Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die erste Beratung des Entlassungsentschädigungs-Änderungsgesetzes auf Drucksache 14/394,
das zusammen mit dem Einzelplan Arbeit und Soziales
gelesen werden soll, sowie um die Beratung der Beschlußempfehlung zum Kosovo-Antrag der Bundesregierung zu erweitern.
Von der Frist für den Beginn der Beratung der Beschlußempfehlung soll abgewichen werden. Sind Sie
damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist es so beschlossen.
Sodann müssen in das Kuratorium der Stiftung „Archiv der Parteien und Massenorganisationen der
DDR“ nachträglich noch zwei stellvertretende Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion entsandt werden. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt als jeweils stellvertretendes
Mitglied Herrn Professor Dr. Peter Maser und Herrn
Professor Dr. Manfred Wilke vor. Ich gehe davon aus,
daß Sie mit diesen Benennungen einverstanden sind? Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Die Fraktion der CDU/CSU hat fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die Beratung ihres
Antrages zur Agenda 2000 auf Drucksache 14/396 zu
erweitern. Wird zu diesem Geschäftsordnungsantrag
das Wort gewünscht? - Herr Kollege Repnik, Sie haben
das Wort.
Herr Präsident!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Morgen findet unter deutscher Präsidentschaft ein Treffen der EU-Staatsund Regierungschefs in Bonn statt, um Entscheidungen
über die Agenda 2000 vorzubereiten. Diese Entscheidungen, die morgen hier zur Debatte stehen, betreffen
Probleme aus dem Bereich der Agrarpolitik, das zukünftige Schicksal der Strukturfonds, den Finanzrahmen
der Europäischen Union in den Jahren 2000 bis 2006
und die Erweiterung der Europäischen Union. Es geht
also um nicht mehr und nicht weniger als um die Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion beantragt deshalb
die Aufsetzung eines entsprechenden Tagesordnungspunktes auf die Tagesordnung der heutigen Plenarsitzung, nachdem sich die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen geweigert haben, einem entsprechenden Tagesordnungspunkt zuzustimmen. Wir beantragen,
den Antrag der CDU/CSU-Fraktion „Agenda 2000 Europa voranbringen, einen fairen Interessenausgleich sichern“ heute auf die Tagesordnung zu setzen.
Im Rahmen der Beratungen der Verfassungsreform
zu Beginn dieses Jahrzehnts standen die Fragen im Mittelpunkt: Wie gehen Bundestag und Bundesrat, also beide gesetzgebenden Kammern, mit der Entwicklung der
Europäischen Union und mit der Politik in der Europäischen Union um? Wie können sie teilhaben an der Politikgestaltung und an der Rechtsetzung? Dies hat eine
bedeutende Rolle bei der Verfassungsreform gespielt.
Dies hat sich auch in einem neuen Artikel des Grundgesetzes, unserer Verfassung, und in einem zusätzlich erarbeiteten Gesetz niedergeschlagen. Es handelt sich somit um eines der jüngsten Rechte, das sich der Deutsche
Bundestag selbst gegeben hat.
Daß auch die andere Kammer, der Bundesrat, dieses
Recht ernst nimmt, ersehen Sie daran, daß in der laufenden Woche genau dieses Thema auf seiner Tagesordnung steht, weil sich der Bundesrat selbstverständlich
mit dem vorbereitenden Gipfel auf dem Petersberg, der
jetzt stattfindet, und mit den Inhalten auseinandersetzen
möchte. Daß sich das Europäische Parlament ebenfalls
noch in dieser Woche mit der morgigen Sitzung in Bonn
auseinandersetzt, können Sie der Tagesordnung dieses
Parlaments entnehmen.
Im Grundgesetz, unserer Verfassung, sind in Art. 23
Rechte und Pflichten festgelegt worden. Ich möchte auf
beides hinweisen - ich zitiere Art. 23 Abs. 3 -:
Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an
Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die
Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das
Nähere regelt ein Gesetz.
Auch auf dieses Gesetz habe ich bereits hingewiesen.
Darüber hinaus gibt es konkrete Pflichten. In Art. 23
Abs. 2 unseres Grundgesetzes steht:
In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die
Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.
Wenn in dieser Woche auf dem Petersberg im Rahmen eines EU-Gipfels unter deutscher Präsidentschaft
die Agenda 2000 beraten wird, dann hat die Bundesregierung für ihre Verhandlungsposition eine Stellungnahme des Bundestages einzuholen. Dies ergibt sich aus
dem Sinn und aus dem Geist von Art. 23 unseres
Grundgesetzes.
({0})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen auf seiten der
Regierungskoalition, es ist unstreitig, daß die Berücksichtigungspflicht der Bundesregierung bereits zu dem
Zeitpunkt eintritt, zu dem sie sich ihre Meinung bildet
und die Verhandlungspositionen festlegt. Da die Bundesregierung darüber hinaus noch die Präsidentschaft
hat und damit einen ganz entscheidenden Einfluß auf die
Inhalte dieser Verhandlungen nimmt, muß sie sich bereits im Vorfeld um die Meinung des Parlamentes kümmern.
Im Schlußbericht der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat ist zu genau
diesem Thema in bezug auf den Moment der Entscheidungsfindung folgendes festgehalten:
Die Bundesregierung hat folglich die Argumente
des Bundestages - wie die des Bundesrates - zur
Kenntnis zu nehmen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und sie in ihre Entscheidungsfindung einzubeziehen.
Dies ist der Geist und der Sinn des Berichts der Gemeinsamen Verfassungskommission, den Bundestag und
Bundesrat gemeinsam beschlossen haben.
({1})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen auf
seiten der Regierungskoalition, ich möchte Sie sehr
herzlich bitten: Machen Sie es bei diesem wichtigen
Punkt, bei dem die Verfassung tangiert ist, nicht so wie
in einigen anderen Fragen im Laufe dieser Woche, wo
Sie aus Hybris, aus einer Arroganz der Macht heraus
gegen die politische Klugheit und gegen den Geist der
Verfassung verstoßen haben!
({2})
Stimmen Sie unserem Antrag zu! Setzen Sie den Antrag
auf die Tagesordnung! Lassen Sie uns gemeinsam darüber diskutieren, was morgen hier in Bonn unter deutscher Präsidentschaft zum Thema Agenda 2000 diskutiert und vorbereitet wird! Ich bitte Sie sehr herzlich
darum, diesem Antrag zuzustimmen.
({3})
Das Wort hat Wilhelm Schmidt, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich finde, Herr Repnik, Sie plustern sich in
letzter Zeit mit Geschäftsordnungsdebatten in einer so
unglaublichen Weise auf, daß es schon unerträglich ist.
({0})
Sie verschanzen sich in dieser Woche übrigens zum
zweitenmal - Sie haben das auch in der Ältestenratssitzung getan - hinter Vorschriften des Grundgesetzes, die
an dieser Stelle überhaupt nicht Platz greifen. Sie sind
eigentlich nur auf Klamauk programmiert und versuchen
das krampfhaft mit Grundgesetzbestimmungen zu untermauern.
({1})
Daß das so ist, werden wir im Laufe des Tages in einem
anderen Zusammenhang noch einmal besprechen. Ich
sage Ihnen das sehr deutlich.
Ich will die Debatte auf den eigentlichen Kernpunkt
zurückführen.
({2})
- Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zuhören würden.
({3})
Der Gipfel, der am Freitag stattfindet, ist ein Verhandlungsgipfel, der nur dazu dient, Verhandlungspositionen zu eruieren. Der eigentliche Gipfel findet Ende
März und der Abschlußgipfel im Juni statt.
({4})
Erstens kriegen Sie ja im Europaausschuß laufend die
Informationen, und zweitens - das will ich sehr deutlich
unterstreichen - sind Sie auch von uns immer auf dem
laufenden gehalten worden.
({5})
Sie können nicht sagen, daß Sie über den Gang der Dinge nicht informiert sind.
Im übrigen könnte es sich störend auf den Erfolg dieses Gipfels auswirken, wenn man die Verhandlungsziele, um die auf dem Gipfel gerungen wird, in diesem
Hause öffentlich diskutiert. Lassen Sie dem Kanzler die
Ruhe,
({6})
mit den Vertretern der anderen Nationen über Europa zu
diskutieren. Danach bekommen Sie Ihre Informationen.
Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß Sie ständig den
Versuch unternehmen, den Gang der politischen Dinge
hier im Hause zu blockieren und zu boykottieren. Wir
werden das jedenfalls nicht mitmachen.
({7})
Unabhängig davon, daß Sie es irgendwann einmal
lernen sollten, hier Mehrheitsverhältnisse zu respektieren und zu akzeptieren,
({8})
will ich Sie darauf hinweisen, daß wir in diesem Lande
die Möglichkeit haben, die Regierung bei ihrer Arbeit
mit dem entsprechenden Material auszustatten. Das
werden wir dann auch tun. Aber lassen Sie die Regierung doch überhaupt erst einmal klären, welche Verhandlungspositionen es geben wird. Das wird sich morgen auf dem Gipfel abzeichnen, und Ende März werden
auch für Sie die Informationen dasein. Wir werden bis
Ende Juni häufig genug hier im Hause über Europa diskutieren.
Der Bundesrat, den Sie angeführt haben, diskutiert
übrigens morgen nicht über den Gipfel,
({9})
sondern er bereitet die Debatte über den Gipfel Ende
März vor.
({10})
Das werden wir auch in diesem Hause tun.
Sie sind überhaupt nicht außen vor, sondern ausreichend informiert. Art. 23 des Grundgesetzes wird nicht
im entferntesten verletzt. Deshalb werden wir Ihrem
Antrag nicht zustimmen.
({11})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Jörg van Essen, F.D.P.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Es ist ja doch schon merkwürdig,
was wir von dem Kollegen Schmidt hier gehört haben.
({0})
Das Begehren des Parlaments, über eine der zentralen
Fragen der Politik zu debattieren, nämlich über die
Europapolitik, wird von ihm in die Nähe von Klamauk
gerückt. Ich finde das unerträglich.
({1})
Es ist auch nicht die Aufgabe des Parlaments, Herr
Kollege Schmidt, dem Bundeskanzler Ruhe zu geben,
sondern die Aufgabe des Parlaments ist es, dem Bundeskanzler Feuer unter einem bestimmten Körperteil zu
machen.
({2})
Deswegen stimmen wir dem Antrag der CDU/CSUFraktion zu.
({3})
Ich denke, daß es gerade im Vorfeld dieses Gipfels
Sinn macht, über Europapolitik zu diskutieren. Ich denke, daß es auch deshalb Sinn macht, über Europapolitik
zu diskutieren, weil wir ja sehr bald Europawahlen haben und die Bürger Anspruch darauf haben, zu erfahren,
welche unterschiedlichen Konzeptionen die verschiedenen Fraktionen haben.
({4})
Wir stimmen zwar dem Antrag zu. Aber ich möchte
doch deutlich machen, daß wir in vielen Fragen anderer
Auffassung als die CDU/CSU sind.
({5})
Wir möchten zum Beispiel in der Frage der Osterweiterung bei der bewährten Linie der früheren Bundesregierung bleiben und sie gerne fortsetzen.
({6})
Damit wir das deutlich machen können, brauchen wir
eine Debatte.
Wer sich einmal den Zeitplan der heutigen Plenarsitzung anschaut, wird feststellen, daß wir bisher vorgesehen haben, bis 20 Uhr zu tagen. Wir haben in den vergangenen Tagen die Beratungen bis weit in den späten
Abend hinein durchgeführt. Deshalb gibt es auch von
der zeitlichen Seite her überhaupt keinen Anlaß, den
Antrag der CDU/CSU-Fraktion abzulehnen. Wir werden
ihm deshalb zustimmen.
Vielen Dank.
({7})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Kristin Heyne.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe zu lange die Oppositionsbänke in verschiedenen Gremien gedrückt - und übrigens aus der Opposition heraus auch eine ganze Menge
Dinge durchgesetzt -, um die Rechte der Opposition und
vor allem des Parlaments jetzt nicht ernst nehmen zu
wollen.
Aber was wir in diesem Haus in den vergangenen
Monaten und ganz besonders in dieser Woche an völlig
unnötigen und unsinnigen Debatten erlebt haben - rauf
Wilhelm Schmidt ({0})
und runter und immer noch einmal -, das ist allmählich
ein Fall für den Rechnungshof. Schließlich üben wir hier
gutbezahlte Tätigkeiten aus.
({1})
Ich gebe dem Kollegen Repnik darin recht, daß die
Agenda 2000 ein sehr wichtiges und zentrales Thema ist.
({2})
- Wir können uns gerne im einzelnen darüber unterhalten, wie gerade Ihre Fraktionen in dieser Woche hier
Destruktionspolitik betreiben.
({3})
- Ich glaube, die Diskussion führen wir heute in Ruhe
im Ältestenrat. Dort ist sie besser aufgehoben.
({4})
- Um den Stil gewisser Herren in diesem Hause deutlich
zu machen,
({5})
möchte ich den Zwischenruf eines Kollegen wiederholen. Er sagte: „freches Luder“. - Vielen Dank, wir wissen nun, mit wem wir es zu tun haben.
({6})
Ich komme zurück zum Thema. Herr Kollege Repnik,
ich stimme Ihrer Einschätzung zu, daß die Agenda 2000
ein wichtiges und zentrales Thema ist. Wie Sie sicher
wissen, ist seit dem ersten Kommissionsentwurf im Juli
1997 in allen Gremien dieses Hauses dieses Thema vielfältig diskutiert worden.
({7})
- Selbstverständlich auch im Plenum.
In dieser Woche - ich halte dies für ein notwendiges
parlamentarisches Vorgehen - ist der EU-Ausschuß intern in einem erweiterten Obleutegespräch noch einmal
ausführlich informiert worden.
({8})
Das ist die angemessene Informationspolitik unmittelbar
vor diesem informellen Gipfel am Wochenende. Bei
diesem Gipfel geht es nicht darum, Entscheidungen zu
fällen. Deswegen greift der Art. 23 des Grundgesetzes
an dieser Stelle nicht.
({9})
Die Ausgangslage in diesen Verhandlungen ist kompliziert. Das wissen Sie ganz genau. Daher ist es nicht
an der Zeit, den Holzhammer zu schwingen, wie gewisse Herren aus Bayern das gerne tun würden,
({10})
und vor diesem Gipfel Verhandlungspositionen in die
Welt zu posaunen. Es geht vielmehr darum, offen in die
entsprechenden Gespräche zu gehen. Herr Kohl weiß
das ganz genau; denn er hat viele solcher Gespräche geführt und hat in der Vergangenheit genauso gehandelt,
was ja vernünftig war.
Es geht Ihnen um etwas ganz anderes. Gerade Sie haben viel zu lange verschwiegen, daß sich mit der Agenda 2000 in der Agrarpolitik etwas ändern wird.
({11})
Sie haben die Bauern in dem Glauben gelassen, daß sie
das, was in Brüssel beredet wird, nichts angehe. Sie
wußten aber ganz genau, daß das nicht richtig war.
({12})
Sie versuchen jetzt, durch markige Sprüche und Forderungen, Ihre Versäumnisse zu überdecken. Eine Forderung von 14 Milliarden DM Beitragsentlastung ist doch
reine Kraftmeierei und hat mit realer Politik nichts mehr
zu tun.
({13})
Ihre Politik, die wir in den letzten Wochen erlebt haben, ist ein Ausdruck des Kurswechsels innerhalb der
CDU/CSU. Ihre innenpolitischen Absichten haben eindeutig Vorrang vor der europäischen Integration. Meine
Herren und Damen von der CDU/CSU, fragen Sie sich
einmal, wieviel Porzellan Sie denn noch zerschlagen
wollen. Wann ist Ihr ungebremster Populismus endlich
beendet?
({14})
Die Gespräche an diesem Wochenende sollen einen
offenen und vertrauensvollen Gedankenaustausch ermöglichen. Wir sollten sie nicht mit völlig überzogenen
Forderungen belasten. Das Ziel der EU-Osterweiterung
ist ein sehr hoch gestecktes Ziel. Gerade deswegen
braucht es Behutsamkeit in den Verhandlungen.
Vielen Dank.
({15})
Für die PDSFraktion erteile ich das Wort dem Kollegen Roland
Claus.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Es wird Sie vielleicht inzwischen überraschen, aber wir stimmen dem Antrag der CDU/CSUFraktion diesmal nicht zu.
({0})
Man muß sich dazu in der Tat einiges in Erinnerung
rufen. Damit meine ich nicht die Erinnerung an die
letzten 16 Jahre, sondern nur die an diese Legislaturperiode. Erinnern wir uns doch einmal: Die CDU/CSUFraktion hat bisher kaum eigene Themen ins Parlament
gebracht. Sie hat vielmehr die anderen Oppositionsfraktionen, die F.D.P.-Fraktion und die PDS-Fraktion, die
Kartoffeln aus dem Feuer holen lassen. Dann naht eine
Haushaltsdebatte, und die CDU/CSU-Fraktion stimmt
im Ältestenrat der interfraktionellen Vereinbarung zu,
hier keine weiteren Themen aufzusetzen. Dann aber sagt
sie sich: Da war doch noch was. Was kümmert mich
mein Geschwätz von gestern? So erleben wir heute die
Auferstehung ihres parlamentarischen Interesses in der
wildentschlossenen Form dieses Geschäftsordnungsantrages.
({1})
Dazu können wir Ihnen nur sagen: Denken Sie, wir
merken nichts?
Die Hessen-Wahl, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, hat Sie offenbar etwas zu heftig aus dem
parlamentarischen Dornröschenschlaf gerissen. Ich will
Ihnen dazu nur sagen: Es war offenbar nicht der Märchenprinz, der Sie wachgeküßt hat, sondern ein Elch, der
Sie geknutscht hat.
({2})
Sie schwingen hier die große Keule des Grundgesetzes. Sie sagen, die Regierung solle erklären, was sie mit
den anderen europäischen Regierungen verabreden
wolle. Das geht sehr in Ordnung; aber das ist auch keineswegs in Frage gestellt. Wir haben bei diesem Thema
keine neue Lage. So schnell schießen die Preußen nicht,
auch der Niedersachse und der Hesse nicht, es sei denn,
Sie wollten hier beantragen, den Bundeshaushalt in Euro
umzustellen.
Wir meinen, daß Sie es mit Ihrem Hinweis auf das
Grundgesetz diesmal gründlich übertrieben haben.
Soviel für heute und zur Ablehnung dieses Unionsantrages. Für den Fall, daß es morgen an gleicher Stelle
zum gleichen Thema um Tages- und Geschäftsordnung
geht, geloben wir schon jetzt ein wenig Besserung.
Vielen Dank.
({3})
Wir kommen zur
Abstimmung. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag?
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Aufset-
zungsantrag ist mit den Stimmen der SPD-Fraktion, der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der PDS-Fraktion
abgelehnt worden.
Wir setzen damit die Haushaltsberatungen fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für
das Haushaltsjahr 1999
({0})
- Drucksache 14/300 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über den Stand und die voraussichtliche Entwicklung der Finanzwirtschaft
- Drucksache 14/350 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß ({1})
Finanzausschuß
Ich erinnere daran, daß wir am Dienstag für die heutige Aussprache insgesamt acht Stunden beschlossen
haben.
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie.
Das Wort hat Bundesminister Werner Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Oberstes Ziel dieser Bundesregierung ist der
Abbau der Arbeitslosigkeit. Wir setzen bei dieser Aufgabe keineswegs nur auf Wirtschaftswachstum, aber
eben auch auf Wirtschaftswachstum. Seit Ende letzten
Jahres hat sich der weltwirtschaftliche Rahmen anhaltender verschlechtert, als allgemein erwartet.
({0})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich bitte doch, entweder hinauszugehen
oder sich hinzusetzen und zuzuhören. Das gilt ausdrücklich auch für die SPD-Fraktion.
Wir müssen die Wachstumserwartungen realistischerweise etwas zurücknehmen, und wir
wollen das Wachstum haushaltspolitisch stärker stützen.
Diese konjunkturpolitische Notwendigkeit wird auch im
Haushalt des Wirtschaftsministers berücksichtigt. Mit
anderen Worten: Eine meiner wirtschaftspolitischen
Grundüberzeugungen, nämlich Senkung von Staatsausgaben und Staatsquote, wird mit dem aktuellen BMWiHaushalt nur begrenzt verwirklicht.
Zwei große Positionen sind im Haushalt des BMWi
zusätzlich vorgesehen bzw. neu. Einerseits wurden über
800 Millionen DM Forschungsmittel vom Forschungsministerium übertragen; andererseits erfordert das Einhalten der Vereinbarung mit dem Steinkohlebergbau
rund 700 Millionen DM zusätzliche Kohlesubvention.
Das sind also zusammen zusätzlich 1,5 Milliarden DM.
Der BMWi-Haushalt steigt aber gegenüber dem Entwurf
der alten Bundesregierung nur um 1,2 Milliarden DM.
Es wurden also an vielen einzelnen Positionen insgesamt
300 Millionen DM eingespart. Sparen heißt nicht blindes Streichen. So sind genügend Mittel zum Beispiel
auch für die Luftfahrt eingestellt.
Was die Luftfahrt anbelangt, so ist es mein Ziel, mit
den eingestellten Hilfen ein möglichst großes Programmvolumen zu realisieren, indem wir mit den zu
begünstigenden Unternehmen und Bundesländern über
eine stärkere Beteiligung verhandeln wollen. Ferner soll
in diesem Bereich auch verstärkt das Instrument der
Bürgschaft eingesetzt werden. Die Perspektiven der
deutschen Luftfahrtindustrie sowohl hinsichtlich Technologie als auch hinsichtlich globaler Wettbewerbschancen lohnen unsere Hilfe, namentlich wenn und solange
wir uns um neue Produktionen in unserem Land bemühen.
({0})
Eine große Position im BMWi-Haushalt - fast die
Hälfte - nehmen die Hilfen für die deutsche Steinkohle
in Anspruch. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
deutschen Steinkohleförderung sollen wissen, daß sich
diese Bundesregierung an die vereinbarten Kohlehilfen
fest gebunden fühlt.
({1})
Dieser Grundsatz muß auch angesichts europäischer
Rahmenbedingungen gelten, was noch manche Verhandlungen erfordern wird. Ich will hinzufügen: Das
dauerhafte Verwirklichen der geplanten Kohlepolitik ist
nicht allein Aufgabe der Politik, sondern bedarf auch der
Mitwirkung des Bergbaus, seiner Mitarbeiter und seiner
Eigentümer.
Neben den immens teuren Steinkohlehilfen enthält
der BMWi-Haushalt Positionen zur Förderung regenerativer Energien, namentlich der verschiedenen Formen
der Sonnenenergienutzung.
({2})
Es ist im Koalitionsvertrag verabredet worden - und ich
habe dafür gesorgt - daß das 100 000-Dächer-Programm
Anfang des Jahres sofort gestartet werden konnte.
({3})
Dieses schnelle Handeln war auch notwendig, damit die
verbliebenen einheimischen Hersteller von photovoltaischen Zellen hier im Lande bleiben. Das Interesse an
diesem Programm ist so groß, daß wir den Markterfolg
im Startjahr möglicherweise unterschätzt haben.
({4})
Wenn das vereinbarte Programm voll ausgeschöpft ist,
sind mit rund 1 Milliarde DM Hilfe 2,5 Milliarden DM
an Investitionen ausgelöst worden.
({5})
Zur Förderung anderer Nutzungsarten der Sonnenenergie ist ein weiteres Programm in Arbeit, das rechtzeitig
mit der Bereitstellung der Mittel aus der Ökosteuer gestartet wird.
Bei aller Sympathie für regenerative Energien müssen
wir uns zwei Dinge bewußt machen: Erstens wird sich
ihr Marktanteil nur allmählich vergrößern, und zweitens
müssen wir eine langfristig subventionsfreie Energiestruktur anstreben.
({6})
Gelegentlich lese oder höre ich gerade aus den Reihen der Energiewirtschaft selber die Meinung, der Ausstieg aus der Kernenergie sei noch keine Energiepolitik.
Meine Erfahrung der letzten 16 Jahre ist, daß das unbedachte „Weiter so“ gerade auch in Sachen Kernenergie
jedwede zukunftsorientierte Energiepolitik verhindert
hat.
({7})
Erst seitdem das politische Ziel dieser Bundesregierung
und der beiden sie tragenden Parteien, nämlich die Nutzung von Kernkraftwerken so schnell als möglich zu beenden, in voller Breite gesellschaftlich diskutiert wird,
werden die bestehenden energiepolitischen Defizite auch
der breiten Öffentlichkeit deutlich. Jetzt weiß jedermann, daß zum verantwortlichen Betrieb von Kernkraftwerken auch vernünftige Konzepte zu den Themen
„Transport“, „Zwischenlagerung“ und „Endlagerung“
gehören. Jetzt ist auch jedermann bewußt geworden, daß
es diese Konzepte nach 16 Jahren CDU/CSU-undF.D.P.-Regierung nicht gibt.
({8})
Das Ziel des geordneten Kernenergieausstiegs bewirkt, daß alle bisher ungeordneten Einzelthemen des
Bereichs Kernenergie nun geordnet werden.
Eines sollte dabei allen, auch den Kernkraftwerksbetreibern, bewußt sein: Ohne Lösung der Entsorgungsproblematik ist ein unerwartet schnelles Ende der Kernenergienutzung keineswegs unwahrscheinlich. Alle Lösungen der Entsorgungsproblematik erfordern die Akzeptanz nicht nur der Politik, sondern auch der Gesellschaft.
({9})
Man wird diese Akzeptanz nur gewinnen können, wenn
die Nutzung der heutigen Kernkraftwerke einem Ende
zugeführt wird.
({10})
Das heißt nun nicht, daß demnächst sozusagen jedes
Jahr einige Kernkraftwerke stillgelegt würden, so daß
wir in hohem Maße unter Zugzwang stünden, sofort Ersatzkapazitäten verfügbar zu haben. Aber wir müssen
uns verstärkt um die Alternativen kümmern. Wir müssen
mit einer Einstiegsdebatte beginnen. Ich lasse derzeit
hierfür einen organisatorischen Rahmen erarbeiten, der
die interessierten gesellschaftlichen Gruppen und deren
Sachverstand breit einbeziehen wird.
({11})
Zu den wichtigen, kurzfristigen energiepolitischen
Aufgaben gehört eine sorgfältige Analyse der Wirkungen der Einführung des Wettbewerbs auf dem Strommarkt. Eine ungewollte Wirkung sehe ich in der Gefahr, daß die Konzessionsabgabe als wichtige kommunale Finanzquelle austrocknen könnte. Als Konsequenz
ist eine baldige Novellierung der Konzessionsabgabenverordnung notwendig, die wir deswegen zügig erarbeiten und vorlegen werden.
({12})
Ferner sehe ich Defizite auf der Anbieterseite des
Wettbewerbs, namentlich was neue Marktteilnehmer,
zum Beispiel auch die Erzeuger regenerativen Stromes
oder Kraft-Wärme-Kopplung-Stromes, anbelangt. Ich
habe hierzu das Gespräch mit der Stromwirtschaft aufgenommen, in der Absicht, daß eine Neufassung der
Verbändevereinbarung diese Probleme lösen hilft, damit
wir nicht alternative Lösungsmöglichkeiten ins Auge
fassen müssen. Wer, gerade von der Unternehmensseite,
in diesem Lande Energiepolitik vermißt, der kann also
zunächst selber einen Beitrag leisten und sollte sich ferner nicht überrascht zeigen, wenn und wie der staatliche
Träger der Energiepolitik seine möglichen Instrumente
zum Einsatz bringt.
({13})
Schließlich bleibt der Strompreisunterschied zwischen
Ost und West eine zu lösende Aufgabe, einschließlich der
Sicherung der ostdeutschen Braunkohleförderung.
({14})
Das ist eine energiepolitische Aufgabe. Sie gehört aber
auch zum Thema Aufbau Ost.
Damit komme ich zu einer weiteren großen Position
im Haushalt des Wirtschaftsministeriums. Am Aufbau
Ost wird nicht gespart.
({15})
Zentrales Instrument zur Förderung von gewerblichen
Investitionen und von wirtschaftsnaher Infrastruktur in
den neuen Ländern ist die sogenannte Gemeinschaftsaufgabe. Sie wird auch 1999 auf hohem Niveau fortgesetzt. Zusammen mit den Mitteln der Länder und denen
des europäischen Fonds für regionale Entwicklung stehen damit im laufenden Jahr für Ostdeutschland rund
6 Milliarden DM für neue Bewilligungen bereit.
({16})
Hinzu kommt, daß die neuen Länder überdurchschnittlich in den Programmen des BMWi zur Existenzgründung, zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen und zur Forschungs- und Innovationsförderung,
die wir übrigens verstärkt in Richtung marktnahe Produkte umgestalten werden, berücksichtigt werden. Das
Handwerk sowie kleine und mittlere Unternehmen sind
also ein besonderer Schwerpunkt der Wirtschafts- und
Steuerpolitik dieser Bundesregierung. Denn gezielte
Förderung einerseits und steuerliche Entlastungen andererseits lassen gerade in diesem Bereich der Wirtschaft
nicht nur den Erhalt, sondern auch den Aufbau von Arbeitsplätzen erwarten.
({17})
Auch unter diesem Aspekt bin ich übrigens - das ist
nicht die größte Position im Haushalt - für eine verstärkte Unterstützung des Tourismus.
({18})
Hierzu sind in den Haushalt etwa zehn Prozent mehr
Mittel eingestellt worden. Der Tourismus ist eine umsatzstarke und stetig wachsende Branche. Es muß unser
aller Ziel sein, daß unser Land daran überproportional
partizipiert.
({19})
Wir müssen mehr ausländische Urlauber für unser Land
gewinnen, und vor allem sollten wir auch bei unseren
Bürgerinnen und Bürgern für mehr Urlaub in Deutschland werben.
({20})
So viel in der hier gebotenen Kürze zum vorgelegten
Haushaltsentwurf des Wirtschaftsministeriums.
Wie einleitend gesagt, ist es weder ein expansiver
Haushalt noch allerdings einer, der bereits merklich zum
Ziel der Rückführung der Staatsquote beitragen kann.
Ich werde mich weiter dafür einsetzen, daß wir diesem
notwendigen Reformziel näher kommen können und näher kommen werden. Denn wir brauchen in unserem
Land, gerade nach den letzten 16 Jahren, eine Revitalisierung der privatwirtschaftlichen Kräfte.
Vielen Dank.
({21})
Für die CDU/CSUFraktion spricht nun Kollege Wolfgang Börnsen.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei aller Redlichkeit, Herr Wirtschaftsminister: Eine Revitalisierung erreichen Sie
nicht durch einen Haushalt der Unberechenbarkeit.
Noch nie hat eine Bundesregierung in den letzten JahrBundesminister Dr. Werner Müller
zehnten eine so unberechenbare Wirtschaftspolitik begonnen wie diese.
({0})
Ludwig Erhard wurde zwar als Büste in das Kanzleramt
geholt, doch von der Idee, den Idealen, dem Konzept der
sozialen Marktwirtschaft ist diese Regierung weiter entfernt als wohl je eine zuvor. Hinter einer Fassade von
Schlagworten verbirgt sich Konzeptwirrwarr, in den
Grundtendenzen des Managements verbunden mit einer
zentralistischen Ideologie. Diese Wirtschaftspolitik verunsichert die Betroffenen in noch nie dagewesenem
Maße.
Bereits während des Wahlkampfes wurden die
Grundlagen für diese Wirtschaftspolitik der Unberechenbarkeit gelegt. Jost Stollmann werde Wirtschaftsminister, so wurde verkündet - einer von euch, aus der
Neuen Mitte, unabhängig, mit ökonomischem Sachverstand. So mancher Mittelständler glaubte an das Wort
des Kanzlers im Wartestand. Sie wurden getäuscht und
enttäuscht. Schon am Tag der Regierungserklärung wurde das Kanzlerwort gebrochen. Ein kaltgestellter Stollmann trat zurück. Seine Begründung war bemerkenswert
- und ist bis heute aktuell geblieben -: Mit dieser Regierung kann man nichts erreichen.
({1})
Der Mohr hatte seine Schuldigkeit getan. Das Wort von
der Stollmann-Lüge machte die Runde. Aber was stört
die Verantwortlichen die Frage nach der politischen Moral, nach guten Sitten, wenn der Zweck die Mittel heiligt?
Als Fehler, fragwürdig und falsch erwies sich auch
der Glaube von so manchem Repräsentanten aus Handel
und Industrie nach einer neuen marktwirtschaftlichen
Ausrichtung der Politik. Schröder werde Akzente mit
Augenmaß setzen, der Wirtschaftspolitik einen neuen
Stellenwert geben, so wurde während des Wahlkampfes
suggeriert. Das Gegenteil ist eingetroffen. Nicht eine
angebotsorientierte Ordungspolitik bestimmt die ökonomische Vernunft, sondern eine Politik konsumorientierter Nachfrage mit zentralistischen Zügen.
Das Wirtschaftsministerium wurde dezimiert, die
Grundsatzabteilung vom Finanzminister okkupiert, der
Wirtschaftsminister von einem Gestalter zum Verwalter
eines Restministeriums degradiert. Seit Ludwig Erhard
hatte eine eigene Wirtschaftspolitik in Deutschland Priorität. Diese Ausrichtung hat unseren Wirtschaftsstandort
stark und stabil gemacht. Für andere Länder wurde dieses Modell Beispiel. Die Demontage des Wirtschaftsressorts ist mehr als eine Akzentverschiebung. Sie ist eine
Systemveränderung, der Bruch mit einer erfolgreichen
Tradition.
({2})
Da ist es fast zweitrangig, wenn sich nicht nur Fachleute fragen, wer eigentlich für diese Wirtschaftspolitik
verantwortlich zeichnet: der Kanzler,
({3})
Kanzleramtschef Hombach
({4})
oder nicht doch Schattenkanzler Oskar Lafontaine?
({5})
Offensichtlich hat auch seine Frau, Frau Müller, ein
Wort mitzureden.
({6})
Auf jeden Fall ist die Feststellung vieler Wirtschaftsjournalisten beunruhigend, es sei nicht Herr Müller
selbst, der die Zügel in der Hand habe. Selbst ein kompetenter Mann kann keinen Erfolg haben, Herr Müller,
wenn ihm die Instrumente aus der Hand genommen
werden.
({7})
Eine berechenbare Wirtschaftspolitik benötigt Klarheit, Konsequenz und ihren eigenen Rang.
({8})
Festzustellen ist eine breite Verunsicherung an allen
Fronten der Wirtschaft. Investitionen in unserem Land
gehen drastisch zurück. Die Konjunktur, die im vergangenen Jahr noch an Fahrt gewonnen hat, ist deutlich abgeschwächt.
({9})
Das diesjährige Wirtschaftswachstum wurde nach unten
korrigiert. Das sind die Folgen von Führungsversäumnissen.
Auch der Arbeitsmarkt gibt da eine deutliche Antwort. 1998 sank die Zahl der Menschen ohne Beschäftigung unter die 4-Millionen-Grenze. Für Gerhard Schröder blieben es freilich Kohl-Arbeitslose, wie er in Fernsehinterviews vielfach betonte: Kohl, Kanzler der Arbeitslosigkeit. Im Oktober reduzierte sich die Zahl der
Arbeitslosen noch einmal um fast 80 000. Dann setzte
die Politik der rotgrünen Koalition ein. Als die Reformgesetze übereifrig gekippt wurden, stieg die Zahl der
Arbeitslosen in Deutschland: im November 1998 um
55 000 auf 4 Millionen. Im Dezember 1998 waren es
über 4,2 Millionen Arbeitslose, im Januar 1999 über
4,4 Millionen Arbeitslose. Für Februar schätzen seriöse
Institute mehr als 4,7 Millionen Arbeitslose bundesweit.
Insgesamt ist die Arbeitslosigkeit mit Beginn der
Kanzlerschaft von Gerhard Schröder um mehr als eine
halbe Million Menschen gestiegen. Daran muß sich die
Regierung messen lassen.
({10})
Ob das jetzt Schröder-Arbeitslose sind, um mich an der
Schuldzuweisung des Kanzlers zu orientieren? Ist er
jetzt Kanzler der Arbeitslosigkeit?
Das Winterwetter wird als Begründung für die steigenden Arbeitslosenzahlen angeführt. Natürlich sind
saisonale Einflußfaktoren bei Beschäftigungsveränderungen zu berücksichtigen.
({11})
Wolfgang Börnsen ({12})
Auch die Finanzkrise auf den asiatischen Märkten ist eine Ursache. Doch der eigentlich Grund ist: Es fehlt eine
solide, berechenbare marktwirtschaftliche Wirtschaftspolitik, die zu mehr Einstellungen ermutigt.
Der Abstieg kam mit der Änderung der Reformgesetze der Regierung Kohl/Waigel. Mehr Einstellungsmobilität, mehr Kostenentlastung wollte man erreichen. Das
ist willkürlich gestoppt worden. Anstatt die Wirkung zu
modifizieren - was eine Alternative gewesen wäre -, ist
eine breite Verunsicherung der Wirtschaft entstanden.
Die Folge: Es fehlt Vertrauen für Investitionen. Was
bleibt, ist Unberechenbarkeit.
({13})
Wie die Wirtschaft auf eine solche Politik und Ausgangslage reagiert, wird deutlich an den Worten des Präsidenten des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, Dieter Philipp: Die Inhaber der deutschen Handwerksbetriebe seien von den ersten vier Monaten rotgrüner Politik in höchstem Maße verunsichert. Von Neueinstellungen im Jahre 1999 könne keine Rede mehr sein,
im Gegenteil: Man müsse Entlassungen befürchten. Es
wirkt wie Salz in der Wunde, wenn jetzt im Rahmen der
neuen Steuergesetzgebung Verlustvortrag und Ansparabschreibungen gestrichen und die Teilwertabschreibung in erheblichem Maße abgeschafft werden sollen.
Dafür gibt es jetzt die Steuer auf Umwandlungsgewinne.
Sie trifft Hunderttausende kleiner und mittelständischer
Betriebe in ihrer Existenz. Altersversorgung und Betriebsübergaben werden drastisch belastet. Besitzer mittelständischer Betriebe werden damit um ihre Lebensleistung gebracht.
({14})
Pessimismus macht sich breit. Wie sollen da Arbeitsplätze entstehen? Auf jeden Fall nicht in der Landwirtschaft. Diese wird von der Agenda 2000 bis zur Ökosteuer mit über 6 Milliarden DM zusätzlich belastet. Als
Investor hat sie im letzten Jahr 12 Milliarden DM ausgegeben. Diese Summe fällt in Zukunft weg. Weniger
Arbeit wird die Folge sein. Noch ist Zeit zur Umkehr
dieser Politik. Die Menschen im ländlichen Raum werden entmutigt, und Arbeit wird vernichtet. Deutschland
hat jetzt die EU-Ratspräsidentschaft. Jetzt muß der
Kanzler handeln. Wann denn sonst?
({15})
Unter deutscher Ratspräsidentschaft kommt es wohl
zum Ende der Duty-free-Regelung. Die norddeutschen
Gewerkschaften rechnen mit einem Wegfall von 5 700
Arbeitsplätzen. Allein im Ostseebereich gehen die Betriebsräte der Fährlinien von 20 000 Entlassungen im
Herbst aus. Noch im Dezember verkündete Kanzler
Schröder auf dem Wiener Gipfel vollmundig: Duty-free
bleibe erhalten, Deutschland, Frankreich und England
seien sich einig; das sei jetzt Chefsache. Kleinere Staaten wie Dänemark fühlten sich von diesem Diktat der
drei verärgert, mauerten um ihrer Selbstachtung willen.
Die Uneinigkeit der 15 Regierungen in dieser Frage
nutzte die EU-Kommission jetzt zum Schlußstrich, auch
wenn damit europaweit 140 000 Arbeitsplätze zerstört
werden. Noch kann der Ecofin-Rat am 15. März das
Steuer herumreißen. Sie, Herr Finanzminister, sind dabei
entscheidend. Verhindern Sie weitere 6 000 Arbeitslose
in Norddeutschland! Verhindern Sie weitere 140 000
Arbeitslose in Europa! Jetzt ist die Zeit zum Handeln.
({16})
Um Rücksichtnahme auf nationale Interessen geht es
auch beim strukturpolitischen Teil der Agenda 2000.
Wenn der Plan Wirklichkeit wird, werden nur noch
11 Regionen in Westdeutschland förderungswürdig sein.
Für alle anderen gibt es kein Recht mehr auf Wirtschaftsförderung; Brüssel schließt das aus. Das bedeutet,
daß die Wahlkreise von mehr als 100 Kollegen in diesem Haus betroffen sein werden. Einen solchen Kahlschlag für die benachteiligten Gebiete von Flensburg bis
Passau hat es noch nie gegeben. Jetzt ist zu handeln.
Jetzt, unter deutscher Ratspräsidentschaft, hat man das
Ruder herumzureißen. Es entsteht ein ganz großer Schaden für unser Land, wenn jetzt nicht gehandelt wird.
({17})
Schwere Versäumnisse gibt es auch in der maritimen
Politik: In der Seeschiffahrt und bei den Werften, überall
setzt eine Krise ein, wenn jetzt nicht gehandelt wird. Der
Mangel an gezielter Initiative, der radikale Kurswechsel
in der Wirtschaftspolitik, das sprunghafte Wechseln der
Prioritäten, das Fehlen operativer Konzepte und die Zunahme von Bürokratie auf allen Ebenen schaden dem
Wirtschaftsstandort Deutschland. Ein radikaler Kurswechsel zu einer Politik der Berechenbarkeit ist das Gebot der Stunde.
Danke schön.
({18})
Für die SPDFraktion erteile ich dem Kollegen Ernst Schwanhold das
Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, was wir in dieser Debatte von Herrn Börnsen vorgeführt bekommen. Er ignoriert die Änderungen in den
Steuergesetzen, operiert ganz bewußt mit falschen Aussagen
({0})
und tut so, als ob dies die Zukunft für unser Land wäre.
Nein, das Problem ist, daß Sie nicht wissen, wie Sie sich
wirtschaftspolitisch orientieren sollen, daß Sie noch immer darunter leiden, daß der große Teil der Misere, die
wir bei der Arbeitslosigkeit haben, durch Ihre falsche
Politik der letzten Jahre begründet ist. Sie haben noch
immer nicht den Neuanfang gefunden.
({1})
Herr Börnsen, wenn man die Arbeitslosenzahlen in
redlicher Weise miteinander vergleicht und nicht ganz
bewußt falsche Zeichen setzen will, ist der Vergleich des
Wolfgang Börnsen ({2})
Januars 1998 mit dem Januar 1999 die richtige Basis. Im
Januar 1999 sind es fast 370 000 Arbeitslose weniger.
Im übrigen ist das gegenüber dem Vergleich Dezember
1997 zu Dezember 1998 eine zusätzliche Abnahme um
40 000. Das darf man nicht überbewerten. Aber so zu
tun, als ob es durch die Regierung Schröder einen Anstieg der Arbeitslosigkeit gäbe, ist eine bewußte Falschaussage.
({3})
Natürlich darf man sich damit nicht zufriedengeben.
Ohne Frage sind die weltwirtschaftlichen Risiken vorhanden. Deshalb haben wir durch einen klaren Wachstumskurs mit wirtschaftspolitischer Flankierung dafür zu
sorgen, daß wir zu einer Belebung der wirtschaftlichen
Tätigkeit kommen, daß wir Arbeitslosigkeit abbauen
und daß wir zu mehr Beschäftigung in den Wachstumsbereichen der deutschen Wirtschaft gelangen.
Dazu gehört zunächst die Makropolitik. Dabei geht es
im Kern um eine koordinierte und konsequente Ausrichtung der Finanz- und Wirtschaftspolitik auf Wachstum und Beschäftigung. Kauf- und Investitionskraft der
Unternehmen müssen gleichermaßen gestärkt werden,
damit insbesondere die mittelständische regionale Wirtschaft wieder Perspektiven erhält.
({4})
Der Bereich der Finanzpolitik steht für nachfrageschaffende Steuerentlastungen - besonders bei den unteren und mittleren Einkommen; da ist es dringend notwendig -, aber auch für investitionsfördernde Unternehmensteuersenkungen. Genau die sind angekündigt;
genau die sind eingeleitet und werden stattfinden. Die
Nettoentlastung für Unternehmen und private Steuerzahler wird zunächst in der Größenordnung von 15 Milliarden DM liegen, was die Aufrechterhaltung solider
staatlicher Funktionsfähigkeit ohne Überschreitung der
europäischen Defizitkriterien noch gewährleistet. Genau
das war notwendig. Sie haben immer nur 30 Milliarden
DM angekündigt, ohne sie gegenzufinanzieren.
({5})
Die wachstumsfördernde Nettoentlastung für die
Wirtschaft wird bei Verabschiedung der vorstehend
skizzierten grundsätzlichen Unternehmensteuerreform
noch höher liegen. Auf der Ausgabenseite muß zudem in
den öffentlichen Haushalten durch Umschichtung mehr
Geld für Investitionen und Innovationen zur Verfügung
gestellt werden. Ich begrüße ausdrücklich, daß der Bundeshaushalt 58 Milliarden DM für Investitionsausgaben
vorsieht. Dies ist eine deutliche Stärkung.
In diesem Zusammenhang geht es um innovative
Konzepte für eine Neuverteilung der öffentlichen Aufgaben. Wir müssen den staatlichen Aufgabenkatalog im
Hinblick auf mehr Effizienz und mehr Modernität überprüfen. Dabei ist sicherlich ein richtiger Weg, öffentliche Entscheidungen und Aufgaben stärker an die Basis
zu verlagern.
Eine wesentliche Aufgabe beschäftigungsschaffender
Wirtschaftspolitik ist, die viel zu hohen Lohnnebenkosten deutlich zu senken. Sie sind übrigens bei uns zum
ersten mal nach unten gegangen, während sie bei Ihnen
immer nur gestiegen sind. Dies entlastet die mittelständische Wirtschaft.
({6})
Überdies gilt es, als weitere Kernfelder einer innovativen Politik umgehend schnellere Investitionsgenehmigungsverfahren zu schaffen, die für neue Wirtschaftsdynamik unerläßlich sind. Es geht darum, neue Märkte in
den Bereichen neue Energien und Energieeinsparung,
neue Werkstoffe, aber insbesondere auch im Dienstleistungssektor, in der Telekommunikation, im Bereich der
Luft- und Raumfahrt und im Bereich der Bio- und Gentechnologie zügig für zusätzliche Arbeitsplätze auszuschöpfen.
Es geht schließlich darum, die Investitionsförderung
im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung
der regionalen Wirtschaftsstruktur“, die besonders den
neuen Bundesländern zugute kommt und auch weiterhin
zugute kommen muß, auf Dauer zu stabilisieren.
Wir brauchen eine Politik für Innovationen. Unsere
so geschaffenen allgemeinen Rahmenbedingungen, besonders auch für die mittelständische Wirtschaft, werden
dazu führen, daß die mittelständische Wirtschaft in Zukunft in stärkerem Maße investiert und daß wir eine Innovationsoffensive bekommen.
Hiervon ausgehend sind zunächst zielgerichtet arbeitsplatzschaffende Offensiven für Prozesse, für Produkte und für Strukturinnovation notwendig. Die Unternehmen müssen im Forschungsbereich ebenso stark investieren wie der Staat. 1 Milliarde DM werden in den
Forschungsbereich investiert. Sie haben immer nur darüber geredet. Wer heute nicht in Forschung investiert,
verspielt die Arbeitsplätze in der Zukunft. Hier ist ein
Schwerpunkt gesetzt worden.
({7})
Es geht darum, daß wir im marktnahen Bereich der
Forschungsförderung noch deutlich besser werden. Seitens der Wirtschaft ist erfreulicherweise festzustellen,
daß die dortigen Aufwendungen für Forschung und
Entwicklung im letzten Jahr real gestiegen sind. Die
Ankündigungen für dieses Jahr deuten eine weitere Steigerung an. Die Plandaten der Unternehmen für 1999
sind im Bereich von Forschung und Entwicklung auf
Wachstum gestellt. Ich begrüße dies ausdrücklich. Die
Stellungnahme des Generalsekretärs des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft unterstreicht, daß der
Innovationsmotor in der deutschen Wirtschaft wieder
angesprungen ist und auf vollen Touren läuft.
Der Mittelstand ist und bleibt in Deutschland Hauptträger für Ausbildung und Beschäftigung. Die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit gerade im Bereich der
kleinen und mittleren Unternehmen ist daher auch in den
nächsten Jahren der wichtigste Motor für Arbeitsplätze.
({8})
Wir haben dies erkannt und im neuen Bundeshaushalt
beträchtliche Mittel zur Förderung innovativer Unternehmensgründungen, zur Beteiligung am InnovationsriErnst Schwanhold
siko in Technologieunternehmen sowie zur allgemeinen
Stärkung der Innovationsfähigkeit kleinerer und mittlerer Unternehmen bereitgestellt.
Der Wissenschaftstransfer von Forschungseinrichtungen in den Unternehmen, insbesondere im mittelständischen Bereich, muß wesentlich verbessert und die
diesbezügliche Umsetzungsgeschwindigkeit deutlich erhöht werden. Dies gilt in besonderem Maße für die Forschungslandschaft in Ostdeutschland, in der wir noch
große Defizite haben und die aufzubauen ist.
({9})
Dabei geht es um die zügige Schließung der Lücke
zwischen Forschung und Markteinführung. Deutschland
sitzt derzeit auf einem weitgehend ungehobenen Schatz
von Forschungsergebnissen und Technologien. Zur Zeit
erblicken nur 30 bis 40 Prozent der Grundlagenforschung das Licht wirtschaftlicher Anwendung. Wir müssen daher mit abgestimmten Konzepten die Technologietransfereinrichtungen und Innovationsberatungen
ausbauen und stärker vernetzen sowie die unternehmens- und praxisorientierte Aufbereitung von Forschungsergebnissen unterstützen, damit mittelständische
und kleine Unternehmen daran partizipieren können.
({10})
Neue Technologien bedürfen größerer gesellschaftlicher Akzeptanz, damit sie zügiger um- und eingesetzt
werden können. Wir brauchen in diesem Zusammenhang auch sichtbare publikumswirksame Modellvorhaben, die größere Technologie- und Innovationsoffenheit
in der Bevölkerung erzeugen. Wir sollten alle daran
mitwirken, daß diese zum Durchbruch kommen, und
nicht immer nur über die Schwierigkeiten am Standort
reden. Wer über die Schwierigkeiten redet, gibt denen
recht, die Innovation verhindern wollen. Deshalb machen Sie sich durch Ihre Reden hier auch an der Entwicklung in diesem Land schuldig.
({11})
Zur Stärkung der mittelständischen Wirtschaft: Unsere vorgenannten Konzepte für eine dynamische Wirtschaftspolitik stärken die Binnenkräfte der Konjunktur.
({12})
- Herr Hirche, haben Sie eigentlich in den letzten vier
Jahren in der Regierung gesessen und dieses Ergebnis
mit zu verantworten? Wenn ich auf Ihrem Stuhl säße,
abgewählt von der Bevölkerung und ohne in der Politik
in den letzten vier Jahren einen Erfolg oder ein Ergebnis
erzielt zu haben, würde ich mir solche Zwischenrufe ersparen.
({13})
Die mittelständische Wirtschaft hat Ihnen bei der
letzten Wahl doch zu Recht eine Quittung erteilt; denn
Sie haben sie nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt und die Chancen der mittelständischen Wirtschaft
nicht genutzt. Sie haben sie im Stich gelassen, und deshalb hat sie Ihnen bei der letzten Wahl ihre Stimme
verweigert.
Die vorgenannten Konzepte für eine dynamische
Wirtschaftspolitik stärken die Binnenkräfte der Konjunktur. Das ist der Humusboden, auf dem besonders die
kleinen und mittleren Unternehmen als Hauptträger der
Arbeits- und Ausbildungsplätze gedeihen. Richtigerweise unterstreicht deshalb das Bundeswirtschaftsministerium die zentrale Bedeutung des Mittelstands auch im
Haushaltsplan. Zusammen mit den mittelstandsbezogenen Ausgaben aus dem Bereich Technologie- und Innovationspolitik stehen hierfür insgesamt 2,2 Milliarden
DM zur Verfügung.
Es bedarf hinsichtlich des Mittelstandes allerdings
spezieller Aufmerksamkeit seitens unserer Wirtschaftspolitik durch verbesserte Rahmenbedingungen sowie
durch kohärente und übersichtliche Mittelstandsförderung. Wir müssen unser Ziel, die Projekte und Programme zusammenzufassen, in den nächsten Jahren
wirklich konzentriert angehen. Wir müssen die Förderung für kleine und mittlere Unternehmen und für Existenzgründungen auf wenige aufeinander abgestimmte
Programme konzentrieren und vereinfachen. In diesem
Zusammenhang muß es auch zu einer tragfähigen und
klaren Abgrenzung zwischen der Deutschen Ausgleichsbank und der Kreditanstalt für Wiederaufbau
kommen, damit diese beiden Bundesinstitute ihre volle
Kraft zugunsten des Mittelstandes einsetzen können.
({14})
Wir müssen die Eigenkapitalausstattung der kleinen
und mittleren Unternehmen verbessern. Dabei geht es
zum einen um die ungeminderte Fortführung des Eigenkapitalhilfeprogramms. Zum anderen müssen wir die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Mobilisierung
von Wagniskapital neu gestalten und im Zusammenwirken mit Kapitalgesellschaften, Banken und Versicherungen die Möglichkeiten für Wagniskapitalfonds ausbilden. Das, was Sie mit dem dritten Kapitalmarktförderungsgesetz nicht geschafft haben, müssen wir in dieser
Legislaturperiode im vierten Kapitalmarktförderungsgesetz lösen. Das ist eine Hinterlassenschaft von Ihnen aus
der vergangenen Legislaturperiode.
Wir müssen den Zugang zur selbständigen Tätigkeit
im Handwerk erleichtern. Der große Befähigungsnachweis bleibt allerdings Voraussetzung für die Selbständigkeit im Handwerk. Gleichwohl ist es ratsam, Flexibilität auf allen Seiten - auch bei den Kammerorganisationen - an den Tag zu legen, damit nicht unnötigerweise Unternehmen in den Ruin getrieben werden, weil
nicht der direkte Übergang von dem einen zum anderen
Meister organisiert werden kann. An dieser Stelle brauchen wir größere Flexibilität. Neue Betätigungsfelder,
die sich parallel zwischen Handwerk und Industrie entwickeln, müssen auch parallel ohne Hürden von seiten
des Handwerks ausgebaut werden können. Hier soll es
einen Wettbewerb und keine Hürden oder Mauern
geben.
({15})
Kollege Schwanhold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Hinsken?
Ja, natürlich. Es war mir
klar, daß die kommt.
Sie wissen doch noch
gar nicht, was ich fragen möchte, Kollege Schwanhold.
Wollen wir wetten, Herr
Hinsken?
Oder sind Sie so hellseherisch wie der Bundeskanzler, der alles besser weiß?
Das stimmt.
Herr Kollege Schwanhold, welche Meinung gilt nun für die SPD-Fraktion,
was Meisterprüfungen und den großen Befähigungsnachweis anbelangt: die, die Herr Hombach vertritt, oder
die, die Sie vertreten? Wird die Meisterprüfung in Zukunft berufsbegleitend zugelassen, oder möchte man am
bisherigen bewährten Prinzip festhalten? Welche Meinung vertreten Sie hierzu? Sie saßen ja selbst in der
Kommission, die im vergangenen Jahr noch einen vernünftigen Vorschlag erarbeitet hat. Oder haben Sie sich
in der Zwischenzeit auch schon gewandelt und bewegen
sich neuen Ufern zu?
Herr Hinsken, selbstverständlich ist erst durch meine Tätigkeit in der letzten
Wahlperiode etwas Vernünftiges bei der Beratung der
Handwerksnovelle herausgekommen.
({0})
Insofern bitte ich Sie, meinen Anteil nicht herabzuwürdigen.
Sie versuchen in Ihrer Frage, einen Widerspruch zwischen dem Bestand des Großen Befähigungsnachweises und der Möglichkeit eines berufsbegleitenden Abschlusses, der Meisterprüfung, aufzubauen. Das gibt es
doch schon längst; das wissen Sie. In den Fällen, in denen es nicht möglich ist, am Anfang einen Großen Befähigungsnachweis vorzulegen, aber eine Übernahme ansteht, kann das in den ersten Jahren nachgeholt werden.
({1})
- Natürlich gilt dies. Hier brauchen wir nicht die Ausnahmeregelung, die von seiten der Kammern sehr restriktiv gehandhabt wird, wodurch die Leute in den Ruin
getrieben werden, wenn sie es nicht in den ersten zwei
Jahren schaffen, weil sie sich in der Zeit um das Unternehmen kümmern. Hier brauchen wir weitaus großzügigere Übergangsregelungen. Deshalb wird aber der Große Befähigungsnachweis nicht abgeschafft. Im Zusammenhang mit der Debatte um die Handwerksnovellierung werden wir in den nächsten Jahren eine Flexibilisierung vornehmen.
Auch haben wir noch ein Urteil eines Gerichtes zur
Anlage C zu gewärtigen. Dann wollen wir einmal sehen,
welche Positionen Sie in der Union einnehmen. Ich kann
mich ausgesprochen gut daran erinnern, daß sich der
Kollege Uldall als wirtschaftspolitischer Sprecher gar
nicht in die Debatte eingemischt hat, obwohl er völlig
anderer Meinung gewesen ist als Sie.
({2})
Aus- und Weiterbildung müssen gerade im Bereich
der mittelständischen Wirtschaft verstärkt werden. Als
rohstoffarmes Land müssen wir uns immer wieder bewußt machen, daß Know-how der treibende Faktor unseres Wohlstandes ist. Wir dürfen keineswegs zulassen,
daß etwaiger Mangel an geeignetem Personal in diesem
Land eine Wachstumsgrenze darstellt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kommt es aber durchaus vor, daß
Wachstumsunternehmen nicht das geeignete Personal
finden. Deshalb gilt es, einen Schwerpunkt genau in jenen Bereichen zu setzen, in denen die Nachfrage ist, und
durch Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen schleunigst
die Lücke zu schließen.
Wir brauchen mehr Facharbeiter für das Handwerk,
und wir brauchen insbesondere mehr Ingenieure in diesem Land. Ich verbinde es ausdrücklich mit einem Appell an junge Menschen, sich den Ingenieurwissenschaften zuzuwenden, weil im Bereich der neuen Technologien eine große Chance für den zukünftigen Arbeitsmarkt liegt. Sie sollten also als Berufsziel nicht nur
den Einstieg in den öffentlichen Dienst wählen, in dem
die Einstellung inzwischen ohnehin außerordentlich
schwer ist, sondern dazu beitragen, daß im ingenieurwissenschaftlichen Bereich ausreichend Arbeitskräfte in
diesem Land zur Verfügung stehen.
Das vierte Handlungsfeld sind die erneuerbaren
Energien. Wir werden mit dem Programm für 100 000
Dächer und mit dem Energiesparprogramm dem Handwerk einen zusätzlichen Arbeitsmarkt eröffnen. Es wird
ein Netzwerk von Dienstleistern im Handwerk geben,
die dazu beitragen, daß mehr Beschäftigung und neue
Impulse in der mittelständischen regionalen Wirtschaft
entstehen. Nicht nur, aber auch bei den Photovoltaikanlagen geht es in besonderem Maße um die
Dienstleistungen des Handwerks, die zur Ergänzung
beitragen. Wir brauchen nicht nur eine Ausstiegsdebatte,
sondern vor allem eine Debatte um den Einstieg in alternative Energien, in Energieeinsparung und am Ende
auch über die Grundlastsicherung mittels anderer Energieträger.
({3})
Das fünfte Handlungsfeld ist die Außenwirtschaftspolitik. Die derzeit angespannte weltwirtschaftliche Lage und die damit geminderten deutschen Exportaussichten erfordern eine Intensivierung und ein besseres
Stream-lining der deutschen Außenwirtschaftsförderung
sowie stärkere internationale wirtschaftspolitische Zusammenarbeit. Für uns ist es deshalb wichtig, daß auch
in diesem Haushalt die Mittelstandförderung auf den
Exportmärkten und die Messeförderung voran getrieben
sowie die Auslandsaktivitäten der Außenhandelskammern weiter gefördert und konzentriert werden. Hier
sind unverändert neue Märkte zu erschließen.
Wer diese fünf Bereiche miteinander verzahnt, dem
wird es in den nächsten Jahren gelingen, daß über
Wachstum zusätzliche Märkte und neue Beschäftigung
erreicht werden. Genau dies ist das Ziel der Wirtschaftspolitik der gegenwärtigen Bundesregierung, dem dieser
Haushalt abgestimmt entgegenkommt.
({4})
Ich erteile dem Kollegen Paul Friedhoff, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir Freien Demokraten waren noch nie
der Ansicht, daß man die Qualität der Wirtschaftspolitik
am Umfang von Förderprogrammen des Wirtschaftsministeriums bemessen kann.
Herr Schwanhold, Sie haben gerade wieder ein
flammendes Bekenntnis zum Mittelstand abgelegt. Anschließend haben Sie erzählt, welche Förderprogramme Sie alle machen. Sie haben darauf hingewiesen, was Sie an wie vielen Stellen fördern. Offensichtlich läßt sich alles durch Programme regeln. Zumindest
ich und viele der Kollegen haben diesen Eindruck gehabt. Was der Mittelstand allerdings braucht, haben Sie
im Grunde genommen überhaupt nicht behandelt. Der
Mittelstand braucht, um höhere Eigenkapitalquoten
zu haben, nicht ein zusätzliches Programm, er braucht
niedrigere Steuern. Damit bekommt man höhere
Eigenkapitalquoten.
({0})
Insofern hat mich das, was Sie gesagt haben, weniger
beeindruckt. Beeindruckt hat mich allerdings das, was
Minister Müller hier gesagt hat. Er hat bekannt - ich habe mir das aufgeschrieben -, die Revitalisierung der
privatwirtschaftlichen Kräfte sei sein Ziel. Ich bin sicher, da wird er die volle Unterstützung nicht nur der
Freien Demokraten, sondern auch der früheren Koalition
bekommen, denn damals war das unser Ziel. Wir hatten
eher das Gefühl, daß das auf der anderen Seite des Hauses bekämpft wurde.
Wenn Sie das mit dem in Verbindung bringen, was
Herr Schwanhold gesagt hat, nämlich daß man für dieses
oder jenes ein Programm habe und daß dieses oder jenes
ganz besonders wichtig sei, so hat das mit Revitalisierung der privatwirtschaftlichen Kräfte relativ wenig zu
tun. Das ist relativ weit davon entfernt. Auch hier gibt
es, glaube ich, wie an vielen anderen Stellen in der Koalition Abstimmungsbedarf.
Dabei steht das Wirtschaftsressort im Mittelpunkt.
Was wir von dort manchmal an tollen Sachen hören,
auch das, was wir von Herrn Minister Müller hören,
steht im Widerspruch zu dem, was anschließend getan
wird. Insofern ist dieser Haushalt ganz sicher kein
Haushalt zur Revitalisierung der privatwirtschaftlichen
Kräfte in diesem Land.
({1})
Die Qualität der Wirtschaftspolitik bemißt sich letztlich an den Investitionsbedingungen, an den Rahmenbedingungen für unternehmerisches Engagement. Eine
gute Wirtschaftspolitik muß Vertrauen schaffen, damit
investiert wird und damit dann auch neue Mitarbeiter
eingestellt werden. Verunsicherung hat gerade in kleinen
und mittleren Betrieben unmittelbare Auswirkungen auf
den Personalbestand. Nicht daß dann sofort alle Mitarbeiter automatisch entlassen werden, das wird kein mittelständischer Unternehmer ohne große Not tun. Aber es
gibt eben keine Neueinstellungen, wenn man zum Beispiel zu Beginn des Jahres noch nicht einmal weiß, welche Steuerlast in diesem Jahr auf einen zukommt. Dies
ist kontraproduktiv.
({2})
Eine unberechenbare Wirtschaftspolitik schädigt den
Arbeitsmarkt. So ist es auch keine Überraschung, daß
der von der rotgrünen Bundesregierung versprochene
nachhaltige Aufschwung am Arbeitsmarkt ausbleibt und
so, wie jetzt verfahren wird, auch nicht kommen kann.
Es gibt keine Besserung bei der Beschäftigungssituation.
Ganz im Gegenteil, die vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes deuten darauf hin, daß die Anzahl
der Erwerbstätigen seit November letzten Jahres rückläufig ist, nachdem es von Februar bis Oktober 1998
noch merkliche Zuwächse gegeben hat.
({3})
Wenn ich den Jahreswirtschaftsbericht, vorgelegt vom
Finanzminister, richtig verstehe, dann erwartet er auch
ein weniger großes Absenken der Arbeitslosenzahlen
dieses Jahres gegenüber den Zahlen des vergangenen
Jahres, obwohl vorher davon gesprochen worden ist, das
sei zu wenig, und an diesen Kennzahlen müsse man sich
messen lassen.
Was Sie als zuständiger Minister mitzuverantworten
haben, Herr Minister Müller, ist ein eklatanter Vertrauensverlust in die deutsche Wirtschaftspolitik. Investitionssicherheit und politische Berechenbarkeit haben immer zu den ganz wichtigen Standortbedingungen unseres Landes gezählt. Davon kann man nach hundert
Tagen rotgrüner Regentschaft nicht mehr viel sehen.
Nach einer Untersuchung der Allensbacher Meinungsforscher ist es bisher noch keiner Bundesregierung
gelungen, die Wirtschaft in ein ähnliches Maß an Verbitterung und Distanz gegenüber der Politik zu treiben
wie der Regierung Schröder.
({4})
Die Kammervertretungen in unseren Nachbarländern
verzeichnen nach Auskunft des DIHT einen regelrechten
Ansturm deutscher Unternehmen. Die Unternehmen im
Inland zeigen, so der DIHT weiter, eine erheblich gerinErnst Schwanhold
gere Investitionsbereitschaft als noch im September/
Oktober 1998.
Die Bundesbank teilt in diesen Tagen in ihrem neuesten Monatsbericht mit, daß das Bruttoinlandsprodukt
im vierten Quartal 1998 gegenüber dem dritten Quartal
real gesunken ist, zum erstenmal seit drei Jahren. Als
Ursache für den Wachstumsrückgang benennt die
Bundesbank zwei Gründe: den Nachfrageausfall in den
Wirtschaftskrisenregionen der Welt, der den deutschen
Export beeinträchtigt, und - ich zitiere wörtlich -:
Zum anderen haben sich aber auch die Unsicherheiten über die wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Perspektiven im Inland verstärkt.
Der Auftragseingang aus dem Inland geht bei den
heimischen Investitionsgüterproduzenten zurück. Ich
halte das für ein alarmierendes Zeichen.
Die Unternehmen stellen ihre Investitionen zurück
- das ist eindeutig -, insbesondere im Osten, wo jetzt
durch die Ökosteuern zusätzlich höhere Energiekosten
auf sie zukommen. Die Bundesbank sieht dafür wiederum zwei Gründe als ursächlich an. Ich zitiere erneut:
Zum einen wird befürchtet, daß es nach einigen
Jahren der Lohnzurückhaltung nun zu überhöhten
Lohnabschlüssen kommt. Zum anderen sehen viele
Unternehmen eine höhere Steuerbelastung auf sich
zukommen.
Wir reden nicht nur davon, Herr Schwanhold und Herr
Minister, daß die Unternehmen dies so sehen. Sie lesen
das, was Sie produzieren. Sie verfolgen die Diskussionen in Ihren Reihen, und sie kommen zu demselben Ergebnis wie wir.
Meine Damen und Herren, wir reden hier in der Tat
nicht über die Auswirkungen der Asien- und Rußlandkrise, sondern über die Auswirkungen der Standortkrise
Rotgrün.
({5})
Wir reden hier über hausgemachte katastrophale Fehler
in der deutschen Wirtschaftspolitik.
Man muß Ihnen, Herr Minister Müller, zugute halten,
daß Sie gelegentlich durchaus einiges versucht haben,
etwa mit Ihren Äußerungen zur Lohnpolitik im Dezember - diese fand ich ganz vernünftig - oder mit Ihrem
nur zu berechtigten Hinweis in diesem Monat, daß wir
heute keine endgültige Aussage zur langfristigen Nutzung der Kernenergie treffen können. Denn nur verblendete Ideologen können sich anmaßen, technologische Entwicklungen für alle Zeiten auszuschließen.
Warum aber haben Sie Ihre Überzeugungen nicht standhaft vertreten, statt schon nach 48 Stunden wie wild zurückzurudern?
Herr Minister Müller, Sie sind politisch nicht stark
genug, um sich mit solchen sachlichen Einwänden in der
rotgrünen Koalition Gehör zu verschaffen.
({6})
Sie schaffen es nicht, eigene Akzente in konkrete Politik
umzusetzen. Das zeigt auch der vorliegende Haushalt.
Sie haben so dem Finanzminister das Feld überlassen,
der weiterhin unbeirrbar mit seinen postkeynesianischen
Trommlern durch die Lande zieht. Und die Melodie, so
dissonant sie auch klingt, findet Beachtung.
Oskar Lafontaine kündigt das Ende der Bescheidenheit bei den Lohnabschlüssen an, und die Gewerkschaften lassen sich nicht lange bitten. Eine auf die
Laufzeit des Tarifvertrages berechnete Lohnerhöhung
von 4,2 Prozent in der Metall- und Elektrobranche liegt
weit außerhalb des gesamtwirtschaftlich Verantwortbaren.
Besonders verheerend ist, daß der Lohnzuwachs nicht
abhängig von den einzelnen Betrieben gestaltet werden
kann. Der kleine mittelständische Betrieb mit einem
hohen Arbeitskostenanteil wird also genauso behandelt
wie Daimler-Chrysler als kapitalintensiv produzierendes
Großunternehmen. Die längst überfällige Öffnung der
Tarifpolitik hin zu den Betrieben ist wieder einmal verhindert worden. Die IG Metall stellt dies als größten
Verhandlungserfolg heraus, weil sie damit ihre eigene
Machtposition verteidigt hat.
Das Resultat ist eindeutig: Die Tarifvertragsparteien
haben sich erneut auf eine Lösung zu Lasten der kleinen
und mittleren Betriebe und zu Lasten der Arbeitsplätze
verständigt. Was schon als Gesamtlösung im Südwesten
zu teuer ist, soll jetzt auch für die neuen Länder gelten.
Dies kann nicht gutgehen. Das Ende der Bescheidenheit
in der Lohnpolitik wird insbesondere den personalintensiven Mittelstand treffen. Es wird genau die Betriebe
treffen, die in den letzten Jahren neue Arbeitsplätze geschaffen haben. Die Bundesregierung trägt hierfür die
politische Verantwortung. Was nützt also all das Fabulieren über das „Bündnis für Arbeit“, wenn niemand in
der Bundesregierung für eine beschäftigungsorientierte
Lohnpolitik eintritt?
Herr Kollege Friedhoff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Jens?
Natürlich.
Herr Kollege Friedhoff, um
Sie ein bißchen von Ihrem Manuskript abzubringen und
damit es hier ein wenig lustiger wird,
({0})
möchte ich Sie fragen: Können Sie bestätigen - wie es
das Ifo-Institut festgestellt hat -, daß die mittelständischen Unternehmen im Rahmen der Steuerreform, die
wir heute mit diskutieren, um etwa 3 Milliarden DM
entlastet werden, während die großen deutlich stärker
belastet werden, so daß auf diese Weise das eintritt, was
Sie soeben gefordert haben: Chrysler zahlt mehr, und die
kleinen Unternehmen zahlen weniger?
Herr Kollege Jens, wenn
Sie sich die Gesamtdaten ansehen, dann werden Sie zu
dem Ergebnis gelangen: Erstens. Die deutsche WirtPaul K. Friedhoff
schaft wird stärker belastet. Zweitens. Wenn Sie etwas
in der Steuerpolitik verändern, werden Sie immer an der
einen Stelle Verbesserungen - wenn Sie es aufkommensneutral gestalten - und an der anderen Stelle Verschlechterungen haben. Das, was Sie beklagen, nämlich
die hohen Lohnnebenkosten und die hohe Steuerlast für
den Mittelstand, die auch wir alle beklagen, werden Sie
nicht dadurch wettmachen, daß Sie punktuell einigen
eine Kleinigkeit geben, während Sie unter dem Strich
andere erheblich belasten.
Ich möchte Ihnen - ich habe das im Wirtschaftsausschuß mehrfach getan - hier auch deutlich machen:
Wenn Sie zum Beispiel die Ökosteuer und ihre Auswirkungen ernsthaft betrachten, dann werden Sie feststellen, daß es sehr viele Verlierer im Mittelstand geben
wird. Die Leute wissen das, weil sie es selber durchgerechnet haben.
({0})
Daß Sie mit Ihren Maßnahmen andere möglicherweise streicheln, ist mir klar. Das war auch das Ziel der Aktionen, die Sie zu Beginn Ihrer Regentschaft letzten Jahres durchgepeitscht haben und mit denen Sie alle Sparmaßnahmen rückgängig gemacht haben, die wir durchgeführt haben. Man kann es so machen, aber es ist generell falsch.
Ich will mit meiner Rede fortfahren: Herr Lafontaine
läßt sich offenbar nicht beirren. Der anhaltende politische Druck auf die Europäische Zentralbank trägt
nach Überzeugung vieler Analysten zur aktuellen
Schwäche des Euro bei. An den Finanzmärkten droht
der Euro an Vertrauen zu verlieren. An der Spitze dieser
Bewegung steht ausgerechnet die deutsche Bundesregierung, die international immer als standhafter Vertreter
der Währungsstabilität galt.
Herr Wirtschaftsminister Müller, fragen Sie doch
einmal in Ihrem Hause nach, wer von Ihren Experten
diesen Vulgärkeynesianismus befürwortet? Was werden
Ihnen Ihre Mitarbeiter, die zumindest zum Teil noch aus
der alten Legislaturperiode stammen, auf diese Frage
entgegenhalten? - Ich kann mir nicht vorstellen, daß eine solche Politik Ihre Billigung und die Ihres Hauses
findet und Sie dagegen nicht stärker vorgehen. Gehen
Sie doch auf den Bundeskanzler zu - Sie haben doch einen guten Draht zu ihm -, damit er der verheerenden
Politik seines Finanzministers Einhalt gebietet. Es ist
schon zuviel Porzellan zerschlagen worden.
({1})
Ich komme zum Schluß. Die Wirtschaftspolitik der
rotgrünen Bundesregierung fährt, wie ich finde, zweigleisig: Der Wirtschaftsminister will möglicherweise das
Richtige und traut sich leider nicht. Der Finanzminister
will mit Sicherheit das Falsche, aber er traut sich leider
alles. Ich fürchte, die Resultate für den Wirtschaftsstandort Deutschland und die Arbeitsplätze in unserem
Land werden unsere Warnungen mehr als bestätigen.
({2})
Gestatten Sie noch
eine Zwischenfrage der Kollegin Skarpelis-Sperk?
Gerne.
Herr Kollege
Friedhoff, Sie haben eben für die leichte Schwäche des
Euro die gegenwärtige Bundesregierung schuldig gesprochen. Heißt das, daß Sie für die massiven Währungskrisen der Vergangenheit - so weit wäre ich nicht
gegangen - wie die Peso-Krise 1995, die Asienkrise
1997, die Rußlandkrise 1998 und jetzt die Brasilienkrise
auch die früheren Bundesregierungen haftbar machen?
Oder sind Sie der Überzeugung, daß Währungskrisen
ein bißchen komplexere Probleme darstellen?
Wenn Sie zugehört hätten,
dann hätten Sie vernommen, daß ich die Bundesregierung
und Aussagen von Herrn Lafontaine in dieser Richtung dafür mit verantwortlich gemacht habe. Dabei bleibe ich. Ich
bin felsenfest davon überzeugt, daß Sie in der Zwischenzeit
allerdings eines mit in Ihre Überlegungen aufnehmen sollten: Ich rede nicht von einer Veränderung des Verhältnisses
zwischen D-Mark und Dollar, sondern von der des Verhältnisses zwischen Dollar und Euro. Der Euro ist mit dem
Ziel eingeführt worden, daß wir mit ihm stabilere Wechselkurse erhalten, weil wir dann einen wesentlich größeren
Wirtschaftsraum haben, Wenn Sie die Ausschläge in diesem wesentlich größeren Wirtschaftsraum einmal auf eine
Situation übertragen würden, in der wir nur noch die DM
hätten, dann - das kann ich mir vorstellen - wäre das noch
viel kräftiger. Dafür sind diese Politik der Bundesregierung
und insbesondere die Äußerungen des Finanzministers mit
verantwortlich. Dabei bleibe ich.
({0})
Ich komme zum Schluß. Es ist höchste Zeit, zu einer
seriösen Wirtschafts- und Steuerpolitik zurückzukehren.
Nötig ist eine Steuerreform aus einem Guß mit einer
spürbaren Nettoentlastung für Betriebe und Arbeitnehmer, nötig ist die Flexibilisierung der Tarifpolitik, und
nötig sind Lohnabschlüsse unterhalb des Produktivitätsfortschritts. Nur wenn das geschieht, kann ein wirklich
nachhaltiger Aufschwung am Arbeitsmarkt erfolgen.
Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort hat nun die
Kollegin Margareta Wolf, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Herr Friedhoff, ich halte Sie durchaus für
einen interessanten Gesprächspartner. Aber Sie wären
noch wesentlich interessanter, und Sie täten gut daran,
wenn Sie einmal die Realitäten zur Kenntnis nehmen
würden. Es ist richtig, daß der Mittelstand niedrigere
Steuern braucht.
({0})
Wir sind vier Monate im Amt, während Sie 30 Jahre in
der Regierung waren. Sie sind abgewählt worden, weil
Sie den Mittelstand zum Lastesel dieser Republik gemacht haben und weil Sie eine Gerechtigkeitslücke in
diesem Land aufgerissen haben.
({1})
Mit Verlaub, Herr Kollege, ich halte es für eine politische Stilfrage, nach so langer Zeit bei der Einbringung
des ersten Haushaltes des neuen Wirtschaftsministers
nichts dazu zu sagen, daß unter Ihrer Regierung die Arbeitslosigkeit einen Höchststand erreicht hat, daß in der
Bevölkerung die Akzeptanz der sozialen Sicherungssysteme abgenommen hat, daß auch die Belastbarkeit der
sozialen Sicherungssysteme zurückgegangen ist und daß
die Arbeit noch nie so teuer wie unter Ihrer Regierung
war. Mit diesen Ergebnissen sind wir heute konfrontiert.
Arbeit ist so teuer geworden, daß sie wegrationalisiert
worden ist. Ich hätte mir gewünscht, daß Sie dazu und
auch zu der immens hohen Staatsverschuldung, unter
der wir jetzt leiden, etwas sagen. Verehrter Herr Kollege, dies waren die Voraussetzungen, unter denen wir
diesen Haushalt aufgestellt haben.
Ich möchte noch eine Bemerkung zu Ihrer Behauptung machen, der Mittelstand werde durch die Steuerreform mehr belastet. Herr Friedhoff, welche Regierung
hat schon einmal eine Unternehmensteuerreform mit
einem Spitzensteuersatz, der einheitlich bei 35 Prozent
inklusive der Gewerbesteuer liegt, andenken lassen und
unterstützt? Wie lange haben Sie denn gebraucht, um die
Gewerbekapitalsteuer zu streichen? Sie haben drei Jahre
gebraucht, während wir schon nach vier Monaten eine
Unternehmensteuerreform vorlegen können, verehrter
Herr Kollege.
({2})
Unsere Politik setzt auf Dialog, auf Kooperation, auf
Eigenverantwortung, auf Innovation und auf neue Unternehmenskultur. Dadurch werden wir neue Arbeitsplätze in diesem Lande schaffen. Sie sind abgewählt
worden, weil Sie zu dieser Einsicht nicht fähig waren.
Ich möchte noch eine Bemerkung zu Herrn Börnsen
machen. Herr Börnsen, Sie halten seit vier Monaten Reden zu dem Thema „Angebot versus Nachfrage“. Auch
die Frau Gemahlin des Herrn Lafontaine wird in diesem
Zusammenhang gern bemüht. Der Sachverständigenrat
hat Ihnen schon vor zwei Jahren aufgeschrieben: Es geht
um Policy-Mix. Wenn Sie das begreifen, dann können
wir in diesem Parlament gemeinsam über Strategien
zum Abbau von Arbeitslosigkeit diskutieren.
Der Haushalt des Herrn Wirtschaftsministers zielt auf
die Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen. Kleine und mittlere Unternehmen müssen sich
dem Wettbewerb auf den Weltmärkten zunehmend stellen. Hierauf zielt dieser Haushalt.
Ich finde im Einzelplan 09 das 100 000-DächerProgramm ganz bemerkenswert.
({3})
- Das weiß ich wohl, Herr Kollege Austermann. Es ist
auf zehn Jahre angelegt.
({4})
- Hören Sie doch einmal zu! - Es ist das erste Programm, das unbürokratisch angelegt ist und das auf
kontinuierliche Markterweiterung setzt.
Ich finde wichtig, daß die KfW in diesem Programm
das Risiko übernimmt, so daß die üblichen Probleme bezüglich der Hausbanken, die wir aus allen Programmen
kennen, vermieden werden. Das ist absolut beachtlich.
({5})
Weitere Haushaltstitel, die wir für begrüßenswert
halten, sind die Titel „Beteiligungskapital für Technologieunternehmen“ und „Forschungskooperation und Innovationskompetenz stärken“. Sie wissen, daß wir in
Deutschland nur durch Investitionen in Forschung und
Entwicklung, durch Kooperation zwischen Forschungsinstitutionen, durch Forschung und Entwicklung in
Groß- und Kleinunternehmen tatsächlich auf ein Spitzenniveau bei den Innovationen kommen. Wir sind bei
den Innovationen doch zurückgefallen.
({6})
- Mein lieber Herr, Sie verstehen überhaupt nichts von
Innovationen. Brüllen Sie deshalb nicht so dazwischen!
({7})
Forschungskooperation ist für uns ein Instrument zur
Erhöhung des Innovationspotentials in diesem Land.
Das brauchen wir dringend.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Politik
der weitreichenden unüberschaubaren Subventionen
wurde in den letzten Jahren ungebremst fortgesetzt. Bekannt ist, daß sich dadurch die Haushaltslage der öffentlichen Haushalte immer weiter verschlechtert hat. Ausgabenkürzungen fanden vornehmlich im sozialen Bereich statt.
Mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf wird in der
Luftfahrtforschung ein kleiner, aber wie ich finde, sehr
notwendiger Schritt hin zum Subventionsabbau getan.
Man geht hier jetzt von „public private partnership“ aus.
Wir begrüßen diesen Schritt ausdrücklich. Wir müssen
aber genau diesen Weg des Subventionsabbaus kontinuierlich fortsetzen. Wir brauchen endlich ein Subventionsvergabeverfahrengesetz, das Subventionen transparenter macht, das Vertrauen in den Staat wieder stärkt
und Subventionen verringert. Ich glaube, daß Subventionsabbau auch im Interesse der Zukunftsfähigkeit der
Unternehmen und im Interesse des Gemeinwesens ist.
Darüber hinaus führt er auch zu einer Senkung der
Staatsquote. Der Minister hat es angesprochen.
Margareta Wolf ({8})
Ich möchte darauf hinweisen, daß die Eigenkapitalquote der Unternehmen trotz der zahlreichen Förderprogramme - Kollege Schwanhold hat es gesagt - in den
letzten Jahren dramatisch gesunken ist. Wir sollten uns
darüber Gedanken machen, ob nicht vielleicht für diese
dramatische Eigenkapitalsituation sowie die kaum ausgeprägte Beteiligungs- und Wagniskapitalkultur in
Deutschland die Tatsache verantwortlich ist, daß wir
viel zu lange auf Fremdfinanzierung gesetzt haben.
Kollegin Wolf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?
Ja, gerne.
Verehrte Frau
Kollegin, Sie haben gerade so begeistert davon gesprochen, daß in diesem Haushalt Subventionsabbau wahr
werden sollte. Können Sie das wirklich ernsthaft vor
dem Hintergrund vertreten, daß Sie in dem Zukunftsbereich Raum- und Luftfahrt, in dem ja wirklich viele Innovationen stattfinden und der ganz bedeutend für uns
sein wird, deutlich kürzen und in einem Bereich, der
eher der Vergangenheit angehört, dem CO2-Produzenten
Kohle, die Subventionen um 700 Millionen DM erhöhen? Halten Sie diese Art von Subventionsabbau wirklich für modern und zukunftsweisend?
({0})
Verehrter Herr Kollege, erstens erhöhen wir
die Subventionen für den Kohlebereich nicht, sondern
führen das aus, was Sie nach dem Kohlekompromiß von
1997 versäumt haben. Wir nehmen nämlich den Kohlekompromiß ernst
({0})
- hören Sie doch einmal zu! - und stellen die Zahlen im
Haushalt ein, die Sie, um die Maastricht-Kriterien zu erfüllen, nicht eingestellt haben.
Zweitens ist eine 20prozentige Beteiligung an der
Luftfahrtforschung angemessen. Ich halte den Megaliner Airbus 3XX für ein Produkt, das tatsächlich marktfähig ist und sich international verkaufen läßt. Ich denke, daß bei so einer innovativen Technologie - ({1})
- Nein, dieses wird im Moment erforscht, Herr Kollege
Austermann; es handelt sich aber auch um Luftfahrtforschungsgelder und nicht um Produktionsgelder.
({2})
- Er wird dann marktfähig sein, wenn sich das Konsortium auf europäischer Ebene endlich einmal zusammenschließt. Ich halte eine Beteiligung bei der Entwicklung
von Produkten, bei denen es heute schon absehbar ist,
daß sie marktfähig sein werden, in Höhe von 20 Prozent
unter Hinzuziehung der Länder und der Industrie mit
entsprechenden Anteilen für absolut angemessen.
Abschließend möchte ich sagen: Sie haben in den
letzten Jahren immer nur von Subventionsabbau geredet.
Es steht in Ihren Programmen, allen voran im Programm
der verehrten Partei ganz rechts. Sie haben aber nie irgendein Programm gekürzt oder herausgeschmissen. Sie
haben immer nur draufgelegt. Die Konsequenz ist, daß
wir jetzt die Programme zusammenfassen und transparenter machen müssen. Fragen Sie doch einmal den
Mittelstand, welche Fehlallokationen Sie durch Ihre komischen Aufblähungen der Förderprogramme in den
letzten Jahren tatsächlich produziert haben.
({3})
Ich glaube, daß eine Rückführung von Subventionen,
eine zeitliche Begrenzung und eine außerordentlich
deutliche Zielorientierung von Förderprogrammen zu
einer Stärkung der Aktienkultur und zu einer Stärkung
der Beteiligungskultur in Deutschland führen können.
Ich komme zu einem weiteren Punkt. Wir brauchen
diese neue Aktienkultur auch zur Sicherung und Modernisierung unserer sozialen Sicherungssysteme. Die Politik ist gefordert - dies sage ich, um an Ludwig Erhard
anzuknüpfen -, die Rahmenbedingungen dafür zu setzen, daß der Bevölkerung mehr Spielraum für die Bildung von Vermögen bleibt. Unter der Prämisse einer
nachhaltigen Haushaltspolitik ist es die Aufgabe des
Staates, die Rahmenbedingungen für mehr Eigenverantwortung aller gesellschaftlichen Akteure zu setzen.
Zu diesem Kontext gehört die Rentenstrukturreform. Wir als Wirtschaftspolitiker müssen eine Debatte
darüber führen - auch in Erwartung des BVG-Urteils im
Herbst -, wie Subventionen zugunsten der steuerlichen
Freistellung aller Vorsorgeaufwendungen abgebaut werden können. Damit erzielen wir folgende Effekte: Wir
versetzen die Bevölkerung in die Lage, mehr Vermögen
für die private Altersvorsorge aufzubauen. Wir erreichen
den zweiten Effekt, daß es Anreize für die Beteiligungskultur in diesem Land gibt, weil mehr Vermögen in den
Händen der Menschen verbleibt. Der dritte Effekt ist,
daß viele Kleingewerbetreibende und Selbständige, die
sich heute über ihre Belastung beklagen, weil sie sowohl
den Arbeitgeber- als auch den Arbeitnehmeranteil an die
Sozialversicherung abführen, nur noch einen Beitrag
zahlen und somit gegenüber Arbeitnehmern nicht mehr
benachteiligt sind.
Ich halte diese Initiative für sehr vorwärtsweisend.
Sie ist ein deutliches Zeichen der Wirtschaftspolitik für
die Modernisierung und weist auf einen Strukturwandel
unseres Sozialstaates hin.
({4})
- Nein, der Minister will nicht das Gegenteil. Ich
möchte mit Ihnen ernsthaft über dieses Thema diskutieren, und Sie können anscheinend nur Mätzchen nach
Margareta Wolf ({5})
dem Motto „Wir spalten die Koalition, und dann wird es
richtig lustig“ aufführen, auch wenn das Thema keinen
Anlaß dazu bietet. Ich möchte Sie darauf hinweisen,
Herr Hinsken, daß Ihre alte Koalition in den letzten drei
Jahren in einem völligen Stillstand verharrt war, weil Sie
sich mit den Kollegen ganz rechts im Hause nicht einigen konnten. Hören Sie doch endlich mit diesen Mätzchen auf!
({6})
Die Wirtschaftspolitik von Bündnis 90/Die Grünen
orientiert sich ganz eng an den Fragen: Wie können wir
endlich eine Kultur der Selbständigkeit in diesem Land
evozieren? Was können wir tun, damit durch eine neue
Unternehmenskultur neue Arbeitsplätze geschaffen
werden? Wie können wir es vermeiden - diesen Punkt
hat Gerhard Schröder gestern schon angesprochen -, daß
neue Arbeitsplätze durch Überregulierung in diesem
Land verhindert werden und Arbeitswillige deswegen
bei ihrer Arbeitssuche scheitern? Über diese Fragen
werden wir nachdenken.
In den nächsten Wochen und Monaten werden wir in
einen Dialog mit den Modernisierern der Unternehmensverbände, mit jungen Unternehmern, mit Mittelständlern, aber auch mit Vertreterinnen und Vertretern
aus der zweiten Reihe der Gewerkschaften und der Wissenschaft führen. Wir müssen über die Frage diskutieren, wie man Bürokratiekosten abbauen kann. Bürokratie bedeutet gerade für kleine und mittlere Unternehmen
vor allen Dingen Kosten.
({7})
Bürokratie schreckt Existenzgründer ab. Unterhalten Sie
sich einmal mit Hochschulabsolventen, die sich selbständig machen wollen! Dann werden Sie feststellen,
daß sie dann schon die Krise bekommen, wenn sie das
Antragskonvolut bewältigen müssen.
Wir müssen uns zum zweiten darüber unterhalten Herr Hinsken, ich werde Ihnen nicht den Gefallen tun,
heute über die Handwerksordnung zu reden -, ob das
Kammerwesen, so wie es zur Zeit gestrickt ist, noch
zeitgemäß ist und ob es noch die Dienstleistungsfähigkeit und die Beratungskompetenz hat, um den Wettbewerbsbedingungen in Europa und weltweit gerecht zu
werden.
Wir müssen uns auch darüber Gedanken machen, ob
die Verfaßtheit der Berufsgenossenschaften - kein
Wettbewerb, keine Wahlfreiheit - noch zeitgemäß ist.
Zu diesem Punkt hören wir sehr viele Klagen. Ich neige
dazu, zu sagen, daß man zwar versichert sein muß, daß
es aber Wahlfreiheit geben muß. Es kann nicht sein, daß
in den Unternehmen die Zahl der Unfälle um 50 Prozent
sinkt, die Beiträge aber teilweise um 400 Prozent steigen. Das führt nicht zu einer neuen Unternehmenskultur
und vor allen Dingen nicht zu mehr Selbständigkeit.
({8})
- Ich wollte doch nicht über die Handwerksordnung reden, Herr Hinsken.
Drittens. Um mehr Arbeitsplätze zu schaffen, brauchen wir dringend die Kooperation zwischen Wirtschaft
und Hochschulen, sowie zwischen Wirtschaft und
Schulen. Wir haben in Deutschland ein Qualifikationsleck. In meiner Heimatstadt Frankfurt gibt es ein Defizit
an Ingenieuren, die EDV-Kenntnisse haben. Leute mit
solchen Kenntnissen würden eingestellt. Es würden auch
Finanzdienstleister eingestellt, wenn es dieses Potential
gäbe. Hier ist die Wirtschaft gefordert, Kooperationen
mit der Wissenschaft einzugehen, um die Ausbildung in
Schule und Hochschule etwas mehr an die Anforderungen unserer Gesellschaft anzupassen.
({9})
Auf der Tagesordnung steht ein Konzeptdialog zwischen Gesellschaft und Wirtschaft. Wir müssen den
Vertrauensverlust, den die Wirtschaft in den letzten Jahren erlitten hat, ausgleichen und Vertrauen wiederaufbauen. Ich denke, der Haushalt setzt deutliche Zeichen
in diese Richtung. Mit der Unternehmensteuerreform
schaffen wir ein zentrales Instrument zur Entlastung der
Unternehmen, das Investitionen klar planbar macht und
das die massive Investitionszurückhaltung mit den arbeitsplatzpolitischen Effekten abbaut. Wir setzen auf
amerikanisches Bilanzrecht. Wir verdoppeln die Freibeträge bei der Gewerbesteuer, und wir setzen auf die
Gleichbehandlung von Eigenkapital und Fremdkapital.
Ich bin überzeugt: Wenn wir diesen Weg, wie ich ihn
beschrieben habe, mit weniger handwerklichen Fehlern
weitergehen, zusammen mit dem Bundeswirtschaftsministerium, dann werden wir zu mehr Beschäftigung in
Deutschland kommen, dann wird der Ruck durch diese
Gesellschaft gehen, und dann werden wir auch neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze in einer Größenordnung von
mehreren Hunderttausend in diesem Land schaffen. Sie
werden sehen: Sie werden sich an diese Worte noch erinnern.
Danke schön.
({10})
Das Wort hat nun
Kollege Rolf Kutzmutz, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es versteht sich, daß sich Slogans und
Werbetitel wie „Wir machen nicht alles anders, aber
vieles besser“ auch an Haushaltszahlen messen lassen
müssen. Diese Zahlen - das will ich gleich zu Beginn
sagen - rechtfertigen weder die Aufregung bei
CDU/CSU und F.D.P. noch die zum Teil deutlich gewordene Selbstzufriedenheit der Damen und Herren der
neuen Koalition.
({0})
Das Zahlenwerk, vergleicht man die Waigelschen Ansätze mit den heute vorgelegten - das ist doch völlig leMargareta Wolf ({1})
gitim; man muß diese Zahlen miteinander vergleichen -,
ist für beide Reaktionen keine ausreichende Erklärung.
Deshalb bin ich der Auffassung, daß es gerade bei der
Haushaltsdebatte um Redlichkeit sowohl bei der Kritik
als auch bei den Vorschlägen geht. Wer also, wie Sie
von der CDU/CSU und der F.D.P. es vorhin getan haben, den Mangel an Konjunktur beklagt, muß sehen bei aller Kritik, die ich an der neuen Regierung habe -:
Das geht seit acht Monaten so, und die neue Regierung
ist erst seit vier Monaten im Amt. Das heißt, das hat
schon zu Ihrer Zeit begonnen.
({2})
- Das kann man nachlesen.
Ich leugne keinesfalls die durchaus positiven Veränderungen, die im Haushalt festzustellen sind, so die Erhöhung bei der Gemeinschaftsforschung oder auch die
Sicherung der Forschungskooperationen. Möglicherweise sind zu den positiven Ansätzen auch „Innonet“ und
die Fremdenverkehrsförderung zu zählen.
Zu einer ganzen Reihe anderer Positionen - da geht
es um die wirtschaftspolitische Rahmensetzung, die erfolgen soll - muß ich aber sagen: Vieles erscheint neu,
weniges anders, geschweige denn besser. Da verspricht
die Regierung in ihrem Arbeitsprogramm 1999, eine zukunftsfähige Energieversorgung ohne Atomkraft zu
gewährleisten. Und was kommt? Ein Leertitel für die
Suche nach neuen atomaren Endlagern. Statt der noch
im Januar versprochenen dreistelligen Millionenbeträge
aus der Ökosteuer für die Markteinführung regenerativer
Energien gibt es ganze 2 Millionen DM mehr als bei
Herrn Waigel.
Hinzu kommt: Im Januar sind wir noch von 11,3
Milliarden DM Einnahmen durch die Ökosteuer ausgegangen. Gestern sind wir im Finanzausschuß bei 8,4
Milliarden DM gelandet. Da frage ich mich schon: Woher soll denn da der Spielraum kommen, um Veränderungen herbeizuführen, wie sie vorhin angekündigt worden sind?
Die schon bisher läppischen Zuschüsse für die Beratung zu rationeller Energieverwendung kürzen Sie von
der neuen Koalition gegenüber der verflossenen
schwarzgelben sogar um 7 Prozent. Das vielgepriesene
1,1 Milliarden DM schwere Solarprogramm startet mit
1 Million DM und gänzlich ungewissen Haushaltsrisiken nach 2005.
Was Sie hier bei Kernkraft und ökologischem Umbau
veranstalten, meine Damen und Herren von der Koalition, ist kein Umstieg. Solange Sie hier nicht das Gegenteil beweisen, sage ich: Es ist nichts anderes als ein Ausstieg aus dem Ausstieg.
Ähnlich enttäuschend ist die erste Bilanz der Finanzen für den Aufbau Ost. Staatsminister Schwanitz zieht
zwar weiter durch die Lande und verkündet, daß anders
als unter früheren Staatssekretären der Aufbau Ost auf
hohem Niveau fortgesetzt werde. Aber betrachtet man
den Wirtschaftsetat und sein Umfeld, so erweist sich der
strahlende Ministerehrentitel als hohles Blech.
({3})
Auch ein Staatsminister konnte nicht verhindern
- oder er hat es nicht mitbekommen; beides wäre gleichermaßen schlimm -, daß der oberste Kassenwart, Herr
Lafontaine, 550 Millionen DM Zinszuschüsse für die
Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen der neuen
Länder einspart. Die gesamte ERP-Förderung kommt
damit in finanziell gefährliches Fahrwasser. Darüber
hinaus gibt es im Wirtschaftsministerium - anders als
noch im letzten Jahr unter Waigel und Rexrodt - keine
spezielle Förderung von ostdeutschen kleinen und mittelständischen Unternehmen mehr ({4})
und dies, ohne die allgemeine KMU-Förderung aufzustocken, obwohl doch niemand bestreiten kann, daß dieser letzte Arbeitsplatzmotor in West und Ost stottert.
Wenn Frau Wolf gesagt hat, daß der Haushalt darauf abzielt, die Position des Mittelstandes zu verbessern, dann
möchte ich entgegnen: Wir sollten bei künftigen Beratungen eine Flasche Zielwasser mitnehmen; denn sonst
geht es wirklich daneben.
({5})
Das gilt übrigens auch für die Absatzförderung Ost.
Ich will Sie, meine Damen und Herren von der neuen
Regierung, die hier sitzen, nur daran erinnern, wie wortreich Sie in der Vergangenheit gerade für die Absatzförderung ostdeutscher Produkte gekämpft haben. Nur zur
Erinnerung: 1995 gab es dafür noch über 51 Millionen
DM. Diesmal sollen es - wie bei Herrn Waigel - nur
20 Millionen DM sein.
Denselben Widerspruch zwischen einstigen Worten
und heutigen Taten müssen wir bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ in West wie Ost feststellen. Hier befinde ich
mich im Gegensatz zu Herrn Minister Müller, der das
vorhin angesprochen hat. Denn im Westen verharren die
Mittel für diese Gemeinschaftsaufgabe auf einem derart
niedrigen Niveau, daß sich inzwischen die Frage nach
Aufwand und Nutzen stellt. Auch die Mittel für die OstGA wurden gegenüber dem Waigel-Entwurf um keine
Mark angehoben, obwohl die Bundesregierung doch
weiß, daß beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern
zur Zeit bewilligungsreife Anträge in Höhe von etwa
1,9 Milliarden DM vorliegen. Sie können aber wegen
fehlender Finanzmittel nicht beschieden werden. Ich
sehe die Gefahr, daß es auch niemals dazu kommen
wird. Gab es 1997 für Mecklenburg-Vorpommern noch
316 Millionen DM GA-Mittel, so sollen es in diesem
Jahr nur noch gut 248 Millionen DM sein. Zumindest
für das nordöstliche Bundesland können wir Demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten aber versichern,
daß eine Erhöhung der Bundesmittel nicht an fehlenden
Komplementärmitteln des Landes scheitern wird. Also
hier ist Bewegung angesagt, meine Damen und Herren
von der Koalition.
({6})
- Vielleicht ist das gar nicht so dumm, Herr Schwanhold; Sie sollten das noch einmal ganz laut für das ganze
Haus sagen.
Was ich gesagt habe, muß auch für die WismutSanierung gelten. Was Sie sich dort erlauben, ist
schlicht skandalös. Noch für den Haushalt 1998 beantragten die Sozialdemokraten - völlig zu Recht - eine
Erhöhung der Mittel um über 50 Millionen DM. Jetzt
reichen angeblich plötzlich 80 Millionen weniger, als für
das letzte Jahr gefordert wurde. Sie planen damit, mit
10 Millionen DM weniger auszukommen, als die Sparkommissare Waigel und Rexrodt in diesem Jahr für unbedingt erforderlich hielten. Sie haben deren Vorgehen
im vergangenen Jahr kritisiert. Es besteht doch überhaupt keine Notwendigkeit, genau das Gegenteil von
dem zu tun, was Sie bisher vertreten haben. Also auch
hier ist Überlegung erforderlich.
({7})
Mit diesem Kurs gefährden Sie nicht nur das 1991
durch den Bundestag verbriefte Recht der Menschen
zwischen Ronneburg und Aue, in absehbarer Zeit nicht
mehr unter den ökologischen Folgen des atomaren Rüstungswettlaufes leiden zu müssen. Wo findet sich
eigentlich die von Staatsminister Schwanitz gegebene
Zusage im Etat wieder, 2 Millionen DM für die Gesellschaften für Arbeitsförderung Wismut Ostthüringen und
Wismut Sachsen bereitzustellen? Mit diesem bescheidenen Betrag könnten Sie über 1 000 Menschen in Lohn
und Brot halten. Diese Arbeitsbeschaffungs- und Strukturfördergesellschaften zu schließen, ja selbst sie einfach
umzuwidmen würde eine Verschleuderung von beachtlichem Know-how hinsichtlich modernster Technik bedeuten. Das müssen Sie, liebe Damen und Herren von
der Koalition, aber vor Ort erklären. Ich erinnere Sie nur
ganz vorsichtig daran: Auch dort sind in diesem Jahr
Landtagswahlen.
Solche Beispiele haben wir im Sinn, wenn wir meinen, daß es darum geht, mit der kurzatmigen Beschäftigungspolitik der verflossenen Regierung Schluß zu machen. Bei diesen Summen und ihren Arbeitsplatzeffekten kann auch niemand behaupten, hier würde das Geld
mit vollen Händen aus dem Fenster geworfen.
Ich könnte noch viele weitere Punkte aus dem Etat
des Wirtschaftsministeriums anführen; dazu fehlt mir
aber die Zeit. Sie dokumentieren eines: Entweder haben
Sie von der neuen Koalition im selbstorganisierten
Durcheinander die Übersicht verloren, oder aber Sie
wissen genau, was Sie tun. Dann jedoch sollten Sie aufhören, der Öffentlichkeit einen Politikwechsel zu mehr
sozialer Gerechtigkeit und zum ökologischen Umbau
vorzugaukeln.
Ein letztes Wort. Ich habe allerdings im Wirtschaftsausschuß einen Wechsel feststellen müssen; ich meine
den Wechsel hin zu einem Mißbrauch von Mehrheitsrechten, wie er - das will ich hier offen sagen - bei völlig unterschiedlicher Auffassung in der Sache in den
letzten vier Jahren im Wirtschaftsausschuß nicht üblich
war.
({8})
Wer wie gestern der Kollege Bury durchdrückt, die
Beratung des Etats noch vor dem Berichterstattergespräch abzuschließen, der macht die parlamentarische
Demokratie zur Farce.
({9})
Sollte es dabei bleiben - auch das will ich hier sagen -,
kündige ich für die PDS-Fraktion an, daß sie im mitberatenden Wirtschaftsausschuß an der Beschlußfassung
des Einzelplans 09 nicht teilnehmen wird. Vielleicht
trifft aber das Wort von Herrn Metzger zu, daß die
Koalition lernfähig ist. Das wurde zumindest beschworen.
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition,
können sicher sein, daß wir Demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten Sie in den nächsten zwei Monaten
da, wo es um die Beratung des Haushalts geht, beim
Wort nehmen werden.
Danke schön.
({10})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Max Straubinger, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ich war vorhin schon etwas
verwundert, als die Kollegin Wolf hier bemängelt hat,
daß die steuerlichen Belastungen nicht so schnell zurückgeführt werden können, wie sie sich das persönlich
vorgestellt hätte. Ich möchte daran erinnern, daß die
vergangene Bundesregierung und die sie tragenden Parteien hier im Bundestag zweimal eine große Steuerreform verabschiedet haben, und zwar mit einer deutlichen
Nettoentlastung für die Bürgerinnen und Bürger, und
daß sie jeweils im Bundesrat mit der Mehrheit von SPD
und Grünen verhindert wurde.
({0})
Es ist meines Erachtens noch weit schlimmer, wenn
Frau Wolf hier für Arbeitsplätze plädiert und man feststellen muß, daß auf Grund von Ideologievorstellungen
Arbeitsplätze nicht geschaffen werden, wenn ich nur
daran denke, daß die jetzt abgewählte hessische Landesregierung nicht imstande war, den notwendigen Ausbau
des Frankfurter Flughafens voranzutreiben.
({1})
Denn auch dies wäre mit der Schaffung von Arbeitsplätzen verbunden gewesen.
({2})
Ich bin auch verwundert, wenn die Kollegin Wolf beklagt, daß die Ingenieure in Frankfurt zu wenig Wissen
über Computer und alles Moderne, was man für eine Berufsausübung benötigt, haben. Es könnte auch sein, daß
dies in der Vergangenheit am hessischen Bildungssystem gelegen hat.
({3})
Ich bin überzeugt, daß der neue Ministerpräsident von
Hessen, Roland Koch, die nötigen Weichenstellungen
vornehmen wird, um der Bildungspolitik in Hessen wieder Zukunftsperspektiven zu eröffnen.
({4})
Verehrte Damen und Herren, um Zukunftsperspektiven geht es auch beim Bundeshaushalt für Wirtschaft.
Wir müssen erkennen, daß hier keine Zukunftsperspektiven enthalten sind, daß die wirtschaftlichen Kräfte
nicht gestärkt werden und daß mit der Vorlage des gesamten Bundeshaushaltes auch keine Arbeitsplätze geschaffen werden. Dies müssen wir zum Leidwesen der
Menschen in unserem Land feststellen.
({5})
Wenn bis zum 27. September 1998 noch der Glaube
an die Zukunft in der Wirtschaft bestanden hat, wenn
hier eine Aufbruchsstimmung erkennbar war und wenn
vor allen Dingen mehr Arbeitsplätze geschaffen wurden,
so wurde dies mit dem Wahlergebnis zunichte gemacht.
Denn durch die in den vergangenen 100 Tagen verworrenen Diskussionen zum Beispiel über den Atomausstieg und dann über den Wiedereinstieg durch Herrn
Wirtschaftsminister Müller, darüber hinaus durch die
verworrenen Steuerdebatten dahin gehend - wir erleben
es ja ständig in den Ausschüssen, daß immer wieder
neue Vorlagen nachgeschoben werden und letztendlich
überhaupt kein geordnetes parlamentarisches Verfahren
stattfinden kann -, daß eine Abkassiersteuer unter dem
Deckmantel der Ökologie eingeführt wird, und durch
das Hin und Her in bezug auf das 630-Mark-Gesetz im
Rahmen der geringfügigen Beschäftigungsmöglichkeit man muß schon fast von der sechsten oder siebten Vorlage ausgehen - ist eine großartige und grandiose Verunsicherung in der Wirtschaft eingetreten und hat letztendlich bei den Bürgerinnen und Bürgern eine Ernüchterung über die Politik der Neuen Mitte eingesetzt.
({6})
Ich möchte dies mit Beispielen untermauern. Nach
Auskunft von mehreren Industrie- und Handelskammern, aber auch von Handwerkskammern und anderen
Wirtschaftsverbänden muß man feststellen, daß Investitionsentscheidungen zurückgeschraubt werden. Nach
Auskunft der IHK Passau von gestern hat sich die
Stimmung in der Wirtschaft deutlich verschlechtert. In
der Beurteilung der Geschäftslage der niederbayerischen
Industrie zeigt sich sehr deutlich, daß nicht nur das baustoffproduzierende Gewerbe, sondern auch der Maschinenbau sowie die elektrotechnische und elektronische
Industrie die momentane Lage schlecht beurteilen.
Dies drückt sich sehr deutlich auch in den Investitionsentscheidungen aus. Waren im September 1998
noch bei 31,7 Prozent der Betriebe verstärkte wirtschaftliche Investitionen vorgesehen, so sank dieser
Wert im Januar 1999 auf nur noch 18,6 Prozent. Dies
bedeutet einen Arbeitsplatzabbau.
({7})
Es sei mir als jemand, der wie der Kollege Börnsen
aus einem grenznahen Raum kommt - er ist aus dem
Norden, ich bin aus dem Süden -, gestattet, darauf hinzuweisen, daß die Belastungen aus der Ökosteuer gerade im grenznahen Gebiet zu Auslagerungen von Arbeitsstellen nach Österreich, nach Tschechien führen
werden, damit die Betriebe auf den Weltmärkten konkurrenzfähig agieren können. Dies ist gegenüber den
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, aber vor allen
Dingen gegenüber den Arbeitslosen eine unsoziale Politik.
({8})
Noch ein Wort zu den Gesprächen im Rahmen des
,,Bündnisses für Arbeit“. Ich wünsche grundsätzlich
viel Glück und hoffe, daß sie zum Erfolg führen.
({9})
Aber ich glaube, der Bundeskanzler und die Bundesregierung könnten sich ein Beispiel nehmen an dem
Bündnis für Arbeit, das Ministerpräsident Edmund Stoiber in Bayern geschaffen hat.
({10})
Der DGB-Landesvorsitzende Fritz Schösser - er ist bei
Ihnen Mitglied - lobt tagtäglich, daß damit in Bayern
Arbeitsplätze gesichert und darüber hinaus mehr als
40 000 neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Aber
auch dies kam nur zustande, weil der Ministerpräsident
und die Bayerische Staatsregierung willens sind, einen
dynamischen Prozeß in Gang zu setzen, damit in Bayern
die Wirtschaft angekurbelt werden kann und Arbeitsplätze entstehen können.
({11})
Ich glaube, es ist wichtig, darauf hinzuweisen, daß
hier Gesetze im Schweinsgalopp verabschiedet werden.
Dies bekamen wir - da muß ich dem Kollegen Kutzmutz
recht geben - auch bei den gestrigen Ausschußberatungen wieder sehr deutlich zu spüren. Es zählt letztendlich
nicht die gute Begründung, sondern nur noch der Zeitfaktor. Man will sich hinüberretten, bis Herr Eichel am
letzten Tag seine Zustimmung zu den Ökosteuerplänen,
zu dieser Belastung für die Wirtschaft, gegeben hat.
({12})
Es ist schon bemerkenswert, wenn Parlamentarier der
SPD und der Grünen über milliardenschwere Belastungen, die auf die deutsche Wirtschaft zukommen, so lokker hinweggehen. Die Versicherungswirtschaft hat
mittlerweile festgestellt, daß die neuen steuerlichen Vorstellungen 8 000 bis 10 000 Arbeitsplätze gefährden.
Dasselbe gilt natürlich für den Energiewirtschaftsbereich, aber vor allen Dingen auch für die mittelständische Wirtschaft.
Die Kollegen der F.D.P. und der Kollege Börnsen
haben deutlich gemacht - auch Frau Wolf hat dieses
Thema angesprochen -: Die Bundesregierung unter
Helmut Kohl hat eine Kultur der Selbständigkeit entwickelt. Dies hat seinen Ausdruck darin gefunden, daß
wir das Meister-BAföG eingeführt haben. Das MeisterBAföG ist ein großartiger Erfolg und wichtig für die
Ausbildung der Menschen in unserem Lande. Daraufhin
konnten sich viele selbständig machen. Jeder, der sich
selbständig macht, schafft zusätzliche Arbeitsplätze in
unserem Land.
Wir haben im Haushaltsentwurf von Theo Waigel
167 Millionen DM für dieses Meister-BAföG eingestellt. Jetzt muß man feststellen, daß im Bundeshaushalt
nicht mehr 167 Millionen DM für das Meister-BAföG
vorgesehen sind, sondern nur noch 100 Millionen DM.
({13})
Diese Senkung um 40 Prozent zeigt sehr deutlich, daß
die Kultur der Selbständigkeit, die in unserem Land
wichtig ist für Arbeitsplätze, nicht gefördert wird.
Ich bin leider Gottes am Ende meiner Redezeit. Ich
hätte noch einige Dinge aufzuführen. Ich glaube, daß die
Regierung in der Technologie einen falschen Ansatz hat.
Wenn ich die zusätzlichen 700 Millionen DM für die
Förderung des Steinkohlenbergbaus sehe, muß ich sagen: Die Regierung betreibt eine ideologiebehaftete
Förderpolitik. Ich glaube, für Deutschland wäre es gut,
wenn dieser rotgrüne Spuk bald zu Ende gehen würde.
({14})
Wir werden in den kommenden Jahren auch in den Ausschußberatungen die notwendigen Anträge für Verbesserungen in unserem Land einbringen.
Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Das Wort hat Kollege Hans Martin Bury, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Herr Kollege Straubinger, Sie haben sich hier als bayerischer Hilfs-Koch der CDU versucht.
({0})
Aber die heutige Debatte hat ebenso wie die gestrige gezeigt, daß viele Köche selbst den Unionsbrei verderben.
({1})
Meine Damen und Herren, die neue Bundesregierung ist angetreten, Deutschland zu modernisieren. Wir
werden Innovationen fördern, den Strukturwandel beschleunigen und die sozialen Sicherungssysteme wieder auf eine solide, eine langfristig tragfähige Grundlage stellen.
Die Krisen in Südostasien, Rußland und Südamerika
machen deutlich - jedenfalls denjenigen, die über den
nationalen Tellerrand hinausblicken -, welche Risiken
sich aus der großen Exportabhängigkeit der deutschen
Wirtschaft ergeben. Deshalb war es dringend notwendig,
die Binnennachfrage als zweites Standbein der Konjunktur zu stärken. Parallel dazu werden wir die Angebotsbedingungen verbessern, um die Wettbewerbsposition der deutschen Unternehmen zu stärken und um Investitionen ausländischer Unternehmen in Deutschland
zu fördern.
({2})
Zu den zentralen Reformprojekten gehört eine umfassende Unternehmensteuerreform, in deren Rahmen
wir bis zum Jahr 2000 eine einheitliche Unternehmensbesteuerung mit einem Höchstsatz von 35 Prozent einführen werden. Sie haben jahrelang von Steuersenkungen geredet.
({3})
Wir machen sie jetzt.
({4})
Kollege Bury, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?
Aber gern.
Herzlichen Dank,
Herr Kollege. Ich möchte auf Ihre Unternehmensteuerreform zu sprechen kommen. Die Zeit - dies gilt auch
im Hinblick auf die Schaffung von Arbeitsplätzen drängt. Können Sie mir sagen, welche steuerlichen Entlastungen für die Wirtschaft Ihre steuerpolitischen Konzepte für die Jahre 1999, 2000 und 2001 bringen sollen?
Es handelt sich um die nächsten drei Jahre, in denen wir
die Arbeitslosigkeit mit großem Erfolg bekämpfen wollen. Ich denke, Sie wollen das auch. Können Sie ungefähr sagen, zu welchen Entlastungen es für die mittelständische Wirtschaft und die Wirtschaft insgesamt
durch die Steuerreform kommt?
Herr Kollege Schauerte,
der Kollege Jens hat vorhin bereits die entsprechenden
Zahlen des Ifo-Instituts genannt, das zu dem Ergebnis
kommt, daß bereits das Steuerentlastungsgesetz, das
jetzt zur Verabschiedung ansteht, zu einer deutlichen
Entlastung der mittelständischen Wirtschaft in der Größenordnung von rund 3 Milliarden DM führen wird.
({0})
Sie müssen darüber hinaus beachten, daß dies nur der
erste Schritt in die richtige Richtung ist und daß er zusammen mit der Unternehmensteuerreform, die ich gerade skizziert habe, für die Wirtschaft insgesamt mittel- und langfristig eine deutliche Entlastung bedeuten
wird.
({1})
Herr Kollege Bury,
gestatten Sie zwei weitere Zwischenfragen, zunächst des
Kollegen Hirche und dann des Kollegen Rössel?
Aber bitte.
Herr Kollege Bury, wie erklären Sie sich die Begeisterung der deutschen Wirtschaft über die Unternehmensteuerreform, die dazu
führt, daß zum Beispiel in der heutigen Ausgabe der
„Financial Times“ auf Seite 1 steht: Die Allianz droht
damit, ihr Kerngeschäft aus Deutschland ins Ausland zu
bringen? Halten Sie das für einen Beitrag zur Stärkung
des Investitionsstandortes Deutschland und für ein Signal für ausländische Unternehmen, in Deutschland zu
investieren?
Herr Kollege Hirche, ich
kann mich daran erinnern, daß die gesamte deutsche
Versicherungswirtschaft zu Zeiten Ihrer Koalition in
allen deutschen Zeitungen ganzseitige Anzeigen gegen
die damalige Regierungspolitik geschaltet hat.
({0})
Wir haben jetzt im Zusammenhang mit dem Steuerentlastungsgesetz eine Diskussion über die realistischere Bewertung von Rückstellungen. Es ist verständlich, daß
diejenigen, die davon betroffen sind, nicht in Begeisterung ausbrechen.
({1})
Aber man kann nicht einerseits immer niedrigere nominale Steuersätze fordern, die wir alle für richtig halten,
und andererseits gleichzeitig die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, die dazugehört, ablehnen.
({2})
Noch eine Zwischenfrage.
Darf ich eine Ergänzungsfrage stellen, Herr Kollege Bury?
Bitte.
Sind Sie wirklich der Auffassung, daß durch die Art von Steuerveränderung, die
Sie betreiben, Arbeitsplätze geschaffen werden? Sind
Sie nicht vielmehr der Meinung, daß damit Hunderttausende von Arbeitsplätzen in Deutschland verlorengehen?
Herr Kollege Hirche, ich
bin in der Tat der Überzeugung, daß durch unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik mittelfristig die Arbeitslosigkeit deutlich zurückgehen und die Beschäftigung steigen
wird.
({0})
Nun hat Herr Kollege Rössel eine Zwischenfrage.
Bitte sehr.
Herr Kollege Bury,
ich möchte Sie fragen, welche Perspektive Sie der Gewerbesteuer, die bekanntlich nicht nur eine wichtige
Unternehmensteuer, sondern auch eine traditionell
wichtige Steuereinnahme der Gemeinden ist, bei der bevorstehenden Unternehmensteuerreform einräumen und
wie Sie mit der Forderung der kommunalen Spitzenverbände umgehen, die Hände von der Gewerbesteuerabschaffung zu lassen.
Ich bin wie die Kollegin
Wolf der Auffassung, daß bei dem Höchstsatz von
35 Prozent die Gewerbeertragsteuer berücksichtigt werden muß, aber daß die Kommunen selbstverständlich
weiterhin eigenständige Möglichkeiten zur Finanzierung
ihrer Aufgaben behalten müssen. Wir diskutieren das
gerade und sind in dieser Hinsicht auf einem sehr guten
Weg.
Ihr Interesse - ich sehe, daß es noch weitere Meldungen zu Zwischenfragen gibt; das wird bald eine Fragestunde - ehrt mich, aber ich darf den Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern der anderen Fraktionen vorschlagen, den Kollegen bei Gelegenheit eigene Redezeit
zu gewähren.
({0})
Meine Damen und Herren, ein niedriger Grenzsteuersatz ist nicht nur im internationalen Standortvergleich von Bedeutung, sondern auch ein wichtiger Motivationsfaktor und Leistungsanreiz für die Unternehmen.
Deshalb muß das Konzept eine Mittelstandskomponente beinhalten, die kleine und mittlere Unternehmen
gezielt entlastet. Schon das aktuelle Steuerentlastungsgesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir senken die Steuersätze, erhöhen den steuerfreien Grundfreibetrag und entlasten insbesondere Arbeitnehmer, Familien und - wie erwähnt - auch den Mittelstand. Zur Gegenfinanzierung wird die Bemessungsgrundlage durch
den Abbau steuerlicher Vergünstigungen und Sonderregelungen verbreitert.
Die gesamte Steuerreform läßt einer durchschnittlich
verdienenden Familie schon jetzt Monat für Monat
100 DM mehr im Geldbeutel. Die jüngsten Urteile des
Bundesverfassungsgerichts bestätigen unseren Weg, die
Förderung der Familien schrittweise weiter zu verbessern.
({1})
Das ist nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit, sondern
zugleich ein wichtiger Beitrag zur Stärkung der Binnenkonjunktur.
({2})
Neben der Reduzierung der steuerlichen Belastung
haben wir uns in dieser Legislaturperiode die Senkung
der gesetzlichen Lohnnebenkosten auf unter 40 Prozent zum Ziel gesetzt. Der Einstieg in die ökologische
Steuerreform ist der erste Schritt, Arbeit billiger zu
machen und die Energieeffizienz zu erhöhen. Damit hat
die neue Regierungskoalition nicht nur den seit Jahren
allseits beklagten Anstieg der Lohnnebenkosten endlich
gestoppt, sondern eine Trendwende eingeleitet. Zugleich
flankieren wir den Einstieg in eine neue Energiepolitik.
Wir stellen endlich die Weichen, um in der Zukunft bei
der Energieerzeugung, -versorgung und -nutzung technologisch, ökonomisch und ökologisch weltweit eine
führende Rolle einzunehmen. Damit erschließen wir Exportchancen im Ausland und Beschäftigungspotentiale
hier bei uns.
({3})
Die Schaffung zukunftsfähiger Arbeitsplätze und der
Abbau der Arbeitslosigkeit sind Handlungsmaximen der
neuen Bundesregierung. Den Abbau von Arbeitslosigkeit kann man weder verordnen noch vertraglich festlegen. Aber wir können, wir müssen und wir werden im
Konsens mit Unternehmen und Gewerkschaften Beiträge aller Beteiligten zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
vereinbaren.
Der Start des „Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und
Wettbewerbsfähigkeit“ war gut. An die Stelle von
Showveranstaltungen oder unverbindlichen Plauderrunden der Vergangenheit sind konkrete Zielvereinbarungen und Arbeitsaufträge getreten.
({4})
Zu den Schwerpunkten des „Bündnisses für Arbeit“
gehört das Regelwerk auf dem Arbeitsmarkt. Dabei geht
es um Fragen wie beschäftigungsfördernde Arbeitsverteilung, flexible Arbeitszeiten, Abbau von Überstunden,
Ausbau und Förderung der Teilzeitarbeit, flexible und
verbesserte Möglichkeiten für das vorzeitige Ausscheiden im Alter und Anreize zur Arbeitsaufnahme.
Dazu gehört auch der Einstieg junger Menschen ins
Erwerbsleben. Als ersten Schritt zur Verbesserung des
Zugangs Jugendlicher zum Arbeitsmarkt hat die Bundesregierung ein Sofortprogramm zur Bekämpfung der
Jugendarbeitslosigkeit beschlossen, mit dem 100 000
Jugendliche so schnell wie möglich in Ausbildung und
Beschäftigung gebracht werden sollen. Das Programm
zeichnet sich durch Flexibilität und durch Orientierung
an den Anforderungen vor Ort aus.
Wer es in der Weise diskreditiert, wie es der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion in der gestrigen Debatte
getan hat, wer davon redet, Jugendliche sollten durch
Arbeit „ruhiggestellt“ werden, hat jedes Gespür für die
Situation junger Menschen verloren, die in Ihrer Regierungszeit trotz Fleiß, trotz Qualifikation, trotz Initiative
zunehmend die Chance verloren haben, ihre Fähigkeiten
im Erwerbsleben einzubringen.
({5})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?
({0})
Ja.
Sie wissen, daß Ihre
Antwort nicht auf Ihre Redezeit angerechnet wird.
Herr Kollege Bury,
worauf führen Sie es zurück, daß es in einigen Bundesländern fast dreimal soviel Ausbildungsplätze wie Nachfrager gibt? Das muß doch irgendwie mit landespolitischen Gegebenheiten zu tun haben. Oder können Sie mir
eine andere Erklärung liefern? Dies würde nämlich beinhalten, daß man ein solches Programm nicht auflegen
muß, das in Bereiche geht, wo seitens der Landesregierung ein gewisses Versagen nicht beiseite gewischt werden kann.
({0})
Kollege Hinsken, wir haben natürlich regionale, sektorale, strukturelle Unterschiede. Selbst in einem Wahlkreis wie meinem, in dem
die Arbeitslosigkeit glücklicherweise relativ gering ist,
gibt es Jugendliche, die aus den unterschiedlichsten
Gründen Schwierigkeiten haben, auf dem Arbeitsmarkt
Fuß zu fassen, einen Ausbildungsplatz zu finden. Wer
wie Sie versucht, sich aus der Verantwortung für diese
jungen Menschen zu stehlen, der begeht einen schweren
Fehler. Sie stehlen sich aus der Verantwortung, die Sie
politisch haben.
Ich meine, daß ein ordentliches, ein faires Angebot
zur Arbeitsaufnahme auch die Voraussetzung für eine
Diskussion über die Konsequenzen für diejenigen ist,
die ein solches Angebot leichtfertig ausschlagen.
({0})
Aber es muß zunächst ein ordentliches und ein faires
Angebot geben.
({1})
Nun möchte Herr
Kollege Hinsken noch eine Frage stellen.
Wir machen keine Fragestunde, Herr Kollege Hinsken. Zum Handwerk nachher
noch einmal.
Wollen Sie eine
Frage zulassen oder nicht?
Nein.
Vielen Dank. - Herr
Kollege Hinsken, er möchte keine weitere Zwischenfrage zulassen.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden unsere sozialen Sicherungsysteme weiterentwickeln und modernisieren, das
heißt, die Zielgenauigkeit und Effizienz der eingesetzten
Mittel erhöhen. Als Grundsatz gilt, daß sich die Stärke
des Sozialstaates nicht an den Milliarden bemißt, die
ausgegeben werden, sondern an der Qualität und der sozialen Treffsicherheit der Leistungen.
Wir werden etwa in der Rentenversicherung zu
grundlegenden Reformen kommen, die angesichts der
demographischen Entwicklung und der gravierenden
Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt nach meiner
festen Überzeugung auch eine Ergänzung des Umlageverfahrens durch einen Kapitalstock beinhalten werden.
({0})
Wir werden darüber hinaus über eine neue Balance
zwischen Eigenverantwortung und sozialer Sicherung
diskutieren müssen. Dazu gehört, den Menschen mehr
Spielräume für Eigeninitiative und eigene Vorsorge zu
geben. Das heißt, wir werden auch die betriebliche und
private Altersvorsorge stärken, die künftig eine größere
Bedeutung im Gesamtsystem der Altersversorgung einnehmen muß.
Die Arbeitsplätze der Zukunft werden in Unternehmen entstehen, die es heute größtenteils noch gar nicht
gibt. Wir werden deshalb die Eigeninitiative, Risikobereitschaft und Leistungsfähigkeit Selbständiger, kleiner
und mittlerer Unternehmen gezielt fördern, strukturelle
Nachteile ausgleichen, den Marktzutritt erleichtern und
neue Betätigungsfelder eröffnen.
Eine Schlüsselrolle kommt der Verbesserung der
Finanzierungsmöglichkeiten insbesondere für Existenzgründer und mittelständische Unternehmen zu; denn sie
leiden heute nicht in erster Linie an angeblich zu hohen
Zinssätzen, sondern daran, daß es hier leider immer
noch schwerer ist als in vielen anderen Ländern, die
Umsetzung von Ideen zu finanzieren.
({1})
Wir schlagen Pfade in den Förderdschungel und werden Chancenkapital mobilisieren, indem wir steuerliche Fehlanreize beseitigen und Incentives neu setzen.
({2})
Wir erleichtern das Going public und stärken den
Finanzplatz Deutschland. Der raschen Erarbeitung und
Verabschiedung eines 4. Finanzmarktförderungsgesetzes
kommt daher - Kollege Schwanhold hat darauf hingewiesen - eine besondere Bedeutung zu.
({3})
In diesem Zusammenhang werden wir auch in
Deutschland gesetzliche Regelungen für Unternehmensübernahmen schaffen müssen. Ich will diese nicht
grundsätzlich erschweren oder verhindern. Aber wir
brauchen transparentere Verfahren und einen wirksamen
Schutz von Minderheitsaktionären. Wir brauchen generell mehr Unternehmer, nicht nur Übernehmer.
({4})
Deshalb stärken wir die Innovationskraft und -fähigkeit, unter anderem durch die Förderung marktnaher
Forschung und Forschungskooperation. Der Haushalt
setzt hierfür wichtige Akzente. Wir korrigieren die Fehler, die die bereits abgewählte alte Bundesregierung in
den letzten Tagen ihrer Amtszeit auf diesem Feld noch
begangen hat.
Der Entwurf des Einzelplans 09 ist also eine gute
Grundlage für eine Neuorientierung der Wirtschaftsund Technologiepolitik in Deutschland, um Innovationen, Investitionen und Arbeitsplätze zu fördern.
({5})
Das Wort hat nun
der Kollege Dankward Buwitt, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat gestern an uns appelliert, sich doch mehr mit den Tatsachen zu beschäftigen. Das ist eine gute Empfehlung.
Aber sie sollte nicht nur an eine Seite gerichtet werden.
Ich höre heute von der Koalition: Es steht auf der Tagesordnung, wir diskutieren, wir hoffen, wir glauben
usw. Meine Damen und Herren, vielleicht ist es Ihnen
noch gar nicht aufgefallen: Sie stellen mittlerweile die
Bundesregierung. Sie könnten also, wenn Sie wollten,
auch handeln.
({0})
Herr Schwanhold, schönreden allein hilft nicht. Die
Fakten werden Sie alle wieder einholen, und über die
Fakten werden wir uns hier auseinanderzusetzen haben.
Arbeitsplätze kann man nicht verordnen; das ist völlig richtig. Aber welchen Beitrag hat die Wirtschaftspolitik dazu zu leisten? Sie beschäftigt sich mit einem
der wichtigsten Themen im Zusammenleben der Gemeinschaft überhaupt, nämlich mit den Fragen: Was
kann die Politik beitragen, um denjenigen, die Arbeit
haben, diese Arbeit zu erhalten? Was kann die Politik
beitragen, denjenigen, die keine Arbeit haben, aber diese
wollen, Arbeit zu beschaffen?
Mit diesen Fragen muß sich ein Wirtschaftsminister
auseinandersetzen. Es handelt sich um Fragen, an deren
Lösung - das ist heute schon gesagt worden - sich nicht
nur die Koalition, sondern auch der Kanzler persönlich
messen lassen wollte. Durch Versprechungen sind in der
Bevölkerung große Erwartungen erzeugt worden, allerdings durch Versprechungen vor der Wahl; das ist
selbstverständlich.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, meine Damen und
Herren. Aber ich habe das Gefühl, daß dem Wirtschaftsminister gar nicht erlaubt wird, seinen Beitrag
dazu zu leisten. Eigentlich tut er mir so richtig leid. Er
hat vielleicht die große Chance, Minister für die alternative Energieversorgung zu werden. Aber es ist nicht zu
erwarten, daß er einen Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit leisten darf. Über dieses Thema hat er heute
auch gar nicht gesprochen; davor steht wohl der Finanzminister.
Nun sind die Ergebnisse Ihrer Politik heute natürlich
noch nicht endgültig zu beurteilen. Sie stehen mit Ihrer
Regierungsarbeit am Anfang; das sei Ihnen zugestanden.
Fest steht, daß die Wirtschaft - sie sollte doch die Arbeitsplätze schaffen, wenn wir von Arbeit und nicht nur
von Beschäftigung reden - keinen Grund sieht, unter
den neuen Bedingungen Arbeitsplätze zu schaffen. Ganz
im Gegenteil: Bereits geplante Investitionen wurden
gestoppt, und Verlagerungen ins Ausland werden immer stärker diskutiert.
({1})
Angesichts dessen muß man sich doch fragen, ob die
Wirtschaft die Absichten der Bundesregierung nur mißversteht oder ob es für ihr Handeln konkrete Gründe
gibt.
Gut reden, Herr Schwanhold, reicht dazu nicht aus;
Taten zählen. Dabei geht es nicht nur um Zahlen, sondern auch um Psychologie. Wir brauchen Rahmenbedingungen, die Deutschland mit vergleichbaren Standorten konkurrenzfähig machen, ein wirtschafts- und unternehmensfreundliches Klima und möglichst wenig Bürokratie, die die Wirtschaft behindert. Schließlich müssen sich die öffentlichen Hände so sparsam wie möglich
verhalten, um neue Freiräume zu schaffen. Mit Ihrem
Haushalt haben Sie den Beweis dafür vorgelegt, daß Sie
daran gar nicht denken. Von all diesen Themen ist überhaupt nicht die Rede.
Auch ohne die von Ihnen verhinderte Steuerreform,
die wir vor zwei Jahren vorgelegt haben - sie hätte die
Bezeichnung Steuerreform durchaus verdient gehabt -,
haben wir vieles in die Wege geleitet, was auch entsprechend positive Ergebnisse gebracht hat, wie heute bereits dargestellt wurde. Ich erinnere mich noch ganz genau, daß Sie von den Koalitionsparteien Anfang letzten
Jahres gesagt haben, wir würden ja sehen, wann die fünf
vor der Millionenzahl der Arbeitslosen steht. Am Ende
stand, wenn auch sehr knapp - das muß man zugeben -,
eine drei vorne. Wenn Sie etwas hätten dazu beitragen
können, daß eine fünf vorne gestanden hätte, hätten Sie
das wahrscheinlich aus parteipolitisch-taktischen Gründen getan.
({2})
Der Beweis dafür ist eigentlich die Ablehnung der
Steuerreform durch Sie, wodurch wir kostbare Zeit verloren haben.
({3})
Sie dagegen machen heute deutlich, daß Sie überhaupt
nicht in der Lage sind, eine solche Steuerreform durchzusetzen.
({4})
Nun verkünden Sie stolz: „Versprochen, gehalten“,
beschreiben also, was Sie sich in der Zwischenzeit alles
geleistet haben. Statt mehr Sicherheit und Verläßlichkeit
haben Sie Unsicherheit, Unzuverlässigkeit und Unkalkulierbarkeit in die Wirtschaft hineingetragen. Statt Flexibilität haben Sie mehr Bürokratie entwickelt. Wenn
ich dann daran denke, was durch die Umsetzung der
Ökosteuer usw. noch alles auf uns zukommt, kann ich
nur sagen, daß wir am Anfang einer Bürokratisierung
des gesamten Systems stehen. Statt die Chancen für
neue Arbeitsplätze zu verbessern, haben Sie den Kündigungsschutz verschärft. Statt auf eine Erweiterung der
Eigenverantwortung setzen Sie auf die Festschreibung
der hunderprozentigen Lohnfortzahlung. Statt Mut zu
neuen Lösungen bei der Flexibilisierung der Arbeitszeit etwa durch Jahresarbeitszeitkonten aufzubringen,
sind Sie für die Wiedereinführung des Schlechtwettergeldes. Statt steuerlicher Entlastung der Wirtschaft belasten Sie die Wirtschaft durch Umverteilung. Statt Existenzgründungen zu fördern, kürzen Sie das MeisterBAföG. Statt sparsam zu wirtschaften, legen Sie den
Haushalt mit den höchsten Ausgaben vor. Diese Liste
ließe sich x-beliebig fortsetzen; ich denke nur an die
630-DM-Verträge, die Ökosteuer und vieles andere
mehr.
Meine Damen und Herren, wer eine Steuerreform mit
der Bemerkung vorlegt, es gehe um Gerechtigkeit und
nicht um neue Arbeitsplätze, muß deutlich machen, was
er unter Gerechtigkeit versteht. Natürlich wäre es auch
eine Möglichkeit, daß er unter Gerechtigkeit versteht,
daß alle mehr bezahlen müssen. Für mich ist aber die
Arbeitslosigkeit eine der größten Ungerechtigkeiten.
({5})
Wer Deutschland exportunabhängiger machen will,
der muß den Menschen sagen, daß ein Teil unseres
Wohlstandes auf diesen Export gegründet ist. Wenn die
Bedingungen im Ausland schlechter geworden sind,
dann darf man nicht sagen, man konzentrierte sich auf
etwas anderes, sondern dann muß man seine Anstrengungen verstärken, um sich auf diesen Märkten zu behaupten. Wer ehrlich ist, muß den Leuten sagen, daß
weniger Export weniger Beschäftigung und damit weniger Wohlstand bedeutet.
Eigene Konkurrenzunfähigkeit führt sicher zu weniger Export. Das ist unbestritten. Aber solange Geld in
Deutschland vorhanden ist, wird man auch importieren
können. Die Binnennachfrage ist in vielen Bereichen
auch durch Importe abzudecken. Das sichert zwar Arbeitsplätze in Japan - das kann der eine oder andere
auch für vernünftig halten -, aber für die Arbeitsplätze
in Deutschland ist dies Gift. Sie sorgen damit systematisch für den Arbeitsplatzabbau in Deutschland.
Für diese Narreteien berufen Sie sich immer auf das
Wahlergebnis. Richtig, Sie haben den Menschen viel
versprochen, man muß dazusagen: sehr viel Unterschiedliches. Aber das, was Sie jetzt machen, haben Sie
ihnen nicht versprochen, und die Leute haben es auch
nicht erwartet.
Meine Damen und Herren, das Wahlergebnis haben
Sie geschenkt bekommen. Sie müssen es sich jetzt erst
erarbeiten. Dabei haben Sie bisher kläglich versagt.
({6})
- Es reicht mir aus, Herr Schwanhold, wenn Sie dies
verstehen. Ich befürchte, daß das manchmal auch nicht
so klappt.
Das Ergebnis der Hessenwahl ist doch nicht nur deshalb so ausgefallen, weil Herr Koch besser ist als Herr
Eichel oder weil die CDU besser ist als die SPD; das
stimmt ja alles. Nein, natürlich haben die Menschen
auch die Arbeit von Rotgrün auf Bundesebene gewürdigt und dies in ihre Entscheidung mit einbezogen.
Gestern fand eine Haushaltsausschußsitzung statt, die
ganz nebenbei - das ist heute auch aus anderen Ausschüssen schon öfter berichtet worden - eine Zumutung
für alle Parlamentarier war, völlig unabhängig, welcher
Partei sie angehören. Wir haben so etwas heute wieder
erlebt, indem eine Vorlage 10 Minuten nach einer von
der SPD erzwungenen Abstimmung über diese Vorlage
verteilt worden ist. Keiner wußte, worüber er eigentlich
abstimmt. Aber das scheint der übliche Stil zu sein.
Nach dieser Haushaltsausschußsitzung sagte ein SPDKollege: Wir machen nichts besser, aber wir machen
alles anders. - Sicher, dies sollte, nehme ich an, ein
Scherz sein. Aber die momentane Situation ist eigentlich
gar nicht konkreter zu schildern.
Sie wollen die Menschen mit Ihrer Politik mitnehmen. Nach meiner Meinung müssen Sie aber eine völlig
andere Politik machen, wenn Sie dies erreichen wollen.
({7})
Wenn Sie diese andere Politik machen, würden wir Sie
im Interesse der Menschen unterstützen.
Recht herzlichen Dank.
({8})
Weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Geschäftsbereich nicht vor.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung.
Außerdem rufe ich den Zusatzpunkt 4 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Berücksichtigung von Entlassungsentschädigungen im
Arbeitsförderungsrecht
({0})
- Drucksache 14/394 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1})
Haushaltsausschuß
Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Arbeit
und Sozialordnung, Walter Riester.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! In diesem Jahr stellen wir im Haushalt 173 Milliarden DM für Arbeit und Soziales ein. Das
ist ein Haushalt, der sozial ausgewogen ist, solide finanziert wird und zukünftige Belastungen berücksichtigt.
({0})
Der Einzelplan 11 ist der größte Einzeletat im Bundeshaushalt. Dies hat drei wichtige Gründe: Erstens. Wir
werden wirksam die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Zweitens. Wir machen Ernst mit dem Versprechen, die
Lohnnebenkosten zu senken. Drittens. Wir stabilisieren
unser Rentenversicherungssystem. Unser Etat ist um
10 Milliarden DM höher, als ihn noch die alte Bundesregierung veranschlagt hat.
({1})
Auch das hat gute Gründe. Wir übernehmen ein schlecht
bestelltes Feld.
({2})
Wir haben im Durchschnitt des letzten Jahres rund
4,3 Millionen Arbeitslose vorgefunden. Die hohe
Arbeitslosigkeit belastet unser Gesellschaftssystem, die
sozialen Sicherungssysteme und den Bundeshaushalt
ganz erheblich. Anders, als die Debatten der letzten Jahre es aufzeigten, machen wir dafür allerdings nicht die
Arbeitslosen verantwortlich, sondern wir gehen an die
Behebung der verantwortlichen Strukturen heran.
({3})
Wir setzen auf eine aktive Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik. Dies spiegelt sich insbesondere in dem
Ansatz der Ausgaben für die aktive Arbeitsmarktpolitik wider, den wir um 6 Milliarden DM erhöht haben.
({4})
Das sind Zukunftsinvestitionen in mehr Beschäftigung.
So entlasten wir mittelfristig aber auch die sozialen
Sicherungssysteme und den Bundeshaushalt.
Ebenfalls vorgefunden haben wir dramatisch hohe
Lohnnebenkosten. Die alte Bundesregierung hat uns
einen Gesamtbeitrag zur Sozialversicherung in Höhe
von 42,1 Prozent hinterlassen.
({5})
Ich erinnere Sie daran: 1996 haben Sie im Rahmen
des von Ihnen niedergerittenen „Bündnisses für Arbeit“
quergeschrieben, den Gesamtbeitrag dauerhaft auf
40 Prozent zu senken; damals lag er bei 40,8 Prozent.
Zwei Jahre später waren Sie schon bei 42,1 Prozent angekommen. Wären wir Ihnen nicht bei der Anhebung
der Mehrwertsteuer zur Seite gesprungen, dann läge der
Beitrag heute bei 43,1 Prozent.
({6})
Die Differenz beträgt 35 Milliarden DM. Mit diesem
Betrag haben Sie die Beitragszahler, die Rentenversicherung, die Arbeitslosenversicherung und die Betriebe
mehr belastet.
Sie haben nur angekündigt; wir aber machen jetzt
ernst. Wir setzen heute Mittel ein, um diejenigen Belastungen der Sozialversicherung rückgängig zu machen,
die zu tragen Aufgabe der Allgemeinheit ist. Dadurch
gelingt es uns, den Beitragssatz zur Rentenversicherung
in einem ersten Schritt um 0,8 Prozentpunkte zu senken.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Louven?
Ja, bitte.
Bitte sehr, Herr
Kollege Louven.
Herr Minister, war es
damals nicht so, daß in der Kanzlerrunde Gewerkschaften, Arbeitgeber und Bundesregierung einvernehmlich
beschlossen haben, die Lohnzusatzkosten auf unter
40 Prozent zu senken, und war es nicht darüber hinaus
so, daß sich Gewerkschaften und Arbeitgeber verpflichtet haben, für die zweite Kanzlerrunde Vorschläge vorzulegen, die dann ausgeblieben sind?
Sie haben völlig recht: Wir alle haben
gegengezeichnet. Bevor die Umsetzung in die Praxis
beginnen konnte, haben Sie auf Grund einer Zusage an
die Wirtschaftsverbände zunächst die Lohnfortzahlung
und dann den Kündigungsschutz gekippt und damit ein
Klima hergestellt, in dem eine praktische Zusammenarbeit gar nicht mehr möglich war.
({0})
Herr Louven, darüber hinaus möchte ich Ihnen sagen:
Ich möchte mich in bezug auf die Verantwortung in der
Regierungspolitik im Zweifelsfall nicht darauf berufen,
daß andere nicht mitgemacht haben.
({1})
Ich sagte, daß wir dies nun angehen. Erstens: Der
Bund zahlt in diesem Jahr 13,6 Milliarden DM für die
Anerkennung der Kindererziehungszeiten. Ab dem
Jahr 2000 übernehmen wir die volle Verpflichtung in
Höhe von 22,4 Milliarden DM.
Zweites Beispiel: Ostrenten. Der Bund zahlt künftig
rund 2,5 Milliarden DM für vereinigungsbedingte Leistungen im Rentenrecht. Damit übernehmen wir die
Finanzierungsverantwortung, die Sie den Rentenkassen
auferlegt haben. Die Gemeinschaft der Beitragszahler
muß nicht länger Aufgaben übernehmen, für die zu
Recht die Allgemeinheit geradestehen muß.
({2})
Damit stärken wir die Beitragsbezogenheit der Rentenversicherung. Wir geben ihr ein Stück des Vertrauens
zurück, das sie über die Jahre verloren hat, aber dringend braucht.
({3})
Meine Damen, meine Herren, der Haushalt 1999 ist
ein Haushalt zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Die alte
Bundesregierung hat kurz vor der Wahl den Mitteleinsatz für ABM und andere Instrumente drastisch erhöht.
Das erschien populär und gut. Aber es ist nicht gut, Arbeitsmarktpolitik in Abhängigkeit von Wahlterminen
zu betreiben. Wie sah die Arbeitsmarktpolitik denn aus?
- Es wurden überwiegend kurzfristige Maßnahmen getroffen. Nach der Wahl wären die Menschen wieder aus
diesen Maßnahmen herausgefallen. Wir werden und
müssen das Niveau halten, weil es uns um die Menschen
geht.
({4})
Aber gleichzeitig kommt es darauf an, das Niveau auch
zu verbessern; denn unser Ziel ist: Die Hilfen sollen direkt bei den Menschen ankommen, und dabei sollen
möglichst wenige Mitnahmeeffekte auftreten.
Wir bauen mit unserer aktiven Arbeitsmarktpolitik
vor allem Brücken in den ersten Arbeitsmarkt. Der Bund
und die Bundesanstalt für Arbeit geben in diesem Jahr
zusammen rund 45,3 Milliarden DM für die aktive Arbeitsmarktpolitik aus. Das sind über 6 Milliarden DM
mehr an Mitteln, als die alte Regierung vorgesehen hatte. Allein der Eingliederungstitel, der die wichtigsten arbeitsmarktpolitischen Instrumente umfaßt, wird um rund
3 Milliarden DM auf 27,4 Milliarden DM angehoben.
Die Arbeitsämter können damit die Ermessensleistungen
der aktiven Arbeitsmarktpolitik, insbesondere Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Maßnahmen für berufliche Weiterbildung, finanzieren. Sie können selbständig
die Mittel dorthin leiten, wo die Arbeitslosigkeit am
besten bekämpft werden kann.
Als neues Instrument der aktiven Arbeitsmarktpolitik
wurde das Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit in den Haushalt der Bundesanstalt
für Arbeit aufgenommen. Dieses Programm ist für ein
Jahr ausgelegt und sieht vor, zusätzlich - ich betone: zusätzlich - 100 000 Jugendliche kurzfristig in Ausbildung
und Beschäftigung zu bringen.
({5})
2 Milliarden DM gibt die Bundesanstalt für Arbeit
für dieses Programm aus. Dazu trägt der europäische
Sozialfonds 0,6 Milliarden DM bei.
({6})
- Ich sage gleich, wie es angenommen wird. - Obwohl
das Programm erst wenige Wochen angelaufen ist, berichten die Arbeitsämter schon heute von großen Erfolgen.
({7})
- Wenn ich den Zwischenruf höre, was sie sonst schon
sagen sollten, kann ich nur feststellen: 181 Arbeitsämter
reißen sich - den Ausdruck hätte ich in meiner früheren
Funktion gebraucht - den Arsch auf und kämpfen. Dazu
sagt mir hier jemand: „Was sollen Sie sonst sagen!“
({8})
Bislang wurden eine halbe Million Arbeitslose unter
25 Jahren angeschrieben. Danach nahmen die Arbeitsämter mit 124 000 Jugendlichen direkt Kontakt auf.
64 000 wurden konkrete Angebote unterbreitet. In den
ersten dreieinhalb Wochen sind rund 6 000 in Maßnahmen eingetreten. Davon sind 42 Prozent - darüber freue
ich mich besonders - Frauen.
({9})
Zu Ihrer Frage, Frau Schwaetzer, wie es angenommen wird: 148 000 Anfragen von Jugendlichen sind
zwischenzeitlich über die Hotline der Arbeitsämter eingegangen. Uns sagen die Arbeitsämter, daß sie es zum
ersten Mal mit einem großen Schub an hochmotivierten
Jugendlichen zu tun hätten, die an diesem Programm
teilnehmen möchten.
({10})
- Ich bedauere ein bißchen, daß der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU heute nicht da ist, der sich gestern zu
der Aussage hinreißen ließ, daß hier Jugendliche ruhiggestellt werden sollten.
({11})
Ich unterstelle, daß der Kollege Schäuble die Fakten
nicht kannte; denn nur so ist diese Aussage zu erklären.
({12})
Falls das nicht der Fall wäre, würde es die Menschen auf
den Arbeitsämtern und die Jugendlichen, die aktiv einen
Arbeitsplatz suchen, in einer Weise demotivieren, die
ich Ihnen gar nicht beschreiben kann.
({13})
Das ist doch unser gemeinsames Programm. Deshalb tragen Sie Mitverantwortung. Wir müssen doch dafür werben und kämpfen. Der Satz von Herrn Schäuble ist über
die Medien in der ganzen Republik verbreitet worden.
({14})
- Auch darüber kann ich gerne sprechen. Ich habe mich
öffentlich dafür eingesetzt, daß wir in den Fällen, in denen überzeugende Angebote ohne Grund abgelehnt werden, auch Druck ausüben,
({15})
beispielsweise durch Sperrungen. Das ist auch schon
gemacht worden.
({16})
- 25 Prozent der Hilfe zum Lebensunterhalt - wenn sie
überhaupt gewährt wird - können gestrichen werden,
wenn die Maßnahme abgelehnt wird.
({17})
Das steht im Gesetz.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fuchtel?
({0})
Ja, bitte.
Bitte sehr, Herr
Kollege.
Herr Bundesminister, wieso kommt der rotgrünen Koalition erst
jetzt der Gedanke, daß man hier kürzen könnte? Als man
noch in der Opposition war, hat man dies immer bis aufs
Messer bekämpft.
({0})
Dieser Gedanke ist nicht bis aufs Messer
bekämpft worden.
Auch jetzt müssen wir mit dieser Frage richtig umgehen. Ich sage Ihnen offen: Im Moment wird mir die Debatte um diese Sperrmaßnahmen zu breit geraten.
({0})
Ich habe mich bei den Arbeitsämtern kundig gemacht.
Viele der Jugendlichen bekommen überhaupt keine Leistungen. Diesen Jugendlichen kann man also gar keine
Leistungen streichen. Ich bin froh, wenn sich Jugendliche, die nicht beim Arbeitsamt gemeldet sind, jetzt für
diese Maßnahmen bewerben.
Klar ist aber auch, daß die Kürzungen von Sozialhilfe
nicht auf die Familien durchschlagen darf; denn in der
Sozialhilfe für Familien ist der Anteil für die Kinder mit
enthalten. Ich werbe also sehr dafür, diese Frage differenziert zu behandeln. Ich bin dafür, dort, wo Druck
gemacht werden muß, Druck auszuüben. Ich bin aber
nicht dafür, ein so gutes Programm jetzt mit Sperrzeiten
und Sozialhilfekürzungen kaputtzureden.
({1})
Nun möchte der
Kollege Fuchtel noch mehr von Ihnen wissen. Gestatten
Sie noch eine Zwischenfrage?
({0})
Ich hoffe, es wird mir auf die Redezeit
nicht angerechnet. - Bitte schön.
Nein, es wird nicht
auf die Redezeit angerechnet.
Wie beurteilen Sie die Aussage von Herrn Zwickel zu diesem Thema? Wieso beantworten Sie mir die Frage, die ich vorher gestellt habe, nicht und reden statt dessen drum herum? Ich habe Sie konkret gefragt. In der Vergangenheit
hat die SPD Kürzungsmaßnahmen immer verhindert.
({0})
Jetzt sieht man das auf einmal anders.
({1})
Ich habe Ihre Frage beantwortet, indem ich
das zurückgewiesen habe.
Zur Aussage von Klaus Zwickel: Recht und Gesetz
verbieten es, das Existenzminimum zu streichen. Wenn
wir als Parlamentarier unsere eigenen Gesetze noch
ernst nehmen, dann müssen wir diesen Standpunkt auch
vertreten.
({0})
Nun hat die Kollegin
Matthäus-Maier eine Zwischenfrage. Gestatten Sie das?
Bitte.
Herr Minister, da Sie
in diesem Hause neu sind, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß sich diejenigen unter uns, die Mitglied
im Vermittlungsausschuß sind, sehr gut daran erinnern,
daß die Regelung der Kürzung bzw. Streichung von Sozialhilfe im Vermittlungsausschuß mit den Stimmen der
SPD beschlossen worden ist.
({0})
Herr Fuchtel, tun Sie nicht so, obwohl Sie das Gegenteil
wissen. Es ist eine Frage der Anwendung vor Ort - von
Sozialhilfeträgern und Arbeitsämtern -, ob überhaupt
und in welcher Form man das Ganze anwendet.
({1})
Was Sie sagen, bestätigt das, was ich gesagt habe. Der entsprechende Zwischenruf ist damit
nochmals erledigt.
Neben den arbeitslosen Jugendlichen haben es die
Langzeitarbeitslosen besonders schwer.
({0})
Ein Drittel aller Arbeitslosen ist länger als 12 Monate
ohne Beschäftigung. Diesen Menschen helfen wir durch
das Langzeitarbeitslosenprogramm.
({1})
Bis zum Jahr 2001 stehen hierfür jährlich 750 Millionen DM zur Verfügung. So können voraussichtlich
140 000 Langzeitarbeitslose in den Arbeitsmarkt integriert werden.
({2})
- Ich bin sehr dafür, daß Sie auch den neuen Haushalt
mit beschließen.
Auf die schwierige Arbeitsmarktsituation in den
neuen Bundesländern zielen die Strukturanpassungsmaßnahmen. Für Strukturanpassungsmaßnahmen gibt
die Bundesanstalt in diesem Jahr voraussichtlich insgesamt rund 5,5 Milliarden DM aus. Mit den Mitteln können im Jahresdurchschnitt 1999 rund 200 000 Menschen
gefördert werden, davon rund 180 000 in den neuen
Bundesländern.
Aktive Arbeitsmarktpolitik ist mehrdimensional. Wie
auch in anderen Bereichen gibt es natürlich keine
Patentrezepte. Wir haben ein zielgenaues, effizientes
und flexibles Maßnahmenbündel auf den Weg gebracht.
Aktive Arbeitsmarktpolitik läßt sich gut mit einem Baukastensystem vergleichen. Die einzelnen Elemente müssen zueinander passen, und sie müssen auch richtig
zusammengebaut werden. Hinter der Arbeitslosigkeit
stehen Tausende von Schicksalen und Abertausende von
Gründen. Mit einem groben und starren Raster kommen
wir nicht weiter. Das ist in der Vergangenheit deutlich
geworden. Manche Bausteine passen nicht mehr. Wir
haben uns daher vorgenommen, die Arbeitsmarktpolitik
in Zukunft noch zielgenauer und personennäher zu
gestalten. Nur wenn dies gewährleistet ist, können wir
Rechte und Pflichten, so wie wir es gerade diskutiert
haben, auch wieder in ein vernünftiges Lot bringen. Das
wird das Ziel unserer SGB III-Reform sein. Wir wollen
eine bessere Wiedereingliederung der Arbeitslosen.
Ich habe eben gesagt, daß wir heute einen Haushalt
vorlegen, mit dem wir wirksam die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Mit finanziellen Mitteln allein funktioniert das
nicht. Das ist richtig, denn es gibt keine Formel: mehr
Geld gleich weniger Arbeitslosigkeit.
({3})
Nicht zuletzt deswegen setzen wir auch auf das Bündnis
für Arbeit, weil wir wissen, daß es mit Geld allein nicht
zu machen ist.
({4})
Wir alle wissen: Es gibt weder einen Königsweg noch
ein Patentrezept, um Arbeitslosigkeit abzubauen. Es
geht nur mit einer gemeinsamen Anstrengung, bei der
jeder in seinem Verantwortungsbereich seinen Beitrag
zur Lösung des Gesamtproblems einbringen muß. Wer
sich allerdings dem Konsens verweigert, kommt dem
gemeinsamen Ziel überhaupt keinen Schritt näher.
Herr Minister, es
liegt noch eine Wortmeldung zu einer Zwischenfrage
vor. Gestatten Sie sie?
Ja.
Bitte sehr, Herr
Kollege Seifert.
Herr Minister, auch Sie werden sicher nicht bestreiten, daß die Arbeitslosigkeit unter Schwerbehinderten besonders hoch ist. Sie haben
sich dazu ja gerade auch in Dresden geäußert. Das fand
ich sehr positiv und freue mich darüber. Hielten Sie es
unter diesen Umständen eigentlich nicht für sinnvoll,
daß am Bündnis für Arbeit auch Vertreter der Behindertenorganisationen teilnehmen könnten, wie es von
diesen seit langem gefordert wird? Es würde mich interessieren, ob Sie dazu eine Meinung haben und ob nicht
entsprechende Vertreter dazu eingeladen werden könnten.
Ich möchte Ihnen dazu differenziert antworten, weil es mir wichtig erscheint. Wir befinden uns
da in einer ganz schwierigen Situation. Wir haben Wirtschaft und Gewerkschaften eingeladen. Bei den Vertretern der Wirtschaft haben wir beispielsweise trotz nachdrücklichen Nachfragens von seiten der Mittelstandsvereinigungen irgendwo einen Schnitt setzen müssen. Uns
ist aber wichtig, daß wir die Belange von Arbeitslosen,
von Schwerbehinderten, von Kirchen und von Frauen in
die Problemstellungen einbringen und bei den Lösungen
berücksichtigen. Das ist uns wichtig. Ich darf Ihnen
versichern, daß sich im Zweifelsfall hier auch konkretere Aufgaben stellen als die, an dem Kreis von 12 oder
14 Menschen teilzunehmen, die sich heute nachmittag
wieder treffen.
Sie dürfen davon ausgehen: Mir ist das Anliegen gerade der behinderten Menschen sehr wichtig. Ich setze
mich gerade im Rahmen unserer Präsidentschaft in der
Europäischen Union dafür ein, das zu einem der drei
Themen zu machen, die wir in die beschäftigungspolitischen Fragen einbringen.
({0})
Der Kollege Seifert
hat noch eine Zusatzfrage. - Bitte sehr.
Wäre es denn, Herr Minister,
nicht sinnvoll, kurzfristig Vertreterinnen und Vertreter
der Behindertenverbände einzuladen, die dann wenigstens Sie beraten, damit Sie das Anliegen auf europäischer Ebene aus der Sicht der Betroffenen einbringen
können? Wir kennen ja unsere Situation am besten.
Wäre es nicht eine Möglichkeit, ein paar von unseren
Vertretern einzuladen?
Ich werde es machen.
({0})
Ich sagte, der Konsens darf nicht verweigert werden.
Wer den Karren bewußt vor die Wand fahren will, entzieht sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung, aber
die Gesellschaft wird es wahrnehmen. Ludwig Erhard
hat gesagt, daß 50 Prozent des wirtschaftlichen Erfolges
auf Psychologie beruhen. Ich weiß nicht, ob es so ist,
aber ein Teil Wahrheit wird darin liegen. Deswegen
warne ich vor dem permanenten Schlechtreden der Situation.
({1})
So trüb, wie auch einige Vertreter der Wirtschaft unser
Land sehen, stellt sich die Lage weiß Gott nicht dar. Ich
plädiere auch hier für einen klaren Blick.
({2})
- Vielleicht erinnern Sie sich an die Standortdebatte der
letzten zehn Jahre. Wie katastrophal wurde unser Standort heruntergemacht! Auch in dieser Zeit, in der Ihre
Partei den Wirtschaftsminister gestellt hat, habe ich
mich gegen diese Art der Diskussion gewandt.
({3})
Ich plädiere in diesem Zusammenhang für einen klaren Blick. Deutschland besitzt immer noch eine gute
Substanz. Um sie wieder fruchtbar zu machen, brauchen
wir Konsens statt Konflikte. Wir brauchen Menschen,
die zum Kompromiß bereit sind, anstatt laufend die
Konfrontation zu suchen.
({4})
Alle am Bündnis Beteiligten müssen dabei möglicherweise über ihren Schatten springen. Daß dies geht,
zeigen Erklärungen, die beispielsweise von Dieter
Schulte und heute früh von Hubertus Schmoldt abgegeben wurden. Beide sagten: Wir sind nicht nur bereit, wir
halten es sogar für notwendig, auch über Tarifpolitik zu
sprechen. - Im übrigen: In jedem Bündnisgespräch haben wir über Tarifpolitik gesprochen. In diesem Bereich
gibt es Auflockerungen. Ich denke daher, daß wir heute
nachmittag in einen sehr guten Dialog eintreten werden.
Trotz mancher Querschläger möchte ich Ihnen einen
weiteren Erfolg des Bündnisses kurz skizzieren: Alle
Beteiligten waren sich einig, daß die von der alten Bundesregierung geplante Anrechnung von Entlassungsabfindungen auf das Arbeitslosengeld keinen Sinn
macht. Es war nämlich geplant, daß Abfindungen in
einem erheblichen Umfang auf das Arbeitslosengeld
angerechnet werden sollen. Diese Regelung hätte die
Arbeitnehmer schon ab dem 7. April dieses Jahres unmittelbar und in vollem Umfang getroffen. Diese Regelung ist nicht nur sozial unausgewogen, sondern auch
verfassungsrechtlich bedenklich. Sie wurde deshalb
sowohl von den Arbeitgebern als auch von den Gewerkschaften zu Recht kritisiert.
Die Koalitionsfraktionen bringen deshalb heute den
Entwurf eines Änderungsgesetzes ein. Wir schaffen damit eine neue, ausgewogene gesetzliche Regelung. Damit stellen wir sicher, daß den Arbeitnehmern der überwiegende Teil der Abfindung verbleibt.
({5})
Gleichzeitig werden wir verhindern, daß sich die Unternehmen insbesondere von ihren älteren Arbeitnehmern
auf Kosten der Allgemeinheit auf dem Weg der Frühverrentung trennen. Es darf nicht sein, daß die finanzielle
Last der Arbeitslosen- und Rentenversicherung aufgebürdet wird.
Ich kann mir sehr wohl Lösungen - etwa im Bereich
der beruflichen Weiterbildung - vorstellen, mit denen
Arbeitslosigkeit vermieden werden kann und die den
älteren Arbeitnehmern einen intelligenteren Übergang
vom Erwerbsleben in den Ruhestand ermöglichen. Über
diesen Punkt waren sich die Bündnispartner einig. Deshalb werden wir an dieser Frage weiter arbeiten. Dafür
bedarf es aber Zeit.
In dem Fall der eben von mir angesprochenen Regelung standen wir aber unter erheblichem Zeitdruck. Drei
mir bekannte Betriebsräte haben mich angerufen und gefragt, ob sie davon ausgehen können, daß am 7. April
das alte Gesetz nicht greift. Mir sagte beispielsweise der
Betriebratsvorsitzende von Karmann: Wenn wir davon
ausgehen können, daß das Gesetz nicht greift, können
wir sofort 140 Entlassungen, die vorbehaltlich ausgesprochen worden sind, aufheben und rückgängig
machen. Diese Entlassungen wurden so terminiert,
damit die Entlassungsabfindungen nicht auf das Arbeitslosengeld angerechnet werden. Das sind die richtigen Schritte, die wir angehen müssen.
({6})
Die Beteiligten am Bündnis für Arbeit haben sich daher auf meinen Vorschlag hin darauf geeinigt, wegen
des zeitlichen Drucks hinsichtlich des 1. April 1999 zunächst den Rechtszustand wiederherzustellen, der bis
zum 31. März 1997 bestanden hat. Künftig wird der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruhen, wenn eine Abfindung gezahlt und die maßgebliche Kündigungsfrist nicht
eingehalten wird.
({7})
- Diese Regelung bestand vor Inkrafttreten des Gesetzes, welches wir jetzt korrigieren müssen. - Der Arbeitgeber ist verpflichtet, das Arbeitslosengeld für ältere
Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen zu erstatten.
Wir sind uns einig, daß wir die Gespräche im Bündnis für Arbeit über eine gesetzliche Neuregelung der
Entlassungsabfindung fortsetzen müssen. Das zeigt: Der
gemeinsame Wille, das gesamtgesellschaftliche Problem
Arbeitslosigkeit Schritt für Schritt zu lösen, ist vorhanden.
Heute nachmittag werden wir uns im Bundeskanzleramt zum zweiten Mal auf oberster Ebene zusammensetzen, um erste Zwischenergebnisse zu besprechen und
um weitere Umsetzungsschritte zu verabreden. Anschließend wird in insgesamt neun Arbeitsgruppen weiter gearbeitet. Das Bündnis ist Arbeit. Wer diese Arbeit
nicht scheut, der legt das Fundament für mehr Arbeit,
Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit.
({8})
Nun zum Thema Rente. In der Rentenpolitik ist erneut eine Diskussion entstanden.
({9})
Das wäre zunächst als gut zu bezeichnen, denn die Vorgängerregierung hat einen Berg von ungelösten Problemen, Stückwerk und verfehlten Einschnitten in das
Rentenrecht hinterlassen.
({10})
Wir brauchen eine Debatte, um nach vielen Jahren tiefer
Verunsicherung in der Bevölkerung über die Sicherheit
der Renten wieder Klarheit herzustellen.
({11})
Die schlimmsten Auswirkungen des Rentenreformgesetzes 1999 haben wir zu Beginn des Jahres gestoppt.
Das betrifft den Demographiefaktor und die Kürzungen
bei den EU- und BU-Renten, die wir bis Ende 2000 ausgesetzt haben.
({12})
Als weitere Hypothek hat uns die alte Bundesregierung das Familienurteil des Bundesverfassungsgerichts beschert.
({13})
Das Verfahren ist seit dem 15. Juli 1991 anhängig.
({14})
Sie hatten also sieben Jahre Zeit, die finanzielle Situation der Familien zu korrigieren.
({15})
Ich sage Ihnen eines: Sie wußten ganz genau, was auf
uns zukommt. In der Urteilsbegründung ist nachzulesen,
daß Sie mehrfach eine Verbesserung der Familienbesteuerung geprüft haben, diese jedoch immer wieder
verworfen haben. Ihnen war die Problematik also bekannt. Nur gehandelt haben Sie nicht.
({16})
Auch in der Frage der Rentenbesteuerung ist ein Verfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Auch
hier werden wir, je nachdem, wie das Urteil lauten wird,
die Suppe auslöffeln müssen, die Sie uns eingebrockt
haben.
({17})
Die Rentenpolitik der alten Regierung läßt sich auf
den Nenner bringen: Wegschauen, abwarten und aussitzen.
({18})
Nun müssen wir handeln.
({19})
Wir werden handeln und für die Zukunft Sicherheit der
Renten und stabile Beiträge herbeiführen.
({20})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Kues?
Ja.
Bitte sehr.
Herr Minister Riester, Sie haben eben gesagt, wir hätten in der Rentenpolitik alles ausgesessen. Können Sie mir erklären, weshalb Sie dann etwas zurücknehmen mußten?
({0})
Ich habe gesagt, Sie haben nicht nur ausgesessen, sondern Sie haben auch falsche Entscheidungen
getroffen, und die mußten wir zurücknehmen.
({0})
Aber ich sage Ihnen: Mit dieser Regierung wird es
kein Stückwerk mehr geben.
({1})
Wir werden eine Reform erarbeiten, die das Gesamtsystem der Alterssicherung umfaßt. Vorsorge für das Alter
soll wieder für jeden kalkulierbar werden.
Herr Minister, gestatten Sie auch eine Zwischenfrage der Kollegin
Schwaetzer?
Das ist Ihre erste heute. Bitte schön, Frau
Schwaetzer.
Herr Minister,
bedeutet das, was Sie dem Kollegen Kues eben geantwortet haben, daß Sie definitiv ausschließen, bei der
Rentenreform die demographische Entwicklung mit zu
berücksichtigen? Denn das war doch wohl kurzgefaßt
das, was Sie gesagt haben, nämlich daß es eine falsche
Entscheidung gewesen sei.
({0})
Darauf kann ich Ihnen eine ganz klare
Antwort geben, Frau Schwaetzer: Nur ein Tor würde die
demographische Entwicklung ausschließen.
({0})
Die entscheidende Frage ist, wie dieses Problem gelöst
wird. Wir wollen es nicht so gelöst haben.
({1})
Die Zukunft der Rentenversicherung hängt im wesentlichen von vier Faktoren ab:
({2})
erstens von der arbeitsmarktpolitischen Entwicklung,
zweitens von der Veränderung der Erwerbsbiographien,
drittens von der demographischen Entwicklung, viertens
aber auch von strukturellen und steuerlichen Fragen.
Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt werden wir
aktiv verbessern. Das läßt sich an unserem Etat für die
Arbeitsmarktpolitik ablesen.
Mit der Veränderung der Erwerbsbiographien einher
geht die Erosion sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse.
({3})
- „Jetzt kommt's!“ Ich mache jetzt aber keine Ankündigung, sondern lege dar, was wir schon gemacht haben.
Wir haben über die Fragen der Scheinselbständigkeit
und der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse nicht
nur geredet, sondern wir sind auch an deren Lösung herangegangen.
({4})
Wenn wir die demographische Entwicklung und die
steuerrechtlichen Fragen in die Fortentwicklung der
Rentenversicherung einbeziehen, werden wir diese Regelung auch hinbekommen.
In dieser Debatte wird es aus meiner Sicht keine
Denkverbote geben. Das Folgende sage ich ebenfalls
sehr deutlich angesichts der Diskussion, die ich in den
letzten Tagen erlebt habe: Zwei plus zwei muß auch vier
bleiben. Die vier Grundrechenarten möchte ich bei der
Geschichte nicht ausschalten.
({5})
Wenn sie ausgeschaltet werden und ich Begriffe wie
„Rentenlüge“ höre,
({6})
dann hätte ich eigentlich erwartet - das muß ich Ihnen
sagen -, daß Ihr Fraktionsvorsitzender interveniert.
({7})
Wissen Sie, ich persönlich kann das ab. Aber die Millionen Rentner, die dadurch verunsichert werden, können
es nicht ab.
({8})
Ich habe mir zum Ziel gesetzt, bis zum Ende dieses
Jahres Eckpunkte für eine Reform auszuarbeiten, die wir
im nächsten Jahr auf den Weg der Gesetzgebung bringen werden. Ich fordere die Opposition ganz bewußt
auf, dort mitzuarbeiten.
({9})
Ich möchte einen breiten Konsens; ich möchte, daß wir
diesen Ausrutscher und diesen Begriff möglichst schnell
vergessen können. Mir geht es darum, daß wir nicht die
Menschen verunsichern.
({10})
Vielmehr sollten wir an diesem großen Projekt gemeinsam arbeiten.
({11})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meckelburg?
Bitte.
Ich möchte
Sie, Herr Minister, angesichts dessen, was Sie eben über
eine Intervention des Vorsitzenden der CDU/CSUFraktion gesagt haben, fragen, ob Sie die Intervention
des Bundesgeschäftsführers der SPD, Ottmar Schreiner,
bezüglich Ihrer Aussage zur Rente als Lob verstanden
haben.
({0})
Zunächst einmal muß ich Ihnen sagen, daß
ich diese Frage intern und nicht im Deutschen Bundestag bespreche.
({0})
Aber die Aussagen von Ottmar Schreiner sind nicht auf
dem üblen Niveau der Aussagen, die Sie gemacht haben.
({1})
Die Aussagen von Herrn Schreiner
({2})
haben nicht Millionen von Menschen verunsichert, wie
das bei den Aussagen, die getan wurden und die über die
deutschen Medien verbreitet wurden, der Fall war. Mir
kann bis zum heutigen Tag in der politischen Debatte
keiner Lügen nachsagen. Dabei möchte ich es auch belassen.
({3})
- Nun möchte ich ohne weitere Unterbrechung fortfahren. Ich habe sehr viele Zwischenfragen zugelassen.
Aber nun möchte ich gern mit meinen Ausführungen
zum Schluß kommen.
({4})
Ich wollte das ohnehin vorschlagen. Ich glaube, wir tun uns allen einen Gefallen, wenn wir an dieser Stelle sagen: Keine weiteren
Zwischenfragen mehr. Wir wissen, daß sonst der zeitliche Plan der Debatte durcheinandergerät. Deswegen,
Herr Minister, fahren Sie bitte fort.
Ziel unserer Reformbemühungen ist es, einen Ausgleich zwischen den berechtigten Ansprüchen
der heute älteren Generation und den Erwartungen und
Interessen künftiger Rentnergenerationen zu finden. Dabei muß es uns gelingen, den Beitragssatz über einen
möglichst langen Zeitraum stabil zu halten. Meine Damen und Herren, daran dürfen Sie mitarbeiten!
Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sind Vertrauenssache. Nur wer Vertrauen bei den Menschen hat, kann eine
erfolgreiche Politik machen. Der von uns heute eingebrachte Haushaltsentwurf 1999 ist ein Haushalt des
Vertrauens.
({0})
Die Menschen wissen, daß sie sich wieder auf die Politik verlassen können. Dieser Haushaltsentwurf läßt der
Sozialpolitik ihren angemessenen Stellenwert zukommen. Eine verläßliche Sozialpolitik ist auf Dauer auch
Voraussetzung für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft.
In diesem Sinne appelliere ich an Sie, dem Haushaltsentwurf zuzustimmen.
({1})
Wenn ich es richtig
verstanden habe, möchte der Kollege Johannes Singhammer nach § 27 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung das
Wort zu einer Zwischenbemerkung haben. Ist das richtig?
({0})
Bitte sehr.
Herr Minister, Sie haben von einer Verunsicherung der Rentnerinnen und Rentner gesprochen. Ich möchte einmal
auf den Sachverhalt hinweisen: Sie von der Koalition
waren es, die vor der Wahl den Eindruck erweckt haben,
als sei eine demographische Komponente in der Rentenversicherung ein Übel.
({0})
Sie haben den Eindruck erweckt, als ob man ohne weiteres ohne Abzüge mit 60 Jahren in Rente gehen könne.
({1})
Sie, Herr Riester, waren es, der am Rosenmontag im
Rahmen der Diskussion über die Renten - zu aller Überraschung und ohne irgendeinen Anlaß - die Entkoppelung der Rente vom Nettolohn forderte. Später haben
Sie dann gesagt, dies sei nicht so, sondern anders gemeint
gewesen. Im Anschluß daran erklärt jetzt der Bundeskanzler, selbstverständlich müsse man über die Einführung einer demographischen Komponente nachdenken.
Dieses Hin und Her haben nicht nur wir so empfunden. So hat beispielsweise der Präsident des VdK, Herr
Hirrlinger, das Wort „Wahlbetrug“ in den Mund genommen und dies in der Presse auch veröffentlicht. Jetzt
können Sie doch hier der Opposition nicht den Vorwurf
machen, wir hätten die Rentnerinnen und Rentner - das
sind 17 Millionen Menschen in unserem Land - verunsichert. Das waren doch Sie!
({2})
Ich hätte hier und heute erwartet, daß Sie klarstellen,
was nun gilt: Ihr Wort, das des Bundeskanzlers oder irgendeines Dritten.
({3})
Herr Minister, Sie
können darauf antworten. - Bitte sehr.
({0})
Erster Punkt: Herr Singhammer, es ist mir
sehr recht, daß gerade Sie diese Frage gestellt haben,
weil Sie die unzulässige Aussage in die Öffentlichkeit
gebracht haben, wir hätten den Rentnern das Paradies
versprochen. Das hat niemand getan.
Ich darf für mich - das habe ich gerade dargestellt in Anspruch nehmen, folgendes gesagt zu haben
({0})
- ich antworte gerade Herrn Singhammer -: Die demographische Problematik ist groß. Dafür brauchen wir
Lösungen. Wir lehnen aber die Lösung der alten Regierung ab und müssen eine neue entwickeln.
({1})
Zweiter Punkt: Ich habe nicht gesagt: Wir gehen vom
Nettoanpassungsprinzip weg. Ich weise aber darauf hin,
daß das, was Sie verschämt als Demographiefaktor bezeichnen, ein Abweichen vom Nettoanpassungsprinzip
ist, weil es eine Minusformel ist.
({2})
Dritter Punkt: Ich habe öffentlich darauf hingewiesen
- nur das habe ich getan -, daß aus der jetzt erfolgten
Steuerentlastung und insbesondere aus dem Verfassungsgerichtsurteil eine Wirkung hervorgeht, die bei einer Umsetzung von 1 : 1 zwangsläufig dazu führen würde - jetzt nenne ich Ihnen die entsprechende Zahl -, daß
der Rentenversicherungsbeitrag wieder um 1,1 Prozentpunkte angehoben wird. - Die Ehrlichkeit gebietet es,
darauf hinzuweisen. - Das wäre im übrigen - ungeachtet
des Demographiefaktors - exakt die gleiche Wirkung,
wie Ihre Petersberger Beschlüsse sie ausgelöst hätten.
Ich bin interessiert daran - wir sollten zu einem ruhigeren Ton übergehen -, daß wir diese Fragen zusammen
und angemessen besprechen. Denn es ist unser gemeinsames Problem, zu einer sachgerechten Lösung zu
kommen. Dies ist - um es vorsichtig zu formulieren sehr schwierig, wenn, wie hier geschehen, in einer solchen Form mit Begriffen Verunsicherung bei Menschen
ausgelöst wird, die die unmittelbaren Zusammenhänge
nicht so genau kennen, wie ich sie Ihnen gerade geschildert habe. Diese Form des Umgangs sollten wir in Zukunft unterlassen.
({3})
Nun hat das Wort
der Kollege Dr. Hermann Kues, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Riester,
ich sage Ihnen ausdrücklich zu, daß wir in der Rentenfrage zur Zusammenarbeit bereit sind.
({0})
- Sie können ruhig Beifall klatschen. Das ist tatsächlich
der Fall.
Das setzt allerdings voraus - Sie sind an der Regierung -, daß Sie ein in sich schlüssiges Konzept vorlegen.
Vor allen Dingen aber müssen Sie Fakten zur Kenntnis
nehmen, die es nun einmal gibt, zuallererst den Demographiefaktor, von dem die ganze Zeit die Rede ist.
Vielleicht weiß kaum einer, was damit gemeint ist: Damit ist der sich ändernde Altersaufbau der Bevölkerung
gemeint. Sie müssen im Verlauf dieses Jahres Abbitte
tun, weil Sie mit den Gefühlen der Rentnerinnen und
Rentner im Wahlkampf Schindluder getrieben haben.
({1})
Auch die Art und Weise, wie Sie 100 000 Jugendliche instrumentalisieren,
({2})
finde ich schäbig und unanständig.
({3})
Es geht nicht um die Frage, wie viele Jugendliche untergebracht werden. Mit einem Programm, bei dem pro Jugendlichem 20 000 DM eingesetzt werden, werden Sie
- Gott sei Dank - viele Jugendliche unterbringen. Wir
werden aber genau darauf achten, aus welchen Programmen diese Mittel abgezogen werden. Erst dann
können wir Bilanz ziehen.
Sie unterliegen einem großen Irrtum - in Ihrer Rede
war sehr oft davon zu hören, wieviel Geld Sie ausgeben
wollen -: Die Probleme des Sozialstaates und des Arbeitsmarktes lösen wir nicht mit immer mehr Geld.
Vielmehr müssen wir an die Strukturen heran, wir müssen die Strukturen verändern. Deshalb sind Sie mit Ihrer
Argumentation auf dem Holzwege.
({4})
- Das Argument mit den 16 Jahren kommt sehr oft. Ich
pflege darauf zu sagen: Dafür, daß Sie 16 Jahre Zeit
hatten, zu überlegen, wie Sie es machen wollen, ist das,
was herausgekommen ist, mehr als dürftig.
({5})
Herr Minister Riester, ich fand es im übrigen sehr
mutig, daß Sie sich eben zu den 630-MarkBeschäftigungsverhältnissen geäußert haben. Denn der
Bundeskanzler ist ja nicht anwesend. Sie können überhaupt nicht sicher sein, ob er nicht draußen - vielleicht
in irgendeiner Talkshow - einen ganz neuen Vorschlag
unterbreitet. Das ist doch eines Ihrer Hauptprobleme:
daß Sie um völlig unsinnige Vorgaben des Bundeskanzlers herum Gesetze basteln müssen. Die können
natürlich nicht passen. Das ist ein Teil Ihres Problems.
Insofern tun Sie mir sogar leid.
In den vergangenen Tagen, gestern und vorgestern,
ist in den Reden des Bundesfinanzministers und des
Bundeskanzlers der Begriff „soziale Gerechtigkeit“ in
geradezu inflationärer Weise verwandt worden, gelegentlich gebraucht in der Kombination „soziale Gerechtigkeit und Modernität“ oder „soziale Gerechtigkeit und
Innovationen“. Wer das so häufig wiederholt, der hat
seine Gründe. Ich will sagen, welche Gründe ich sehe:
Sie versuchen, Nebelkerzen zu werfen, damit keiner so
recht merkt, was Sie in den ersten drei, vier Monaten
nicht hinbekommen haben. Sie werfen die Nebelkerze
„soziale Gerechtigkeit“, damit keiner an die wirklichen
Sachverhalte herangeht. Sie sind - das kann man am
Beispiel der 630-Mark-Jobs festmachen, aber auch an
anderen Feldern - mit Ihrem sozialpolitischen Latein am
Ende.
({6})
In der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik haben Sie in
allerkürzester Zeit einen Trümmerhaufen angerichtet.
({7})
Bei all den Schritten, die Sie angefangen haben, ist nicht
zu erkennen, wie damit etwas für den Beschäftigungsaufbau getan werden kann. Im Gegenteil: Es handelt
sich um bürokratische Monster, arbeits- und sozialrechtliche Ungetüme, Pfuscharbeit. Mit pathetischen Worten
werfen Sie Nebelkerzen, damit keiner merkt, daß Sie
nicht so recht wissen - das ist doch eine der Kernfragen,
über die wir diskutieren müßten -, wie eine zukunftsfähige Sozialpolitik unter veränderten wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Bedingungen formuliert werden kann.
Was heißt „gerecht“, wenn sich alles um uns herum
wandelt?
Innovative Strukturpolitik beschränkt sich mit Sicherheit nicht auf noch so hohe Geldzahlungen. Sie zeigen das typische Denken der Wohlstandsgesellschaft:
Sie zahlen Geld; damit ist die Sache erledigt. Sie kümmern sich nicht um die Menschen. Eine solche Politik ist
zum Scheitern verurteilt. Sie hemmt und blockiert den
Strukturwandel, statt ihn im Sinne sozialer Gerechtigkeit
und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu gestalten.
({8})
Heute kommt es darauf an, Strukturen so zu verändern, daß Arbeitsmöglichkeiten entstehen und daß sich
Arbeit lohnt; Anreize so zu gestalten, daß der Ehrliche
nicht das Gefühl hat, der Dumme zu sein.
({9})
Heute kommt es darauf an, Verantwortungsbereitschaft
zu wecken und für den Grundsatz der Gegenseitigkeit zu
werben. Ich sage es etwas differenzierter als Herr Zwikkel, Ihr ehemaliger Vorsitzender der IG Metall:
({10})
Wir müssen für den Grundsatz der Gegenseitigkeit werben. Das heißt, wer vom Staat und von der staatlichen
Gemeinschaft etwas erhält, der hat die innere Verpflichtung, im Rahmen seiner Möglichkeiten zurückzugeben.
({11})
Wer nimmt, der muß auch geben. Wir spüren - das
sollte man ganz offen diskutieren - die Kehr- und
Schattenseiten der Wohlstandsgesellschaft. Sie wollen
ein soziales Fernwärmesystem erhalten,
({12})
das die wirklich Bedürftigen kaum noch erreicht. Diese
fallen durch den Rost.
({13})
Herr Minister Riester, ich sage ausdrücklich: Sie sind
in gewisser Weise zu bedauern. Vielleicht sind Sie auch
ein Unglücksrabe. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb
am 23. Februar: „Riester zwischen allen Stühlen“. „Die
Welt“ schreibt: „Riester als Flickschuster“. Sie müssen
gesetzliche Regelungen um unsinnige Vorgaben des
Bundeskanzlers herumschaffen. In der Regel - hier bezogen auf die 630-Mark-Arbeitsverhältnisse - sind das
Notoperationen, die lediglich neue Probleme aufwerfen,
statt alte zu lösen. So sehen auch Ihre Gesetzentwürfe
aus.
({14})
Aber vielleicht kann ich Sie trösten: Falls Herr Schröder
Sie jemals nach Hause schicken sollte, wird er Sie vielleicht in seinem Dienstwagen dahin bringen.
({15})
Sie haben gemerkt, daß Sie mit den Rentenkorrekturen vor Weihnachten nicht bezahlbare Geschenke verteilt haben. Davon werden Sie noch im Verlauf dieses
Jahres eingeholt, wenn Sie Ihren Terminplan einhalten
und bis Ende des Jahres ein Konzept vorlegen.
Darüber, was Sie sich gegenseitig - ich beziehe das
auf den Kanzler und sein Verhältnis zu Ihnen; von Ihnen, Herrn Schreiner, will ich gar nicht reden; das, was
Sie eben gesagt haben, war sehr aufschlußreich; Sie
sagten nämlich, das sei nicht das Niveau, auf dem wir
hier diskutieren; in diesem Fall will ich Ihnen zustimmen - in sozialdemokratischer Verbundenheit antun,
kann man nur schmunzeln. Nicht zum Schmunzeln ist
jedoch folgendes: Sie sind beim zentralen Ziel Ihrer
Wirtschafts-, Gesellschafts- und Sozialpolitik, nämlich
bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, in den ersten
vier Monaten Ihrer Regierungszeit keinen einzigen
Schritt vorangekommen.
({16})
Im Gegenteil: Die Zahl der Arbeitslosen ist auf
4,4 Millionen gestiegen; das ist eine halbe Million mehr
als zu unserer Regierungszeit. Diese Arbeitslosen gehen
auf Ihr Konto. Dafür tragen Sie und Ihr Bundeskanzler
die Verantwortung.
({17})
Die Zahl der Arbeitslosen ist nur ein Aspekt. Da wird
mit allen möglichen statistischen Tricks gearbeitet. - Ich
habe dazu schon an anderer Stelle etwas gesagt. - Das
ist vielleicht ein Nebenaspekt, den Sie bei der Art und
Weise, wie Sie die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse gestalten, im Auge haben. Eine andere Frage
ist, wie sich die Zahl der Erwerbstätigen entwickelt.
Diese Zahl ist seit Ihrer Regierungsübernahme um
150 000 gesunken. Die Bundesanstalt für Arbeit - sie ist
relativ unverdächtig - sagt dazu: Die Erwerbstätigkeit ist
nicht mehr vorangekommen. - Das ist der Punkt.
({18})
- Schröder will sich daran messen lassen. Wir werden
ihn daran messen. Ich bin ziemlich sicher, daß er von
dieser Politik eingeholt wird.
Wenn es stimmt - ich gebe zu, daß das mittlerweile
fast eine Floskel geworden ist -, daß die Arbeitslosigkeit
die größte soziale Ungerechtigkeit ist, und wenn es zuDr. Hermann Kues
trifft, daß sozial ist, was zu weniger Arbeitslosen und zu
mehr Beschäftigung führt, dann ist Ihre Politik nicht nur
unausgegoren, sondern auch in hohem Maße unsozial.
({19})
Ich sage Ihnen auch, warum Ihre Politik zum Mißerfolg
verdammt ist - ich habe noch einmal nachgelesen, was
ich eingangs der Legislaturperiode, vielleicht etwas vorschnell, gesagt habe; ich kann das aber gut wiederholen -: Sie ist zum Mißerfolg verdammt, weil Sie nicht
den Mut und die Kraft haben, eine zukunftsweisende
Sozialpolitik und Arbeitsmarktpolitik mit strukturverändernden Maßnahmen zu formulieren und auch
durchzusetzen. Wir brauchen einen Arbeits- und Sozialminister mit Rückgrat, der die Kraft hat, im Kabinett
dagegenzuhalten.
({20})
- Den haben Sie nicht.
Sie müssen Strukturen schaffen, so wie wir es angefangen haben. Ich nenne Ihnen die Stichworte: Dezentralisierung, Nutzung der Phantasie der Regionen,
Kombilohnmodelle und Beteiligungschancen im Niedriglohnbereich. - Dazu hätten Sie jetzt schon die Möglichkeit gehabt. - Nur so haben Langzeitarbeitslose und
Geringqualifizierte tatsächlich eine Chance.
({21})
Ich werde es Ihnen nicht durchgehen lassen, wenn Sie
das Stichwort Langzeitarbeitslose in den Mund nehmen.
Sie sollten zunächst Ihr Interview aus dem „Magazin“
der „FAZ“ zurücknehmen, das ich Ihnen schon einmal
vorgehalten habe und in dem Sie gesagt haben: Was aus
denen wird, die nicht so recht qualifizierbar sind, interessiere Sie im Moment nicht. - Damit stempeln Sie 1 bis
2 Millionen Menschen ab.
({22})
Ich finde es ungeheuerlich, wie Sie mit diesen Menschen
umgehen.
({23})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dreßen?
Bitte sehr.
Herr Kollege Kues, Sie haben
gerade die Dezentralisierung bei den Ämtern und die
Forderung angesprochen, daß man mehr in den Regionen arbeiten solle. Ist Ihnen eigentlich bekannt, daß das
2-Milliarden-DM-Programm dezentral in den Verwaltungsräten der Arbeitsämter - und zwar ganz konkret,
jede Region für sich - ausgearbeitet wird, daß jedes Arbeitsamt eigene Ideen einbringen kann und daß sich
Bürgermeisterämter und karitative Einrichtungen beim
Arbeitsamt einbringen können? Wie weit wollen Sie mit
der Dezentralisierung eigentlich noch gehen? Oder ist
Ihnen das nicht bekannt?
Herr Kollege Dreßen, ich habe mehrere Arbeitsämter besucht; Sie sicher
auch. Wenn Sie sich mit den Leuten unterhalten, dann
werden Sie eines feststellen: Jeder begrüßt, wenn mehr
Geld zur Verfügung steht. Als Arbeitsamtsdirektor würde ich das auch tun. Ich freue mich über jeden Jugendlichen, der auf diese Art und Weise in Ausbildung und
Beschäftigung kommt. Sie müssen aber ein Konzept haben - denn 20 000 DM pro Jugendlichen werden Sie
nicht durchhalten -, und ein Konzept erhalten Sie durch
Strukturveränderungen. Den Leuten wird doch wieder
etwas vorgemacht: Sie haben das Programm, wenn ich
das richtig in Erinnerung habe, doch auf ein Jahr begrenzt. Dezentralisierung ist gut; was Sie aber an Illusionen wecken, indem Sie - ich sage das einmal ganz direkt - Geld rauswerfen, das halte ich für schäbig, weil
Sie den Jugendlichen nicht wirklich helfen.
({0})
Ich glaube, ein wichtiger Punkt ist - ich könnte das
auch auf die Tarifpolitik beziehen; wenn ich gleich noch
Zeit dazu habe, werde ich das auch noch tun -, daß Sie,
Herr Minister Riester, und die gesamte Bundesregierung
den Arbeitsmarkt viel zu sehr aus der Sicht derjenigen
sehen, die einen Arbeitsplatz haben, und viel zuwenig
aus der Sicht derjenigen, die vor der Tür stehen.
({1})
- Herr Kollege Wagner, Hochmut kommt vor dem Fall.
Vielleicht ist die Tatsache, daß Sie das so handhaben
und daß Sie sich zuwenig um die kümmern, die draußen
vor der Tür stehen, auch der Grund dafür, daß die jungen Leute in Hessen der Union das Vertrauen geschenkt
haben.
({2})
Denn die erwarten von Ihnen im Grunde genommen
nichts mehr.
Der Bundeskanzler sorgt schon vor: Er hat die Verantwortung, versucht aber, den Schwarzen Peter der
Europäischen Union zuzuschieben. Als er noch Ministerpräsident in Niedersachsen war, hat er gesagt, der
Bund müsse das lösen. Sie müssen sich einmal die Situation in Niedersachsen ansehen - ich komme aus diesem Bundesland -: Seinem Nachfolger hat er verbrannte
Erde hinterlassen.
({3})
- Sie kennen sich da ja auch aus. Sie werden gleich noch
etwas dazu sagen.
Er beeinflußt jetzt die sogenannten makroökonomischen Daten, und in Niedersachsen geht es bergab. Das
läßt sich mit Zahlen belegen. Inzwischen hat Niedersachsen bei der Arbeitslosenquote das Saarland bedauerlicherweise überholt und liegt am Ende der westdeutschen Flächenländer. Das ist das Ergebnis der Politik
von Bundeskanzler Schröder.
({4})
Angesichts der ersten Bilanz dieser Politik ist es mehr
als zweifelhaft, ob Schröder auf Bundesebene bei der
Schaffung von mehr Arbeitsplätzen Erfolg haben wird.
Sie haben als zentrales Instrument das „Bündnis für
Arbeit“ angesprochen. Ich will Ihnen ausdrücklich sagen: Es ist gut, daß Spitzengespräche stattfinden. Sie
wissen, daß Gespräche mit den Tarifparteien einen Beitrag zu mehr Beschäftigung leisten können. Deswegen
werden wir als CDU/CSU-Fraktion alle Bemühungen
ernsthaft unterstützen, bei diesen Gesprächen zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen.
({5})
Aber diese Treffen allein - nicht das Treffen als solches ist das „Bündnis für Arbeit“ - holen noch keinen
Arbeitslosen von der Straße, sondern erst die Einigung
über Maßnahmen, die teilweise auch unpopulär sein
werden, macht dies möglich. Wir werden alle Bemühungen, alles, was Sie uns vorlegen, daran messen, ob
Sie damit einen Beitrag zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit leisten. Darüber hinaus werden wir genau schauen, ob Sie bestimmte Gruppen außen vor lassen. Von
den Behinderten ist schon die Rede gewesen. Ich nenne
jetzt allgemein: Langzeitarbeitslose, Geringqualifizierte.
Ob Sie sich für diese Gruppen etwas einfallen lassen,
daran werden wir Sie letztlich messen.
Wenn man berücksichtigt, daß schon allein aus demographischen Gründen das Erwerbspersonenpotential
in den nächsten vier Jahren - das sind die neuesten Berechnungen des IAB - um fast 1 Million zurückgehen
soll - exakt weiß das keiner so recht -, muß der entsprechende Rückgang der Arbeitslosenzahlen fast schon als
Minimalziel gelten. Eigentlich eröffnen sich für Ihre
Regierung sogar ungeahnte Möglichkeiten. Ich nehme
an, daß das auch die Basis für das gewesen ist, was der
Bundeskanzler gesagt hat.
Aber klappen wird es nur, wenn alles auf den Tisch
kommt, was zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen
geeignet ist. Dazu gehören erstens eine an der Produktivität orientierte Tarifpolitik, zweitens eine Steuerpolitik,
die zu einer drastischen Senkung der Steuer- und Abgabenlast führt, drittens eine Haushaltspolitik, die die Ausgabendynamik bremst und mehr Freiräume schafft,
viertens eine Deregulierung, die insbesondere Einstellungshemmnisse abbaut,
({6})
und fünftens eine Reform der sozialen Sicherungssysteme - ich bitte Sie, jetzt aufzupassen -, die nicht mit Illusionen arbeitet, sondern die Sachverhalte zur Kenntnis
nimmt und das Soziale zukunftsfähig macht.
({7})
Sie haben einen neuen Sachverständigen berufen,
Herrn Professor Kromphardt. - Er soll den Gewerkschaften nahestehen; aber wie auch immer. - Er hat in
bezug auf den Punkt Deregulierung und die Frage, wo
die Gewerkschaften nachgeben sollten, heute folgendes
gesagt - ihm geht es wahrscheinlich auch um seine
Sachverständigenehre -:
Man müßte die Unternehmen fragen, was für sie
die größten Hemmnisse sind, neue Leute einzustellen. Wenn dies beispielsweise der Kündigungsschutz ist, sollte man grundsätzlich bereit sein, diese Hürde abzubauen.
({8})
Das sagt Ihr neuer Sachverständiger. So weit würde ich
nie gehen. Ich sage: Wir müssen bei allem nüchtern prüfen, ob damit mehr Beschäftigung entsteht.
Aber an diesem Beispiel wird deutlich: Sie haben den
Menschen in den vergangenen Monaten etwas vorgemacht. Sie haben ihnen etwas vorgegaukelt. Das ist der
Punkt, den wir kritisieren.
({9})
Deswegen wird es für Sie um so bitterer, wenn Sie
jetzt zurückrudern müssen und Ihr Scheitern eingestehen
müssen. Ihre Politik hat auf dem Arbeitsmarkt in den
vergangenen Monaten tiefe Spuren hinterlassen. Das ist
nicht das Ergebnis handwerklicher Fehler, wie Sie das
erzählen. Das ist auch nicht das Ergebnis der Eile. Nein,
es ist schlicht das Ergebnis Ihrer Ideologie.
({10})
Alle wurden mit kleinen Wahlgeschenken bedacht,
deren Kosten quer durch alle Positionen des Sozialbudgets verschleiert wurden. Allen wurde es recht gemacht,
um Besitzstände zu wahren, um überall dort nachzubessern, wo Partikularinteressen nur laut genug artikuliert
wurden. Aber eine Regierung, die zehnmal einknickt,
wird beim elftenmal nicht standhaft bleiben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, die gestatte
ich nicht mehr; denn jetzt kommt mein letzter Satz, und
Sie können das dann gleich ergänzen.
Die tiefen Spuren Ihrer Politik auf dem Arbeitsmarkt
sind nicht das Produkt handwerklicher Fehler. Das, was
Sie vorlegen, ist das Ergebnis einer rückwärtsgewandten
Politik, die sich auf einen Nenner bringen läßt: Strukturkonservatismus.
({0})
Das Wort hat nun
die Kollegin Ulla Schmidt, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich mag es am liebsten, wenn sich diejenigen gegen Besitzstandswahrung
aussprechen, deren Besitzstände überhaupt noch nie in
Gefahr waren
({0})
und die damit immer nur die Ärmsten der Armen meinen, denen man offensichtlich alles wegstreichen kann,
ohne daß man glaubt, es passierte etwas. Ich möchte
aber nun auf andere Dinge eingehen, die der Kollege
Kues hier gesagt hat.
Ich habe gestern, als Ihr Fraktionsvorsitzender hier
geredet hat, geglaubt, daß Ignoranz gegenüber den Problemen von mehr als einer halben Million jungen Menschen in diesem Land, die keine Arbeit haben, nicht
schlimmer zum Ausdruck gebracht werden kann als mit
der Bemerkung des Kollegen Schäuble, die Regierung
Schröder wolle mit dem Programm, mit dem sie 100 000
Arbeitsplätze für junge Frauen und Männer schaffen
will, Jugendliche nur ruhigstellen. Nun kommt der Kollege Kues heute hierher und sagt, dies sei ein Programm,
um Jugendliche zu instrumentalisieren.
Ich habe gestern noch gedacht, vielleicht macht die
Fraktion das nicht mit. Ich frage Sie einmal: Wo leben
wir denn eigentlich? Seit 1992 hat die Zahl der arbeitslosen jungen Frauen und Männer, und zwar der registrierten, immer bei weit über 400 000 gelegen. Die Zahl
derjenigen, die nicht registriert waren, lasse ich jetzt
einmal beiseite. Sie aber haben nur tatenlos zugesehen
({1})
und immer nur große Worte gemacht, daß Sie Arbeitsplätze bereitstellen wollten. Sie haben alle unsere Initiativen, um jungen Menschen wieder eine Chance zu geben, um sie in die Beschäftigung zurückzuführen oder
sie überhaupt erst wieder beschäftigungsreif zu machen,
abgelehnt. Sie stellen sich jetzt - wenn die Regierung als
eine ihrer ersten Taten ein Programm auflegt, um diesen
jungen Menschen eine Chance zu geben - hier hin und
sagen, dies sei eine Beruhigungspille. Schämen Sie sich
denn überhaupt nicht?
({2})
Frau Kollegin
Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Meckelburg?
Ja.
Bitte sehr, Herr
Kollege.
Frau Kollegin,
könnten Sie mir bestätigen, daß die Bundesrepublik
Deutschland, was die Jugendarbeitslosenquote angeht,
im europäischen Vergleich seit vielen Jahren wesentlich
besser dasteht? Können Sie mir weiter bestätigen, daß
die süddeutschen Länder, wenn man die Situation innerhalb Deutschlands vergleicht, wesentlich besser dastehen als beispielsweise Niedersachsen.
({0})
Und können Sie mir schließlich bestätigen, daß das von
Ihnen vorgesehene Sofortprogramm, 100 000 Arbeitsplätze für Jugendliche zu schaffen, angesichts der Tatsache, daß dieses nur für ein Jahr vorgesehen ist, in der Tat
nicht als Lösung oder als Brücke in die Zukunft, sondern
nur als Ruhigstellung bezeichnet werden kann? Sie haben das bisher Warteschleife genannt.
({1})
Kollege Meckelburg,
mehr als 500 000 Jugendliche - das sind mehr als
500 000 zu viel. Da interessiert mich überhaupt nicht, ob
es in anderen Ländern noch schlimmer aussieht. Es ist
schlimm genug, wenn eine Gesellschaft in Industrieländern jungen Menschen keine Chance mehr auf ein Leben in Selbstbestimmung gibt, so daß sie in der Lage
sind, ihre eigene Existenz zu sichern, ein Stück Freiheit
zu haben. Es ist schlimm genug, wenn ihnen die Chance
verwehrt wird, in sozial gesicherten Verhältnissen guten
Gewissens eine Familie zu gründen und Kinder aufzuziehen. Das ist schlimm genug!
({0})
Es ist schlimm genug, weil Sie genauso gut wie ich
wissen, daß diejenigen Jugendlichen, die nach der
Schule oder nach einer abgebrochenen Ausbildung nicht
wieder in den Arbeitsmarkt zurückkommen, dauerhaft
von Erwerbslosigkeit und Armut bedroht sind. Es sind
diejenigen, von denen wir morgen sagen, daß sie die sozialen Kassen zu sehr belasten, obwohl wir ihnen nicht
die Chance gegeben haben, selbst für ihren Unterhalt zu
sorgen.
Natürlich ist das 100 000-Job-Programm nur ein erster Schritt. Ich stimme mit Ihnen völlig überein, daß
dieses Programm nicht das „Bündnis für Ausbildung
und Arbeit“ ersetzt. Vielmehr müssen wir an die Pflicht
der Unternehmen appellieren, Ausbildungs- und Arbeitsplätze bereitzustellen.
Viele von uns sind doch auch Mütter und Väter:
Wenn ich mir eines für meine Tochter gewünscht habe,
dann das, daß ihr eine gute Ausbildung garantiert wird,
damit sie die Chance erhält, erwerbstätig zu werden. So
halten Sie es doch auch mit Ihren Kindern. Dann lassen
Sie uns zumindest in diesem Punkt einig sein und dieses
Programm gemeinsam auf den Weg bringen. Geben wir
den jungen Menschen, die überhaupt erst ausbildungsfähig gemacht werden müssen, eine Chance, damit sie die
Brücke zum Arbeitsmarkt finden. Danach können wir
gemeinsam darüber diskutieren, was wir sonst noch tun
müssen. Anderenfalls ließen wir die jungen Menschen
allein und auch deren Eltern, die sich darüber Sorgen
machen, was mit ihren Kindern passiert.
({1})
Deshalb ist das Programm nicht nur ein Angebot für
heute. Dieses Programm ist ein Angebot, um diejenigen
auszubilden, die wir jetzt erreichen können. Es ist
schwierig genug, sie alle zu erreichen; denn diejenigen,
die jahrelang arbeitslos waren, wurden auch aus den sozialen Bezügen herausgezogen. Ich bin für jeden einzelnen dankbar, den wir erreichen. Ich habe nämlich
17 Jahre lang mit Jugendlichen gearbeitet, die individuelle Lernschwierigkeiten und individuelle Probleme
hatten. Jeder einzelne von ihnen ist es mir wert, daß wir
ihn heranziehen, weil es für ihn vielleicht die Chance
bedeutet, am kulturellen, sozialen und politischen Leben
in dieser Gesellschaft teilzunehmen und Mitglied der
Gesellschaft mit gleichen Chancen und gleichen Rechten zu werden.
({2})
Deshalb spreche ich im Namen der SPD-Fraktion der
Regierung Schröder unseren Dank dafür aus, daß dieses
Programm eine ihrer ersten Taten gewesen ist. Wir sind
davon überzeugt, daß nur eine beschäftigungsorientierte Sozialpolitik auf Dauer eine Sozialpolitik ist, die den
Menschen die Möglichkeiten zur freien Entfaltung gibt,
die den Menschen eine Chance gibt, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen.
({3})
- Ich kann da jubeln, weil ich diese Regierung gewählt
habe und weil ich froh bin, daß wir sie haben. Bei dieser
Regierung kann ich nämlich sicher sein, daß wir in den
nächsten Jahren wirklich den Schlüssel für das 21. Jahrhundert in die Hand nehmen. Bei ihr schließen sich Sozialpolitik, Arbeitsmarktpolitik und Wirtschaftspolitik nicht
gegenseitig aus, sondern gehen ineinander über, so daß
die Menschen in diesem Lande wieder gut leben können.
({4})
Wenn ich aber aus Ihrem Munde Worte wie „soziale
Gerechtigkeit“ höre, dann habe ich das Gefühl, daß ich
in den letzten Jahren auf einer anderen Veranstaltung
gewesen bin.
({5})
Es klingt schon seltsam, wenn ausgerechnet diejenigen
von sozialer Gerechtigkeit sprechen, die es zu verantworten haben, daß wir in diesem Lande eine soziale
Schieflage sondergleichen bekommen haben.
({6})
- Natürlich, die Schere zwischen Arm und Reich ist
immer weiter auseinandergegangen. Reicht Ihnen denn
das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht, das besagt, daß Sie den Familien in den letzten Jahren 20 Milliarden DM vorenthalten haben?
({7})
- Wir haben nicht zugestimmt.
({8})
- Wir haben gegen Ihren Widerstand jede Erhöhung des
Kindergeldes über den Bundesrat erstreiten müssen, weil
wir im Bundestag keine Mehrheit hatten.
({9})
- Mir ist klar, Kollegin Schwaetzer, daß Ihnen die Freibeträge lieber sind, weil natürlich die, die hohe Einkommen haben, mit hohen Freibeträgen auch mehr entlastet werden.
({10})
Wir haben sie immer in Kindergeld umwandeln wollen,
damit jedes Kind in diesem Land die gleichen Chancen
hat und die Kinder, deren Eltern geringere Einkommen
haben, nicht noch mehr auf ihre Chancen verzichten
müssen.
({11})
- Das ist nicht falsch, man kann beides machen. Auch
ich kenne die Materie ein bißchen. - Deshalb haben wir
in einem der ersten Schritte das Kindergeld auf 250 DM
erhöht, wir haben die Steuersätze gesenkt, wir haben das
steuerlich freigestellte Existenzminimum erhöht, wir haben die unsozialen Kürzungsgesetze zurückgenommen.
In diesem Bundestag haben wir dies beschlossen. Ich bin
darüber froh. Sie können schreien, was Sie wollen
({12})
- ich gebe zu, wir schreien beide -, die jungen Familien
kommen zu mir und bedanken sich dafür.
({13})
Ein zweiter Punkt, der mir sehr wichtig ist. Ich begrüße ausdrücklich, was der Arbeitsminister vorgestellt
hat: daß der Ansatz für die aktive Arbeitsmarktpolitik
im Bundeshaushalt erhöht worden ist, und zwar zusätzlich zu den 2 Milliarden DM um 4,7 Milliarden DM. Ich
appelliere auch da an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: 100 000 Arbeitslose kosten den Staat summa sumarum 4 Milliarden DM im Jahr. Sie müssen, wenn Sie die
ideologischen Brillen einmal ablegen und mit mir frei
darüber nachdenken, doch zugestehen, daß es viel besser
ist, dieses Geld in Arbeit zu investieren, als Menschen
dafür zu bezahlen, daß sie nichts tun dürfen.
({14})
Ulla Schmidt ({15})
Deshalb ist es richtig, die Ansätze für die Arbeitsmarktpolitik zu erhöhen. Deshalb ist es richtig, wirklich
für mehr Weiterbildung, für mehr Qualifizierung zu sorgen, damit wir die Zeiten, in denen Menschen arbeitslos
sind, nach Möglichkeit verkürzen können. Es ist doch
eine Schande, daß 40 Prozent der heute registrierten Arbeitslosen ein Jahr und länger arbeitslos sind. Sie werden doch nicht bestreiten, daß es, je länger sie arbeitslos
sind, um so schwieriger wird, sie in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, weil natürlich mit der Dauer der
Arbeitslosigkeit auch eine Dequalifizierung einhergeht.
Lassen Sie uns wirklich dafür streiten und auch gemeinsam beschließen, daß wir von den passiven Leistungen
zur Förderung von Aktivierungsmaßnahmen kommen.
({16})
Wir müssen das Arbeitsförderungsgesetz gemeinsam
so reformieren, daß wir hier unbürokratisch und effektiv
die Abstände zwischen Arbeitslosigkeit und Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt so kurz halten
können, daß der zweite Arbeitsmarkt wirklich nur eine
Brücke ist.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat nun
die Kollegin Dr. Schwaetzer, bitte sehr.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in dieser Debatte sowohl von der Regierung wie auch von den Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen ungeheuer viele Grundsatzerklärungen gehört. Sie sind aber
gewählt - das sagen Sie auch immer, und das stimmt -,
etwas zu tun. Die einzige neue Konzeption, die ich hier
gehört habe - ich komme gleich noch darauf -, ist das
100 000er-Programm für die junge Generation. Was
Herr Riester ansonsten gelobt hat, hat er von der alten
Regierung übernommen.
({0})
- So ist das. - Wir werden das alles im Ausschuß besprechen, so wie wir letzte Nacht im Ausschuß beraten
haben.
({1})
Ich habe keine Probleme mit Nachtsitzungen, Sie schon
eher.
({2})
Ansonsten kommt von Ihnen: Rücknahme, Rücknahme, Rücknahme. Auf keinem Gebiet zeigt die Regierung deutlicher, wofür sie nicht steht, weil sie immer nur
nein sagt zu dem, was früher gemacht worden ist, als in
der Sozialpolitik.
Nach der Aufhebung der meisten Beschlüsse zur
Konsolidierung der sozialen Sicherungssysteme ist eines
klar: Dies ist kein Aufbruch der Neuen Mitte, sondern
der Rückmarsch in die gewerkschaftliche Linke.
({3})
Aber wahrscheinlich kann man von einem Minister, der
stellvertretender Vorsitzender der konservativsten Gewerkschaft in Deutschland war, wohl kaum etwas anderes erwarten.
({4})
In Ihrer eigenen Gewerkschaft, Herr Riester, galten
Sie als Reformer. Nach dem aber, was Sie in Ihren Reden hier im Deutschen Bundestag bisher gesagt haben,
sind Sie weit entfernt von der gesellschaftlichen Mitte.
Sie sind weit entfernt vom Mittelstand, der in Ihrer Rede
heute gar nicht vorgekommen ist.
({5})
Nicht an einer Stelle kamen Sie auf die Existenzgründer
zu sprechen. Die Menschen also, die sich auf ihre eigenen Kräfte stützen und etwas schaffen wollen - und sie
bilden die Mitte dieser Gesellschaft -, kommen bei Ihnen gar nicht vor.
({6})
Noch einmal zur IG Metall, die für den Abschluß
verantwortlich ist, der gerade erzielt worden ist. Dieser
Abschluß - man kommt wohl nicht umhin, dies zu sagen
- dient nicht den Arbeitslosen. Nicht einmal die IG Metall behauptet, daß dadurch neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Wo also soll die Unterstützung durch Veränderung und Reform von seiten der Gewerkschaften im
„Bündnis für Arbeit“ herkommen, wenn Sie nicht einmal in der Lage sind, Ihre eigenen Machtansprüche zurückzustellen?
({7})
Meine Damen und Herren, das „Bündnis für Arbeit“
ist schlecht gestartet. Der Grund liegt sicher weniger in
den Drohkulissen, die auf allen Seiten aufgebaut wurden, als in der Phantasielosigkeit der Regierung. Ich
frage Sie, Herr Riester - Ihre Rede heute hat wirklich
keinen Ansatz aufgezeigt -: Wo sind die neuen Impulse
für den Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit? Das Programm, auf das Sie hinweisen, haben Sie von uns übernommen. Wo sind die Initiativen, die Vorstellungen für
mehr Teilzeitarbeit? Wo sind Ihre Ideen für den Niedriglohnsektor? - Überall Fehlanzeige.
({8})
Ich bitte Sie nachdrücklich: Setzen Sie sich wenigstens einmal mit den Konzepten auseinander, die schon
auf dem Tisch liegen, zum Beispiel mit unserem Konzept einer negativen Einkommensteuer, auch „Bürgergeld“ genannt! Das sind Ansatzpunkte, über die es sich
ernsthaft nachzudenken lohnt. Von Ihnen kommt nichts.
({9})
Ulla Schmidt ({10})
Nun zum Programm für junge Arbeitslose. Ich freue
mich für jeden Jugendlichen, der darüber einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz findet. Ich denke, das ist ein
Gewinn für diese Gesellschaft.
({11})
Aber ich frage mich, ob wir wirklich aus Steuermitteln
und aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit die Versäumnisse der Länder im schulischen Bereich - das sind
im wesentlichen die SPD-regierten Länder ({12})
finanzieren müssen. Vielleicht müßte doch einmal
geprüft werden, ob nicht, wenn diese 20 000 DM pro
Arbeitsplatz anders eingesetzt würden, mehr Effekte
erzielt werden könnten.
({13})
Heute wird in erster Lesung auch ein Gesetzentwurf
mit dem Titel „Entlassungsentschädigungs-Änderungsgesetz“ behandelt. Der richtige Titel ist noch länger; dies
ist schon die Kurzfassung. Damit soll eine Regelung der
alten Regierung aufgehoben werden, nach der zumindest
ein Teil der Abfindungen bei Entlassungen auf das
Arbeitslosengeld angerechnet wird. Ich habe immer gedacht, es sei ganz normal, daß dann, wenn ein Arbeitnehmer eine Abfindung bekommt, zumindest ein Teil
davon - den Großteil kann er behalten - auf das Arbeitslosengeld, das schließlich aus der von allen finanzierten Sozialkasse gezahlt wird, angerechnet wird.
Auch das nehmen Sie - wieder mal - zurück. Dies,
sagen Sie, sei das erste Ergebnis des „Bündnisses für
Arbeit“. Na toll, statt Reform mehr Kosten, statt Zukunft
für die soziale Sicherung Rückschritt in Deutschland.
Nichts charakterisiert die Unfähigkeit der Regierung und
der Regierungskoalition, die Zukunft zu gestalten, deutlicher als diese Entscheidungen. Aber ich sage Ihnen,
meine Damen und Herren: Sie werden von Ihren Lebenslügen eingeholt werden.
({14})
Freiheit braucht soziale Sicherung. Das ist das Leitmotiv der Sozialpolitik der F.D.P. Aber soziale Sicherung braucht auch Eigenverantwortung. Ich habe heute
morgen von Frau Wolf und von allen anderen Rednern
der Regierungskoalition den Begriff „Eigenverantwortung“ reichlich gehört. Dazu kann ich nur sagen: Mit
dem, was Sie machen, degradieren Sie diesen Begriff
zur reinen Deklamation.
({15})
Wer Existenzgründer zwingt, sich an der umlagefinanzierten sozialen Sicherung zu beteiligen, und das letzte
Stück Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt durch die Verbürokratisierung der geringfügigen Beschäftigung beseitigt,
der fördert nicht mehr Eigenverantwortung, sondern die
Abhängigkeit von einem sowieso überforderten Staat.
({16})
Damit werden Sie den Reformstau nicht auflösen, sondern den Arbeitsmarkt zusätzlich belasten. Das werden
Sie schon in zwei oder drei Tagen sehen. Die letzten
Zahlen aus Nürnberg verheißen hier in der Tat nichts
Gutes.
Ich gebe zu, daß die alte Regierung bis zur Bundestagswahl mit dem Abbau der Arbeitslosigkeit nicht so
weit vorangekommen war, wie es notwendig gewesen
wäre und wie wir uns das gewünscht haben. Aber von
dem, was hier an Vorarbeiten geleistet worden war, ist
in den letzten vier Monaten offensichtlich alles verspielt
worden. Seit der Übernahme Ihrer Regierung gibt es
- Stand Ende Februar dieses Jahres - knapp 500 000
Arbeitslose zusätzlich. Das ist in der Tat eine schlimme
und erschreckende Bilanz.
({17})
- Sie werden die Zahlen in zwei Tagen sehen. - Deswegen kann ich überhaupt nicht verstehen, daß Sie jetzt
hier Maßnahmen im Schweinsgalopp und unter Beschneidung der Rechte der Minderheit im Parlament
durchpeitschen, nur damit Sie am 18. März noch die
Stimmen der abgewählten Regierung von Hessen im
Bundesrat zur Verfügung haben und dafür einsetzen
können, um Ihren Unfug absegnen zu lassen.
({18})
Aber daß Sie gleichzeitig bei der Beratung dieser Änderungen im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
meine Frage, was denn bestimmte Änderungen am Arbeitsmarkt bewirken sollten, durch einen Antrag auf
Schluß der Debatte abwürgen, zeigt, daß Sie ideologisch
verbrämt handeln und nicht in der Lage sind, wirklich
arbeitsmarktpolitisch korrekt zu denken.
({19})
Es ist richtig, daß der Haushalt des Bundesarbeitsministers beträchtlich wächst. Aber das ist vor allen Dingen auf eine massive zusätzliche Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung aus Steuermitteln zurückzuführen. Nur, mehr Geld bedeutet nicht automatisch auch mehr soziale Gerechtigkeit. Die Erhöhung des
Bundeszuschusses, die aus den Einnahmen der sogenannten ökologischen Steuerreform finanziert werden
soll, ist in der Tat ein besonders zynisches Beispiel. Die
Rentner werden von der Ökosteuer besonders belastet.
Jetzt wird deren Ökosteuer in die Rentenversicherung
wieder eingespeist. So finanzieren sie ihre Altersversicherung gleich zweimal. Finden Sie das sozial
gerecht? - Darüber muß ich mich sehr wundern. Das
haben Sie wohl nicht richtig bedacht.
({20})
Ich kann Ihnen nur raten: Nehmen Sie Ihren ganzen
mißglückten Entwurf zu dieser sogenannten Ökosteuer
zurück. Bis nächste Woche haben Sie ja noch Zeit.
({21})
Auf keinem anderen Gebiet hat der Bundesarbeitsminister mehr Seifenblasen produziert als auf dem der
sensiblen Altersversorgung. Ich nenne nur einmal eine
Auswahl seiner Vorschläge: Es ging mit der Ankündigung los: Rente mit 60 Jahren soll durch einen Tariffonds finanziert werden. Es zahlen Arbeitgeber und
Arbeitnehmer. Aber nein, sagt Herr Riester, es wäre
besser, wenn nur noch Arbeitnehmer einzahlen würden. Eine zusätzliche Belastung der Arbeitgeber wollte
der Kanzler nicht. Dann wird behauptet: Mit dem Tariffonds sollen nur kurzfristige Arbeitsmarktprobleme
gelöst werden. Dann heißt es wieder: Vielleicht machen wir ihn doch auf Dauer. - Herr Bundesarbeitsminister, mit diesem Projekt haben Sie sich verrannt.
Deswegen ist es richtig, daß Ihnen die Arbeitgeber dazu im Rahmen des „Bündnisses für Arbeit“ eine klare
Absage erteilt haben.
Ich sage Ihnen: Lassen Sie den Arbeitnehmern das
Geld, das Sie ihnen für diesen Tariffonds abnehmen
wollen, damit sie ihre private Vorsorge selbst finanzieren können. Das ist Eigenverantwortung. Auch Sie sollten sich endlich dazu bekennen.
({22})
Pünktlich zu Karneval kam der Minister mit seiner
Idee, die nettolohnbezogene Anpassung der Renten zu
kippen, wobei er zusätzlich den Fehler machte, offenzulassen, was er statt dessen machen will: Eine neue
Anpassungsformel? Nach welchen Kriterien? Jährlich
dem Willen oder den Haushaltszwängen des Gesetzgebers unterworfen? Was denn nun? Die Verunsicherung
der Rentner steigt mit jeder Ihrer unprofessionellen und
unüberlegten Äußerungen, Herr Riester.
({23})
Wo Sie den demographischen Faktor eben so vehement abgelehnt haben, hoffe ich, daß Ihnen wenigstens
eines klar ist: Mit Ihrem Vorschlag, die nettolohnbezogene Formel auszusetzen oder anzupassen, senken Sie
das Rentenniveau schneller, als wir es mit unserer Demographieformel je gemacht haben.
({24})
Dies alles ist nicht den ersten 100 Tagen zuzuschreiben.
Es ist, wie die gesamte Gesetzgebung aus Ihrem Haus,
ein einziges Chaos.
({25})
Weil die Rente ein viel zu sensibler Bereich ist, als
daß man ihn im Streit verabschieden sollte - die alte
Regierung und die alte Koalition haben das bitter gespürt -, bitte ich Sie, Herr Minister: Rufen Sie die politischen Kräfte dieses Hauses an einen Tisch, um auszuloten, was notwendig ist und was geht! Was von Ihnen
und Ihren Experten bisher zu hören war, fördert die einvernehmliche Diskussion nicht. Am Ende werden Sie
für Ihre Rentenreform die Zustimmung des Bundestages
und des Bundesrates brauchen. Wir sind zur Zusammenarbeit bei der Rente bereit.
Ich danke Ihnen.
({26})
Das Wort hat die
Kollegin Dr. Dückert, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Diese Debatte ist an Scheinheiligkeit nicht mehr zu überbieten.
({0})
- Selbstverständlich von Ihrer Seite. - Herr Kues will
uns warnen. Dunkle Wolken werden an den Himmel gezeichnet, weil wir nach drei bis vier Monaten dieses
Land angeblich in eine langanhaltende Arbeitslosigkeit
getrieben haben.
({1})
Schauen Sie sich die miserablen, die erschreckenden
Statistiken zur Lage auf dem Arbeitsmarkt und zur Entwicklung der Langzeitarbeitslosigkeit über die letzten
zehn Jahre hinweg an! Schauen Sie sich die Zahlen zur
Sozialhilfe und zur Zunahme von Kinderarmut in diesem Land über die letzten zehn Jahre hinweg an! Dessenungeachtet stellen Sie sich hierhin und meinen, sich
als Schulmeisterin für eine angeblich gescheiterte Sozialpolitik aufspielen zu können. Ihre Sozialpolitik ist
gescheitert;
({2})
deswegen haben Sie die Wahlen verloren.
Herr Schäuble hat uns gestern hier zugerufen: Sie bekommen kein anderes Volk. Ich rufe in Ihre Richtung
zurück: Wir wollen kein anderes Volk. Dieses Volk ist
souverän und hat sich eine neue, eine rotgrüne Regierung gewählt, weil Sie in diesem Lande eine Sozialpolitik betrieben haben, die zu Lasten der Kinder, der Familien und der Arbeitslosen gegangen ist. Deswegen sind
Sie abgewählt worden.
({3})
Daß Ihr Wille und Ihre Fähigkeit, den Sozialstaat zu
stabilisieren und die Massenarbeitslosigkeit abzubauen,
nicht vorhanden sind, haben Sie wirklich hinlänglich
dargelegt.
({4})
Das Problem dabei ist, daß das Vertrauen der Bevölkerung in den Sozialstaat während der letzten Jahre zunehmend zerstört worden ist.
Ihre sozialpolitische Doktrin hat dazu geführt, daß Sie
gerade im Bereich Beschäftigungspolitik Maßnahmen
ergriffen haben, die sich gegen die Menschen gerichtet
haben, indem Sie beispielsweise die Lohnfortzahlung
im Krankheitsfall reduziert haben und indem Sie den
Kündigungsschutz untergraben haben. Diese Art einer
sozialpolitischen Doktrin, die sich gegen die Menschen
richtet, ist jetzt zu Ende.
({5})
- Frau Schwaetzer, ich komme gleich auf Herrn Zwickel
zu sprechen; aber ich gehe auch noch einmal auf Ihre
Bemerkungen ein.
Gerade wegen der zerstörten Vertrauensbasis in diesem Sozialstaat ist es natürlich für uns die größte Herausforderung, dieses Vertrauen wieder aufzubauen, indem wir gründliche sozialpolitische Reformen durchsetzen. Deswegen haben wir insbesondere den Abbau von
Massenarbeitslosigkeit und vor allen Dingen von Jugendarbeitslosigkeit an die erste Stelle unserer arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Agenda gestellt.
({6})
Wir haben sehr schnell angefangen und Ihre schlimmsten und gröbsten Klötze beim Kündigungsschutz und
bei der Lohnfortzahlung weggeräumt. Sie wissen das.
({7})
Wir haben bereits in diesem Haushalt neue Akzente
in der Sozialpolitik gesetzt. Wir haben das Sofortprogramm für jugendliche Arbeitslose aufgelegt. Wir haben
in ganz erheblichem Umfang die Mittel für die aktive
Arbeitsmarktpolitik erhöht. Wir haben insbesondere die
Lohnnebenkosten, das heißt auch die Rentenbeiträge,
herabgesetzt. Davon haben Sie in den vergangenen
16 Jahren doch nur geträumt.
Wir wollen drei Dinge voranstellen: erstens Jugendarbeitslosigkeit abbauen und die Arbeitsmarktpolitik stärken, zweitens das Leben mit Kindern wieder lebbar machen und die Benachteiligungen aufheben und
schließlich drittens die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik in besonderer Weise fördern. Deswegen
werden wir nicht nur die Lohnnebenkosten durch die
ökologisch-soziale Steuerreform senken, sondern wir
haben damit auch ein Mittel gefunden, um innovative
Effekte auf dem Arbeitsmarkt zur Herausbildung neuer
Technologien wirksam werden zu lassen. Das ist die
wirtschaftspolitische Ebene.
Auf einer anderen Ebene wollen wir das „Bündnis
für Arbeit“ - das heißt, den Konsens über beschäftigungspolitische Fragen - in dieser Gesellschaft vorantreiben. Ich glaube, nach der aktuellen Debatte und insbesondere der heutigen wird deutlich, wie wichtig dieses
Bündnis ist, um die Tabus und Gräben bei all denjenigen
in dieser Gesellschaft zu überwinden, die zu einer positiven Entwicklung der Beschäftigung beitragen müssen,
also bei den Arbeitgebern, bei den Gewerkschaften und
bei der Regierung. Die Überwindung dieser Gräben ist
deshalb notwendig, weil gerade Sie, meine Damen und
Herren von der CDU/CSU, die gesellschaftlichen Parteien mit dem verbockten „Bündnis für Arbeit“ in diese
Gräben hereingetrieben haben.
({8})
Das Sofortprogramm für jugendliche Arbeitslose
nehmen Sie schon einmal nicht ernst. Ich will auf Herrn
Schäuble nicht mehr eingehen. Seine Ausführungen waren einfach entlarvend und zynisch. Aber an der Stelle
möchte ich einen anderen Punkt des Jugendarbeitslosigkeitsprogramms aufgreifen. Wir haben eine Bringschuld
in dieser Gesellschaft. Diese ist sehr hoch, weil in den
letzten Jahren die Unsicherheit der Jugendlichen über ihre berufliche Zukunft und über ihren langfristigen Lebensweg in der Erwerbstätigkeit immer mehr zugenommen hat. In den letzten Jahren haben wir die Situation
bekommen, daß die Jugendlichen nicht mehr sicher sein
konnten, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Das
neue Sofortprogramm setzt da an. Ich hoffe sehr, daß es
so gut weiterläuft, wie es der Minister vorgetragen hat.
Aber ich weiß auch - das sage ich hier sehr kritisch
auch an die Adresse der eigenen Reihen -, daß es der
völlig falsche Zeitpunkt ist, in der heutigen Debatte
Sanktionen gegen Jugendliche dermaßen in den Vordergrund zu stellen.
({9})
Wir haben die Bringschuld. Wir müssen erst einmal das
Angebot erbringen, dann können wir über das Verhältnis
zwischen Leistung und dem, was die Jugendlichen zu
geben haben, diskutieren.
({10})
Meine Damen und Herren, die gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen haben sich erheblich verändert.
Die Menschen wissen das auch. Deshalb müssen wir
aktiv in die Arbeitsmarktpolitik einsteigen. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich vor allen
Dingen im Verhältnis zwischen den Generationen und
im Verhältnis zwischen Männern und Frauen verändert.
Wir haben mittlerweile eine Situation, in der es sehr
viele unterbrochene Erwerbsbiographien gibt und in der
Menschen im Alter mit den sozialen Folgen, die sich aus
der Teilzeitarbeit und kleinen Beschäftigungsverhältnissen ergeben, alleine gelassen werden. Nach der Reform
der 630-DM-Jobs wird es unsere Aufgabe sein, die soziale Sicherheit gerade für Menschen in Teilzeitarbeitsverhältnissen und geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen auszubauen. Das ist eine unserer großen Aufgaben.
Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben
sich verändert. Deswegen müssen wir über Reformen in
allen gesellschaftspolitischen Bereichen diskutieren. Die
Diskussion muß, wie unser Kollege Metzger gefordert
hat, im Sinne einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik geführt werden. Jeder in dieser Gesellschaft weiß, daß unsere zunehmenden Probleme nicht dadurch zu lösen
sind, daß wir in diesen Bereichen finanziell draufsatteln,
sondern nur dadurch, daß wir unser soziales System
zielgenauer ausrichten und effizienter gestalten und indem wir auf der Einnahmeseite die Beitragsbasis erweitern und auf der anderen Seite die Aufgabenfelder genauer zuschneiden.
({11})
Deswegen brauchen wir einen neuen Generationenvertrag, der sehr viele Aufgabenfelder beinhaltet und
über den wir sehr sorgfältig diskutieren müssen. Dazu
gehört natürlich die Rentenreform. Wir haben schon
einen Vorgeschmack und einen schalen Beigeschmack
in der letzten Woche bei Ihren Diskussionsbeiträgen bekommen. Es wurde ganz deutlich, daß Sie am Anfang
dieses sehr komplizierten Reformprozesses nichts anderes tun, als schon wieder Ängste zu wecken und die Diskussion um die Zukunft der jungen und alten Menschen
zu emotionalisieren.
({12})
Herr Schäuble hat sich gestern erdreistet, zu sagen,
wir würden eine Rentenanpassung nach Kassenlage planen. Es ist eine Unverschämtheit,
({13})
sich in dieser Situation, in der wir die Probleme hinsichtlich des Verhältnisses der Generationen bewältigen
müssen, solcher verbalradikalen Knüppel zu bedienen
und einfach Unwahrheiten zu behaupten.
({14})
Führen wir uns doch noch einmal den Ausgangspunkt
der Debatte vor Augen, nämlich den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts. Sie haben eines auf den Hut gekriegt, weil Sie in den letzten Jahren die Familien unberechtigterweise zur Kasse gebeten haben. Wir werden
Konsequenzen aus diesem Beschluß ziehen, durch den
die Familien mit Kindern in den Vordergrund gestellt
werden. Den Familien und nicht den Rentnerinnen und
Rentnern, die die Kinderphase schon längst hinter sich
haben, soll ein Ausgleich gewährt werden.
({15})
Wenn sich der Beschluß auf die Renten niederschlagen würde, wäre dies ein ungewollter Nebeneffekt.
Wenn wir sagen, daß der Beschluß positive Auswirkungen auf Familien mit Kindern und nicht auf Rentner haben muß, dann ist es ist unredlich zu behaupten, wir
wollten die Rentnerinnen und Rentner von der Wohlstandsentwicklung abkoppeln.
({16})
Die Debatte ist scheinheilig, weil es falsch ist, zu behaupten, daß die Anbindung an die Nettolohnentwicklung aufgehoben werden müßte. Das ist nicht richtig.
Natürlich werden und - das sage ich auch - sollen die
Renten in der Zukunft steigen. Aber es ist einfach unsinnig, in diese Steigerung den Kinderfaktor einzurechnen. Die Renten sind gekoppelt und bleiben gekoppelt
an die Nettolohnentwicklung. Trotzdem müssen wir hier
eine Neujustierung finden, die für die Alten und für die
Jungen gerecht ist.
Gerade hinsichtlich der Renten haben wir viele Probleme zu bewältigen. Zum Beispiel verändert sich das
Verhältnis der Anzahl alter zu der Anzahl junger Menschen. Natürlich werden wir die Schwierigkeiten, die
sich daraus ergeben, meistern. Aber wir werden dies
nicht, so wie Sie es wollten, mit der Einführung eines
demographischen Faktors tun, weil er unsozial war und
die kleinen Renten getroffen hat.
({17})
Deswegen war es richtig, ihn auszusetzen. Wir müssen
eine soziale Lösung finden.
({18})
- Es gibt viele Vorstellungen, die ich mit Ihnen gerne
diskutiere.
({19})
- Ja, natürlich. Wir müssen die Spreizung zwischen den
hohen und den niedrigen Renten dadurch begrenzen, daß
die höheren Renten langsamer wachsen als die kleinen. Da gibt es Modelle, die genau dieses Problem der
demographischen Entwicklung gerecht und sozial lösen
werden. Es ist unsinnig und unsozial, wenn diese Spreizung zwischen hohen und kleinen Renten weiter zunimmt.
({20})
An dieser Stelle geht es nicht nur um die Solidarität
zwischen Jung und Alt, sondern auch um die Solidarität
innerhalb der Rentnergenerationen.
({21})
Das werden wir thematisieren müssen. Darum kommen
wir nicht herum.
Aber wir werden bei dieser Rentenreform natürlich
auch unstete Erwerbsbiographien absichern müssen.
Ihr Konzept, das sich an männlichen Erwerbstätigen mit
45 Berufsjahren orientiert, gehört in die Mottenkiste.
Die gesellschaftliche Realität hat sich verändert. Wir
haben Teilzeitarbeit, und wir haben unterbrochene Erwerbsbiographien. Die Menschen müssen eine Alterssicherung haben, die armutsfest ist. Sie müssen abgesichert werden. Auch dafür werden wir Lösungen finden
müssen. Das gilt nicht zuletzt auch für die eigenständige
Absicherung der Frauen im Rentenbereich.
Ich sage Ihnen deswegen: Wir stehen am Anfang
einer sehr wichtigen Debatte, die die ganze Bevölkerung
betrifft, von jung bis alt. Wir wollen diese Debatte unter
der Überschrift Generationengerechtigkeit führen. Wir
wollen an dieser Stelle einen neuen Generationenvertrag
vorbereiten. Ich appelliere wirklich an Sie, daß Sie diese
Debatte nicht so weiterführen, wie Sie sie begonnen haben, nämlich mit der Verunsicherung von Rentnerinnen
und Rentnern,
({22})
die jetzt schon wieder meinen, wir wollten ihnen an die
Kasse.
Wir werden für die Rentnerinnen und Rentner und für
die heutige junge Generation ein Rentensystem entwikkeln, das zukunftsfest ist, und zwar in der Hinsicht, daß
wir eine relative Beitragsstabilität erreichen und die
Renten in der Zukunft sichern werden.
({23})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Dr. Heidi Knake-Werner.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeskanzler
hat hier gestern in seiner sehr umfassenden Rede verkündet, daß es ihm und seiner Regierung sozusagen eine
Herzensangelegenheit sei, die soziale Balance in diesem
Lande wiederherzustellen. Dabei - das kann ich Ihnen
versichern - finden Sie die Unterstützung der PDS. Wir
übersehen natürlich auch nicht, daß Sie mit der Rücknahme der schlimmsten Fehlentscheidungen der Vorgängerregierung auf dem Weg zu mehr sozialer Balance
wichtige Schritte getan haben.
Ja, Frau Schwaetzer, die neue Regierung mußte Entscheidungen zurücknehmen. Sie mußte korrigieren, was
Sie angerichtet haben. Das mußte sie tun, um überhaupt
eine vernünftige Grundlage für eine neue Politik zu
schaffen.
Ich sage noch einmal ausdrücklich: Wir finden es
richtig, die volle Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
wieder einzuführen. Wir finden es richtig, die Aufweichung im Kündigungsschutz zurückzunehmen. Wir finden es richtig, endlich ein Entsendegesetz zu schaffen,
das uns dem Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ ein gutes Stück näher bringt.
({0})
Wir finden es richtig, daß die Rentenkürzung zunächst
ausgesetzt wird. Das reicht uns allerdings nicht; das haben wir gesagt. Wir finden die Erhöhung des Kindergelds richtig; auch das reicht uns nicht. Wir finden es
richtig, daß Sie sich zuallererst den Problemen der Bezieherinnen und Bezieher kleiner Einkommen stellen.
Das sind alles Projekte, bei denen Sie Flagge gezeigt
haben; das will ich gar nicht verkennen. Aber ich sage
auch: Es gibt eine Menge weiterer Projekte, die sehr gut
in diesen Kanon des Flaggezeigens gepaßt hätten und
die auch sehr eilbedürftig gewesen wären, wenn man
weitere Verschlechterungen für einzelne Betroffenengruppen hätte verhindern wollen. Die schieben Sie aber
auf die lange Bank. Warum eigentlich? Warum haben
Sie sich nicht genauso schnell die Wiederherstellung der
Schlechtwettergeldregelung vorgenommen?
({1})
- Ja, wer soll das bezahlen?
({2})
- Zu Ihrer Frage des Bezahlens kommen wir sicherlich
noch bei Gelegenheit. Sie haben sich da ja noch nicht
allzuviel einfallen lassen, wenn ich nur an die Vermögensteuer erinnern darf.
Beschäftigungspolitisch wäre das ein sinnvoller
Schritt gewesen. Aber es wäre auch ein wichtiger Beitrag gegen die Fremdenfeindlichkeit in diesem Lande
gewesen. Das wollen wir nicht unterschätzen.
({3})
Warum haben Sie sich eigentlich nicht der vollständigen Wiederherstellung des Streikrechts angenommen? Es war doch Ihre Idee, zu sagen, daß das ein Projekt der ersten 100 Tage sein soll. Warum sind Sie denn
da jetzt so zögerlich, wo Sie genau wissen, daß das hervorragend in die politische Landschaft paßt? Nein, Sie
nehmen sich dieser Geschichte nicht nur nicht an, Sie
blockieren auch noch die Anträge der PDS, und zwar
mit ausgesprochen hanebüchenen Argumenten. Da heißt
es dann bei Ihnen, Sie ließen sich von uns nicht das
Tempo Ihrer Regierungsvorhaben vorschreiben, und im
übrigen könne man nicht einfach den alten Zustand wiederherstellen.
Zunächst zum Tempo. Das will ich Ihnen einmal sagen: Beim Tempo sind Sie im Moment wirklich einsame
Spitze, und das wollen wir Ihnen auch absolut nicht
streitig machen.
({4})
Den Schrott, den Sie dabei teilweise anrichten, haben
Sie nun allerdings wirklich ganz allein zu verantworten.
({5})
Sie müssen sich schon gefallen lassen, daß auch wir
Sie an Ihre Wahlversprechen erinnern, und zwar an die
Punkte, bei denen es uns richtig erscheint. Warum kann
der alte Zustand eigentlich nicht wiederhergestellt werden? Heute paßt Ihnen das doch durchaus, etwa in der
Frage der Entlassungsabfindungen. Da sagen Sie doch:
Wir haben Zeitdruck; dann stellen wir erst einmal die
alte Regelung wieder her, und dann überlegen wir uns in
Ruhe, wie man das neu machen könnte. Na bitte, in
Ordnung! Das hätten Sie aber bei all den Projekten, die
ich gerade genannt habe, längst auch so tun können. Ich
finde, da sind Sie einfach unglaubwürdig. Hier haben
Sie offensichtlich das Gefühl gehabt, daß Sie so den
Unternehmern am wenigsten weh tun.
Ich möchte in einer kleinen Nebenbemerkung zu Frau
Schwaetzer sagen: Wer Übergangsgelder in astronomischen Höhen kassiert, der sollte sich bei Abfindungsregelungen für Beschäftigte ein bißchen zurückhalten. Das
würde auch der Überwindung der Politikverdrossenheit
in diesem Lande guttun.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bundesfinanzminister Lafontaine hat in seiner Rede gesagt: Die Arbeitslosenzahlen sind die Meßlatte für richtige oder falsche
Regierungspolitik; auch diese Regierung will sich daran
messen lassen. - Das werden wir natürlich auch tun.
Bisher - das müssen wir leider feststellen - ist ein
Durchbruch noch lange nicht in Sicht.
({7})
Aber ich sage Ihnen auch: Dafür machen wir Sie nicht
verantwortlich. Wir wissen sehr wohl, welche schwere
Bürde Sie übernommen haben.
({8})
Es ist eben ganz schön schwer, 16 Jahre falsche Politik in so kurzer Zeit zu korrigieren. Ich finde, das ist
schon eine Aufgabe. Ich kann Ihnen das sogar an Hand
der Arbeitsmarktpolitik deutlich machen.
Was ich aber heute von dieser neuen Regierung erwarte, sind die richtigen Weichenstellungen für eine andere Politik, auch und gerade zur Lösung des Beschäftigungsproblems. Der Verweis auf das „Bündnis für
Arbeit“ ersetzt einfach kein Konzept. Der Bundeskanzler hat sich gestern leider zu dieser Problematik ausgesprochen bedeckt gehalten, was ich sehr bedauerlich
finde. Wenn der Kollege Rezzo Schlauch einen neuen
Begriff prägt - es sollen zukünftig „dynamische Beschäftigungsverhältnisse“ sein -, dann bin ich sehr gespannt, was das werden soll. Auch Heuern und Feuern
ist ungeheuer dynamisch. Ich hoffe nicht, daß das in diese Richtung geht.
({9})
Nun zu Ihren Weichenstellungen in diesem Haushalt. Wir unterstützen Sie natürlich bei dem 100 000Arbeitsplätze-Sofortprogramm für junge Menschen.
Bedauerlich ist, daß Sie das in den nächsten Jahren nicht
fortführen wollen. Wenn der Herr Minister hier gesagt
hat, dieses Programm sei mit einer großen Motivation
wie kein anderes angenommen worden, dann müssen
Sie mir einmal erklären, warum nicht nur Herr Zwickel,
sondern auch Ihre Kollegin Frau Bergmann darauf
kommt, sofort die Keule von Zwangsmaßnahmen herauszuholen und damit zu drohen, daß die Sozialhilfe gekürzt wird, wenn die jungen Menschen ein solches Angebot nicht annehmen.
({10})
Wie kommen Sie denn eigentlich dazu, sich auf diese
unsägliche Mißbrauchsdebatte der Vorgängerregierung
einzulassen? Wenn Frau Dückert das hier beklagt, dann
muß ich einfach sagen: Sie haben selber schuld. Sie haben dies nämlich angestoßen und in diesem Falle nicht
die jetzige rechte Opposition.
Noch eine Bemerkung zu Herrn Kues. Sie sind wirklich ein schlimmer Zyniker. Wenn Sie wenigstens die
jungen Menschen instrumentalisiert hätten, statt sie völlig allein zu lassen! Sie haben sie ohne Perspektive gelassen. Sie haben zugelassen, daß sie in diesem Lande
mit Zukunftsängsten leben müssen.
({11})
Sich angesichts dessen hier aufzuspielen, finde ich
wirklich unerhört. Ich hatte den Eindruck, auch den Sozialpolitikern aus der Union entglitten ein bißchen die
Gesichtszüge angesichts Ihrer Rede.
({12})
- Das kann sein, ist mir aber egal.
Ich unterstütze, daß die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik enorm aufgestockt worden sind. Aber
ich sage auch: Ihr Versprechen, daß Sie damit eine Verstetigung der Arbeitsmarktpolitik erreichen, halten Sie
nicht ein. Sie wissen genau, daß man mit Ihrem Vorgehen, in diesem Jahr die Mittel für die öffentlich geförderte Beschäftigung ordentlich aufzustocken, zwar bewerkstelligen kann, aus einem kurzfristigen Engpaß herauszukommen. Daß wir uns aber nicht in einem kurzfristigen Engpaß befinden, wissen Sie auch. Wir haben es
mit tiefgreifenden Umbrüchen im Arbeitssystem zu tun.
Sie wissen sehr wohl, daß das Defizit von 7 Millionen
Arbeitsplätzen strukturelle Ursachen hat. Deshalb muß
man dieses Problem strukturell angehen und sich den
wirklichen Ursachen stellen.
({13})
Wir kommen aus dieser katastrophalen Lage nicht heraus, wenn Sie das nicht endlich anpacken.
Ein weiterer Punkt. Wachstumsfetischisten sind hier
ebenso auf dem falschen Dampfer wie diejenigen, die
meinen, alle Probleme im Griff zu haben, wenn sie Arbeit billiger machen. Daran sind schon die Neoliberalen
gescheitert. Ich finde, das sollte Ihnen Warnung genug
sein. Sie sollten an diesen falschen Konzepten nicht anknüpfen.
({14})
Ich habe natürlich nicht überhört, daß zumindest der
Bundesfinanzminister Töne im Hinblick auf eine neue
Logik in der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik angeschlagen hat. Die Opposition fand ja
Frau Kollegin,
die vereinbarte Redezeit ist weit überschritten. Ich bitte
Sie, zum Schluß zu kommen.
- ich komme
gleich zum Schluß -, daß das sozusagen die Fortsetzung
eines Volkshochschulvortrages war. Ich persönlich finde
Volkshochschulvorträge interessanter und erquicklicher
als Ihr neoliberales Stammtischgeschwätz.
Frau Kollegin,
Sie müssen jetzt wirklich aufhören.
Ein letzter Punkt.
Nein, kein
letzter Punkt. Das geht nicht mehr.
Ein letzter Satz,
wenn ich darf.
Der Bundeskanzler hat gestern hier gesagt, nicht
Charles Darwin sei der Ideengeber der „Neuen Mitte“,
sondern die Ideale der Französischen Revolution seien
es. Wenn er das ernst meint, dann hätte er hier ein bißchen mehr über Brüderlichkeit und vor allen Dingen
über Schwesterlichkeit sagen sollen. Was Sie sich im
Hinblick auf das 630-DM-Gesetz leisten, das schlägt
dem wirklich voll ins Gesicht.
({0})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Birgit Schnieber-Jastram.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Soeben hat jemand
zu mir „crescendo“ gesagt. Nach der Nacht, die wir im
Ausschuß verbracht haben, ist das eigentlich kaum noch
möglich. Man merkt dieser Debatte zeitweilig auch an,
daß alle etwas übermüdet sind.
Herr Riester, Sie sind vor der Wahl mit großen Versprechungen angetreten. Sie haben grundlegende Reformen des Sozialversicherungssystems angekündigt
und den Wählern mehr soziale Gerechtigkeit versprochen.
({0})
Was ist bisher geschehen? Nehmen wir Sie doch noch
einmal beim Wort: Im wesentlichen haben Sie nur die
Reformmaßnahmen der alten Regierung zurückgenommen. Ein eigenständiges Reformkonzept haben Sie bis
heute nicht vorgelegt.
({1})
Herr Riester, Sie lächeln. Geben Sie es doch zu: Ihre eigenen Vorschläge, die Sie bis jetzt gemacht haben, sind
von allen gesellschaftlichen Gruppen fast unisono abgelehnt worden. „Riester als Flickschuster“ titelt „Die
Welt“. Eine andere Überschrift lautete: „Schröder als
Leichtfuß“. Sie befinden sich in dieser Regierung in guter Gesellschaft.
({2})
Ich will Ihnen dafür Beispiele nennen: Ich denke an
die von Ihnen vorgeschlagenen Tariffonds zur Finanzierung der Rente ab 60 Jahren, die die jüngere Generation
- Sie haben ja für die jüngere Generation soviel übrig doppelt belasten und der Rentenversicherung zusätzliche
Vorfinanzierungskosten in Milliardenhöhe aufbürden
würden.
({3})
Oder die neue Definition der Scheinselbständigkeit: Sie
wird wahrscheinlich nicht für mehr Beitragszahler, sondern für mehr Arbeitslose und für mehr Schwarzarbeit
sorgen.
({4})
Oder die vielbeschriebene Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse: Die Anhörung im
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat sehr deutlich gemacht, daß der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf nicht nur nachbesserungsbedürftig ist, sondern daß
Sie ihn eigentlich zurückziehen müßten.
({5})
Übrigens: Das, was wir gestern im Ausschuß erlebt
haben, grenzte an undemokratische Formen. Das war ein
Stück Mehrheitsdiktatur, die wir so nicht zulassen werden.
({6})
Dieses Gesetzesvorhaben, Herr Riester - das wissen
Sie ganz genau -, stellt keinen Beitrag zur Beseitigung
der Mauer zwischen geringfügigen Beschäftigungen und
sozialversicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigungen
dar. Die betriebliche Praxis hat gezeigt, daß die von
Ihnen beabsichtigte Neuregelung mit einem erheblichen
Verwaltungsmehraufwand - nicht nur für die Betriebe,
sondern auch für die Sozialversicherungsträger und für
die privaten Haushalte - verbunden ist. Zudem führt die
Neuregelung statt zu einer Eindämmung zu einer Ausweitung der 630-DM-Jobs.
({7})
Der breite Konsens der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände, der Sozialversicherungsträger in ihrer
Kritik am Gesetzentwurf der Regierungskoalition zeigt:
Die Regierungskoalition ist eine Koalition des Abseits.
Dieser gesellschaftliche Konsens über die Untauglichkeit des vorgelegten Gesetzentwurfs kann nur eine Konsequenz haben: Ziehen Sie ihn zurück! Noch besteht die
Chance dazu.
({8})
Ich frage mich wirklich: Hat eine Regierung in so
kurzer Zeit schon einmal soviel Durcheinander angerichtet? Pleiten, Pech und Pannen, die ihresgleichen suchen!
({9})
Jetzt komme ich noch einmal zu dem von Ihnen angezettelten Rentenchaos und den nicht eingehaltenen
Wahlversprechen. Vor den Wahlen haben Sie angekündigt, Sie wollten die Rentner besserstellen und gleichzeitig die Stabilität der gesetzlichen Rentenversicherung sichern. Sie haben den Rentnern damals große
Versprechen gemacht. An diesen Versprechen müssen
Sie sich jetzt - daran geht kein Weg vorbei - messen
lassen. Es wird aber immer deutlicher, daß Sie diese
Versprechungen nicht halten können.
({10})
Der Wahltag ist vorbei, und jetzt müssen Sie die Rentner
langsam darauf vorbereiten, daß die zu Jahresbeginn
verteilten Wohltaten nur von kurzer Dauer sein werden.
({11})
Sie werden noch manches Wort bereuen, das Sie in den
letzten Wochen gesagt haben.
Letzte Woche haben Sie die Abkehr vom Prinzip der
Nettoanpassung in der gesetzlichen Rentenversicherung
angekündigt.
({12})
Damit wird sich der jährliche Rentenanstieg verlangsamen, und die Renten können dem Nettolohn nicht mehr
im Gleichschritt folgen. Dies bedeutet eine Senkung des
Rentenniveaus. Gerade mit diesem Argument haben Sie
sich gegen die Einführung eines demographischen Faktors durch das Rentenreformgesetz 1999 gewandt und
unsere Rentenreform als unsozial beschimpft. Anstatt
froh zu sein, daß wir die Kastanien für Sie aus dem Feuer geholt haben, haben Sie den Demographiefaktor mit
überheblicher Geste wieder zurückgenommen.
({13})
Mit dem Aussetzen des demographischen Faktors gehen
für die Rentenversicherung zwei Jahre des notwendigen
finanziellen Ausgleichs zwischen den Generationen
verloren. Das geht zu Lasten der jüngeren Generation.
Eine spätere Lösung wird immer teurer.
Jetzt suchen Sie unter allerlei Vorwänden nach vergleichbaren Lösungen. Nur anders heißen müssen sie.
Damit belasten Sie die Rentner insgesamt noch stärker.
({14})
Neben der Abkehr von der Nettoanpassung werden die
Rentner auch - das ist hier, glaube ich, noch gar nicht
gesagt worden - voll durch die Ökosteuer getroffen.
Durch die mit der Ökosteuer verbundene Erhöhung der
Heiz- und Stromkosten, der Kosten für Benzin, für Bus
und Bahn werden die Rentner zur Kasse gebeten. Von
der mit der Ökosteuer verbundenen Senkung der Rentenbeiträge haben die Rentner aber nichts, da sie keine
Beiträge zur Rentenversicherung mehr zahlen.
({15})
- Das stimmt, Herr Gilges. Die Ökosteuer ist in hohem
Maße sozial ungerecht.
({16})
Der Sozialverband VdK hat das berechnet: Ein Rentnerhaushalt wird durch die Ökosteuer monatlich mit
rund 20 DM zusätzlich für Energiekosten belastet.
({17})
Das bedeutet für einen Rentner mit 2 000 DM Rente,
daß der Realwert der Rente um 1 Prozent gemindert
wird. Somit schrumpft im Zuge der vom VdK erwarteten Rentenanpassung von 1,7 Prozent am 1. Juli 1999 in
Westdeutschland der reale Zuwachs durch 20 DM
Ökosteuer bei 2 000 DM Rente auf 0,7 Prozent. Bei
1 000 DM Rente ergibt sich unter dem Strich sogar ein
reales Minus von 0,3 Prozent.
Nach unserer demographischen Formel hätte jeder
Rentner einen Abschlag von 0,5 Prozent und damit ein
Plus von 1,2 Prozent gehabt. Das ist die Realität. Der Effekt der ökologischen Steuerreform für Durchschnittsrentner ist fast doppelt so hoch wie die Auswirkungen
des demographischen Abschlags unserer Rentenformel.
({18})
Die rotgrüne Koalition stellt die Rentner schlechter
- das will ich hier noch einmal sehr deutlich sagen -, als
unsere Rentenreform das getan hätte. Um zu verhindern,
daß am Ende nur diejenigen die Lasten zu tragen haben,
die sich nicht wehren können, sollte die SchröderRegierung auch diese unsozialen Ökosteuerpläne zurückziehen.
({19})
Mit der Rücknahme unserer Rentenreform ist eine
finanzielle Mehrbelastung der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 4 Milliarden DM für die Jahre
1999 und 2000 verbunden. Diese Mehrbelastung soll
durch eine erneute Erhöhung des Bundeszuschusses
vertuscht werden, finanziert durch die unsoziale Ökosteuer. Anstatt die Strukturprobleme der gesetzlichen
Rentenversicherung an der Wurzel zu packen und eine
vernünftige Rentenreform vorzulegen, wird nur an den
Symptomen herumgedoktert. Das ist eine unseriöse Umfinanzierung, die wir nicht mittragen können. Außerdem
- das werden Sie noch beachten müssen - ist damit der
Wechsel vom versicherungs- zum steuerfinanzierten
Rentensystem vorprogrammiert. Das werden wir nicht
mitmachen.
({20})
Aufgeschreckt hat uns übrigens noch eine andere Ankündigung aus Ihrem Munde, Herr Riester. Um das
Rentenchaos noch zu vollenden, will die neue Regierung
nach den Worten ihres Arbeitsministers die kleinen
Renten in Zukunft unbehelligt lassen und bei den hohen
Renten abkassieren. Das hört sich zunächst einmal unglaublich gerecht an. Soziale Gerechtigkeit: Die einen
bekommen weniger ausgezahlt, als ihnen zusteht, die
anderen bekommen mehr ausgezahlt, als ihnen zusteht.
Was ist aber mit den Menschen, die ihr Leben lang
Höchstbeiträge gezahlt haben, und was ist mit den Menschen, die gar keine Beiträge gezahlt haben? Will die
Bundesregierung wirklich an erworbene Rentenansprüche herangehen? Oder sind Sie, Herr Minister Riester,
gar der Meinung, daß die deutsche Rentenversicherung
eine grandiose Geldanlage ist, durch die man ohne Leistung Rekordgewinne erzielen kann?
Die gesetzliche Rentenversicherung - das ist eine
Kondition der Gespräche in diesem Bereich - muß als
leistungsbezogenes System erhalten bleiben. Wer daran
rütteln will, der muß anfangen, denen etwas wegzunehmen, die ihr Leben lang erhebliche Beiträge gezahlt haben. Dann sind wir auf dem Weg zur Grundrente. Wir
wollen sie nicht. Wenn Sie sie wollen, müssen Sie das
sagen.
Herr Riester, Ihnen fehlt das sozialpolitische Navigationssystem.
({21})
Sie haben den Rentnern im Wahlkampf nicht die Wahrheit gesagt.
({22})
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesminister Riester.
({0})
Meine Damen und Herren! Es ist richtig,
ich will die Wahrheit sagen. Herr Kues hat hier nämlich
schon das zweite Mal - ich unterstelle: ganz bewußt die Unwahrheit in den Raum gestellt. Er hat mich mit
drei Sätzen zitiert, den wesentlichen Rest des entsprechenden Artikels aber weggelassen. Er suggeriert die
ganze Zeit, ich sei der Auffassung, für gering qualifizierte Menschen müsse man nichts machen. Deswegen
lese ich Ihnen jetzt das gesamte Zitat vor und sage, wo
Herr Kues geendet hat.
Dieser „FAZ“-Artikel fing mit der Frage an:
Was wollen Sie mit denen machen, die nicht qualifizierbar sind?
Die Antwort lautete:
Ich konzentriere mich lieber auf die vielen Menschen, die man qualifizieren kann, als auf die wenigen, bei denen alle Bemühungen fruchtlos bleiben.
Aber gut. Wie viele mögen es sein? Vielleicht fünf
Prozent der Erwerbsbevölkerung.
An der Stelle hat Herr Kues geendet. Es geht aber weiter:
Es gibt so viele Tätigkeiten in der Gesellschaft, die
für diesen Personenkreis entfaltet werden könnten.
Solche Felder zu entwickeln, das ist eine große
Aufgabe. Aber ich halte es für wichtig, in diesem
Zusammenhang nicht zuerst an die schwach Qualifizierten zu denken und an die Kosten, sondern zunächst einmal an die Arbeit selbst. Gewöhnlich sagt
man ja zuerst: „Aber das Ganze muß so billig sein,
daß ...“. Ich fange lieber an der Stelle an zu denken:
Welche Tätigkeiten könnte es geben, welche eignen
sich, und in einem späteren Schritt überlegen wir
uns, wie wir das Ganze finanzieren können und ob
wir es in irgendeiner Form subventionieren müssen.
Warnfried Dettling hat mich in seinem Buch vom
„Wirtschaftskummerland“ stark angeregt. Er sagt,
daß die Kommunen, die den Bedürfnissen der Bürger am nächsten sind, vom Grundsatz her viele
Möglichkeiten hätten, neue Dienstleistungen zu
entwickeln. Dazu müssen sie neue strukturelle Voraussetzungen schaffen. Ich bin sicher, daß wir auf
diesem weiten Feld auch Tätigkeiten für Menschen
haben, die dem ständigen Qualifizierungsprozeß
nicht gewachsen sind.
Genau das Gegenteil von dem, was Kues unterstellen
will - mit drei Sätzen, aus dem Zusammenhang gerissen -, habe ich gesagt.
({0})
Ich halte diese erneute Unterstellung für bewußte
Unlauterkeit.
({1})
Zu einer Kurzintervention der Kollege Kues.
Herr Minister Riester, ich möchte Ihnen ausdrücklich bestätigen, daß Sie
richtig vorgelesen haben. Das ist ganz unstrittig. Sie haben aber gesagt - ich darf diesen Satz noch einmal zitieren -:
Ich konzentriere mich lieber auf die vielen Menschen, die man qualifizieren kann, als auf die wenigen, bei denen alle Bemühungen fruchtlos bleiben.
Sie konzentrieren sich also nicht auf diejenigen, „bei
denen alle Bemühungen fruchtlos bleiben“.
({0})
Später sagen Sie:
... ich halte es für wichtig, in diesem Zusammenhang nicht zuerst an die schwach Qualifizierten zu
denken und an die Kosten ...
Ich weiß, das war eines Ihrer ersten Interviews als Minister. Da mögen noch Unebenheiten enthalten gewesen
sein; das habe ich Ihnen auch persönlich gesagt. Dennoch, entweder nehmen Sie dieses Interview zurück,
({1})
oder ich bleibe dabei: Sie verhalten sich gegenüber
Langzeitarbeitslosen und Geringqualifizierten schäbig!
({2})
Herr Minister,
möchten Sie antworten?
Als erstes: Ich habe überhaupt nichts zurückzunehmen, keinen Satz.
({0})
Deswegen habe ich das gesamte Zitat vorgelesen. Ich
stelle es gerne jedem zur Verfügung, damit er es nachlesen kann. Es wird deutlich, daß Sie bewußt aus dem Zusammenhang gerissen eine völlig falsche Sicht darstellen.
({1})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dirk Niebel.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Herr Minister, diese Bundesregierung ist mit dem Ziel angetreten, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Das ist gut so, denn auch wir wissen, daß Arbeitslosigkeit eine ganz vehemente Einschränkung der persönlichen Freiheit der betroffenen
Menschen ist.
Sie haben mehrfach gesagt, Sie werden sich an der
Erreichung des Ziels „Abbau der Arbeitslosigkeit“ messen lassen. Sie werden damit leben müssen, daß wir diese Meßlatte jederzeit wieder anlegen. Ich gehe nämlich
davon aus, daß Sie die Weichen falsch gestellt haben.
Ich spreche Ihnen nicht die Redlichkeit ab, aber mit dem
Zurückdrehen der Reformen der alten Bundesregierung
weisen Sie in die Sackgasse und befinden sich auf einem
Holzweg.
({0})
Im Jahresmittel 1998 ist die Arbeitslosigkeit das erste
Mal seit 1995 wieder deutlich gesunken. Wir hatten
400 000 Arbeitslose weniger. Meines Erachtens sollte
schon das als Beweis ausreichen, um feststellen zu können, daß unser Weg der richtige gewesen ist.
({1})
Kaum sind die Reformen weg, prompt steigt auch schon
wieder die Arbeitslosigkeit: im Januar dieses Jahres 4,45
Millionen. Das ist eine Viertelmillion mehr als im Dezember des letzten Jahres.
({2})
Wenn Sie sich die Februar-Zahlen anschauen - Kollege
Gilges, Sie sollten sich weniger aufregen; das ist außerordentlich schädlich für die Gesundheit -, werden Sie
feststellen, daß die Zahl der Arbeitslosen um 500 000
gestiegen ist. Für mich ist das eindeutig der Beweis dafür, daß Sie die Weichen falsch gestellt haben. Das kleine Fünkchen Aufschwung, das wir entzündet haben, haben Sie zertreten.
({3})
Meine Damen und Herren, diese Zahlen allein sollten
schon ausreichen, um festzustellen, daß wir dringend
mehr Qualifikation, dringend mehr individuelle Beratung, aber noch viel dringender auch mehr Integration in
den ersten Arbeitsmarkt benötigen.
({4})
Herr Riester, ein geeignetes Mittel dazu wäre, wie Sie
vorhin ganz richtig angedeutet haben, das Beschäftigungsprogramm für Langzeitarbeitslose BHI, das von
der alten Regierung bis zum Jahr 2001 verlängert wurde
und richtigerweise mit 750 Millionen DM pro Jahr ausgestattet wurde. In den letzten Jahren haben wir mit diesem Programm 300 000 Menschen im ersten Arbeitsmarkt in Beschäftigung gebracht. Jetzt stellen wir fest,
daß die Mittel im ersten Quartal dieses Jahres bereits im
Januar so weit gebunden waren, daß keine Neufälle
mehr bewilligt werden konnten.
Herr Riester, ich appelliere an Sie: Nutzen Sie die zur
Verfügung stehenden Mittel, um die Menschen in den
ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Wenn wir schon ein
Instrument zur Verfügung haben, das verwaltungstechnisch einfach zu handhaben ist, das von der Wirtschaft
angenommen wird, das die Menschen in den ersten Arbeitsmarkt integriert, dann verstehe ich beim besten
Willen nicht, weshalb Sie den Schwerpunkt Ihrer Anstrengungen darauf richten, die Leute im zweiten Arbeitsmarkt zwischenzulagern.
({5})
Bei der glorreichen Diskussion über die 630-MarkBeschäftigungsverhältnisse kommt es meines Erachtens der Regierung, da ihre hehren Ziele durch den Gesetzentwurf, den wir jetzt zu beraten haben, alle nicht erreicht wurden, nur darauf an, die Arbeitslosenquote optisch zu verbessern. Die Bundesanstalt für Arbeit hat in
der Anhörung bei uns im Ausschuß bestätigt, daß durch
die Einbeziehung von 2 bis 5,6 Millionen geringfügig
Beschäftigten in die Sozialversicherungspflicht selbstverständlich die Arbeitslosenquote deutlich sinken wird.
Sie haben damit bloß keinen einzigen Arbeitslosen von
der Straße geholt und keinen einzigen neuen Arbeitsplatz geschaffen.
({6})
Das Handwerk hat noch im Jahr 1998 mit ungefähr
50 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen in diesem Jahr gerechnet. Diese Hoffnung ist mittlerweile auf den Stand
der Hoffnung von Herrn Arbeitsminister Riester korrigiert worden, der schon Stagnation als positives Signal
beim Abbau der Arbeitslosigkeit werten würde. Auch
das Handwerk hofft, daß die Zahl der Arbeitsplätze wird
stagnieren können. Ich denke nicht, daß dies ein wegweisendes Ergebnis in positivem Sinne durch das Bündnis für Arbeit ist. Sie haben darüber hinaus noch keine
einzige Idee aufgezeigt, wie Sie tatsächlich neue Beschäftigung schaffen wollen.
({7})
Weil es richtig ist, wiederhole ich es heute noch einmal: Die F.D.P. ist die Partei der sozialen Verantwortung,
({8})
weil wir dafür sorgen wollen, daß die Menschen zumindest teilweise aus eigener Leistung ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Ihre Politik dagegen ist unsozial,
weil Sie die Menschen gängeln und den Arbeitsmarkt
durch Überregulierung strangulieren.
({9})
- Wenn Sie sich noch weiter erheitern, werde ich es wegen des besonderen Erfolges noch einmal wiederholen:
Die F.D.P. ist die Partei der sozialen Verantwortung,
({10})
weil wir dafür sorgen, daß die Menschen ihren Lebensunterhalt zumindest teilweise aus eigener Leistung bestreiten können.
({11})
Meine Damen und Herren, der Haushaltsplan ist der
Beweis dafür, daß Sie in Ihren alten Denkschemata verhaftet sind. Die Art der Beratung im Ausschuß ist der
Beweis, daß Sie immer noch nicht festgestellt haben,
daß Mehrheit nicht gleich Alleinherrschaft bedeutet.
Was wir hier vorgelegt bekommen, ist kein Zeichen der
Neuen Mitte, sondern der Beweis für die alte Linke in
der Arbeitsmarktpolitik.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Adolf Ostertag.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Wir beraten in dieser
Haushaltswoche erstmals seit 17 Jahren wieder einen
Haushalt, der eine soziale Handschrift trägt.
({0})
Wir beraten heute einen sozialpolitischen Etat mit
neuen, tatsächlich positiven Akzenten in Richtung mehr
Gerechtigkeit.
({1})
Was Sie in den letzten 16 Jahren angerichtet haben,
mußte in der Tat in wichtigen Bereichen korrigiert werden. Das will ich im einzelnen nicht mehr aufzählen. Ich
glaube, Sie kennen inzwischen unsere Garantiekarte, die
wir systematisch abgearbeitet haben. Die Menschen akzeptieren es und begrüßen das.
({2})
Herr Kues hat eben gesagt, was wir mit sozialer Gerechtigkeit umschreiben, sei Nebelkerzenwerferei. Frau
Schwaetzer hat uns rückswärtsgewandte Politik vorgeworfen.
({3})
Damit können wir gut leben.
({4})
Damit können vor allen Dingen Millionen Menschen gut
leben, ja besser leben,
({5})
wenn sie wieder Kündigungsschutz haben, wenn die
Lohnfortzahlung wieder 100 Prozent beträgt. Millionen
von Menschen können damit besser leben als unter Ihrer
Politik. Das ist ganz klar; das müssen Sie erst einmal so
sehen.
({6})
Diese neoliberale Kahlschlagpolitik, die Steinbruchpolitik, die Sie im sozialen Bereich betrieben haben, ist
abgewählt worden. Ich glaube, Sie haben immer noch
nicht begriffen, was am 28. September in dieser Republik wirklich passiert ist.
({7})
Wenn ein F.D.P.-Politiker sagt, wie das eben geschehen ist, die F.D.P.-Politik sei die Politik der sozialen
Verantwortung, dann muß ich sagen: der sozialen Verantwortungslosigkeit. So haben wir Sie die letzten Jahre
erlebt. Sie haben sozialpolitisch wirklich verantwortungslos gehandelt und nichts für die Menschen getan.
({8})
- Ich werde dazu noch einiges ausführen; denn ich bin
der Überzeugung, daß die Quittung, die Sie für Ihre
Politik bekommen haben, vor allem mit dem zusammenhängt, was Sie die letzten 16 Jahre im sozialpolitischen Bereich zu verantworten haben, mit den Entwicklungen, die heute schon mehrfach angesprochen
worden sind.
Es gab in Ihrer Regierungszeit immer weniger sozialversicherungspflichtige Beschäftigte mit immer mehr
Beiträgen sowie immer mehr Arbeitslose und immer
mehr Leistungsberechtigte. Gleichzeitig gab es immer
mehr Entlastungen für Wohlhabende und Abschreibungskünstler in diesem Land. Ich glaube, das ist hinreichend diskutiert worden.
({9})
Ihre Umverteilungsstrategie der letzten Jahre hat die
Solidarität in diesem Land untergraben. Die Menschen
wollten das einfach nicht mehr mitmachen.
({10})
Deswegen sitzen Sie hier jetzt zu Recht auf der Oppositionsbank.
Angesichts dieser Erfahrung und Entscheidung der
Wählerinnen und Wähler sollten die Christdemokraten
und die F.D.P. eigentlich im Büßergewand in den Bundestag kommen. Statt dessen mokieren Sie sich über
einen Haushalt, der wirklich soziale Handschrift trägt.
Zur Selbstkritik waren Sie noch nie fähig. Wir erleben
das auf allen Ebenen.
Angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen, die
Sie uns hinterlassen haben, angesichts der sozialpolitischen und natürlich auch finanzpolitischen Hypothek
haben wir natürlich einen eingeengten Spielraum. Das
ist doch unbestritten. Der Bundeshaushalt 1999 ist natürlich auch eine Gratwanderung zwischen dem politisch
Wünschenswerten und dem finanzpolitisch Machbaren.
Das ist vom Finanzminister, vom Kanzler und im Zusammenhang mit mehreren Einzeletats deutlich gemacht
worden.
Zwischen diesen Polen bewegen wir uns natürlich
auch beim Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit
und Sozialordnung. Gleichwohl gilt: Nirgends im Haushalt ist die sozialdemokratische Handschrift besser zu
spüren als im Einzelplan des Ministeriums für Arbeit
und Sozialordnung.
Die Ausgaben im Einzelplan 11 sind vor allem deswegen gestiegen, weil der Bund in diesem Jahr erstmals
die Beiträge für Kindererziehung zahlt und auch für die
mit der Wiedervereinigung zusammenhängenden Kosten
in der Rentenversicherung aufkommt.
({11})
Die Zahlen hat der Minister schon genannt. Wir begrüßen das ausdrücklich. Dies ist keine einfache Umbuchung von Kosten und erst recht kein Selbstzweck. Es
geht vielmehr um eine Stabilisierung der Rentenversicherung und vor allem um die Senkung der Lohnnebenkosten, die Sie jahrelang beschworen haben, aber
nicht zustande gebracht haben.
({12})
Nach wissenschaftlichen Berechnungen bringt die
Senkung in der Sozialversicherung um 1 Prozentpunkt
immerhin 50 000 neue Arbeitsplätze. Aber das zählt für
Sie anscheinend nicht. Für uns ist das schon ein ganz
wichtiger Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Wir werden diese Politik in den nächsten Jahren
Schritt für Schritt fortsetzen.
Außerdem ist es ein sozialpolitischer Fortschritt,
wenn nicht nur die Beitragszahler für Aufgaben der Allgemeinheit aufkommen müssen. Diesen Weg werden
wir weitergehen. Ich denke dabei zum Beispiel an eine
Finanzierung von Maßnahmen beschäftigungsschaffender Arbeitsmarktpolitik über Steuern anstatt über Sozialausgaben. Wir haben dazu in den letzten Jahren
mehrfach Vorschläge unterbreitet. Auf diese werden wir
sicherlich wieder zurückkommen.
Die aktive Arbeitsmarktpolitik ist der zweite Beweis
dafür, daß dieser Haushalt insbesondere im Bereich Arbeit und Sozialordnung sozialdemokratische und grüne
Handschrift trägt. Gegenüber dem Vorjahresergebnis
sind die Ausgaben für aktive Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit um über 6 Milliarden DM
hochgefahren worden, zählt man die im Rahmen des
Bundeshaushalts und von der Bundesanstalt für Arbeit
bereitgestellten Mittel zusammen. Das ist ein stolzes Ergebnis, das Sie nie zustande gebracht haben. Bei Ihnen
gab es immer nur Kürzungsorgien.
({13})
Ich erinnere daran, daß Sie im vergangenen Jahr die
Zahl der Beschäftigungsverhältnisse mit Ihrer berühmten ABM-Strohfeuer-Politik hochgefahren haben. Wir
haben diese Politik nicht ernst genommen - darüber
wurde im Wahlkampf viel diskutiert -, weil von vornherein klar war, daß die Zahlen insbesondere in den
neuen Ländern bald darauf wieder absinken würden.
Dieses Hochfahren der Zahl der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in dem Bewußtsein, daß davon ein Vierteljahr später nichts mehr übrig sein würde, ist besonders
schlimm gewesen.
Diese Maßnahmen laufen jetzt aus. Nach den heimlichen Plänen der alten Regierung, der jetzigen Opposition, wäre es mit der Arbeitsmarktpolitik schon wieder
nach unten gegangen, wie wir alle wissen. Das können
Sie in den Vermerken aus dem Hause Jagoda nachlesen,
die auch Sie haben.
Meine Damen und Herren, in der Koalitionsvereinbarung haben wir als Grundsatz der aktiven Arbeitsmarktpolitik festgeschrieben, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu
finanzieren. Wir haben die Trendwende aber nicht nur
angekündigt, sondern bereits eingeleitet. Die Ausgaben
werden von einer rein passiven Finanzierung der Arbeitslosigkeit hin zu aktiven Maßnahmen der Arbeitsförderung umgesteuert. Das ist alles andere als eine
Nullsummenrechnung.
Mehr aktive Ausgaben für Qualifizierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen heißt, mehr Menschen zu aktivieren und ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, damit sie ihre Arbeitskraft und ihre Fertigkeiten
entfalten können, damit sie ihre Kreativität einbringen
können und letzten Endes ihr Selbstwertgefühl wiederbekommen.
({14})
Dies ist ein sozialpolitisches Anliegen jenseits aller
Haushaltsarithmetik. Davon profitiert unsere Gesellschaft als Ganzes. Viele soziale Initiativen und viele
Umweltprojekte, die vor Ort als unverzichtbar gelten,
wären ohne Arbeitsfördermittel längst am Ende. Wir
machen aus dem sozialen Netz eben nicht eine bequeme
Hängematte und auch kein Ruhekissen. Aktivierung ist
auch die gemeinsame europäische Strategie, gegen die
Sie ja immer wieder vergeblich opponiert und sich gestemmt haben.
Herr Kues, Sie haben hier insbesondere im Zusammenhang mit der Jugendarbeitslosigkeit von einer Politik gesprochen, die wir in keiner Weise unterstützen
können. Wir betreiben eben keine Politik für die Arbeitsplatzbesitzer, sondern es bedeutet eine Verbesserung der Chancen für Arbeitslose und für von Arbeitslosigkeit Bedrohte, wenn diese Umsteuerung in der Arbeitsmarktpolitik erfolgt. Das müssen Sie zur Kenntnis
nehmen. Auf diesem Weg werden wir konsequent weitergehen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, über einen
mittelfristigen Zeitraum von zum Beispiel vier Jahren
einen Mindestanteil von 50 Prozent für aktive Maßnahmen an den Gesamtausgaben der Bundesanstalt festzulegen.
Entsprechend den Vereinbarungen auf EU-Ebene soll
jede junge Frau und jeder junge Mann spätestens nach
sechs Monaten Arbeitslosigkeit ein Angebot für einen
Ausbildungs-, Arbeitsplatz oder eine Qualifizierung erhalten. Das wollen wir möglichst bald auch bei uns umsetzen.
Dies ist etwas gänzlich anderes als eine phantasielose
Ausweitung der Ausgaben. „Geld ist nicht alles“, hat
Norbert Blüm jahrelang von diesem Pult aus gepredigt,
wann immer die SPD mehr Geld für innovative Arbeitsmarktpolitik gefordert hat. Heute sage ich: Geld ist
tatsächlich nicht alles, aber ohne daß Geld an der richtigen Stelle ausgegeben wird, läuft auch in der aktiven
Arbeitsmarktpolitik sehr wenig.
Dieser Haushalt setzt aus sozialpolitischer Sicht an
der richtigen Stelle an, nämlich bei der Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit und bei mehr sozialer Gerechtigkeit.
Für diese Ziele sind wir angetreten, und für sie werden
wir auch weiter streiten.
({15})
Meine Damen und Herren, Haushaltsdebatten geben
immer auch Gelegenheit, grundsätzliche Anmerkungen
zu machen. Ich will dies heute dazu nutzen, um etwas zu
den angeblich explodierenden Sozialausgaben in diesem Land zu sagen. Insbesondere Frau Schwaetzer hat
hierzu einige Argumente vorgetragen, die meiner Meinung nach aber Scheinargumente waren.
Es mag ja schick sein, im Zeitalter der Globalisierung
und vor dem Hintergrund lebhafter Standortdebatten
vom angeblichen Wettbewerbshindernis Sozialstaat zu
reden. Schick mag es sein, aber es hat den Nachteil, daß
es nicht stimmt. Die Kosten für die soziale Sicherung
sind keineswegs explodiert. Der Anteil der Sozialausgaben am Bruttosozialprodukt liegt heute in Westdeutschland - man kann das nur längerfristig vergleichen - mit
31,7 Prozent unter dem Niveau von 1982, obwohl seitdem rund 1,2 Millionen Arbeitslose hinzugekommen
sind und es fast eine Verdoppelung der Sozialhilfefälle
gegeben hat. Am Rande bemerke ich, daß Sie in dieser
Zeit politische Verantwortung getragen haben. Daß die
Sozialleistungsquote in Deutschland insgesamt rund
34 Prozent beträgt, liegt im wesentlichen an den noch
größeren sozialen Problemen in den neuen Bundesländern.
Wer soziale Stabilität in den neuen Ländern will und
damit die deutsche Einheit untermauert, muß zu diesen
Ausgaben stehen. Das tun wir auch. Diese Ausgaben
sind, glaube ich, als Beitrag zur gesamtdeutschen Solidarität gut angelegt.
Eine ganz andere Frage betrifft die richtige Finanzierung der sozialen Sicherung. Sozialversicherungsbeiträge von 42 Prozent und mehr sind auf Dauer nicht
zumutbar; der Minister hat darauf hingewiesen. Hier hat
die alte Regierung vollkommen versagt.
({16})
Das Beitragsrekordniveau liegt im wesentlichen an drei
Gründen: erstens an der auf Grund der Massenarbeitslosigkeit und der Zunahme nicht geschützter Beschäftigungsverhältnisse immer geringer werdenden Zahl der
Beitragszahler, zweitens an der Finanzierung der mit der
Wiedervereinigung zusammenhängenden Kosten über
die Sozialversicherung und drittens am Rückgang der
Lohnquote, wodurch die Finanzierungsbasis der Sozialversicherung geschmälert wurde.
Nicht überzogene Ansprüche auf Sozialleistungen,
sondern eine falsche Finanzierung haben die Debatte
über den angeblichen Kostenfaktor Sozialstaat in die Irre
geführt. Niemand anderes als Norbert Blüm, damals
noch als Minister, hat vorgerechnet, wie sich der Staat
bereits in den 80er Jahren zu Lasten der beitragszahlenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der Finanzierung der sozialen Sicherung zurückgezogen hat.
Während der Staat seinen Finanzierungsanteil an der sozialen Sicherung zurückschraubte, stieg der Finanzierungsanteil durch die Beiträge der Versicherten von
63 auf 67 Prozent. Der Staat hat also die Solidargemeinschaft viel zu lange im Stich gelassen und ihr obendrein
zusätzliche Aufgaben aufgebürdet. Das wird sich in den
nächsten Jahren sicherlich ändern.
Als sozialpolitisches Vermächtnis der alten Regierung bleibt allerdings bestehen: Die Sozialversicherungsbeiträge sind in den letzten 16 Jahren auf über
42 Prozent emporgeschnellt, die Leistungen hingegen
sind abgebaut worden. Der Umfang des Leistungsabbaus betrug allein auf das Jahr 1997 bezogen knapp
100 Milliarden DM in der Renten- und Arbeitslosenversicherung. Hoffentlich haben Sie den Brief von Norbert
Blüm an die alten Regierungsfraktionen gelesen. Dieser
Brief trägt das Datum vom 12. Januar 1998. Weniger
Leistung für mehr Geld - ein wahrhaft trauriges Vermächtnis, das Sie uns hinterlassen haben.
Die neue Bundesregierung will zwar auch die Ausgaben reduzieren, aber nicht durch Leistungskürzungen,
sondern durch einen Abbau von sozialen Problemen, vor
allem der Massenarbeitslosigkeit.
({17})
Meine Damen und Herren, die neue Mehrheit im
Bundestag macht ernst mit der Ankündigung, Arbeit
statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren; das ist schon mehrfach betont worden. Erste Erfolge sind erkennbar. Ich
will nicht im einzelnen auf das Sofortprogramm gegen
Jugendarbeitslosigkeit eingehen, weil schon viel dazu
gesagt wurde. Ich möchte aber zwei regionalisierte
Zahlen nennen. Allein in Nordrhein-Westfalen sind inzwischen 10 000 ausbildungs- und arbeitsuchende
Jugendliche in ein konkretes Maßnahmeangebot eingebunden worden. 2 000 Jugendliche konnten in NRW inzwischen eine vollwertige Ausbildung in einer außerbetrieblichen Bildungsstätte aufnehmen. Das ist ein guter
Start. Ich hoffe, anderswo ist es genauso, und wir können dann, wenn die Ergebnisse dieses Programms Ende
des Jahres ein bißchen überschaubarer sind, diskutieren,
wie es weitergeht.
Diejenigen, die das Programm heute kritisiert haben,
haben die Details anscheinend gar nicht gelesen, sie
kennen die Problemlagen der jungen Menschen nicht.
Die haben auch nicht begriffen, daß wir diese Woche
hier über einen Etat für ein Jahr reden, nicht über einen
Etat für zwei oder drei Jahre. Gehen Sie davon aus:
Auch in Zukunft wird diese Partei, die angetreten ist, die
Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen, und wird diese
Regierung die Jugendlichen nicht im Stich lassen, sondern ganz konkrete Angebote machen.
({18})
Was uns bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
neben diesem Programm weiterhilft, sind konkrete Vereinbarungen beim Bündnis für Arbeit. Heute nachmittag
beginnt die zweite Runde. Die Lehrstellenproblematik
steht heute nachmittag auf der Tagesordnung. Ziel muß
es sein, in diesem Jahr jedem Jugendlichen einen geeigneten Ausbildungsplatz anbieten zu können.
({19})
Ich setze dabei großes Vertrauen in die Problemlösungsbereitschaft aller Beteiligten, der Arbeitgeber, der Gewerkschaften und natürlich auch der Regierung. Das
Bündnis hat ein erstes positives Ergebnis gebracht, wie
schon angesprochen wurde. Wir werden weitere konkrete Schritte anpacken und auch umsetzen, denn darauf
kommt es letzten Endes an.
Das erste konkrete Ergebnis ist das heute in erster
Lesung zu behandelnde EntlassungsentschädigungsÄnderungsgesetz. Die Anrechnung von Abfindungen
auf das Arbeitslosengeld ist definitiv vom Tisch. Der
Zeitzünder, den Sie mit dem AFRG aktiviert haben und
der am 7. April 1999 hochgegangen wäre, mußte unter
großem Zeitdruck entschärft werden. Deswegen liegt
nun dieser Gesetzentwurf vor. Er stellt im wesentlichen
den Rechtszustand wieder her, der vor der AFGNovelle, der Eingliederung in das SGB III, bestanden
hat. Es ist gut, daß wir eine Lösung für diese Entlassungsentschädigungen gefunden haben; denn sogenannte sozialverträgliche Entlassungen dürfen nicht als
eine Art Schmerzensgeld für den verlorenen Arbeitsplatz betrachtet werden. Vielmehr muß die berufliche
Zukunft des betroffenen Arbeitnehmers oder der betroffenen Arbeitnehmerin im Mittelpunkt stehen.
Wir werden dieses Thema im Laufe des Jahres sicherlich wieder aufgreifen; auch die Tarifvertragsparteien werden im Bündnis für Arbeit darüber sprechen. Das
zeigt, daß das Bündnis für Arbeit einen guten Anfang
genommen hat. Ich bin zuversichtlich, daß es uns in dieser Legislaturperiode begleiten wird.
Wir haben mit dem Bundeshaushalt 1999 im sozialpolitischen Bereich einen guten Start hingelegt. Ich hoffe, daß wir das in den nächsten Wochen in den Beratungen der Ausschüsse noch unterstreichen können. Ich sehe diesen guten Start bewußt im Zusammenhang mit
dem Bündnis für Arbeit, das im Verlauf dieser Legislaturperiode eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt herbeiführen wird.
Vielen Dank.
({20})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Grehn.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht so, daß wir das
Bemühen der Bundesregierung nicht erkennen, einiges
anders zu machen, als es bisher durch die CDU/CSU
und die F.D.P. getan wurde. Dabei schließe ich den sozialen Bereich ausdrücklich ein.
Die Auseinandersetzung, die hier stattgefunden hat,
und die Kritik, die hier geübt wurde, habe ich sehr aufmerksam zur Kenntnis genommen. Ich habe mich zugleich gefragt, wie die Betroffenen diese Situation einschätzen würden und wie die Diskussion verlaufen wäre,
wenn die Politik der abgewählten Regierung fortgesetzt
worden wäre.
({0})
Ich kann mich gut entsinnen, daß der Anstieg der Arbeitslosigkeit, der bedauerlich ist, vormals so interpretiert wurde, daß der Winter den Arbeitsmarkt im eisigen
Griff hat. Manchmal allerdings vergreifen sich auch die
Mitglieder der neuen Regierung im Ton, was gerade von
denen mit Betroffenheit und Wut registriert wird, die
doch eigentlich im Zentrum der Politik der sozialen Gerechtigkeit stehen sollten. Mit der Streichung von Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe oder Ausbildungsförderung
denen zu drohen, die angeblich arbeitsunwillig sind, ist
überflüssig und bedient nur die Klientel der abgedankten
Kohl-Regierung.
({1})
Ich habe sehr wohl zur Kenntnis genommen, Herr
Minister, wie Sie dies eingeschätzt haben und daß Sie
sagten, daß die jugendlichen Arbeitslosen hochmotiviert
und aktiv seien. Das ist der Sachlage und der Situation
der Betroffenen angemessener, als ihnen zu drohen.
({2})
Eine sehr grundsätzliche Erkenntnis sollte die Koalition berücksichtigen: Kampf gegen Arbeitslosigkeit
heißt natürlich in erster Linie Schaffung von Arbeitsplätzen - aber eben nicht nur.
({3})
Es heißt auch, die individuelle, soziale und familiäre
Situation des Empfängers von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe, des Behinderten oder
des Rentenempfängers erträglich und menschenwürdig
zu gestalten. Achtung und Respekt vor den Millionen
Minderbemittelten und Armen in unserer Gesellschaft
bedeutet auch, die Arbeitslosen, die Sozialhilfeempfänger, die Behinderten, die Rentner und ihre Selbstvertretungsorganisationen in die Lösung ihrer eigenen Probleme einzubeziehen.
({4})
Das war ein Wahlversprechen. Kollege Struck hat
gestern bekräftigt, alle Gruppen sollten mehr beteiligt
werden. Das waren seine Worte! Wo ist die Interessensvertretung der Arbeitslosen, der Behindertenverbände
oder der Sozialhilfeinitiativen im „Bündnis für Arbeit“
oder in seinen neuen Arbeitsgruppen?
({5})
Herr Bundesminister, ich habe sehr wohl Ihre Zusage
an den Kollegen Seifert zur Kenntnis genommen, daß es
ein Treffen mit den Vertretern der Behindertenverbände
geben wird. Vielleicht können Sie sich entscheiden, die
übrigen Gruppen in dieses Treffen mit einzubeziehen.
({6})
Es ist an der Zeit, über das Verhältnis zwischen der
Arbeit dieser Verbände und der materiellen und gesellschaftlichen Anerkennung dieser Arbeit neu nachzudenken. Das heißt auch, in den Haushalt eine institutionelle
Förderung einzustellen. Wer Arbeitslose aktivieren will
und die in der Resolution der UNO-Generalversammlung von 1993 beschlossene Chancengleichheit
für Behinderte verwirklichen will, der muß dafür Spielräume bereitstellen. Wenn wir schon von Wahlversprechen reden: Die wiederauflebenden Proteste der Arbeitslosen und die Plakate der „Aktion Grundgesetz“ der
Behindertenverbände spiegeln den Wunsch der Betroffenen, daß diese Versprechen erfüllt werden, wider.
Nicht nur die Arbeitnehmer, Herr Bundeskanzler, sind
nur dann frei, wenn sie ein Stück Sicherheit haben und
frei von Angst sind. Diese Feststellung gilt erst recht für
die Arbeitslosen, die Sozialhilfeempfänger, die wachsende Zahl der Armen und jene Menschen, die Angst
davor haben, in Armut abzurutschen oder in ihr verharren zu müssen. Geben Sie diesen Menschen jenes
Signal, das Sie den Arbeitnehmern beim Kündigungsschutz gegeben haben.
({7})
Trotz einiger realisierter Vorhaben auf dem Sektor
Arbeit und Soziales, des Programms zur Bekämpfung
von Arbeitslosigkeit und der Bereitschaft, die Mittel für
den Behindertenbeauftragten aufzustocken - das möchte
ich hier positiv erwähnen -, möchte ich dem Kollegen
Schlauch zustimmen, der bescheiden und ganz leise
formulierte, daß das Motto „Arbeit statt Arbeitslosigkeit
finanzieren“ noch nicht ganz umgesetzt sei. Das gerade
gelobte Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit kann
gemessen an dem Ziel, jedem arbeitslosen Jugendlichen
ein Angebot zur Ausbildung, Qualifizierung oder Beschäftigung zu unterbreiten, bevor er ein halbes Jahr
arbeitslos ist, nur ein Anfang sein.
Ich erinnere
Sie daran, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Ich komme zum Ende. Ich
will mich jetzt nicht auf die Einstellung von Mitteln beziehen. Aber ich verweise darauf, daß der Etat für die Arbeitslosenhilfe mit 500 000 DM weniger als 1998 angesetzt worden ist. Die geplante Summe von 28 Milliarden
DM ist knapp 2,5 Milliarden DM geringer im Vergleich
zu 1997. Wir sehen für solche Sparmaßnahmen keinen
Anlaß, weil die Langzeitarbeitslosigkeit und damit die
Zahl der Fälle, in denen Arbeitslosenhilfe gewährt wird,
absehbar nicht sinken, sondern eher steigen wird.
({0})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Antje Hermenau.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte
- bevor ich auf das Sofortprogramm zu sprechen komme gerne auf etwas eingehen, das mich heute wirklich verblüfft hat. Das war die These der F.D.P. von der sozialen
Verantwortung. Dieser Sache nehme ich mich gerne
einmal an.
({0})
Ich fange sofort an: Ich verstehe Ihr Problem, daß Sie in
der Opposition durch Radikalisierung versuchen müssen, an Profil zu gewinnen.
({1})
Aber wenn ich davon einmal absehe, habe ich mir Ihre
These durch den Kopf gehen lassen. Dabei ist mir folgendes klar geworden: Wenn ein Mensch schwimmen
lernen soll, dann wird er nicht in die Mitte des Beckens
geworfen und der Bademeister geht aus dem Bad heraus
und schaut nach einer halben Stunde nach, ob dieser
Mensch ersoffen ist oder schwimmen gelernt hat; vielmehr bleibt der Bademeister am Beckenrand stehen und
ermutigt den Menschen dazu, seine Angst zu überwinden und etwas zu tun, das sein Leben rettet.
({2})
Um diesen Weg geht es. Sie mit Ihrer Dschungelmentalität sind die Art von Bademeister, der rausrennt, sich um
die Leute nicht kümmert und die Hälfte von ihnen absaufen läßt. - Damit ist das Thema für mich abgehandelt.
({3})
Das Problem mit dem Sofortprogramm, auf das wir in
jedem Fall zurückkommen müssen, besteht in folgendem: Das Programm wird dadurch angreifbar, daß es nur
auf ein Jahr ausgelegt ist. Deswegen will ich darüber reden, warum wir dieses einjährige Programm überhaupt
aufstellen müssen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Solange das „Bündnis für Arbeit“ in der Gesprächsphase ist, haben wir mittel- und langfristig keine wirklich verabredeten und auf gesellschaftlichem Konsens
basierenden Instrumente und Möglichkeiten, uns mit den
Problemen des Fehlens von Ausbildungsplätzen und der
Arbeitslosigkeit von jungen Leuten wirklich zu befassen. Dieses Sofortprogramm dient dazu, diesen Zeitraum
zu überbrücken, ohne daß er jungen Leuten zu verlorener Lebenszeit wird. In diesem Sinne halte ich es für
eine ganz akzeptable Maßnahme.
({4})
Das vorliegende Maßnahmenbündel ist im ganzen
schlüssig und machbar. Es gibt eine ganze Reihe von
Möglichkeiten, aus denen ausgewählt werden kann. Ich
halte das für akzeptabel; denn es stellt eine gewisse Individualisierung des Programms dar, weil Jugendliche
nach ihrer Lebenslage entscheiden können.
Ich muß deutlich sagen: Ich bin sehr froh darüber,
daß dem Koalitionsvertrag, der einen Schwerpunkt Ost
in diesem Sofortprogramm definiert hat, entsprochen
worden ist. 40 Prozent der Mittel für dieses Programm
fließen in den Osten, obwohl nur ein Anteil von 20 Prozent der Bevölkerung im Osten lebt.
Ich möchte auf die psychologische Situation zu sprechen kommen, die auch Frau Schwaetzer versucht hat
aufzuzeichnen. Auf der einen Seite wird eine Sperre,
eine Abhängigkeit vom Staat konstruiert, die nach der
Auffassung eines Flügels dieses Hauses einen unmündigen Bürger kreieren würde; auf der anderen Seite wird
von anderen Teilen dieses Parlaments suggeriert, jeder
Mensch brauchte eine Schwimmweste und würde nie
schwimmen lernen. Beides ist natürlich falsch. Man
sollte sich schon die Zeit nehmen, herauszufinden, wofür jeder einzelne in welchem Abschnitt seines Lebens
wirklich fit ist. Damit das geschehen kann, brauchen wir
ein psychologisches Klima, sich zu bemühen, viele verschiedene Möglichkeiten und Varianten zu entwickeln,
Menschen in Lohn und Brot zu bringen, damit sie ihr
Leben selbst gestalten können. Ich halte das für einen
ganz legitimen Anspruch und für einen der größten
Würfe zu Beginn unserer gemeinsamen Koalition.
({5})
Der Charme, den ich in diesem Sofortprogramm
ausmache, liegt für mich persönlich darin, daß nicht nur
über die erste Schwelle, nämlich über das Problem, eine
ordentliche Ausbildung zu bekommen, mit der man
auch wirklich etwas machen kann, gesprochen wird;
vielmehr wird auch die zweite Schwelle, nämlich der
Einstieg in die Berufstätigkeit, in Angriff genommen.
Das heißt, wir behandeln zwei Probleme der Situation
junger Leute gleichzeitig. Das sind meines Erachtens
sehr beachtliche Fortschritte in schwierigen Zeiten mit
einer schwierigen Erblast aus den Haushalten der vergangenen Jahre. Ich empfehle allen Kritikern dieses Sofortprogramms, ganz leise zu werden.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Aus Sicht der
CDU/CSU ist Rotgrün noch weit von einer ersten Bewährungsprobe in der Sozialpolitik entfernt. Sie, Herr
Minister Riester, und der Finanzminister waren relativ
schnell bereit, ziemlich viel Geld auszugeben. Wir alle
sind gespannt, wie Sie die Gegenfinanzierung tatsächlich zustande bringen. Daß Ihnen das gelingt, haben Sie
noch nicht bewiesen. Wir hören von Tag zu Tag neue
Meldungen. Weisen Sie uns erst einmal Erfolge nach,
bevor wir die erste Lobeshymne hier anstimmen!
Auch das, was der Kollege Ostertag hier gesagt hat,
kann man nicht nachvollziehen. Fakt ist, daß wir zu Beginn des Jahres 1998 4,8 Millionen Arbeitslose hatten.
Als wir aus der Regierungsverantwortung ausgeschieden
sind, hatten wir 3,8 Millionen Arbeitslose - 1 Million
Menschen weniger. So ist die Ausgangslage, und an der
müssen wir Sie messen. Über das, was Sie aus dieser
Ausgangslage machen, werden wir diskutieren.
({0})
Als Haushaltspolitiker sage ich in einer Haushaltsdebatte: Wir haben mit 7,7 Milliarden DM als Bundeszuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit abgeschlossen.
In dieser Summe sind die Erhöhungen für eine aktive
Arbeitsmarktpolitik bereits enthalten. Wenn Sie 11 Milliarden DM wieder etatisiert haben, warum machen Sie
jetzt das Geschrei, daß jetzt auf einmal das Problem
bestehe, Sie fielen bei der Zahl der Arbeitslosenzahlen
zurück? Sie verfügen über genug Mittel, um an unser
Ergebnis anzuschließen und die Zahl der Arbeitslosen zu
senken.
({1})
Die Ergebnisse sind halt anders.
Man geht jetzt von 150 000 Arbeitslosen weniger aus.
Wenn ich die Rechnung der Kollegin Schmidt aufmache, dann stelle ich fest: 150 000 Arbeitslose weniAntje Hermenau
ger, das sind 6 Milliarden DM. Sie bräuchten als Zuschuß für das Jahr 1999 eigentlich nur noch 1,7 Milliarden DM zu veranschlagen, aber Sie stellen 11 Milliarden
DM ein. Das heißt, Sie haben über 9 Milliarden DM Reserve. Jetzt stellt sich die Frage, wie die Politik mit diesem Sachverhalt umgeht. Wir würden empfehlen, mit
diesem Geld den Beitrag um 0,5 Prozentpunkte abzusenken.
({2})
Dann bräuchten Sie das ganze unsägliche Theater mit
der Ökosteuer gar nicht erst zu veranstalten.
({3})
Sie versuchen, weitere Leute - 200 000 - auf dem
zweiten Arbeitsmarkt zu plazieren. Das ist eine Möglichkeit. Sie können so weitermachen und alle Leute
durch Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit in
Nürnberg beschäftigen; dann haben Sie gar keine Arbeitslosen mehr. Das ist jedoch nach unserer Meinung
der falsche Weg, weil er eben nicht zum ersten Arbeitsmarkt führt. Wir haben da unterschiedliche Politikansätze. Wir gehen mit unserem Ansatz und Sie mit Ihrem
auf den politischen Markt. Aber eine Absenkung um
150 000 im Jahresdurchschnitt 1999 als politischen Erfolg verkaufen zu wollen, das ist nicht möglich, weil das
Institut der Bundesanstalt für Arbeit bereits ausgerechnet hat, daß durch den demographischen Wandel
- durch Freiwerden von 150 000 Arbeitsplätzen - die
Arbeitslosigkeit ganz automatisch reduziert wird. Für so
dumm dürfen Sie die Öffentlichkeit doch nicht verkaufen, daß Sie meinen, dieses als Erfolg darstellen zu können.
({4})
Das bedeutet also, daß Sie uns sagen müssen, welche
Erfolge Sie sich davon versprechen, die Beiträge über
die Ökosteuer senken zu wollen. Ich frage Sie also: Wo
sind eigentlich die günstigeren Zahlen? Es kann doch
dann nicht bei 150 000 Arbeitslosen weniger bleiben. Da
müssen Sie doch ganz andere Werte bringen. Ich möchte
jetzt einmal die Meßlatte anlegen, damit wir für die Zukunft Klarheit haben: Sie schaffen 200 000 Arbeitsplätze
durch aktive Arbeitsmarktpolitik; dazu kommen 200 000
auf Grund der demographischen Entwicklung. Das
heißt, die politische Diskussion fängt erst dann an, wenn
Sie es schaffen, im Jahr 1999 über 400 000 weniger Arbeitslose darzustellen.
({5})
Damit wir uns auch für die Zukunft richtig verstehen:
Die demographische Entwicklung setzt sich so fort, daß
im Jahr 2000 600 000 Arbeitsplätze, im Jahr 2001
800 000 Arbeitsplätze und im Jahr 2002 1 Million Arbeitsplätze frei werden. Wenn Sie hier nicht mit einer
Zahl in der Größenordnung einer weiteren Million antreten, dann brauchen Sie Ihre Erfolgsbilanz gar nicht
mehr zu zeigen, sondern können sie gleich einstampfen.
({6})
Zu der ganzen Politik paßt natürlich auch, daß kritische Sachverständige ausgetauscht werden. Es ist doch
ganz klar, daß man da ein wenig reparieren muß. Nur, so
hat die berühmte Geschichte von George Orwell auch
angefangen.
({7})
Das nächste Ei von Ihnen, Herr Riester, liegt ja bereits in der Pfanne. In einer Meldung von AP heißt es,
Riester wolle die Meldepflicht abschaffen. Das wäre
das Falscheste, was Sie tun könnten. Die Meldepflicht
muß erhalten bleiben,
({8})
und zwar im Interesse der Arbeitslosen, die arbeiten
wollen. Nur so kann zwischen den Gutwilligen und denen, die Mißbrauch betreiben wollen, unterschieden
werden. Wir wollen nicht, daß der Beitragszahler von
denjenigen, die es darauf anlegen, künftig wieder aus
der Hängematte in Mallorca gegrüßt wird. Wir möchten
die Leute hier haben, damit sie verfügbar sind, wenn die
Arbeit da ist. Deshalb bitte ich Sie, von diesen Plänen
Abstand zu nehmen.
({9})
Meine Damen und Herren, zum Thema der 630Mark-Jobs ist genug gesagt worden. Aber wir sind
doch sehr erschrocken darüber, wie sich ein deutscher
Bundeskanzler in persona hier hinstellen kann und dem
Parlament eine offensichtlich verfassungswidrige Regelung vorschlagen kann. Das haben wir in diesem Hause so oft noch nicht erlebt.
({10})
Wie zwischen dem Bundeskanzleramt und dem Ministerium von Minister Müller aneinander vorbeigearbeitet
wird, sieht man an folgendem: Herr Minister Müller hat
heute morgen bekundet, er wolle den Tourismusetat
um 2 Millionen DM aufstocken. Wir erkennen an, daß
es wenigstens etwas mehr ist. Auf der anderen Seite
werden mit Maßnahmen wie der 630-DM-Regelung sehr
viele Arbeitsplätze im DEHOGA-Gewerbe gefährdet.
Das ist in höchstem Maße kontraproduktiv.
({11})
Das war nur das Vorspiel; doch jetzt geht es an die
Rente. Wir sehen einen Minister, der sozusagen in der
Rente wie jemand herumstochert, der zum erstenmal mit
Stäbchen ißt.
({12})
Was ich in jüngerer Zeit von Ihnen zum Beispiel hinsichtlich eines Rentenfonds gehört habe, könnte ich
noch als kreativen Diskussionspunkt gelten lassen. Was
ich Ihnen aber nicht durchgehen lassen kann, ist die Abkehr vom Nettolohnprinzip. Diesen Versuch hat schon
einmal der unselige Ehrenberg unternommen,
({13})
der damit - auf gut deutsch gesagt - auf die Schnauze
gefallen ist. Deshalb empfehlen wir Ihnen dringend:
Nehmen Sie unbedingt Abstand davon!
„Demographiefaktor rein, Demographiefaktor raus“,
als Haushälter sage ich dazu, daß es im ersten Jahr nur
um „lächerliche“ 900 Millionen DM geht. Nächstes Jahr
sind es 1,8 Milliarden DM. Man erhöht dann einfach
locker die Ökosteuer, und das Problem ist gelöst. Nein,
so unsensibel darf man bei der Rentenfinanzierung nicht
vorgehen. Das will ich an dieser Stelle festhalten.
({14})
Wenn man sich die Neuregelung der 630-DM-Jobs
ansieht, dann müßte man eigentlich sagen - er hat diese
Neuregelung zur Chefsache erklärt -: Viermal raus,
viermal rein, das kann doch nur der Schröder sein.
({15})
Herr Minister, ich denke, Ihr Name wird bald zu einem neuen Wort führen: Aus Riester wird Riesting. Riesting ist Gesetzesmobbing mit hundertprozentiger Verunsicherungsgarantie.
({16})
Dieses neue Wort wird die Runde machen. Soweit ich
mich erinnern kann, hat in so kurzer Zeit noch kein
Politiker für soviel Verunsicherung auf dem Feld der
Sozialpolitik gesorgt wie Sie.
({17})
Für die Union als Arbeitnehmerpartei kündige ich an,
daß wir dieses Riesting mit der gleichen Konsequenz
bekämpfen werden, wie wir die Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts bekämpft haben.
Vielen Dank.
({18})
Es spricht jetzt
die Abgeordnete Annelie Buntenbach.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, um etwas zu dem
Gesetzentwurf bezüglich der Entlassungsabfindung zu
sagen, der im Rahmen dieser Debatte behandelt werden
soll. Ich werde gleich darauf zurückkommen. Aber ich
kann es mir nicht verkneifen, zunächst auf einige Argumente - von Argumenten zu sprechen ist schwer übertrieben ({0})
- genau, das ist zuviel der Ehre -, auf einige Denkmuster kurz einzugehen, die bislang in der Debatte erkennbar waren.
Frau Schwaetzer, Sie haben gesagt, wir seien nur imstande, den Rückwärtsgang einzulegen, und bekämen
nichts geregelt. Den Schrotthaufen, den uns die alte Regierung hinterlassen hat, haben Sie zu verantworten. Wir
müssen ihn zunächst einmal beiseite räumen, um dann
wieder einen Schritt in Richtung mehr Solidarität in dieser Gesellschaft tun zu können.
({1})
- Hören Sie doch auf! Entscheiden Sie sich doch einmal,
was Sie uns vorwerfen wollen! Auf der einen Seite sagen Sie, wir täten zu viel und zu schnell und hätten uns
in den ersten hundert Tagen übernommen. Auf der anderen Seite heißt es, wir würden nichts tun, die neue Regierung habe kein erkennbares Konzept. Was wollen Sie
eigentlich? Sie können sich darauf verlassen, daß, wenn
wir Ihre Reformen zurücknehmen, unsere Grundorientierung dabei erkennbar wird. Sie ist es, die Ihnen auf
die Nerven geht und die sich von Ihrer Politik, die Sie
16 Jahre lang gemacht haben, diametral unterscheidet.
(Beifall der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]]
Sie haben nämlich mit Ihren Geschenken an die Besserverdienenden, die das untere Drittel direkt zu bezahlen
hatte, nicht etwa zu einer Verringerung der Arbeitslosigkeit beigetragen. Im Gegenteil, Sie haben die Schere
zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergerissen.
({2})
Bei dieser unerträglichen sozialen Schieflage - das haben selbst die Kirchen kritisiert; es hat sie auf den Plan
gerufen, weil ihnen das entschieden zu weit ging - wollen wir umsteuern. Umsteuern ist hier dringend nötig.
Unsere Politik orientiert sich an mehr Beschäftigung, an
sozialer Gerechtigkeit und an gesellschaftlicher Integration statt an Ausgrenzung.
Ich möchte noch ein Wort zu dem sagen, was der
Kollege Fuchtel vorhin zur Meldepflicht gesagt hat. Die
Meldepflicht, das heißt, sich jedesmal einfinden zu müssen, um persönlich vorzusprechen, ohne daß eine Möglichkeit bestünde, die Leute unterzubringen, ist ein Ausfluß der falschen Logik, nach der die alte Bundesregierung gehandelt hat und die wir verändern wollen, nämlich der Logik, die Erwerbslose schlicht diffamiert und
sie zu den für ihre Arbeitslosigkeit selbst Verantwortlichen macht. Sie wissen, daß Sie die Arbeitsämter mit
dieser Meldepflicht arbeitsunfähig schlagen. Sie wissen,
daß ein Sachbearbeiter inzwischen mehr als 800 Leute
zu betreuen hat. Wenn die Leute jedesmal persönlich
vorsprechen, man ihnen aber nichts anbieten kann, so
daß das Ganze einen positiven Sinn hätte, dann ist das
Ergebnis lediglich, daß sie in ihrer Würde verletzt werden. Deswegen wollen wir diese Meldepflicht in der Tat
abschaffen. Wir halten sie für komplett unproduktiv und
lediglich für eine Geste, die sich gegen die Arbeitslosen
richtet.
({3})
Zu dem Umsteuern gehört auch die schnelle Rücknahme der gröbsten Ungerechtigkeiten - das habe ich
vorhin schon gesagt -, die uns die verflossene Bundesregierung eingebrockt hat. Sie haben gesagt, es seien
keine neuen Ideen ersichtlich. Aber es gibt zuhauf neue
Ideen. Ich bin schon ganz gespannt auf Ihre Begeisterung, die sich dann zeigt, wenn diese neuen Ideen für
Sie besser erkennbar werden, nämlich bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mit Arbeitszeitverkürzung als
zentralem Mittel,
({4})
um so die Arbeit umzuverteilen und mehr Leute in Beschäftigung zu bringen. Das halte ich für eine ganz entscheidende Sache.
({5})
Wir werden uns dafür einsetzen, die Übergänge zwischen Phasen von längerem und kürzerem Arbeiten,
Weiterbildungsphasen und Erziehungsphasen rechtlich
und sozial absichern. Wir wollen die Arbeitszeiten insgesamt verkürzen, aber für die Menschen Entscheidungsmöglichkeiten eröffnen, zwischen Formen von
längerem und kürzerem Arbeiten zu entscheiden, und
das sozialpolitisch absichern. Wir wollen den Menschen
Entscheidungen übertragen, statt sie mit der puren
Macht des Marktes zu strangulieren, wie die F.D.P. das
immer gerne möchte.
({6})
In aller Kürze zu den Entlassungsabfindungen. Ich
möchte deswegen noch etwas dazu sagen, weil das Gesetz der alten Bundesregierung, das wir jetzt hier außer
Kraft setzen, viel Verunsicherung darüber, was eigentlich der Stand ist, produziert hat, gerade da, wo zum
Beispiel Sozialpläne verhandelt worden sind. Wir werden diese Regelung der Anrechnung von Abfindungen
auf das Arbeitslosengeld aussetzen. Wir werden statt
dessen an einer vernünftigen Regelung arbeiten, die von
uns und den Tarifpartnern nicht als so kontraproduktiv
eingeschätzt wird, wie das bei dieser Regelung der Fall
ist, und das im Bündnis für Arbeit diskutieren. Dazu
werden wir dann einen tragfähigen Vorschlag in das
Parlament einbringen.
({7})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Karl-Josef Laumann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich
heute morgen einige Stunden die sozialpolitische Debatte angehört hat, hat man erwartet, daß die Regierung
- dafür ist sie da - statt nur mit Allgemeinplätzen auch
mit detaillierten Konzepten kommt. Es fällt aber auch
auf, daß eine Menge Show gemacht wird.
({0})
Ich will mit einem Beispiel anfangen. Seit der letzten
Bundestagswahl spricht bei Ihnen jeder erst einmal eine
halbe Stunde darüber, wie gut das Programm zur Beschäftigung 100 000 Jugendlicher sei. Das ist auch in
Ordnung. Aber bitte vergessen Sie nicht, daß schon bevor es dieses Programm gegeben hat - unter der alten
Regierung über ähnliche Maßnahmen etwa 300 000
Schulabgänger Jahr für Jahr in das Berufsleben eingeführt worden sind.
({1})
Wahr ist: Sie haben dort nachgelegt.
Ich glaube, wir alle springen in dieser Frage zu kurz.
Wenn von den 100 000 jungen Menschen unter 20 Jahren in Deutschland, die keine Ausbildungsstelle haben,
78 Prozent keinen Hauptschulabschluß haben, wenn von
den 370 000 Menschen unter 25 Jahren, die keinen Ausbildungsplatz oder keinen Arbeitsplatz haben, 49 Prozent nicht so qualifiziert sind, daß sie eine Ausbildungsstelle antreten könnten, dann muß man doch sagen: Diese Programme, die Sie machen und die wir gemacht haben, sind sicherlich richtig, weil wir etwas für diese jungen Menschen tun müssen. Aber in allen Parteien müssen wir darüber nachdenken, wie wir unser Schulsystem
gestalten könnten
({2})
- dafür ist ja eigentlich eine andere staatliche Ebene zuständig -, daß wir nicht mehr mit solchen verheerenden
Zahlen konfrontiert werden.
({3})
Ich persönlich bin ganz fest davon überzeugt, daß ein
Aspekt der neuen sozialen Frage sein wird: Wie sind die
Bildungschancen unserer Kinder in den verschiedenen
Regionen und Stadtteilen der Bundesrepublik Deutschland? Das entscheidet sich nicht mehr an der Frage des
Geldes. Darüber hat sich vielleicht mein Vater Gedanken machen müssen. Ich meine die Sache mit dem
Schulgeld und die Tatsache, daß bestimmte Leute ihre
Kinder nicht auf Schulen schicken konnten. Heute ist die
Frage bestimmend: Wo wohne ich? Wie ist die Schule
vor Ort?
Ich komme auf Grund meiner Funktion als Chef der
Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Fraktion relativ viel
im Land herum. Ich habe vor einiger Zeit einen Vortrag
in einem Arbeiterviertel einer Ruhrgebietsstadt gehalten.
Da ist mir eines sehr bewußt geworden: Es gibt große
Probleme; denn die Leute erzählen mir, daß ihre Kinder
in eine Grundschule gehen, in der über 60 Prozent der
Kinder kein gutes Deutsch sprechen können. Diese Kinder sind mit den anderen zusammen in einer Klasse, und
die Lehrerin oder der Lehrer muß 30 Kinder unterrichten. Was soll daraus werden? Ich sage Ihnen nur: Wir
müssen mehr Geld in die Hand nehmen. Wir brauchen
mehr Lehrer und in solchen Fällen wie diesem auf jeden
Fall kleinere Schulklassen.
({4})
Denn diese Kinder werden es viel schwerer als zum Beispiel meine Kinder haben, die das große Glück haben, in
einem kleinen Dorf im Münsterland groß zu werden, wo
es diese Probleme im Grunde gar nicht gibt. Das sage
ich einmal ganz deutlich. Wenn wir uns in dieser Hinsicht nicht etwas einfallen lassen, haben wir ein Problem. Die Frage der sozialen Gerechtigkeit entscheidet
sich immer mehr an der Bildung. Wenn es uns nicht gelingt, junge Leute in den allgemeinbildenden Schulen so
weit zu bilden, daß sie eine ganz normale Lehre und eine
Gesellenprüfung machen können, dann ist das das soziale Problem von morgen, weil die Billig-Jobs ohne
Ende wegbrechen.
({5})
Deswegen müssen wir uns alle in unseren Parteien
auf den Weg machen - wir tragen in den Ländern unterschiedlich Verantwortung; ein Land bekommt jetzt eine
bessere Bildungspolitik, Hessen; das haben wir angekündigt; das werden wir auch umsetzen -,
({6})
und wir müssen in bezug auf die Programmatik unserer
Parteien und den Stellenwert von Bildung - das hat dann
auch mit Geld zu tun - nachlegen, so daß wir in einigen
Jahren vielleicht solche Programme nicht mehr in einem
so großen Umfang brauchen. Nur, bitte tun Sie nicht so,
als seien Sie der Erfinder von solchen Programmen zur
Ausbildung von Jugendlichen. Wie gesagt, es hat auch
schon unter der damaligen Regierung und unter Norbert
Blüm Programme in einer Größenordnung von 300 000
Plätzen gegeben. Ich finde, auch das darf man wohl
einmal sagen.
({7})
Herr Kollege
Laumann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Maaß?
Bitte schön.
Herr Kollege Laumann,
Ihr Hinweis auf die Situation im Ruhrgebiet veranlaßt
mich zu der Frage an Sie: Müssen wir nicht etwas mehr
für die Integration unserer ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger tun? Das ist eine Voraussetzung dafür, daß sie die deutsche Sprache beherrschen und daß
sie die deutsche Sprache an ihre Kinder weitergeben.
Wenn das geschähe, hätten wir diese Probleme nicht.
({0})
Sind Sie mit mir der Meinung, daß Sie in dieser Frage
die Sozialdemokraten unterstützen sollten?
Meine Partei
verfügt seit einigen Monaten über eines der modernsten
Integrationsprogramme aller Bundestagsparteien.
({0})
Wir sind nur nicht so naiv, zu glauben, man könne das
mit einem Paß regeln. Davon, daß man den Leuten einen
Paß gibt, kann auch keiner deutsch. Was ich jetzt sage,
ist einfach die Wahrheit. Lieber Kollege, Sie kommen
aus dem Ruhrgebiet und kennen die Situation in bestimmten Wohngebieten.
Die Wahrheit sieht so aus: Es gibt solche Kinder, und
die haben ein bestimmtes Elternhaus bzw. ein bestimmtes soziales Umfeld. Natürlich wünsche ich mir, daß die
Eltern besser deutsch sprechen können und daß in den
Familien mehr deutsch gesprochen wird. Aber da in
Kindergärten und in Schulen Kinder mit solch schlechten Deutschkenntnissen sind, muß ich überlegen, wie ich
das System möglichst verbessere. Da befinden wir uns
in Übereinstimmung. Ich glaube nicht, daß wir da in unseren Positionen sehr weit auseinander liegen.
({1})
Aber zu glauben, das mit einem doppelten Paß ändern
zu können, ist nicht richtig.
Ich will in dieser Debatte einen weiteren Punkt ansprechen, weil er hier in der ersten Lesung mit zur Diskussion steht, nämlich Ihren Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung der Berücksichtigung von Entlassungsentschädigungen. Jeder, der sich mit diesem Thema beschäftigt hat, weiß, daß das ein vielschichtiges und
schwieriges Thema ist. Auch wir haben uns viele Gedanken darüber gemacht, ob es richtig ist, was wir damals vorgeschlagen haben, nämlich eine stärkere Anrechnung im Hinblick auf das Arbeitslosengeld vorzunehmen. Auch ich weiß, daß dies, wenn man vor Ort
Sozialpläne machen muß, ein ganz anderes Thema ist,
als wenn man hier darüber theoretisch diskutiert.
Aber eines müssen wir erkennen: Wenn wir die Abfindungen jetzt wieder im Hinblick auf das Arbeitslosengeld vollkommen unberücksichtigt lassen - wobei es
durchaus Gründe gibt, die dafür sprechen; das will ich
nicht in Abrede stellen -, dann müssen wir - Herr Riester, Sie haben es angesprochen - natürlich überlegen ich bin sehr gespannt auf die Ausschußberatungen; das
kommt ja in den nächsten Wochen auf uns zu ({2})
- dann müssen wir eben in der nächsten Woche darüber
sprechen -, wie man es hinbekommt, daß wir damit
nicht einer Frühverrentungswelle neuen Ausmaßes auf
Kosten der Sozialversicherung Vorschub leisten.
({3})
Wenigstens meine Fraktion wird überlegen, wie wir uns
in dieser Frage letzten Endes verhalten.
Denn daß das „Bündnis für Arbeit“ sagt: „Das muß
weg; das geht schon in Ordnung“, das kenne ich: Die
Sozialpartner sind sich nämlich immer einig, wenn sie
Sozialpläne machen können, die ein Dritter bezahlt.
({4})
Unter diesen Umständen erreichen Sie ganz schnell eine
Einigung. Wenn anschließend ein Teil dieser Sozialpartner durch die Gegend rennt und uns verantwortlich dafür
macht, daß die Lohnnebenkosten steigen, dann finde ich
das schlicht und ergreifend unappetitlich und unanständig. Das sage ich in aller Deutlichkeit.
({5})
Sie müssen sich darüber Gedanken machen, wie Sie
die Gefahr einer neuen Frühverrentungswelle, die uns
in der Rentenversicherung furchtbare Probleme machen,
die die junge Generation erneut belasten und die das
Vertrauen in die Rentenversicherung erneut in Frage
stellen wird, in den Griff bekommen.
Sie haben einige Rücknahmegesetze beschlossen.
Ich muß zugeben: Das können Sie. Es ist ja auch leichter, ein Haus abzubrechen, als ein neues zu bauen. Um
ein Haus abzubrechen, brauche ich nur Kraft. Um ein
neues zu bauen, brauche ich erst einmal einen Plan bzw.
eine Bauzeichnung.
({6})
Dann brauche ich handwerkliches Geschick und ein bißchen Kraft, um dieses Haus nach einer Bauzeichnung
aufbauen zu können. Ich habe festgestellt, daß die Gesetze, die Sie bislang beschlossen haben - im Hinblick
auf den sozialpolitischen Bereich kann ich das beurteilen -, nicht davon gekennzeichnet sind, daß Sie einen
Plan und vor allen Dingen handwerkliches Geschick
haben.
({7})
Deswegen empfehle ich Ihnen, Herr Riester, einmal
zu überlegen, ob man in der Bundesregierung nicht eine
Fortbildung zu der Frage durchführt - dies könnte man
über die Bundesanstalt für Arbeit finanzieren -, wie ein
Gesetzentwurf zu konzipieren und dann durch die parlamentarische Debatte zu bringen ist. Das würde uns
allen gemeinsam die Arbeit sehr erleichtern.
({8})
Herr Kollege
Laumann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Andres?
Ja, sofort. - Ich
empfehle Ihnen zudem, sich die guten Abteilungsleiter,
die es unter Norbert Blüm im Arbeitsministerium gegeben hat, zurückzuholen. Die haben bewiesen, daß sie
Gesetze machen können. Im übrigen haben wir in unserer Regierungszeit Abteilungsleiter mit Ihrem Parteibuch
gehabt. Zur Zeit sehe ich im Arbeitsministerium diesbezüglich eher einen Kahlschlag. Auch das führt nicht
dazu, daß Ihre Gesetzesvorlagen besser werden.
({0})
So, Herr Kollege Andres.
Herr Kollege Laumann, würden Sie mir angesichts der Blumigkeit Ihrer freundlichen
Aussagen, die Sie hier machen, zustimmen, daß beispielsweise in der Rentenversicherung reale Beitragszahlungen des Bundes für Kindererziehungszeiten etwas
sind, worüber Sie, wenn Sie das in der letzten Legislaturperiode hinbekommen hätten, gejubelt hätten? Ich
erinnere an die Familienkasse des Bundesarbeitsministers. Sind Sie der Meinung, daß beispielsweise die
Regelung zum Thema Scheinselbständigkeit bzw. arbeitnehmerähnliche Selbständige „Abbruch“ ist? Darf
ich Sie daran erinnern, daß Sie hier faktisch 16 Jahre
lang im Hinblick auf die Regelung der geringfügigen
Beschäftigung nichts erreicht haben
({0})
und wir jetzt eine Regelung auf den Weg bringen, bei
der von der ersten Stunde der Tätigkeit an eine Sozialversicherungspflicht besteht? So wie ich Sie kenne, hätten Sie in den letzten vier Jahren pausenlos gejubelt,
wenn Sie das in Ihrer kaputten Koalition überhaupt hinbekommen hätten. Würden Sie mir da nicht zustimmen?
({1})
Dazu zwei Anmerkungen. Es gibt manchmal Situationen, in denen es
besser ist, nichts zu machen, als etwas Falsches zu tun.
({0})
Richtig ist, daß Sie zu den 630-Mark-Jobs einen Vorschlag gemacht haben. Ich gebe zu, daß ich die letzte
Entwicklung - Beitragspflicht von der ersten Mark an für richtig halte. Und auch ich finde, daß die Diskussion
darüber, das führe zu einer Rente von nur 3 DM, unsinnig ist. Wenn man zur Beitragsbezogenheit der Rente
steht, muß man auch mit diesen Zahlen leben.
({1})
Aber daß infolge des Gesetzes demnächst Beamte für
die Arbeitgeber von 630-Mark-Jobs 10 Prozent billiger
beschäftigt werden können als andere, finde ich eben
nicht gut.
({2})
Da ist vieles unausgegoren. Aber ich gebe zu: Dieses
Problem zu lösen ist sehr schwer.
Nun noch zu der Frage: Generell mehr Geld für das
System? Wahr ist, daß die letzte Wahlperiode unter
einem Vorzeichen gestanden hat, das uns finanziell viele
Möglichkeiten genommen hat: Wir mußten zur Einführung des Euro die Maastricht-Kriterien erfüllen. Für
vieles, was sich der eine oder andere von uns gewünscht
hätte, gab es da eben keine Spielräume, vor allem vor
dem Hintergrund der Tatsache, daß wir als einziges
Land die Maastricht-Kriterien erfüllen und gleichzeitig
die Wiedervereinigung finanzieren mußten.
({3})
In der Politik muß man eben oft abwägen. Lieber Gerd
Andres, als Mitglied einer Regierungspartei und der
Bundesregierung merkst Du jetzt, daß Kämpfe ausgetragen werden, wofür das Geld ausgegeben werden soll. Es
ist doch ganz normal, daß es in Fraktion und Regierung
diesbezüglich unterschiedliche Positionen gibt. Natürlich hätte ich mir im Bereich der Familien- und Sozialpolitik hier und da ein bißchen mehr gewünscht. Aber
ich bin davon überzeugt, daß es eine große Leistung
war, unter diesen Bedingungen und bei Erfüllung der
Maastricht-Kriterien die Standards zu halten.
Kollege Laumann, es besteht der Wunsch nach zwei weiteren Zusatzfragen.
Ja, gut.
Stimmen Sie meiner Auffassung zu, daß der Kollege Karl-Josef Laumann einer der
anständigen Diskutanten aus den Reihen der Oppositionsfraktionen ist, weil er offen und ehrlich eingesteht,
daß es nun eine Reihe von Regelungen gibt, die man
früher selbst gerne durchgesetzt hätte?
Meine Kollegen
aus der CDU/CSU sind alles ehrliche Leute; sonst wären
wir nicht in der CDU.
({0})
Aber machen wir uns doch nichts vor: Ich glaube, daß
hier im Deutschen Bundestag - egal in welcher Fraktion
- niemand sitzt, der nicht Visionen von dem hat, was
man alles machen kann. Bei wem das nicht der Fall ist,
der gehört hier eigentlich nicht mehr hin. In vielen Dingen muß man einen langen Atem haben. Es gibt Rückschläge, und einiges entwickelt sich auch positiver. Lieber Gerd Andres, ich fühle mich in dieser CDU sehr
wohl und bin putzmunter. Ich bin zur Zeit froh, daß
nicht ich das Chaos, das Sie angerichtet haben, zu verteidigen habe.
({1})
Podiumsdiskussionen mit den Kolleginnen und Kollegen
aus der SPD machen mir zur Zeit im übrigen wieder
ausgesprochen Spaß. Aber wir wollen die Zeit, in der es
großen Spaß macht, nicht zu lang werden lassen. Irgendwann wollen wir wieder einmal gestalten. Deswegen versuchen wir, gute Konzepte zu entwickeln. - Bitte
schön.
Herr Kollege
Laumann, würden Sie bestätigen, daß die Regierung im
Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages eingeräumt hat, daß die Veranschlagung von Beiträgen für
Kindererziehungszeiten in der Rente aus dem Bundeshaushalt kaum haushaltswirksam ist, weil dafür Beiträge, die bisher im allgemeinen Rentenzuschuß enthalten
waren, reduziert werden können?
({0})
Das ist wohl die
Systematik. Insofern betrifft das die Buchungstechnik.
Aber die Grundsatzentscheidung, Kindererziehungszeiten mit Beiträgen zu belegen, ist, so glaube ich, richtig.
({0})
Wenn man in die Rentenversicherung neue Leistungen
einbringt, die nicht beitragsbezogen sind, dann muß
man, wenn einem an der Stabilität der Rente liegt,
gleichzeitig die Finanzierung regeln.
({1})
Ich finde, das ist in Ordnung.
Lassen Sie mich noch zwei Anmerkungen zu der geplanten Rentenreform machen. Erstens. Ich rate dazu,
mit einer durchdachten Konzeption in die anstehende
politische Debatte zu gehen. Alles andere verunsichert
die alten und auch die jungen Leute, deren Vertrauen in
das System wir brauchen.
Zweitens. Denken Sie von der SPD und den Grünen
lange darüber nach, wie weit man es mit der Umverteilung in der Rentenversicherung treiben darf. Ich glaube, daß wir das Vertrauen in die Rentenversicherung nur
dann behalten, wenn sie ein beitrags- und leistungsbezogenes System bleibt. Die Menschen, die lange Jahre
fleißig gearbeitet und Beiträge gezahlt haben, wollen am
Ende eine leistungsadäquate Rente. Unser Gestaltungsspielraum ist hier sehr begrenzt, weil nur ein Teil der
Bevölkerung in der gesetzlichen Rentenversicherung
versichert ist.
Ich wäre sehr gespannt, wie der Beamtenapparat der
Bundesregierung und des Deutschen Bundestages reagieren würde, wenn wir solche Umverteilungen etwa in
der Beamtenversorgung vornehmen würden. Es läßt sich
gut über Umverteilung in der Rente reden, wenn die
eigene Altersversorgung nicht davon betroffen ist.
({2})
Ich halte nichts von einer Umverteilung; das sage ich
Ihnen ganz offen. Ich meine, jede Mark Beitrag muß zu
einer Rentenleistung führen.
({3})
Alles andere würde das Vertrauen vor allem der jungen
Generation in die Rentenversicherung zerstören.
Für eine bessere Absicherung der Frauen gibt es
sicherlich viele Ideen. Am meisten können wir für die
Absicherung der Frauen tun, wenn diese länger berufstätig sind und dadurch höhere Rentenansprüche erwerben. Das ist keine Umverteilung. Andere Möglichkeiten
sehe ich letzten Endes nicht.
Lassen wir das Gerede von der Armutsfestigkeit der
Rente. Von allen Rentensystemen der Welt hat das System in Deutschland die Altersarmut am besten bekämpft. Darauf können wir stolz sein.
({4})
Wenn Sie etwas für die Bekämpfung der verschämten
Altersarmut tun wollen, versuchen Sie, einen Ansatz in
der Sozialhilfe zu finden. Ich glaube, eine alte Frau geht
oft deswegen nicht zum Sozialamt, weil sie nicht möchte, daß dadurch unter Umständen ihre eigenen Kinder
für sie aufkommen müssen.
({5})
Allerdings bin ich der Meinung, daß ein gutverdienendes Kind durchaus etwas für seine Mutter tun kann. Ich
möchte nicht, daß wir uns da falsch verstehen. Wenn
man diese Hürde im Sozialrecht irgendwie überwinden
könnte, käme das auch der Rentenversicherung zugute.
Ich hoffe, daß wir über einige Punkte der Sozialpolitik vernünftig miteinander sprechen können.
Schönen Dank.
({6})
Das Wort hat
jetzt der Kollege Konrad Gilges.
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Laumann, Sie sind wie ich schon sehr
lange im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. Mich
wundert Ihr kurzes Gedächtnis, bezogen auf die Gesetzgebung. Ich kann mich erinnern, daß Sie während der
Beratungen der Rentenrechtsreform im Ausschuß, ich
glaube, annähernd 250 Änderungsanträge eingebracht haben. Frau Schwaetzer war gestern nicht in der Lage, drei
Änderungsanträge innerhalb von drei Stunden intellektuell zu verarbeiten. Wir mußten in zwei Stunden 250 Anträge verarbeiten. Wir haben das geschafft. Das zeigt doch
die Qualität sozialdemokratischer Abgeordneter.
({0})
Beim SGB III gab es mehr Änderungsanträge, als das
Gesetz Paragraphen hat. Die mußten wir bewältigen.
Das waren, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, über
300 Änderungsanträge.
Bleiben Sie also bei der Wahrheit. Das ist redlicher,
das ist glaubwürdiger. Wir versprechen: Wir werden uns
bessern. Ich hoffe, daß sich auch das Ministerium in dieser Hinsicht bessern wird. Aber so schlecht, wie Sie
während Ihrer Regierungszeit im Bereich der Gesetzgebung waren, werden wir hoffentlich nie.
({1})
Zum zweiten Punkt. Herr Laumann, ich möchte Sie
direkt ansprechen. Ich finde gut, daß Sie einiges zum
Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit
geradegerückt haben. Aber weshalb lassen Sie und Herr
Meckelburg zu, daß dieses Programm seit zwei Tagen
heruntergeredet und madig gemacht wird? Die Jugendlichen werden mit teilweise schrecklichen Argumentationen abgewertet. Kämpfen Sie doch mit uns gemeinsam
für das Programm!
({2})
Ich bin durchaus der Meinung, daß man das noch besser
machen kann, als es jetzt ist. Das zu erreichen liegt in
Ihrer Verantwortung; aber werten Sie das Programm
doch nicht ab! Sie wären froh gewesen, wenn Sie in Ihrer Regierungszeit ein solches Programm zustande gebracht hätten.
({3})
Sie haben immer gesagt, daß Sie das haben wollen. Es
ist, wenn Sie ehrlich sind, an Ihrem Koalitionspartner
gescheitert.
Stand der Entwicklung ist, daß wir zur Zeit 471 000
Jugendliche unter 25 Jahren haben, die arbeitslos sind.
Das ist eine enorme Zahl; das entspricht einer Großstadt
in der Bundesrepublik. Stellen Sie sich das einmal vor!
Hinzu kommen 50 000 bis 60 000 Jugendliche, die nicht
in der Statistik sind, weil sie Sozialhilfe beziehen. Die
Arbeitsämter sagen - Sie wissen das -, zu diesen
Jugendlichen kommen noch diejenigen hinzu, die weder
in der Arbeitslosen- noch in der Sozialhilfestatistik geführt werden. Die reale Zahl liegt wahrscheinlich bei
600 000 Jugendlichen unter 25 Jahren, die in dieser Republik ohne Arbeit sind. Dieses Problems müssen wir
uns annehmen; das ist eine der wichtigsten sozialen Fragen in dieser Republik.
({4})
Sie haben 16 Jahre lang nichts in dieser Richtung gemacht.
({5})
Wir machen etwas, und ich glaube, daß das auch erfolgreich ist.
({6})
Ich will etwas zu dem Programm sagen. Im Arbeitsamtsbezirk Köln, wo ich Mitglied des Verwaltungsausschusses bin, werden dem Arbeitsamt 25 Millionen DM
zur Verfügung gestellt. Der Arbeitsamtsdirektor und die
Mitarbeiter sagen: Endlich haben wir einmal die Möglichkeit, in relativer Autonomie etwas für diese Jugendlichen zu tun. Dazu gehört zum Beispiel - das muß man
der Wahrheit halber sagen -, daß ein Lohnkostenzuschuß an die Arbeitgeber gegeben wird. Wenn sie einen
Jugendlichen für zwei Jahre einstellen, beträgt dieser
40 Prozent; wenn sie ihn für ein Jahr einstellen,
60 Prozent.
Das Problem, Herr Laumann, ist nicht die Bildungsfrage. Ich teile Ihre Meinung, daß es in dieser Hinsicht
so katastrophal und so schlimm ist, wie Sie es dargestellt
haben. Darüber brauchen wir nicht zu streiten. Das Problem ist aber doch, daß gerade die Jugendlichen, die
schwach qualifiziert sind, keinen Arbeitsplatz finden. Es
wäre ja alles einfach zu lösen, wenn wir sagen würden,
daß Qualifikation einen Arbeitsplatz bringe. Das stimmt
aber leider nicht. Schauen Sie sich die 6 300 arbeitslosen
Jugendlichen in Köln an, und Sie werden feststellen, daß
sie deswegen schwer vermittelbar sind, weil keine Arbeitsplätze für Arbeiten vorhanden sind, die sie durchführen könnten. Selbst wenn wir sie qualifizieren würden, wäre es schwierig, sie in Arbeit zu bringen, weil die
qualifizierten Arbeitsplätze bereits überwiegend besetzt
sind. Das ist also kein Qualifizierungsproblem, sondern
ein Arbeitsplatzproblem. Dessen müssen wir uns annehmen. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir das
Problem lösen können.
Ich will noch etwas zu Herrn Fuchtel sagen, auch
wenn ich nur noch wenig Redezeit habe.
Sie wissen,
daß die Zeit an sich schon vorbei ist?
Ich will nur noch eine Bemerkung zu den Arbeitslosenzahlen machen. Herr
Fuchtel, warum manipulieren Sie eigentlich - sozusagen
an der Grenze Ihrer intellektuellen Möglichkeiten? Sie
wissen doch genauso gut wie ich, daß der Zahlenvergleich nur dann zulässig und logisch ist, wenn Sie einen
Vergleich von Jahr zu Jahr machen. Sie können die
Januarzahlen von 1998 mit den Januarzahlen von 1999
vergleichen. Es ist eine Tatsache - daran geht doch kein
Weg vorbei; das hat Ihr Parteifreund Herr Jagoda gesagt
Herr Kollege
Gilges, bitte.
- daß die Januarzahlen 1999
bedeutend niedriger als die Januarzahlen 1998 sind.
({0})
Sie können mit uns darüber streiten, wessen Erfolg das
ist. Dahinter stünde noch eine Logik. Aber daß Sie jetzt
Horrorzahlen nennen, das gibt keinen politischen Hintergrund! Kommen Sie auf den Boden der Tatsachen zurück!
({1})
Dann sind Sie ein ernster Diskussionspartner in der
Auseinandersetzung. Lassen Sie Ihre billige und überflüssige Polemik!
({2})
Eine Kurzintervention des Kollegen Laumann.
Herr Kollege
Gilges, Sie haben eben gesagt, wir hätten im Bereich der
überbetrieblichen Ausbildung und der Programme für
Jugendliche nichts getan. Ich stelle jetzt noch einmal
fest: In den letzten Jahren der alten Bundesregierung
sind Jahr für Jahr 300 000 junge Menschen in solchen
oder ähnlichen Maßnahmen ausgebildet worden. Die
Maßnahme „Arbeiten und Lernen“, ausbildungsbegleitende Maßnahmen, der Ausbau eines flächendeckenden
Netzes der Berufsförderungswerke für die, die besonders
benachteiligt sind, fallen alle in die Jahre, in denen Norbert Blüm für diesen Bereich Verantwortung getragen
hat. Da kann man nun wirklich nicht sagen, daß in diesem Bereich nichts getan worden sei.
Weil wir in Ostdeutschland keine mittelständische
Wirtschaftsstruktur hatten, ist nach der Wiedervereinigung die große Last der Ausbildung voll über die
öffentlichen Hände organisiert worden. Es ging in der
Situation 1991/92 doch gar nicht anders. Ich glaube, wir
sollten so redlich miteinander umgehen, daß wir uns in
dieser Frage nicht gegenseitig das Engagement absprechen.
Daß Sie in der Sozialpolitik, lieber Konrad Gilges, all
diese Probleme haben, die sich in der viermonatigen Regierungstätigkeit und der Art, wie Sie Gesetzgebung
machen, zeigen, liegt in Wahrheit an folgendem: daß Sie
einen Bundeskanzler haben, der keine Richtlinienkompetenz in Richtung Fachpolitik ausübt, indem er das Ziel
vorgibt und sagt, jetzt macht mal, sondern der immer
dann, wenn eine Einzelentscheidung etwas unpopulär
sein kann, diese Entscheidung an sich reißt und in der
Öffentlichkeit korrigiert.
({0})
Der Bundeskanzler hat Ihnen die Regelung, daß die
630-DM-Arbeitsverhältnisse nicht steuerpflichtig werden dürfen, aufs Auge gedrückt. Sie haben sie doch gar
nicht gewollt. Der Bundeskanzler hat den Arbeitsminister, nachdem er die Frage der Nettolohnbezogenheit
und seine Sorge, wie das Familienurteil in der Rente
finanziert wird, mit ihm diskutiert hat, einen Tag später
vor laufenden Fernsehkameras in Bayern in dieser Frage
in Grund und Boden gestampft. So kann man natürlich
keine Sozialpolitik machen.
({1})
Sie brauchen einen Kanzler, der nach dem Grundgesetz eine Richtlinienkompetenz hat. Aber Sie brauchen
einen Arbeitsminister, wie wir ihn hatten, mit Rückgrat,
der die Dinge dann auch gegenüber dem Bundeskanzleramt so durchsetzt, wie es notwendig ist.
({2})
Herr Kollege
Gilges.
({0})
Herr Kollege Laumann, ich
finde es ganz amüsant, daß Sie sich um unsere Probleme
bemühen.
({0})
Ich kann mich nur auf Ihre Probleme beziehen. Wir
haben Ihnen auch immer gute Ratschläge gegeben. Wir
haben immer gesagt: Herr Blüm, setzen Sie sich mal gegenüber der F.D.P. durch! Herr Blüm, setzen Sie sich
mal gegenüber Kohl durch! Herr Blüm, setzen Sie sich
mal gegenüber dem Wirtschaftsminister durch! Das haben wir immer gesagt, und was ist geblieben? - Nichts.
Er hat sich nie durchgesetzt.
({1})
Das ist die Erbschaft, die wir jetzt zu tragen haben. Wir
werden diese Erbschaft ja abbauen.
Zur Regelung von 630-DM-Arbeitsverhältnissen:
Herr Laumann, wir werden nächste Woche noch einmal
ausführlich darauf zurückkommen und darüber diskutieren. Ich will Ihnen und uns zugestehen - ich sage das in
aller Redlichkeit -, daß dieses Problem außerordentlich
schwierig zu lösen war und daß es überhaupt nicht so
einfach ist, wie sich das manch einer gedacht hat, der
außerhalb dieses Parlaments Verantwortung trägt oder
Politik macht - bei Gewerkschaften, auf Arbeitgeberseite, bei Frauenverbänden usw.
({2})
Da wir am 27. September die Wahl gewonnen haben,
haben wir natürlich überlegt: Wie können wir das Problem konkret lösen?
({3})
Es gab bestimmte Aspekte, die im Lösungprozeß zu berücksichtigen waren.
({4})
- Jetzt hören Sie doch einmal zu. Ich will das einmal
ganz sachlich beantworten, Herr Kollege.
Ich finde, bei den vielen Vorschlägen und Komponenten ist der Gesetzesvorschlag, den wir jetzt in zweiter
und dritter Lesung einbringen,
({5})
die beste der Lösungen, die in Frage kamen. Davon bin
ich fest überzeugt. Sie werden mich von dieser Lösung
nicht abbringen,
({6})
weil mir nicht, wie der F.D.P., die Frau des Generaldirektors im Sinn ist, die nebenbei bei der Nachbarin noch
putzen geht. Vielmehr sind mir die 700 000 Reinigungsfrauen im Sinn. Mir sind die mehr als 1 Million Frauen
im Einzelhandel im Sinn, die für weniger als 630 DM
arbeiten müssen. Mir sind die Arbeitnehmer im Sinn, die
in den Wirtschaftsbereichen arbeiten müssen, in denen
das Einkommen nicht so gewaltig ist; dies sind immerhin 3 Millionen. Wenn wir deren rechtliche und soziale
Stellung verbessern, dann ist das eine große soziale Leistung. Da kann die Generaldirektorfrau ruhig eine Mark
mitnehmen.
({7})
Das ist eine große soziale Leistung. Das werden wir zustande bringen.
Zuletzt noch etwas zu der Frage -
Nein, Herr
Kollege Gilges, man darf nur drei Minuten antworten.
Es war ja auch ein schöner Schlußpunkt.
({0})
Gut.
Weitere
Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich liegen
nicht vor. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/394 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Das
Wort hat zunächst der Herr Minister Franz Müntefering.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Der Haushalt für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen hat im wesentlichen zwei
Zielen zu genügen, nämlich einmal dem Ziel, daß wir unsere Städte vernünftig weiterentwickeln, daß wir menschenwürdige Wohnungsbedingungen in Deutschland haben und daß wir die Mobilität im Lande sichern, das
heißt, daß wir eine vernünftige Verkehrspolitik machen.
Er hat zum zweiten dem Ziel zu genügen, daß wir mit
diesen Politikbereichen Beschäftigung sichern helfen.
Dabei müssen wir von einer Finanzsituation ausgehen, die für den Investitionsbereich nicht gerade leicht
ist. Wir müssen uns trennen von dem Haushalt Waigelscher Zeit, der im wesentlichen am Modell von Wunsch
und Wolke orientiert war. Es sind in den vergangenen
Jahren viele Illusionen aufgebaut worden. Da wurde mit
fiktiven Mehreinnahmen und mit fiktiven Minderausgaben gerechnet. An dem Grundsatz von Wahrheit und
Klarheit ging das weit vorbei.
Das hat sich bis hin zu massiven Vorfinanzierungen
aus dem privaten Bereich entwickelt. 27 solcher Projekte sind begonnen. Wir werden sie nicht unterbrechen,
sondern zu Ende führen. Aber die Konsequenz ist, daß
wir in den nächsten Jahren aus diesen alten Vorfinanzierungen immer mehr Lasten haben, die wir über unseren
Haushalt finanzieren müssen.
({0})
Das wird im Jahre 2001 eine halbe Milliarde DM und
mehr sein, die im Haushalt für Arbeiten steht, die vor
drei oder fünf Jahren gemacht worden sind. Weil das so
ist, sagen wir bei diesem Haushalt ganz vorneweg: Es
geht um Wahrheit und Klarheit, was die finanzielle
Situation, was die Ausgangslage angeht.
({1})
Der Bundesverkehrswegeplan, der auf das Jahr 2012
ausgerichtet ist, weist eine dramatische Unterfinanzierung auf. Den vielen, die noch mit Illusionen im Lande
unterwegs sind, und auch den vielen, die mir Briefe
schreiben - dazu gehören auch einige von Ihnen -, die
immer mit einem freundlichen Glückwunsch beginnen
und dann in etwa lauten: „Im übrigen gibt es da noch
eine Straße oder eine Ortsumgehung; nun mach doch
mal bitte“, muß ich sagen: Sie leben in großen Illusionen. Die fröhliche Spatenstichmentalität der letzten Jahre in Ehren. Viele Dinge sind begonnen, die Finanzierung aber ist nicht klar. Es fehlen uns bis zum Jahre
2012, wenn wir das, was im Bundesverkehrswegeplan
steht, in dieser Zeit realisieren wollten, auf der Basis
dessen, was in den Haushalten steht, etwa 80 bis 90
Milliarden DM.
All denen, die jetzt von mir erwarten, daß ich als Sozialdemokrat an der Spitze des Ministeriums bitte schön
das tue, was vorher nicht möglich war, muß ich sagen:
Wir werden neu gewichten müssen. Dabei kommt das
Stichwort „Bundesverkehrswegeplan“ ins Spiel.
Ich will zunächst sagen: Wir wissen, daß wir vor allen Dingen aufpassen müssen, wie wir mit dem, was wir
an Geld zur Verfügung haben, Arbeitsplätze in diesem
Land schaffen und sichern. Das Thema hat hier eben
schon eine große Rolle gespielt.
({2})
Das Geld, das investiv im Wohnungsbau - im Wohnungsbestand in ganz besonderer Weise - und auch im
Verkehrsbereich eingesetzt wird, multipliziert sich
durch Gelder aus anderen öffentlichen Kassen und da,
wo es um den Wohnungsbau geht, zu einem erheblichen Teil auch durch Gelder aus dem privaten Bereich.
Das heißt, alles Geld, das wir einsetzen, schafft Arbeitsplätze.
Deshalb ist der Investitionsanteil dieses Einzelplans
gegen die Linie des allgemeinen Haushalts noch einmal
um 1,7 Prozent auf 25,7 Milliarden DM erhöht worden.
Damit beträgt der Investitionsanteil an dem Haushalt,
den ich zu vertreten habe, 53 Prozent. Das ist übrigens
für kleine und mittlere Unternehmen ganz wichtig,
wichtiger als all die großen Geschichten, die Sie immer
von dem erzählen, was man für die kleinen und mittleren Unternehmen tun könne und tun müsse. Unsere zielgenauen Investitionen im Bau- und im Verkehrsbereich
sind für kleine und mittlere Unternehmen, für Bauindustrie und Bauhandwerk unendlich wichtig. Deswegen
verfolgen wir diese Linie so, wie ich sie hier beschrieben habe.
({3})
Das ist im übrigen auch eine Voraussetzung dafür,
daß beim Aufbau Ost die Priorität, die wir versprochen
haben, auch für die nächsten Jahre gewährleistet bleibt.
({4})
Zum Wohnungsbau: Das Thema Familie hat heute
schon eine große Rolle gespielt. Wir haben da ein Urteil
zu realisieren, das uns das oberste Gericht aufgegeben
hat. Wir wissen aber auch, daß menschenwürdiges, bedarfsgerechtes Wohnen für Familien mit Kindern mindestens so wichtig wie das bare Geld ist. Daher werden
wir auch in den kommenden Jahren menschenwürdiges
Wohnen unter dem Gesichtspunkt der Familienpolitik
ganz vorne an stellen
({5})
und dafür sorgen, daß die Familien mit Kindern in
Wohnsituationen leben können, die ihren Bedürfnissen
gerecht werden.
Eigenverantwortung ist viele Male vorgekommen;
ganz besonders bei Rednern von der schmalen Bank.
Eigenverantwortung ist gut. Auch beim Wohnen sind
die Menschen zunächst einmal dafür zuständig, in
Eigenverantwortung dafür zu sorgen, daß sie so leben
können, wie sie wollen. Wenn man aber die nötigen
Rahmenbedingungen dafür nicht setzt, wenn man der
Familie mit Kindern, deren Einkommen sich im unteren
Bereich bewegt, sagt, sie solle zusehen, wie sie in
Eigenverantwortung klarkommt, dann entlarvt sich dieses Reden als Zynismus. Hier ist der Staat gefragt, hier
müssen wir in der Gemeinschaft dafür sorgen, daß die
Wohnsituation für Familien mit Kindern bedarfsgerecht
gestaltet wird. Deshalb bleibt der soziale Wohnungsbau
auch für die kommenden Jahre einer der entscheidenden
Punkte unserer Wohnungspolitik.
({6})
Wir ergänzen ihn um die soziale Stadt. In einem
Startprogramm werden in diesem Jahr 100 Millionen
DM für solche Stadtbereiche zur Verfügung stehen, die
in ganz besonderer Weise in Gefahr sind, abzusinken.
Dem wollen wir uns entgegenstellen.
Wir führen die Städtebauförderung und den sozialen
Wohnungsbau weiter. Den sozialen Wohnungsbau werden wir im Laufe des Jahres stärker auf Bestand und
Eigentum orientieren. Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau müssen stärker als bisher für die Schaffung
von Eigentum eingesetzt werden. Mieterprivatisierung
ergibt in Verknüpfung mit der Sicherung des Bestandes
eine vernünftige Linie.
Wir haben die KfW-Mittel, die Modernisierungsprogrammittel für Ostdeutschland, noch einmal verlängert.
Wir werden in den nächsten Monaten - das wird hier
dann heftig diskutiert werden; dessen bin ich mir ganz
sicher - die Novelle des Wohngeldgesetzes einbringen
und dafür sorgen, daß im Jahr 2000 das Wohngeld novelliert sein wird und insbesondere Familien zugute
kommen wird.
Ein paar Worte zum Bereich Verkehr: Die Mobilität
- dem haben wir uns in unserer Koalitionsvereinbarung
gestellt - ist eine wichtige Grundlage für das Gelingen
der Wohlstandsgesellschaft. Deshalb werden wir dafür
sorgen, daß diese Mobilität garantiert bleibt. Allerdings
müssen wir dazu die Verkehrspolitik, die bisher gemacht
worden ist, an einigen Stellen umstellen. Wir müssen
neue Wege finden, um die Mobilität zu sichern.
Dazu gehört die Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplans. Die vorbereitenden Arbeiten dafür haben begonnen. Ich habe im zuständigen Ausschuß schon
vor einigen Wochen angekündigt, daß ich ihm im April
mitteilen werde, auf welcher Zeitschiene und mit welchen Phasen wir die Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplanes organisieren werden.
Dabei spielt eine integrale Verkehrspolitik eine wichtige Rolle. Deshalb haben wir in diesem Haushalt
60 Millionen DM für den kombinierten Verkehr vorgesehen. Diese Mittel können auch von privaten Initiativen in Anspruch genommen werden und sind auch für
den Bereich der Wasserstraßen gedacht. Die Wasserstraßen, von denen wir in Deutschland viel mehr haben,
als man gemeinhin annimmt, bieten neben der Schiene
die große Chance, Güter von der Straße wegzubekommen und damit die Straße zu entlasten.
Die Straße - ich sage es an vielen Stellen und auch
hier - ist der Verkehrsträger Nummer eins, das Auto ist
das Verkehrsmittel Nummer eins. Das wird auch so
bleiben. Das ist auch gut so. Dazu stehe ich auch. Aber
wenn wir dies so sehen, müssen wir dafür sorgen, daß
ein Teil der Güter, die auf die Straße strömen - das sind
immer mehr -, von der Straße wegbleiben und auf die
Schiene oder aufs Wasser kommen.
({7})
Wir fahren uns sonst den Stau selbst an den Hals, und
das kann es nicht sein. Deshalb müssen wir in aller Massivität helfen, daß die Schiene neue Attraktivität gewinnt.
({8})
Die Weichen bei der Schiene sind gestellt, darauf
können Sie sich verlassen. Wir werden dafür sorgen, daß
die Güter schneller transportiert werden, und wir werden
dafür sorgen, daß die Schiene auch im europäischen
Raum ihrer Schlüsselfunktion entsprechend neuen Rükkenwind bekommt. Die Bahn ist das internationalste
und vernünftigste Verkehrsinstrument, das wir in Europa
haben. Deshalb müssen wir eine europäische Eisenbahn
bekommen. Die Wege dahin sind schwer, ich weiß, aber
wir werden die Schritte gehen. Das wird einer unserer
Hauptansätze in der Zeit unserer Präsidentschaft in
Europa sein.
({9})
Der Bahn ist nun viel vor die Tür gekippt worden,
was Sicherheit und was Pünktlichkeit angeht. Natürlich
ist jeder Unfall, der stattfindet, schlimm, und wir hatten
im letzten Jahr dramatische. Ich will sie nicht verkleinern. Über die Botschaft von gestern, daß die Zahl der
Verkehrstoten im Straßenverkehr abnimmt, haben wir
uns gefreut. Es gab im letzten Jahr aber immer noch
7 700 Tote auf der Straße. Es ist schlecht, Tote gegen
Tote aufzurechnen. Ich mache aber darauf aufmerksam:
Die Sicherheit ist auf der Schiene, nach gefahrenen
Kilometern gerechnet, im Verhältnis 1 : 9 besser als auf
der Straße. Das ist immer noch so. Der Unfall der Bundesbahn mit zwei Toten in der letzten Woche landet
abends in der Tagesschau und auf der Seite 1 der Zeitungen, die Verkehrstoten landen auf den lokalen Seiten.
({10})
Die Sicherheit der Schiene gegenüber dem Flugzeug
fällt im Verhältnis 1 : 3 immer noch zugunsten der
Schiene aus. Was die Pünktlichkeit angeht, so haben wir
im letzten Jahr immer über die 10 Prozent unpünktlicher
Züge gesprochen. Wenn wir einmal die Stauminuten bei
der Straße zusammenzählen, sieht die Schiene auch in
dieser Hinsicht nicht schlecht aus.
({11})
Meine Bitte an dieses Hohe Haus ist ganz einfach.
Wir müssen helfen, daß in dieser Gesellschaft wieder
folgendes begriffen wird. Zwar ist die Eisenbahn, die
DB AG, ein großes Unternehmen in einer schwierigen
Phase, wohl wahr, aber wir müssen dazu beitragen, daß
sie nicht für alles haftbar gemacht wird, was in der Gesellschaft an Problemen gerade entsteht. Wir müssen die
Eisenbahn flott machen. Sie ist ein zentrales Instrument
in der Verkehrspolitik unseres Landes.
({12})
Wir setzen auch deshalb 100 Millionen DM für Lärmschutz an den Schienen ein. Das wird ein Anfang sein,
es wird vieles nachkommen müssen.
Beim Luftverkehr haben wir uns vorgenommen
- das schlägt sich nicht im Haushalt nieder -, im Verlauf
des Jahres daran zu arbeiten, ein Flughafenkonzept in
Abstimmung mit den Ländern zu erarbeiten. Wir müssen, auch was Flughäfen angeht, international leistungsfähig bleiben. Wir dürfen da nicht nachlassen, sonst
werden wir sehen, daß uns die europäischen Länder rund
um uns herum etwas vormachen, was wir in Deutschland verpaßt haben.
({13})
Viele sprechen von einem dezentralen Flughafenkonzept. Das ist gut und richtig, aber das heißt: im Verbund
arbeiten. Dezentral heißt nicht, daß jeder einzelne für
sich als Single und auf eigene Rechnung arbeitet. Ein
leistungsfähiger Flugverkehr gehört also auch zu unserem Konzept.
Zum Transrapid. Damit keine Mißverständnisse entstehen: Ich arbeite unverändert daran, und ich bin willens und entschlossen, den Transrapid Berlin - Hamburg
möglich zu machen.
({14})
Ich bin fest davon überzeugt, daß dieses Projekt möglich
und finanzierbar sein wird.
Beim Thema Telematik werden wir den informellen
Rat, der im April in Dortmund stattfindet, in ganz besonderer Weise ausrichten. Dieses Thema führt jetzt
über meine Zeit hinaus. Aber ich bin mir bewußt, daß
wir, wenn wir das Verkehrssystem modernisieren wollen, die Chancen der Satellitennavigation, der Telematik,
der technischen Kommunikation für unseren Bestand
besser nutzen müssen. Diese Dinge helfen, den Verkehr
am Objekt und im System besser zu steuern.
Die Verkehrspolitik, meine Damen und Herren, ist
ein großer Tanker. Wir haben das Steuerrad fest in der
Hand, und wir werden zielgerichtet dafür sorgen, daß
keine Brüche entstehen. Wir wollen das aufnehmen, was
gut war, und es weiterentwickeln, aber auch neue Akzente setzen. Wir werden dafür sorgen, daß finanzielle
Solidität neu entsteht und daß die Mobilität in diesem
Lande gesichert bleibt.
Was den Wohnungsbau und den Städtebau angeht, so
gibt es viele Verknüpfungen. Je länger ich in diesem
Amt bin, um so deutlicher wird mir der Zusammenhang
zwischen vernünftiger Stadtentwicklung und regionaler Entwicklung und der Verkehrspolitik. Deshalb werden die Städte und Regionen, so hoffe ich - von mir jedenfalls ist dies gewollt -, für uns gute Partner sein.
Dieser Aufgabenbereich, Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, hat vielleicht in noch stärkerem Maße als
viele andere Bereiche der Bundespolitik einen unmittelbaren Bezug zu dem, was in den Städten und Regionen
passiert. Ich will gerne dazu beitragen, daß hier eine
gute und intensive Zusammenarbeit stattfindet. Fachpolitiken, wie wir sie hier diskutieren, dürfen nicht nur
vertikal wirken. Sie müssen auch auf der jeweiligen
Ebene organisiert werden, und dazu brauchen wir eine
gute Zusammenarbeit mit denen, die in den Städten und
Regionen Verantwortung tragen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({15})
Ich gebe der Kollegin Hannelore Rönsch von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Herr
Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Und
plötzlich ist alles anders: Während die Kollegen aus der
SPD-Fraktion, die für den Wohnungsbau zuständig
sind, noch in den Haushaltsberatungen 1998 1,5 bis
2,3 Milliarden DM mehr Mittel - das war immer unterschiedlich - für den Haushaltsansatz gefordert haben,
hört man heute nichts mehr davon. Diese Herren sind
jetzt in der Regierungsverantwortung, und keiner ihrer
alten Anträge wird wiederbelebt. Im Gegenteil: Der jetzige Ansatz des Wohnungsbauetats bleibt hinter dem
Waigelschen Ansatz weit zurück.
Die Steigerungen gegenüber dem Soll von 1998 beruhen allein auf den gesetzlichen Automatismen bei der
Wohnungsbauprämie und dem Wohngeld. Und von
einer Steigerung des Investitionsanteils beim Wohnungsbau kann absolut keine Rede sein, Herr Minister.
Die Investitionsquote ist sogar von 49,8 Prozent auf
47 Prozent zurückgefahren worden. Auch die Investitionen bleiben also um 180 Millionen DM unter dem Waigelschen Ansatz.
Nun kommt die Koalitionsvereinbarung zur „sozialen
Stadt“. Sie haben heute das erste Mal ein paar Worte
darüber verloren, was man darunter verstehen darf, und
haben gleichzeitig gesagt, daß Sie im sozialen Wohnungsbau bleiben wollen. Sie haben aber nicht gesagt,
daß Sie die Mittel für das Programm „soziale Stadt“ aus
dem Haushaltsansatz für den sozialen Wohnungsbau
herausschneiden wollen. Sie gehen hier an die Substanz
der Mieter und wissen genau - denn Sie haben dies früher als Opposition immer deutlich gemacht -, daß, wenn
man hier in den sozialen Wohnungsbau einschneidet,
der Bestand der Wohnungen zurückgeht, und dies zu
Lasten der Mieter.
({0})
- Entschuldigung, lieber Herr Kollege, das haben doch
die Kollegen aus Ihrer Fraktion im Ausschuß immer
wieder vorgetragen. Aber darauf komme ich gleich.
Als wir zum Beispiel 1,4 Milliarden DM für den sozialen Wohnungsbau im Haushalt verankert hatten, sagte
seinerzeit Herr Kollege Großmann, jetzt Staatssekretär
im Ministerium, das sei ein kärglicher Rest. Schauen Sie
sich einmal Ihren Haushalt an! Jetzt liegt der Ansatz nur
noch bei 1,1 Milliarden DM. Wie würden Sie das denn
bezeichnen?
({1})
Kommen wir noch einmal zum Wohngeld. Wir
hatten letzten Monat schon Gelegenheit, darüber zu
diskutieren. Grünrot hatte in der Vergangenheit gefordert, den Wohngeldansatz um 1,5 Milliarden DM zu
erhöhen. Das ist ja eine stolze Summe. Bauminister
Oswald legte eine Novellierung mit 250 Millionen DM
allein für den Bund vor. Aber das war Ihnen nicht genug. - Jetzt geht der Wohnungsbauminister in die
Chefgespräche zu seinem Finanzminister und fordert
vollmundig 750 Millionen DM für den Bund; der Rest
soll von den Ländern kommen. Mit was kommt er wieder? Momentan noch mit nichts. Er ist voll auf dem
Bauch gelandet; er ist abgebügelt worden. Jetzt ist dies
also wieder offen.
Wir haben eine Ankündigung des SPD-Pressesprechers gehört, daß zunächst Gespräche mit den SPDregierten Ländern geführt werden sollen. So geht man
mit der Opposition um! Wir wollten seinerzeit selbstverständlich mit allen Bundesländern Gespräche führen.
Aber machen Sie nur so weiter!
Eines aber werden wir nicht durchgehen lassen. Wir
haben zwar nicht die Mehrheit, sagen es aber sehr lautstark: Wenn Sie an den Vorkostenabzug bei der Eigenheimzulage gehen und damit die Familien bestrafen, die
Eigentum bilden wollen, dann werden wir mobil machen. Wir werden dies nicht zulassen.
({2})
Aber dies wird offensichtlich angedacht, und mit dem
Steuerentlastungsgesetz und der Ökosteuer belasten Sie
noch einmal die Mieter und setzen den sozialen Wohnungsbau aufs Spiel.
Im Verkehrsetat sieht es auch nicht viel besser aus.
Hier liegen der prozentuale Investitionsanteil insgesamt
sowie speziell die Investitionen für die Bundesfernstraßen und den Schienenverkehr unter denen unseres Entwurfs. Sollen ÖPNV und Deutsche Bahn AG mit einem
vollen Ökosteuersatz belastet werden? Oder sind diese
Verkehrszweige vielleicht doch zum produzierenden
Gewerbe zu zählen, und ist ihnen damit eine 20prozentige Reduzierung dieses Satzes zu gewähren? - Momentan wissen wir nicht so richtig, wohin die Reise
geht.
Es wurden 70 Anträge im Ausschuß beraten. Das
muß man sich einmal vorstellen: Es wird ein Gesetzentwurf vorgelegt, und gleichzeitig legen diejenigen, die
diesen Entwurf gebastelt haben, 70 Änderungsanträge
vor. Das ist „learning by doing“.
({3})
Wenn Sie schon keine Erhöhung der Investitionsmittel vorgesehen haben, so haben Sie wenigstens Ihre Personalausgaben aufgestockt, obwohl Sie bei den Haushaltsberatungen 1998 die Stelle eines Parlamentarischen
Staatssekretärs doch streichen wollten. Ich frage mich
jetzt, was die Damen und Herren Staatssekretäre tun.
Bei der Ausschußberatung über den Wohnungsbauhaushalt am Mittwoch war überhaupt niemand von der Regierung anwesend. Sie haben doch jetzt genügend
Staatssekretäre. Schicken Sie doch dann wenigstens
einen zu den Ausschußberatungen!
Wir haben gerade gehört, daß Ihnen die Einsicht gekommen ist, daß Straße und Schiene gleiche Prioritäten
haben. Wir freuen uns darüber. Von den Grünen kam an
dieser Stelle ebenso wie beim Transrapid nur ein leichtes „Buh“. Früher waren die Reaktionen der Grünen
heftiger. Um Nadelstreifen tragen zu dürfen, läßt man
sich jetzt am Nasenring hier durch das Parlament führen
und protestiert nicht einmal mehr. Dazu muß ich sagen:
So haben die Grünen ihre Rolle in dieser Koalition
komplett verfehlt.
({4})
Unsere geplanten Haushaltsansätze für den Transrapid sind zwar voll übernommen worden. Aber Sie,
Herr Minister, haben auch gesagt, daß jeder Tag Verzögerung uns sehr viel Geld koste. Es ist Ihre Aufgabe,
hier sehr schnell zu entscheiden. Entscheiden Sie, damit dieser Verkehrsträger endlich verwirklicht werden
kann!
Sie haben eine Straßenbenutzungsgebühr ab dem
Jahr 2001 gefordert. Hier fordern wir Sie auf: Sehen Sie
zu, daß die Mittel, die dadurch eingenommen werden,
tatsächlich dem Verkehrsetat zugute kommen. Es kann
nicht sein, daß Sie diese Mittel nachher für das Stopfen
all der Haushaltslöcher, die Sie aufreißen,
({5})
verwenden wollen.
Sie haben in der Vergangenheit eine ganze Reihe unsolider Anträge gestellt. Wir sind Ihnen eigentlich dankbar, daß Sie diese nicht wieder aufgegriffen haben. Aber
das zeigt natürlich gleichzeitig, daß diese Anträge nicht
durchgerechnet und damit unberechenbar waren. Lassen
Sie all diese alten Anträge fallen! Sie haben damals
nichts getaugt, und sie würden auch heute nichts taugen.
In dem zusammengebastelten Superministerium von
Herrn Müntefering werden nur noch alte Maßnahmen
- Sie haben eben von „alten Spatenstichen“ gesprochen abgewickelt. Um Neues gestalten zu können, hat Ihnen,
Herr Minister, der Finanzminister an keiner Stelle die
notwendigen Finanzen gegeben. Seien Sie dankbar, daß
Sie noch Mittel für alte Maßnahmen im Haushalt haben.
({6})
Die Leidtragenden dieser Haushaltspolitik sind die
Mieter, die Häuslebauer, die Verkehrsteilnehmer und die
Bauindustrie. Der Minister ist abgetaucht bzw. wurde
vom Finanzminister abgebügelt.
Zwar ist er abgetaucht, aber zweimal ist er richtig
aufgetaucht. Zum einen wollte er den Senioren ab
65 Jahren den Führerschein entziehen.
({7})
Sie haben von Mobilität gesprochen. Sie sollten wissen,
daß gerade ältere Menschen die Mobilität des Autos
dringend brauchen. Sie sollten Achtung vor der Lebensleistung der Menschen haben, die 65 Jahre sind und
dieses Land mit aufgebaut haben.
({8})
Wenn der Minister solche abenteuerlichen Forderungen
aufstellt und wenn den älteren Menschen, die durch die
ganze Rentendiskussion, die wir vorher geführt haben,
schon ausgesprochen verunsichert sind, auch noch die
Mobilität des Autos genommen werden soll, dann muß
man hier im Bundestag schon ein Wort darüber verlieren.
({9})
Herr Minister, ich habe mich im „Kürschner“ einmal
über Ihren Jahrgang informiert. Sie werden in sechs Jahren auch 65 sein. Wir können Ihnen versichern: In sechs
Jahren steht Ihnen kein Fahrer mehr zur Verfügung. Also seien Sie mit solchen Forderungen vorsichtig.
({10})
Aufgetaucht ist der Minister zum anderen in der Fastnachtszeit, als davon gesprochen wurde, die Promillegrenze auf 0,5 zu senken.
({11})
Hannelore Rönsch ({12})
Man sollte ganz einfach einmal aus dem Statistischen
Bundesamt die Zahlen über alkoholbedingte Verkehrsunfälle abfragen. Das Statistische Bundesamt liegt in
meiner Heimatstadt Wiesbaden. Fahren Sie dort einmal
hin, oder rufen Sie dort einmal an! Sie werden sehen,
daß sich diese Zahlen in den vergangenen Jahren erheblich gesenkt haben. Wir sind gegen jegliche weitere
Drangsalierung und Regulierung der Autofahrer.
({13})
Herr Minister, gestatten Sie mir zum Abschluß noch
eine persönliche Anmerkung. - Es wäre schön, wenn Sie
mir zuhörten. - Wir sind uns neulich in einem etwas
mehr privaten Rahmen, bei der großen Fastnachtsfernsehsitzung, begegnet. Da war das Kabinett mit Ministern
und Staatssekretären in einer wesentlich stärkeren Anzahl als neulich bei der Rede des Finanzministers im
Plenum vertreten.
({14})
Bei dieser Fastnachtsfernsehsitzung wurde der Altbundeskanzler Helmut Kohl mit Standing ovations vom
Publikum geehrt. Auch Sie hatten nach einigen Momenten des Zögerns doch die Größe, aufzustehen, wie es
der ganze Saal getan hat. Dafür möchte ich Ihnen danken, weil ich ganz einfach meine, dies gehört sich so.
Ihre Kollegen, die Minister und Staatssekretäre, hatten
diese Größe nicht. Diese persönliche Anmerkung wollte
ich von hier aus machen.
Ich glaube schon, daß dieser Altbundeskanzler durch
seine Lebensleistung auch den Respekt Ihrer Kollegen,
Minister und Staatssekretäre, verdient gehabt hätte, wie
er sich im Aufstehen ausdrückt.
({15})
Das Wort hat die
Kollegin Iris Gleicke von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird wieder Politik in diesem
Land gemacht. Es wird nichts mehr ausgesessen, es wird
nichts mehr auf die lange Bank geschoben, es wird nicht
mehr abgewartet - es wird gehandelt. Es wird gehandelt
beim Wohnungs- und Städtebau und in der Verkehrspolitik. Das kann all denjenigen nicht gefallen, die in
den letzten 16 Jahren den Karren so oft an die Wand gefahren haben, bis kein Rad mehr rund war und sich in
diesen Bereichen überhaupt nichts mehr bewegte.
Ihre unglaubliche und maßlose Schuldenpolitik ist
daran schuld, daß für uns die Haushaltsspielräume eng
geworden sind. Ihre Politik hat zum Schluß nur noch aus
Versprechungen bestanden.
({0})
Ich weiß nicht mehr, wie oft der damalige Bauminister
Herr Töpfer von dieser Stelle aus hoch und heilig mit
treuherzigem Augenaufschlag die gesamtdeutsche
Wohngeldnovelle versprochen hat. Geschehen ist
nichts, aber auch gar nichts.
Jetzt empören Sie sich scheinheilig darüber, daß wir
uns die Zeit für eine echte und sauber finanzierte Novelle nehmen. Frau Rönsch hat gesagt, der Minister sei
abgebügelt worden. In einer Pressemitteilung hat sie von
einem Prügelknaben des Finanzministers gesprochen.
({1})
Ich will dazu zwei Bemerkungen machen.
Erstens. Ich kann und will nicht ausschließen, daß es
im Kabinett Kohl Prügelknaben und Prügelmädchen gegeben hat. Vielleicht hat man das da gebraucht. Sie wissen das besser; denn Sie waren einmal Ministerin im
Kabinett Kohl/Waigel.
Zweitens. Es gehört schon eine bemerkenswerte
Dreistigkeit und Frechheit dazu, wenn Frau Rönsch nach
16 Jahren christlich-liberaler Chaoswirtschaft von heute
auf morgen von Franz Müntefering das einfordert, was
seine Vorgänger immer nur angekündigt und nie eingelöst haben.
({2})
Ich kann Sie, Frau Kollegin Rönsch, beruhigen: Wir
werden in den nächsten Wochen eine Wohngeldnovelle
vorlegen, in der unter anderem strukturelle Verbesserungen des Tabellenwohngeldes für Haushalte mit Kindern vorgesehen sind. Mit dieser Novelle werden wir
eine Angleichung der unterschiedlichen Wohngeldregelungen Ost und West vornehmen, und wir werden das
Ungleichgewicht zwischen pauschaliertem und Tabellenwohngeld aufheben. Das hat meine Fraktion am vergangenen Montag beschlossen. Wir stehen nämlich zu
unseren Wahlaussagen. Wir machen das, was Sie immer
nur versprochen haben.
({3})
Frau Kollegin
Gleicke, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Ostrowski?
Ja, sicher.
Frau Gleicke, Sie hatten gerade von der Wohngeldnovelle und davon gesprochen, daß Sie das Ungleichgewicht zwischen dem Tabellenwohngeld und dem pauschalierten Wohngeld aufheben wollen. Könnten Sie konkreter beschreiben, was
geplant ist? In einer Presseerklärung der „AG Bauen und
Wohnen“ haben Sie sich zum Beispiel gegen eine Verschiebung zuungunsten der Sozialhilfeempfänger, also
der Empfänger von pauschaliertem Wohngeld, ausgesprochen. Ich wäre daran interessiert zu erfahren, was
Sie konkret vorhaben.
Hannelore Rönsch ({0})
Frau Kollegin Ostrowski, wir
haben keinerlei Vorarbeiten vorliegen, weil die vormalige Regierungskoalition immer nur Versprechen gemacht hat.
({0})
Wir haben im Moment keinerlei Erhebungen vorliegen.
Wir sind dabei, das genau durchzurechnen. Ich bitte Sie,
dafür Verständnis zu haben, daß wir uns erst an Hand
eines konkreten Vorschlages im Ausschuß und dann hier
im Parlament darüber unterhalten können, wie wir das
Instrument Wohngeld, zum Beispiel für Familien mit
Kindern - gerade auch nach dem Karlsruher Urteil -,
wieder zielgenauer einsetzen können. Dann müssen wir
auch über das pauschalierte Wohngeld reden. Ich
möchte aber jetzt hier der Debatte um die Berechnung
noch nicht vorgreifen. Ich bitte Sie um Verständnis, daß
wir das zu gegebener Zeit im Ausschuß miteinander machen werden.
({1})
Wir wissen, daß Wohnungspolitik Familienpolitik ist
und sehr viel mit Gerechtigkeit zu tun hat. Wohnungspolitik heißt nicht, wie es bei der F.D.P. der Fall ist, sinkende Mietpreise im Bereich der Luxuswohnungen zu
bejubeln, die sich ohnehin nur wenige leisten können.
({2})
Das hat wenig mit Wohnungspolitik zu tun, wenn man
sich nur einseitig auf die Eigenheimförderung kapriziert.
Es wäre völlig falsch, den verständlichen Wunsch vieler
Bürgerinnen und Bürger nach den eigenen vier Wänden
in eine einseitige Politik ummünzen zu wollen.
Frau Kollegin
Gleicke, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Sicher.
Frau Kollegin, ich verstehe, daß Sie noch keine Auskunft zur
Struktur der Wohngeldreform machen können. Aber
könnten Sie hier bitte bestätigen, daß sich das Volumen
des Wohngeldes künftig mindestens in der vorgegebenen Größenordnung von 1,5 Milliarden DM bewegen
wird?
({0})
Wir haben ja verschiedene Aussagen dazu, welches Volumen eine Wohngeldnovelle
hätte.
({0})
Bei der Erhebung, Herr Kollege, die Herr Töpfer damals
gemacht hat, ging es ja wohl um Beträge in der Größenordnung von 1,8 bis irgendwo über 2 Milliarden DM.
Der Mieterbund spricht von 1,5 Milliarden DM. Sicherlich hat das auch etwas damit zu tun, was man konkret
machen will, wie man die Tabellen ausgestaltet usw.
Wir werden das ordentlich durchrechnen. Wir legen hier
eine solide Sache vor, nicht irgendeine Luftnummer.
Wir wissen, daß es sich irgendwo in dieser Größenordnung bewegen muß. Wir können es aber im Moment
nicht auf den Pfennig genau sagen. Das ist hier wohl
auch nicht notwendig.
({1})
- Meine sehr geehrten Kollegen von der F.D.P., Sie haben es in Ihrer Koalition in den letzten zehn Jahren nicht
geschafft, irgend etwas für das Wohngeld zu tun. Jetzt
reden wir über den Haushalt 1999. Lassen Sie uns, die
wir seit vier Monaten im Amt sind, unsere Arbeit solider
und vernünftiger machen als Sie.
({2})
Wir werden es Ihnen vorlegen, und dann können wir
konkret über die Dinge diskutieren, die anstehen.
({3})
- Schreien Sie hier nicht so herum! Sie haben in den
letzten zehn Jahren überhaupt nichts zustande gebracht.
({4})
Wir bekennen uns mit unserem Haushalt zum einen
ganz klar und eindeutig zur Förderung des Wohneigentums auf hohem Niveau und zum anderen zu unserer
Verantwortung gegenüber den Mieterinnen und Mietern.
Ob man im eigenen Haus lebt oder in einer Mietwohnung - Wohnen ist ein sehr großes Stück Lebensqualität.
Das werden diejenigen wahrscheinlich niemals begreifen, die eine Wohnung immer nur als Immobilie und
sichere Geldanlage ansehen.
Menschen leiden aber auch darunter, wenn sie miterleben müssen, daß das eigene vertraute Lebensumfeld
auf den Hund kommt. Das kann verschiedene Ursachen
haben. Es kann zum Beispiel an mangelnder Integration
von Minderheiten liegen, das kann an strukturellen oder
wirtschaftlichen Problemen liegen oder auch an allgemeiner Armut der Bewohner. Jeder Wohnungspolitiker
weiß, was ich damit meine. Auch hier wird gehandelt.
Unter dem Titel „Die soziale Stadt“ startet die Bundesregierung ein neues Programm zur Förderung von
Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf. Wir
kümmern uns nämlich um die Probleme der kleinen
Leute, weil wir sie sehr ernst nehmen. Das unterscheidet
uns von Ihnen.
Im Zusammenhang mit wahltaktischen Auseinandersetzungen instrumentalisieren Sie Probleme, die Sie
maßgeblich mit verursacht haben. Sie machen in unverantwortlicher Weise auf der Straße Stimmung gegen
Minderheiten. An den Problemen ändern Sie damit aber
nichts. Darum geht es Ihnen auch nicht. Sie verkaufen
christliche Prinzipien für das Linsengericht eines kurzfristigen Erfolgs. Das ist pure Heuchelei, unappetitlich
und geschmacklos.
({5})
Es ist gut, daß wir für den Ausbau der öffentlichen
Infrastruktur 1,5 Milliarden DM mehr zur Verfügung
stellen. Wir wissen genau, daß jede Mark für Investitionen im Haushalt Arbeitsplätze sichert. Zum Beispiel im
Bundesfernstraßenbau sind es baubedingt 12 500 Arbeitsplätze und betriebsbedingt bis zu 3 500 Arbeitsplätze. Das gilt ganz besonders für die mittelständische
Wirtschaft. Es ist gut, daß bei Bauaufträgen des Bundes
auch der Mittelstand angemessen, in der Regel bis zu
50 Prozent, berücksichtigt wird.
({6})
Diese Politik ist wichtig für die Bauwirtschaft, vor allen
Dingen für die ostdeutsche Bauwirtschaft, die in einer
schweren Krise steckt; denn wir meinen, daß die Bauwirtschaft ein Konjunkturmotor ist.
Mit diesem Haushalt bekennen wir uns nachdrücklich
zu einer Politik, die die Massenarbeitslosigkeit bekämpft
und beseitigt. Wir bekennen uns nachdrücklich zum
Ausbau und zur Modernisierung der Infrastruktur. Wir
bekennen uns ebenso klar und eindeutig zur Priorität für
den Aufbau Ost und zu den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“.
Ich finde es unmöglich, daß die CDU im Osten derzeit Stimmung macht und die Menschen verunsichert,
indem sie versucht, Zweifel an unserer Zuverlässigkeit
zu schüren.
({7})
Das verunsichert nicht nur die Bürgerinnen und Bürger,
sondern schreckt auch Investoren ab, was zu einem
Verlust von Arbeitsplätzen führen kann.
({8})
Angesichts Ihrer miesen Spielchen sage ich: Hören
Sie mit Ihrer Politik auf der Straße auf und kehren Sie zu
einer verantwortungsvollen Oppositionspolitik in diesem
Hause zurück!
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({9})
Ich gebe der Kollegin Rönsch das Wort zu einer Kurzintervention.
Frau
Kollegin Gleicke, Ihre Wortwahl veranlaßt mich zu dieser Kurzintervention. Ich bitte Sie, uns einmal deutlich
zu sagen, wie die Wohngeldnovelle von Ihnen angelegt
ist. Es gibt von Ihnen alte Forderungen in Höhe von
1,5 Milliarden DM. Sind diese Forderungen seinerzeit
nicht sauber gegengerechnet worden? Hat man diese
Zahl einfach ins Blaue fabuliert? Die Forderungen von
damals, die sicherlich nicht einfach aus der Luft gegriffen sind, könnten doch jetzt die Basis sein, auf der Sie
aufbauen können.
Ferner möchte ich Sie darum bitten, etwas zu dem
Termin des Inkrafttretens der Wohngeldnovelle zu sagen.
Der Minister hat als Termin nicht mehr den 1. Januar
2000 genannt, sondern er hat vom Jahr 2000 gesprochen. Ich bitte Sie, Frau Kollegin Gleicke, uns zu sagen,
wann das Gesetz in Kraft treten soll: am 1. Januar 2000
oder im Verlauf des Jahres 2000, zum Beispiel im Dezember 2000.
Zur Erwiderung auf
die Kurzintervention gebe ich der Kollegin Gleicke das
Wort.
Frau Kollegin Rönsch, es ist
wirklich unverschämt,
({0})
daß Sie heute versuchen, dieses Thema auf eine solche
Art und Weise hochzuspielen. Sie hatten zehn Jahre
Zeit, selbst Vorschläge zu machen.
({1})
Sie haben nichts, aber auch gar nichts getan. Außer Ankündigungen haben Sie nichts zustande gebracht.
Wir diskutieren heute über den Haushalt 1999. Ich
sage Ihnen als Parlamentarierin: Wenn wir eine Wohngeldnovelle vorlegen, werden wir die Opposition angemessen beteiligen. Wir werden Ihnen die Kosten, die
Gegenfinanzierung für die Ausgaben der Länder und
den Termin für das Inkrafttreten nennen. Dann werden
wir im Ausschuß ausführlich darüber beraten. Sie sind
herzlich eingeladen, dann konstruktive Vorschläge zu
machen. Aber verlangen Sie von uns nicht, das, was Sie
in zehn Jahren nicht geschafft haben, in vier Monaten zu
machen. Wir haben schon soviel erreicht, aber das haben
wir nun doch noch nicht hinbekommen. Das räumen wir
gerne ein.
({2})
Das Wort hat der
Kollege Horst Friedrich von der F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Bevor
ich mit der Rede zum Haushaltsplan 12 beginne, muß
ich auf Frau Kollegin Gleicke eingehen. Das ist schon
ein tolles Stück, Frau Gleicke! Sie sollten sich vielleicht
einmal an dem Wettbewerb „Dümmster Ausspruch des
Jahres“ beteiligen.
({0})
Da stellt sich die Vertreterin der SPD hier hin, zu einem
Zeitpunkt, in dem die von ihrer Fraktion mitgetragene
Regierung noch nicht einmal in der Lage ist, den Geschäftsleuten in Deutschland zu sagen - nachdem fast
ein Viertel des Jahres vorbei ist -, auf welcher steuergesetzlichen Grundlage sie ihre Geschäftsbilanz erstellen
sollen, und behauptet - weil wir von der Opposition
sagen, das sei schlimm -, wir würden die Investoren
abschrecken. Das ist wirklich ein starkes Stück!
({1})
Das Ganze wird dann noch durch die abenteuerliche
Behandlung der Ökosteuer unterfüttert. Man kann es
schon gar nicht mehr hören! Am 9. Februar wird der
Ausschuß für Verkehr und Wohnungsbau zu einer Sondersitzung eingeladen, um sein mitberatendes Votum
abzugeben. Am selben Tag erfahren wir staunenderweise, daß der Finanzausschuß am nächsten Tag eine
Anhörung zu diesem Thema angesetzt hat. Wir beraten
also über einen Gesetzestext, den wir noch gar nicht
kennen. Nun hat der Finanzausschuß nach der Anhörung, in der der Entwurf verrissen worden ist, festgestellt, daß man, obwohl die Beratung schon abgeschlossen war, damit rechnen müsse, daß es noch Nachbesserungen geben werde.
({2})
Und dann werfen Sie uns vor, wir würden für Unsicherheit bei den Investoren sorgen. Ich glaube, Frau Gleicke,
da sollten Sie noch einmal überlegen.
({3})
Wir beraten heute den uns Bau- und Verkehrspolitikern vorliegenden Haushalt der neuen Regierung, der
gleichzeitig der erste Haushalt des neuen Ministeriums
und seines Ministers, Franz Müntefering, ist.
Herr Kollege Friedrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Maaß?
Ja.
Ich habe eine ganz einfache Frage, Herr Kollege Friedrich. Ich möchte von
Ihnen gerne einmal wissen: Wann stellen die Unternehmen ihre Bilanzen auf: am Jahresende oder am Jahresanfang? Wissen die denn schon am Jahresanfang, wie hoch
die Gewinne am Ende des Jahres sein werden?
({0})
Ihre Argumentation kann ich nicht verstehen. Die haben
Sie im Ausschuß schon einmal gebracht.
Herr Maaß,
diese Frage zeugt von großer Kenntnis der Steuergesetzgebung und der Investitionsentscheidungen. Wenn Sie
rückwirkend zum 1. Januar 1999 Steuergesetze ändern,
die Unternehmen aber bereits seit 1. Januar entscheiden,
schaffen Sie damit Unsicherheit und erreichen, daß
nichts entschieden wird. Aber das haben Sie - Entschuldigung - noch nie begriffen.
({0})
Die F.D.P. hat den Entwurf des Haushaltes mit großer
Spannung erwartet. Schließlich waren die Ankündigungen der Grünen, der SPD und auch des Ministers Müntefering riesengroß.
Wenn man sich nun einmal die Zahlen des Einzelplans 12 anschaut, kann man sagen, sehr verehrter Herr
Bundesminister: Ihr Haushalt ist eine große Enttäuschung. Wenn das nur mich alleine betreffen würde,
könnte ich den Ärger noch einigermaßen ertragen; Sie
wahrscheinlich auch. Das Problem aber ist: Sie tragen
Verantwortung für die deutsche Verkehrs- und Baupolitik, für eine leistungsfähige Infrastruktur, die die
Grundlage der Wirtschaftsentwicklung in Deutschland
ist, für lebenswerte Städte und für ein ausreichendes Wohnungsangebot. Daran müssen Sie sich messen
lassen, Herr Minister. Ich fürchte, Sie werden Ihrer Verantwortung hier nicht gerecht. Denn Sie machen in
Ihrem Haushalt nicht vieles anders als die alte Regierung, das aber dann in hohen Potenzen schlechter als
wir.
Von Ihrem Haushalt, der der größte Investitionshaushalt des Bundes ist, gehen keine Impulse für die Zukunft
aus. Alle Ihre Ankündigungen vor der Wahl sind wie
Seifenblasen zerplatzt.
({1})
Die versprochene Wohngelderhöhung, die vor der Wahl
so einfach aussah, jedenfalls, wenn man der SPD glauben wollte, kommt nicht - zumindest nicht 1999. Die
Investitionen in die Verkehrswege sinken auf breiter
Front, im übrigen auch im Bereich der Schiene, auch
wenn jetzt, wie Phönix aus der Asche, die 2 Milliarden DM Eigenanteil der Bahn - dafür sind wir immer
kritisiert worden - auf einmal doch als Investitionsanteil
gerechnet werden, auch von den Grünen.
Ihre wenigen politischen Akzente im Wohnungsbau,
die Sie tatsächlich punktuell setzen, müssen Sie durch
Umschichtungen im Etat finanzieren und reißen damit
an anderer Stelle entsprechende Löcher auf.
Herr Müntefering, dieser Haushalt unterstreicht tatsächlich den Eindruck, daß Sie zu den Verlierern im
Kabinett Schröder gehören. Wenn man die Regierungserklärung des Schlingerkanzlers Schröder auf die Stichworte „Wohnungsbau“ und „Verkehr“ durchforstet, wird
klar, warum: Verkehrs- und Baupolitik finden mit und in
dieser Bundesregierung offensichtlich nicht statt. Ihr
Kollege Lafontaine bedient sich hemmungslos in Ihrem
Horst Friedrich ({2})
Geschäftsbereich. Ich gehe davon aus, Herr Minister:
Die Überschrift in der „Wirtschaftswoche“ - „Minister
in der Klemme“ - trifft jetzt erst recht auf Sie zu, obwohl sie vom November stammt. Schon die Einschnitte,
die das sogenannte Steuerentlastungsgesetz für den
Wohnungsbau und die Verkehrswirtschaft bringt, sowie
die Verteuerung der „zweiten Miete“, der Transportkosten und des öffentlichen Personennahverkehrs durch
die sogenannte Ökosteuer haben diese Vermutung geweckt.
Nun hat die SPD die vor der Wahl angedrohte große
grüne Verkehrswende weitgehend platt gemacht. Die
Kollegen sind da in einer Art und Weise flächendeckend
umgefallen, daß selbst wir, die wir nach Meinung vieler
in diesen Dingen erprobt sind, das nicht hinbekommen
würden. Sie haben das Gesetz der Schwerkraft außer
Kraft gesetzt; Sie fallen in dieser Frage so schnell um,
daß Sie gar nicht mehr aufstehen. Deswegen können Sie
natürlich auch nur in Hühneraugenhöhe verhandeln.
({3})
Das ist eines Ihrer Probleme. Daraus wird allerdings
keine schlüssige und schon gar keine auf die Zukunft gerichtete Politik. Ich will versuchen, das an einigen Beispielen zu erklären.
Sie haben angekündigt, den Bundesverkehrswegeplan zu überprüfen. Bis jetzt ist nicht klar, nach welchen
Kriterien überprüft werden soll: ob der gesamte Verkehrswegeplan auf den Prüfstand kommt oder ob nur
Teile verändert werden. Was ist das Ergebnis? - Stillstand von Neubaumaßnahmen.
({4})
Sie haben in der Bauwirtschaft große Verunsicherung
geschaffen.
({5})
Niemand weiß konkret, wie es weitergehen soll, und die
ersten Firmen müssen bereits Mitarbeiter entlassen.
({6})
Ich erlaube mir an dieser Stelle nur den Hinweis, daß
1 Milliarde DM Bauinvestitionen immerhin das Schicksal von 15 000 Arbeitsplätzen beeinflußt.
({7})
Die notwendige Novelle zum Regionalisierungsgesetz steht auf Grund des Wibera-Gutachtens immer noch
aus. Auch mit dieser Nichtentscheidung wird die Unsicherheit im Schienenpersonennahverkehr zu Lasten der
Deutschen Bahn AG verstetigt. Kein Bundesland weiß
definitiv, ob es - und wenn ja, zu welchen Bedingungen langfristige Verträge eingehen kann. Konsequenz: Es
wird nicht entschieden.
Es ist ganz offensichtlich, daß die öffentlichen Haushalte nicht in der Lage sind, eine für den Standort
Deutschland vernünftige und leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur zeitgerecht zu finanzieren. Es ist daher nach wie vor notwendig, neue und unkonventionelle
Überlegungen dahin gehend anzustellen, privates Kapital besser als derzeit in die Finanzierung des Infrastrukturausbaus einzubringen.
({8})
Die F.D.P. fordert Sie, Herr Minister, auf, unverzüglich
eine Kommission zur Prüfung der besseren Einbindung
privaten Kapitals in die Verkehrsinfrastrukturfinanzierung ins Leben zu rufen, um den Sachverstand und die
Angebote, die es in Deutschland gibt, zu nutzen.
Der Investitionsanteil für Bundesfernstraßen in Ihrem
Entwurf 1999 sinkt auf unter 10 Milliarden DM. Sie reduzieren außerdem die Aufwendungen für die Unterhaltung von Fernstraßen weiter - ganz zu schweigen davon, daß Sie, Herr Minister, mit Ihrem Entwurf in keiner
Weise dem Beschluß der Verkehrsministerkonferenz
vom November 1997 in Hannover Rechnung tragen, in
dem gefordert wurde, die Investitionen im Straßenbaubereich um 4 Milliarden DM zu erhöhen. An der
Spitze derer, die diese Forderung erhoben, standen die
Verkehrsminister von Niedersachsen, NordrheinWestfalen und Schleswig-Holstein. Der Beschluß wurde
im übrigen einstimmig gefaßt.
Es ist zu erwarten, daß durch diese Politik im Jahre
1999 kein sehr umfangreicher Neubau von Straßen und
im Jahre 2000 überhaupt kein Neubau erfolgen wird.
Diese Tatsache verschärft im übrigen die mit der EUOsterweiterung einhergehende Verkehrssteigerung, weil
die Ost-West-Verbindungen offensichtlich nicht leistungsfähig genug sind, das Verkehrsaufkommen zu
bewältigen.
Mit der Privatisierung scheinen Sie, Herr Müntefering, offensichtlich Probleme zu haben. Das überrascht
insofern, als es dem Haushalt 1999 gut getan hat, daß
Privatisierungserlöse in Höhe von 10 Milliarden DM,
die noch durch die alte Koalition geschaffen worden
sind, zur Verfügung standen, um die gröbsten Löcher zu
stopfen. Daß die Privatisierung kein Teufelszeug ist, haben die Erfolge bei der Flugsicherung oder der Lufthansa hinlänglich bewiesen.
({9})
Auf eine für den Standort Deutschland entscheidende
Frage, nämlich auf den zeit- und bedarfsgerechten Ausbau der Flughafeninfrastruktur, geben Sie im vorliegenden Haushalt ebenfalls keine Antwort. Allerdings versuchen Sie mit Nebenschauplätzen Eindruck zu schinden.
Ihr Vorschlag, den Senioren eine regelmäßige Überprüfung ihrer Fahrtauglichkeit aufs Auge zu drücken,
dürfte als größter Flop in die Geschichte des Ministers
Müntefering eingehen. Auch Ihr jetziger Versuch einer
weiteren Verschärfung der Promillegrenze muß zumindest mit Skepsis betrachtet werden. Anstatt dafür zu
sorgen, daß die neuen Regelungen erst einmal vor Ort
Horst Friedrich ({10})
umgesetzt werden und daß entsprechende Atemwegsalkoholanalysen und Polizeikontrollen stattfinden, versuchen Sie erneut, über eine Änderung der Promillegrenze Eindruck zu machen. Es bleibt dabei - das sind
Fakten -: Die Mehrzahl der alkoholbedingten Unfälle im
Straßenverkehr findet jenseits der Grenze der absoluten
Fahruntüchtigkeit statt. Die Spezies der fahrenden Trinker können Sie doch nicht mit einer Diskussion über die
Höhe der Promillegrenze aus dem Straßenverkehr entfernen, sondern damit, daß man sie regelmäßig kontrolliert - und dann auch erwischt.
Zum Wohnungsbau möchte ich kurz folgendes feststellen: Es ist uns immerhin gelungen - unter Federführung von Irmgard Schwaetzer -,
({11})
eine Politik zu betreiben - es wundert mich nicht, daß
Sie das ärgert -, auf Grund der in Deutschland in jeder
Minute eine Wohnung fertiggestellt worden ist.
({12})
Wir haben mittlerweile in den alten und neuen Bundesländern flächendeckend Leerstände. Die Mieten sinken
auf breiter Front. Die Wohnungssuche ist deutlich einfacher geworden. Das ist das Ergebnis der Politik der alten
Regierung, die von uns wesentlich mit beeinflußt worden ist.
({13})
Mit der im Steuerentlastungsgesetz vorgesehenen Streichung des Vorkostenabzugs, mit steuerlichen Erschwernissen und mit der Verlängerung der Spekulationsfristen
beim Aktien- und Immobilienverkauf legen Sie die
Grundlage für neue Probleme.
({14})
Zusammenfassend will ich sagen: Der Haushalt 1999
des Bundesministers für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen gibt die falschen Antworten auf die drängenden
Fragen der Infrastrukturentwicklung in Deutschland. Die
Zielvorgaben werden klar verfehlt. Man kann es auch
viel einfacher sagen: Die neue Regierung versucht alles
in ihrer Kraft Stehende zu tun. Genau das, liebe Freunde, ist unser Problem.
Ich danke Ihnen.
({15})
Das Wort hat der
Abgeordnete Albert Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um überhaupt erst einmal so etwas wie eine seriöse Haushaltsplanung im Einzelplan
12 zustande zu bringen, mußte die Bundesregierung zunächst einmal die Luftbuchungen und Finanzierungstricks der alten Regierung beseitigen.
({0})
Ich möchte Ihnen dafür zwei konkrete Beispiele nennen: Ich weise zum einen auf die Einnahmen aus der sogenannten EU-Vignette, also auf die Gebühr für den
Schwerverkehr auf unseren Straßen, hin. Der ehemalige
Finanzminister Waigel ging in seinem Haushaltsentwurf
mit einer Unverfrorenheit sondergleichen von Einnahmen in Höhe von 1,5 Milliarden DM aus, obwohl er genau wußte, daß er allenfalls die Hälfte dieser Einnahmen
erzielen würde. Das hätte man sich vorher sehr schön
ausrechnen können. Das heißt, wir mußten erst einmal
geschönte Einnahmen in Höhe von 750 Millionen DM
korrigieren.
({1})
Damit noch nicht genug: Um ihre Finanznot zu verschleiern, hat die alte Bundesregierung zum anderen
über Jahre hinweg zu einem neuen Finanzierungsinstrument - Herr Friedrich hat es heute wieder als unkonventionelle Methode bezeichnet - gegriffen, nämlich zur
sogenannten privaten Vorfinanzierung.
({2})
Was heißt das denn? Das, Kollege Friedrich, heißt eben
nicht, daß privates Geld eingesetzt wird, sondern das
heißt, daß privates Geld nur zur Vorfinanzierung verwendet wird und daß nachher Mark für Mark und Pfennig für Pfennig aus den öffentlichen Haushalten zurückgezahlt werden müssen. Jedes Kind weiß, daß eine Ratenzahlung über die Jahre hinweg das Ganze teurer und
nicht billiger macht.
({3})
Dies ist, Herr Kollege Friedrich, genau der Grund, warum der Bundesrechnungshof diese Methode immer als
unverantwortlich kritisiert und gesagt hat, damit werde
ein Finanzierungsproblem in die Zukunft verschoben
und gleichzeitig zu Lasten kommender Generationen
verschärft. Damit hat diese Bundesregierung Schluß
gemacht, und das ist richtig so.
({4})
Herr Kollege
Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Friedrich? - Bitte schön.
Herr Kollege
Schmidt, bevor Sie sich noch weiter aufregen: Sind Sie
bereit, mir zuzugestehen, daß ich die Konzessionsmodelle nie als Privatfinanzierung bezeichnet habe?
Wenn ich von Privatfinanzierung rede, meine ich - das
steht auch in meinem Manuskript - tatsächlich Privatfinanzierung. Vielleicht sollten wir uns auf dieser Basis
weiter verständigen. Sie können ein wenig Luft ablassen, und wir sind wieder auf der gleichen Diskussionsebene.
Horst Friedrich ({0})
Kollege Friedrich, ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Klarstellung. Ich hätte mich auch gewundert, wenn Sie Ihre Position in dieser Frage geändert
hätten. Es freut mich, daß Sie sagen: Echte Privatfinanzierung wäre allenfalls die nach dem sogenannten Konzessionsmodell,
({0})
nach dem hinterher an der Mautstelle kassiert wird. Nur,
lieber Kollege - so frage ich Sie zurück -, wie erklären
Sie es sich, daß bei keinem einzigen Verkehrsprojekt in
Deutschland ein privater Investor von dieser Finanzierungsmöglichkeit Gebrauch gemacht hat, obwohl dies
seit Jahren gesetzlich möglich ist? Er weiß, daß es sich
nicht rechnet. Das ist offensichtlich kein zukunftsfähiges
Modell. Die gesetzliche Möglichkeit besteht, aber sie ist
nirgends realisiert worden. Das sind Luftschlösser, die
Sie da bauen; die helfen uns keinen Schritt weiter.
({1})
Gestatten Sie eine
weitere Zwischenfrage?
Das muß ich jetzt natürlich; denn ich habe
ihn ja gefragt. Sonst wäre das unfair.
Sehr verehrter
Herr Kollege Schmidt, Sie sind ja sonst immer gut informiert. Aber darf ich Ihre Aufmerksamkeit vielleicht
darauf lenken, daß die Stadt Lübeck überlegt, einen
Tunnel nach den Vorschriften des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes, nach genau dieser Methode, zu
bauen und daß es in Rostock zumindest einen entsprechenden Vertrag gibt? Ob der abgewickelt werden kann,
ist ein anderes Thema. Aber zur Versachlichung der
Diskussion sollte man vielleicht darauf hinweisen, daß
es tatsächlich Projekte gibt, die auf Grund dieses Gesetzes angefangen werden.
Herr Kollege Friedrich, Sie haben in Ihrer
Frage schon die Antwort gegeben. Das Wort „überlegt“
war das entscheidende. Über Jahre ist an vielen Orten,
auch in Lübeck, überlegt worden; vollzogen worden ist
gar nichts. Nirgendwo in Deutschland gibt es bisher eine
privat finanzierte Strecke, für die nach dem Konzessionsmodell nachher kassiert wird. Es wäre auch der
falsche Weg. Denn Verkehrsinfrastruktur herzustellen
ist Aufgabe der öffentlichen Hand. Diesen Grundsatz
halten wir aus Gründen der Gemeinwohlverantwortung
auch für angemessen.
({0})
Nun aber zurück zum Bundeshaushalt. Allein durch
die Korrektur der geschönten Bilanzen der bisherigen
Bundesregierung sind Einnahmeverluste von mehr als
750 Millionen DM entstanden. Daß es trotzdem gelungen ist, die Investitionen - entgegen dem zuvor Behaupteten - um 1,7 Prozent auf eine Investitionsquote
von 53,3 Prozent anzuheben, ist ein Kraftakt, der angesichts des allgemeinen Konsolidierungszwanges, den
wir ausdrücklich für richtig halten, äußerst beachtlich
und, wie mehrfach gesagt worden ist, von entscheidender Bedeutung für Arbeitsplätze ist.
({1})
Die Bundesregierung hat aber noch weitere überfällige haushaltssystematische Korrekturen vorgenommen,
die der Haushaltsklarheit und -wahrheit dienen - auch
dies nur stichwortartig -:
Die Schuldendienste für das sogenannte Bundeseisenbahnvermögen - was ja nichts anderes ist als ein
riesiger Topf von Altschulden - wurden jetzt dort eingestellt, wo sie hingehören, nämlich in den Einzelplan 32
und nicht in den Einzelplan 12.
({2})
Damit machen wir deutlich: Das sind keine Ausgaben
für heutige Verkehrsleistungen, sondern Schuldendienste, und somit unterliegen sie der allgemeinen Verwaltung der Bundesschulden.
Systematisch richtig war auch die Verlagerung jener
100 Millionen DM für Eisenbahnkreuzungen, die bisher
aus dem Schienenetat bezahlt wurden. Damit wurden
Brückenbauwerke bezahlt, also Straßen, die über Schienen gebaut wurden. Das ist Straßenbau. Deswegen wird
dieser Betrag jetzt im Straßenbau etatisiert. Ebenso werden Investitionen für den kombinierten Ladungsverkehr
in Höhe von 45 Millionen DM jetzt im Straßenbau statt
im Schienenbautitel etatisiert.
Dies alles zusammengenommen bedeutet: Da das
Volumen des Schienenbautitels nominal trotzdem
gleichbleibt - obwohl eine ganz andere Haushaltssystematik gewählt wurde -, steigt es, nach alter Haushaltssystematik gerechnet, real um etwa 150 Millionen DM
an. Dies ist aus unserer Sicht zwar nur ein bescheidener
und noch unzureichender, aber dennoch ein erster
Schritt in Richtung hin zu einer - was auch im Koalitionsvertrag vereinbart ist - schrittweisen Angleichung
der Investmittel für Straße und Schiene. Es ist ein Weg
beschritten worden, dessen Ende noch nicht erreicht ist.
Deswegen müssen weitere Schritte in dieser Richtung
folgen.
({3})
Hinzu kommt - das möchte ich positiv anmerken -,
daß zinslose Darlehen für den Schienenbau nunmehr
eine viel geringere Rolle spielen als früher. Es werden
nämlich 875 Millionen DM mehr Baukostenzuschüsse
gegeben. Das heißt im Klartext, daß bei der privatisierten Bahn keine neue Darlehensschuld und damit keine
neue Rückzahlungspflicht entsteht. Dies ist für Fernverkehrsprojekte von entscheidender Bedeutung. Ich wünsche mir, daß wir auch im Nahverkehr ähnlich verfahren.
Es wurden zudem - das ist schon angesprochen worden - erstmals 100 Millionen DM für die Sanierung von
besonders verlärmten Strecken eingestellt, zumindest für
Härtefälle. Dies ist ein Einstieg, den wir immer gefordert haben und daher begrüßen.
Gestatten Sie mir noch ein Wort zum Unternehmen
Deutsche Bahn AG. Es ist in einer schwierigen Situation, die vom Minister zu Recht beschrieben worden ist.
({4})
- Ich spreche hier grundsätzlich als Abgeordneter, das
wissen Sie genau. Hören Sie zu, Herr Kollege Friedrich!
- Ich glaube, wir alle teilen die Sorge um die wirtschaftliche Zukunft des Bundesunternehmens Deutsche Bahn
AG. Ich möchte daher kritisch anmerken: Im sogenannten Eckpunktepapier zum Transrapid von April 1997
wurde vereinbart, daß das Risiko für auftretende Verluste beim Betrieb allein von der Deutschen Bahn AG geschultert wird. Die garantierten Nutzungsentgelte bekommt die Industrie, die variablen Nutzungsentgelte erhält die Deutsche Bahn AG. Wir müssen uns sehr genau
überlegen, ob wir diesem Unternehmen zumuten dürfen,
ein solches Risiko zu tragen. Unterschrieben hat damals
Matthias Wissmann - der ist nicht mehr im Amt. Unterschrieben hat damals Heinz Dürr - der ist nicht mehr im
Amt.
({5})
Ich gebe zu bedenken, ob es richtig ist, 1 : 1 zu vollziehen, was damals festgelegt worden ist.
Trotzdem, lieber Kollege Friedrich, stehen wir zu
dem, was in der Koalitionsvereinbarung festgehalten
worden ist. Dort heißt es ganz klar: Bei der Herstellung
des Fahrweges hat sich der Bund in die Verantwortung
nehmen lassen. - Das ist unterschrieben; das gilt. Aber
es ist gedeckelt auf 6,1 Milliarden DM. Nun möchte ich
sehen - da bin ich ganz gelassen, Herr Kollege Friedrich -,
wer die 2 Milliarden DM, die noch fehlen, auf den Tisch
legt. Die Kosten sind explodiert; das ist allgemein bekannt. Ich weiß nicht, wer das leisten soll. Insofern bin
ich, was die Zukunft dieses Projektes anbetrifft, sehr
gelassen. Ich glaube, es gäbe auch gute Alternativen.
({6})
- Das ist an anderer Stelle schon x-mal diskutiert worden. Lassen Sie uns das jetzt nicht vertiefen.
Zum Thema Ökosteuer: Sie nennen sie auch gern die
sogenannte Ökosteuer. Auch hier gab es eine große Diskussion: Ist es fair, ist es richtig, die öffentlichen Verkehrsbetriebe, die kommunalen wie die Bahn, mit einer
Ökosteuer zu belasten? Konterkariert das nicht den gewünschten ökologischen Lenkungseffekt? Wir haben
dazu immer gesagt: Es schadet öffentlichen Verkehrsbetrieben überhaupt nicht, wenn sie über eine Energiesteuer, zum Beispiel über eine Stromsteuer, einen Anreiz
erhalten, Energie sparsam und effektiv einzusetzen.
({7})
Was wir nicht wollten, war eine Überlastung durch extreme Steuersätze bzw. durch einen vollen Steuersatz,
der den Lenkungseffekt tatsächlich in Frage gestellt
hätte. Deshalb bin ich sehr froh, daß es in letzter Minute
gelungen ist, für die öffentlichen Verkehrsbetriebe den
halben Stromsteuersatz zu vereinbaren. Das ist genau
der richtige Weg.
({8})
Wer nun allerdings meint - das konzediere ich gerne -,
daß eine Ökosteuer in der Größenordnung von 6 Pfennigen auf den Liter Mineralöl schon einen großen Lenkungseffekt produzieren wird, der sieht sich natürlich
getäuscht. Daß das der Fall ist, hat auch niemand behauptet. Entscheidend ist die Nachhaltigkeit des Vorgehens. Die Investoren wie die Verbraucherinnen und
Verbraucher wissen: Jetzt spielt die Musik andersherum.
Jetzt werden die Energiekosten schrittweise steigen und
gleichzeitig die Lohnnebenkosten sinken, das heißt, die
Nettolöhne steigen. Das ist das entscheidende Signal,
das langfristig den Lenkungseffekt produzieren wird.
({9})
Herr Kollege
Schmidt, zur Vorbereitung ihrer nachfolgenden Rede
möchte Frau Ostrowski gerne eine Frage stellen.
({0})
Das ist sehr liebenswürdig, Herr Präsident.
Herr Schmidt, Sie haben gerade ausgeführt, daß Sie schon immer wollten,
daß die Bahn nicht unter einer Ökosteuer leidet. Ich
möchte Sie fragen: Sind Sie nicht auch der Meinung,
daß der Glücksfall, daß die Bahn immerhin nur einen
ermäßigten Steuersatz zahlen muß, mehr dem Druck
denn Ihrer Einsicht geschuldet ist? Was halten Sie davon, daß die öffentlichen Verkehrsunternehmen, Straßenbahnen usw. nach wie vor den vollen Steuersatz
zahlen müssen?
Frau Kollegin Ostrowski, ich glaube, es
liegt ein Mißverständnis vor. Den halbierten Stromsteuersatz zahlt der gesamte schienengebundene öffentliche
Verkehr: von der Eisenbahn - Fernverkehrszug, Nahverkehrszug, Regionalzug - über U-Bahn und S-Bahn
bis zur Straßenbahn. Alles, was auf der Schiene fährt
Albert Schmidt ({0})
und Strom abnimmt - also auch die kommunalen Verkehrsbetriebe -, profitiert von der Ermäßigung, die die
Wettbewerbsposition der öffentlichen Verkehrsträger im
Vergleich zum Straßenverkehr, der mit 6 Pfennig pro
Liter belastet wird, erheblich verbessert.
({1})
Das ist der entscheidende Punkt, den wir erreichen
wollten. Wir haben ihn erreicht, und das ist gut so.
({2})
- Sie können sich melden und eine Frage stellen. Dann
antworte ich Ihnen sehr gerne, aber nicht im Rahmen der
Redezeit.
Eine letzte Anmerkung zum Bundesverkehrswegeplan. Diese Bundesregierung hat sich eine Herkulesaufgabe vorgenommen - nicht als eine rotgrüne Marotte,
sondern als Auftrag des Gesetzes. Es steht nun an, den
Bundesverkehrswegeplan in Gänze zu novellieren. Das
Ziel - im Koalitionsvertrag festgelegt - heißt Verlagerung auf die Schiene. Wir werden in aller Ruhe und
Sachlichkeit daran arbeiten. Es wird keine unqualifizierten Baustopps geben; es wird aber auch keine Vorentscheidungen geben. Vielmehr muß man entlang der
zu verabredenden Kriterien entscheiden. Alle noch nicht
begonnenen Fernstraßenprojekte müssen auf den Prüfstand, und zwar entlang der aktualisierten Kosten, entlang der aktualisierten Verkehrsprognosen, entlang des
aktualisierten Umweltrechtes und entlang der netzübergreifenden Effekte. Das ist wichtig.
In dieser Hinsicht unternimmt der Haushalt 1999
einen ersten, wenn auch - wie es Lafontaine vorgestern
in seiner Haushaltseinbringungsrede gesagt hat - noch
unzulänglichen Schritt. Es werden noch viele Schritte in
dieser Richtung folgen. Ich hoffe auf Ihre Unterstützung
und Ihre kreative Mitarbeit.
Danke schön.
({3})
Ich gebe der Kollegin Ostrowski, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren!
Der Haushaltsentwurf entspricht den wohnungsbaupolitischen Notwendigkeiten in keiner Weise.
Das war ein Zitat.
Was Sie, liebe Kollegen von Rotgrün, im Haushalt
anbieten, führt dazu, daß ein Haushalt vorgelegt ist, der
- ich zitiere weiter unzureichend auf die steigenden Belastungen einkommensschwacher Haushalte reagiert, in der Konsequenz zur Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus führt, den gleichbleibend niedrigen Ansatz für
die Städtebauförderung dokumentiert und Ausdruck
für die mangelnde Gestaltungskraft der politisch
Verantwortlichen ist.
Besser kann ich wirklich nicht beschreiben, was hier abgeht. - Frau Mertens ahnt, so nehme ich an, woher der
Text kommt: Ich habe mich, liebe Kolleginnen und
Kollegen der SPD, nur Ihrer eigenen Worte aus dem
letzten Jahr bedient, als Sie im Ausschuß zum Wohnungsbauetat der Regierung Kohl Stellung nahmen.
Nun kommt Oskar Lafontaine und verleiht seinem
mangelhaften Haushalt den Titel „Versprochen - gehalten!“. Wenn es nicht so traurig wäre, würde ich schallend lachen, denn für den 99er Wohnungsbauhaushalt
trifft das mit Sicherheit nicht zu. Sie verkaufen alten
Wein in neuen Flaschen. Ihr Wohnungsbauhaushalt
- seine Struktur, die Mittel, die Förderinstrumente - ist
die Fortsetzung der alten Politik, und zwar nicht mit anderen, sondern mit weniger Mitteln.
Machen wir einmal die Probe aufs Exempel. Erstens.
Versprochen war: Die Städtebauförderung wird verstärkt. Die Wahrheit ist: Den neuen Ländern mit ihrem
unbestritten hohen Bedarf stehen 36 Millionen DM weniger als im Vorjahr zur Verfügung, und für die alten
Länder gibt es keine Mark mehr. Wollen Sie ernsthaft
behaupten, daß das eine Verstärkung der Städtebauförderung sei? Hatten Sie nicht noch unter Kohl zumindest
eine Verdoppelung versprochen? Jetzt sind Sie dort angekommen, wo die alte Regierung schon war. - „Ich bin
allhier“, sprach der Igel.
Zweitens. Versprochen war ein Programm „Soziale
Stadt“ für Innenstädte, Großsiedlungen und Stadtteilzentren. Minister Müntefering verkauft es der Öffentlichkeit so geschickt, als stünden die 100 Millionen DM
sofort zum Abruf bereit. Die Wahrheit ist: Die 100 Millionen DM sind, gemessen an dem Anspruch eines solchen Programms, sowieso nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber in diesem Jahr sind nur ganze 5 Millionen DM abrufbar; das ist die Größenordnung eines - sagen wir einmal - mittleren Geschäftshauses. Der Rest
wird in die Folgejahre verschoben und obendrein vom
sozialen Wohnungsbau abgeknapst. Das ist nun wirklich
ein starkes Stück. Ich fürchte, das forsch angekündigte
Reformprojekt „Soziale Stadt“ mutiert, wenn Sie es
nicht ändern, zum Feigenblatt.
Drittens. Versprochen war eine stärkere Förderung des
Wohnungsbestandes. Die Wahrheit ist: Im Haushalt merkt
man auch davon nichts. Nun werden Sie einwenden: Aber
das KfW-Programm zur Sanierung des ostdeutschen
Wohnungsbestandes wurde um 5 Milliarden DM aufgestockt. - Richtig. Das ist gut so und das freut mich. Denn
der Osten braucht die Altbausanierung nach wie vor und
die Finanzförderung dazu. Immerhin realisieren Sie damit
teilweise unseren PDS-Antrag, den wir schon im Herbst
letzten Jahres eingebracht haben. Ich kann auch verstehen, daß Sie ein bißchen Erfolg brauchen, ganz besonders
Sie natürlich, und ich gönne es Ihnen.
Aber ungeschoren kann ich Sie auch beim Modernisierungsprogramm nicht davonkommen lassen. Sie tun
Albert Schmidt ({0})
nämlich so stolz, als hätten Sie die 5 Milliarden DM
Aufstockung dem Finanzminister nach harten Kämpfen
regelrecht abgerungen. Die Wahrheit aber ist: Die Aufstockung fiel Ihnen geradewegs in den Schoß. Durch
eine günstige Zinsentwicklung wurden KfW-Kredite
außerplanmäßig getilgt. Damit reichten die Zuschüsse
des Bundes von insgesamt 14 Milliarden DM für ein
höheres Kreditvolumen zu sonst gleichen Bedingungen.
Das eigentliche Problem, die Krux der ganzen Sache
ist, daß Sie mit dem Haushalt 1999 diese Zuschüsse
nicht erhöhen. Sie wollen das Modernisierungsprogramm für den Osten sogar abwickeln. Das ist die
Wahrheit. Am 31. ist Ultimo. Aus und vorbei. Kohl läßt
grüßen. „Ich bin allhier“, sprach der Igel. Ist Ihnen überhaupt bewußt, daß Sie damit das letzte Drittel der noch
unsanierten Wohnungen im Osten von der Förderung
abschneiden? Was ist mit Gebäuden mit besonders
hohem Aufwand? Sie überlassen ostdeutsche Wohnungsunternehmen und Innenstädte sich selbst, die
Mieterinnen und Mieter gleich mit.
Da machen wir nicht mit. Wir fordern von Ihnen: Das
Programm muß um mindestens zwei weitere Jahre verlängert werden. Wir haben gerechnet: Das zusätzliche
Kreditvolumen und der zusätzliche Bundesbedarf sind
gar nicht so hoch. Ich versichere Ihnen: Sie erleiden keinen finanziellen Kollaps. Wenn Sie eine Lösung für die
Finanzquelle wollen, bitte sehr: die Privatisierungserlöse
aus dem Altschuldenhilfegesetz. Wenn ostdeutsche Unternehmen schon gezwungen wurden, Wohnungen zu
verkaufen und Erlöse an den Erblastentilgungsfonds abzuführen, dann ist es wohl nur recht und billig, wenn
diese Gelder wieder dorthin zurückfließen, wo sie hergekommen sind: in die ostdeutschen Wohnungsunternehmen.
({1})
Übrigens ist der Betrag, gemessen an anderen Beträgen, marginal. Ruinöse Auswirkungen auf den Schuldenstand der Bundesrepublik sind auch hier nicht zu befürchten.
Viertens. Versprochen war, daß die Zahl der Sozialwohnungen vergrößert wird. Die Wahrheit ist: Die
Mittel für den sozialen Wohnungsbau, die über Jahre
sanken - unter heftiger Kritik Ihrerseits -, sinken weiter,
({2})
für die alten und für die neuen Länder. Sie sind auf
einem aktuellen Tiefstand.
Das Problem wird noch dadurch verschärft, daß sich
dieser Trend in den Ländern fortsetzt. In Berlin gibt es
beispielsweise eine Absenkung von 215 auf 57 Millionen DM,
({3})
in Schleswig-Holstein von 239 auf 207 Millionen DM,
in Sachsen von 600 auf 200 Millionen DM. Können Sie
mir verraten, wie diese sinkenden Fördermittel zur Vergrößerung der Zahl der Sozialwohnungen führen sollen?
({4})
Fünftens. Versprochen war eine gesamtdeutsche
Wohngeldreform. Dieses Versprechen haben Sie
mehrfach, auch in diesem Hause, wiederholt, und Frau
Gleicke hat vorhin dazu gesprochen.
({5})
Die Wahrheit ist: Für eine wirkliche Wohngelderhöhung
ist auch im Haushalt 1999 keine müde Mark mehr eingestellt. Der Ansatz deckt lediglich den normalen Steigerungsbedarf. Bei dem, was sich vorhin in Intervention
und Rückintervention hier abgespielt hat - Frau Gleicke,
ich muß es Ihnen einfach so sagen -, haben Sie genauso
geeiert wie Ihr Kollege Spanier beim letzten mal. Das
zeigt doch nur, daß Sie wirklich nicht wissen, wie Sie es
finanzieren sollen und wie Sie diese Wohngeldnovelle
machen sollen.
({6})
Es reicht irgendwann einmal, daß Sie immer wieder
sagen: Meine Damen und Herren von der CDU, Sie haben das soundso viel Jahre nicht auf die Reihe gebracht.
Nun stellen Sie uns doch keine Frage.
({7})
Mich wundert schon, daß Sie nicht mit roten Köpfen
hier sitzen. Ehrlich gesagt, ich würde mich an Ihrer
Stelle schämen, diese Frage so vor mir herzuschieben
und den wirklich Bedürftigen nicht sofort und vordringlich zu helfen.
Sie haben ein Arbeitsprogramm 1999 in die Öffentlichkeit geschickt, das „Vor wichtigen Aufgaben“ lautet.
Bei diesen wichtigen Aufgaben kommt die Wohnungspolitik überhaupt nicht vor. Das heißt, auch das Wohngeld kommt nicht vor. 1999 gibt es also Wohnungspolitik und sozialen Wohnungsbau als wichtige Aufgaben
für Sie nicht.
Damit kein Mißverständnis aufkommt: Ich habe Ihren
Haushaltsplanentwurf nicht mit dem Haushaltsplanentwurf des Vorjahres verglichen, um die alte Koalition
nachträglich zu rehabilitieren. Mir wird schlecht, wenn
Frau Rönsch sich jetzt hier hinstellt und sich als Interessenvertreterin der Wohngeldbezieher profiliert; das ist
überhaupt gar keine Frage.
({8})
Gleichwohl muß ich Ihnen, liebe Kolleginnen und
Kollegen, sagen: Es ist einfach so, daß ich von Ihnen
mehr erwartet habe, im übrigen nicht nur ich, sondern
Millionen von Menschen. Wenn Sie nicht bald die Kurve kriegen, dann wird die „Frankfurter Rundschau“
recht behalten, die letztens getitelt hat: „Rot die Zahlen
- grün die Hoffnung?“
({9})
Bevor ich das Wort
weitergebe, möchte ich eine kurze Bemerkung zur Geschäftslage machen. Wir werden noch etwa eine Stunde
über den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Verkehr, Bau- und Wohnungswesen debattieren. Wir
werden dann die Sitzung des Bundestages unterbrechen,
weil die Fraktionen der SPD, des Bündnisses 90/Die
Grünen und der F.D.P. um 17.15 Uhr Fraktionssitzungen
durchführen.
Es ist interfraktionell vereinbart, die Sitzung des
Bundestages um 17.45 Uhr fortzusetzen, dann allerdings
mit dem Zusatzpunkt 5 zu beginnen, das heißt mit der
Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen
Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung
„Deutsche Beteiligung an der militärischen Umsetzung
eines Rambouillet-Abkommens für den Kosovo sowie
an NATO-Operationen im Rahmen der Notfalltruppe“.
Dafür ist eine einstündige Debatte vereinbart, so daß die
namentliche Abstimmung etwa um 18.45 Uhr, kurz vor
19.00 Uhr stattfinden wird. Wir setzen die Haushaltsberatungen dann mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
fort.
Nunmehr gebe ich das Wort zu dem zur Diskussion
stehenden Geschäftsbereich an den Kollegen Dieter
Pützhofen von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ein Spaßvogel hat uns Politikern einmal den Rat gegeben, über das, was wir sagen,
tunlichst kein Protokoll zu verfassen und uns ja nicht
schriftlich festzulegen; alles sei dann nachzulesen, alles
sei überprüfbar; alles werde irgendwann einmal herausgezogen; alles werde irgendwann einmal zitiert werden.
Diesem Ratschlag wären die Sozialdemokraten in den
letzten Jahren besser gefolgt. Sie hätten bei ihren Anträgen, Verlautbarungen und ihrer Koalitionsvereinbarung
besser darauf geachtet, daß man jetzt die Schublade
aufmachen und nachgucken kann, was da alles so gestanden hat, was sie alles so gesagt haben.
({0})
Wir haben jetzt die seltene Gelegenheit, sozusagen
schriftlich verbrieft, sozialdemokratischen Anspruch und
sozialdemokratische Wirklichkeit - natürlich auch grüne; aber im wesentlichen geht es um sozialdemokratische Wirklichkeit - miteinander vergleichen zu können.
Vorweg, Herr Minister, sei gesagt: Sie machen es uns
beim Thema Wohnungs- und Städtebau wirklich leicht.
Ich begreife die Wähler, die dieser Regierung die Stimme gegeben haben und jetzt in der Ausnüchterungszelle
wach werden und ihren Kater beklagen.
({1})
Ich will das an drei Beispielen deutlich machen.
Erstes Beispiel: Städtebauförderung. Meine Vorrednerin hat die SPD-Abgeordnete Mertens zitiert. Offensichtlich gibt es einen Fundus an Möglichkeiten, die
Kollegin zu zitieren. Ich will noch einen draufsetzen ich zitiere -:
Städtebauförderung ist eine Investition, die sich in
barer Münze auszahlt ... Eine Erhöhung der Städtebauförderungsmittel ist eine wirklich kreative und
kontrollierte Art, gute und beschäftigungswirksame
Politik zu machen.
Dann beschimpfte sie die christlich-liberale Regierung
und sagte:
Sie bleiben zum Beispiel auch in diesem Jahr 98
bei lächerlichen 80 Millionen DM für die alten
Bundesländer.
({2})
In der rotgrünen Koalitionsvereinbarung heißt es deshalb auch zu Recht: „Die Städtebauförderung wird verstärkt.“
Mit diesem Wissen im Hinterkopf schlage ich den
Haushaltsplan auf. Aber was finde ich in Kapitel 1225,
Titelgruppe 1? 80 Millionen DM für die alten Länder,
denselben Betrag wie 1998. Für die neuen Länder ist es
übrigens auch bei 520 Millionen DM geblieben. Dann
habe ich mir einmal die Finanzplanung - sie ist nicht jedem gegenwärtig - angesehen. Dort sind für die alten
Bundesländer für das Jahr 2000 80 Millionen DM, für
2001 80 Millionen DM und für 2002 ebenfalls 80 Millionen DM vorgesehen. Bei den neuen Bundesländern
heißt es entsprechend: für 2000 520 Millionen DM, für
2001 520 Millionen DM und für 2002 ebenfalls 520
Millionen DM.
({3})
Eines kann aber nur richtig sein: Entweder waren unsere früheren Ansätze so verkehrt nicht, oder das, was
Sie hier sagen, sind reine Sprechblasen, ist bloß heiße
Luft. Es hat sich herumgesprochen, daß man nichts darauf geben kann, was Sie seit Jahren fordern und vor der
Wahl versprochen haben. Herr Minister, wie nannten Sie
so etwas soeben? - „Wunsch und Wolke“.
Dann ist Ihnen flugs die Idee mit dem Programm
„Soziale Stadt“ gekommen. Sie nennen das jetzt
„Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf“. Dafür
setzen Sie 100 Millionen DM an. Bezeichneten Sie das
eben nicht als Verstärkung, Frau Kollegin? Man muß
nur einmal näher hinsehen, um die Luftnummer zu erkennen.
Erstens ist das Geld keine Verstärkung, wie Sie überall verbreiten, sondern eine Verschiebung, was etwas
anderes ist. Sie nehmen es aus dem von Ihnen bislang so
vehement verteidigten sozialen Wohnungsbau, und zwar
von genau der Stelle, an der wir in den vergangenen Jahren 250 Millionen DM für Maßnahmen zur Beseitigung
von sozialen Brennpunkten vorgesehen hatten. Es ist
also keine Verstärkung, sondern eine Verschiebung.
Zweitens sieht der Haushaltsentwurf keinerlei Sicherung dieses Ansatzes für die nächsten Jahre vor.
Drittens werden Sie die Frage beantworten müssen,
woher Sie dieses Geld nehmen werden, wenn Sie offensichtlich den sozialen Wohnungsbau in der bisherigen
Form demnächst abschaffen wollen.
Damit bin ich beim zweiten Beispiel, dem sozialen
Wohnungsbau. Auch hier möchte ich mit einem Zitat
beginnen. Der Kollege Dr. Rolf Niese, ein sehr netter
Kerl von den Sozialdemokraten, hat bei den Etatberatungen immer auf uns geschimpft. Bei der letzten Etatberatung hat er bemängelt, daß die Mittel für den sozialen Wohnungsbau nicht aufgestockt würden; vielmehr
gehe die Förderung insgesamt sogar zurück. Dann hat er
wörtlich gesagt:
Dies ist die konsequente Fortsetzung einer Politik,
die auf die Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus zielt.
Das sollte wahrscheinlich ein Vorwurf sein. Aber schauen wir uns einmal im vorliegenden Etatentwurf die von
Ihnen propagierte Steigerung an. Beim Blick in die rotgrüne Finanzplanung für den sozialen Wohnungsbau sehen wir für 1999 1,1 Milliarden DM, für 2000 1,1 Milliarden DM, für 2001 1,0 Milliarden DM und für 2002
ebenfalls 1,0 Milliarden DM. Von einer Steigerung, wie
sie von Ihnen immer lauthals verkündet wurde - Sie haben immer auch entsprechende Anträge gestellt, gegen
die wir jedesmal angekämpft haben -, kann also nicht
die Rede sein.
Nun kann man zu der verkrusteten Förderung des sozialen Wohnungsbaus in der Tat stehen, wie man will.
Auch ich plädiere für eine Reform. Aber wer den Wählern vor vier Monaten noch mit starken Worten kommt,
muß sich heute an den eigenen Aussagen und früheren
Anträgen messen lassen.
({4})
In Ihrer Koalitionsvereinbarung schreiben Sie: Eine
umfassende Reform des Wohnungsbaurechts erscheint
weiterhin dringend geboten. - Das ist ein Satz, der von
Erkenntnis gezeichnet ist. Die Bundesregierung der 13.
Wahlperiode strebte nicht nur eine solche umfassende
Neuregelung des Wohnungsbaurechtes an, sondern sie
hat auch einen konkreten Gesetzentwurf eingebracht.
Daß es nicht mehr zu dieser Reform gekommen ist, lag
an der Obstruktionspolitik des von der SPD geführten
Bundesrats, der eine Verkoppelung dieses Themas mit
der Reform des Wohngeldes herstellte. Jetzt ist Ihre
Bundesregierung Gefangene dieser Verkoppelung. Weil
Sie bislang nicht einmal in Ansätzen eine Wohngeldnovelle hinbekommen, gibt es auch keine Reform des sozialen Wohnungsbaus.
({5})
- Das sind auch wieder Versprechungen, Frau Kollegin.
In der Politik ist es sicherlich erlaubt, den Rasen wachsen zu hören, den man selbst gesät hat. Aber Sie sind ja
noch nicht einmal beim Einkaufen des Saatgutes.
({6})
Was Sie im Augenblick tun, ist eine Fortsetzung dessen,
was Sie im Wahlkampf veranstaltet haben. Sie haben
uns Sprechblasen, heiße Luft, haben uns Dinge vorgesetzt, die reine Versprechungen waren. Es hat sich nichts
davon gehalten.
In Richtung des Ministers, den ich in NordrheinWestfalen gut aufgehoben weiß, sage ich folgendes: Ich
bin auf das Theater in Ihrem eigenen Parteilager gespannt, wenn Sie die Reform des sozialen Wohnungsbaus angehen. Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, daß sich der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister lauthals über die Mißstände im sozialen
Wohnungsbau geäußert hat, während der nordrheinwestfälische Wohnungsbauminister ebendiesem Minister widersprochen hat. Wir werden ein großes Theater
erleben; das kann heiter werden. Aber, Herr Minister,
die Regierung ist eh für Ihren hohen Unterhaltungswert
bekannt.
Herr Kollege Pützhofen, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Ostrowski?
Aber selbstverständlich, Frau Ostrowski. Bitte schön.
Vielen Dank, Herr
Pützhofen. - Sie sprachen vom Einkaufen des Saatgutes,
zu dem die neue Koalition noch nicht gekommen ist.
Geben Sie mir denn recht, daß die ehemalige Koalition
vier Jahre lang nicht zum Einkaufen des Saatgutes hinsichtlich des Wohngeldes gekommen ist?
({0})
- Jawohl, zehn Jahre.
({1})
Frau Kollegin, ich
habe vor zwei oder drei Tagen eine Pressemitteilung des
GdW bekommen, des Bundesverbandes deutscher Wohnungsunternehmen, den Sie gut kennen.
({0})
- Sie zitieren sie immer dann, wenn es Ihnen paßt. Dort steht, daß die von Oswald vorgelegte Wohngeldnovelle mit 250 Millionen DM zum damaligen Zeitpunkt immerhin ein Fortschritt gewesen sei und demjenigen, der ganz am Ende der Schlange stehe, ein ganz
klein bißchen mehr Geld in die Tasche gebracht habe.
Im Augenblick, Frau Kollegin, leben wir doch - da sind
Sie mit mir sicher der gleichen Meinung - ausschließlich von Versprechungen.
({1})
Gestatten Sie, Herr
Kollege Pützhofen, eine Ergänzungsfrage?
Aber selbstverständlich.
Ich lasse einmal diese
250 Millionen DM des ehemaligen Bauministers Herrn
Oswald weg. Erinnern Sie sich, daß, als Sie die Wahl
1994 gewonnen hatten, in Ihrer Koalitionsvereinbarung
nicht von einem „Tropfen“ von 250 Millionen DM die
Rede war, sondern von einer gesamtdeutschen Wohngeldreform? Die ist mit Sicherheit nicht mit 250 Millionen DM zu machen. Darauf zielte meine erste Frage.
Haben Sie dann nicht vier Jahre lang das Einkaufen des
Saatgutes verabsäumt?
Es ist überhaupt
keine Frage, daß bei uns versucht wurde, im Haushaltsbereich eine Möglichkeit zu schaffen, die Wohngeldnovelle zu finanzieren. Das ist richtig. Dieselbe Situation
erkenne ich jetzt bei den Sozialdemokraten und den
Grünen. Aber wenn jemand in die Bundestagswahl mit
Versprechen hineingeht und uns jetzt nachdrücklich versichert, wegen dieser Versprechen seien sie alle gewählt
worden, muß er sich doch an diesen Versprechungen
messen lassen. Mehr habe ich nicht gesagt.
({0})
Wir sind beim Wohngeld. Hier darf ich die rotgrüne
Koalitionsvereinbarung zitieren: Das Wohngeld wird
„treffsicherer und familiengerechter gestaltet“.
Das ist ein bemerkenswerter Anspruch. Auch da sehen wir uns einmal die Wirklichkeit an. Für das Wohngeld sind 4,02 Milliarden DM veranschlagt worden. Das
ist nur ein rechnerisches Plus von 244 Millionen DM
gegenüber dem Ist-Ergebnis von 1998. Dieser geringfügige Mehransatz berücksichtigt lediglich die steigende
Zahl der Wohngeldempfänger und bedeutet entgegen
der Koalitionsvereinbarung keine Verbesserung für die
Wohngeldempfänger selbst. Sie werden also keine Mark
mehr in der Tasche haben. Dann wird immer wieder gesagt: Wir müssen die Bilanz machen, und wir stellen bei
der Bilanz fest, daß wir auf Grund der schlechten Bilanz
all das neu überprüfen müssen, was wir tun. - Das lasse
ich nicht gelten. Die Damen und Herren von der SPD
und den Grünen haben im Haushaltsausschuß über Jahre
hinweg an den Etatberatungen teilgenommen
({1})
- konstruktiv, Hans Georg -, haben jede Zahl gekannt
und wußten genau Bescheid. Wenn es innerhalb der
Fraktion keine Quermeldungen über diese Dinge gibt, ist
das nicht unsere Angelegenheit.
Der Verkehrs- und Bauminister hat offensichtlich den
Versuch unternommen - das hat soeben bereits die
Kollegin Rönsch gesagt -, für eine Wohngeldnovelle
Mehrausgaben in Höhe von 750 Millionen DM zu fordern. Ich weiß nicht, wer aus Ihrem Haus diesen
Wunsch beim Finanzminister vorgetragen hat. Er ist jedenfalls rasiert wieder nach Hause gegangen.
Zum Thema Wohngeld wie überhaupt zu den wohnungspolitischen Titeln des Etats muß ich Ihnen allerdings ein Kompliment machen: Noch nie hat es eine Regierung vor Ihnen geschafft, alle für den Wohnungsbau
relevanten Verbände, Städtetag, Mieterbund und die
Verbände der Wohnungswirtschaft, geschlossen und in
so kurzer Zeit gegen sich zu mobilisieren. Das muß
Ihnen erst einmal jemand nachmachen; das ist rekordverdächtig.
Die rotgrüne Koalition tritt mit dem Anspruch auf,
der Haushalt müsse auf Wachstums- und Beschäftigungsförderung ausgerichtet sein. Man habe deshalb den
Investitionsanteil an den Ausgaben gesteigert.
Für den Bauetat - auch das hat die Kollegin Rönsch
bereits gesagt - gilt das Gegenteil: Die Investitionsquote ist gesunken. Neben anderen Maßnahmen, zum Beispiel der Einschränkung der Verrechnung bei Verlusten
aus Vermietung und Verpachtung - für mich ein unglaublicher Vertrauensbruch, falls das bedeutet, daß in
die Finanzierung laufender Baumaßnahmen eingegriffen
wird - oder der Streichung der Vorkostenpauschale bei
der Eigenheimförderung, wird sich die Senkung der Investitionsquote besonders negativ auswirken.
Ich zitiere deshalb noch einmal den wohnungspolitischen Sprecher der SPD in der letzten Wahlperiode. Er
kritisierte, das, was wir täten, seien „blumige Versprechen“,
({2})
„mit schönen Zahlen“ würde etwas „vorgegaukelt“. Er
kam dann zu dem Ergebnis, daß ein Etatentwurf, der so
wenig vom Versprochenen halte - ich zitiere -, „ein Etat
des Wortbruchs, des Vertrauensbruchs, des fehlenden
Reformwillens“ sei. Dem ist im Hinblick auf den vorgelegten Etatentwurf nichts mehr hinzuzufügen.
Danke sehr.
({3})
Ich gebe dem Kollegen Dieter Maaß von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! An dieser Stelle hat vor zwei Tagen
Finanzminister Lafontaine den ersten Haushaltsentwurf
der von Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen
getragenen Bundesregierung vorgestellt. Meine Betonung liegt auf „ersten Haushaltsentwurf“.
Die ganze Richtung stimmt, war eine seiner Bemerkungen, die ich zur Darstellung des Einzelplanes 12 für
den Baubereich ausdrücklich unterstreichen will. Als
grundsätzliche Aussage ist zu bekräftigen, daß sich alle
im Baubereich Agierenden - Baugesellschaften, Genossenschaften, private Unternehmen sowie Eigenheimbauer und vor allem die Bauindustrie - auf eine positive
Weiterentwicklung in diesem wichtigen Sektor unserer
Volkswirtschaft und damit auf uns verlassen können.
({0})
Ich will mit dem Investitionsanteil beginnen und dazu
einige Schwerpunkte nennen, wobei ich hinzufüge: Wir
würden gerne mehr tun, doch das, was wir von Ihnen
nach 16 Jahren verfehlter Finanzpolitik an Haushaltsmitteln zur Verfügung haben, läßt leider nicht mehr
Spielraum zu.
({1})
Zum ersten Schwerpunkt. Die Städtebaufördermittel liegen im Verpflichtungsrahmen; die Zahlen hat Herr
Pützhofen gerade genannt. Ich will aber darauf hinweisen - denn in seiner Seriosität hat Herr Pützhofen die
Fortschreibung der Finanzplanung vorgelesen und damit
alle Leute verwirrt -, Herr Pützhofen, daß die Fortschreibung dieser Finanzplanung noch von der alten
Bundesregierung vorgenommen worden ist. Warten Sie
einmal ab, wie das aussieht, wenn wir weitere Haushaltspläne vorlegen.
({2})
Ich bin wie Sie der Meinung, daß gerade die Finanzmittel im Bereich der Städtebauförderung einen großen
Investitionsschub auslösen, der für den Erhalt und die
Schaffung von Arbeitsplätzen von großer Wichtigkeit
ist. Ich füge hinzu: Im weiteren Verlauf unserer Regierungszeit müssen diese Mittel weiter ansteigen.Als
zweiter Schwerpunkt ist das Modernisierungsprogramm Ost zu nennen. Die Mittel für die hier laufenden
Maßnahmen, die von der Kreditanstalt für Wiederaufbau
abgewickelt werden, erhöhen wir um 5 Milliarden DM auf 75 Milliarden DM. Das ermöglicht vor
allem den Betrieben des Bau- und Ausbauhandwerks
sowie den wohnungswirtschaftlichen Unternehmen,
1999 dieses wichtige Programm ungeschmälert weiterzuführen.
({3})
Für Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen ist
auch ein dritter Schwerpunkt wichtig, nämlich der soziale Wohnungsbau. Er wird von uns weitergeführt und
gefördert. Er war unter der Regierung Kohl aufs höchste
gefährdet. Die Kassenansätze liegen bei 2,5 Milliarden
DM. Hinzu kommen die schon oft erwähnten 100 Millionen DM für das Förderprogramm „Soziale Stadt“.
Um den Ländern und Investoren Planungssicherheit
zu geben, wird der Verpflichtungsrahmen mit 1,1 Milliarden DM im Haushalt 1999 ausgewiesen. Davon sind
690 Millionen DM für die alten und 410 Millionen DM
für die neuen Bundesländer vorgesehen. Die von uns
getragene Bundesregierung wird darauf achten, daß
diese Mittel noch effizienter und zielgerichteter eingesetzt werden.
„Bezahlbare Wohnungen und lebenswerte Städte“ so lautet die Überschrift in der Koalitionsvereinbarung
der von uns getragenen Bundesregierung. Hier sind in
elf Punkten unsere politischen Absichten festgeschrieben. Unter Punkt 2 ist festgehalten, daß wir uns als
Wohnungspolitiker des Bundes auch um Probleme der
Städte kümmern müssen. Mit „Soziale Stadt“ wollen
wir das Programm bezeichnen, mit dem den Kommunen
geholfen werden soll, negativen Entwicklungen in
Innenstädten, Großraumsiedlungen und Stadtteilen entgegenzuwirken. Wir werden ein Programm auflegen, in
dem investive und nicht investive Maßnahmen kombiniert und integriert werden.
({4})
Unsere europäischen Nachbarn haben gute Erfahrungen mit solchen Programmen, die besonders für
Stadtteile mit hoher Jugendarbeitslosigkeit, städtebaulichen und wirtschaftlichen Problemen sowie hoher
Gewaltbereitschaft notwendig sind. Einzelprojekte helfen häufig nicht mehr weiter. Aus diesem Grund ist für
uns das Programm „Soziale Stadt“ von großer Bedeutung.
({5})
Sozialdemokraten und Grüne haben im Wahlkampf
versprochen, daß es in unserem Land wieder sozial gerechter zugehen soll. Deshalb ist es unerläßlich, an dieser Stelle - wie andere Redner es auch getan haben - das
Thema Wohngeld anzusprechen, weil es ein Teil unserer Sozialpolitik ist. Ich will noch einmal die Zahlen
verdeutlichen: Der Haushaltsansatz steigt von 3,78 Milliarden DM inklusive 280 Millionen DM überplanmäßiger Ausgaben im Jahre 1998 auf 4,02 Milliarden DM
1999. Darin sind 120 Millionen DM für die Verlängerung des Sonderwohngelds Ost enthalten.
Seit vielen Jahren reden wir davon, daß die Kriterien
für die Auszahlung des Wohngeldes reformiert werden
müssen. Die Einkommensentwicklung der Betroffenen
muß dabei stärker berücksichtigt werden. Auch eine
finanzielle Aufstockung muß erfolgen. Gerade wir haben diese Reform stets nachdrücklich gefordert. Darum
will ich an dieser Stelle die politische Aussage bekräftigen: Wir werden unsere Regierung drängen, noch in
diesem Jahr einen Gesetzentwurf vorzulegen, der
Grundlage für eine ausreichende parlamentarische Beratung ist.
({6})
Aber eines tun wir nicht, nämlich dieses schwierige
Thema übers Knie zu brechen und dabei handwerkliche
Fehler zu machen. Dies haben Sie uns ja gerade bei der
Umsetzung unserer Wahlversprechungen wie der Steuerreform, des Kündigungsschutzes und eines Solidaritätsgesetzes für die gesetzliche Krankenversicherung usw.
usw. oft genug vorgeworfen. Die Wohngeldreform machen wir gut und in Ruhe.
({7})
Einen ersten Schritt dazu haben wir mit einem Fraktionsbeschluß getan, in dem sich die Fraktion eindeutig
für eine Wohngeldnovelle ausspricht, die auf Grund der
Untätigkeit der letzten Bundesregierung bisher nicht zustande gekommen ist.
Einen zweiten Schritt haben wir ebenfalls mit unserem Antrag zum Steuerentlastungsgesetz in der Ausschußsitzung am vergangenen Mittwoch getan. Sie,
meine Damen und Herren von der Opposition, haben es
abgelehnt, fast 500 Millionen DM für die WohngeldDieter Maaß ({8})
reform zu sichern. Sie setzen damit nahtlos die falsche
Politik der vergangenen Jahre fort.
({9})
- Frau Höll, Sie können nachher eine Kurzintervention
machen.
Meine Damen und Herren, wir werden in den kommenden Monaten zeigen, daß wir Wort halten und eine
Politik umsetzen, die an der Aussage der Koalitionsvereinbarungen orientiert ist.
Schönen Dank.
({10})
Ich gebe das Wort
dem Kollegen Bartholomäus Kalb, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den Zahlen
des Verkehrsbereichs spiegeln sich ganz wesentlich die
Bereitschaft und die Anstrengungen - oder auch die
mangelnden Anstrengungen - des Bundes wider, die Infrastruktur unseres Landes zu verbessern. Die Ausstattung mit guter Infrastruktur ist für viele Regionen die
Schlüsselfrage für die wirtschaftliche Entwicklung und
für deren Zukunftschancen schlechthin.
Leider hat die Bundesregierung den Verkehrsetat und
die Investitionen effektiv nicht erhöht, sondern zurückgefahren. Wenn die Bundesregierung und Sie, Herr
Kollege Schmidt, behaupten, der Investitionsanteil im
Einzelplan 12 sei erhöht worden, so ist das doch nur
darauf zurückzuführen, daß Sie den Ansatz für Zinsen
für die Schulden des Bundeseisenbahnvermögens in
Höhe von über 5 Milliarden DM aus dem Einzelplan
herausgenommen haben, aber nicht, wie Sie behauptet
haben, auch die Tilgungsleistungen. Die Tilgungsleistungen sind nämlich im Einzelplan geblieben, weil der
Bundesverkehrsminister sonst offensichtlich etwas zu
schlecht ausgesehen hätte, wenn der Etat optisch so weit
abgesunken wäre.
Es kommt aber nicht auf buchungstechnische Vorgänge an, es kommt nicht darauf an, was Tricks bewirken. Vielmehr kommt es darauf an, was am Ende an
Investitionen wirklich geleistet werden kann. Wir brauchen aber Investitionen, um strukturschwachen Regionen Entwicklungschancen zu eröffnen und das Verkehrsaufkommen der Zukunft bewältigen zu können.
Herr Bundesminister, ich habe eine Reihe Ihrer Interviews anläßlich Ihres Amtsantrittes wie auch Ihre Rede
im Rahmen der Debatte über die Regierungserklärung
aufmerksam gelesen. Auch Ihrer heutigen Rede habe ich
aufmerksam zugehört.
({0})
Ich sage ganz klar: Erfreulich offen, realistisch, ideologiefrei nehmen und nahmen Sie zu den verkehrspolitischen Herausforderungen Stellung. Wie schon Ihre Vorgänger weisen Sie auf das enorme und nicht zu vermeidende Verkehrswachstum hin, das sich durch den Wegfall von Blockgrenzen im zusammenwachsenden Europa, nicht zuletzt durch die geplante EU-Osterweiterung
für Deutschland ergeben wird.
Wir sind uns einig: Um das künftige Verkehrsaufkommen bewältigen zu können, werden alle Verkehrsträger ihren optimalen Beitrag leisten müssen. Insoweit
setzen Sie inhaltlich die Politik der alten Regierung fort,
aber leider Gottes mit verminderten Mitteln.
({1})
Eine Vorlage, die kürzlich dem Haushaltsausschuß
zugeleitet worden ist, belegt, daß sich die Bahnreform
bewährt hat. Ich stimme dem voll zu, was Sie zu den
aktuellen Problemen und Unglücksfällen der Bahn gesagt haben. Gleichwohl muß die Wettbewerbsfähigkeit
der Bahn weiter gestärkt werden.
({2})
Dazu sind viele Einzelmaßnahmen notwendig. Notwendig sind sicherlich auch weitere große Investitionen der
Deutschen Bahn AG und des Bundes in rollendes Material, Knotenpunkte und Schienenwege. Es geht aber
nicht an, Herr Kollege Schmidt, daß diejenigen, die immer flammende Reden und Lippenbekenntnisse zugunsten der Bahn ablegen und leidenschaftlich gegen das
Auto zu Felde ziehen,
({3})
die ersten sind, die mit Unterstützung gerade aus Ihren
Reihen neue Investitionen in Schienenwege verhindern,
gegen diese Investitionen protestieren und sie verzögern.
({4})
Das gleiche gilt im übrigen auch für die Binnenwasserstraßen. Ohne leistungsfähige Binnenschiffahrt wird
das Gütertransportaufkommen in Zukunft nicht zu bewältigen sein. Dazu müssen auch die Bedingungen für
die Schiffahrt verbessert werden. Sie, Herr Bundesminister, haben das auch hier sehr deutlich gemacht.
Ohne näher auf einzelne Projekte eingehen zu wollen,
darf ich erwähnen, daß ich die Antwort zum Thema
Donauausbau, wie sie Herr Staatssekretär Ibrügger auf
meine Frage hin am 9. Dezember 1998 in diesem Haus
gegeben hat, für sehr sachgerecht halte. Wenn man Verantwortungsbewußtsein an den Tag legt, kann man hier
beim Stand der Dinge auch keine andere Auskunft geben.
Der Straßenbaubericht, wie er uns vor kurzem zugeleitet wurde, belegt, daß mehr als 81 Prozent des individuellen Personenverkehrs, 8 Prozent des öffentlichen
Personenverkehrs und über 67 Prozent des Güterverkehrs auf den Straßen und Autobahnen abgewickelt
werden - mit stark steigender Tendenz. Es macht keinen
Dieter Maaß ({5})
Sinn, die tatsächlichen Verhältnisse leugnen zu wollen.
Auch der Bundesminister hat sich wiederholt in diesem
Sinne geäußert. Um so bedauerlicher ist es, daß nach
dem Entwurf die Mittel für den Fernstraßenbau nicht
nur um 25 Millionen DM, wie auf den ersten Blick zu
ersehen, sondern durch das Streichen von Deckungsvermerken um mindestens 200 bis 250 Millionen DM
gekürzt werden.
Dabei sollen die Mittel für die VDE-Projekte und die
Investitionen in den neuen Ländern in gleicher Höhe wie
in der Vergangenheit fortgeschrieben werden. Die neuen
Länder brauchen dringend leistungsfähige Verkehrsadern wie zum Beispiel die A 9, die A 2, die A 15, die
A 20 oder die Verbindung Dresden - Prag, um nur einige zu nennen.
({6})
Um so erstaunlicher ist es, wer sich alles aufgerufen
fühlt - bis hin zur Einschaltung europäischer Institutionen -, Investitionen und damit wirtschaftlichen Aufschwung zu verhindern.
({7})
Die Kürzung der Mittel für den Fernstraßenbau bei
gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Priorität für die
Maßnahmen in den neuen Ländern bedeutet aber, daß in
den alten Bundesländern keine einzige neue Maßnahme
begonnen werden kann. Das bedeutet Stillstand im Westen, keine Hoffnung auf Entlastung durch Umgehungsstraßen und keine Hoffnung auf überregionalen Anschluß für periphere Wirtschaftsräume.
({8})
Da brauchen sich zum Beispiel auch Ihre Parteifreunde
in Altötting und Burghausen nicht mehr mit der SPD im
Bayerischen Landtag über die Trassenführung zu streiten, weil einfach mangels Geld nichts mehr geht.
Sie kürzen die Straßenbaumittel zur gleichen Zeit, in
der Sie die Autofahrer, insbesondere die Menschen im
ländlichen Raum, die als Arbeitnehmer aufs Auto angewiesen sind, mit einer kräftigen Mineralölsteuererhöhung zur Kasse bitten.
({9})
Die Wahrheit ist ja, daß Sie keine ökologische und
schon gar keine soziale Steuerreform durchführen, sondern schlicht und einfach eine Erhöhung der Mineralölsteuer vornehmen und eine Stromsteuer einführen.
({10})
So belegt das der Einzelplan 60, in dem in der Titelgruppe 01 „Veränderungen auf Grund steuerlicher Maßnahmen“ die einzelnen Titel ausgewiesen sind: Der
eine heißt „Änderung der Mineralölsteuer“ und der neue
Titel 046 12 „Einführung Stromsteuer“. Dies und nichts
anderes haben Sie vor.
({11})
Diese Bundesregierung hat für so viele schöne Dinge
Geld bzw. beschafft es sich. Sie hat aber nur nicht das
Geld für das Notwendigste. Sie kassieren den Autofahrer ab, verweigern sich aber, einen angemessenen Anteil
dieses Steueraufkommens in den Ausbau der Verkehrswege zu stecken. Gleichzeitig benachteiligen Sie den öffentlichen Personennahverkehr durch die sogenannte
Ökosteuer. Sie haben zwar in den jüngsten Änderungen
vorgesehen, den Bahnbetriebsstrom günstiger zu stellen,
nicht jedoch die Kraftstoffe. Im ländlichen Raum - das
sollten auch Sie wissen, Herr Schmidt - stützt sich der
ÖPNV überwiegend bis ausschließlich auf Buslinien;
auch die meisten Strecken des schienengebundenen Personennahverkehrs - soweit vorhanden - werden mit
Dieselloks bedient.
Ich will gar nicht bestreiten, daß es aus bekannten
Gründen schon in den zurückliegenden Jahren schwierig
war, den Verkehrsetat den Erfordernissen entsprechend
auszustatten. Die neue Bundesregierung verstärkt aber
weiter den konsumtiven Anteil am Gesamtetat, während
der investive Anteil weiter zurückgefahren wird. Wir
sollten uns in den Haushaltsberatungen gemeinsam bemühen, die Investitionen zu stärken, insbesondere die
Mittelausstattung für den Fernstraßenbau zu verbessern
und die Kürzungen rückgängig zu machen.
({12})
Sie selber, Herr Bundesminister, haben darauf hingewiesen, daß der Bundesverkehrswegeplan erheblich unterfinanziert sei. Als langjähriger Haushälter weiß auch
ich um die engen finanziellen Handlungsspielräume.
Wir sollten deshalb gemeinsam nachdenken und Anstrengungen unternehmen, die Mittel für den Fernstraßenbau in künftigen Jahren deutlich zu erhöhen.
Ich möchte einen Vorschlag machen: Wir haben im
Zuge der Bahnprivatisierung im sogenannten Regionalisierungsgesetz festgelegt, daß den Bundesländern für
die Aufrechterhaltung des Schienenpersonennahverkehrs
die Mittel pauschal zugewiesen werden. Im Einzelplan
60 sind dafür mittlerweile exakt 12,35 Milliarden DM
ausgewiesen.
({13})
Objektiv wird man feststellen müssen: Damit sind die
Länder gut bedient. Mit diesem Geld lassen sich viele
wichtige und schöne Strecken finanzieren. Aber nicht
immer werden die Mittel effizient eingesetzt. Manchmal
werden relativ wenig Fahrgäste und statt dessen viel
warme Luft durch die Gegend gefahren.
Es gibt eine Revisionsklausel, die spätestens im Jahre
2001 - eigentlich müßte sie schon jetzt greifen - zur
Anwendung kommen soll. Wir haben das vorhin erwähnte Wibera-Gutachten, das besagt, daß mit einem
Aufwand von rund 7,6 bis 7,9 Milliarden DM der Umfang der Nahverkehrsleistung erbracht werden kann, wie
er Gegenstand der Vereinbarung mit den Ländern ist.
Nun weiß auch ich, daß sich sehr schnell ein Besitzstandsdenken herausbildet und daß Länder Geld, das sie
einmal bekommen haben, nicht mehr hergeben wollen.
Also muß man mit ihnen Gespräche und Verhandlungen
führen.
Gleichzeitig haben aber alle Länder größtes Interesse
an der Verwirklichung von Fernstraßenprojekten. Als
langjähriger Berichterstatter für den Verkehrsetat sind
mir die Forderungen bekannt. Sie reichen von Schleswig-Holstein - ich nenne das Stichwort Bad Bramstedt und Mecklenburg-Vorpommern bis Bayern und BadenWürttemberg, von der Anbindung der Insel Rügen bis
zur A 94. Ich schlage deshalb vor: Treten Sie in Verhandlungen und Gespräche mit den Ländern ein! Man
kann sicher nichts übers Knie brechen. Aber es müßte
doch möglich sein, in den nächsten Jahren einen Betrag
von rund 2 Milliarden DM zugunsten des Straßenbaus
umzuschichten.
({14})
Allerdings werden die Länder nur mitmachen können,
wenn es dafür verbindliche Festlegungen gibt.
({15})
Wenn wir in den nächsten Jahren nicht zu einer kräftigen Verstärkung der Fernstraßenbaumittel kommen,
wird im Westen beim Neubau praktisch nichts, aber
auch gar nichts mehr gehen. Ich will mit diesem Vorschlag einen konstruktiven Beitrag leisten.
Ich danke Ihnen.
({16})
Ich gebe das Wort
zu einer Kurzintervention der Kollegin Barbara Höll.
Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege Maaß, ich möchte Sie und alle anderen Damen und Herren der Regierungskoalition und
auch der Regierung ansprechen. Es ist mir gerade in dieser Woche und auch bei Ihrer Rede sehr negativ aufgefallen, daß Sie in Ihrer Ausdrucksweise äußerst unkorrekt sind. Unkorrektheit in diesem Bereich trägt nicht
gerade zur politischen Offenheit und damit zur politischen Meinungsbildung bei.
Wenn Sie nur von der Opposition sprechen und der
Opposition vorhalten, was sie getan oder nicht getan hat,
vereinnahmen Sie damit automatisch die PDS. Ich muß
sagen, wir sind damit nicht einverstanden und wehren
uns vehement dagegen, weil Sie uns mit dieser allgemeinen Äußerung ständig an die Seite der CDU/CSU
und der F.D.P. stellen,
({0})
was diese selbst nicht und wir noch weniger wollen.
Seit dem 27. September des vergangenen Jahres hat
sich im demokratischen Gefüge einiges verändert. Es
gab Wechsel von der Regierung in die Opposition und
umgekehrt. Wir waren in der 12. und 13. Legislaturperiode in der Opposition und sind es noch in dieser
Wahlperiode, in der wir den qualitativen Sprung von der
Gruppe zur Fraktion geschafft haben. Aber wir haben
nie die Politik der alten Koalition unterstützt.
({1})
Im Zusammenhang mit der Diskussion um das
Wohngeld wissen Sie, daß wir in der 12. und 13. Legislaturperiode stets für eine gesamtdeutsche Wohngeldreform eingetreten sind. Die Unterschiede sind auch an
vielen anderen Beispielen nachweisbar.
({2})
Ich möchte Sie daher bitten: Werden Sie in Ihrer
Ausdrucksweise korrekter, ob es Ihnen gefällt oder
nicht. Auch auf der linken Seite des Hauses gibt es eine
Opposition. Wenn Sie die Opposition ansprechen, unterscheiden Sie bitte zwischen der Opposition auf der linken und auf der rechten Seite des Hauses! Dann besteht
mehr Klarheit in der Diskussion.
Danke.
({3})
Das Wort zu einer
weiteren Kurzintervention hat der Kollege Albert
Schmidt.
Lieber Herr Kollege Kalb, alles, was recht
ist: Das, was Sie gerade vorgetragen haben, muß in zwei
oder drei Punkten doch eine leichte Korrektur erfahren.
Wer Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre selber
gnadenlos die Mineralölsteuer um 30 und mehr Pfennige erhöht hat,
({0})
ohne gleichzeitig für eine Entlastung bei den Sozialabgaben und damit für eine Entlastung der Unternehmen
und der Beschäftigten zu sorgen, der ist nicht glaubwürdig, wenn er jetzt eine maßvolle Mineralölsteuererhöhung um 6 Pfennig, die Pfennig für Pfennig über höhere
Nettolöhne in die Taschen der Beschäftigten und in die
Lohnkassen der Unternehmen zurückgegeben wird, kritisiert. Dieses Argument können Sie sich ein für allemal
abschminken. Das stinkt zum Himmel.
({1})
Zweitens. Herr Kollege Kalb, Sie haben mehr recht,
wenn Sie darauf hinweisen, daß gerade im ländlichen
Raum der öffentliche Verkehr sehr häufig über dieselgetriebene Busse abgewickelt wird und abgewickelt
werden muß, weil nicht überall eine Bahnstrecke sein
kann. Sie haben auch auf die Dieseltraktion auf der
Schiene hingewiesen. Das ist völlig richtig. Aber ich sage Ihnen: Hier halten wir - und nicht nur wir, sondern
auch der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, der
Dachverband der Nahverkehrsunternehmen - die maßvolle Mineralölsteuererhöhung allein deshalb für verkraftbar, weil der reale Verfall des Preises des Mineralöls als Grundstoff im letzten Jahr so dramatisch war, daß
jetzt noch nicht einmal die reale Senkung bei den Energiekosten durch die Ökosteuer kompensiert wird,
({2})
gleichzeitig aber in den Lohnkassen der Verkehrsbetriebe über die Senkung der Sozialbeiträge eine Entlastung
erfolgt.
Dritter und letzter Punkt - das ist das schlimmste gewesen -: Sie haben nicht mehr und nicht weniger gesagt,
als daß Sie dafür plädieren, die Regionalisierungsmittel, die der Bund an alle Länder, von der Waterkant bis
Berchtesgaden, ausreicht, um 2 Milliarden DM zu kürzen und in den Straßenbau zu stecken. Das war der Kern
Ihrer Aussage. Ich fordere Sie auf, Herr Kollege Kalb:
Wenn Sie das ernst meinen, dann stellen Sie einen Antrag. Ich bin sehr gespannt, was Ihnen am nächsten Tag
der Kollege Kajo Schommer aus Sachsen und Herr Wiesheu aus Bayern erzählen werden, wenn ihnen plötzlich
der entsprechende Anteil der Regionalisierungsmittel für
den Allgäu-Schwaben-Takt oder den Bayern-Takt in der
Kasse fehlt. Da wünsche ich Ihnen viel Vergnügen. Ich
freue mich dann darauf, zu erfahren, was Ihnen Herr
Wiesheu dann schreiben wird. Wunderbar!
({3})
Herr Kollege Maaß,
sind Sie einverstanden, wenn der Kollege Kalb jetzt erst
einmal dem Kollegen Schmidt antwortet? Ich gebe Ihnen dann das Wort zur Erwiderung auf die Kurzintervention von Frau Höll.
Bitte schön.
Herr Kollege
Schmidt, erstens ist unbestritten, daß es auch während
unserer Zeit Mineralölsteuererhöhungen gegeben hat.
Aber wir haben das nicht blumig und wolkig, um diese
Sprache aufzugreifen, mit ökologischer und sozialer
Steuerreform verbrämt.
({0})
Was Sie machen, ist schlicht und einfach abkassieren.
Man könnte das auch anders bezeichnen. Wir haben außerdem im Interesse der gewünschten Mobilität der Arbeitnehmer im ländlichen Raum die Kilometerpauschale
angehoben.
Wenn Sie Ihre Schritte damit begründen, daß die Mineralölpreise gesunken sind, möchte ich Sie zweitens
fragen: Was wollen Sie tun, wenn sich der Weltmarkt
wieder verändert? Wollen Sie dann die Steuererhöhungen wieder zurückführen?
Drittens will ich Sie nur darauf hinweisen, daß wir
kraft Gesetzes - in Verfolg des § 6 des Regionalisierungsgesetzes - gezwungen sind,
({1})
die Revisionsklausel anzuwenden.
({2})
Hier muß sowieso in Gespräche eingetreten werden.
({3})
Deshalb hat die Bundesregierung bereits im letzten Jahr
das Wibera-Gutachten erstellen lassen, um den Nachweis führen zu können, welche Nahverkehrsleistungen
auch in Zukunft zu Lasten des Bundeshaushalts erbracht
werden müssen und welche nicht.
Ich könnte mir sehr wohl vorstellen, daß sich die
Länder, wenn man mit ihnen in ein faires Gespräch eintritt und wenn man zu einer fairen und klaren Vereinbarung kommt, überlegen werden, ob sie die eine oder andere ineffiziente Streckenbedienung aufrechterhalten
wollen oder ob sie nicht vielleicht mehr Interesse daran
haben, die eine oder andere Investitionsmaßnahme
durchzuführen,
({4})
weil sie nicht automatisch davon ausgehen können - das
sage ich jetzt einmal, obwohl ich mir nicht die Gedanken der Bundesregierung machen müßte -, daß der Bund
die Mittel ohne jegliche Rechtsgrundlage in diesem Bereich unkritisch auch in der Zukunft wird gewähren
können. Hier wird man vernünftigerweise in offene, faire Gespräche und Verhandlungen mit allen Ländern
eintreten müssen. Ich bin sicher, daß man dann auch zu
vernünftigen Ergebnissen kommt.
({5})
Nun der Kollege
Maaß.
Schönen Dank, Herr
Präsident.
Frau Höll, ich möchte zwei Dinge auf die Ausführungen erwidern, die Sie in Ihrer Kurzintervention gemacht
haben. Erstens einmal steht fest, daß Sie Opposition
sind. Wenn ich im Rahmen eines Sachvortrages die Opposition angreife, weil sie, als sie noch in der Regierung
war, falsche Entscheidungen getroffen hat, können Sie
nicht gemeint sein. Wenn Sie aber, wie durch Frau
Ostrowski, meine Regierung kritisieren und ich auf diese Kritik in allgemeiner Form antworte, dann meine ich,
daß ich zu Recht von „der Opposition“ sprechen kann.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, jetzt wissen wir es ganz genau.
Nun gebe ich das Wort der Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Ich muß sagen,
daß mich die Diskussion ein wenig irritiert oder fast
langweilt. Ich gehe jetzt an Hand der Reihenfolge der
Rednerinnen und Redner der Opposition vor. Frau
Rönsch: Wo ist mehr Geld? Herr Friedrich: Wo ist mehr
Geld? Frau Ostrowski von der anderen Seite: Wo ist
mehr Geld? Herr Pützhofen, Herr Kalb: Immer wieder
dieselbe Leier. Es tut mir leid; ich muß zumindest für
den einen Teil der Opposition sagen - das sage ich bewußt nicht an die Adresse des anderen Teils -: Wo
Albert Schmidt ({0})
bleibt eigentlich Ihre Sehnsucht nach dem schlanken
Staat? Diese Frage drängt sich auf, wenn Sie hier wirklich nichts anderes als den Ruf nach mehr Staatsknete
bringen. Ich bin es echt leid.
({1})
Mein Verständnis von Politik ist, daß unsere Aufgabe
gerade darin besteht, mit vorhandenen Mitteln kreative
Bau- und Verkehrspolitik zu machen. Ich möchte dazu
etwas sagen und nicht ständig zu der Frage Stellung
nehmen: Wer hat wo mehr Geld?
Herr Pützhofen, Sie haben völlig recht. Das Volumen
der Mittel für den Wohnungsbau und für die Förderprogramme bewegt sich in der Höhe des Volumens der vorigen Haushalte - nicht mehr und nicht weniger. Wir
gehören zu den Leuten, die so viel Realitätssinn haben,
daß sie wissen: Wo nicht mehr Geld vorhanden ist, kann
auch nicht mehr Geld verteilt werden.
({2})
Gestatten Sie dennoch eine Zwischenfrage des Kollegen Pützhofen?
Ja, natürlich.
Frau Kollegin, sind
Sie denn bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich nicht
gesagt habe, daß wir mehr Geld wollen, sondern daß ich
gesagt habe, Sie haben mehr Geld versprochen, und daß
wir danach gefragt haben, wo denn das Geld, das Sie
versprochen haben, nunmehr ist?
Herr Kollege Pützhofen, zumindest für
meine Fraktion muß ich ganz deutlich sagen, daß wir
den Vorwurf „Mehr versprochen als gehalten“ entschieden zurückweisen müssen. Das muß ich wirklich deutlich sagen. Wir haben weder in den letzten vier Jahren
der Oppositionsarbeit noch im Wahlkampf irgend jemandem versprochen, wir könnten die Probleme der
Wohnungspolitik mit dem goldenen Füllhorn lösen. Sie
wissen ganz genau, daß wir keine ungedeckten Aufstokkungsanträge in den Haushaltsberatungen der letzten
Jahre gestellt haben. Ich weiß, in Ihrem Beitrag haben
Sie die Nuancen etwas anders gesetzt als die Kollegen;
ich habe da sehr genau hingehört. Aber ich finde es
schon ein wenig merkwürdig, in den Elefantenrunden
immer nach Haushaltskonsolidierung und Steuersenkung zu rufen und dann in den Einzelplanberatungen
immer mehr Haushaltsmittel zu fordern. Das ist auch ein
Problem Ihrer Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Mit der PDS verhält es sich ein bißchen anders. Aber
das wäre dann eine andere Diskussion. Die PDS fordert
so oder so immer mehr Geld. Das brauchen wir, glaube
ich, hier nicht zu diskutieren.
({1})
Zur Geschäftslage
möchte ich folgendes sagen: Ich kann niemandem das
Recht beschneiden, eine Frage zu stellen, auch nicht das
Recht des Redners, eine Frage zuzulassen. Ich muß aber
darauf hinweisen, daß drei Fraktionen beantragt haben,
die Sitzung des Bundestages um 17.15 Uhr zu unterbrechen. Das gebe ich mit Blick auf die nachfolgenden
Redner zu bedenken.
Nun frage ich Sie: Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn Frau Ostrowski meint, daß ihre Frage
wirklich sehr wichtig ist, ja. Andernfalls, denke ich, haben wir noch dreieinhalb Jahre Zeit, über dieses Thema
zu diskutieren. Insofern wäre es toll, wenn Sie auf Ihre
Zwischenfrage verzichteten.
({0})
- Verzichten Sie doch einmal.
Ich möchte noch ein paar Takte zur Wohnungspolitik sagen. Wir haben folgendes Problem - es ist schade,
daß Frau Rönsch nicht mehr anwesend ist; denn sie stellt
das immer am besten dar -: Es besteht zwar einerseits in
den oberen Marktsegmenten ein Überangebot an Wohnungen. Aber andererseits haben wir einen großen Mangel an preiswertem Wohnraum, Mietsteigerungen im
Bestand weit über die Inflationsraten hinaus und viel zu
hohe Wohnkostenbelastungen gerade für die Haushalte
mit niedrigem Einkommen.
({1})
- Ja, wir haben sogar Leerstände, Herr Kansy. Das würde ich nie bestreiten. Ich gehöre zu den Menschen mit
etwas entwickeltem Realitätssinn.
Die Angebotsausweitung der letzten Jahre, auf die Sie
so stolz sind, nützt überwiegend den Haushalten mit
mittlerem und besserem Einkommen und nicht den
Haushalten mit einem kleinen Einkommen. - Sie sollten
sich einmal ernsthaft klarmachen, was das sozialpolitisch bedeutet. - Gleichzeitig sind Sie so sagenhaft stolz
darauf, daß Sie diese Politik durch wirklich immense
Steuersubventionen erkauft haben, die sich keine Regierung und keine Fraktion weiterhin leisten können, die
es ernst meinen mit dem Thema Steuerentlastung. Wir
meinen es ernst, allerdings in verantwortbaren Proportionen und nicht einfach so als Lottospiel, wie Sie das in
der letzten Legislaturperiode tun wollten.
({2})
Darum sollten Sie Ihre Krokodilstränen über eine zu
geringe Wohnungsbauförderung, zu geringe Städtebauförderung und ein zu niedriges Wohngeld trocknen.
Sie haben Ihre Bau- und Wohnungspolitik 16 Jahre lang
hauptsächlich über das teuerste und gleichzeitig ineffizienteste Instrument, das es gibt, betrieben, nämlich über
eine Steuerpolitik aus der Gießkanne.
({3})
Unser Problem ist, daß wir das jetzt revidieren müssen.
Das ist eine ganz schwere Hypothek, zu der Sie endlich
einmal ernsthaft stehen sollten, anstatt sie noch immer
schönzureden.
Sie haben die Haushalte letztlich in eine Situation
getrieben, in der es heute tatsächlich nur noch minimale
investive Handlungsmöglichkeiten gibt und in der die
öffentlichen Haushalte und Einnahmen in den nächsten
Jahren überhaupt erst einmal mühselig konsolidiert und
wiederaufgebaut werden müssen, damit wir uns in der
Haushaltspolitik wieder der Bewältigung der wichtigen
sozialen Aufgaben stellen können.
Darum lassen Sie uns ehrlich sein. Wir stehen vor
dem Problem, daß wir das Subventionsvolumen für den
Wohnungsbau nicht steigern können - ich sehe das ganz
nüchtern - und daß wir gleichzeitig neue und zusätzliche
Aufgaben bewältigen müssen. Das Stichwort Wohngeld
ist ja schon zur Genüge gefallen.
Wenn wir neue investive Handlungsspielräume zum
Beispiel in der Bestandsförderung eröffnen wollen und
wenn wir die erforderlichen Mittel für die Wohngeldreform aufbringen wollen, die alle Seiten für nötig halten,
dann müssen wir zum Abbau von Subventionen an anderer Stelle bereit sein. Angesichts dessen bitte ich alle
Beteiligten - von welcher Seite sie auch kommen - endlich um mehr Ehrlichkeit und den Mut, sich daran zu
beteiligen. Denn anders werden wir die Probleme nicht
gelöst bekommen. Ich bin gespannt, inwieweit Sie mitarbeiten, wenn Sie jetzt im Bundesrat beispielsweise
beim Thema Wohngeld mitbestimmen. Ihre Mitarbeit
wird nötig sein.
Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen:
Wenn wir die Familien entlasten wollen - nach dem
Karlsruher Beschluß müssen wir sie ja entlasten - und
entsprechend umverteilen müssen, dann kann das nur
bedeuten, daß die Subventionen für die Immobilienwirtschaft nicht auf dem jetzigen Niveau bleiben können.
Auch hier bitte ich darum, den Mut zu haben, die notwendigen Schnitte verantwortungsvoll, sozial sowie
bau- und investitionswirtschaftlich mit Augenmaß
durchzuführen und hier nicht ständig Geld einfach so
hin- und herzuschieben, als wäre das verantwortungsvolle Politik. Denn das ist wirklich keine Lösung.
({4})
Von daher mein Fazit: Wir sehen den zunehmenden
Aufgaben bei weniger Mitteln durchaus offen ins Auge.
Ohne den Mut zu Reformen, aber auch ohne den Mut zu
unpopulären Einschnitten wird es nicht gehen, den sozialen Auftrag der Wohnungspolitik langfristig zu erfüllen. Deswegen ist unsere erste Hauptaufgabe, die
Rahmenbedingungen in der steuerlichen Förderung zu
klären, um uns dann den weiteren Aufgaben im sozialen
Wohnungsbau, im Städtebau, bei der Schaffung der sozialen Stadt und beim Wohngeld zu stellen.
Wir stehen für eine kreative Bau- und Wohnungspolitik mit den gegebenen Mitteln. Ich denke, wir werden
das schaffen. Wir wünschen uns, daß Sie als Opposition
dazu Ihren Beitrag leisten.
({5})
Ich gebe das Wort
der Kollegin Annette Faße, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind angetreten, um nach
16 Jahren Kohl, Wissmann und Co. endlich eine unter
wirtschaftlichen und umweltpolitischen Aspekten sinnvolle und verträgliche Verkehrspolitik auf den Weg zu
bringen. Dieses Ziel werden wir Stück für Stück solide,
konsequent und mit der Ehrlichkeit, die bisher gefehlt
hat, verfolgen.
({0})
Es gilt, die Mobilität für heute und morgen zu sichern. Ein wesentliches Element dieser Politik sind die
Investitionen in den verschiedenen Verkehrsbereichen.
Unser Ziel ist die Stärkung der umweltfreundlichen
Verkehrsträger Schiene und Wasserstraße, wobei unbestritten ist, daß die Straße auch auf lange Sicht der aufkommensstärkste Verkehrsträger bleiben wird. Wir
wollen aber die Potentiale nutzen und die Verkehrsträger
zum Wohle der Menschen, der Umwelt und der Wirtschaft verknüpfen. Dieses Ziel werden wir weiter in aller
Ruhe Stück für Stück, mit aller Solidität und Konsequenz verfolgen.
({1})
Der Haushalt 1999 ist dafür eine solide Basis.
Zunächst einmal galt es natürlich, Ordnung zu schaffen. Herr Schmidt ist auf einige Punkte eingegangen, bei
denen wir Ordnung geschaffen haben. Da kann es schon
einmal so aussehen, als seien immense Kürzungen - es
kursieren ja die verschiedensten Zahlen - erfolgt. Wir
haben den Etat gehalten und die Investitionen aufgestockt, für den Ausbau der Bundeswasserstraßen zum
Beispiel um 150 Millionen DM. Diese Summe ist - ich
denke, das ist unstrittig - höher als im Haushalt 1998.
Daß wir natürlich gerne sehr viel mehr machen würden - auch in Richtung Bahn -, ist ebenfalls unstrittig.
Nur, wir müssen uns, wie auch Sie es mußten, in einem
gewissen Rahmen bewegen. Angesichts der Tatsache,
daß es zunächst einmal die Haushaltslöcher zu stopfen
galt, ist es vollkommen klar, daß es sehr wohl noch
einen Unterschied zwischen den Investitionen für die
Bahn und für die Straße gibt. Wir hätten uns höhere Investitionen für die Schiene gewünscht, ohne den StraFranziska Eichstädt-Bohlig
ßenbautitel zu reduzieren. Investitionen sind für uns
ganz besonders wichtig.
Das, was im Wahlkampf angedeutet wurde, ist nicht
eingetreten: daß die rotgrüne Verkehrspolitik Chaos mit
sich bringen würde, daß wir alle Maßnahmen in Frage
stellen und die Welt von einem Tag auf den anderen
eine andere würde. Wir werden Stück für Stück die
Politik umsetzen, die wir, Rotgrün, in der Koalitionsvereinbarung festgelegt haben. Dort steht ganz deutlich
- ich denke, das wäre Ihrerseits eine positive Würdigung
wert -, daß wir uns zu den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit bekennen. Auch am Haushaltstitel Transrapid haben wir - dies haben Sie ja vorher befürchtet keine Änderung vorgenommen.
Mit dem großen Anteil von Investitionen in dem
Haushalt verfolgen wir - wie die Bundesregierung unser oberstes Ziel, Arbeitsplätze zu sichern und neue
zu schaffen. Wenn Sie sich vor Augen führen, daß die
Investition von 1 Milliarde DM mehr als 12 000 Arbeitsplätze bedeutet, dann können Sie sich ausrechnen
- man nehme den Betrag mal 20 -, wie viele Arbeitsplätze dieser Investitionshaushalt in unserem Land
sichert.
Bei allen Maßnahmen, die wir als ein erstes Zeichen
gesetzt haben, ist natürlich zu bedenken, daß ein
Großteil der Mittel gebunden ist: auf Grund von Planungen nach dem von Ihnen - leider in unseriöser
Weise - vorgelegten Bundesverkehrswegeplan und
auf Grund der Tatsache, daß viele Mittel in Instandhaltung und Modernisierung gehen müssen. Dieser
Anteil wird sich in den kommenden Jahren noch erhöhen. Der Bundesverkehrswegeplan ist eine Hinterlassenschaft, die uns sehr wohl Probleme bereitet, die viel
Arbeit mit sich bringen und, so denke ich, für viel Diskussionsstoff im Ausschuß sorgen wird. Aber auch hier
haben wir nichts in Frage gestellt, was schon begonnen
wurde. Das heißt, alle Maßnahmen, die schon begonnen wurden, werden weitergeführt. Erteilte Aufträge
haben Bestand.
({2})
Im April wird bekanntgegeben, wie die weitere Überprüfung von Maßnahmen im Bundesverkehrswegeplan
vorzunehmen ist. Das werden wir nicht in Hektik machen; das werden wir konsequent machen. Wir wollen
vor die Bürgerinnen und Bürger treten und ehrlich sagen
können: Wir machen hier einen Spatenstich, und die Finanzierung ist gesichert. Wir verfahren nicht wie Herr
Wissmann: Er macht 99 Spatenstiche, und wir haben
jetzt dafür zu sorgen, daß die Maßnahmen finanziert
werden. So ist es vor der Wahl gelaufen.
({3})
Der Bundesverkehrswegeplan ist mit 80 Milliarden
bis 90 Milliarden DM unterfinanziert. Ich denke, es ist
selbstverständlich, daß wir erst einmal dem gerecht werden, was schon begonnen wurde, daß wir da anfangen,
wo wir rechtlich verpflichtet sind, zu handeln. Das werden wir auch nicht in Frage stellen. Aber wir müssen
den Menschen schon ehrlich sagen, daß sie hier über
Jahre hinters Licht geführt worden sind. Jedem wurde
die Aufnahme in den vordringlichen Bedarf versprochen. Jetzt haben wir das große Dilemma, daß selbst die
Maßnahmen, die planfestgestellt sind, nicht umgesetzt
werden können. Sie alle, denke ich, können das in Ihren
Bundesländern feststellen.
Zu der Idee, die Regionalisierungsmittel in den Fernstraßenbau zu verlagern, muß ich Ihnen sagen: Wir haben dafür zwar eine feste Summe zur Verfügung, und
die Überprüfung findet sehr wohl statt, aber kein Land
ist bereit, diese Summe herabzusetzen. Es geht nur darum, wie die Verteilung in den kommenden Jahren geregelt wird. Wir wollen eine Unterstützung des Nahverkehrs. Wir können nicht wieder unglaubwürdig werden,
indem wir sagen: 2 Milliarden DM werden gestrichen.
Ich denke, das wird man Ihnen auch in Ihren Ländern
ganz klar und deutlich sagen.
Meine Damen und Herren, wir haben versucht - ich
denke, es ist gelungen -, mit diesem Haushalt zu zeigen,
wie Verkehrspolitik der SPD und der Grünen in Zukunft
aussehen wird. Wir haben endlich das verwirklicht, was
wir für jeden Haushalt beantragt hatten: 100 Millionen
DM für die Lärmsanierung. Wir haben die Verknüpfung für die Verkehrsträger Schiene, Straßen und Wasserstraßen mit einem deutlichen Zeichen belegt, nämlich
mit 60 Millionen DM.
Gerade hier ist privates Kapital eingeworben worden.
Der Containerterminal, der in Ludwigshafen von der
BASF gebaut wurde, hat 50 Millionen DM gekostet. Ein
großer Teil davon, nämlich 23 Millionen DM, ist privat
finanziert worden. Dahin haben wir Sie tragen müssen,
meine Damen und Herren. Doch Sie werfen uns vor, daß
wir in dem Bereich mit Scheuklappen durch die Gegend
rennen. Dies ist nicht der Fall.
({4})
Wir wollen sehr wohl - das ist keine neue Erfindung eine Promillegrenze von 0,5. Wir setzen endlich das
um, was sinnvoll und richtig ist. Das ist eine ganz klare
Aussage.
Eine zweite klare Aussage: Wir wollen keinen Führerscheinentzug für ältere Menschen. Der Minister
wollte das ebenfalls nie. Aber einer Überprüfung von
Reaktions-, Seh- und Hörfähigkeit können auch Sie sich
nicht verschließen.
Vielen Dank.
({5})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich liegen nicht vor.
Mit einem Blick auf die Uhr kann ich sagen: Es ist
fast eine Punktlandung. Für die angekündigten Fraktionssitzungen unterbreche ich die Sitzung bis 17.45 Uhr.
({0})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich eröffne die unterbrochene Sitzung
wieder und rufe zunächst den Zusatztagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Deutsche Beteiligung an der militärischen
Umsetzung eines Rambouillet-Abkommens für
den KOSOVO sowie an NATO-Operationen
im Rahmen der Notfalltruppe ({1})
- Drucksachen 14/397, 14/414 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Christoph Zöpel
Karl Lamers
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke
Ich weise Sie darauf hin, daß wir nach der Aussprache über die Beschlußempfehlung namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne hiermit die Aussprache und erteile zunächst dem Bundesminister der Verteidigung, Rudolf
Scharping, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Wir hatten alle gehofft, daß heute der Deutsche Bundestag beschließen könnte, sich an der Umsetzung eines erfolgreich abgeschlossenen Abkommens zu
beteiligen, eines Abkommens, das den Weg für ein
friedliches Miteinander der Menschen im Kosovo und
für größere Stabilität in der Region freimachen würde.
Zu diesem Abkommen ist es bisher nicht gekommen.
Aber der Weg dahin ist geöffnet. Deshalb möchte ich
zunächst all jenen danken, die in den letzten zweieinhalb
Wochen durch unermüdlichen Verhandlungswillen und
auch unter sehr großem persönlichen Einsatz ein Ergebnis herbeigeführt haben: der amerikanischen Außenministerin, aber auch den Kollegen Védrine, Cook und
dem deutschen Außenminister Joschka Fischer.
({0})
Ich schließe in den Dank die drei Unterhändler Hill,
Petritsch und Majorskij ausdrücklich ein.
Wer weiß, wie unentwirrbar das Knäuel diametral
entgegengesetzter Interessen am Beginn der Verhandlungen war und wie viele Fortschritte in Einzelfragen
erzielt worden sind, der kann ungefähr ermessen, was in
Rambouillet geleistet worden ist. Die dort mühsam errungenen Kompromisse schaffen eine Grundlage dafür,
daß es am 15. März zu einer sogenannten Implementierungskonferenz auf der Grundlage des bisher politisch
Erreichten kommt.
Diese Möglichkeit ist erheblichen Risiken ausgesetzt.
Deshalb benötigen wir Geschlossenheit, Standfestigkeit
und Beharrlichkeit, aber auch den Mut und die Weitsicht, die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Der
politische Druck auf beide Seiten des Konfliktes darf
nicht nachlassen.
({1})
Deshalb nenne ich noch einmal vier Bedingungen, die
für den Erfolg unserer Bemühungen in den nächsten drei
Wochen entscheidend sein werden. Erstens und ganz
bewußt an erster Stelle nenne ich: Belgrad und die Regierung Milosevic müssen sich ohne Wenn und Aber zu
allen Teilen des Interimsabkommens und zu den bisher
mit der internationalen Staatengemeinschaft geschlossenen Vereinbarungen - einschließlich der Verpflichtung
zu einem Waffenstillstand - bekennen.
({2})
Zweitens. Die Kosovo-Albaner müssen in ihren Reihen die volle und ungeteilte Anerkennung des Interimsabkommens zunächst noch durchsetzen, so wie sie
es zugesagt haben. Das gilt insbesondere gegenüber den
Kommandeuren der UCK vor Ort.
Drittens. Die Waffenruhe selbst und alle Resolutionen des Weltsicherheitsrats sind ohne Abstriche zu befolgen. Ich sage bei dieser Gelegenheit, daß die Vollmacht des NATO-Generalsekretärs, bei Nichtbeachtung
dieser Auflagen entsprechend zu agieren und notfalls
auch militärisches Eingreifen anzuordnen, in Kraft
bleibt.
Viertens. Die Kontaktgruppe selbst braucht in dieser
kritischen Phase weiterhin ihre Geschlossenheit, und
zwar als klares Signal der Handlungsfähigkeit der internationalen Gemeinschaft. Wir alle brauchen dafür auch
die konstruktive Mitwirkung Rußlands, wie sie sich in
den letzten Wochen dankenswerterweise erwiesen hat.
({3})
Die Bundesregierung ist sich der gewachsenen Verantwortung unseres Landes für die Sicherheit und die
Stabilität in Europa bewußt. Sie hat ein herausragendes
politisches Interesse an einem Friedensabkommen auf
der Basis des am 23. Februar in Rambouillet vereinbarten und von der Kontaktgruppe vorgelegten Textes.
Die Bundesregierung beantragt daher, der Deutsche
Bundestag möge die deutsche Beteiligung an der militärischen Umsetzung eines Friedensabkommens auf dieser
Grundlage sowie an NATO-Operationen im Rahmen
der Notfalltruppe beschließen.
Was auf dem Balkan geschieht, betrifft uns nämlich
ganz unmittelbar. Scheitern unsere Bemühungen, ist eine humanitäre Katastrophe mit schlimmsten Auswirkungen für die Bevölkerung und auch mit neuen Flücht1700
lingsströmen voraussehbar. Wir wollen alles in unseren
Möglichkeiten Stehende tun, damit es auf dem Balkan
nicht neue Leichenberge und in Europa nicht neue
Flüchtlingsströme gibt.
({4})
Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir
eine langfristig angelegte, tragfähige Lösung, die den
vollen Schutz der Menschenrechte garantiert und auch
die Rückkehr vieler Flüchtlinge und Vertriebener in ihre
Heimat ermöglicht.
Wir wissen, daß unsere Verbündeten auf einen unserer Stellung im Bündnis angemessenen und wirkungsvollen Beitrag unseres Landes für Frieden und Versöhnung im Kosovo zählen, und zwar in seiner zivilen wie
in seiner militärischen Dimension. Es ist also auch ein
Gebot der Partnerschaftsfähigkeit, der internationalen
Verläßlichkeit und der Bündnissolidarität, daß wir uns in
dieser Lage so wie unsere Bündnispartner und in gemeinsamer Abstimmung mit ihnen verhalten.
Die Bundesregierung hat sich im Oktober noch vor
ihrem Amtsantritt und im November des vergangenen
Jahres ihrer Verantwortung im Bündnis und für Europa
gestellt. Sie wird das auch heute tun. Im übrigen stehen
wir durch die doppelte Präsidentschaft in der Europäischen Union wie in der Westeuropäischen Union in
einer besonderen Verpflichtung. Wer eine gemeinsame
europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik fordert, darf sich nicht abseits stellen, wenn im
europäischen Namen und europäischen Idealen entsprechend gehandelt wird.
({5})
Unser oberstes Ziel bleibt, zu einer umfassenden
Verhandlungslösung auf der Grundlage des Textes der
Kontaktgruppe einschließlich der notwendigen zivilen
und militärischen Implementierung beizutragen. Darauf
müssen wir vorbereitet sein. Der Text der Kontaktgruppe sieht eine militärische Umsetzung und Garantie
des Friedensabkommens in einer NATO-geführten Operation vor. Der Einsatz deutscher Streitkräfte wird daher
in der politischen und strategischen Verantwortung der
Allianz, das heißt, auf der Grundlage eines NATOOperationsplanes einschließlich entsprechender NATOEinsatzregeln und NATO-Führungsstrukturen, durchgeführt.
Eine frühzeitige Präsenz der Friedenstruppe nach
der Unterzeichnung des Abkommens wird das unmißverständliche Signal dafür aussenden, daß die internationale Staatengemeinschaft willens und entschlossen
ist, das Abkommen von Anfang an konsequent und verzugslos umzusetzen. Die NATO hat deshalb von allen
Mitgliedstaaten eine verbindliche Kräfteanzeige erbeten.
Sie braucht eine klare Planungsgrundlage für die zeitgerechte Aufstellung einer entsprechenden Truppe, die
insgesamt etwa 28 000 Mann umfassen wird. Die Vorauskräfte und das erforderliche Gerät müssen so bald
wie möglich in Griechenland und in Mazedonien vorausstationiert werden. Dazu gehört übrigens auch die
Vorausverlegung der militärischen Hauptquartiere in das
Krisengebiet.
Unter diesen Umständen hat die Bundesregierung
entschieden, ein deutsches Kontingent bereitzustellen,
das 4 500 Soldaten zuzüglich jener 1 000 Mann beinhalten wird, die der Bundestag im Oktober und November für mögliche Luftoperationen im Rahmen der Verifikation der entsprechenden Abkommen und für die Notfalltruppe zum Schutz der OSZE-Beobachter bereitgestellt hat.
Die Bundesregierung wird nach Unterzeichnung
eines Abkommens für das Kosovo den Bundestag unverzüglich und umfassend über den Beginn der Umsetzung sowohl der zivilen als auch der militärischen
Aspekte dieses Abkommens unterrichten und den Bundestag erneut befassen. Es ist aber klar, daß eine Implementierung des Abkommens dadurch nicht verzögert
werden darf.
Wir treffen mit diesem Beschluß auch Vorsorge für
den Fall, daß die Verhandlungen um ein solches Interimsabkommen scheitern oder Kampfhandlungen erneut
aufflammen. In diesem Falle bleiben Luftoperationen
der NATO Ultima ratio zur Verhinderung einer humanitären Katastrophe, wie es der Deutsche Bundestag am
16. Oktober 1998 beschlossen hatte.
Im übrigen kann sich, meine Damen und Herren, die
Situation der Beobachter im Kosovo - niemand hofft
es, aber es kann auch niemand ausschließen - so verschlechtern, daß diese Beobachter unverzüglich aus dem
Kosovo herausgebracht werden müssen. Das Kontingent, über das der Deutsche Bundestag heute entscheidet, wird in einer solchen Notfallsituation zusammen mit
den Verbündeten einen wichtigen Beitrag zur persönlichen Sicherheit der Beobachter leisten. Alles andere wäre unverantwortlich.
Ein Einsatz deutscher Soldaten in einer solchen Notfallsituation zur Evakuierung der Beobachter ist eindeutig zweckgebunden, zeitlich eng begrenzt, und er wird
dann enden, wenn die Verifikateure sicher aus dem Kosovo herausgezogen worden sind. Das Operationskonzept sieht vor, daß sich diese Extraction Force unmittelbar danach wieder zurückzieht. Ich möchte also noch
einmal feststellen, daß ein Einsatz dieser Notfalltruppe
eindeutig von einem Einsatz zur Implementierung eines
Abkommens zu unterscheiden ist und daß beide wiederum nicht im Zusammenhang mit den Luftoperationen
zur Verhinderung einer humanitären Katastrophe stehen.
Lassen Sie mich neben den Gründen für den Einsatz
noch einmal deutlich machen, warum die Entscheidung
des Deutschen Bundestages heute notwendig und politisch sinnvoll ist.
Erstens. In den nächsten drei Wochen müssen alle
politischen und diplomatischen Hebel genutzt werden,
um die Zustimmung der Parteien zu einem Abkommen
zu erreichen. Dazu gehört auch, daß den Serben und in
diesem Fall vor allen Dingen den Kosovo-Albanern unmißverständlich klar ist, wie eine militärische UmsetBundesminister Rudolf Scharping
zung aussieht. Vor allem für die Albaner im Kosovo erscheint es eine unabdingbare Voraussetzung für eine
Friedensregelung, daß sie mit Gewißheit nicht weiter
unter dem serbischen Unterdrückungsapparat zu leiden
haben, insbesondere vor dem Hintergrund der mit dem
Abkommen vorgesehenen Entwaffnung der UCK. Die
Gewißheit, nicht dem serbischen Unterdrückungsapparat
ausgeliefert zu sein, kann nur eine internationale Friedenstruppe unter Führung der NATO garantieren, eine
Friedenstruppe, die nach Abschluß einer Vereinbarung
tatsächlich auch ohne Zeitverzug verfügbar ist.
Zweitens. Wir haben der NATO bislang für Planungszwecke unsere beabsichtigte Beteiligung unter
dem Vorbehalt der Zustimmung des Deutschen Bundestages angezeigt. In der bisherigen Praxis solcher
Einsätze bedeutete dies, daß eine Befassung des Deutschen Bundestages nach kurzer Zeit erfolgte. Unsere
Verbündeten haben für dieses notwendige parlamentarische Verfahren stets Verständnis gezeigt. Sollte aber,
wie einige gedacht hatten, eine konstitutive Entscheidung des Deutschen Bundestages erst in zirka drei Wochen und nach Vorliegen eines Abkommens, von dem
wir hoffen, daß es am 15. März abgeschlossen sein wird,
erfolgen, dann wäre Deutschland der einzige Staat gewesen, dessen militärischer Beitrag für die Umsetzung
eines Friedensabkommens „unter Vorbehalt“ in die Planungen hätte einbezogen werden müssen. Das wäre das
politische Risiko einer Isolierung der Bundesrepublik
Deutschland im Bündnis gewesen. Das können wir uns
nicht erlauben.
({6})
Zwischen der Vertrauensbildung gegenüber den Konfliktparteien und der Handlungsfähigkeit der NATO und
einer Zustimmung des Deutschen Bundestages besteht
also ein eindeutiger und enger Zusammenhang. Im Antrag der Bundesregierung ist vorgesehen, daß die Kräfte
zur Umsetzung eines Friedensabkommens mit Zustimmung des Aufenthaltsstaates eingesetzt werden können, sobald eine Friedensvereinbarung für das Kosovo
unterzeichnet ist, ein entsprechender Beschluß des
NATO-Rates vorliegt und der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der Sache befaßt ist. Sie sehen also,
meine Damen und Herren, daß zur Implementierung
eines solchen Abkommens militärische Kräfte nur dann
entsandt werden, wenn der Aufenthaltsstaat, in diesem
Fall die Bundesrepublik Jugoslawien, dem zustimmt.
Unter diesem Gesichtspunkt wäre völkerrechtlich eine
Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
entbehrlich. Sie ist aber politisch wünschenswert. Deshalb unterstützen wir ausdrücklich die Befassung des Sicherheitsrates mit dieser Frage.
({7})
Nun, meine Damen und Herren, ein Hinweis auf die
Größenordnung des deutschen Beitrages: Er entspricht in der Qualität und im Umfang den Beiträgen der
wichtigsten Verbündeten und damit unserem Gewicht in
der Allianz. Die Bundeswehr wird mit allen Rechten und
Pflichten daran teilnehmen, immer in dem klaren Bewußtsein, daß sie ein Instrument der politischen Konfliktbewältigung und damit unserer Außenpolitik ist.
Lassen Sie mich aber ebenso nüchtern feststellen: Dieser
Einsatz der Bundeswehr hat eine andere Dimension und
eine andere Qualität als alle früheren Einsätze. Er ist
auch mit dem Einsatz in Bosnien nicht vergleichbar. Die
Risiken sind deutlich größer, und das aus mehreren
Gründen.
Erstens. Dayton ist auch durch die Kriegsmüdigkeit
der Parteien ermöglicht worden, durch einen Krieg, der
280 000 Menschen das Leben gekostet hat, der 1 Million
Menschen vertrieb und weitere über 400 000 Menschen
sogar aus dem Land getrieben hat. Im Gegensatz dazu
kann man im Kosovo nicht von Kriegsmüdigkeit, wenn
ich das so nennen darf, reden. Serben und Albaner liefern sich weiterhin Scharmützel, rüsten weiter auf. Die
mentale, die politische Akzeptanz für eine Friedensvereinbarung ist auf beiden Seiten gering ausgeprägt. - Wir
sollten uns bei unserem Engagement bewußt sein, daß es
in diesem Teil Europas überhaupt keine Erfahrung mit
Demokratie, mit Rechtsstaatlichkeit und mit ziviler Konfliktlösung gibt.
Zweitens. Die serbische Führung hat in der eigenen
Öffentlichkeit kontinuierlich gegen internationale Präsenz agitiert und damit in der Bevölkerung eine Grundstimmung geschaffen, die den Einsatz einer Friedenstruppe mit zusätzlichen Risiken belastet.
Drittens. Unter den Kosovo-Albanern gibt es friedliche, allerdings auch höchst militante Strömungen, die
kaum zentral gesteuert sind. Diese Strömungen werden
sich ganz unterschiedlich zu einem Friedensabkommen
stellen. Deshalb kann niemand ausschließen, daß einzelne UCK-Kommandeure das Friedensabkommen unterminieren wollen.
Die deutschen Soldaten brauchen unter diesen Einsatzbedingungen den besten Schutz, den wir ihnen geben können. Ich habe deshalb schon vor rund dreieinhalb Wochen entschieden, daß die Soldaten für die speziellen Bedingungen dieses Einsatzes ausgebildet werden und daß ihnen das modernste Gerät zur Seite gestellt
wird, über das wir verfügen können. Dazu gehören auch
schwere Waffen und eine hinreichende Größe unseres
Kontingents, so daß sowohl die Durchführung des Auftrages als auch ein angemessener Schutz unserer Verbände gewährleistet sind.
Im übrigen sind das Abkommen von Dayton und das
Interimsabkommen für den Kosovo zwei Seiten einer
Medaille. Sie gehören deshalb untrennbar zusammen,
weil sie sich mit der Auflösung von Krisenherden und
gewaltfreien Entwicklungen im Kosovo beschäftigen.
Wir brauchen über die militärische Garantie solcher
Abkommen hinaus so schnell wie möglich ein kohärentes politisches Konzept für die gesamte Region, damit
sie Stabilität und damit Anschluß an Europa gewinnen
kann.
({8})
Wir dürfen uns im Interesse der Menschen, die dort leben, und im Interesse der Soldaten, die wir einsetzen,
nicht damit zufriedengeben, daß es nur eine militärische
Absicherung gibt, so wertvoll und so unverzichtbar sie
auch ist, wenn in diesem Teil Europas Menschen- und
Minderheitenrechte geachtet, friedliche Konfliktregelungen und gute Nachbarschaft auf den Weg gebracht
werden sollen. Europa kann es sich nicht leisten, diese
Region, diesen Teil seiner selbst sich selbst zu überlassen oder wie die Feuerwehr einzuspringen immer dann,
wenn ein neuer Flächenbrand droht. Wir brauchen dieses langfristige, tragfähige Konzept.
Was wir heute beschließen, versteht zumindest die
Bundesregierung und der Bundesverteidigungsminister
als die notwendige Voraussetzung für ein solch langfristiges Konzept, nicht aber für das Konzept selbst. Im
Interesse der Soldaten, im Interesse der Familien, die jede Form der Fürsorge und Hilfe verdient haben, im Interesse aller Beteiligten bitte ich den Deutschen Bundestag, dem Antrag der Bundesregierung mit möglichst
großer Mehrheit zuzustimmen.
({9})
Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Volker Rühe.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeskanzler hat hier
gestern gesagt, der Einsatz im Kosovo bedeute eine
fundamentale Veränderung der deutschen Außenpolitik. Diese Veränderung hat 1992 begonnen. Sie begann
mit großen Kontroversen und ging bis hin zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Aber es ist,
quantitativ gesehen, richtig - der Verteidigungsminister hat eben auf die besonderen Risiken dieses Kosovo-Einsatzes hingewiesen -, bis zu 6 000 Soldaten
der Bundeswehr für den Einsatz im Kosovo bereitzustellen. Qualitativ ist das ein weiterer Schritt in Richtung internationaler Verantwortung für die deutschen
Streitkräfte.
Wir sind in einer sehr ungewöhnlichen Entscheidungssituation. Es gibt kein Rambouillet-Abkommen.
Deswegen hat die Bundesregierung in ihrem Antrag um
Zustimmung zu einem Rambouillet-Abkommen gebeten. Wir sind also - ich sage das ganz nüchtern - in einer
ganz ungewöhnlichen Entscheidungssituation. Wir befinden uns vor Ort in einer sehr unübersichtlichen politischen Lage. Niemand weiß, ob es wirklich ein Abkommen geben und, wenn es eines gibt, ob es halten wird
und ob es wirklich einen Friedenswillen bei allen beteiligten Seiten gibt. Wenn es ein Abkommen gibt, dann
muß man sich zudem fragen, ob es nicht - über viele
Jahre hinweg, länger als in Bosnien - eine ganz langfristige Bindung unserer Soldaten im Kosovo bedeutet. Ich
bin mir auch nicht sicher, ob nicht im Laufe eines solchen jahrelangen Einsatzes die gesamte Verantwortung
auf europäische Soldaten übergehen wird. Das würde
noch einmal die Last für die Bundeswehr verstärken. All
dieses zusammengenommen bedeutet, daß man mit besonderer Sorgfalt an die Entscheidung herangehen und
sich um einen Konsens bemühen muß. Ich bin dankbar,
daß uns heute durch die gestrigen Gespräche ermöglicht
wird, hier zu einem Konsens zu gelangen.
Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als wir diesen
Konsens nicht hatten. Ich habe mir einige Briefe von
Frauen aufgehoben, deren Soldaten in Somalia stationiert waren. Diese Briefe werde ich immer aufbewahren.
Sie haben geschrieben: Es ist schwer für uns, daß unser
Mann jetzt nach Somalia geht. Das haben wir nicht erwartet, als er den Beruf eines Bundeswehrsoldaten ergriff; aber wir akzeptieren das. Wir akzeptieren allerdings nicht, daß der Streit über diesen Einsatz im Deutschen Bundestag weitergeht. Das ist unzumutbar. - Vor
diesem Hintergrund stelle ich als erstes fest: Wenn wir
unsere Soldaten in so gefährliche Einsätze schicken,
dann müssen wir alles tun, um immer wieder einen Konsens im Deutschen Bundestag zu finden.
({0})
Ein weiterer Punkt. Wenn wir nicht 1994 die Veränderung der Bundeswehrstruktur, nämlich die Schaffung von Krisenreaktionskräften gegen den Willen der
Sozialdemokraten und gegen den entschiedenen Widerstand der Grünen durchgesetzt hätten, dann könnte die
Bundeswehr heute einen solchen Einsatz nicht durchführen.
({1})
Trotz dieser Reformen wird der geplante Einsatz die
Bundeswehr in ihrer heutigen Form - ich glaube, so gut
kenne ich die Bundeswehr noch - an die Grenze ihrer
Belastbarkeit führen. Deswegen bitte ich herzlich darum
- Kollege Austermann hat mir über die Beratungen im
Haushaltsausschuß berichtet, daß die Vorlage der Bundesregierung, die Finanzierung dieser Operation über
den Einzelplan 60 vorzunehmen, bei den Koalitionsabgeordneten umstritten war -, wirklich alles zu tun, um
der Bundeswehr in dieser schwierigen Situation die zusätzliche finanzielle Last abzunehmen und ihr es zu ermöglichen, den geplanten Einsatz durchzuführen.
({2})
Ein weiterer Punkt. In der gestrigen Haushaltsdebatte
hat der Bundesfinanzminister die Notwendigkeit betont,
daß schnell Eingriffe in die Bundeswehr vorgenommen
werden müßten. Dazu muß ich Ihnen sagen: Wenn Sie
6 000 Soldaten der Bundeswehr auf den Balkan schikken, dann können Sie nicht gleichzeitig in Deutschland
damit beginnen, Eingriffe in Bundeswehrstandorte vorzubereiten.
({3})
Deswegen bitte ich ganz herzlich darum, daß man sich
an das hält, was der Bundesverteidigungsminister den
Soldaten der Bundeswehr versprochen hat, nämlich
Sicherheit des Standortes.
({4})
Für uns sind drei Punkte wichtig, die uns die Zustimmung ermöglichen:
Erstens. In der Erklärung der Bundesregierung wird
ausgeführt, daß es sich um einen NATO-geführten militärischen Einsatz handelt. Der Einsatz deutscher
Streitkräfte wird daher in der politischen und strategischen Verantwortung der Allianz, das heißt auf der
Grundlage eines NATO-Operationsplanes einschließlich
entsprechender NATO-Einsatzregeln und -führungsstrukturen durchgeführt.
Das zweite hat Minister Scharping eben vorgetragen:
In der Vorlage der Bundesregierung war undeutlich gearbeitet worden, weil es zu einer Vermischung der Extraction Force und der eigentlichen Kosovo Force gekommen war.
({5})
- Es muß doch möglich sein, in einer solchen Debatte
ganz nüchtern darauf hinzuweisen. - Wir haben hier in
dem Sinne eine Verbesserung und eine Klarstellung erreicht, daß die beiden Dinge nicht miteinander verbunden werden und daß sich die Extraction Force sofort
nach Abschluß der Mission zurückzieht.
Herr Kollege Scharping, ich möchte im übrigen zu
dem, was Sie schließlich gesagt haben, anmerken: Von
Anfang an bestand die Bereitschaft der Opposition, dort
die logistischen Vorbereitungen zu treffen und die Soldaten nach Mazedonien und nach Griechenland zu verlegen.
Der dritte Punkt, auf den ich eingehe, ist - wir haben
darauf bestanden -, daß der Deutsche Bundestag noch
einmal befaßt wird, wenn das Abkommen tatsächlich
vorliegt und wenn es darum geht, die Grenzen zum Kosovo zu überschreiten. Ich glaube, die Klarstellung, die
wir hier erreicht haben, war wichtig.
({6})
Dadurch kommt es nicht zu einer Verzögerung der Implementierung. Auch das Bundesverfassungsgericht hat
klargestellt: Wenn eine bestimmte Situation dort gegeben ist, dann können Sie handeln und müssen sich im
Anschluß daran vom Bundestag die Unterstützung besorgen.
Ich habe heute in einer überregionalen Zeitung gelesen, daß die Opposition den Handlungsspielraum der
Exekutive einschränken würde, indem sie auf die Klarstellung gedrängt hat, daß das letzte „go“ des Bundestages erst dann erfolgt, wenn das Abkommen vorliegt. Ich
muß Ihnen sagen - ich habe noch eine gute Erinnerung
an meine eigene Tätigkeit -: Ich habe die Mitwirkung
des Deutschen Bundestages bei so schicksalsschweren
Entscheidungen wie der Entsendung deutscher Soldaten
in eine schwierige internationale Situation nie als eine
Einschränkung der Handlungsfähigkeit der Regierung
betrachtet. Ich glaube, es ist ein guter Weg in Deutschland, daß Regierung und Parlament gemeinsam die Verantwortung für so schwierige internationale Einsätze
tragen.
({7})
Auch deswegen ist es wichtig, daß es in dem von uns
in den vergangenen Jahren immer wieder praktizierten
Verfahren keinen Bruch gegeben hat. Das heißt, wir
schulden unseren Soldaten Fürsorge.
({8})
Zu dieser Fürsorge gehört die militärische Ausrüstung
und Vorbereitung. Ich weiß, es ist für einen sozialdemokratischen Verteidigungsminister kein leichter
Schritt - ich sage das ohne Polemik -, Leopard-Panzer
und Marder in diese Region zu entsenden. Ich möchte
ausdrücklich anerkennen, daß sich der Verteidigungsminister ausschließlich davon hat leiten lassen, was für
den Schutz der Soldaten notwendig ist. Er hat keine
politischen Überlegungen in diese Frage eindringen
lassen. Das muß ausdrücklich gewürdigt werden; denn
sonst könnte man einen solchen Einsatz nicht vertreten.
({9})
Wir schulden den Soldaten aber mehr als die militärische Ausrüstung und die militärische Vorbereitung. Wir
schulden ihnen - ich glaube, daß wir ihnen das mit dem
Beschluß des Deutschen Bundestages geben werden die Unterstützung, die sie alle spüren sollen.
Wir haben gestern einige Stimmen nach dem Motto
„Wir brauchen die Opposition nicht“ gehört. Das mag
numerisch so sein. Aber gerade bei einem solchen Einsatz ist es ganz entscheidend - wir werden in sehr
schwierige Situationen kommen; täuschen Sie sich darüber nicht - , daß es hier einen Konsens auf einer klaren
Grundlage gibt und daß in den Gesprächen - ich danke
in diesem Zusammenhang vor allem dem Außenminister
- festgestellt worden ist:
Die Bundesregierung wird nach Unterzeichnung
eines Friedensabkommens für das Kosovo den
Bundestag umfassend und unverzüglich über den
Beginn der Umsetzung sowohl der zivilen als auch
der militärischen Aspekte dieses Abkommens unterrichten und den Bundestag erneut befassen. Wir
sind uns dabei einig, daß eine Implementierung dadurch nicht verzögert werden darf.
Dies ist eine Basis, die außenpolitisch richtig ist, die
aber auch von Sorgfalt und Fürsorge für unsere deutschen Soldaten geprägt ist. Wir sind stolz darauf, gemeinsam einen solchen Schritt getan zu haben.
({10})
Nächster Redner in
der Debatte ist der Minister des Auswärtigen, Joseph
Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue
mich, daß sich nach den Gesprächen am gestrigen Tag
ein breiter Konsens abzeichnet. Im Namen der Bundesregierung kann ich hier nur noch einmal betonen, daß es
für uns angesichts der schwierigen politischen Situation
und angesichts der schwierigen Situation, in der dieser
Einsatz stattfinden wird, eine Selbstverständlichkeit ist,
den Oppositionsparteien, wenn sie Nachfragen haben
oder Präzisierungen wünschen, zu antworten. Ich freue
mich, daß es auf Grund der Gespräche, die wir geführt
haben, gelungen ist, die Fragen befriedigend beantworten zu können und hier im Hause zu einer möglichst
breiten Beschlußgrundlage zu kommen.
Heute haben wir eine wichtige Antwort auf die Verhandlungen in Rambouillet zu geben. Die Verhandlungen in Rambouillet stehen in einem direkten Kausalzusammenhang zur Entwicklung der Situation im Kosovo. Lassen Sie mich daher hier nochmals darauf hinweisen, daß wir einen weitergehenden Beschluß zu fassen
haben. Der erste diesbezügliche Beschluß wurde vom
13. Deutschen Bundestag kurz vor dem Auslaufen der
Legislaturperiode gefaßt. Damals war es möglich, mit
der Androhung von Luftschlägen der NATO, die uns
allen sehr schwergefallen ist, eine Vereinbarung zwischen der Regierung in Belgrad und dem Sondergesandten der Vereinigten Staaten, Herrn Holbrooke, zu
erreichen. Es war gelungen, eine humanitäre Katastrophe abzuwenden, die Menschen aus den Bergen und aus
den Wäldern vor Einbruch des Winters in Behausungen
- darum handelt es sich im wesentlichen; viele ihrer
Wohnungen und Häuser waren zerstört - zurückzubringen. Auf diese Weise konnte eine humanitäre Katastrophe abgewendet werden.
Die Implementierung des politischen Friedens, also
die Durchsetzung eines regionalen und demokratischen
Autonomiestatuts, ist allerdings nicht gelungen. Demnach ist es nicht gelungen, den Frieden durchzusetzen.
Ein Aufflackern der Kämpfe bis hin zum Massaker von
Racak mußte dann die internationale Staatengemeinschaft dazu zwingen, den Weg zum Frieden am Boden
zuerst gegen und hoffentlich dann auch mit den Beteiligten zu erreichen.
In Rambouillet wurde der Versuch gemacht, die Akzeptanz beider Seiten zu einem Weg des Friedens zu erreichen. Für die internationale Staatengemeinschaft und
vor allen Dingen für die Europäer ist es wichtig, zu begreifen: Wir werden diesem Konflikt, wenn wir wegschauen, nicht entkommen können, sondern wie in Bosnien wird dann das Drama - das Morden, die Zerstörungen und die Flüchtlinge - letztendlich zum Hinschauen
und dann zum Handeln zwingen. Die Erfahrungen in
Bosnien veranlassen, ja nötigen die internationale Staatengemeinschaft dazu, jetzt in diesen Konflikt friedensstiftend einzugreifen. Genau darüber fassen wir heute
den Beschluß.
Glauben Sie mir, in den vergangenen Wochen waren
für mich persönlich die Stunden am letzten Samstag in
Rambouillet, als es völlig offen war, ob es Krieg oder
Frieden heißt, die schwierigsten. Nachdem ich dort auf
die Intransigenz der Beteiligten, vor allen Dingen von
Vertretern der Regierung aus Belgrad, gestoßen bin und
mitbekommen habe, wie hier ganz offensichtlich bei
zahlreichen Beteiligten nicht das Schicksal der Menschen und nicht das Interesse am Frieden, sondern der
Machterhalt im Vordergrund stehen und wie Gewalt,
Mord und Krieg ganz selbstverständlich als Mittel der
Politik in das Kalkül einbezogen werden, sage ich Ihnen:
Wegschauen bedeutet die Akzeptanz dieser mörderischen Logik. Das dürfen und können wir uns nicht erlauben.
({0})
Ich möchte mich hier dem Dank, den der Bundesverteidigungsminister ausgesprochen hat, ausdrücklich
anschließen, denn ich weiß, welche Arbeit die Verhandlungspartner geleistet haben und wie wichtig es
war, daß Rußland an diesem Prozeß beteiligt war und
ist. Nachdrücklich füge ich hinzu: Ich möchte in diesen
Dank auch und gerade die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes wegen ihres nun wirklich
rund um die Uhr gehenden Einsatzes bei den Verhandlungen in Rambouillet mit einschließen.
({1})
Dieser Dank gilt selbstverständlich auch für den Repräsentanten des BMVg in Rambouillet, den ich an dieser
Stelle nicht vergessen möchte.
({2})
Der Weg zum Frieden ist beschritten. Wir sind heute
so weit, daß wir eine Vereinbarung in den Händen halten, auf die sich die Kontaktgruppe geeinigt hat. Kapitel 2 und Kapitel 7 des Entwurfs werden von Rußland
nicht akzeptiert, solange darunter nicht die Unterschrift
der Bundesrepublik Jugoslawien steht. Im Klartext heißt
dies: Rußland will im Moment nicht Druck auf die Bundesrepublik Jugoslawien ausüben, die militärische Implementierung zu akzeptieren; Rußland ist aber in dem
Moment, in dem sie akzeptiert wird, bereit, sie nicht nur
politisch mitzutragen, sondern sich dann auch an der
Umsetzung - wie die öffentlichen Erklärungen aus
Moskau mittlerweile zeigen - zu beteiligen. Ich sehe
darin einen wesentlichen Fortschritt.
Hoffnungsvoll stimmt mich auch, daß Frankreich in
einem informellen Treffen des Sicherheitsrates die Erklärung der Kontaktgruppe sofort zirkuliert hat. Daraufhin ist es unter Teilnahme Chinas - auch das ist ein
wichtiges Signal - zu einer einstimmigen Unterstützung
einer Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates auf
der Grundlage der Erklärung der Kontaktgruppe gekommen.
Was wir heute beschließen, ist der gemeinsame Einsatz von Bundeswehrsoldaten und Soldaten der Bündnispartner als Vorbereitung für die Umsetzung des
Friedensabkommens. Dies ist eine ungewöhnliche und
schwierige Situation für das Haus. Ich bin mir darüber
im klaren. Aber diese Situation liegt nicht in der Verantwortung der Bundesregierung; wir konnten sie uns
nicht aussuchen. Wir wären weiß Gott heilfroh, wir
könnten heute sagen: Der Vertrag ist unterschrieben. So müssen wir heute diesen Beschluß fassen. Denn was
wäre die Alternative? Wenn wir diesen Beschluß heute
nicht fassen würden, wäre die Folge, daß Belgrad einen
Widerspruch im westlichen Bündnis vermuten würde,
was wir nicht zulassen dürfen, und daß gleichzeitig die
Kosovaren an der Entschlossenheit der NATO, ihr Versprechen zu halten, nämlich im Falle einer Unterschrift
für die militärische und zivile Implementierung zu sorgen, zweifeln würden, so daß es nicht zu einer Unterschrift kommen würde.
Damit sind wir beim entscheidenden Punkt. Frieden
im Kosovo ohne eine militärische Absicherung und ohne
einen zivilen Beitrag der internationalen Staatengemeinschaft wird es nicht geben.
({3})
Diese militärische Absicherung wird von den Kosovaren
nur der NATO zugetraut. Jede andere Form der Absicherung würde von ihnen nicht akzeptiert werden und
würde demnach nicht zu ihrer Unterschrift führen.
Die Kosovaren werden eine Implementierung selbst
des besten Friedensvertrages durch die Bundesrepublik
Jugoslawien, durch die jugoslawische Armee oder gar
durch die serbische Sonderpolizei nicht akzeptieren.
Keiner von uns würde dies auf Grund der blutigen Erfahrungen, die gemacht wurden, an deren Stelle akzeptieren.
Umgekehrt würde die Bundesrepublik Jugoslawien
niemals akzeptieren, daß die Implementierung eines solchen Vertrages in den Händen der kosovarischen Seite
liegt. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, daß sich die
internationale Staatengemeinschaft bereit erklärt, diesen
Vertrag zu implementieren. Mit dem heutigen Beschluß
leisten wir daher einen entscheidenden Beitrag zur Umsetzung des kommenden Friedensvertrages.
Ich möchte dem Haus in der Frage, ob es dazu am
15. März kommen wird, meine ehrliche Einschätzung
mitteilen. Wir werden alles versuchen und im Rahmen
der Kontaktgruppe und der Vermittlertroika wie auch
durch bilaterale Verhandlungen weiter daran arbeiten, zu
einem Erfolg zu kommen, für den ich Ihnen hier aber
keine verbindliche Zusicherung geben kann. Dies wäre
fahrlässig und falsch. Angesichts der Ernsthaftigkeit der
Situation ist es geboten, daß die Bundesregierung Klartext redet und sagt: Wir wollen alles versuchen, aber wir
können nicht garantieren, daß wir am 15. März zu einem
erfolgreichen Abschluß kommen.
Wir dürfen - der Bundesverteidigungsminister hat
dies schon angesprochen - den Fehler, der nach Dayton
begangen wurde, nicht wiederholen. Der Vertrag von
Dayton war gut und alternativlos. Der Fehler lag nicht
im Vertrag selbst. Er bestand vielmehr darin, daß der
Prozeß nicht weiter vorangetrieben wurde. Was wir
brauchen, ist - dem kann ich nur nachdrücklich zustimmen - eine Fortsetzung des Prozesses. Dies wird eine
langfristige Verpflichtung vor allen Dingen für die
Europäer bezüglich der zivilen Implementierung bedeuten. Ich bin mir sicher: Wenn wir Erfolg haben werden
und die Waffen schweigen, werden wir eine Bosnienähnliche Entwicklung erleben. Das heißt, daß das militärische Element nach und nach abgebaut werden kann.
Nur, was wir brauchen, ist in der Tat ein langfristiges
Gesamtkonzept, ein Stabilitätspakt für den südlichen
Balkan, der eine langfristige Verpflichtung der internationalen Staatengemeinschaft und Europas verlangen
wird, vor allen Dingen bei der Entwicklung zukunftsfähiger ziviler Strukturen.
({4})
Wir können - da sind wir uns alle hier im Haus einig die Soldaten aus Bosnien heute noch nicht abziehen.
Wann wir sie je abziehen können, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt realistischerweise nicht absehbar. Wenn
wir aber, wie am Beispiel Bosnien sichtbar, dort langfristig engagiert bleiben müssen, damit der Friede, die
Nichtgewalt bestehenbleibt, dann können wir doch auch
den nächsten Schritt tun und mit einem solchen Stabilitätspakt für den südlichen Balkan langfristig denken.
Eine Lösung für Bosnien, eine Rückkehr Serbiens in
die Gemeinschaft der europäischen Völker, raus aus der
Isolation, hin zu Demokratie und Frieden, eine Hilfe für
Albanien, eine Zukunft für Makedonien, eine Lösung
der Minderheitenkonflikte auf zivile, demokratische Art
und Weise, eine regionale Sicherheitsarchitektur, eine
regionale Architektur für Handel und wirtschaftliche
Entwicklung - all das ist notwendig. Einfacher und billiger wird der Friede auf dem Balkan nicht zu erreichen
sein.
({5})
Einfacher und kurzfristiger wird es nicht gehen.
Europa ist gegenwärtig zweigeteilt. Wenn wir auf den
Balkan blicken, sehen wir das Europa der Vergangenheit, wenn wir nach Brüssel schauen, sehen wir das
Europa der Integration, das Europa der Zukunft; einerseits das Europa der Vergangenheit, der Kriege und der
ethnischen Säuberungen, andererseits das Europa der
Zukunft, der Integration und, Gott sei Dank, des Verschwindens des Krieges als Mittel der Politik, das Europa
der engen Kooperation, das Überwinden und Auflösen
von Grenzen. Wir werden den südlichen Balkan hin zum
Europa der Integration entwickeln müssen. Voraussetzung dafür ist aber, daß im Kosovo die Waffen
schweigen. Dazu können wir heute mit dem Beschluß
des Hauses einen entscheidenden Beitrag leisten.
({6})
Für die F.D.P.Fraktion spricht jetzt der Kollege Ulrich Irmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir führen hier eine Debatte und fassen nachher einen Beschluß, aus dem sich ergibt, daß
diese Stunde, glaube ich, zu den ernstesten Stunden geBundesminister Joseph Fischer
hört, die dieses Parlament je erlebt hat. Denn es geht
hier um Leben und Tod unserer Soldaten, und es geht
auch um Leben und Tod zahlloser Menschen auf dem
Balkan.
Es tut mir sehr leid, Herr Bundeskanzler, aber ich
muß mich mit einer Bemerkung an Sie persönlich wenden. Ich habe Sie vorhin hier vermißt. Wenn Sie ein Gespräch mit einem auswärtigen Regierungschef gehabt
hätten, hätte ich volles Verständnis dafür gehabt. Mir
wird aber berichtet, daß Sie mit dem SPD-Vorsitzenden
draußen im Restaurant gesessen und Weißbier getrunken
haben.
({0})
- Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, ich erlaube mir, dies anzusprechen. Ich glaube, das ist mehr
als eine Stilfrage.
({1})
Sie können die Tatsache, daß Sie die erste halbe Stunde
nicht hier waren, dann den Soldaten der Bundeswehr erklären, die wir heute hier möglicherweise ins Feuer
schicken, und auch deren Angehörigen. Ich erinnere
mich jedenfalls nicht daran, daß der frühere Bundeskanzler Kohl jemals während einer Debatte über den
Einsatz der Bundeswehr im Ausland auf der Regierungsbank gefehlt hätte.
({2})
Ich komme zur Sache.
({3})
Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß wir heute
Neuland betreten. Wir fassen nämlich erstmals einen
Vorratsbeschluß.
({4})
Es ist hier von den beiden Mitgliedern der Bundesregierung mit der wünschenswerten Deutlichkeit dargestellt worden, daß es eine Grundlage, auf der wir diesen
Beschluß fassen können, bis heute nicht gibt. Keiner
weiß - obwohl es alle hoffen -, ob das Abkommen von
Rambouillet unterzeichnet werden wird oder nicht. Ich
sage ganz deutlich: Wir sind gleichwohl der Meinung,
daß dieser Beschluß heute hier gefaßt werden muß. Die
F.D.P.-Fraktion wird dem Antrag der Bundesregierung
zustimmen. Aber ich möchte darauf hinweisen, daß dies
nach Möglichkeit ein einmaliger Vorgang bleiben muß
und daß in Zukunft in aller Regel die Voraussetzungen
solcher Beschlüsse klar und eindeutig vorliegen müssen.
({5})
Ich betone weiter, daß vorgestern vormittag, als der
Auswärtige Ausschuß und der Verteidigungsausschuß
erstmals mit dem Antrag der Bundesregierung befaßt
worden sind, die Voraussetzungen für eine Zustimmung
nicht gegeben waren. Es waren die Einwände der Oppositionsparteien, die dazu geführt haben, daß - ich erkenne das an - die Bundesregierung ihren Antrag präzisiert
hat. Genau genommen hat sie ihn nicht präzisiert; sie hat
aber - das hat Herr Fischer heute früh im Auswärtigen
Ausschuß gesagt, und Herr Scharping hat es eben hier
vom Pult aus noch einmal gesagt - dafür gesorgt, daß
die Entscheidungsgrundlagen jetzt klar und präzise sind,
indem eine Protokollerklärung dem Beschluß beigefügt wird, die wir allerdings - darauf müssen wir großen
Wert legen - als integralen Bestandteil des Antrages und
unseres Beschlusses interpretieren.
({6})
Ohne diese Protokollerklärung wäre die Zustimmung in
der Breite, wie sie gleich erfolgen wird, nicht möglich.
Ich frage noch einmal: Warum steht all das, was jetzt
an Richtigem und Notwendigem in der Protokollerklärung steht, nicht im Beschluß selbst?
({7})
Warum steht nicht schon im Antrag, daß der „Einsatz
deutscher Streitkräfte … in der politischen und strategischen Verantwortung der Allianz, d. h. auf der Grundlage eines NATO-Operationsplanes einschließlich entsprechender NATO-Einsatzregeln und NATOFührungsstrukturen durchgeführt“ wird, wie es jetzt in
der Protokollerklärung heißt? Ich halte dies für eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß wir dem Antrag der
Regierung zustimmen. Ich betone das hier noch einmal,
damit es später nachgelesen werden kann.
Für genauso wesentlich halte ich die verbindliche Zusage der Bundesregierung, daß der Bundestag, sobald
das Abkommen von Rambouillet unterzeichnet ist, nicht
nur unverzüglich und umfassend über den Beginn der
Umsetzung sowohl der zivilen als auch der militärischen
Aspekte dieses Abkommens unterrichtet wird, sondern
auch erneut befaßt wird. Meine Herren in der Bundesregierung, wir werden Sie beim Wort zu nehmen haben
und beim Wort nehmen.
({8})
Meine Damen und Herren, der Bundesverteidigungsminister hat mit Recht darauf hingewiesen, daß es
sich hier um einen Einsatz neuer Qualität handeln
wird. Erstmals werden in großem Umfang Bodentruppen
entsandt. Ich habe dankbar zur Kenntnis genommen,
Herr Bundesverteidigungsminister, daß auch für Sie
- das ist selbstverständlich - die Fürsorge für die Soldaten absolut im Vordergrund steht.
({9})
Ich erwarte, daß vor der Entsendung und während des
Einsatzes ständig überprüft wird, ob das Gerät in Ordnung ist und ob die Soldaten in der Lage und dafür ausgebildet sind, den Einsatz zu bewältigen.
({10})
Hier muß eine permanente Überprüfung stattfinden. Ich
habe aber insoweit Vertrauen nicht nur zum Bundesverteidigungsminister, sondern auch zur Führung der Bundeswehr, die sehr wohl weiß, in welche Gefahren wir
deutsche Soldaten hier entlassen.
Meine Damen und Herren, die Entscheidung ist
schwer, und keiner von uns macht sie sich leicht. Wir
hoffen alle, daß wir als Deutsche durch diesen Beschluß
einen Beitrag dazu leisten können, daß im Balkan ein
Hoffnungsschimmer sichtbar wird und daß vielleicht
auch dort eines Tages der Friede wiedereinkehrt.
Ich bedanke mich.
({11})
Für die PDSFraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Kollege Irmer, gerade weil ich
Sie trotz aller politischen Unterschiede persönlich schätze, gestatte ich mir eine Bemerkung - mir ist das nämlich schon gestern beim Kollegen Schäuble aufgefallen -:
Ich finde, auch dieser Bundeskanzler hat es verdient,
daß man sich mit ihm aus der Opposition heraus politisch auseinandersetzt und nicht ständig auf der persönlichen Ebene gezielt mit Schlägen unterhalb der Gürtellinie vorgeht. Das ist nicht nötig.
({0})
Das ist mir schon gestern aufgefallen. Ich suche die
politische Auseinandersetzung und werde sie auch führen. Aber man darf dabei eine bestimmte Ebene nicht
verlassen.
Wir werden dem Antrag der Bundesregierung nicht
zustimmen und haben dafür viele Gründe. Ich will zunächst auf einen hinweisen, der uns die Zustimmung
schon unmöglich macht: Das ist der Bezug, den der Antrag der Regierung auf die Beschlüsse des vorigen Bundestages vom Herbst 1998 nimmt.
Worum ist es damals eigentlich gegangen? - Das soll
ja durch den heutigen Beschluß erneut bestätigt werden. Damals hat der Bundestag entschieden, nicht nur die
Androhung, sondern auch die Anwendung militärischer Gewalt gegen die Bundesrepublik Jugoslawien
durch den Einsatz von Tornados zu unterstützen. Das
heißt, es ging um die Bombardierung Jugoslawiens
durch die NATO unter Beteiligung der Bundesrepublik
Deutschland, und zwar unter dem klaren Vorzeichen,
daß es dafür selbstverständlich keine Einwilligung Jugoslawiens, aber auch keine Zustimmung des UNSicherheitsrates geben wird. Dieser Beschluß besteht so
nach wie vor für den Fall, daß es in Rambouillet nicht zu
Vereinbarungen kommen sollte.
Man kann das alles drehen und wenden, wie man
will. Dieser Beschluß ist völkerrechtswidrig gewesen,
und er bleibt es auch heute.
({1})
Denn er beinhaltet - ich muß das so deutlich sagen nach der UN-Charta nichts anderes als die Billigung
einer Aggression.
Was ist denn historisch geschehen? Vor 1945 hatten
wir eine Welt, in der sich immer die Interessen der militärisch Stärkeren durchsetzten. Das war im vergangenen Jahrhundert so, und das war in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts so. Dann fand sich die internationale
Gemeinschaft in New York zusammen und hat gesagt:
Wir brauchen ein anderes Völkerrecht. Wir brauchen
eine andere Grundlage. Es kann nicht dabei bleiben, daß
immer die militärisch Stärksten ihre nationalen Interessen - koste es, was es wolle - durchsetzen. Daraufhin
hat man zwei Dinge vereinbart, und zwar Kapitel VII
Art. 39ff. und Art. 51 der UN-Charta:
Man hat in Art. 51 geregelt - ausschließlich die beiden hier genannten Fälle müssen zutreffen -, wann im
Rahmen der internationalen Beziehungen die Androhung militärischer Gewalt oder gar deren Anwendung
genehmigt ist, nämlich erstens zur Selbstverteidigung
und zweitens zur Verteidigung eines Bündnispartners.
Tatsache ist: Die Bundesrepublik Jugoslawien hat weder
Deutschland noch einen Bündnispartner Deutschlands
angegriffen, so daß das Zutreffen des Art. 51 im Rahmen der damaligen Entscheidung mit Sicherheit entfiel.
Dann gibt es noch einen zweiten Fall, der ebenfalls in
Kapitel VII der UN-Charta geregelt ist, daß nämlich der
Sicherheitsrat der UNO gemäß Art. 39 feststellt, daß der
Frieden gefährdet ist, und seinerseits militärische Maßnahmen androht bzw. anordnet.
Es war klar, daß beide Fälle nicht vorlagen. Dennoch
hat der Bundestag mit großer Mehrheit beschlossen, zuzustimmen, daß die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit anderen Staaten gegebenenfalls die Bundesrepublik Jugoslawien bombardiert. Auf diese damaligen Beschlüsse wird jetzt Bezug genommen. Das wäre
aber nach der UN-Charta eine Aggression gewesen.
({2})
Schon die Androhung von Gewalt - nicht erst die Anwendung - ist nach der UN-Charta völkerrechtswidrig
und stellt damit die Androhung einer Aggression dar. Da
hilft es nichts, über die Zustände in Jugoslawien in diesem Zusammenhang zu diskutieren.
Nun geht es ja weiter: Im April dieses Jahres soll ein
neues NATO-Dokument beschlossen werden. Die USA
legen Wert darauf, daß dort grundsätzlich festgehalten
wird, daß man bei drohenden Katastrophen auch ohne
Zustimmung des UN-Sicherheitsrates berechtigt sein
soll, militärisch einzugreifen. Das hebt das Völkerrecht
auf Dauer auf und bedeutet: Die NATO koppelt sich
von der UNO und von der UN-Charta ab.
Wer das zuläßt, der wird nicht umhinkommen, das
auch anderen Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika zuzubilligen. Das heißt, die Weltordnung, wie sie
nach 1945 entstanden ist - sie mag nicht die beste sein,
aber sie stellt immerhin eine Weltordnung dar -, wird
zerstört, ohne daß es eine andere oder eine bessere gibt.
An die Stelle des Völkerrechts tritt wieder das Recht des
Stärkeren - also genau das, was 1945 in der Geschichte
der Völker endlich beendet werden sollte.
({3})
Sehen Sie, es bleibt im Zusammenhang mit dem
Vertrag ein großes Problem. Auch wir wünschen uns wie alle anderen Fraktionen hier -, daß es in Rambouillet zu einem Vertrag kommt, um das Blutvergießen in
Jugoslawien zu beenden und jedes militärische Eingreifen, auf jeden Fall die angedrohte und angekündigte
Bombardierung, überflüssig zu machen. Aber problematisch bleibt, daß dieser Vertrag - wenn überhaupt für den Fall, daß eine Unterschrift nicht geleistet wird,
nur unter der Androhung von Bombardierung zustande
kommt. Nicht nur nach dem Zivilrecht, sondern auch
nach dem Völkerrecht ist ein solcher Vertrag an sich
nichtig. Dennoch wünschen wir uns, daß er zustande
kommt. Aber unter den gegebenen Bedingungen - auch
mit Hilfe des Beschlusses des Bundestages vom Herbst
1998 - bleibt es ein völkerrechtlich höchst fragwürdiger
Vertrag.
({4})
Damit Sie nicht glauben, daß ich diese Position ganz
allein beziehe, möchte ich Ihnen allen empfehlen: Lesen
Sie den Artikel von Willy Wimmer, CDUBundestagsabgeordneter und Vizepräsident der Parlamentarierversammlung der Organisation für Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa, vom 23. Februar 1999
in der „Berliner Zeitung“.
Herr Kollege, ich
muß Sie leider an Ihre Redezeit erinnern.
Ich hätte gerne noch aus
diesem Artikel zitiert. Ich brauche das nicht zu tun, weil
Sie das selber nachlesen können. Sie werden in diesem
Artikel Kritik an der USA-Strategie finden. Der Autor
weist auf den Völkerrechtsbruch hin, kritisiert die Loslösung vom UN-Sicherheitsrat und warnt uns alle vor
den unabsehbaren Folgen eines Eingreifens.
Deshalb: Wir stimmen der Zerstörung der Weltordnung, wie sie nach 1945 aus guten Gründen entstanden
ist, nicht zu. Das würden wir tun, wenn wir dem Antrag
der Bundesregierung zustimmten.
({0})
Es spricht jetzt der
Bundeskanzler Gerhard Schröder.
Herr Kollege
Irmer, ich darf mich an Sie wenden, um einen Irrtum
aufzuklären.
Mein Büro hat mir gesagt, meine Präsenz sei um
19 Uhr erforderlich. Ich bin davon ausgegangen, daß das
der Beginn der Debatte sei. Es ist der voraussichtliche
Beginn der Abstimmung. Das ist meine Schuld, nicht
die Schuld meines Büros. Ich bedauere das und bitte die
Kolleginnen und Kollegen, das zu verstehen.
({0})
Nächster Redner in
der Debatte ist der Kollege Paul Breuer, CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Bundesregierung, der hier noch einmal von Herrn Minister
Scharping begründet worden ist, veranlaßt die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu einer sehr nachdenklichen Haltung und zu einem sehr sorgfältigen Umgang
mit der Sache.
Es sind sehr ernste Gedanken, die uns hier bewegen
müssen. Es ist betont worden, daß sowohl die Qualität
wie die Dimension dessen, was uns im Kosovo und um
den Kosovo herum begegnen kann, von besonders
schwerwiegender Bedeutung sind. Wir tragen diese Verantwortung für unser Land, für den Frieden auf unserem
Kontinent.
Wir stehen in ganz besonderer Verantwortung für
jeden einzelnen Soldaten, den wir in diesem Gebiet zum
Einsatz bringen müssen. Wir sollten an dieser Stelle
denjenigen, die dazu bereit sind, diesen Dienst zu leisten
- und die ihn heute leisten: bei der Extraction Force in
Mazedonien, in Bosnien-Herzegowina, aber auch, um
das alles zu unterstützen, zu Hause -, unseren herzlichen
Dank sagen.
({0})
Ich stelle diesen Dank sehr bewußt an den Anfang
meines Beitrages. Der erreichte Verhandlungsstand in
Rambouillet läßt es zumindest nicht zu, zu der Auffassung zu gelangen, daß es keine Chance zum Frieden gäbe. Wieviel Hoffnung letztlich bleibt, daß der erreichte
Verhandlungsstand für eine dauerhafte Sicherung des
Friedens ausreicht, das müssen wir der Entwicklung der
kommenden Wochen überlassen. Genau zu bestimmen da stimme ich mit dem überein, was der Außenminister
hier gesagt hat -, wann der Zeitpunkt des Abkommens
erreicht wird und ob es erreicht wird, läßt sich heute
nicht genau sagen.
Unsere Aufgabe ist es, diese Sachlage sehr realistisch
zu beurteilen und unseren verantwortlichen Beitrag zu
leisten. Der Deutsche Bundestag ist dieser Verantwortung mit seinen Beschlüssen vom 16. Oktober, vom
13. und 19. November nachgekommen.
Herr Kollege Gysi, ich möchte zu Ihren Betrachtungen nur eines sagen, und zwar mit Nachdruck: Bitte
nehmen Sie zur Kenntnis, daß sich zum damaligen Zeitpunkt, also vor Einbruch des Winters - es ist ein harter
Winter geworden -, 40 000 Flüchtlinge in den Wäldern
aufgehalten haben. Dem, der da nach wie vor nur rein
juristische Betrachtungen anstellt, die noch dazu fragwürdig sind, kann man schon einen gewissen Zynismus
vorwerfen, Herr Kollege Gysi.
({1})
Diese Menschen sind vor dem Kältetod, vor dem Hungertod bewahrt worden;
({2})
das muß heute festgestellt werden. Das war nur durch
die Androhung dessen möglich, was wir auf Grund unserer Verantwortung androhen mußten.
Meine Damen und Herren, wir wollen die mit unseren Bündnispartnern dokumentierte Entschlossenheit,
die ich hier beschrieben habe, fortsetzen. Wir müssen
darauf vorbereitet sein, daß die OSZE-Beobachter möglicherweise ganz schnell aus dem Kosovo abgezogen
werden müssen und daß das unter sehr gefährlichen
Umständen der Fall sein kann. Wir als Union haben uns
zu jedem Zeitpunkt von dem Gedanken leiten lassen
- sonst wäre die Entscheidung heute gar nicht möglich -,
daß wir dies in voller Solidarität mit unseren Partnern
in der westlichen Allianz tun werden. Wir haben heute
als Mitglied der Balkan-Kontaktgruppe darüber hinaus
eine besondere Verantwortung zu tragen, der wir wiederum nur gerecht werden können, wenn wir bereit sind,
den militärischen Beitrag dazu zu leisten.
Neben der Verantwortung für den Frieden im Kosovo
- das habe ich bereits zu Beginn betont - haben wir
Verantwortung für unsere Soldaten. Meine Damen
und Herren Kollegen von der SPD und von den Grünen
im Haushaltsausschuß, ich möchte noch einmal nachdrücklich und auch kritisch formulieren: Denken Sie
bitte darüber nach, was es bedeutet, wenn Sie nicht zustimmen, daß dieser Einsatz durch den gesamten Bundeshaushalt und nicht nur durch den Verteidigungshaushalt finanziert wird. Wenn Sie dem nicht zustimmen,
also das Geld dem Verteidigungshaushalt entziehen,
dann verweigern Sie dem Minister Geld für den bevorstehenden Einsatz, der die Verantwortung dafür trägt,
daß unsere Soldaten mit der bestmöglichen Ausbildung,
dem bestmöglichen Schutz und dem bestmöglichen
Material in diese schwierige Aufgabe hineingehen. Das
muß aber gewährleistet werden! Man darf hier keine
rein finanzielle Betrachtung anstellen. Bitte nehmen Sie
zur Kenntnis, daß der Verteidigungsminister in der Verantwortung steht, die Menschen, für die wir verantwortlich sind, mit optimaler Ausbildung und optimaler Ausrüstung in diesen Einsatz zu schicken.
({3})
Wenn wir dieser Verantwortung nicht gerecht werden,
machen wir einen ganz schweren Fehler.
({4})
Wir haben uns die Entscheidung, heute zuzustimmen,
nicht leichtgemacht. Weil handwerkliche Fehler, die
schon beschrieben worden sind, gemacht wurden, war es
notwendig, in eine intensive Verhandlung in den dafür
zuständigen Ausschüssen zu treten. Wir haben heute die
Gewißheit, daß man unsere Bedenken ernst genommen
hat.
Ich bin davon überzeugt, Herr Verteidigungsminister,
daß unsere Soldaten, ob das die militärische Führung ist,
die Sie gut berät - Sie sollten auf sie hören -, oder die
Soldaten mit Ihrer Umsicht, die dort im Einsatz sind
oder sein werden, unser Vertrauen verdienen, dieser
schwierigen Aufgabe gerecht zu werden.
Ich bedanke mich.
({5})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, wir haben in dieser Debatte jetzt noch
drei Redner. Ich bitte Sie ausdrücklich darum, auch diesen drei Kollegen die entsprechende Aufmerksamkeit zu
widmen. Wer ganz notwendige Gespräche führen muß,
der mache das doch bitte außerhalb des Plenarsaales.
Nächster Redner ist jetzt der Kollege Dr. Eberhard
Brecht, SPD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Name Rambouillet steht für einen Teilerfolg
der Kontaktgruppe auf dem Weg zu einem Frieden im
Kosovo, für einen Teilerfolg - nicht mehr, aber auch
nicht weniger. Dieser Name Rambouillet wird einigen
kritischen Kommentaren zum Trotz zum Symbol für
eine wachsende europäische Gemeinsamkeit in
der Außenpolitik - ein gewaltiger Fortschritt gegenüber der babylonischen Stimmenvielfalt, die wir noch in
der Frühphase des Bosnienkonfliktes hatten. Europa ist
mit Rambouillet wieder ein Stück mehr in die Rolle
eines erwachsen gewordenen, eines mündigen Partners
der Vereinigten Staaten hineingewachsen.
({0})
Erfolg oder Mißerfolg von Rambouillet müssen an
der Hauptschwierigkeit der Verhandlungen gemessen
werden, nämlich den sich einander ausschließenden
Zielstellungen der beiden Verhandlungspartner. So ist es
heute nicht verwunderlich, daß die Kosovo-Albaner
immer noch dem politischen Teil der Vereinbarung, die
Serben dem militärischen Teil mit Skepsis oder sogar
mit Ablehnung gegenüberstehen. Niemand - das hat
auch der Bundesaußenminister gesagt - kann mit letzter
Sicherheit sagen, was am 15. März und den Folgetagen
passieren wird. Als Realist muß man sagen: Es ist nicht
nur so, daß die Verhandlungsführer jetzt nach Hause
gehen und versuchen werden, ihre Leute zu überzeugen;
vielmehr wird umgekehrt ein Druck von den Hardlinern
in Pristina und Belgrad ausgehen, jetzt noch Nachforderungen zu stellen, die dieses Vertragswerk zerstören
sollen. Dies bedeutet - auch darauf hat der Bundesaußenminister im Ausschuß und im Plenum hingewiesen -,
daß der Druck der Kontaktgruppe in den nächsten zwei
Wochen aufrechterhalten werden muß.
In diesem Sinne verstehe ich auch unsere heutige Beschlußfassung, die verdeutlicht, daß eine Implementierung des noch zu unterzeichnenden Vertrages nicht an
der fehlenden Bereitschaft des NATO-Mitgliedes Bundesrepublik Deutschland scheitern darf. Ich begrüße es
ausdrücklich, daß die Oppositionsparteien heute nun
doch mehrheitlich dem Antrag zustimmen werden,
nachdem die Bundesregierung eine weitere Präzisierung
der Randbedingungen des Einsatzes vorgelegt hat.
Meine Damen und Herren, ich habe nicht mehr viel
Redezeit. Erlauben Sie mir deswegen noch eine Bemerkung zum Kollegen Breuer. Herr Breuer, Sie haben den
Kollegen Gysi angegriffen. Ich glaube, wir können es
uns nicht so einfach machen. Wir sind in einer Situation,
die uns immer mehr in ein Dilemma hineinkommen läßt:
Auf der einen Seite dürfen wir brutal ausgetragenen
Konflikten vor unserer Haustür nicht tatenlos zusehen,
wenn wir nicht unsere eigene, unsere europäische, zivilisierte Identität aufs Spiel setzen wollen; aber auf der anderen Seite stehen wir in der Gefahr, für die Erreichung
dieses Ziels Mittel einzusetzen, die schwer mit dem
geltenden Völkerrecht in Übereinstimmung zu bringen
sind. Deswegen muß ein Beschluß wie ACT ORD für
dieses Haus eine Ausnahme bleiben, wenn wir nicht
unsere zivilisatorischen Grundlagen in Gefahr bringen
wollen.
Die Zustimmung der Kontrahenten zur Stationierung
der KFOR macht aus völkerrechtlicher Sicht einen Beschluß des Sicherheitsrates nicht nötig. Ein UN-Mandat
ist jedoch wünschenswert, um die Akzeptanz von KFOR
bei beiden Konfliktparteien zu erhöhen. Ein UN-Mandat
liegt jetzt im Bereich des Möglichen, da durch die frühe
Einbindung Rußlands über die Kontaktgruppe ein
Veto Moskaus wenig wahrscheinlich ist. Rambouillet
war auch aus diesem Grund ein Stück praktizierte kooperative Sicherheit in Europa, die wir weiterentwickeln
müssen.
({1})
Daher sollten wir mit unserer heutigen Zustimmung diesen Weg aktiv unterstützen.
Ich bedanke mich.
({2})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Kurt Rossmanith, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir
heute über das zweifellos sehr schwierige und ernste
Thema des Einsatzes unserer Streitkräfte für den Friedensdienst und für die Erhaltung des Friedens diskutieren, muß man auch daran erinnern, daß es ein Erfolg ist,
daß wir als gleichwertiger Partner innerhalb des Bündnisses angesehen werden, daß dieser Erfolg auch ein Erfolg der bis Herbst vergangenen Jahres amtierenden
Bundesregierung ist.
Ich möchte auch darauf hinweisen, daß wir dies gegen den teilweise erbitterten Widerstand aus dem Kreis
der heutigen Regierungsparteien durchsetzen mußten.
Ich glaube, jeder Parlamentarier empfindet - das zeigt
auch die heutige Debatte - die besondere Qualität der
Verantwortung, mit der die Entscheidung des heutigen
Tages verbunden ist.
Lassen Sie mich deshalb auch mit allem Nachdruck
in Erinnerung rufen, daß wir das Hineinwachsen der
Bundeswehr in ihren neuen Auftrag sehr behutsam gestaltet haben. Wir mußten gegenüber der damaligen Opposition, die uns den heute zur Abstimmung aufgerufenen Antrag vorlegt, enorm viel parlamentarische Überzeugungsarbeit leisten. Vom Einsatz in Somalia bis
Bosnien sind wir keinen Schritt gegangen, ohne mit
äußerster Sorgfalt die politischen Ziele und Risiken zu
diskutieren und auch alle erdenkliche Vorsorge für die
Sicherheit unserer Soldaten einzufordern.
({0})
Die CDU/CSU wird - dies haben die Vorgänge der
letzten Tage gezeigt - deshalb von diesem Prinzip äußerster Sorgfalt und Nachdenklichkeit im Umgang mit
dem Einsatz von Streitkräften nicht abweichen.
({1})
Dabei, meine sehr verehrten Damen und Herren, erkennen wir durchaus an, daß, wie in diesem Falle, natürlich auch Eile geboten sein kann. Vielleicht haben wir
uns als Parlamentarier bei den bisherigen Einsätzen der
Bundeswehr zu sehr um militärische Details gekümmert.
Viel wichtiger ist es doch, daß wir unsere Sorge und unsere Sorgfalt auf die Diskussion der politischen Rahmenbedingungen ausrichten, denn an der politischen
Planungsgenauigkeit, die hinter den Zahlen im vorgelegten Antrag steht, hege ich keinerlei Zweifel.
Es hat sich bis heute bei allen Einsätzen der Bundeswehr gezeigt, daß sich dieses Parlament auf die Führungs- und auf die Planungsleistung der militärischen Verantwortungsträger voll verlassen kann.
({2})
Gerade auch als Abgeordneter Bayerns - aus diesem
Bundesland kommt ein Großteil der Soldaten für das
vorgesehene Kontingent - bin ich froh, sehen zu können, welchen hohen Ausbildungsaufwand die Bundeswehr betreibt, um die Soldaten auf diesen sehr schwierigen und sicher nicht risikofreien Einsatz vorzubereiten.
Deshalb lassen Sie mich zum Schluß auch noch sagen: Gerade weil wir darauf vertrauen, daß für die Sicherheit unserer Soldaten alles Erdenkliche getan wird,
können wir von der CDU/CSU diesem Einsatz zustimmen. Die Sorge um die Sicherheit unserer Soldaten steht
gleichrangig neben dem berechtigten politischen Ziel,
daß wir uns gemeinsam mit unseren Partnern dafür einsetzen, diesem menschenverachtenden Konflikt im Kosovo ein Ende zu bereiten.
({3})
Deshalb tragen wir nicht nur gemeinsam diese Verantwortung, sondern streben auch weiterhin mit allem
Nachdruck diesem Ziel zu.
Herzlichen Dank.
({4})
Als
letzter Redner hat Kollege Helmut Lippelt vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der KürDr. Eberhard Brecht
ze der noch zur Verfügung stehenden Zeit will ich das
Abstimmungsverhalten meiner Fraktion erläutern,
möchte aber vorweg sagen, Herr Gysi: Es ist jetzt nicht
die Zeit zu Polemiken. Deshalb mache ich es ganz kurz
und halte Ihren sehr klugen juristischen Deduktionen nur
die Antwort des Generalsekretärs der UNO nach seiner
damaligen geglückten Irak-Mission entgegen, als er gefragt wurde, ob Diplomatie nicht besser sei als Militär:
„Yes, negotiations, but backed up by force“.
Ich bitte, einfach einmal über das sehr schwierige
Verhältnis von politischer Durchsetzung und Militär
nachzudenken, darüber, wie das zueinandersteht. Da
muß man hier vielleicht nicht in solche lange Polemik
ausbrechen.
({0})
Damit komme ich zum Abstimmungsverhalten meiner Fraktion. Wir werden dem Antrag der Bundesregierung mit sehr großer Mehrheit zustimmen. Wir werden
ihm in der Erwartung zustimmen, daß es am 15. März
glücken möge, die Unterschriften der beiden beteiligten
Seiten unter das Interimsabkommen zu bekommen. Wir
wissen, daß das sehr schwer ist.
Wir stimmen gerade deshalb zu, weil das Interimsabkommen in seinem sachlichen Gehalt sehr zerbrechlich
ist und es darum auch der militärischen Absicherung
durch eine Friedenstruppe bedarf. Wir werden auch deshalb schon heute zustimmen, weil wir wissen, daß die
militärische Implementierung unmittelbar nach der
Unterschrift erfolgen muß; denn sonst bekommen wir
eine Sicherheitslücke, mit allen Konsequenzen in diesem
geschüttelten Land.
Wir werden auch in der Hoffnung zustimmen, daß es
dieses Mal einer europäischen Gesamtpolitik - anders
als in Bosnien - gelungen sein möge, dem Morden, das
ja schon begonnen hat, ein Ende zu machen bevor es
seinen Höhepunkt erreicht.
Herr
Kollege Lippelt, bitte kommen Sie zum Schluß.
Ich will mit dem Wunsch enden, daß all diejenigen, die
diese Aufgaben auf sich nehmen, heil zurückkommen
mögen; denn die Aufgabe ist schwer genug.
({0})
Es liegt
eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Ge-
schäftsordnung der Kolleginnen Annelie Buntenbach,
Monika Knoche, Steffi Lemke, Irmingard Schewe-
Gerigk und des Kollegen Christian Simmert - alle An-
tragsteller sind vom Bündnis 90/Die Grünen - vor, die
zu Protokoll genommen wird.*)
*) Anlage 2
Des weiteren liegt vom Kollegen Christian Ströbele
der Wunsch nach einer Erklärung gemäß § 31 der Ge-
schäftsordnung vor, zu der nach der Abstimmung das
Wort erteilt werden wird.
Wir kommen zur Abstimmung über die Be-
schlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem
Antrag der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung
an der militärischen Umsetzung eines Rambouillet-
Abkommens für den Kosovo sowie an NATO-
Operationen im Rahmen der Notfalltruppe, Drucksachen
14/397 und 14/414. Der Ausschuß empfiehlt, dem An-
trag der Bundesregierung zuzustimmen.
Es ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge-
sehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? -
Das scheint der Fall zu sein. Dann eröffne ich die Ab-
stimmung. -
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekanntgegeben.*)
Jetzt hat der Kollege Christian Ströbele zu einer Erklärung zur Abstimmung das Wort.
Ich bedaure es außerordentlich, daß ich
nicht vor der Abstimmung zu Wort gekommen bin. Nun
muß ich nach der Abstimmung begründen, warum ich
entgegen der in diesem Hohen Hause ganz offensichtlich
herrschenden Meinung mit Nein gestimmt habe.
({0})
Das Hohe Haus wäre gut beraten, wenn kritische
Stimmen, die es in der Bevölkerung dazu ja durchaus
gibt, auch hier zu Wort kämen und begründen dürften,
warum sie anderer Meinung sind als andere hier im
Hause. Es wäre ein vernünftiges parlamentarisches Ver-
halten, wenn man in einer so gravierenden, an die Exi-
stenz von vielen Menschen gehenden Frage auch eine
andere Meinung zulassen und sich anhören würde. Es
geht hier nicht nur um Political correctness; man muß
nicht immer alles so wie die Mehrheit machen.
Nun komme ich zu der Begründung; sie ist kurz. Ich
sehe es so: Mit dem Bundestagsbeschluß, der jetzt ge-
fällt worden ist, wird die Bundesregierung ermächtigt,
und zwar - das ist heute noch einmal klargestellt worden
- ohne daß es einer weiteren Entscheidung des Bundes-
tages bedarf, eine nicht unerheblich starke Armee, be-
stehend aus allen Teilstreitkräften von Bundeswehr und
NATO, zu Kampfeinsätzen in die Bundesrepublik Jugo-
slawien in Marsch zu setzen. So ist es ganz konkret.
Eine völkerrechtliche Grundlage für ein solches Vor-
haben fehlt, jedenfalls bisher. Die angekündigte Zu-
stimmung der Konfliktparteien, insbesondere der serbi-
schen Regierung, liegt nicht vor, so daß eine Rechts-
grundlage für diesen Schritt nicht da ist.
*) Seite 1715 B
Nach dem Bundestagsbeschluß können die Kampfeinheiten der Bundeswehr nicht nur - darüber ist die
ganze Zeit geredet worden - zur Umsetzung des Rambouillet-Abkommens eingesetzt werden, sondern auch
„zu NATO-Operationen im Rahmen der Notfalltruppe“.
Ich befürchte, daß, wenn es nicht zur Unterzeichnung
eines Rambouillet-Abkommens kommt, nicht nur Flugzeuge, Raketen der NATO und der Bundeswehr auf der
Grundlage der Beschlüsse vom Oktober und November
1998 im Kosovo eingesetzt werden, sondern daß dann
unter Berufung auf den heutigen Beschluß Panzer, Panzergrenadiere, Infanterieeinheiten in die Bundesrepublik
Jugoslawien einrücken werden und dort zum Kampfeinsatz kommen, natürlich - das ist im Nebensatz durchaus
gesagt worden - im Notfall. Es ist versprochen worden,
daß das nur kurzzeitig ist und daß es eine nur ganz vorübergehende Maßnahme sein wird. Ich bin da skeptisch.
Ich kann nur hoffen, daß ich unrecht habe und daß es
sich nicht um eine längere Kampfeinsatzbesetzung des
Kosovo handeln wird.
Hinzu kommt, daß die Ermächtigung zum Einsatz
größerer Kampfeinheiten der Bundeswehr in der Bundesrepublik Jugoslawien im Rahmen eines Rambouillet-Abkommens erteilt werden soll, dessen Inhalt den
Mitgliedern des Bundestages nicht bekannt ist und auch
noch gar nicht feststeht.
Nun komme ich zu dem letzten Punkt, denn ich sehe
das durchaus ambivalent. Auch ich bedaure, daß bei den
Verhandlungen in Rambouillet kein tragfähiges Friedensabkommen unterschrieben wurde. Auch ich sage
allen Akteuren, die bis spät in die Nacht hinein - das
konnte man hören und sich erzählen lassen - verhandelt
haben, den Dank für all diese Bemühungen. Im Interesse
der Bevölkerung des Kosovo und überhaupt des Friedens in Europa ist ein absicherndes Abkommen gewiß
dringend geboten.
Ich teile auch die große Sorge um das Leben, die Gesundheit und die Existenz der Menschen im Kosovo. Es
ist nicht hinzunehmen, daß ein Staat die Bevölkerung
unterdrückt, verfolgt und bekriegt, wenn sie nach Autonomie strebt. Jeder politische und ökonomische Druck
ist gerechtfertigt, um die Zivilbevölkerung vor Tod,
Verletzung und Vertreibung zu schützen. Um der serbischen Regierung die Zustimmung zu erleichtern, hätte
aber zur Sicherung eines Friedensabkommens auch eine
internationale Friedenstruppe unter UNO-Kommando mit UNO-Mandat vorgeschlagen werden sollen.
({1})
Ein solcher Vorschlag darf nicht aus Rücksicht allein
auf die Haltung der USA unterbleiben.
({2})
Wir setzen jetzt die Haushaltsberatungen fort und kommen zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Das Wort hat die
Bundesministerin Christine Bergmann.
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich erinnere
mich noch gut an die letzte Debatte anläßlich der Regierungserklärung zur Familienpolitik, als uns von der Opposition vorgeworfen wurde, daß mit der neuen Bundesregierung nun wohl der Untergang der Familien eingeleitet werde. Meine Meinung ist, daß die Familien das
anders sehen. Die Familien sind zufrieden, daß sich
endlich wieder etwas in ihre Richtung bewegt. Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen.
({0})
Ich habe gestern vom CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden den Ausspruch gehört, daß wir nicht so recht in
der Lage seien, die besondere Fürsorge für die Familien
zu entwickeln. Das hat mich schon sehr gewundert; denn
angesichts Ihrer Bilanz, die nun auch von dem höchsten
Gericht im Lande, dem Bundesverfassungsgericht, dokumentiert wurde, ist es schon eine Zumutung, uns so
etwas vorzuhalten. Ihnen ist deutlich demonstriert worden, wo Sie in Ihrer Regierungszeit in der Familienpolitik versagt haben, wie sehr Sie Familien benachteiligt
haben.
Wir haben sehr schnell gegengesteuert - auch das
müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen - mit der Erhöhung des Kindergeldes und den steuerlichen Entlastungen. Sie wissen, daß wir jetzt mit der Umsetzung
des Bundesverfassungsgerichtsurteils weitere Schritte
gehen werden, um ein Stück soziale Gerechtigkeit zu
verwirklichen.
({1})
Es geht nämlich nicht nur um Steuergerechtigkeit. Es
muß eine Entlastung bei den Familien eintreten, die es
wirklich nötig haben. Ich kann Sie, wenn Sie die Familie
so auf Ihre Fahnen schreiben, nur auffordern, das von
ganzem Herzen zu unterstützen.
Obwohl uns die alte Regierung kein bestelltes Haus
hinterlassen hat, haben wir den Stellenwert unserer Familienpolitik zu Beginn der Legislaturperiode sehr deutlich gemacht. Bei uns können Familien nicht nur hören,
sondern erkennen, daß sie zu den Leistungsträgern der
Gesellschaft zählen. Sie können dies jeden Monat sozusagen an ihrem Gehaltsstreifen oder in der Lohntüte erkennen, und sie wissen, daß wir noch einiges mehr vorhaben. Das ist ein wesentlicher Unterschied.
({2})
Natürlich gibt es auch Unterschiede in bezug auf die
Auffassung von Familie. Wir haben ein modernes Familienbild, das sich den Realitäten stellt. Für uns zählen
die Werte, die in dem Zusammenleben von Menschen
mit Kindern vermittelt werden.
({3})
- Es ist so, ob es Ihnen gefällt oder nicht. - Genau dies
vermitteln wir den Familien. Wir respektieren, daß FaHans-Christian Ströbele
milien heute in vielfältiger Form bestehen. Für uns bedeutet Familienpolitik, nicht nur für die traditionellen
Familien, sondern auch für die Alleinerziehenden, für
Nichtverheiratete und für Lebensgemeinschaften einzutreten, also überall dort, wo Fürsorge praktiziert wird,
wo Kinder aufgezogen werden, wo es um Solidarität in
der Gesellschaft geht. - Ich weiß gar nicht, warum Sie
da so protestieren. Das sind Werte, für die auch Sie einstehen könnten.
({4})
Wir tun noch etwas, was Sie mir gelegentlich vorwerfen: Wir nehmen das Recht der Frauen auf Erwerbsarbeit ernst. Dies ist nämlich ein Anspruch, den
nicht nur die Frauen in Ostdeutschland haben, sondern
mittlerweile alle. Und das ist auch gut so.
Mit unserer Kinder- und Jugendpolitik kümmern
wir uns darum, daß Jugendliche einen ordentlichen Ausbildungsplatz bekommen, einen Beruf erlernen und daß
junge Frauen entsprechend beteiligt werden. Wir kümmern uns darum, daß junge Frauen in zukunftsträchtige
Berufe gehen. Und natürlich wollen diese Frauen, wenn
sie ausgelernt haben, wenn ihr Studium beendet ist, auch
dann arbeiten, wenn sie eine Familie haben. Sie wollen
beides, nicht nur die Familie, sondern auch den Beruf.
Das wollen wir ihnen erleichtern.
({5})
Familienpolitik bedeutet deshalb für uns, daß Väter
und Mütter gleichermaßen die Chance haben müssen,
Beruf und Familie in Übereinstimmung zu bringen. Wir
respektieren damit die Wünsche, die heute die meisten
Familien haben. Dazu gehört natürlich, daß die Rahmenbedingungen für moderne Familien so gestaltet
werden, daß Erwerbsarbeit und Familienleben miteinander gekoppelt werden können.
Deshalb gestalten wir, wie Sie wissen, den Erziehungsurlaub zu einem Elternurlaub um. Dadurch wird
partnerschaftliche Erziehung besser möglich als bisher.
Beide Elternteile können gleichzeitig Erziehungsurlaub
nehmen, verbunden mit einer Teilzeitarbeit, und ihre Erziehungsarbeit miteinander absprechen. Damit können
sich die Väter stärker an der Erziehung beteiligen. Wie
Sie wissen, nehmen im Moment nicht einmal 2 Prozent
der Väter Erziehungsurlaub. Hier gibt es also noch einen
ganz beträchtlichen Nachholbedarf. Ich weise immer
darauf hin, daß es eine neue Vätergeneration gibt, die
durchaus bereit ist, ihren Anteil an der Erziehungsarbeit
zu leisten. Aber diese Generation erwartet von uns, daß
wir die Rahmenbedingungen so verändern, daß die
Aufteilung der Erziehungsarbeit besser möglich ist.
({6})
Die partnerschaftliche Entscheidung der Eltern, wie
das Familienleben organisiert und wie Berufstätigkeit
und Erziehung der Kinder aufgeteilt werden sollen, erfordert natürlich auch ein ausreichendes Angebot an
Kinderbetreuungsplätzen. Ein gut ausgebautes Kinderbetreuungssystem ist die unabdingbare Voraussetzung
für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wie wir
wissen, reicht hier nicht der Rechtsanspruch auf einen
Kita-Platz. Auch Kinder unter drei Jahren brauchen eine
Betreuung, wenn Väter und Mütter erwerbstätig sein
wollen oder müssen. Das ist auch für Kinder über sechs
Jahre notwendig.
Wir suchen zur Zeit gemeinsam mit den Kommunen
und den Ländern nach Möglichkeiten, um die Situation
zu verbessern. Zwar können auch wir die Milliarden
natürlich nicht aus der Tasche zaubern. Aber es geht
darum, festzustellen, was getan werden kann: wie die
Lücken im Kinderbetreuungssystem durch den stärkeren
Einsatz von Tagesmüttern geschlossen werden können;
wie sich der Bestand von Kita-Plätzen, die auf Grund
sinkender Kinderzahlen frei werden, durch Umwidmung
für andere Altersgruppen sichern läßt; wie sich die Horterziehung - in Zusammenarbeit mit den Schulen - besser bewerkstelligen läßt. Das unterscheidet uns von
Ihnen: Zwar haben Sie im Moment diese Probleme neu
entdeckt, nachdem Sie sie viele Jahre nicht angegangen
sind. Aber wir wollen sie wirksam angehen.
Ich möchte noch etwas zur Erwerbsarbeit der
Frauen sagen, obwohl Frau Eichhorn mir in ihrer Erklärung wieder vorwirft, daß ich mich zu sehr darum kümmere. Aber wir müssen nun einmal zur Kenntnis nehmen, daß Frauen Erwerbsarbeit wollen und auch ein
Recht darauf haben.
({7})
Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, daß es in der
traditionellen Familie einen beträchtlichen Rollenwechsel gegeben hat. Das gilt nicht nur für die ostdeutschen,
sondern für alle Frauen in unserem Land. Immer mehr
Frauen verfügen über hochqualifizierte Abschlüsse und
sind hochmotiviert. Die Frage, die uns gemeinsam bewegen sollte - ich lade Sie ein, hier kräftig mitzumachen -,
ist doch, wie die noch immer vorhandene Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt abgebaut werden
kann. Das ist es, was uns eigentlich bewegt.
({8})
Wir werden demnächst das Aktionsprogramm
„Frau und Beruf“ starten. Ich möchte hier vor allem
auf einen Punkt eingehen: Schauen wir uns einmal die
Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt der freien Wirtschaft an. Wir fordern auch hier ein wirksames Gleichstellungsgesetz. Sie fragen, warum, und runzeln die
Stirn. Ich kann Ihnen sagen, warum: Es gibt in den Vorstandsetagen in Deutschland nur 4 Prozent Frauen;
9 Prozent sind es im mittleren Management. Dazu will
ich Ihnen ein paar Zahlen aus einer ILO-Studie vortragen, die ich vor kurzem auf dem Tisch hatte und über
die man nur staunen kann: In Mexiko - ich wußte gar
nicht, daß die Frauen dort so stark gefördert werden gibt es im mittleren Management 19 Prozent Frauen, in
Ungarn 25 Prozent, in Kanada 42 Prozent und in den
USA 46 Prozent. Daran wird deutlich, daß Deutschland
hier weit abgeschlagen ist. Auch im Vergleich mit unseren europäischen Nachbarländern sehen wir nicht gut
aus. Das können Sie mir glauben.
Ich möchte Ihnen sagen, worum es uns geht: Wenn
wir Frauen in der Privatwirtschaft fördern wollen,
dann wollen wir damit auch an die positiven Erfahrungen der Unternehmen anknüpfen, die diese bereits gemacht haben.
({9})
Es gibt in Deutschland Unternehmen, die Frauen fördern, die Erziehungsregelungen einführen, die Zielvereinbarungen abgeschlossen und die begriffen haben, daß
es für ihr Unternehmen gut ist, wenn sie hochmotivierte
und gutqualifizierte Frauen auf entsprechenden Positionen einsetzen. Diese Unternehmen haben begriffen,
daß Frauenförderung auch Wirtschaftsförderung ist. An
diesem positiven Punkt werden wir ansetzen. Wir werden die positiven Erfahrungen aufgreifen, um eine entsprechende Förderung umzusetzen. Ich bin ziemlich sicher, daß hier zwar ein weites Feld zu bestellen ist, daß
wir aber einvernehmlich vernünftige Wege finden, die
sowohl dem Anspruch der Unternehmen als auch dem
Interesse der beteiligten Frauen entsprechen. Frauenförderung ist übrigens schon heute ein Qualitätselement für
viele Unternehmen. Dies soll sich in Zukunft in diesem
Sinne weiterentwickeln.
Der 10. Kinder- und Jugendbericht ist auch hier
mehrfach diskutiert worden. Wir setzen uns am Sonnabend mit der Sachverständigenkommission dieses Berichts zusammen, um über die Empfehlungen noch einmal vernünftig zu beraten. Sie haben diese Empfehlungen nicht ernst genommen, weil Ihnen die Ergebnisse,
die auf dem Tisch gelegen haben, nicht paßten. Durch
diesen Bericht wird klar, daß in der Kinder- und Jugendpolitik eine ganze Menge getan werden muß. Ich
nenne die Stichworte „Kinderrechte“, „Jugendschutz“
und „Hilfe für Benachteiligte“.
Ich möchte auf das eingehen, was wir im Bereich der
Jugendpolitik vorhaben. Es ist immer gut, wenn sich
Debatten verschieben. Wenn das geschieht, bekommt
man schon vorher die Presseerklärung der Opposition,
Frau Eichhorn. Ich rate Ihnen: Schauen Sie sich den
Haushalt noch einmal genau an! Sie schreiben in Ihrer
Presseerklärung zum Beispiel, wir hätten Kürzungen im
Bereich der Jugendpolitik vorgesehen. Tatsächlich haben wir eine Aufstockung vorgenommen. Es handelt
sich nicht um Milliardenbeträge, aber immerhin um etwa 12 Millionen DM, und zwar für den Bereich „Jugend
und Arbeit“. Eines unserer wichtigsten Ziele ist es, die
Jugendhilfe mit den Programmen der Bundesanstalt für
Arbeit und denen des Ministeriums zu verknüpfen.
Unsere Erkenntnis ist, daß Jugendhilfe nicht mehr nur
individuelle Hilfe sein kann; vielmehr müssen wir Jugendhilfe auch als Entwicklungsarbeit an sozialen
Brennpunkten in Zusammenarbeit mit den Jugendlichen
leisten. Es gibt vor Ort viele gute Erfahrungen. In Berlin
und auch in anderen Regionen haben wir erfahren, wie
durch die Zusammenarbeit von Arbeitsämtern, Jugendämtern, Wirtschaftsbetrieben und Schulen zum Beispiel besonders benachteiligte Jugendliche, die noch ein
Stück zusätzliche Unterstützung brauchen, integriert
werden können, um ihren Platz im Erwerbsleben zu finden. Offensichtlich haben Sie damit Schwierigkeiten.
Ich kann mir das nur damit erklären, daß Sie ein sehr
schlechtes Gewissen haben; denn die Bilanz von fast
500 000 arbeitslosen Jugendlichen ist eine Last.
({10})
Mäkeln Sie nicht permanent an unserem Sofortprogramm herum und geben Sie sich einmal einen Ruck,
indem Sie sagen: Das ist prima, endlich bekommen
100 000 Jugendliche eine neue Chance!
({11})
Auch Frau Eichhorn schreibt in ihrer Presseerklärung
wieder: Das war ein Flop.
({12})
- Ich weiß, wie die Praxis aussieht. Frau Rönsch, das
müssen Sie mir nicht sagen. Ich habe auch jetzt noch
Kontakte zu Berlin. Ich weiß, wie es ist, wenn einem Jugendliche, hart erscheinende junge Männer, mit Tränen
in den Augen gegenüberstehen, die, nachdem sie zwei
oder drei Jahre einen Ausbildungsplatz gesucht haben,
endlich ein anständiges Angebot bekommen. Das ist es,
was zählt.
({13})
Wir sollten gemeinsam vorgehen und nicht von „Ruhigstellung“ oder von „Flop“ reden. Wahrscheinlich sagen
Sie, daß das, was wir machen, für die besonders Benachteiligten unnötig ist. Für uns zählt wirklich jeder
Jugendliche, dem wir eine Chance geben, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, einen Ausbildungsplatz zu
bekommen, in den Arbeitsmarkt zu kommen. Das ist ein
Ziel, das alle Altersgruppen in der Gesellschaft interessiert. Wir werden nicht lockerlassen, dieses Ziel zu erreichen. Sie können daran soviel herummäkeln, wie Sie
wollen.
({14})
Ich möchte nur kurz die Freiwilligendienste nennen,
die wichtig sind, um Jugendlichen ein Stück Berufsorientierung und Berufsvorbereitung zu geben. Auch in
diesem Bereich haben wir die Mittel aufgestockt. Es ist
sehr erfreulich, wieviele Jugendliche das Freiwillige Soziale und das Freiwillige Ökologische Jahr in Anspruch
nehmen. Wir müssen uns allerdings mehr darum kümmern, daß auch Hauptschülerinnen und Hauptschüler es
in Anspruch nehmen. Ihr Anteil ist mir zu gering.
({15})
Es ist eine große Gruppe, um die wir uns besonders
kümmern müssen. Dieser Aufgabe gehen wir nach.
Lassen Sie mich noch einen Satz zur Seniorenpolitik
sagen. Auch auf diesem Gebiet haben wir kein bestelltes
Haus vorgefunden. Es gibt hier einen enormen Reformstau, auch im rechtlichen Bereich.
({16})
Wir müssen dringend die Qualität der Altenpflege verbessern. Wir machen das schrittweise. Wir fangen jetzt
mit der bundeseinheitlichen Altenpflegeausbildung an.
Wir fahren mit der Novelle zum Heimgesetz fort, und
wir werden auch Reformen bei den ambulanten Diensten
zustande bringen. Wir führen schon jetzt entsprechende
Gespräche, zum Beispiel mit den kommunalen Vertretern, mit den Ländern und mit privaten Trägern ambulanter Dienste. Sie können das, wenn Sie der Meinung
sind, daß es wichtig ist, gerne unterstützen. Ich bin da
sehr uneigennützig.
({17})
Wir nehmen jede Unterstützung, die wir kriegen können,
weil es darum geht, die Pflegebedingungen wirklich zu
verbessern.
Wir nutzen auch das Internationale Jahr der Senioren sehr ernsthaft. Sie haben von uns ja Übersichten dazu bekommen. Der demographische Wandel ist zwar
zahlenmäßig bekannt; aber wenn wir diskutieren, diskutieren wir immer nur über Rente. Der demographische
Wandel hat aber auch andere Aspekte: Es gibt immer
mehr Ältere, die ihren Platz in der Gesellschaft einnehmen wollen. Es geht darum, das Bild der Älteren in der
Gesellschaft zu verändern und zu verbessern. Daran arbeiten wir sehr kräftig; wir nutzen dazu dieses Jahr. Sie
bekommen Einladungen zu allen Veranstaltungen. Das
gilt aber nicht nur für dieses Jahr, sondern wir haben in
diesem Bereich auch schon die Weichen für die nächsten Jahre gestellt.
({18})
Zum Schluß nur noch eins: Es handelt sich mit
12 Milliarden DM nicht um den größten Haushalt, den
ich hier vertrete, aber in der Gleichstellungspolitik, im
Jugendbereich, in der Familien- und Seniorenpolitik sind
sehr viele gesellschaftliche Reformen notwendig. Wir
gehen sie im Interesse dieser Gruppen an. Sie können
uns dabei unterstützen; ich würde mich darüber freuen.
Aber wir setzen das auch dann um, wenn Sie weiterhin
nur daran herummäkeln. Sie haben die Wahl.
Danke.
({19})
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich gebe Ihnen jetzt das von
den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zur deutschen
Beteiligung an der militärischen Umsetzung eines Rambouillet-Abkommens bekannt, Drucksachen 14/397 und
14/414. Abgegebene Stimmen 608. Mit Ja haben gestimmt 556, mit Nein haben gestimmt 42, Enthaltungen
10. Die Beschlußempfehlung ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 604;
davon:
ja: 553
nein: 41
enthalten: 10
Ja
SPD
Brigitte Adler
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({0})
Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann ({1})
Bernhard Brinkmann
({2})
Hans-Günter Bruckmann
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner ({3})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Petra Ernstberger
Lothar Fischer ({4})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich ({5})
Lilo Friedrich ({6})
Harald Friese
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({7})
Angelika Graf ({8})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({9})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({10})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({11})
Walter Hoffmann ({12})
Iris Hoffmann ({13})
Frank Hofmann ({14})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Volker Jung ({15})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Oskar Lafontaine
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({16})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({17})
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({18})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({19})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({20})
Jutta Müller ({21})
Christian Müller ({22})
Andrea Nahles
Volker Neumann ({23})
Gerhard Neumann ({24})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({25})
Birgit Roth ({26})
Gerhard Rübenkönig
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({27})
Ulla Schmidt ({28})
Silvia Schmidt ({29})
Dagmar Schmidt ({30})
Wilhelm Schmidt ({31})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({32})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({33})
Brigitte Schulte ({34})
Reinhard Schultz
({35})
Volkmar Schultz ({36})
Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({37})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({38})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({39})
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({40})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek
({41})
Jürgen Wieczorek ({42})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({43})
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({44})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Hanna Wolf ({45})
Waltraud Wolff ({46})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Klaus Bühler ({47})
Hartmut Büttner
({48})
Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Wilhelm Dietzel
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Rainer Eppelmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({49})
Axel Fischer ({50})
Dr. Gerhard Friedrich
({51})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({52})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({53})
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({54})
Hansgeorg Hauser
({55})
Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Steffen Kampeter
Dr. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers
({56})
Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({57})
Eduard Lintner
Dr. Klaus Lippold
({58})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({59})
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Michael Luther
Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
({60})
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({61})
Elmar Müller ({62})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto ({63})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Christa Reichard ({64})
Erika Reinhardt
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
({65})
Dr. Klaus Rose
Kurt Rossmanith
Adolf Roth ({66})
Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({67})
Andreas Schmidt ({68})
Michael von Schmude
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Diethard W. Schütze ({69})
Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Dr. Theodor Waigel
Peter Weiß ({70})
Gerald Weiß ({71})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({72})
Hans-Otto Wilhelm ({73})
Klaus-Peter Willsch
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({74})
Volker Beck ({75})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Ekin Deligöz
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({76})
Joseph Fischer ({77})
Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Kristin Heyne
Uli Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller ({78})
Kerstin Müller ({79})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({80})
Werner Schulz ({81})
Christian Sterzing
Jürgen Trittin
Ludger Volmer
Sylvia Ingeborg Voß
Helmut Wilhelm ({82})
F.D.P.
Hildebrecht Braun ({83})
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({84})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich Kolb
Jürgen W. Möllemann
Hans-Joachim Otto
({85})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Nein
SPD
Klaus Barthel ({86})
Uwe Hiksch
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Monika Knoche
Steffi Lemke
Hans-Christian Ströbele
F.D.P.
Jürgen Koppelin
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Fred Gebhardt
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Dr. Gregor Gysi
Carsten Hübner
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann-Kasten
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Manfred Müller ({87})
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Enthalten
SPD
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Konrad Kunick
Christa Lörcher
Renate Rennebach
René Röspel
CDU/CSU
Manfred Carstens ({88})
Willy Wimmer ({89})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Irmingard Schewe-Gerigk
F.D.P.
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen
des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({90})
Behrendt, Wolfgang, SPD
Zierer, Benno, CDU/CSU
Maaß ({91}),
Erich, CDU/CSU
Siebert, Bernd, CDU/CSU Wohlleben, Verena, SPD
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wir fahren nun in der Debatte fort. Das Wort hat die
Kollegin Maria Eichhorn von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Diese Regierung ist
mit dem Anspruch angetreten, vieles besser zu machen.
Wie sieht dieses Versprechen in der Familien-, Senioren-, Frauen- und Jugendpolitik aus? Wie ist die Bilanz
nach 100 Tagen?
({0})
Meine Damen und Herren, die Familienpolitik von
Rotgrün ist ideologisch geprägt.
({1})
Der Satz, die Familie ist dort, wo Kinder sind, offenbart
ein anderes Familienbild, als wir es vertreten. Ehe und
Familie haben eine grundlegende Bedeutung für die Entfaltung des einzelnen und die Zukunft unserer Gesellschaft. Für uns ist daher der Schutz von Ehe und Familie, der sich aus Art. 6 des Grundgesetzes ergibt, besonders wichtig. Wir werden daran festhalten und lehnen
daher die von Ihnen geplante rechtliche Aufwertung von
anderen Lebensgemeinschaften ab.
Sie, Frau Ministerin, haben angekündigt, daß das
Kindergeld um weitere 10 DM erhöht wird, wenn das
Ehegattensplitting gekappt ist. Sie wollen also durch
konkrete Gesetze Art. 6 des Grundgesetzes aushöhlen.
({2})
Die Sprecherin der Grünen-Fraktion, Kerstin Müller, hat
das ganz klar offengelegt, als sie sagte: Wir werden das
Gesicht dieser Republik verändern. Wenn die Grünen
fordern, daß die „Subventionierung des Trauscheins“
keine Zukunft haben dürfe, heißt das, daß der Schutz
von Ehe und Familie nichts mehr gilt.
({3})
Meine Damen und Herren, selbstverständlich muß
Politik veränderten gesellschaftlichen Bedingungen
Rechnung tragen. Wir schreiben niemandem etwas vor.
Aber über allem Wandel der Lebensformen müssen die
tragenden Leitbilder unserer Gesellschaft erhalten bleiben. Deswegen werden wir dafür sorgen, daß Ehe und
Familie auch in Zukunft gefördert werden.
({4})
Was tun Sie für Familien? Was wird besser? Wir
brauchen ein Gesamtkonzept zur Förderung der Familien.
({5})
Sie dagegen hantieren mit einzelnen Versatzstücken: ein
bißchen Steuerentlastungsgesetz, ein wenig Kindergelderhöhung, dazu eine Fülle von täglich wechselnden, zum
Teil sich widersprechenden Ankündigungen. Wenn das
die Bewegung sein soll, Frau Bergmann, die Sie vorhin
versprochen haben, dann muß man sagen, daß dies
kläglich ist. Sie geben mit der einen Hand etwas mehr
Kindergeld und ziehen es den Familien durch die Energiesteuer mit der anderen Hand wieder aus der Tasche
heraus.
({6})
Verlierer Ihrer Politik sind vor allem kinderreiche
Familien: keine Kindergelderhöhung ab dem dritten
Kind, dafür mehr Belastungen. Ohne die Beschlüsse des
Bundesverfassungsgerichts hätte diese Bundesregierung
nicht einmal an die Kinderfreibeträge gedacht.
({7})
Wir erinnern uns: In der letzten Legislaturperiode wollte
die SPD den Kinderfreibetrag abschaffen, obwohl die
Bundesverfassungsgerichtsurteile dazu schon immer
eindeutig waren. 1975 hatten die Sozialdemokraten die
Freibeträge schon einmal abgeschafft. Wir haben sie
1983 wieder eingeführt. Das Bundesverfassungsgericht
hat mit seinem jüngsten Urteil diese Politik bestätigt.
({8})
Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätten wir überhaupt keine Kinderfreibeträge mehr.
Wir brauchen uns mit unserer Familienpolitik wahrlich nicht zu verstecken, denn wir haben in unserer Regierungszeit die Leistungen für Familien mehr als verdoppelt. Wir haben völlig neuartige Leistungen eingeführt - zum Beispiel Erziehungsgeld, Erziehungsurlaub
und schließlich die Anerkennung der Erziehungszeiten
in der Rentenversicherung -, die ganz wichtig sind für
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das ist unsere
Leistung.
({9})
Wenn Sie das Ehegattensplitting abschaffen wollen,
dann handeln Sie verfassungswidrig. Auch die Kappung
des Ehegattensplittings, die Sie vorsehen, ist verfassungsrechtlich höchst bedenklich.
In den Haushaltsdebatten der letzten Jahre - dafür
haben wir Verständnis, weil wir selbst gerne das Erziehungsgeld erhöht hätten; wir konnten es aber nicht ({10})
kam immer wieder die Forderung, die Einkommensgrenzen beim Erziehungsgeld zu erhöhen. Jetzt sind Sie
an der Regierung; jetzt können Taten folgen. Sie haben
bereits 1997 gesagt, daß Sie die Vorschläge dafür in der
Schublade hätten. Wenn Ihnen die Änderung beim Erziehungsgeld wirklich so wichtig ist, dann hätte sie ihren
Niederschlag bereits in diesem Haushalt finden müssen.
Aber leider muß man feststellen: großmundige Ankündigungen, aber keine Taten.
({11})
Wir freuen uns, daß die Menschen heute immer älter
werden und daß es immer mehr Senioren gibt. Aber was
ist die Antwort der zuständigen Ministerin auf diese
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Situation? Sie kürzt den Haushaltsansatz um 1,62 Millionen DM - und das im Internationalen Jahr der Senioren. Da stellt sich schon die Frage: Was tun Sie denn für
die Senioren? Was wird besser? - Fehlanzeige! Es wurden zwar einige Vorhaben angekündigt, aber das war es
dann auch schon. Tatsache ist: Eine angemessene Einbeziehung der Senioren in die Gesellschaft, der Brükkenschlag zwischen Alt und Jung, ist für Sie ohne Bedeutung. Sie haben zwar in der Presse verkündet, daß
Sie die Solidarität zwischen den Generationen fördern
wollen. Aber das war es auch schon. Es war schon erschreckend, Frau Ministerin, als Sie im Fachausschuß
nicht einmal wußten, welche Vorhaben Ihr Haus zum
Internationalen Jahr der Senioren plant. Daraus folgt,
daß die Seniorenpolitik Sie wenig oder fast gar nicht
interessiert. Sie konnten zu diesem Punkt noch nicht
einmal Auskunft erteilen.
({12})
Die einzige Schlagzeile, die diese Bundesregierung in
der Seniorenpolitik gemacht hat, war die unselige Ankündigung des Bundesverkehrsministers, den älteren
Menschen ab einer gewissen Altersgrenze pauschal den
Führerschein zu entziehen. Auf solche Diskriminierungen können wir gut verzichten.
({13})
Ich bin froh und dankbar, daß die frühere Seniorenministerin eine gute und intensive Seniorenpolitik betrieben
hat. Sie brauchen ihre Vorhaben nur aus der Schublade
zu ziehen. Tun Sie es einfach, Frau Bergmann!
Was tun Sie für Frauen?
({14})
Was wird besser? Man kann nur sagen: Viel Lärm um
nichts.
({15})
Sie haben immer massive Kritik an unserer Frauenpolitik geübt. Sie haben großartig angekündigt, daß Sie für
Frauen jetzt mehr tun wollen. Aber im Haushaltsansatz
findet sich dazu überhaupt nichts. Es bleibt bei den
schon von uns vorgesehenen Mitteln.
Betrachtet man jedoch Ihre inhaltlichen Schwerpunkte, dann zeigen sich klare Unterschiede. Denn Sie
sprechen nur von der Frauenförderung und der Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt. Das zeigt eindeutig, Frau
Bergmann, daß Ihre Ideologie ausschließlich von der berufstätigen Frau geprägt ist. Viele Frauen wählen aber
andere Lebensentwürfe, und dem müssen wir Rechnung
tragen. Ich finde aber keine Konzepte zur Vereinbarkeit
von Familie und Beruf. Diese Frauen passen wahrscheinlich nicht in Ihr Gesellschaftsmodell.
({16})
Wir halten an der Wahlfreiheit fest und wollen niemandem vorschreiben, ob und wie er Erwerbstätigkeit und
Familienarbeit miteinander verbindet.
({17})
Wenn Sie schon etwas für die erwerbstätigen Frauen
tun wollen, hätten Sie die Möglichkeit bei der Änderung
des 630-Mark-Gesetzes gehabt. Aber dieses Gesetz ist
für die bisherige Arbeit von Rotgrün exemplarisch: rein
in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Wir wissen
noch nicht genau, was der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung gestern nacht eigentlich zu beschließen
hatte, denn das Chaos ist vollständig.
({18})
All diejenigen, die eine bessere soziale Absicherung von
Frauen wollen und dafür gekämpft haben, zum Beispiel
der Deutsche Frauenrat, sind enttäuscht. Der Juristinnenbund hat zu Recht von einem frauenpolitischen
Ärgernis gesprochen. Sie haben das 630-Mark-Gesetz
durchgepeitscht, obwohl wir in unserem Ausschuß noch
keinen Änderungsantrag vorliegen hatten. Sie haben es
gegen unseren Willen durchgepeitscht, und Sie haben
damit die Rechte der Parlamentarier mißachtet. Das ist
kein Umgang mit Kolleginnen und Kollegen dieses
Parlaments.
({19})
In den Reden von SPD und Grünen zur Jugendpolitik wurde in der Vergangenheit immer wieder angemahnt, geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Aber jetzt
sind Sie an der Regierung. Was tun Sie jetzt für Jugendliche? Was wird besser? Sie haben, Frau Ministerin, den
Gesamthaushalt für Jugendpolitik um 5,8 Millionen DM
gekürzt.
({20})
- Dann habe ich andere Zahlen als Sie.
({21})
Die Summe zeigt auf jeden Fall ganz klar, daß Sie hier
gekürzt haben, auch wenn Sie innerhalb des Haushalts
andere Schwerpunkte gesetzt haben.
Sie haben im Januar Ihr Arbeitsprogramm vorgestellt.
Sie hatten keinen Ansatz in der Jugendpolitik. Auch das,
was Sie heute gesagt haben, war äußerst mäßig. Im Januar gab es lediglich den Hinweis auf das Kinder- und
Jugendhilfegesetz, das wir Anfang der 90er Jahre geschaffen haben. Das Sonderprogramm für arbeitslose
Jugendliche, das die Bundesregierung vorgestellt hat, ist
bisher ein Flop.
({22})
Die Lobpreisungen auf Ihr Programm sind nicht
nachvollziehbar, denn wenn man in den Arbeitsämtern
nachfragt, stellt man fest, daß der Erfolg äußerst mäßig
ist. Von mittlerweile 123 000 angeschriebenen Jugendlichen konnten gerade einmal 5 800 vermittelt werden.
Eine wirkliche Lösung des Problems der Jugendarbeitslosigkeit ist Ihr Programm nicht. Sie müßten sich vielmehr für die Verbesserung der schulischen Ausbildung,
gerade in den von Ihnen regierten Ländern, einsetzen.
({23})
Schauen Sie zum Beispiel nach Niedersachsen. In Hessen wird es jetzt Gott sei Dank anders werden.
({24})
Teure Aktionsprogramme ersetzen eben keine Konzepte.
({25})
- Das ist zwar eine alte Leier, die zu spielen aber noch
immer not tut. Das haben Sie bis heute nicht begriffen.
Der Einzelplan 17 sieht Kürzungen in der Familien-,
Senioren- und Jugendpolitik vor. Dennoch ist eine
leichte Steigerung des Gesamthaushalts zu verzeichnen.
Sie blähen, Frau Ministerin, die Verwaltung Ihres Ministeriums um 3,3 Millionen DM auf. Das ist Ihre Antwort
auf die Bedürfnisse von Familien, Senioren, Frauen und
Jugend.
Frau Ministerin, die Bilanz Ihrer ersten 100 Tage ist
kläglich. Sie besteht nur aus Ankündigungen und Luftblasen. Lassen Sie jetzt endlich Taten folgen!
({26})
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, das Wort hat jetzt der Kollege Christian Simmert vom Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Es ist schon sehr abenteuerlich, was wir uns gerade anhören mußten:
({0})
ein verstaubtes Familienbild, einen Bundesverfassungsgerichtsbeschluß, der im Grunde eine Quittung für
16 Jahre Kohl ist
({1})
und nicht die ersten hundert Tage der neuen Bundesregierung bewertet.
Meine Damen und Herren, Kinder dürfen kein Armutsrisiko sein. Das ist eine Herausforderung für die
neue Regierung. Wir werden uns offensiv der Armut in
unserem Land stellen und sie bekämpfen. Wir werden
Konsequenzen aus dem noch vom Haus Nolte vorgelegten 10. Kinder- und Jugendbericht ziehen und nicht
wie Ihre Ex-Ministerin den Kopf in den Sand stecken.
Kollege
Simmert, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Frau
Kollegin Reinhardt?
Nein, die erlaube ich nicht.
Gilt das
grundsätzlich: keine Zwischenfragen?
Die jungen Menschen sind die Zukunft unserer Gesellschaft. Mit einer Jugend ohne Perspektive waren Sie von
der Opposition dabei, die Zukunft unseres Landes zu
verspielen.
({0})
Für uns hat die Situation von Kindern, Jugendlichen und
Familien höchste Priorität. Hinsichtlich des Familienbildes bildet die Ehe in der Tat nicht den Schwerpunkt
unserer Familienpolitik. Vielmehr wird auch ohne Trauschein da gefördert, wo Kinder sind.
({1})
Die Bundesregierung hat einen ihrer ersten Schritte
zum Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugenderwerbslosigkeit beschlossen. Die Maßnahme „Jugend
und Arbeit“ wird darüber hinaus die jungen Menschen,
besonders junge Frauen, ansprechen, denen das Sofortprogramm nicht gerecht werden kann. Beide Pakete haben hohe Erwartungen geweckt. Diese gilt es nun einzulösen und auszubauen. Das hat die neue Bundesregierung der abgewählten Bundesregierung entgegenzusetzen. Ich denke, das ist ein wesentlicher Fortschritt zur
Bekämpfung der Jugenderwerbslosigkeit.
({2})
Ich denke, die Privatwirtschaft - heute hat ja das
Bündnis für Arbeit getagt - und die öffentlichen Dienste stehen in der Ausbildungspflicht. Wir müssen gemeinsam versuchen, eine Perspektive für Jugendliche zu
schaffen, die diesen Namen verdient. Hierzu dient das
Programm „Jump“ - Jugend mit Perspektive -; der
Name ist Programm. Wir werden noch höher springen
müssen, um strukturelle Verbesserungen auf den Weg
zu bringen. Wir drücken uns nicht wie die alte Bundesregierung davor, sondern versuchen, für alle Jugendlichen gleiche Chancen auf einen Beruf zu erreichen.
({3})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Arbeit ist
aber nicht nur Erwerbsarbeit. Arbeit ist die gesellschaftliche Arbeit insgesamt, bezahlt und unbezahlt. Diese
muß fair verteilt werden zwischen Mann und Frau, zwischen Frau und Mann. Auch die jungen Männer wollen
heute ihre Kinder nicht erst dann kennenlernen, wenn sie
deren Führerschein bezahlen sollen.
({4})
Für uns heißt Familienförderung: das Leben mit
Kindern ermöglichen, egal, ob verheiratet oder unverheiratet, egal, ob alleinerziehend oder nicht.
({5})
Wichtig ist, daß die Menschen, die sich für Kinder entschieden haben, die nötige bezahlte und unbezahlte Arbeit leisten und unter sich aufteilen können. Dafür brauchen wir flexible Erziehungszeiten, die die Betreuung
der Kinder sicherstellen. Wenn ich mir einen Abstecher
ins Private erlauben darf: Wahrscheinlich bin ich unter
den Herren hier der einzige, der schon einmal im Erziehungsurlaub gewesen ist.
({6})
- Es kann sein, daß es hier noch den einen oder anderen
Kollegen gibt, für den das auch gilt. Dann können wir
uns gerne einmal unterhalten.
({7})
- Ja, ich auch, Kollege. ({8})
In der jungen Generation gibt es nämlich immer mehr
junge Männer, die bereit sind, Erziehungsurlaub zu
nehmen und Erziehungsarbeit zu leisten.
Meine Damen und Herren, natürlich hätten wir gerne
schon in diesem Haushaltsentwurf das Erziehungsgeld
erhöht und damit wahr gemacht, was Sie von der rechten
Seite des Hauses in den letzten 16 Jahren zwar immer
versprochen, aber nie gehalten haben. Die rotgrüne Koalition wird daran arbeiten, daß es in den kommenden
Jahren im Rahmen der Gewährung des Erziehungsgeldes zu einer Erhöhung der Einkommensgrenzen und
damit zu einer Besserstellung vieler Eltern kommt. Seit
1986 haben Sie, die jetzt in der Opposition sind, zugesehen - Sie haben nur Däumchen gedreht -, wie ein
schleichender Prozeß einsetzte, so daß nur noch 40 Prozent der Erziehenden das volle Erziehungsgeld bekamen. Die Koalition wird ein Familienentlastungsgesetz
vorlegen, das alle familienpolitischen Leistungen, also
auch eine Regelung des Erziehungsgeldes, beinhaltet
und damit die Situation von Familien verbessert.
({9})
Viele Hürden verhindern nach wie vor, daß Frauen
einen gleichberechtigten Zugang zur Erwerbsarbeit haben und Männer ihren Anteil zum Beispiel an der Familienarbeit leisten können. Die abgewählte Regierung
Kohl hinterläßt auch hier eine große Hypothek. Einen
Anfang machen wir in diesem Haushalt - Frau Ministerin Bergmann hat darauf hingewiesen - mit dem
Aktionsprogramm „Frauen und Beruf“. Ein Gleichberechtigungsgesetz für den öffentlichen Dienst und die
Privatwirtschaft wird folgen und den Frauen den Zugang
zur Erwerbsarbeit und zur Hälfte der Ausbildungsplätze
sichern.
({10})
Hierbei werden wir vor allem dafür kämpfen, daß die
jungen Frauen in den neuen Bundesländern und junge
Migrantinnen in unserem Land endlich zu ihrem Recht
kommen.
({11})
Stichworte rotgrüner Politik werden „Partizipation“
und „Empowerment“, das Starkmachen der Jugendlichen, sein. Stark werden junge Menschen, wenn sie
in ihren sozialen und kommunikativen Fähigkeiten
gefördert werden und wenn sie sich früh für gesellschaftliches Engagement begeistern können. Deshalb
begrüße ich den Einsatz der Bundesregierung für die
innerdeutschen und grenzüberschreitenden freiwilligen Dienste. Die Zahl derer, die ein freiwilliges Jahr
ableisten, wird immer höher. Dies dient der Orientierung und ist angesichts der oftmals schwierigen
Situation der Jugendlichen auf dem Ausbildungs- und
Arbeitsmarkt eine sinnvolle Hilfe. Maßnahmen wie
die Förderung von Mädchen durch das freiwillige
ökologische Jahr sind in diesem Zusammenhang äußerst sinnvoll. Neue Zielgruppen müssen hierbei Migrantinnen und Spätaussiedlerinnen sein. Die freiwilligen Dienste dürfen aber nicht zu billigen Warteschleifen, wie teilweise unter Ihrer Regierung geschehen, verkümmern. Deshalb sind Qualitätsstandards und soziale Absicherung das A und O. Hier
können Sie, Frau Ministerin Bergmann, mit vollster
Unterstützung von unserer Seite rechnen.
({12})
Bewußtseinsbildung und Möglichkeiten der Auseinandersetzung sind auch für die Angehörigen der jungen
Generation untereinander wichtig. Das „Internationale
Jahr der älteren Menschen“, das dieses Jahrhundert abschließen wird, werden wir dazu nutzen, die Generationengerechtigkeit auf die Tagesordnung zu setzen. Hier
ist Dialog wichtig. Auch vor der politischen Debatte
über soziale Gerechtigkeit und damit über die sozialen
Sicherungssysteme hat sich die abgewählte Regierung
nachhaltig gedrückt. Wir werden uns dieser Debatte
stellen, ohne die Generationen gegeneinander auszuspielen. Es ist wichtig, daß die jungen Menschen ihre
Zukunft und ihre Verantwortung im Bereich der sozialen
Sicherungssysteme erkennen können. Das klappt nur,
wenn sie gerecht behandelt und nicht, wie in den letzten
Jahren, verprellt werden. Hier geht es um Gerechtigkeit;
sie werden wir herstellen.
({13})
„Gerechtigkeit“ ist auch das Stichwort für mein letztes Thema, für den Zivildienst. Im vergangenen Jahr
entschieden sich so viele junge Menschen wie nie zuvor
für den Zivildienst und gegen den Wehrdienst. Ich habe
angesichts dessen von der Opposition Aufschreie gehört.
Diese hohe Zahl ist aber ein Zeichen vor allen Dingen
dafür, daß sich das große soziale Engagement der Jugendlichen in immer stärkerem Maße auch in der Entscheidung für den Zivildienst ausdrückt.
Bündnis 90/Die Grünen kämpfen nach wie vor für die
Abschaffung aller Zwangsdienste. Laut Koalitionsvertrag - und auch im Koalitionsalltag - ist für uns klar:
Zumindest die Ungleichbehandlung der Wehrdienst- und
Zivildienstleistenden ist so schnell wie möglich aufzuheben.
({14})
Es kann nicht sein, daß Zivildienstleistende mit einer
längeren Dienstdauer und niedrigerer Besoldung bestraft
werden.
({15})
Ich versichere Ihnen - auch Ihnen, Herr Kollege Hornung, versichere ich das gerne -, daß wir in diesem
Punkt nicht lockerlassen werden.
Die neue Bundesregierung wird sich im Gegensatz
zur verflossenen der sozialen Verantwortung und Gerechtigkeit stellen. Dies hat Rotgrün mit dem vorliegenden Haushalt getan - bei allen Problemen, die uns Kohl
und Nolte hinterlassen haben.
Vielen Dank.
({16})
Herr
Kollege Simmert, ich beglückwünsche Sie zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
({0})
Als nächster Redner hat der Kollege Klaus Haupt von
der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihr Haushalt, Frau Ministerin, hat
mich erstaunt und zugleich auch erfreut. Er hat mich erstaunt, weil ich den von Rotgrün angekündigten politischen Quantensprung und politischen Gestaltungswillen
vergeblich gesucht habe.
({0})
Er hat mich erfreut, weil Sie den Ansatz der alten Bundesregierung weitgehend unverändert übernommen haben.
So schlecht kann deren Politik also nicht gewesen sein.
({1})
Frau Ministerin, Sie haben auch den Haushaltsansatz
der alten Regierung für frauenpolitische Maßnahmen
übernommen. Dazu kann ich nur sagen: Gut so; denn
der Ansatz war nicht schlecht. Eine gestiegene Bedeutung der Frauenpolitik kann ich darin jedenfalls nicht
erkennen. Wenn jetzt von Ihnen ein neues Gleichstellungsgesetz mit - wie es so schön heißt - verbindlichen
Regelungen für die freie Wirtschaft angekündigt wird,
dann schrillen bei uns - das sage ich Ihnen ganz ehrlich
- alle Alarmglocken; denn wenn dieses Gesetzgebungsvorhaben annähernd die Qualität Ihrer 630-DMRegelung erreicht, ist für die Arbeitsmarktsituation der
Frauen in Deutschland Schlimmes zu befürchten.
({2})
Die Aufstockung des Einzeltitels für den Kinder- und
Jugendplan scheint erfreulich. Bei näherem Hinsehen
entpuppt sich das aber doch als kleine Mogelpackung,
weil es wirklich so ist, daß der Gesamtetat für den Bereich Jugend unter Ihrer Ägide, Frau Bergmann, um
über 5 Millionen DM gekürzt wird - und das bei einer
Steigerung des Gesamtetats. Berücksichtigt man, daß
das Sonderprogramm „Jugend und Arbeit“ eigentlich
auch komplett im Ressort Arbeit und Soziales verbucht
werden könnte, ergibt sich sogar eine Reduzierung des
Jugendetats um 15 Millionen DM. Das halte ich zumindest für bedenklich.
({3})
Die von dieser Bundesregierung losgetretene Ausländerdebatte wäre eine Chance gewesen, einen neuen jugendpolitischen Schwerpunkt zu bilden. Statt dessen
wird der Haushaltsansatz im Titel „Integration junger
Spätaussiedler und Flüchtlinge“ reduziert. Das ist für
mich geradezu erschreckend.
({4})
Die Integration junger Ausländer in Deutschland ist
doch nicht allein eine Frage des Staatsangehörigkeitsrechtes.
({5})
Hier wäre ein jugendpolitischer Neuansatz, hier wäre
praktische Integrationsarbeit dringend notwendig. Doch
außer dem von den grünen Fundis initiierten Doppelpaß
fällt Ihnen wahrscheinlich nichts ein - Fehlanzeige!
({6})
Wir sind uns in diesem Hause einig: Eines der größten jugendpolitischen Probleme ist die Jugendarbeitslosigkeit. Die F.D.P. begrüßt, daß die Bundesregierung
auf diesem Gebiet gesteigerten Handlungsbedarf sieht.
Wir haben schon in der alten Koalition die diesbezüglichen Mittel der Bundesanstalt für Arbeit auf über
2,8 Milliarden DM aufgestockt. Ihr groß angekündigtes
2 Milliarden DM schweres Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit wird selbst bei einem hundertprozentigen Erfolg noch 400 000 Jugendliche ohne Arbeit
oder Ausbildung zurücklassen. So entzaubert dieses
Programm selbst den publizistischen Popanz, den Sie
aufgebaut haben.
({7})
Ich komme aus einer Stadt, die die höchste Arbeitslosigkeit in Deutschland hat: 28 Prozent. Als Liberaler bin
ich mir der Notwendigkeit staatlicher Feuerwehrprogramme völlig bewußt; dazu habe ich eine positive
Haltung. In meinem Arbeitsamtsbezirk sollen ab 1. April
500 Jugendliche eine Erstausbildung mit Handwerksprüfung - nach drei Jahren Ausbildung - absolvieren.
Wunderbar! Ihr Programm ist auf ein Jahr ausgelegt.
({8})
Im Interesse der Jugendlichen muß daher unbedingt ein
Folgeprogramm angeschlossen werden.
({9})
Klar ist aber auch: Immer neue Staatsprogramme helfen nicht, schon gar nicht auf Dauer. Ein nachhaltiger
Abbau der Jugendarbeitslosigkeit ist nur zu erreichen,
wenn vernünftige Rahmenbedingungen in Deutschland
wiederhergestellt werden: durch ein vereinfachtes
Steuersystem,
({10})
durch radikalen Bürokratieabbau, durch eine mutige
Bildungsreform; denn weltweiter Wettbewerb beginnt
im Klassenzimmer.
({11})
Frau Ministerin, Sie haben vorhin angekündigt: Jetzt
wird wieder etwas für Familien bewegt. - Schauen wir
doch einmal, was bewegt wird. Großspurig haben Sie in
der Öffentlichkeit die Erhöhung des Kindergeldes als
Erfolg verkauft. Das sei Ihnen vergönnt.
({12})
- Ach wo. - Das dicke Ende schieben Sie jetzt nach:
Durch Ihre Steuerpolitik werden Familien in Zukunft
nicht entlastet, wie Sie gebetsmühlenartig immer wieder
beteuern, sondern belastet.
({13})
Ihre Kindergelderhöhung wird durch Ihre Abzockerökosteuer mehr als kompensiert.
({14})
Sie stecken den Bürgern als Wahlgeschenk ein paar
Mark in die rechte Tasche, ziehen aber mehr Geld aus
ihrer linken Tasche heraus. Das halte ich für unredlich.
({15})
Familien brauchen keine unredlichen Versprechungen,
sondern nachhaltige Entlastungen.
Ihr Steuerflickenteppich ist auch ein Anschlag auf
Arbeitsplätze in Deutschland, ein Anschlag, der vor allen Dingen Familien und Jugendliche treffen wird. Das
gilt übrigens auch für Ihre Neuregelung der 630-MarkVerträge. Ursprünglich dienten sie dazu, gerade Frauen,
Studenten und Rentnern ein kleines Einkommen zu ermöglichen, ohne in die Mühlen der Sozialversicherungssysteme und Steuerbürokratie zu geraten. Nach Ihrem xten Verschlimmbesserungsversuch gegen jeden Rat der
Sachverständigen, gegen jeden Sachverstand ist eines
klar: Schwarzarbeit wird in Deutschland zunehmen, Arbeitsplätze werden verschwinden.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle eine ganz persönliche Bemerkung eines Neulings. Ich habe mir eine solch
chaotische Regierungsarbeit nicht vorstellen können.
({16})
Es zeigt sich: Das Leben ist voller Überraschungen, vor
allem in Bonn.
Schon nach diesen wenigen Beispielen möchte man
ausrufen: Nur gut, daß wir verglichen haben. - Die bisherige rotgrüne Politik ist nicht schlüssig; sie ist konzeptionslos und - das halte ich für gefährlich - in den
Konsequenzen zu unüberlegt.
({17})
Frau Ministerin, Sie haben recht: Das werden die Familien in Deutschland erkennen. In meinem Wahlkreis
spüre ich das Tag für Tag.
Frau Ministerin, Sie haben sich einiges für Ihr Ressort vorgenommen. Ich ermuntere Sie ganz ausdrücklich: Seien Sie bei Ihren Vorhaben die Ausnahme im
Kabinett, nach dem Motto: Erst denken, dann handeln.
Sie finden bei uns Liberalen immer Unterstützung, wenn
es um die Sache geht. Geben Sie den Bürgerinnen und
Bürgern mehr Eigenverantwortung, mehr Möglichkeiten
für freiwillige Solidarität. Verkaufen Sie nicht die Segnungen einer aufgeblähten Bürokratie als Erfolg.
Danke, meine Damen und Herren.
({18})
Herr
Kollege Haupt, ich beglückwünsche auch Sie zu Ihrer
ersten Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen
Glückwunsch.
({0})
Das Wort hat nun die Kollegin Petra Bläss von der
PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Haupt, Sie haben sicherlich
übersehen, daß auch sehr viele Frauen im Saal sind.
({0})
Wenn ein Haushalt in Zahlen gegossene Politik ist, dann
ist der vorliegende Haushaltsentwurf auch eine in Zahlen gegossene Frauenpolitik. Was ich da lese, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition,
stimmt mich nicht gerade optimistisch. Von Frauenpolitik finden sich in Ihrem Haushaltsentwurf - ich spreche
vom Gesamthaushaltsentwurf - allenfalls Spurenelemente. Dabei beziehe ich mich ganz bewußt nicht allein
auf den Einzelplan 17.
Den Bruch mit der neoliberalen Politik à la Kohl
schaffen Sie nur, wenn Sie die Gleichstellung der Geschlechter zu einer alle Politikfelder überspannenden
Aufgabe Ihrer Politik machen. Sie können sich noch so
sehr für Gerechtigkeit und Solidarität einsetzen wollen Klaus Haupt
solange Sie die Entrechtung der Frauen allenfalls als
Ressortproblem behandeln, werden Sie scheitern.
({1})
Wochenlang sind Sie mit immer neuen Kompromißvorschlägen zu den 630-DM-Jobs gekommen, und auch
der jetzige bleibt halbherzig. Denn die zentralen Ziele die notwendige Existenzsicherung von Frauen und die
Eindämmung dieser Beschäftigungsverhältnisse - werden nicht erreicht. Rentenversicherung - ja, aber in einem nicht nachzuvollziehenden Konstrukt. Anspruch
auf Arbeitslosenversicherung und Arbeitsförderung Fehlanzeige. Sie werden mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auch weiterhin die Aufsplitterung der regulären
Arbeitsplätze in geringfügige ermöglichen. Klipp und
klar heißt das, daß auch weiterhin Altersarmut vorprogrammiert sein wird, und die ist bekanntlich vor allem
weiblich.
Wieso, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, haben Sie nicht den Mumm, den Arbeitgebern die Stirn zu bieten und Frauen endlich die gleiche soziale Absicherung wie Männern zu garantieren?
({2})
Statt dessen schaffen Sie am Ende dieses Jahrhunderts
erneut ein Sozialrecht zweiter Klasse, das vor allem
Frauen trifft. In der Ausschußsitzung von heute nacht
hat mich ganz besonders die Arroganz des Obmanns Ihrer Fraktion geärgert, der das Votum des Frauenausschusses so schnell abgebügelt hat.
({3})
Gleiches gilt für das Ehegattensplitting. Wenn Sie mit
der patriarchalen Logik unseres Sozial- und Steuerrechts
brechen wollen, dann müssen Sie aufhören, die Ehe zu
privilegieren. Sie müssen Männer und Frauen einzeln
besteuern und ihnen Wege zu eigenständiger Absicherung öffnen.
({4})
Bekanntlich bietet Ihnen das Karlsruher Urteil zur Neuregelung der Familienbesteuerung die Chance dazu.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bundeskanzler
Schröder hat gestern betont, daß es beim „Bündnis für
Arbeit“ um die Herstellung eines gesellschaftlichen
Konsens für Reformmaßnahmen geht, die durchgreifender Natur sind - so weit, so gut. Aber daß die Frauenministerin nicht in der ersten Reihe sitzt, wenn die Spitzen
aus Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften über das
„Bündnis für Arbeit“ diskutieren, ist ein Skandal. Ich
weiß sehr wohl, daß Sie sich, Frau Bergmann, in den
Arbeitsgruppen sehr bemüht haben, Ihre Politikansätze
einzubringen. Dennoch denke ich, als Frauenministerin
gehören Sie in die erste Reihe.
Frauen sind in allen Bereichen des Arbeitsmarktes
benachteiligt. Wenn Sie mit Ihrer Politik keine wirklich
neuen Akzente setzen, dann bleibt das auch so. Deshalb
machen Sie endlich das Recht der Frauen auf Erwerbstätigkeit und wirtschaftliche Eigenständigkeit zum
Schwerpunkt Ihrer Regierungspolitik! Passiert das nicht,
werden wir automatisch einen weiteren Abbau von Arbeitsrechten und Kombilohnmodelle im Niedriglohnbereich in noch nicht dagewesenem Ausmaß erleben. Ich
garantiere Ihnen: All das wird wieder vorwiegend auf
dem Rücken von Frauen ausgetragen werden.
Ich bin übrigens ebenso enttäuscht, daß der Bundesarbeitsminister Riester in der heutigen Debatte zum Einzelplan 11 kein einziges Wort zur besonderen Arbeitsmarktsituation von Frauen gesagt hat.
({5})
Wo, so frage ich Sie, ist Ihr in schillerndsten Farben
ausgemalter Politikwechsel? Wieso beziehen Sie nicht
feministische Ansätze zur zivilen Konfliktregelung in
die Außen- und Sicherheitspolitik ein? Die Konzepte
liegen auf dem Tisch, auch bei Ihren Parteien.
Wenn Sie einen Schwerpunkt bei den Menschenrechten setzen - was ich außerordentlich begrüße -:
Warum gehen Sie bei der Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfolgung als Asylgrund so halbherzig vor,
daß im Asyl- und Ausländerrecht kaum mehr als eine
Fußnote dazu erscheint?
Zum Stichwort „Menschenrechte“: Das heutige Votum der Bischöfe, die letzte Entscheidung über den Verbleib der katholischen Beratungsstellen in der Schwangerschaftsberatung dem Papst zu überlassen, vor allem
aber die zum wiederholten Male gemachten skandalösen, frauenverachtenden Äußerungen über die Abtreibung als „verabscheuenswürdiges Verbrechen“ zeigen
einmal mehr, wie groß gerade hier der politische Handlungsbedarf in puncto Selbstbestimmungsrecht der Frau
ist. Solange der Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch steht, werden wir eine solche Debatte nicht
vom Tisch bekommen.
Die innere Sicherheit ist dauernd Tagesthema. Doch
ist Ihnen schon einmal aufgefallen, daß es dabei nie um
Frauen geht? Die permanente Bedrohung durch Gewalt
im öffentlichen wie im privaten Raum bestimmt das Leben vieler Frauen in dieser Gesellschaft. Dazu habe ich
vom Innenminister gestern aber kein Wort gehört. In
seinem Haushalt suche ich vergeblich nach Maßnahmen
zur Bekämpfung dieser Bedrohung. Projekte gegen Gewalt gegen Frauen finden sich selbstverständlich im
Einzelplan 17. Sie sind sehr wichtig, aber letztlich nur
ein Tropfen auf den heißen Stein; denn Sie können das
Problem damit nicht grundsätzlich angehen. Gewalt gegen Frauen ist immer noch eine Grundfeste unserer Gesellschaft. Damit Frauen überhaupt eine Chance haben,
sich gegen Gewalt zur Wehr zu setzen, muß ihre soziale
und ökonomische Eigenständigkeit allerhöchste Priorität
haben. Auch deswegen brauchen wir einen wirklichen
Bruch mit der alten Politik und nicht Kosmetik, die auf
die alten Konzepte aufgebracht wird.
Danke.
({6})
Als
nächster Redner hat der Kollege Manfred Kolbe von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundesministerin, Sie haben in Ihrer Rede recht gehabt, und
Sie haben unrecht gehabt. Sie haben recht gehabt: In der
Tat, nach 100 Tagen Rotgrün gibt es die Familie noch.
Das haben Sie zu Recht festgestellt. Es ist zwar keine
sonderlich große Leistung, daß Sie das geschafft haben,
aber es ist richtig. Sie haben unrecht, wenn Sie der
Union nachsagen, wir seien gegen die Erwerbsarbeit von
Frauen
({0})
oder wir seien gar gegen Frauen in Führungspositionen.
({1})
Fangen wir doch einmal bei den höchsten Staatsämtern dieser Republik an.
({2})
- Ich sehe, die Spannung wächst. Bundeskanzler Schröder ist ein ausgemachter Macho.
({3})
Bundestagspräsident ist Wolfgang Thierse, und wer wird
Bundespräsident?
({4})
- Eine Frau, hoffe ich.
({5})
Die Sache ist gar nicht so lustig; sie ist ernst. Ich verstehe, daß Sie nervös werden, aber wir steuern, wenn sich
Ihre Mehrheit durchsetzt, zum erstenmal nach vielen
Jahren in dieser Republik auf einen Zustand zu, bei dem
wir in den drei höchsten Staatsämtern keine Frau mehr
haben.
({6})
- Wir hatten bisher eine Bundestagspräsidentin.
Ich halte das für ein bedenkliches Zeichen, Frau
Ministerin. Ich habe deshalb mit großem Interesse Ihre
Rede verfolgt. Ich habe Ihrer Rede entnehmen können,
daß Sie für Frauen in Führungspositionen sind. Ich
gehe deshalb davon aus, daß wir beide am 23. Mai Frau
Professor Dagmar Schipanski in Berlin wählen werden.
({7})
Ich appelliere an die stattliche Frauenriege der SPD:
Unterstützen Sie Frau Professor Dagmar Schipanski am
23. Mai in Berlin!
({8})
Zurück zur Familie. Dort ist die Lage in der Tat ernst.
„Kinder sind Luxus“, titelte im Januar 1999 die „Berliner Zeitung“. Ich zitiere weiter:
Die Familie ist von einer Zugewinngemeinschaft zu
einem masochistischen Verlustunternehmen geworden. Ein Kind zu bekommen ist zu einem Existenzrisiko geworden.
Da ist etwas Wahres dran, Frau Ministerin. Hier sind
wir alle gefordert. Wir brauchen in der Bundesrepublik
Deutschland einen echten Familienleistungsausgleich.
Da haben wir alle unsere Versäumnisse. Die Versäumnisse beginnen in der sozialliberalen Koalition. Sie
haben ja auch vor diesem Jahr schon einmal regiert.
({9})
Die Versäumnisse lagen teilweise auch bei uns,
({10})
und die Versäumnisse liegen auch bei dieser Bundesregierung. Wir alle müssen deshalb das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sehr ernst nehmen. Es ist gut,
daß dieses Urteil ergangen ist.
Dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom
19. Januar 1999 fordert einen echten Familienleistungsausgleich. Wir sind alle aufgefordert, dies so schnell wie
möglich umzusetzen. Ich sage allerdings auch, daß das
Urteil noch wesentlich drastischer ausgefallen wäre,
wenn wir nicht 16 Jahre erfolgreiche unionsgeführte
Familienpolitik gehabt hätten.
({11})
Wenn es sie nicht gegeben hätte, dann wäre dieses Urteil
bedeutend drastischer ausgefallen.
({12})
Zahlen lügen ja bekanntlich nicht. Die familienpolitischen Leistungen wurden von den Unionsregierungen
von 27 Milliarden DM auf 77 Milliarden DM im Jahr
erhöht. Das ist die Leistung von 16 Jahren Unionspolitik.
({13})
Meine Redezeit reicht nicht aus, all diese Leistungen
aufzuführen. Dazu bräuchte ich wesentlich länger.
({14})
1984: Betreuungskosten für Alleinerziehende, 1986: Einführung des Erziehungsgeldes, 1987: Einführung des
Baukindergeldes, 1992: Anerkennung von drei Erziehungsjahren in der Rentenversicherung, 1996: Familienleistungsausgleich. Das waren echte Fortschritte in
der Familienpolitik.
({15})
Frau Ministerin, ich wage heute schon eine Prophezeiung: Eine solche Erfolgsbilanz und eine Verdreifa1726
chung der familienpolitischen Leistungen werden Sie
nicht erreichen, schon deshalb nicht, weil Sie nicht
16 Jahre regieren werden. Aber auch ansonsten werden
Sie sie nicht erreichen.
({16})
Familienpolitik ist notwendiger denn je; darin sind
wir uns alle einig. Wir sollten auch einmal neue Gedanken, neue Wege prüfen. Ich erinnere, Frau Ministerin,
zum Beispiel an das sächsische Modell eines Erziehungsgehaltes. Sicherlich läßt sich da noch manches
diskutieren.
({17})
Aber es ist ein Weg, den wir zumindest einmal ernsthaft
prüfen sollten.
({18})
Dieses Erziehungsgeld soll unabhängig vom Umfang
der Erwerbstätigkeit der Erziehenden geleistet werden.
Es soll so gestaffelt sein, daß bei drei Kindern ein durchschnittliches Arbeitnehmereinkommen zur Verfügung
steht. Ich halte das für einen überlegenswerten Weg. Es
verdient den Schweiß der Edlen, Frau Ministerin; wir
sollten unsere Gedanken einmal darauf richten.
({19})
Lassen Sie mich zum Abschluß noch auf den Einzelplan 17 zu sprechen kommen, den wir in den nächsten
Wochen im Haushaltsausschuß beraten werden. Wir beginnen morgen mit dem Berichterstattergespräch. Der
Einzelplan 17 enthält Ausgaben in Höhe von rund 11,9
Milliarden DM. Den bei weitem größten Block bilden
dabei die gesetzlichen Leistungen für die Familie; allein
7,1 Milliarden DM entfallen auf das Erziehungsgeld.
Den zweiten großen Ausgabenblock bilden die Ausgaben für das Bundesamt für den Zivilschutz mit 2,8 Milliarden DM.
Es gibt im Vergleich zum letzten Haushaltsentwurf
der unionsgeführten Bundesregierung minimalste Änderungen. Sie müssen sie schon mit der Lupe suchen, um
sie zu finden. Sie ergeben sich größtenteils aus tatsächlichen Entwicklungen.
Eines von beiden ist deshalb richtig: Entweder war
unsere Politik gut, und Sie haben den Haushalt deshalb
unverändert übernommen - das können wir unterschreiben -, oder Sie setzen keine neuen Impulse. Eines von
beiden stimmt; denn der Haushalt ist mehr oder weniger
identisch mit dem Ihrer Vorgängerregierung.
Nichtsdestotrotz bieten wir von der Union Ihnen unsere Zusammenarbeit an, wenn es um einen echten Familienleistungsausgleich geht, wenn es um eine echte
Verbesserung der Situation der Familie geht. In diesem
Sinne wünsche ich uns gute Beratungen.
({20})
Als
letzte Rednerin zu diesem Einzelplan hat das Wort die
Kollegin Hildegard Wester, SPD-Fraktion. Frau Wester,
bitte schön.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen
von den Oppositionsparteien! Ich muß schon sagen: Ihre
heutigen Beiträge hatten einen seltenen Erheiterungswert.
({0})
Ich kann daraus schließen, daß die Oppositionsrolle Sie
von einer unendlichen Last befreit hat, so daß Sie jetzt
so richtig durchatmen und frei von der Leber weg Ihre
Beiträge leisten können.
({1})
Ich als Rheinländerin muß sagen: Ich habe mich gelegentlich - vor allem auch bei Ihnen, Frau Eichhorn - an
den gerade vergangenen Karneval erinnert gefühlt;
({2})
denn die erstaunliche Fähigkeit, die Wahrheit zu verdrängen - die Sie in der Opposition offensichtlich jetzt
noch verfeinert haben -, ist wirklich büttenreif. Wie man
es fertigbekommt, eine wirklich dramatisch schlechte
Note, die einem das Verfassungsgericht ins Stammbuch
geschrieben hat, umzukehren in die Bestätigung seiner
Politik, ist für mich schlicht nicht nachvollziehbar.
({3})
Aber vielleicht erklärt sich das ja daraus, daß Sie auch in
der Vergangenheit mit Verfassungsgerichtsurteilen so
umgegangen sind. Denn immer waren wir als damalige
Opposition es, die Sie dazu bringen mußten, den Verfassungsgerichtsurteilen Folge zu leisten.
({4})
Frau Eichhorn, Sie haben uns vorgeworfen, wir
ideologisierten.
({5})
Ich kann Ihnen nur sagen: Nach acht Jahren Familienpolitik unter christdemokratischen Familienministerinnen
({6})
war dieses Ressort zum Ideologieressort verkommen.
({7})
Sie haben die Familien mit leeren Sonntagsreden abgespeist; mehr war nicht dahinter.
({8})
Wir werden uns nicht nach unserer Ideologie richten,
sondern wir werden bei unserer Politik auf die Notwendigkeiten achten. Wir richten uns nach der Realität aus,
und nach nichts anderem.
({9})
- Ich werde noch konkret, keine Angst.
({10})
Wir werden trotz des finanziellen Scherbenhaufens,
der uns hinterlassen wurde,
({11})
unsere Politik für die Familien fortführen. Wir haben einen Politikwechsel für die Familien versprochen, und
das werden wir auch halten.
({12})
Wir werden als erstes gerne darangehen, den Beschluß des Verfassungsgerichts umzusetzen.
({13})
Dazu müssen zunächst die Leistungen und Belastungen von Familien neu bewertet werden. Der Tatsache
der Kinderbetreuung und -versorgung durch die Familie
als Einschränkung der steuerlichen Leistungsfähigkeit
wird nun endlich Rechnung getragen.
({14})
Das haben wir in den Debatten schon häufiger angemerkt. Dabei ist es besonders wichtig, nicht in die private Entscheidungssphäre der Menschen einzudringen,
also nicht etwa zu prämieren, ob jemand für die Kinderbetreuung zu Hause bleibt oder weiter seinem Beruf
nachgeht.
({15})
- Wir werden auf diesen Aspekt besonders achten; mehr
habe ich nicht gesagt.
({16})
Wir werden des weiteren darauf achten, daß die Realisierung der Leistungsansprüche nicht durch die ungerechte Praxis der Steuerfreibeträge erfolgt.
({17})
Mit dieser Politik des Gebens an die, die schon haben,
werden wir Schluß machen.
({18})
Wohin nämlich unter anderem diese Politik geführt hat,
konnten wir im Zehnten Jugendbericht feststellen.
({19})
Immer mehr Kinder und Jugendliche haben keine ausreichenden Chancen für einen aussichtsreichen Start ins
Leben.
({20})
- Hören Sie doch einmal zu, Frau Rönsch. Wir alle wissen, daß Sie sehr gut und schnell mit der Zunge sind.
Aber Zuhören ist auch nicht schlecht. Ich kann im übrigen auch noch lauter reden.
Das verstärkt sich besonders bei Problemgruppen. In
diesem Zusammenhang kündige ich an: Wir werden dafür sorgen, daß das Kindergeld für erwachsene Behinderte in Heimen, das Sie ja auch gestrichen haben, wieder gezahlt wird.
({21})
Bei der Modernisierung des Erziehungsgeldes - zu
den Einkommenshöhen ist schon von Herrn Simmert
etwas gesagt worden - geht es nicht primär ums Geld,
sondern auch um die Frage, wie man es organisieren
kann, daß sich Mann und Frau gerecht auf dem Arbeitsmarkt bewegen und auch die Familienarbeit teilen
können. Dazu haben wir Vorschläge vorgelegt. Es wird
an einem Entwurf gearbeitet, der das Haus in Bälde erreichen wird.
Zur Familienpolitik gehört es, die Eltern in ihrer Verantwortung für die Erziehung zu unterstützen und jungen Menschen das Hineinwachsen in die Gesellschaft zu
erleichtern. Daher setzen wir auch neue Akzente in der
Jugendpolitik.
({22})
Das Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist heute ausgiebig gewürdigt worden. Wir
haben aus unserem Haushalt das Modellprogramm „Arbeitsweltbezogene Jugendsozialarbeit“ dazugestellt. Mit
zusätzlich 10 Millionen DM schaffen wir eine neue
Verknüpfung von Jugendhilfe und Arbeitsmarktprogrammen.
({23})
- Wir haben keine Kürzungen vorgenommen. Vielleicht
lesen Sie die Zahlen noch einmal in Ruhe durch. Wenn
man Umschichtungen als Kürzungen betrachtet - ({24})
- Wir können Ihnen in den Ausschußberatungen noch
einmal Nachhilfe geben.
Wir helfen benachteiligten Jugendlichen mit diesem
Sonderprogramm auf dem Weg in ihr Berufsleben.
Ziel einer sozialdemokratisch geführten Regierung
muß es immer sein, sozial Benachteiligte zu fördern und
ihnen gleiche Entwicklungschancen zu eröffnen. Dem
dient auch unser Aktionsprogramm „Soziale Entwicklung in sozialen Brennpunkten“. Ein Plus von 12 Millioen DM für den Kinder- und Jugendplan schafft hier zusätzliche Möglichkeiten, Ungleichheiten abzubauen, die
vor allen Dingen Jugendliche treffen.
({25})
Um Chancengleichheit zwischen Mann und Frau geht
es aber auch auf dem Arbeitsmarkt. Frauen haben auf
dem Arbeitsmarkt noch immer schlechtere Karrierechancen; auch das wurde eben ausreichend gewürdigt. Wir werden dieses Problem mit einem Gleichstellungsgesetz, das auch für die Privatwirtschaft gilt, in
den Griff bekommen.
({26})
Wir werden die Privatwirtschaft dahin bringen, daß sie
weiß, daß sie sich selber schadet, wenn sie die Qualitäten und die Fähigkeiten von Frauen brachliegen läßt.
({27})
Wir haben eben gehört, daß das Ministerium an der
Vorlage arbeitet.
({28})
Wir fordern Sie herzlich auf, mit uns in den Dialog über
dieses Gesetz zu treten.
Mit dem Aktionsprogramm „Frau und Beruf“
werden viele Forderungen erfüllt, die unsere Fraktion
und unser Koalitionspartner in den vergangenen Jahren
immer wieder gestellt haben. Das Aktionsprogramm
„Frau und Beruf“ ist überfällig.
Erstens. Frauenförderung in der Privatwirtschaft - ich
sprach es eben an - heißt auch, Frauen gezielt zu unterstützen, die sich selbständig machen und Arbeitsplätze
schaffen wollen.
Zweitens. Wir werden bei der Vergabe öffentlicher
Aufträge die rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, die
Unternehmen zu bevorzugen, die mit der Frauenförderung Ernst machen.
Drittens. Der Verfassungsauftrag, mit dem die tatsächliche Gleichberechtigung als verbindliches Staatsziel festgeschrieben wurde, verpflichtet uns auch dazu,
im Bereich der aktiven Arbeitsförderung verbindlich
vorzugeben, in welchem Anteil Frauen in die Maßnahmen einzubeziehen sind.
Viertens. Die Zumutbarkeitsregelungen in der Arbeitsförderung werden wir stärker an der Vereinbarkeit
von Familie und Beruf ausrichten.
Fünftens. Wir werden den alten Zustand bei der Berücksichtigung von Erziehungszeiten in der Arbeitslosenversicherung wiederherstellen.
({29})
Ein ebenso wichtiges Thema ist die Gewalt gegen
Frauen. Hier geht es um gezielte Vorbeugung und um
Schutz und Hilfe für Frauen, die von Gewalt betroffen
sind. Frauen haben Anspruch auf Schutz auch vor häuslicher Gewalt.
({30})
Dieser neue zentrale Arbeitsschwerpunkt ist ein weiteres
Zeichen für den Aufbruch in der Frauenpolitik, der hier
eben vermißt wurde. Strafverfahren und zivilrechtliche
Maßnahmen reichen oft nicht aus. Deshalb wird es im
Rahmen des nationalen Aktionsplans gegen Gewalt an
Frauen auch soziale Trainingskurse für Täter und
Kooperationsmodelle geben. Das Thema Gewalt muß
aus der Tabuzone herausgeholt werden.
({31})
Deshalb unterstützen wir die ressortübergreifende bundesweite Arbeitsgruppe zur Bekämpfung des Frauenhandels sowie die europäische Kampagne gegen Gewalt
an Frauen.
({32})
Zum Seniorenbereich kann ich aus Zeitgründen jetzt
nur noch sagen: Die Ministerin hat den dringenden
Handlungsbedarf erkannt. Wir unterstützen sie in diesem
Bereich natürlich voll.
({33})
Wir werden die Aufgaben angehen und Sie als Opposition auffordern, hier in allen Bereichen mitzuarbeiten.
Aber bitte unterlassen Sie es, Forderungen zu stellen, die
Sie als Regierung vom Tisch gewischt haben!
({34})
Ihre Forderungen und unsere Zielvorgaben müssen sich
daran messen lassen, inwieweit wir in der Lage sein
werden, Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft wieder einkehren zu lassen.
Vielen Dank.
({35})
Zu einer
Zwischenbemerkung, auch Kurzintervention genannt,
erteile ich der Kollegin Ina Lenke von der F.D.P.Fraktion das Wort.
Frau Wester, in der Regierungserklärung hat Herr Schröder dieses Programm den neuen
Aufbruch in der Frauenpolitik genannt. Ich kenne den
Waigel-Haushalt in der ersten Lesung; er hat ein Volumen von 11,9 Milliarden DM. Auch Sie haben ein Volumen von 11,9 Milliarden DM; wenn Sie ganz genau
hinsehen, sogar eine halbe Million DM weniger. Auch
das wissen Sie. Von daher ist die Frage: Wo steckt das
Geld für Ihre frauenpolitischen Maßnahmen?
Da muß ich Ihnen sagen: Das kenne ich aus Niedersachsen von der Schröderschen Politik. Ich finde es als
F.D.P.-Politikerin nicht richtig, wenn Sie sich andere
Zahlmeister für Ihre frauenpolitischen Maßnahmen suchen. Ich will Ihnen nur wenige Beispiele nennen. Bei
dem Aktionsprogramm „Frau und Beruf“ wollen Sie die
Wirtschaft zwingen, Frauenförderung zu machen. Das
wird Sie nichts kosten - sonst hätten Sie es schon im
Haushalt -, sondern das kostet die Wirtschaft. Sie wollen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge Unternehmen
bevorzugen - und damit belohnen -, die frauenpolitisch
„freundlich“ sind.
Ich habe eine Unterlage, die besagt: Auch wenn es
dadurch ein bißchen teurer wird, wollen wir dies zur
Förderung frauenpolitischer Maßnahmen machen. Wissen Sie, wer das bezahlt? Das bezahlen die Auftraggeber, und das sind die Kommunen. Eines kann ich Ihnen
sagen: Diese Politik, die Sie von Bonn aus betreiben, ist
nicht richtig, weil sie die Kommunen und die Wirtschaft
belastet.
Und Sie belasten die Frauen durch die 630-DMVerträge,
({0})
weil Sie damit Frauenarbeitsplätze vernichten. Ich als
Liberale sage Ihnen: Ich will, daß die Frauen, die es aus
sozialen Gründen nötig haben, ein paar Stunden in der
Woche zu arbeiten - Sozialversicherungsbeiträge hin
oder her -, das wenige Geld dafür auch in der Tasche
haben.
({1})
Ich will es kurz machen, Frau Wester: Das Angebot,
was die Beratung anbelangt, nimmt die F.D.P.-Fraktion,
auch Herr Haupt und ich, sehr gerne an. Wir Liberale
haben aber zwei Grundsätze zu beachten:
({2})
Das ist zum einen die Vielfalt der Lebensentwürfe, zum
anderen die Generationengerechtigkeit. Frau Wester, da
werden wir Ihnen helfen und gerne mitarbeiten.
({3})
Ich darf
darauf hinweisen, daß eine Kurzintervention nicht länger
als drei Minuten dauern sollte.
({0})
Sie hat jetzt dreieinhalb Minuten gedauert.
Frau Wester, Sie haben Gelegenheit, für die Erwiderung die gleiche Zeit in Anspruch zu nehmen. Bitte
schön.
({1})
Fakten, Fakten, Fakten,
Frau Rönsch, hätte ich mir in dieser Kurzintervention
gewünscht. Mir scheint, Sie haben die Fakten nicht parat. Man muß natürlich nicht die Soll-, sondern die IstZahlen des Haushaltsentwurfs lesen. Ich habe aber
schon angekündigt: Im Ausschuß gibt es noch genügend
Gelegenheiten, darüber zu reden.
Ich frage mich, Frau Lenke, warum Sie als Liberale,
der ich viel Kreativität und Innovationsfähigkeit unterstelle, so schmalspurig denken und meinen, man könne
Innovatives immer nur mit Geld auf den Weg bringen.
({0})
Ich habe Ihnen in meiner Rede frauenpolitische Initiativen genannt, die zunächst kein Geld kosten. Sie haben
es richtig erkannt: Das Gleichstellungsgesetz gehört dazu.
({1})
Auch die Flexibilisierung der Gesetze über Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld, welche wir zu einem Elternurlaubsgesetz umgestalten wollen, kostet zunächst kein
Geld. Die Erhöhung der Einkommensgrenzen wird sich
erst in den nächsten Haushaltsjahren niederschlagen.
Dann werden Mittel dafür eingestellt; das ist völlig klar.
Sie wissen ganz genau, daß wir den Bereich, der sich
an die Umsetzung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts anschließt, in einem eigenen Gesetz regeln
werden. Darin werden natürlich die haushaltsrelevanten
Zahlen zum Tragen kommen.
Ich habe Ihnen gesagt, daß wir zum Beispiel durch
Umschichtungen Akzente in der Jugendpolitik gesetzt
haben. Auch das ist möglich. Ich bitte Sie herzlich, dies
einmal fair zu betrachten.
({2})
Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen, zunächst möchte ich
Ihnen bekanntgeben, daß die Reden zum Einzelplan Gesundheitspolitik zu Protokoll gegeben werden, so daß
wir die Sitzung nach Abhandlung des folgenden Geschäftsbereichs beenden können.
Wir setzen nun die Haushaltsberatung fort und kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Das
Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerald
Thalheim. Herr Thalheim, bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Beim Wechsel von der Oppositionsbank auf die
Regierungsbank
({0})
war mir klar, Kollege Hornung, daß wir uns manch bitterer Realität stellen müssen. Was mir allerdings nicht
klar war, ist die Tatsache, daß der Verlust der Macht
auch den Verlust von Realitätssinn bei Ihnen bedeutet.
({1})
Wenn ich mir einige Ihrer Presseerklärungen zur Agenda 2000 in der letzten Zeit vergegenwärtige, dann habe
ich sogar den Eindruck - um das einmal sächsisch auszudrücken -, daß Sie von allen guten Geistern verlassen
sind.
Das Ziel der Bundesregierung gerade in bezug auf die
Haushaltspolitik ist, sich den Realitäten zu stellen. Wir
legen einen Haushaltsentwurf für die Agrarpolitik vor,
der 11,5 Milliarden DM umfaßt und nur um 0,6 Prozent
wächst. Zu den Realitäten gehört es, daß in diesem
Haushalt ein strukturelles Defizit von 30 Milliarden DM
vorhanden ist, das Sie uns hinterlassen haben.
({2})
Das erfordert gerade im Agrarbereich Konsequenzen.
Wir mußten leider eine globale Minderausgabe von
89,5 Millionen DM in den Haushaltsansatz aufnehmen.
Wenn wir den Realitäten Rechnung tragen, dann
bedeutet das auch, daß im Rahmen des neuen Haushalts
68 Prozent für die Agrarsozialpolitik ausgegeben werden, um den weiteren Strukturwandel zu flankieren.
({3})
- Ich habe hier doch nichts Widersprüchliches behauptet, Kollege Hornung. - Wir stehen zur Finanzierung der
Defizite bei der Alterssicherung, auch wenn es daran in
jüngster Zeit öffentliche Kritik gegeben hat.
Allerdings engt - auch das muß man einräumen dieser hohe Anteil im Sozialbereich den Bewegungsspielraum für agrarstrukturelle Maßnahmen ein. Auch an
dieser Stelle müssen wir den Realitäten Rechnung tragen. Wir haben hier, wie schon im Vorjahr, einen Ansatz für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ in Höhe von
1,709 Milliarden DM. Hier wäre sicherlich im Interesse
der Arbeitsplatzschaffung mehr wünschenswert. Aber
die Möglichkeiten im finanziellen Bereich, wie gesagt,
engen uns ein.
Wir tragen auch den Realitäten Rechnung, wenn wir
in die Haushaltsansätze die Gasölverwendungsbeihilfe
und die landwirtschaftliche Unfallversicherung in gleicher Höhe wie in den Vorjahren aufnehmen.
({4})
Wir sehen natürlich, daß genau diese beiden Maßnahmen eine einkommenswirksame Unterstützung für die
Landwirtschaft darstellen.
Wir tragen auch bei der Steuerpolitik und mit der
Verabschiedung der Änderung des Einkommensteuergesetzes in der kommenden Woche den Realitäten
Rechnung. Angesichts eines Haushaltsdefizites von
30 Milliarden DM sind aber kaum Entlastungen möglich. Zu den Realitäten gehört auch, daß die Landwirtschaft zur Gegenfinanzierung des Einkommensteuergesetzes einen Beitrag leisten muß.
({5})
Zu den Realitäten gehört auch, Kollege Heinrich, daß
wir über diesen Punkt in den letzten Wochen sehr intensiv diskutiert haben. Wir mußten der schwierigen Einkommenssituation in der Landwirtschaft Rechnung tragen. Wir sind der Meinung, daß mit dem zur Verabschiedung anstehenden Entwurf ein vernünftiger Kompromiß gefunden wurde.
Zu den Realitäten, denen die Bundesregierung Rechnung tragen muß, gehört nicht nur die Haushaltsdisziplin auf nationaler, sondern auch auf europäischer Ebene. Schon der ehemalige Bundesfinanzminister Waigel
hat in seinem Papier „Symmetrische Finanzpolitik
2010“ gefordert:
Innerhalb des gesamten Finanzrahmens sind Obergrenzen für einzelne Aufgaben, insbesondere für
die Strukturpolitik und für die Agrarpolitik, strikt
einzuhalten.
Das heißt, daß wir unter den Prämissen, unter denen
wir in Brüssel jetzt verhandeln müssen, nach den Vorgaben handeln, wie sie ehemals im Hause Waigel gemacht wurden. Es ist schon eine gehörige Portion Realitätsverweigerung, wenn das von Ihnen jetzt geleugnet
wird.
({6})
- Nein, mein lieber Peter Harry. Gerade in der Agrarpolitik kann man nicht so tun, als könnte alles so bleiben, wie es ist. Lieber Kollege Ausschußvorsitzender,
ein Blick auf das erste Ergebnis, zu dem wir gemeinsam
in Husum gekommen sind, würde eindrucksvoll belegen, daß Handlungsbedarf in der Agrarpolitik besteht.
Wir verhandeln in Brüssel über einen Finanzrahmen,
der sowohl den Erfordernissen der Finanzpolitik als
auch den Interessen der Bundesrepublik und der deutschen Landwirtschaft Rechnung trägt.
({7})
Zu den Prämissen, unter denen wir in Brüssel verhandeln müssen, gehören unter anderem, Kollege Hornung, die Abschlüsse der Uruguay-Runde und die zugesagte Osterweiterung der Europäischen Union. Es ist
mir ein besonderes Anliegen, auf ersten Punkt hinzuweisen, weil in der Diskussion - egal wo - gelegentlich
ignoriert wird, daß mit dem GATT-Abschluß Grenzen
gezogen wurden, vor allen Dingen für die subventionierten Exporte, und Verpflichtungen zum Abbau des
internen Stützniveaus eingegangen wurden.
Viele Fachleute sagen: Wenn die Reform so jetzt
nicht käme, dann würden wir bereits im Jahr 2001 oder
2002 an die Grenzen stoßen mit der Folge, daß nicht
mehr in dem Umfang, wie es zur Entlastung der Märkte
notwendig wäre, subventionierte Exporte getätigt werden können. Schon alleine aus diesem Grund ist in Brüssel ein Verhandlungsergebnis notwendig.
({8})
Wenn Sie das kritisieren, dann halte ich Ihnen vor, daß
es sich hierbei um Entscheidungen handelt, die unter
Ihrer Verantwortung getroffen wurden.
({9})
Ich möchte noch einmal auf das Thema Realitätssinn
zu sprechen kommen. Wir haben den Eindruck, daß der
Realitätsverlust bei Ihnen nicht erst nach dem Machtwechsel, sondern bereits vorher eingetreten ist.
({10})
Wenn ich mir die Haltung der alten Bundesregierung und der alten Koalitionsfraktionen zu den Kommissionsvorschlägen zur Agenda 2000 vergegenwärtige, dann komme ich zu dem Ergebnis: Ihre Totalopposition hat letztendlich dazu geführt, daß wertvolle Zeit
verlorengegangen ist und daß wir erst in der kurzen
Zeit vor der deutschen Präsidentschaft und jetzt während der deutschen Präsidentschaft nach Partnern für
unsere Vorstellungen suchen müssen. Eine der Konsequenzen, die von Ihnen jetzt so lautstark kritisiert wird,
ist, daß wir am Ende auf der Grundlage der Kommissionsvorschläge verhandeln müssen, eben weil es versäumt wurde, deutsche Positionen viel stärker zum
Tragen zu bringen und Partner für unsere Auffassungen zu gewinnen.
({11})
- Herr Kollege Heinrich, dazu kann ich gleich etwas
sagen: Bundeslandwirtschaftsminister Funke ist es in
wenigen Wochen gelungen, deutsche Positionen einzubringen und ein Verhandlungsklima zu erzeugen, in dem
ein erfolgreicher Abschluß möglich ist. In dem Umfang,
in dem für die deutsche Landwirtschaft die Entscheidungen in Brüssel maßgeblich sind, ist das schon ein
entscheidender Beitrag Deutschlands zu einem erfolgreichen Abschluß und zu einer guten Politik in diesem
Bereich.
({12})
An dem gegenwärtigen Stand der Verhandlungen, an
den Vorschlägen der Kommission und an den Papieren,
an denen entlang gegenwärtig verhandelt wird, gibt es
viel Kritik. Aber es stellt sich immer die Frage: Welche
Alternativvorschläge werden gemacht? Herr Kollege
Heinrich, ich darf auf eine Presseerklärung von Ihnen zu
sprechen kommen. Dort heißt es:
Der geordnete Ausstieg aus den Marktordnungen
für Rindfleisch und Milch ist ein vernünftiger und
zukunftsweisender Weg. Das ist richtig.
({13})
Weiter oben steht aber, daß die EU-Kommission versucht, in ihrem Reformwerk unter dem Deckmäntelchen
der Marktwirtschaft mehr Umverteilung und eine Aufblähung des EU-Haushaltes zu verkaufen.
({14})
Was bedeutet das im Klartext? Sie wollen den Ausstieg aus der Intervention ohne Ausgleich; denn die
Verwaltungsprobleme, die Sie hier kritisieren, entstehen
ja erst durch den Ausgleich. Die F.D.P. tritt zwar als
Rechtsstaatspartei an. Um aber dem Anspruch der Redlichkeitspartei gerecht zu werden, müßte man sagen:
Wir wollen in diesem Bereich freie Marktwirtschaft und
sonst nichts. Das wäre die Konsequenz aus dieser Presseerklärung.
({15})
- Nein, das kann ja jeder nachlesen.
Auch die Kritik Ihres Kollegen Türk an der Absenkung der direkten Beihilfen um 3 Prozent ist nicht verständlich. Ich frage mich, wie man das mit der Konsolidierung in Einklang bringen will.
({16})
- Kollege Carstensen, die Vorschläge der CDU sind
nicht viel besser.
({17})
Die einen fordern, daß Deutschland 14 Milliarden DM
weniger für die Finanzierung der europäischen Politik
zahlt. Die anderen fordern, in der Agrarpolitik solle alles
beim alten bleiben. Wieder andere fordern, ganz schnell
eine Osterweiterung durchzuführen. Ein Kollege von
Ihnen hat in der Ausschußsitzung gesagt: Wir wollen
das Jahr 2002 einhalten. Ich gebe zu, daß man, wenn
man auf den Oppositionsbänken sitzt, schon einmal
solche Forderungen erheben kann, die niemand so richtig ernst nimmt.
Wenn man aber Ihre Politik daran mißt, was Ihr
Fraktionsvorsitzender hier gefordert hat, nämlich Substanz in die Politik zu bringen, dann muß man feststellen, daß sie an dieser eigenen Forderung scheitert.
({18})
Es geht nicht, einerseits Globalisierung einzufordern und
andererseits zu ignorieren, daß gerade in Deutschland in
einem entscheidenden Bereich, der von weltweiten Verträgen wie der GATT-Vereinbarung abhängig ist, Umdenken nötig ist.
Unser Ziel ist es, einer weiteren Globalisierung
Rechnung zu tragen und die deutsche Landwirtschaft für
diese Herausforderungen zu rüsten, ohne sie dabei zu
überfordern. Ich bin optimistisch, daß Bundeslandwirtschaftsminister Funke die Verhandlungen in Brüssel in
diesem Bereich zu einem positiven Ergebnis führen
wird.
({19})
Wir wollen eine multifunktionale, nachhaltige und
wettbewerbsfähige Landwirtschaft. Wir wollen den
Verbraucherinteressen, dem Schutz der Tiere und der
Umwelt einen höheren Stellenwert einräumen. Wir
wollen eine integrierte Entwicklung des ländlichen
Raumes, um einen Beitrag zur nationalen Beschäftigungspolitik leisten zu können. Diesen Zielen dient auch
der von der Bundesregierung vorgelegte Agrarhaushalt
1999.
Vielen Dank.
({20})
Als
nächster Redner hat der Kollege Josef Hollerith von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Chaostage in Bonn so lautet das geflügelte Wort zur Beschreibung des Zustands nach 100 Tagen Bundesregierung Gerhard
Schröder. Kennzeichen dieser Kanzlerschaft sind Mißmanagement, Schlampigkeit, handwerkliche Fehler und
Vernichtung von Arbeitsplätzen.
({0})
Die „Wirtschaftswoche“ bringt im Titel ihrer Ausgabe vom 25. Februar 1999 ein Zitat von Gerhard
Schröder:
Ich will die Arbeitslosigkeit deutlich senken. Daran
werde ich mich messen lassen.
({1})
In derselben Ausgabe meldet die „Wirtschaftswoche“:
Seit Kanzler Schröder 489 789 zusätzliche Arbeitslose.
({2})
Der Begriff chaotisch ist also eine milde Umschreibung
für die Arbeit, die diese Bundesregierung in den ersten
100 Tagen geleistet hat.
({3})
Der Einzelplan 10, der Haushalt des Bundesministers
für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, ist überwiegend durch gesetzliche Aufgaben, vor allem in der Sozialpolitik, gekennzeichnet. Die Gestaltungsspielräume
sind relativ gering. Um so bedeutender ist es daher, daß
diese genutzt werden.
({4})
Sehr problematisch ist in diesem Zusammenhang die
Kürzung des Ansatzes für die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ gegenüber dem Entwurf des damaligen Bundesfinanzministers Theo Waigel um 91 Millionen DM. Der
PLANAK hat in seinem Beschluß vom 11. Dezember
1998 den damaligen Regierungsentwurf mit einem Ansatz von 1,8 Milliarden DM zugrunde gelegt. In dieser
Sitzung wurde die Mittelverteilung für 1999 auf 64 Prozent für die alten Länder und auf 36 Prozent für die
neuen Länder festgelegt. Dies würde unter Zugrundelegung des um 91 Millionen DM abgesenkten Ansatzes
eine Verringerung der Mittel für die neuen Bundesländer
um rund 51 Millionen DM bedeuten.
Dies wiederum führt zu der Gefahr, daß auch eine
Kofinanzierung von EU Ziel 1, Strukturfördermittel national, nicht mehr in vollem Umfang gewährleistet sein
könnte und daß damit in der Folge die den neuen Bundesländern zustehenden europäischen Gelder nicht abgerufen werden könnten. Ein skandalöser Zustand.
({5})
Dies wiederum bedeutet, daß die ohnehin schon unverhältnismäßig große Nettozahlerposition Deutschlands
weiter belastet würde. Ich plädiere deshalb nachdrücklich dafür, den Ansatz für die Gemeinschaftsaufgabe um
diese 91 Millionen DM aufzustocken.
Die in dem Entwurf für den Einzelplan 10 vorgesehene globale Minderausgabe um 89,5 Millionen DM
ist ebenfalls sehr problematisch. Sie engt den Spielraum
für agrarpolitische Vorhaben weiter ein. Gefährlich
wäre, wie man hört, eine Anlastung der globalen
Minderausgabe, etwa bei der landwirtschaftlichen
Unfallversicherung, die wiederum die aktiven bäuerlichen Betriebe belasten würde.
({6})
Das Abkassiermodell, die sogenannte Ökosteuer,
trifft auch die Betriebe der Landwirtschaft nachteilig.
Auf Druck der Unionsfraktion, auch die Landwirtschaft
zu dem produzierenden und daher steuerbegünstigten
Sektor zu zählen, hat sich die Regierungskoalition bewegt.
({7})
Auch die landwirtschaftlichen Betriebe sollen zukünftig
in den Genuß des ermäßigten Steuersatzes kommen.
Allerdings bleibt es bei der Tatsache, daß diese Ökosteuer ein bürokratisches Monster ist und daß die bäuerlichen Betriebe mit einem Sockelbetrag von 1 000 DM
jährlich zusätzlich belastet werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kalb?
Ja, gerne.
Herr Kollege
Hollerith, würden Sie mir bestätigen, daß gestern im
Haushaltsausschuß auf meine Frage hin die Bundesregierung erklärt hat, daß beileibe nicht alle Belastungen,
die auf die Landwirtschaft auf Grund der sogenannten
Ökosteuer in einer Größenordnung von 380 Millionen
DM zukommen, hinfällig sind, sondern daß es sich jetzt
haushaltswirksam - so die Aussage der Bundesregierung, wenn ich mich recht erinnere - lediglich um Mindereinnahmen von 20 bis 25 Millionen DM handelt. Das
heißt: Der Riesenbrocken von etwa 360 Millionen DM
zusätzlicher Belastung bleibt für die Landwirtschaft bestehen.
Ihre Aussage bestätige
ich ausdrücklich, Herr Kollege Kalb.
Gespenstisch bleibt die Diskussion um die Agenda
2000. Hier müssen ausdrücklich die Sicherung der
bäuerlichen Einkommen, die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe, die Herstellung qualitativ hochwertiger Produkte, der Erhalt der
hohen Umweltstandards bei der Bewirtschaftung, die
Einhaltung der Verbraucher- und Tierschutzbestimmungen und die Ermöglichung einer flächendeckenden
Landbewirtschaftung im Blick bleiben.
Deshalb wollen wir, daß die Existenzgrundlagen der
deutschen Landwirtschaft im Interesse der Allgemeinheit und der betroffenen Bauern nicht gefährdet werden.
({0})
Auch die kleinen bäuerlichen Familienbetriebe brauchen
eine Perspektive, mit der sie künftig einen wesentlichen
Teil ihres Einkommens über den Markt erwirtschaften
können.
Wir treten im Sinne des Subsidiaritätsprinzips ganz
ausdrücklich für eine Verlagerung der landwirtschaftlichen Einkommenshilfen auf die Mitgliedstaaten ein. Wir
wollen die stufenweise Einführung einer Kofinanzierung
für landwirtschaftliche Direktzahlungen in Höhe von 50
Prozent. Die Kofinanzierung bedeutet eine gerechtere
Verteilung der Finanzlasten, insbesondere zwischen
Deutschland, Frankreich und Großbritannien, eine Begrenzung der Kosten des Agrarsektors und einen Abbau
der Brüsseler Subventionsmaschinerie.
({1})
Eine Kofinanzierung von 50 Prozent bei den Direktbeihilfen würde den Agrarhaushalt der Europäischen
Union um zirka 24 Milliarden DM - nach den Haushaltsdaten 1997 - entlasten. Damit könnte ein wirksamer
Beitrag zu der von allen Haushaltsexperten geforderten
Korrektur auf der Ausgabenseite geleistet werden. Der
Agrarhaushalt der EU würde um zirka 30 Prozent zurückgeführt werden, der Haushalt der Europäischen
Union insgesamt um über 13 Prozent.
Kofinanzierung heißt praktizierte Subsidiarität. Die
nationale Verantwortung für die Agrarpolitik würde gestärkt werden. Gleichzeitig könnten Zuständigkeiten im
Bereich der Agrarpolitik auf die nationale bzw. regionale Ebene zurückverlagert werden.
({2})
Wir bestehen darauf, auf Preissenkungen zu verzichten, wo sie vom Markt her nicht erforderlich sind. Im
Falle von unvermeidbaren Preissenkungen muß ein voller und dauerhafter Ausgleich durch in der WTO abgesicherte Direktzahlungen gewährleistet sein.
({3})
Die Milchquotenregelung muß mit einer deutlichen
Stärkung der aktiven Milcherzeuger fortgesetzt werden.
Wir wollen Mengenbegrenzung statt Preissenkung.
({4})
Nur tiefgreifende und umfassende innere Reformen
der Europäischen Union sind eine tragfähige Grundlage
für die Aufnahme von Staaten, die die Voraussetzungen
für den Beitritt erfüllen. Die Agenda 2000 stellt nicht
allein durch ihre Verabschiedung das Gelingen der
Osterweiterung sicher; entscheidend ist vielmehr ihr
Inhalt. Dabei geht es in erster Linie um die strikte Begrenzung der Ausgaben in den Strukturfonds und im
Kohäsionsfonds für die heutigen Mitgliedstaaten, um die
Osterweiterung finanzierbar zu machen. Mit einer unzulänglichen Agenda 2000 würde der Osterweiterung
kein Dienst erwiesen.
Ausdrücklich fordere ich Bundesminister Funke auf
und ermuntere ihn, an seiner Position des Jahres 1997 zu
seiner Zeit als niedersächsischer Landwirtschaftsminister, festzuhalten, als er die Agenda 2000 als einen
„Kahlschlag für den ländlichen Raum“ bezeichnet hat.
({5})
Ich fordere ihn auf, seiner Erkenntnis von 1997 Taten
folgen zu lassen und die deutschen Interessen bei den
Verhandlungen in der Europäischen Kommission während der deutschen Ratspräsidentschaft erfolgreich
durchzusetzen.
({6})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, muß ich noch einmal auf
die Geschäftsordnungsdebatte von heute morgen zurückkommen. In dieser Debatte hat der Kollege Dr. Peter
Ramsauer ausweislich des Protokolls einen beleidigenden Zwischenruf an die Adresse der Rednerin Kristin
Heyne gerichtet, den ich nicht gehört habe; es war
ziemlich viel Lärm. Der Zwischenruf ist heute nachmittag im Ältestenrat erörtert worden, ohne daß die Angelegenheit dort bereinigt werden konnte. Ich erteile dem
Abgeordneten Dr. Peter Ramsauer hiermit nachträglich
einen Ordnungsruf für seine Äußerung.
Nun hat die Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die
Grünen, das Wort.
Sehr
geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Hollerith, das war nicht Ihre erste Rede im Parlament. Ich denke, auch als Opposition
darf man nicht nur Märchenstunde halten.
({0})
Ich verweise Sie auf den Situationsbericht des Deutschen Bauernverbandes für das vergangene Jahr - wie
Sie wissen, eine Periode der alten Bundesregierung -, in
dem zum Beispiel der Verlust von 82 000 Arbeitsplätzen
in der deutschen Landwirtschaft ganz zu Recht beklagt
wird. Im übrigen möchte ich darauf verweisen, daß,
während der Bundeshaushalt seit 1991 etwa um 37 Prozent anstieg, der Agrarhaushalt um über 16 Prozent gekürzt wurde. Das zum Thema Märchen, die Sie uns hier
auftischen.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Zukunft einer
markt- und umweltgerechten Landwirtschaft gestalten
- dieses Ziel setzen wir uns. Die Agenda 2000 ist - das
ist richtig - nicht in allen Aspekten zielführend. In der
kurzen Zeit konnte die neue Bundesregierung wegen der
Politikunfähigkeit der alten Bundesregierung im Agrarbereich gerade in der haushaltsrisikoreichen und problematischen ersten Säule der Agenda 2000 kaum etwas
positiv beeinflussen, allenfalls noch korrigieren. Es ist
geradezu lächerlich, wenn die CDU/CSU die Verzögerung der Agenda-Abstimmung verlangt, wie sie das gerade wieder getan hat. Dafür ist es politisch zu spät. Die
Chance einer mehrheitsfähigen Diskussion der deutschen Ziele haben Sie selbst vergeben
({1})
und damit ganz explizit die Möglichkeit vertan, zu dem
Ziel zu kommen, das Sie immer vor sich her tragen: der
Nettozahlerentlastung. Diese Erblast in der Agenda, die
intendierte subventionsgestützte Weltmarktorientierung,
die Fortsetzung der Preissenkungs- und Ausgleichsspirale, die wir übrigens mitsamt den Umweltverbänden,
immer kritisiert haben, ist es, die die Bauern auf die Barrikaden treibt.
({2})
An diesem Punkt konterkariert die Agenda ihre eigenen
Zielvorgaben.
Aber wir haben es hier mit einer Situation zu tun, in
der Minister Funke das tun muß, was jetzt noch möglich
ist, nämlich Korrekturen einzubringen.
({3})
An dieser Stelle möchte ich übrigens Verständnis für
die Bauern äußern, die demonstrieren. 40 Jahre lang hat
die Politik die Betriebe in ein enges Staatskorsett gezwängt. Vom Preis über die Menge bis zur Krümmung
der Salatgurke ist alles vorgeschrieben worden. Die
Landwirte sind mit Unterstützung dieser Opposition, die
sich nun zu etwas anderem aufschwingen will, zu Prämienbauern gemacht worden. An den Pranger gehören
die Verantwortlichen aus Politik und Verbänden, die
nichts anderes zu tun hatten, als die sterblichen Überreste einer gescheiterten Agrarpolitik künstlich zu alimentieren.
({4})
Profitiert haben davon übrigens nicht die Bauern.
Die Agenda 2000 ist - vielleicht kann man das positiv sehen - der Anfang vom Ende einer Agrarpolitik,
der keine Träne nachzuweinen ist. Es gilt - und genau
diese Anstrengungen unternimmt Minister Funke -, in
Brüssel die Übergänge für eine unternehmerische
Landwirtschaft zu sichern und auszubauen, im übrigen
Anstrengungen zu unternehmen, um Mengenbegrenzungen, die Sie erwähnt haben, durch Flächenstillegungen zu regeln und Preisreduzierungen entgegenzuwirken. Es gilt, für eine Landwirtschaft Übergänge zu
schaffen, die auf eine ökologisch soziale Marktwirtschaft ausgerichtet ist; hier bietet die Agenda im Bereich der horizontalen Maßnahmen und der zweiten
Säule durchaus gute Ansatzpunkte. Es gilt, die Nachfrageorientierung und entsprechende Angebote zu stützen. Dabei wird in der Realität weniger der Weltmarkt
als vielmehr die Versorgung der 340 Millionen
EU-Verbraucher mit hochwertigen Lebensmitteln im
Vordergrund stehen.
Wir treiben eine Politik voran, die die Milchpolitik
endlich reformiert und die deutschen Betriebe von dem
Desaster aus Quotenkauf und -handel entlastet,
({5})
die das Vertrauen der Verbraucher in die Lebensmittel
durch die Stützung einer umwelt- und tiergerechten Produktion und auch durch die Stützung des ökologischen
Landbaus wiederherstellt, die ländliche Räume und die
dortigen Arbeitsplätze in Ost und West sichert, die die
Nachfrage nach den gesellschaftlichen Leistungen der
Landwirtschaft, nämlich dem Natur- und Umweltschutz
stärkt, und die, übrigens auch mit der Einführung der
Ökosteuer, die Einkommenspotentiale im Bereich der
nachwachsenden Rohstoffe
({6})
und erneuerbarer Energien nutzbar macht.
({7})
Das behindern Sie mit Ihren Schmierenpolitikmethoden.
Das gestern im Finanzausschuß war doch keine handwerklich ordentliche Politik.
({8})
Wir treiben weiterhin eine Politik voran, die die
Agrarpolitik zum positiven Element der Osterweiterung macht und Arbeitsplätze im ländlichen Raum
schafft und sichert. Allein die Neugestaltung der
Milchpolitik übrigens ist für die Landwirtschaft mehr
wert als die Regierungspolitik in der letzten Legislaturperiode.
Auch wenn es einige ungnädige Äußerungen des
Kanzlers gab - das ist im übrigen angesichts der Anfeindungen nicht ganz unverständlich -, so ist die
Landwirtschaft auch in der Steuerpolitik fair behandelt
worden. Ihren Besonderheiten wurde Rechnung getragen, ohne die notwendigen Ziele der Reform aus den
Augen zu verlieren. Mit der Ökosteuer ist ein Förderprogramm für erneuerbare Energien, für die Energiegewinnung aus dem Bereich der Landwirtschaft verbunden.
({9})
Die faire Behandlung soll auch für den Haushalt
gelten, der allerdings, wie ich schon gesagt habe, von
der alten Bundesregierung gehörig skelettiert wurde.
Das übernommene Defizit von 20 bis 30 Milliarden
DM im Bundeshaushalt zwingt zu weiteren Einsparungen.
In Übereinstimmung mit den oben genannten Zielen
wollen wir die Agrarsozialpolitik durch eine kosteneinsparende Strukturreform zukunftsfähig machen.
({10})
Wir wollen in der Gemeinschaftsaufgabe die Bereiche
der umwelt- und tiergerechten Produktion und entsprechende Investitionen, den Vertragsnaturschutz sowie
die regionale Verarbeitung und Vermarktung stärken
und darauf die Finanzen ausrichten, im Rahmen der
Bundesforschung eine neue Qualität durch ökologisch
orientierte Forschungsaufgaben einbringen und das
Rahmenkonzept auch unter inhaltlichen Gesichtspunkten gestalten. Wir haben in den alten und neuen
Ländern unzählige Betriebe, die darauf warten, als innovationsfähige Wirtschaftsbereiche gestützt und gefördert zu werden.
({11})
Die prekäre Welternährungssituation stellt auch die
deutsche Landwirtschaft vor die verantwortungsvolle
Aufgabe, nachhaltig und unter Verzicht auf Rohstoffimporte aus Ländern mit Nahrungsmitteldefiziten die Ernährung der hier lebenden Menschen mit hochwertigen
Nahrungsmitteln zu sichern.
Gleichermaßen sind für uns die Beschäftigung und
die Schaffung von Arbeitsplätzen in den ländlichen Regionen relevant. Hier gibt es erste Erfolge, die weiterentwickelt werden müssen.
({12})
37 000 neue Arbeitsplätze im Agrarbereich, die jetzt
auch trotz der Neuregelung im Saisonarbeiterbereich
entstanden sind,
({13})
wie die Industriegewerkschaft IG BAU meldet, zeigen
hier einen Wachstumsmarkt für Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer sowie Betriebe auf. Und so soll es auch
weitergehen.
Danke.
({14})
Das Wort hat nun
der Kollege Ulrich Heinrich, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es fällt mir natürlich
schwer, das, was Sie, Frau Kollegin Höfken, gerade
eben bezüglich der 37 000 zusätzlichen Arbeitsplätze
gesagt haben, so stehenzulassen. Ich möchte einmal wissen, wo die geschaffen wurden.
({0})
Ich möchte auch wissen, wo in der Vergangenheit unsere handwerklichen Fehler gelegen haben sollen.
Handwerkliche Fehler hat doch die jetzige Regierung
gemacht und nicht wir.
({1})
Wir hetzen doch jeden Tag hinter neuen Vorgaben, die
Sie auf den Tisch legen, her. Wenn man morgens bzw.
mittags nicht die Meldungen des Tickers nachliest, weiß
man abends nicht, was Sache ist. Das ist doch das
Thema.
({2})
Seien Sie also so gut und stellen Sie nicht alles auf den
Kopf. Geben Sie wenigstens die Bereiche zu, in denen
Sie wirklich nicht gut waren, nämlich darin, Ihre eigenen Vorstellungen konkret auf den Tisch zu legen und
darüber eine sachliche Debatte zu führen. Das haben
schließlich alle in dieser Republik gemerkt.
({3})
In diesem Haushalt - Herr Staatssekretär Thalheim
hat es festgestellt - sind 67 Prozent der Mittel für den
sozialen Bereich vorgesehen. Das muß uns zu denken
geben. Wir haben seit Jahren eine Zunahme der Sozialausgaben, aber nicht bei einer gleichzeitigen Zunahme,
sondern bei einer gleichzeitigen Abnahme des Gesamtvolumens des Haushaltes.
({4})
Das heißt, die Landwirtschaft finanziert ihren eigenen
Strukturwandel, ihre eigene soziale Flankierung selber.
Das ist der Punkt. Ich betone deshalb, daß, wenn es so
weitergeht, am Ende nur noch Soziales im Agrarhaushalt steht und daß nichts mehr übrigbleibt für Investitionen, für Betriebe, die sich für den Weltmarkt und für
das, was durch die Agenda auf uns zukommt, fit machen
wollen.
({5})
Der Spielraum nähert sich dem Nullpunkt.
Ich muß noch eines hinzufügen: Der in der letzten
Legislaturperiode in der Opposition befindliche Agrarsprecher Sielaff hat immer von der Gießkanne gesprochen. Ich habe dazu immer geklatscht; da waren wir
immer einer Meinung. Wie er bin auch ich der Ansicht,
daß wir mit dem Gießkannenprinzip bei dem wenigen
Geld, das uns zur Verfügung steht, von der politischen
Seite her eigentlich wenig positive Effekte für unsere
landwirtschaftlichen Betriebe erreichen können. Jetzt
legt die neue Bundesregierung aber genau das gleiche
vor. Sie ist nicht in der Lage und hat nicht die Kraft dazu, dort, wo das Gießkannenprinzip angewendet wird,
strukturelle und inhaltliche Änderungen vorzunehmen.
Das ist genau der Punkt: Man kann nicht auf der einen
Seite sagen: „Wir kritisieren das“, und es auf der anderen Seite genauso machen, wenn man selbst an der Regierung ist. Das ist einfach nicht redlich.
({6})
Es gehört schon Mut dazu, die landwirtschaftlichen
Sozialversicherungen aufzufordern, eine Strukturreform durchzuführen. Dazu hätte ich gerne einmal ein
Wort gehört. Es gehört auch Mut dazu, bei den Beiträgen, die die Landwirtschaft für die Berufsgenossenschaft
bezahlt, eine andere Struktur finden zu wollen. Dazu gehört ein bißchen Grips, dazu muß man vom alten Trott
wegkommen. Sie sind dazu nicht in der Lage.
({7})
Herr Kollege Heinrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Weisheit?
Ja, bitte.
Herr Kollege Heinrich,
bestätigen Sie mir dann, daß die einzige Chance, dabei
etwas zu verändern, ohne den Haushalt zu erhöhen, die
ist, im Bereich der Unfallversicherung zu streichen? Da
Sie fordern, etwas zu verändern, möchte ich das wissen.
({0})
- Ich frage ja, ob er meine Meinung teilt!
Herr Kollege Weisheit, wir
werden in diesem Bereich Veränderungen vornehmen
müssen. Dazu, wie die Veränderungen stattfinden sollen,
sollten Sie einmal etwas vorlegen. Ich sage Ihnen: Damit
man nicht so weiterfinanziert wie bisher, muß in erster
Linie eine Strukturreform erfolgen; denn es geht um
Ausgaben, die der Steuerzahler bezahlt. Die Bauern haben nichts davon.
Als wir die Reform der agrarsozialen Sicherung
durchgesetzt haben - Sie waren damals noch nicht im
Bundestag -, habe ich schon für eine Strukturreform
plädiert. Damals war die Zeit vielleicht noch nicht reif;
das mag sein. Aber heute ist sie überreif. Die 19 Sozialversicherungsgebiete müssen zusammengefaßt werden,
um einmal einen Anfang zu machen. Wenn man vorher
so groß geredet hat, als man noch in der Opposition war,
hätte ich jetzt schon mehr erwartet.
({0})
Die sozialpolitische Abfederung des Strukturwandels
ist notwendig und richtig. Dazu stehen wir, das ist gar
keine Frage. Die Landwirtschaft finanziert diese Dinge
momentan aber selber. Es bleibt nichts mehr übrig für
den investiven Bereich. Deshalb brauchen wir hierbei
eine Umschichtung. Über den weiteren Fortgang dieser
Agrarpolitik hungern wir unsere Landwirtschaft ansonsten langsam aus.
Besonders interessant wird es, wenn man die Vorschläge der Regierung zu so wichtigen Vorhaben wie
den 630-DM-Jobs, der Ökosteuer und der Steuerreform
im allgemeinen, in diesem Zusammenhang betrachtet.
Jede dieser drei Reformen belastet für sich genommen
die Landwirtschaft zusätzlich.
({1})
Ich möchte einmal wissen, mit welcher Begründung
die Regierung sich hier hinstellt und sagt, die Landwirtschaft müsse ihren Teil dazu beitragen. Wenn man bei
der jetzigen Haushaltsvorlage auch noch sagt, die
Landwirtschaft müsse über die bereits vorhandene Belastung hinaus noch eigene Leistungen mit einbringen,
dann muß ich dazu sagen: Diese Bundesregierung hat
noch nicht kapiert, wie schwierig es in den Betrieben
draußen aussieht.
({2})
Die Ökosteuer - ein total unsinniges Unternehmen
und für die Landwirtschaft reines Gift; denn es belastet
die Landwirte in einem Bereich mit europäischen Warenströmen einseitig in ihrer Wettbewerbsfähigkeit.
({3})
Das ist nicht nur meine Meinung; das ist auch die weitverbreitete Meinung von Agrarwissenschaftlern und von
jedem, der sich ein klein bißchen Gedanken darüber
macht. Ich fordere, daß die Ökosteuer für die Landwirtschaft völlig ausgesetzt wird.
({4})
Die Landwirtschaft wird sonst mit dem gewerblichen
Bereich gleichgestellt.
Zur sogenannten Bagatellgrenze: Ich muß meinen
Bauern draußen einmal sagen, daß 1 000 DM für diese
Regierung eine Bagatelle sind! Die Bauern arbeiten
teilweise einen Monat, bis sie 1 000 DM netto in der Tasche haben. Das ist ein Skandal! Man muß überlegen,
wie man da mit den Bauern umgeht.
({5})
Lassen Sie mich zum Schluß mit freundlicher Genehmigung des Herrn Präsidenten noch einige Sätze sagen.
Gewährt.
Ich habe nie von einem
Ausstieg aus den Marktordnungen ohne Ausgleich gesprochen. Vielmehr habe ich von den Marktordnungen
Milch und Rindfleisch mit gleichzeitigem wirksamem
Außenschutz gesprochen. Das haben Sie nicht zitiert,
Herr Staatssekretär; das gehört aber dazu. Gleichzeitig
sollte es eine Grünlandprämie geben.
({0})
Gleichzeitig sollte es eine Ausstiegshilfe aus der Rindermast geben. Meine Damen und Herren, wer so tut,
als könnten wir die Bauern in Deutschland, die in der
intensiven Rindermast tätig sind, bei dem, was auf sie
zukommt, sich selber überlassen, der sagt den Bauern
nicht die Wahrheit.
({1})
Die Mengen sind herunterzufahren. Deshalb bin ich für
den geordneten Ausstieg, flankiert von Maßnahmen von
seiten der EU, von seiten der Nationalregierung. Ich bin
aber nicht für einen Preisstützungsabbau, wie er jetzt
vorgenommen wird. Wir wollen ein europäisches Preisniveau für Milch und Rindfleisch halten.
Wenn wir mit den Marktordnungen aufhören, wenn
wir mit den Exportsubventionen aufhören, sind wir auch
in der Lage, bei der WTO die Außenschutzbedingung
auszuhandeln. Das muß unsere Zielrichtung sein. Leider
Gottes geht die Bundesregierung in den entsprechenden
Beratungen in eine andere Richtung. Ich bedauere das
sehr. Das wird zu Lasten der europäischen, aber ganz
besonders der deutschen Landwirtschaft gehen.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat Kollegin Kersten Naumann, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren Abgeordnete! Ich gehe davon aus,
daß Sie wissen, daß zur Zeit auch in den Kommunalparlamenten Haushaltsdebatten laufen und daß sich diese Debatten mindestens genauso schwierig gestalten wie
die im Bundestag. Daß wir als Bundestagsabgeordnete
dafür mitverantwortlich sind, sollte allen Abgeordneten
zu denken geben.
Uns sollte aber auch bewußt sein, daß der in den
kommunalen Haushaltsdebatten oft zitierte Anspruch
„Der Haushalt ist in Zahlen gegossene Politik“ auch für
den Agrarhaushaltsentwurf der Bundesregierung gilt.
Wenn man nach der Bundestagswahl noch die Hoffnung hatte, daß sich mit dem Regierungswechsel auch
ein Wechsel bei der in Zahlen gegossenen Politik vollzieht, muß man jetzt sagen: Von dieser Hoffnung ist
nicht viel geblieben. Der Agrarhaushalt und somit die
Agrarpolitik muß sich an den aktuellen Herausforderungen der Zeit messen lassen.
Da werden die Weichen unter anderem durch die
Agenda 2000 gestellt. Mit ihr ist die Landwirtschaft in
besonderer Weise in den Blickpunkt der öffentlichen
Diskussion geraten. Von Polen bis Frankreich, von
Schwerin bis Straßburg und morgen hier in Bonn protestieren die Bauern gegen eine weitere dramatische Verschlechterung ihrer Existenzbedingungen. Dabei war es
gerade der Agrarbereich, in dem sich in den zurückliegenden Jahren die größten gesellschaftlichen Veränderungen vollzogen haben. Einerseits sind seit 1970
600 000 Betriebe und 1,6 Millionen Arbeitsplätze dem
Verdrängungswettbewerb zum Opfer gefallen. Andererseits ist die Vielfalt der qualitativ hochwertigen Nahrungsmittel kaum noch zu übersehen.
Wer gehofft hatte, die Agenda 2000 würde den Bauern eine erstrebenswerte Zukunft eröffnen, wird enttäuscht. Der versprochene Politikwechsel besteht darin,
daß die Bauern den Marktkräften gnadenlos ausgeliefert
werden. Wer nach der Bundestagswahl erwartet hatte,
mit dem Agrarhaushalt 1999 würde die Bundesregierung
ein Alternativkonzept für die Bauern vorlegen, sieht sich
wieder enttäuscht. Auch mit diesem Haushalt verstärkt
die Regierung den Druck auf die Bauern, sich aus eigener Kraft dem verschärften Wettbewerb zu stellen und
dazu den Gürtel enger zu schnallen.
Die Bundesregierung hat mit ihrer Steuerpolitik auf
die Möglichkeit verzichtet, sich einen größeren HandUlrich Heinrich
lungsspielraum zu verschaffen. So blieb ihr gar nichts
anderes übrig, als den Haushalt der alten Bundesregierung im wesentlichen zu übernehmen. Eine wirklich
„neue Position“ sind nur die fast 90 Millionen DM globale Minderausgaben, die bei der Planumsetzung noch
einzusparen sind. Nach den bisherigen Erfahrungen muß
befürchtet werden, daß diese Einsparungen vor allem
bei der Gemeinschaftsaufgabe erfolgen werden. Seit der
Kohl-Regierung gibt es dafür ausreichend Erfahrung.
Aber auch die neue Regierung wird sich auf die Entschuldigung zurückziehen, die Mittel könnten nicht eingesetzt werden, da die Länder nicht die notwendige Kofinanzierung erbracht hätten. Daß durch die Regierungspolitik jedoch auch die Länderkassen leer sind, wird geflissentlich verschwiegen. Was für ein verlogener Teufelskreis!
({0})
Berücksichtigt man bei der Analyse des Agrarhaushaltes die von der Bundesregierung im Agrarbericht
1999 getroffene Einschätzung, daß die Bauern im laufenden Wirtschaftsjahr bei ihrem Einkommen erhebliche
Einbußen zu erwarten haben, dann kann man nur zu
zwei Ergebnissen kommen:
Erstens: Die Bundesregierung handelt gegenüber einer gesellschaftlichen Gruppe, die mit außerordentlichen
ökonomischen Problemen konfrontiert ist, verantwortungslos.
({1})
Zweitens: Die Bundesregierung will mit ihrem
Agrarhaushalt die Wende zu einer ausschließlich
marktorientierten Agrarpolitik unterstützen.
Nach Meinung meiner Fraktion deutet alles darauf
hin, daß es der Bundesregierung trotz manch anders
lautender Erklärung um eine Agrarentwicklung geht, die
eine völlige Unterordnung der Landwirtschaft unter die
Prinzipien der Liberalisierung und Globalisierung fordert und die damit zu einem Strukturwandel führt, der
nur wettbewerbsfähigen Betrieben eine Chance gibt und
zu einer beschleunigten Liquidation von weiteren tausend Höfen führt. Bauernpräsident Sonnleitner spricht in
diesem Zusammenhang von bis zu 60 000 Höfen im
Jahr. Auf diese Bedrohung ihrer Zukunft reagieren die
Bauern mit berechtigten und unüberhörbaren Protesten.
Der Minister verspricht ihnen im Gegenzug, für Wettbewerbsgerechtigkeit zu sorgen. Das klingt zwar nach
hoher Moral, bedeutet aber in der Praxis, daß dem Sieger im Verdrängungswettbewerb die gesellschaftliche
Legitimation zugesprochen wird, Haifisch im Dorfteich
zu sein.
Egal, wohin man schaut, ob in das Zahlenwerk des
Agrarhaushaltes oder auf die veröffentlichte Meinung
des Agrarministers - von einer verantwortungsvollen
und zukunftsfähigen Politik gegenüber den Bauern und
Verbrauchern ist nichts zu sehen. Uns wurde ein Agrarhaushalt ohne neue Ideen vorgelegt. Wir haben es mit
einem Agrarminister zu tun, der mit vagen Versprechen
davon ablenken will, daß er sich in Wahrheit dafür entschieden hat, Minister der überlebensfähigen Agrarbetriebe und damit einer Minderheit zu sein, ohne den
Verlierern eine Zukunftschance zu geben. Offensichtlich
spekuliert er darauf, daß die Verlierer dieser Gesellschaft nicht zur Wahl gehen. Doch für die Folgen der
weiteren Spaltung der Bauernschaft wird er die Verantwortung übernehmen müssen.
Die PDS sieht den Agrarhaushalt in Übereinstimmung mit dem Grundkonzept der Agenda 2000, deren
Agrarteil wir grundsätzlich ablehnen. Wir werden unsere
konkreten Änderungsvorschläge in die weiteren Haushaltsberatungen einbringen und fordern statt einer kapitalorientierten eine sozialorientierte Politikwende, zu der
sich die SPD noch vor den Wahlen bekannt hat.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat nun
Kollege Karsten Schönfeld, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! CDU und F.D.P. - allen voran aber
die CSU; wir haben es heute abend wieder von Herrn
Hollerith gehört - kritisieren die Bundesregierung lautstark wegen der Agenda 2000. Vor allen Dingen wird
mit Horrorszenarien argumentiert, was die weitere Existenz der Landwirtschaft anbelangt. Wieviel Heuchelei
dabei ist, belegen Ihre Zahlen aus den letzten Jahren.
({0})
Die Einkommensentwicklung in der Landwirtschaft
ist unbefriedigend. Die Zahl der Betriebe und die der in
der Landwirtschaft Beschäftigten sinken von Jahr zu
Jahr. Die alte Bundesregierung ist auch in der Agrarpolitik gescheitert.
({1})
Ihre Haushaltsansätze der letzten Jahre spiegeln dies
wider. Während wir 1991 noch 13,9 Milliarden DM im
Agrarbereich ausgeben konnten, sah der Haushaltsentwurf der alten Bundesregierung für dieses Jahr
11,5 Milliarden DM vor. Bereits in der Vergangenheit
wurde der Agrarhaushalt zur Konsolidierung des Gesamthaushaltes überproportional herangezogen.
({2})
Wir werden in der Agrarpolitik neue Schwerpunkte setzen. Das, meine Damen und Herren, ist dringend notwendig.
({3})
Das gewaltige Haushaltsdefizit, das Sie uns hinterlassen haben, zwingt aber zu weiteren Einsparungen. Trotz
einer globalen Minderausgabe von 90 Millionen DM
kann der Haushaltsansatz jedoch auf dem Niveau des
Vorjahres gehalten werden. 7,9 Milliarden DM entfallen
auf die landwirtschaftliche Sozialpolitik. Die hohen
Verwaltungskosten werden hier mit Recht kritisiert. Die
Mittel für die Agrarsozialpolitik sind von 5,6 Milliarden
DM in 1991 auf 7,9 Milliarden DM angestiegen.
Ich habe mich allerdings gewundert. Kollege Heinrich, Sie haben das ja auch kritisiert; Sie hatten allerdings 16 Jahre Zeit, mit einer vernünftigen Politik in den
letzten Jahren gegenzusteuern.
({4})
- F.D.P noch länger, vielen Dank. - Sie erwarten jetzt
von uns, daß wir in noch nicht einmal vier Monaten eine
grundlegend andere Politik machen.
Die anderen Mittel, meine Damen und Herren, sind
im gleichen Zeitraum, also von 1991 bis heute, von
8,2 Milliarden DM auf 3,7 Milliarden DM zusammengestrichen worden. Das ist eine Differenz von 4,5 Milliarden DM. Genau hier liegt der größte Fehler Ihrer Agrarpolitik.
({5})
Es sind Mittel für einkommenswirksame und investive
Maßnahmen, die in den letzten Jahren massiv gekürzt
worden sind.
({6})
Die alte Regierung hat die Bundesmittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ von 3,2 Milliarden DM
im Jahr 1993 auf 1,7 Milliarden DM im letzten Jahr etwa halbiert. Unmittelbar einkommenswirksame Maßnahmen wie zum Beispiel die Anpassungshilfen und der
soziostrukturelle Einkommensausgleich wurden ganz
eingestellt.
Der Anteil des Bundes zur Mitfinanzierung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes“ beträgt in diesem Jahr unverändert 1,7 Milliarden DM. Die insgesamt schwierige
Finanzlage und der wachsende Finanzbedarf für die gesetzlich gebundenen Maßnahmen im Rahmen der Agrarsozialpolitik ließen eine - wenn auch wünschenswerte
und notwendige - Mittelaufstockung für die Gemeinschaftsaufgabe nicht zu.
Die Opposition kritisiert gerne übertriebene gesetzliche Gängelungen der Landwirte und unverhältnismäßig
bürokratische Anforderungen an die Bauern. Dabei verschweigen Sie, meine Damen und Herren, daß Sie in der
Agrarpolitik selbst die schlimmsten bürokratischen
Überregulierungen geschaffen haben.
({7})
Die Flächenbindung der Milchquote beispielsweise ist
für aktive, junge Landwirte mit wachstumsfähigen Betrieben eine sehr teure planwirtschaftliche Regelung. Es
kann nicht sein, daß junge Bauern massiv daran gehindert werden, Produktivitätsfortschritte zu nutzen und in
Größen zu wachsen, die ihnen langfristig ihre Existenz
sichern.
Das Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur
Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung,
das CDU und F.D.P. so gerne zitieren, wenn es um die
Wirtschafts- und Sozialpolitik geht, spricht in diesem
Zusammenhang vom - ich zitiere wörtlich - „Irrweg der
europäischen Agrarpolitik ... deren gesamtwirtschaftlich
schädliche Wirkungen in zahllosen empirischen Studien
nachgewiesen worden sind.“ Die Opposition, die in
Sonntagsreden gern die freie Marktwirtschaft lobt, vertritt hier die Meinung, daß ausgerechnet für die Agrarmärkte eine Planwirtschaft das bessere System sei.
({8})
Wir haben eine grundlegende Reform der Einkommens- und Unternehmensbesteuerung auf den Weg
gebracht und steuerliche Entlastungen für die Bürger
und die Wirtschaft durchgesetzt, die auch die Land- und
Forstwirtschaft entlasten.
({9})
Bei den notwendigen Gegenfinanzierungen und bei Einsparmaßnahmen haben wir für ein ausgewogenes Verhältnis von Be- und Entlastungen gesorgt.
({10})
- Auch wenn Sie hier herumschreien, es ist so.
({11})
Wir haben gegenüber den ersten Entwürfen einige
Änderungen zugunsten der Landwirtschaft einvernehmlich umsetzen können, die auch Sie, meine Damen und
Herren von der Opposition, bereits gewürdigt haben.
Im Rahmen der ökologischen Steuerreform haben
wir die Gleichstelllung der Landwirtschaft mit dem produzierenden Gewerbe erreicht.
({12})
Herr Kollege Hollerith, ich muß noch einmal auf das
zurückkommen, was Sie vorhin gesagt haben. Sie irren;
wir haben das eingebracht. Denn es waren die
CDU/CSU und die F.D.P., die unseren Antrag im
Agrarausschuß auf Gleichstellung mit dem produzierenden Gewerbe abgelehnt haben.
Herr Kollege Schönfeld, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Heinrich?
Nein, das gestatte ich
nicht. Ich möchte im Zusammenhang vortragen.
({0})
Es ist seine erste
Rede.
Die SPD setzt sich konsequent für die Erhaltung einer mulitfunktionalen
Landwirtschaft in allen ländlichen Regionen unseres
Landes ein. Wir müssen - das ist die wichtigste Aufgabe
für die nächsten Jahre - die Entwicklungschancen der
ländlichen Räume verbessern.
({0})
Schwerpunkt unserer Politik ist die Erhaltung und die
Schaffung von Arbeitsplätzen auch in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum.
({1})
Wir werden unseren Landwirten helfen, die Wettbewerbsfähigkeit auf dem gemeinsamen europäischen
Agrarmarkt zu verbessern. Wir werden Hilfen für alternative Beschäftigungsmöglichkeiten anbieten. Wir werden über Agrarumweltprogramme und verläßliche Ausgleichszahlungen die berechtigten Interessen von Landwirtschaft und Naturschutz in Einklang bringen und eine
standortgerechte Landwirtschaft fördern.
Wir fordern eine stärkere Marktorientierung der
Landwirtschaft, und wir werden diesen Prozeß durch
eine verbesserte Absatz- und Vermarktungsförderung
unterstützen.
({2})
Gestatten Sie mir zum Schluß noch ein Wort als ostdeutscher Agrarpolitiker. Wir setzen uns konsequent für
die Schaffung sicherer, fairer und verläßlicher Rahmenbedingungen für die ostdeutsche Landwirtschaft ein.
({3})
Wir brauchen eine befriedigende Altschuldenregelung. Wir brauchen eine Regelung für das Flächenerwerbsprogramm, die allen Unternehmen Planungssicherheit bietet.
({4})
Wir fordern die Abschaffung der 90-Tier-Grenze. Wir
werden uns dafür sowie für die Lösung der Grundflächenproblematik einsetzen.
({5})
Vor allem werden wir bei den Verhandlungen zur
Agenda 2000 einseitige Benachteiligungen für die Betriebe in Ostdeutschland verhindern.
({6})
Wir setzen uns konsequent für die Gleichbehandlung
aller Betriebsformen in unserem Land ein.
({7})
Die ideologische Fixierung der alten Bundesregierung
auf eine bestimmte Eigentumsverfassung in der Landwirtschaft teilen wir nicht.
({8})
Die Agrarpolitik, meine Damen und Herren, ist bei
der SPD-Bundestagsfraktion und der neuen Bundesregierung in besten Händen.
({9})
Dies war die erste
Rede des Kollegen Schönfeld. Meine und unsere herzliche Gratulation.
({0})
Nun hat das Wort der Kollege Heinrich-Wilhelm
Ronsöhr, CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wilhelm Schmidt, das hat zwar jetzt nichts mit Agrarpolitik zu tun, aber ich möchte dir dennoch antworten:
Was da in letzter Zeit mit der Salzgitter AG im Braunschweiger Land stattfindet, das macht euch nicht gerade
Ehre.
({0})
Herr Schönfeld, ich gratuliere Ihnen recht herzlich zu
Ihrer Rede. Aber in einem Punkt - das können Sie nicht
wissen - sind Sie gewiß von falschen Voraussetzungen
ausgegangen: Der soziostrukturelle Einkommensausgleich war befristet, und Bund und Länder mußten mitfinanzieren. Nun ist heute - ich bedaure das nicht; ich
halte es für richtig, daß Herr Funke heute in Brüssel ist Herr Funke nicht anwesend. Aber wenn er anwesend
wäre, könnten Sie ihn einmal fragen, warum er denn als
Landwirtschaftsminister von Niedersachsen verhindert
hat, daß dieses Land seinen Anteil beim soziostrukturellen Einkommensausgleich mitfinanziert.
({1})
Wir haben hier im Bund dafür Sorge getragen, daß wir
den soziostrukturellen Einkommensausgleich so weit, wie
es die EU notifiziert hat, auch mitfinanziert haben. Das ist
bei sozialdemokratischen Ländern zumeist anders.
Das gilt auch für die von Ihnen hier angesprochenen
Agrarumweltprogramme. Nun hat der jetzige Landwirtschaftsminister ja erklärt, das habe etwas mit der Schönheit der Landschaften zu tun. Aber ich weiß nicht, ob
Bayern zehnmal so schön wie Niedersachsen ist;
({2})
denn in Niedersachsen werden bei Agrarumweltprogrammen gerade 40 DM eingesetzt, während es in
Bayern fast 400 DM sind. In Baden-Württemberg sind
es sogar über 400 DM, und ähnlich ist es in Sachsen.
Trotzdem wird hier immer angekündigt, Sie würden
etwas dafür tun. Tun Sie bitte dort etwas, wo Sie auch
jetzt schon handeln können.
({3})
Meine Damen und Herren, es ist ja einiges offenbar
geworden. Da gab es eine Erklärung des beamteten
Staatssekretärs im Landwirtschaftsministerium. Er hat
gesagt, unter dieser Regierung habe die Agrarwirtschaft
nicht den Stellenwert, den sie bisher hatte.
({4})
- Ich zitiere hier eine Pressemitteilung. Der Staatssekretär hat es gesagt. Beschweren Sie sich dann beim
Staatssekretär!
({5})
Herr Funke hat neulich im „Ernährungsdienst“ festgestellt, daß Landwirte keine Wahlen mehr entschieden.
Wenn die Landwirte seine Politik kennen, entscheiden
sie sich in Wahlen zumindest nicht für Karl-Heinz
Funke und seine Agrarpolitik.
({6})
Der Parlamentarische Staatssekretär hat hier festgestellt, es bleibe in der Landwirtschaft nichts so, wie es
ist. Herr Thalheim, Sie haben recht: Es wird alles
schlechter.
({7})
- Das ist wahr.
Beginnen wir mit der Finanzpolitik. Überparteilich
bestand vor der Wahl Einigkeit darin, daß wir die Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft von 9 auf
10 Prozent erhöhen. Wir hatten dafür auch ein einheitliches Berechnungsverfahren, das vom Landwirtschaftsministerium nach wie vor für richtig gehalten wird.
({8})
- Hören Sie einmal zu, wenn Ihnen vorgehalten wird,
was Sie eigentlich anstellen. Bevor Sie sich hier äußern,
sollten Sie lieber einmal aufnehmen, was Sie mit der
Landwirtschaft anstellen.
Nach der Wahl wird diese Vorsteuerpauschale von
10 auf 9 Prozent gesenkt. Was meinen Sie, was geschehen
wäre, wenn unsere Regierung das gemacht hätte? Ich behaupte nicht, daß die SPD und die Grünen hier Wahlbetrug betreiben. Aber ich behaupte, daß Sie das behauptet
hätten, wenn wir es so wie Sie gemacht hätten.
({9})
Das kostet die Landwirtschaft 400 Millionen DM.
Jeder Landwirt kann heute schon nachrechnen, wie sein
Gewinn prozentual sinkt. Das ist Ihre Politik. So beginnen Sie mit Ihrer Agrarpolitik.
({10})
Hier wurde etwas zur Ökosteuer gesagt. Uli Heinrich
hat zumindest auf Frau Höfken schon geantwortet.
({11})
Die Ökosteuer ist doch eine Steuer für die kleinen Leute
und für die kleinen Betriebe.
({12})
Landwirtschaft ist im Vergleich zu der gesamten Wirtschaft nun einmal kleinstrukturierter.
({13})
Nun gibt es eine Pauschale, nach der Sie die Ökosteuer
erst einmal bis 1 000 DM, und zwar gesondert nach zwei
Energiearten, voll umlegen.
Das trifft die Landwirtschaft.
({14})
Das trifft die landwirtschaftlichen Betriebe. Wenn Sie
die kleinstrukturiertere Landwirtschaft nicht so treffen
wollen - ({15})
- Daß die Landwirtschaft noch dankbar ist, darüber
werden wir uns noch einmal unterhalten.
({16})
- Ich finde eine solche Äußerung geradezu unverschämt.
({17})
- Ich lasse keine Zwischenfrage zu. Setzen Sie sich bitte
wieder hin!
({18})
Meine Damen und Herren, Sie können morgen oder
am nächsten Mittwoch unserem Antrag zustimmen, um
dann wirklich zu Entlastungen für die Landwirtschaft zu
kommen. Es ist für die Landwirtschaft ungemein wichtig, daß wir den doppelten Sockelbetrag von 1 000 DM
- er kann sich bis auf 2 000 DM summieren - streichen.
Das wäre wirklich eine Entlastung der Landwirtschaft
innerhalb der Ökosteuer.
({19})
- Ich bin gar nicht verbissen. Ich bin nachher verbissen,
wenn es ans Steak geht, aber jetzt noch nicht.
({20})
Heinrich Wilhelm Rönsöhr
Ich würde noch ein bißchen warten. Warten Sie noch ein
bißchen, dann verbeiße ich mich wirklich, aber jetzt
nicht! Bei Ihrer Agrarpolitik brauchen wir gar nicht so
verbissen zu sein. Wir können das ganz gelockert angehen. Die Landwirte werden das etwas verbissener sehen.
Warten Sie es bitte ab!
({21})
- Ich habe doch eben schon eine Antwort darauf gegeben.
({22})
Meine Damen und Herren, hier ist immer davon geredet worden, daß wir den Haushalt zurückgefahren
hätten. Hier ist etwas zum soziostrukturellen Einkommensausgleich gesagt worden. Wir haben einen anderen
Währungsausgleich auch dank des Verhandlungsgeschicks von Jochen Borchert
({23})
in den Haushalt einstellen können.
({24})
Nur waren das immer wieder begrenzte finanzielle Leistungen.
({25})
Wenn wir diese begrenzten finanziellen Leistungen
nicht fortführen können, dann können Sie nicht von
Haushaltskürzungen sprechen. Der Agrarhaushalt war
zwischendurch mit bestimmten Aufgaben beauftragt, die
übrigens die Länder nicht immer kofinanziert haben.
({26})
- Jetzt ist es plötzlich eine Frage der Priorität, und vorher wurde es kritisiert. Sie wollen doch gar keine Prioritäten für die Landwirtschaft setzen. Das ist doch die
Wahrheit in diesem Lande.
({27})
Ich finde es schon etwas eigenartig, wenn ich hier
höre, wie agrarpolitische Kollegen die Agenda 2000
beurteilen. Das erstaunt mich schon. Die Proteste in
Brüssel sind nicht von der CDU/CSU ausgegangen; sie
sind von den Landwirten, von den Bauern in der Europäischen Union ausgegangen. Nehmen Sie das doch
bitte zur Kenntnis! Wenn ich dann höre, welche Vorschläge der Ratspräsident Funke gemacht hat, dann kann
ich nur sagen: Der hat bei Fischler abgeschrieben.
({28})
Wenn die Landwirte in Brüssel demonstriert und ein
Transparent „Fischler gleich Funke“ getragen hätten,
hätten sie recht gehabt. Das ist die Wahrheit in diesem
Lande.
({29})
Obwohl wir wissen, wie unerträglich die Auswirkungen
der Vorschläge von Herrn Fischler sind, hat sich Herr
Funke als Ratspräsident diesen Vorschlägen inzwischen
angeschlossen.
({30})
Ich sage das hier auch einmal zugunsten der Regierung.
Ich hoffe allerdings, daß der beamtete Staatssekretär, der
uns im Ernährungsausschuß über die Agenda 2000 besser informiert hat als Herr Funke, dennoch zugunsten
der deutschen und der europäischen Bauern etwas verändern kann. Ich hoffe das.
({31})
Hier zeigt sich doch ganz eindeutig: Funke, die SPD und
die Grünen
({32})
sind nicht die agrarpolitischen Motoren, sie stehen auf
der Bremse, teilweise stehen sie am Abhang, und die
Frage ist nur, wie weit es bergab geht.
Sie haben hier Vorschläge gemacht, die Herrn Funke
und Herrn Fischler als agrarpolitische Zwillinge ausweisen. Das ist die Wahrheit.
({33})
Es wird immer wieder gesagt, wir hätten die Agrarleitlinie zurückgeführt. Das ist nicht wahr. Wir haben
für die Agrarleitlinie im Edinburgher Beschluß eine
Steigerungsrate vorgesehen. Nun aber kommen sozialdemokratische und sozialistische Finanzminister und
drehen den Geldhahn für die Landwirtschaft ab. Daraus
muß Herr Funke - das ist nun wirklich eine schwierige
Aufgabe - noch das Beste machen. Aber bei Ihnen ist
agrarpolitisch nicht das Beste durchsetzbar. Manche der
Bauern sind ja schon froh,
({34})
daß in der Agrarpolitik nicht noch Schlechteres durchgesetzt wird.
({35})
Wenn Frau Höfken recht hat, daß davon auszugehen
ist, daß wir die Vorschläge der Kommission bezüglich
der Milch, die Herr Funke jetzt angesprochen hat, umsetzen müssen, dann bekommen wir nicht nur eine
Quote, sondern auch noch eine virtuelle Kuh. Virtuelle
Kühe aber sollten wir bei den Computerspielen belassen.
({36})
Ich halte dies für untaugliche Modelle. Äußern Sie sich
darüber hier bitte nicht positiv! Sie werden letztlich daran gemessen, wenn sie in Brüssel durchgesetzt werden.
Kollege Ronsöhr,
rechts steht der Kollege Heinrich und versucht, eine
Zwischenfrage zu stellen.
Heinrich Wilhelm Rönsöhr
Ich habe
gesagt, daß ich keine Zwischenfragen zulassen möchte.
Das gilt generell - sonst wäre es unfair -, obwohl ich
natürlich immer gerne Einlassungen von Uli Heinrich
zur Agrarpolitik höre.
Meine Damen und Herren, jetzt sagen Sie wieder, Sie
wollten mehr für die nachwachsenden Rohstoffe tun.
Mir ist vor Tagen eine Pressemeldung von Karl-Heinz
Funke in die Hände gefallen. Darin hat er gesagt, daß
wir in Deutschland hinsichtlich der Biogasanlagen führend seien. Das ist doch nicht das Ergebnis Ihrer Politik;
das ist das Ergebnis der Politik der rechten Seite dieses
Hauses.
({0})
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich aufmachten,
zu vernünftigen Konzeptionen in der Agrarpolitik zurückzufinden, wenn Sie nicht davon ausgehen, daß die
Landwirte die Melkkuh dieser Nation sind. Die Landwirte erfahren durch Ihre Finanzpolitik an keiner Stelle
Entlastungen, sondern nur Belastungen. Daran wird
meines Erachtens deutlich, daß die Landwirte recht daran getan haben, auch bei der Wahl Vertrauen in die Unionsparteien und in die F.D.P. zu investieren und kein
Vertrauen zu Rot und Grün zu haben.
({1})
Sie haben schon bis heute bewiesen, daß diese Entscheidung der Landwirte gerechtfertigt war. Ich glaube auch,
daß die Landwirte, wenn Sie politisch so weitermachen
wie bisher, kein Vertrauen zu Ihnen finden werden. Der
gesamte Haushalt ist ein Beweis dafür, aber auch Ihre
Agrarpolitik.
Ich hoffe allerdings im Interesse der deutschen
Landwirtschaft, daß Sie sich ändern. Wir würden gerne
mit unserer Agrarpolitik den Vernünftigen in Ihren Reihen den Rücken stärken. Dafür aber müssen wir den geraden Rücken von Karl-Heinz Funke sehen und nicht
das Lafontainsche Hinterteil.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich liegen nicht vor.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Es ist vereinbart worden, die
Redebeiträge zu Protokoll zu nehmen. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind wir am
Schluß der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 26. Februar 1999,
9.00 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.