Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich danke
Ihnen, Herr Bundesminister.
Mir liegen eine Reihe von Fragen vor. Zunächst hat der
Kollege Hansjürgen Doss, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Bundesminister, der Sparkassen- und Giroverband beschreibt in seiner „Diagnose Mittelstand“ die Lage des Mittelstandes
wie folgt: Die Ertragslage ist unzureichend. Die
Eigenkapitalausstattung ist besorgniserregend. Unternehmerische Tätigkeit wird immer unrentabler. Die Lage ist
düster. Der Investitionstrend zeigt nach unten. Die
Perspektiven für 2002 lauten: weniger Unternehmen und
noch weniger Arbeitsplätze.
Die Frage ist: Was rechtfertigt Ihren Optimismus? Sie
schreiben: Wir senken Steuern und Abgaben. Wir sichern
die Finanzierung des Mittelstandes. Wir schaffen ein besseres Klima für mehr Selbstständigkeit. Wir bauen Bürokratie ab. - Hier gibt es offensichtlich einen Dissens. Wie
erklären Sie ihn?
Das müssen Sie den Sparkassen- und
Giroverband fragen. Ich weiß nicht, ob er seine spezielle
Kundschaft befragt hat oder wie die Bundesregierung
einen breiten Querschnitt des Mittelstandes zugrunde gelegt hat.
Herr Präsident,
Sie erlauben, dass ich noch einmal nachfrage.
Ich denke, Sie machen sich das ziemlich einfach.
({0})
- Sie schreien sehr schön. - Sie haben sich in Ihren Feststellungen auf die Aussagen der Industrie- und Handelskammern sowie der Handwerkskammern bezogen. Nehmen Sie selektiv nur das zur Kenntnis, was Ihnen passt?
Herr Doss, ich will Ihnen gerne ein Gegenbeispiel nennen. Es ist üblich, dass Bankinstitute ihre
Klientel befragen. Ich habe Ihnen nicht die Umfrage der
KfW bei den von der KfW kreditierten Unternehmen zitiert. Diese Unternehmen haben im November des letzten
Jahres angegeben, dass sie gute bis sehr gute Geschäftsaussichten haben. Im Mittel wollen alle von der KfW kreditierten Unternehmen im Jahre 2002 9 Prozent mehr Personal einstellen.
Das ist, wie gesagt, eine ausschnittsweise Betrachtung,
die bei der KfW-Klientel besonders gut ist. Das Ergebnis
der Untersuchung des Sparkassen- und Giroverbandes bei
seiner Klientel ist offensichtlich anders. Das kann aber
durchaus so sein. Ich weiß aber nicht, ob der Bericht überhaupt richtig zitiert ist. Ich stehe mit dem Verband in ständigem Kontakt. Heute Abend werde ich dort eine Tagung
eröffnen.
({0})
Der nächste
Fragesteller ist der Kollege Rainer Wend, SPD-Fraktion.
Herr Bundesminister
Müller, mir wird immer wieder mitgeteilt, dass die Finanzierung von Existenzgründungen und des Mittelstandes
zunehmend problematisch werde, insbesondere die
großen Privatbanken sich aus diesem Finanzierungsgeschäft zurückzögen.
Meine Frage an Sie ist: Teilt die Bundesregierung diese
Bewertung? Wenn ja, welche Möglichkeiten sehen Sie Ihrerseits, die Finanzierung von Existenzgründungen und
des Mittelstandes zu verbessern?
Die Klage, die Sie aus dem Mittelstand
schildern, bezieht sich auf einen Umstand, der der Bundesregierung seitens der mittelständischen Wirtschaft,
insbesondere seitens potenzieller Existenzgründer, sehr
wohl bekannt gemacht worden ist. Das Bundeswirtschaftsministerium hat sich mit allen am Kapitalmarkt
tätigen Institutionen zusammengesetzt und mit ihnen eine
gemeinsame Erklärung erarbeitet, die auch von dem Bundesverband der Privatbanken mit unterschrieben wurde.
Danach ist die Finanzierung des Mittelstandes die vorrangige Aufgabe der am Kapitalmarkt Tätigen. Die Bundesregierung wird den Bankensektor an dieser Selbstverpflichtung messen.
Ich verhehle nicht, dass die Selbstverpflichtung, die
der Bankensektor eingegangen ist, aus unserer Sicht noch
nicht zu befriedigenden Zuständen geführt hat. Wir erleben, dass insbesondere Gründerdarlehen nur unter erschwerten Bedingungen gegeben und Antragsteller einer
relativ langen Risikoprüfung unterzogen werden. Wir
überlegen zusammen mit DtA und KfW, wie wir die Mittlerfunktion des Bankensektors so verbessern können, dass
die von der Bundesregierung den Banken des Bundes bereitgestellten Gelder wirklich zur Gründung von Existenzen verwendet werden.
Nächster
Fragesteller ist der Kollege Heinrich Kolb, FDP.
Herr Minister, ich wundere mich ebenfalls über Ihre wiederholte und so uneingeschränkt positive Darstellung der Geschäftserwartungen im Bereich des Mittelstandes. Meine eigenen
Erfahrungen aus fast täglichen Gesprächen mit Mittelständlern sind andere. Vielleicht liegt ein Unterschied
darin, ob man mit Verbandsfunktionären oder mit den Unternehmern selbst spricht. Meine Bitte vorab wäre: Vielleicht können Sie bei der Beantwortung der Frage sagen,
was Sie als Wirtschaftsminister unter dem Begriff „Mittelstand“ verstehen. Es gibt ja sehr unterschiedliche Auffassungen. Vielleicht erklärt das auch die unterschiedlichen Erwartungen, die jeweils beschrieben werden.
Meine Frage ist: Wir hatten im letzten Jahr 33 000 Konkurse und damit einen dramatischen Anstieg der Zahl der
Konkurse. Die Perspektive für dieses Jahr ist leider, dass
diese Zahl noch weiter ansteigt. Teilen Sie diese Einschätzung? Was will die Bundesregierung gegebenenfalls
unternehmen, um diesen Trend zu stoppen?
Dass die Zahl der Insolvenzen ansteigt,
ist ein Umstand, der seit 1992 belegt ist. Wir haben eine
permanent steigende Zahl - auch prozentual betrachtet der Insolvenzen. Die einzige Ausnahme bei diesem langfristigen Trend war das Jahr 1999.
Sie müssen die Zahl der Insolvenzen vor dem Hintergrund der Liquidationen in toto sehen. Seitdem diese Bundesregierung regiert, ist die Zahl der Unternehmensliquidationen permanent zurückgegangen, und zwar von über
500 000 auf 460 000 im letzten Jahr. Warum gerade im
letzten Jahr die Zahl der Insolvenzen angewachsen ist, erklärt sich durch die von Ihnen begonnene Reform des Insolvenzrechts, die wir fortgesetzt haben. Wie Sie wissen,
kann sich das Kleingewerbe durch Insolvenzantrag von
Restschulden entlasten. Davon ist im letzten Jahr erstmals
und deutlich Gebrauch gemacht worden. Die Zahl der Insolvenzen im Kleingewerbe ist in einer Größenordnung
von 40 Prozent gestiegen.
Zusatzfrage?
Herr Minister, verstehe
ich Sie richtig, dass es nach Ihrer Auffassung im deutschen Mittelstand kein Insolvenzproblem gibt?
Wenn Sie zugehört haben, müssen Sie
zugeben, dass ich das nicht gesagt habe. Ich habe gesagt,
dass das Kleingewerbe - ich betone: das Kleingewerbe vom neuen Insolvenzrecht Gebrauch macht und insofern
deutlich häufiger Insolvenzanträge gestellt hat, als das
früher, als die Möglichkeit der Restschuldbefreiung nicht
gegeben war, üblich war.
Im Übrigen - ich habe es schon einmal gesagt -: Betrachten Sie das Ganze vor dem Hintergrund der großen
Zahl der Liquidationen, die permanent zurückgegangen
ist. Der Saldo von Unternehmensgründungen und Liquidationen liegt unverändert bei 75 000; dies gilt auch für
das letzte Jahr. Im letzten Jahr waren per saldo in Deutschland 75 000 Unternehmen mehr vorhanden.
Nächster
Fragesteller ist der Kollege Christian Lange, SPD.
Herr Minister,
Sie haben den Fachkräftemangel angesprochen, der auch
meiner Erfahrung nach in der Tat ein großes Problem darstellt. Ich will es mit einer Frage zur Betriebsnachfolge
kombinieren. Die Bundesregierung hat erstmals die
Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung durch die Verbesserung im Bereich des MeisterBAföG erreicht. Welche Erwartungen verknüpfen Sie
damit insbesondere im Hinblick auf die Frage der Betriebsnachfolge? Welche Erwartungen verknüpfen Sie mit
der Neuordnung der Berufsbilder und meinen Sie, dass dadurch ein wesentlicher Abbau der Zahl der 300 000 Betriebe, für die ein Nachfolger gesucht wird, erreicht werden kann?
Lassen Sie mich zunächst einmal Zahlen nennen: Es gibt in Deutschland alles in allem 3,3 Millionen Betriebe, davon der weit überwiegende Anteil mit
Betriebsgrößen von unter 100 Beschäftigten, Herr Kolb.
Das ist der eigentliche Mittelstand. Fast 1 Million der
3,3 Millionen Betriebe werden in den nächsten zehn Jahren einen Nachfolger brauchen. Dabei handelt es sich also
um ein immenses Problem. Schon heute ist es eine Tatsache, dass wir Arbeitsplätze in einer Größenordnung von
50 000 dadurch verlieren, dass in einer beachtlichen Zahl
von Unternehmen, denen die Nachfolgeregelung nicht gelingt, der Betrieb geschlossen wird. Deswegen - auch das
können Sie im Mittelstandsbericht nachlesen - haben wir
die Kampagne „Nexxt“ gestartet, die letztlich nur dann erfolgreich sein kann, wenn auch genügend Leute zur Unternehmensnachfolge bereitstehen und die Erbschaftsteuer
mittelstandsfreundlich und nicht - wie Sie das wollen - so
wie bei den Kapitalgesellschaften gestaltet wird. Vielmehr
sollte der Mittelstand seine Rechte behalten. Deswegen
müssen wir darauf achten, dass es genügend Gründer gibt.
Daher ist eine flexible Anwendung der Handwerksordnung erforderlich, für die Sie, Herr Lange, und ich uns
eingesetzt haben.
Was noch zu Klagen Anlass gibt: Wir müssen uns
bemühen, über das Meister-BAföG für diejenigen, die
sich nach Erhalt des Meisterbriefes selbstständig machen
wollen, neue Dynamik zu bringen und angemessene
Gründungshilfen gewähren.
Ob das Maßnahmenbündel schon ausreicht, ist abzuwarten. Aber die Problematik ist erkannt und aus meiner
Sicht mit zufrieden stellenden Maßnahmen aufgegriffen
worden.
Zur nächsten Frage hat der Kollege Hans Michelbach von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Minister
Dr. Müller, was sagen Sie zu einer aktuellen Umfrage unter 3 000 Mittelstandsunternehmen, die besagt, dass 44 Prozent der Einzelhandelsunternehmen einen Umsatzrückgang aufweisen? 49 Prozent der Baufirmen klagen über die
sinkende Zahl der Auftragseingänge, 76 Prozent im Wohnungsbau über ein geringeres Bauvolumen. 34 Prozent der
Industrieunternehmen wollen Personal abbauen und nur
noch 32 Prozent melden ausgelastete Anlagen.
50 Prozent der Großhandelsfirmen verzeichnen ein Umsatzminus und 37 Prozent der unternehmensnahen
Dienstleister sind von Einbußen betroffen. Gibt es bei diesen eindeutigen, negativen Zahlen Anlass zur Gesundbeterei?
Das Wort „Gesundbeterei“ weise ich
ausdrücklich zurück. Ich bitte Sie, die Statistiken so zu bewerten, wie man das erwarten kann. Wenn Sie von Umsatzeinbußen im Großhandel reden, müssen Sie Folgendes
berücksichtigen. Wenn die Einfuhrpreise um 5 Prozent
sinken, dann ergibt sich bei konstantem Volumen schon
deswegen eine Umsatzeinbuße.
Dass sich in der Bauwirtschaft die Auftragslage nicht
rosig darstellt, ist mir bekannt. Das ist auf die viel zu lange
öffentliche Subventionierung des gesamten Bausektors
zurückzuführen, der sich in Ost- und Westdeutschland
jetzt gesundkonsolidiert. Dort gibt es übrigens auch die
höchsten Zahlen von Unternehmensschließungen bzw.
der Insolvenzen, Herr Kolb. Die niedrigste Zahl der Insolvenzen gibt es bei den Handelsunternehmen.
Zurück zu Ihrem ersten Punkt: Mir ist bekannt, dass
seit September vergangenen Jahres der Einzelhandel
tatsächlich über schleppenden Umsatz klagt. Auch der
Januar ist entgegen den ersten Erwartungen - weil das
Weihnachtsgeschäft im Einzelhandel überraschend gut
verlief -, ein relativ schlechter Monat für den Einzelhandel gewesen. Die Bürger konsumieren nur sehr
zögerlich. Die genauen Ursachen dafür müssen wir noch
analysieren. Ich kann Ihnen aber noch eine persönliche
Erklärung für den schlechten Januar geben: Es ist denkbar, dass die Bürger zunächst einmal eine etwas zögerliche Haltung gegenüber dem neuen Geld, dem Euro, an
den Tag gelegt haben. Aber das ändert, wie gesagt, nichts
daran, dass die Umsätze im Einzelhandel im Januar
schlecht waren.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, Sie räumen jetzt eine hausgemachte Nachfrage- und
Investitionsschwäche ein.
({0})
Wissen Sie nicht, dass sich die Ertragslage bei Umsatzrückgang und gleichzeitig erhöhten Personal- und fortlaufenden Bürokratiekosten automatisch verschlechtert?
Können Sie mir angesichts dessen sagen, wie die Eigenkapitalausstattung, die notwendig ist, um Investitionen
voranzubringen, gestärkt werden soll? Tatsache ist doch,
dass die Eigenkapitalausstattung mit 4,9 Prozent beim
Handel und mit 2,9 Prozent in der Bauwirtschaft einen absoluten Tiefstand erreicht hat.
Die Eigenkapitalausstattung des deutschen Mittelstandes ist auch im internationalen Vergleich
in der Tat nicht rosig. Deswegen ist er auf Fremdfinanzierung angewiesen. Das war ein wesentlicher Grund, warum wir die übermäßige steuerliche Belastung, wie wir sie
Ende 1998 vorgefunden haben, zugunsten des Mittelstandes verändert haben. Die Steuerreform ermöglicht es dem
Mittelstand, mehr Eigenkapital zu bilden, wenn er - ich
betone das - das will.
Ich komme auf den Konsum zurück: Es ist ja nicht so,
Herr Michelbach, dass den Bürgerinnen und Bürgern das
Geld für den Konsum generell fehlt; denn korrespondierend mit den niedrigen Konsumausgaben wächst die
Sparquote. Das belegt, dass die Bürger, die frei entscheiden können, ob sie konsumieren oder sparen, zurzeit einen höheren Teil ihrer Einkommen auf die hohe Kante legen. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen und nicht den
Eindruck zu erwecken, dass wir den Bürgerinnen und
Bürgern etwa durch erhöhte Steuern und Abgaben das
Geld aus der Tasche ziehen.
Nächster
Fragesteller ist der Kollege Rolf Kutzmutz, PDS-Fraktion.
Herr Minister, ich komme auf
die Mittelstandsfinanzierung zurück. Sie haben für den
Bund und die Förderinstitute erklärt, dass man weiterhin
bereit sei, den Mittelstand finanziell zu unterstützen. In
den letzten Jahren war auffallend - das gilt auch jetzt -,
dass der Flaschenhals bei dieser Förderung die Hausbanken sind. Gibt es in Ihrem Haus Überlegungen, wie man
diesen Flaschenhals erweitern kann?
Herr Kutzmutz, wir müssen diesen
Flaschenhals differenziert betrachten. Richtig ist, dass inzwischen etwa 80 Prozent der originär von DtA und KfW
ausgelegten Kredite über Volksbanken und Sparkassen
laufen. Das heißt also, vor allem die Privatbanken sind
der Flaschenhals. Man darf dabei aber nicht vergessen:
Wir leben grundsätzlich in einem marktwirtschaftlichen
System. Wenn die Privatbanken sagen würden - ich betone: würden -, dass die Kreditierung von kleinen und
mittelständischen Betrieben, zum Beispiel das Auslegen
eines Kredites von 100 000 Euro, auf Dauer zu teuer sei,
weil man die Kosten nicht mehr hereinbekomme, und
dass man deshalb diese Kundschaft zurückweise, dann
müssten wir versuchen, wirklich unkonventionell zu denken. Zum unkonventionellen Denken möchte ich nur das
Stichwort „Direktvertrieb“ nennen, das heißt - um es
etwas salopp zu formulieren -, man holt sich das Geld
bei mir.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, in diesem Jahr
sind zum ersten Mal 3 Millionen Euro in Ihrem Haushalt
für die Netzwerkmanagementförderung in Ostdeutschland eingestellt. Obwohl das Jahr noch relativ jung ist,
möchte ich Sie fragen: Wurden schon Anträge gestellt, um
Geld in diesem Rahmen anzufordern?
Herr Kutzmutz, wir mussten das erst
programmatisch aufarbeiten. Wir haben erst vor zehn Tagen dieses Programm mit einer kleinen Presseaktion gestartet.
Nächster
Fragesteller ist der Kollege Ernst Hinsken.
Herr Minister, im Vorfeld der heutigen Kabinettsentscheidung haben Sie in den
letzten Tagen großen deutschen Tageszeitungen eine Broschüre mit dem Titel „Zukunft Mittelstand - Mittelstandspolitik 2002“ beilegen lassen.
({0})
- Ich habe sie gelesen, deshalb frage ich. Mich interessiert, was die Herstellung und der Vertrieb dieser Broschüre gekostet haben. Herr Minister, mir wäre lieber, Sie
würden etwas für den Mittelstand tun und nicht allein solche Broschüren herausgeben.
({1})
Ich kann mir vorstellen, dass Ihnen das
lieber wäre. Aber Sie sind ja auch Opposition.
Sie müssen schon gestatten - das ist das gute Recht der
Bundesregierung -, dass wir auf unsere Politik hinweisen, insbesondere wenn wir voller Überzeugung dahinter
stehen und sie für gut befinden. Die Mittelstandspolitik
meines Hauses ist eine gute Politik. Es freut mich, dass
die Aktion, die Sie gerade erwähnten, Sie erreicht hat.
Das zeigt, dass Sie die „FAZ“ lesen; denn wir haben sie
nur wenigen Tageszeitungen beigelegt. Die Aktion ist
insgesamt deutlich kostengünstiger, als wenn wir Anzeigen schalten würden, wobei der geringste Kostenblock
das Drucken dieser 1,3-Millionen-Auflage ist. Ich vermute, dass die Aktion insgesamt etwa 200 000 Euro kostet, auf den Pfennig genau kann ich es Ihnen nicht sagen.
Ich kenne die ungefähren Zahlen nur, weil eine Anfrage
Ihrer Fraktion vorliegt, die wir schriftlich beantworten
werden.
Eine Nachfrage, Herr Hinsken.
Herr Minister, ich
nehme das, was Sie zu den Kosten gesagt haben, gern zur
Kenntnis. Da ich diese Broschüre aufmerksam gelesen
habe, ist mir natürlich nicht entgangen, dass hier vieles
schöngeschrieben wird und dass Sie zum Beispiel die
steuerliche Schlechterstellung der Personengesellschaften, der tragenden Säule des Mittelstandes, gegenüber den
Kapitalgesellschaften ebenso wie verschiedene andere
Dinge nicht erwähnt haben.
({0})
Deshalb möchte ich fragen: Warum haben Sie nichts gegen die Einstellungshemmnisse getan, die wir in der Bundesrepublik Deutschland haben, um den jungen Bürgern,
die bereit sind, in die Selbstständigkeit zu gehen, Mut zu
machen?
({1})
Warum sind Sie unter dem Motto „Bürokratieabbau“
nicht eines der größten Hemmnisse angegangen und haben das 630-DM-Gesetz, jetzt 325-Euro-Gesetz, abgeschafft?
({2})
Herr Hinsken, Ihre erste Frage verstehe
ich, ehrlich gesagt, nicht.
({0})
Sie können in der Mittelstandsbroschüre auch keinen Hinweis darauf finden, dass Lebkuchen Sägemehl enthalten.
Warum nicht? - Weil es falsch wäre. Wir schreiben in dieser Broschüre doch nichts Falsches; wir schreiben in der
Broschüre nur Richtiges. Deswegen brauchen wir in
dieser Broschüre Ihre völlig aus der Luft gegriffene Unterstellung, dass die Kapitalgesellschaften bei der Steuerreform besser behandelt würden als die Personengesellschaften, auch nicht aufzugreifen.
Von mir aus greifen wir sie einmal auf. Wir haben gerade festgestellt, dass die Personengesellschaften erbschaftsteuerrechtlich wesentlich besser gestellt sind. Ich
wiederhole noch einmal:
Erstens. Es wäre ein Verbrechen am Mittelstand, wenn
Ihre Forderung durchkäme, dass Kapital- und Personengesellschaften steuerlich gleichgestellt werden müssen.
Das dürfen Sie dem Mittelstand nicht zumuten.
Zweitens. Wenn Sie in Bezug auf den Mittelstand fordern, die Besteuerung der Kapitalgesellschaften zu revidieren, müssen Sie immer bedenken: Die allermeisten
Kapitalgesellschaften, GmbHs gibt es im Mittelstand.
Das heißt, ein großer Teil des Mittelstandes würde wieder
schlechter gestellt.
({1})
Wenn Sie dann noch fordern, dass der Mittelstand
so Steuern zu zahlen hätte wie die Personen- und Kapitalgesellschaften, dann würden Sie 98 Prozent aller Unternehmen in Deutschland steuerlich schlechter stellen. Eine
solche Forderung würde wahrscheinlich nicht einmal unser Finanzminister aufstellen, der der einzige Nutznießer
Ihrer Forderung wäre.
({2})
- Es ist keine Frechheit, was ich hier sage; ich sage hier
Tatsachen. Tatsachen sind nur für diejenigen Frechheiten,
die Tatsachen nicht verkraften.
({3})
Inzwischen habe ich die genauen Zahlen, Herr
Hinsken: Grafik und Layout unserer Broschüre kosteten 14 000 Euro, die Schalt- und Beilagekosten betrugen 143 000 Euro und der Druck der 1,3 Millionen
Exemplare kostete 48 000 Euro. Das Ganze ist um weit
mehr als die Hälfte billiger, als Anzeigen in den Organen, denen wir die Broschüre beigelegt haben, gewesen
wären.
({4})
Nächster
Fragesteller ist der Kollege Engelbert Wistuba, SPDFraktion.
({0})
- Die Frage hat sich erledigt. - Dann hat der Kollege
Jürgen Koppelin, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Minister, Sie haben berichtet, dass Sie dem Kabinett heute den Mittelstandsbericht vorgelegt haben. Damit man sieht, welchen Stellenwert der Mittelstand im Kabinett hat, möchte ich erfahren,
wie lange die Diskussion über diesen Bericht gedauert
hat.
Ich frage Sie weiter, ob die schlechte Politik, die die
Bundesregierung für den Mittelstand macht, auch eine
Rolle gespielt hat. Diese Politik kommt nicht unbedingt
aus Ihrem Hause - ich will es einmal bei dem bewenden
lassen, was Sie von Ihrer guten Politik sagten -; die gute
Politik wird von der schlechten Politik des Arbeitsministers Riester - Kündigungsschutz, Betriebsverfassungsgesetz, Teilzeitgesetz usw. - überlagert.
({0})
- Ich habe nicht Sie gefragt, sondern den Minister. Sie
sollten besser zuhören, damit er Ihnen erklären kann, was
beim Mittelstand los ist. Ihr Problem ist ja, dass Sie überhaupt nicht wissen, was beim Mittelstand los ist.
({1})
Herr Minister, alle diese Gesetze spielen für den Mittelstand eine entscheidende Rolle. Das werden Sie bei der
Tagung in Ihrem Hause ja auch von den Mittelständlern
gehört haben. Ist das diskutiert worden, als Sie den Bericht vorgelegt haben?
({2})
Über die Arbeitsmarktpolitik des Kollegen Riester - ({0})
- Darf ich fortfahren?
({1})
- Gut. Sie suchen da offenbar jemanden.
({2})
Über die Arbeitsmarktpolitik des Kollegen Riester ist
heute im Kabinett nicht diskutiert worden. Das lag unter
anderem vielleicht auch daran, dass ich etwas längere
Ausführungen zu dem Mittelstandsbericht gemacht habe
und zusätzlich noch das ERP-Wirtschaftsplangesetz im
Kabinett verabschiedet worden ist. Beides zusammen ist
ausgiebig erörtert worden.
Ich weise immer wieder auf Folgendes hin: Wir haben
auch andere Reformen zum Arbeitsmarkt realisiert. Die
frühere Bundesregierung hatte veranlasst, dass man in
Deutschland nicht mehr befristet einstellen kann. Diese
Bundesregierung hat die Möglichkeit, ohne Angabe von
Gründen befristet einzustellen, neu geschaffen.
({3})
- Natürlich! Ihr Gesetz war bis Ende des Jahres 2000 befristet. Es musste also ein neues Gesetz geschaffen werden. Dieses ist auch wesentlich flexibler, etwa in der Hinsicht, dass die Zeitdauer der Befristung zwischen den
Sozialpartnern vereinbart werden kann. Ich erwähne das
deswegen, weil aus meiner Sicht von der Möglichkeit, befristet einzustellen - insbesondere zum Nachteil älterer
Arbeitnehmer -, viel zu wenig Gebrauch gemacht wird.
Mit Blick
auf den vorgegebenen Zeitrahmen kann ich nur noch zwei
Fragesteller aufrufen, den Kollegen Hartmut Schauerte
und den Kollegen Rainer Wend.
Herr Minister, wir
führen diese Debatte, um dem Mittelstand zu helfen, vor
allem aber, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. ZwiBundesminister Dr. Werner Müller
schen Mittelstand und Arbeitslosigkeit besteht nämlich
ein klarer Zusammenhang. Der Gründungsboom ist leider
vorbei. Die Selbstständigenquote ist rückläufig. Das Wirtschaftswachstum ist gleichfalls rückläufig. Wir können
das auch verifizieren.
({0})
- Das gehört zur Frage! - Gucken wir uns einmal die Situation in den Ländern an! Baden-Württemberg hat ein
Wirtschaftswachstum von 1,3 Prozent und eine hohe Mittelstandsquote. Nordrhein-Westfalen hat eine geringe
Mittelstandsquote und ein Wachstum von nur 0,1 Prozent.
Klar erkennbar ist also: je weniger Mittelstand, desto weniger Wirtschaftswachstum und desto weniger Arbeitsplätze.
Warum organisieren Sie die Steuerreform dann so, dass
die Großkonzerne die Vorteile ab sofort erhalten,
({1})
der Mittelstand den eigentlichen Vorteil - was immer auch
zwischendurch an kleinen Schritten passiert - aber erst im
Jahr 2005 erhält? Meinen Sie nicht, dass das der wirtschaftlichen Entwicklung abträglich ist?
Herr Schauerte, ich darf Sie zunächst
darauf hinweisen, dass die überwiegende Zahl der Kapitalgesellschaften zum Mittelstand gehört. Sie müssten
also korrekt fragen: Warum gibt es für den einen Teil des
Mittelstandes, wie Sie formulieren, Steuervorteile sofort
und für den anderen Teil erst später?
Ferner ist die Gewerbesteuerbelastung der Personengesellschaften ab sofort quasi entfallen.
({0})
- Das ist kein Witz!
({1})
- Es kann sein, dass Sie verwechseln, wer wann an der Regierung war. Der Höchststeuersatz ist von 1982 an immer
wieder angehoben worden.
({2})
Bleiben wir bei dem Thema Gewerbesteuerbelastung:
Erstens. Die Gewerbesteuerbelastung entfällt quasi ab sofort. Zweitens. Senkungen des Eingangs- und Spitzensteuersatzes pro rata sind schon vorgenommen worden,
weitere sind bis 2005 gesetzlich vereinbart. Eine steuerliche Schlechterstellung ergibt sich zurzeit bei zu versteuernden Einkommen in einer Größenordnung von
etwa 200 000 Euro aufwärts. Das betrifft wenige, aber
doch einige. Wie gesagt, dieser Zustand verebbt bis zum
Jahre 2005 weitgehend.
Herr
Schauerte, ich kann leider keine Zusatzfrage mehr zulassen.
Der Kollege Rainer Wend ist der letzte Fragesteller.
Herr Minister, Sie haben den
Vorwurf, dass Kleinunternehmen und der Mittelstand im
Bereich der Steuerpolitik benachteiligt werden, eindrucksvoll widerlegt.
({0})
Ein weiterer Vorwurf gegenüber der Bundesregierung
lautet, dass es zu einer Überregulierung der Regelungen
kommt, die unsere Wirtschaft betreffen. Könnten Sie mir
erläutern, was die Bundesregierung in den letzten dreieinhalb Jahren unternommen hat, um Bürokratisierungen
im Wirtschaftsleben abzubauen?
Der Abbau von Bürokratie ist aus meiner Sicht eine der großen Notwendigkeiten. Ich darf Ihnen sagen, dass die Erfolge, die diese Bundesregierung
erzielt hat, aus meiner Sicht zwar etwas größer als die
früherer Jahre, aber für den Mittelstand nicht ausreichend
sind.
Eine der wichtigsten Änderungen, die wir geplant haben und von nun an auf rechtlicher Basis versuchsweise
durchführen werden, ist die Einführung einer einheitlichen
Betriebsnummer. Dadurch wird das ganze Meldewesen
- insbesondere nach seiner Digitalisierung, was eine erhebliche Vereinfachung mit sich bringt - für die Betriebe
vom Ansatz her zentraler und einheitlicher geregelt.
Ich will Sie auf Folgendes hinweisen: Vonseiten der
Bundesregierung haben wir die Initiative, die Altbundeskanzler Schmidt in einem Artikel in der „Zeit“ vom 4. Oktober letzten Jahres angestoßen hat, aufgegriffen: Er
schlug vor, dass die ostdeutschen Länderparlamente das
Recht erhalten sollen, in ihrem Bundesland, falls durch
Mehrheit beschlossen, gewisse Regelwerke - wenn Sie so
wollen: Bürokratiewerke - außer Kraft zu setzen. Das ist
etwas, was der Kanzlerkandidat der CDU/CSU dieser
Tage aufgegriffen hat.
Diese Fragestellung ist im Rahmen der Konferenz der
Wirtschaftsminister der Länder und der Konferenz der
Ministerpräsidenten kurz erörtert worden. Es scheint so
zu sein - diese Erkenntnis basiert auf einem Rechtsgutachten der Staatskanzlei Sachsen -, dass der aus meiner
Sicht sehr intelligent entworfene Ansatz zum Abbau der
Bürokratie von Herrn Schmidt verfassungsrechtlich nicht
haltbar ist. Er würde umfangreiche Änderungen des
Grundgesetzes voraussetzen. Deswegen ist er im ersten
Anlauf leider nicht machbar.
Herr Bundesminister, ich danke Ihnen. Damit ist die Regierungsbefragung beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 14/8460 Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit auf. Zur Beantwortung steht
die Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun SchaichWalch zur Verfügung.
Die Frage 1 stellt der Kollege Dr. Ilja Seifert:
Wann und mit welchem Wortlaut setzte die Bundesregierung
die Zusage des Staatssekretärs im Bundesministerium für
Gesundheit, Dr. Klaus Theo Schröder, vom 21. Februar 2002 um,
Widerspruch einzulegen gegen die restriktive Entscheidung des
Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen ({0}) vom
26. Februar 2002 zur Abgabe von Sondennahrung, zum Beispiel
an Menschen mit apallischem Syndrom ({1}), die künstlich ernährt werden müssen?
Herr Kollege, am
20. Februar 2002 führte Staatssekretär Dr. Klaus Theo
Schröder ein Gespräch mit Vertretern des Vereins SchädelHirnpatienten in Not, in dem diese ihm ihre Befürchtungen
erläuterten, dass es bei Wirksamwerden der Neuregelung
des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zur
Verordnungsfähigkeit von Ernährungstherapeutika zu
medizinisch nicht gerechtfertigten Leistungseinschränkungen komme. Staatssekretär Dr. Klaus Theo Schröder
hat zugesagt, dass das Bundesministerium für Gesundheit,
sobald der Beschluss des Bundesausschusses vorliegt, in
der vorgegebenen Beanstandungsfrist - diese beträgt zwei
Monate - sehr genau prüfen wird, ob sich der Bundesausschuss bei seiner Neuregelung an den gesetzlichen Ermächtigungsrahmen gehalten hat, das heißt, ob berücksichtigt wurde, dass das medizinisch Notwendige auch
diesem Patientenkreis zur Verfügung steht.
Möchten Sie
eine Zusatzfrage stellen?
Ja, gern, Herr Präsident. - Frau
Staatssekretärin, nun ist ja diese Prüfzeit noch nicht abgelaufen; das haben Sie gesagt. Unabhängig davon - das
wissen Sie so gut wie ich - steht fest, dass die betroffenen
Patientinnen und Patienten sich nicht wehren können und
deren Angehörige dadurch sehr verunsichert sind, dass
zum Beispiel Wachkomapatientinnen und -patienten in
Zukunft möglicherweise keine Sondennahrung mehr bekommen oder bestimmte Dinge wie Ballaststoffe zur Decubitus-Prophylaxe usw. nicht mehr verordnet werden
können. Die Angst ist doch sehr groß. Kann denn die Bundesregierung nicht schneller als erst in acht Wochen etwas
tun, um die Befürchtungen dieser Menschen, die sich ja
nun wirklich in größter Not befinden, zu zerstreuen?
Die Bundesregierung befindet sich im Augenblick in der Situation, dass ihr
der Beschluss des Bundesausschusses noch nicht zugestellt worden ist. Sie muss, wie gesagt, nach Zustellung
über den Beschluss des Bundesausschusses innerhalb von
acht Wochen entscheiden. Wir werden einer gründlichen
Überprüfung dieser neuen Vorgaben des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen den Vorzug vor einer sehr schnellen Entscheidung geben. Ich kann Ihnen
aber versichern: Wir werden darauf achten - das belegen
nicht nur das Gespräch des Staatssekretärs, sondern auch
Gespräche, die die Ministerin und auch ich geführt haben -,
dass den Patientinnen und Patienten das, was als notwendig erachtet wird, nicht vorenthalten wird. Dazu werden
wir auch die entsprechenden Leitlinien überprüfen. Das
haben wir den Patientinnen und Patienten zugesichert.
Zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, für diese
Zusicherung danke ich Ihnen erst einmal. Es ist wichtig,
dass Unsicherheit beseitigt wird. Das ändert aber nichts an
der schwierigen Situation, dass die Spitzenverbände der
Freien Wohlfahrtspflege und die privaten Pflegeverbände
zurzeit keine Verhandlungen mit dem Bundesausschuss
führen, weil man nicht miteinander reden kann, wenn die
Bedenken der einen Seite überhaupt nicht berücksichtigt
werden. Das Verhalten des Bundesausschusses ist ja etwas problematisch.
Auch wir haben mit
dem Vorsitzenden des Bundesausschusses und seinen
Vertretern Gespräche geführt und dabei noch einmal auf
die Notwendigkeit der Versorgung dieser Patientinnen
und Patienten hingewiesen. Wir haben das Gespräch auch
auf die Versorgung von Säuglingen ausgedehnt, die normale Milchnahrung nicht vertragen, und darauf gedrängt,
auch dafür die Kosten zu übernehmen. Wir haben Signale,
dass der Bundesausschuss die Anregungen des Ministeriums aufgenommen hat.
Der Bundesausschuss ist per Gesetz verpflichtet, in einem gesetzlich geregelten Anhörungsverfahren Sachverständige und Betroffene anzuhören. Ob dies auch geschehen ist, wird Bestandteil der Überprüfung sein. Nur vor
diesem Hintergrund könnte überhaupt eine Genehmigung
erfolgen.
Ich rufe die
Frage 2 des Kollegen Dr. Seifert auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass der BÄK
in dieser Weise die jahrelangen Erfahrungen und begründeten
Forderungen der Angehörigen-Organisationen von Wachkomapatienten unberücksichtigt lässt, und welche Maßnahmen will sie
ergreifen, um einer Verschlechterung der gesundheitlichen Versorgung dieses Patientenkreises durch die am 26. Februar 2002 erfolgte Konkretisierung des gesetzlichen Leistungsanspruchs auf
Krankenkost nach § 31 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ({0})
in den Arzneimittel-Richtlinien entgegenzuwirken?
Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat bei der Erarbeitung der Neuregelung sowohl die Stellungnahmen der
nach § 92 SGB V anhörungsberechtigten Organisationen
- darauf habe ich schon verwiesen - als auch von anderen
Institutionen übermittelte Stellungnahmen in seine Entscheidungsfindung einzubeziehen. Das Bundesministerium für Gesundheit wird im Rahmen seiner Prüfung der
Neuregelung nach § 94 SGB V dafür Sorge tragen, dass
alle Versicherten und insbesondere Wachkomapatienten
auch künftig medizinisch indizierte Ernährungstherapeutika auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten.
Für die letzte Aussage können
die Patientinnen und Patienten nur dankbar sein. Allerdings habe ich in Erinnerung, dass der Bundesausschuss
seine Entscheidung wesentlich restriktiver gefällt hat und
Sondennahrung und andere erforderliche Zusatznahrungsmittel nur in wenigen Ausnahmen - was dann immer
mit besonderen Schwierigkeiten versehen ist - bewilligen
will. Diesen Widerspruch zu Ihrer Aussage müssten Sie
mir einmal erläutern.
Ich habe gerade
von unserer politischen Zielsetzung gesprochen, die sich
auch nach dem SGB V ergibt. In diesem Rahmen hat der
Bundesausschuss zu entscheiden. Wie ich vorhin schon
ausgeführt habe, ist uns die Stellungnahme des Bundesausschusses noch nicht zugeleitet worden und nicht bekannt. Bekannt sind uns bisher Teile aus Diskussionen
und aus vorbereitenden Protokollen, auf deren Grundlage
es, wie ich ebenfalls schon ausgeführt habe, Gespräche
gegeben hat. Wir wissen, zum Beispiel in Bezug auf die
Ernährung für Säuglinge, dass Anregungen aus den Diskussionen aufgenommen worden sind.
Wie schon gesagt, müssen künftig medizinisch indizierte Ernährungstherapeutika auf Kosten der Krankenversicherung zur Verfügung stehen. Wir prüfen das. Wenn
das nicht der Fall ist, werden wir diese Richtlinie nicht
genehmigen.
Frau Staatssekretärin, wären
Sie, da es offensichtlich verschiedene Wissensstände gibt
- es kann ja sein, dass das, was mir vorliegt, nicht der
letzte Stand ist -, so freundlich, mir oder vielleicht auch
allen anderen interessierten Kolleginnen und Kollegen
des Parlamentes den Beschluss des Bundesausschusses
zuzuleiten, sobald er Ihnen zugeleitet worden ist?
Sobald wir diesen
Beschluss zugeleitet bekommen haben, wird das ge-
schehen. Wir werden dann mit Sicherheit auch im Ge-
sundheitsausschuss darüber diskutieren.
Es gibt
keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Frau Par-
lamentarische Staatssekretärin.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Die Fra-
gen werden durch den Parlamentarischen Staatssekretär
Stephan Hilsberg beantwortet.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Hans Michelbach
auf:
Welche Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen plant die Bundes-
regierung für die Region Oberfranken?1)
Herr
Michelbach, im vordringlichen Bedarf des Bedarfsplans
Schiene sind die Region Oberfranken betreffend das
Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ Nr. 8.1, NürnbergErfurt, die Ausbaustrecke Nürnberg-Leipzig/Dresden,
Franken-Sachsen-Magistrale, und das länderübergreifende Projekt Ausbaustrecke Nürnberg-Grenze Deutschland/Tschechien, Richtung Prag, enthalten.
Im Bundesverkehrswegeplan 1992 und im Bedarfsplan
für die Bundesfernstraßen sind für Oberfranken 73 vordringliche Maßnahmen vorgesehen. 43 Neu- oder Ausbaumaßnahmen von Bundesautobahnen und Bundesfernstraßen konnten bisher in Verkehr genommen werden. Für
die übrigen Maßnahmen des vordringlichen Bedarfs besteht weiterhin ein uneingeschränkter Planungsauftrag.
Derzeit laufen in Oberfranken auf der Grundlage der
von der Bundesregierung beschlossenen Programme
- das sind das Investitionsprogramm 1999 bis 2002 und
das Zukunftsinvestitionsprogramm 2001 bis 2003 - Bauarbeiten bei folgenden Projekten: Bundesautobahn A 73:
Herbartswind - Landesgrenze Thüringen/Bayern - bis
Coburg - Bundesstraße B 4 -; Bundesstraße B 4: Verlegung nördlich Coburg; Bundesstraße B 89: Ortsumgehung Burggrub - im Zukunftsinvestitionsprogramm
enthalten -; Bundesstraße B 173: Ortsumgehung Wallenfels; Bundesstraße B 303: Verlegung Sonnefeld-Johannisthal, das ist die Ortsumgehung Sonnefeld.
Bis 2003 ist der Baubeginn bei folgenden Maßnahmen
vorgesehen: Bundesautobahn A 9: Anschlussstelle Bayreuth-Nord Richtung Sophienberg; Bundesstraße B 173:
Lichtenfels-Zettlitz - das ist die Ortsumgehung Trieb und
Hochstadt, im Zukunftsinvestitionsprogramm enthalten;
gegenwärtig ist allerdings eine Klage anhängig -; Bundesstraße B 2: Ortsumgehung Zedtwitz. Außerdem ist im
Rahmen der Bundesstraße B 22 der Baubeginn der Ortsumgehung Aichig vorgesehen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Michelbach.
Herr Staatssekretär,
Sie haben die Maßnahmen im Einzelnen dargestellt. Sind
Sie bemüht, noch vor der Bundestagswahl den Bundes-
verkehrswegeplan fortzuschreiben, und welches Finanz-
volumen wird im Bundesverkehrswegeplan in Bezug auf
diese wichtigen Infrastrukturmaßnahmen in Oberfranken
zur Verfügung gestellt?
1) siehe hierzu auch Frage 7
Diese
Frage steht nicht im Zusammenhang mit Ihrer schriftlich
eingereichten Frage.
Herr
Michelbach, Sie haben noch eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
Sie haben jetzt Maßnahmen bezüglich Oberfranken dargestellt. Der Bundeskanzler hat in diesem Zusammenhang auf einer SPD-Veranstaltung das Thema einer ICETrasse in den Raum geworfen. Aber wir wissen
natürlich: Gebaut wird nur das, was im Rahmen der Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplanes gesetzlich
festgelegt worden ist. Sind Sie bereit, hier eine Aussage
dahin gehend zu treffen, wann und mit welchem Finanzvolumen der Bundesverkehrswegeplan fortgeschrieben
wird?
Sehr
geehrter Herr Michelbach, wir haben hier bereits des Öfteren über die Fortschreibung des neuen Bundesverkehrswegeplanes diskutiert. Darüber gibt es Aussagen, auf die
ich verweise. Ich lasse Ihnen das alles gern noch einmal
schriftlich zukommen, auch bezogen darauf, was das für
die Region Oberfranken bedeutet.
Wir haben eine ausreichende Finanzierungsvorsorge
getroffen. Jüngst hat das Kabinett ein Investitionsprogramm in Höhe von 90 Milliarden Euro für neue Verkehrswegeprojekte vorgestellt. Es beinhaltet 300 neue
Ortsumgehungen, neue Ost-West-Verbindungen - der
Schwerpunkt liegt dabei in Ostdeutschland - und den
Ausbau von Autobahnen in einer Größenordnung von
1 100 Kilometern. Selbstverständlich wird die Region
Oberfranken in diesem Programm ausreichend berücksichtigt.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Hartmut Koschyk.
Herr Staatssekretär,
ist die Finanzierung des jetzt vom Bundeskanzler angekündigten Weiterbaus der ICE-Strecke NürnbergCoburg-Erfurt nicht nur kurzfristig gesichert, sondern
auch in der mittelfristigen Finanzplanung enthalten?
Sie ist
durch das vom Kabinett beschlossene 90-Milliarden-Investitionsprogramm gesichert.
Ich rufe die
Frage 4 des Kollegen Peter Weiß ({0}) auf:
Wird der Bundeskanzler, Gerhard Schröder, beim Europäischen Gipfel am 15./16. März 2002 dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac konkrete Zusagen hinsichtlich der von
deutscher Seite zu erbringenden Leistungen für eine schnellere
Realisierung der TGV-Verbindung über Straßburg/Kehl machen
können, nachdem der französische Staatspräsident angekündigt
hat, dieses Thema in Barcelona zur Sprache zu bringen ({1})?
Sehr geehrter Herr Weiß - wir treffen uns hier immer wieder wegen dieses Themas -, die Bundesregierung will den
kurzen deutschen Anteil von Kehl nach Appenweier
am Südast der Schnellbahnverbindung Paris-Ostfrankreich-Südwestdeutschland zeitgleich mit der Fertigstellung der Neubaustrecke in Frankreich, also bis Straßburg,
realisieren. Die Bundesregierung wird sich bei ihren
Entscheidungen an den Terminen orientieren, die von der
französischen Seite für die Fertigstellung des Streckenanteils in Frankreich benannt wurden.
Eine Zusatzfrage.
Herr
Staatssekretär, da ja nun bekannterweise ein offenkundiger Streitpunkt zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich ist, ob bereits mit der Realisierung
des ersten Bauabschnitts für den TGV Est Européen eine
Beschleunigung der Verbindungen über Straßburg/Kehl
nach Appenweier realisiert werden kann, möchte ich Sie
fragen: Wird der Bundeskanzler - wenn er dieses Thema
auf dem Gipfeltreffen in Barcelona ansprechen sollte dem französischen Staatspräsidenten dazu Neues mitteilen können oder bleibt es bei der Aussage der Bundesregierung, dass sie sich in keinerlei Verpflichtung
sieht, bis zum Jahr 2006 irgendetwas zur Beschleunigung
einer möglichen TGV-Verbindung über Straßburg/Kehl
nach Appenweier vorzunehmen?
Sehr geehrter Herr Weiß, unsere Position als Vorbereitung für das
Gipfeltreffen am 15./16. März 2002 habe ich Ihnen in
meiner gerade gegebenen Antwort auf Ihre schriftlich eingereichte Frage dargestellt.
Zweite Zusatzfrage.
Herr
Staatssekretär, da in den Antworten der Bundesregierung
wie der Deutschen Bahn AG zu diesem Sachverhalt immer nur davon die Rede ist, dass es Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und der französischen Regierung sowie zwischen der Deutschen Bahn AG und der
SNCF über die Realisierung einer schnellen Verbindung
des TGV über Straßburg/Kehl nach Deutschland gebe,
möchte ich Sie fragen: Was ist Inhalt dieser Verhandlungen und welches Ziel wird damit angestrebt, wenn Sie
sonst immer nur davon sprechen, dass bis zum Jahre 2006
auf deutscher Seite auf keinen Fall etwas passiert?
Herr
Weiß, ich kann nur wiederholen, was ich bereits gesagt
habe: Die Strecke von Kehl nach Appenweier - das ist der
deutsche Beitrag - ist mit 14 Kilometern sehr kurz. Diese
Strecke zu realisieren hat für uns nur unter der Bedingung
Sinn, dass sie Teil einer Gesamtstrecke wird. Daher
kommt eine vorzeitige Realisierung dieses Teilstücks für
uns nicht infrage.
Es liegt in unserem Interesse, die Strecke so frühzeitig
wie möglich, aber auch mit dem notwendigen verkehrswirtschaftlichen Nutzen in Betrieb zu nehmen. Deshalb
werden wir Sorge dafür tragen, dass sie zeitgleich mit dem
französischen Streckenteil in Betrieb gehen kann.
({0})
Es gibt
keine weiteren Fragen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Wolf-Michael
Catenhusen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Werner Lensing
auf:
Welche Kosten hat das Anmieten und welche Kosten hat das
Betreiben der beiden räumlich getrennten Messestände 129 sowie
202/203 verursacht, die bei der Fachmesse für Bildungs- und
Informationstechnologie Learntec ({0}) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
angemietet wurden?
Lieber
Herr Kollege Lensing, auf Ihre Frage möchte ich Ihnen
antworten: Für den Messestand des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung mit einer Größe von 120 Quadratmetern sind anlässlich der Learntec 2002 Gesamtkosten von 63 770,03 Euro entstanden. Die Kosten für
den Messestand zur Präsentation des Förderprogramms
„Neue Medien in der Bildung - Hochschulbereich“ und
der in diesem Kontext vom BMBF geförderten Projekte
betrugen 62 735,25 Euro. Der Messestand war im
Messekatalog als Stand des Bundesministeriums für Bildung und Forschung eingetragen. Beim Messestand für
das Förderprogramm „Neue Medien in der Bildung Hochschulbereich“ waren alle Unteraussteller einzeln im
Messekatalog aufgeführt.
Herr Staatssekretär
Catenhusen, ist meine Wahrnehmung richtig, dass Ihre
Auskunft impliziert, man hatte in Ihrem Ministerium von
vornherein die Idee, zwei getrennte Stände unter den Kriterien, die Sie gerade erläutert haben, aufzubauen?
Die
Entscheidungen wurden nacheinander gefällt. Für uns ist
klar, dass wir wie in diesem Jahr auch in den kommenden
Jahren einen Messestand des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf der Learntec, einer der zentralen
Messen für Lernen in Deutschland, aufbauen. Es hat sich
im Kontext unseres Förderprogramms „Neue Medien in
der Bildung - Hochschulbereich“ die Idee für eine zusätzliche Präsentation unseres Hauses auf der Messe ergeben.
Kann ich daraus
schlussfolgern, Herr Catenhusen, dass die Denkprozesse
in Ihrem Hause zwar nacheinander ablaufen - das verstehe ich sehr wohl -, aber dass es unter dem Aspekt des
auch von Ihrem Hause geförderten lebenslangen Lernens
schwierig war, diese Prozesse zu koordinieren?
Das
können Sie nicht daraus schließen.
({0})
Aber Sie haben Recht: Politik ist ein Prozess, der immer
für Anregungen offen sein sollte. Wir haben von den Besuchern dieser Stände keine Klagen darüber gehört, dass
es an zwei Ständen auf der Learntec möglich war, über die
Politik der Bundesregierung informiert zu werden.
Ich rufe die
Frage 6 des Abgeordneten Werner Lensing auf:
Welche Kosten wären für das Anmieten und welche Kosten
wären für das Betreiben eines gemeinsamen Messestandes entstanden?
Bei
Messeständen in einer solchen Größenordnung - beide
Messestände hatten eine Größe von 120 Quadratmetern ist die Preisdifferenz zwischen Bauen und Betreiben von
einem oder zwei Messeständen marginal unterschiedlich,
da sich während der gesamten Zeit etwa 100 Betreuerinnen und Betreuer zur individuellen Beratung von Interessierten vor Ort an den beiden Messeständen befanden. Messebauer berechnen üblicherweise die Kosten
eines Messestandes nach der Formel Quadratmeter mal
Kostensatz pro Quadratmeter.
Der Kostensatz ist nur von der Qualität des Messebauers abhängig.
Inhaltlich kann ein zweiter Stand natürlich Sinn machen, wenn es um die Präsentation eines speziellen Förderprogramms - in diesem Falle des Programms „Neue
Medien in der Bildung - Hochschulbereich“ - geht und
ein größerer Personenkreis damit erreicht werden kann.
Sie wissen, dass viele zufällig auf Messestände stoßen.
Die Präsentation war so ausgelegt, dass auch ein Forum
integriert werden musste.
Da mir, Herr Staatssekretär Catenhusen, die von Ihnen vorgetragenen Berechnungen auch schon im Vorfeld meiner Frage klar waren, werden Sie sehr wahrscheinlich Verständnis für
meine Frage haben, ob eine rechtzeitige Evaluation auch
unter dem Aspekt erhoffter Synergieeffekte zu einer deutlichen Minderung der Kosten hätte führen können.
Das
können Sie meiner Antwort nicht entnehmen. Wenn Sie
sich vorher schon über die Kosten informiert haben - ({0})
- Wenn Sie sich schon über die Berechnungen informiert
haben, wundere ich mich natürlich noch etwas mehr über
Ihre Frage.
Im Kern, Herr Kollege Lensing, kommt es darauf an,
ob es dann, wenn man auf einer Messe zwei Stände an
verschiedenen Ecken und nicht nebeneinander aufbaut,
möglich ist, Beratungspersonal einzusparen. Da der eine
Stand allgemein über die Breite der Förderpolitik des
BMBF informierte, der andere Stand aber den Auftragnehmern des BMBF ermöglichte, ihre Projekte darzustellen, wäre der Personaleinsatz logischerweise auch
durch ein Nebeneinander der beiden Stände nur unwesentlich beeinflusst worden. Wir hätten die Unterauftragnehmer nicht dazu animieren können, das gesamte
Förderprogram des BMBF auf dem Ministeriumsstand
darzustellen.
Lieber Kollege Lensing, damit habe ich, wie ich
glaube, sehr präzise Antworten gegeben.
Um die Regierung
nicht in zusätzliche unnötige Schwierigkeiten zu bringen
und aufgrund Ihrer freundlichen Ansprache verzichte ich
auf eine weitere Frage.
({0})
Ich danke
dem Kollegen Lensing und dem Parlamentarischen
Staatssekretär.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf.
Wir kommen zur Frage 7 des Kollegen Michelbach,
zur Gefahr der Wettbewerbsverzerrung aufgrund der
EU-Osterweiterung:
Sieht die Bundesregierung die Gefahr der Wettbewerbsverzerrung aufgrund der EU-Osterweiterung, und wenn ja, welche Fördermaßnahmen plant die Bundesregierung für Oberfranken?
Diese Frage wird von der Parlamentarischen Staatssekretärin Margareta Wolf beantwortet.
Lieber Herr Kollege Michelbach, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die
Bundesregierung sieht in der EU-Osterweiterung vor allen Dingen eine große politische, aber auch eine große
wirtschaftliche Chance. Von einem größeren EU-Binnenmarkt - das besagen alle Studien - werden in der Regel
gerade die wettbewerbsfähigen Unternehmen in Deutschland profitieren. Allerdings muss eine beitrittbedingte Belastung der Arbeitsmärkte vermieden werden. Deshalb hat
sich die Bundesregierung - das werden Sie verfolgt haben - für begrenzte flexible Übergangsregelungen im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit, aber auch des
Dienstleistungssektors eingesetzt, um wirtschaftliche und
soziale Auswirkungen im Zusammenhang mit der Osterweiterung abzufedern. Die Regelungen für den
Dienstleistungssektor beziehen sich, wie Sie wissen,
hauptsächlich auf die Bauwirtschaft und den sensiblen
Handwerksbereich.
Selbstverständlich sehen wir auch die besondere Situation der Grenzregionen. Aufgrund unserer Initiative hat die
Europäische Kommission ein Programm zur Festigung der
wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit der Grenzregionen
vorgeschlagen. Gegenwärtig erfolgt die Konkretisierung
der so genannten Gemeinschaftsaktion für Grenzregionen.
Im Rahmen von „Interreg III A“ kann Oberfranken Fördermittel aus dem bayerisch-tschechischen Programm erhalten, in dem EU-Fördermittel in Höhe von 63,8 Millionen Euro für den Zeitraum von 2000 bis 2006 zur
Verfügung stehen. Die Durchführung des Programms obliegt aber, wie gesagt, dem Land Bayern, das seinerseits
die entsprechenden regionalen Förderschwerpunkte setzt.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie sprechen einzelne bescheidene Förderinstrumente
an. Der Bundeskanzler hatte aber Ende 2000 in Weiden in
der Oberpfalz angekündigt, das Spektrum strukturpolitischer Förderinstrumente insgesamt zu nutzen und für
eine vernünftige Förderkulisse mittels eines Grenzregionenprogramms des Bundes und der Länder zu sorgen.
Warum ist bis heute nicht mehr als eine glatte Null dabei
herausgekommen, zumal die entsprechenden EU-Länder
in wenigen Monaten grünes Licht für den Beitritt bekommen sollen?
Sehr geehrter
Kollege Michelbach, zum einen wird der Abschluss der
Verhandlungen mit den potenziellen Beitrittsstaaten im
Jahre 2004 erwartet. Zum anderen bin ich nicht der Meinung, dass das von Ihnen angesprochene Programm „Gemeinschaftsaktion für Grenzregionen“ besonders niedrig
ausgestattet ist. Im Gegenteil: Im Rahmen dieses Programmes werden Mittel in Höhe von 260 Millionen Euro
verausgabt.
Um zu unterstützen, was der Bundeskanzler in Weiden
gesagt hat, möchte ich Ihnen die Maßnahmen nennen, deren Finanzierung in diesem Programm vorgesehen ist:
Erstens soll das Budget für die transeuropäischen
Netze um 150 Millionen Euro aufgestockt werden.
Gleichzeitig schlägt die Kommission vor, den Höchstfördersatz für grenzüberschreitende TEN-Projekte von
10 Prozent auf 20 Prozent anzuheben.
Zweitens sind Kooperationsmaßnahmen zugunsten
kleiner und mittlerer Unternehmen in den Grenzregionen
in einer Größenordnung von 15 Millionen Euro vorgesehen. Davon soll ein Projekt der Grenzlandkammern für
die Strategieberatung in Höhe von 10 Millionen Euro unterstützt werden.
Drittens werden für Maßnahmen zur Förderung und
Erleichterung der Zusammenarbeit in den Grenzregionen
Mittel in einer Größenordnung von 20 Millionen Euro zur
Verfügung gestellt.
Viertens werden für den Einsatz von zusätzlichen Gemeinschaftsmitteln im Rahmen des Jugendaustausches
und der Freiwilligendienste für die Grenzregionen
10 Millionen Euro verausgabt.
Last but not least haben wir im Haushalt 2002 30 Millionen Euro für strukturpolitische Maßnahmen, für die
Unterstützung von Verkehrssystemen in den Grenzregionen und für kleine und mittlere Unternehmen, für Ausbildung und Aktionen im interkulturellen Bereich vorgesehen. 18 Millionen Euro werden für Projekte der KMUs in
den Grenzregionen und 2 Millionen Euro für Programme
im Rahmen der Jugendarbeit aufgewandt. - Wir ergänzen
somit die Mittel durch die EU-Programme um 30 Millionen Euro. Ich hoffe, dass wir dadurch die in diesen Regionen vorhandenen verständlichen Ängste auch materiell abfedern können.
Frau Staatssekretärin, sind Sie mit mir der Meinung, dass gezielte Fördermaßnahmen notwendig wären, und zwar insofern, als das
jeweils zuständige Bundesland ein eigenes Förderinstrument bekommt, um im Zuge der EU-Osterweiterung die
Chancengleichheit zu erreichen, insbesondere durch eine
Förderkulisse, die nicht der Beihilfekontrolle der EU unterstellt ist?
Herr Kollege,
weil ich diese Ihre Meinung teile, habe ich gerade versucht, deutlich zu machen, dass Oberfranken aus dem
bayerisch-tschechischen Programm Fördermittel in Höhe
von 63,8 Millionen Euro erhalten kann und dass Bayern
in der Lage ist, die regionalen Förderschwerpunkte des
Programmes selber zu definieren und dieses Programm
eigenständig durchzuführen.
({0})
Eine Zusatzfrage des Kollegen Koschyk.
Frau Staatssekretärin, Sie haben von den Mitteln der Europäischen Union
für die Grenzregionen in Höhe von circa 200 Millionen Euro berichtet. Sie haben auch, wenn ich Sie richtig
verstanden habe, Zahlen aus dem Bundeshaushalt genannt und hier 30 Millionen Euro angeführt. Halten Sie
den Haushaltsansatz auf Bundesebene für die deutschen
Grenzregionen angesichts einer so gewaltigen Herausforderung wie der EU-Osterweiterung, vor allem in struktureller Hinsicht, für ausreichend oder meinen Sie nicht
auch, dass er zu gering ist? Denkt die Bundesregierung an
weitere nationale Maßnahmen?
Herr Kollege
Koschyk, Europa und der Bund wenden insgesamt
290 Millionen Euro für strukturpolitische Maßnahmen
auf. Sie wissen, dass sich diese Bundesregierung vorgenommen hat, den Haushalt zu konsolidieren, die Schulden
abzubauen. Insofern sollten wir jetzt erst einmal abwarten, wie diese strukturpolitischen Maßnahmen tatsächlich
wirken, ob in den Grenzregionen eine Angleichung erreicht werden kann.
Im nächsten Haushaltsjahr wird sich die Bundesregierung dann Gedanken darüber machen, ob sie diesen Ansatz erhöht oder ihn so belässt. Grundsätzlich kann man
aber sagen: Die Höhe der eingesetzten Summe sagt nicht
unbedingt etwas über die Qualität der Maßnahmen aus.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Hofbauer.
Frau Staatssekretärin,
der Herr Bundeskanzler hat in Weiden zusätzliche Gelder
des Bundes versprochen. Nun müssen wir feststellen, dass
Sie vorwiegend EU-Gelder erläutert haben: Die EU gibt
weit über 200 Millionen Euro. Der Freistaat Bayern gibt
ungefähr 100 Millionen Euro. Der Bund aber hat sich bisher fast nicht beteiligt. Ich muss also feststellen, dass die
Zusage des Herrn Bundeskanzlers in Weiden einfach
nicht eingehalten wurde.
Ich möchte hinzufügen: Wir müssen bedenken, dass
diese EU-Gelder für 23 Regionen von Finnland bis Griechenland bestimmt sind - 150 Millionen Euro für den
Straßenbau. Allein für die A 6 werden noch 150 Millionen Euro benötigt. Dieses Geld reicht also lediglich beispielsweise für eine Straße in Ostbayern.
10 Millionen für den Mittelstand: Was wollen Sie hier
machen? Die Probleme sind riesengroß und wir bekommen fast keine Hilfe.
Herr Kollege
Hofbauer, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Sie wissen,
dass es überhaupt nur aufgrund der Initiative der Bundesregierung bei der Europäischen Kommission dazu kam,
ein Programm „Gemeinschaftsaktion für Grenzregionen“
aufzulegen.
Sie wissen vielleicht, dass sich der Haushaltsrat und
das Europäische Parlament aufgrund nachhaltigen Drucks
seitens der Bundesregierung darauf verständigt haben, zusätzliche Finanzmittel in der Größenordnung von 65 Millionen Euro einzusetzen. Ich kann nicht erkennen, warum
es strukturpolitisch gesehen klüger wäre, als Bundesregierung jetzt statt 30 Millionen Euro 60 Millionen Euro
einzustellen. Zunächst einmal muss doch verfolgt werden, welche Wirkung die vom Land Bayern und der Europäischen Union getätigten Investitionen haben.
Herr Kollege Hofbauer, ich muss Sie darauf hinweisen,
dass wir im Gegensatz zu Vorgängerregierungen sparsam
mit dem Geld umgehen, weil wir sparen wollen.
({0})
Wir sind auch nicht der Meinung, dass man strukturpolitische Fragen allein durch zusätzliche Subventionen lösen
kann. Hier kommt es auch auf intelligente Konzepte der
Länder für die jeweiligen Regionen an, die versuchen,
dieses Problem als Chance für die Grenzregionen zu begreifen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Brüderle.
Frau Staatssekretärin, Sie
sagten eben, dass Oberfranken eigenständig über die Fördermittel disponieren kann. Angesichts der Tatsache, dass
solche Fördermittel in Brüssel notifiziert werden müssen
bzw. der Beihilfenkontrolle der EU unterliegen, frage ich
Sie: Worin genau besteht die Eigenständigkeit in der Disposition der Mittel?
Es handelt sich
um das Programm „Interreg III A“. Dies ist ein Programm, das EU-Fördermittel zur Verfügung stellt. Es zielt
auf Bayern und Tschechien. Bayern kann eigenständig
Fördermittel aus diesem Programm in einer Größenordnung von 63,8 Millionen Euro beantragen.
({0})
Sie haben
leider keine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Brüderle.
Deswegen rufe ich jetzt die Frage 8 des Kollegen
Jochen-Konrad Fromme auf:
Hat die Bundesregierung ihre Auffassung zur Notwendigkeit
der Beibehaltung des Gesetzes über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter
Haftung in private Hand, „VW-Gesetzes“, die in den letzten
Wochen von Mitgliedern der Bundesregierung, unter anderem
dem Bundeskanzler Gerhard Schröder, immer wieder betont
worden ist, geändert vor dem Hintergrund, dass sie in ihrem
neuen Verhaltenskodex für Vorstände und Aufsichtsräte durch die
Bundesministerin der Justiz, Professorin Dr. Herta DäublerGmelin, die Forderung erhoben hat: „Alle Aktionäre sollen gleiche Rechte erhalten. Höchst- und Mehrfachstimmrechte ({0}) sollen abgeschafft werden“?
Die Frage wird von dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz, Professor
Dr. Eckhart Pick, beantwortet.
Herr Kollege Fromme, das von
Ihnen angeführte Zitat findet sich in dem von Ihnen angesprochenen Corporate Governance Kodex nicht. Insbesondere enthält der Kodex auch keine Soll-Vorschrift,
etwa zur Abschaffung von Stimmrechtsbeschränkungen
welcher Art auch immer. Folglich haben weder die Bundesregierung noch die Kodex-Kommission eine solche
Forderung gegenüber wem auch immer erhoben.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir erklären, wie dieser Eindruck
durch das Vorstellen des Papiers erzeugt werden konnte?
Wenn die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ dies in einer
Überschrift schreibt, muss dieser Eindruck bei der Präsentation ja entstanden sein.
Herr Kollege, ich kann mir das nur
so erklären, dass aus dem Text des Kodex, der auf der
Pressekonferenz damals vorgestellt worden ist und der
den Redakteurinnen und Redakteuren zur Verfügung
stand, falsch zitiert wurde. Ich darf mir erlauben, diese
Passage - es geht um die Bestimmung 2.1.2 - aus dem
Kodex, den Herr Dr. Cromme gemeinsam mit der Bundesministerin der Justiz damals vorgestellt hat, zu zitieren:
Jede Aktie gewährt grundsätzlich eine Stimme. Aktien mit Mehrstimmrechten oder Vorzugsstimmrechten ({0}) sowie Höchststimmrechte bestehen nicht.
Ich will hinzufügen, dass das eine etwas verkürzte
Darstellung der gegenwärtigen Rechtslage ist. In der
Tat gibt es aufgrund des VW-Gesetzes Stimmrechtsbeschränkungen. Ich denke, dass sich dieser Kodex insbesondere auch an künftige Investoren aus dem Ausland
richtet. Insofern wäre die Gewichtung sicherlich
schlecht gewesen, wenn die Kodex-Kommission gesagt hätte, dass es eine einzige Ausnahme, nämlich aufgrund des VW-Gesetzes das VW-Werk, gibt. Insofern
ist deutlich gesagt worden: Grundsätzlich gibt es im
deutschen Recht keine Höchststimmrechte oder gar
Golden Shares.
Zweite Zusatzfrage.
Kann ich davon ausgehen, dass Sie sich auf der Ebene der EU - diese
will das ja abschaffen - dafür einsetzen werden, dass das
VW-Gesetz - genauso wie englische Regelungen - beibehalten wird?
Sie kennen den Standpunkt der Bundesregierung. Das VW-Gesetz spielt in diesem Unternehmen bzw. Konzern eine große Rolle. Deswegen wird die
Bundesregierung erst dann entsprechende Überlegungen
anstellen, wenn von den Betroffenen selbst dieser Wunsch
an die Bundesregierung herangetragen wird. Ich denke,
das ist dieselbe Haltung, die auch die Vorgängerregierung
eingenommen hat.
({0})
Herr Kollege, Sie wissen, dass es bei den Initiativen der
Europäischen Kommission insbesondere um diese so genannten Golden Shares geht. Diese haben eine etwas andere Qualität als das Höchststimmrecht im Rahmen des
- verkürzt ausgedrückt - VW-Gesetzes. Nach diesem
werden die Stimmrechte auf ein Fünftel des Grundkapitals beschränkt. Es handelt sich nicht um eine Blockade,
wie sie etwa durch einen Golden Share entstehen könnte.
Insofern sind die bisherigen Initiativen, die sich zum Teil
gegen Mitgliedstaaten richten, ausschließlich auf diese so
genannten Golden Shares gerichtet.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, und rufe den Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung
und Landwirtschaft auf.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Peter Dreßen auf:
Welche Pflanzenschutzmittel können die gewerblichen Anbauer von Stachel- und Johannisbeeren im ökologischen und konventionellen Anbau in Deutschland gegen den falschen und den
echten Mehltau einsetzen, nachdem im Rahmen des Pflanzenschutzgesetzes die meisten Pflanzenschutzmittel nicht mehr eingesetzt werden dürfen?
Diese Frage wird durch den Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim beantwortet.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Sehr geehrter Herr Kollege Dreßen, gegen echten Mehltau an Stachelbeeren sind zurzeit
Pflanzenschutzmittel mit den Wirkstoffen Lecithin, also
ein Bioblattmehltaumittel, und Schwefel, also diverse
Netzschwefelpräparate, wie zum Beispiel Netzschwefel,
Stulln, Thiovit und Kumulus WG, zugelassen. Beide
Wirkstoffe stehen auch dem ökologischen Landbau zur
Verfügung.
Gegen echten Mehltau an Johannisbeeren ist zurzeit
kein Pflanzenschutzmittel zugelassen. Am 1. März 2002
ist jedoch eine Genehmigung nach § 18 a des Pflanzenschutzgesetzes für das Mittel Discus gegen echten Mehltau an Stachelbeeren und Johannisbeeren erteilt worden.
Ein weiterer Genehmigungsantrag mit der gleichen Indikation ist für das Mittel Vento Spezial eingereicht worden.
Falsche Mehltaupilze an Johannis- und Stachelbeeren haben nach hier vorliegenden Erkenntnissen bisher keine
wirtschaftlichen Schäden verursacht. Aus diesem Grunde
sind keine Pflanzenschutzmittel gegen den Erreger zugelassen.
({0})
Möchten Sie
eine Zwischenfrage stellen, Herr Kollege Dreßen?
Ja. - Habe ich Sie richtig verstanden, dass jetzt ein Ersatzmittel gegen Mehltau zugelassen ist?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Das ist richtig. Um den Zwischenruf aufzugreifen: Das ist insofern kein Thema für den Wissenschaftlichen Dienst, als mit dem Pflanzenschutzgesetz
von 1998 eine Systemumstellung in Deutschland mit der
Folge wirksam geworden ist, dass für circa 800 Anwendungsgebiete keine Anwendungen möglich waren. Die
Bundesregierung hat sich intensiv bemüht, gemeinsam
mit der Biologischen Bundesanstalt hier für Abhilfe zu
sorgen. Bei rund der Hälfte dieser so genannten Lücken
ist diese Abhilfe erreicht worden. Wir arbeiten mit Nachdruck daran, bis zum Saisonbeginn eine größere Anzahl
weiterer Lücken zu schließen.
Ich bin in meiner Frage unterbrochen worden. Herr Staatssekretär, ich komme zu einem Punkt, der ebenfalls eine große Rolle spielt. Sie wissen, dass das Pflanzenschutzmittel Lebaycid zum Schutz
der Kirschbäume gegen die Kirschfruchtfliege nicht mehr
zugelassen ist. Die Obstbauern, insbesondere am Kaiserstuhl, wo es sehr viele Kirschbäume gibt,
({0})
haben die große Befürchtung, dass sie dann keine Kirschen verkaufen können. Wenn sie keine Pflanzenschutzmittel mehr spritzen dürfen, dann sind Maden in den Kirschen. Es ist aber verboten, Lebensmittel mit Maden in
den Handel zu bringen. Gibt es hier eine ähnliche Lösung
wie bei den Stachelbeeren?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Nein, eine ähnliche Lösung wie bei den
Stachelbeeren gibt es gegenwärtig nicht. Diese Anwendung bei der Kirschfruchtfliege gehört zu den schwierig
zu schließenden Lücken. Das Problem besteht zum Ersten
darin, dass es keinerlei biologische Möglichkeiten gibt,
die Kirschfruchtfliege zu bekämpfen. Zum Zweiten haben
wir in Deutschland nur noch ein Präparat zugelassen, das
im Gegensatz zu anderen Mitbewerbern, zum Beispiel
Frankreich, viel längere Wartezeiten vorsieht. Zum Dritten ist das Präparat Lebaycid aus Gründen des Umweltschutzes verboten worden.
Die Biologische Bundesanstalt hat allerdings die Möglichkeit, bei Gefahr im Verzuge, das heißt beim Nachweis,
dass gehandelt werden muss, im Ausnahmefall eine Zulassung auszusprechen.
Ich wollte noch einmal nachfragen, ob die Bundesregierung beabsichtigt, bei Gefahr im
Verzuge dieses Mittel zuzulassen. Es ist unehrlich gegenüber anderen Ländern, in denen man wie in Frankreich
sieben Tage und bei uns 21 Tage vor der Ernte mit dem
Dimethoat spritzen darf.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Mit der Verabschiedung des Pflanzenschutzgesetzes 1998 hat der Gesetzgeber ein zum Teil
über den anderen Mitgliedsländern der Europäischen
Union liegendes Schutzniveau in Deutschland festgeschrieben. Insofern ergeben sich aus der rechtlichen Umsetzung dieses hohen Schutzniveaus Unterschiede in der
Pflanzenschutzmittelanwendung in den Ländern der Europäischen Union.
Kollege
Koschyk.
Herr Staatssekretär,
könnten Sie noch einmal die Bedingungen erläutern,
unter denen in Deutschland - der Kollege Dreßen hat
vom Kaiserstuhl gesprochen, aber auch die Fränkische
Schweiz ist eines der größten Kirschanbaugebiete in der
Bundesrepublik - eine solche Ausnahmegenehmigung bei
Gefahr im Verzuge für den Einsatz von wirksamen Bekämpfungsmitteln gegen die Kirschfruchtfliege erteilt
werden kann?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Gefahr im Verzuge besteht insofern, als
wir außer diesem einen Präparat Lebaycid über keine
anwendbaren Alternativen verfügen. Daher bedarf es der
Antragstellung und des Hinweises, dass dieser Schadenserreger - in diesem Fall konkret die Kirschfruchtfliege in dieser Region und in diesem Jahr besonders stark auftritt und Schädigungen der Kirschen zu erwarten sind. In
der Regel können das die Behörden vor Ort erfassen und
belegen. Damit wäre die Handlungsmöglichkeit für die
Biologische Bundesanstalt gegeben.
Kollege
Weiß.
Herr
Staatssekretär, nachdem bekannt ist, dass etliche Lücken
im Pflanzenschutz nicht geschlossen werden können und
dass zum Beispiel zur Bekämpfung des Feuerbrandes
nichts Adäquates zur Verfügung steht, nachdem bekannt
ist, dass zur Bekämpfung der Kirschfruchtfliege nichts
Adäquates zur Verfügung steht - denn es ist ja von Ihrem
Hause abgelehnt worden, die Wartezeit für Adimethoat zu
verkürzen, sodass die Kirschen nach Ablauf der Wartezeit
verfault an den Bäumen hängen und nicht mehr geerntet
zu werden brauchen -, frage ich Sie: Ist die Bundesregierung bereit, die Bundesratsinitiative des Landes BadenWürttemberg, die jüngst eingebracht worden ist, zu unterstützen, wonach die Übergangsfristen des § 45 Abs. 1
des Pflanzenschutzmittelgesetzes so geändert werden,
dass an die Stelle des 1. Juli 2001 - dieses Datum ist ja abgelaufen - das neue Übergangsdatum 1. Januar 2005 tritt,
was nach dem EU-Recht möglich wäre und uns helfen
würde, die derzeitigen Lücken im Pflanzenschutz wirksam zu schließen?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Die Entscheidung liegt nicht bei der
Bundesregierung, sondern beim Gesetzgeber. Der Deutsche Bundestag als Gesetzgeber hat sich eindeutig
geäußert, indem er dem Antrag der Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen zugestimmt hat, wonach ein einfaches Zurückfahren auf die Situation vor
dem 1. Juli des vergangenen Jahres nicht angezeigt ist,
weil es auf der einen Seite gelungen ist, eine ganze Reihe
der bestehenden Lücken - ich habe bereits Zahlen genannt; von ehedem 800 hat man für 500 Anwendungsgebiete eine Entscheidung getroffen - zu schließen, und es
zum anderen für das Offenbleiben bestehender Lücken
gute Gründe gibt. Das heißt: Das Adimethoat - um bei
diesem Beispiel zu bleiben - ist ein Insektizid, das zu den
Phosphorsäureesthern gehört, mit erheblicher Giftigkeit;
ich will das einmal so platt sagen. Wir gehen davon aus,
dass die Anwendung dieses Präparats im nächsten Jahr in
ganz Europa generell verboten wird. Es macht deshalb
wenig Sinn, aus Gründen des vorsorgenden Verbraucherschutzes einen generellen Freibrief zu geben und am Ende
auf die Situation des vergangenen Jahres zurückzufallen.
Ich danke
Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen, die Fragen 27 und 28 des Kollegen Heinz Seiffert und die Fragen 29 und 30 des Kollegen
Hansgeorg Hauser, werden schriftlich beantwortet.
Da aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Arbeit und Sozialordnung nur eine Frage zur Beantwortung ansteht - die Frage 31 des Kollegen Benno
Zierer, die Fragen 33 und 34 des Kollegen Johannes
Singhammer und die Fragen 35 und 36 des Kollegen
Dr. Peter Ramsauer werden schriftlich beantwortet -,
ziehe ich diesen Geschäftsbereich vor.
Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Jochen-Konrad
Fromme auf:
Sieht die Bundesregierung konkrete Einspareffekte allein
durch eine Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, und wenn ja, in welcher Höhe werden sie eintreten?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres zur Verfügung.
Herr Abgeordneter Fromme,
Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Übergreifendes Ziel
aller Reformbestrebungen ist es, Langzeitarbeitslosigkeit
durch Vermittlung in dauerhafte Beschäftigung zu überwinden. Des Weiteren muss eine Neustrukturierung der Leistungen zu einem Abbau administrativer Doppelstrukturen
führen. Die Entscheidung, ob sich diese Hauptziele einer
Reform besser durch eine Harmonisierung und Optimierung der beiden Leistungssysteme oder durch deren Verschmelzung erreichen lassen, ist in dem bevorstehenden
umfangreichen Diskussionsprozess zu klären.
Im Rahmen dieses Diskussionsprozesses sind eine
Vielzahl von finanzpolitischen, sozialpolitischen, verfassungsrechtlichen und organisatorischen Problemen zu
lösen. Ich gehe davon aus, dass durch Synergieeffekte
Einsparungen erzielt werden. Die Neuordnung muss sich
gesamtwirtschaftlich rechnen. Zugleich müssen die daraus resultierenden Finanzverteilungseffekte ausgewogen
sein. Die genauen Finanzierungseffekte sind vom Inhalt
der Neustrukturierung abhängig und können zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht quantifiziert werden.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, geben Sie mir Recht, dass, wenn der Bundesfinanzminister im Zusammenhang mit dem Sparkonzept
zur Einhaltung der Maastricht-Kriterien diese Maßnahme
an erster Stelle nennt, der Verdacht auf der Hand liegt, im
Bundeshaushalt solle an dieser Stelle kräftig gespart
werden?
Herr Abgeordneter
Fromme, einen Verdacht kann ich weder bestätigen noch
ausräumen. Es ist Ihre Angelegenheit, wie Sie etwas bewerten. Der Bundesfinanzminister ist zurzeit dabei, eine
Kommission zu installieren, die sich insbesondere mit der
kommunalen Finanzsituation auseinander setzt. Dass dabei beispielsweise Fragen der Ausgaben für die Sozialhilfe eine Rolle spielen, ist klar. Aber mit der Frage, ob
man Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe entweder anders
miteinander verzahnt oder auch verschmilzt und mit welchen finanziellen Entwicklungen dabei gerechnet werden
kann, hat das nichts zu tun. Es hängt sehr von der Gestaltung ab und davon, welche Maßnahmen durchgeführt
werden, um entsprechende Effekte ausweisen zu können.
Danach haben Sie schließlich gefragt.
Wie ich Sie
jetzt verstehen muss, sind durch die organisatorische Zusammenlegung allein keine Einsparungen zu erzielen,
sondern es müssen andere Maßnahmen damit verbunden
werden. Können Sie wenigstens das bestätigen?
Nein, Herr Abgeordneter Fromme. Man muss das Problem sehen, das sich
dahinter verbirgt. Auf der einen Seite gibt es die Arbeitslosenhilfe, die durch das SGB III garantiert ist und durch
den Bund finanziert wird. Auf der anderen Seite gibt es
die Sozialhilfe, die über die Sozialhilfeträger - sprich:
überwiegend durch die Länder - finanziert wird. Dabei
handelt es sich um zwei unterschiedliche Systeme. Die
Arbeitslosenhilfe ist in ihrer Ableitung sozusagen eine
Lohnersatzleistung, während die Sozialhilfe das sozioökonomische Lebenshaltungsminimum finanzieren soll.
Schon aus den unterschiedlichen Finanzierungsquellen
und Ableitungen ist erkennbar, welche Probleme sich in
diesem Zusammenhang ergeben.
Was die Schnittmenge angeht, beschränkt sich die Auseinandersetzung auf diejenigen, die Sozialhilfe beziehen,
im erwerbsfähigen Alter sind und bei denen Anstrengungen unternommen werden müssten, sie in eine Arbeitsstelle zu vermitteln bzw. in Arbeit zu bringen, damit der
Bezug von Sozialhilfe wie auch von Arbeitslosenhilfe
entfällt. Es handelt sich also um relativ schwierige Materien, die man angehen muss und die wir - die Bundesregierung hat bereits angekündigt, dass dies in der nächsten
Legislaturperiode angepackt wird - auch angehen wollen.
Aber solange die Entscheidung, ob beides zusammengelegt werden oder ob eine Zusammenführung im Sinne
einer engen Kooperation erfolgen soll, nicht gefällt ist,
sind über die finanziellen Auswirkungen keine Aussagen
möglich.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Dr. Klaus Grehn.
Herr Staatssekretär, denkt
die Bundesregierung bei der Zusammenlegung auch an
Alternativen und wäre es für die Bundesregierung eine
Alternative, wenn alles, was den Bereich Arbeitslosigkeit
betrifft und alles, was sich um diesen Bereich rankt,
einschließlich privater Vermittlung, in die Arbeitsverwaltung eingeordnet und die Sozialhilfe auf das zurückgeführt würde, wofür sie ursprünglich gedacht war, nämlich
als Hilfe in besonderen Lebenslagen?
Herr Abgeordneter
Grehn, wenn Sie eben der Zielsetzung zugestimmt haben,
zuallererst Langzeitarbeitslose aus der Arbeitslosigkeit
herauszuführen, dann müssen Sie sehen, dass eines der
Modelle unter anderem darin besteht, beispielsweise Arbeitslosenhilfeempfänger, die ergänzende Sozialhilfe bekommen, zu betreuen und mit ihnen entsprechend umzugehen. Aus der Arbeit des Ausschusses für Arbeit und
Sozialordnung ist Ihnen bekannt, dass die Bundesregierung gegenwärtig einen Modellversuch mit dem Titel
„MoZArT“ durchführt, in dem die Zusammenarbeit zwischen Arbeitsverwaltung und Sozialhilfeträgern in
30 Modellprojekten in der Bundesrepublik erprobt wird.
Wir haben dafür die rechtlichen Grundlagen geändert,
damit es möglich ist, dass Leistungen aus einer Hand gewährt werden, also Arbeitsämter auch die Sozialhilfeleistungen auszahlen können oder Sozialämter die der Arbeitslosenhilfe.
Wenn dies systematisch durchdacht wird, erscheint es
in der Tat sinnvoll, darüber nachzudenken, wie man in
einer organisatorischen Einheit für diese Zielgruppe - es
geht nur um Sozialhilfeempfänger, die im arbeitsfähigen
Alter sind, einer Arbeit nachgehen könnten und gleichzeitig Bezieher von Arbeitslosenhilfe sind - ein Modell
finden könnte, das ermöglicht, dass die Betreuung aus
einer Hand erfolgt, dass alle Maßnahmen der aktiven
Arbeitsförderung stattfinden und Drehtüreffekte - erst
ist jemand in dem einen Leistungssystem und wird dann
an das nächste weitergegeben - unterbleiben und Ähnliches mehr. Darüber wird gegenwärtig diskutiert. Wir
haben zwar angekündigt, dass wir die Systeme stärker
miteinander verzahnen wollen. Aber welche Lösung
letztendlich herauskommt, kann ich nicht prophezeien.
Wir denken auch über die Alternativen nach, die Sie genannt haben.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Dr. Ilja Seifert.
Herr Staatssekretär, wenn ich
Sie richtig verstanden habe, dann ist die Entscheidung
über die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe noch längst nicht gefallen. Das veranlasst mich zu
der Frage: Müssten Sie nicht das größte Interesse daran
haben, dass in der Öffentlichkeit nicht der Eindruck entsteht, diese Grundsatzentscheidung ist schon gefallen
- wenn man die Presseberichterstattung verfolgt, kann
man ja fast denken, dass die Zusammenlegung schon morgen erfolgt -, dass vielmehr vermittelt wird, dass zwar
Überlegungen über verschiedene Alternativen der Verzahnung angestellt werden, diese aber nicht unbedingt in
der Überführung der Arbeitslosenhilfe in die Sozialhilfe
enden müssen?
Herr Seifert, Sie haben
Recht, wenn Sie sagen, dass die Entscheidung noch nicht
gefallen sei. Des Weiteren möchte ich darauf hinweisen,
dass die Bundesregierung immer deutlich gemacht hat,
dass gegenwärtig nur Modellprojekte - diese habe ich
eben genannt - durchgeführt werden und dass man daran
interessiert ist, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe - das
macht ja aus ganz unterschiedlichen Gründen Sinn - stärker miteinander zu verzahnen. Aber die Entscheidung über die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und
Sozialhilfe wird erst in der nächsten Legislaturperiode getroffen.
Es gibt
keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Die Fragen werden von
der Parlamentarischen Staatssekretärin Brigitte Schulte
beantwortet.
Die Frage 10 des Kollegen Benno Zierer und die Fragen 11 und 12 des Kollegen Jürgen Koppelin werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 13 des Kollegen Albrecht Feibel auf:
Von wann bis wann war Annette Fugmann-Heesing bei der
Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb, GEBB,
beschäftigt und wie hoch war ihr Jahresgehalt?
Herr Präsident, herzlichen
Dank. - Herr Kollege Feibel, es ist ja nicht das erste Mal,
dass Sie danach fragen. Ich bitte deshalb, die Fragen 13
und 14 im Zusammenhang beantworten zu dürfen.
Herr Feibel,
sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu
sein. Dann rufe ich auch die Frage 14 des Kollegen
Albrecht Feibel auf:
In welcher Höhe hat die frühere Chefin der GEBB, Annette
Fugmann-Heesing, nach ihrem Ausscheiden eine Abfindung erhalten?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frau Dr. Fugmann-Heesing
war vom 21. August 2000 bis zum 31. Dezember 2001 als
Geschäftsführerin der Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb tätig. Im Vorfeld dieser Tätigkeit
hat sie seit Anfang Mai 2000 im Rahmen eines Vorvertrags die Gründung der GEBB vorbereitet. Wie ich Ihnen
bereits in meinen vorangegangenen Antworten, zuletzt
am 15. Januar 2002, mitgeteilt habe, genießt diese Gesellschaft ein rechtliches Eigenleben, das heißt, die
Gesellschaft ist hinsichtlich gesellschaftsinterner Vorgänge wie des Abschlusses und der Auflösung von Arbeitsverträgen mit Mitarbeitern selbstständig. Die Gesellschaft entscheidet auch, ob und wie sie Einzelheiten
der Arbeitsverträge gestaltet. Dies gilt auch für die Frage
nach einer möglichen Abfindung von Frau Dr. FugmannHeesing.
Verehrte Kollegin, sind
Sie der Meinung, dass wir bei Einrichtungen, die zu
100 Prozent dem Bund gehören, auf jegliche parlamentarische Kontrolle verzichten können? Denn das, was die
Bundesregierung hier und auch in anderen Bereichen
praktiziert, ist nichts anderes, als ihr Handeln der parlamentarischen Kontrolle zu entziehen. Das ist der Grund,
warum ich mit Ihren vorhergehenden Antworten - verständlicherweise - nicht zufrieden war.
({0})
Herr Kollege Feibel, Sie wissen ganz genau, dass ich nicht der Meinung bin, dass dem
Parlament etwas vorenthalten werden soll. Aber es gibt
Spielregeln - an deren Ausgestaltung habe ich ein bisschen mitgewirkt -: Die GEBB wird vom Bundesrechnungshof kontrolliert. Weder der Bundesrechnungshof
noch wir geben der Öffentlichkeit Auskünfte über einen
solchen persönlichen Bereich, nach dem Sie gefragt haben. Wenn aber der Bundesrechnungshof die GEBB geprüft hat, dann wird er dem Rechnungsprüfungsausschuss
und dem Haushaltsausschuss entsprechende Informationen geben.
Wie erklären Sie sich,
dass der Bundesrechnungshof allein für die Vorprüfung
mehr als ein halbes Jahr benötigt, bevor er die eigentliche
Prüfung vornehmen kann? Wie sollen angesichts der
zeitlichen Verzögerung dieser Prüfung, die ein Ersatz für
die parlamentarische Kontrolle sein soll, noch irgendwelche Veränderungen herbeigeführt werden können, wenn
es nicht möglich ist, aktuelle Zahlen beispielsweise im
Haushaltsausschuss vorzulegen? Insbesondere Ihr Kollege hat sich geweigert, diese Zahlen im Haushaltsausschuss in nicht öffentlicher Runde bekannt zu geben.
Herr Feibel, Sie wissen doch
sehr genau, dass es eine ganze Reihe von öffentlichen Unternehmen und Gesellschaften gibt, die nicht in der
Öffentlichkeit darstellen, was die Mitarbeiter verdienen
und was sie beim Ausscheiden aus ihrem Arbeitsverhältnis bekommen. Bei uns Bundestagsabgeordneten und
auch bei Parlamentarischen Staatssekretären ist es leicht,
eine solche Information zu erhalten. Jeder kann nachlesen, was wir bekommen.
Hier geht es doch um eine andere Frage. Der Rechnungshof kann die Angelegenheit prüfen. Sie wissen aus
Ihrer Tätigkeit im Haushaltsausschuss, dass es im Anschluss an eine Prüfung sehr wohl einen Bericht gibt. Dieser geht an den Rechnungsprüfungsausschuss. Die Information gegenüber dem Parlament findet allerdings nicht
in der Öffentlichkeit statt. Es gibt also Kontrollmechanismen und die müssen Sie nun abwarten.
Wenn Sie der Auffassung sind, dass diese Kontrollmechanismen ausreichen,
aber gleichzeitig die parlamentarische Kontrolle eigentlich bejahen, sehe ich darin einen erheblichen Widerspruch, weil Sie nicht bereit sind, den zuständigen Ausschuss über die notwendigen Fakten zu informieren.
Das führt natürlich auch zu der Vermutung, dass im
Zusammenhang mit den Privatisierungsabsichten oder
vielleicht auch - das sage ich in Anführungsstrichen Pseudo-Privatisierungsabsichten der Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb eine weitere - gestatten Sie mir den Ausdruck - Verdunkelungsgefahr in Bezug auf das Regierungshandeln besteht.
Natürlich weise ich das mit
größter Empörung zurück. Wie Sie, Herr Kollege Feibel,
wissen, werden wir uns in der nächsten Woche im Haushaltsausschuss auch mit einigen Initiativen der GEBB beschäftigen. Ich darf an Flottenmanagement und an Bekleidungsmanagement erinnern. Ich hoffe, wir kommen
dort noch ein Stück voran.
Wenn ich mir Ihre Vita und auch Ihre sonstigen Fragen
ansehe, bin ich mir eigentlich ziemlich sicher, dass auch
Sie ein Interesse daran haben, dass moderne Verwaltung
effizient wird. Den Versuch, mit dieser Gesellschaft auch
in den großen Apparat der Bundeswehrverwaltung Effizienz in Abläufe wie zum Beispiel die Beschaffung hineinzubringen, halte ich weiterhin für sehr richtig. Sich dazu
einer Gesellschaft zu bedienen, die nicht nur mit Stellenplänen arbeitet, wie beim Einzelplan 14 sonst üblich, halte
ich auch für richtig. Außerdem ist das Recht auf Auskunft
dem Parlament in bestimmten Gremien ja auch vorbehalten.
Aber augenblicklich ist es ja nicht Ihre Absicht, durch
Ihre Fragen herauszubekommen, wie gut wir das Ganze
organisieren, sondern es interessiert die Leute natürlich
vor allen Dingen, welche Entschädigung die ehemalige
Finanzsenatorin bekommt. Auf die Entschädigung hat sie
einen Anspruch. Wie bei anderen Unternehmen der öffentlichen Hand hat sie aber auch Anspruch auf einen gewissen Schutz und deshalb kann das nicht in der Öffentlichkeit dargestellt werden.
({0})
- Ich weiß ja, was Sie möchten. Aber ich halte es einfach
für selbstverständlich, dass es Gremien gibt, in denen solche Fragen intern besprochen werden.
Die letzte Ausführung
ist Ihre Betrachtung der Dinge. Ich sehe das ein bisschen
anders, das ist auch mein gutes Recht.
({0})
Wenn Sie schon nicht sagen wollen, wie Frau FugmannHeesing für das, was sie geleistet hat, honoriert wurde und
ob sie vielleicht eine Abfindung in der Größenordnung
von ein oder zwei Jahresgehältern bekommen hat, nachdem sie ein Jahr beschäftigt war, können Sie vielleicht etwas anderes ausführen, was uns als Parlamentarier dann
doch etwas beruhigt.
Für Frau Fugmann-Heesing sind Zielvorstellungen
formuliert wurden. Ein Ziel war zum Beispiel, Immobilien in der Größenordnung von 1,5 Milliarden DM zu veräußern, damit Geld in die Kasse der Bundeswehr kommt
- das ist Ihr Anliegen ebenso wie unseres -, und so wenig
Kosten wie möglich zu produzieren. Sind diese Zielvorstellungen nach Ihrer Auffassung erreicht worden oder
gibt es ganz erhebliche Abweichungen davon?
Nein, Herr Kollege. Wir werden in der Tat ein wirtschaftlicheres Vorgehen erreichen.
Auch Sie, Herr Feibel, wissen, dass wir zu viele Liegenschaften besitzen, sowohl bebaute als auch unbebaute
Liegenschaften. Es kommt jetzt darauf an, beim Verkauf
solcher Liegenschaften - da wollten wir uns ja der Gesellschaft bedienen - darauf zu achten, dass wir auch einen angemessenen Preis bekommen. Im Moment ist der
Immobilienmarkt nicht so ideal, um beliebig verkaufen zu
können.
Was die wirtschaftlichen Abläufe betrifft - ich bin gern
bereit, das auch noch einmal öffentlich zu diskutieren -,
so haben wir, seit wir die GEBB gegründet haben, doch
einen Umdenkungsprozess erreicht, der zu Einsparungsmaßnahmen in der öffentlichen Verwaltung, auch schon
bei der Beschaffung, geführt hat. Die Einsparungen - das
will ich gern zugeben - sind natürlich noch nicht mit
1,5 Milliarden zu quantifizieren. Ich gehöre aber auch zu
denjenigen, die die Meinung vertreten, dass das ein bisschen Zeit braucht.
({0})
- Ja, aber ich bin der Meinung, dass wir mehr erreichen
werden. Wir werden in einer größeren Zeitspanne mehr an
Wirtschaftlichkeit erreichen. Ich hoffe, dass wir beide das
in der nächsten Wahlperiode gemeinsam verfolgen können.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Siemann.
Frau Staatssekretärin,
Sie haben uns bestätigt, dass das Haushaltsrecht des Bundestags durch die Gründung dieser Gesellschaft, auch der
geplanten Gesellschaften zum Bekleidungsmanagement
und Flottenmanagement, nicht beeinträchtigt wird, wollen aber die Fragen des Kollegen Feibel nicht beantworten. In welchen Ausschüssen - da erbitten wir Ihren Rat können wir Antwort auf diese Fragen bekommen?
Aber lieber Herr Siemann,
ich habe doch gerade dargestellt, dass der Rechnungsprüfungsausschuss da ein Element ist und es gewährleistet ist, dass der Bundesrechnungshof prüft.
({0})
- Lassen Sie doch die Leute erst einmal arbeiten! - Ich bin
ziemlich sicher, dass hier nichts anderes interessiert als
eine Zahl, die in der Öffentlichkeit eine Neiddebatte auslöst, wobei ich nicht Ihnen unterstelle, eine solche Neiddebatte beginnen zu wollen, um Gottes willen!
({1})
- Nein. Ich bin mir auch ganz sicher, dass Sie das nicht
wollen. - Hierbei geht es einfach um Abläufe, die wir Ihnen darstellen werden.
Ich bin davon überzeugt, dass Frau Fugmann-Heesing
mit der ihr eigenen energischen und durchsetzungsfähigen
Art einiges in Bewegung gebracht hat. Das merkt man
spätestens an den Widerständen, die da gewesen sind.
Lassen Sie uns also in Ruhe abwarten. Für diese Fragen haben wir den Rechnungsprüfungsausschuss. Es gibt
den Bericht des Rechnungshofs. Anschließend besteht
sehr wohl auch die Möglichkeit, das im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags zu behandeln. Es ist
aber kein Gegenstand öffentlicher Darstellung. Das ist bei
dieser Gesellschaft nicht der Fall und das ist, finde ich,
auch in Ordnung.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Fromme.
Frau Staatssekretärin, wären Sie bereit, auch in dieser Gesellschaft
die von der Justizministerin vorgestellten 50 Regeln für
Vorstände und Aufsichtsräte durchzusetzen? Wenn das
geschähe, würde sich das Problem erledigen, weil die Gesellschaft das Ganze von sich aus veröffentlichen würde.
({0})
Das ist eine gute Frage. Ich
finde den Gedanken eigentlich auch gar nicht so unsympathisch. Aber lassen Sie die doch erst einmal ein bisschen arbeiten! Gegen die Regeln, die die Justizministerin
aufgestellt hat - sie hat natürlich gedacht, dass das Gehalt
allen bekannt ist -, habe ich nichts. Ich persönlich habe
auch keine Probleme damit, dies den Leuten draußen darzustellen. Mit den Gesellschaften, die wir jetzt für die
Bundeswehr brauchen, betreten wir Neuland. Sie wissen,
dass der Widerstand gegen diese Neuausrichtung in Teilen sehr energisch ist, berechtigt, zum Teil aber auch unberechtigt.
Ich rufe die
Frage 15 des Kollegen Martin Hohmann auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu den Vorkommnissen von Drohungen gegen Angehörige bzw. zu Belästigungen von Angehörigen der in Afghanistan eingesetzten Soldaten des Kommandos Spezialkräfte der Bundeswehr - Bericht
der Zeitung „Welt am Sonntag“ vom 3. März 2002 - und insbesondere dazu, wer dahinter steckt?
Sehr geehrter Herr Kollege
Hohmann, die Berichterstattung der „Welt am Sonntag“
vom 3. März trifft nach unseren Feststellungen insoweit
zu, als es gegenüber der Ehefrau eines Soldaten des Kommandos Spezialkräfte Belästigungen in Form von Telefonanrufen und von schriftlichen Mitteilungen auf das
Mobiltelefon gegeben hat. Anzeige wurde erstattet. Die
polizeilichen Ermittlungen zu Tätern und Motiven sind
noch nicht abgeschlossen.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
vielen Dank. - Hat es seitdem weitere Vorfälle gegeben
oder ist es bei diesem einen Vorfall geblieben?
Nach unserer Kenntnis gibt es
keine weiteren Vorfälle. Bundesminister Scharping hat
am letzten Sonntag einen Teil der Frauen getroffen - das
haben wir aus vielerlei Gründen der Öffentlichkeit nicht
vorab bekannt gegeben - und hat erfahren, dass ein guter
Teil der Frauen von dem betroffen war, was ihnen und
ihren Kindern nach der Darstellung in der Öffentlichkeit
an Ausführungen zugemutet wurde. Weitere Vorfälle, bei
denen von draußen auf die Angehörigen eingewirkt
wurde, hat es aber Gott sei Dank nicht gegeben. Allerdings sind viele Journalisten in der Region präsent. Sie
versuchen, von den Leuten Storys zu erhalten. Erinnern
Sie sich daran, was los war, als die ersten Soldatinnen in
die verschiedenen Verbände kamen. Eine solche Situation
wollten wir vermeiden. Es handelt sich hierbei um einen
sehr eingegrenzten Personenkreis, dessen Standort bekannt ist. Wir appellieren immer wieder an Sie, bei diesem Thema zurückhaltend zu sein.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Gibt es aufgrund des
Einsatzortes des KSK irgendwelche Hinweise oder Verdachtsgründe, dass diese Initiative einen islamistischen
Hintergrund hat?
Es ist gut, dass Sie mich danach fragen; denn es ist natürlich eine berechtigte Frage.
Einen solchen Zusammenhang können wir heute nicht
nachweisen. Bis zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine
klare Erkenntnis darüber, dass die Vorfälle damit zusammenhängen.
Die Fragen 16 und 17 des Kollegen Günther Friedrich Nolting
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 18 des Kollegen Werner Siemann
auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Jahresbericht 2001 des
Beauftragten für Erziehung und Ausbildung beim Generalinspekteur und welche Konsequenzen wird sie aus diesem Bericht ziehen, insbesondere im Hinblick auf Aussagen wie „Der politischen
Leitung wird mit starken Vorbehalten begegnet“ und „Die Zurückhaltung der ,Generalität‘ wird zunehmend unverhohlen kritisiert.
Die Truppe steht nicht mehr vorbehaltlos hinter der militärischen
Führung“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 1. März 2002?
Herr Kollege Siemann, der
Jahresbericht des Beauftragten für Erziehung und Ausbildung beim Generalinspekteur soll dem Generalinspekteur
dazu dienen, Trends und Tendenzen in den Streitkräften
rechtzeitig zu erkennen. Die Aussagen im Jahresbericht
sollten für den Generalinspekteur eine Grundlage zur Bewertung der Streitkräfte, für seine Beratung des Bundesministers der Verteidigung und gegebenenfalls auch für
erforderliche Maßnahmen, die dann wiederum für das
Parlament relevant wären, sein.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
man kann darüber, dass der Bericht an die Öffentlichkeit
gelangt ist, denken, wie man will; aber er ist in der Öffentlichkeit. Er ist ins Internet gestellt und für jedermann
zugänglich. Auch die Soldaten kennen diesen Bericht.
Was wird die Hardthöhe, der Generalinspekteur und der
Minister, konkret veranlassen, um die Dinge, die in dem
Bericht als Missstände angeprangert werden, zu beseitigen?
Ich habe den Bericht mit
großer Aufmerksamkeit gelesen. Ich muss Ihnen sagen:
Ich halte es im Interesse des Verteidigungsministeriums
für wichtig, dass die Darstellung gemäß dem Blankeneser
Erlass offen und sorgfältig ist. Allerdings habe ich an einigen Anmerkungen des Berichts Zweifel. Ich beziehe
mich nicht auf die Anmerkungen zur politischen Führung;
als Politiker muss man es ertragen, kritisiert zu werden.
Aussagen in diesem Bericht, dass sich die Soldaten von
ihren militärischen Vorgesetzten so wenig vertreten
fühlen, kann ich allerdings nicht nachvollziehen. Wir
beide wissen das besser.
Andere Fragen, die in der Tat berechtigte Sorgen widerspiegeln, haben sowohl Regierung als auch Parlament
zu klären.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
der besondere Vertrauensverlust der Soldaten in die politische Führung wird gerügt, weil Versprechungen zur
Erhöhung der Attraktivität der Bundeswehr nicht eingehalten worden sind. Es wird ausgeführt, dass man auf den
Kanzler setze, der die Finanzierung richten werde. Können wir davon ausgehen, dass die Finanzierung der Bundeswehr nun zur Chefsache wird?
Wir können sehr wohl davon
ausgehen. Wir haben bereits eine große Anzahl von Beförderungsmöglichkeiten geschaffen.
Ich bedauere es sehr, dass auch die Soldaten, die in den
letzten Jahren stärker als je zuvor gefordert waren, von der
Abschaffung der Zulagen aufgrund der allgemeinen Sparzwänge betroffen sind. Sie haben das, genau wie ich in der
Vergangenheit, gerügt. Gegenüber dem Innenminister
und dem Finanzminister haben wir uns aber nicht durchsetzen können. Das gilt sowohl für die Zeit, in der Sie das
Land noch regierten, als auch für unsere Regierungszeit.
Eine weitere Attraktivitätssteigerung hinsichtlich der Beförderungsmöglichkeiten werden wir erreichen, sobald
ein Teil der älteren Berufssoldaten aus dem Dienst ausscheidet.
Weder konnte die vorangegangene Bundesregierung
alle Wünsche erfüllen noch kann dies diese Bundesregierung. Gemeinsam müssen wir uns darüber Gedanken machen, ob die Besoldungsstrukturen noch stimmen. Wir
brauchen Bündnispartner: den Innenminister und die Länder. Ich bin in der Tat der Meinung, dass wir auf diesem
Gebiet noch mehr tun müssen.
Herr Siemann, einen Teil der Klagen, die ich in dem
Bericht gelesen habe, fand ich doch ein bisschen zu banal.
Ich rufe die
Frage 19 des Kollegen Werner Siemann auf:
Trifft es zu, dass beim Tornado-Geschwader der Marineflieger
nur sechs von 40 Piloten combat ready - volle Einsatzfähigkeit sind, „Der Spiegel“ vom 25. Februar 2002, und falls ja, was wird
dagegen unternommen?
Die Auswertung der
Ausbildungsergebnisse 2001 ergab, dass mit Stand vom
1. Januar 2002 sechs von gegenwärtig 40 Einsatzbesatzungen den Anforderungen von combat ready genügen,
also den höchsten Einsatzbereitschaftsstatus gemäß
NATO-Standard erreicht haben. 33 Einsatzbesatzungen
verfügen jedoch über den Status limit combat ready und
sind damit natürlich auch einsatzfähig, wenn es darauf
ankommt. Das Tornado-Geschwader der Marine verfügt
damit über 39 Besatzungen, die den Anforderungen für
einen Einsatz nach NATO-Standards gerecht werden.
Mit der im Mai 2002 beginnenden Waffeneinsatzausbildung des Marinefliegergeschwaders 2 auf Sardinien
werden neben den sechs bisherigen Besatzungen elf
weitere Besatzungen den Status combat ready wiedererlangen. Somit stehen dem Tornado-Geschwader der
Marine voraussichtlich ab Mai 2002 wieder 17 Besatzungen mit dem Einsatzstatus combat ready zur Verfügung.
Weitere Zusatzfrage?
Dann, wenn wieder
17 Maschinen voll zur Verfügung stehen. - Wie lange
wird es dauern, bis alle Besatzungen diesen Einsatzstandard erreicht haben werden?
Es lohnt, sich einmal den Forderungskatalog anzusehen, der für combat ready erfüllt
sein muss. Unser Problem war, dass wir im letzten halben
Jahr bestimmte Schießübungen mit der Bordkanone nicht
leisten konnten, weil der Flugplatz in Sardinien für uns
gesperrt war. Wie Sie sich vielleicht erinnern, hatten wir
im Jahr 2000 einen etwas unangenehmen Vorfall auf einem holländischen Flugplatz, als auf einen Turm geschossen wurde. So waren auch die Holländer nicht sonderlich angetan von der Idee, alle Übungsabläufe bei
ihnen stattfinden zu lassen.
Ich gehe davon aus, dass wir im Laufe des Jahres 2003
diesen Status erreichen können, wenn nicht Übungsmöglichkeiten eingegrenzt werden und damit die Ausbildung
in bestimmten Kategorien verhindert wird. Weiterhin
gehe ich davon aus, dass der Klarstand der Maschinen, der
noch nie so hoch war, wie wir es uns immer wünschen
- das wissen Sie ja auch -, es erlauben wird, dass alle
Ende des Jahres 2003 den entsprechenden Standard erreicht haben.
Frau Staatssekretärin,
gibt es weitere Einheiten in der Bundeswehr, die, obwohl
sie theoretisch voll einsatzfähig sein sollten, zum gegenwärtigen Zeitpunkt unter Berücksichtigung dieser Kriterien nicht voll einsatzfähig sind?
Einsatzfähig sind wir; aber den
höchsten Einsatzstandard haben wir sicherlich auch in anderen Verbänden nicht immer. Den haben wir übrigens
noch nie überall und bei allen Besatzungen erreicht.
Wir sind am
Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke Ihnen, Frau
Parlamentarische Staatssekretärin.
Wir haben jetzt noch den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums des Innern.
Ich weise darauf hin, dass die Aktuelle Stunde nicht vorgezogen wird, falls die Fragestunde früher zu Ende geht,
sondern pünktlich um 15.35 Uhr eröffnet wird.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung steht Staatsminister Christoph
Zöpel zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Peter Weiß zum
Thema Einschränkung der öffentlichen Religionsausübung in verschiedenen Ländern auf:
Welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung hinsichtlich der politischen, wirtschaftlichen und Entwicklungszusammenarbeit mit denjenigen Ländern zu ziehen, in denen nach dem
vom Missions- und Hilfswerk Offene Grenzen, Seesen/Harz, veröffentlichten Verfolgungsindex Christen hinsichtlich der Einschränkung der öffentlichen Religionsausübung am stärksten verfolgt werden, allen voran in Saudi-Arabien, Nordkorea und Laos?
Sehr geehrter Herr Kollege, die Probleme, die Diskriminierung, die Menschenrechtsverletzungen und teilweise auch die Verfolgung, denen religiöse Minderheiten,
darunter auch christliche Gruppen, in vielen Teilen der
Welt ausgesetzt sind, werden von der Bundesregierung
mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Die Regierung hat
in ihrer Antwort vom 22. Dezember 1999 auf die Große
Anfrage Ihrer Fraktion zur Verfolgung von Christen in
aller Welt dargelegt, welchen Ansatz sie grundsätzlich
verfolgt, um Bedrohungen der Religionsfreiheit gerade
auch gegenüber Christen entgegenzutreten. Die Bundesregierung geht dabei von einem Ansatz aus, der generell
auf den Dialog zur Förderung rechtsstaatlichen und freiheitlichen Denkens abstellt.
Im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit basieren alle fünf Kriterien zur Bewertung von
Rahmenbedingungen in den einzelnen Partnerländern auf
den Menschenrechten und haben wesentlichen Einfluss
auf die Entscheidung der Frage, ob und wie mit einem solchen Land zusammengearbeitet wird. Defizite sind Gegenstand des Politikdialogs. Einen Automatismus, der bei
einem bestimmten Maß von Menschenrechtsverletzungen
bestimmte Sanktionen vorsähe, gibt es sinnvollerweise
nicht. Im Übrigen muss jeder Einzelfall im Gesamtkontext geprüft werden.
Von den drei in der vorliegenden Frage genannten Ländern ist nur Laos Partnerland der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Im Rahmen des politischen Dialogs thematisiert die Bundesregierung ihre Besorgnisse
über die Menschenrechtslage. Sie wird dies auch anlässlich der anstehenden Regierungsverhandlungen zur weiteren entwicklungspolitischen Zusammenarbeit im Sommer 2002 tun und auf die Einhaltung der in der laotischen
Verfassung garantierten Religionsfreiheit drängen. Dieser
Dialog im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit ist
der geeignete Rahmen, auf Fortschritte in dem hier angesprochenen Bereich hinzuwirken.
Zusatzfrage.
Herr
Staatsminister, da Sie in Ihrer Antwort auf die Länder abgehoben haben, mit denen wir aktuell staatliche Entwicklungszusammenarbeit pflegen, möchte ich Sie fragen: Hat
die Bewertung einzelner Länder als sehr problematische
Länder hinsichtlich der Gewährung von Religionsfreiheit
Auswirkungen auf die politische Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland, für deren Außenpolitik Sie und das Auswärtige Amt zuständig sind, und
diesen Ländern oder spielt das in den politischen Beziehungen, zum Beispiel zu Saudi-Arabien, keine Rolle?
Das spielt auch bei den Beziehungen mit den anderen Ländern eine Rolle. Ich habe die Fakten in Bezug auf
das Land, in dem die Diskriminierung von Christen nach
unserem Kenntnisstand am wenigsten systematisch erfolgt, dargelegt. Wenn es Entwicklungszusammenarbeit
gibt, bestehen am ehesten Möglichkeiten der Einwirkung.
In Nordkorea - um zu den beiden anderen Ländern zu
kommen - gehört es zu den angestrebten Folgen der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen, überhaupt
über diese Problematik reden zu können, und zwar im
Rahmen dessen, was an Gesprächen mit der nordkoreanischen Regierung möglich ist; ich sehe, Sie nicken, Herr
Kollege Koschyk. Ich sage das nicht ausweichend, sondern das ist ein Faktum.
Saudi-Arabien ist ein Land, das relativ unabhängig ist.
Es hat eine hervorragende ökonomische Grundlage und
spielt eine spezifische Rolle. Es gibt eigentlich nur die
Möglichkeit eines kontinuierlichen Dialogs mit der saudischen Regierung - der von den EU-Botschaftern wahrgenommen wird -, damit das Land sich den in den entsprechenden Erklärungen der Vereinten Nationen festgelegten
Grundsätzen annähert.
({0})
Daneben gibt es - das liegt schon an der Grenze dessen, was sich für die hier öffentlich stattfindende Erörterung eignet - Bemühungen, die private Religionsausübung in diesem Lande, soweit es angesichts der dort
herrschenden Auffassung darüber möglich ist, aufrechtzuerhalten.
Herr Kollege Weiß zu
einer Nachfrage, bitte.
Herr
Staatsminister, da Sie zu Recht die Entwicklungszusammenarbeit angesprochen haben, möchte ich Sie fragen:
Hat die Bewertung einzelner Länder als besonders problematisch hinsichtlich der Gewährleistung der freien Religionsausübung, die Bestandteil der Menschenrechte ist
und damit zu den fünf Kriterien unserer Entwicklungszusammenarbeit gehört, irgendwelche Auswirkungen? Von
den zehn Ländern, in denen Christen nach der von mir zitierten Untersuchung am stärksten verfolgt werden, sind
die Volksrepublik China, Pakistan und Vietnam Schwerpunktpartnerländer der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und das von Ihnen bereits angesprochene Laos
ist Partnerland der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Spielt es bei der Einordnung und der Fortentwicklung der Entwicklungszusammenarbeit irgendeine Rolle,
dass die Religionsfreiheit dort offensichtlich in einem nur
unzulänglichen Maße gewährleistet ist bzw. in einem hohen Maße behindert wird?
In Ihrer Frage haben Sie drei Länder genannt. Sinnvollerweise ist die Vorbereitung auf diese drei Länder
konzentriert worden.
Zu Laos ist festzuhalten: In diesem Land ist die Religionsfreiheit in der Verfassung garantiert. In einzelnen
Provinzen werden christliche Gruppen unter Druck gesetzt. Es gibt vor allem dann Probleme, wenn Missionierung festgestellt wird. Zwischen dem Ergebnis, unsere
Position in der Verfassung, in der Rechtsordnung festzuschreiben, und einem der Erkenntnis der Botschaften folgenden Hinweis in dem entsprechenden politischen Dialog gibt es eigentlich nicht viel Konkretes. Ich würde aber
sagen, eine Verschlechterung hinsichtlich der Religionsausübung, also eine Abweichung von der Verfassung von
Laos, bei ausdrücklicher Billigung der Regierung hätte
Konsequenzen für die Art und das Ausmaß deutscher Entwicklungshilfe. So wird auch in anderen Fällen von Menschenrechtsverletzungen gehandelt.
Ich rufe jetzt die Frage 21 des Kollegen Koschyk auf:
Inwieweit hat die Bundesregierung die Empfehlung des polnischen Staatspräsidenten Aleksander Kwasniewski, die er in seiner
Rede in der Friedrich-Ebert-Stiftung am 6. März 2002 abgegeben
hat ({0}), in der
Diskussion über die Benes-Dekrete eine Lösung zu finden, zum
Anlass genommen, dieses Thema mit dem polnischen Staatspräsidenten zu erörtern, und wenn ja, mit welchem Ergebnis?
Herr Kollege Koschyk, ich bedanke mich für Ihre
Frage. Ich möchte sie beantworten, indem ich das vorlese,
was Präsident Kwasniewski gesagt hat. Vorher möchte ich
zwei Dinge dazu sagen: Wir teilen seine Auffassung. Aber
aus förmlichen Gründen ist festzustellen: Formelle Gespräche mit dem polnischen Präsidenten kann nur der Präsident unseres Landes führen. Das Auswärtige Amt kann
nicht auf Fragen antworten, die in den Verantwortungsbereich des Bundespräsidenten fallen.
Ich lese Ihnen nun vor, was Präsident Kwasniewski gesagt hat - wir finden das insgesamt richtig; es entspricht
unserer Politik -:
Der Erweiterungsprozess der EU ist etwas anderes
als die Lösung der Fragen, die ein Erbe des Zweiten
Weltkriegs sind. Es wäre völlig unverständlich, paradox, aber auch gefährlich, wenn es sich herausstellen würde, dass auf dem Weg der Erweiterung der
EU die Schatten von Hitler, Benes, Roosevelt,
Churchill und Stalin stehen. Das würde bedeuten,
dass wir uns selbst der Kriegs- und Nachkriegslogik
unterwerfen lassen, die wir eigentlich überwinden
wollen.
Es gibt Probleme - eines wurde gelöst. Ich spreche
hier von den Entschädigungen für die Zwangsarbeiter, aber wir haben noch andere Fragen: die Frage des
Kulturerbes, der Benes-Dekrete ({0}), die Vertriebenenfrage
und die der Gesten gegenüber dieser Gruppe. Dies
sind Fragen, über die wir in einem vernünftigen Dialog entscheiden sollen, in einem Prozess, der Zeit in
Anspruch nimmt, aber auch historische Wahrheit
und große politische und soziale Sensibilität fordert.
Ich unterstreiche das noch einmal: Die Schatten dieser Menschen, die ich erwähnte, dürfen kein Hindernis im Erweiterungsprozess und auf dem Weg zur
EU darstellen. Ansonsten wird alles zerstört werden,
was uns gelungen ist, bisher zu schaffen.
Wenn es nicht der Präsident eines wichtigen Nachbarstaates wäre, würde ich sagen: Das könnten auch Vertreter der Bundesregierung gesagt haben.
Die erste Nachfrage
des Kollegen Koschyk.
Herr Staatsminister,
natürlich ist mir klar, dass es keine direkten Konsultationen zwischen der deutschen Bundesregierung und dem
polnischen Staatspräsidenten gibt. Aber es hat ja Gespräche auch des Herrn Bundeskanzlers mit dem polnischen Staatspräsidenten gegeben. Ist dabei vonseiten der
Bundesregierung der in meiner Frage angesprochene Teil
- der polnische Präsident hat sich nicht nur in dieser Rede,
sondern während seines Deutschlandbesuches verschiedentlich zu diesen Fragen geäußert - mit dem polnischen
Präsidenten erörtert worden und wird die Bundesregierung die Anregungen des polnischen Präsidenten bei ihren
weiteren Konsultationen und Kontakten mit der polnischen Regierung aufgreifen?
Den ersten Teil Ihrer Frage beantworte ich folgendermaßen: Ich kann es Ihnen korrekterweise nicht sagen.
Die Gespräche mit dem Kanzler, die im Kern Vier-AugenGespräche sind, könnte ich wiedergeben. Aber Fragen zu
Gesprächen auf Präsidentenebene können nach unserer
Verfassung nicht von einem Vertreter des Auswärtigen
Amts beantwortet werden.
Für die Politik der Bundesregierung gilt hinsichtlich all
dieser Fragen, dass es sich im Kern um bilaterale Angelegenheiten handelt. Wir wollen sie nicht dazu nutzen, die
Verhandlungen über EU-Beitritte zu verzögern. Denn unseres Erachtens erleichtert ein erfolgter Beitritt die Erörterung all dieser Fragen im europäischen Rahmen.
Bei unserem Gespräch mit allen infrage kommenden
Regierungen betonen wir diesen Grundsatz, sind aber erfreut darüber, dass vor allem im Rahmen des doch etwas
schwierigeren Verhältnisses zwischen Tschechien und
Deutschland ein europäischer Dialog beginnt. Er zeigt,
dass die Überwindung der Folgen faschistischer - konkret
gesagt: nationalsozialistischer - und kommunistischer
Machtausübungen ein Problem aller Demokratien Europas ist.
Darf ich trotzdem
noch einmal fragen, ob und in welcher Art und Weise die
Bundesregierung den Kerngehalt dieser Äußerungen des
polnischen Präsidenten, denen Sie ja zustimmen, zum Gegenstand bilateraler Gespräche mit der polnischen Seite
angesichts dessen machen wird, dass der polnische Präsident zum Beispiel in einem Interview mit der „Welt“ gesagt hat: „Es gibt die Vertriebenen, die auf eine ehrenvolle
Geste hoffen“? Wird die Bundesregierung mit der polnischen Regierung über eine vom polnischen Präsidenten so
genannte „ehrenvolle Geste“, also über den Versuch der
Aufarbeitung des Vertreibungsunrechts, in ein Gespräch
treten?
Herr Kollege, ohne dass dieses in der - bezogen auf
ein korrektes Handeln in der Außenpolitik - notwendigen
Form vom Auswärtigen Amt aufgeschrieben wurde, sage
ich für die politisch Verantwortlichen dieser Regierung:
Ja.
Ich rufe die Frage 22
des Kollegen Hartmut Koschyk auf:
Mit welchen Ergebnissen hat die Bundesregierung die Situation der deutschen Minderheit in Polen ({0}) im Rahmen der Gespräche mit
dem polnischen Staatspräsidenten Aleksander Kwasniewski thematisiert und inwieweit hat die Bundesregierung das bereits einmal gescheiterte und nun erneut in den parlamentarischen Beratungen befindliche Minderheitengesetz angesprochen?
Herr Kollege, das polnische Parlament hat, wie Sie
vermutlich wissen, am 15. Februar 2002 in erster Lesung
über das Gesetz über nationale und ethnische Minderheiten beraten. Im Anschluss wurde der Gesetzentwurf an die
Sejm-Kommission zur weiteren Beratung überwiesen. In
der Debatte im polnischen Parlament unterstützten Vertreter verschiedener Minderheiten den Entwurf und hoben
insbesondere lobend hervor, dass damit die in Polen lebenden Minderheiten einen mit den Regelungen in anderen europäischen Ländern vergleichbaren Schutz erhalten
würden. Im Unterschied zu früheren Legislaturperioden
unterstützt die größte Fraktion im Sejm den Gesetzentwurf. Die Bundesregierung sah daher keinen Anlass, den
nun vorliegenden Gesetzentwurf anzusprechen.
Die für den Mai geplante Volkszählung in Polen steht
nach Erkenntnissen der Bundesregierung nicht im Widerspruch zu den einschlägigen europäischen Normen. Im
Übrigen ist und bleibt die Bundesregierung mit ihrem
Nachbarn und Partner Polen auch weiterhin auf allen Ebenen in einem intensiven Meinungsaustausch auch über die
Fragen der Förderung nationaler Minderheiten.
Herr Kollege
Koschyk, bitte die erste Nachfrage.
Herr Staatsminister,
Sie sagen, dass nach Meinung der Bundesregierung die
für den 20. Mai in Polen anberaumte Volkszählung mit
europäischen Normen nicht in Widerspruch stehe. Ich
habe eine amtliche Übersetzung des Fragebogens in deutscher Sprache vorliegen. Demnach sollen die Angaben
nicht anonym, sondern unter Nennung des vollen Namens
gemacht werden.
Ist der Bundesregierung bekannt, dass die Beantwortung der Frage 16, nämlich welche Nationalität jemand
besitzt und ob er eine andere Staatsangehörigkeit neben
der polnischen besitzt, von den Angehörigen der deutschen Minderheit mit gewisser Sorge gesehen wird, weil
sie nicht anonym erfolgen kann?
Dass die deutsche Minderheit mit diesem Gesetzentwurf - Hartmut Koschyk ({0}): Nicht Gesetzentwurf, sondern Fragebogen.
Damit kein Missverständnis entsteht: Der Bundesregierung ist bekannt, dass die deutsche Minderheit mit
dieser Volksbefragung einige kritische Fragen verbindet.
Nach unseren Informationen führt aber die polnische Regierung mit der deutschen Minderheit derzeit Gespräche
über diese Thematik. Es ist richtig, dass zunächst einmal
eine innerstaatliche Diskussion erfolgt. Nach unserer
Kenntnis werden diese Gespräche von der deutschen
Minderheit als konstruktiv gewürdigt.
Sie verübeln mir sicher nicht, dass ich jetzt nicht alle
Einzelheiten kenne. Aber ich werde mich persönlich vergewissern, ob von der polnischen Regierung und von den Repräsentanten der deutschen Minderheit die Gespräche so
geführt werden, dass es von deutscher Seite keinen Grund
gibt, in eine im Prinzip innerstaatliche Angelegenheit
Polens - wenn auch nur ganz behutsam - einzugreifen.
Im Übrigen kann ich feststellen, dass solche Fragen unserer Botschaft im Umgang mit der polnischen Regierung
mittlerweile selbstverständlich sind.
Ich danke Ihnen für die Hinweise.
Ich danke Herrn
Staatsminister Zöpel.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Inneren. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 23 des Abgeordneten Klaus
Hofbauer auf:
Welche Initiativen unternimmt die Bundesregierung, um die
Stellung der Kommunen auf europäischer Ebene zu stärken, insbesondere eine Garantie des kommunalen Selbstverwaltungsrechts im zu erarbeitenden europäischen Verfassungsvertrag zu erreichen?
Herr Kollege Hofbauer, ich darf
Ihre Frage wie folgt beantworten: Die Bundesregierung
hat sich bereits mehrfach in der Vergangenheit für eine
Stärkung der Kommunen auf europäischer Ebene und zur
Aufnahme des kommunalen Selbstverwaltungsrechts in
die europäischen Verträge, die der Konvent und die Regierungskonferenz 2004 möglicherweise zu einem europäischen Verfassungsvertrag weiterentwickeln werden,
eingesetzt.
Die Bundesregierung ist insbesondere bei folgenden
Gelegenheiten dafür eingetreten: im Rahmen der Regierungskonferenz 1996 mit dem Versuch, das Recht der
kommunalen Selbstverwaltung in den Europäischen Verträgen zu verankern, bei der Konkretisierung des Subsidiaritätsprinzips zugunsten der Kommunen und Regionen, bei der Ratifizierung der Europäischen Charta der
kommunalen Selbstverwaltung des Europäischen Rates
vom 15. Oktober 1985 und bei der Sicherung einer angemessenen Vertretung der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften auf europäischer Ebene.
Die Länder und Kommunen haben die Möglichkeit, im
Ausschuss der Regionen ihre Auffassungen auf EUEbene geltend zu machen. Der Vertrag von Nizza hat die
Stellung des Ausschusses der Regionen gestärkt, indem
für seine Mitglieder ein politisches Mandat auf regionaler
oder lokaler Ebene vorgeschrieben wird.
Die Bundesregierung steht einem engen Meinungsaustausch mit den Deutschen, die auch die Kommunen im
Konvent zur Zukunft der EU vertreten, offen gegenüber.
Dies sind namentlich der Ministerpräsident des Landes
Baden-Württemberg, Herr Teufel, der vom Bundesrat entsandt wurde, und als Beobachter für den Ausschuss der Regionen Herr Professor Dammeyer aus Nordrhein-Westfalen. Letzterer ist einer von sechs Beobachtern, die aus
Regional- und Kommunalvertretungen in den Ausschuss
der Regionen gewählt wurden. Die Bundesregierung achtet dabei stets auf die Tatsache, dass die Kommunen staatsrechtlich den Ländern zugeordnet sind. - Diese Bemerkung wollte ich noch pflichtgemäß hinzugefügt haben.
Nun kommen wir zu
den Nachfragen des Kollegen Hofbauer.
Herr Staatssekretär,
können Sie mir konkret sagen, welche Schwerpunkte hier
von der Bundesregierung angestrebt werden? Wir müssen
ja feststellen, dass das Europarecht immer mehr in die
Rechte und Aufgaben der Kommunen eingreift, insbesondere in die Finanzhoheit, die Planungshoheit, die Organisationshoheit und die großen Bereiche der Daseinsvorsorge. Bei den Gemeinden, Städten und Landkreisen hat
man den Eindruck, dass die Übermacht Europas immer
größer wird. Welche konkreten Ziele streben Sie an, um
die Selbstverwaltung der Kommunen zu stärken und deren Gängelung durch Europa zurückzuschrauben?
Herr Kollege Hofbauer, wenn
man darüber reden will, welche Aufgaben und welche
Aufgabenverluste bei der kommunalen Selbstverwaltung
auftreten, dann muss man eine zweifache Diskussion
führen: einmal in Deutschland selbst die Diskussion darüber, wie sich das Verhältnis des Bundes zu den Ländern
und kommunalen Gebietskörperschaften und das interne
Verhältnis der Länder zu den kommunalen Gebietskörperschaften entwickelt haben - der größere Teil dessen,
was Sie eben angesprochen haben, ist Ergebnis der Entscheidungen dieser Ebenen - und zum anderen die Diskussion auf europäischer Ebene, die Sie mit Ihrer Frage in
erster Linie im Auge hatten. Dass wir insoweit unterscheiden müssen, hängt ganz entscheidend damit zusammen, dass wir in Deutschland mit dem Thema der kommunalen Selbstverwaltung sehr gute Erfahrungen
gemacht haben, unsere Strukturen und deren rechtliche
Verankerung - das wissen Sie genauso gut wie ich - in Europa aber keine gängige Praxis sind. Deswegen fanden
und finden wir bei Fragen der kommunalen Selbstverwaltung auch im Zuge anderer Verhandlungen auf EU-Ebene
fast nur die Unterstützung Österreichs. Auch wenn es
schwierig ist, anderen unsere Strukturen zu vermitteln,
können Sie versichert sein, dass wir uns darum ganz konkret bemühen, weil wir das Gut der kommunalen Selbstverwaltung hoch schätzen.
Ihre zweite Frage,
bitte, Herr Hofbauer.
Ich habe keine weitere
Zusatzfrage.
Dann rufe ich die
Frage 24 des Kollegen Hofbauer auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass ein Schutz des
kommunalen Selbstverwaltungsrechts im europäischen Verfassungsvertrag in Inhalt und Umfang dem Standard der Garantie des
Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz entsprechen muss, und wenn nein,
warum nicht?
Herr Kollege Hofbauer, ich
glaube, diese Frage ist zum Teil in Ihre vorhergehende
Frage eingeflossen und daher schon von mir beantwortet
worden. Ich kann Ihre Frage eindeutig mit Ja beantworten. Bisher aber hat die Forderung Deutschlands und
Österreichs nach Verankerung des Rechts der Kommunen
auf Selbstverwaltung in den europäischen Verträgen nicht
die Unterstützung anderer Mitgliedstaaten gefunden; der
Diskussionsprozess ist Ihnen bekannt. Ich habe eben bereits umrissen, welche Schwierigkeiten hier bestehen.
Dies entbindet uns aber nicht von der Aufgabe, diesen Gedanken auch weiterhin in die auf europäischer Ebene geführte Verfassungsdebatte einzubringen. Das entspricht
auch der Art und Weise der Pflege unserer Kontakte.
Jetzt besteht für den
Kollegen Hofbauer noch einmal die Gelegenheit, eine
Nachfrage zu stellen.
Herr Staatssekretär,
Sie haben die Problematik aufgezeigt: Die Stellung der
Kommunen ist in den verschiedenen Ländern Europas
sehr unterschiedlich. Wir haben in Deutschland allerdings
gute Erfahrungen mit der starken Stellung der Kommunen
gemacht.
Ich entnehme Ihrer Antwort, dass Sie schon fast resigniert haben, den Standard Deutschlands auf europäischer
Ebene umsetzen zu können. Könnten Sie vielleicht einige
der Vorgaben nennen, die Sie den Mitgliedern des Konvents von deutscher Seite mitgegeben haben bzw. mitgeben werden? Und könnten Sie auch die Strategie darstellen, wie Sie versuchen wollen, dass die in Deutschland
vorhandenen Grundsätze in den europäischen Verfassungsvertrag aufgenommen werden?
Lieber Herr Kollege Hofbauer,
wenn Sie bei mir auch nur an irgendeiner Stelle den Hauch
von Resignation festgestellt haben, so muss ich Sie
korrigieren. Wer mich kennt, der weiß, dass mir dies absolut fremd ist, gerade auch bei diesem Sachverhalt. Ich
habe nur versucht, die Konstellationen realistisch darzustellen.
Ich glaube nicht, dass wir hier in unseren Einschätzungen weit auseinander liegen. Im Grunde genommen sind
wir beide von dem Modell der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland überzeugt. Wir glauben, es hat
sich bewährt. Dies hängt vielleicht ein wenig mit unserer
Biografie zusammen; denn uns beiden ist das Thema der
Kommunalpolitik nicht fremd.
Ich glaube, man sollte eines beachten: Es geht nicht darum, die Debatte in der Richtung zu führen, dass alle unserem Beispiel folgen. Umgekehrt aber muss klar sein
- und zwar auf Grund der Erfahrungen, die wir gemacht
haben -, dass wir unser Modell der kommunalen Selbstverwaltung beibehalten.
Sie haben mich auch gefragt, welche Strategie wir verfolgen. Ich glaube, dass es ausreicht, wenn man auf die
Erfolgsgeschichte der kommunalen Selbstverwaltung bei
uns verweist. Das dürfte das beste Argument sein.
Jetzt rufe ich die Frage 25 des Kollegen Wolfgang Dehnel auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass laut Bericht der Zuwanderungskommission circa 80 Prozent der Antragsteller im Asylverfahren keinen Pass vorlegen, und wie hoch
schätzt die Bundesregierung den Anteil an absichtlich verborgenen bzw. vernichteten Personaldokumenten ein?
Herr Kollege Dehnel, die Schätzung, dass etwa 80 Prozent der Antragsteller in Asylverfahren keinen Pass oder sonstige Personaldokumente
vorlegen, weil sie solche nicht besitzen bzw. weil sie sie
vernichtet haben oder verbergen, ist nicht neu. Das weiß
jeder, der sich mit dieser Materie beschäftigt.
Diese Angabe stammt aus dem so genannten
Süssmuth-Bericht, der Ihnen bekannt sein dürfte. Die
Zahl selbst ist durch Mitarbeiter des Bundesamtes, die zur
Geschäftsstelle der unabhängigen Kommission Zuwanderung abgeordnet waren, dort eingebracht worden. Sie beruht auf aktuellen Schätzungen des Bundesamtes und seiner Außenstellen.
Wie hoch - das ist mir sehr wichtig - der Anteil an absichtlich verborgenen oder vernichteten Personaldokumenten ist, ist nicht feststellbar. Dies muss man der Fairness halber hinzufügen. Deswegen wäre eine
entsprechende Aussage spekulativ.
Aus der Tatsache aber, dass ein Asylbewerber keine
gültigen Personaldokumente im Asylverfahren vorlegt,
kann nicht ohne Weiteres auf einen Asylmissbrauch geschlossen werden, weil im Falle politischer Verfolgung
der Verfolgerstaat im Zweifel keine zur Ausreise berechtigenden Reisedokumente ausstellen wird.
Bitte, Herr Kollege
Dehnel.
Herr Staatssekretär,
Sie sagten, die Zahl in dem Bericht beruhe auf einer
Schätzung. Nach meinem Kenntnisstand steht in dem Bericht aber ganz klar und deutlich, dass man davon ausgehen kann, dass 80 Prozent der Antragsteller in Asylverfahren keinen Pass vorlegen. Auch häufen sich gerade in
der letzten Zeit - das haben Sie vielleicht in den Berliner
Zeitungen gesehen - Inserate, mit denen Pässe aus China,
dem Libanon oder sonst woher gesucht werden. Darin
wird sogar die Passnummer angegeben. Damit wird eine
Mithilfe suggeriert; denn bei Vorlegen eines Passes wird
eine entsprechende Verlängerung des Asylverfahrens genehmigt. Genau darauf hebt auch der Bericht ab. Sie dagegen sagen, das sei alles an den Haaren herbeigezogen
und geschätzt. Man kann doch eigentlich davon ausgehen, dass es 80 Prozent der Asylbewerber betrifft, oder
nicht?
Lieber Herr Kollege Dehnel,
exakt dieser Frage bin ich natürlich in weiser Voraussicht
nachgegangen: Ich ahnte, dass Sie mir diese Frage stellen
würden.
Ich sage Ihnen ganz offen: Es ist eine Schätzung. Es
gibt beispielsweise auch keine Ergebnisse darüber, wie
hoch die Anerkennungsquote bei diesen geschätzten
80 Prozent der Asylbewerber bzw. den verbliebenen
20 Prozent der Asylbewerber ist. Dazu gibt es keine statistischen Erkenntnisse, keine Zählungen.
Auch über den zweiten Teil, den ich dargestellt habe,
gibt es keine Schätzung. Angesichts dessen werbe ich darum, dann, wenn man solche Zahlen verwendet, immer
auch die Zahlengrundlage zu nennen. Deswegen habe ich
auch meine Quelle und die Fundstelle genannt. Dies ist
mir ganz wichtig. Daraus sollte man - das sage ich in aller
Sachlichkeit - auch keine falschen Schlussfolgerungen
ziehen. Deshalb möchte ich jetzt noch einmal auf den letzten Absatz meiner vorhin gegebenen Antwort hinweisen.
Eine weitere Nachfrage. Bitte, Herr Kollege Dehnel.
Herr Staatssekretär,
sind Sie nicht mit mir einer Meinung, dass der Anteil derjenigen, bei denen es - eventuell auch unter Einsatz krimineller Mittel - zu einem Verschwinden des Passes
kommt, dennoch sehr hoch sein muss, auch wenn es sich
um eine Schätzung handelt?
Herr Kollege Dehnel, ich will
mich gar nicht darauf fixieren, ob diese Zahl gut oder
schlecht geschätzt ist. Aber die Tatsache, dass diese Zahl
geschätzt ist, also diejenigen, die im Asylverfahren keinen
Pass vorlegen, nicht statistisch erfasst sind, ist schon eine
Aussage für sich.
Viel mehr kommt es mir darauf an, nicht automatisch
die Schlussfolgerung zu ziehen, die Sie etwa in Ihre Frage
hineingelegt haben. Dafür gibt es einen einfachen Grund:
Es gibt keine Belege, keine Fakten, nur eine Schätzung.
Zudem hat derjenige - ich sage das, um einen Eckpunkt
zu setzen -, der politisch verfolgt wird, häufig keinen gültigen Pass mehr. Dies ist unter anderem ein Kennzeichen
politischer Verfolgung. Deswegen muss man mit diesem
Umstand sachgerecht umgehen.
Ich rufe jetzt die
Frage 26 des Kollegen Wolfgang Dehnel auf:
Mit welchen erkennungsdienstlichen Maßnahmen will die
Bundesregierung diesen Verhaltensweisen im Umgang mit dem
Gastrecht entgegenwirken, um die ordnungsgemäße Durchführung von Asylverfahren einschließlich zweifelsfreier Identitätsfeststellung gewährleisten zu können?
Dies ist die letzte Frage, die in der heutigen Fragestunde aufgerufen wird. Ich weise jetzt schon darauf hin,
dass wir die Sitzung nicht unterbrechen müssen; denn laut
Plan beginnen wir um 15.35 Uhr mit der Aktuellen
Stunde.
Frau Präsidentin, vielleicht haben
Sie schon geahnt, dass ich jetzt eine längere Antwort parat habe, sodass ich die Zeit voll ausnutzen kann.
Herr Staatssekretär,
Sie kennen die Spielregeln. Es sollte auch noch die
Chance bestehen, zwei Zusatzfragen stellen zu können.
Selbstverständlich.
Nach dem Bericht der unabhängigen Kommission
„Zuwanderung gestalten - Integration fördern“ vom
4. Juli 2001 ist aufgrund fehlender Personaldokumente
eine zweifelsfreie Klärung der Identität und des Verfolgtenschicksals im Asylverfahren häufig nicht möglich. Die
Bundesregierung hat deshalb mit dem Gesetz zur
Bekämpfung des internationalen Terrorismus eine gesetzliche Grundlage für Sprachaufzeichnungen geschaffen,
anhand derer eine identitätssichernde Sprachanalyse zur
Bestimmung des Herkunftsstaates oder der Herkunftsregion durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge auch gegen den Willen des Betroffenen
erfolgen kann. Bislang waren solche Sprachanalysen nur
mit Zustimmung des Asylbewerbers möglich.
Im Jahre 2000 wurden vom Bundesamt circa
700 Sprachanalysen auf freiwilliger Basis durchgeführt.
Im Jahre 2001 waren es circa 1 000. In etwas über 60 Prozent dieser Fälle konnte ein anderer Herkunftsstaat, als im
Asylverfahren angegeben, der Sprache zugeordnet werden. In etwa 30 Prozent der Fälle wurde das vom Asylbewerber angegebene Herkunftsland bestätigt. Für den
Bereich der Sprach- und Textanalyse hat das Bundesministerium des Innern in den laufenden Haushaltsverhandlungen mit dem Bundesministerium der Finanzen
den Sach- und Personaleinsatz für die Haushaltsjahre
2002 und 2003 deutlich erhöht. Künftig sollen Mittel für
rund 15 000 Sprachaufzeichnungen zur Verfügung gestellt werden.
Neben diesen neuen identitätssichernden Maßnahmen
nimmt das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge wie auch schon bisher Lichtbilder und Abdrücke aller zehn Finger der Asylbewerber auf. Die insoweit gewonnenen Unterlagen können gemäß § 16 Abs. 5
des Asylverfahrensgesetzes zur Feststellung der Identität
oder zur Zuordnung von Beweismitteln für Zwecke des
Strafverfahrens oder zur Gefahrenabwehr verarbeitet und
genutzt werden. Durch diese im Rahmen des Gesetzes zur
Bekämpfung des internationalen Terrorismus erfolgte
Neufassung des § 16 Abs. 5 des Asylverfahrensgesetzes
ist es heute möglich, die Fingerabdrücke von Asylbewerbern automatisiert mit dem polizeilichen Tatortspurenbestand des Bundeskriminalamtes abzugleichen. Alle erkennungsdienstlichen Unterlagen aus dem Asylverfahren
können heute entsprechend der durch das Gesetz zur
Bekämpfung des internationalen Terrorismus erfolgten
Änderungen des besagten § 16 zehn Jahre nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens aufbewahrt
werden und stehen somit den Strafverfolgungsbehörden
für längere Zeit zur Verfügung.
Um die Rückführung abgelehnter Asylbewerber zu
verbessern, hat die Bundesregierung mit dem Gesetz zur
Bekämpfung des internationalen Terrorismus darüber hinaus die Möglichkeit geschaffen, an Staatsangehörigen
von Staaten, bei denen Rückführungsschwierigkeiten bestehen, durch die jeweilige Auslandsvertretung der Bundesrepublik Deutschland erkennungsdienstliche Behandlungen vorzunehmen. Im Falle der Verschleierung der
Staatsangehörigkeit nach der Einreise in das Bundesgebiet lässt sich so der Herkunftsstaat zweifelsfrei ermitteln.
Darüber hinaus setzt das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge speziell geschulte Reisewegbeauftragte ein, die Asylbewerber vornehmlich aus
herkunftsstarken Ländern auf freiwilliger Basis nach
ihren Reisemodalitäten befragen. Das Bundesministerium des Innern hat in den laufenden Haushaltsverhandlungen mit dem Bundesministerium der Finanzen den
Sach- und Personaleinsatz für diesen Bereich für die
Haushaltsjahre 2002 und 2003 verdreifacht.
Sie haben es wirklich
fast geschafft. Ich lasse daher jetzt nur noch eine kurze
Zusatzfrage zu und bitte um eine kurze Antwort.
Sie waren ja auch
schon bei uns an der Landesgrenze zu Tschechien. Sie
wissen, dass die Bundesgrenzschützer hervorragende,
aber auch schwierige Arbeit leisten. Wenn Menschen, die
illegal über die Grenze kommen, aufgegriffen werden:
Wie ist dann gewährleistet, dass die Maßnahmen des Erkennungsdienstes angewandt werden können? Denn die
Bundesgrenzschützer können nicht wissen, ob es sich um
Terroristen oder Asylbetrüger handelt.
Ob es eine hundertprozentige Garantie gibt, Erkenntnisse über Personen zu bekommen, die
beispielsweise im Zusammenhang mit bestimmten terroristischen Strukturen stehen, will ich einmal dahingestellt
sein lassen. Aber Sie haben an dem Maßnahmenkatalog,
Herr Dehnel, gemerkt, worum es uns geht und welche
Möglichkeiten wir eingeräumt haben, einen Zusammenhang herzustellen. Dort, wo Erkenntnisse vorliegen, können diese genutzt werden, um beispielsweise jemanden an
der Einreise zu hindern. Auch das ist ein ganz wichtiger
Punkt zur Einreisesituation.
Daher haben wir diese Maßnahmen in dem so genannten Sicherheitspaket 2 vorgesehen. Die Praxis wird zeigen, wie wirksam diese Maßnahmen sein werden. Aber
Sie wissen: Dieses Gesetz ist erst seit dem 6. Januar dieses Jahres in Kraft.
Die Fragestunde ist
beendet. Ich bedanke mich bei dem Staatssekretär.
Ich verweise darauf, dass die noch offen stehenden Fragen für den Bereich des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung - wie üblich - schriftlich beantwortet
werden.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Milliardendefizit in der gesetzlichen Krankenversicherung
Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin für die
Fraktion der CDU/CSU ist die Kollegin Dr. Sabine
Bergmann-Pohl.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Unser Gesundheitssystem leidet. Aus den systemimmanenten Überregulierungen folgt der Zwang zu
ständigen gesetzlichen Nachsteuerungen.
Dies schreibt ein SPD-Gesundheitspolitiker, liebe Frau
Schaich-Walch, am 26. Februar 2002 in seinen elf Thesen
zur notwendigen Neugestaltung des Gesundheitswesens.
Recht hat er.
({0})
Aber in der rot-grünen Gesundheitspolitik herrscht Konzeptionslosigkeit.
({1})
Die Folgen: Die Beiträge explodieren. Die Ausgaben für
Arzneimittel steigen. In einigen Gebieten Ostdeutschlands ist die Versorgung der Bevölkerung durch zunehmenden Ärztemangel ernsthaft gefährdet.
({2})
Die Patienten sind unzufrieden. Staatsdirigismus greift
um sich.
({3})
Wenn Herr Eichel und Herr Riester Geld brauchen,
weil aus Brüssel ein blauer Brief droht, dann wird den Sozialversicherungssystemen durch Verschiebebahnhöfe
Geld entzogen.
({4})
Oder es werden Gesetze wie das Arzneimittelbudgetablösungsgesetz geschaffen, deren In-Kraft-Treten man gar
nicht erst abwartet; denn am nächsten Tag berät man bereits das Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetz mit der
umstrittenen Aut-idem-Regelung. Als Novum wird ein
Ablasshandel mit der Industrie vereinbart. Es wird gefeilscht wie auf einem Basar.
({5})
Wer wundert sich dann noch, wenn diese Regelung
nicht funktioniert, wenn es an den erforderlichen Daten
fehlt und keiner der Beteiligten, insbesondere ältere Patienten, die getroffene Regelung überhaupt akzeptiert?
Frau Ministerin, es hatte doch alles so gut angefangen.
Mit vollmundigen Ankündigungen, es besser machen zu
wollen,
({6})
sind Sie vor gut einem Jahr mit einer so genannten Gesundheitspolitik des Vertrauens angetreten. Am 15. Februar 2001 haben Sie Folgendes gesagt:
Zu einer Kultur des Vertrauens gehört nicht zuletzt
das Vertrauen in die Berechenbarkeit der Finanzierung des Systems.
Jetzt, gut ein Jahr später, ist das Vertrauen bereits aufgebraucht. Sie haben durch Ihre Politik und durch die Politik Ihrer Vorgängerin im letzten Jahr in der gesetzlichen
Krankenversicherung ein Defizit in Höhe von 5,48 Milliarden DM verursacht.
Sie waren vor einem Jahr auch mit der Aussage angetreten:
Dabei geht es nicht nur um Einzelmaßnahmen, sondern wir brauchen ein Gesamtkonzept.
Von diesem Konzept ist bis heute weder etwas zu sehen,
noch sieht man überhaupt einen roten Faden in Ihrer Gesundheitspolitik.
({7})
Frau Ministerin, Sie haben aus den Fehlern Ihrer Vorgängerin wirklich gar nichts gelernt. Anstatt runde Tische
einzuberufen, hätten Sie an einem Gesamtkonzept arbeiten sollen. Statt auf Wünsche von Lobbyisten einzugehen,
hätten Sie die Erfahrungen der Sachverständigen im Gesundheitswesen nutzen sollen. Beratungsresistent haben
Sie und die Koalitionsfraktionen es versäumt, sinnvolle
und vor allen Dingen intelligente Steuerungsmechanismen einzuführen.
({8})
Sie sind in einen puren Aktionismus verfallen und produzieren allenfalls Stückwerk, ein Einzelgesetz nach dem
anderen:
({9})
Kassenwahlrecht mit Wechselverbot, Wohnortprinzip mit
unzureichender Vergütung im Osten, eine Aufblähung des
Risikostrukturausgleichs mit weiteren finanziellen Verwerfungen,
({10})
überstürzte Einführung eines DRG-Systems mit Verschiebebahnhöfen in den ambulanten Bereich - das ist nur
eine kleine Kostprobe dieser vielen Gesetze. Alle diese
Gesetze waren nicht aufeinander abgestimmt.
({11})
Sie lassen eine grundlegende Reform der Krankenversicherung vermissen, Herr Schmidbauer,
({12})
die den Leistungserbringern eine verlässliche Zukunft
und den Patienten die notwendige medizinische Versorgung sichert. Defizite und Zweiklassenmedizin sind die
Folgen Ihres Handelns.
({13})
Der jetzige Kanzler ist mit dem Slogan angetreten:
„Wir wollen nicht alles anders, aber vieles besser machen.“
({14})
- Was darunter zu verstehen ist, sehen wir, Frau SchmidtZadel: mehr Arbeitslose mit Firmenpleiten ohne Ende,
durch Reglementierung der Wirtschaft Schlusslicht in Europa,
({15})
eine chaotische Gesundheitspolitik und - wie in den Medien zu hören und zu lesen ist - ein Korruptionsskandal
der SPD, der seinesgleichen sucht.
({16})
Es wird Zeit, dass Sie abgewählt werden.
({17})
Das Wort hat die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt.
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte mich zu dem letzten Punkt nicht äußern. Bei manchen Dingen hätte man lieber geschwiegen.
({0})
Die gesetzliche Krankenversicherung hat das Jahr
2001 bei einem Ausgabevolumen von rund 138 Milliarden Euro mit einem Defizit von rund 2,8 Milliarden Euro
abgeschlossen. Der durchschnittliche Beitragssatz wird
sich nach dreijähriger Beitragssatzstabilität in diesem
Jahr bei etwas unter 14 Prozent einpendeln.
({1})
Wer bei dieser Zahl von Rekorddefiziten in der gesetzlichen Krankenversicherung
({2})
oder von einem Rekordanstieg bei den Beitragssätzen
spricht, Frau Bergmann-Pohl, hat vergessen, was in der
Regierungszeit von CDU/CSU und FDP gemacht wurde.
({3})
Es kann sein, dass Sie ein kurzes Gedächtnis haben: Was
stört mich das, was ich gestern getan habe.
({4})
Wenn wir uns die Rekorddefizite und die Beitragssatzentwicklung anschauen, müssen wir feststellen, dass wir
allemal besser waren.
({5})
Meine liebe Kollegin ich sage Ihnen eines: 1992 - Sie
brauchen gar nicht zu lachen - hatten Sie eine Defizit von
4,8 Milliarden Euro bei einem Ausgabevolumen von
108 Milliarden Euro und 1995 ein Defizit von 3,7 Milliarden Euro bei einem Ausgabevolumen von 124 Milliarden Euro. 1996 - hören Sie zu - hatten Sie ein Defizit von
3,6 Milliarden Euro bei einem Ausgabevolumen von
128 Milliarden Euro. In der Zeit von 1991 bis 1998 stieg
der durchschnittliche Beitragssatz von 12,3 Prozent auf
13,6 Prozent.
({6})
Allein im ersten Jahr Seehofer lag der Anstieg bei 0,7 Beitragssatzpunkten.
Worin bestand Ihre Lösung? Was war das Intelligente,
das Sie immer wieder versucht haben?
({7})
Sie haben nur eine Antwort gekannt: Beitragssatzerhöhungen, Leistungsausgrenzungen und immer mehr Zuzahlungen der kranken Menschen. Das war ihre einzige
Antwort.
({8})
Mit Ihren Spargesetzen der Jahre 1996 und 1997 haben
Sie durch Zuzahlungserhöhungen und Leistungsausgrenzungen 6 Milliarden Euro von den Versicherten geholt:
({9})
Anhebung der Zuzahlungen bei Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, Zahnersatz, Krankenhausbehandlung, Fahrtkosten,
Vorsorge- und Rehamaßnahmen, außerdem die Absenkung
des Krankengeldes, die Ausgrenzung des Zahnersatzes für
Kinder und Jugendliche und den Ausschluss von allen
Präventionsmaßnahmen.
({10})
Kommen Sie nicht mit dem Argument, dies alles hätte
einem guten Zweck gedient, nämlich dem Aufbau des ostdeutschen Gesundheitswesens.
({11})
Das können Sie wiederholen, so oft Sie wollen, meine Damen und Herren. Es wird dadurch nicht richtiger.
({12})
Bis 1998 gab es überhaupt keinen Kassenarten übergreifenden West-Ost-Transfer; dennoch ist allein im Westen
der Beitragssatz von 12,2 Prozent auf 13,6 Prozent gestiegen.
({13})
1998 gab es zum ersten Mal einen krankenkasseninternen
Ausgleich.
({14})
Erst 1999 gab es zum ersten Mal einen auf 1,2 Milliarden DM begrenzten Transfer von West nach Ost. Wir haben die Begrenzung aufgehoben und dafür gesorgt, dass
sich die ostdeutschen Kassen endlich entschulden konnten und dass die Angleichung der Gesundheitssysteme in
Ost und West auf den Weg gebracht werden konnte.
({15})
Sie haben nichts für den Osten getan. Sie haben im Westen Defizite verursacht und die Beitragssätze angehoben
bei immer mehr und höheren Belastungen der Patienten
und Patientinnen. Sie können das Gegenteil so oft wiederholen, wie Sie wollen.
({16})
Jeder kann in die Gesetze schauen.
Vergessen Sie eines nicht, meine Damen und Herren:
Ich bin gegenwärtig die Ministerin in einem Ministerium,
({17})
dem Herr Seehofer vorgestanden hat und in dem mir all
das aufgelistet werden kann, was zu Ihren Zeiten passiert
ist. Machen Sie sich darüber keine falschen Vorstellungen!
Angesichts dessen, was wir an West-Ost-Transfer auf
den Weg gebracht haben - wobei es uns gelingt, die ostdeutschen Kassen zu entschulden - unterstützen Sie die
Klage Ihres Kanzlerkandidaten und anderer CDU-regierter Länder und wollen den Risikostrukturausgleich abschaffen, wodurch die ostdeutschen Kassen wieder in eine
desolate Situation kämen.
({18})
- Ich sage nicht bewusst die Unwahrheit.
({19})
Sie wollen das nicht hören. Sie müssen auch einmal zu
Ihren Taten stehen, lieber Herr Kollege,
({20})
und nicht in dem einen Bundesland das eine sagen und in
dem anderen etwas anderes.
({21})
Zu den Arzneimittelausgaben. Frau Kollegin BergmannPohl, Sie haben in einem Recht: Zwei Drittel der Mehrausgaben und des Defizits sind auch der Steigerung der Arzneimittelausgaben geschuldet. Das liegt nicht in erster Linie
daran,
({22})
dass mehr verordnet wurde - das kann man nachprüfen -,
({23})
sondern es wurden mehr teure Medikamente verordnet.
({24})
Auch dafür gibt es zwei Gründe. Der eine Grund ist, dass
es wirkliche Innovationen gibt.
({25})
Jeder weiß, dass nur dann geforscht und entwickelt wird,
wenn sich das anschließend auch im Preis niederschlägt;
sonst setzt die Industrie die Forschung nicht fort. Bei
wirklichen Innovationen habe ich nichts dagegen.
({26})
Was aber falsch ist und wo wir ansetzen müssen, ist,
dass viel zu viele teure Arzneimittel verschrieben wurden,
obwohl sie keinen erhöhten therapeutischen Nutzen gegenüber anderen Medikamenten haben, die sich bereits
auf dem Markt befinden.
({27})
Deshalb kann eine intelligente Arzneimittelpolitik nur bei
der Steuerung ansetzen.
Ich erläutere Ihnen, was wir mit dem Ausgabenbegrenzungsgesetz auf den Weg gebracht haben - dazu stehe ich
nach wie vor.
({28})
Erstens. Die Menschen sollen die Innovationen bekommen, die sie brauchen, um bisher nicht heilbare Krankheiten zu bekämpfen oder auch ihre Lebensqualität zu erhöhen.
({29})
Dafür brauchen wir Geld.
Zweitens. Ich erwarte, dass überall da, wo es medizinisch-therapeutisch gleichwertige Medikamente gibt, die
Ärzte und Ärztinnen das Wirtschaftlichkeitsprinzip beachten, weil nur dann sicherzustellen ist, dass auch morgen noch die Menschen die teuren Innovationen verschrieben und von der Kasse ersetzt bekommen.
Drittens. Wir werden neue Arzneimittel danach bewerten, ob sie gegenüber anderen einen erhöhten therapeutischen Nutzen haben.
({30})
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, das ist
eine Arzneipolitik, die auf Dauer die medizinische Versorgung der Menschen und hohe Qualität bei bezahlbaren
Preisen sicherstellt. Wir machen damit Schluss mit einer
Politik, die die Probleme in der gesetzlichen Krankenkasse nur zulasten der Kranken gelöst hat.
Vielen Dank.
({31})
Für die FDP-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Dr. Dieter Thomae.
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Es steht eindeutig fest:
1998, als Sie die Regierung übernommen haben, konnten
die Krankenkassen ein nennenswertes Plus vorweisen.
Heute haben sie - das steht definitiv fest - ein nennenswertes Minus.
({0})
Die medizinische Versorgung ist nicht besser geworden. Aufgrund Ihrer Budgetierungspolitik sind viele Leistungen nicht mehr erbracht worden. Die Mediziner können nicht mehr alle Arzneimittel, krankengymnastischen
und logopädischen Maßnahmen verschreiben, weil ihr
Budget erschöpft ist. Daran ändert auch nichts, dass Sie
glauben, mit der Beseitigung des Arzneimittelbudgets sei
das Problem gelöst.
({1})
Ein weiterer wichtiger Punkt ist: Aufgrund Ihrer Budgetierungspolitik sinkt der Punktwert. Hier gibt es große
Probleme; denn gerade in den neuen Bundesländern werden viele Praxen nicht mehr besetzt. Darunter leidet die
medizinische Versorgung in den neuen Bundesländern
massiv. Dies haben Sie zu verantworten.
({2})
Sie machen nun bestimmte Gruppen für das Defizit der
Krankenkassen verantwortlich. Sie beschimpfen die
Ärzte, weil sie zu viele Arzneimittel verschrieben. Man
muss aber feststellen, dass aufgrund Ihrer strengen
Budgetierung hochinnovative Arzneimittel für chronisch
Kranke über viele Wochen und Monate hinweg nicht verschrieben wurden. Diese leiden am meisten unter Ihrer
Politik. Das, was Sie betreiben, ist schlimmer als eine
Zweiklassenmedizin.
({3})
Sie beschimpfen auch die Krankenkassen, weil diesen
die Verwaltungsausgaben davonliefen. Die steigen in der
Tat. Wenn man aber sieht, welche Einzelgesetze Sie auf
den Weg gebracht haben und welche Auswirkungen diese
auf die Verwaltung der Krankenkassen haben, dann darf
man sich nicht wundern, dass zusätzliche Ausgaben im
Verwaltungbereich getätigt werden.
Sie alle wissen: Wir wollen Disease-Management-Programme, aber nicht im Zusammenhang mit dem Risikostrukturausgleich. Ihre Konzeption der Disease-Management-Programme bedeutet eine nennenswerte Ausweitung
der Verwaltungstätigkeiten der Krankenkassen. Dies hat
mir das Bundesversicherungsamt bestätigt. Ich könnte Ihnen noch andere Bereiche nennen, in denen Sie die Verwaltungsausgaben der Krankenkassen durch planwirtschaftliche Instrumente nach oben treiben. Dafür sind Sie
mit Ihrer Konzeption verantwortlich.
({4})
Man ist angesichts der unterschiedlichen Vorschläge
aus Ihren Reihen, was in Zukunft im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gemacht werden soll, fassungslos. Herr Gerster hat Vorschläge gemacht, die in Ihrer Fraktion nicht mehrheitsfähig sind. Auch das Bundeskanzleramt
scheint seine eigenen Vorstellungen zu haben. Nur von
der SPD-Bundestagsfraktion höre ich überhaupt nichts.
({5})
Die Gesundheitsministerin sagt jeden Tages etwas anderes. Einmal möchte sie diesen Weg und ein anderes Mal
jenen Weg gehen.
Sie sind stolz auf das Ausgabenbegrenzungsgesetz. Ich
sage Ihnen: Sie werden in zwei Punkten Schiffbruch erleiden. Sie werden mit der Aut-idem-Regelung Schiffbruch erleiden.
({6})
Ich sage Ihnen auch voraus: Sie werden das Thema der
Reimporte und der Parallelimporte wieder von der Tagesordnung streichen müssen; denn das, was Sie planen, wird
nicht funktionieren. Dann werden die Einsparungen, von
denen Sie träumen, völlig dahin sein.
Die Gesundheitspolitik wird im Kanzleramt und im Ministerium, aber nicht mehr in der Fraktion gemacht. Es ist
eigentlich sehr bedauerlich, dass sich die Fraktion mit
ihren Konzepten und Vorstellungen nicht durchsetzen
kann. Wir erwarten auch von der SPD-Bundestagsfraktion
eindeutige Konzepte, aus denen hervorgeht, wie sie nach
der Bundestagswahl die Gesundheitspolitik organisieren
will. Dazu hören wir, wie gesagt, nichts. Das ist traurig.
Die Ministerin hat versagt. Wir stehen vor einem
Scherbenhaufen. Es wird Zeit, dass wir Rot-Grün ablösen.
({7})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Katrin
Göring-Eckardt.
Liebe Kolleginnen, Liebe Kollegen! Die Finanzentwicklung der GKV - wir haben es bereits gehört zeigt natürlich deutlich, dass wir Handlungsbedarf haben.
({0})
Es besteht auch Bedarf für Konzepte über diese Legislaturperiode hinaus, die wir als Bundesregierung vorgelegt
haben. Sie, Herr Thomae, haben keinen einzigen Vorschlag geliefert. Das ist keine Politik.
({1})
Wir erwarten von Ihnen keine Konzepte, aber den einen
oder anderen Vorschlag könnten Sie hier schon liefern,
wenn Sie es ernst meinen.
({2})
Es ist hier bereits gesagt worden: Die GKV hat in der
Tat mit einem Defizit von 2,8 Milliarden Euro abgeschlossen. In Westdeutschland lag das Defizit bei über
2,9 Milliarden Euro, im Osten, Herr Thomae, wurde erfreulicherweise ein Überschuss von 0,12 Milliarden Euro
erzielt.
({3})
Wenn man die Ursachen dieser Finanzentwicklung beurteilen will, muss man genau hinsehen. Man kann Ihnen
den Hinweis nicht ersparen, dass die Ursachen eben wirklich nur zu einem ganz geringen Teil kurzfristig sind. Vielmehr liegen sie in Ineffizienzen des Systems, die Sie in
Ihrer Regierungszeit gefördert haben und die nicht
kurzfristig zu heilen sind.
({4})
Die Opposition betreibt - damit wird sie nicht durchkommen - Täuschung der Öffentlichkeit, indem sie die
Ursachen für die Finanzentwicklung der Krankenkassen
einseitig der jetzigen Bundesregierung zuschieben will.
Sie wollen damit von Ihren eigenen Fehlern ablenken. Im
Unterschied zu Ihnen doktern wir nicht kurzfristig an
Symptomen herum, sondern wir sagen sehr klar: Es müssen langfristig Änderungen her.
({5})
- Ich werde es Ihnen gleich sagen.
Schauen wir uns doch erst einmal die Rekorddefizite
der Krankenkassen an - sie lagen alle in Ihrer Regierungszeit -: 4,8 Milliarden Euro, 3,7 Milliarden Euro und
3,6 Milliarden Euro in den Jahren 1992, 1995 und 1996.
Gezahlt haben das die Versicherten und die Unternehmen.
Herr Thomae, Sie haben gerade von einem Plus geredet,
das Sie uns übergeben haben. Das war vor allen Dingen
ein Plus, das die Patientinnen und Patienten, die Versicherten, zu zahlen hatten
({6})
mit erhöhten Zuzahlungen, die wir zurückgenommen haben. Das war richtig. Das Zuzahlungsvolumen der Patientinnen und Patienten ist im Zeitraum von 1991 bis 1998
von 0,6 Milliarden Euro auf 2,8 Milliarden Euro gestiegen.
({7})
Die rot-grüne Regierung hat das zu Recht zurückgenommen. Wir haben zu Recht eine Einschränkung vorgenommen, weil wir der Meinung sind, dass die zusätzlichen
Kosten im Gesundheitssystem nicht ausgerechnet auf
dem Rücken der Patientinnen und Patienten ausgetragen
werden können.
({8})
Die externen Ursachen durch Kostensteigerungen aufgrund zunehmender Alterung der Bevölkerung oder durch
medizinischen Fortschritt sind von der Politik nicht beeinflussbar. Das wissen Sie auch und Sie sollten die Menschen nicht für dumm verkaufen.
({9})
Sie wissen sehr wohl, wo welche Ursachen wofür liegen.
Es geht darum, die Verteilung der gesellschaftlichen
Kosten durch die Politik zu steuern. Da haben Sie sich nun
wirklich nicht mit Ruhm bekleckert, gerade die FDP
nicht, die vor allen Dingen Lobbypolitik gemacht hat.
({10})
Eine geplante langfristige Reform und nicht Planwirtschaft ist zehnmal besser als Lobbypolitik zum Nachteil
der Versicherten.
Wir betreiben keine Kostenverlagerung zuungunsten
der Patientinnen und Patienten.
({11})
Der Weg der Konsolidierung der Kassen ist mühsam und
lässt sich nicht von heute auf morgen bewerkstelligen.
Wenn Sie das Gegenteil behaupten, betreiben Sie vor allen Dingen Augenwischerei. Es geht um eine langfristige
Reform. Schauen Sie sich an, was beispielsweise im
Krankenhausbereich passiert ist! Dort betrug die Kostensteigerung in den Jahren 1991 bis 1995 8 Prozent, in den
letzten drei Jahren hatten wir eine Kostensteigerung von
gerade einmal 1 Prozent.
({12})
Hier wurden in der Tat Wirtschaftlichkeitsreserven erschlossen
({13})
und mit dem Fallpauschalengesetz werden wir jetzt eine
langfristige Kostenstabilisierung hinbekommen. Ich kann
Ihnen nur empfehlen: Machen Sie deutlich, dass Sie hier
tatsächlich mit an einem Strang ziehen!
({14})
Hauptursache für das Defizit ist der Arzneimittelsektor.
({15})
Die Ministerin hat deutlich gesagt, was hierzu zu sagen
ist. In der letzten Zeit sind vor allen Dingen teure
Medikamente ohne einen wirklichen Zusatznutzen verschrieben worden. Dieses Problem packen wir mit dem
neuen Gesetz an. Hier kann man nur sagen: Mehr ist
eben nicht immer mehr. Deswegen machen wir nicht
eine einfache Politik nach dem Motto „Mehr Geld ins
System“
({16})
oder nach dem Motto „Die Versicherten und Patientinnen
und Patienten werden es schon irgendwie bezahlen“, sondern wir machen eine Politik
({17})
nach dem Motto: Langfristige Probleme müssen langfristig gelöst werden.
({18})
Deswegen braucht man langfristige Konzeptionen, mit
denen die Zusammenarbeit im Gesundheitswesen gestärkt wird, die integrierte Versorgung gefördert wird und
das System der Stärkung von Hausärztinnen und Hausärzten gestützt wird.
({19})
Damit kommen wir voran und nicht mit kurzfristiger
Rumdokterei, wie Sie sie jahrelang betrieben haben und
offensichtlich wieder betreiben wollen. Das wird nicht so
kommen. Dafür können die Patientinnen und Patienten
und die Versicherten nur dankbar sein.
Vielen Dank.
({20})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Ruth Fuchs für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich hätte mich regelrecht gewundert, wenn Sie für heute nicht diese Aktuelle
Stunde beantragt hätten.
({0})
Das war ein gefundenes Fressen, sozusagen eine Retourkutsche zu der Aktuellen Stunde vom letzten Mal. Ich
sage dazu nur: Der Wahlkampf hat begonnen.
({1})
Richtig ist natürlich, dass die wachsenden Defizite in
der gesetzlichen Krankenversicherung ein ernst zu nehmendes Problem sind. Richtig ist auch die Feststellung,
dass Verursacher dieses Problems in erster Linie schon die
jetzige Bundesregierung ist. Aber Ihre Kritik, meine Damen und Herren von der rechten Seite dieses Hauses, hat
für mich einen ganz bitteren Beigeschmack, doch dazu später. Zunächst einmal möchte ich einige Bemerkungen zu
den gegenwärtigen Defiziten und ihren Ursachen machen.
({2})
Frau Ministerin Schmidt, es ist auch unsere Auffassung
damals gewesen, dass die Aufhebung des Arzneimittelbudgets und des Kollektivregresses ein notwendiger
Schritt ist, aber wir haben von Anfang an gesagt, dass die
vorschnelle Abschaffung dieser Instrumente, ohne dass
man andere funktionstüchtige Instrumente zur Verfügung
hat, eine Fehlentscheidung ist. Wir sehen jetzt auch, was
dabei herausgekommen ist.
Sie haben das ebenfalls sehr schnell erkannt und haben
sehr aktiv versucht, Schadensbegrenzung zu betreiben.
Die Festbetragsregelung und das ArzneimittelausgabenBegrenzungsgesetz, das Sie auf den Weg gebracht haben,
enthielten aber viele Halbheiten und haben zum Teil sogar
neue Probleme geschaffen. Doch der schwerwiegendste
Fehler der Bundesregierung war unserer Meinung nach,
die Politik der sozialpolitischen Verschiebebahnhöfe
nicht zurückzunehmen, obwohl Sie das vor der Wahl versprochen haben.
Richtig ist, dass Sie von der früheren Regierung 5 bis
6 Milliarden jährliche Einnahmeverluste der GKV übernommen haben
({3})
- ja, übernommen haben -, aber Sie haben dann das genaue Gegenteil von dem getan, was Sie gesagt haben. Sie
haben nämlich durch weitere Beschneidung der Bemessungsgrundlagen
({4})
bei den Arbeitslosenhilfebeziehern die Einnahmeseite der
GKV verschlechtert.
({5})
In dem Wissen um die demographische Entwicklung und
den medizinischen Fortschritt, in dem Wissen darum, dass
der medizinische Bedarf und damit die Ausgabenseite
steigt, und in dem Wissen darum, dass, wie Herr Thomae
vorhin schon gesagt hat, die Grundlohnsumme, gemessen
am Bruttoinlandsprodukt, zurückgeht,
({6})
hätten Sie das einfach nicht tun dürfen.
({7})
Die Hoffnung, dass die Arbeitslosenzahlen zurückgehen
oder dass durch die Gesundheitsreform 2000 von heute
auf morgen Wirtschaftlichkeitsreserven erschlossen werden können - Sie haben den Fehler gemacht, das zu glauben; ohne Zweifel werden dadurch aber nur auf längere
Sicht Wirtschaftlichkeitsreserven erschlossen -, hat sich
nicht erfüllt; es ist eine Hoffnung geblieben. Somit sind
die Defizite in der GKV schon hausgemacht. Die Verantwortung dafür hat die rot-grüne Regierung zu tragen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU, davon mag man sich eine Art Wahlkampfvorteil versprechen, aber ich sage Ihnen: Die Menschen
draußen haben so manches nicht vergessen. Sie sind - wie
man immer so sagt - nicht so dumm, wie man meint. In
diesen Zusammenhang gehört auch, dass die jetzige Regierung in dieser Legislaturperiode insgesamt bestrebt
war, etwas von den Belastungen zurückzunehmen, die die
dritte Stufe der seehoferschen Gesundheitsreform für die
Versicherten gebracht hat. Ich will nur folgende nennen:
steigende Zuzahlungen und Selbstbeteiligung, Leistungskürzungen; ich erinnere nur an die unsägliche Streichung
der Erstattung für Zahnersatz für Kinder und Jugendliche.
({8})
Vorgesehen war das auch für die gesamte Bevölkerung.
Niemand, so glaube ich, hat auch vergessen, dass Sie Elemente der privaten Krankenversicherung wie Selbstbehalte und Beitragsrückerstattung einführen wollten,
({9})
die über kurz oder lang die Substanz des Solidarausgleichs zerstört hätten.
({10})
- Lieber Kollege Thomae, ich möchte Sie gar nicht erst an
die Blamage mit dem Krankenhausnotopfer erinnern.
({11})
Lieber Kollege Parr und liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, was ist von Ihnen heute zur Zukunft des Gesundheitswesens zu hören? - Es sind die alten Sprüche, nur ein bisschen weniger klar ausgedrückt.
Sie klingen ein bisschen verschwommener.
({12})
Nach wie vor sprechen Sie von Eigenverantwortung. Was
ist die Versicherung denn anderes? Aufgrund der Versicherungsbeiträge besteht doch eine hohe Eigenverantwortung.
Bei Ihnen sieht das so aus: Die CDU ist für Regel- und
Wahlleistungen, die CSU hat sich zurzeit mehr auf Selbstbehalte, Kostenerstattung und Systeme der Leistungsabwahl durch Versicherte verlegt. Im Klartext heißt das:
Auffrischung der dritten Stufe der Gesundheitsreform und
Zerschlagung des Solidargedankens.
({13})
- Und die PDS? Das habe ich Ihnen, Herr Thomae, doch
schon immer gesagt: Wir sind für Gesundheitsreformen,
die den Solidargedanken erhalten.
Wir haben auch Finanzvorschläge. Nachher gehen wir
hinaus und ich gebe Ihnen unsere Finanzvorschläge.
Frau Fuchs, Sie müssten jetzt vom Pult weggehen, weil Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Ich habe das Dringendste und
Notwendigste angesprochen. Das Schlimme ist nur, dass
die ganze Debatte, die wir hier führen, Wahlkampf pur ist.
Die tatsächlichen Probleme werden durch solche Aktuellen Stunden nicht geklärt und den Menschen draußen, die
unter den Defiziten leiden, hilft unser Gequatsche hier
nicht.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Martin Pfaff für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass die CDU/CSU dieses Thema
jetzt aufgreift, wundert niemanden.
({0})
Das gehört zum Parlamentarismus.
({1})
Dass sie das in einem Wahljahr tut, verwundert noch weniger. Was aber verwundert und vielleicht auch zu kritisieren ist, ist die Qualität der Argumente, die hier vorgetragen werden.
Das Kurzzeitgedächtnis ist wirklich erstaunlich. Die
Ministerin hat darauf hingewiesen - ich sage es noch einmal -: 1992 9,3 Milliarden DM Defizit, 1995 7,1 Milliarden DM Defizit, 1996 6,9 Milliarden DM Defizit. Das
sollten Sie zumindest erwähnen.
({2})
Damals gab es noch die D-Mark.
({3})
- Auf 1998 komme ich gleich noch zu sprechen. Ich sage
deshalb: Wer im Glashaus sitzt, sollte wahrlich nicht mit
Steinen werfen.
({4})
In Ihren bisherigen Beiträgen wurde die Gesundheitspolitik auf die Finanzpolitik verkürzt. Den Erfolg der Gesundheitspolitik nur an Defiziten oder Überschüssen zu
messen, wie Sie es tun, ist eine sehr verengte Sicht der
Dinge.
Man muss die Ursachen berücksichtigen: die leider anhaltende Arbeitslosigkeit; die leider eingetretene konjunkturelle Abkühlung; die Steigerung der Einkommen
der Mitglieder um nur 1,6 Prozent; die Fehlsteuerung im
Arzneimittelsektor und - das sage ich frank und frei - die
Verschiebebahnhöfe, die wir von der Vorgängerregierung
geerbt haben,
({5})
- ja, sowie die von uns selbst zu verantwortenden Verschiebebahnhöfe. Keiner von uns glaubt doch, dass es
solche Sparaktionen, die auch zulasten der gesetzlichen
Krankenversicherung gehen, gegeben hätte, wenn wir
keine Schulden in Höhe von 1,5 Billionen DM geerbt
hätten.
({6})
Viel wichtiger ist noch, dass ein Teil der Ausgaben
durchaus gewollt ist, weil sie die Versorgung verbessern:
Sozio- und Psychotherapie, Prävention, Ausweitung der
Rehamaßnahmen, Patientenförderung, Disease Management, Zahnersatz bei Jugendlichen, neu geschaffene
Institutionen der Selbstverwaltung zur Qualitätsverbesserung, Weiterbildung im Bereich der Allgemeinmedizin,
Methadonbetreuung.
({7})
Es gibt auch solche Maßnahmen, die die Verteilungsgerechtigkeit erhöht haben: Senkung der Zuzahlung,
({8})
Härtefallregelungen für chronisch Kranke, Neuregelungen bei der Krankenversicherung der Rentner, Abschaffung des Krankenhausnotopfers. Das sind doch qualitative Verbesserungen im System.
({9})
Deshalb sage ich: Defizite haben eine unterschiedliche
Qualität.
Was man zu Ihrer Klage gegen den Risikostrukturausgleich auch immer sagen mag: Tatsache ist, dass ohne diesen die Beitragssätze in Mecklenburg-Vorpommern um
1,5 Prozent höher wären; Tatsache ist auch - das muss
man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen -, dass die
Beitragssätze der AOKen in den neuen Ländern um rund
6 bis 7 Beitragssatzpunkte höher lägen. Selbst in
Baden-Württemberg - ({10})
- Ja, wohlgemerkt außer Sachsen. Das ist völlig richtig.
Selbst in Bayern - auch darauf muss ich hinweisen wären die Beitragssätze 1,7 Prozentpunkte höher.
({11})
- Ich sagte ja nicht, dass Sie es abschaffen wollen, ich
sagte nur, dass jeder, der das relativiert, also auch Sie, sich
das vergegenwärtigen muss.
Dann wurde noch der Überschuss des Jahres 1998 angesprochen. Wer nicht darauf hinweist, dass dieser Überschuss nur durch erhebliche Leistungskürzungen und eine
enorme Ausweitung der Selbstbeteiligung erzielt werden
konnte, ist unredlich.
({12})
Die Kürzung von Leistungen, die Erhöhung der Zuzahlung - all das ist Kunst der Primitiven; das kann jeder machen.
({13})
Ausgaben einfach auf die Haushalte der Kranken und Alten zu übertragen, das ist in meinen Augen auch kein Ausdruck von Staatskunst. Das ist der Weg der Privatisierung
und Entsolidarisierung, für genau den Sie im Jahr 1998
die politische Quittung bekommen haben.
({14})
Dazu, dass die Instrumente der Entsolidarisierung
- Selbstbeteiligungen, Kostenerstattung, Beitragsrückgewähr usw. - in einem früheren CSU-Papier sogar als Ausdruck von Eigenverantwortung bezeichnet wurden, kann
ich nur sagen: Wer Jahr für Jahr Beiträge zur gesetzlichen
Krankenversicherung gezahlt hat, um im Alter im Krankheitsfalle Leistungen in Anspruch nehmen zu können, der
hat wahrlich genügend Selbstverantwortung gezeigt. Deshalb sind Ihre Vorschläge insbesondere angesichts der Zuzahlungen, die von Ihnen verantwortet werden müssen,
und der Tatsache nicht überzeugend, dass in den Jahren,
in denen Sie Regierungsverantwortung getragen haben,
trotz dieser Privatisierungsmaßnahmen die Beitragssätze
um über 2 Prozentpunkte gestiegen sind. Da muss man etwas sorgfältiger herangehen.
({15})
Wenn Sie wirklich ernst genommen werden wollen,
dann sollten Sie den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes, während Sie ihnen in die Augen schauen, gleichzeitig sagen: Mit uns gäbe es kein Defizit, aber wir hätten
eure Selbstbeteiligungen erhöht, eure Leistungen gekürzt
und trotzdem noch die Beiträge erhöhen müssen. Wenn
Sie in der jetzigen Situation so handeln würden, zeigten
Sie Courage.
({16})
Ansonsten wird Ihre Aufregung schnell als Bestandteil
von Wahlkampfgeplänkel enttarnt werden.
({17})
Der nächste Redner ist
der Kollege Aribert Wolf für die Fraktion der CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die rot-grüne Koalition kann sich bemühen, ihre Gesundheitspolitik schönzureden, wie sie will; aber die Fakten sprechen eine andere Sprache.
({0})
Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland sind zur gleichen Zeit im Gesundheitswesen so viele
negative Faktoren
({1})
zusammengekommen wie unter dieser rot-grünen Bundesregierung.
({2})
Erstens. Die finanzielle Lage der Krankenkassen ist
desolat: ein Defizit von 2,8 Milliarden Euro! Frau
Schmidt, sagen Sie wenigstens wie der Kollege Pfaff die
Wahrheit, nämlich dass die Krankenkassen beim RegieDr. Martin Pfaff
rungswechsel ein Plus von 1,1 Milliarden DM aufwiesen,
und reden Sie nicht von Schulden, die Sie übernommen
hätten.
({3})
Dass dieses Defizit kein Pappenstiel ist, Frau Schmidt,
sehen Sie daran, dass der Kollege Eichel, als er den blauen
Brief aus Brüssel angedroht bekommen hat, versucht hat,
die Schuld für das Defizit, das Deutschland zu verzeichnen hat, auf die Länder und Kommunen zu schieben. Aber
eigentlich hätte er sich erst einmal Sie, Frau Schmidt, vorknöpfen müssen, denn das Minus von 2,8 Milliarden Euro
bei den Krankenkassen, das Sie zu verantworten haben,
liegt doppelt so hoch wie das Minus, das alle Gemeinden
in ganz Deutschland aufgehäuft haben. Daran erkennen
Sie, wer die wirkliche politische Verantwortung dafür
trägt, dass sogar Europa die Politik der rot-grünen
Bundesregierung rügt.
({4})
Zweitens. Herr Pfaff, wir kritisieren nicht nur das finanzielle Defizit, sondern wir kritisieren auch, dass die
Qualität der Versorgung der Patienten durch die Leistungserbringer, also die Pfleger und die Ärzte, immer weiter zurückgeht, weil der Budgetdruck immer weiter
wächst, Sie aber keinerlei Reformen auf den Weg bringen
wollen. All das hinterlässt seine Spuren.
({5})
Wir haben also erstens ein Milliardendefizit, zweitens
eine schlechter werdende Versorgung und drittens Rekordbeitragssätze.
({6})
Noch nie mussten die Bundesbürger für die gesetzliche
Krankenversicherung so viel bezahlen wie unter dieser
Regierung. Allein im Jahr 2001 sind die Beitragssätze von
13,5 auf 14 Prozent gestiegen.
({7})
Hinzu kommt noch ein vierter Negativpunkt. Vier Negativpunkte auf einmal hat es noch nie gegeben. Sie haben ja noch nicht einmal ein Konzept, wie Sie darauf reagieren wollen.
({8})
Bis jetzt hat jede Regierung, die Defizite und steigende
Beitragssätze feststellen musste, gehandelt. Sie aber sind
nicht einmal in der Lage zu handeln, denn Sie wissen
nicht, was Sie tun sollen.
({9})
Es stehen weitere dunkle Wolken am Horizont, die den
Kostendruck eher erhöhen werden als etwas Positives erwarten lassen. Sie wissen alle, wie es um die Entwicklung
der Altersstruktur in unserer Bevölkerung bestellt ist und
was der medizinische Fortschritt, der ja nicht stehen
bleibt, sondern weiter voranschreitet, kostet. Ohne Konzept, nur mit einzelnen Steinchen werden Sie die hereinstürzenden Wassermassen nicht aufhalten können, sondern Sie werden unaufhaltsam hinweggeschwemmt
werden.
Und welche Einzelmaßnahmen das sind! Frau Kollegin Bergmann-Pohl hat sie angesprochen. Während Sie
den Pflegekräften in den Krankenhäusern und auch den
Krankenhausärzten, die alle über eine ungeheure Arbeitsbelastung klagen, keine Perspektive bieten, erlauben Sie
der Pharmaindustrie in einem höchst fragwürdigen Akt,
für 400 Millionen DM ein ihr unangenehmes Gesetz abzukaufen. Damals hat es bereits begonnen, nach Kölner
Klüngel zu riechen.
({10})
Das sehen auch die Bundesbürger so. Zwei Drittel
äußern sich unzufrieden mit Ihrer Gesundheitspolitik. Es
wird höchste Zeit, dass Sie zugeben, dass Sie die selbst
gesteckten Ziele, die Sie in Ihre Koalitionsvereinbarung
hineingeschrieben haben, bei weitem verfehlt haben.
Wenn man selber keine Konzepte hat, bleibt einem in
der Not nur noch eines - auch das haben Sie hier wieder
eindrucksvoll bewiesen, Frau Schmidt -: Man greift zu
Lügen. Man greift zu der Lüge, dass Bayern den Risikostrukturausgleich abschaffen will. Die Wahrheit ist, Frau
Schmidt, dass es eine Klage - nicht ein Gesetz oder dergleichen - der Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen beim Bundesverfassungsgericht gibt. Es
soll rechtlich überprüfen, ob es gerecht ist, wie Sie den Risikostrukturausgleich organisiert haben. Kein Mensch
will die Solidarität zwischen West und Ost abschaffen,
kein Mensch will den Risikostrukturausgleich, den Finanzausgleich, die Finanzströme zwischen West und Ost
abschaffen. Aber es muss gerecht zugehen, Frau Schmidt.
Das soll das Bundesverfassungsgericht überprüfen, nichts
anderes!
({11})
Sie haben nur Angst davor, dass das Gericht feststellt,
dass das, was Sie tun, nicht richtig ist, weil es nicht richtig sein kann, dass eine Kasse mehr Geld aus dem Ausgleichstopf bekommt, als sie selber für Leistungen bezahlt. Es kann nicht sein, dass jemand, der etwas bezahlt,
mehr gutgeschrieben bekommt, als er tatsächlich bezahlen muss. Das soll das Bundesverfassungsgericht überprüfen. Es kann auch nicht sein - das ist doch keine Solidarität -, dass eine Kasse, die wenig Geld hat und hohe
Beitragssätze verlangen muss, einer anderen, die niedrige
Beitragssätze und gefüllte Kassen hat, Unterstützungszahlungen leisten muss.
({12})
Das ist keine Frage des Ost-West-Ausgleichs, sondern
eine Frage der Gerechtigkeit. Das sehen im Übrigen auch
SPD-Mitglieder so, wie die Vorsitzende des Verbandes
der Angestellten-Krankenkassen, Frau Mönig-Raane vom
DGB. Sie sagt, dass die Zahlerkassen inzwischen so viel
Geld, vor allem an die Ostkassen, zahlen müssen
Herr Kollege Wolf,
ich muss Sie jetzt leider bremsen, denn Ihre Redezeit ist
abgelaufen.
- ich bin gleich fertig -,
dass die Empfänger ihre Beitragssätze teilweise unter das
Niveau der Zahler senken können. Damit wird - das sagt
ein SPD-Mitglied! - der Grundgedanke der Finanzhilfen
auf den Kopf gestellt.
Ich komme zum Schluss. Es wird Zeit, dass die Gesundheitspolitik in Deutschland wieder in bewährte
Hände kommt, dass wieder ein Bundesgesundheitsminister Seehofer auf dem Amtssitz Platz nimmt, der von Bundeskanzler Stoiber die Ernennungsurkunde erhält.
Ich bedanke mich.
({0})
Die nächste Rednerin
in der Debatte ist die Kollegin Monika Knoche für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Wolf, ich will Ihnen Ihre
bayerisch-landsmännische Vorfreude nicht nehmen, aber
ich glaube, daraus wird nichts werden.
({0})
Es ist ja erlaubt, jetzt schon mal in die Vollen zu greifen,
den Wahlkampf zu eröffnen und die Abwahl zu prophezeien. Aber wenn die CDU/CSU das tut, muss sie auch
ihre Alternativen darlegen. Dann muss sie etwas auf den
Tisch legen, sagen, um was es geht, und korrekt kritisieren; denn es geht heute um die Defizite,
({1})
die Sie zum Anlass für eine Aktuelle Stunde genommen
haben.
Niemand von Ihnen wird bestreiten, dass es durch die
Arzneimittelausgaben einen beträchtlichen Kostenschub
gegeben hat. Niemand von Ihnen hat kritisiert, dass es im
Krankenhausbereich und im Bereich der ärztlichen Versorgung zu einer Stabilisierung der Ausgaben gekommen
ist
({2})
und dass jetzt zusätzlich ein DRG-System etabliert werden wird, das ja nicht ausgabensteigernd wirken wird.
Dazu habe ich keine Kritik von Ihnen gehört. Ich vermute,
wenn Sie an der Regierung wären, würden Sie genau das
Gleiche tun.
({3})
- Ich habe nicht gehört, dass Sie sich grundsätzlich gegen
das DRG-System aussprechen.
({4})
- Sei es drum, wir haben sehr stabile Ausgabenblöcke.
Was es erstmalig unter dieser Regierung gibt - auch
das können Sie nicht abstreiten -, ist, dass es im materiellen Sinne einen West-Ost-Ausgleich unter den Kassen
gibt, den es so vorher nicht gegeben hat.
({5})
Es hat jeweils in Ostdeutschland und in Westdeutschland
einen Risikostrukturausgleich gegeben.
({6})
Das Zusammenführen des solidarischen Ausgleiches gibt
es erst unter dieser Regierung.
({7})
Reden Sie also die Tatsachen nicht weg und sagen Sie
nicht, dass es dies gegeben hat!
Auch die Elemente, die zum Risikostrukturausgleich
neu hinzugekommen sind, tragen dazu bei, die Beitragssätze der einzelnen Kassen entsprechend ihren Versorgungsausgaben auszutarieren. Auch hier gibt es bei einer
seriösen Betrachtung nichts, was man von Grund auf kritisieren kann.
Herr Wolf, mich hat etwas verwundert, dass Sie die Finanzpolitik von Herrn Eichel, die Stabilität des Euro und
den blauen Brief der EU-Kommission im Zusammenhang
mit den gesetzlichen Krankenkassen angesprochen haben.
({8})
Vielleicht sollten wir darüber einmal intensiver diskutieren. Meines Erachtens können die Defizite der gesetzlichen Krankenkassen nicht direkt in die Staatsverschuldungsquote eingerechnet werden.
({9})
- Moment, dies bezieht sich darauf, dass es keine Finanztransfers aus dem Steueraufkommen in die gesetzliche
Krankenversicherung gibt.
({10})
Bevor man hier also so lautstark in die Vollen geht, sollte
man diese Besonderheit des deutschen Krankenversicherungssystems beachten und vor diesem Hintergrund vorschlagen, wie man im Sinne dieses Systems Lösungen
herbeiführen kann. Meines Erachtens müssten Sie, wenn
Sie so denken, die Debatte darüber eröffnen, ob Sie durch
Steuerzufinanzierungen oder auf andere Art und Weise indirekt die Verschuldungsquote reduzieren wollen.
({11})
Da Sie einen Rückgriff auf 1998 machen, möchte ich
auf die damalige Finanzsituation hinweisen: Unter
Seehofer hat der Gesetzgeber erstmalig in die Beitragssatzstabilität eingegriffen und den Beitragssatz gesenkt,
und zwar zu dem Preis, dass das sich dadurch ergebende
Kostenaufkommen zulasten der Kranken unter den Versicherten im Rahmen von Zuzahlungen externalisiert
wurde.
({12})
Es ergab sich eine geschönte Bilanz. Denn Sie haben mit
der Systematik der paritätischen Finanzierung gebrochen.
({13})
Aus Ihren früheren Beiträgen - heute haben Sie dazu
nichts gesagt - kann ich nur folgende Alternative erkennen: Festschreibung des Arbeitgeberbeitragssatzes und
freies Floaten im Rahmen der Zuzahlungen durch Kranke.
({14})
Das wird kein Werbemoment in Ihrem Wahlkampf sein.
Die Menschen haben genügend schlechte Erfahrungen
gemacht, um zu wissen, was das bedeutet.
({15})
Jetzt hat der Kollege
Wolfgang Zöller für die CDU/CSU die Chance zu erwidern.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Immer dann, wenn Fragen zu den Kosten im Gesundheitswesen gestellt werden,
fällt Rot-Grün nichts anderes ein, als mit Statistiken zu
tricksen. Ich will das gleich belegen; denn trotz aller
Trickserei kommen Sie um folgende Tatsachen nicht
herum:
Erstens. 1998 haben wir eine gesetzliche Krankenversicherung übergeben, die einen Milliardenüberschuss zu
verzeichnen hatte.
({0})
Heute steht Rot-Grün vor einer Kassenlandschaft mit einem Defizit von mehr als 5 Milliarden DM.
Zweitens. Sie tricksen auch mit Ihrer Behauptung, dass
die Stabilität der Beiträge nicht gegeben gewesen sei.
1992 wurde unter Seehofer ein Gesundheitsreformgesetz
- im Übrigen mit den Stimmen der SPD - verabschiedet.
({1})
Der Erfolg war, dass von 1993 an die Beiträge - ich nenne
sie einmal: 13,4, 13,2, 13,2, 13,5, 13,5, 13,5 und noch einmal 13,5 Prozent - stabil waren. Wer angesichts dieser
Zahlen nicht von stabilen Beiträgen spricht - es tut mir
Leid -, der will einfach die Statistik fälschen.
({2})
Wir kommen jetzt zu einem entscheidenden Punkt. Die
Kollegin Knoche hat gesagt, es gebe stabile Ausgabenblöcke. Wenn es also in der gesetzlichen Krankenversicherung stabile Ausgabenblöcke gibt, dann kann nur die
Einnahmeseite das Problem sein. Sie hätten Recht, wenn
Sie das so sehen würden. Das Hauptproblem der letzten
Jahre in der gesetzlichen Krankenversicherung ist nämlich die Einnahmeseite.
({3})
Was hat Rot-Grün dagegen getan?
({4})
Sie haben die Einnahmeseite noch verschlechtert. Wenn
Sie nach unserem Konzept fragen und danach, was wir tun
würden: Wir müssten nur Ihre Maßnahmen zurücknehmen, die seit 2001 bewirken, dass die Situation auf der
Einnahmeseite schlechter wird. Dann würde das Defizit
verschwinden.
({5})
Sie haben durch Ihre Maßnahmen die Einnahmeseite in
Milliardenhöhe verschlechtert.
Ich möchte stichpunktartig einige Beispiele nennen.
Sie haben die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung gesenkt.
({6})
- Entschuldigung, da gibt es einen gravierenden Unterschied. Bei uns gab es noch einen Überschuss. Ihre Politik führt aber zu einem Defizit.
({7})
Ein weiteres Beispiel, das vorhin ebenfalls angeschnitten wurde, sind die Instandhaltungskosten. Warum sind
Sie nicht dem guten Beispiel Bayerns gefolgt? Bayern hat
die Instandhaltungskosten getragen. Was haben Sie gemacht?
({8})
Sie haben den Beitragszahlern die Kosten aufgehalst.
Was haben Sie bei der Reform der Erwerbsunfähigkeitsrenten und bei der Rentenminderung gemacht? Im
Klartext: Es gibt 2 Milliarden DM weniger Einnahmen
jährlich, weil Sie von der Nettolohnbezogenheit der Renten abgekommen sind. Mit einem Trick von Riester wurden 4 Prozent der Rentenversicherung ganz herausgenommen. Das heißt, dass für diese 4 Prozent künftig keine
Beiträge gezahlt werden.
({9})
Das bedeutet eine zusätzliche Verschlechterung auf der
Einnahmeseite.SiehabenalsogravierendeFehlergemacht,
die Ursachen für die negative Entwicklung nicht richtig erkannt und die Einnahmeseite weiter verschlechtert.
({10})
Ich möchte noch kurz einen weiteren Punkt nennen.
Sie haben letzte Woche erneut eine Verschlechterung herbeigeführt. Weil Sie nicht den Mut haben, den Rentnern
vor der Wahl die Wahrheit zu sagen, machen Sie den Besserverdienenden ein Wahlgeschenk, indem sie bis kurz
vor der Wahl weniger Krankenkassenbeiträge zahlen
müssen.
Unser Hauptproblem - darin sollten wir uns eigentlich
einig sein - ist die sinkende Lohnquote in Deutschland.
({11})
Wir können diese sinkende Lohnquote nur bekämpfen, indem wir eine vernünftige Wirtschaftspolitik machen.
({12})
Damit sind wir beim entscheidenden Punkt. Sie machen eine verkehrte Wirtschaftspolitik, selbst in der Gesundheitspolitik. Sie werden zum Beispiel Arbeitsplätze
verlagern. Mit Reimporten wollen Sie Geld in Milliardenhöhe einsparen.
({13})
Warum aber sind die Reimporte billiger? - Weil die Medikamente im Ausland nicht mit 16 Prozent, sondern nur
mit 7 Prozent Mehrwertsteuer belegt werden. Die deutschen Beitragszahler müssen mehrere Milliarden mehr
zahlen, weil in Deutschland der Mehrwertsteuersatz für
Medikamente so hoch ist. Es ist aber unvernünftig,
Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern, nur weil man im
eigenen Land die Hausaufgaben nicht gemacht hat.
({14})
Meine Redezeit ist leider um.
Wunderbar, dass Sie
das selber erkannt haben.
Ja, die Präsidentin
blinkt schon.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie werden
erleben: Was Rot-Grün sagt und wie Rot-Grün handelt,
kann man nur mit dem Satz „Zwei fremde Welten begegnen sich“ beschreiben.
({1})
Während ich jetzt darüber nachdenke, wie man hier oben blinkt,
({0})
spricht der Kollege Eike Hovermann für die SPD-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Aktuelle Stunde
ist oft dazu angetan, darüber nachzudenken, ob man mit
einer Redezeit von fünf Minuten wirklich eine politische
Auseinandersetzung führen kann.
({0})
Ich vermute, dass das heute auch nicht richtig geklappt
hat.
Wir haben den untauglichen Versuch erlebt, die Milliardendefizite einseitig der Bundesregierung anzulasten
({1})
- ich komme gleich auf einige Strukturüberlegungen; das
kann man ja nachvollziehen -; denn Sie wissen ganz genau, welche Rolle der Föderalismus in unserem Gesundheitswesen spielt. Ohne den Bundesrat sind aus meiner
Sicht strukturelle Reformen nur schwer machbar.
Frau Bergmann-Pohl, ich komme gleich noch auf das
von Ihnen verwandte Zitat zu sprechen. Ich habe das nämlich gesagt, wenn auch in einem etwas anderen Zusammenhang.
Trotz dieser Schwierigkeiten mit dem Bundesrat hinsichtlich der DRGs und der integrierten Versorgung haben
wir uns mit Erfolg an Reformschritte herangewagt. Wir
haben sie beschlossen; aber das heißt noch lange nicht,
dass sie umgesetzt werden. Es liegen ja auch in der Umsetzungsproblematik gewisse Gefahren;
({2})
Gefahren, Herr Dr. Thomae, weil manche in der Selbstverwaltung der Leistungserbringer die integrierte Versorgung nicht wollen. Man ist da ja einem durchaus interdisziplinären Leistungsdruck ausgesetzt und macht manches
lieber allein, anstatt sich im Rahmen der ganzen Behandlungskette mit den Kollegen niedergelassenen Ärzten und
Krankenhausärzten in den Wettstreit um die beste Gesundheitsversorgung zu begeben.
Bei dem Thema dieser Aktuellen Stunde vergessen Sie
völlig, dass Sie - das ist auch ein Strukturmoment und
schon oft wiederholt worden - mit Beitragserhöhungen,
Zuzahlungen und der Ausgrenzung von Leistungen nicht
Defizite, wohl aber defizitäre Strukturen geschaffen haben, die viel zäher sind und bestehen bleiben.
({3})
- Frau Widmann-Mauz weiß das noch nicht; sie bekommt
es gleich erklärt.
({4})
Die Schaffung defizitärer Strukturen - Herr Kirschner
würde sagen: die wo viel Geld kriegen und wo nix bei
rauskommt ({5})
führte zu Kosten, die uns geblieben sind. Diese Strukturen
sind schwer durch neue zu ersetzen; sie müssen erst wachsen. Wir sollten ihnen das Wachstum zugestehen und nicht
ständig an ihnen herumnörgeln.
Die Selbstverwaltung scheint in der bestehenden Form
und mit ihren bestehenden Rechten immer weniger in der
Lage zu sein, die unterschiedlichen und kaum harmonisierbaren Interessen auf neue Wege zu bringen. Es liegt in
den Selbstverwaltungen der Kassen und der Ärzte begründet, dass die integrierte Versorgung nicht richtig angestoßen wird. Mir stellt sich hier die Frage, warum man
das nicht als Modellversuch in einem Bundesland wie
Nordrhein-Westfalen oder bei Herrn Kirschner in der
Nähe der Kasse Zollern-Alb ausprobiert. Das geschieht
nicht; vielmehr wird der Status quo zäh verteidigt. Das ist
aus meiner Sicht das zentrale Problem. Den Patienten und
der Kostentransparenz dient das nicht, der Qualität schon
gar nicht.
Ich erinnere hier nur an den Streit um das ambulante
Operieren: Wir machen es. Woher bekommen wir das
Geld? Findet ein Transfer vom stationären zum ambulanten Sektor statt?
({6})
Die Selbstverwaltung hat es geschafft, dass eine nicht zu
tun und das andere zu lassen.
({7})
- Herr Lohmann, Sie wissen ganz genau, dass ich nicht
Herr Jung bin und im Koordinierungsausschuss die Probleme für die beiden anderen Sektoren lösen kann.
({8})
Ich erinnere auch an große Defizite bei der Brustkrebsoder Diabetesversorgung. Herr Dr. Thomae - - Wo ist er
denn?
({9})
Das gilt auch für die Hörgeräteversorgung, hinsichtlich
deren sich Herr Dr. Thomae ungeheuer um den Wettbewerb kümmert und die Preise senken will. Das könnte
man auch einmal näher besprechen.
An diesen Beispielen kann man vielfach Geldvergeudung, kostspielige Drehtüreffekte und mangelnde
Qualität erkennen. Die defizitären Strukturen - Frau
Widmann-Mauz, jetzt wieder der andere Begriff: nicht die
Defizite, sondern die defizitären Strukturen -, die Geld
kosten und nichts bringen, können aber nicht allein der
Bundesregierung angelastet werden. Das ist falsch, weil
Strukturen viel Zeit zum Wachsen benötigen. Sie haben
diese Strukturen mächtig gegossen; in Ihrer Zeit sind sie
gewachsen.
Dies war also ein untauglicher Versuch.
({10})
- Melden Sie sich doch! Ich antworte Ihnen immer gerne. - Dennoch haben wir mit den Disease-ManagementProgrammen neue Wege gegen diese defizitären Strukturen beschritten.
({11})
Frau Präsidentin, die randaliert da hinten. Das stört
mich.
({12})
Um im Jargon zu bleiben: Das bewegt sich noch auf der Ebene homöopathischer Dosen. Deshalb rüge ich das nicht.
Ihr Ruf nach festen
Punktwerten, Herr Parr, oder gar nach Aufhebung des
Budgets vernebelt doch die Grundsatzproblematik, dass
unendliche Leistungen nicht mit endlichen Mitteln zu
finanzieren sind.
Keiner von uns wird alleine strukturelle Reformen auf
den Weg bringen können.
({0})
- Ich will versuchen, es in einem Satz zusammenzufassen;
das muss ich wohl auch.
Es muss aber ein kurzer Satz sein.
Wir brauchen die Regierung und die Opposition - wir hoffen, dass die bisherigen Verhältnisse bestehen bleiben werden - und auch
die Länder. Der überwiegende Teil dessen, was Sie an
struktureller Reform vorschlagen, Herr Parr, bedarf der
Zustimmung durch den Bundesrat. Lassen Sie uns also,
anstatt die Kultur der gegenseitigen Beschimpfung zu
pflegen, überlegen, in welchen Punkten wir uns treffen,
um bei Lahnstein II sagen zu können, was wir gemeinsam angehen wollen. Ich wünsche Ihnen dabei viel
Glück.
Herzlichen Dank für das Zuhören.
({0})
Für die CDU/CSU hat
jetzt der Kollege Dr. Wolf Bauer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine
Damen! Meine Herren! Es ist schon interessant, was hier
heute alles zu hören war. Ich kann gar nicht alles aufgreifen.
Herr Pfaff, wir waren vor nicht allzu langer Zeit auf einer Veranstaltung der Pneumologen. Dort hat der Vorsitzende gesagt: Die medizinische Versorgung ist schlechter
geworden. Ich habe bei dem Kollegen Thomae eine Anleihe gemacht und dazwischengerufen: Können Sie das
bitte noch einmal sagen?
({0})
Darauf hat er gesagt: Jawohl. Die medizinische Versorgung ist schlechter geworden.
Sie können doch in jeden Teil unseres Landes gehen:
Alle werden Ihnen sagen, dass ihnen als Patienten die Rationierung zu schaffen macht.
({1})
Sie bekommen einfach nicht mehr, was sie brauchen. Innovationen kann man zum Teil ganz vergessen. Die Menschen bekommen das Billigste. Und uns werfen Sie vor,
wir würden die Augen vor der Wirklichkeit verschließen!
({2})
Sie sollten sich einmal unter das Volk mischen und zur
Kenntnis nehmen, welche Stimmung dort herrscht.
Sie sagen immer wieder, dass die Zuzahlungen doch
von Ihnen reduziert worden seien. Wenn Sie aber ehrlich
wären, hätten Sie die Zuzahlungen ganz abgeschafft.
({3})
Sie haben sie bescheidenerweise heruntergesetzt.
({4})
Was aber haben Sie damit erreicht? - Sie haben den sozial Schwachen die Möglichkeit genommen, die Medikamente zu bekommen, die sie brauchen.
({5})
Vorher war aufgrund der Sozialklausel, der Überforderungsklausel, jedem die Möglichkeit gegeben, dass er das
bekommt, was er braucht. Sie aber haben die Zuzahlungen reduziert und die Rationierung eingeführt. Nun kann
sich der sozial Schwache seine Medikamente nicht mehr
selber kaufen. Das kann nur noch der Besserverdienende
tun. Das ist Ihre Politik.
({6})
Eigentlich wollte ich auf etwas ganz anderes eingehen.
Bei einem Defizit geht es immer um zwei Seiten, nämlich
um die Ausgaben- und die Einnahmenseite. Ich möchte
mich einmal auf die Einnahmenseite konzentrieren. Hier
geht es in der Hauptsache um die Beiträge.
Die Frau Ministerin hat im Januar 2001 gesagt: Ich
erwarte, dass der durchschnittliche Beitrag stabil bleibt. Was aus dieser Erwartung geworden ist, haben wir gesehen: Der Beitragssatz stieg um 0,5 Prozentpunkte auf eine
Rekordhöhe von mittlerweile 14 Prozent.
({7})
Im Januar 2002 hat sie gesagt - hier gibt es einen feinen
Unterschied -: Ich gehe davon aus, dass die Kassenbeiträge im Durchschnitt stabil bleiben. - Damit sie im Januar 2003 nicht noch eine dritte Variante suchen muss,
werden wir dafür sorgen, dass sie dazu keine Gelegenheit
mehr haben wird.
Es ist heute bereits gesagt worden - das muss man immer wiederholen -: Wir hatten nicht nur in den Jahren
1998 und 1997 einen Überschuss von 1,1 Milliarden DM.
Wir haben auch im Jahr davor - das ist nicht zu bestreiten - das Defizit um 6 Milliarden DM abgebaut. Man
kann jetzt nicht so tun, als sei dies nicht wahr.
Ich war schon ein wenig erschüttert, als die Frau Ministerin vorhin sagte, dass es im Jahre 2001 ein Defizit in
Höhe von „nur“ 2,8 Milliarden Euro gegeben hätte. Dies
ist nun wirklich so traurig, dass man das Wörtchen „nur“
in diesem Zusammenhang eigentlich nicht benutzen
dürfte.
({8})
Was zeigt das Ganze? Dies ist letztendlich eine traurige
Bilanz, die Bilanz einer verfehlten kopflosen Gesundheitspolitik, die auch durch all Ihr Reden nicht schöner
wird. Es ist nun einmal so.
Heute ist viel über Beitragssätze und Ähnliches gesprochen worden. Ich weiß auch, wie gern Sie als Argument immer die Erblast heranziehen, wenn Sie nicht mehr
weiterwissen. Auf eines möchte ich in diesem Zusammenhang aber ganz besonders hinweisen: Man muss die
Entwicklung der Beitragssätze einmal weiter zurückverfolgen. In zwölf Jahren SPD-geführter Bundesregierung
sind die Beitragssätze um 3,8 Prozentpunkte gestiegen.
({9})
Wenn man dies auf die zwölf Jahre umrechnet, kommt
man auf eine Steigerung von etwa 0,3 Prozentpunkten pro
Jahr.
Jetzt kommt es aber: In 17 Jahren CDU/CSU-geführter Bundesregierung gab es eine Steigerung um 1,6 Prozentpunkte. Dies sind auf 17 Jahre umgerechnet pro
Jahr 0,1 Prozentpunkte. Also 0,1 gegenüber 0,3 Prozentpunkten.
({10})
- Das kann ich gern noch einmal wiederholen.
Jetzt haben wir es mittlerweile geschafft, dass die Beitragssätze in nur einem Jahr um 0,5 Prozentpunkte steigen. Sie müssten uns im Namen der Krankenversicherten
nahezu anflehen, die Regierungsverantwortung zu übernehmen, damit es nicht mehr so weitergeht.
({11})
Herr Kollege Bauer,
so viel Zeit für Wiederholungen ist nicht mehr. Ich nehme
jetzt einen Begriff aus dem Plenum auf und sage: Die Präsidentin blinkt.
({0})
Das ist aber sehr schade.
Ich bedanke mich trotzdem fürs Zuhören.
({0})
Das Wort hat der Kollege Horst Schmidbauer für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, das ganze
Manöver heute ist sehr durchsichtig. Man kann sehr
schnell erkennen, was sich dahinter eigentlich verbirgt:
Man benutzt das Defizit in der gesetzlichen, solidarischen
Krankenversicherung, um die Krankenversicherungen
krank zu reden, sie madig zu machen, um Angst bei den
Bürgerinnen und Bürgern sowie den Patientinnen und Patienten zu schüren,
({0})
um damit den Boden für den Einstieg in eine Zweiklassenmedizin zu bereiten. Da machen wir nicht mit.
({1})
Das lassen wir Ihnen genauso wenig wie die Fehleinschätzung des Kollegen Bauer durchgehen.
Ich will noch einmal daran erinnern: Zur Zeit der Regierungsübernahme gab es eine Emnid-Umfrage, die
seinerzeit von der ABDA in Auftrag gegeben worden war.
Herr Kollege Bauer, Sie müssten das Ergebnis dieser
Emnid-Umfrage gut kennen. Seinerzeit sagten 40 Prozent
der Patientinnen und Patienten aus, sie könnten ihr Rezept
nicht mehr oder nicht mehr voll einlösen.
({2})
Das war der entscheidende Grund dafür, dass wir gesagt haben: Sie haben mit der Abzockerei der Patientinnen
und Patienten überzogen. Folge war eine Rationierung bei
den Patienten. Weil die Menschen nicht mehr zu ihren
Arzneimitteln kamen, mussten wir handeln und haben gehandelt.
({3})
In der Zwischenzeit sind Zuzahlungen in einer Größenordnung von etwa 2 Milliarden Euro aufgelaufen, die wir
den Menschen zurückzugeben haben. Ich bin stolz darauf,
dass die Ministerin mit allem Nachdruck verfolgt hat,
({4})
dass vor allen Dingen die chronisch Kranken in diesem
Lande freigestellt werden, damit wir endlich sagen können: Wir haben für die Menschen eine soziale Basis unabhängig von ihrer Krankheit geschaffen.
({5})
Das, was Sie wollen, haben Sie lediglich besser verpackt. Sie sprechen jetzt von Eigenverantwortung, von
abwählbaren Leistungen.
({6})
Im Kern handelt es sich aber um nichts anderes als ein neu
verpacktes Grund- und Wahlleistungsmodell, das Sie den
Bürgern schmackhaft machen wollen. Mit Ihren Heilsversprechungen geht in Wirklichkeit als Nebenwirkung
die Zerstörung des Solidarsystems einher. Das trifft die
Menschen unmittelbar.
({7})
Sie müssen den Bürgern vor der Wahl sagen, was von den
heutigen Leistungen abwählbar sein soll und was sie - ich
hoffe, dass es nie so weit kommt, dass Sie etwas zu sagen
haben - bei Ihrem Konzept in Zukunft zusätzlich bezahlen müssten. Wie tief müssten sie in ihre Taschen greifen?
({8})
Mir ist heute aufgefallen, dass die Opposition an der
Aufklärung der Ursachen, die für dieses Defizit verantwortlich sind, nicht interessiert ist.
({9})
Wenn Sie die Ursachen nämlich benennen müssten, wäre
Ihre Showveranstaltung doch zu Ende. Ich glaube, das ist
der eigentliche Punkt: Sie sind für die eigentlichen Ursachen und deren Wirkungen blind.
({10})
Ich glaube, die Ministerin hat es sehr deutlich gesagt:
Das Defizit 2001 geht zu zwei Dritteln zulasten des Arzneimittelsektors. Es betrug 11,2 Prozent; das sind umgerechnet 3,1 Milliarden Euro. Jetzt kommt der entscheidende Punkt: Allein die Mehrausgaben in diesem Jahr
betragen 3,1 Milliarden Euro und das Defizit betrug
2,8 Milliarden Euro. Das ist die Ursachenbetrachtung, die
wir vornehmen müssen.
({11})
Die Aufklärung hat den Arzneimittelmarkt noch nicht
erreicht. Deshalb genügt der Blick nach hinten nicht, sondern wir müssen den Blick nach vorne richten. Würde die
Aufklärung Wirkung zeigen, wäre der Nutzen für die Patienten transparent; denn es waren nicht die Innovationen,
die zu dieser Entwicklung geführt haben,
({12})
sondern es waren die Preise der Analogpräparate, der
„me,too“-Präparate, die keinen nachgewiesenen Mehrnutzen für die Patientinnen und Patienten haben. Der
Anteil der Ausgaben für die Innovationen im Bereich
der Arzneimittel ist nur von 14,6 auf 14,8 Prozent gestiegen.
Der Anteil dieser so genannten „me,too“-Präparate ist
von 10,2 Prozent auf 16,3 Prozent gestiegen. Ohne dass
die Patientinnen und Patienten einen therapeutischen
Mehrnutzen haben, haben wir sehr viel Geld zusätzlich
ausgegeben. Wenn in den 23 Präparatgruppen dieser Analogpräparate die preisgünstigsten Arzneimittel verordnet
worden wären, hätten 2 Milliarden Euro gespart werden
können,
({13})
ohne dass es einen Qualitätsverlust für die Patientinnen
und Patienten gegeben hätte.
({14})
Ich muss sagen: An solchen Fragen können wir nicht
vorbeigehen; solchen Fragen müssen wir uns stellen.
Dafür brauchen wir ein Konzept.
({15})
Sie werden sehen, dass unsere Gesetze greifen. Bei der
Umsetzung brauchen wir die Mithilfe der Ärzte und Krankenkassen. Ich glaube, dass wir über Zielvereinbarungen
bezüglich einer Beratungspflicht Transparenz in den Arzneimittelmarkt hineinbringen und dass wir unser Ziel erreichen können, damit auch Beitragsstabilität zu gewährleisten. Ich bin mir sicher, dass wir 2002 ein positives
Ergebnis erreichen werden. Dann können wir uns noch
einmal sprechen.
({16})
Jetzt spricht die Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch.
({0})
Frau Präsidentin!
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie haben es
mir ganz schön leicht gemacht. Ich habe festgestellt, dass
Sie sich nicht entscheiden konnten. Herr Zöller, Sie haben
gerade beklagt, dass wir ein Einnahmedefizit haben; das
hat Herr Bauer auch getan. Heute Morgen haben Sie im
Gesundheitsausschuss ein Einnahmedefizit in nicht unerheblicher Höhe für die gesetzlichen Krankenkassen beschlossen, indem Sie dem Antrag der FDP zugestimmt haben, dass Sozialhilfe und Arbeitslosenversicherung
zusammengelegt werden, ohne eine Lösung für die Einnahmeausfälle auf der Beitragsseite der GKV zu haben.
({0})
Nur die Tatsache, dass Sie keine Mehrheit haben, hat dieses Desaster heute verhindert.
({1})
Der zweite Punkt betrifft Ihren Umgang mit den Zahlen. Herr Wolf, Sie haben vorhin gesagt, dass das Defizit
der gesetzlichen Krankenkassen so hoch wie das der
Kommunen sei.
({2})
Ich muss Sie korrigieren: Das stimmt nicht. Bei den Kommunen sind es 26 Milliarden Euro.
({3})
Das hätten Sie eigentlich wissen müssen, wenn Sie sich den
Kommunal- und den Länderbereich angeschaut hätten. Das
heißt, 1 Prozent sind es auf der Länderseite; 0,1 Prozent
wären es bei den Krankenkassen gewesen. In diesem Jahr
haben wir aber kein Defizit mehr, weil wir mindestens mit
einem ausgeglichenen Finanzergebnis rechnen können.
Sie können jetzt nicht immerzu klagen: Die Leute erhalten keine Leistungen. Die Beiträge sind zwar gestiegen. Aber die Steigerung der Beiträge und die Zunahme
der Ausgaben haben mehr Solidarität ermöglicht und eine
bessere Versorgung geschaffen. Ich bin der Überzeugung,
dass das kurzfristig vertretbar ist, bis die strukturellen
Maßnahmen, die wir bereits ergriffen haben, ihre Wirkung entfalten.
({4})
Wir haben in diesem Land keine Rationierung.
({5})
Horst Schmidbauer ({6})
Die Patientinnen und Patienten erhalten das, was notwendig ist. Der medizinische Fortschritt kommt den Menschen überall in diesem Land zugute. Dabei bleiben die
Beiträge stabiler als bei Ihnen.
({7})
Herr Wolf hat vorhin so nett gesagt: Wir hatten damals
ein größeres Defizit bei geringeren Ausgaben, aber wir
haben gehandelt. - Wie haben Sie denn gehandelt?
({8})
Sie haben dahin gehend gehandelt, dass Sie die Zeche von
den Betrieben und den Arbeitnehmern haben zahlen lassen und die kranken Menschen zur Kasse gebeten haben.
({9})
Sie haben nämlich allein mit den Spargesetzen von
1996 und 1997 die Versicherten durch Zuzahlungserhöhungen und Leistungsausgrenzungen mit 6 Milliarden
Euro belastet. An dieser Schraube haben Sie immer weiter gedreht. Sie haben nicht zur Kenntnis nehmen wollen,
({10})
dass weder die Budgetierung - wir haben erkannt, dass
dies nicht das Allheilmittel ist - noch die Erhöhung der
Zuzahlungen eine Lösung ist; denn nachdem Sie die Zuzahlungen erhöht haben, sind die Ausgaben allein im Arzneimittelbereich bereits 1998 um 5 Prozent gestiegen.
({11})
Das ist ein weiterer Beleg dafür, dass Zuzahlungen keine
Lösung sind. Man darf nicht glauben, damit die Ausgaben
steuern zu können.
Was wir brauchen, haben auch Sie ab und an gefordert,
aber letztlich niemals umgesetzt: Wir brauchen intelligentere Steuerungsmechanismen, als wir sie jetzt haben.
Ich denke, wir haben mit dem Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz die Möglichkeit dazu der Selbstverwaltung gegeben. Auch die Kassen sind fest davon überzeugt,
dass wir in diesem Jahr Beitragssatzstabilität erreichen
werden. Unser Weg ist ganz sicher der schwerere. Wir
greifen nicht einfach jemandem in die Tasche, der dann
zahlen muss, egal, ob er will oder nicht.
({12})
Wir erwarten zum Beispiel von der Ärzteschaft und
den Apothekern Verhaltensänderungen im Umgang mit
den Ressourcen der gesetzlichen Krankenversicherung.
Das ist ein besserer Weg, als einfach die Zuzahlungen zu
erhöhen.
({13})
Sie haben sich auch einer weiteren Maßnahme nicht
unterzogen. Sie haben sich nie die Mühe gemacht, Qualität zu verbessern und Wirtschaftlichkeitsreserven zu
erschließen. Als wir darüber diskutiert haben, wie wir
bei den Krankenhäusern mehr Wirtschaftlichkeit erreichen können, haben Sie erklärt: Für das Fallpauschalengesetz sind wir zwar, aber mitmachen können
und wollen wir nicht. - Wenn es wirklich Ernst wird,
dann ist der Punkt gekommen, an dem Sie sich verweigern. Auch weigern Sie sich, den Menschen klar zu sagen, was sie von Ihrer künftigen Politik zu erwarten haben, was wirklich Sache ist.
({14})
Ich bin der Überzeugung, dass Ihre Konzeption, Herr
Zöller, von Wahl- und Regelleistungen letztendlich in die
Sackgasse führen wird.
({15})
Ihr gesamtes Repertoire von Wahl- und Regelleistungen,
Kostenerstattung, Selbstbehalten, höheren Zuzahlungen
- das ist aus Ihrem CDU-Papier - wird nur eines bringen,
nämlich die Privatisierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Was eine privatisierte Krankenversicherung bedeutet, sehen Sie in den USA. Dieses System ist
für alle Beteiligten teurer und die Gesamtversorgung der
Gesellschaft ist letztendlich schlechter.
({16})
- Ich habe mir das CDU-Konzept sehr genau angesehen
und es bewertet.
({17})
Der Weg, den Sie vorgeschlagen haben, birgt die Gefahr einer permanenten Unterversorgung der Versicherten. Sie werden damit den Menschen die Möglichkeit
eröffnen, Leistungen zu wählen. Gesunde und gut Verdienende werden sich billigere Tarife wählen. Andere
werden auf ihren hohen Kosten sitzen bleiben. Dem System werden auf diese Weise Mittel entzogen. Es wird ausgesprochen schwierig sein, den Menschen deutlich zu machen, dass dadurch keine Folgekosten entstehen.
Das System, das wir haben und von dem wir fest überzeugt sind, dass es ein gutes System ist, braucht keinen
Systemwechsel. Es benötigt aber eine weitere Fortentwicklung in Richtung zu mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit. Das ist der richtige Weg. Ich bin der Überzeugung, dass sämtliche Maßnahmen, die im Laufe der
letzten Jahre ergriffen worden sind - ich nenne den Krankenhaussektor, Qualitätsverbesserungen in verschiedenen
Bereichen, Veränderungen bei der Arzneimittelversorgung, künftige Veränderungen im Bereich der Vorsorge;
wir hatten heute eine ausführliche Diskussion über die
Mammographie -, dazu beitragen werden, langfristig das
System zu verbessern, zu stabilisieren und es für alle
Menschen bezahlbar zu halten.
({18})
Zur Erwiderung erteile ich dem Kollegen Wolfgang Lohmann, CDU/CSU,
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde das großartig: Es wird uns dauernd vorgehalten, wir hätten kein Konzept, und anschließend wird
auf dieses nicht vorhandene Konzept eingeschlagen.
({0})
Herr Schmidbauer, es war die Spitze, als Sie sagten: Wir
müssen uns den Herausforderungen stellen und dafür
brauchen wir ein Konzept. - Sie haben nur vergessen zu
sagen: Das haben wir eben nicht.
({1})
Deswegen ist und bleibt das Ganze ein Herumdoktern an
Symptomen, wie es Herr Gerster, der demnächst die Arbeit der Bundesanstalt für Arbeit leiten wird, bezeichnet
hat.
Herr Hovermann hat Recht, wenn er sagt, die Aktuelle
Stunde mit 5-Minuten-Beiträgen sei nicht geeignet, tiefschürfende Diskussionen in Rede und Gegenrede zu
führen. Das ist klar. Man muss also etwas vereinfachen.
Deshalb komme ich darauf zurück, worin der Sinn liegen
kann. Es geht ja ausdrücklich in dieser Aktuellen Stunde
um die Verantwortung für das Defizit in der gesetzlichen
Krankenversicherung. Man kann dabei nicht erzählen,
was früher irgendwann einmal gewesen ist.
Es wurde sehr viel - man hat es sehr strapaziert - von
Bilanz gesprochen. Bei der Bilanz gibt es einen Ausgangspunkt, die Eröffnungsbilanz, und einen Schlusspunkt, die Schlussbilanz. Weil das Jahr noch nicht ganz zu
Ende ist, sprechen wir besser von einer Zwischenbilanz.
Es ist klar - es wurde schon x-mal gesagt -: In der Eröffnungsbilanz stand kein Defizit, sondern im Gegenteil ein
Überschuss.
({2})
Die Politik, die vorher betrieben wurde und deren Folgen
Sie gar nicht so abrupt beseitigen konnten, wirkte sogar in
das Jahr 1999 hinein, denn auch in diesem Jahr gab es einen Überschuss von 1,1 Milliarden. Erst dann war Feierabend mit dem Staat, als wirklich Ihre Maßnahmen zum
Tragen kamen.
Ulla Schmidt hat seit ihrem Amtsantritt die finanziellen Probleme der GKV - ich behaupte das, Frau Schmidt ignoriert. Sie haben im Juli 2001 erklärt, das größte Problem der GKV seien nicht die angekündigten Beitragserhöhungen, sondern sei die mangelnde Qualität im Gesundheitswesen. Im Herbst letzten Jahren setzten Sie noch
eins drauf, indem Sie sagten: Wenn einzelne Kassen ihre
Beiträge erhöhen wollen, kann ich das nicht verhindern. Ja, wer denn sonst? Sie haben eben gesagt: Ich bin zurzeit
Ministerin. - Natürlich. Deswegen tragen Sie die Verantwortung für die Lage, in der wir jetzt sind.
({3})
Manches kann als Realitätsverlust bezeichnet werden.
Immer höhere Beiträge werden für mittelmäßige Qualität
- davon spricht der Sachverständigenrat - gezahlt. Wenn
es um höhere Beiträge für eine ständige Steigerung der
Qualität und eine Verbesserung der Versorgung ginge,
dann könnte man darüber reden. Aber das Gegenteil ist
der Fall und das ist nicht in Ordnung.
Im Übrigen: Warum sind im Zusammenhang mit den
Zuzahlungen die Überschüsse entstanden? Wenn Sie wenigstens so ehrlich gewesen wären, nachdem Sie im
Wahlkampf die Zuzahlungen bis aufs Äußerste diffamiert
haben, sie hinterher ganz abzuschaffen! Was aber haben
Sie getan? Ganz bescheiden und verschwiegen haben Sie
sie um 1 DM gekürzt und die Spreizung verringert. Das
hatte Folgen im Umfang von 1 Milliarde. Sie haben eben
selbst erklärt, es seinen 6 Milliarden gewesen. Sie haben
also 5 Milliarden klammheimlich eingesteckt.
({4})
Deswegen muss man sagen: Sie haben die Leute hinters
Licht geführt. Das ist nicht zu bestreiten.
Ihre viel beschworene Aut-idem-Regelung, mit der Sie
bereits im vergangenen Sommer die Probleme bei den
Ausgaben für Arzneimittel lösen wollten, bringt die Leute
in den Wartezimmern der Ärzte richtig in Stimmung. Man
könnte Ihnen raten: Reden Sie einmal mit den Leuten auf
der Straße und hören Sie sich an, was sie zu Ihrer Politik
sagen! Gerade ältere Menschen und chronisch Kranke befürchten, dass sie in den Apotheken nicht mehr die Arzneimittel erhalten, die sie brauchen. Deswegen ist diese
Politik nicht in Ordnung und deswegen geht es auch nicht
nur darum, welche Alternativen es gibt. Natürlich können
wir uns auch über Alternativen unterhalten. Aber hier und
heute geht es darum, wer der Verursacher für die Lage der
gesetzlichen Krankenversicherung ist
({5})
und wer es zu verantworten hat, dass den Leuten ein um
0,5 Prozentpunkte höherer Beitragssatz - das sind immerhin mehr als 8 Milliarden zusätzlich - aus der Tasche
gezogen wird. Das nämlich sind Sie.
({6})
Die Spitzenverbände der Krankenkassen mussten Sie
am 14. September 2001 auffordern - daran sieht man,
dass Sie das offensichtlich gar nicht so wichtig genommen haben -, die dramatische Finanzsituation in der GKV
zum Thema des runden Tisches zu machen. Man könne
nicht in Ruhe über zukünftige Reformen diskutieren, hieß
es wörtlich vonseiten der Spitzenverbände der Krankenkassen, solange die aktuellen Probleme nicht angegangen
würden. Recht haben sie. Es spricht für sich, dass die Kassen Sie dazu auffordern müssen, sich um ihre Belange zu
kümmern.
In der öffentlichen Anhörung zum 10. SGB-V-Änderungsgesetz haben Sie im Gespräch mit dem Sachverständigenrat im Gesundheitsausschuss auch erfahren,
dass sich der runde Tisch bis heute nicht inhaltlich mit den
Finanzproblemen der GKV befasst hat. Bis jetzt fanden
nur Plauderrunden statt.
({7})
Ehe die Frau Präsidentin anfängt zu blinken -
Sie tut es schon.
({0})
Aber erst seit kurzem. - Statt das Gesundheitswesen vor
der Bundestagswahl mit einem wirklich überzeugenden
und nachhaltigen Konzept zu reformieren, meint RotGrün die Probleme aussitzen zu können. Man kann fast
schon glauben, Sie seien froh, dass die Krankenkassen
endlich die Beiträge erhöht haben. Dass Sie sich bei der
Rede der Ministerin nicht geschämt haben, Frau SchaichWalch, wundert mich eigentlich. Ich hatte insofern etwas
mehr Mitgefühl von Ihnen erwartet.
Vielen Dank.
({0})
Ich werde ganz nachdenklich. Die Attraktivität des Blinkens scheint ziemlich
groß zu sein. - Letzte Rednerin dieser Aktuellen Stunde ist
die Kollegin Regina Schmidt-Zadel für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lohmann, ich
möchte nicht polemisch werden, aber dazu, wer sich schämen muss, werde ich gleich etwas sagen. Denn einer Ihrer Vorredner hat von „Ablasshandel“ und „kölschem
Klüngel“ geredet.
Ich will Ihnen allen Ernstes sagen: Wer im Glashaus
sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.
({0})
Dann müssen wir auch über schwarze Kassen und Klüngel
in Oggersheim reden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Das möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben. Darüber sollten Sie nachdenken, bevor Sie solche Aussagen machen.
({2})
Für Ihre Pläne, wie wir sie hören, benötigen Sie mehr
Geld. Diese Mittel müssten die Beitragszahler bzw. die
Patientinnen und Patienten durch höhere Zuzahlungen
aufbringen.
({3})
Das war doch die Politik in den 16 Jahren Ihrer Regierung. Auch deswegen sind Sie abgewählt worden. Erinnern Sie sich einmal daran, was Sie den Patientinnen und
Patienten und den Versicherten zugemutet haben!
({4})
Wir dagegen muten den Akteuren im Gesundheitswesen zunächst einmal zu, die Wirtschaftlichkeitsreserven
zu mobilisieren, die noch im System vorhanden sind, bevor wir über neue Geldquellen nachdenken.
({5})
- Die kann ich Ihnen nennen. Sie haben vielleicht zugehört, als der Sachverständigenrat im Ausschuss war,
Herr Parr, oder waren Sie abwesend? Er hat die Wirtschaftlichkeitsreserven aufgezeigt.
({6})
- Ich kann Ihnen die Liste und auch das Buch schicken.
Wir betreiben nicht wie Sie knallharte Klientelpolitik,
sondern fordern auch die Leistungserbringer. Mit einer
qualitätsorientierten Gesundheitspolitik haben wir positive Zeichen gesetzt. Denken Sie nur an das Fallpauschalengesetz, das mittel- und langfristig sowohl die Qualität
als auch die Wirtschaftlichkeit in der stationären Versorgung erhöhen wird.
({7})
Trotz der Bedenken einiger Länder wurde dieses Gesetz - das möchte ich auch noch anmerken - im Bundesrat verabschiedet. Nicht alle CDU-regierten Länder haben
sich wie die süddeutschen Länder verhalten, die nicht zugestimmt haben. Es gibt also auch bei Ihnen einige positive Zeichen.
Die Bilanz der rot-grünen Regierung in der Gesundheitspolitik kann sich sehen lassen. Das Defizit der Krankenkassen im Jahr 2001 als Beweis für das Scheitern rotgrüner Politik anzuführen ist nichts anderes als billige
Polemik.
({8})
- Nein, Sie können sich sicher sein: Die Zahlen lügen
nicht.
({9})
Auch ich hätte mir wirklich ein besseres Ergebnis gewünscht. Wenn aber weiterhin so viel Geld für strukturelle Überkapazitäten sowie für Unter- und Fehlversorgung verpulvert wird - ich verweise noch einmal auf das
Gutachten des Sachverständigenrats; die Stellen, an denen das geschieht, sind ja identifiziert -, dann wird sich
auch in der Zukunft ein Defizit nicht vermeiden lassen.
Das werden wir verändern.
({10})
Wolfgang Lohmann ({11})
Wenn ich sicher sein könnte, dass die Krankenkassen jede
Mark nur für medizinische notwendige und qualitätsorientierte Leistungen ausgeben, dann könnte ich sogar
mit einem Ausgabenüberschuss leben; denn dann wüsste
ich, dass die Patientinnen und Patienten gut versorgt und
die Beitragsgelder gut angelegt sind.
({12})
Wir werden unsere Offensive für mehr Qualität und
Wirtschaftlichkeit fortsetzen. Ich bedanke mich ausdrücklich bei der Ministerin; denn sie hat in das Zentrum
ihrer Gesundheitspolitik die Qualität gestellt.
({13})
Wir haben mit der Gesundheitsreform 2000 den längst
überfälligen Paradigmenwechsel vollzogen, weg vom reinen Kostendenken hin zu Qualität und Wirtschaftlichkeit.
Sie sind herzlich eingeladen, uns auf diesem Weg zu folgen. Den ersten Schritt in diese Richtung haben die unionsregierten Länder bereits gemacht. Sie haben in ihrem
Papier zur Gesundheitspolitik - man höre und staune; das
sollten Sie auch einmal lesen, Herr Parr - immerhin eingeräumt, dass im Gesundheitssystem noch beträchtliche
Wirtschaftsreserven vorhanden sind. Das ist doch schon
ein enormer Fortschritt gegenüber Ihrer Regierungspolitik. Es wäre schön, wenn Sie das in Zukunft in Ihrem Handeln beherzigen würden, anstatt Aktuelle Stunden zu beantragen, die purer Wahlkampf sind.
({14})
Ihre heuchlerischen Aussagen, die Sie heute gemacht
haben,
({15})
lassen mich aber daran zweifeln, dass bei Ihnen - vielleicht auch in der Gesundheitspolitik - noch die Vernunft
einkehren wird.
({16})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Aktuelle Stunde - und damit auch die
„Blinkerei der Präsidentin“ - ist beendet. Wir sind damit
am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 14. März 2002, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.