haben.
Wenn durch Falschverhalten der Marktteilnehmer eine
Schädigung eingetreten ist, können sie dagegen klagen.
Das wird unseren Finanzmarkt stärken und dafür sorgen,
dass sich Emittenten und Anleger am Finanzplatz
Deutschland wohl fühlen und investieren.
Mich freut, dass wir dieses Gesetz gemeinsam mit den
Ländern auf den Weg gebracht haben. Es tut mir Leid,
dass sich die CDU/CSU-Fraktion mit ihren Parteifreunden in den Ländern leider nicht abgesprochen hat und
dagegenstimmen will.
({2})
Mit diesem Gesetz sind wir auf dem richtigen Weg, um
den Kapitalmarkt sicherer, vielleicht auch ein bisschen
populärer zu machen. Wir eröffnen damit unserer Wirtschaft hinsichtlich der Finanzierung von vorhandenen
und neuen Unternehmungen eine neue Perspektive. Deswegen freue ich mich, dass wir die Beratungen über dieses Gesetz heute erfolgreich abschließen können.
({3})
Die Zuverlässigkeit, die wir mit diesem Gesetz schaffen, gilt für beide Marktteilnehmer: sowohl für die Emittenten als auch für die Anleger. In Zukunft werden wir in
diesem Wirtschaftszweig - der Finanzmarkt bedeutet immer auch Arbeitsplätze - einen großen Fortschritt erzielen.
Vielen Dank.
({4})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Leo Dautzenberg, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! In dem von der rot-grünen
Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur
weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland, dem so genannten Vierten Finanzmarktförderungsgesetz, heißt es - ich zitiere -:
Zur Stärkung seiner Leistungsfähigkeit
- also des Finanzplatzes Deutschland und zur Sicherung der Marktintegrität bedarf es einer
ständigen Fortentwicklung und Modernisierung der
rechtlichen Vorschriften und ihrer Anpassung an sich
ändernde Rahmenbedingungen.
Was hier so vielversprechend und sehr vollmundig angekündigt wurde, ist jedoch überwiegend misslungen.
({0})
Ich möchte klarstellen: Wir brauchen dringend die vierte
Novelle des Finanzmarktförderungsgesetzes, um den Finanzplatz Deutschland im internationalen Wettbewerb
zu stärken.
({1})
Von einem leistungsfähigen und ökonomisch gesunden
Finanzmarkt hängen wirtschaftliches Wachstum und
eine Vielzahl von Arbeitsplätzen ab. Jedoch sind die von
den Regierungsfraktionen vorgelegten Regelungen keinesfalls geeignet, diesen hohen Anforderungen zu genügen - im Gegenteil. Frau Kollegin Hauer, Sie haben schon
ausgeführt, was hinsichtlich der Aufsicht, der Verbraucherinteressen und des Marktzugangs geregelt worden ist.
Es ist unbestritten, dass das notwendig ist. Aber es gibt
große, gravierende Mängel, mit denen Sie dieses Gesetz
zusätzlich befrachtet haben, wodurch der Finanzplatz
Deutschland nicht gestärkt, sondern behindert wird.
Auch einige Vertreter von Interessenverbänden haben
im Verlaufe der Anhörungen die Ansicht geäußert, es sei
besser, einen teilweise missglückten Gesetzentwurf anzunehmen als gar keinen, um keinen Reformstau zu verursachen. Diese Auffassung halte ich für grundlegend falsch.
Wenn die Grundbedingungen eines solchen Entwurfes
nicht zustimmungsfähig sind, sollte man ihm auch nicht
zustimmen.
Der Gesetzentwurf - das habe ich betont - enthält
zweifelsohne einige richtige Regelungen, aber entscheidend sind die zentralen Punkte. Diese gehen in die falsche
Richtung. Deshalb ist der Entwurf in der Gesamtheit abzulehnen.
Bevor ich auf einzelne gravierende inhaltliche Mängel
eingehe, sollten die verfahrensrechtlichen Schwachpunkte benannt werden. Allein die Vorgehensweise der
Bundesregierung und der Fraktionen der SPD und der
Grünen auch während des Verlaufs der parlamentarischen Beratungen spricht für sich. Schon seit längerem
haben die beteiligten Interessengruppen die Bundesregierung auf die Notwendigkeit der Reform hingewiesen. Der
Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde mehrmals angekündigt. Bei diesen Ankündigungen blieb es aber
zunächst.
({2})
Diese Vorphase zog sich über mehr als drei Jahre hin. Der
schließlich von der Regierung vorgelegte Entwurf ist mit
seinen über 400 Seiten nur in seiner Quantität beispielhaft. Innerhalb von nur anderthalb Tagen mussten wir in
den Beratungen mehr als 90 Umdrucke bewältigen.
Zum Teil liegt das auch daran, dass in den Entwurf Regelungen aufgenommen wurden, die mit dem primären
Regelungsziel, nämlich der Stärkung des Finanzplatzes
Deutschland, nichts zu tun haben. Ich nenne in diesem Zusammenhang nur die Vorschriften zur Geldwäschebekämpfung. Diese Normen werden Kosten in Milliardenhöhe verursachen und sind zudem wenig zielführend.
Auch der von der Bundesregierung vorgelegte Zeitplan
war viel zu kurz angesetzt und für uns im Grunde unzumutbar. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren,
dass die Bundesregierung die Reform, nachdem das gesamte Reformvorhaben scheinbar ohne erkennbaren
Grund von ihrer Seite unnötig verzögert wurde - das Vorverfahren zog sich, wie ich betont habe, über mehr als drei
Jahre hin -, nun im Hauruckverfahren durchzieht. Eine
solch komplexe und anspruchsvolle Materie wie die
grundlegende Umstrukturierung des deutschen Finanzmarktes kann nicht innerhalb von zwei Monaten mit dem
notwendigen Verantwortungsbewusstsein und der erforderlichen Gründlichkeit abschließend beraten werden.
({3})
Dies ist in höchstem Maße unseriös. Aber es scheint Methode dahinter zu stecken, denn bei anderen Gesetzgebungsverfahren, etwa im Bereich des Steuerrechts, war
der Ablauf ähnlich.
({4})
Die Gesetze, die die Bundesregierung mit ihrer Parlamentsmehrheit durchpeitscht, sind mit heißer Nadel gestrickt und entsprechend schlecht ist das Ergebnis.
({5})
Zudem zeugt es von mangelnder Professionalität, wenn
Rot-Grün selbst einen Entschließungsantrag mit Absichtserklärungen und Prüfaufträgen an die Regierung einbringt, obwohl sie diese Punkte bis zuletzt selbst ins
Beratungsverfahren hätten einbringen können.
({6})
Dieses Verfahren ist an sich schon ein Treppenwitz der
Geschichte.
Wir beraten zurzeit ja auch Basel II. Wenn man die
Standards des entsprechenden Ratings zum Maßstab nehmen würde, wäre das eine Sechs.
({7})
- Das hat Sie gerettet, Herr Kollege, dass es dieses Rating
noch nicht gibt, sonst könnte man diesen Maßstab schon
anlegen.
Ein anderer Exkurs sei mir kurz gestattet. Wir behandeln zurzeit auch EU-Richtlinien in Brüssel. Es wäre
wichtig gewesen, zumindest das, was noch an Regelungsbedarf für die Zukunft besteht, in ein solches
Gesetzgebungsverfahren mit einzubinden. Hier ist im
Vorhinein etwas beschlossen worden, was teilweise durch
die EU-Regelungen konterkariert werden kann.
Ein weiterer Punkt muss betont werden, der ein Beispiel dafür ist, wie die Regierung hier verfährt. Bei der
Vorbereitung der EU-Richtlinien und der Festlegung der
Grundstrukturen des Finanzmarktes auf europäischer
Ebene war unsere Regierung auch von der personellen
Vertretung her mangelhaft vertreten, während andere
Staaten, beispielsweise Großbritannien, gerade bei diesen
Fragen mit mehr als 30 Personen beteiligt waren.
({8})
Wir haben demnächst über 50 Richtlinien zu erwarten,
die wir hier behandeln müssen. Deshalb ist es wichtig,
dass wir im Vorfeld beteiligt sind. Es ist schon kurios, wie
Kanzler Schröder sozusagen als Elefant im Porzellanladen gegenüber den europäischen Partnern aufgetreten ist.
Es wäre angebrachter gewesen, wenn er sich mit den Verantwortlichen in Brüssel zur Vorbereitung der entsprechenden Maßnahmen abgestimmt hätte.
({9})
Ich komme nun zu den einzelnen Mängeln des Gesetzes.
Erstens, zum Börsengesetz. Hier fehlt nach wie vor
eine Legaldefinition von Börse als öffentlicher Auftrag.
Es ist bedenklich, dass selbst die Börsensachverständigenkommission nicht dazu geraten hat, eine Definition
aufzustellen. Es wäre aber wichtig, wenn einmal definiert
würde, was der öffentliche Auftrag der Börse ist.
Es gibt neuere Entwicklungen im Bereich von Handelssystemen und außerbörslichen Handelsplattformen,
die beobachtet werden müssen. Es ist ferner darauf zu
achten, inwieweit diese Entwicklungen die börsliche
Preisfeststellung beeinflussen werden. Aufgabe des Gesetzgebers ist es, den börslichen Preisbildungsprozess zu
definieren. Es muss sichergestellt werden, dass die Liquidität des börslichen Preisfeststellungsprozesses nicht
durch schleichende Verlagerung des Handels unter anderem auf alternative Handelssysteme ausgetrocknet wird.
Interessenausgleich und Chancengleichheit müssen insbesondere für die kleinen Anleger gewahrt werden. Das
ist auch unsere Erwartungshaltung an Xetra-Best.
Zweitens, zum Wertpapierhandelsgesetz. Nach dem
Gesetzentwurf soll die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Leerverkäufe in zur inländischen Börse zugelassenen Aktien untersagen können, wenn eine erhebliche Marktstörung droht, die schwerwiegende Gefahren für
die Gesamtwirtschaft oder das Finanzsystem erwarten
lässt. Alle Experten haben in der Anhörung des Finanzausschusses darauf hingewiesen, dass diese Ermächtigung
der Behörde, in bestimmten Marktsituationen Leerverkäufe zu untersagen, die Stabilität des Finanzmarktes nicht
erhöht. Im Gegenteil: Sie steigert die Unsicherheit der
Marktteilnehmer und mindert die Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland. Man muss daher befürchten, dass
sich die Marktteilnehmer auf andere Märkte in Europa
konzentrieren, wenn Marktsegmente außer Kraft
gesetzt werden. Dies wird Auswirkungen auch auf die
Kassamärkte haben.
({10})
In diesem Punkt können wir uns durchaus ein Beispiel
an den angelsächsischen Ländern nehmen, die ein effizienteres und differenzierteres System zur Unterbindung
und Rückgängigmachung von Geschäften aufgebaut haben. Dieses System beinhaltet keine Aussetzung von
ganzen Marktsegmenten.
Drittens, zum Auslandsinvestmentgesetz. Wir haben
eine Ungleichbehandlung für so genannte ausländische
„Weiße Fonds“ durch das Auslandsinvestmentgesetz. Das
von Ihnen beschlossene Halbeinkünfteverfahren soll
nämlich nicht auf diese Fonds angewendet werden.
Viertens, zum Kreditwesengesetz. Der automatisierte
Abruf von Kontoinformationen soll durch die Bundesanstalt für Kreditwesen gewährleistet werden. Diese Vorschrift ist auf das Schärfste abzulehnen.
({11})
Man muss sich dieses Vorhaben einmal bewusst vor Augen führen. Es werden Daten von über 400 Millionen
Konten auf Abruf bereitgestellt,
({12})
ohne dass darüber die Bank oder der Kunde informiert
wird. Als Alternative haben wir gemeinsam mit dem Zentralen Kreditausschuss einen anderen Vorschlag vorgelegt. Es ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten sinnvoller, dass die Aufsichtsbehörde anlassbezogen per
E-Mail die Daten abruft. Die Banken müssen dann innerhalb eines bestimmten Zeitraumes Auskunft erteilen. Das
ist das effektivere und effizientere Instrumentarium. Es ist
auch unserer Rechtsnorm angemessen.
Da meine Redezeit zu Ende geht, will ich nur darauf
verweisen, dass wir noch weitere Vorstellungen hinsichtlich der Anpassung der Rechtsnormen für Hypothekenbanken und für die Geschäfte mit Derivaten haben. Man
kann diese Vorstellungen auch auf öffentliche Pfandbriefanstalten erweitern. Das haben Sie abgelehnt.
Ein kleiner Erfolg war, dass Sie unseren Antrag in dem
Punkt akzeptiert haben, in dem es im Rechtsberatungsgesetz um die so genannten Asset-Backed-SecuritiesTransaktionen geht. Diese sind nun in der Interpretation
des Rechtsberatungsgesetzes abgesichert.
Abschließend verweise ich auf unseren Entschließungsantrag, in dem wir unsere Vorstellungen zusammengefasst haben. Dieses Gesetz geht nach unserer
Auffassung in wichtigen Punkten hinsichtlich der Finanzmarktaufsicht in die richtige Richtung, andere Punkte
konterkarieren das aber. Wir wollen ein Viertes Finanzmarktförderungsgesetz, das der Förderung des Finanzmarktes dient und nicht der Verhinderung und Behinderung.
Vielen Dank.
({13})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Andrea Fischer, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Dautzenberg, aufgrund meiner Zeit in der Opposition habe ich viel Verständnis dafür, dass Sie diesem Gesetz zu Beginn dieses Wahljahres nicht zustimmen können.
({0})
Sie haben dafür allerdings nur sehr kleinliche Begründungen geliefert.
({1})
Glauben Sie mir, ich verfüge über reichlich Erfahrung,
was umstrittene Gesetze anbelangt.
({2})
Aber angesichts dessen, was ich in der Anhörung des Finanzausschusses gehört habe, kann ich Ihnen sagen, dass
dieses Gesetz nicht umstritten ist. Alle Fachleute haben
bestätigt, dass wir dieses Gesetz brauchen, haben aber an
bestimmten Punkten Kritik anzubringen gehabt. Deswegen finde ich es erbärmlich, wenn Sie mit Verweis auf einzelne Punkte von dem ganzen Gesetz, das einen Umfang
von 500 Seiten hat und eine sehr große Reichweite besitzt,
behaupten, dass es völlig missraten sei.
({3})
Sie wissen genauso gut wie ich, dass es dringend notwendig ist, die deutschen Finanzmärkte den international
gültigen Regelungen anzupassen. Daneben besteht angesichts der Ereignisse der letzten ein bis zwei Jahre, durch
die das Vertrauen der Anleger erschüttert wurde, erheblicher Anlass, das Vertrauen wieder herzustellen. Das ist
das Ziel dieses Gesetzes. Es gibt den Anlegern neue Möglichkeiten, ihre Entscheidungen zu überprüfen und sie auf
eine sichere Grundlage zu stellen.
Die Punkte, die Sie, Herr Dautzenberg, aber auch die
Kollegen von der FDP sich zu Eigen machen, sind nicht
geeignet, etwas im Sinne der Kleinanleger zu ändern.
Das Gesetz dient doch ganz wesentlich dazu, dass Kleinanleger, also Menschen, die nicht den ganzen Tag professionell die Börse beobachten, sondern einen Teil ihrer Ersparnisse anlegen und nur begrenzte Zeit haben, sich
damit zu befassen, verlässlichere Informationen bekommen und diese sicherer überprüfen können. Das ist ein
ganz entscheidender Punkt, der auch in der Anhörung eine
zentrale Rolle gespielt hat. Schon heute legen 15 Millionen Menschen in unserem Lande ihr Geld in Aktien an.
In deren Interesse sind viele der neuen Regelungen in diesem Gesetz. Das wird von Ihnen in keiner Weise positiv
bewertet. Sie wollen ihnen diese Regelung noch nicht
einmal gönnen, indem Sie gegen dieses Gesetz sind.
Dafür habe ich ganz wenig Verständnis.
({4})
Ich habe den Eindruck, dass Sie versuchen, sich hier an
einigen Punkten hochzuziehen, die meines Erachtens
nicht zu den eigentlich wichtigen Regelungen gehören.
Beispielsweise haben wir im Ausschuss lange über die
Frage gestritten, ob sich all diejenigen, die Leerverkäufe
durchführen, von der Regelung abgeschreckt fühlen, dass
die Börsenaufsicht in ganz bestimmten Situationen eingreifen kann. Ich halte das für eine realitätsferne Einschätzung. Die Börsenaufsicht wird nur in wirklich extremen Situationen einschreiten. Dafür wird der Rest der
Finanzmarktteilnehmer dann auch dankbar sein. Ansonsten hat die Börsenaufsicht genau dasselbe Interesse wie
Sie und ich, nämlich sicherzustellen, dass Leerverkäufe
ihre sinnvolle Funktion im Finanzmarkt erfüllen können.
Ich komme zu einem weiteren entscheidenden Punkt.
Wir haben lange und ausführlich mit dem Datenschutzbeauftragten und mit anderen Fachleuten über die Frage
der Kontendaten und deren Abruf diskutiert. Es werden
nicht die Bewegungsdaten abgerufen, sondern nur die
Stammdaten. Darüber hinaus ist noch eine Reihe von Regelungen getroffen worden, von denen der Datenschutzbeauftragte gesagt hat, dass die Regelungen in der Weise,
wie sie jetzt bestehen, das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung nicht verletzen und dass sie vor dem
Hintergrund der Sicherheitsmaßnahmen, die wir in den
letzten Monaten aus ernstem Anlass treffen mussten, gerechtfertigt sind. Deswegen ist die diesbezügliche Kritik
weit überzogen.
({5})
Für mich ist es enttäuschend, wenn in dieser Kritik untergeht, was wir alles erreicht haben. Für einen funktionierenden Finanzmarkt ist es von größter Bedeutung, dass
alle, die sich auf ihm tummeln - seien es die professionellen, seien es die privaten Anleger -, darauf vertrauen
können, dass die grundlegenden Regeln eingehalten werden. Deswegen ist es wichtig, dass wir für einige Fälle, in
denen diese Regeln verletzt werden, sogar Sanktionen
eingeführt haben.
Ich will hier insbesondere nennen, dass wir die Analysten stärker in die Pflicht nehmen. Gerade jene, die mit
ihren Aussagen sehr viele Leute erreichen, sind dazu verpflichtet, Interessenkonflikte auf jeden Fall zu vermeiden.
Wenn sie dies nicht tun, werden sie dafür entsprechend
zur Rechenschaft gezogen. Insgesamt ist es meiner Meinung nach unglaublich wichtig, dass wir bei Falschinformationen seitens der Unternehmen die Möglichkeit des
Schadenersatzes einführen. In den letzten Monaten gab es
einige einschlägige Prozesse. Wir haben auf diesem Feld
einen ersten Schritt gemacht. Ich will nicht verhehlen,
dass ich weitere Schritte für notwendig halte, nämlich die
Vorstandsmitglieder individuell in die Verantwortung zu
nehmen. Aber für diese Legislaturperiode war ein so komplexer Bereich nicht mehr zu schaffen.
Unter dem Strich kann man sagen: Das heute zu verabschiedende Gesetz ist ein gewaltiger Schritt und dient
sowohl der Stärkung der Finanzmärkte insgesamt als auch
der Stärkung der Verbraucherinnen und Verbraucher,
nämlich denjenigen, die einen Teil ihrer Ersparnisse in
Aktien anlegen. Niemand in diesem Haus hat behauptet,
dass das der allerletzte Schritt ist, den wir tun müssen, um
die Finanzmärkte fit zu machen für die veränderten Anforderungen. Aber die Tatsache, dass noch weitere
Schritte erforderlich sind, kann uns ja wohl schlecht daran hindern, diesen jetzt notwendigen Schritt zu gehen.
Deswegen ist es gut, dass wir dieses Gesetz heute verabschieden werden.
({6})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Gerhard Schüßler, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die Ziele des vorliegenden Gesetzentwurfs werden von der FDP unterstützt.
Gleiches gilt für weite Teile der Umsetzung. Traditionell
ist der Finanzplatz Deutschland nie Gegenstand politischen Streits gewesen.
({0})
Dennoch wird die FDP den Gesetzentwurf ablehnen.
Das hat zunächst etwas mit Inhalten zu tun. Die Regelungen, die angeblich der Geldwäsche dienen sollen, betreffen nicht die Förderung des Finanzplatzes und sind schon
deshalb von vornherein abzulehnen. Sie, meine Damen
und Herren von der Koalition, schaffen hier in rechtsstaatlich äußerst bedenklicher Weise den gläsernen Bürger. Dieser soll über höhere Bankgebühren finanzieren,
dass der Staat jederzeit Informationen über seine Konten
abrufen kann. Diese Regelung ist vollkommen unverhältnismäßig und daher rechtlich mehr als fraglich. Sie kriminalisieren unbescholtene Bürger und unterstellen ihnen
die Absicht der Steuerhinterziehung. Das macht die FDP
auf gar keinen Fall mit.
({1})
Auch das Gesetzgebungsverfahren und die Einstellung der Bundesregierung gegenüber dem Parlament sind
scharf zu kritisieren. Die bisherigen Finanzmarktförderungsgesetze waren ebenso wie der vorliegende Entwurf
umfassende Artikelgesetze, so genannte Omnisbusse. Das
lässt sich bei der Fülle der betroffenen Gesetze wohl nicht
immer vermeiden. Vermeiden lässt sich aber ein derart unmögliches, weil gedrängtes Verfahren.
({2})
So hat die Bundesregierung kurz vor der vorgesehenen
abschließenden Beratung im Finanzausschuss an die
100 Änderungsanträge in das Parlament eingebracht, die
den eigenen Gesetzentwurf ergänzen, präzisieren oder
korrigieren sollen. Zwar wurde das Ende der Beratungen
um eine Woche verschoben. Kein Mitglied des Finanzausschusses kann aber von sich behaupten, dass es diese
vielen Anträge hätte gründlich durcharbeiten und sich jeweils eine Meinung dazu hätte bilden können. Mein Verständnis als Mitglied dieses Hauses zumindest verbietet
es mir, eine solche Flickschusterei, deren Auswirkungen
man überhaupt nicht abschätzen kann, mitzumachen.
({3})
Es ist mir klar, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Koalition, dass Sie hier eine andere Meinung vertreten
müssen.
({4})
- Freiwillig, natürlich. Sie haben nur nach massivem
Druck noch einer Woche zusätzlicher Beratungszeit zugestimmt, sonst hätten Sie es gar nicht durchsetzen können.
Es ist aber doch wohl eine Zumutung seitens der Bundesregierung, wie selbstverständlich davon auszugehen,
dass die Abgeordneten wichtige Änderungen eines umfassenden Gesetzes innerhalb weniger Tage sozusagen
durchwinken. Gesetzgeber ist immer noch der Deutsche
Bundestag und nicht ein Bundesministerium.
({5})
Wir sollten dafür sorgen, dass dies auch außerhalb dieses
Hauses akzeptiert wird. Schließlich trägt dieses Parlament
die Verantwortung.
Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der
Koalition, mögen blind der von Ihnen gestellten Bundesregierung folgen. Die FDP jedenfalls lässt sich nicht als
Stimmvieh missbrauchen. Aus den genannten Gründen
lehnen wir das Gesetz ab.
({6})
Ich erteile der Kollegin Heide Ehlert, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich unstrittig, dass wir
heute über einen Gesetzentwurf abstimmen, der von nicht
unerheblicher Bedeutung für die weitere Entwicklung des
Finanzplatzes Deutschland und seine Wettbewerbsfähigkeit ist. Es ist aber bedauerlich, dass die Regierung es
nicht vermocht hat, ein solch umfangreiches Gesetz so
vorzulegen, dass angemessene Beratungszeiträume zur
Verfügung stehen. Zeit wäre genug gewesen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen nicht nur
die börsenrechtlichen Vorschriften, sondern 14 bestehende Gesetze sowie die Abgabenordnung geändert werden. Dafür sollte von der Regierung eine solide Vorarbeit
geleistet werden.
({0})
Andrea Fischer ({1})
Das Gegenteil aber war der Fall. Scheinbar in der Hoffnung, die Opposition überfahren zu können, wurde keine
ausreichende Beratungszeit eingeräumt. Hinweise der
Sachverständigen in der Anhörung wurden nicht aufgenommen. Im Hauruckverfahren wurden wir knapp zwei
Tage vor der entscheidenden Ausschussberatung mit weit
über 90 Umdrucken konfrontiert. Darunter waren auch
Vorschläge des Bundesrates, die bereits bei der Einbringung des Gesetzes, also rechtzeitig, vorlagen. Ich bin ja
bestimmt gutwillig, aber so ist solides Arbeiten nicht
möglich.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, es
zeugt nicht von einer guten Kinderstube, auf Kritik am
Verfahren mit dem Hinweis zu reagieren, die Opposition
sei zu blöd.
({2})
Damit reden Sie das Anliegen des vorliegenden Gesetzentwurfes klein. Vielleicht war dies allerdings Absicht,
damit wir nicht so genau hinschauen. Der Teufel steckt
bekanntlich immer im Detail.
So soll heute der automatisierte Abruf von Konteninformationen bei den Kreditinstituten ohne Vorinformation und ohne Verdacht auf das Vorliegen eines Straftatbestandes beschlossen werden. Davon wären rund
400 Millionen Bankkunden betroffen. Überhaupt nicht geklärt ist die Frage der Kosten dieser Aktion. Sachverständige sprachen von Kosten in Höhe von 1 Milliarde Euro pro
Jahr. Der zentrale Kreditausschuss sprach von zweistelligen Milliardenbeträgen. Obwohl der Bund zu 40 Prozent
an diesen Kosten beteiligt werden soll, steht davon nichts
im Bundeshaushalt. Deshalb nehme ich an, dass die Kosten letztlich von den Bankkunden getragen werden sollen.
Sie dürfen also auch noch dafür zahlen, dass ihre Konten
abgefragt werden dürfen.
Problematisch ist auch der beabsichtigte Zugriff der
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht auf Bestandsdaten der Telekommunikation. Abgesehen davon,
dass die Telekom noch nichts von ihrem Glück wusste,
dass sie zur Aufzeichnungspflicht verdonnert werden soll,
ist die Frage der Kostenübernahme hier ebenfalls nicht
geklärt. Symptomatisch für die Diskussionskultur zu diesen Fragen war, dass die Bedenken des Datenschutzbeauftragten zur Aufzeichnungspflicht der Telekom einfach vom Tisch gewischt wurden.
Ich bezweifle, dass es für den Anleger als Verbraucher
einfacher geworden ist, sich auf dem Kapitalmarkt zu
bewegen. Die Vielzahl von Änderungen hat leider nicht
unbedingt zu Transparenz und auch nicht zur Verbesserung des Verbraucherschutzes geführt. Deshalb wird
sich die PDS bei diesem Gesetzentwurf der Stimme enthalten.
({3})
Ich erteile der Parlamentarischen Staatssekretärin Barbara Hendricks das
Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der heute zu verabschiedende
Entwurf eines Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes ist
Teil einer umfassenden Strategie der Bundesregierung zur
Modernisierung und Förderung des Finanzplatzes
Deutschland. Wie der Name sagt, ist es offenbar notwendig, diese Gesetze in regelmäßigen Abständen zu überarbeiten; sonst gäbe es heute kein Viertes Finanzmarktförderungsgesetz. Unter Ihrer Verantwortung sind drei
beschlossen worden.
({0})
Es wird sicherlich noch ein fünftes geben, weil man nie
alles gleichzeitig regeln kann, sich die Märkte weiterentwickeln und sich die Produkte ändern. Dieser Gesetzentwurf steht insoweit in engem Zusammenhang mit mehreren anderen Gesetzesinitiativen, die insgesamt das Ziel
haben, die Leistungsfähigkeit und Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland fortzuentwickeln.
Wir verfolgen mit diesem Gesetz drei Hauptziele: Erstens wollen wir den Anlegerschutz durch Erhöhung der
Marktintegrität und der Markttransparenz verbessern.
Zweitens wollen wir die Handlungsmöglichkeiten der
Marktteilnehmer erweitern und flexibilisieren. Und drittens wollen wir Lücken im Abwehrsystem gegen die
Geldwäsche schließen und das Aufspüren von Geldern,
die der Finanzierung terroristischer Vereinigungen dienen, erleichtern. - Auf diese Weise - auch der dritte Punkt,
Kollege Dautzenberg, gehört eindeutig dazu - wird die
Funktionsfähigkeit des Finanzplatzes Deutschland geschützt, seine Wettbewerbsfähigkeit gestärkt und die
Funktion des Kapitalmarktes als Motor für Wachstum und
Beschäftigung fortentwickelt.
Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme vom Dezember 2001 umfangreiche Änderungsvorschläge unterbreitet. Aber auch bei den Ländern besteht kein Zweifel,
dass das Gesetz für den Finanzplatz Deutschland unverzichtbar ist. Auf Initiative meines Hauses haben deshalb
Gespräche mit Vertretern des Länderarbeitskreises mit
dem Ziel stattgefunden, Lösungen insbesondere in der politisch wichtigen Frage der Zuständigkeit im Börsen- und
Wertpapierrecht zu erarbeiten. Hier wurden einvernehmliche Lösungen erzielt. Das Ergebnis liegt Ihnen heute zur
Beschlussfassung vor.
Das ist auch der Hintergrund dafür, warum wir dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages in den letzten
beiden Wochen des Gesetzgebungsverfahrens so umfangreiche Änderungen vorgelegt haben. Wenn wir dies nicht im
Vorhinein mit den Ländern abgestimmt hätten, wäre die
Alternative gewesen, dass es zu einem Vermittlungsverfahren zwischen Bund und Ländern gekommen wäre. Dann
allerdings wären die Einflussmöglichkeiten des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages sehr viel geringer geHeidemarie Ehlert
wesen. Erfahrungsgemäß kann im Fachausschuss des Deutschen Bundestages mit mehr Sachkunde gearbeitet werden
als in den üblichen Nachtsitzungen des Vermittlungsausschusses. Die Art des Verfahrens in diesem Hause ist uns
also besonders entgegengekommen. Sonst hätte es die Änderungen zu einem späteren Zeitpunkt geben müssen.
Darüber hinaus ist es Ziel der geplanten Änderungen im
Börsengesetz, den Börsen mehr Flexibilität bei der Gestaltung des Börsenhandels zu ermöglichen. Im Wertpapierhandelsrecht wird der Anlegerschutz durch Erhöhung der
Transparenz und der Marktintegrität verbessert. Im Investmentrecht werden die Geschäftsmöglichkeiten von Kapitalanlagegesellschaften erweitert und wird auch der Anlegerschutz verbessert. Im Bereich des Kreditwesens bestand
Anpassungsbedarf an die internationalen Aufsichtsgrundsätze für eine wirksame Bankenaufsicht.
Darüber hinaus werden Lücken bei der Abwehr von
Geldwäsche und dem Aufspüren der Finanzströme terroristischer Netzwerke geschlossen. Insbesondere müssen
Banken künftig EDV-gestützte Sicherungssysteme zur
Überprüfung von Geschäftsbeziehungen nach Risikogruppen und Auffälligkeiten vorhalten. Dies geschieht allein bankintern und wird nicht abgerufen.
Außerdem wird der künftigen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ermöglicht, bei den Banken in einem
automatisierten Verfahren Kontenstammdaten abzurufen.
Da insbesondere die CDU/CSU und die FDP, aber auch die
PDS gerade noch einmal große Bedenken gegen dieses
Verfahren angemeldet haben, möchte ich im Namen der
Bundesregierung noch einmal betonen: Der Bundesdatenschutzbeauftragte ist damit selbstverständlich einverstanden. Für die Bürgerinnen und Bürger möchte ich deutlich
machen: Es werden dort keine Kontendaten abgerufen, also
nicht etwa Informationen darüber, wie der Kontostand oder
die Kontobewegungen aussehen. Es wird lediglich die Tatsache abgerufen, ob ein Mensch Inhaber eines Kontos ist;
mehr wird dort nicht abgerufen.
Dass ein Mensch Inhaber eines Kontos ist, offenbart er
bei jeder Überweisung und jeder Einzugsermächtigung,
die er, bei welcher Institution auch immer, ausfüllt oder
erteilt. Wir gehen also normalerweise relativ großzügig
mit dem Tatbestand um, dass wir Kontoinhaber sind. Bei
jeder Rechnungsüberweisung wird dies dem Geschäftspartner offenbar.
Warum also soll es für den Bürger unannehmbar sein,
dass in Zeiten terroristischer Bedrohung danach gefragt
wird, ob er Inhaber eines Kontos ist und wenn ja, bei welcher Bank es geführt wird? Bei einem konkreten Verdacht kann es dann natürlich geprüft werden. Mehr beinhaltet diese Maßnahme nicht. Das will ich noch einmal
ganz deutlich machen, damit es nicht zu einer ungebührlichen Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürgern
kommt.
({1})
Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dass das
Vierte Finanzmarktförderungsgesetz die Attraktivität des
Finanzplatzes Deutschland weiter erhöhen wird. Mit dem
Gesetz verbessert der Staat die Rahmenbedingungen für
die Marktteilnehmer und Börsen. Es ist die wichtigste
Maßnahme zur Stärkung des Anlegerschutzes in Deutschland seit 1994.
Ich bitte deshalb um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur weiteren
Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland, Drucksachen 14/8017, 14/8601 und 14/8600. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung,
den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP bei Stimmenthaltung der
PDS angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmergebnis wie soeben angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Finanzausschuss die Annahme einer Entschließung.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie soeben angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/8674. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Entschließungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt.
Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/8672 wurde zurückgezogen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme noch
einmal auf Tagesordnungspunkt 20 a zurück und gebe das
von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem
Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem NATOgeführten Einsatz auf mazedonischem Territorium bekannt: Abgegebene Stimmen 510. Mit Ja haben gestimmt
470, mit Nein haben gestimmt 34, Enthaltungen 6. Die
Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
Präsident Wolfgang Thierse
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 510;
davon
ja: 470
nein: 34
enthalten: 6
Ja
SPD
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({0})
Klaus Barthel ({1})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({2})
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann ({3})
Bernhard Brinkmann
({4})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner ({5})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dr. Peter Eckardt
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Annette Faße
Lothar Fischer ({6})
Iris Follak
Norbert Formanski
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({7})
Harald Friese
Anke Fuchs ({8})
Arne Fuhrmann
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Günter Graf ({9})
Angelika Graf ({10})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({11})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({12})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Walter Hoffmann
({13})
Iris Hoffmann ({14})
Frank Hofmann ({15})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({16})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({17})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({18})
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dieter Maaß ({19})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Michael Müller ({20})
Jutta Müller ({21})
Christian Müller ({22})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({23})
Gerhard Neumann ({24})
Dr. Edith Niehuis
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel RiemannHanewinckel
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({25})
Birgit Roth ({26})
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Ulla Schmidt ({27})
Silvia Schmidt ({28})
Dagmar Schmidt ({29})
Wilhelm Schmidt ({30})
Dr. Frank Schmidt
({31})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({32})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Brigitte Schulte ({33})
Volkmar Schultz ({34})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({35})
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({36})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Matthias Weisheit
({37})
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({38})
Helmut Wieczorek
({39})
Dieter Wiefelspütz
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({40})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Präsident Wolfgang Thierse
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({41})
Waltraud Wolff
({42})
Heidemarie Wright
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ilse Aigner
Günter Baumann
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Renate Blank
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brudlewsky
({43})
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen
({44})
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Renate Diemers
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({45})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({46})
Axel E. Fischer
({47})
Klaus Francke
Dr. Gerhard Friedrich
({48})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({49})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Kurt-Dieter Grill
Horst Günther ({50})
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({51})
Hansgeorg Hauser
({52})
Helmut Heiderich
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({53})
Dr. Manfred Lischewski
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Dr. Martin Mayer
({54})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Meinolf Michels
Bernward Müller ({55})
Elmar Müller ({56})
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Anton Pfeifer
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Christa Reichard ({57})
Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Franz Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Volker Rühe
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Gerhard Scheu
Bernd Schmidbauer
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({58})
Andreas Schmidt ({59})
Michael von Schmude
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Gerhard Schulz
Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm Josef Sebastian
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({60})
Michael Stübgen
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({61})
Gerald Weiß ({62})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({63})
Hans-Otto Wilhelm ({64})
Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({65})
Marieluise Beck ({66})
Volker Beck ({67})
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Amke Dietert-Scheuer
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({68})
Joseph Fischer ({69})
Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Kerstin Müller ({70})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Werner Schulz ({71})
Christian Sterzing
Jürgen Trittin
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({72})
FDP
({73})
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Horst Friedrich ({74})
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Dr. Helmut Haussmann
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({75})
Detlef Parr
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Dr. Max Stadler
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Nein
CDU/CSU
Wolfgang Börnsen
({76})
Manfred Carstens ({77})
Willy Wimmer ({78})
PDS
Wolfgang Bierstedt
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Strafrechtsänderungsgesetzes Graffiti-Bekämpfungsgesetz - ({79})
- Drucksache 14/8013 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({80})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Kultur und Medien
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Einige Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll gege-
ben.1)
Ich erteile Dr. Ulrich Goll, Justizminister des Landes
Baden-Württemberg, das Wort.
Dr. Ulrich Goll, Minister ({81}): Herr
Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei
der Änderung des Strafgesetzbuches, die der Bundesrat
Ihnen vorschlägt, geht es zwar nicht um schwere Kriminalität, aber um einen im wahrsten Sinne des Wortes deutlich sichtbaren Missstand, dem sich die Politik stellen
muss.
({82})
An fast allen Ecken und Enden bzw. an den Wänden
und Verkehrsmitteln in vielen Städten der Bundesrepublik
Deutschland sind Schmierereien zu sehen. Wir würden einen schweren Fehler begehen, wenn wir sie nur achselzuckend als Ausdruck einer neuen Jugendkultur hinnehmen würden. Sie müssen ohne Umschweife als das
gekennzeichnet werden, was sie sind, nämlich als Beschädigung fremden Eigentums.
({83})
Das Graffitiproblem ist nicht nur eine quasi private
oder zivilrechtliche Angelegenheit, wie man es manchmal
versucht darzustellen, sondern es ist eine öffentliche An-
gelegenheit. Damit verbindet sich auch eine pädagogische
Frage. Die öffentliche Angelegenheit hat mit dem Sicher-
heitsgefühl der Menschen, aber auch mit der objektiven
Sicherheit zu tun. In den allgegenwärtigen Schmierereien
sehen natürlich viele ein Symbol für den Zerfall von Ord-
nung, einen Vorläufer für weitere Zerstörungen, letztlich
eine Gefährdung ihrer eigenen persönlichen Sicherheit.
Damit liegen sie gar nicht so falsch. Wir wissen zum
Beispiel aus der „broken windows“-Studie: Wenn an ei-
nem Haus eine Scheibe eingeschlagen wurde und damit
eine kleine Beschädigung vorliegt, dann wird auch der
Rest sehr schnell ebenfalls zerstört. Genauso ist es in den
Vierteln, die - ich will es einmal so formulieren - von
links bis rechts voll gemalt sind. Dort entsteht der Ein-
druck, dass man sich nicht mehr darum kümmert und
diese Sache schon aufgegeben hat. Es ist kein Wunder,
dass sich die Menschen dort unwohl fühlen, wo die Ord-
nung augenscheinlich nicht mehr durchgesetzt wird. Sie
suchen solche Bereiche zu meiden. Damit stirbt ein Stück
Präsident Wolfgang Thierse
1) Anlage 3
Maritta Böttcher
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Klaus Grehn
Dr. Bärbel Grygier
Uwe Hiksch
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Fraktionslose Abgeordnete
Christa Lörcher
Enthalten
CDU/CSU
Norbert Otto ({84})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Annelie Buntenbach
Winfried Hermann
Monika Knoche
Hans-Christian Ströbele
PDS
Manfred Müller ({85})
Heino Wiese ({86})
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des
Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({87})
Ernstberger, Petra** Fuchtel, Hans-Joachim** Ganseforth, Monika** Dr. Köster-Loßack, Angelika**
SPD CDU/CSU SPD BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Dr. Lamers ({88}), Karl A.* Raidel, Hans** Schloten, Dieter** Dr. Schuchardt, Erika**
CDU/CSU CDU/CSU SPD CDU/CSU
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung der NATO
** für die Teilnahme an der 107. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union
Freiheit, sie werden gezwungen, ein Stück Freiheit aufzugeben.
({89})
Aber es geht nicht nur um die Freiheit, sondern es wird
natürlich auch ein Stück Boden im Sinne der notwendigen
Ordnung des Zusammenlebens preisgegeben.
Ich komme zu dem pädagogischen Aspekt, von dem
ich gesprochen habe. Wir müssen uns wirklich fragen: Ist
es sinnvoll, gerade den Jugendlichen zu suggerieren, dass
dieser Vorgang so harmlos ist, dass er eigentlich folgenlos
bleibt? Würde irgendjemand seine Kinder so erziehen?
Was würden Sie dazu sagen, wenn Ihre Kinder zum Beispiel im Haus die neuen Türen bemalen? Ist auch das Ausdruck von Kunst? Würden Sie hier nicht eingreifen? Ist es
nur dann egal, wenn es um fremde Wände geht? Eigentlich ist doch sonnenklar, dass wir damit den Jugendlichen
ein falsches Signal geben, wenn wir die Strafbarkeit dieses Handelns nicht ganz einfach klarstellen.
({90})
Neben diesen Aspekten geht es natürlich auch um einen wirksamen Schutz des Eigentums. Jährlich müssen
von den Eigentümern mehrstellige Millionenbeträge für
die Beseitigung der Schäden aufgewendet werden. Ersatzansprüche stehen ihnen zwar theoretisch zu, sind aber
in der Realität nur eine Illusion. Das Kuriose ist: Wenn die
Eigentümer zum Schutz ihrer Wände Maßnahmen ergreifen, die die Beseitigung ihrer Schäden erleichtern, dann
spielen sie den Tätern in die Hände. So hat ein Gericht
festgestellt, dass eine Sachbeschädigung dann nicht vorliegt, wenn die Wand mit einem Schutzanstrich versehen
wurde, der ein Ablösen der Farbe ermöglicht, ohne den
Untergrund zu verletzen.
Damit sind wir beim eigentlichen Kern des Problems.
Die Rechtsprechung fordert für die Sachbeschädigung
eine Substanzverletzung. Kann die Schmiererei ohne Eingriff in den Haftgrund beseitigt werden, sei der Aufwand
auch noch so groß, dann ist der entsprechende Tatbestand
des Strafgesetzbuches nicht erfüllt. Das versteht kein
Mensch. Das ist nicht vermittelbar. Unsere Polizei hat
wahrhaftig wichtigere Aufgaben, als den Farbentyp, die
Haftfähigkeit des Untergrunds und den Beseitigungsaufwand mithilfe von Sachverständigen festzustellen. Das ist
ein großer Unsinn.
({91})
Ich weiß, dass manche das Strafrecht nicht für den richtigen Ansatz halten. Das weiß ich aus früheren Debatten,
in denen es darum ging, das Graffitiproblem in den Griff
zu bekommen. Ich aber sehe das aus guten Gründen ganz
anders. Das Strafrecht kann dazu beitragen - ich glaube,
das erkennt jeder, der den Bezug zur Realität noch nicht
verloren hat -, unsere Werteordnung zu verdeutlichen.
Dafür ist das Strafrecht da. Zu dieser Werteordnung
gehört auch, dass man fremdes Eigentum achtet. Das
gehört sogar zu den Grundlagen.
Auch mir ist klar, dass das Strafrecht kein Allheilmittel ist. Sie können die Probleme nicht nur mithilfe des
Strafrechts bewältigen. Es müssen viele andere Anstrengungen - auch präventiver oder erzieherischer Art - hinzutreten.
({92})
Allerdings spielt aber auch das Strafrecht hier eine Rolle.
Deswegen schlägt Ihnen der Bundesrat vor, das strafrechtliche Problem dadurch zu lösen, dass eine Tat nach
den §§ 303 und 304 des Strafgesetzbuches auch dann als
Sachbeschädigung geahndet werden kann, wenn das Erscheinungsbild einer Sache gegen den Willen des Eigentümers oder sonst Berechtigten nicht nur unerheblich
verändert wird.
Ich freue mich - das geht gerade an die Fraktionen der
SPD und der Grünen -, dass die Bundesregierung in ihrer
Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf gegen diese Formulierung keine durchgreifenden Bedenken erhebt.
({93})
Ich habe im Bundesrat eine interessante Debatte erlebt, als
ich diesen Gesetzentwurf eingebracht habe.
Herr Minister, ich
muss Sie unterbrechen. Sie haben Ihre Redezeit schon
überschritten; deswegen müssen Sie die Erzählungen aus
dem Bundesrat beenden.
Dr. Ulrich Goll, Minister ({0}):
Okay.
Ich habe im Bundesrat mit Interesse festgestellt, dass
Ministerpräsident Clement, der nach mit geredet hat, gesagt hat, er sei meiner Meinung. Deswegen bitte ich Sie
- diese Bitte geht an alle Fraktionen - : Tragen Sie dazu
bei, dass überflüssige Erschwerungen bei der Verfolgung
von Schmierereien beseitigt werden. Die Bevölkerung erwartet von uns Politikern, dass wir das Rechtsgefühl mit
der Realität in Einklang bringen. Niemand hätte Verständnis dafür, wenn man das auf die nächste Legislaturperiode verschieben wollte.
Danke schön.
({1})
Kollege Hermann
Bachmaier von der SPD-Fraktion hat seine Rede zu Pro-
tokoll gegeben.1) Ich erteile nun dem Kollegen Wolfgang
Götzer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zum nunmehr vierten Mal versuchen CDU und CSU - dabei immer wieder unterstützt von der FDP - Verbesserungen bei
Minister Dr. Ulrich Goll ({0})
1) Anlage 3
der Bekämpfung des Graffitiunwesens durchzusetzen.
Fast auf den Tag genau zwei Jahre ist es her, dass wir im
Bundestag zuletzt über dieses Thema diskutiert haben.
Damals ging es um Gesetzentwürfe der CDU/CSU-Fraktion, der FDP-Fraktion und des Bundesrates, die alle die
gleiche Zielsetzung hatten, nämlich die Graffitischmierereien durch eine Präzisierung des § 303 Strafgesetzbuch strafrechtlich besser in den Griff zu bekommen. Alle
diese Gesetzentwürfe wurden von Rot-Grün niedergestimmt.
Jetzt liegt eine neue Initiative des Bundesrates vor, und
zwar mit der gleichen Zielsetzung, aber mit einem anderen Formulierungsvorschlag. Wir von der CDU/CSUFraktion hoffen, dass dieser erneute Vorstoß zum besseren
Schutz des Eigentums diesmal eine Mehrheit im Parlament finden wird. Im Übrigen kann es doch wohl nicht
sein, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der rot-grünen Koalition, dass Sie sich den Ansichten und Einsichten
Ihrer Parteifreunde im Bundesrat verschließen, die ja dem
Gesetzentwurf mit großer Mehrheit zugestimmt haben.
Das Problem ist immer noch dasselbe wie vor zwei
Jahren. Allerdings muss man heute feststellen, dass die
Verunstaltungen unserer Großstädte, ganz besonders unserer Hauptstadt, durch Graffitischmierereien nicht
zurückgegangen sind, sondern sogar zugenommen haben.
Die Beseitigung kostet private wie öffentliche Eigentümer jedes Jahr rund 250 Millionen Euro. Allein die Reinigung eines S- oder U-Bahn-Waggons kostet an die
15 000 Euro. Egal ob über Mieten oder Steuern: Letztlich
zahlt jeder Bürger dafür mit.
Ich halte es für eine Zumutung für unsere rechtstreuen
Mitbürger, ihnen die Kosten dafür aufzubürden, dass
Häuser oder Fahrzeuge der öffentlichen Hand gereinigt
werden müssen, nur weil offensichtlich einige Leute
nichts besseres mit ihrer Zeit anzufangen wissen, als
fremdes Eigentum zu beschädigen.
({1})
Glauben Sie mir: Ein Großteil unserer Bevölkerung hat
dafür ebenfalls kein Verständnis. Zwei Drittel der Bundesbürger lehnen Graffiti eindeutig ab. Die Sachverständigenanhörung im Jahr 1999 hat eindeutig ergeben, dass
das Thema Graffiti gerade in Großstädten zu einem immer
drängenderen Problem wird. Deshalb ist es jetzt endlich
an der Zeit, eine klare Rechtslage zu schaffen, damit Graffitischmierereien strafrechtlich geahndet werden können.
({2})
Vor zwei Jahren hatten wir eine Ergänzung des Tatbestands der Sachbeschädigung um den Begriff „verunstalten“ vorgeschlagen, um so Graffiti eindeutig unter
§ 303 StGB subsumieren zu können. Bisher ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH bekanntlich die bloße
Veränderung der äußeren Erscheinungsform einer Sache
in aller Regel keine Sachbeschädigung. Vielmehr gehört
zur Tatbestandsverwirklichung nach geltender Rechtslage
eine nicht unerhebliche Verletzung der Substanz, die aber
bei Graffiti nur sehr schwer und meist nur mit aufwendigen Gutachten festzustellen ist.
Damals wurde uns von Vertretern der Koalition entgegengehalten, der Ausdruck „verunstalten“ bringe mehr
Unklarheit als Rechtssicherheit. Die seinerzeitige Anhörung hat uns zwar durchaus darin bestärkt, dass unser
Vorschlag praktikabel und vor allem auch justiziabel ist.
Aber um Ihnen, werte Kolleginnen und Kollegen von der
rot-grünen Koalition, in diesem Verfahren die Zustimmung zu erleichtern, hat der Bundesrat auf Initiative Baden-Württembergs einen neuen Entwurf mit einer neuen
Formulierung eingebracht, gegen den Sie eigentlich
nichts einwenden können, wenn Ihnen wirklich daran gelegen ist, das Graffitiunwesen besser zu bekämpfen.
({3})
Vorgesehen ist jetzt, in die §§ 303 und 304 des Strafgesetzbuchs ein neues Merkmal der Sachbeschädigung
aufzunehmen, nämlich die nicht nur unerhebliche Veränderung des Erscheinungsbilds einer Sache gegen den Willen des Eigentümers oder sonstigen Berechtigten. Dieses
Merkmal beinhaltet als Unrechtskern den rechtswidrigen
Eingriff in die Ausübung des Gestaltungswillens.
Es kommt also nicht darauf an, ob eine Substanzverletzung der Sache gegeben ist und wie Dritte die Veränderung der Sache beurteilen. Fragen, wie tief die Farbpigmente in die Substanz des Gebäudemauerwerks
eindringen, ob der Farbanstrich eines Bahnwaggons
durch Lösungsmittel angegriffen wird oder nicht oder ob
geringe oder erhebliche Farbrückstände zurückbleiben,
spielen nach dieser Neufassung keine Rolle mehr und
müssen daher auch nicht mehr ermittelt und vor Gericht
erörtert werden. Teure Sachverständigengutachten werden dadurch überflüssig.
Auch der gern vorgebrachte Einwand, bei Graffiti handele es sich oftmals um Werke von hohem künstlerischen
Rang, läuft dann ins Leere. Denn abgesehen davon, dass
dies in den allermeisten Fällen sehr zweifelhaft ist, kommt
es mit der nun vorgeschlagenen Formulierung nicht auf
die ästhetische Beurteilung durch Dritte an. Vielmehr
muss der Berechtigte davor geschützt werden, dass ihm
eine bestimmte Gestaltung der Sache aufgezwungen wird.
({4})
All denen, die die Graffitischmierereien an sich sowie
hinsichtlich ihres Ausmaßes bagatellisieren, sei gesagt:
Rechtstreue Bürger empfinden das immer stärker zunehmende Graffitiunwesen als ein Zeichen des schwindenden
Rechtsbewusstseins und vor allem der geringer werdenden Bereitschaft zur Achtung fremden Eigentums. Sie
erwarten deshalb, und zwar mit vollem Recht, dass der
Staat keine rechtsfreien Räume entstehen lässt, sondern
Rechtsverstöße in gebotener Weise ahndet.
({5})
Gleichgültigkeit gegenüber den Erscheinungsbildern
unserer Großstädte und Ballungsräume bleibt nicht ohne
psychologische und soziale Folgen. Schnell entsteht der
Eindruck von Verwahrlosung und Verfall. Die Hemmschwelle für Gewaltanwendung sinkt. In diesem Zusammenhang möchte ich - wie es auch Herr Professor Goll
bereits getan hat - an die „broken windows“-Theorie erinnern, die aber leider keine Theorie mehr ist, sondern
durch die Realität bestätigt wurde. Wir wissen inzwischen, dass das Hinwegsehen über kleinere Straftaten
über kurz oder lang zum Entstehen schwererer Kriminalität beiträgt.
Meine Damen und Herren von der SPD und den Grünen, nach Ihrer Koalitionsvereinbarung wollten Sie „Alltagskriminalität konsequent, aber bürokratiearm bestrafen“.
({6})
Mit der Ablehnung aller bisheriger Gesetzentwürfe zur
Graffitibekämpfung haben Sie auch auf diesem Gebiet gezeigt, was von Ihren Versprechen zu halten ist. Mit Begriffen wie „Alltagskriminalität“ und „Bagatelldelikten“
betreiben Sie zudem gezielte Verharmlosung und verwischen so den Unterschied zwischen Recht und Unrecht.
({7})
Das können wir im Interesse unserer rechtsstaatlichen
Ordnung nicht hinnehmen und werden dies auch nicht
tun.
Lassen Sie mich noch etwas zu manchen sozialpädagogischen Ratschlägen anmerken, die im Zusammenhang
mit diesem Thema immer wieder auftauchen. Davon verspreche ich mir - jedenfalls was die Präventivwirkung angeht -, ehrlich gesagt, nicht viel. Wenn vonseiten der Kommunen legale Sprühflächen zur Verfügung gestellt werden,
wird das den Sprayern, die übrigens zunehmend straffer
organisiert sind, nur ein müdes Lächeln entlocken. Der eigentliche Kick besteht doch für die meist jugendlichen
Sprayer gerade darin, sich an unerlaubten Flächen zu versuchen und damit mehr Aufsehen zu erregen.
Halten wir also nochmals fest: Beim Thema Graffiti
geht es nicht um Kunst, Jugendstreiche oder Kavaliersdelikte, sondern um die Verletzung fremden Eigentums in
Form der Sachbeschädigung.
({8})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass einige Vertreter der rot-grünen Regierungskoalition - und die Vertreter der PDS sowieso - ideologisch bedingte Probleme
mit dem Eigentum - zumeist allerdings dem fremden Eigentum - haben, ist bekannt. Allerdings haben einige AltAchtundsechziger zwischenzeitlich durchaus Gefallen an
bürgerlichen Lebensformen gefunden, was unübersehbar
ist, wenn man sich manche Regierungsmitglieder anschaut. Deshalb haben wir die Hoffnung, dass diese neuerliche Gesetzesinitiative jetzt auch bei den Koalitionsparteien Zustimmung findet.
({9})
- Es ist ja offensichtlich, Herr Kollege, dass einige hier
mehr als bürgerlich geworden sind und ihre Achtundsechziger Vergangenheit abgestreift haben.
Der Rechtsausschuss des Bundesrates hat mit 14:2
Stimmen diesem Gesetzentwurf zugestimmt, der Ausschuss für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung
sogar mit 16:0 Stimmen.
({10})
- Noch sind die Mehrheitsverhältnisse so, verehrter Herr
Kollege, dass man sagen muss: Ganz offensichtlich haben
auch SPD-regierte Länder mitgestimmt. - Dass allerdings
bei den zwei Gegenstimmen im Rechtsausschuss des
Bundesrates eine von Berlin kam, ist zwar ideologisch
verständlich, politisch aber unverantwortlich, da doch gerade Berlin besonders von den Graffitischmierereien betroffen ist.
({11})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, die Stellungnahme der Bundesregierung
zu dem Gesetzentwurf, die Sie auf Seite 8 der Drucksache
finden können, müsste Ihnen die Zustimmung eigentlich
leicht machen. Da können Sie nämlich lesen, dass die Bundesregierung aus strafrechtlicher Sicht keine durchgreifenden Probleme mit der geplanten Gesetzesänderung hat.
({12})
Der jahrelange Widerstand von Rot-Grün scheint also
zu bröckeln. Deshalb appellieren wir an Sie: Verschließen
Sie sich nicht länger der dringend notwendigen Gesetzesänderung zum besseren Schutz des Eigentums.
Ich bedanke mich.
({13})
Der Kollege Volker
Beck, die Kollegin Sabine Jünger und der Parlamenta-
rische Staatssekretär Dr. Eckhart Pick haben ihre Reden
zu Protokoll gegeben. Ich schließe damit die Ausspra-
che.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 14/8013 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 10 a
und 10 b:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches
- Drucksache 14/8524 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes vom 17. Juli 1998
- Drucksache 14/8527 Dr. Wolfgang Götzer
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Zu diesen Punkten war eine Redezeit von 30 Minuten
vorgesehen. Die Kolleginnen und Kollegen Margot von
Renesse, Dr. Norbert Röttgen, Rita Grießhaber, Professor
Schmidt-Jortzig, Dr. Evelyn Kenzler und Dr. Eckhart Pick
haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)
Damit kommen wir zur Abstimmung. Interfraktionell
wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf Drucksachen 14/8524 und 14/8527 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse sowie an den Auswärtigen Ausschuss vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 24 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit
- Drucksachen 14/8221, 14/8288 ({2})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({3})
- Drucksache 14/8625 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Meckelburg
Es liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP
sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor.
Es war eine halbe Stunde Debattenzeit vorgesehen. Die
Kolleginnen und Kollegen Anette Kramme, Dieter Maaß,
Dr. Hans-Peter Friedrich, Ekin Deligöz, Dr. Heinrich
Kolb und Dr. Klaus Grehn haben ihre Reden zu Protokoll
gegeben.2)
Damit kommen wir zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung
und Schwarzarbeit. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 14/8661 vor, über den
wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? ({4})
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungs-
antrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die
Grünen und PDS gegen die Stimmen der FDP bei Enthal-
tung der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent-
wurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der an-
deren Fraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit der gleichen Mehrheit wie zuvor angenommen.
Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/8638 ab. Wer
stimmt für den Entschließungsantrag? - Wer stimmt da-
gegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist
mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und
PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung
der FDP abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a und 25 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres und anderer Gesetze ({5})
- Drucksache 14/7485 ({6})
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres und zur Änderung des
Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres
- Drucksache 14/5120 ({7})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
({8})
- Drucksache 14/8634 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Dzewas
Ina Lenke
Monika Balt
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({9}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Gerhard Schüßler, Ina Lenke,
Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Deutschland braucht gesetzliche Rahmenbe-
dingungen für einen allgemeinen Freiwilligen-
dienst
Präsident Wolfgang Thierse
1) Anlage 4
2) Anlage 5
- Drucksachen 14/7811, 14/8634 Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Dzewas
Ina Lenke
Monika Balt
Zum Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen liegen zwei Änderungsanträge
der Fraktion der PDS sowie je ein Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Dr. Christine Bergmann.
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle hören
häufig die Klage, junge Menschen seien nicht mehr bereit,
Verantwortung zu übernehmen und sich für das Gemeinwesen zu engagieren. Meine Erfahrungen sprechen dagegen: Junge Menschen wollen sich freiwillig engagieren.
Sie bringen sich ein. Sie wollen mithelfen. Ich denke, das
werden auch diejenigen von Ihnen bestätigen können, die
sich Ende letzter Woche an den Politiktagen in Berlin beteiligt haben. 7 000 junge Leute kamen, um sich einzumischen und mitzudiskutieren. Ich möchte mich an dieser
Stelle ganz herzlich bei all denjenigen bedanken, die diese
Veranstaltung aktiv unterstützt haben.
({0})
Wir wissen auch, dass 37 Prozent der jungen Menschen
in Deutschland freiwillig engagiert sind. Das ist im Vergleich zu anderen Altersgruppen überdurchschnittlich
viel. Die landläufige Meinung stimmt also nicht. In dieses
Bild fügen sich auch die Erfahrungen ein, die es mit dem
freiwilligen sozialen und dem freiwilligen ökologischen
Jahr gibt. Die Nachfrage ist hier konstant angestiegen. Wir
haben in den vergangenen Jahren die Angebote für junge
Menschen mehr als verdoppelt, und zwar von 7 100 Plätzen im Jahr 1993 auf rund 15 000 in diesem Jahr. Das ist
eine gewaltige Steigerung. Über 90 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer beurteilen die Erfahrungen, die
sie während des freiwilligen Jahres machen, als „sehr gut“
oder „gut“. Das heißt also, die Freiwilligendienste sind
eine Erfolgsgeschichte.
Wir wollen die Attraktivität der Freiwilligendienste
weiter stärken. Deswegen haben wir eine Reform der
Freiwilligendienste vorgelegt, über die wir heute abschließend beraten. Wir wollen damit erstens die Einsatzfelder ausweiten und zweitens die Freiwilligendienste zu
gleichen Bedingungen auch im nicht europäischen Ausland ermöglichen. Wir stärken damit drittens die Funktion
der Freiwilligendienste bei der Berufsorientierung. Es
darf auch nicht vergessen werden: Wir haben die Mittel
für die Freiwilligendienste um zusätzlich 5 Millionen
Euro in diesem Jahr aufgestockt. Es wird also in Zukunft
sehr viel mehr Freiwilligendienste geben.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernen in den
Freiwilligendiensten andere Lebenswelten kennen. Sie
haben dort ihren ersten engen Kontakt mit dem beruflichen Alltag. Sie lernen das Arbeitsleben zum Beispiel im
Krankenhaus, auf der Pflegestation, beim Schutz des Wattenmeeres - oder wo auch immer - kennen. Außerdem
machen sie sehr wichtige persönliche Erfahrungen, die
zur eigenen Reifung beitragen und die ihnen Orientierung
geben. Für viele junge Menschen sind die Erfahrungen,
die sie während des freiwilligen sozialen oder des freiwilligen ökologischen Jahres machen, auch richtungsweisend für ihre berufliche Zukunft. Die Freiwilligendienste
helfen also auch bei der Berufsentscheidung. Deswegen
ist es wichtig, dass noch stärker berufsorientierende und
berufsqualifizierende Elemente in die Freiwilligendienste
aufgenommen werden. Wir haben deshalb eine Regelung
in den vorliegenden Gesetzentwurf aufgenommen, wonach die Freiwilligen zukünftig ein Zertifikat erhalten sollen, mit dem sie ihre erworbenen Kompetenzen und Erfahrungen ausweisen können. Dieses Zertifikat soll ihnen
bei ihrem Einstieg in die Ausbildungs- und in die Berufswelt helfen.
Mit dem vorliegenden Gesetz erweitern wir auch die
Einsatzfelder für die Freiwilligendienste. Künftig kann
das freiwillige soziale Jahr auch in der Jugendarbeit des
Sports
({1})
- ja, das ist sehr wichtig - oder im Bereich der Kultur und
auch bei Verbänden und Vereinen absolviert werden. In
einem Modellprojekt haben wir und die Jugendlichen bereits erste sehr positive Erfahrungen gemacht. Die Verbände sind davon natürlich auch sehr angetan.
({2})
Mit dem vorliegenden Gesetz berücksichtigen wir
auch das große Interesse von Jugendlichen, einen Freiwilligendienst im Ausland zu absolvieren. Seit 1993
kann der Freiwilligendienst im europäischen Ausland abgeleistet werden. Aber auch das Interesse an einem Dienst
im nicht europäischen Ausland, um dort interkulturelle
Erfahrungen zu machen, steigt. Das wollen wir natürlich
unterstützen. Deshalb ermöglichen wir mit dem neuen
Gesetz Freiwilligendienste künftig zu den gleichen Bedingungen auch in den außereuropäischen Ländern. Wir
erreichen also endlich die Gleichstellung, die wir alle uns
schon lange wünschen. Wir fördern damit Weltoffenheit
junger Leute und den Dialog zwischen den Kulturen, den
wir in unserer Gesellschaft, wie wir wissen, sehr dringend
brauchen.
Wir stellen diejenigen, die ihr freiwilliges soziales oder
ökologisches Jahr im Ausland ableisten, denen gleich,
die ein solches Jahr im Inland ableisten. Das betrifft die
gleiche Absicherung in der Sozialversicherung und die
Gleichstellung bei der Zahlung von Kindergeld. Das ist
ganz wichtig.
Präsident Wolfgang Thierse
Bei der Weiterentwicklung der Freiwilligendienste ist
unser Ziel, die Dienste für alle Jugendlichen zugänglich
zu machen und ihnen die Teilnahme durch geeignete Angebote zu ermöglichen. Vor allem wollen wir endlich
erreichen, dass Hauptschulabsolventen besser in die Freiwilligendienste einbezogen werden. Wie wir wissen, hapert es da im Moment noch ganz gewaltig. Deshalb ist
künftig nicht mehr ein Mindestalter, sondern allein der
Schulabschluss Voraussetzung für den Zugang zu den
Freiwilligendiensten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch auf Folgendes hinweisen: Wir wollen
den Zivildienst und die Freiwilligendienste in Zukunft
stärker miteinander verzahnen und damit auch die Freiwilligendienste stärken. Ich halte das für eine sehr wichtige und richtige Entscheidung.
({3})
Deshalb wird das Zivildienstgesetz künftig vorsehen, dass
anerkannte Kriegsdienstverweigerer unter bestimmten
Bedingungen anstelle des Zivildienstes auch ein freiwilliges soziales oder freiwilliges ökologisches Jahr neuer
Prägung ableisten können. Hier sind wir also einen wichtigen Schritt nach vorn gekommen.
Der vorliegende Gesetzentwurf entwickelt den Freiwilligendienst für Jugendliche weiter und gibt ihm neue
Impulse. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich
bei all denen bedanken, die hieran sehr konstruktiv
mitgearbeitet haben. Das sind nicht nur die Fraktionen,
sondern natürlich auch die Länder, die Verbände und die
Organisationen. Wir schaffen damit bessere Rahmenbedingungen für freiwilliges Engagement in unserem Land.
Das heißt, wir handeln;
({4})
wir reden nicht nur darüber, wie wir freiwilliges Engagement stärken wollen, sondern wir legen auch etwas auf
den Tisch. Wir haben auch Geld dazugepackt und einen
breiten gesellschaftlichen Konsens erzeugt; das ist das,
was wir brauchen.
({5})
Wir berücksichtigen auch die unterschiedlichen Interessenlagen von Jugendlichen. Das Gesetz ist ein weiterer
Schritt hin zu guten Bedingungen für das Aufwachsen von
Jugendlichen. Sie alle können sicher sein: Wir werden auf
diesem Weg fortfahren.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich erteile dem Kollegen Thomas Dörflinger, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Gesellschaft ist im Grunde nur
so gut und so zukunftsfähig, wie der Einzelne oder die
Einzelne bereit ist, sich für das Gemeinwohl zu engagieren. Viele Jugendliche nutzen die Chance, beispielsweise
ein freiwilliges soziales Jahr oder ein freiwilliges ökologisches Jahr zu absolvieren, und leisten so nicht nur einen
Beitrag zur Weiterentwicklung der Gesellschaft, sondern
auch einen Beitrag zu ihrer Persönlichkeitsbildung. Deswegen ist es richtig, dass die Rahmenbedingungen für FSJ
und FÖJ nicht nur im Sinne von Effizienz zusammengefasst, sondern auch verbessert werden; insoweit stimmen
wir überein.
({0})
Lassen Sie mich noch eine Vorbemerkung machen.
Wenn wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion diesem
Gesetzentwurf heute zustimmen, dann tun wir das nicht
ohne Bauchschmerzen, und zwar deshalb, weil zwei Aussagen im Grunde exemplarisch dafür stehen, dass Sie
Ihrem eigenen Anspruch aus der Koalitionsvereinbarung
von 1998 nicht gerecht geworden sind.
Im Koalitionsvertrag stand als Vorhaben - ich zitiere -:
Ausbau und rechtliche Absicherung nationaler und grenzüberschreitender Freiwilligendienste. Das ist eines der
wenigen Vorhaben aus dieser Koalitionsvereinbarung, das
unsere ausdrückliche Zustimmung gefunden hat.
In der Entschließung in der Beschlussempfehlung des
Ausschusses, die wir heute auch behandeln, findet sich
der Satz:
Die Bundesregierung wird aufgefordert zu prüfen,
wie die Rahmenbedingungen insbesondere für länger andauernde Freiwilligendienste ... weiter verbessert werden können.
Wenn es dieses Satzes in der Entschließung bedarf, dann
ist klar, dass der in der Koalitionsvereinbarung von 1998
aufgestellte Anspruch bis heute nicht erfüllt worden ist.
({1})
Sie sind auch deswegen zu kurz gesprungen, weil Sie
sich nach unserer Überzeugung nicht die notwendige Zeit
genommen haben, um nach der Anhörung noch einmal in
einen Dialog einzutreten und die etwas komplizierteren
Sachverhalte in diesem Gesetzesvorhaben anhand der
Kritikpunkte und der Anregungen, die seitens der Verbände in der Anhörung geäußert wurden, so zu lösen, dass
sie zukunftsfähig sind.
Ein Weiteres kommt hinzu: Die Enquete-Kommission, die sich mit dem bürgerschaftlichen Engagement beschäftigt, tagt noch. Es hätte durchaus Sinn gemacht,
wenn man die Empfehlungen, die diese Kommission dem
Deutschen Bundestag geben wird, gleich in dieses Gesetzesvorhaben eingebaut hätte, anstatt möglicherweise nach
einigen Monaten feststellen zu müssen, dass auch hier,
wie schon so oft, Nachbesserungsbedarf besteht.
({2})
Folgenden positiven Punkt möchte ich nennen, meine
Damen und Herren: Es hat uns gefreut, dass Sie in den
Ausschussberatungen und in den Berichterstattergesprächen dem Vorschlag der CDU/CSU-BundestagsfrakBundesministerin Dr. Christine Bergmann
tion, der sich ja mit den Anregungen, die die Verbände bei
der Anhörung gegeben haben, deckt, nämlich den Dienst
nicht zu stückeln und zu flexibilisieren und eine Blockbildung innerhalb des freiwilligen sozialen bzw. ökologischen Jahres zuzulassen, gefolgt sind und diesen Punkt
aus dem Gesetzesvorhaben herausgenommen haben.
Die Zustimmung der Union - das sage ich an dieser
Stelle - täuscht nicht darüber hinweg, dass wir drei
grundsätzliche Bedenken haben, die wir auch in unserem
Entschließungsantrag niedergelegt haben.
Der erste Punkt betrifft die Praxis, das freiwillige soziale bzw. ökologische Jahr zukünftig grundsätzlich auf
den Zivildienst anzurechnen, also den ominösen § 14 c Zivildienstgesetz. Es geht nicht nur darum, dass hier eine
Vermengung von Pflicht- und Freiwilligendiensten stattfindet. Aus diesem Punkt ergibt sich nämlich notwendigerweise auch eine Zuständigkeit des Bundesamtes für
Zivildienst für einen Teilbereich der Freiwilligendienste.
Das wollten beispielsweise die Verbände in den Anhörungen aus gutem Grund ausdrücklich nicht.
Es ergibt sich notwendigerweise auch eine Benachteiligung junger Frauen, weil der zivildienstleistende Mann
im FSJ aufgrund der Mitfinanzierung über den Zivildienstetat wesentlich günstiger ist als die junge Frau, die ausschließlich unter die Regelungen für ein FSJ bzw. FÖJ
fällt. Unter Punkt fünf Ihrer Entschließung, die wir im
Ausschuss behandelt haben, haben Sie nur eine Hilfskonstruktion vorgeschlagen - das ist unsere feste Überzeugung -, die dem eigentlichen Anliegen, die Benachteiligung junger Frauen zu vermeiden, nicht gerecht wird.
({3})
Es kommt hinzu - Stichwort § 14 c Zivildienstgesetz -,
dass notwendigerweise eine unterschiedliche Bewertung
bezüglich der Rentenentgeltpunkte erfolgen muss. Dieser
Widerspruch konnte im Gesetzesentwurf nicht aufgelöst
werden und besteht damit fort.
Zweiter Punkt, der uns kritisch stimmt: Sie verlassen
das Prinzip der geborenen Träger. Es hat mir bis zum heutigen Tag niemand vernünftig erklären können, warum
Sie einen Unterschied zwischen inländischen und ausländischen Trägern machen. Bei den inländischen Trägern
behalten Sie das Prinzip der geborenen Träger bei und
verändern es bei ausländischen Trägern mit der Begründung, Sie wollten neuen und kleineren Trägern eine
Chance geben. Dieses Ansinnen ist durchaus diskutabel.
Deshalb haben wir Ihnen im Ausschuss vorgeschlagen,
den entsprechenden Passus neu zu fassen und dort eine
Öffnungsklausel einzubauen, nach der auch beim Auslandsdienst am Prinzip der geborenen Träger festgehalten
wird, aber zugleich neuen und kleineren Trägern erlaubt
wird, Freiwilligendienste im Ausland anzubieten. Auf
diesen Kompromiss hätten wir uns einigen können. Ich
bedauere, dass das nicht möglich war.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch daran,
dass uns in der Anhörung nahezu unisono von allen Experten gesagt wurde, dass die Regelungen zur Sozialversicherung, wie sie im Gesetz nun enthalten sind, sich beim
Auslandsdienst als nicht praktikabel erweisen werden.
Das ist ganz eindeutig. Wenn schon die Vertreter der
großen Verbände in Deutschland, die bei der Anhörung
vertreten waren, sagen, sie hätten finanzielle Probleme,
diese Kosten bei Auslandsdiensten zu schultern, muss
man sich doch fragen, wie viel größer die Probleme für
die neuen und kleineren Träger sein werden, die in den
Genuss dieser Regelung kommen sollen.
({4})
Ich möchte auf die Sozialversicherung und auf den
Auslandsdienst zu sprechen kommen.
Es zeigt sich, dass im Beratungsverlauf schlussendlich
zu wenig Zeit war. Ich will durchaus anerkennen, dass Sie
sehr ordentlich begonnen haben. Das gilt auch für die Berichterstattergespräche. Aber je länger die Beratungen
dauerten, desto mehr Tempo haben Sie gemacht. Ich verstehe bis heute nicht, warum darüber unbedingt an diesem
Freitag zu dieser Zeit - man bedenke die Anwesenheit im
Plenum - diskutiert werden muss. Wäre es nicht vielleicht
besser gewesen, noch zwei oder drei Wochen zu warten,
um über diese Gesetzentwürfe zu einem anderen Zeitpunkt abzustimmen? Dadurch hätten wir uns die Chance
bewahrt, das eine oder andere, zum Beispiel was die Sozialversicherungspflicht angeht, einzuarbeiten.
Ich habe mit großem Interesse gehört, dass es zur
Sozialversicherungspflicht nicht nur einen Vorschlag
des Deutschen Caritasverbandes - das war ein kompletter
Gesetzentwurf; er lag uns vor -, sondern dass es interessanterweise - das erfuhr ich erst vorgestern - auch das
ernsthafte Bemühen der mitberatenden Bundesministerien gab, diese Frage mit dem Bundesministerium zu
klären, bei dem gewissermaßen die Federführung lag,
Frau Ministerin.
({5})
Das war weder im Ausschuss noch in der Anhörung ein
Thema. Ich sage gern, dass mich Frau Lenke von der FDP
darauf aufmerksam gemacht hat.
Ich fand das sehr interessant. Ich habe mir dann die
Frage gestellt, ob es Ihnen entweder so wichtig war, die
Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs an diesem Freitag
über die Bühne zu bringen und damit diese Anregungen
aus Zeitgründen nicht mehr aufzugreifen, oder ob bei Ihnen die Bereitschaft, diese Anregungen aufzugreifen, gar
nicht vorhanden war. Eines von beiden muss stimmen;
denn eine andere Lösung gibt es nicht.
({6})
Ich hätte mir gewünscht, dass wir uns auf der Basis
dessen, was aus den Ministerien kam, und dessen, was der
Caritasverband erarbeitet hat, mit den Verbänden zusammensetzen und der Frage nachgehen: Wie finden wir eine
sozialversicherungsrechtliche Lösung, die dem Anspruch
gerecht wird, sowohl für kleinere und neue Träger als
auch für größere Träger praxistauglich zu sein?
Ich fand in diesem Beratungsverlauf ganz besonders
interessant, dass der im Ausschuss eingebrachte Antrag
von Rot-Grün die Möglichkeit enthält, diesen Gesetzentwurf nach einem Jahr zu evaluieren, das heißt auf
Deutsch, ihn dahin gehend zu überprüfen, inwieweit er
sich als praxistauglich erwiesen hat. Wenn man schon
heute weiß, dass nicht alles, was in diesem Gesetzentwurf
steht, praxistauglich ist, warum macht man es dann nicht
gleich ordentlich?
({7})
Warum verweist man vielmehr auf den Ablauf der Zeitspanne von einem Jahr, nach der die Bundesregierung in
der Pflicht ist, das ganze Vorhaben neu zu beurteilen?
Meine Damen und Herren von Rot-Grün, die Kritikpunkte, also die Hinweise auf das, was nicht praxistauglich ist, liegen bereits heute auf dem Tisch. Die künftige
Bundesregierung wird nach Ablauf dieser Evaluierungsfrist in einem Jahr in der Pflicht sein, die notwendigen Änderungen vorzunehmen. Ich sichere Ihnen zu: Wir machen
das gerne. Ich hoffe, dass sich die künftige Opposition im
Beratungsverlauf genauso konstruktiv verhält wie die heutige Opposition.
Herzlichen Dank.
({8})
Für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege
Christian Simmert.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Dörflinger, wir warten einmal ab, ob Ihnen die Oppositionsbank nicht so gut gefällt, dass Sie dort
vielleicht auch in der nächsten Legislaturperiode sitzen.
({0})
- Ich weiß: Sie werden nervös. Wir warten einmal ab.
Mit der heute vorliegenden Novellierung der Gesetze
zum freiwilligen ökologischen und zum freiwilligen sozialen Jahr setzen wir drei zentrale Punkte zur Stärkung
des freiwilligen Engagements junger Menschen um. Wir
bauen das FSJ und das FÖJ aus, wir sichern junge Menschen besser ab und wir öffnen die Freiwilligendienste.
Das sind zentrale Punkte dieser Novellierung.
Das Interesse von Jugendlichen an Plätzen im Freiwilligendienst ist weiterhin groß und wir nehmen dieses Interesse der Jugendlichen mit dieser Novellierung sehr
ernst. Mit dieser Novelle geht es uns darum, freiwilliges
Engagement durch den Ausbau des Freiwilligendienstes
attraktiver zu machen. Über den klassischen Einsatz im
sozialen und ökologischen Bereich hinaus kann der freiwillige Dienst künftig auch in den Bereichen Kultur,
Sport und Denkmalschutz geleistet werden, und zwar sowohl im In- als auch im Ausland. Damit kommen wir dem
Interesse der Jugendlichen entgegen, die sich in den verschiedensten Bereichen neu orientieren und Erfahrungen
sammeln möchten, gerade im internationalen Bereich.
Finanziell haben wir bereits im Haushalt 2002 rund
5 Millionen Euro eingestellt, um den Ausbau zu ermöglichen. Hier sage ich aber deutlich an die Adresse der Länder: Folgen Sie dem Beispiel der rot-grünen Bundesregierung und sorgen auch Sie dafür, dass die Schaffung zusätzlicher Plätze ermöglicht wird.
Wir haben aber auch geregelt, dass junge Menschen in
Zukunft besser abgesichert sind, wenn sie ein FSJ oder
FÖJ leisten. Nicht nur die Schaffung des Kindergeldanspruchs für Freiwillige durch das Familienförderungsgesetz, auch der sozialversicherungsrechtliche Schutz
junger Menschen wird durch diese rot-grüne Novelle innerhalb der EU und im außereuropäischen Ausland verbessert.
Natürlich, Kollege Dörflinger, wir stoßen hier an unsere Grenzen, auch die Grenzen des Machbaren. Aber wir
wollen den Schwerpunkt auf den sozialversicherungsrechtlichen Schutz des jungen Menschen legen. Gerade
meine Fraktion - das steht in der Entschließung - wird
sich nach wie vor für ein allgemeines Freiwilligengesetz
einsetzen, mit dem genau diese Fragen gelöst werden.
Herr Kollege
Simmert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Ina Lenke?
Ja.
Herr Simmert, ich frage Sie, weil
Sie immer sehr gut informiert sind: Kennen Sie die Alternativen zur gesetzlichen Sozialversicherung? Es gibt ja
zur gesetzlichen Sozialversicherung nicht nur die Alternative gar keine Sozialversicherung, sondern auch andere.
Ich bitte Sie, hier im Plenum zu sagen, ob Sie die anderen
Alternativen kennen, die genauso gut sind.
Frau Kollegin, natürlich kenne ich die Alternativen, die
genauso gut sind, wie Sie das gerade gesagt haben. Aber
der Punkt ist für uns, dass wir uns erst einmal in der Systematik des Sozialversicherungsschutzes bewegen. Sie
wissen, dass wir diese Frage in unserer Entschließung, der
hoffentlich auch Sie zustimmen werden, über einen Freiwilligenstatus in einem allgemeinen Freiwilligengesetz
regeln wollen. Wir kennen die unterschiedlichen Regelungen im Sozialversicherungsgesetz. Wir haben uns jetzt
nur auf diese eine konzentriert und werden die anderen
prüfen; deswegen die Entschließung.
Es geht uns aber auch um das Sichtbarmachen von
durch den Freiwilligendienst erworbenen Kompetenzen.
Deshalb wird es in Zukunft eine Bestätigung über die
Tätigkeiten im FSJ oder FÖJ geben. Das ist auch deshalb
gut, weil soziale und ökologische Kompetenz hierdurch
einen stärkeren Stellenwert in unserer Gesellschaft bekommen.
Wir sehen durch diese Novelle auch einen ersten
Schritt in Richtung Konversion des Zivildienstes. Wir,
die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, werden sicherlich genauso wie die anderen Fraktionen in der nächsten Legislaturperiode über die Abschaffung der Wehrpflicht reden müssen und auch reden. Die Öffnung des
FSJ und FÖJ als Alternative zum Zivildienst durch den
neuen § 14 c, der eine Ableistung anstelle des Zivildienstes ermöglicht, ist Bestandteil grüner Vorstellungen hinsichtlich des Umbaus des Wehrersatzdienstes. Wir wollen
den Etat des Zivildienstes langfristig zum Ausbau der
Freiwilligendienste und zur Schaffung von Arbeitsplätzen
im sozialen Bereich sichern. Dazu ist der heutige Beschluss bei gleichzeitiger Beibehaltung des anderen Dienstes im Ausland sicherlich ein guter, wenn auch kleiner Anfang.
({0})
Insgesamt sind in den Neuregelungen des FSJ und FÖJ
nun grüne Vorstellungen umgesetzt: Ausbau und Öffnung
der Freiwilligendienste sowie soziale Absicherung junger
Menschen. Wir freuen uns, dass dies fraktionsübergreifend als richtig angesehen wird.
Herzlichen Dank.
({1})
Jetzt hat die Kollegin
Ina Lenke für die FDP-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Die Bundesregierung ist mit einem Versprechen angetreten, mit
dem Versprechen, eine bessere Förderung von Freiwilligendiensten auf den Weg zu bringen.
({0})
Übrig geblieben sind lediglich die Änderungen zum freiwilligen sozialen Jahr und zum freiwilligen ökologischen
Jahr und die Erweiterung der Tätigkeiten. Das, lieber Kollege Dzewas, ist zu wenig.
({1})
Die Bundesregierung drückt sich in dieser Legislaturperiode vor einer konzeptionellen Neugestaltung gesetzlicher Rahmenbedingungen für einen umfassenden
allgemeinen Freiwilligendienst. Der jetzige Gesetzentwurf von SPD und Grünen ist ein Minischritt, gerade was
die Grünen anbelangt, Herr Simmert.
Positiv ist, dass das FSJ und das FÖJ nun eine Alternative zum Zivildienst bieten. Ich finde das sehr gut. Meine
Fraktion wird dieses Vorhaben unterstützen. Aber die jungen Menschen müssen einen Freiraum haben - eine entsprechende Regelung haben Sie in den Beratungen leider
noch kurzfristig geändert -, um ihre Lebensplanung anpassen und diesen Dienst eventuell abschnittsweise leisten zu können. Das ist, wie gesagt, aufgrund des
CDU/CSU-Antrages mit Ihrer Hilfe gestrichen worden,
was ich sehr bedauerlich finde.
Die Anhörung zu diesem Gesetz war sehr wichtig. In
dieser Anhörung haben die Experten ganz deutlich gesagt,
dass bei dieser Gesetzeskonstruktion nicht mehr Plätze
im Ausland geschaffen werden. Wir sind doch sicher einer Meinung, dass es angesichts des Interesses junger
Menschen schade ist, ein Gesetz zu verabschieden, mit
dem die Zahl der Plätze im Ausland nicht erhöht wird.
Was soll das eigentlich?
({2})
Sie haben mit Ihren bürokratischen Vorschriften für
den Auslandsdienst - zum Beispiel dass die Fortbildung
in Deutschland stattfinden muss -, die Plätze verteuert
und bürokratisiert. Sie sollten sich diese Vorschrift noch
einmal überlegen.
({3})
- Wenn Sie bei der Anhörung anwesend gewesen wären,
hätten Sie das feststellen können.
({4})
- Vielleicht waren Sie in diesem Moment nicht da. Wir
beide können diesen Punkt später gerne noch ausdiskutieren.
Ich komme auf die Sozialversicherungspflicht zu
sprechen, die den Grünen und der SPD so fürchterlich
wichtig ist. Gerade diese umfassende Sozialversicherungspflicht führt ja dazu, dass die Plätze im Ausland zu
teuer sind und deswegen keine zusätzlichen Plätze zur
Verfügung gestellt werden. Sie haben doch Alternativen,
die die Experten und auch ich in der Anhörung des Ausschusses angesprochen haben. Wir können andere Regelungen bei der Rentenversicherung und bei der Pflegeversicherung finden.
({5})
Bei der Arbeitslosenversicherung ist das ebenfalls möglich. Für die Zeit von zwölf Monaten gibt es andere Möglichkeiten, die für die jungen Leute eine genauso gute Absicherung darstellen.
({6})
Es sollte geprüft werden, ob es analog zum Status des
Entwicklungshelfers, der auch nicht mit einem „Arbeitslohn“ versehen ins Ausland geht, Erleichterungen für die
Träger gibt, sodass mehr Plätze geschaffen werden können.
Ich will weiterhin kritisch anmerken:
Erstens. Freiwilligendienste für Ausländer in Deutschland werden nicht erleichtert.
Zweitens. Die Mobilitätsrichtlinie wird nicht umfassend umgesetzt.
Drittens. Ob mit dem Änderungsantrag die Gleichbehandlung von Frauen, die in Ihrem Gesetzentwurf fehlte,
stärker berücksichtigt wird, wage ich zu bezweifeln. Es ist
so, dass in Ihrem Ursprungsgesetzentwurf das GenderMainstreaming-Prinzip, auf das Sie so stolz sind, überhaupt nicht gegriffen hat, sodass Sie in diesem Punkt
nachbessern mussten. Es wundert mich schon sehr, dass
das den Grünen nicht aufgefallen ist, Herr Simmert.
({7})
Ich komme nun zu unserem Antrag, den Sie gar nicht
beraten haben und der wahrscheinlich umfassender und
besser ist. Die FDP will gesetzliche Rahmenbedingungen
für einen umfassenden Freiwilligendienst schaffen, insbesondere - das hat Herr Simmert auch schon erwähnt - vor
dem Hintergrund der Diskussion um die Wehrpflicht. Die
FDP will den grenzüberschreitenden Freiwilligendienst
zur Erweiterung der Bildungschancen junger Menschen,
zur Stärkung von Toleranz und Solidarität. Wir wollen zusätzlich, dass der Aufbau der Kooperation gemeinnütziger
Dienste zwischen der Europäischen Union, der EFTA und
den Beitrittsländern sowie den Drittländern unterstützt
wird.
Auch Deutschland und die Bundesregierung haben
sich gegenüber der Europäischen Union verpflichtet, wesentlich mehr zu tun, als in Ihrem Gesetz steht. So wird
unser Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, in der
nächsten Legislaturperiode für bessere Bedingungen von
Jugendlichen, die sich im Ausland engagieren, sorgen
müssen.
({8})
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Monika Balt.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Regierungskoalition trat 1998 mit dem Versprechen an, Freiwilligendienste im In- und Ausland auszubauen. Dieses
Versprechen soll nun, kurz vor Toresschluss, noch eingelöst werden.
Dass Freiwilligendienste wichtige interkulturelle, ökologische und soziale Erfahrungen vermitteln und so in
hohem Maße zur persönlichen Entwicklung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer beitragen, ist bei uns allen unumstritten. Dass sich die PDS dagegen ausspricht, Freiwillige als Ausfallbürgen und als Ersatz für dauerhaft
Beschäftigte zu missbrauchen, wird Sie natürlich nicht
verwundern. Auch ist seit langem bekannt, dass weitaus
mehr junge Menschen bereit sind, sich zu engagieren, als
Einsatzplätze vorhanden sind.
Der vorliegende Gesetzentwurf regelt nur die Freiwilligendienste im Inland. Die Verbesserungen befürwortet
die PDS; sie sind gut. Deshalb stimmen wir diesem Gesetzentwurf zu.
Wir kritisieren jedoch, dass auf die besonderen Bedürfnisse von Freiwilligendiensten im Ausland nicht ausreichend eingegangen wird. Beispielsweise widerspricht
der Zwang, einen gegebenenfalls notwendigen Sprachkurs in Deutschland durchzuführen, jeglicher sprachpraktischen und pädagogischen Erfahrung.
Ermöglichen Sie den Freiwilligen erstens, die Fremdsprache dort zu lernen, wo sie angewandt wird, nämlich in
ihrem Gastland. Stimmen Sie unserem Änderungsantrag
hierzu zu.
({0})
Zweitens. Wir fordern in unserem Änderungsantrag die
Aufnahme eines Kindergeldanspruches für alle Freiwilligen im Ausland.
Drittens. Der Ausgleich weiterer Nachteile, die wir
heute aus Zeitgründen hier nicht besprechen können, ist in
einem umfassenden Aufnahme- und Entsendegesetz für
die nationalen und internationalen Freiwilligendienste
nachzuholen.
({1})
Mit der neu geschaffenen Ausnahmeregelung, die es in
Zukunft ermöglichen soll, ein freiwilliges soziales oder
ökologisches Jahr anstelle des Pflichtdienstes Zivildienst
zu leisten, wird den betroffenen jungen Männern eine
sinnvolle selbst gewählte Alternative eröffnet. Das begrüßen wir natürlich sehr.
({2})
Diese Regelung ist jedoch mit der akuten Gefahr verbunden, dass Frauen benachteiligt werden. Eine staatliche
Förderung ist für sie, im Gegensatz zu wehrpflichtigen
Männern, nicht vorgesehen. Die Bundesregierung muss
sicherstellen, dass die staatlichen Fördergelder von den
Trägern des freiwilligen sozialen und ökologischen Jahres
auch zur Förderung von Frauen verwendet werden können und letztendlich auch eingesetzt werden.
({3})
Meine Damen und Herren, im Interesse der jungen
Freiwilligen stimmen wir dem Gesetzentwurf in dieser
Fassung zu. Stimmen Sie im Interesse der jungen Freiwilligen unseren beiden Änderungsanträgen und unserem
Entschließungsantrag zu.
Vielen Dank.
({4})
Das war eine zeitliche
Punktlandung.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dieter
Dzewas von der SPD-Fraktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zunächst einmal richte ich einen herzlichen Dank an
alle Beteiligten an diesem Gesetzgebungsverfahren, an
die Kolleginnen und Kollegen, die mit einer hervorragenden Kondition hier zu dieser Zeit an dieser Debatte teilnehmen und an alle Besucherinnen und Besucher.
„Was ich kann, ist unbezahlbar!“ - so lautet der Titel
der Kampagne zur Unterstützung des ehrenamtlichen Engagements, die im Herbst des vergangenen Jahres vom
Familienministerium gestartet wurde. Auch die Zeit, die
junge Freiwillige im FSJ und FÖJ verbringen, ist ein Ehrenamt.
In einer Untersuchung aus dem Jahr 1998 wurden
junge Freiwillige über das Ergebnis ihres Engagements
befragt. 78 Prozent der Befragten bemerkten, ihre Selbstständigkeit sei jetzt stärker ausgeprägt. Zwei Drittel nannten die Steigerung ihres Selbstbewußtsseins. Mehr als die
Hälfte sprach von einer Verbesserung der Durchsetzungsfähigkeit und Entscheidungsfreudigkeit. Das alles sind
Fähigkeiten, die später im Berufs- wie im Privatleben sehr
gefragt sind. Diese so genannten Sekundärtugenden beIna Lenke
gleiten die jungen Menschen auch nach ihrer Freiwilligenzeit. Angesichts der über 13 200 jungen Menschen, die
die Chance, ein FSJ oder FÖJ abzuleisten, im vergangenen Jahr genutzt haben, ist es nur konsequent und richtig
gewesen, dass wir von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
im Jahr 2001, nämlich im Internationalen Jahr der Freiwilligen, diesen Gesetzentwurf zur Änderung des FSJFörderungsgesetzes auf den Weg gebracht haben.
Die Förderung des freiwilligen Engagements zieht sich
wie ein roter Faden durch diesen Gesetzentwurf. Wir versuchen, sowohl für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer
wie auch für FSJ und FÖJ, als Institutionen die Attraktivität zu steigern: Wir erweitern die Einsatzfelder. Wir flexibilisieren die Dauer des FSJ und FÖJ im Inland. Wir
weiten die Förderung auf das außereuropäische Ausland
aus. Wir senken das Eintrittsalter ab. Wir schreiben jetzt
nicht mehr ein bestimmtes Alter fest, sondern wollen, dass
man nach Absolvierung der Vollzeitschulpflicht in dieses
Jahr eintreten kann. Damit geben wir jungen Menschen
insbesondere aus Haupt- und Realschulen die Möglichkeit, eine FSJ- bzw. FÖJ-Förderung in Anspruch zu nehmen. Freiwillige können zukünftig ein berufsqualifizierendes Zeugnis erhalten, das später für die weitere
berufliche Laufbahn von Vorteil sein kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen doch alle:
Solche freiwilligen Dienste sind offensichtlich attraktiv;
verordnete Zwangsdienste dagegen werden oft nur mit
Zähneknirschen absolviert. Was wir gemacht haben, nämlich einen § 14 c in das Zivildienstgesetz einzufügen, ist,
Herr Kollege Dörflinger, keineswegs ominös, sondern
pragmatisch. Wir reagieren mit unserem Gesetzentwurf
auf den bestehenden Widerspruch und die Erkenntnis, dass
Freiwilligendienste mit einer anderen Motivation geleistet
werden als Zwangsdienste. Der neue § 14 c des Zivildienstgesetzes ermöglicht es anerkannten Kriegsdienstverweigerern, sich statt des Zivildienstes zur Ableistung
eines freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahres zu
verpflichten. Das heißt zum Beispiel: Ein anerkannter
Kriegsdienstverweigerer, der sich zu einem freiwilligen
ökologischen Jahr im Ausland für eine Dauer von zwölf
Monaten verpflichtet, muss keinen Zivildienst mehr ableisten. Weil er so möglicherweise ganz andere Gestaltungsspielräume für seine persönliche Entwicklung erhält, ist es,
glaube ich, durchaus sinnvoll, diesen Weg zu eröffnen.
({0})
Ein deutliches Wort zu den Finanzen: Es gibt überhaupt
keine Ungleichbehandlung. Das, was ein Zivildienstleistender den Staat kostet, stellt der Bund den Trägern zur
Verfügung.
In der Opposition gibt es darüber hinaus - das ist mehrfach angesprochen worden - die verschiedensten Bedenken, dass angestammte FSJ- oder FÖJ-Plätze jetzt verdrängt werden und so beispielsweise junge Frauen
benachteiligt werden könnten. Wir sorgen durch eine entsprechende Durchführungsverordnung dafür, dass für
junge Männer zusätzliche Plätze eingerichtet werden.
Diese Lösung ist sehr vernünftig, zumal man wissen muss
- auch darauf ist mehrfach hingewiesen worden -, dass
wir für diese weiteren Plätze 5 Millionen Euro zusätzlich
zur Verfügung stellen. Natürlich sind wir darauf angewiesen, dass die Länder und die Träger auf dieses Angebot
einsteigen. Aber man sieht, dass es uns ernst ist mit der
Schaffung von zusätzlichen Plätzen für das FSJ/FÖJ.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, 1993 wurde das freiwillige ökologische Jahr eingeführt, rund 30 Jahre nach
der Geburt des FSJ. Wir wissen, dass noch heute die Zahl
der Bewerberinnen und Bewerber das Angebot an Plätzen
übersteigt. Auch deshalb ist es ein vernünftiger Weg, zusätzliche Möglichkeiten zu schaffen und das nicht europäische Ausland einzubeziehen. Da wir die Zwölfmonatsfrist berücksichtigen, erwartet die Bundesregierung, dass
nach entsprechender Überprüfung dieses Gesetzes und
unter Berücksichtigung der Empfehlungen der EnqueteKommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ die Freiwilligendienste zukünftig noch besser und
wirksamer unterstützt werden können.
Dem FDP-Antrag können wir nicht zustimmen: Ich
möchte der Enquete-Kommission zum einen nicht vorgreifen und muss zum anderen feststellen, dass die notwendige
und faire soziale Absicherung der jungen Menschen in
Ihrem Antrag überhaupt nicht berücksichtigt worden ist. Im
Namen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bitte ich deshalb die Bundesregierung, die entsprechenden Vorschläge
vorzulegen. Frau Lenke, die Schritte, die wir jetzt tun, sind
solide und sicher. Sie wünschen Sprünge. Das aber birgt die
Gefahr des Absturzes. Deshalb: Lassen Sie uns die vorgelegten Schritte gemeinsam gehen.
Herr Dörflinger, angesichts der Tatsache, dass wir uns
schon in der Diskussion im Ausschuss konstruktiv ergänzt
haben, bitte ich auch heute um Ihre Zustimmung. Dieser
Gesetzentwurf ist aus meiner Sicht zukunftsfähig. Das ist
wichtig; denn junge Menschen sind - das wissen wir alle;
darin sind wir uns auch einig - die Zukunft unseres Landes. Sie verdienen unsere volle Unterstützung. Dies sollten wir mit einer entsprechenden Beschlussfassung hier
im Deutschen Bundestag kenntlich machen.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, genauso
wie den Besucherinnen und Besuchern auf der Tribüne, ein
schönes Wochenende und vor allen Dingen schöne Ostern!
({1})
Bevor es so weit ist,
haben wir noch einiges zu tun.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 14/7485
zur Änderung des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres und anderer Gesetze. Unter Nr. 1
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/8634 empfiehlt der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.
Dazu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der
PDS vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für
den Änderungsantrag auf Drucksache 14/8666? - GegenDieter Dzewas
stimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 14/8675? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen von PDSund FDP-Fraktion abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des
ganzen Hauses angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit
einstimmig angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/8669. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der
Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der
CDU/CSU-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/8671. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der PDSFraktion abgelehnt.
Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 1 Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/8634 die Annahme einer
Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU- und
FDP-Fraktion angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres und zur Änderung des Gesetzes zur Förderung
eines freiwilligen ökologischen Jahres auf Drucksache 14/5120. Der Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/8634, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der
CDU/CSU-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/8634 empfiehlt der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der FDP auf Drucksache 14/7811 mit dem Titel
„Deutschland braucht gesetzliche Rahmenbedingungen
für einen allgemeinen Freiwilligendienst“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
von FDP- und PDS-Fraktion bei Enthaltung der
CDU/CSU angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 sowie Zusatzpunkt 6
auf:
27. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes
- Drucksache 14/7755 ({0})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
- Drucksachen 14/8621, 14/8668 Berichterstattung:
Abgeordnete Petra Bierwirth
Kurt-Dieter Grill
Winfried Hermann
Eva Bulling-Schröter
ZP 6 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Wasserverbandsgesetzes
- Drucksache 14/8223 ({2})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({3})
- Drucksache 14/8615 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Franz Obermeier
Zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Was-
serhaushaltsgesetzes liegt ein Entschließungsantrag der
Fraktion der CDU/CSU vor.
Die Kolleginnen und Kollegen Bierwirth, Grill,
Homburger, Dr. Bärbel Grygier sowie der Bundesminis-
ter Trittin haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) - Ich
höre keinen Widerspruch; dann ist das so geschehen.
Wir kommen sofort zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes, Drucksa-
chen 14/7755, 14/8668 und 14/8621. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dage-
gen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung gegen die Stimmen der CDU/CSU bei
Enthaltung der FDP angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
Vizepräsidentin Petra Bläss
1) Anlage 6
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung
der FDP angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/8639. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der
Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP abgelehnt.
Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Wasserverbandsgesetzes auf Drucksache 14/8223. Der Ausschuss für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt auf Drucksache 14/8615, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 28 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Alfred
Hartenbach, Joachim Stünker, Hermann Bachmaier,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD
sowie den Abgeordneten Volker Beck ({4}),
Hans-Christian Ströbele, Grietje Bettin, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung
- Drucksache 14/8586 Überweisungsvorschlag::
Rechtsausschuss ({5})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Die Kolleginnen und Kollegen Joachim Stünker,
Dr. Gehb, Volker Beck ({6}), Jörg van Essen, Dr. Evelyn
Kenzler sowie der Parlamentarische Staatssekretär Pro-
fessor Pick haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) -
Auch hierzu besteht Begeisterung in der Runde.
Deshalb kommen wir gleich zur Überweisung. Inter-
fraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf
Drucksache 14/8586 an die der Tagesordnung aufgeführ-
ten Ausschüsse vorgeschlagen. Abweichend von der Ta-
gesordnung soll der Gesetzentwurf nicht an den Haus-
haltsausschuss überwiesen werden. Sind Sie mit der
Überweisung einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist
sie so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({7}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll,
Dr. Christa Luft, Heidemarie Ehlert, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der PDS.
Wiedererhebung der Vermögenssteuer
- Drucksachen 14/6112, 14/7558 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Simone Violka
Heinz Seiffert
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({8}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll,
Heidemarie Ehlert, Dr. Christa Luft, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Erbschaftsbesteuerung sofort reformieren
- Drucksachen 14/7109, 14/7773 Berichterstattung:
Abgeordnete Heinz Seiffert
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS
fünf Minuten erhalten soll. Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist für die
PDS-Fraktion die Kollegin Dr. Barbara Höll.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es völlig in Ordnung,
wenn meine Kollegen heute nicht zu diesem Thema sprechen. Das ist die Vereinbarung. Allerdings finde ich es
sehr traurig, wenn wir, die PDS, hier in diesem Hohen
Hause inzwischen die Einzigen sind, die noch an eine Reformierung der Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung
festhalten.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, Sie
sollten sich an zeithistorische Dokumente darüber erin-
nern, was alles man von Ihnen im Wahlkampf hören
konnte. Die Grünen forderten 1998 sogar ganz konkret die
Einführung einer Vermögensteuer. Bei der SPD las sich
das so: Große Privatvermögen sollten wieder einen ge-
rechten Beitrag leisten, um Bildung und andere öf-
fentliche Dienstleistungen finanzieren zu können. - Wun-
derschön!
Leider haben Sie sich aber in Ihrer Regierungspolitik
meilenweit davon entfernt. Davon ist nichts übrig geblie-
ben. Im Gegenteil: Die Schere zwischen Armut und
Reichtum in dieser unserer deutschen Gesellschaft hat
sich weiter geöffnet. Nicht umsonst wird inzwischen in
Fachblättern wie zum Beispiel dem „Handelsblatt“ davon
Vizepräsidentin Petra Bläss
1) Anlage 7
gesprochen, dass Deutschland zur „Steueroase“ mutiert
ist. Im „Spiegel“ ist von einem „Steuerparadies“ die Rede.
Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer zahlt inzwischen mehr Lohnsteuer als Großunternehmen wie
Daimler-Benz, das im vergangenen Jahr keine Steuern
gezahlt hat. Meine kleine Schwester arbeitet als
Facharbeiterin - sie ist ausgebildete Meisterin - im Vierschichtsystem. Sie hat kein Wochenende. Sie zahlt Monat
für Monat ihre Lohnsteuer. Dem steht gegenüber, dass ein
Konzern wie zum Beispiel VW im Jahre 2001 den Gewinn vor Steuern um 37 Prozent steigern konnte. Nach
Steuern ist eine Gewinnsteigerung um rund 144 Prozent
möglich. Sie sollten einmal deutlich machen, wie das ein
Lohnabhängiger realisieren kann!
Finanzminister Eichel hat auf dem Gebiet der Finanzierung des Gemeinwesens leider nichts unternommen,
um die Lage der Kommunen, der Länder und des Bundes
zu stabilisieren. In den letzten dreieinhalb Jahren war das
Programm der Bundesregierung von Sozialabbau gekennzeichnet. In der Presse sind neue Diskussionen zu
hören. Stichworte sind: Teilkasko bei Kranken- und Arbeitslosenversicherung sowie Ankündigung der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Dies
sind weitere Vorboten eines Sozialabbaus.
Schleswig-Holstein musste jetzt das Blindengeld abschaffen. Schulen werden nicht saniert. Stellen in der Verwaltung, die eigentlich nötig wären, werden einfach
gekürzt. Selbst der rot-rote Senat in Berlin musste massive Sparbeschlüsse treffen, um aus der aktuellen Situation halbwegs herauszukommen.
Es besteht also eine Situation, die als äußerst ernst zu
bezeichnen ist. Hierzu liegen leider keine Antworten von
Ihnen vor. Der ehemalige Staatssekretär im Finanzministerium Claus Noé beurteilte in dieser Woche die Politik
von Herrn Eichel sehr treffend - ich zitiere das aus der
„Frankfurter Rundschau“ vom 18. März 2002 -: „Der
Mann läuft ökonomisch Amok.“ Man kann ergänzen: Das
schließt die Finanzpolitik ein.
Sie haben eine Einkommen- und Unternehmensteuerreform verabschiedet, die dazu geführt hat, dass durch die
Körperschaftsteuer im vergangenen Jahr zum ersten
Mal in der Geschichte der Bundesrepublik keine Einnahmen erzielt wurden. Es gab Ausfälle in Milliardenhöhe.
Bei der Diskussion unserer Vorschläge zu einer Reform
der Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung haben Sie
sich in der Ausschussberatung ganz billig herausgeredet,
und zwar nach dem Motto: Solange die Länder nicht wollen, können wir überhaupt nichts tun.
Wer sich halbwegs erinnern möchte, dem wird bewusst, dass unser Kanzler Schröder Vorschläge aus den
Ländern zur Reform der Erbschaftsbesteuerung massiv
zurückgepfiffen hat. An anderen Stellen versuchen wir,
als Bundestag - wir sind die Legislative - doch auch, initiativ zu werden. Durch die Diskussionen wollen wir Gesetze ermöglichen, die vorwärts weisen, Perspektiven
eröffnen und ein Gegengewicht zu dem ständigen Sparen
bieten können. Gespart wird an der Substanz und inzwischen auch an der Zukunft unserer Kinder.
Ich nehme einfach eine Zahl: 2,6 Millionen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger gehören in der Bundesrepublik
Deutschland zur Schicht der vermögenden Personen. Jede
Person aus dieser Schicht verfügt über liquide Mittel
- diese sind also nicht in einem Haus gebunden - in Höhe
von etwa 1,1 Millionen DM, also rund 550 000 Euro. Es
ist doch vernünftig, dass wir eine Vermögensbesteuerung
fordern, sodass diese wieder einen höheren Beitrag zahlen, nachdem der Spitzensteuersatz durch Sie massiv gesenkt wurde und sich diese Leute durch bestimmte Vorschriften in den Steuergesetzen arm rechnen konnten,
wodurch sie weniger bzw. gar keine Steuern mehr zahlen
mussten. Wir sprechen von Menschen, bei denen das
wirklich möglich ist. Laut Grundgesetz wären sie in der
Pflicht.
Unsere Vorschläge, die Ihnen in den beiden Anträgen
vorliegen, sind verfassungsfest. Natürlich haben wir die
Urteile des Bundesverfassungsgerichts beachtet. Sie
entsprechen einer modernen Auffassung von Finanz- und
Steuerpolitik, da sie von der Individualisierung des Steuerrechts ausgehen. Sie sind sozial gerecht, weil natürlich
„Oma ihr klein Häuschen“ keinesfalls besteuert werden
soll. Es handelt sich um reale Finanzierungsquellen. Damit könnte die steuerliche Gerechtigkeit verwirklicht
werden.
Ich verspreche Ihnen, dass wir, die PDS, auch im
nächsten Deutschen Bundestag an diesem Thema festhalten und Sie nicht aus der Pflicht entlassen werden, sich
endlich vorwärts zu bewegen und umzusteuern, sodass
sich die wirklich Vermögenden an der Finanzierung des
Gemeinwesens beteiligen müssen.
Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen ebenfalls schöne
Ostern.
({1})
Die Kolleginnen und
Kollegen Simone Violka, Otto Bernhardt, Christine
Scheel und Gerhard Schüßler haben ihre Reden zu Proto-
koll gegeben,1) sodass ich hiermit die Aussprache
schließen kann.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanz-
ausschusses auf Drucksache 14/7558 zu dem Antrag der
Fraktion der PDS mit dem Titel „Wiedererhebung der
Vermögensteuer“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 14/6112 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der PDS-Fraktion angenommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanz-
ausschusses auf Drucksache 14/7773 zu dem Antrag der
Fraktion der PDS mit dem Titel „Erbschaftsbesteuerung
sofort reformieren“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 14/7109 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltun-
1) Anlage 8
gen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Die Osterpause
liegt vor uns. Ich gehe davon aus, dass sie für uns alle arbeitsreich sein wird. Trotz alledem wünsche ich Ihnen und
besonders unseren zahlreichen Zuhörerinnen und Zuhörern auf der Besuchertribüne ein schönes und vor allem
friedliches Osterfest. Viel Erfolg beim Suchen der Ostereier und der anderen Überraschungen, die versteckt werden.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 17. April 2002, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.