Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/22/2002

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Karl Josef-Laumann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit in Deutschland ist sicherlich notwendig; denn wir haben es hier mit einem wachsenden und tief greifenden Problem in Deutschland zu tun. Es gibt Berechnungen, nach denen das Volumen der Schwarzarbeit in Deutschland mittlerweile rund 350 Milliarden Euro beträgt. Wissenschaftler sagen uns, dass der Anteil der Schwarzarbeit am Bruttoinlandsprodukt bei über 16 Prozent liegen könnte. Das Schlimmste, was uns die Wissenschaft zu diesem Thema sagt, ist, dass die Tendenz steigend ist. Dass diese Tendenz in Deutschland steigt, während sie in anderen europäischen Ländern abnimmt, beweisen auch umfangreiche europäische Studien. So ist in Finnland, Belgien, Dänemark und Griechenland die Schwarzarbeit deutlich gesunken, ({0}) wohingegen sie bei uns deutlich angestiegen ist. Man geht davon aus, dass die Einnahmeausfälle für die Sozialversicherungen durch illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit in Deutschland bei weit über 100 Milliarden DM liegen und dass große Beitragssenkungen möglich wären, wenn wir diese Problematik nicht hätten. Deswegen ist es wichtig, über den Bereich der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung vor allen Dingen am Bau - den dieser Gesetzentwurf stark im Auge hat - hinaus auch einmal darüber nachzudenken, dass wir ja nicht nur in diesem Bereich Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung haben, sondern dass es mittlerweile in breiten Teilen der Bevölkerung, vor allen Dingen im Bereich der handwerklichen Dienstleistungen, bei uns in Deutschland einen riesigen Markt für Schwarzarbeit gibt. Das hat nicht nur, aber doch sehr deutlich mit der Gesetzgebung in Deutschland zu tun. Ich bin wirklich davon überzeugt, dass durch die Neuregelung der 630-MarkJobs ({1}) vor allen Dingen diejenigen, die neben ihrer Hauptbeschäftigung einen 630-Mark-Job hatten, ({2}) zu Hunderttausenden in die illegale Beschäftigung, also in die Schwarzarbeit, getrieben worden sind. ({3}) Ich wette, dass Sie mit Ihren in vielen Bereichen des Steuerrechts getroffenen Entscheidungen - beispielsweise haben Sie die Absetzbarkeit einer Haushaltshilfe wieder zurückgenommen ({4}) hunderttausende Beschäftigte im privaten Haushalt wieder in die Schwarzarbeit getrieben haben. ({5}) Ich kann Ihnen nur sagen: In dem schwierigen Bereich Bau muss die Illegalität ganz anders bekämpft werden als in dem Bereich, über den ich jetzt rede. Wenn es der Politik in Deutschland nicht gelingt, eine praktikable Lösung zu finden, um den privaten Bereich stärker für die offizielle Beschäftigung zu öffnen, werden wir an diesem riesengroßen Bereich der Schwarzarbeit nur ganz wenig verändern. Die illegale Beschäftigung findet nämlich - neben dem Baubereich - vor allen Dingen im privaten Bereich statt. Sie brauchen sich nur einmal die Statistiken der Finanzämter anzuschauen, um zu sehen, wie viele private Putzfrauen, für die Abgaben gezahlt werden, in der Bundesrepublik Deutschland gemeldet sind. Ich kann Ihnen sagen: Allein in meinem privaten Umfeld und in meiner Heimatgemeinde gibt es mehr Putzfrauen in Privathaushalten, als Parl. Staatssekretär Gerd Andres der gesamten Finanzverwaltung meines Wahlkreises gemeldet sind. Jeder - auch hier im Bundestag - weiß, dass es dort eine Beschäftigung nach BAT - Bar auf die Tatze gibt; dies ist mittlerweile die Regel. ({6}) Ich befürchte, dass uns, wenn Sie so weitermachen, in diesem Bereich ein ähnlicher Systembruch ins Haus stehen wird, wie wir ihn jetzt bei der Arbeitsverwaltung erleben. Anscheinend haben dort nämlich ebenfalls alle gewusst, dass es nicht effizient ist; es ist aber nie etwas geschehen. ({7}) So ist es auch mit Ihrer Politik zur Bekämpfung der Schwarzarbeit. Sie setzen darauf, Gesetze zu verschärfen und Strafen zu erhöhen, anstatt die Rahmenbedingungen für offizielle Arbeit in Deutschland zu verbessern ({8}) und damit die Anreize für Schwarzarbeit bei uns in Deutschland von vornherein nachhaltig zu verschlechtern. Wir haben im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung auch in der Vergangenheit schon manche Anhörung über das Thema illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit durchgeführt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch die Expertenrunden zur Beurteilung Ihres Gesetzentwurfes, die vor uns liegen, sehr deutlich machen werden, dass es nur mit Sanktionen, Auflagen und Strafen nicht geht. Ich glaube auch, dass wir gemeinsam überlegen müssen, wie wir weiter vorgehen. Vor der Verschärfung des Gesetzes hätte in einem ersten Schritt eigentlich dafür gesorgt werden müssen, dass die bestehenden rechtlichen Vorschriften konsequenter umgesetzt werden, dass die Einhaltung schärfer kontrolliert wird und dass viel effektiver gearbeitet wird. ({9}) Ich lege mich heute noch nicht fest, wie meine Fraktion am Ende des Beratungsprozesses über diesen Gesetzentwurf entscheiden wird. Die Problematik auf dem Bau werden wir sicherlich alle gleich beurteilen. Sie müssen sich einmal vorstellen: Wenn die so genannten Generalunternehmer eine Rücklage für die Steuern bilden und die Löhne garantieren müssen sowie dann noch zusätzlich den Sozialversicherungsbeitrag zu leisten haben - wenn man es bei der Steuer macht, spricht vieles dafür, es bei der Sozialversicherung nicht anders zu machen; das muss ich zugeben -, dann müssen sie mehr als 50 Prozent der Rechnungssumme für irgendwelche Rücklagen treuhänderisch abgeben. Diejenigen, die Generalunternehmer sind, müssten sich also dafür verbürgen. Ich finde, dass an so einem Beispiel deutlich wird, welch verrückten Weg wir in diesen Bereichen mittlerweile einschlagen. Ich glaube, das ist das Herumdoktern an Symptomen, aber nicht das Herangehen an die Wurzel des Problems. Die Wurzel des Problems ist, dass wir uns in der Bundesrepublik Deutschland - in der Tradition unseres Landes - für ein Sozialsystem entschieden haben, in dem die Kosten für die soziale Sicherheit allein durch die menschliche Arbeit erbracht werden müssen. Wenn es uns nicht gelingt, hier umzusteuern und auch andere Einkommensarten, die heute eine ganz andere Bedeutung haben als damals, als man sich entschieden hatte, es nur auf den Lohn zu beschränken, zu berücksichtigen, wird die Sozialpolitik zur Verteuerung der menschlichen Arbeit erheblich beitragen. Die Menschen werden dann versuchen, am Steuer- und Abgabensystem vorbei zu arbeiten. ({10}) Deswegen ist es notwendig, dass wir in dieser Frage der Politik einen ganz anderen Weg gehen, nämlich den Weg der Entlastung der menschlichen Arbeit pro Arbeitsstunde. ({11}) Sie haben die Kosten in diesem Bereich mittlerweile nur erhöht. Wenn Sie die Steuern erhöhen und nicht gleichzeitig die Sozialversicherungsbeiträge senken, wie zum 1. Januar dieses Jahres, wenn Ihre Rentenreform schon nach dem In-Kraft-Setzen nicht mehr greift, weil die Einnahmeseite nicht stimmt, dann sollten Sie uns auch nicht so viele Ratschläge geben. Wir können uns diese Dinge weiterhin gegenseitig vorwerfen; aber solange wir das tun, errichten wir eine Art Selbstblockade und haben in der Bundesrepublik Deutschland eine gute Konjunktur für Schwarzarbeit. Deshalb sollten sich beide Seiten dieses Hauses bemühen, nach Lösungen zu suchen, um mehr Arbeit wieder auf den offiziellen Arbeitsmarkt zurückzuführen. Das wird nur gelingen, wenn die Menschen sehen, dass ihnen mehr verbleibt, als sie an Abzügen haben. ({12}) Es ist doch heute schon ein Spruch unter vielen Leuten, dass sie bei einer Überstunde lieber die Abzüge ausgezahlt bekommen möchten als das, was sie netto erhalten. ({13}) Solange diese Situation besteht, werden Sie die Schwarzarbeit in Deutschland nicht effektiv bekämpfen können. Schönen Dank. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben bereits im April über einen Entschließungsantrag zur Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit debattiert und ihn angenommen. Die negativen Folgen und Auswirkungen der illegalen Beschäftigung sind in jener Debatte geschildert worden und weiterer HandlungsKarl-Josef Laumann bedarf wurde deutlich. Gehandelt werden soll gemäß dem nun vorliegenden Gesetzentwurf, der an drei Stellen ansetzt: Erstens. Die Zusammenarbeit der bei der Bekämpfung zuständigen Behörden wird verbessert, die Befugnisse für die Arbeitsverwaltung werden ausgeweitet. Dies erweitert die Möglichkeiten zur Verfolgung entsprechender Verstöße. Zweitens. Unternehmer, die der illegalen Beschäftigung überführt werden, müssen zukünftig mit erheblich verschärften Sanktionen rechnen. Drittens. Unternehmer im Baubereich stehen zukünftig stärker in der Verantwortung. Um auch bei ihren Subunternehmen illegale Beschäftigung nach Möglichkeit auszuschließen, haften sie für die Sozialversicherungsbeiträge von deren Beschäftigten. Diese Generalunternehmerhaftung kommt nur dann zur Geltung, wenn der Generalunternehmer seiner Sorgfaltspflicht unzureichend nachgekommen ist, sprich: wenn er im Vorfeld nicht überprüft hat, ob ein Subunternehmer Sozialversicherungsbeiträge abführt. Wir haben uns in diesem Zusammenhang ein Ziel gesetzt: Wir wollen den Behörden, die damit befasst sind, Instrumente an die Hand geben, mit denen sie Schwarzarbeit effektiv bekämpfen können. Auch der Justiz soll ermöglicht werden, sich entsprechend zu spezialisieren, um der zunehmenden Professionalisierung im Bereich der illegalen Beschäftigung und Schwarzarbeit begegnen zu können. Wir weiten die Sanktionen aus, um eine abschreckende Wirkung zu erzielen. Dazu muss ich eines sagen: Gestern gab es hier eine innenpolitische Debatte, in der vor allem die Vertreter der CDU/CSU verschärfte Sanktionen und Strafen auf allen Feldern gefordert haben. ({0}) Aber auf diesem Feld, auf dem es angezeigt und richtig ist, sagen Sie, wir bräuchten solche Sanktionen nicht. Das ist ein Widerspruch und ich weiß nicht, wie Sie diesen erklären wollen. ({1}) Die öffentliche Hand muss vorbildhaft vorgehen; denn sie kann in Zukunft Unternehmern, denen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung nachgewiesen werden, vier Jahre von öffentlichen Aufträgen ausschließen. Das soll insbesondere eine Signalwirkung haben. Herr Laumann, Sie haben eben von Rahmenbedingungen gesprochen. Es trifft zu, dass wir bereits die Rahmenbedingungen verbessert haben. Ich will Ihnen ein paar Beispiele nennen: das 1999 beschlossene Entsendegesetz, die Vorbereitung eines Gesetzentwurfs zur Tariftreue, die Steuersenkungen, die Stabilisierung der Abgaben und - nicht zu vergessen - die Reformen auf dem Arbeitsmarkt mithilfe einzelner Instrumente von Job Rotation bis zum Job-Aqtiv-Gesetz. Wir haben alle diese Rahmenbedingungen gesetzt. Welche Vorschläge haben Sie dem entgegenzusetzen? Sie haben in Ihrer Rede nur alte Vorschläge aufgeführt, die Sie immer wieder aus der Schublade herausholen und von denen Sie nicht einmal wissen, wie sie wirken sollen. Mit diesen Vorschlägen erreichen Sie ganz bestimmt eines nicht: die Bekämpfung der Schwarzarbeit. ({2}) Für die Schaffung guter Rahmenbedingungen haben wir - das habe ich gerade ausgeführt - einiges getan. Aber wir müssen auch ordnungspolitisch agieren und reagieren. Es geht nämlich um große Summen von Geld, das den Sozialversicherungen vorenthalten wird. Es geht aber auch um die Wiederherstellung eines gerechten Wettbewerbs und - mehr noch - um die Erhaltung zahlreicher Arbeitsplätze in seriös wirtschaftenden Unternehmen sowie um die Sicherung der Beschäftigung von zahlreichen Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. Es geht ferner darum, fahrlässige Ignoranz gegenüber den Spielregeln in einer Solidargesellschaft zu bekämpfen. Deshalb bringen wir diesen Gesetzentwurf ein. Wir müssen Schranken setzen und Signale aussenden. Ich denke, an diesem Punkt sollten auch Sie mitgehen. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Heinrich Kolb, FDP-Fraktion, das Wort.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon seltsam: Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung, mithin die Schattenwirtschaft in unserem Lande, wachsen kräftig. Rund 6,2 Prozent hat dieser Bereich nach Schätzung von Experten im letzten Jahr zugelegt. Er boomt also regelrecht. Im Gegensatz dazu herrscht in der übrigen Wirtschaft Flaute. Mit einer Jahreswachstumsrate von wahrscheinlich durchschnittlich weniger als 0,5 Prozent stehen wir am Rande einer Rezession, möglicherweise schon mittendrin. ({0}) Für die Bauwirtschaft, in der nach den Formulierungen Ihres Gesetzentwurfes, Herr Dreßen, die illegale Beschäftigung und die Schwarzarbeit eine besondere Bedeutung haben, sehen die Zahlen sogar noch dramatischer aus. Nach den vom Statistischen Bundesamt am vergangenen Mittwoch, also vor zwei Tagen, herausgegebenen Daten zur Bauindustrie zeigt sich für das Gesamtjahr 2001 - zum Vergleich wurde das Jahr 2000 zugrunde gelegt - folgendes Bild: Auftragseingang minus 5,1 Prozent, geleistete Arbeitsstunden minus 11,9 Prozent, Gesamtumsatz minus 7,5 Prozent, Beschäftigte minus 9,1 Prozent. Mit nur noch 954 000 liegt die Zahl der Beschäftigten im deutschen Baugewerbe erstmals unter 1 Million. Lieber Kollege Dreßen, das ist die aktuelle Lage in der Baubranche. Ich will Ihnen sagen: An dieser Situation sind die Bundesregierung und die rot-grüne Koalition alles andere als unschuldig. ({1}) Die Einschränkung der Möglichkeiten zur Verlustverrechnung, die rückwirkende Veränderung von Spekulationsfristen, das einseitige Mietrecht, die bürokratische Bauabzugsteuer - man könnte noch viel mehr Punkte nennen -: Das alles sind Bausteine, mit denen Sie zu dieser Situation beigetragen haben. ({2}) Vielleicht ist es dieses Schuldgefühl, das die Regierung zum Handeln treibt. Allerdings muss man deutlich sagen: Wie so oft in den letzten Jahren versuchen Sie, das Problem mit zusätzlicher Regulierung und mit mehr Bürokratie in den Griff zu bekommen. ({3}) Es gehört wirklich nicht viel Fantasie dazu, um Ihnen vorauszusagen: Auch mit diesem Gesetz werden Sie eine Bauchlandung erleiden. ({4}) Die Folge wird ein weiterer Abbau von Arbeitsplätzen sein. Dabei sind wir uns einig - das will ich hier feststellen -: Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sind keine Lösung. Sie führen zu einem unfairen Wettbewerb gegenüber denjenigen, die sich unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften und auch in Erfüllung ihrer sozialen Verantwortung, etwa was die Sozialversicherungen anbelangt, im täglichen Kampf um Aufträge zu behaupten versuchen. Der Punkt ist aber: Man muss das Übel an der Wurzel packen und darf nicht einfach nur die Symptome bekämpfen. Das werfen wir Ihnen vor. Ihr Gesetzentwurf ist auch - anders als Sie behaupten nicht kostenneutral für die Bauwirtschaft. Er hat selbstverständlich Auswirkungen auf das Niveau der Baupreise. Da haben Sie es sich in Ihrem Gesetzentwurf ein bisschen einfach gemacht. ({5}) - Herr Brandner, hören Sie einmal zu! - Die Kostenerhöhungen beruhen nicht nur auf einem höheren Verwaltungsaufwand. Ich empfehle Ihnen dringend die Lektüre der gemäß Ihrem Gesetzentwurf in SGB IV einzufügenden § 28 a Abs. 3 a, § 28 e Abs. 3 a und § 28 f Abs. 1 a - diese Bezeichnungen sollte man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen; es wird immer komplizierter - mit den dort begründeten Meldepflichten, Prüfungspflichten und Aufbereitungspflichten. Nicht nur das ist kostentreibend. Ein besonders hohes Kostenrisiko besteht vielmehr auch in der selbst bei größter Sorgfalt nicht auszuschließenden Haftungsverpflichtung eines Auftraggebers. Jeder ordentliche Kaufmann wird in seiner Kalkulation ein solches Risiko berücksichtigen müssen. Wer das nicht glaubt, sollte einmal die Luftfahrtbranche betrachten: Unternehmen dieser Branche lassen natürlich, nachdem keine staatliche Haftung mehr existiert, Risikoprämien in ihre Kalkulation einfließen. ({6}) Unternehmer des Baugewerbes haften nach Ihrer Vorlage für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge, und zwar - das ist paradox - nicht nur für die ihrer unmittelbaren Subunternehmer, sondern auch für die von deren Subunternehmern usw., also bis ins letzte Glied. Die Last des Beweises, sich von der ordnungsgemäßen Abführung der Sozialversicherungsbeiträge oder zumindest von der ordnungsgemäßen Planung der Abführung überzeugt zu haben, liegt bei den Bauauftraggebern. Es werden sich interessante juristische Auseinandersetzungen ergeben; so viel ist schon jetzt klar. Ich will hier deutlich auf eine Äußerung des Hauptgeschäftsführers des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, Herrn Knipper, hinweisen, der in dieser Woche nach unserer Auffassung zu Recht gesagt hat: Dieser Entwurf eines Gesetzes gegen die Schwarzarbeit ist verfassungswidrig. ({7}) Wie gesagt, jeder vernünftig kalkulierende gewerbsmäßige Bauauftraggeber wird das Haftungsrisiko sowie die Kosten, die bei der Überprüfung seiner Subunternehmer entstehen, in die Kalkulation einfließen lassen. Das heißt im Klartext - das ist das Ergebnis rot-grüner Politik -: Bauen wird wieder einmal teurer werden. Für das gleiche Geld gibt es weniger Haus, weniger Straße und weniger Bauvolumen. Wichtige Infrastrukturmaßnahmen der öffentlichen Hand müssen gestreckt werden. Manches private Investitionsprojekt bleibt auf der Strecke, weil es sich nicht mehr rechnet. So kann man die Nachfrage nach Bauleistungen erfolgreich zum Erliegen bringen. ({8}) Neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze werden Sie mit diesem Gesetzentwurf garantiert nicht schaffen, jedenfalls nicht im Bausektor. Neue Arbeitsplätze entstehen allenfalls in Anwaltskanzleien. Ich finde es fatal, dass Sie den Druck vor allem auf mittelständische Bauunternehmen, denen es bereits jetzt schlecht geht, noch einmal erhöhen. In Ihrem Gesetzentwurf wird die Bedeutung der Freistellungsbescheinigung nach § 48 b Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes weiter gestärkt. Die im Zusammenhang mit der Bauabzugsteuer eingeführte Freistellungsbescheinigung gilt nämlich, so ist es in der Begründung zu lesen, als Indiz dafür, dass der Subunternehmer seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Abführung der Sozialversicherungsbeiträge nachkommen wird. Das heißt im Umkehrschluss: Wer die Freistellungsbescheinigung nicht hat, gilt als unzuverlässig und bleibt bei der Auftragsvergabe außen vor. Niemand will schließlich riskieren, in die Haftung genommen zu werden. Wie ich eingangs sagte: Man muss die Probleme an der Wurzel packen und sollte nicht nur Symptome angehen. Wer illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit unattraktiv machen will, der muss dafür sorgen, dass legale Arbeit billiger wird und dass sich legale Arbeit lohnt. Dazu braucht es entschiedener Steuersenkungen, wirklicher Reformen der Sozialversicherung und weniger Regulierung des Arbeitsmarktes. ({9}) Senken Sie also die Sozialversicherungsabgaben unter 40 Prozent! ({10}) Das hatten Sie ja einmal ausweislich Ihrer Koalitionsvereinbarung vor. Sorgen Sie für eine wirklich einfache und gerechte Steuerreform, die den Mittelstand entlastet, und belasten Sie nicht die Bauwirtschaft zusätzlich in solch existenzvernichtender Weise! Ich befürchte aber, dass Sie dazu nicht mehr die Kraft haben. Sie haben auch nicht die nötige Zeit - sieben Monate sind nicht viel. Wir werden hier nach dem 22. September 2002 für Abhilfe sorgen. Vielen Dank. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Grehn, PDS-Fraktion.

Dr. Klaus Grehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003135, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über das Ziel, Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung zu bekämpfen, sind wir uns sicher alle einig. Nur über den Weg könnte man streiten. Bei diesem Gesetzentwurf müssen wir also fragen: Ist der Weg, der gegangen werden soll, auch angesichts der Erfahrungen, die wir mit dem geltenden Gesetz gemacht haben, richtig? Nun heißt Schwarzarbeit ja „Schwarzarbeit“, weil sie im Dunkeln stattfindet. Bereits Bertolt Brecht wusste in der „Dreigroschenoper“ zu sagen: Die im Dunkeln sieht man nicht. ({0}) In diesem Sinne haben wir im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung wiederholt festgestellt, dass wir über Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung nichts Genaues wissen. Hier gilt also das Sprichwort: Nichts Genaues weiß man nicht. Erstens. Alles gründet sich auf Vermutungen und Berechnungen, die nicht nachvollziehbar sind. Deshalb müssen wir schon nachprüfen, ob denn die Angaben wirklich zutreffen. Zweitens. Schwarzarbeit ist nicht gleich Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung nicht gleich illegale Beschäftigung. Ich möchte schon unterscheiden zwischen demjenigen, der schwarzarbeitet, um zu gehobenem Wohlstand zu kommen, und demjenigen, der schwarzarbeitet, um sich und seine Familie über Wasser zu halten. ({1}) Für den letzteren Fall gibt es Beispiele zur Genüge. Schwarz oder illegal wird häufig gearbeitet für Hungerlöhne, für ein Taschengeld, unter unwürdigen Bedingungen. Es ist kein Vergnügen, wie man es hier manchmal herauszuhören glaubt. Damit ist keine erstrebenswerte Lebensgestaltung möglich. Finanziell bleiben die Menschen weit abgeschlagen. Schwarzzuarbeiten entspringt nicht dem Wunsch der Menschen. Deshalb sehen wir einen Ansatz darin - das wäre eine Möglichkeit gewesen -, einen Gesetzentwurf zur Förderung von Beschäftigung und zur massenhaften Schaffung von Arbeitsplätzen vorzulegen. Wenn es hinreichend viele Arbeitsplätze gibt, können zumindest diejenigen, die nur deshalb schwarzarbeiten, weil sie überleben müssen und weil nichts anderes angeboten wird, in das normale Arbeitsleben eingegliedert werden - bitte schön zu existenzsichernden Löhnen! Selbst wenn das neue Gesetz, so wie Sie es formuliert haben, greifen sollte, wird es nur einen winzigen Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen leisten. Ich weiß auch nicht, ob damit die Schwarzarbeit wesentlich bekämpft werden kann. Außer den Zahlen, die darin genannt sind - Anstieg der Schwarzarbeit auf 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts -, haben wir auch Kenntnisse darüber, welche Sanktionen verhängt worden sind und in welchem Umfang sie realisiert worden sind. Das Ausmaß der verhängten Sanktionen hat sich mehr als vervierfacht, die Summe, die dadurch realisiert werden konnte, hat sich nicht einmal verdoppelt. Genau daran wird das Problem sichtbar: Sanktionen - da stimme ich Ihnen, Herr Kollege Kolb, völlig zu - sind nicht der richtige Weg. Statt Sanktionen brauchen wir Prävention. Auf Prävention ist dieser Gesetzentwurf aber nun wahrlich nicht ausgerichtet. Es bleibt auch dahingestellt, ob die selbstschuldnerische Haftung mit der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen ist. Genauso ist zu prüfen, ob der Datenabgleich, den Sie im Hinblick auf die illegale Beschäftigung ausländischer Bürger vorsehen, mit dem Datenschutz in Übereinstimmung zu bringen ist. Alles das muss geprüft werden, wenn die Rechtsstaatlichkeit eingehalten werden soll. Es gibt ein weiteres Problem, auf das ich aufmerksam mache; Kollege Kolb hat es schon in etwa angedeutet. Wenn ein Großunternehmen für seine Nachunternehmer haften soll, dann wird es sich bei den kleinen und mittelständischen Unternehmen, die die Aufträge annehmen, selbstverständlich absichern wollen. Insofern ist die Situation in meinem Wahlkreis symptomatisch für die neuen Bundesländer. Wenn dort von kleinen oder mittelständischen Unternehmern gefordert wird, diese Haftung zu übernehmen und einen entsprechenden Betrag bei dem Großauftraggeber zu hinterlegen, dann sind sie am Ende. ({2}) Das können sie nicht leisten. Man muss also im Auge behalten, ob das so machbar ist. Ich glaube, dass dies eher schädlich ist. Deshalb muss man überprüfen, ob damit das Ziel, das Sie anvisieren, erreicht wird. Ich will ein weiteres Problem ansprechen, das dieser Gesetzentwurf aufwirft. Der Gesetzentwurf tangiert ein altes Thema, nämlich die aus dem Mittelalter stammende und immer mehr unzeitgemäße Ordnung des deutschen Handwerks. ({3}) - Das hat etwas damit zu tun, dass die Handwerksordnung den Notwendigkeiten eines modern operierenden Handwerks nicht mehr Rechnung trägt. Man muss in die Handwerksrolle eingetragen sein. Wenn man arbeitet, ohne eingetragen zu sein, gerät man in den Bereich der illegalen Beschäftigung. Damit sind im Gesetzentwurf Sanktionen - ich hoffe, ich habe es richtig im Kopf - von bis zu 100 000 Euro verbunden. Illegale Beschäftigung am Bau hat offensichtlich ein bedrohliches Ausmaß angenommen. Dazu ist viel gesagt worden. Das kostet viele qualifizierte Bauarbeiter den Job. Gerade hier den Arbeitnehmerschutz zu erhöhen, Dumpinglöhne und mangelhaften sozialen Schutz zu unterbinden findet unsere Zustimmung. Es ist richtig, den Unternehmer in die Pflicht zu nehmen, aber das muss verträglich sein und darf keine Arbeitsplätze kosten. Der Präsident signalisiert mir das Ende meiner Redezeit. Daher rede ich jetzt „in Schwarzarbeit“ weiter. Lassen Sie mich betonen: Alles in allem verkennen wir nicht, dass durch illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit in dem geschilderten Ausmaß erheblicher gesellschaftlicher Schaden angerichtet wird. Vor diesem Hintergrund muss der Gesetzentwurf ausgewogener gestaltet werden. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Anette Kramme, SPD-Fraktion, das Wort.

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich das erste Mal eine Studie über das Ausmaß der Schwarzarbeit in der Bundesrepublik Deutschland gelesen habe, habe ich deren Ergebnisse angezweifelt, obwohl die dargelegte Methodik und die gesetzten wissenschaftlichen Prämissen durchaus plausibel erschienen. ({0}) Ich habe mir daraufhin verschiedene andere Untersuchungen angeschaut und musste einsehen: Die gewonnenen Erkenntnisse stimmen zumindest der Richtung nach. Die Wirtschaftswissenschaften umschreiben den Sachverhalt der Schwarzarbeit in der Bundesrepublik Deutschland mit folgenden statistischen Daten: Erstens. Das Schwarzarbeitvolumen macht circa 16 Prozent des offiziellen Bruttoinlandsproduktes aus. Dies entspricht einem Volumen von 336 Milliarden Euro im Jahr 2001. Diese Bilanz zieht das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung. ({1}) Zweitens. Herr Laumann und Herr Dr. Kolb, hören Sie jetzt ganz genau zu. Sie können etwas lernen. ({2}) Seit dem Jahr 2000, also nach In-Kraft-Treten der rot-grünen Steuerreform, wächst die Schattenwirtschaft zum ersten Mal seit den 80er-Jahren nicht stärker als die offizielle Wirtschaft. ({3}) In den vergangenen Jahren ist dagegen die Schattenwirtschaft drei- bis viermal schneller als die offizielle Wirtschaft gewachsen. Dieses Ergebnis teilt ebenfalls das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung mit. Ihr Politikansatz, Herr Kolb, erweist sich als komplett unrichtig. ({4}) Drittens. Betrachtet man die Schattenwirtschaft im Baugewerbe im Bundesland Brandenburg, so erzielte diese eine Wertschöpfung, in einem Umfang von 25 Prozent der offiziellen Wertschöpfung. Der Umfang der Schattenwirtschaft in Berlin beträgt sogar 53 Prozent der offiziellen Wertschöpfung, so Professor Schneider von der Universität Linz. Viertens. Im Bundesland Brandenburg werden im Baugewerbe circa 112 Millionen Stunden Schwarzarbeit geleistet, in Berlin circa 132 Millionen Stunden. Das entspricht für Brandenburg 64 000 Vollzeitschwarzarbeitsplätzen bei 91 000 offiziell Beschäftigten. Der entsprechende Wert für Berlin lautet 75 000 Schwarzarbeiterstellen und 67 000 legale Arbeitsplätze. Diese Erkenntnisse gehen wiederum auf Professor Schneider zurück. Diese Zahlen sind leider nicht nur Statistik, sondern dokumentieren auch einen immer wieder von den Gewerkschaften, den Verbänden, den Industrie- und Handelskammern und den Unternehmen beschriebenen und beklagten Prozess. ({5}) Der ruinöse Wildwestwettbewerb gerade im Bereich der Bauwirtschaft hat dazu geführt, dass nur Unternehmen überleben, die mittels Mischkalkulationen mehr Billigsubunternehmer mit illegalen Beschäftigten als ihre Mitbewerber einkalkulieren. Die in Gang gesetzte Spirale der illegalen Beschäftigung vernichtet permanent legale Beschäftigungsverhältnisse und verhindert die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Legal beschäftigte Arbeitnehmer können im Lohnkonkurrenzkampf mit den illegalen, die bei den Stundenverrechnungssätzen bis zu 50 Prozent billiger sind, nicht bestehen. Der Leiharbeitsbericht der Bundesregierung geht davon aus, dass in den letzten vier Jahren allein im Baugewerbe mindestens 170 000 legale Stellen durch diesen Prozess vernichtet worden sind. Massive Verstöße gegen zwingende Tarifverträge, gegen Arbeitnehmerschutzgesetze und die Umgehung arbeitsschutzrechtlicher Normen sind gerade in der Baubranche tagtägliche Realität. Viele Unternehmen denken, dass sie sonst nicht dem Wettbewerb standhalten können. Das Hauptzollamt Bamberg hat errechnet, dass der jährliche volkswirtschaftliche Schaden zulasten der Sozialversicherungsträger, der Bauberufsgenossenschaft sowie des Finanzamtes bei durchschnittlich 40 000 Euro je Ganztagsschwarzarbeiter liegt. Der öffentlichen Hand entgehen jedes Jahr etwa 125 Milliarden Euro. Das Hauptzollamt Bamberg stellt weiter fest, dass je nach illegaler Beschäftigungsform häufig - gerade an ausländische Bürger - nur Nettolöhne von 4 Euro, 3 Euro, 2,5 Euro und weniger bezahlt werden. Dass damit menschliche Schicksale einhergehen, ist klar. Der Skandal hat aber einen Namen. Der Name lautet Kohl-Regierung. ({6}) Die eben zitierte Studie belegt eindeutig, dass die CDU/CSU über 16 Jahre das rasante Wachsen des Schwarzarbeitsektors hat geschehen lassen, ({7}) ohne wirksame Gegenmaßnahmen einzuleiten. Sie hat zugeschaut. ({8}) Der Schuldspruch lautet: politisch verantwortlich durch Unterlassen. ({9}) Die Studie hebt im Umkehrschluss die Arbeit der rotgrünen Koalition hervor. Angesichts der weiterhin dramatischen Zahlen können wir es dabei aber nicht bewenden lassen. Lohndumping, Beitragsbetrug und Steuerhinterziehung sind konsequent und zielgenau anzugehen. Weil wir wieder Chancengleichheit für legal arbeitende Beschäftigte und legal arbeitende Unternehmer wollen, brauchen wir eine verschuldensabhängige Generalunternehmerhaftung im Baubereich für Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer. Weil wir wieder Chancengleichheit für legal arbeitende Beschäftigte und legal arbeitende Unternehmer wollen, brauchen wir den langjährigen Ausschluss von schwarzen Schafen der Branche bei öffentlichen Bauaufträgen. ({10}) Weil wir wieder Chancengleichheit wollen, brauchen wir einen größeren Sanktionsrahmen und eine Erweiterung der Straftatbestände bei illegaler Beschäftigung. Den hohen Gewinnchancen muss eine angemessene Abschreckung gegenüberstehen. Justiz und Behörden brauchen Chancen, um Recht und Ordnung wieder herzustellen. ({11}) Deshalb räumen wir ihnen jetzt die Möglichkeit der verbesserten Zusammenarbeit und der verbesserten Information ein. Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Gesetzentwurf baut nicht auf Misstrauen gegenüber den Unternehmen auf. Vielmehr geht es darum, dass die Verantwortlichen mehr Verantwortung für die Verhältnisse übernehmen, derer sie sich bedienen. Er ist ein wichtiger und guter Schritt in Richtung faire Wettbewerbsbedingungen. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Franz Romer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Franz Romer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001879, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit bescheren uns in jedem Jahr erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden. Die Tendenz ist steigend. ({0}) Dass hier etwas getan werden muss, ist jedem klar. Frau Kollegin, was Sie soeben berichtet haben, ist wie so oft in den vergangenen Wochen ein Ergebnis Ihrer rückwärts gewandten Politik. ({1}) Eine Fülle von Aussagen sind überhaupt nicht nachvollziehbar. ({2}) Das Gesetz allein kann die Misere auf dem Arbeitsmarkt und bei den Sozialkassen natürlich nicht lösen. Ich werde jetzt nicht lange auf die desolate Lage in unserem Land eingehen; die Zahl von 4,3 Millionen Arbeitslosen spricht für sich. Man kann nur hoffen, dass die Bekämpfung der Schwarzarbeit ihren Teil zur Schaffung legaler Arbeitsverhältnisse beiträgt. Ich weise ferner darauf hin, dass die Regierung mit ihrem Gesetzentwurf etwas bekämpfen muss, was sie durch ihre bisherige Politik, durch Gesetze wie das 325-Euro-Gesetz und durch mehr Bürokratie leider selbst vorangetrieben hat. ({3}) Sehen wir uns einmal die Instrumente an, mit denen die Bundesregierung die Schwarzarbeit bekämpfen will. Gleich an erster Stelle des Gesetzentwurfes ist zu lesen, dass die Bundesanstalt für Arbeit neue Befugnisse bekommen soll. Was wollen Sie der Bundesanstalt denn noch alles auferlegen? Ist Ihnen denn überhaupt bewusst, wie viele Aufgaben die Bundesanstalt bereits jetzt wahrnimmt? Meine Damen und Herren, ich muss Ihnen sagen: Mir ist nicht wohl dabei. Eine Bundesanstalt, die die Erfolge ihrer Arbeit in der Vergangenheit falsch dargestellt hat, muss erst einmal in den eigenen Reihen aufräumen. Zur Verfolgung von illegaler Beschäftigung ist sie leider, zumindest zurzeit, wohl nicht geeignet und auch nicht in der Lage. ({4}) Ein Blick in die heutige Presse genügt. Mir gefällt die Alternative, die Behörden der Zollverwaltung vermehrt in die Verantwortung zu nehmen, wesentlich besser. ({5}) Auch sind die Verbindung und die Durchlässigkeit zu allen Sozialsystemen sowie zu den jeweiligen Organisationen der Handwerkskammern und zu den IHKs dringend geboten. Denn nur so lassen sich bei den Subunternehmen schon im Vorfeld Illegalität und schwarze Schafe feststellen. Wichtig und im Gesetzentwurf auch vorgesehen sind verschärfte Sanktionen. Über die Abschreckungswirkung lässt sich sicher streiten. Höhere Strafen schrecken nur dann ab, wenn sie mit verschärften Kontrollen einhergehen. Denn viele Unternehmen, die mit illegal Beschäftigten hohe Gewinnspannen haben, lassen sich durch mögliche Sanktionen nicht abhalten. Das sieht anders aus, wenn die Wahrscheinlichkeit, überführt zu werden, zunimmt. Aus meiner Sicht sind also verschärfte Kontrollen am wichtigsten. Für diese Aufgaben sind die Behörden der Zollverwaltung sicher gut geeignet. Die Unabhängigkeit der Verfolgungsbehörden muss gewahrt sein. Die schwarzen Schafe, die erwischt werden, müssen zumindest durch hohe Geldbußen ein wenig zur Schadensminimierung beitragen. ({6}) Angemessen ist, dass der Gesetzentwurf einen besonderen Schwerpunkt im Baugewerbe setzt. Die Bauunternehmer selbst sollen sich nicht mehr hinter dem Subunternehmer verstecken können. Die Haftung des Generalunternehmers ist sicher ein geeignetes Mittel, Ordnung in das Baugewerbe zu bringen. ({7}) Auch der Ausschluss von der Vergabe der begehrten öffentlichen Aufträge für die Dauer von vier statt bisher zwei Jahren klingt vielversprechend. Dies haben Bewerber zu erwarten, die wegen illegaler Beschäftigung zu einer bestimmten, nicht geringen Strafe verurteilt wurden. Neu und auch sehr begrüßenswert ist, dass Unternehmen mit illegal Beschäftigten auch aus laufenden Verträgen entlassen werden können. Welche Konsequenzen dies bei öffentlichen Aufträgen hat, ist noch abzuklären. Denn die Neuvergabe kann mit Mehrkosten verbunden sein. Die günstigen Preise des gekündigten Unternehmens basieren ja auf seinen illegalen Machenschaften. Die Verwirklichung des Ziels, illegale Beschäftigung einzudämmen, darf aber nicht wieder zu mehr Bürokratie führen. ({8}) Denn genau diese führt, genauso wie die Kostenseite, zu mehr Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung. Wir wissen ja: Bürokratie ist Schröders Liebling. ({9}) Sie muss verhindert werden. Deshalb ist es besonders wichtig, dass die zunehmende Bürokratie auf dem Arbeitsmarkt aufgebrochen wird, damit es sich wieder lohnt, legal zu arbeiten. Die Abgaben sind allgemein zu hoch. ({10}) Es bleibt einfach zu wenig im Geldbeutel. Deshalb ist es für viele unattraktiv, überhaupt zu arbeiten oder aber einen Zusatzverdienst ordnungsgemäß anzumelden. ({11}) Leichter ist es, wenn man sofort in die Schwarzarbeit geht. Der Anteil der Schwarzarbeit am Bruttoinlandsprodukt beträgt inzwischen 16,5 Prozent. Das entspricht 350 Milliarden Euro. An einem Arbeitsmarkt, der Schwarzarbeit in diesem Ausmaß benötigt, stimmt etwas nicht. ({12}) Der Gesetzentwurf muss deutlich machen, was illegale Beschäftigung und was Schwarzarbeit ist. Es muss nämlich sichergestellt werden, dass das Gesetz letztendlich auch den Richtigen trifft. So befürchten beispielsweise unabhängige Handwerker und Handwerkerinnen, dass sie wegen unklarer Formulierungen zu Unrecht von dem Gesetz erfasst werden. Dies hätte für sie existenzbedrohende Konsequenzen. Die Unklarheiten bestehen nicht bei den eingetragenen Handwerksbetrieben, sondern bei den Betrieben, die sich laut Gesetz ausnahmsweise nicht in die Handwerksrolle eintragen lassen müssen. Dies ist zum Beispiel bei einfachen handwerklichen Tätigkeiten sowie bei einem unerheblichen Nebenbetrieb der Fall. In dem vorliegenden Gesetzentwurf sollte klar zum Ausdruck kommen, dass es sich bei diesen handwerksähnlichen Betrieben um eine erlaubte Tätigkeit handelt. Auch die Höhe des Bußgeldes sollte dem Umfang des Betriebes angemessen sein. So sollte sich der Bußgeldkatalog für handwerksähnliche Betriebe eher an den Bußgeldern für die übrigen Gewerbebetriebe orientieren. Die zahlreichen offenen Fragen sind zu erörtern. Wir werden die Probleme bei der Anhörung zu diesem Thema aufzeigen. Die Fragen müssen in die weiteren Beratungen einfließen und berücksichtigt werden. Positiv ist - ich begrüße dies ausdrücklich -, dass dieser längst fällige Vorstoß überhaupt vorgenommen wird. Vielleicht ist der vorliegende Gesetzentwurf ein Schritt zu einer Verbesserung. Ich bedanke mich. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war sehr erfreut über den Beitrag des Kollegen Romer, aber sehr entsetzt über den Beitrag des Kollegen Kolb. ({0}) Ich glaube, der Unterschied liegt darin: Wir müssen endlich begreifen, dass wir nicht immer fordern können, es müsse alles billiger werden, und dass wir nicht immer sagen dürfen, Deregulierung werde das schaffen. ({1}) Wir sind insbesondere in der Bauwirtschaft in der Situation einer Kostenkonkurrenz und eines Preisdumpings, die die Illegalität regelrecht ermuntert. An dieser Stelle muss endlich gehandelt werden. Es stimmt - Frau Kramme, Sie haben es vorhin gesagt -: Eigentlich hätte schon unter der letzten Regierung gehandelt werden müssen. Wir sollten das Problem auch sehr ernst nehmen. Ich begrüße es - das wird von der CDU/CSU auch so gesehen -, dass noch einmal geprüft werden soll, ob Bürokratie durch das Gesetz angemessen reduziert worden ist. Ich halte das für eine ernste Frage. Man darf aber nicht so tun, als könnten wir mit weiterer Deregulierung die Probleme lösen, vor denen wir heute stehen. ({2}) Die Probleme durch Schwarzarbeit sind ausführlich angesprochen worden; ich brauche die Zahlen daher nicht noch einmal zu erwähnen. Ich möchte aber deutlich sagen, dass all denen in der Bauwirtschaft, die sehr korrekt arbeiten, die ihr Unternehmen solide führen und eine Wirtschaftskultur in unserem Lande aufrecht erhalten wollen, nicht länger zuzumuten ist, ständig in Konkurrenz mit Geschäftemachern zu stehen, die sie durch illegale Praktiken - im Wesentlichen ist das der Versuch, durch Lohndumping Sozialversicherungsbeiträge und Steuerabgaben zu umgehen - schädigen. Insofern ist das nicht nur ein Problem der Arbeitnehmer und der politisch Verantwortlichen, sondern auch ein Problem der Wirtschaftskultur - speziell der Bauwirtschaft - in unserem Land. Wir wollen die betroffenen Unternehmen schützen und stärken, damit sie nicht geschädigt werden. Ich glaube, das Thema Wirtschaftskultur muss in diesem Lande endlich wieder diskutiert werden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb? ({0})

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich gestatte sie, ich will mal sehen, ob er in dieser Debatte etwas Sinnvolles gelernt hat. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, ich wollte Sie fragen, ob Sie bereit sind, zu den Ausführungen von Herrn Knipper, dem Geschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, Stellung zu nehmen, der gesagt hat, mit der von Ihnen vorgelegten Regelung stehle sich der Staat aus der Verantwortung. Er sagt, dieser Gesetzentwurf sei mittelstandsfeindlich, aber Sie haben gesagt, Sie wollen den Unternehmen helfen. Offensichtlich sehen das diejenigen, denen Sie helfen wollen, nämlich die Unternehmen, anders. Ihr Vorhaben, so Knipper, belaste die Unternehmen zusätzlich und es werde die Liquidität und der Kreditrahmen auch seriöser Nachunternehmen erheblich eingeschränkt. Frau Kollegin, ich frage Sie: Sehen Sie diese Probleme nicht? Sehen Sie nicht, dass Sie mit diesem Gesetzentwurf am Problem vorbei handeln?

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, zunächst einmal müssen Sie bedenken, dass verschiedene Verbände und Unternehmen dies unterschiedlich sehen. Ich habe sehr deutlich gesagt, dass ich insbesondere im Interesse des Mittelstands rede, der sich für einen soliden Wirtschaftsraum engagiert, um mit einer korrekten Finanzierung und Bezahlung von Löhnen und Gehältern und den zugehörigen Sozialabgaben und Steuern seine Wirtschaftskultur zu pflegen. Deswegen habe ich sehr wohl gesagt, dass ich es für richtig halte, in der Beratung sehr genau zu prüfen, inwieweit der bürokratische Aufwand angemessen ist und ob es richtig ist, die Zollverwaltung statt die Arbeitsverwaltung und die Arbeitsämter einzusetzen. Aber wenn einfach gesagt wird: Das kostet uns wieder ein paar Groschen und deswegen ist es schlecht; ({0}) deshalb werden wir das Sub- und Subsubunternehmertum weiterhin pflegen, dann sollte die FDP einmal prüfen, ob sie nicht der Aufforderung zur Illegalität regelrecht Vorschub leistet. ({1}) - Das ist nicht verfassungsfeindlich. Es gibt eben das Dreiecksverhältnis zwischen dem Staat mit seinem Steueraufkommen und solider Finanzierung einerseits, der vernünftigen Entlohnung der Beschäftigten in unserem Lande andererseits und der Konkurrenz zwischen denen, die meinen, ihr Geld durch Schwarzarbeit erwirtschaften zu können, und denen, die ihren Platz im Wirtschaftssystem haben und ihr Geld auf ehrliche Art verdienen. Die Schwarzarbeit müssen wir eindämmen Es müssen korrekte Linien eingezogen werden. Das halte ich für richtig. Insofern halte ich den Gesetzentwurf im Prinzip für unterstützenswert. ({2}) Ich habe es eben bereits deutlich gesagt: Wir müssen prüfen, inwieweit der bürokratische Aufwand noch etwas reduziert werden kann. Hier sind wir durchaus verhandlungs- und gesprächsbereit. Aber die alte FDP-Formel „Mehr Deregulierung bringt preiswertere Angebote und deswegen mehr Arbeit für die Bauwirtschaft“ ist eine Primitivformel, mit der wir die Wirtschaft in unserem Land kaputtmachen und die solide arbeitenden Unternehmen in eine immer stärkere Konkurrenz zu denjenigen bringen, die nicht solide wirtschaften. ({3}) Ich hoffe, dass auch die FDP endlich lernt, dass wir ein Stück Wirtschaftskultur in unserem Lande aufrechterhalten wollen. Deswegen halte ich es für richtig und fordere die Bauwirtschaft - auch den Verband von Herrn Knipper - auf, dieses Gesetz mit zu unterstützen; die mittelständische Bauwirtschaft macht dies bereits sehr aktiv. Dann bekommen wir im Umgang damit wirklich eine Trendwende. Dass wir das Sub- und Subsubunternehmertum einschränken müssen, lernen Sie hoffentlich auch mitzutragen. Ich sage - auch im Hinblick darauf, dass wir nicht nur dieses eine Gesetzeswerk diskutieren, sondern dass es, wie bereits ausgeführt worden ist, mit der Bauabzugssteuer und dem Gesetz zur Tariftreue, das wir noch diskutieren werden, im Zusammenhang steht - noch eines ganz deutlich. Es ist richtig, dass dadurch auch ein Stück weit Kosten entstehen. Aber sie stehen in einer angemessenen Relation zu dem, was die Gesellschaft für Bauleistungen zahlt - das gilt auch für andere -, und dem, was wir wollen, nämlich dass unsere Arbeitnehmer und Beschäftigten für ihre Entlohnung eine solide Sozialversicherung, Altersversorgung und Gesundheitsvorsorge erhalten und der Staat korrekt seine Steuern erhält. Wir haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dieses Dreiecksverhältnis solide gepflegt und dass nicht ständig die Konkurrenz vergrößert wird und wir uns gegenseitig kaputt konkurrieren. ({4}) Insofern tut die Regierung etwas für die neue Wirtschaftskultur. In diesem Sinne hoffe ich, dass auch die Opposition mehr und mehr lernt, dass dies der richtige Weg ist. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Klaus Wiesehügel von der SPD-Fraktion das Wort.

Klaus Wiesehügel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003263, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einmal der Bundesregierung danken, dass sie diesen Gesetzentwurf eingebracht hat. Er ist auf eine Initiative dieses Hauses zurückgegangen und wird den Rahmen dafür setzen, dass wir die illegale Beschäftigung und die Schwarzarbeit wirksam bekämpfen können. ({0}) Bei Schwarzarbeit haben wir es mit einem Phänomen zu tun. Eigentlich sind alle dagegen. Eigentlich will niemand die Schwarzarbeit, ({1}) aber wenn es um die Bekämpfung der Schwarzarbeit geht, zeigt jeder auf den anderen und niemand will wirkliche Einflussnahme und entsprechende Gesetze, die das Ganze beseitigen würden. ({2}) In der vergangenen Legislaturperiode zum Beispiel gab es die so genannte Blüm-Kampagne, in der umfangreich plakatiert wurde, dass es sich nicht um ein Kavaliersdelikt handelt. Die gesamte Kampagne zielte aber im Grunde genommen auf den Feierabendschwarzarbeiter ab. Das ist nicht zu entschuldigen; denn auch das ist Schwarzarbeit. Schlimmer ist aber, dass der Eindruck erweckt wurde, als sei die Schwarzarbeit nach Feierabend das Hauptproblem. Ich sage: Wir müssen die Gewichtung ein wenig verändern. ({3}) Wir müssen die Realität zur Kenntnis nehmen. Der wesentliche Teil von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit ist organisierte und unternehmerische Schwarzarbeit. ({4}) Das sind Tatsachen, die Sie einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Wir haben das zur Kenntnis genommen und deswegen einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht. Herr Laumann, Sie behaupten seit fast drei Jahren immer wieder, unser Gesetz zur Neuregelung der 325-Euro-Jobs sei an der Ausweitung der Schwarzarbeit schuld. Das ist völlig falsch. Sie müssen zur Kenntnis nehmen: Gerade die Schwarzarbeit ist durch dieses Gesetz erheblich eingedämmt worden. ({5}) Wenn Sie sich mit der Materie beschäftigt hätten, dann wüssten Sie, dass die illegale Beschäftigung gerade im Bereich des Gebäudereinigerhandwerks massiv zurückgegangen ist, weil wir einen entsprechenden gesetzlichen Rahmen geschaffen haben. Sie können schreien, so viel Sie wollen: Das sind die Tatsachen. ({6}) Nur noch Sie und eine kleine Gruppe hier im Hause machen uns im Zusammenhang mit den 630-DM-Jobs - heute sind das 325-Euro-Jobs - Vorhaltungen. Außerhalb des Parlaments spricht längst jeder positiv über das Gesetz; denn jeder weiß, dass es aufgrund unseres Gesetzes wieder Ganztags- und Halbtagsarbeitsplätze und keine gestückelten Arbeitsplätze mehr gibt. ({7}) Ich möchte deutlich machen, was ich mit der Veränderung der Gewichtung meinte. Laut einer Meldung vom 14. Februar 2002 wurden bei einer Kontrolle auf der staatlichen Baustelle des BKA in Wiesbaden, also vor der Haustür von Herrn Koch, fünf Maler erwischt, die schwarz arbeiteten. Sie waren von der Regierung Koch eingestellt und auf der Baustelle des BKA beschäftigt worden. Es handelte sich dabei aber mitnichten um fünf Maler, die jeder für sich schwarz arbeiteten. Nein, eine Malerfirma hat diese fünf organisiert und auf der Baustelle des BKA illegal eingesetzt. In 90 Prozent der Fälle findet Schwarzarbeit in organisierter Form statt. Deswegen wollen wir mit dem vorliegenden Gesetz vor allen Dingen die organisierte Schwarzarbeit treffen. Wir müssen - das ist schon gesagt worden - das Übel bei der Wurzel packen. Wir sollten uns aber auch einig sein, was die Wurzel des Übels ist. Ich möchte einen Punkt aufgreifen, der in der jetzigen Debatte - Herr Kolb, Sie müssen mir keine Zwischenfrage stellen; ich weiß ja, was Sie fragen wollen; ich werde auf das, was Sie vorhin dazu gesagt haben, sofort eingehen - auch eine Rolle gespielt hat. Die Generalunternehmer haften dafür, dass die von Ihnen beauftragten Subunternehmer die Sozialabgaben der Arbeitnehmer ordentlich abführen. ({8}) Sie haben gesagt - das stellen Sie immer wieder falsch dar -: Wir können doch das Bauen nicht noch teurer machen. Ich hatte mir schon überlegt, an dieser Stelle eine Zwischenfrage zu stellen. Ich habe es aber dann doch nicht getan, weil ich wusste, dass ich dazu in meiner Rede Stellung nehmen kann. Das werde ich jetzt wie folgt tun: Seit 1993 - das sind fast 10 Jahre; Herr Kolb, es wird Zeit, dass Sie das endlich zur Kenntnis nehmen - sind die Baupreise fast unverändert geblieben, während in der sonstigen produktiven Wirtschaft die Preise um 5 Prozent gestiegen sind. ({9}) Diese Entwicklung fiel nicht in unsere, sondern in Ihre Regierungszeit, also in die Zeit, als Sie in der Regierung tief verstrickt waren. ({10}) Für die Wurzel des Übels, nämlich die Stagnation der Baupreise, sind Sie verantwortlich und nicht wir. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis! ({11}) Nun wird behauptet, die Unternehmen müssten für den Haftungsfall Rücklagen bilden. Sie kennen offenbar nur das Rezept „Weiter so wie bisher“. Damit löst man keine Probleme. Herr Laumann, warum müssen denn die Unternehmen Rücklagen bilden? ({12}) - Was soll das Gerede vom Gewerkschaftsvorsitzenden? Plärren Sie nicht herum! Hören Sie doch lieber zu! Warum müssen die Unternehmen Rücklagen bilden? Warum können die Generalunternehmen nicht einfach das machen, was meine Kollegin Eichstädt-Bohlig vorgeschlagen hat, nämlich auf Subunternehmer zu verzichten? ({13}) In den Niederlanden, dem Deregulierungsmusterländle, auf das Sie immer verweisen, sind Subunternehmerketten verboten. Der Verzicht auf Subunternehmer ist die richtige Antwort; denn dann müssen sich die Generalunternehmen keine Sorgen im Hinblick auf die Haftung machen und müssen keine Rücklagen bilden. ({14}) Viele Vorschläge, die gemacht worden sind, sind in unseren Gesetzentwurf eingeflossen. Sie selber wissen, dass es in der Vergangenheit - das war einer der wesentlichen Punkte - erhebliche Defizite in der Zusammenarbeit der Behörden gab. Wir haben die Behörden in der Tat nicht ausreichend verpflichtet, sich gegenseitig Daten zur Verfügung zu stellen. Dies fasst dieses Gesetz an. Die Erkenntnis, dass es erforderlich ist, die Daten entsprechend auszutauschen, ist in dieses Gesetz eingeflossen. Ich hoffe, dass die für die Bekämpfung von Illegalität und Schwarzarbeit zuständigen Behörden künftig besser zusammenarbeiten und dass wir mit dem effektiveren Weitermelden von Daten in der Lage sind, Schwarzarbeit wirklich zu bekämpfen und nicht nur darüber zu reden. Dieses Gesetz soll dem Anspruch seiner Überschrift gerecht werden. Bei Ihren Gesetzen war das nicht der Fall. Meine Damen und Herren, wir unterscheiden uns nicht nur in der Beschreibung von Illegalität und Schwarzarbeit, sondern auch ganz erheblich in der Nennung der Ursachen. Sie haben hier heute Morgen wieder eindrucksvoll vorgetragen, welche Ursachen für Schwarzarbeit Sie kennen: zu hohe Steuern, zu hohe Lohnnebenkosten. Sie meinen, bei deren Senkung würde Schwarzarbeit von ganz alleine verschwinden. ({15}) Nehmen Sie bitte folgende Tatsache zur Kenntnis: Seit 1998 - hören Sie einmal zu, Herr Kolb! - haben sich in einem mittelständischen Betrieb mit einer Bruttolohnsumme von ungefähr 250 000 Euro - das sind ungefähr acht Beschäftigte - die Aufwendungen für die Arbeitgeberbeiträge zur Rentenversicherung um 1 534 Euro reduziert. Wir haben tatsächlich die Aufwendungen für Sozialversicherungsbeiträge reduziert. ({16}) Gleichzeitig sagen Sie, die Schwarzarbeit nehme zu, weil wir sie erhöht hätten. Irgendetwas stimmt mit Ihrer Argumentation nicht. Sie müssen einfach einmal zur Kenntnis nehmen: Ihre Argumentation ist schlichtweg falsch. ({17}) Ich will Ihnen sagen, warum die Schwarzarbeit zunimmt. Schwarzarbeit hat im Wesentlichen etwas mit Moral zu tun. ({18}) Schwarzarbeit hat ganz erheblich mit mangelndem Unrechtsbewusstsein zu tun. ({19}) Der Weg von Schwarzgeld zu Schwarzarbeit ist bei schwindendem Unrechtsbewusstsein leider sehr kurz geworden. Auch da liegen die Ursachen. ({20}) Die Moral einiger Politiker in diesem Land ist durch Gesetze nicht zu verändern. Das wissen wir. Deswegen brauchen wir Kontrollen und auch Sanktionen. Die Mitverantwortlichen dafür, dass die Moral in diesem Land eben nicht erneuert, sondern total fehlgesteuert wurde und den Bach heruntergegangen ist, sollten sich dieser Verantwortung bewusst sein, an diesem Gesetz konstruktiv mitarbeiten und nicht ständig von Deregulierung reden. Ich hoffe, dass Sie darüber einmal ein bisschen nachdenken. ({21})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aus- sprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- wurfs auf den Drucksachen 14/8221 und 14/8288 an die an der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse und zu- sätzlich an den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen vorgeschlagen. Sind Sie damit einver- standen? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 12 auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Klaus Riegert, Ilse Aigner, Marie-Luise Dött, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung ehrenamtlicher Tätigkeiten in Vereinen und Organisationen - Drucksache 14/5224 ({0}) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1}) - Drucksache 14/6218 - Berichterstattung: Abgeordnete Bernd Scheelen b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Peter Letzgus, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Gemeinnützige Vereine von hohen Energiekosten entlasten - Drucksachen 14/4386, 14/5196 Berichterstattung: Abgeordneter Norbert Barthle Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Michael Bürsch, SPD-Fraktion.

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor zwei Jahren hat der Bundestag eine Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ ins Leben gerufen. Das Thema heute hat mit dem weitreichenden Thema der EnqueteKlaus Wiesehügel Kommission zu tun. Deshalb freue ich mich über die Möglichkeit, in der heutigen Debatte ein paar grundsätzliche Worte zu sagen. Ich möchte fünf Anmerkungen machen. Erstens. Vereine und andere Organisationen sind maßgebliche Träger der Bürgergesellschaft und des bürgerschaftlichen Engagements. Dies gilt quantitativ: Laut Freiwilligensurvey von 1999 gibt es in Deutschland rund 22 Millionen Engagierte, die Hälfte davon in Vereinen und Verbänden. Qualitativ betrachtet bilden Vereine und andere Organisationen sozusagen den Kernbereich der Bürgergesellschaft. Sie ermöglichen gesellschaftliche Selbstorganisation, geben dem dritten Sektor Gewicht gegenüber Staat und Wirtschaft, sie geben dem Engagement Halt und Dauer und sie vermitteln und stärken soziale und bürgerschaftliche Kompetenzen wie Verantwortungsübernahme, Konfliktfähigkeit und Gemeinwohlorientierung. Letztlich tragen sie dadurch zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei. Zweitens. Bürgerschaftliches Engagement ist nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtet. Wer sich bürgerschaftlich engagiert, übernimmt gemeinnützig Verantwortung für andere als Bürgerin oder Bürger. Diese freiwillige Selbstverpflichtung schließt sicher ein Eigeninteresse nicht aus, wohl aber das Motiv der materiellen Gewinnerzielung. Steht Verdienst oder auch geringfügige Beschäftigung im Mittelpunkt, kann nicht mehr von bürgerschaftlichem Engagement die Rede sein. Aus der Perspektive der Vereine heißt das: Ein zu großzügiger Umgang mit materiellen Vergütungen oder Aufwandsentschädigungen, die über den tatsächlich entstandenen Aufwand hinausgehen, untergraben die Freiwilligkeit bürgerschaftlichen Engagements und setzen unter Umständen eine Anspruchsspirale in Gang, die es immer schwerer macht, überhaupt noch Menschen für eine unentgeltliche Mitarbeit zu gewinnen. Daraus folgt: Eine Ausdehnung steuerfreier Vergütungen für bürgerschaftliches Engagement widerspricht letzten Endes dem Spezifikum bürgerschaftlichen Engagements, nämlich der Unentgeltlichkeit. Drittens. Die Vereine sind herausgefordert, sich in Organisation und Alltagspraxis auf gewandelte Motive und Erwartungen bürgerschaftlichen Engagements einzustellen. Ein genereller Rückgang der Bereitschaft, Verantwortung in Vereinen und anderen Organisationen zu übernehmen, lässt sich nach den uns vorliegenden Erkenntnissen nicht feststellen. Allerdings verändern sich die Motive und Erwartungen der Engagierten: Eigeninteresse und Gemeinwohlorientierung gehen eine neue Verbindung ein; diese Verknüpfung zum Ausgangspunkt für veränderte Formen bürgerschaftlichen Engagements zu machen scheint wichtig. Viele Engagierte wollen auch keine langfristigen Bindungen mehr übernehmen; insofern wachsen die Anforderungen an ihre Betreuung, an ihre Fortbildung und auch an die Mitgestaltungsmöglichkeiten, die man ihnen einräumen muss. In diesen veränderten Motiven der Engagierten liegt auch eine Hauptursache für Nachwuchsprobleme in manchen Bereichen des Ehrenamts, zum Beispiel im Sport. Das bedeutet: Für Vereine liegt eine entscheidende Aufgabe darin, institutionelle Passungen - wie die Fachleute sagen - zu entwickeln; das heißt, die veränderten Motive und Erwartungen der Engagierten und die Anforderungen der Organisationen wie Verlässlichkeit und Kompetenz besser als bisher einander anzupassen. Viertens. Die Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements wird nicht vorrangig durch materielle Anreize gesichert, sondern durch die Entwicklung einer umfassenden Anerkennungskultur - in Vereinen und Verbänden ebenso wie in Wirtschaft und Verwaltung. ({0}) Anerkennung kann sich in vielerlei Hinsicht zeigen: Durch Ehrungen und symbolische Aufmerksamkeiten, aber noch mehr durch vielfältige Formen von Wertschätzung und Würdigung kann deutlich gemacht werden, dass dieses Engagement gewünscht, gewollt und möglich ist. ({1}) Auch Weiterbildung ist eine Form der Anerkennung: Menschen, die sich engagieren, erwerben durch ihr Engagement vielfältige Kompetenzen. Qualifizierung im Engagement und für Engagement gewinnt insoweit zunehmende Bedeutung. Fünftens. Der Bundesgesetzgeber kann Vereine und andere Organisationen durch die Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen stärken: Erstes und wichtigstes Ziel dabei scheint mir der Schutz der Engagierten vor unkalkulierbaren Risiken, Schäden und Haftungen zu sein. Die Enquete-Kommission befindet sich zurzeit in Gesprächen mit Verbänden und der Versicherungswirtschaft und wird dem Parlament zu diesem Thema im Abschlussbericht konkrete Handlungsempfehlungen unterbreiten. Freiwilligkeit und Selbstorganisation sind aus unserer Sicht zentrale Kennzeichen bürgerschaftlichen Engagements in Vereinen und anderen Organisationen der Bürgergesellschaft. Insofern sind die Organisationen selbst die ersten Akteure und auch die ersten Ansprechpartner, wenn es um die Entwicklung nachhaltig fördernder Strukturen für bürgerschaftliches Engagement geht. Der Staat wirkt hierbei vor allem ermöglichend, ermunternd und ermutigend. Während materielle Vergünstigungen einseitige und unter Umständen sogar falsche Anreize setzen, trägt die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements und die Stärkung des Schutzes von bürgerschaftlich Engagierten zur Verbesserung der institutionellen Rahmenbedingungen des Engagements bei. Bei der heutigen Debatte sind wir uns in einem Punkt sicherlich einig - da schließe ich mich gerne einem Satz aus dem Entschließungsantrag der CDU/CSU an -: Vereine müssen gestärkt werden, damit Bürgerinnen und Bürger ermutigt werden, sich für den Verein und ihre Mitmenschen zu engagieren. ({2}) Wo Sie Recht haben, Herr Barthle, haben Sie Recht. Die Enquete-Kommission wird mit ihren Empfehlungen deutliche Zeichen für ein vereinsfreundliches Klima in Deutschland setzen - und das ist gut so. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Norbert Barthle, CDU/CSU-Fraktion.

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Bürsch, Sie haben über die Inhalte der Enquete-Kommission sehr schön berichtet. Aber ich erlaube mir - bei aller Wertschätzung - die Anmerkung, dass man in der Schule sagen würde: Thema verfehlt. Wir diskutieren heute nämlich über einen Gesetzentwurf aus dem Jahr 2001 und einen Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aus dem Jahr 2000. Zwischenzeitlich ist mehr als ein Jahr vergangen, bis wir in zweiter und dritter Lesung über diesen Gesetzentwurf endlich debattieren. So „eilig“ hatte es also diese Bundesregierung, sich mit unseren Vorschlägen zur tatsächlichen Stärkung ehrenamtlicher Tätigkeiten in Vereinen und Organisationen auseinander zu setzen. ({0}) Warum so viel Zeit vergangen ist, erklärt sich schnell, wenn man auf die Inhalte schaut. Da geht es nämlich tatsächlich um konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen. ({1}) Wenn es darum geht, schöne Veranstaltungen zu organisieren - gerade ist das Jahr des Ehrenamts abgelaufen -, wenn es darum geht, rhetorisch wohlklingende Reden auszuformulieren, wenn es darum geht, schöne Prospekte und Werbematerialien zu erstellen, dann ist diese Regierung fleißig. Wenn es aber um konkretes Handeln geht, dann wird die Luft dünn. ({2}) - Ich weiß schon, warum Sie nach den Fakten rufen. Sie haben die Übungsleiterpauschale auf 3 600 DM erhöht und den Berechtigtenkreis erweitert. ({3}) Sie haben die Lohnsteuerrichtlinie für die Feuerwehrleute verändert und Sie haben - der Kollege hat darauf ausführlich hingewiesen - eine Enquete-Kommission zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements eingesetzt. Das will ich gar nicht kritisieren. Im Gegenteil: Da wird sogar gute Arbeit geleistet. ({4}) Aber das allein genügt eben nicht. Es reicht nicht aus, eine Enquete-Kommission einzusetzen, die ihre Vorschläge zum Ende der Legislaturperiode vorlegt und die daraus zu ziehenden Konsequenzen der nächsten Regierung überlässt. ({5}) - So machen wir es dann. - Dieses Vorgehen genügt auch deshalb nicht, weil Sie die Vereine in den dreieinhalb Jahren Ihrer Regierungszeit nicht entlastet, sondern belastet haben, und zwar durch Ihre unseligen Gesetze zu den 630-DM- bzw. 325-Euro-Jobs, durch die Regelung zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit und durch die von Ihnen eingeführte Ökosteuer. Damit haben Sie die Vereine wirtschaftlich geschwächt. ({6}) Vor allem haben Sie zusätzliche Bürokratie geschaffen und damit viele Menschen entmutigt, sich zu engagieren. ({7}) Man muss so weit gehen und sagen: Diese Gesetze haben in der Vereinslandschaft wie eine Bombe eingeschlagen und die Kollateralschäden sind bis heute nicht beseitigt. ({8}) Die von Ihnen eingeführte ungerechte und unsoziale Ökosteuer stellt für unsere gemeinnützigen Vereine eine erhebliche Belastung dar. Ehrenamtlich Tätige, Eltern und Betreuer, die zum Beispiel Kinder zu Veranstaltungen fahren, werden durch diese Ökosteuer belastet. Sie verteuern die Benutzung von Schwimmbädern, Vereinsheimen, Hallen, Übungsstätten von Musikvereinen. Sie langen überall dort zu, wo Energie verbraucht wird, und zwar ohne jeden Ausgleich. Eine Ermäßigung erhalten nur diejenigen Unternehmen, die möglichst viel Energie verbrauchen, während Sie die Vereine hängen lassen. Eine Umfrage unter den großen Sportvereinen hat gezeigt, dass sie allein durch die Ökosteuer im Jahr durchschnittlich mit 8 740 DM zusätzlich belastet werden. Die größeren Vereine, die selbst Anlagen betreiben, werden direkt belastet. Ein Verein wie der TSC Eintracht Dortmund hat im vergangenen Jahr allein 28 000 DM Stromsteuer - nicht Stromkosten - gezahlt. Da schlägt Ihre Steuererhöhung ordentlich zu Buche. Die kleineren Vereine, die keine eigenen Anlagen betreiben, sehen sich vor die Situation gestellt, dass die Träger die Nutzungsentgelte anheben, häufig unter Verweis auf die gestiegenen Energiekosten. Während Sie für Pendler, für Wohngeldbezieher und auch für die Landwirtschaft einen entsprechenden Ausgleich für die Belastungen durch die Ökosteuer geschaffen haben, lassen Sie unsere Vereine im Regen stehen. Diese Ungleichbehandlung, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, müssen Sie den Menschen draußen erklären, und zwar am besten, Herr Kollege Bürsch, bevor wir von einer neuen Kultur der Freiwilligkeit reden. ({9}) - Ich komme darauf zurück. - Lassen Sie mich noch einmal auf § 3 Nr. 26 des Einkommensteuergesetzes eingehen, die so genannte Übungsleiterpauschale. Wenn wir uns recht erinnern, konnte die Übungsleiterpauschale in der SPD-Fraktion nur gegen den Widerstand des Finanzministers durchgesetzt werden. Der Finanzminister ist übrigens derselbe Herr Eichel, der noch 1998 als Ministerpräsident in Hessen die Erhöhung gefordert hatte. ({10}) - Das können Sie nachlesen. - Dies geschah auch nur, um die durch die Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse entstandene bürokratische Belastung einigermaßen auszugleichen. Das war die Begründung. Tatsache ist aber - so können wir im Freiwilligensurvey von 1999 nachlesen -, dass gerade einmal ein Drittel der im Bereich des Sports Engagierten überhaupt eine Kostenerstattung und lediglich 7 Prozent eine pauschalierte Aufwandsentschädigung erhalten. ({11}) Mit der Erhöhung der Übungsleiterpauschale entlasten Sie also nur jene ehrenamtlich Tätigen, die in den Genuss dieser Regelung kommen. Das bürgerschaftliche Engagement in unseren Vereinen und Organisationen wird aber ganz wesentlich von einem viel weiteren Personenkreis getragen, und das sind eben nicht nur die durch § 3 Nr. 26 des Einkommensteuergesetzes Begünstigten. ({12}) Das sind vor allem auch die Funktionsträger, das sind die Vorstandsmitglieder, die Jugendleiter, die Schatzmeister, die Schriftführer, aber auch zum Beispiel Platzwarte, Zeugwarte oder sonstige Helfer. ({13}) Deshalb fordern wir, die CDU/CSU-Fraktion, Sie auf, die Regelungen zu den steuerfreien Einnahmen nach § 3 Nr. 26 des Einkommensteuergesetzes so zu gestalten, dass zumindest die ehrenamtlich tätigen Vorstandsmitglieder und Funktionsträger erfasst werden. Darüber hinaus sollten nach unserer Meinung die ehrenamtlich tätigen Helfer und Mitarbeiter durch eine allgemeine steuer- und sozialversicherungsfreie Ehrenamtspauschale von 600 Euro pro Jahr entlastet werden. ({14}) Wir haben diese und weiter gehende klare Vorschläge vorgelegt; ich will jetzt nicht im Einzelnen darauf eingehen. Meine Damen und Herren, wir alle freuen uns in diesen Tagen über die hervorragenden Erfolge unserer Sportler, vor allem unserer Sportlerinnen, in Salt Lake City, denen ich auch von dieser Stelle aus nochmals ganz herzlich gratuliere. ({15}) Aber eines muss man sagen: Von nichts kommt nichts, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({16}) Wenn wir auch in Zukunft konkurrenzfähig bleiben wollen, müssen wir heute die Grundlagen für künftige Erfolge schaffen. ({17}) Dazu gehört zu allererst eine Neuregelung der 325-EuroJobs und eine Änderung der Regelung zur Scheinselbstständigkeit. Damit würden Sie bürokratische Entlastungen für unsere Vereine schaffen. Bis zum heutigen Tag ist übrigens auch die Frage der Sozialversicherungspflicht im Zusammenhang mit der Übungsleiterpauschale völlig unklar. ({18}) Tatsache ist nämlich, dass auch nach dem Gespräch der Bundesregierung mit den Sozialversicherungsträgern und nach entsprechenden Schreiben, die über die Spitzenverbände ins Land hinausgingen, wonach ein Betrag von 940 DM monatlich für Übungsleiter sozialabgabenfrei sein sollte, sofern diese bis maximal 15 Stunden wöchentlich tätig sind, im Lande größte Unklarheit herrscht. Die Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg hat mit dem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger Kontakt aufgenommen und von dort die Antwort erhalten, dieser Vereinbarung werde nicht zugestimmt und in der Sozialversicherung gelte weder eine Entgeltgrenze - mit Ausnahme der 3 600 DM pro Jahr - noch eine Stundengrenze. Nach dieser Antwort, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, weiß draußen im Lande nun wirklich niemand mehr, wie eigentlich zu verfahren ist. Wenn man sich das Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung anschaut, wundert man sich darüber auch nicht. Darin steht klipp und klar, dass in jedem konkreten Einzelfall die vorliegenden Umstände einzeln geprüft und gewürdigt werden müssen. ({19}) - Dazu brauchen wir vor allem wieder viel Bürokratie. Lassen Sie mich noch kurz auf die Neuregelung für die Feuerwehrleute eingehen. ({20}) Unser bzw. Ihr Bundeskanzler Gerhard Schröder hat beim Feuerwehrtag versprochen, die Gleichstellung mit den kommunalen Mandatsträgern herzustellen. Auch dieses Versprechen wurde nur zum Teil eingelöst. Während für die kommunalen Mandatsträger ein gestaffelter Betrag nach der Anzahl der Einwohner der Kommune gilt, erhalten die Feuerwehrleute nun pauschal 300 DM pro Monat steuerfrei. ({21}) Wenn ein Feuerwehrmann in einem Monat zufällig viele Einsätze hat - weil vielleicht der Feuerteufel umgeht und er eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 301 DM erhält, wird er für den gesamten Betrag steuer- und abgabepflichtig. ({22}) Es wäre also viel klüger gewesen, statt einer Monatspauschale eine Jahrespauschale einzuführen. Damit wäre den Feuerwehren wirklich geholfen gewesen. Auch hier gilt der Satz: Hätten Sie uns vorher gefragt, hätten wir Ihnen gesagt, wie man besser regiert. Man kann es nämlich besser machen. ({23}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns in der Einschätzung der Aufgaben, die unsere Vereine in unserer Gesellschaft wahrnehmen, einig. Wir wissen, dass die Vereine Ausdruck einer lebendigen, leistungsfähigen und solidarischen Bürgergesellschaft sind. Mit ihrer sozialen Integrationskraft schaffen sie eine ganz wesentliche Klammer über alle Bevölkerungsschichten und -kreise hinweg. Wir wissen, dass Dank und Anerkennung in diesem Bereich eigentlich Selbstverständlichkeiten sind. Anerkennung heißt aus unserer Sicht aber vor allem, dass entbürokratisiert wird, dass für den Aufwand eine pauschale Entschädigung gezahlt wird und dass es zu Erleichterungen bei Haftungsfragen kommt. ({24}) Ich hoffe, dass Sie an dieser Stelle noch zu entsprechenden Lösungen finden. Wir haben mit unseren Gesetzesanträgen Vorschläge gemacht. Deshalb fordere ich Sie auf: Stärken Sie unsere Vereine, geben Sie unseren Bürgerinnen und Bürgern wieder mehr Mut, sich im Verein für ihre Mitmenschen zu engagieren, setzen Sie ein Zeichen für ein vereinsfreundliches Klima und handeln Sie vor allem einmal konkret. ({25}) Reden Sie nicht nur darüber, sondern folgen Sie unseren Vorschlägen und stimmen Sie unseren Anträgen zu. Dann wird es für unsere Vereine in diesem Lande besser. Vielen herzlichen Dank. ({26})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes habe ich verstanden, dass die Erfolge von Salt Lake City offenbar noch nicht ausreichen. ({0}) Von nichts kommt nichts. Ich hatte es vorhin fast so verstanden, dass wir in Richtung DDR-Strategie gehen sollten; ({1}) denn nur, wenn Deutschland 100 Prozent der Medaillen gewinne, sei es international verträglich. Ich gönne auch anderen Ländern ein paar Medaillen und finde, dass wir in Salt Lake City sehr gut abgeschnitten haben. ({2}) Als Zweites habe ich verstanden, dass die CDU/CSU wieder einmal die Spendierhosen anhat. Ich habe eben darüber nachgedacht, wie der blaue Brief bzw. die rote Karte aus Brüssel ausgesehen hätte, wenn wirklich all das, was Sie uns von diesem Podium aus vorgeschlagen haben, gemacht worden wäre. Ständig reden Sie von vorgezogenen Steuersenkungen. Gleichzeitig haben Sie eine spendable Art, mit Staatsausgaben umzugehen. ({3}) Ich kann nur sagen: Herzlichen Glückwunsch, das gäbe nur noch rote Karten, sodass man ganz vom Feld gehen könnte. Das alles sollten Sie sich für die Zukunft wirklich überlegen. Ich glaube, wir leben in einer Zeit, in der auch Oppositionsparteien anfangen müssen, sich zu fragen, ob sie das, was sie der Bevölkerung versprechen, auch wirklich halten können. ({4}) Ich denke, das gehört sich für eine seriöse Politik, und zwar nicht nur für die Regierungskoalition, sondern auch für die Opposition. Weil Sie das einfach nicht können, werden Sie in der Opposition bleiben. ({5}) Zum Praktischen: Als Erstes möchte ich als Grüne natürlich etwas zu Ihrer Dauerschallplatte Ökosteuer sagen, weil dieses Thema immer wieder angesprochen wird. ({6}) Wir bekommen in jeder Sitzung auf den Tisch, dass unsere Gesellschaft an der Ökosteuer zusammenbricht. Das ist offenbar auch in Salt Lake City der Fall. Sie behaupten tatsächlich, dass die Ökosteuer zu so sensationellen Energiekosten geführt hat, dass ganze Vereine nicht mehr arbeiten können und praktisch kurz vor dem Zusammenbruch stehen. Bei Ihrem Antrag hatte ich ein wenig das Gefühl, dass Sie sich hauptsächlich über Vereine zum Üben von Formel-1-Rennen Sorgen machen. ({7}) Ich verstehe ehrlich gesagt nicht ganz, welche Zielsetzung Sie hier haben. Die Regierung hat an sehr vielen Stellen, besonders im Bereich der Energiepreise, deutliche Anreize für einen sparsamen Umgang geschaffen. Die Praxis zeigt, dass gerade Vereine - jedenfalls die Vereine, die ich kenne - sehr bewusst und verantwortungsvoll mit Energie umgehen, weil sie die Zeichen der Zeit verstanden und Umweltengagement in ihre Vereinsziele mit einbezogen haben. Von daher habe ich das Gefühl, dass Sie mit den falschen Vereinen Kontakt haben bzw. mit denen, die die künftigen Generationen nicht im Blick haben und den Klimaschutz nicht ernst nehmen wollen. Ich kenne Vereine, bei denen das anders ist, und finde es gut, dass es viele Vereine gibt, die unsere Ziele positiv unterstützen. ({8}) - Doch, doch, da machen Sie sich mal keine Sorgen. Es gibt viele umweltengagierte Vereine. Ich möchte in diesem Zusammenhang einmal eines der CDU-geführten Länder loben. Es gibt in einigen Bundesländern staatlich geförderte Ökochecks, beispielsweise für Sportvereine. Das Umweltministerium von BadenWürttemberg engagiert sich in diesem Bereich sehr stark. ({9}) Es hat Anlagen von 50 Sportvereinen auf ihre Umweltverträglichkeit hin untersucht, Schwachstellen in der Energieversorgung aufgezeigt und den Vereinen geholfen, Konzepte zu entwickeln, die dann auch gefördert werden, um die Umstellung von starkem Energieverbrauch auf Energieeffizienz voranzutreiben. Auch der Landessportbund Hessen fordert eine bessere Vernetzung der Vereine untereinander, damit das Know-how des Energiesparens im Vereinsleben weitergegeben werden kann. Es gibt also in unserer Gesellschaft praktische Schritte zu einem energieeffizienten Umgang, ohne dass es immer gleich um mehr Geld geht. Das Energiesparen selbst spart irgendwann auch Geld. ({10}) Als Zweites möchte ich etwas zu der Forderung nach Steuererleichterungen in Ihrem Gesetzentwurf sagen. Immerhin haben Sie zur Kenntnis genommen, dass wir die Übungsleiterpauschale von 3 600 DM - das war ja noch zur Zeit der D-Mark - auf 4 800 DM angehoben haben. ({11}) - Entschuldigung, jetzt war ich in der falschen Zeile. Sie fordern die weitere Anhebung, wir haben die Pauschale überhaupt erst auf 3 600 DM angehoben. Das war eine Steigerung um 50 Prozent. ({12}) Außerdem haben wir durch das neue Stiftungsrecht die Möglichkeit von Spenden für Vereine verbessert, sodass jetzt sehr viel mehr gespendet werden kann. Wir haben das Steuerrecht und das Stiftungsrecht insgesamt verbessert. Auch dadurch wird die Gesellschaft in ihrem bürgerschaftlichen Engagement sehr unterstützt. Wir haben in der Enquete-Kommission begonnen, zu prüfen, wie bürgerschaftliches Engagement weiter gestärkt und die Gesellschaft in Zukunft aktiv an gesellschaftlichen Aufgaben beteiligt werden kann. ({13}) - Eine Enquete-Kommission macht ihre Arbeit, erstellt einen Schlussbericht, gibt Empfehlungen und dann ziehen wir politische Schlussfolgerungen. Ich glaube, Sie sollten einmal prüfen, ob und wie stark Sie dann noch da sind und ob Sie die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. ({14}) Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass Sie die Modernisierung des bürgerschaftlichen Engagements nicht aktiv mittragen wollen. Ich finde es gut und richtig, wenn wir Sportvereine, Kleingärtner- und Feuerwehrvereine haben. Aber es kann nicht das einzige Ziel sein, vorhandenen Vereinen mehr Geld zu geben und mehr Steuererleichterungen zu verschaffen. Von daher ist der Ansatz, den wir jetzt haben, sehr richtig und wichtig: Erst einmal diskutieren wir darüber, wie wir das bürgerschaftliche Engagement in der Gesellschaft, auch bei den jüngeren Generationen, ausweiten können, und dann diskutieren wir darüber, wann und wie wir es fördern wollen. ({15}) - Wir diskutieren nicht nur, sondern wir handeln auch. Das habe ich Ihnen eben am Beispiel des Stiftungswesens, der Übungsleiterpauschale und auch unseres Umgangs mit dem Steuerrecht dargelegt. ({16}) Als Letztes will ich in Ihre Richtung Folgendes sagen: Wir haben ausgerechnet, dass die Umsetzung der Forderungen in Ihrem Gesetzentwurf und in Ihrem Antrag 13 Milliarden Euro kosten würde. Ich muss Sie deshalb ernsthaft fragen, ob Sie wirklich meinen, dass man mit solchen falschen Versprechungen an die Öffentlichkeit treten sollte. Meiner Meinung nach sollte man entsprechende Maßnahmen sehr viel differenzierter und sozusagen kleinteiliger prüfen. ({17}) Wir sind uns alle einig, dass wir das bürgerschaftliche Engagement stärken müssen. Wir dürfen aber nicht die falsche Versprechung machen, wir könnten alles geben, ohne dass die Bürger ihrerseits etwas einbringen. Die Vereinskultur in unserem Lande ist sehr viel weiter, als Sie es suggerieren, weil sich eben sehr viele Bürger in einem sehr hohen Maße engagieren und damit dieser Gesellschaft ein Stück Bürgerkultur geben und auch in Zukunft geben wollen. Wir werden differenziert vorgehen und nicht einfach versuchen, nur mit Geld diese Dinge anzupacken. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode in diesem Bereich Zeichen setzen, um ihn zu stärken. ({18}) Dies wird aber nicht nach dem Formel-1-Prinzip geschehen, wie Sie sich das wünschen. ({19})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Gerhard Schüßler, FDP-Fraktion, das Wort.

Gerhard Schüßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003232, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erstens, Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig: Ich habe selten einen Beitrag von Ihnen gehört, der so wenig Sachkenntnis zeigte wie der, den Sie hier über die aktuelle Situation von Vereinen vorgetragen haben. ({0}) Zweite Bemerkung. Sie beziehen sich auf die Arbeit in der Enquete-Kommission. Ich kann dazu nur feststellen, dass die Vertreter der Grünen in der Enquete-Kommission in aller Regel durch Abwesenheit glänzen. ({1}) Vor circa vier Wochen hat der Bundestag über die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion bezüglich der Situation der Vereine in Deutschland debattiert. Sowohl diese Anfrage als auch der vorliegende Antrag und Gesetzentwurf haben den gleichen Geist. Im Verlaufe des Jahres 2000 hat sich mehr als deutlich gezeigt, dass die vielen Gesetzesänderungen der rot-grünen Regierungsmehrheit den Vereinen große Lasten aufgebürdet haben. ({2}) Wer das bestreitet, Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, hat von der Vereinsarbeit keine Ahnung. ({3}) Bis heute hat sich die Situation nicht geändert. Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Die Bundesregierung hat gerade mit dem 325-Euro-Gesetz den Vereinen massiv geschadet. ({4}) Auf die Vereine ist ein riesiger Verwaltungsaufwand zugekommen, da statt der pauschalen Versteuerung nun verschiedene Renten- und Krankenversicherungsbeiträge auszurechnen und an unterschiedliche Kassen abzuführen sind. Mit Aufwandsentschädigungen unter 325 Euro wurde in der Vergangenheit häufig das äußerst zeit- und kostenintensive ehrenamtliche Engagement einiger Mitglieder abgemildert, auf das ein Verein nicht verzichten kann. Vereine können nun einmal keine Lohnbüros unterhalten. Am Rande bemerkt: Das Schöne für die Bundesregierung war ja, dass die ehemalig geringfügig Beschäftigten mit einem Schlag sozialversicherungspflichtig Beschäftigte waren und damit voll in der Statistik gezählt worden sind. ({5}) Das ist ein phänomenales Ergebnis: Der Ehrenamtler im Verein mit seiner Aufwandsentschädigung wird plötzlich zum Aktivposten in Schröders Arbeitsmarktstatistik. ({6}) - Nein, Frau Kollegin, das ist ein primitiver Versuch, die Menschen zu täuschen. Die CDU/CSU-Fraktion hat Recht - wir teilen diese Meinung -, wenn sie die gestiegene wirtschaftliche Belastung der Vereine, hervorgerufen vor allem durch die Ökosteuer, beklagt. ({7}) Da können Sie so viel reden, wie Sie wollen: Diesem Vorwurf können Sie sich nicht entziehen. ({8}) Gerade die Vereine, die eigene Anlagen und Schwimmbäder unterhalten, was ja in einem hohen Maße den Staat entlastet, sind in besonderer Weise belastet. ({9}) Lassen Sie sich die Zahlen einmal geben! Dann werden Sie erkennen, dass Sie nicht so wie bisher reden können. Aber auch die mittleren und kleinen Vereine sind indirekt dadurch betroffen, dass die Kommunen ihre gestiegenen Kosten durch Gebührenerhöhungen auf die Vereine umlegen. ({10}) Wie ist nun dagegen vorzugehen? Die Vorschläge der CDU/CSU-Fraktion zielen darauf, die wirtschaftlichen und administrativen Belastungen der Vereine durch rotgrüne Gesetzeswerke punktuell zu kompensieren. Dies ist nur verständlich; wir haben dafür große Sympathien gezeigt. Doch damit lassen sich nur kleine Etappensiege herbeiführen, die das Steuerchaos letztlich weiter vergrößern. Wenn der Übungsleiterfreibetrag gemäß § 3 Nr. 26 Einkommensteuergesetz beispielsweise auf nebenberufliche pädagogische, künstlerische, pflegende und organschaftliche Tätigkeiten ausgedehnt werden soll, dann birgt das - das ist voraussehbar - viele neue Schwierigkeiten. Zum einen ist fraglich, ob damit erfasste Nebenberufe notwendigerweise etwas mit einem Ehrenamt zu tun haben. Zum anderen lässt die Weite der Ausdehnung befürchten, dass es zu missbräuchlichen Gestaltungen kommt. Als Teil einer unendlichen Geschichte würde der Gesetzgeber zur Beschränkung wieder Regeln in § 3 Nr. 26 Einkommensteuergesetz hineinarbeiten müssen. In Zukunft würde wieder - wie jetzt in der Enquete-Kommission „Bürgerschaftliches Engagement“ - die Klage über viel zu komplizierte gesetzliche Rahmenbedingungen geführt. ({11}) Die FDP-Bundestagsfraktion fordert daher für den gesamten gemeinnützigen Sektor eine grundlegende Reform des Steuerrechts. Neben den wichtigen allgemeinen Maßgaben der Vereinfachung und Tarifsenkung muss im Steuerrecht für den gemeinnützigen Sektor unter anderem Folgendes gelten: Erstens. Das Gemeinnützigkeitsrecht wird vom Grundsatz her neu konzipiert; denn das jetzige spiegelt noch den Obrigkeitsstaat des 19. Jahrhunderts wider und entspricht nicht den Erfordernissen einer offenen, pluralistischen Bürgergesellschaft des 21. Jahrhunderts. Zweitens. Die jetzt bestehenden punktuellen Privilegierungstatbestände werden zugunsten genereller Regelungen abgeschafft, da sie ungerecht sind und historisch auf die Stärke einzelner Lobbygruppen zurückzuführen sind. Drittens. Die Bürger werden so weit entlastet, dass sie mehr Freiraum für bürgerschaftliches Engagement haben. Die leicht anwendbare Gewährung von Frei- oder Pauschbeträgen ersetzt den Wust an Detailregelungen. Für die FDP ist klar, dass der Staat seiner Verpflichtung hinsichtlich vernünftiger Rahmenbedingungen für ehrenamtliches Engagement nachzukommen hat. Doch statt des jahrzehntelangen Gezerres um einzelne Privilegien, dessen Gefechte wir auch heute in der Enquete-Kommission partiell erleben, sollte sich der Gesetzgeber wieder auf die Grundideen des ehrenamtlichen Engagements besinnen, das auch nur den geringsten Ansatz von Kommerzialisierung verbietet. ({12}) Für mich persönlich war der letzte Sommer entscheidend. Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich nach all den Anhörungen in der Enquete-Kommission, woran fast ausschließlich Verbandsvertreter beteiligt waren, die Abwechslung gegönnt, Jugendliche aus dem ganzen Bundesgebiet, die persönlich ehrenamtliche Arbeit leisten und Beachtliches getan haben, einzuladen. Besonders nachdrücklich haben sie vor der zunehmenden Kommerzialisierung des Ehrenamtes gewarnt. ({13}) Viel entscheidender sei, so die jungen Menschen, die Verringerung der bürokratischen Hürden und der bessere Zugang zum ehrenamtlichen Engagement, verbunden mit einer gewissen Ausbildungsvoraussetzung, um ehrenamtliches Engagement auch tatsächlich leisten zu können. ({14}) Der Bundestag sollte verstärkt sein Augenmerk auf diese einfachen, aber vom Grundsatz her einzig richtigen Ideen legen. Danke schön. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Gustav-Adolf Schur, PDS-Fraktion, das Wort.

Gustav Adolf Schur (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003233, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Alles, was Rang und Rahmen hat, jettet zurzeit zu den Olympischen Spielen und feiert sich und die deutschen Medaillengewinner. ({0}) Sogar der Sportkoordinator der Bundeswehr erklärt: „Wir als Bundeswehr haben von unserem Parlament den Auftrag erhalten, uns um den Leistungssport zu kümmern“, was ich so präzise bislang nicht kannte. Aber wo bleiben in diesen Stunden die Glückwünsche für die Ehrenamtlichen, ({1}) die die Sieger von Salt Lake City irgendwann in der Schule oder im Verein für den Sport gewonnen haben, die für den ersten Anstoß, für die erste Begeisterung sorgten? Bereits im September 1999 habe ich mich bei der Beratung eines Gesetzentwurfs zur Stärkung des Ehrenamts geäußert. Die heutige Kopplung mit dem Antrag zur Energiekostensenkung für gemeinnützige Vereine vom November 2000 halte ich für angebracht. Hierbei geht es um Energie, die durch Kabel und Drähte geleitet wird. Ich meinte eingangs aber solche Energie, die Tausende jeden Tag in Vereinen aufbringen, um junge Menschen für den Sport zu begeistern. Diese Energie wurde über Jahrzehnte nur unzureichend vergolten. Wenn die Kosten für die andere Energie gesenkt werden, dann hilft immerhin das - das ist klar - den Ehrenamtlichen. Ich glaube aber, dass beide Vorlagen zu kurz greifen. Sie erfassen die Gesamtsituation der deutschen Vereinslandschaft nicht. Bei der öffentlichen Anhörung im Sportausschuss im November vergangenen Jahres zur Situation der Sportvereine und der dort ehrenamtlich Tätigen wurde das von Experten leider sehr eindrucksvoll bestätigt. Herr Remberg, Vorsitzender eines Großvereins in Rheine, sagte - ich zitiere -: Ich glaube, dass der Sport sowohl vom Sport selbst als auch von der Politik noch zu wenig als Querschnittsaufgabe gesehen wird. Deshalb fallen in der Politik und bei den Behörden sehr häufig Entscheidungen, deren Tragweite für den Sport nicht erkannt wird und die dann die Ehrenamtlichen verunsichern. Wenn Sie das einmal aus den verschiedenen Politikbereichen betrachten, dann ist sicher Gesundheitspolitik ohne Sport ..., Sozialpolitik ... und auswärtige Politik ohne Sport nicht denkbar ... Der Hauptgeschäftsführer des Landessportverbandes Baden-Württemberg, Rainer Hipp, äußerte sich unter anderem zu Sport und Gesundheitswesen und stellte dazu eine weit gehende Nichtbefassung durch die Bundespolitik über zehn Jahre hinweg fest. Er zitierte aus der Zeitschrift „Sportmedizin“: In der Bundesrepublik entstehen jährlich Kosten und Leistungseinbußen durch Krankheiten in Höhe von 450 bis 500 Mrd. DM. Dies ist eine kaum mehr finanzierbare volkswirtschaftliche Belastung. Mindestens 30 % davon entfallen auf teilweise vermeidbare degenerative Erkrankungen, vor allem des Herz-Kreislauf-Systems. Durch kontinuierliche sportliche Betätigung könnte also eine Kosteneinsparung in Höhe von 5 Prozent erzielt werden - eine echte volkswirtschaftliche Größe. Es würde sich bezahlt machen, in den Sport mehr als bisher zu investieren, damit Vereine wirklich Sport für jedermann und nach jedermanns Geschmack anbieten können. Ich zitiere nochmals Rainer Hipp: Der Sport will keine Privilegierung. Aber er möchte eine ungekürzte Güterabwägung unter Einbeziehung aller Interessen und eine daran orientierte rechtlich gesicherte Ordnung, ein Konzept, das ihn seine Aufgaben auch erfüllen lässt. Leider, meine Damen und Herren, ist ein solches Konzept mit Ihrem Gesetzentwurf und Ihrem Antrag nicht in Sicht. ({2}) Ein Ehrenamtsgesetz, wie vom Deutschen Sportbund in seinem Katalog von Forderungen an die Bundesregierung benannt, würde diese Anforderung viel eher entsprechen. Der Präsident des Deutschen Turner-Bundes, Rainer Brechtken, sagte in der gleichen Anhörung, dass mit den schon eingeleiteten Neuregelungen im Vereinsrecht eine gewisse Entbürokratisierung erfolgt ist, ein Vereinsfördergesetz aber von Vorteil wäre, weil es, ähnlich wie bei anderen Gesetzen, alle Tatbestände in einem Gesetz zusammenfassen würde und damit Übersichtlichkeit und Informationssicherheit gegeben wären. Er sagte aber auch, dass er aufgrund seiner parlamentarischen Erfahrungen - er war Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg - einer möglichen Realisierung skeptisch gegenüberstehe. Diese Befürchtung wird durch die mehr als 25-jährige Schulsportmisere und die defizitäre Entwicklung der Bewegungserziehung im Elementarbereich erhärtet. PISAStudie und Schulsportmisere verlangen im Interesse der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet nach einem einheitlichen Bildungssystem. Die Stellung des Sports im Wertesystem der Gesellschaft ist durch die Praxis neu definiert worden. Eine gesunde, lebensfrohe und leistungsfähige Bevölkerung ist mehr wert als jede olympische Goldmedaille, ({3}) andererseits aber auch der beste Garant für das Erreichen von Weltspitzenleistungen. Ich bedanke mich. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Dieter Grasedieck, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Dieter Grasedieck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU arbeitet wirklich ziemlich flexibel: ({0}) Einmal sagt sie Ja, ein anderes Mal sagt sie Nein zur Ökosteuer. Ab und zu ist dann ein Jein zu hören. 2000 erklärten Sie von der CDU/CSU: Die Ökosteuer ist absolutes Teufelswerk. ({1}) Im Januar 2002 veränderten sich Ihre Ansichten zum Teufel. Herr Stoiber, Herr Glos und die Spitzenvertreter der CDU/CSU sagten dann: Wir wollen die Ökosteuer in der Zukunft beibehalten. Sie arbeiten nach dem Motto: Wer nicht überzeugen kann, sollte wenigstens verwirren. ({2}) Die Koalition hat schon vor Jahren eine Gesamtlösung - und keine Detaillösung - umgesetzt. Wir legen Wert darauf, dass wir bei allen Lösungen verantwortungsvoll vorgehen. Im Gegensatz zur Opposition ist uns das wichtig. Sie kennen das Wort „Verantwortung“ offensichtlich nicht. Sie versuchen, den Schuldenberg noch zu erhöhen. Damit haben wir wirklich Probleme. Sie haben uns ein Langzeitdesaster hinterlassen. ({3}) Auch in den nächsten zehn Jahren werden wir mit diesem Langzeitdesaster der Schulden zu kämpfen haben. Wir haben stets verantwortungsvoll gehandelt. ({4}) Sie wollen die Übungsleiterpauschale noch einmal erhöhen. Die Summe ist vorhin schon einmal genannt worden: 13 Milliarden Euro. Wir haben wirklich Wert darauf gelegt, dass wir den gesamten Ansatz des Ehrenamtes und nicht nur Details sehen. Das müssten vor allem diejenigen wissen, die in der Enquete-Kommission zum Ehrenamt mitgearbeitet haben. Die Koalition hat diese EnqueteKommission eingerichtet, um ein Gesamtbild zu erreichen. Es wäre einfach falsch, Teile des Gesamtbudgets herauszubrechen. Sie sehen nur Einzelgesichtspunkte und haben keine langfristigen Konzepte. Von Ihnen, Herr Barthle, ist vorhin Salt Lake City angesprochen worden. Dort haben wir viel erreicht. Das ist unter anderem auch ein Verdienst der dreijährigen SPDPolitik. ({5}) Sie haben 16 Jahre lang nichts getan. Wir hingegen - es ist schon einiges genannt worden - müssen festhalten: Wir haben gehandelt. Im Unterschied zu Ihnen haben wir die Übungsleiterpauschale in den letzten drei Jahren von 2 400 auf 3 600 DM erhöht. Wir haben viel erreicht. ({6}) Wir haben das gemacht, weil wir genau wissen, dass die Übungsleiterarbeit innerhalb unserer Sportvereine wichtig und entscheidend ist. Es ist wichtig, dass die Übungsleiterarbeit weiter unterstützt wird. Durch sie wird Integrationsarbeit und Jugendarbeit betrieben. Die Integrationsarbeit ist vielleicht sogar die wichtigste Aufgabe. Hier haben wir im Gegensatz zu Ihnen etwas verändert. ({7}) - Schreiben Sie sich das alles auf. Das wäre gut, damit Sie etwas lernen. Im Rahmen der Integrationsarbeit spielen Kurden, Deutsche und Türken zusammen und nehmen Rücksicht aufeinander. Das ist ein wichtiger Punkt für unsere Sportvereine. Wir haben das unterstützt. ({8}) Sie sehen nur Details. In diesem Fall sind das die 4 800 DM. Was sagen Sie einer Frau, die in einer Selbsthilfegruppe krebskranke Menschen betreut und selbst krank ist? Es ist eine wichtige Aufgabe, Kranke zu betreuen und zu beraten. Das ist in der Selbsthilfegruppe möglich. Wir haben einen Gesamtansatz gefunden. Wir haben die Selbsthilfegruppe in den letzten drei Jahren unterstützt. Das will ich noch einmal unterstreichen. Dafür ist eine Mark pro Einwohner zur Verfügung gestellt worden. Diese wichtige Aufgabe muss auch weiterhin unterstützt werden. Herr Barthle hat noch einen weiteren Punkt aufgeführt: Die Feuerwehr ist unterstützt worden. ({9}) Auch haben wir die Freiwilligendienste beträchtlich gefördert. Das Budget dafür ist um 50 Prozent heraufgesetzt worden: von 11,5 Millionen Euro auf 16,5 Millionen Euro. Jugendliche können in Hospizen, Krankenhäusern und Behindertenheimen arbeiten. All das zählt zum Ehrenamt. Hierzu gehört natürlich auch unser Stiftungsrecht. ({10}) Im Stiftungsrecht ist vieles umgesetzt worden, was für unsere Wahlkreise wichtig ist. Sie müssen selbst einmal in Ihrem Wahlkreis nachsehen. Durch die Förderung der Übungsleiter, der Selbsthilfegruppen, der Freiwilligendienste und durch das neue Stiftungsrecht unterstützen wir das Ehrenamt in seiner Gesamtheit. Das ist der wesentliche Vorteil. Die EnqueteKommission wird in Zukunft ein Gesamtkonzept erarbeiten, das wir abarbeiten werden. Wir werden das Ehrenamt auch künftig so wie in den letzten drei Jahren unterstützen. ({11})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile dem Kollegen Klaus Riegert für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Klaus Riegert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001847, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ablehnung unserer Gesetzesinitiative durch die Koalition in den Ausschüssen hat mich schon überrascht. In der Öffentlichkeit, vor Vereinen und Verbänden, hören Sie sich ganz anders an. Aber so ist das bei Ihnen: versprochen, gebrochen. ({0}) Ihr Dreisprung heißt: Unsere Verbesserungsvorschläge für Vereine und das Ehrenamt lehnen Sie als utopisch ab. Ihre eigenen mickrigen Ergebnisse blasen Sie auf. Handlungsnotwendigkeiten schieben Sie auf die EnqueteKommission ab. Mittlerweile habe ich den Verdacht, Sie hoffen, dass Sie dies nach dem Herbst nicht mehr umsetzen müssen. ({1}) Was haben Sie nicht alles versprochen? Eichel forderte am 1. Dezember 1998 die steuerfreie Aufwandsentschädigung für Vorstandsmitglieder und Funktionsträger. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende und heutige Bundesgesundheitsministerin Schmidt forderte am 6. Mai 1999, die steuerfreie Übungsleiterpauschale auf 400 DM monatlich anzuheben. ({2}) Zur Begründung sagte Frau Schmidt, dies koste nicht viel, man verzichte nur auf zu erwartende Steuereinnahmen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Wilhelm Schmidt, bot mit und forderte am 23. Juni 1999 in einer Vorlage an die SPD-Bundestagsfraktion, die so genannte Übungsleiterpauschale auf 400 DM monatlich anzuheben. ({3}) Seine Begründung: Die gemeinnützigen Organisationen könnten mit ihren ehrenamtlichen Strukturen die bürokratisch sehr aufwendige Umsetzung der Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse kaum bewältigen. Recht hat er! Das ist eine seltene, aber wahre Einsicht. ({4}) Der Fraktionsvorsitzende Peter Struck versprach am 20. Mai 2000, die steuerfreie Übungsleiterpauschale auf 400 DM monatlich anzuheben. Die sportpolitischen Sprecher von Rot und Grün, die heute nicht anwesend sind, forderten dies sowie die Ausweitung auf andere Tätigkeiten. Finanzminister Eichel hat sie zurückgepfiffen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, Ihre Vorschläge waren alle gut, auch die Begründungen. Deshalb haben wir sie in einem Gesetzentwurf zusammengefasst. Nun verweigern Sie Ihren eigenen Vorschlägen die Zustimmung. Sie bestätigen dringenden Handlungsbedarf, lehnen Verbesserungen aber ab. ({5}) Das, Herr Bürsch, ist nicht gut so. Würde dies nur Ihrer Glaubwürdigkeit schaden, wäre es nicht schlimm. Ihr Verhalten schadet aber vor allem den ehrenamtlich Tätigen. ({6}) Meine Damen und Herren, in unserer Gesellschaft besteht ein breiter Konsens für unsere Vorschläge. Der Deutsche Sportbund und der Deutsche Kulturrat fordern diese Verbesserungen. Die von der Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ beauftragten Gutachter kommen zu dem gleichen Ergebnis wie wir. Sie sehen breiteste Übereinstimmung bei Politikern, Sachverständigen und Betroffenen. Erinnern wir Sie an Ihre Aussagen und berufen wir uns auf die Ergebnisse der von Ihnen bestellten Gutachter, sprechen Sie von utopischen Forderungen. Heute sagt uns Ihr Finanzminister, dass seine eigenen Forderungen unbezahlbar gewesen sein sollen. Dies nennen Sie seriöse Politik für das Ehrenamt. So hätten Sie unsere Vorschläge nicht umsetzen müssen. Doch man hätte in den Ausschüssen wenigstens über mögliche Verbesserungen sprechen können. Aber Sie verweigern sich total. Ich erinnere Sie - falls Sie das übersehen haben - an Folgendes: Sie hätten auch einen eigenen Gesetzentwurf einbringen können. ({7}) Wir werden es Ihnen nicht durchgehen lassen, mit Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“, deren Inhalte Sie heute im Bundestag reihenweise ablehnen, in den Wahlkampf zu ziehen. Ein solch durchsichtiges Wahlkampfmanöver wird Ihnen nicht gelingen. ({8}) Zwar findet man bei Ihnen plakative, vollmundige Ankündigungen, Versprechungen und Broschüren vor. Aber Sie tun nichts. Wenn Sie etwas tun, führen Sie die ehrenamtlich Engagierten unverfroren hinter das Licht. Das ist Ihre Art Engagement. Sie gaukeln den ehrenamtlich Tätigen vor, welch Heilsbringer diese Bundesregierung für das Ehrenamt ist. ({9}) Ich habe hier eine Broschüre der Bundesregierung mit dem Titel „Mitmachen, mithelfen - Ehrensache“. Besser wäre der Titel „Getäuscht, getrickst, gelogen“. ({10}) Im Vorwort preist der Bundeskanzler das ehrenamtliche Engagement an. Bei den inhaltlichen Ausführungen lässt er die ehrenamtlich Tätigen schamlos über die Klinge springen. Schröder spricht von bürokratischer Entlastung durch das Bundesseuchengesetz 2001. Wie immer versucht er, seine Wohltaten möglichst volkstümlich an den Mann zu bringen. Auf Seite 12 heißt es: Würstchen können demnach von der freiwilligen Feuerwehr seit 2001 ohne Belehrung und Bescheinigung bei Straßenfesten gegrillt werden, ({11}) damit sich die Feuerwehr von dem Erlös einen neuen Spritzenwagen kaufen kann. ({12}) Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer können Mahlzeiten ohne Belehrung und Bescheinigung zubereiten und diese bei Vereinsfesten verkaufen, um die Vereinskasse aufzubessern. ({13}) Ich fände es - genau wie Millionen ehrenamtlich Tätige - prima, wenn sie von bürokratischen Lasten befreit wären. ({14}) Nur ist dies nicht die Wahrheit. Ich habe bei der Bundesregierung schriftlich nachgefragt, ob dies so zutreffe. Die Antwort der Bundesregierung vom Januar 2002 lautet: Seit 1997 - Sie hören richtig: seit 1997 - habe sich nichts geändert. ({15}) Die Bundesregierung und der Bundeskanzler haben die Ehrenamtlichen schlicht getäuscht. Stellen Sie sich einmal eine ehrenamtliche Helferin auf einem Vereinsfest vor, die selbst gemachten Salat oder Kuchen verkauft. Dann kommt ein Beamter vom Gesundheits- oder Ordnungsamt ({16}) und verlangt von ihr Bescheinigungen nach der Hygieneverordnung. Dann zieht die ehrenamtliche Helferin die Broschüre der Bundesregierung aus der Tasche, zeigt das Foto des Bundeskanzlers und den folgenden Text, in dem steht, dass durch Änderung des Seuchengesetzes 2001 nun alles besser und unbürokratischer geregelt sei. Da wird den Beamten des Ordnungsamtes nichts anderes übrig bleiben als zu sagen: Packen Sie Ihre Sachen ein! ({17}) Schröder hat vieles anders, aber nichts besser gemacht. ({18}) Es geht weiter im Text. Der Bundeskanzler, der Bundesinnenminister, die Fraktionsspitzen und die rot-grüne Koalition haben die Vereinbarungen mit den Sozialversicherungsträgern, dass die geringfügigen Beschäftigungen in Sportvereinen bis zu 630 DM zukünftig melde- und sozialversicherungsfrei seien, als Stärkung des Ehrenamts und als Abbau von Bürokratie gepriesen. Bundesinnenminister Schily konnte sich ob dieser Wohltaten gar nicht genug auf die Schultern klopfen. Ich habe die Bundesregierung gefragt, wie die geringfügige Beschäftigung in gemeinnützigen Vereinen geregelt war, bevor die von Rot-Grün verursachte Neuregelung des 630-DM-Gesetzes in Kraft getreten ist. Antwort der Bundesregierung: Vor 1999 gab es diese Bürokratie gar nicht. ({19}) Für die Beschäftigten gab es weder eine Meldepflicht bei den Sozialversicherungen noch eine Pflicht zur Beitragsabführung. Getäuscht, getrickst und gelogen - dies zieht sich wie ein roter Faden durch diese Broschüre. ({20}) Wir danken den Millionen von ehrenamtlich Tätigen und wollen Verbesserungen für ihr Engagement. Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Sie den Vorsitzenden, den Kassierer, den ehrenamtlichen Geschäftsführer, den Jugendleiter oder den Abteilungsleiter weiterhin zwingen, jedes Blatt Papier, jede Briefmarke, jedes Telefongespräch und jeden gefahrenen Kilometer zu notieren, damit sie ihre tatsächlichen Kosten erstattet bekommen können? Meinen Sie, dass die Vereine Geld ausgeben können, soweit dies nicht gerechtfertigt ist? Sie haben jetzt die Gelegenheit, diese Ungerechtigkeit abzustellen und Ihre umfangreichen Ankündigungen zum Wohle der ehrenamtlich Tätigen in die Tat umzusetzen. Stimmen Sie deshalb gegen die Beschlussempfehlung des Ausschusses! Die ehrenamtlich Tätigen haben diese Verbesserungen verdient. Sie könnten damit Ihrer eigenen Glaubwürdigkeit einen Dienst erweisen. ({21})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Peter Danckert von der SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege Klaus Riegert, herzlichen Glückwunsch: Nach dreieinhalb Jahren Opposition einen derart pompösen Gesetzentwurf zur Stärkung ehrenamtlicher Tätigkeiten in Vereinen und Organisationen. Und was kommt dann raus? Ein Mäuslein! Nicht mehr als das. Ich frage Sie allen Ernstes: Haben Sie in den letzten Tagen mit Ihrem Kanzlerkandidaten über diesen Gesetzentwurf geredet? Mich würde interessieren, was er dazu sagt. Ich bin sicher, dass er Ihnen die gleiche Antwort gibt wie zum Thema Ökosteuer. ({0}) Zwei Jahre lang haben Sie uns mit der Ökosteuer gepeinigt und verlangt, sie abzuschaffen. Nichts ist mehr davon übrig. Bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen wird sich auch nichts ändern, und zwar ganz egal, wer regiert. An dieser Stelle hätte ich gerne einmal die Meinung von Herrn Stoiber über diesen Gesetzentwurf gehört. Sie haben hier viel erzählt, Herr Kollege Riegert, haben aber eine Frage nicht beantwortet - die Antwort in Ihrem Gesetzentwurf ist mehr als dürftig -: Was wird das kosten? In dem Gesetzentwurf steht ein interessanter Satz: Die eventuell anfallenden Steuermindereinnahmen können nicht genau beziffert werden. Sie liegen im Rahmen vergleichbarer steuerlicher Änderungen der letzten beiden Jahre. ({1}) Was meinen Sie eigentlich damit? Sie legen uns hier allen Ernstes einen Gesetzentwurf vor und haben noch nicht einmal eine schwache Ahnung, was seine Umsetzung kosten wird. ({2}) Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens gab es - Kollege Barthle wird das als Berichterstatter des Finanzausschusses bestätigen können - Hinweise der Bundesregierung, was die Umsetzung des Gesetzentwurfs kosten könnte. Wir haben eine Summe von 25 Milliarden gehört; das steht auch in den amtlichen Unterlagen. ({3}) Ich selber kann auch nicht sagen, ob diese Zahl stimmt. ({4}) Sie aber setzen sich mit dieser Frage gar nicht erst auseinander. Das Schlimme an dieser Geschichte ist: Sie verkaufen der Öffentlichkeit einen tollen Gesetzentwurf, bei dem ein Paragraph mit einer Nummer geändert werden soll, verraten uns aber nicht, wie das finanziert werden soll. ({5}) Das ist das Unseriöse an Ihrer Politik: ein großes Gedöns zu machen und kein Wort zur Frage der Kosten zu verlieren. Man kann alles versprechen, muss aber den Bürgerinnen und Bürgern vor der Wahl offen sagen, was eine Maßnahme unterm Strich kosten wird. ({6}) Ein zweiter Punkt. Sie haben in Ihrer langen Regierungszeit - diese ist Gott sei Dank am 27. September 1998 zu Ende gegangen - eine interessante Sache gemacht, auf die ich Sie aufmerksam machen möchte. Die Kohl-Regierung hat nämlich im Jahre 1997 eine unabhängige Sachverständigenkommission zur Prüfung des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts einberufen. ({7}) Diese Kommission hat am 24. März 1998 einen sehr interessanten, umfangreichen Bericht vorgelegt. Wenn Sie den umgesetzt hätten, müssten Sie sich heute nicht mehr so verstecken. Das ist nämlich die Realität: Sie setzen eine Sachverständigenkommission ein, die einen Bericht zur Vereinfachung und Verbesserung des Gemeinnützigkeitsund Spendenrechts vorlegt, unternehmen aber anschließend nichts. ({8}) Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der noch interessanter ist. Zur Begründung Ihres Erhöhungsverlangens von 3 600 auf 4 800 DM - nachdem wir nun den ersten entscheidenden Schritt in dieser Angelegenheit unternommen haben - berufen Sie sich ({9}) - auch Sie, Herr Kollege Barthle - in Ihren Ausführungen auf die Bundesratsinitiative des damaligen Ministerpräsidenten Eichel, nachzulesen in der Bundesratsdrucksache 950/98. Die müssten Sie einmal lesen, bevor Sie dummes Zeug in Ihren Gesetzentwurf schreiben! Darin ist nämlich nicht von einer Erhöhung der Kostenpauschale die Rede, sondern nur von einer Erweiterung auf andere Funktionsträger. ({10}) Sie aber argumentieren zur Begründung Ihrer Auffassung ständig, dass Herr Eichel schon 1998 die Erhöhung gefordert habe. Nichts davon ist wahr. Sie sind noch nicht einmal in der Lage, sich die Unterlagen, auf die Sie sich berufen, anzusehen, sondern Sie tragen hier falsche Dinge vor. Das ist das Unseriöse an Ihrem Vorgehen. ({11}) Lassen Sie mich abschließend anmerken, Herr Kollege Riegert: So ganz ernst kann das alles ja gar nicht gewesen sein. Warum brauchen Sie eigentlich dreieinhalb Jahre - ich rede gar nicht von den 16 Jahren, in denen Sie Zeit hatten, so etwas umzusetzen; weshalb Sie zu dem Thema gar nichts sagen, ist eine offene Frage; aber lassen Sie uns das vergessen -, um diesen Gesetzentwurf vorzulegen? Können Sie uns das verraten? Sie scheinen es mit Ihrer Initiative nicht besonders eilig gehabt zu haben. Denn das ist ja alles schon Anfang vergangenen Jahres - ({12}) - Sie hätten es schließlich auf die Tagesordnung des Hauses setzen lassen können. Das haben Sie aber nicht gemacht. Offensichtlich war Ihnen bei dieser Angelegenheit selber nicht wohl. Wir hätten schon im Sommer darüber diskutieren können. Sie haben aber darauf verzichtet. Warum bringen Sie den Gesetzentwurf jetzt ein? Die Antwort darauf ist sehr einfach: Das ist nur Wahlkampfgeklingel. ({13}) An die Fraktionen der FDP und der PDS gerichtet lassen Sie mich sagen: Meine Herren Kollegen, ihr habt doch nicht so recht verstanden, wofür ihr eigentlich seid. ({14}) Aus den Empfehlungen der verschiedenen Ausschüsse ist ersichtlich, dass einmal eine Enthaltung erfolgt und einmal dagegen gestimmt wird. Die Positionen der Parteien, die wir auch besprochen haben, sind ziemlich offen. Abschließend möchte ich sagen, Herr Kollege Riegert, dass wir - das ist doch das Vernünftige - zunächst einmal abwarten sollten, was die gemeinsam eingesetzte EnqueteKommission vorlegt. ({15}) Dann sollten wir zu einer umfassenden Regelung kommen und nicht punktuell sozusagen einen Warenhauskatalog mit einer gewissen Beliebigkeit vorlegen und am Ende noch nicht einmal angeben, wie das Vorhaben finanziert werden soll. ({16}) Sie als Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Sportausschuss sollten sich den Grundsatz „Fair geht vor“ merken und sich erst dann wieder zu Wort melden. Vielen Dank. ({17})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Der Kollege Klaus Riegert hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Bitte sehr. ({0})

Klaus Riegert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001847, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Dr. Danckert, wenn Sie das Motto „Fair geht vor“ anführen, möchte ich kurz vortragen, was ich gesagt habe. Ich habe gesagt: Eichel fordert am 1. Dezember 1998 die steuerfreie Aufwandsentschädigung für Vorstandsmitglieder und Funktionsträger - genauso wie Sie es aus der Drucksache 950/98 zitiert haben. ({0}) Ich habe das völlig korrekt zitiert. Sie können das nachher im Protokoll nachlesen. Die anderen Zitate stammten in der Tat von Mitgliedern Ihrer Fraktion. Die können Sie in den entsprechenden Presseberichten ebenfalls nachvollziehen ({1}) oder wenn Sie sich die Mühe machen wollen, können Sie bei Ihrer sportpolitischen Sprecherin den Entwurf heraussuchen, in dem genau die Stellen, aus denen ich zitiert habe, enthalten sind und die dann in der Fraktion zurückgezogen wurden. Laut dieser Drucksache hat Herr Eichel gesagt, dass die Steuermindereinnahmen nicht bezifferbar seien. Des Weiteren wird ausgeführt, dass die tatsächlichen Steuerausfälle - das haben wir genau so übernommen - gering seien. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Danckert, möchten Sie erwidern? - Bitte sehr.

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Riegert, lesen Sie bitte einmal die entsprechenden Ausschussprotokolle nach. Sie werden dann feststellen, dass man sich auf die Äußerungen des ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten Eichel bezogen hat, als es um die Erhöhung des Steuerfreibetrags von 3 600 DM auf 4 800 DM ging. Genau das ergibt sich auch aus den verschiedenen Drucksachen. Ich habe mich ja nicht auf Ihre Rede bezogen. ({0}) Ich habe vielmehr auf das Bezug genommen, was von Ihrer Fraktion in dieser Angelegenheit nicht mündlich, sondern schriftlich vorgetragen worden ist. Das ist noch viel schlimmer; denn man muss den Eindruck haben, dass hier ganz bewusst getäuscht wird. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Lothar Binding für die SPD-Fraktion.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die jetzige Debatte bietet eine gute Gelegenheit, den ehrenamtlich Tätigen zu danken und unserer Gesellschaft zu den Abermillionen selbstlos geleisteten Stunden zu gratulieren, die die ehrenamtlich Tätigen von ihrer Lebenszeit abgegeben haben. ({0}) Schließlich ist jede Stunde, die man der Gesellschaft abgibt, für die persönliche Verwendung unwiederbringlich verloren. Ich glaube, dass das die eigentliche Bedeutung des Ehrenamts unterstreicht. Wir müssen aber auch erkennen, dass das traditionelle Ehrenamt, das uns immer vorschwebt, sehr stark gefährdet ist. Bestimmte Großorganisationen und Vereine verzeichnen eine dramatische Erosion in diesem Bereich. Wir tun so, als könnten wir diese Entwicklung mit einem leichten Federstrich und durch Einbringung eines Gesetzentwurfs bzw. eines Antrags im Parlament korrigieren. Die Arbeitsund Freizeitwelt wird vollständig umgebaut. Es entwickeln sich eine neue Jugendkultur und neue Engagementformen, die dieses Haus noch gar nicht registriert hat. Der Zerfall moralischer Kategorien - darauf komme ich später zurück - tut das Seine dazu, dass nicht mehr so viele Menschen wie in der Vergangenheit bereit sind, sich ehrenamtlich zu engagieren. Daraus ergeben sich bestimmte Zukunftsaufgaben. Die CDU/CSU lenkt mit ihrem Entwurf genau von diesen Zukunftsaufgaben ab; denn sie reduziert Problemlösungsansätze auf die Geldfrage. Aber beim Ehrenamt geht es vordergründig nicht um Geld. Es geht vielmehr um viel tiefere Begründungszusammenhänge, über die wir nachdenken müssen. ({1}) Es ist ein Widerspruch - dieser lässt sich auch in der Begründung des CDU/CSU-Entwurfs finden -, wenn Herr Schüßler im Zusammenhang mit dem Ehrenamt über die Entwicklung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse nachdenkt; denn geringfügige Beschäftigungsverhältnisse haben mit dem Ehrenamt nichts zu tun. ({2}) Bei den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen handelt es sich um bezahlte Tätigkeiten. Aber die ehrenamtliche Tätigkeit ist unbezahlt. Wer geringfügige Beschäftigungsverhältnisse und ehrenamtliche Tätigkeit in einem Atemzug erwähnt, der will das Volk bewusst desinformieren. ({3}) Ich denke, das war auch die Konsequenz aus der einfallslosen Großen Anfrage der CDU/CSU, die insgesamt 60 Fragen umfasst. Wenn man sich die einzelnen Fragen genau anschaut, dann stellt man fest, dass sich 18 Fragen auf geringfügige Beschäftigungsverhältnisse beziehen, neun Fragen auf Steuerprüfung, acht Fragen auf die Übungsleiterpauschale, sieben Fragen auf Rechtsvorschriften und drei Fragen auf das Durchlaufspendenverfahren. Es ist lächerlich, wenn Sie glauben, dass Sie mit diesen Fragen Antworten auf die Zukunftsfrage bezüglich des Verhältnisses von Jugend und Ehrenamt finden werden. ({4}) Vorhin wurden Fakten eingeklagt. Die möchte ich nun nennen. Die Übungsleiterpauschale gibt es seit 1980. Von 1980 bis 1998 ist die Übungsleiterpauschale um 0 Prozent angehoben worden. ({5}) Das heißt also, dass die Übungsleiterpauschale beispielsweise im Jahr 1983 um 0 Prozent, 1984 um 0 Prozent, 1985 um 0 Prozent und auch in den Jahren 1997 und 1998 um 0 Prozent angehoben wurde. Meines Wissens war die rotgrüne Koalition in diesem Zeitraum noch nicht an der Regierung. Insofern muss man sich einmal überlegen, was für ein Vorgang das ist: 1999 wurde die Übungsleiterpauschale von uns um 50 Prozent angehoben - um jetzt, ein Jahr später, von Ihnen einen Gesetzentwurf vorgelegt zu bekommen, mit dem Sie weitere 50 Prozent fordern. ({6}) Noch etwas: Aus steuersystematischen Gründen ist die Übungsleiterpauschale noch nicht einmal eine kluge Antwort auf die Problemlage, die sich uns stellt. ({7}) Die Anhebung durch die rot-grüne Koalition war eine Notoperation, mit der wir deutlich machen wollten: Ehrenamt, wir nehmen dich wichtig. Es ist so lange nichts passiert; lasst uns schnell die Übungsleiterpauschale anheben, auch wenn wir langfristig ein völlig anderes System brauchen, weil sich das Ehrenamt nicht auf diese primitive Frage nach Geld reduzieren lässt. Es gibt noch ganz andere Widersprüche: Herr Riegert hat in der letzten Debatte zu diesem Thema gefordert - ich habe das einmal nachgelesen -, die Zweckbetriebsgrenzen bei gemeinnützigen Vereinen anzuheben. Andererseits aber will die CDU/CSU das Gastronomie- und Tourismusgewerbe nicht gefährden - ein bislang unaufgelöster Widerspruch. ({8}) Auf eine Ursache für die Erosion des Ehrenamts und der Vereine wurde heute noch gar nicht eingegangen. Mich wundert Folgendes: Die meisten von uns sind ja in einem Alter, wo wir Kinder zwischen, sagen wir einmal, zehn und 25 Jahren haben könnten. Ich frage mich wirklich, ob Sie mit Ihren Kindern gelegentlich einmal reden. ({9}) - Deshalb habe ich auch in die andere Richtung geschaut. Mein Eindruck ist nämlich, dass das bei der CDU/CSU relativ selten passiert. ({10}) Die CDU/CSU stellt immer die Frage: Geht ihr eigentlich in die Vereine? Die Antwort ist: Ja, wie gehen in Vereine. Ich zum Beispiel gehe in die DLRG. ({11}) Dort heißt das Treffen Ortsgruppe. Im Sport heißt es Verein, in Parteien heißt es Ortsverein. Meine Kinder aber gehen überhaupt nicht in einen Verein oder eine Ortsgruppe, sondern bilden - komischerweise ein Wort, das hier selten vorkommt - einen Clan. ({12}) Jugendliche treffen sich zum Beispiel zu einem Wettkampfwochenende. ({13}) - Nein, das ist nicht nur ein englisches Wort. Daran erkennt man, dass Sie die Problemlage überhaupt nicht durchdrungen haben. Sie gehen in Ihrer Freizeit zu einem Seminar, aber die Jugendlichen heute gehen zum Beispiel zu einer LAN-Party - womöglich treffen sie sich gar nur virtuell, sind also real an unterschiedlichen Orten. ({14}) Lothar Binding ({15}) Die Jugendlichen schaffen auch völlig neue Verhaltensmuster und haben andere moralische Vorstellungen. ({16}) Die Gerechtigkeitsfragen beispielsweise werden ganz neu abgebildet. Auf diese Fragestellungen gehen wir überhaupt nicht ein. Ich will Ihnen sagen, warum ich glaube, dass wir mit einem naiven Zugang zu diesem Thema Ehrenamt bei Jugendlichen überhaupt nichts bewirken können. Meine Kinder fragen mich zum Beispiel, warum ich ihnen etwas von Selbstlosigkeit erzähle, wenn doch ein Herr Kohl noch im Parlament sitzt. ({17}) Wenn ich sage, dass die Maxime „Du sollst anderen Menschen helfen“ eine positive Qualität hat, dann bekomme ich zu hören: Der Koch verwaltet Schwarzkonten und ist immer noch im Amt, wird sogar als Kanzlerkandidat gehandelt. - Nun gut, in Bezug auf die Nachfolge von Kohl bedeutete das ja wenigstens Kontinuität: Verwaltung von Schwarzkonten im Kanzleramt. ({18}) Für mich wäre das aber eine Perspektive, die mich erschrecken lässt. Was ich sagen will, ist: Der Zerfall moralischer Kategorien macht den Jugendlichen keinen Mut, sich im klassischen Sinne ehrenamtlich zu engagieren. Die Ignoranz von vielen in diesem Hause hinsichtlich der neuen Jugendkulturen schafft jedenfalls keine Brücke zwischen neuen Jugendkulturen und unserem traditionellen bürgerschaftlichen Engagement. Ich denke, dass Sie mit der Reduktion dieses Themas auf die primitive Frage des Geldes dem Ehrenamt mehr schaden als nutzen. ({19})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5224 zur Stärkung ehrenamtlicher Tätigkeiten in Vereinen und Organisationen. Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/6218, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? ({0}) Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 14/5196 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel: „Gemeinnützige Vereine von hohen Energiekosten entlasten“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4386 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Enthaltung der PDS und FDP und gegen die Stimmen von CDU/CSU ist die Beschlussempfehlung angenommen. Ich rufe nun den Zusatzpunkt 7 auf: Vereinbarte Debatte zur Einsetzung des EU-Verfassungskonvents Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Darüber herrscht Einverständnis. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Professor Jürgen Meyer für die SPD-Fraktion.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Eröffnung des „Konvents zur Zukunft Europas“ in der kommenden Woche in Brüssel ist ein Ereignis, das für die Zukunft der Europäischen Union besondere und hoffentlich historische Bedeutung hat. Die Regierungschefs der 15 Mitgliedstaaten sprechen in den Schlussfolgerungen von Laeken vom vergangenen Dezember vom Weg zu einer Verfassung für die europäischen Bürger. Deshalb nennen viele den Konvent der 105 Delegierten aus 28 Ländern, dessen Einberufung ich übrigens schon einmal im Juni 1995 in einer Bundestagsdebatte zu fordern gewagt hatte, nicht zu Unrecht „Verfassungskonvent“. Damit ist eine faszinierende Aufgabe beschrieben. Ich will die erste Sitzungswoche nach meiner Wahl zum Delegierten des Deutschen Bundestages im Konvent ({0}) gerne nutzen, um Ihnen für das in mich gesetzte Vertrauen zu danken. ({1}) Ich habe mich darüber gefreut, dass mich alle Fraktionen außer der CDU/CSU-Fraktion geschlossen gewählt haben, aus der CDU/CSU-Fraktion immerhin die Europapolitiker, die dem Thema etwas näher stehen als andere. ({2}) Die Europäische Union benötigt eine Verfassung oder, wie manche sagen, eine Grundordnung, die Demokratie und Effizienz auch nach der bevorstehenden Erweiterung sichert. Diese Erweiterung, die wir ja alle wollen, um möglicherweise weitere zehn Staaten noch vor der Europawahl 2004 ist mit der Gefahr verbunden, dass sich die zentrifugalen Kräfte verstärken und ein nicht mehr arbeitsfähiges Gebilde entsteht. Deshalb ist es höchste Zeit für eine Verfassung. Ich denke, unsere gemeinsame Lothar Binding ({3}) Überzeugung ist: Eine Erweiterung der Europäischen Union ohne Vertiefung ist kein überzeugendes Konzept. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es waren nicht zuletzt wir Parlamentarier, die diesen zweiten Konvent erkämpft haben. ({4}) Ich erinnere an Entschließungen aller Fraktionen dieses Hauses, an Entschließungen der Konferenz der Europaausschüsse mit dem schönen Namen COSAC und an eine gemeinsame Sitzung der Europaausschüsse des Bundestages und der Assemblée Nationale wenige Tage vor Laeken. Ich erinnere aber auch daran, dass der Erfolg dieser Bemühungen drei Voraussetzungen hatte: Erstens. Ohne die Erfindung des ersten Konvents durch die rot-grüne Bundesregierung und ohne die Durchsetzung des Konventsgedankens auf dem Gipfel von Köln im Juni 2000 gäbe es keinen zweiten Konvent. Daran sollte man sich immer erinnern, wenn man in diesem Zusammenhang auf die Bundesregierung zu sprechen kommt. ({5}) Zweitens. Mit der Konferenz von Nizza war die alte Methode, europapolitische Weichenstellungen hinter verschlossenen Türen vorzubereiten und dann in der „Nacht der langen Messer“ zu mehr oder weniger überzeugenden Kompromissen zu kommen, an ihre Grenzen gestoßen. Drittens und vor allem: Ohne den Erfolg des ersten Konvents, dessen Zusammensetzung und Arbeitsweise im Wesentlichen weiterhin gelten, gäbe es den zweiten Konvent nicht. ({6}) Ich habe darauf hingewiesen, dass die Arbeitsweise und die Zusammensetzung des ersten Konvents weiterhin gelten. Davon gibt es zwei Ausnahmen, die aber positiv zu bewerten sind: Zum einen sind am zweiten Konvent auch die Kandidatenländer beteiligt, und zwar ebenso wie die 15 Mitgliedsländer mit drei Delegierten. Das ist notwendig, weil es, demokratisch betrachtet, völlig unerträglich wäre, eine Verfassung zu erarbeiten, die den demnächst beitretenden Kandidatenländern übergestülpt würde. Sie müssen daran mitwirken können. Das ist eine gute Lösung. ({7}) Außerdem wird dem zweiten Konvent das „Forum der Zivilgesellschaft“ hinzugefügt. Auch das ist ein Fortschritt. Es ist notwendig, dass die Delegierten in ständigem Kontakt mit den Vertretern von Kirchen, Gewerkschaften, Hochschulen usw. sind; denn erst dieser Kontakt ermöglicht es, eine überzeugende Verfassung zu erarbeiten, die die Köpfe und, so hoffe ich, die Herzen der Menschen erreicht. Ich hoffe, dass das Forum der Zivilgesellschaft nicht nur virtuell ist, sondern dass seine Sprecher in Brüssel zusammenkommen und die Delegierten dann das tun, was besonders wichtig ist, nämlich einfach zuhören. Ein wichtiges Thema, mit dem wir uns zu befassen haben werden, ist die Verbindlichkeit der Grundrechte-Charta, die vom ersten Konvent erarbeitet worden ist. Entgegen manchen Befürchtungen, zum Beispiel unserer britischen Freunde, ist der Schritt zu einer verbindlichen Grundrechte-Charta nicht so groß, wie manche meinen: Zum einen haben sich die Regierungschefs durch die feierliche Verkündung der Charta im Dezember 2000 in Nizza politisch selbst verpflichtet. Zum Zweiten wird die Grundrechte-Charta von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg aufgrund der Anträge der Generalanwälte schon jetzt angewandt. Das ist notwendig, weil nach Art. 6 des geltenden EU-Vertrages auch die gemeinsame Verfassungsüberlieferung der Mitgliedstaaten Grundlage des geltenden Rechts in der Europäischen Union ist. Im Rahmen des ersten Konvents hatten wir genau das zu formulieren. Roman Herzog hat völlig Recht, wenn er sagt, dass die Kandidatenländer - er wies insbesondere auf die Türkei hin - gut daran tun, vor der Entscheidung über ihren Beitritt die Charta nicht nur zu lesen, sondern auch im eigenen Land zu verwirklichen. Darin liegt die praktische Bedeutung dieser Charta. ({8}) Ihre Anerkennung als rechtsverbindlicher erster Teil der Verfassung bedeutet vor allem, dass die Europäische Union eben nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft und eine Währungsunion, sondern auch eine Wertegemeinschaft ist. Das kann man mit den anspruchsvollen Worten der Regierungskonferenz von Laeken formulieren, die ich hier zitieren will: Welche Rolle spielt Europa in dieser gewandelten Welt? Muss Europa nicht - nun, da es endlich geeint ist - eine führende Rolle in einer neuen Weltordnung übernehmen, die Rolle einer Macht, die in der Lage ist, sowohl eine stabilisierende Rolle weltweit zu spielen, als auch ein Beispiel zu sein für zahlreiche Länder und Völker? Europa als Kontinent der humanitären Werte, der Magna Charta, der Bill of Rights, der Französischen Revolution, des Falls der Berliner Mauer. Kontinent der Freiheit, der Solidarität, vor allem der Vielfalt, was auch die Achtung der Sprachen, Kulturen und Traditionen anderer einschließt. Die einzige Grenze, die die Europäische Union zieht, ist die der Demokratie und der Menschenrechte. Die Union steht nur Ländern offen, die ihre Grundwerte, wie freie Wahlen, Achtung der Minderheiten und der Rechtsstaatlichkeit, teilen. Dr. Jürgen Meyer ({9}) Ich denke, dass das eine Überzeugung ist, die uns auch hier, in diesem Hohen Hause, eint. ({10}) Die Regierungschefs haben in Laeken die weiteren Themen, mit denen sich der Konvent befassen soll, mit einer Reihe von Fragebündeln beschrieben, aus denen sich eines ganz klar ergibt: Die Antworten muss der Konvent in der vorgegebenen Zeit von etwa zwölf Monaten selbst finden. Sie sind ihm nicht vorgegeben; denn sonst hätten die Regierungschefs ja diese Frageform nicht sinnvoll wählen können. Was das in Deutschland mehr als anderswo heftig diskutierte Thema der Kompetenzen angeht, wird sicher der Versuch notwendig sein, einen Kompetenzkatalog, wie ihn übrigens auch der britische Premierminister Tony Blair inzwischen vorgelegt hat, zu diskutieren. Aber über zwei Dinge sollten wir uns dabei einig sein: Das von allen anerkannte Subsidiaritätsprinzip, wonach die untere Einheit immer so lange zuständig ist, wie sie konkrete Fragen ausreichend regeln kann, also in Deutschland eben auch die Gemeinden, die Regionen, die Länder, und selbstverständlich der Staat Bundesrepublik, wird Grundlage der Konventsberatungen sein. Ich füge eines hinzu, worüber wir hoffentlich auch einig sein werden. Immer, wenn Kompetenzen von der nationalen auf die europäische Ebene übertragen werden, muss auf eines geachtet werden: Es darf nicht eine Reduzierung oder gar einen Wegfall der parlamentarischen Kontrolle geben. ({11}) Die Übertragung von Kompetenzen muss mit der Erhaltung der Kontrolle, im Normalfall durch das Europäische Parlament, verbunden sein. Stärkung der Europäischen Union mit weniger Demokratie - das ist ein Weg, den wir hoffentlich gemeinsam ablehnen. ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Konventsmodell ist oft als Versuch gewürdigt worden, mehr Demokratie und mehr Parlament zu wagen. Das ist ein hoher Anspruch, dem keine tiefe Enttäuschung folgen darf. Deshalb meine ich, dass wir im Konvent - das gilt selbstverständlich auch für den Präsidenten Giscard - zum Erfolg geradezu verurteilt sind. Der zweite Konvent darf kein Luftballon sein, der mit Getöse aufsteigt und dann in großer Höhe leise zerplatzt. Die Konventsidee darf nicht mit dem Ende des Konvents ebenfalls zu Ende sein. Das heißt: Der Geist dieses Modells muss sich im Inhalt der Verfassung, die der Konvent erarbeitet, widerspiegeln. Der Konvent ist eine große historische Chance, die es zu nutzen gilt. Ich will gerne meinen engagierten Beitrag dazu leisten und bitte alle Fraktionen dieses Hauses, mich dabei durch konkrete und konstruktive Zusammenarbeit zu unterstützen. Ich bedanke mich. ({13})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort dem Kollegen Peter Altmaier für die CDU/CSU-Fraktion.

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die europäische Geschichte der letzten zweieinhalbtausend Jahre war immer auch eine Verfassungsgeschichte, ob Sie an die griechische Polis, die römische Republik, die Magna Charta - Kollege Meyer hat sie bereits genannt -, die Französische Revolution, die Paulskirchenverfassung oder das deutsche Grundgesetz denken. Verfassungen haben den Sinn, ein Gemeinwesen zu ordnen. Sie haben den Sinn, der allumfassenden Macht Einzelner wie des Staates Grenzen zu setzen. Sie sollen Interessengegensätze ausbalancieren. Sie sollen dazu beitragen, dass ein Gemeinwesen vernünftig funktionieren kann. Deshalb brauchen wir, auch wenn die Europäische Union sicherlich kein Staat im klassischen Sinne ist und es vielleicht auf lange Zeit nicht oder auch nie werden wird, auch auf europäischer Ebene eine Verfassung. ({0}) Es war der französische Staatspräsident Jacques Chirac, der sich von dieser Stelle aus in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag als erster amtierender europäischer Staatsmann klar und unzweideutig zu dem Projekt einer europäischen Verfassung bekannt hat und damit der Diskussion in der Europäischen Union über die künftigen Herausforderungen eine neue Dimension verliehen hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Konvent, der am 28. Februar zusammentritt, erleben wir in der Tat nicht mehr und nicht weniger als die Geburtsstunde dieser europäischen Verfassung. ({1}) Deshalb ist es notwendig, dass wir uns, bevor der Konvent beginnt, Gedanken darüber machen und uns darüber klar werden, wie die entscheidenden Herausforderungen, die es zu bewältigen gibt, aussehen, damit wir uns nicht in Debatten über Einzelheiten wie zum Beispiel die Stimmgewichtung, die qualifizierten Mehrheitsentscheidungen und das Verhältnis der Institutionen zueinander verzetteln. Die erste und wichtigste Herausforderung ist die Parlamentarisierung des europäischen Prozesses. Was meine ich damit? Bisher treffen wir die Entscheidungen auf europäischer Ebene nach einem alten Modell, das in der Vergangenheit erst leidlich und dann immer weniger funktioniert hat. Nach diesem Modell definieren die 15 Mitgliedstaaten zunächst einmal ihre nationalen Interessen und versuchen dann in langwierigen Verhandlungen, diese 15 verschiedenen nationalen Interessen so auszugleichen, dass am Ende ein Package Deal, ein Dr. Jürgen Meyer ({2}) Kompromiss, ein Teppichhandel herauskommt. Dieses System hat früher funktioniert. Danach hat es eine Zeit lang mehr schlecht als recht funktioniert. In den letzten Jahren funktionierte es überhaupt nicht mehr. Das haben wir in Nizza gesehen. Nizza ist das Menetekel für das Scheitern der alten Methode der Entscheidung und Konsensfindung in der Europäischen Union. ({3}) Oft wird gesagt, dass es die Beamten hinter verschlossenen Türen sind, die keine Ergebnisse zustande bringen. Herr Minister Fischer, ich will ausdrücklich auch Ihre Beamten in Schutz nehmen, weil ich weiß, dass die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, so wie in vielen anderen Mitgliedstaaten auch, ({4}) die europapolitischen Entscheidungen und Auffassungen, die wir in diesem Hause gemeinsam teilen, mit großem Engagement vertreten. ({5}) Das System verhindert aber, dass Ergebnisse zustande kommen. Deshalb brauchen wir ein parlamentarisches System der Beratung. Im Übrigen ist es auch nahe liegend: Wenn es um Fragen wie die Tabakrichtlinie, die Altautorichtlinie oder um die Fragen geht, wie viel Umweltschutz wir in Europa brauchen und wie wir die Steuergesetzgebung in Europa gestalten wollen, geht es in erster Linie eben nicht nur um nationale Interessen. In Deutschland sind die Auffassungen zwischen der CDU/CSU, der SPD, den Grünen und der FDP dann auch unterschiedlich. ({6}) Auch in fast allen anderen Ländern sind sie unterschiedlich. Trotzdem zwingen wir die Mitgliedstaaten nach unserem bisherigen System dazu, sich auf eine Position zu einigen. Derjenige, der im Rat überstimmt wird, hat dann große Schwierigkeiten, zu Hause zu verkaufen, warum er in der Minderheit geblieben ist. Ich glaube, dass es deshalb wichtig ist, dass wir das, was im Parlamentarismus aller europäischen Mitgliedstaaten seit langem die Regel ist, auch in der Europäischen Union zur Regel machen. Wir müssen nach politischen Lagern diskutieren. Wir müssen versuchen, zwischen der europäischen Linken und der europäischen Rechten, zwischen der Europäischen Volkspartei, den Sozialdemokraten, den Grünen und den Liberalen vernünftige Kompromisse hinzubekommen. ({7}) Es war das Erfolgsgeheimnis des Konvents, der die Grundrechtecharta ausgearbeitet hat, dass es nicht 15 Akteure gab, sondern dass am Ende nur zwischen zwei oder drei unterschiedlichen Auffassungen Kompromisse zustande gebracht werden mussten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb ist mit der Einsetzung dieses Konvents auch ein entscheidender Schritt zu einem Systemwechsel eingeleitet worden. Ich will allerdings auch deutlich sagen, dass nicht alle Regierungen so sehr für den Konvent waren wie die deutsche Bundesregierung, die den Deutschen Bundestag und den Europaausschuss in dem Bestreben, einen Konvent zustande zu bringen, unterstützt hat. Es gab andere Regierungen in Europa, die das Projekt torpedieren wollten. Diejenigen, die sich nicht durchgesetzt haben, versuchen jetzt zum Teil, den Konvent zu einer kleinen Regierungskonferenz umzufunktionieren, indem sie durch allerhand Geschäftsordnungstricks - es geht unter anderem um die Sitzordnung, die Abstimmungsmodalitäten und die Redeordnung - versuchen, diesen Konvent an seiner parlamentarischen Arbeit zu hindern. Dies werden wir gemeinsam mit den Parlamentariern im Europäischen Parlament zu verhindern wissen. ({8}) Zweiter Punkt. Im Verfassungskonvent geht es auch um die Demokratisierung der Europäischen Union. Damit ist nicht Demokratisierung in dem Sinne gemeint, dass wir heute im Europäischen Parlament und im Ministerrat über die Regierungen, die ihrerseits von Parlamenten gewählt worden sind, keine demokratische Legitimation hätten. Nein, das Kernrecht des Bürgers in einer Demokratie besteht darin, dass er alle vier oder fünf Jahre die Möglichkeit hat, seine Regierung, wenn sie gute Arbeit gemacht hat, zu bestätigen oder sie, wenn sie schlechte Arbeit gemacht hat, abzuwählen. Das mussten wir früher alle vier Jahre fürchten, das fürchten Sie jetzt. ({9}) Aber das ist der Normalfall von Demokratie. ({10}) Wir sollten das ernst nehmen. Warum scheitern denn so viele Referenden über europäische Vertragsänderungen, zum Beispiel in Dänemark und jetzt in Irland? Warum haben wir die Debatten über Europamüdigkeit und Europaverdrossenheit? Doch sicherlich auch deswegen, weil viele Menschen das Gefühl haben, dass sie dem, was in Brüssel entschieden wird, hilflos ausgeliefert sind, ({11}) dass sie keine Sanktionsmöglichkeiten haben, dass sie sich nicht zur Wehr setzen können. Deshalb ist es wichtig, dass der Präsident der Europäischen Kommission in Zukunft vom Europäischen Parlament gewählt werden kann. Dann werden wir einen europäischen Wahlkampf mit unterschiedlichen Spitzenkandidaten und unterschiedlichen Programmen bekommen. In diesem europäischen Prozess werden sich die Bürger wesentlich besser wiederfinden können, als dies gegenwärtig der Fall ist. ({12}) Das Dritte ist die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union. Es führt auch zu Europaverdrossenheit, wenn viele Bürger, die zum Beispiel als Handwerker, als Landwirte oder als Studenten in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld mit Europa und europäischen Regelungen konfrontiert werden, feststellen, dass es zwar in vielen Bereichen europäische Kompetenzen gibt, dass diese Zuständigkeiten auf europäischer Ebene aber entweder gar nicht oder nur unzureichend wahrgenommen werden können. Das ist ein Problem für die Akzeptanz der europäischen Einigung. Deshalb müssen wir durch eine mutige Reform des Ministerrats - durch Mehrheitsentscheidungen - dafür sorgen, dass die Europäische Union ihre Handlungsfähigkeit erhält. ({13}) Damit komme ich zu dem eigentlichen Kernpunkt des Konventes. Ich glaube nicht, dass der Konvent automatisch ein Erfolg wird. Es wird in diesem Konvent Interessengegensätze geben zwischen denen, die meinen, dass wir schon viel zu viel Europa haben, dass die Unabhängigkeit des Nationalstaates bedroht ist, und denen, die sagen, wir brauchen mehr Europa und vor allen Dingen ein stärkeres Europa. Das bedeutet, dass es im Konvent zu Krisen kommen wird, dass die Beratungen stocken werden, dass sie möglicherweise sogar scheitern können. Wie können wir einen historischen Kompromiss finden zwischen dem Nationalstaat, der ja nicht verschwinden soll, den nationalen Identitäten, die weiterbestehen müssen, auf der einen Seite und den Bedürfnissen der europäischen Integration auf der anderen Seite, um das, was in Europa gemacht werden muss, so erledigen zu können, dass die Bürger damit einverstanden sind? Es gibt dafür zwei Ansatzpunkte. Die einen sagen, wir müssten in Europa künftig über alles reden. Europa müsse zuständig sein von der Schule bis zur Bahre: für jede Frage der Sozialpolitik, Kulturpolitik, Bildungspolitik, Wirtschaftspolitik und Finanzpolitik. Zum Ausgleich wird versucht, die europäischen Institutionen zu schwächen, indem Befugnisse von der Kommission auf den Ministerrat übertragen werden, indem dafür gesorgt wird, dass - statt der alten Methode nach Jean Monnet intergouvernementale Prozeduren verstärkt werden, sodass die Europäische Union am Ende überhaupt nicht mehr handlungsfähig ist und an ihren eigenen Befugnissen erstickt. Das ist nicht unser Weg. Die zweite Lösung, die sich anbietet, ist, dass wir sagen, dass wir starke europäische Institutionen wollen, eine handlungsfähige Kommission und einen Ministerrat, der seiner Verantwortung gerecht wird, dass wir aber nicht wollen, dass Europa alles macht. Wenn es in Zukunft noch Nationalstaaten geben soll, dann brauchen sie auch eigene Zuständigkeiten, dann dürfen wir die Zuständigkeiten nicht so vermischen, dass der Bürger am Ende nicht mehr entscheiden kann, wer wofür verantwortlich ist, wer was macht. Zur Demokratie gehört auch, dass die Bürger wissen und entscheiden können, wen sie für etwas verantwortlich machen, wenn sie mit einer Regelung zufrieden sind oder nicht. Wir werden im Konvent sicherlich schwierige Beratungen haben. Wir dürfen vor allen Dingen nicht den Fehler machen, mit der Schere im Kopf an diese Beratungen heranzugehen; denn ich glaube, dass wir ein Ergebnis nur dann erzielen werden, wenn wir uns nicht von vornherein auf Minimalkompromisse, auf den kleinsten gemeinsamen Nenner festlegen lassen. Wir werden allerdings auch nur dann Erfolg haben, wenn wir niemanden überfordern: weder die kleinen Mitgliedstaaten, die vor einem Direktorium der großen Mitgliedstaaten Angst haben, noch die reicheren Mitgliedstaaten, deren finanzielle Belastbarkeit nicht unendlich groß ist, und auch nicht die ärmeren Mitgliedstaaten, die zu Recht auf Solidarität hoffen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Wir dürfen vor allen Dingen nicht den Fehler machen, das Vertrauen, das die Bürger in ihre Institutionen haben, dadurch zu beschädigen, dass wir im Konvent in Brüssel ein schlechtes Beispiel für die Zusammenarbeit der Europäer geben. Wir müssen zeigen, dass wir imstande sind, ein mutiges und ambitioniertes Projekt voranzutreiben, an dessen Ende ein Verfassungsvertrag steht, der Europa voranbringt und die europäischen Probleme im Interesse der Bürger löst. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich will darauf hinweisen, dass auch die frei gesprochenen Schlussworte zur Redezeit gehören. ({0}) - Ja, es war nur ein langer Schlusssatz, der zudem hoch interessant war. Ich darf noch hinzufügen, dass wir uns über die Fortschritte hinsichtlich des Verfassungskonvents sehr freuen. Ich gebe nun dem Kollegen Christian Sterzing das Wort für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Christian Sterzing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002810, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schwierig, diesen Konvent in vier Minuten so zu würdigen, wie es ihm eigentlich gebührt. Aber es ist sicherlich nicht so schwierig wie das Entwerfen einer europäischen Verfassung innerhalb eines Jahres. Ich will im Folgenden nur einige wenige Stichworte nennen. Es ist ganz wichtig, dass wir diesen Konvent im Rahmen der fortschreitenden Demokratisierung des Integrationsprozesses betrachten. Die Demokratisierung im Sinne von Parlamentarisierung wurde bereits angesprochen. Eine Versammlung, die mehrheitlich aus Parlamentariern zusammengesetzt ist, ist in der Lage - so hoffen wir alle -, die Logik der Regierungskonferenzen und der nicht nachvollziehbaren Kompromisse hinter verschlossenen Türen zu durchbrechen. Insofern bedeutet der Konvent einen großen Fortschritt auf dem Weg der Demokratisierung der Europäischen Union. Das zweite Stichwort ist die Entnationalisierung. Es ist wichtig, dass durch diesen mehrheitlich von Parlamentariern besetzten Konvent auch die nationale Logik von Regierungskonferenzen durchbrochen wird. Die Abgeordneten werden sich weitgehend in ihren politischen Familien organisieren. Dies wird die Debatten prägen. Dadurch kommt es nicht zu einer Belebung scheinbarer Gegensätze bei den nationalen Vorstellungen. Auch das ist ein ganz wesentlicher Fortschritt. Ich glaube drittens, dass dieser Konvent zu einer Politisierung beitragen wird. Die Debatten werden anders verlaufen, weil sie sich auf die politischen Kernthemen konzentrieren können. Es geht nämlich nicht darum, zu Hause das Gesicht zu wahren und Rivalitäten in Bezug auf nationale Interessen auszutragen. Wir können uns vielmehr um die wirklichen politischen Probleme des Integrationsprozesses kümmern. Dies wird in der Konsequenz dazu führen, dass die Akzeptanz des Integrationsprozesses und der Reiz, diesen Prozess zu verfolgen und sich daran zu beteiligen, gesteigert wird. Meines Erachtens dürfen wir nicht nur den Konvent im Blick haben, sondern müssen auch das Forum der Zivilgesellschaft sehen, das diesem Konvent nach dem Beschluss von Laeken zur Seite gestellt wird. Wir sind uns alle darin einig, dass es wichtig ist, eine breite gesellschaftliche Debatte über den Integrationsprozess und über die Zukunft Europas zu initiieren. Die Verantwortung dafür kann nicht einfach auf den Konvent übertragen werden. Die Verantwortung muss in diesem Forum wahrgenommen werden. Hier kommt es darauf an, in geeigneter Weise Initiativen, Organisationen und Institutionen an der Debatte zu beteiligen. Auch für uns auf der nationalen Ebene ist das sehr wichtig. Die Debatte darf sich nicht alleine in Brüssel abspielen. Wir müssen sie bei uns im Parlament, in den Fraktionen und in den Parteien politisch begleiten. Wir müssen diesen Konvent insofern auch als einen Impuls für unsere europapolitische und integrationspolitische Arbeit in den verschiedensten politischen Gremien verstehen. Vielen Dank. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Fraktion begrüßt ausdrücklich und uneingeschränkt die Einsetzung des europäischen Verfassungskonvents. Sie unterstützt genau diesen Titel. Ich kann mich noch gut an Diskussionen hier im Parlament im Zusammenhang mit der Europäischen Grundrechte-Charta erinnern, in denen immer wieder gesagt wurde: Lassen Sie uns die Grundrechte-Charta nicht in Verbindung mit einem europäischen Verfassungsgebungsprozess setzen; das kann diesem Projekt schaden. Man sieht daran - das erfüllt uns mit Hoffnung -, dass die Meinungsbildung in Europa innerhalb eines Jahres auch in diesem Punkt sehr wohl vorangegangen ist. ({0}) Von daher unterstützen wir diesen Prozess. Wir sehen darin die - vielleicht sogar einzige - Chance, Europa am Scheideweg, wie es auf dem Gipfel von Laeken bezeichnet wurde, in die richtige Richtung zu bewegen. Denn neben der historisch notwendigen Erweiterung um ost- und mitteleuropäische Staaten geht es gleichzeitig zwingend darum, die Vertiefung der Europäischen Union voranzubringen. Denn nur wenn uns beides innerhalb eines sehr ehrgeizig festgelegten Zeithorizontes gelingt, wird Europa wirklich die politische Europäische Union, die wir wollen, und läuft nicht Gefahr, sich rückwärts bzw. hin zu einer in erster Linie wirtschaftlichen Gemeinschaft, in der es um die Verteilung von Subventionen bzw. Geldern geht, zu entwickeln. Wir sprechen zwar hier im Bundestag über den Konvent. Es ist aber schade, dass unsere unmittelbaren Einflussmöglichkeiten gering sind. ({1}) Herr Meyer, wir unterstützen, dass mit Ihnen ein profunder Kenner der europäischen Materie und ein überzeugter Europäer im Konvent vertreten ist. Sie sind ja auch von unserer Fraktion gewählt worden, um die dortigen Aufgaben wahrzunehmen. Aber der Konvent - vor allem das Präsidium - ist nicht so zusammengesetzt, wie wir uns das gewünscht haben. ({2}) Es ist kein Parlamentskonvent. Das Präsidium besteht mehrheitlich nicht aus Parlamentariern und in ihm wird leider, wie es wohl sein wird, auch kein Vertreter Deutschlands sein. Das ist schade. ({3}) Es kommt entscheidend darauf an, dass sich der Konvent auf seinen ersten Sitzungen Gedanken über Verfahren macht - und diese auch beschließt -, die der Gefahr der Dominanz durch das Präsidium vorbeugen. Es sollte verhindert werden, dass die Parlamentarier aus dem Europäischen Parlament und aus den nationalen Parlamenten nach einer wunschgemäßen Diskussion mehr oder weniger das abnicken, was ihnen nach internen Beratungen im Präsidium vorgelegt worden ist. Genau das wollen wir nicht. ({4}) Meine Damen und Herren, deshalb sollten wir uns hier als Parlamentarier und insbesondere als Mitglieder des Europaausschusses, der nach Art. 45 des Grundgesetzes eine besondere Funktion hat, der nämlich ermächtigt ist, die Rechte des Bundestages wahrzunehmen, Gedanken darüber machen, wie wir dieser Funktion außer durch die vielen zu erwartenden Diskussionen über den gesamten Themenkatalog, der uns allen bekannt ist und der in den Schlussfolgerungen des Gipfels von Laeken in einer Fülle von Fragen umrissen worden ist, gerecht werden. Wir sollten uns im Europaausschuss und auch im Parlament auf wichtige Vorgaben einigen, die dann den deutschen Vertretern im Konvent, also unserem deutschen Parlamentsvertreter, aber auch den anderen deutschen Vertretern, eine gewisse Rückendeckung bieten. Ich hoffe nicht, dass sich unsere Befürchtung bestätigen wird, dass sich die weiteren deutschen Vertreter, Herr Teufel als Vertreter der Länder, ({5}) Herr Glotz als Regierungsbeauftragter und sein Unterstützer Herr Pleuger, ({6}) nicht hier im Bundestag befinden werden, um sich das anzuhören, was wir hier im Zusammenhang mit dem Verfassungskonvent zu sagen haben, und dies auch ernst zu nehmen. Die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich dieses Konventes sind zu Recht groß. Entsprechend große Erwartungen sind ja geweckt worden. Wie können wir diesen Erwartungen entsprechen? - Indem, wie Herr Altmaier gesagt hat, nachher nicht der kleinste gemeinsame Nenner herauskommt, indem es nicht nur eine Neuauflage von Regierungskonferenzen nach altem Stil mit einem Ergebnis à la Nizza gibt, sondern indem in dem Konvent ein Ergebnis erzielt wird, das zwar von einer Regierungskonferenz abgesegnet wird, aber dort nicht entscheidend verändert wird, und das Europa wirklich zu einem demokratischen, transparenten, effizienten Gemeinwesen macht - natürlich mit staatlichen Funktionen und staatlicher Autorität. ({7}) Damit das mit unseren schwachen Mitteln - dass es schwache Mittel sind, müssen wir einmal deutlich sagen gelingen kann, ist es zwingend notwendig, dass zumindest die deutschen Vertreter in dem Konvent in ihren unterschiedlichen Rollen, auch mit ihren unterschiedlichen Interessen - sie sind dort ja in unterschiedlichen Funktionen - zusammenstehen. Wenn es noch nicht einmal gelingen sollte, dass Herr Teufel, Herr Glotz und Herr Meyer an einem Strang ziehen, dann, so glaube ich, brauchen wir in das Ergebnis der Beratungen des Konvents keine allzu großen Hoffnungen zu setzen. Deshalb hoffe ich nicht, dass es jetzt ein schlechter Auftakt war, ({8}) weil diese Herren in ihren Funktionen heute leider nicht die Debatte hier verfolgt haben. Vielen Dank. ({9})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat nun der Kollege Uwe Hiksch für die PDS-Fraktion.

Uwe Hiksch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002677, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir von der PDS-Bundestagsfraktion begrüßen, dass ein europäischer Verfassungskonvent eingesetzt wird, weil wir glauben, dass dieser europäische Verfassungskonvent die Chance bietet, politische und auch institutionelle Reformen voranzubringen, die in der Europäischen Union bisher nicht möglich waren. Wir weisen aber auch darauf hin, dass die Einsetzung dieses zweiten Konvents nur möglich geworden ist, weil - wir alle wissen das ja - eine Reihe von Regierungen in Europa erkennen musste, dass das Instrument der Regierungskonferenzen, diese Treffen in geheimen Zirkeln, als Reformmotor der Europäischen Union gescheitert ist. Diesen europäischen Konvent zu schaffen ist auch deshalb möglich gewesen, weil manche Regierungen, die der Integration und der europäischen Idee nicht so aufgeschlossen gegenüberstehen, beispielsweise die deutsche Regierung, durchaus hoffen, dass dieser Konvent zeigen wird, dass auch die Parlamentarierinnen und Parlamentarier dann, wenn sie an die Reform der Verträge gehen, daran ein Stückchen scheitern könnten. Deshalb sind wir alle gemeinsam dazu aufgerufen, Kolleginnen und Kollegen, für die Zukunft Europas und für die Schaffung eines Europas der Bürger dabei mitzuhelfen, dass dieser Konvent ein Erfolg wird. ({0}) Damit er ein Erfolg werden kann, darf über der Frage der institutionellen Reformen nicht vergessen werden, dass auch politische Reformen auf die Tagesordnung der Europäischen Union gesetzt werden müssen. Wir von der PDS-Bundestagsfraktion sind der Überzeugung, dass es nicht angehen kann, eine Agrarpolitik zu entwickeln, die mit dem Beitritt der mittelosteuropäischen Staaten in Europa Landwirte erster und zweiter Klasse schafft. Die Landwirte müssen wissen - dabei wollen wir mithelfen -, dass sie gleiche Rechte und auch gleiche Subventionen bekommen. Wir glauben auch, dass die Reform der Strukturpolitik in der Europäischen Union auf die Tagesordnung gesetzt werden muss. Dabei darf aber nicht der Egoismus der Starken siegen. Schwächere Regionen und schwächere Staaten brauchen weiterhin die europäische Unterstützung. ({1}) Wir müssen deutlich machen, dass bei der Internationalisierung der Kapital- und Finanzströme, die es schon lange gibt, eine immer stärkere Zusammenarbeit in der Wirtschaftspolitik notwendig ist, die beispielsweise mit dem Modell einer europäischen Wirtschaftsregierung ein Stückchen vorangebracht werden kann. Die Menschen in unserem Lande werden der europäischen Idee gegenüber nur dann aufgeschlossen bleiben, wenn sie spüren, dass auf europäischer Ebene nicht nur die Ökonomie, sondern auch die realen Probleme der Menschen, die Arbeitslosigkeit, die Wohnungsnot und die soziale Ausgrenzung immer größerer Teile unserer Gesellschaft, eine Rolle spielen. Deshalb glauben wir, dass dieser Konvent eine gute Grundlage ist, um die Demokratisierung der Europäischen Union voranzubringen. Demokratisierung bedeutet aber auch - Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat es bereits aufgezeigt -, dass der darauf folgende Konvent darüber diskutieren muss, dass sich ein Konvent faktisch nicht nur aus den beiden Hauptströmungen zusammensetzen darf, sondern die Pluralität europäischer Parteien und ideeller Strömungen wiedergeben muss. Deswegen sollte der übernächste Konvent vielleicht so angelegt sein, dass eine rein nationalstaatliche Auswahl überwunden wird. ({2}) Wir glauben, dass der Versuch der Schaffung einer europäischen Verfassung, in der individuell einklagbare soziale und bürgerliche Grundrechte festgeschrieben werden müssen, ganz wichtig für die Zukunft der Europäischen Union ist. Darüber hinaus müssen die Leftovers von Nizza - die Versuche, eine kleinere arbeitsfähige Kommission zu schaffen, Mehrheitsentscheidungen als grundsätzliche europäische Entscheidungsgrundlage sowie individuell einklagbare Grundrechte für die einzelnen Menschen im sozialen und bürgerlichen Bereich durchzusetzen - angegangen werden. Das sind einige der wichtigsten europäischen Herausforderungen, dass ohne Europa viel schwieriger ist, die Zukunftschancen zu nutzen, Vollbeschäftigung zu schaffen und Armut zu bekämpfen, als mit Europa. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, Herr Meyer, viel Erfolg im Konvent und hoffe, dass dies gelingen möge. ({3})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat jetzt der Kollege Günter Gloser für die SPD-Fraktion.

Günter Gloser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002660, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von Europa weiß kein Mensch, weder ob es vom Meer umflossen ist, noch wonach es benannt ist, noch wer es war, der ihm den Namen gegeben hat. Diese Sorgen haben im Jahr 430 vor Christus einen altgriechischen Historiker geplagt. Wir stehen vor anderen Herausforderungen: der Integration und Erweiterung der Europäischen Union. Beides setzt ein handlungsfähiges Europa voraus. Wie ist zu diesem Ziel zu gelangen? Die Methode Jean Monnets hat sich in einer bestimmten und sicherlich auch sehr langen Phase als richtig erwiesen. Aber die Schwerpunktsetzung allein auf das ökonomische Zusammenwachsen hat die demokratische Verfasstheit in dieser Europäischen Union in den Hintergrund gedrängt. Es hat Strukturen gegeben, mit denen wir als Parlamentarier nicht einverstanden sein konnten. Insofern ist es wichtig und richtig zugleich, wenn sich die Europäische Union - Regierungen wie Parlamente, Wissenschaft, aber auch Zivilgesellschaft - auf den Weg zu einer europäischen Verfassung macht. Mit dem Einsetzen eines Konvents wird gleichzeitig Abschied von der bisherigen Methode der Vertragsänderungen genommen. Was aber hat das für Folgen? Dies ist bereits von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern angesprochen worden. Erstens. Jetzt muss der Konvent beweisen, dass er es besser kann als vorausgegangene Regierungskonferenzen. Zweitens. Wir haben an mancher Stelle beklagt und beklagen es auch heute noch, dass der Konvent nicht rein parlamentarisch besetzt ist. Dennoch ist der parlamentarische Einfluss erheblich gestärkt worden. Wir als Parlamentarier müssen nun beweisen, dass es uns gelingt, die Initiative zu ergreifen und die Möglichkeit zur Gestaltung zu nutzen. Der Konvent soll sich - es wurde gerade schon die Forderung nach dem nächsten Konvent gestellt - in der Tat bewähren. Drittens - das halte ich für einen wichtigen Punkt; wir sehen dies bei eigenen Parlamentsdebatten -: Der Konvent kann der Beginn einer europäischen Öffentlichkeit, ein Beleg für mehr Transparenz in der Europäischen Union und damit auch ein Beleg für mehr Demokratie sein. Insofern ist es nicht vermessen, die konstituierende Sitzung des Konvents am 28. Februar 2002 als ein historisches Datum zu bezeichnen. ({0}) Nachdem aufgrund der innenpolitischen Situation vieles an diese Bundesregierung herangetragen wurde, nachdem sie verurteilt und kritisiert wurde, will ich noch einmal in Erinnerung rufen - der Kollege Professor Meyer hat das zu Recht erwähnt -, dass in Köln durch diese Bundesregierung, durch Bundeskanzler Schröder und Außenminister Joschka Fischer, ein Testlauf in Gang gebracht worden ist. Dieser Testlauf wurde positiv abgeschlossen. Insofern war es nur folgerichtig, dass wir Parlamentarier gesagt haben: Lasst uns dieses Modell aufgreifen und den Parlamentariern mehr Mitwirkungs- und Gestaltungsrechte bei dieser Verfassung geben. Die SPD hat mit ihrem Leitantrag „Verantwortung für Europa“ unterstrichen, welche Kernbereiche wichtig genug sind, in diesem Konvent behandelt zu werden. Was erwarten wir für die Zukunft der Europäischen Union? Ich verdeutliche es an vier Punkten: Erstens. Die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union ist sicherzustellen. Zweitens. Eine klare Aufgabenzuordnung für die europäischen Institutionen, die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und den Europäischen Rat, ist erforderlich. Drittens. Nicht zu vergessen ist das Zusammenspiel dieser Institutionen mit den nationalen Parlamenten. Damit ist nicht gesagt, dass wir von vornherein alles auf die europäische Ebene heben wollen. Vielmehr müssen auch die nationalen Parlamente eine wichtige Rolle spielen. Dafür ist aber nicht unbedingt eine neue Institution auf europäischer Ebene erforderlich. Viertens. Wir brauchen eine Reform der Sachpolitiken. Lieber Kollege Hiksch, Sie haben in Ihrem Beitrag die zwei Klassen in der gemeinsamen Agrarpolitik erwähnt. Wir Sozialdemokraten lassen uns weiterhin davon leiten, in der Europäischen Union auf Solidarität zu achten. Das haben wir bei den 15 gezeigt, das werden wir auch bei der erweiterten Union zeigen. Allerdings müssen Sie dann auch sagen, wie das alles finanziert werden soll. Dazu höre ich leider keine Vorschläge von der PDS. Es wäre sicherlich sinnvoll, dies im Laufe der Diskussion zu erreichen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Europäische Union wird in wenigen Jahren 25 oder noch mehr Mitgliedstaaten umfassen. Eine Gemeinschaft mit dann mehr als 500 Millionen Einwohnern braucht klare Ziele und Regeln für das Zusammenleben und die Politikgestaltung. Sie muss auch nach ihrer Erweiterung handlungs- und entscheidungsfähig sein. Insofern ist es gerade vor dem Hintergrund der Erweiterung der Europäischen Union richtig, dass wir von vornherein fraktionsübergreifend - das finde ich sehr gut - gefordert haben, dass alle Beitrittsländer an diesem Prozess beteiligt werden können. Auch dies ist ein Beleg für die Offenheit dieser Zukunftsdiskussion in der Europäischen Union. Europa ist seit vielen Jahrhunderten ein gemeinsamer Lebens- und Gestaltungsraum mit sehr vielen Brüchen: mit Kriegen, Katastrophen, Tragödien und Kleinstaaterei. Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, besteht die große Chance, mit der Debatte über die Zukunft Europas und der bevorstehenden Erweiterung aus einem über viele Jahre zerstrittenen Kontinent einen friedlichen Kontinent zu gestalten und eine europäische Identität herzustellen. Wenn wir als Parlamentarier daran mitwirken können und gemeinsam mit den Kollegen, die Deutschland in diesem europäischen Konvent vertreten, daran beteiligt werden, dann müssen wir in den nächsten Wochen und Monaten auch in diesem Parlament Gelegenheit haben, mehrfach über den Verlauf des europäischen Konvents und die Zukunft der Europäischen Union zu diskutieren. Vielen Dank. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die Fraktion der CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Gerd Müller.

Dr. Gerd Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir müssen uns gegenseitig wieder ernst nehmen, sonst können wir Debatten vergessen. Sich gegenseitig mehr ernst zu nehmen heißt, das Parlament und nicht die Regierung oder den Bundesrat zum Zentrum der Debatte zu machen; denn bei diesem Projekt handelt es sich um eine der weitest reichenden Reformen des europäischen Staats- und Verfassungsgefüges. Hier geht es um zentrale politische Fragen, die uns in den nächsten Jahren alle berühren werden. Daher müssen wir uns gegenseitig ernst nehmen. Eine solche Debatte ist ein hervorragender Aufbruch. Frau Kollegin, ich gebe Ihnen vollkommen Recht: Heute stellt sich nicht die Frage „Wo ist Behle?“, sondern es stellt sich die Frage, wo Teufel, Glotz und Pleuger sind. Natürlich wollen wir miteinander in Deutschland mit den Vertretern im Konvent - auch mit denjenigen, die den Bundesrat vertreten - in einen Dialog eintreten und eine gemeinsame Linie entwickeln. Nur dann haben solche Debatten Sinn. ({0}) Es geht jetzt darum, in Europa die internationale Handlungsfähigkeit der Union, aber auch die Erweiterungsfähigkeit und deren Funktionsfähigkeit nach innen sicherzustellen. Heute diskutieren wir über die Zielstellung des Konvents. Nun hat der Gipfel von Nizza dem Konvent die klare Aufgabe vorgegeben, zu den Themenbereichen Kompetenzabgrenzung der einzelnen Ebenen, Vereinfachung der Verträge und Stärkung der Rolle der nationalen Parlamente Vorschläge und Optionen zu erarbeiten. - Dieses Thema rutscht oft ein bisschen unter den Teppich. Der Konvent wird dazu wichtige Vorarbeiten für die im Jahr 2004 einzuberufende Regierungskonferenz leisten. Er wird und kann aber die Regierungskonferenz nicht ersetzen. ({1}) Er leistet zentrale Vorarbeiten, die dann in eine Regierungskonferenz einmünden werden. Welche vorrangigen Fragen müssen neben denen, die aufgeworfen wurden, diskutiert werden? Natürlich stehen auf der Tagesordnung weitere brennende Themen: die Reform der europäischen Regional- und Strukturpolitik sowie die Reformierung des Finanzsystems und der Landwirtschaftspolitik. Dies sind die Tagesfragen. In der Konventsdebatte gehen wir ein Stück darüber hinaus. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen die Debatte über die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Europa, den Mitgliedstaaten und den Ländern auch dazu nutzen - dazu möchte ich die Bundesregierung und uns alle ermutigen -, eine innerstaatliche Funktionalreform in Deutschland anzudiskutieren. Denn wir können in der Europäischen Union nicht eine zusätzliche, neue Ebene der Gesetzgebung einführen, ohne die Auswirkungen auf das Staatsgefüge in Deutschland und auf den Staats- und Verwaltungsaufbau auf den Prüfstand zu stellen. Die Ziele dieser innerstaatlichen Funktionalreform sind eine Verschlankung staatlicher Hierarchieebenen und eine Entbürokratisierungsoffensive. Dies müssen wir intern leisten. Darüber hinaus geht es darum, den Aufgabenbestand der EU an die Leistungsfähigkeit der erweiterten 27er-Gemeinschaft anzupassen. Was die Frage der Kompetenzabgrenzung betrifft, so hat die CDU/CSU mit dem Bocklet/Schäuble-Papier einen überzeugenden, umfassenden und abgewogenen Vorschlag in die Debatte eingeführt, der in der europäischen Diskussion schon heute eine zentrale Rolle spielt. Ich möchte nur einige Punkte dieses Papiers ansprechen: Wir bringen sehr klar zum Ausdruck, wo wir für uns mehr europäische Kompetenzen erwarten. Hier lauten die Stichworte: Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Aber demgegenüber sagen wir auch sehr klar, differenziert und detailliert, wo die Grenzen europäischer Durchgriffsgestaltung liegen, nämlich beispielsweise beim inneren Staatsaufbau der Mitgliedstaaten einschließlich der kommunalen Selbstverwaltung und bei der Daseinsvorsorge. Herr Fischer - Sie sprechen ja nach mir -, das Bocklet/Schäuble-Papier ist eine hervorragende Basis. Wo ist der Diskussionsvorschlag bzw. der Entwurf der Regierung, wie diese Themen angepackt werden sollen? Ich werde anschließend ganz gespannt Ihren Ausführungen lauschen. ({2}) Bei den institutionellen Reformen - dies möchte ich ergänzend sagen - sollte man sich nicht nur auf die Europäische Kommission und das Europäische Parlament, sondern insbesondere auf den Ministerrat konzentrieren. ({3}) Die Europapolitik bedarf, wenn wir vom Ministerrat auf den Rat und die nationale Beteiligung blicken, einer neuen Struktur, und zwar auch in Deutschland. Wir benötigen ein koordinierendes und gestaltendes Europaministerium. Europapolitik ist längst nicht mehr Außenpolitik, sondern sie benötigt einen eigenen Kopf, der dem Parlament gegenüber Verantwortung übernimmt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Nizza gibt den Mitgliedstaaten auch den Auftrag einer Neudefinition der Rolle der nationalen Parlamente; darüber denken nationale Parlamentarier komischerweise weniger nach als über die Rolle des Europäischen Parlaments. Dazu haben wir Vorschläge vorgelegt. Ich skizziere sie nur kurz: Wir brauchen eine Parlamentarisierung und die konsequentere Nutzung der jetzigen Rahmenbedingungen. Eine solche Debatte ist im Rahmen unserer jetzigen Möglichkeiten gegeben. Aber wir brauchen auch eine Ergänzung des Art. 23 GG, um den Rat und unsere Vertreter bei grundlegenden Rechtsetzungsfragen an das Votum des Bundestages zu binden. Darüber hinaus ist die Frage zu diskutieren, ob in zentralen Fragen ein neuer Rat, ein Ministerrat, auch aus Vertretern der nationalen Parlamente bestehen soll. Der Bundesrat ist hier einen Schritt weiter. Diese Fragen müssen in den nächsten Monaten miteinander im Dialog diskutiert werden. Es stellt sich darüber hinaus die Frage nach der Rolle der Nationen. Ich habe sehr aufmerksam zugehört: Wir müssen natürlich auch die Chance nutzen, eine europäische Wertedebatte zu initiieren. Insgesamt stehen wir nicht am Rande einer Krise, sondern vor einer großartigen Chance, gemeinsam moderne, zukunftsfähige Strukturen in Europa zu entwickeln. Vielen Dank. ({4})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich dem Bundesaußenminister Joschka Fischer das Wort.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir bis zum Jahre 2006 oder kurz darüber hinaus vorausschauen, werden wir feststellen, dass wir vor drei wirklich zentralen Aufgaben stehen, die nicht nur Deutschland, sondern die Europäische Union als Ganzes in einem hohen Maße fordern werden. Die erste Aufgabe ist, endlich den Schritt zu machen, die europäische Integration zu leisten, und zwar in räumlicher Ausdehnung durch die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten. Das wird, da die Arbeit gut vorankommt - entsprechend den Vorgaben der Europäischen Räte von Nizza und Göteborg -, hoffentlich bis zum Frühsommer 2004 gelingen, sodass die ersten neuen Mitgliedstaaten an der Wahl zum Europaparlament werden teilnehmen können. Dies wird aber eine große Herausforderung für uns alle bedeuten, und zwar in finanzieller und institutioneller Hinsicht. Wenn es so kommt, wie die Kommission meint, dass es vermutlich kommen wird, dass zehn neue Mitgliedstaaten aufgenommen werden, werden wir eine Europäische Union der 25 haben. Dies wird das institutionelle Gefüge vor grundsätzliche Herausforderungen stellen, und zwar nicht nur im funktionalen, sondern auch im demokratischen Sinne. Ein Staatenverbund mit 25 Mitgliedstaaten wird die Kompromisse immer undurchschaubarer und die Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Nationalstaaten immer komplizierter und überfrachteter machen. Die einzelnen Staaten werden schwerer zusammenzubringen sein, die Kompromisspakete werden von den Menschen immer weniger verstanden werden. Damit wird ein heute bereits sich abzeichnendes Legitimationsdefizit verstärkt werden, sodass die Zustimmung zu der für uns alle unverzichtbaren europäischen Entscheidungsebene - denn Europa bedeutet unser aller Zukunft - in den Mitgliedstaaten abnehmen wird. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Es ist aber auch die funktionale Seite berührt. Die neuen Mitgliedstaaten haben kein Interesse, in eine Europäische Union einzutreten, die nur noch unzureichend funktioniert oder gar in eine Stagnation verfällt. Wir dürfen uns keine Illusionen darüber machen - ich plädiere hier für Realismus; gerade wir Deutsche sind dafür besonders geeignet, da wir innerstaatlich die Schwierigkeiten des Zusammenfindens und Zusammenwachsens bereits erlebt haben -, wie viel Geduld und gegenseitigen Verständnisses es bedarf. Es treten neue Mitgliedstaaten ein, die für ihre nationale Unabhängigkeit von der Sowjetunion und gegen Diktaturen über fünf Jahrzehnte hinweg gekämpft haben. Wir werden neue Mitgliedstaaten bekommen, die ihren eigenen Zugang zur europäischen Integrationsidee haben und - das ist sehr wichtig - im Laufe der Zeit weiter entwickeln müssen. Das alles wird keineswegs die Bindungskraft einer sich erweiternden Europäischen Union verstärken. Wenn also zu dem Demokratieproblem auch noch ein Funktionalitätsproblem hinzu käme, würde das die Europäische Union vor sehr ernste Probleme stellen. Genau deshalb besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Erweiterung und Vertiefung der Integration. Hier liegt die Hauptaufgabe. Ich sage unbeschadet der parteipolitischen Positionen, die hier eingenommen werden - in der Politik zählen die Ergebnisse -: Wenn der Konvent das Demokratieproblem und das Funktionalitätsproblem nur unzureichend lösen würde, würden wir mit einer Union der 25 eben nur unzureichende Ergebnisse erzielen, die dann zu unzureichenden Konsequenzen führten. Ich wünsche mir, dass sich der Konvent an diesen Grundtatsachen orientiert: Wie kann eine europäische Demokratie der 25 Mitgliedstaaten funktionieren? Welches institutionelle Gefüge und welches Verhältnis von nationalstaatlicher und europäischer Ebene braucht sie? Ich stimme völlig damit überein, dass die innerstaatliche Organisationskompetenz bei den Nationalstaaten liegt. Es wäre geradezu unsinnig, bei einer so unterschiedlichen föderalen und zentralstaatlichen Tradition, wie sie beispielsweise in Deutschland und Frankreich besteht, plötzlich von Brüssel her entscheiden zu wollen. Das wird nicht funktionieren. Aber die entscheidende Frage ist die nach der Funktionalität einer europäischen Demokratie. Dabei wage ich die Prophezeiung, dass auf den Konvent eine sehr schwierige Aufgabe zukommt. Meine These ist, dass der Konvent bereits zu 95 Prozent oder mehr über den Erfolg der dann stattfindenden Regierungskonferenz entscheiden wird. Ich sehe nicht, dass die Regierungskonferenz Ergebnisse erzielen wird, die der Konvent nicht schon vorher hinbekommen hat. Aber wir werden sehen, dass die nationalen Widersprüche bzw. die unterschiedlichen Verfassungstraditionen und die unterschiedlichen Vorstellungen von Europa nicht zwischen Parlamentariern und Regierungsvertretern, sondern im Konvent erstens ausgetragen und zweitens in einen Konsens überführt werden müssen. Zugleich bestehen zentrale Interessenwidersprüche zwischen Groß und Klein. Auch die Vorstellungen zur Kompetenzabgrenzung, die Sie eben mit dem Schäuble-Bocklet-Papier artikuliert haben, Herr Müller, werden von sehr vielen - ich behaupte sogar: von der Mehrheit - in der Europäischen Union mit großer Skepsis gesehen und nur sehr eingeschränkt geteilt, um es in diplomatische Formulierungen zu kleiden. ({0}) - Es mag ja sein, dass es an Kraft gewinnt, aber diese Kraft könnte sich durchaus auch in der Ablehnung solcher Vorstellungen manifestieren. Ich sage nicht, dass es so kommen muss. Ich beschreibe nur das Spannungsverhältnis, in dem sich der Konvent befinden wird. Deswegen plädiere ich für sehr viel Realismus, das heißt, dass visionäre Kraft, wie man sich einen solchen Kompromiss vorstellt, auch mit Realismus gepaart ist. Es wird viele Ideen geben. Für mich lautet die zentrale Frage - damit komme ich zum Schluss; das würde ich Herrn Meyer und seinem Stellvertreter Altmaier als Vertreter des Parlaments gerne mit auf den Weg geben -: Verlassen wir den Staatenverbund und schaffen wir den Schritt in die Föderation? Schaffen wir also auf der politischen Ebene denselben Schritt, den wir mit dem Maastricht-Vertrag auf der monetären Ebene und der Ebene des gemeinsamen Marktes geschafft haben, ja oder nein? Das richtet sich danach, ob wir den Staatenverbund überschreiten und zu der Föderation gelangen, was die politische Integration bzw. die Schaffung einer europäischen Demokratie ausmacht. Es wird sich meines Erachtens zeigen, ob die Doppelrolle des Europäischen Rates wirklich überwunden und aufgelöst werden kann - dazu gibt es unterschiedliche Varianten und Ansätze - oder ob - in welcher Form auch immer - die Doppelrolle des Rates erhalten bleibt. Bleibt die Doppelrolle erhalten, bleiben wir im Staatenverbund. Dann wird es mit 25 Mitgliedstaaten alles andere als einfach werden. Überschreiten wir den Staatenverbund, werden wir den Schritt in die Föderation gehen und der Rat wird sich zwischen Legislative und Exekutive entscheiden müssen. Das ist für mich die zentrale Frage. Die Zeit lässt es nicht zu, näher in die Details zu gehen. Aber ich bin mir sicher, dass wir im Rahmen des Ausschusses, Herr Vorsitzender, noch Gelegenheit haben werden, mit allen am Konvent Beteiligten diese Fragen zu diskutieren. Ich wünsche Ihnen allen und auch uns Erfolg; denn Europa ist unser gemeinsames Schicksal. Gerade die jüngsten weltpolitischen Ereignisse zeigen: Bleiben die Europäer getrennt und schaffen wir die europäische Demokratie nicht, dann werden wir nicht zum Gestaltungsfaktor, sondern werden mitgestaltet werden. Ich meine, es liegt in unser aller Interesse, gemeinsam mit unseren Partnern im 21. Jahrhundert ein Gestaltungsfaktor zu werden und zu bleiben. Danke. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aussprache. Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahr 2000 ({0}) - Drucksache 14/7657 Überweisungsvorschlag: Ausschuss ür Wirtschaft und Technoloie ({1}) Auswärtiger Ausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Damit sind Sie einverstanden. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf.

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Rüstungsexportbericht 2000 legt die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag zum zweiten Mal Rechenschaft über die Rüstungsexportpolitik des Vorjahres ab. Der neue Bericht zeigt, dass die Bundesregierung auch im Jahr 2000 eine restriktive Rüstungsexportpolitik verfolgt hat. In dem jetzt vorliegenden Bericht sind im Sinne der Verbesserung der Transparenz - das war immer ein wichtiges Anliegen des Parlaments - zusätzliche Informationen aufgenommen worden. So enthält der jetzige Bericht - um die Entwicklung über die Jahre hinweg offen zu legen - Aufstellungen zu der Entwicklung der Zahl der Genehmigungen und der tatsächlichen Ausfuhren in den Jahren 1996 bis 2000. Des Weiteren wurde auch eine Aufstellung mit einer Strafverfolgungsstatistik - auch das war mehrfach Gegenstand der Ausschussberatungen - nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz und dem Außenwirtschaftsgesetz aufgenommen. Außerdem wird über an andere Länder geleistete militärische Ausrüstungshilfen sowie über neu abgeschlossene regierungsamtliche Kooperationen im Rüstungsgüterbereich mit deutscher Beteiligung berichtet. Für das Jahr 2000 konnte in beiden Bereichen Fehlanzeige gemeldet werden. Allerdings wird in Zukunft in der Frage der Kooperation - das füge ich hinzu - gerade vor dem Hintergrund dessen, über das wir in der vorangegangen Debatte diskutiert haben, in Europa sehr viel mehr ablaufen als in der Vergangenheit. Das bedeutet, dass Europa auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik handlungsfähiger werden muss. Neu ist im Rüstungsexportbericht ebenfalls ein Kapitel über die Genehmigungspolitik bei der Ausfuhr von Kleinwaffen. Die Bundesregierung zollt damit der Bedeutung der Kleinwaffenproblematik Tribut. Im letzten Jahr hat zu diesem Thema eine große UN-Konferenz in New York stattgefunden, auf der wir uns zusammen mit unseren europäischen Partnern für eine stringente Exportpolitik im Bereich dieser Waffenkategorie eingesetzt haben. Nicht gefolgt ist die Bundesregierung dem Wunsch nach Aufnahme von Angaben über Dual-use-Güter. Das Wirtschaftsministerium hatte dem Wirtschaftsausschuss einen Bericht dazu vorgelegt. Dieser wird im Ausschuss erörtert werden. Ich möchte an dieser Stelle nicht auf die Einzelheiten eingehen. Nur so viel: Rüstungsgüter und Dual-use-Güter sind Waren von sehr unterschiedlichem Charakter. Rüstungsgüter werden speziell für militärische Zwecke hergestellt. Dual-use-Güter können auch für völlig andere Zwecke hergestellt werden. Sie können in sensitiven Bereichen sicherlich auch anders verwendet werden. Aber in der Praxis werden diese Güter in aller Regel für zivile Zwecke eingesetzt. Vor diesem Hintergrund würde die Aufnahme von Dual-use-Gütern in den Rüstungsexportbericht statistisch ein völlig falsches Bild vermitteln. Das möchten wir auch im Interesse der Transparenz vermeiden. Eine Informationslücke für das Parlament ergibt sich hieraus jedoch nicht. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, der Auswärtige Ausschuss und der Haushaltsausschuss werden wie schon in den vorangegangenen Jahren jährlich über die Zahl der Ablehnungen und die der Genehmigungen der Ausfuhren von Dual-use-Gütern unterrichtet. Lassen Sie mich nun noch ein paar Sätze zu den Zahlen sagen, die der Bericht, der sehr umfangreich ist und in dem die Entwicklung der letzten Jahre dargelegt wird, enthält. Die jetzt vorliegenden Zahlen belegen erneut, dass die Rüstungsexporte - das ist traditionell so - nur eine geringe Rolle bei den deutschen Ausfuhren spielen. So lag der Anteil der Ausfuhren von Kriegswaffen an den deutschen Gesamtausfuhren im Jahr 2000 bei 0,11 Prozent. Kriegswaffen wurden im Wert von 1,33 Milliarden DM ausgeführt. Das bedeutet im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang um 53 Prozent. Es liegen auch statistische Angaben sowohl zu der Ausfuhr von Kriegswaffen als auch zu der Ausfuhr von sonstigen Rüstungsgütern vor. Im Berichtsjahr wurden Ausfuhrgenehmigungen im Wert von 5,568 Milliarden DM erteilt. Dieser Wert ist im Vergleich zum Vorjahr um 6 Prozent gesunken. Interessant ist, dass der Wert der Genehmigungen für Ausfuhren in EU- und NATO-Länder sowie in ihnen gleichgestellte Länder fast unverändert geblieben ist, während der Wert der Genehmigungen für Ausfuhren in so genannte Drittländer um 24 Prozent zurückgegangen ist. Das entspricht unserer Politik; denn wir wollen nicht nur Transparenz herstellen. Wir wollen auch dafür sorgen, dass die EU- und die NATO-Länder ihre Sicherheitsbestimmungen für die Genehmigung von Ausfuhren in Drittländer verschärfen. Einen Anstieg gab es bei den Sammelausfuhrgenehmigungen. Dabei handelt es sich um Genehmigungen, welche für Ausfuhren im Rahmen von Kooperationsprojekten mit EU- und NATO-Ländern erteilt werden. Sammelausfuhrgenehmigungen ermöglichen den vereinfachten Warenaustausch zwischen den Kooperationspartnern; deshalb diese Zusammenfassung. Der Anstieg beruht unter anderem darauf, dass im letzten Jahr das EurofighterProgramm anlief und daher entsprechende Sammelausfuhrgenehmigungen ausgestellt wurden. Der Rüstungsexportbericht geht auch auf die in der öffentlichen Diskussion viel beachteten internationalen Vergleichsstatistiken ein. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass ein seriöser Vergleich der bedeutenden Rüstungsexportländer nur schwer möglich ist. Das liegt unter anderem daran, dass in den jeweiligen Statistiken der Länder ganz unterschiedliche Waffenkategorien zugrunde gelegt werden. Vizepräsidentin Anke Fuchs

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Staatssekretär, es besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage. Wollen Sie die Frage des Kollegen Koppelin zulassen?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Ja, von Herrn Koppelin immer.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke, Herr Staatssekretär. - Das hört sich alles ganz gut an; aber entscheidend ist doch die Lieferung in Krisengebiete. Ich nehme einmal einen Bereich heraus. Vielleicht können Sie dazu etwas sagen; es gab auch Presseberichte dazu. Wie verhält es sich mit den Lieferungen nach Israel? Sind die Pressemeldungen richtig, wonach die Lieferungen nach Israel angestiegen sind?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Koppelin, wir sind da sehr aufmerksam, gerade aufgrund der aktuellen Entwicklungen. Aus Ihrer Regierungszeit wissen Sie, dass es langfristige Verträge gibt. Gerade angesichts der momentan sehr angespannten Situation verfolgen wir das sehr aufmerksam. Wir haben, soweit mir bekannt, keinerlei Entscheidung getroffen, die einen Anstieg begründet hätte, beobachten aber sehr wohl genau, wie dieses Spannungsgebiet einzuschätzen ist. Insofern können Sie davon ausgehen, dass wir unsere Grundsätze auch bei aktuellen Entwicklungen sehr genau im Auge behalten. Bei den Empfängern deutscher Rüstungsgüter stehen EU- und NATO-Partner eindeutig im Vordergrund. Das ist sehr wichtig, weil wir immer gesagt haben, wir wollten zwar unsere Sicherheitskräfte binden und stabilisieren, aber bei Drittländern vorsichtig sein. Fast 80 Prozent der Genehmigungen wurden für Ausfuhren in EU-, NATOund gleichgestellte Länder erteilt. Die ersten sechs Positionen bei den wichtigsten Bestimmungsländern werden von NATO-Ländern besetzt, angeführt von den USA. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß natürlich, dass es immer problematisch ist, etwas mit einem statistischen Werk darstellen zu wollen. Ich glaube, dass der Rüstungsexportbericht, den ich Ihnen hier kurz vorgestellt habe, belegt, dass die Bundesregierung entsprechend ihrem Bekenntnis in ihren politischen Grundsätzen eine restriktive Exportkontrollpolitik betrieben hat, wiewohl sie auch dem Gedanken der Kooperation, insbesondere mit unseren europäischen Nachbarn, Rechnung getragen hat. Die Ergebnisse des 11. September des letzten Jahres haben deutlich gezeigt, dass eine internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Terrorismus - hierzu zählt auch eine entsprechende Ausstattung von Streitkräften - unumgänglich ist und dass wir Kooperationen auf europäischer, aber auch weiterer internationaler Ebene suchen müssen. Es ist besser für die Weltgemeinschaft, in einer großen Kooperation statt unilateral zu agieren. Insofern macht es Sinn, hier Kooperationswege zu suchen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung wird - wenn wir den Auftrag erhalten, unsere Regierungsarbeit fortzusetzen ({0}) alles tun, um auch in der nächsten Periode den restriktiven Kurs mit Augenmaß fortzusetzen. Gerade in diesem sensiblen Bereich müssen wir auf der einen Seite unseren verteidigungspolitischen Ansprüchen gerecht werden - wir brauchen eine leistungsfähige Einheit - und auf der anderen Seite sehr genau hinschauen. Dies ist aber, so glaube ich, überparteilicher Konsens und kommt auch in dem Rüstungsexportbericht 2000, dem zweiten Bericht, den wir in unserer Verantwortung dem Parlament vorlegen, zum Ausdruck. Man kann sagen - auch nach den Beratungen in den Ausschüssen -, dass dies ein Kurs mit Augenmaß ist. Das heißt, dass man nicht nur auf Produkte schaut, sondern auch auf die internationale Lage und die jeweilige politische Situation. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die CDU/CSUFraktion erteile ich das Wort dem Kollegen Erich Fritz.

Erich G. Fritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit November 2001 liegt dem Bundestag der Rüstungsexportbericht 2000 vor. Fertig war er meines Wissens bereits im April 2001. Wie viele Waschgänge bei 90 Grad er in dieser Zeit durchlaufen hat, weiß ich nicht; aber das Produkt ist dennoch nicht so weiß geworden, wie Sie es sich vielleicht gewünscht hätten, meine Damen und Herren von der rot-grünen Koaltion. ({0}) In einer Studie kommt das Institut für Europäische Studien der Freien Universität Brüssel zu dem Ergebnis: Gemessen an diesen Vorgaben - gemeint sind die eigenen Vorgaben von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ist die rot-grüne Rüstungsexportpolitik zweifellos gescheitert. ({1}) Die Regierungskoalition hat ihr Versprechen, beim Rüstungsexport noch restriktiver zu verfahren, nicht umgesetzt. Egal, ob man den Bericht an dem Anspruch, den Sie selbst sich gestellt haben, oder an der Politik der Vorgängerregierung misst oder ihn einem europäischen bzw. internationalen Vergleich unterzieht, das Ergebnis ist jeweils nicht besonders aufregend. ({2}) Rot-Grün macht so weiter wie bisher. Es gibt ganz offensichtlich eine große Kontinuität zwischen der Rüstungsexportpolitik vor und nach 1998. Das belegt nur, dass auch vorher Politik auf diesem Feld verantwortungsvoll und restriktiv betrieben wurde. ({3}) Die Fakten stellen sich folgendermaßen dar: Die Rüstungsexporte sind nicht gesunken. Die Addition von Sammel- und Einzelgenehmigungen ergibt gegenüber dem Vorjahr einen Anstieg: von 6 573,3 Millionen DM 1999 auf 9 303,1 Millionen DM 2000. Dies entspricht einer Steigerungsrate von gut 40 Prozent gegenüber 1999. Daran ändert auch die Äußerung der Regierung - auch der Staatssekretär hat ja gerade noch einmal darauf hingewiesen, dass man das nicht tun dürfe -, dass beide Posten, Einzel- und Sammelgenehmigungen, nicht vergleichbar seien, nichts. Solche Argumente haben Sie ja früher nie interessiert. Sie haben beide Posten, wenn ich mich recht entsinne, auch immer addiert. Im Vergleich zu den Tiraden von Herrn Bachmaier und Herrn Ströbele ist die Auseinandersetzung jetzt doch sehr zivil geworden, wie ich finde. Die deutschen Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern bewegen sich also auf hohem Niveau. Deutschland rangiert an fünfter Stelle unter den weltweit größten Exportländern. ({4}) - Wenn Sie demnächst weitere Rüstungsgüter verkaufen müssen, wird das wieder genauso sein. - Ich rechne im Übrigen damit, dass schon im Jahr 2001 wieder ein Gesamtwert der Exporte von Rüstungsgütern im Wert von 14 bis 14,5 Milliarden DM zu verzeichnen sein wird. Die Bundesregierung sollte diesen Bericht unmittelbar nach Fertigstellung vorlegen. Oder liegt die späte Vorlage des 2000er-Berichts darin begründet, dass man einen Grund anführen kann, den Bericht für 2001 erst nach der Bundestagswahl vorzulegen? ({5}) Wenn Sie ernsthaft belegen wollen, wie sich Ihre politische Arbeit in diesem Bereich entwickelt hat, dann legen Sie bitte den Bericht noch im Frühsommer dieses Jahres vor. ({6}) Über das Transparenzgebot und wie man ihm richtig nachkommt, kann man lange streiten. Wenn man die verschiedenen Berichte in Europa vergleicht, stellt man große Unterschiede fest. Wir wissen, dass gar nicht alles erfassbar ist und es nicht sinnvoll ist, hier einen Wust an bürokratischen Maßnahmen zu ergreifen; gerade im Kooperationsbereich sind wir gut beraten, nicht jede Schraube aufzuführen. Man darf aber vor diesem Hintergrund nicht, wie die Regierungsfraktionen es immer tun, vorgeben, dass der Bericht völlige Transparenz herstelle. Die Informationen über die tatsächlich erfolgten Exporte sind sehr spärlich. Man stellt fest, dass das Niveau beim Export der Kriegswaffen wieder das Niveau von 1998, dem letzten Jahr der Regierung Kohl, erreicht. Insofern ist es recht fragwürdig, von einer drastischen Reduzierung der Kriegswaffenexporte zu sprechen. Herr Kollege Koppelin hat gerade schon die Frage der Abwägung und des Umgangs mit Exporten in Spannungsgebiete am Beispiel Israels problematisiert. Das ist natürlich ein schwieriges Thema; das gebe ich gerne zu. Es wäre aber schon einmal ganz interessant, nachzuvollziehen, wie der Abwägungsprozess bei der Bundesregierung hier vor sich gegangen ist. Meine Damen und Herren, in der Koalition gibt es über den Waffenkatalog ja reichlich Uneinigkeit, auch zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Verteidigungsministerium. Es handelt sich hierbei sicherlich um einen schwierigen Abwägungsprozess innerhalb einer Regierung; ich möchte aber daran erinnern, dass wir, wenn unsere Politik glaubwürdig bleiben soll, vor allen Dingen die Berücksichtigung von Handelspartnern in Europa und in der NATO intensiv beachten müssen. Deshalb können Abwägungsprozesse nicht einfach nach den von Ihnen jetzt vorangestellten Kriterien ablaufen; es handelt sich vielmehr immer um Einzelfallabwägungen. Durch diesen Streit in der Koalition ist deutlich geworden, auf welch wackligen Beinen der vermeintliche rot-grüne Konsens hinsichtlich der Forderungen nach einer restriktiven Rüstungspolitik tatsächlich steht. Die Äußerungen der Grünen-Chefin Roth, die Rudolf Scharpings Aussagen als „unverantwortlich“ bezeichnete - das kann man anhand von Zeitungsberichten belegen -, weil er nicht nur Überschussmaterial der Bundeswehr weltweit zum Verkauf angeboten, sondern auch in der Krisenregion des Nahen Ostens für deutsche Rüstungsexporte geworben habe, zeigen die übliche Regierungskonfusion. Herr Scharping ist offensichtlich ein genauso schlechter Verkäufer, wie er ein unsolider und unkalkulierbarer Einkäufer ist. Das hat sich am Beispiel der Airbusflugzeuge gezeigt. Der vorgelegte Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik zeigt, dass Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander klaffen. Von einer restriktiveren Rüstungsexportpolitik kann keine Rede sein. Der rot-grüne Anspruch, eine wirklich neue Politik zu machen, wird nicht erfüllt; dennoch glaube ich, dass wir Deutschen uns mit unserer Politik insgesamt sehen lassen können. Sie haben allerdings eine Erwartungshaltung aufgebaut, die keine verantwortlich handelnde Regierung erfüllen kann. Die Zahlen sprechen gegen Sie. Der „Tagesspiegel“ hat am 18. Dezember geschrieben: „Das ist ja wie bei Kohl.“ Damit hat er völlig Recht. Mich stört besonders die Tatsache, dass das ständige Bemühen der Regierung Kohl, weitere Schritte hin zu einem gemeinsamen Rechtsrahmen für die Rüstungsexportpolitik der Europäischen Union zu machen, offensichtlich zum Stillstand gekommen ist. Dabei weiß jeder, dass wir eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und auch eine gemeinsame Rüstungs- und Rüstungsexportpolitik in Europa brauchen. Deutschland gilt in diesen Fragen unter den EU- und NATO-Partnern als zumindest nicht restlos zuverlässig. Wir haben im Bereich der Kooperation Schwierigkeiten. Ich hoffe, dass diese Schwierigkeiten in den nächsten Jahren ausgeräumt werden können. Jeder muss wissen: Wenn wir in diesem Bereich Sonderwege gehen, dann verlieren wir auch unseren politischen Einfluss auf die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik und auf die Gestaltung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Meine Schlussfolgerung bezüglich Ihrer Politik lautet: Die Politik von Rot-Grün steht ohne jede Glaubwürdigkeit da. Der Unterschied zwischen einer hohen, öffentlich dargestellten Moral auf der einen Seite und der politischen Praxis auf der anderen Seite ist allzu offensichtlich. Es wäre viel besser und viel verantwortlicher, wenn Sie deutlich machten und erklärten, dass der Rüstungsexport nun einmal eine schwierige Angelegenheit ist und dass unabhängig davon, was man in den Grundsätzen niedergelegt hat, in jedem Fall die Abwägung schwierig ist und bleibt, weil doch in jedem Einzelfall sowohl außen- und sicherheitspolitische Erwägungen als auch viele weitere Aspekte in die Betrachtungen einbezogen werden müssen. Dabei könne keine Regierung widerspruchsfrei bleiben. Vielen Dank. ({7})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat die Kollegin Angelika Beer für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion begrüßt die Vorlage des zweiten Rüstungsexportsberichts. Herr Kollege Fritz, das, was wir erreicht haben, hat die von Ihrer Fraktion getragene damalige Regierung nie geschafft: Wir haben unsere Zusage eingehalten, mit der Vorlage dieser Berichte ein Stück Transparenz und Nachvollziehbarkeit für die Öffentlichkeit herzustellen, ({0}) wohl wissend, dass wir uns damit - das wollen wir; das ist vernünftig - der Kritik stellen. Rüstungsexport ist ein heikles Geschäft. Wir werden versuchen, unsere politische Option weiter zu definieren. Diese Transparenz ist ein Erfolg von Rot-Grün. ({1}) Dieser Bericht zeigt auch, dass wir durchaus - der Kollege Mosdorf hat darauf hingewiesen - einige Erfolge im Sinne einer tatsächlich restriktiven Exportpolitik erringen konnten. Dieser Bericht ist im Vergleich zum vorherigen Bericht in einigen Punkten und Details verbessert worden, was nicht zuletzt auf Bemühungen meiner Fraktion und insbesondere auf die Anliegen des Ausschusses für Menschenrechte zurückgeht. Dieser Bericht bildet eine gute Grundlage für weitere Verbesserungen, die ich hier ansprechen möchte: Dieser Bericht enthält zum ersten Mal eine den entsprechenden Zeitraum betreffende Strafverfolgungsstatistik und Vergleichszahlen für die Vorjahre. Erst diese Daten ermöglichen eine Bewertung. ({2}) Dieser Bericht geht gesondert auch auf die Problematik des Kleinwaffenexports ein. Kleinwaffenexport ist ein besonderes Anliegen der Regierung gerade in der internationalen oder europäischen Kooperation, um dort weitere Ausdehnungen des Exports zu verhindern. ({3}) Allerdings zeigt der Bericht auch - das will ich durchaus sagen -, dass die rot-grünen Exportrichtlinien, die wir zu Anfang unserer Koalition verbessert und verschärft haben, in der Praxis noch nicht zufrieden stellend umgesetzt worden sind. Wir halten weitere substanzielle Reduzierungen bei Exporten für notwendig, ({4}) auch wenn die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr tatsächlich zurückgegangen sind. Kriegswaffenexporte in so genannte Entwicklungsländer spielen - das ist nachgewiesen - so gut wie keine Rolle mehr und das ist gut so. ({5}) Ich will das betonen, weil es aus menschenrechtlicher Sicht aufgrund des prekären Zusammenhangs von Menschenrechten, Rüstungsimporten und Entwicklungschancen ganz besonders erfreulich ist. Es ist heute - das gebe ich zu - noch nicht absehbar, ob sich dies zu einem beständigen Trend entwickeln wird. Wir hoffen das und arbeiten daran. Herr Kollege Fritz, wir als Grüne haben überhaupt nichts dagegen, den nächsten Exportbericht noch in dieser Legislaturperiode zu beraten, wenn er rechtzeitig durch das federführende Haus vorbereitet wird. ({6}) Rot-Grün hat keinen Grund zu verheimlichen. Wir werden diesen Weg der Transparenz fortsetzen. Wir wollen gern auch die weiteren Berichte ausbauen. Wir sind der Überzeugung - da gibt es einen Dissens; aber das ist unsere Position -, dass Dual-use-Güter Bestandteil des Exportberichtes sein sollen. Auch wenn es in der Generalität nicht möglich sein sollte - über die Gründe werden wir beraten -, möchte ich zumindest noch einmal auf die Anhörung des Menschenrechtsausschusses zur Frage der Folter hinweisen. Ich glaube, diese Anhörung hat sehr deutlich gemacht, dass zum Beispiel so heikle Exportgüter wie Elektroschockgeräte auf jeden Fall in diesem Bericht erwähnt werden müssen. Wir haben die Bitte an das Ministerium, das mit zu berücksichtigen. ({7}) Der Bericht zeigt auch, wie schwierig es ist, die Endverbleibskontrolle gerade im Bereich von Kleinwaffen, die ich hier noch einmal erwähnen will, festzuschreiben. Meines Erachtens wäre es sinnvoll, dass wir auch die Gründe zur Verweigerung von gewünschten Exporten anderer Länder aufführen, weil dadurch der Erfolg der rotgrünen Koalition deutlich würde, dass wir aus guten, menschenrechtlichen Gründen auf Exporte verzichten. ({8}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Fraktion tritt dafür ein, die Transparenz im Bereich der parlamentarischen Kontrolle zu erhöhen. Ich möchte als Beispiele die aktuelle Praxis der amerikanischen und der schwedischen Kolleginnen und Kollegen nennen. Dort werden die Parlamente sehr frühzeitig unterrichtet. Das tut nicht weh, sondern ermöglicht es dem Parlament, über wesentliche Entscheidungen mitzudiskutieren. Wenn man akzeptiert, dass Export ein Bestandteil von Außenpolitik ist, muss die parlamentarische Kontrolle von dem Knüppel der Geheimhaltung befreit werden. Sonst werden die Sachen, die über die Medien oder über das Internet sowieso international bekannt werden, immer wieder für unsägliche Debatten missbraucht. Unser Anliegen ist es, die Transparenz herzustellen. Die Notwendigkeit ergibt sich zum Beispiel aus den jährlichen Berichten der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung, der GKKE. Es ist auch ein Anliegen von Amnesty International und vielen anderen Nichtregierungsorganisationen. Dort möchten wir Instrumente schärfen. Ich glaube, dass das dem Anliegen einer restriktiven Exportpraxis entgegenkommen würde. ({9}) Werte Kolleginnen und Kollegen, noch eines zur Opposition: Wir sind in einem schwierigen Umsteuerungsprozess. Wir steuern um, was Sie über Jahre praktiziert haben. ({10}) Sie sind die Verpflichtungen eingegangen; ich nenne als Beispiel die U-Boot-Lieferungen an Israel. Sie haben die Voranfragen im Hinblick auf den Export von Bestandteilen einer Munitionsanlage in die Türkei rechtlich bestätigt. ({11}) Sie können uns gern für aktuelle Entscheidungen kritisieren, aber bitte nicht dafür prügeln, dass wir rechtlich gezwungen sind, eingegangene Verpflichtungen der KohlRegierung umzusetzen. ({12}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist übrigens ein Grund dafür, dass wir uns dafür einsetzen, dass auch Voranfragen Bestandteil des Exportberichtes werden, weil dann deutlich wird, welche schwierigen politischen Entscheidungen zu treffen sind. Wir versuchen damit, die Praxis transparent zu machen. Ich glaube, das kommt auch der Opposition entgegen. Dadurch könnten wir - auch eine zukünftige Regierung - verhindern, dass dort verbindliche Zusagen gegeben werden, die wir nicht mittragen können. Abschließend möchte ich noch auf eines hinweisen: Der Verteidigungsminister hat dankenswerterweise eine Liste erstellt, die eine Aufstellung der Rüstungsgüter der Bundeswehr, die im Rahmen der Bundeswehrreform für den Export bereitgestellt werden sollen, enthält. Aus unserer Sicht wäre es sehr viel wünschenswerter, auf den Export zu verzichten und die weniger modernen Waffen zu vernichten. Wenn sie dennoch exportiert werden, muss das natürlich auf der Grundlage der Exportrichtlinien geschehen. Bei einem Export zum Beispiel an NATO-Partner, die auf den gleichen technischen Standard gehoben werden sollen, muss sichergestellt werden, dass der Endverbleib dort auch bestätigt wird. ({13}) Vor allen Dingen darf es nicht zu einem Exportwettlauf führen. Die Staaten, die von uns ausgesondertes Gerät erhalten - geschenkt oder verkauft -, müssen versichern, dass die bei ihnen dadurch frei werdenden Waffen nicht in Krisenregionen exportiert, sondern vernichtet werden. Das ist eine verantwortliche Politik im Bündnis und dafür setzen wir uns ein. Wir sind bereit, diese in Zukunft transparenter zu gestalten, als das bisher der Fall gewesen ist. ({14})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dr. Werner Hoyer das Wort.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die differenzierte Darstellung in Ihrer heutigen Rede. Das sind wir von Ihnen auch gewohnt. Ich weiß nicht, ob Sie in der nächsten Woche noch die Absicht haben, im Deutschen Bundestag zu reden. Wenn nicht, war das heute Ihre letzte Rede. Ich möchte auf keinen Fall vergessen, mich als Haushaltsberichterstatter der FDP für das Bundeswirtschaftsministerium für die exzellente Zusammenarbeit zu bedanken. ({0}) Die differenzierte Darstellung, die Sie heute hier vorgetragen haben und der pragmatische Ansatz, der auf die Realitäten und die praktischen Schwierigkeiten eines Rüstungsexportberichts hinweist, sind natürlich nicht der Maßstab, den die Opposition heute anlegen muss. Maßstab für das, was die Opposition heute hier zu sagen hat, ist das, was die Koalitionsfraktionen vor dieser Legislaturperiode angekündigt haben. Dort sind doch große Diskrepanzen festzustellen. Herr Kollege Fritz hat zum Teil schon zu Recht darauf hingewiesen. Ich werde darauf noch zurückkommen. Ich habe mich gefreut, dass die Kollegin Beer eben klar gemacht hat, dass auch die Grünen ein Interesse daran haben, dass der Rüstungsexportbericht 2001 nicht erst im November, sondern, wie früher üblich, spätestens im September vorgelegt wird, damit wir noch vor der Bundestagswahl darüber diskutieren können. Transparenz ist eines der wesentlichen Ziele, die mit dem Rüstungsexportbericht erreicht werden sollen. Dies ist ein großes und zugleich sehr schwer erreichbares Ziel; denn wir bewegen uns hier auf einem sehr schmalen Grat. Es gibt berechtigte Interessen der eigenen und der europäischen Rüstungsindustrie, es gibt Verpflichtungen gegenüber Bündnispartnern und es gibt selbstverständlich auch die Sorge um die Verwendung der exportierten Rüstungsgüter durch andere. Hinzu kommen Geheimhaltungsnotwendigkeiten in wesentlichen Bereichen. All das schränkt die Vollständigkeit eines solchen Berichtes und die Aussagefähigkeit notwendigerweise etwas ein. Deswegen ist das Erreichen der Transparenz ein sehr anspruchsvolles Ziel. Wir sollten damit ehrlich und vorsichtig umgehen. Abstriche muss man allerdings nicht nur im Hinblick auf die Transparenz machen, sondern auch im Hinblick auf die Aussagekraft, und zwar allein schon deshalb, weil grundsätzlich vom Geldwert ausgegangen wird. Das bedeutet zum Beispiel, dass preiswert oder kostenlos abgegebene Überschusswaffen der Bundeswehr nur dann, wenn sie als schwere Waffen dem VN-Waffenregister gemeldet worden sind, berücksichtigt werden können. Sie sind eben auf die Erfassung der Kleinwaffen eingegangen. Hier gibt es natürlich einen kleinen Fortschritt dadurch, dass dieses Kapitel überhaupt erwähnt wird. Aber auch hier wird nur mit dem Wert argumentiert; Stückzahlen sucht man dort vergeblich. Wenn man sich die praktische Problematik des Missbrauchs von Kleinwaffen ansieht, dann erkennt man, dass das auf eine echte Lücke im Rüstungsexportbericht hinzudeuten scheint. Ich will das gar nicht kritisch anmerken, sondern ich will nur feststellen, dass das ein praktisches Problem ist, das man durch ideologische Erklärungen nicht einfach aus der Welt schaffen kann. Was hat nun die Bundesregierung beim Thema Rüstungsexporte bislang getan? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass es unter dieser Bundesregierung eigentlich gar keine Rüstungsexporte geben dürfte. Da hat mittlerweile die pragmatische Seite die Oberhand gewonnen. Das ist auch gut und beruhigend. Aber Faktum ist, dass noch im Grundsatzprogramm der SPD, in der Variante vom 17. April 1998, also von vor der Bundestagswahl, steht: Unser Ziel ist es, den Export von Waffen und Rüstungsgütern zu verhindern. ({1}) In dem Programm der Grünen zur Bundestagswahl 1998 steht: Wir wollen Rüstungsexporte außerhalb der EU, der USA und Kanadas unterbinden und ihre Subventionierung beenden. Das sind die Maßstäbe, an denen Sie sich messen lassen müssen. ({2}) Dass wir diese Maßstäbe nicht teilen, ändert nichts an der Notwendigkeit, Sie daran zu messen. An diesem Maßstab gemessen ist die Bundesregierung bei der Rüstungsexportpolitik gescheitert. ({3}) Die Ausfuhren deutscher Kriegswaffen stiegen im Jahr 1999 um fast 120 Prozent. Selbstverständlich weiß ich, dass das auch Abwicklungen beinhaltet. Aber dass man diesen erheblich gestiegenen Wert als Referenzmaßstab für die angebliche Absenkung im Jahr 2000 heranzieht, ist einigermaßen dreist, das ist Chuzpe. ({4}) Es ist doch bei der Praxis der Rüstungsexportberichte ganz pragmatisch davon auszugehen, dass durch Schwankungen bei einzelnen Projekten von Jahr zu Jahr riesige Gesamtschwankungen in der Rüstungsexportsumme zustande kommen. Da brauchen nur zwei U-Boote von einem Jahr aufs andere umgebucht zu werden und schon hat man eine völlig andere Aussage. Das ist hier der Fall. Deswegen kommt es darauf an, die Rüstungsexportzahlen über die mittlere Frist zu bewerten. Wenn man das tut und die Trends sieht, dann sieht die Bundesregierung bei weitem nicht so gut aus. Bei Vorlage des Rüstungsexportberichts 2001 wird sie erst recht nicht besonders gut aussehen, weil dann nämlich eine erhebliche Steigerung enthalten sein wird. ({5}) Herr Fritz, in der Tat steht die Bundesrepublik Deutschland in der SIPRI-Studie bei den Rüstungsexporten an fünfter Stelle. Was mich aber beunruhigt, ist die Tatsache, dass sich diese Zahl auf den Referenzzeitraum 1996 bis 2000 bezieht. Die relativ niedrige Platzierung auf Platz fünf ist darauf zurückzuführen, dass es in den Jahren 1996/1997 relativ wenig Rüstungsexporte gab. Aber zum Schluss, in den Jahren 1999/2000, ist erheblich zugelegt worden. Wenn Sie die Zahlen für 2000 nehmen, dann sehen Sie, dass die Bundesrepublik Deutschland in der Rüstungsexportstatistik schon auf Platz drei liegt. Da muss man einfach der Wahrheit die Ehre geben. Eine in sich stringente Position der Bundesregierung zum Thema Rüstungsexporte sehe ich nicht. Das ist auch viel schwieriger, als es sich Ideologen von Rot und Grün vorgestellt haben. Insbesondere wird es dann immer wieder zum Schwur kommen, wenn ganz pragmatische Entscheidungen zum Beispiel des Bundesministers der Verteidigung mit Grundsatzaussagen zur Rüstungsexportpolitik der Regierungskoalition, wie ich sie eben vorgetragen habe, kollidieren. Es erscheint zum Beispiel absolut unsinnig, wenn der Bundesminister der Verteidigung überschüssiges Rüstungsmaterial über die deutschen Botschaften an befreundete Nationen veräußern will und das vom Außenminister verhindert wird. ({6}) Das ist reine Rüstungsexportkosmetik und schadet den Interessen unseres Landes. Herzlichen Dank. ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächste Rednerin ist die Kollegin Heidi Lippmann für die PDS-Fraktion.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich vorab der Bundesregierung und auch Ihnen gratulieren, dass wir diese Debatte heute nicht, wie im vergangenen Jahr, um Mitternacht führen ({0}) und vor allem die Grünen ihre Reden nicht zu Protokoll gegeben haben. ({1}) Es ist ja schon toll, dass Frau Beer hier heute gesprochen hat. Außerdem gratuliere ich der Bundesregierung für die erfolgreiche Verteidigung des fünften bis dritten Platzes. Immerhin liegen wir bei den Rüstungsexporten noch mit weitem Abstand vor China. Ich will jetzt gar nicht so weit zurückgehen und auf das zurückgreifen, was vor der Wahl gesagt wurde. 1999 hat Herr Fischer gesagt, wer Rüstungsgüter verbrauche, müsse diese auch produzieren und exportieren. Das ist von dieser Regierung doch hervorragend umgesetzt worden. Ein Erfolg ist das natürlich nur aus Sicht derjenigen, die an diesem mörderischen Geschäft ordentlich verdienen, und derjenigen, die Krieg und Kriegsführungsmöglichkeiten als legitimes Mittel der Politik betrachten. Sie werden uns sicherlich verzeihen, wenn die PDS in diesen Lobgesang nicht einstimmt. ({2}) Dabei befinden wir uns in sehr guter Gesellschaft mit all denen, die sich kritisch mit der Problematik der Waffenausfuhren beschäftigen, mit der gemeinsamen Kommission der beiden Kirchen, mit Amnesty International, mit der Deutschen Friedensgesellschaft, mit dem Berliner Institut für Transatlantische Sicherheit, mit dem BICC in Bonn und vielen anderen. Transparenz und die Verbesserung parlamentarischer Mitbefassung, also Mitberatung vor wichtigen Entscheidungen, sind das eine. Wir haben Ihnen dazu einen entsprechenden Antrag unterbreitet. Viel wichtiger aber ist die weitere Einschränkung bis hin zur endgültigen Einstellung aller Rüstungsexporte. ({3}) In Ihren Sonntags- und Parteitagsreden erklären Sie, den zivilen Anteil in der Konfliktlösung stärken zu wollen. In der Praxis zeichnen Sie aber dafür verantwortlich, dass die in Ihren Richtlinien festgelegten Kriterien wie zum Beispiel die Achtung von Menschenrechten und die Vermeidung von Waffenlieferungen in Krisengebiete kaum eine Rolle spielen. Das ist schlichtweg ein Skandal. Als Beispiel - dies steht im Widerspruch zu dem Augenmaß, das Herr Mosdorf angesprochen hat - nenne ich höchst problematische Lieferungen in Staaten, in denen Krisen oder Konflikte herrschen: Herstellungsausrüstung für Munition nach Usbekistan und Nepal und Panzerabwehrwaffen nach Indien, U-Boot-Teile, Fregatten und Hubschrauber, maritime Kriegsmittel - darunter U-Boote für Südafrika und Malaysia, Kampfhubschrauber nach Südkorea, wenn auch ohne Bewaffnung, wie Sie - ich muss sagen: lächerlicherweise - in Ihrem Bericht hervorheben. ({4}) Nicht zu vergessen sind die Lieferungen an Indonesien, in die Türkei und, wie schon genannt, an Israel: 346 Millionen für Panzerteile, Panzerfahrzeuge, Torpedos und anderes. Wie diese eingesetzt werden, können wir uns stündlich in den Nachrichten ansehen. Waffen für Israel sind kein legitimes Mittel zur Konfliktlösung im Nahen Osten. ({5}) Wir fordern Sie auf, die Kriterien der Spannungsvermeidung und der Gewaltprävention endlich ernst zu nehmen. Gerade mit Blick auf die Gewalteskalation im Nahen Osten und auf die akuten Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen der israelischen Armee in den besetzten Palästinensergebieten füge ich hinzu: Beobachten Sie nicht länger, sondern stoppen Sie umgehend alle Rüstungslieferungen in den Nahen Osten! ({6}) Machen Sie endlich ernst damit, den Export von Kleinwaffen einzudämmen und komplett einzustellen! Es genügt nicht, auf internationalen Konferenzen große Reden zu halten. Wir wollen Taten sehen, was sowohl den Export von Kleinwaffen als auch das tödliche Geschäft mit Landminen angeht. Sagen Sie hier und heute, dass Sie Schluss damit machen, und steigen Sie aus! ({7}) Last, not least ein Satz zu der atemberaubenden Liste, die Herr Scharping wohl in den nächsten Tagen über das auszumusternde Wehrmaterial vorlegen wird. Er braucht ja dringend Geld für neue Waffensysteme. Wir fordern Sie auf: Verkaufen Sie nicht ein Stück dieses Materials, egal ob innerhalb der NATO-Staaten oder in Drittländer! Verschrotten Sie den Kram! ({8}) Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was Sie in Ihren Programmen und in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben haben, ernst nehmen, dann stimmen Sie bitte unserem Entschließungsantrag zu. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Kollege Dr. Ditmar Staffelt für die SPD-Fraktion.

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich einmal vom letzten Redebeitrag absehe, ({0}) so finde ich, dass hier eine sehr ausgewogene und sehr nachdenkliche Diskussion geführt worden ist, die der Bedeutung des Gegenstandes in erfreulicher Weise Rechnung trägt. Ich will hinzufügen, dass ich es geradezu für normal halte, wenn wir uns alle - ob in Oppositionsfraktionen oder in Regierungsfraktionen - mit diesen Fragen auseinander setzen; denn es handelt sich tatsächlich im Einzelnen um schwierige Abwägungsfragen. Zunächst möchte ich darauf verweisen, dass es erfreulich und richtig ist - es ist zudem eine Neuerung -, dass wir hier überhaupt über einen Rüstungsexportbericht miteinander debattieren. Ich will Ihnen zwar keinen Vorwurf machen, möchte aber zumindest festhalten, dass Sie in Ihrer Regierungszeit diese Möglichkeit der umfassenden Information des Parlaments und der Öffentlichkeit nicht eingeräumt haben. Insofern ist das ein Fortschritt. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Staffelt, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön. ({0})

Erich G. Fritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Weiermann, ich habe nur eine Informationsfrage. Keine Aufregung! ({0}) Herr Kollege Staffelt, können Sie bestätigen, dass zu der Zeit, in der Ihre Regierung die Vorlage eines Rüstungsexportberichtes eingeführt hat, in allen anderen europäischen Ländern - mit Ausnahme Dänemarks; es hat erst jetzt nachgezogen - das Erstellen solcher Berichte eingeführt wurde, dass dies also der Logik der Entwicklung der europäischen Rüstungsexportkontrollpolitik entspricht und kein besonderes politisches Verdienst ist?

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Fritz, man kann natürlich alles herunterreden. Sie wissen vielleicht, dass sich die Bundesregierung im europäischen Rahmen sehr stark für die Vorlage eines solchen Berichtes eingesetzt hat. Sie wollte nicht nur mit einem guten Beispiel vorangehen, sondern hat auch die anderen Partner animiert, einen solchen Weg zu gehen. Das ist doch ein Gewinn an sich. Ich freue mich darüber, wenn alle übrigen Staaten der Europäischen Union und möglichst weitere Staaten einen solchen Bericht erstellen. Sie wissen bestimmt - das fällt mir in diesem Zusammenhang ein -, dass auf dem Gipfel in Nizza zwischen der EU und den Vereinigten Staaten von Amerika sehr intensiv darüber gesprochen worden ist, dass auch dort der Öffentlichkeit Rüstungsexporte sehr viel transparenter gemacht werden. Auch das ist ein Teilerfolg der Bundesregierung, die sich diesen Dingen in gesonderter Weise verpflichtet fühlt. ({0}) Lassen Sie mich an die Tatsache anknüpfen, dass heute ein solcher Bericht vorliegt. Wir legen das deutsche Kontrollsystem für Rüstungsgüter in aller Offenheit dar. Wir haben eingeführt, dass die Auswirkungen von Abrüstungsvereinbarungen auf die Exportkontrolle genannt werden. Heute wird die deutsche im multilateralen Rahmen stattfindende Rüstungsexportkontrollpolitik auch in der Öffentlichkeit debattiert. Im Rahmen der politischen Grundsätze auf dem Gebiet des Exports von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern, die Ihnen allen bekannt sind, wird die Beachtung der Menschenrechte in den Mittelpunkt gestellt. Auch das ist in dieser prioritären Form eine Neuerung im Vergleich zu dem, was wir aus der Vergangenheit kennen, wobei ich nicht unterstellen will, dass vergangene Regierungen aus ihrer politischen Sichtweise heraus nicht auch einen Abwägungsprozess vorgenommen haben, der ihren politischen Leitlinien folgte. Lassen Sie mich darüber hinaus darauf hinweisen, dass es keinen Sinn macht, eine Diskussion zu führen, wie Sie das hier getan haben. Sie haben gesagt, wir hätten zunächst anderes formuliert und würden jetzt das praktizieren, was Sie praktiziert hätten, und deshalb sei das falsch. ({1}) - Doch, so ist schon seit langem Ihre Argumentation. Im Übrigen ist es immer wieder auch die von Herrn Uldall im Wirtschaftsausschuss gewesen. - Ich glaube, dass wir an dieser Stelle sehr sorgsam vorgehen müssen. Wir haben eine neue Plattform und wir haben Richtlinien, die jeder überprüfen kann. Dass sich das Ganze im Bereich von Interpretation und Einzelentscheidungen abspielt, das wissen wir alle sehr genau. Die Realitäten sind eindeutig: Es geht um das Thema Menschenrechte und um das Thema Konfliktvermeidung. Ich muss zurückweisen, dass sich die Bundesregierung nicht ernsthaft mit der Befriedung wichtiger Teile dieser Welt auseinander setzen würde. Bundesminister Fischer und die gesamte Bundesregierung haben sich, gerade was den Konflikt im Nahen Osten betrifft, politisch sehr nachhaltig und mehr als andere engagiert. ({2}) Ich sage Ihnen: Wir haben gegenüber Israel Verpflichtungen; das ist das eine. Das andere ist - das hat Staatssekretär Mosdorf sehr deutlich festgestellt -: Wir beobachten die Situation und natürlich wird es Teil der Regierungsüberlegungen sein, nicht dazu beizutragen, dass Waffen oder ähnliches Gerät, das in diesem Konflikt eine Rolle spielen könnte, in diese Region geliefert werden. Das liegt doch auf der Hand und dazu steht jeder. Es ist richtig, was in Bezug auf die im vorliegenden Bericht genannten Zahlen gesagt worden ist: Jeder Bericht wird natürlich nur einen Ausschnitt der Anträge, Genehmigungen und - um es wirtschaftlich auszudrücken - der Umsatzzahlen darstellen können, die es in dem betreffenden Zeitraum gegeben hat. Dennoch muss ich sagen, dass es meiner Ansicht nach nicht so sehr auf die Quantität, sondern mehr auf die Qualität ankommt. Wir können konstatieren - das ist in dem Zusammenhang außerordentlich wichtig -, dass bei den Einzelexportgenehmigungen für Exporte in Länder, die nicht der NATO angehören, NATO-Ländern auch nicht gleichgestellt sind, ein Minus von 24 Prozent festzustellen ist. Das ist doch eine Entwicklung, die wir begrüßen. ({3}) Wenn es in der Zukunft andere Entscheidungen in dem Bereich gibt, wenn es zum Beispiel die Entscheidung für die Lieferung von Schiffen nach Südafrika gibt - das ist hier angesprochen worden und ist auch im Antrag der PDS nachzulesen -, dann fallen diese im Rahmen eines Überlegungs- und Entscheidungsprozesses, den man nicht ohne weiteres verweigern kann; wenn das vernünftig gehandhabt wird, ist das auch zu rechtfertigen. Wir haben in Deutschland nun einmal eine hoch technisierte Industrie, die in Kooperation mit der in anderen europäischen Ländern einen wichtigen Beitrag zu unserer Volkswirtschaft leistet. An dieser Stelle möchte ich auf eine Zahl hinweisen - sie ist ganz interessant -, damit wir uns auch einmal darüber im Klaren werden, welche Dimensionen das Ganze eigentlich hat: Im Jahr 2000 betrug bei uns der Anteil der Rüstungsexporte an den Gesamtexporten 0,11 Prozent.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Staffelt, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Lippmann?

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Staffelt, Sie sprachen gerade die U-Boot-Lieferung nach Südafrika an. Ich war seinerzeit mit Mitgliedern des Verteidigungsausschusses dort. Wir haben Gespräche mit dem Fregatten- und dem U-Boot-Konsortium der deutschen Unternehmen, die vor Ort waren, geführt. Ihnen ist genauestens bekannt, denke ich, dass wegen Korruptionsvorwürfen mittlerweile staatsanwaltlich und gerichtlich ermittelt wird und dass Mitarbeiter auch aus deutschen Unternehmen entlassen wurden, weil Korruptionsvorwürfe bestehen. ({0}) Es gibt die Forderung nach einem Moratorium der Lieferungen. Stimmen Sie dieser Forderung nach einem Moratorium zu?

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das kann ich nicht beurteilen und das werde ich hier auch nicht beantworten. Ich kann Ihnen zu diesem Thema nur eines sagen: Wie bei vielen geschäftlichen Aktivitäten wird es auch in dem Bereich immer das Risiko geben, dass sich Unternehmen oder einzelne Personen nicht an die Spielregeln halten. Ich habe das hier nicht zu erörtern. Ich habe hier die Rüstungsexportpolitik der Bundesrepublik Deutschland und nicht das Verhalten einzelner Unternehmen bei der Akquisition von Aufträgen zu erörtern. Wenn es solche Vorkommnisse gibt, dann werden sie aufgeklärt - offenbar ist das ja auch hier der Fall - und dann wird man derartige Schäden zu reparieren haben. Das liegt auf der Hand. Das ist ganz normal. Wenn ich Ihren Vorstellungen folgte, dann müsste ich sozusagen ganze Branchen auslöschen, nur weil in diesen Branchen der eine oder andere Versuch unternommen wird, unlauter an Aufträge heranzukommen. Das wäre kein vernünftiges Verfahren. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss noch einmal darauf verweisen, dass unser Bemühen darauf gerichtet ist, die Grundwerte, denen sich diese Regierung verpflichtet fühlt, in die Praxis umzusetzen und dafür Sorge zu tragen, dass diese Grundsätze, soweit es irgend möglich ist, mit den Realitäten dieser Welt in Übereinstimmung gebracht werden. Wir sind gut beraten, glaube ich, gemeinsam mit unseren Partnern in Europa und in der NATO eine Politik der Transparenz, aber eben auch eine Politik zu betreiben, die Rüstungsexporte da, wo sie verantwortbar sind, nicht unmöglich macht. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Herr Kollege Ruprecht Polenz für die Fraktion der CDU/CSU.

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Frau Beer vorhin zum Rednerpult ging, habe ich mich gefragt, wie es wohl wäre, wenn sie eine ihrer Reden von 1995 oder 1996 zum gleichen Thema halten würde. ({0}) - Das hat Frau Lippmann übernommen. Insofern bin ich doch noch auf meine Kosten gekommen. ({1}) - Aber die Argumente waren ziemlich gleich. SPD und Grüne wollen den Eindruck erwecken - auch Frau Beer hat das heute wieder versucht -, als gäbe es seit 1998 eine grundsätzlich andere Rüstungsexportpolitik. Den Eindruck müssen Sie erwecken, weil Sie die Vorgängerregierung kritisiert haben - das sind die Debatten von damals gewesen -, sie habe Waffen „auf Teufel komm raus“ und gleichsam „ohne Rücksicht auf Verluste“ exportiert. Wenn man dies in den alten Debatten nachliest, dann findet man die Zitate von dem Tod, der ein Meister aus Deutschland sei, und Ihre Vorwürfe von damals, in denen man auch illegale Exporte der alten Bundesregierung zur Last gelegt hat. ({2}) Was hatten Sie den Wählern 1998 versprochen, Frau Beer? In Ihrem Programm heißt es wörtlich: Wir wollen Rüstungsexporte außerhalb der EU, der USA und Kanadas unterbinden und ihre Subventionierung beenden. Die SPD hat in ihrem Programm geschrieben: Unser Ziel ist es, den Export von Waffen und Rüstungsgütern zu verhindern. Gemessen an diesen Vorgaben und an Ihren eigenen Zielen ist die rot-grüne Rüstungsexportpolitik zweifellos gescheitert. Das ist nicht meine Feststellung, sondern das wörtliche Ergebnis einer ausführlichen Bewertung von Sibylle Bauer vom Institut für Europäische Studien, FU Brüssel, die kürzlich in der „Frankfurter Rundschau“ ausführlich nachzulesen war. Frau Beer, Sie haben die Fachgruppe Rüstungsexporte der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung zitiert. Sie stellt in ihrem Rüstungsexportbericht 2001 fest: Der deutsche Export an Kriegswaffen und Rüstungsgütern ist seit 1998 nicht zurückgegangen, sondern hat inzwischen wieder das Niveau der frühen 90erJahre erreicht. ({3}) Der Rüstungsexportbericht der Bundesregierung versucht, dieses Ergebnis zu kaschieren. Gleich zu Anfang wird hervorgehoben, Herr Staatssekretär, 2000 seien 53 Prozent weniger Kriegswaffen als im Vorjahr exportiert worden. „Donnerwetter“! kann ich dazu nur sagen. Darüber wird sich die grüne Basis freuen. Ich habe einmal den Vorjahresbericht nachgelesen. Dort wurde herausgestellt: Etwa ein Drittel der Kriegswaffenexporte gehen auf die Lieferung von zwei U-Booten nach Israel zurück. Die Lieferung stand damals im Zusammenhang mit Zusagen aus dem Golfkrieg. Es ist schon ein merkwürdiger Umgang mit Statistik, dass man die aus diesem Grund hohen Zahlen vom Vorjahr als Vergleichsgröße anführt, um daraus eine drastische Verringerung des Exports von Kriegswaffen zu folgern. ({4}) Es stehen jetzt Vertragsabschlüsse in Bezug auf die Lieferung von U-Booten nach Südkorea und von U-Booten und Fregatten nach Südafrika ins Haus, die in der Exportstatistik noch nicht erfasst sind. Im kommenden Jahr ist deshalb mit einem Anstieg von Kriegswaffenexporten in Drittländer zu rechnen. Wie ich Sie kenne, werden Sie uns das dann in die Schuhe schieben, wenn Sie nach dem 22. September den künftigen Rüstungsexportbericht als Opposition kritisieren. ({5}) Wie sieht die Wirklichkeit aus? Deutschland hat auch unter der CDU-geführten Bundesregierung eine restriktive Rüstungsexportpolitik betrieben. Das wird auch eine künftige CDU-geführte Bundesregierung tun. Der heutige gültige Verhaltenskodex der Europäischen Union zur Waffenausfuhr, der zu Recht als großer Fortschritt auch in dem Bericht gelobt wird, stammt vom 8. Juni 1998. Die CDU-geführte Bundesregierung hat diesen Kodex maßgeblich mit herbeigeführt, um die eigene restriktive Praxis auch auf europäischer Ebene durchzusetzen. Insbesondere Außenminister Kinkel und auch Sie, Herr Hoyer, als Staatsminister hatten daran großen Anteil. Zu der Entwicklung der deutschen Rüstungsexporte in den zurückliegenden Jahren hat die Stiftung Wissenschaft und Politik die vier wesentlichen internationalen Statistiken ausgewertet und kommt dabei zu folgendem Ergebnis - ich zitiere -: Im internationalen Rüstungshandel der 90er-Jahre ... spielen Deutschland und die deutsche Industrie nur eine marginale Rolle, wenn man einmal vom Marineschiffbau absieht. Anders als die öffentliche Diskussion oft nahe legt, gilt dies insbesondere für den Export konventioneller Waffen in Entwicklungsländer ... Die Statistiken machen daher auch deutlich, dass - mit Ausnahme des Marineschiffbaus - die deutsche Rüstungsindustrie im internationalen Rüstungshandel kaum von Bedeutung ist. Zum gleichen Ergebnis kommt auch die Fachgruppe Rüstungsexporte der Konferenz „Kirche und Entwicklung“: Deutschland hat über Jahrzehnte hinweg eine vergleichsweise zurückhaltende Rüstungsexportpolitik verfolgt ... Sie brauchen also kein schlechtes Gewissen zu haben, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, dass Sie diese Politik nicht geändert haben. Sie sollten dann aber auch nicht so tun, als hätten Sie sie geändert. Im letzten Jahr gab es ein großes Spektakel um den Testpanzer „Leopard“ für die Türkei. Sie haben ({6}) immer wieder - auch in dramatischer Weise und öffentlich - die Rüstungshilfe für diesen NATO-Partner infrage gestellt. An diesem Punkt zeigt sich die Widersprüchlichkeit rot-grüner Politik. ({7}) Die Türkei wird jetzt Führungsnation bei den Friedenstruppen in Afghanistan, weil die Bundeswehr nicht so ausgestattet ist, dass sie diese Aufgabe übernehmen könnte, obwohl dies zweifellos im Interesse der afghanischen Regierung gewesen wäre. Jetzt, meine Damen und Herren, hängt auch die Sicherheit der deutschen Soldaten in Afghanistan unter anderem davon ab, wie gut türkische Soldaten für ihre Aufgabe dort ausgerüstet sind. ({8}) Ich bin gespannt, wie lange Rot-Grün diesen Spagat noch vorführen will: gute Ausrüstung der türkischen Soldaten, aber am liebsten keine Waffenlieferungen an die Türkei. ({9}) Es gibt noch einen zweiten Schwachpunkt in Ihrer Politik: ({10}) die Auswirkungen der dramatischen Unterfinanzierung der Bundeswehr auf die Rüstungsexporte. Weil der Verteidigungshaushalt nicht ordentlich finanziert ist, soll Scharping die nicht mehr benötigten Waffen verkaufen. Den Erlös kann er dann behalten. ({11}) Ein 46-seitiger Katalog von Überschusswaffen - er ist heute schon mehrfach angesprochen worden - wurde vom Verteidigungsministerium an 53 Verteidigungsattachés in deutschen Botschaften geschickt, damit diese Bestellungen hereinholen. Aber nach Intervention des Auswärtigen Amtes darf er nun nicht an alle vorgesehenen Adressaten verteilt werden. Meine Damen und Herren, wir müssen uns im Deutschen Bundestag in Zukunft stärker mit den Fragen beschäftigen, die sich im Zusammenhang mit Rüstung aus der Internationalisierung und europäischen Kooperation ergeben. In diese Aufgabe müssen wir auch das Europäische Parlament einbeziehen. Ich komme zusammenfassend zum Schluss: Niemand in diesem Haus sieht Waffen als einen Exportartikel wie jeden anderen an. ({12}) Niemand will die restriktive Rüstungspolitik aller Bundesregierungen ändern. Wir stehen gemeinsam vor der Aufgabe, dieses Ziel auch bei zunehmender Internationalisierung der Rüstungsproduktion zu erreichen. Vielen Dank. ({13})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aus- sprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/7657 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsan- trag auf Drucksache 14/8275 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a) und b) auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes - Drucksachen 14/6884, 14/7169 ({0}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Roland Claus, Sabine Jünger, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurts eines ... Gesetzes zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes ({1}) - Drucksache 14/65 ({2}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({3}) - Drucksache 14/8299 - Berichterstattung: Abgeordnete Hans-Joachim Hacker Hans-Christian Ströbele Rainer Funke b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({4}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Dr. Ruth Fuchs, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Roland Claus, Sabine Jünger, Dr. Gregor Gysi und der Faktion der PDS Änderung der Nutzungsentgeltverordnung ({5}) - Drucksachen 14/6918, 14/63, 14/8299 Berichterstattung: Abgeordnete Hans-Joachim Hacker Hans-Christian Ströbele Rainer Funke Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, über den wir später namentlich abstimmen werden, liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Eckhart Pick.

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Gesetzentwurf ändert das Schuldrechtsanpassungsgesetz. Daher befassen wir uns erneut mit dem Recht der Überleitung von Eigentumsund Nutzungsrechten an Immobilien in den neuen Bundesländern. Damit sind wir in dem Bereich, den jede und jeder von uns kennt: im Bereich des so genannten Datschenrechts. Dabei handelt es sich um eine besonders sensible Materie. Es geht nämlich um widerstreitende Interessen von Grundstückseigentümern auf der einen Seite und von vertraglichen Grundstücksnutzern auf der anderen Seite. Es geht um einen gerechten Ausgleich dieser Interessen. Diese Diskussionen werden in der Öffentlichkeit, wie wir alle wissen, zum Teil sehr emotional geführt. Denn jede Seite fühlt sich schnell übervorteilt. Ich denke, es ist umso erfreulicher, dass es uns gelungen ist, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen sachgerechten und, wie ich meine, akzeptablen Kompromiss zu finden. Dazu haben in einer besonders intensiven Weise die Überlegungen und Ergebnisse einer von der Bundesministerin der Justiz und der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister der neuen Bundesländer eingesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe beigetragen, die die Grundlagen für den Gesetzentwurf geschaffen haben. Sie alle wissen, dass wir mit diesem Gesetzentwurf einen Gesetzgebungsauftrag des Bundesverfassungsgerichts erledigen. Das Bundesverfassungsgericht verlangt in seinem Beschluss vom 14. Juli 1999 „Regelungen zur angemessenen Beteiligung des Nutzers an den öffentlichen Lasten des Grundstücks und zur Gewährung eines Teilflächenkündigungsrechts für Eigentümer großer Grundstücke“. Es hat uns somit - mit anderen Worten aufgefordert, die sich aus dem Schuldrechtsanpassungsgesetz ergebenden Rechte der Grundstückseigentümer zu stärken. Dieser Auftrag des Gerichts ist unsere Grundlage. Deswegen war es auch von Anfang an klar, dass die Politik bezüglich der Nutzerseite nur einen äußerst beschränkten Gestaltungsraum haben wird, weil wir hier verfassungsrechtlich eingeschränkt sind. Wenn man sich kritisch mit den Problemen befasst, dann weiß man auch, dass die Erledigung dieses Auftrages nicht einfach gewesen ist. Ich möchte einige Punkte aus dem Interessenausgleich zwischen Nutzern und Grundstückseigentümern im Einzelnen darstellen. Erstens. Der Gesetzentwurf enthält zur Beteiligung der Nutzer an den öffentlichen Lasten einen Vorschlag, der sachgerecht die Belange beider Seiten berücksichtigt. Die wiederkehrenden Leistungen soll der Nutzer tragen, weil er den Vorteil der diesen Beiträgen zugrunde liegenden Leistungen während der Nutzungszeit ja auch alleine genießt. Die einmalig erhobenen Beiträge sollen sich Eigentümer und Nutzer grundsätzlich teilen, wobei wir hier zugunsten der Nutzer einen Zeitraum von zehn Jahren vorsehen, in dem dies - solange das Vertragsverhältnis auch tatsächlich besteht - durch Teilbeträge erledigt werden kann. Zweitens. Der Vorschlag des Entwurfs zum Teilkündigungsrecht der Eigentümer verlangt, dass das Grundstück mindestens 1000 Quadratmeter groß sein muss und dass dem Nutzer nach Ausübung des Kündigungsrechts mindestens 400 Quadratmeter zur eigenen Nutzung verbleiben müssen. Außerdem darf der Grundstückseigentümer die Teilkündigung nur vornehmen, wenn der Nutzer „die bisherige Nutzung ohne unzumutbare Einbußen fortsetzen kann“. Auch dies hat das Bundesverfassungsgericht vorgegeben. Wir sind über den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts hinausgegangen. Wir haben nämlich gesagt: Auch für die Nutzerseite ist es angemessen, ihr ein Teilkündigungsrecht bei besonders großen Grundstücken einzuräumen. Wir haben also mehr getan, als uns das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat. Drittens. Der Regierungsentwurf enthält den Vorschlag klarstellender Änderungen der Nutzungsentgeltverordnung. Hier werden die Vergleichbarkeitskriterien zur Ermittlung des ortsüblichen Nutzungsentgelts deutlicher gefasst. Sie wissen, dass dieser Vorschlag jetzt auf die entsprechenden Vorschläge der Nutzerverbände selber zurückgeht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Antrag ist in den Ausschüssen ausgesprochen gründlich beraten worden. Ich darf mich an dieser Stelle für die konstruktive Zusammenarbeit auch der Kolleginnen und Kollegen der Oppositionsparteien ausdrücklich bedanken. Ich denke, dass auch die Anhörung, die wir im November letzten Jahres durchgeführt haben, zum Ausdruck Vizepräsidentin Petra Bläss gebracht hat, dass es als Alternative eigentlich keine sinnvolle und verfassungsrechtlich tragfähige Regelung gibt. Es sind keine entsprechenden anderweitigen Vorschläge gemacht worden. Im Gegenteil: Wenn Sie sich an die Aussagen der Gutachter erinnern, müssen Sie zugeben, dass sie im Wesentlichen die Vorschläge der Bundesregierung bestätigt haben. Das gilt auch für die Vertreter der Bundesländer. Ich kann verstehen, dass sich die Nutzer auf der einen Seite und die Eigentümer auf der anderen Seite mehr erwartet haben. Ich denke, dass wir gut daran tun, darauf hinzuweisen, dass es wichtig ist, in diesem hochsensiblen Bereich endlich zu Rechtssicherheit zu gelangen. Ich finde, man sollte, auch wenn es schwer fällt, der Versuchung, populistisch zu arbeiten, etwas widerstehen. Denn nichts wäre schädlicher, als erneut Erwartungen zu wecken, die der Gesetzgeber hinterher nicht erfüllen kann. Vielen Dank. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt die Kollegin Andrea Voßhoff.

Andrea Astrid Voßhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003253, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Aufmerksamkeit vieler Grundstückseigentümer und Nutzer von Freizeit- und Erholungsgrundstücken in den neuen Bundesländern ist uns bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs der Bundesregierung heute gewiss. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung soll eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1999 zum Schuldrechtsanpassungsgesetz umgesetzt werden. Wir alle wissen, wie emotional und kontrovers diese Entscheidung zwischen den betroffenen Grundstückseigentümern und Nutzern bisher diskutiert wurde. Die rechtliche Anpassung der Nutzungsverhältnisse von Freizeitgrundstücken gehörte von Anfang an zu den schwierigen Kapiteln des Einigungsvertrages. Grundstückseigentümer und Grundstücksnutzer kämpfen daher seit Jahren für ihre Interessen, dabei begleitet ein Spannungsbogen aus Emotionen und Verunsicherungen diesen Angleichungsprozess. Wir alle wissen ob der vielen Petitionen, Schreiben und Veranstaltungen vor Ort, die die bestehenden Regelungen seit Jahren und dieses aktuelle Gesetzgebungsverfahren begleiten und daher den Rechtsfrieden anscheinend nur schwer einkehren lassen. Die emotionale Betroffenheit der Nutzer ist sicher verständlich. Wer seit Jahren ein Grundstück nutzt, es mit einer eigenen Datsche unter den damaligen Bedingungen der DDR bebaut hat, es hegt und pflegt, auch wenn es ihm auf dem Papier nicht gehört, der entwickelt ein sehr persönliches Verhältnis zu dem Grundstück und kämpft für sein Vertrauen in den Fortbestand dieser Verhältnisse. ({0}) Aber wer vor dem Grundstück steht und von der Nutzung langfristig ausgeschlossen ist, obwohl es sein Eigentum ist, von dem er vielleicht sogar vertrieben wurde und er es bis heute selbst nicht nutzen kann, vielleicht für den Rest seines Lebens nicht, versteht die Welt nicht mehr. Das sind Schicksale, sind Enttäuschungen, für die eine SEDDiktatur verantwortlich ist und nicht das Schuldrechtsanpassungsgesetz. ({1}) Deshalb, meine Damen und Herren von der PDS, ist Ihre Rolle in diesem Gesetzgebungsverfahren auch besonders verwerflich. Statt aus dieser Verantwortung zu lernen, ist Ihre einseitige Interessenvertretung zugunsten der Nutzer nichts anderes als eine Instrumentalisierung zu Ihrer eigenen politischen Profilierung. ({2}) Sie wollen den Rechtsfrieden nicht einkehren lassen. Ihre Änderungsanträge stellen dies auch heute wieder unter Beweis und ignorieren zudem die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in eklatanter Weise. Dies ist auch in der Anhörung deutlich geworden. Dass das Eigentum zu den elementaren Grundrechten gehört, sollten Sie nicht immer beharrlich ignorieren bzw. einseitig interpretieren. Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, Sie müssen sich in Ihr rechtspolitisches Stammbuch schreiben lassen, dass Sie diesen Interessenausgleich in der Vergangenheit mit Ihren einseitigen Forderungen zugunsten der Nutzer und zulasten der Grundstückseigentümer erheblich strapaziert haben. Das Bundesverfassungsgericht hat Sie ja nunmehr auch auf den Boden der verfassungsrechtlichen Realität zurückgeholt und Ihren rechtspolitischen Waghalsigkeiten aus der vergangenen Legislaturperiode ein Ende gesetzt. Sie haben mit Ihren Initiativen und Forderungen in der Vergangenheit auch in dieser Frage wieder einmal alles versprochen und konnten es, wie dieser Entwurf belegt, nicht halten. Auch das gehört zu Ihrer Regierungsbilanz, meine Damen und Herren von Rot-Grün. Das fing mit Ihren Versprechungen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu Beginn Ihrer Regierungszeit an und hört bei Ihren in der Vergangenheit gemachten Versprechungen gegenüber den Grundstücksnutzern auf. Aber das ist Ihre Bilanz, die der Wähler im September dieses Jahres quittieren wird. Übrigens muss ich mich wundern, dass die Justizministerin, Frau Däubler Gmelin - sie ist anwesend -, auch heute zu diesem Thema wieder nicht spricht. Es wäre schon geboten gewesen, dass gerade die Justizministerin den Nutzern, denen sie offenbar noch 1997 auf einem Kongress Hoffnungen gemacht hat, die schon damals mehr als bedenklich waren, wenigstens heute in der abschließenden Lesung erklärt, warum der heutige Gesetzentwurf ihren Forderungen von damals nun wirklich diametral entgegensteht. ({3}) Nun hat aber das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung 1999 das genaue Gegenteil von dem verlangt, was Sie immer gefordert haben. Das Bundesverfassungsgericht hat zwingende Änderungen zugunsten der Grundstückseigentümer gefordert. So hat es festgestellt, dass Regelungsbereiche des Schuldrechtsanpassungsgesetzes die wirtschaftliche Verwertbarkeit des Grundstücks für den Eigentümer in verfassungswidriger Weise einschränken, und entsprechende Änderungen gefordert, die heute zur Diskussion und zur abschließenden Beratung anstehen. Dass Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, sich mit der Umsetzung der Entscheidung schwer getan haben, kann ich verstehen. Wenn Sie die Rede der Justizministerin auf dem Nutzerkongress 1997 und die vielen Schreiben der betroffenen Nutzer, die dies nun von Ihnen einfordern, neben diesen Gesetzentwurf legen und an Ihre parlamentarischen Initiativen aus der vergangenen Legislaturperiode denken, dann weiß ich, dass Sie sich heute nicht sonderlich wohl in Ihrer Haut fühlen. Um sicherzustellen, dass Sie dieses Gesetz nicht, wie es sonst bei Ihnen üblich ist, im Geschwindschritt durch das Parlament treiben, haben wir auch im Interesse der Betroffenen im Zuge des parlamentarischen Beratungsverfahrens eine Anhörung im Rechtsausschuss eingefordert und durchgeführt. Ich konzediere ausdrücklich - das habe ich auch in der Ausschusssitzung gesagt -: Der Gesetzentwurf geht in die richtige Richtung und setzt die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts über weite Strecken richtig um. Ich stelle ebenfalls fest - Herr Staatssekretär Pick hat es ausgeführt -, dass der Handlungsspielraum für den Nutzer mehr als begrenzt ist. Auch die Anhörung im November des vergangenen Jahres hat dies in vielen Teilbereichen ergeben. Die gemeinsame Arbeit der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, deren Ergebnis doch wohl ein wesentlicher Bestandteil dieses Gesetzentwurfs ist, hatte über weite Strecken das Ziel, den sozialen Interessenausgleich und das gewachsene Vertrauen der Betroffenen zu wahren. Wir sagen deshalb auch nicht Nein zu dem Entwurf. Wir werden uns aber dennoch enthalten, weil wir in einem besonders strittigen und daher nicht unwesentlichen Teilbereich einerseits verfassungsrechtliche Bedenken nicht ganz ausräumen können und andererseits fehlende repräsentative rechtstatsächliche Erkenntnisse über den Umfang etwaiger anrechenbarer Nutzerinvestitionen eine Zustimmung zu dieser Regelung nicht möglich gemacht haben. Dabei geht es um die Ausgestaltung der Stundungsregelung bei der 50-Prozent-Beteiligung des Nutzers an den rückwirkenden einmaligen öffentlichen Lasten. Es bleiben eben Zweifel, ob die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts nach einer angemessenen Beteiligung des Nutzers an den öffentlichen Lasten mit der Ausgestaltung der langjährigen Stundungsregelung in dem Gesetzentwurf umgesetzt wurde. Auch fehlt uns im rechtstatsächlichen Bereich ein repräsentativer Überblick darüber, ob und in welchem Umfang die faktischen Investitionen des Nutzers in Erschließungsmaßnahmen in der Vergangenheit dem im Gesetzentwurf verfolgten Ansatz einer hälftigen Kostenteilung für die rückwirkend angefallenen einmaligen öffentlichen Lasten entgegenstehen. Einzelne Berechnungen, die auch in der Anhörung genannt wurden, die aber zum Teil auch Investitionen darstellen, die lediglich dem Nutzer dienlich sind und deshalb nicht berücksichtigt werden können, lassen keinen Rückschluss auf repräsentative Aussagen und Erkenntnis zu. Auch hierzu, meine Damen und Herren, kann ich nur erneut feststellen, dass die parlamentarische Beratungszeit in diesem Hause wieder einmal relativ kurz war, wenn auch nicht so kurz wie bei manch anderer Initiative. ({4}) Ich erinnere daran, dass die erste Lesung des Entwurfs im Oktober des vergangenen Jahres stattfand, zu einer Zeit, als die Frist des Bundesverfassungsgerichts zur Umsetzung, nämlich der 30. Juni 2001, längst verstrichen war. Mit Blick auf den von Ihnen immer wieder erwähnten abschließenden Charakter dieses Gesetzes sind unsere Bedenken in diesen Punkten eben nicht ausgeräumt. ({5}) Wir lehnen wegen der übrigen Ansätze den Gesetzentwurf nicht ab, können ihm aber aus den genannten Gründen auch nicht zustimmen und werden uns deshalb enthalten. Vielen Dank. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht der Kollege Hans-Christian Ströbele für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Voßhoff, auch wir - das hat die PDS-Fraktion auch zu Recht festgestellt - haben in der Vergangenheit, noch 1998, in der Frage des Ausgleichs zwischen Nutzer und Grundstückseigentümer eine andere Auffassung vertreten. Wir waren immer der Meinung, dass die Nutzer - darauf haben Sie hingewiesen -, die sich manchmal jahrzehntelang über zwei Generationen hinweg um ein Pachtgrundstück bzw. um ein von ihnen genutztes Grundstück gekümmert haben, in den schweren Zeiten der DDR dort investiert und auch Lebenszeit investiert haben, einen Anspruch darauf haben, auf diesem Grundstück ihren Lebensabend zu verbringen und dass ihre Kinder dort weiter leben können. Wir wollten die Lasten anders verteilen. Wir wollten dieses Leben möglichst allen ermöglichen. Nur, das Bundesverfassungsgericht zwingt uns mit dem Beschluss vom 14. Juli 1999 - Frau Voßhoff, das haben Sie offenbar vergessen -, unsere Auffassung aufzugeben und eine andere Regelung zu finden. Das gilt für die Justizministerin genauso wie für die Bündnisgrünen. Viele Menschen aus den ostdeutschen Bundesländern haben uns daraufhin verbittert geschrieben, dass sie sich, als sie sich für den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland entschieden haben, nicht hätten vorstellen können, dass dieser Beitritt einmal zum Verlust ihres Grundstückes, des Lebensmittelpunktes ihrer Familien, führen könnte. In den Briefen wird auch darauf hingewiesen, dass man Pachtzinsen von 500 DM bezahlen solle, wo früher die Pachten bei 20 DM lagen - ob die Berechnungen im Einzelfall richtig sind, wird sich noch herausstellen; es steht aber außer Frage, dass sich die Pachten exorbitant erhöhen werden -, diese Pachten aber nicht zahlen könne. Wir können diesen Menschen nur sagen: Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland habt ihr auch das Grundgesetz mit dem Grundrecht auf Eigentum übernommen. Den hohen Stellenwert des Grundrechts auf Eigentum müsst ihr nun hinnehmen, und zwar so, wie es das Bundesverfassungsgericht auslegt. Dem müssen wir uns alle unterwerfen. Was haben wir gemacht? Wenn Sie die Begründung des Beschlusses vom 14. Juli 1999 lesen, dann werden Sie feststellen, dass fast jede Bestimmung, die der vorliegende Gesetzentwurf enthält, aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts abgeleitet ist. In zwei Punkten sind wir über den Beschluss sogar noch hinausgegangen. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass das alte Schuldrechtsanpassungsgesetz, das alleine den Grundstückseigentümern die öffentlichen Lasten ihrer Grundstücke aufbürdet, verfassungswidrig sei. Dem müssen wir nachkommen. Deshalb werden nach der jetzigen Regelung die öffentlichen Lasten des Grundstücks zwischen Nutzern und Eigentümern hälftig geteilt. Wir haben allerdings einen Kompromiss gefunden: Die Kosten, die jetzt auf die Nutzer zukommen, müssen nicht auf einmal, sondern können in Raten innerhalb von zehn Jahren beglichen werden. Den Nutzern steht außerdem ein Sonderkündigungsrecht zu, das es ihnen ermöglicht, sich den finanziellen Lasten zu entziehen, allerdings nur unter Aufgabe ihres Grundstückes. Das ist der Preis. Frühere Gesetzgeber haben nach dem Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“ - das hätte man auch anders regeln können; aber das war eine grundsätzliche Entscheidung des Deutschen Bundestages - gehandelt und haben versucht, den Nutzern dadurch entgegenzukommen, dass ihnen kündigungsfreie Zeiten von Jahren und Jahrzehnten eingeräumt wurden. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu festgestellt: Wenn man die Eigentümer zwingt, auf die wirtschaftliche Nutzung ihrer Grundstücke so lange zu verzichten, dann müssen auch die Nutzer an den öffentlichen Lasten angemessen beteiligt werden. Nichts anderes setzen wir jetzt um. Wir tun das gezwungenermaßen. Wir tun es nicht, weil wir etwa die große Not, in der sich manche Nutzer von Grundstücken jetzt befinden, nicht sehen würden. Wir können einfach nicht anders. Der vorliegende Gesetzentwurf ist nach Maßgabe des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts ein notwendiger Kompromiss. Wir können diesen Beschluss nicht ignorieren. Es würde weder den Eigentümern noch den Nutzern nutzen, wenn wir eine Regelung schaffen würden, die nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht; denn dann würde die Gefahr bestehen, dass das Bundesverfassungsgericht in ein, zwei oder drei Jahren erneut korrigierend eingreifen müsste. Deshalb halte ich auch den Gesetzentwurf der PDS, mit dem den Nutzern angeblich geholfen werden soll, für den falschen Weg. Das hieße „Steine statt Brot“ geben. Denn wenn Ihr Vorschlag umgesetzt würde, dann wäre die Rechtslage der Nutzer weiterhin sehr unsicher. Die Nutzer könnten ihr Leben und das ihrer Familien nicht planen. Es bestünde die Gefahr, dass die Nutzer in ein, zwei Jahren sogar mit noch höheren Kosten belastet würden.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Ströbele, kommen Sie bitte zum Schluss.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Deshalb: Lassen Sie uns das heute beschließen, auch wenn es uns schwer fällt und wir große Probleme haben, bei den Betroffenen für diese gesetzliche Regelung auf Verständnis zu stoßen. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Klaus Haupt.

Klaus Haupt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes behandeln wir wahrlich kein Weltproblem; aber für viele Ostdeutsche ist unsere Entscheidung heute äußerst wichtig. Für manche hängt davon ab, ob ihre Datschenwelt buchstäblich zusammenbricht. ({0}) Rund 1 Millionen Datschenbesitzer zwischen Rostock und Suhl sehen diese Problematik verständlicherweise mit viel Emotionen und Herzblut. Sie haben zu DDR-Zeiten ihr Erholungsgrundstück mit Leidenschaft, Fleiß und Schweiß sowie für damalige Verhältnisse auch mit erheblichen Ersparnissen buchstäblich urbar und nutzbar gemacht. Es wurde Teil ihres Lebens. Hier wurde für die ganze Familie Frei- und Urlaubszeit verbracht. Sie hatten gar keinen Anlass, das mit irgendeinem Unrechtsgefühl zu tun. In der Regel war es ihnen nicht möglich, das Grundstück zu kaufen. Die damaligen Pachtverträge konnten sie als ebenso dauerhaft ansehen wie einen Erbbaupachtvertrag nach westlichem Muster. Diese objektiven Besonderheiten darf man nicht außer Acht lassen. Sie erfordern heute differenzierte Lösungen. Es geht um einen vernünftigen Interessenausgleich zwischen den Grundstückseigentümern und den Nutzern. Das ist zugegebenermaßen alles andere als leicht; denn die Interessen könnten unterschiedlicher nicht sein. Selbstverständlich gibt es zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1999 keine Alternative. Aber selbstverständlich ist auch die Frage zu stellen, ob der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf auch den Vorgaben der obersten Richter der Republik entspricht. ({1}) Wir sehen die Forderung des Bundesverfassungsgerichtes nach einem ausgewogenen und sozialverträglichen Interessenausgleich zwischen Nutzern und Grundstückseigentümern in dem vorliegenden Entwurf als leider nicht erfüllt. ({2}) Grundsätzlich ist richtig, dass die Pächter in vollem Umfang die regelmäßig wiederkehrenden Gebühren - wie für Abwasser, Abfall usw. - zu tragen haben. Das ist nachvollziehbar und akzeptabel. Denn was man nutzt und verbraucht, muss man auch bezahlen. Dagegen ist nicht nachvollziehbar, dass die Nutzer bei einmalig erhobenen Abgaben wie Anschluss- und Straßenbaubeiträgen rückwirkend mit der Hälfte der Kosten belastet werden. Denn die damit verbundene Erhöhung des Grundstückswertes kommt vor allem dem Eigentümer zugute. Auch wenn den Pächtern jährlich nur maximal 10 Prozent dieses Kostenanteils abverlangt werden können, werden nicht wenige Datschenbesitzer im Osten aufgeben müssen. Die Karlsruher Richter haben richtigerweise verlangt, die Nutzer angemessen an den einmaligen Aufwendungen der Grundstückseigentümer zu beteiligen. Sie haben aber keine Beteiligung von 50 Prozent gefordert. ({3}) Dass die Nutzer keine Möglichkeit haben, ihre erbrachten Erschließungsleistungen gegenzurechnen, ist unlogisch, ungerecht und ebenfalls kein angemessener Interessenausgleich. ({4}) Bedenklich ist auch die Tatsache, dass die Lebensdauer von Investitionen nicht berücksichtigt wurde. Eine Kanalisation ist zum Beispiel auf eine Lebensdauer von 40 Jahren ausgelegt. Nach dem vorgelegten Gesetzentwurf kann der Nutzer sie nur noch 14 Jahre in Anspruch nehmen, soll sie aber zur Hälfte mitfinanzieren. Die FDP ist hier der Meinung, dass eine Regelung für eine angemessene Beteiligung des Nutzers an den öffentlichen Lasten im Verhältnis zum tatsächlichen Nutzungszeitraum stehen muss. ({5}) Von der Bundesregierung hätten wir Liberalen in dieser Sache mehr Sensibilität und Problembewusstsein gegenüber der spezifischen Situation in der ehemaligen DDR erwartet, um endlich den notwendigen Rechtsfrieden in der Beziehung zwischen Grundstückseigentümern und Nutzern herbeizuführen. Viele Probleme bleiben vom Gesetzentwurf unberücksichtigt, obwohl sie einer dringlichen Lösung bedürfen. Deshalb kann die FDP der Vorlage der Regierung nicht zustimmen. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die PDS-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler. - Bevor ich ihr das Wort erteile, bitte ich Sie, den Lärmpegel etwas zu reduzieren. Ich habe Verständnis für die Wiedersehensfreude zwischen den Kolleginnen und Kollegen vor der namentlichen Abstimmung, wir sollten aber auch der letzten Rednerin und den letzten Redner noch die entsprechende Aufmerksamkeit zollen. ({0})

Dr. Evelyn Kenzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003159, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Regierungsentwurf bringt nicht die abschließende und für alle Seiten befriedigende Lösung auf dem schwierigen Gebiet der Schuldrechtsanpassung. Er dient fast ausschließlich der Umsetzung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1999. Die gesetzlichen Defizite und Mängel wie beispielsweise beim Kündigungsrecht wurden mit Verweis auf eben diese Entscheidung nicht behoben. Das ist bitter für viele Tausende ostdeutscher Nutzer von Erholungsgrundstücken. Sie hatten in den Regierungswechsel große Hoffnungen gesetzt, denn es war neben meiner Fraktion ja gerade die SPD, die in der letzten Wahlperiode ganz ähnliche Änderungsvorschläge zugunsten der Nutzer gemacht hat. Rechtsfrieden zwischen Grundstückseigentümern und Nutzern wird es auf der Basis der Regelungen dieses Entwurfes nicht geben. ({0}) Die eklatante Benachteiligung der Nutzer zum Beispiel in Entschädigungsfragen bleibt, nun noch vermehrt durch eine zum Teil unangemessen hohe Beteiligung an den öffentlichen Lasten. Das zwingt viele weitere ostdeutsche Nutzer zur Aufgabe ihrer Datschen. Unsere Änderungsvorschläge finden Sie in unseren beiden heute zur Abstimmung stehenden Anträgen. Lieber Herr Kollege Hacker und liebe Frau Kollegin Voßhoff, Sie bemühen in diesem Zusammenhang gern den üblichen parlamentarischen Vorwurf des Populismus oder jetzt auch der Verwerflichkeit an die Adresse meiner Fraktion. ({1}) Wir würden bei den Betroffenen mit verfassungswidrigen Vorschlägen falsche Hoffnungen wecken und einseitig zugunsten der Nutzer agieren. Das ist natürlich Nonsens. Wenn das nämlich stimmen würde, dann hätte Ihre Fraktion im 13. Bundestag ebenfalls verfassungsrechtlich nicht haltbare Vorschläge erarbeitet. ({2}) Nur das Bundesverfassungsgericht hätte dann die SPD davor bewahrt, im 14. Bundestag verfassungswidrige gesetzliche Regelungen durchzusetzen. Damit stellen Sie sich doch selber ein juristisches Armutszeugnis aus; das wollen Sie doch sicher nicht. ({3}) Bei den Nutzungsverhältnissen stehen sich zwei Eigentümer gegenüber, nämlich der Eigentümer des Grundstücks und der Eigentümer der Baulichkeit. Das wird leider oft übersehen. ({4}) Die Regelung der Schuldrechtsanpassung muss nach Art. 14 Grundgesetz beiden Eigentümergruppen gerecht werden. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts schließt nicht aus, dass notwendige Änderungen auch zum Schutz des Eigentums der Nutzer erfolgen. Da Gegenstand der Entscheidung Verfassungsbeschwerden der Grundstückseigentümer waren, hatte es naturgemäß auch nur über diese zu entscheiden. Das bedeutet jedoch im Umkehrschluss nicht, dass der Spielraum des Gesetzgebers für die Vertragsseite der Nutzer nun gleich Null ist. Für die ostdeutschen Nutzer ist es tragisch, dass Sie Ihre Courage, jetzt da Sie an der Regierung sind, verlassen hat und Sie hinter dem Bundesverfassungsgericht in Deckung gehen. Offensichtlich gibt es auch keinen politischen Willen mehr zu weitergehenden Änderungen. Ich empfehle Ihnen deshalb das Buch von Stefan Reker über Roman Herzog. Darin äußert sich der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts zu der aus seiner Sicht übertriebenen Unterwürfigkeit der Politik gegenüber den Karlsruher Urteilen folgendermaßen: Unsere Entscheidungen werden in der politischen Praxis oft heillos überinterpretiert. Einzelne Sätze werden aus der Masse herausgegriffen und verabsolutiert ... Und diese werden dann in der politischen Diskussion gehandelt, als ob sie von Gott persönlich dem Moses auf dem Berg Sinai überreicht worden wären. Ich will Ihnen deshalb nur den Rat mit auf den Weg geben: Versuchen Sie sich nicht in der Rolle des Moses. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Der letzte Redner vor der namentlichen Abstimmung ist der Kollege HansJoachim Hacker für die SPD-Fraktion.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Dr. Kenzler, Ihr Abgleiten in Bibelzitate wird den Nutzern wenig helfen. Auf Ihre Position werde ich am Ende meiner Rede noch zu sprechen kommen, aber ich denke, wir sollten uns erst einmal mit dem eigentlichen Thema, um das es hier geht, näher befassen. Mit der heutigen Debatte beenden wir das parlamentarische Verfahren der Novellierung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes, auf das die Nutzer von Erholungsgrundstücken und die Eigentümer monatelang gewartet haben. Auch ich meine, ebenso wie der Herr Staatssekretär das dargestellt hat, dass dieser Gesetzgebungsprozess, der die komplizierte Materie der Nutzungsverhältnisse an Grundstücken in den neuen Ländern beinhaltet, von einer beispielhaften Art und Weise der Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern, aber auch der Zusammenarbeit der Kolleginnen und Kollegen im Rechtsausschuss und in den Berichterstattergesprächen gekennzeichnet war. Ich möchte mich an dieser Stelle insbesondere für die sehr kompetente Unterstützung bei dieser Arbeit durch das Bundesjustizministerium bedanken. Der heutigen Abschlussberatung gehen auf Initiative des Bundesjustizministeriums durchgeführte Beratungen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe voraus, an die wir an dieser Stelle erinnern sollten. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1999 ist nach dem Beginn dieser Beratungen auf der Ebene zwischen dem Bund und den Ländern verkündet worden. In diese Beratungen waren die Vertreter der unterschiedlichen Interessengruppen bereits eingebunden. Der federführende Rechtsausschuss hat am 14. November 2001 zu dieser Thematik eine Anhörung durchgeführt. Das Ergebnis dieser Anhörung kann man folgendermaßen zusammenfassen: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts in verfassungskonformer Weise umgesetzt und hierbei die Interessen des Bestands sozialverträglicher Lösungen beachtet. Uns ist bewusst, dass wir mit diesem Gesetz nicht jeden Betroffenen zufrieden stellen können. Nicht jeder Betroffene wird die Bewertung mittragen bzw. vollständig mittragen. In dieser Hinsicht hat jedoch nicht die subjektive Akzeptanz Vorrang; wir sind vielmehr gehalten, uns ganz konkret an den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts zu halten. Dieser Auftrag umfasst letzten Endes auch die Eigentumsgarantie. Frau Dr. Kenzler, er umfasst nicht nur die Eigentumsgarantie der Nutzer, die von der SPD immer hoch geschätzt wurde, sondern auch die Eigentumsgarantie der Grundstückseigentümer, die in der DDR jahrzehntelang nicht beachtet worden ist. Auch das gehört zu der gesamten Wahrheit. Insofern haben Sie uns aus der Geschichte ein Osterei ins Nest gelegt. Ich will an dieser Stelle - das sage ich jetzt ganz deutlich - nichts verschweigen. Ich nehme zu dem Sachverhalt Stellung, an den von Frau Voßhoff und von Frau Kenzler immer wieder gern erinnert wird. Natürlich hatte die SPD-Bundestagsfraktion ursprünglich weitergehende Vorstellungen. Wir haben diese weitergehenden Vorstellungen in der letzten Legislaturperiode in ein parlamentarisches Verfahren konkret einbezogen; aber - das ist der entscheidende Punkt - wir kommen nicht darum herum, dass der Handlungsrahmen des Gesetzgebers aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts klar bestimmt ist. Durch das Gesetz wird er ausgefüllt. Das muss man hier so konkret feststellen. Auch an dieser Stelle muss man das den Nutzern und ihren Vertretern in den Verbänden - ich spreche insbesondere das Präsidium des VDGN an - sagen. Dieser Bewertung schließen sich nicht nur die Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion an, sondern auch viele Vertreter der neuen Länder, und zwar ganz gleich, welches Parteibuch sie haben, obgleich dies bei der Bildung der Landesregierungen eine Rolle gespielt hat. Frau Dr. Kenzler, an dieser Stelle möchte ich unterstreichen: Das Bundesverfassungsgericht hat bei seiner Bewertung sicherlich auch berücksichtigt, über wie viele Jahre bzw. Jahrzehnte während der DDR-Zeit Grundstückseigentümer in ihren Rechten beschränkt waren.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Hacker, ich muss Sie kurz unterbrechen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, ein wenig Rücksicht darauf zu nehmen, dass noch ein Redner spricht. Seine Redezeit beträgt noch zweieinhalb Minuten. Ich bitte für diese zweieinhalb Minuten um etwas mehr Ruhe, damit wir auch dieser Rede noch folgen können. ({0})

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Das Bundesverfassungsgericht hatte zu berücksichtigen, dass durch die Gesetzgebung im Jahre 1994 ein Kündigungsschutz bis zum Jahre 2015 festgeschrieben wurde. Das sind 25 Jahre zuzüglich der Zeit, während der der Grundstückseigentümer in der DDR über sein Eigentum nicht verfügen konnte. Vergessen wir das nicht, Frau Dr. Kenzler! Es wird oft darauf hingewiesen, dass ältere Menschen von ihren Grundstücken vertrieben werden. Für diejenigen, die das 60. Lebensjahr erreicht hatten, gilt ein lebenslanger Kündigungsschutz. Insofern unterscheidet die Regierungskoalition - ich spreche hier insbesondere für die SPD - eines von der Opposition: Wir haben das Machbare, den Interessenausgleich zwischen den Nutzern und den Eigentümern, im Auge. Die Opposition - voran die PDS, aber auch Vertreter anderer Oppositionsparteien nährt reines Wunschdenken. Das muss man hier im Plenum einmal so deutlich sagen. ({0}) Sie helfen damit den Nutzern nicht, sondern Sie geben, wie die Zeitschrift „Das Grundstück“ des VDGN mich richtig zitiert, den Betroffenen Steine statt Brot. Wunsch und Hoffnung der PDS ist es, aus verständlicher Ablehnung zusätzlicher finanzieller Lasten, die bei den Nutzern vorhanden ist, politisches Kapital zu schlagen. Das kann ich parteipolitisch nachvollziehen; Sie leisten damit den Nutzern aber keinen guten Dienst, sondern einen Bärendienst. ({1}) Sie haben vorhin gesagt, wir würden Ihre Position als Populismus bezeichnen. Populismus, Frau Dr. Kenzler, ist noch geschmeichelt. Es gibt dafür andere Begriffe, die ich hier lieber nicht einführen möchte. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Professor Pick hat hier auf die Regelung zur Beteiligung der Nutzer an den öffentlichen Lasten verwiesen. Ich möchte, auch unter dem Aspekt, dass mir wenig Zeit verbleibt, die einzelnen Themen nicht noch einmal im Detail ansprechen, sondern nur auf Folgendes hinweisen: Der Bundesgesetzgeber ist nach dem Grundgesetz an seine Kompetenzen gebunden. Natürlich hat die Bundesregierung auch überlegt, ob es nicht möglich ist, durch den Erlass einer Stundungsregelung die Last von den Nutzern abzuwenden. ({2}) Sie alle wissen aber - die PDS genauso wie andere -, dass wir nach dem Grundgesetz diese Stundungsregelung nicht erlassen können, weil die Zuständigkeit des Bundestages für diese Regelung gar nicht gegeben ist. Wenn Sie aber eine solche Regelung für richtig halten, richte ich folgenden Appell an Sie: Ich werde in Mecklenburg-Vorpommern dafür werben. Ich richte einen entsprechenden Appell an Herrn Gysi und Herrn Holter. Vielleicht hat Herr Holter ja Zeit, sich auch mit dieser Thematik einmal zu beschäftigen. Ich sehe einer solchen Initiative mit sehr viel Zutrauen entgegen und Sie können sicher sein, dass ich einer Stundungsregelung wie bei den Bundeskleingartengrundstücken meine volle Unterstützung geben werde. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die finanzielle Last kommt nur dann zum Tragen, wenn tatsächlich Anschlüsse getätigt werden. Die Opposition baut hier ein Szenario auf, als würden diese Gebühren morgen für jedes Grundstück anfallen. Die Gebühren entstehen tatsächlich aber nur durch Anschlüsse. Ich habe mich auf den Grundstücken in den Erholungsanlagen umgesehen. Da hat sich generell seit 1990 so viel Neues nicht getan. Es ist aber völlig klar, dass die Kosten getragen werden müssen, wenn die Anschlüsse kommen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Hacker, wenn Sie einmal auf die Uhr schauen, sehen Sie, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe das schon gesehen, Frau Präsidentin. Deshalb möchte ich mit zwei Sätzen enden. Der erste Satz: Ich bin ernüchtert von den Positionen der CDU/CSU und der FDP. Die FDP hat vollmundig angekündigt, weitere Änderungen einzubringen. Sie haben hier aber nicht einen einzigen Änderungsantrag vorgelegt und lehnen den Gesetzentwurf ab. Zur PDS kann ich nur sagen: Machen Sie weiter so. Was Sie betreiben, ist kein Beitrag zur deutschen Einheit; das ist Spalterpolitik. Sie leisten den Nutzern mit Ihrer Position keinen Dienst. Ich bin gespannt, wie sich Ihre Partei auf den Länderebenen verhalten wird. Das werden wir dann sehen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Hacker, ich muss Sie jetzt wirklich bitten, zum Schluss zu kommen.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, ich bin bereits am Schluss. ({0}) Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aus- sprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än- derung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes, Drucksa- chen 14/6884 und 14/7169. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/8299, den Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung anzunehmen. Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/8315 vor, über den wir zuerst abstimmen. - Ich bitte darum, dass noch erkennbar bleibt, wie die Frak- tionen abstimmen. Deshalb sollten bitte nicht alle schon jetzt die Urnen bestürmen. - Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der PDS abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dage- gen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der CDU/ CSU- und der FDP-Fraktion angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Die Fraktion der PDS verlangt eine namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführe- rinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu- nehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführe- rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be- kannt gegeben.1) Ich bitte alle hier verbleibenden Abgeordneten, die Plätze jetzt relativ schnell einzunehmen, damit wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der PDS zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes, Drucksache 14/65, kommen können. - Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/8299, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die dritte Beratung. Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/8299 empfiehlt der Rechtsausschuss, den Antrag der Fraktion der PDS zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes auf Drucksache 14/6918 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen. Unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktion der PDS zur Änderung der Nutzungsentgeltverordnung auf Drucksache 14/63 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Steffen Kampeter, Dr. Norbert Lammert, Bernd Neumann ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Bestandsaufnahme und Perspektiven der Rock- und Popmusik in Deutschland - Drucksachen 14/4290, 14/6993 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. - Ich wollte gerade „den Singewettbewerb“ sagen, aber der findet ja erst heute Abend statt. - Erster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Steffen Kampeter.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag beschäftigt sich heute auf Initiative der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit einem Thema, das wir nicht in jeder Sitzungswoche auf der Tagesordnung haben, nämlich mit dem Stand und den Entwicklungsperspektiven der Rock- und Popmusik in Deutschland. Da es in den letzten Tagen einige interessierte Blicke, auch der veröffentlichten Meinung, darauf gegeben hat, wie es zu dieser Anfrage kam, lassen Sie mich erläutern, welche Motive uns getrieben haben, die Situation der Rock- und Popmusik im Deutschen Bundestag zu thematisieren. Die populäre Musik gehört zu den Grundgeräuschen der Gegenwart. ... Diese Musik begleitet den modernen Menschen, vom Erwachen bis zur Müdigkeit, von der Stunde seiner Geburt bis zur letzten Müdigkeit. Sie lässt ihn bei der Arbeit nicht allein, sie gehört zum Krieg und zum Vergnügen, sie begleitet den Schmerz, die Hoffnung und die Liebe. Dieses Zitat des Feuilletonisten Thomas Steinfeld beschreibt sicher auch die Aufnahme der modernen Musik durch die - nicht nur die heute hier anwesenden - Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Wer heute zu einem Konzert der Rolling Stones geht, erlebt, um welch generationenübergreifendes Phänomen es sich handelt. Rockund Popmusik geht über Staats- ebenso wie über Parteigrenzen hinweg, sie ist, obwohl oftmals versucht, schwerlich politisch zu vereinnahmen und sie ist schon längst keine Domäne der politischen Linken mehr, so gerne sie selbst das hätte. ({0}) Sie ist vielmehr ein Beleg dafür, dass die Trennung zwi- schen Hoch- und Subkultur nicht mehr so eindeutig ist, wie noch vor wenigen Jahren behauptet. Vizepräsidentin Petra Bläss 1) Ergebnis Seite 21766 D Deutschland hat im Bereich der Unterhaltungsmusik eine große Tradition. In den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gingen von Deutschland wichtige Impulse aus. Mit dem Exodus der kulturellen Eliten war nach dem Zweiten Weltkrieg ein Anknüpfen an diese Unterhaltungsmusiktraditionen schwer möglich. Der Wind der populären Musik weht seither vor allem transatlantisch. Die ehemalige DDR war in der Förderung der populären Musik im Übrigen eine positive Ausnahme. Es ist uns in Deutschland noch nicht gelungen, den Bereich der Kreativwirtschaft als einen wesentlichen Standortfaktor im kulturellen wie im wirtschaftlichen Bereich zu sehen. Deswegen ist es ein wesentliches Anliegen unserer Anfrage, auf die berechtigten Forderungen und Wünsche dieses Bereiches der Kreativwirtschaft hinzuweisen und sie im Parlament zu diskutieren. ({1}) Wir wollen damit auch die in unseren Augen fragwürdige Praxis beenden, dass sich die Bundesregierung und auch andere prominente Politiker im Rahmen eines oberflächlichen und auf Außenwirkung abzielenden Scheindialogs der Popularität von Musikerinnen und Musikern bedienen. Es fehlt dabei meist die ernsthafte Auseinandersetzung mit den Rahmenbedingungen, die eine nachhaltige und musikalisch erfolgreiche Rock- und Popmusik in Deutschland ermöglichen. ({2}) Die Beantwortung unserer Großen Anfrage macht deutlich, dass auch die Einrichtung eines Beauftragten für Kultur und Medien die Exekutive nicht zu einem emphatischen Unterstützer der Rock- und Popmusik gemacht hat. ({3}) Ich füge hinzu: Damit steht sie zweifelsohne in der Tradition manch ihrer Vorgänger. Mit Fleiß, aber sicherlich keinesfalls mit Liebe haben die Beamten das zusammengetragen, was ihnen zusammenzutragen wichtig erschien. Allerdings liefert die Antwort bei allem Unzulänglichen, Unvollständigen und Beschönigenden gleichwohl eine Tagesordnung der Themen und Anliegen, mit denen sich der Deutsche Bundestag im Kulturausschuss, aber auch im Wirtschaftsausschuss in Zukunft stärker auseinander setzen muss. Wir dürfen mit unseren kreativen Eliten nicht so selektiv umgehen wie in der Vergangenheit, indem wir die Filmwirtschaft fördern und die Musikwirtschaft am Rande liegen lassen. Die CDU hat sich als Partei gleichwohl dieser Aufgabe gestellt. Mit der Gründung des Dialogforums Musikwirtschaft bietet sie den verschiedenen Interessen im Bereich der deutschen Rock- und Popmusik eine Gesprächsplattform zur Erörterung ihrer Anliegen. Dabei zielen wir nicht auf das einmalige, nach außen gerichtete Event oder Happening, sondern vielmehr auf den fortgesetzten, an Themen orientierten Austausch. Die erfreuliche Resonanz zeigt, dass wir hier einem objektiven Bedürfnis entgegengekommen sind. Wir hoffen, dass andere gesellschaftspolitische Akteure diesem Beispiel folgen. Es schadet keinem, sich mit Themen auseinander zu setzen, die wahrscheinlich - wie ich mir vorstellen kann, wenn ich auf die Tribüne schaue - stärker interessieren als manch anderer Punkt auf der Tagesordnung. ({4}) Was können wir aus der Anfrage an politischen Forderungen ableiten? Die erste Forderung, die uns leider am wenigsten betrifft, zielt auf die Situation des Musikunterrichts. Der Musikunterricht in Deutschland leidet Not. Ich appelliere daher nachdrücklich an die Kultusministerkonferenz, dieses Thema offensiv anzugehen und die Schwächen endlich zu beseitigen, die sie in vielen Stellungnahmen hinreichend beschrieben hat. ({5}) Ohne Musiker gibt es keine Musik. Die zweite Forderung, die ich hier aufstellen möchte, ist, dass die Musikerverbände und die Musikinitiativen aus diesem Bereich von der Politik stärker wahrgenommen werden müssen. Sie stehen oft am Rande. Der Bund hat es in der Hand, die bestehenden Wettbewerbe und Initiativen im Pop- und Rockbereich stärker wahrzunehmen. Ich wünsche uns allen mehr Mut für diese Kontakte. Ich empfinde es als ein ermutigendes Signal, dass der Kulturbeauftragte heute selbst in dieser Debatte sprechen wird. Die mit der Rock- und Popmusik verbundenen Unternehmen leisten einen respektablen Beitrag zu unserer Volkswirtschaft. Die Wirtschaftskraft der Tonträgerhersteller, der Veranstaltungswirtschaft und der Unterhaltungselektronik sowie der Musiker, der Texter, der Komponisten, der Techniker, der Musikjournalisten und der Produzenten wird vielfach unterschätzt. Alljährlich stellt sich die Szene auf der Kölner Schau „Popkomm“ nicht nur den Fans, sondern auch den Geschäftspartnern vor. Schon längst hat die Branche den Bereich der Schattenwirtschaft verlassen, der ihr von manchen Zeitgenossen noch heute angelastet wird. Wir haben es mit einer leistungsfähigen, außerordentlich kreativen und überwiegend mittelständisch strukturierten Wirtschaft zu tun. Wäre die Beschäftigung mit der Rock- und Popmusik nicht schon aus kulturpolitischen Gründen unverzichtbar, wirtschaftspolitisch ist sie es gleichwohl. Die Probleme sind ähnlich gelagert wie in anderen Wirtschaftsbereichen. Konzentration heißt das Stichwort auch in der Tonträgerindustrie. Wir erleben in diesen Tagen, dass beispielsweise der Branchenführer ein Familienunternehmen aufgekauft hat, das sich insbesondere mit den deutschsprachigen Schlagern und mit der Volksmusik beschäftigt hat. Es wird in Bezug auf Kreativität und Wettbewerb interessant sein zu erfahren, ob ein internationaler Konzern mit genauso viel Liebe für die deutsche Musik diese Sparte weiter pflegt, wie sie von seiner Neuerwerbung in den vergangenen Jahren bewiesen wurde. Auch hier wie in vielen anderen Bereichen mussten die Kartellinstitutionen für die Sicherung von Wettbewerb, Vielfalt und Kreativität sorgen. Es geht uns also nicht um einen Bundesrockminister oder um eine neue Popsubvention. Wie im gesamten Mittelstandsbereich sind es vor allen Dingen die Rahmenbedingungen, die für ein erfolgreiches - das heißt in diesem Bereich: kreatives Handeln erforderlich sind. Aus Anlass der Beantwortung dieser Großen Anfrage regen wir an, die Rahmenbedingungen der Kreativwirtschaft zu überprüfen. Eine erste Erleichterung hat dieses Parlament im steuerlichen Bereich bereits beschlossen. Mit der Reform der so genannten Ausländersteuer sind gerade mittelständische Veranstalter wesentlich entlastet und ist eine politische Fehlentscheidung aus den 90er-Jahren korrigiert worden. Ein weiteres wichtiges Thema sind die Ausbildungsfragen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt, dass mit dem Veranstaltungskaufmann neben dem Veranstaltungstechniker und Medienkaufmann ein weiteres branchenspezifisches Ausbildungsprofil geschaffen worden ist. Im Kern geht es wie auch in vielen anderen Bereichen um die gezielte Nachwuchsförderung sowohl auf der Seite der Künstler wie auch auf der Seite der Vermarkter. In vielen anderen europäischen Ländern ist die Entwicklung schon sehr viel weiter. Auf Dauer werden wir nicht mit den Westernhagens, den Maffays und den Lindenbergs die nächsten 20 Jahre kreativ überleben. Hier muss in Deutschland ein neuer Wind in die Rock- und Popmusik kommen. Als eine weitere, rasch zu verwirklichende Maßnahme für die kleinen und mittleren Tonträgerunternehmen schlagen wir die Einrichtung eines Musikexportbüros vor, das die bisherige außenwirtschaftliche Förderung ergänzt. Der Staat könnte hier die Anschubfinanzierung leisten. Das Büro muss sich auf Dauer finanziell selbst tragen und seine Dienstleistungen zu marktfähigen Konditionen anbieten. Das wäre ein Signal in Zeiten sinkender Inlandsumsätze. Damit würden wir lediglich das nachvollziehen, was viele andere Staaten bereits zur Förderung ihrer heimischen Rock- und Popmusik unternehmen. Hier können wir kurzfristig eine sinnvolle Aktivität entwickeln. Ein weiteres Feld sind die Urheberfragen, die durch die Entwicklung der digitalen Techniken in den Fokus von Künstlern, Rechteinhabern und Tonträgerunternehmen gerückt sind. Wie die chaotische und wechselhafte Diskussion beim Urhebervertragsrecht zeigt, hat die derzeitige Regierung für diese Bereiche des Urheberrechts kein umfassendes, konsensbildendes Konzept. ({6}) Es ist wichtig, dass sich der Staatsminister für Kultur und Medien in diesen Fragen stärker gegenüber der zuständigen Justizministerin durchsetzt. Denn es geht im Kern darum, die Rechte der Kreativen und die Vielfalt der Branche aufrechtzuerhalten. ({7}) Mit dem Urhebervertragsrecht ist aber nur ein Teil des Urheberrechts abgehandelt. Die Europäische Union hat uns weitere Aufgaben gestellt. Deren mögliche Lösungen lassen die Kreativen in diesem Land unruhig werden. Es geht um die Ausgestaltung von digitalen Kopien im Privatbereich. Bei Software und vergleichbar geschützten Inhalten besteht ein strikter Urheberschutz. In der Musik fehlt er. Dies betrifft auch den weit gefassten Bereich der Internetpiraterie. Eine Zahl in diesem Zusammenhang: Im vergangenen Jahr sind erstmals mehr unbespielte Tonträger als bespielte CDs verkauft worden. Der „Marktplatz Musik“ droht ohne eine entsprechende verbindliche Regelung zu verarmen und die kreativen Szenen auszutrocknen. Deswegen müssen wir bei der bis zum Ende des nächsten Jahres anstehenden Umsetzung der diesbezüglichen EURichtlinie ganz besonders sorgsam auf diesen Bereich achten. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie noch vor der Sommerpause einen Vorschlag in die Diskussion einbringt, wie wir die Vorgaben aus Europa in nationales Recht umsetzen können. ({8}) Viele der hier angesprochenen Themen sind nicht im klassischen Sinne parteipolitisch zu strukturieren. Es gibt eben keine linke oder rechte Poppolitik. Mehrheiten und Minderheiten ändern sich schneller, als noch vor kurzem vermutet. ({9}) Deswegen bieten wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion Ihnen an, den Dialog mit den Kreativen in der Musikbranche, insbesondere mit denjenigen in der Rock- und Popmusik, über alle Fraktionsgrenzen zu suchen und im Rahmen dieses Dialogs dazu beizutragen, dass sich dieser kreative Standortfaktor fortentwickeln kann. Wir als CDU/CSU sind dazu bereit. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Bevor wir in der Debatte fortfahren, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes verkünden. Abgegebene Stimmen 445. Mit Ja haben 262 Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Mit Nein haben 33 Abgeordnete gestimmt. 150 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 445; davon ja: 262 nein: 33 enthalten: 150 Ja SPD Brigitte Adler Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr Doris Barnett Eckhardt Barthel ({0}) Klaus Barthel ({1}) Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Lothar Binding ({2}) Klaus Brandner Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Bernhard Brinkmann ({3}) Hans-Günter Bruckmann Vizepräsidentin Petra Bläss Edelgard Bulmahn Hans Martin Bury Hans Büttner ({4}) Wolf-Michael Catenhusen Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({5}) Gabriele Fograscher Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({6}) Harald Friese Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Uwe Göllner Renate Gradistanac Angelika Graf ({7}) Monika Griefahn Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl-Hermann Haack ({8}) Klaus Hagemann Klaus Hasenfratz Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({9}) Stephan Hilsberg Jelena Hoffmann ({10}) Walter Hoffmann ({11}) Iris Hoffmann ({12}) Frank Hofmann ({13}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Gabriele Iwersen Jann-Peter Janssen Dr. Uwe Jens Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Hans-Ulrich Klose Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({14}) Detlev von Larcher Waltraud Lehn Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({15}) Gabriele Lösekrug-Möller Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({16}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Ulrike Mascher Heide Mattischeck Ulrike Merten Dr. Jürgen Meyer ({17}) Ursula Mogg Siegmar Mosdorf Jutta Müller ({18}) Christian Müller ({19}) Franz Müntefering Volker Neumann ({20}) Gerhard Neumann ({21}) Dr. Edith Niehuis Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Leyla Onur Holger Ortel Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Pflug Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Dr. Carola Reimann Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Christel RiemannHanewinckel René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({22}) Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Horst Schild Otto Schily Ulla Schmidt ({23}) Silvia Schmidt ({24}) Dagmar Schmidt ({25}) Wilhelm Schmidt ({26}) Dr. Frank Schmidt ({27}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({28}) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Karsten Schönfeld Ottmar Schreiner Gerhard Schröder Gisela Schröter Richard Schuhmann ({29}) Brigitte Schulte ({30}) Reinhard Schultz ({31}) Ewald Schurer Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl ({32}) Dr. Peter Struck Joachim Stünker Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({33}) Matthias Weisheit Jochen Welt Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Jürgen Wieczorek ({34}) Dieter Wiefelspütz Brigitte Wimmer ({35}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({36}) Waltraud Wolff ({37}) Heidemarie Wright Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley CDU/CSU Wolfgang Börnsen ({38}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gila Altmann ({39}) Marieluise Beck ({40}) Volker Beck ({41}) Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Hans-Josef Fell Andrea Fischer ({42}) Joseph Fischer ({43}) Gerald Häfner Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Reinhard Loske Kerstin Müller ({44}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Simone Probst Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt ({45}) Werner Schulz ({46}) Christian Simmert Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Dr. Ludger Volmer Helmut Wilhelm ({47}) Margareta Wolf ({48}) Fraktionslose Abgeordnete Christa Lörcher Nein CDU/CSU Hans Jochen Henke BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Sylvia Voß PDS Dr. Dietmar Bartsch Vizepräsidentin Petra Bläss Wolfgang Bierstedt Maritta Böttcher Heidemarie Ehlert Dr. Ruth Fuchs Dr. Klaus Grehn Dr. Bärbel Grygier Dr. Barbara Höll Carsten Hübner Ulla Jelpke Gerhard Jüttemann Rolf Kutzmutz Ursula Lötzer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Pia Maier Angela Marquardt Manfred Müller ({49}) Kersten Naumann Petra Pau Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Dr. Ilja Seifert Enthalten SPD Siegfried Scheffler CDU/CSU Ilse Aigner Norbert Barthle Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Dr. Heribert Blens Dr. Norbert Blüm Sylvia Bonitz Jochen Borchert Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Hartmut Büttner ({50}) Cajus Caesar Peter H. Carstensen ({51}) Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Albert Deß Renate Diemers Hansjürgen Doss Rainer Eppelmann Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Ulf Fink Ingrid Fischbach Axel E. Fischer ({52}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({53}) Jochen-Konrad Fromme Dr. Jürgen Gehb Peter Götz Kurt-Dieter Grill Manfred Grund Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gerda Hasselfeldt Hansgeorg Hauser ({54}) Helmut Heiderich Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Ernst Hinsken Peter Hintze Martin Hohmann Siegfried Hornung Joachim Hörster Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Dr.-Ing. Dietmar Kansy Irmgard Karwatzki Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Norbert Königshofen Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Werner Kuhn Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Dr. Klaus W. Lippold ({55}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({56}) Erich Maaß ({57}) Dr. Martin Mayer ({58}) Dr. Michael Meister Bernward Müller ({59}) Günter Nooke Franz Obermeier Norbert Otto ({60}) Anton Pfeifer Ronald Pofalla Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Christa Reichard ({61}) Katherina Reiche Erika Reinhardt Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Anita Schäfer Hartmut Schauerte Dr. Gerhard Scheu Norbert Schindler Dr. Erika Schuchardt Gerhard Schulz Clemens Schwalbe Wilhelm Josef Sebastian Bernd Siebert Werner Siemann Bärbel Sothmann Margarete Späte Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl ({62}) Dr. Susanne Tiemann Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Peter Weiß ({63}) Gerald Weiß ({64}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({65}) Hans-Otto Wilhelm ({66}) Bernd Wilz Werner Wittlich Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer FDP Jörg van Essen Gisela Frick Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({67}) Dr. Karlheinz Guttmacher Ulrich Heinrich Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Heinrich L. Kolb Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Dirk Niebel Günther Friedrich Nolting Cornelia Pieper Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Jürgen Türk Dr. Guido Westerwelle Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({68}) Bierling, Hans-Dirk* Bühler ({69}), Klaus* Höfer, Gerd* Kossendey, Thomas* CDU/CSU CDU/CSU SPD CDU/CSU Raidel, Hans* Rauber, Helmut* Schloten, Dieter* Dr. Süssmuth, Rita* CDU/CSU CDU/CSU SPD CDU/CSU Weisskirchen ({70}), Gerd* Wimmer ({71}), Willy* Zapf, Uta* SPD CDU/CSU SPD * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung OSZE Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Jetzt erteile ich Staatsminister Julian Nida-Rümelin das Wort.

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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kampeter, wir waren in den vergangenen Monaten nicht immer einer Meinung. Ausweislich dessen, was Sie hier vorgetragen haben, sind heute die Übereinstimmungen groß. Es schadet nicht, dass wir im Bundestag über das Thema Rock und Pop diskutieren, wenn auch bei reduzierter Besetzung im Vergleich zu der vor einigen Minuten. ({0}) Ich möchte mich auf wenige Bemerkungen beschränken. Meine Behörde hat sehr ausführlich zu der vorliegenden Großen Anfrage Stellung genommen. Sie umfasst fast 40 Seiten, eng bedruckt. Es ergibt keinen Sinn, hier den Versuch zu unternehmen, sie zusammenzufassen. Aber einige zentrale Aussagen sowohl zu dieser Antwort als auch zur Perspektive der Zusammenarbeit von Politik und Pop- und Rockmusikbranche sind angebracht. Zum einen darf man zwei Dinge nicht miteinander verwechseln: die kulturelle Bedeutung einer bestimmten Sparte der Kunst auf der einen Seite und auf der anderen Seite das Ausmaß der Förderung, die der Staat dieser Sparte bzw. Branche angedeihen lässt. ({1}) - Ja, der Film ist ein Beispiel dafür, aber auch die Literatur. Der Staat hält sich in der Literaturförderung, wenn man einmal von Ausbildungsinstitutionen absieht, sehr zurück. Wir vertrauen auf eine funktionierende Verlagsbranche und sollten die Rahmenbedingungen so setzen, dass sich die Verlagsbranche gedeihlich entwickelt. Wir fördern die literarische Produktion so gut wie gar nicht unmittelbar. Das ist aber selbstverständlich kein Unwerturteil gegenüber der Literatur. Das heißt, wenn wir darüber diskutieren, ob der Staat in einem höheren Maße fördernd tätig werden soll, so müssen wir dies zunächst einmal von der Frage der kulturellen Bedeutung abkoppeln. Deswegen möchte ich dazu doch noch eine Bemerkung machen. Wir haben in Deutschland - auch darin scheinen wir übereinzustimmen - eine Tradition der Trennung von „E“ und „U“, von so genannter ernster und so genannter Unterhaltungskultur, wie sie im internationalen Vergleich vermutlich sogar einmalig ist. Weder unser Nachbar im Westen, Frankreich, noch unsere Nachbarn weiter westlich, Großbritannien, USA, haben diese scharfe Trennung. Es ist ganz wichtig, denke ich, dass wir den Beitrag der Popkultur im weitesten Sinne zur kulturellen Entwicklung, übrigens auch zur Identitätsbildung jüngerer Menschen, sehr ernst nehmen. ({2}) Jetzt stellt sich die Frage, ob eine spezifische zusätzliche Förderung des Staates, über das hinaus, was es gibt und was in der Antwort auch aufgelistet ist, wünschenswert ist. Ich will nur in Klammern hinzufügen: Wir müssen gegen die Bedrohung, die sich gegenwärtig durch die Möglichkeit, digitale Kopien zu erstellen, für die künstlerische Kreativität und ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit zeigt, sehr gründlich angehen. Sie haben die wesentlichen Rahmenbedingungen genannt. Die Umsetzung der EURichtlinie ist jetzt auf der Tagesordnung. Es gibt im Wesentlichen nur zwei Optionen. Die eine ist, dass diejenigen Kopien, die wir zulassen, zur Stärkung der Urheber beitragen müssen. Die andere ist das, was die Amerikaner „technological device“ nennen, also ein technologisches Verfahren, das die Möglichkeit, digitale Kopien, auch aus dem Internet, zu erstellen - das gilt auch für den Film -, beschränkt. Wir müssen sehr genau prüfen, welche Formen schädlich und welche positiv sind. Die USA haben auch dazu einige Erfahrungen gesammelt. ({3}) Jetzt zur Frage der zusätzlichen Förderung durch den Staat. Ich war im November letzten Jahres auf der 3. Popkonferenz in Germering. Mir ist dort aufgefallen, dass die Erwartung an den Staat im weitesten Sinne, Kommunen, Länder und Bund, groß ist, dass aber wirklich überzeugende Konzeptionen dazu, wie das denn aussehen sollte, noch nicht vorliegen. Ich habe dann gefragt, wie viele denn aus der Branche kommen. Wenn ich mich richtig erinnere, hat sich nur ein Einziger gemeldet. Das heißt, die Branche selbst war auf dieser 3. Popkonferenz nur schwach vertreten. Ich habe vor einigen Tagen ein Gespräch geführt, um auszuloten, wie weit die Kooperationsbereitschaft der Branche selbst denn eigentlich geht. Ich kann mir vorstellen - ich sage das hier ganz deutlich -, dass in einer gewissen Analogie zu dem, was wir in der Filmförderung machen, mit Branchenunterstützung Förderungen organisierbar sind. ({4}) Ich sage das hier deswegen, weil die Gesprächspartner, mit denen ich geredet habe, erstaunlich offen waren, und zwar auch offen für den Gedanken, dass dies nicht Sache des Steuerzahlers sein kann - jedenfalls nicht primär, weil da ein Brancheninteresse dahinter steht -, dass der Staat aber bereit sein muss, diesem Brancheninteresse, das einem kulturellen Interesse entspricht, das wir fördern müssen, dann auch nachzukommen. Dazu gehört auch die Frage Exportbüro. Da kann man sich zum Beispiel Förderung von Start-ups, Nachwuchsförderung, Förderung von Clubs, die in dem Bereich agieren, in dem es wirtschaftlich schwierig ist, sich zu halten, und vieles mehr überlegen. Als Einziges kann ich hier versprechen, in den nächsten Monaten einen Diskussionsentwurf zu erarbeiten, in dem einige Vorschläge, die in diese Richtung gehen, enthalten sein werden. Wir werden Vizepräsidentin Petra Bläss dann Gelegenheit haben, darüber zu diskutieren. Die konkrete Umsetzung wird in dieser Legislaturperiode nicht mehr möglich sein. Ganz zum Schluss spreche ich noch einen Punkt an - die Redezeit ist noch nicht abgelaufen -, der mir Kopfzerbrechen bereitet und uns allen vielleicht Kopfzerbrechen bereiten sollte. Wir haben in Deutschland einen Horror vor fast jeder Art von Quote, außer vielleicht bei der Gleichstellung der Geschlechter.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Staatsminister, der Kollege Lammert hat eine Frage. Lassen Sie die zu? ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte dem begonnenen Satz und seiner Vollendung nicht im Wege stehen.

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Bitte schön. Ich bringe ihn gleich zu Ende.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ich möchte meine Frage gerne mit dem ausdrücklichen Interesse an Ihren Ausführungen und wegen der damit verbundenen grundsätzlichen Ankündigungen stellen. Ich möchte gerne wissen, ob Sie beabsichtigen und sich in der Lage sehen, die von Ihnen dargestellten prinzipiellen Erwägungen und Überlegungen der Bundesregierung noch vor Abschluss dieser Legislaturperiode in einer Weise zu konkretisieren, die beratungsfähig ist? Oder halten Sie das eher für ein Projekt der nächsten Legislaturperiode?

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Die Umsetzung wird sicherlich nicht mehr in dieser Legislaturperiode möglich sein. Aber ähnlich wie beim Filmkonzept, dessen konkrete Umsetzung in seinen wesentlichen Teilen erst 2003 erfolgen kann, denke ich doch, dass wir noch vor der Sommerpause auf der Basis eines Diskussionsentwurfes, den wir in Zusammenarbeit mit Branchenvertretern und Kreativen erarbeiten sollten, darüber im Kulturausschuss das Gespräch führen können. ({0}) Jetzt bringe ich noch meinen Satz mit der Quote zu Ende. Ich gebe offen zu: Ich bin in diesem Punkt überhaupt noch nicht festgelegt. Ich habe etwas provokativ geschrieben, man solle im Bereich der Filmförderung von Frankreich lernen. Wir müssen im Zusammenhang mit dem Film über die Investitionsquote sowieso noch einmal beraten. Das ist ein sehr ernstes Thema. Dazu werde ich einen Vorschlag unterbreiten. Das Interessante ist, dass der französische Markt gegen den globalen Trend gegenwärtig eine Zunahme der Popund Rockmusik auf dem nationalen Markt erlebt. Der Zwang zu kultureller Vielfalt hat dazu geführt, dass in Frankreich ein breiteres kulturelles Interesse an dieser Form der Kunst und der Musik besteht. Wir müssen uns überlegen, ob wir nicht im Sinne dessen, was die Franzosen „diversité“ nennen, einen Beitrag leisten können. Mich hat es - das will ich ganz offen sagen - alarmiert, dass mir Fachleute erzählt haben: Einer der Hauptgründe dafür, dass deutschsprachige Popmusik so unbeliebt ist, sei in dem mangelnden Interesse der Werbebranche zu suchen, weil die Zuhörer durch die deutschen Texte von den Inhalten der Werbebotschaft abgelenkt würden. Das muss uns zu denken geben. Danke schön. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe beide Seiten dieser Branche kennen gelernt. Zum einen habe ich viele Jahre lang Musik mitproduziert und war an vielen erfolgreichen Titeln beteiligt. Zum anderen war ich später als Leiter einer Musikredaktion beim Norddeutschen Rundfunk tätig. Insofern bin ich der Bundesregierung für diese Materialsammlung sehr dankbar. Es ist eine ausgesprochen gute Materialsammlung. Wenn die Antwort Schwächen hat - das muss ich leider meinen Kolleginnen und Kollegen von der Union sagen -, dann liegt das an den Fragen, die die Union gestellt hat. ({0}) Ich sage ganz offen, dass mir einige der Fragen wehtun. Ich finde, die Künstlerinnen und Künstler, die wir unterstützen wollen und die der Kollege Kampeter zu Recht angesprochen hat, haben es nicht verdient, dass in einer Anfrage auf links- oder rechtsextreme Musik eingegangen wird. Das sollte man in einer solchen Anfrage nicht tun. ({1}) Es gibt eine weitere Schwäche, die mir sehr wichtig ist und die ich daher ansprechen möchte, Kollege Kampeter. Es ist ein Versäumnis der Union bei der Anfrage, dass leider nicht nach den vielen Künstlerinnen und Künstlern aus Ostdeutschland gefragt wird. ({2}) Nach der Wende haben viele Künstlerinnen und Künstler aus der ehemaligen DDR auf einen Umschwung gehofft. Sie wollten endlich frei arbeiten können und hofften auf eine offene Welt. Was mussten sie feststellen? Dass die deutsche Einheit die Künstlerinnen und Künstler aus Ostdeutschland überhaupt nicht auf der Rechnung hatte, weder in den Medien noch bei der GEMA. ({3}) Insofern freue ich mich wirklich darüber, dass meine Freunde von Karat oder auch mein Freund Frank Schöbel jetzt wieder im Kommen sind. Wenn man mit diesen Personen auch schon vor der Wende lange zusammengearbeitet hat, dann war es schmerzhaft zu sehen, dass die Künstler aus der ehemaligen DDR mehr als Fußnote der Unterhaltungsbranche angesehen wurden. Manchmal reichte der eine oder andere Künstler als Beigabe für Kaffeefahrten ostdeutscher Rentner zur Animation beim Kauf von Rheumadecken oder Kochtöpfen. Auch wenn es der eine oder andere nicht gern hören mag, sage ich an dieser Stelle: Ich bin dem Mitteldeutschen Rundfunk dankbar, dass diese Künstler zumindest bei diesem Sender eine Chance haben, wie immer man deren musikalischen Stil im Einzelnen bewertet. ({4}) Ich habe erhebliche Zweifel, ob unsere Künstler wirklich rechtliche Rahmenbedingungen vom Gesetzgeber verlangen, wie es die Union hier fordert; Herr Kollege Kampeter hat dazu das eine und andere angesprochen. Vielmehr braucht kulturelle Betätigung - das trifft jedenfalls auf Rock- und Popmusik zu; darüber sollten wir mehr sprechen - in erster Linie Freiheit und eine Vielzahl von Entfaltungsmöglichkeiten. ({5}) Meine Sorge ist, dass rechtliche Rahmenbedingungen sehr schnell zu geistiger Einengung, zu Vorschriften und zum Teil auch zu Geschmacksdiktatur führen. Herr Kollege Kampeter, Ihre Vorschläge habe ich gehört. Als Beispiel nehme ich die unbespielten CDs: Das hatten wir doch früher auch. Man hat Musikkassetten gekauft und bespielt. An den Problemen hat sich nichts geändert; an ihnen wird sich auch nichts ändern. Es wird immer Wege geben, Musik irgendwo aufzunehmen, ohne dafür bezahlen zu müssen. Die Frage stellt sich eher an die Industrie, ob die Preise in jedem Falle gerechtfertigt sind, die sie für ihre Produkte verlangt. Und die Frage ist, was beim Künstler übrig bleibt. Das würde mich viel mehr interessieren. ({6}) Zu wenig gibt die Antwort auf die Große Anfrage Auskunft darüber, warum es deutsche Rock- und Popmusiker so schwer haben. Eine der Hauptursachen liegt, wie ich glaube, darin, dass deutsche Rundfunk- und Fernsehanstalten - egal, ob es öffentlich-rechtliche oder private sind - zu reinen Abnudelmaschinen für Hitlisten geworden sind. ({7}) Da kommen dann Nachwuchsmusiker eindeutig zu kurz. Überlegen Sie einmal, ob Freunde von mir wie Jürgen von der Lippe und Reinhard Mey heute eine Chance hätten, von den Rundfunkanstalten gespielt zu werden. Sie hätten in der augenblicklichen Situation keine Chance und das ist das Schlimme. Nicht nur die Rundfunk- und Fernsehanstalten haben entscheidend dazu beigetragen, dass der Nachwuchs keine Chance hat. Auch die Musikindustrie selbst ist für diese Entwicklung verantwortlich. In einem Interview mit BBC sagte Elton John in dieser Woche, viele in der Musikindustrie dächten heute nur noch an ihre Quartalseinnahme und in der Musikbranche gebe es keine Langlebigkeit. Das ist auch einer der Gründe und das ist bedauerlich. Hierin liegt das Problem für junge Künstler, wenn sie sich heute an die Musikbranche wenden. Herr Kollege Kampeter hat gesagt, Musik lasse sich politisch nicht vereinnahmen. Damit hat er natürlich Recht. Auf der anderen Seite hat die Musik auch auf Politik Einfluss genommen, lieber Kollege Kampeter. ({8}) Zum Beispiel denke ich - das war wirklich eine schöne Zeit - an die Neue Deutsche Welle. Ich weiß nicht, ob sich der eine oder andere noch daran erinnert. Da gab es einen unbekannten Sänger wie Markus, der damals „Ich will Spaß“ sang. Die Grünen haben das übernommen, weil es im Text dann hieß: Und kostet Benzin auch zwei Mark zehn, - Entschuldigung, Frau Präsidentin scheißegal, es wird schon gehn. Die Grünen haben das sofort zum Programm gemacht. ({9}) Dem Bundeskanzler wünsche ich, dass er sich einmal die Platte von Geier Sturzflug auflegt, in der es hieß: „Und jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir erhöhen das Bruttosozialprodukt“. ({10}) Wenn das Kabinett hier tätig würde, würde es mich freuen. ({11}) Mein Wunsch ist, dass die Medien - vor allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk, aber auch die privaten Sender - nicht nur Abnudelstationen für amerikanische und englische Hitparaden sind, sondern dass sie auch unseren Künstlern eine Chance geben. Jetzt werden nämlich nur noch Hitlisten abgespielt, die aus dem Computer kommen. In den Funkhäusern gibt es zum Teil keine Musikredakteure und Musikabteilungen mehr. Das ist schlecht. Lassen Sie mich, weil es Freitagnachmittag ist, noch eine humorvolle Bemerkung machen - ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis -: Nach dem 22. September wird in unserem Land die FDP die Musik machen. Ich glaube, vielen Menschen wird es gefallen. ({12})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt wird langsam deutlich, wie schade es ist, dass diese Debatte nicht auch durch etwas Gesang angereichert werden kann. Ich erteile dem Kollegen Steffen Kampeter das Wort zu einer Kurzintervention.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Koppelin, ich bin für Kritik offen. Wenn es aber Missverständnisse gibt, möchte ich sie ausräumen. Erstens. Ich habe hier in keiner Weise - das gilt auch für den Text der Anfrage - die Leistungen der DDRRockmusik gering geschätzt. Im Gegenteil, in meinem Redebeitrag habe ich - Sie können das im Protokoll nachlesen - die Rock- und Popmusikförderung der ehemaligen DDR ausdrücklich hervorgehoben. Denken Sie nur an Puhdys, Karat und andere Gruppen. Da war man in der DDR vielleicht aus ideologischen Gründen flotter und fixer. Aber die DDR-Musik ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Rock- und Popmusik in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. ({0}) Zweitens. Sie haben behauptet, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordere rechtliche Rahmenbedingungen, um die Freiheit einzuschränken. Das ist natürlich absoluter Humbug und beruht wahrscheinlich auf einem Missverständnis. Tatsache ist, dass ich hier den Urheberrechtsschutz angesprochen habe. Dort befinde ich mich mit der Bundesregierung in Übereinstimmung. Ich zitiere jemanden, der ja auch gelegentlich von der Bundesregierung gehört wird, nämlich Klaus Meine von den Scorpions, der sich zu diesem Themenbereich laut einer Agenturmeldung von gestern geäußert und sich beklagt hat, dass die Politiker hierzulande in den vergangenen Jahren zu wenig für Künstler und Musiker getan hätten. Die Altrocker fordern mit deutlichen Worten ein Gesetz gegen die Brennerei. ({1}) Die Musikindustrie leide unter dem Diebstahl geistigen Eigentums. Im Kern geht es darum, dass wir diesen Diebstahl geistigen Eigentums nicht weiter zulassen wollen. Wir warten auf die Initiative des Herrn Staatsministers und der Bundesjustizministerin. Das hat mit der Einschränkung von Freiheit überhaupt nichts zu tun. Herr Kollege Koppelin, da sind Sie etwas über das Ziel hinausgeschossen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt hat der Kollege Koppelin die Möglichkeit zu erwidern. ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Kollege Kampeter, sonst schätze ich Sie ja als Mitglied des Haushaltsausschusses. Aber heute habe ich es anscheinend sehr schwer mit Ihnen. Ich habe festgestellt, dass die ostdeutschen Künstler in der Anfrage der Union überhaupt keine Berücksichtigung finden. Zeigen Sie mir doch die Frage, in der es um die ostdeutschen Künstler geht. Nach ihnen ist nicht gefragt worden. Dieser Bereich ist für diese Branche unglaublich wichtig. Wenn man Künstler fördern will, dann muss man auch danach fragen. ({0}) - Es geht nicht um Ihre Rede. Ich habe von der Anfrage gesprochen. Ich bitte Sie um Nachsicht und um das Nachlesen meiner Rede. Ich denke, in Ihrer Anfrage, auf die ich mich bezogen habe, hätten die ostdeutschen Künstler besondere Berücksichtigung finden müssen, weil es in der DDR eben ein anderes System gab, nach dem gefördert wurde. Kollege Kampeter, ich sage eines ganz offen: Wir sehen uns ja hin und wieder in einem Gebäude hier in der Nähe. Da war früher eine Schallplattenfirma drin, die ich häufig besucht habe. Auch diese gibt es nicht mehr. All dies sind Probleme, mit denen man sich ruhig einmal beschäftigen sollte. ({1}) Dann haben Sie allerdings etwas gesagt, was ich nicht erwähnt habe, dass nämlich die CDU/CSU die Freiheit einschränken wolle. Zwar möchte ich Sie gern so zitieren, aber gesagt habe ich dies nicht. Ich habe nur auf die rechtlichen Rahmenbedingungen hingewiesen, die von der Union gefordert werden. Als Liberaler bin ich hier immer sehr vorsichtig. Ich wiederhole es: Auch früher ist kopiert worden. Damals waren es die Kassetten. Heute kauft man CDs und brennt sie. Das haben junge Menschen immer getan. Ich bekenne mich dazu, dies auch getan zu haben, als es noch nicht viel Taschengeld gab. Das wird es immer geben. Der Gesetzgeber sollte dies nicht so regeln, wie Kollege Kampeter das fordert. Kollege Kampeter, ich habe vielmehr gesagt - das ist mir wichtig -, dass vielleicht auch die Industrie einmal ihre Preispolitik überdenken sollte. Denn diese kassiert in erster Linie ab, nicht die Künstler. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nach diesem Duett kommt jetzt wieder ein Solo. Das Wort hat die Kollegin Grietje Bettin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Grietje Bettin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003439, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich freue ich mich, heute zu einem Thema reden zu dürfen, das das Lebensgefühl junger Menschen wie kaum ein anderes ausdrücken kann. Durch die Rock- und Popmusik mit ihren vielen unterschiedlichen Genres - sei es Alternative, Hiphop oder Techno - können heutzutage mehr Jugendliche direkt erreicht oder tangiert werden als beispielsweise durch den Sport - geschweige denn durch die Politik oder Parteien. Nicht zuletzt deswegen hat sich die Unterhaltungsmusikbranche zu einem wichtigen ökonomischen Faktor entwickelt. Erfreulich dabei ist aus unserer Sicht, dass sich gerade auch die deutsche Branche in diesem Markt beVizepräsidentin Petra Bläss haupten kann. Schön ist, dass auch die CDU/CSU endlich erkannt hat, welche Bedeutung die von ihr bislang eher stiefmütterlich behandelte U-Musik für den Wirtschaftsstandort Deutschland hat. ({0}) Anders als vor 20, 30 oder 40 Jahren, wo mancherorts allein das Hören der Doors oder der Rolling Stones schon beinahe ein Straftatbestand war, wird Rock und Pop inzwischen von nahezu allen Altersgruppen und sozialen Schichten akzeptiert. Kaum jemand spricht mehr abfällig von „Negermusik“, wenn er oder sie Rockmusik im Radio oder im Fernsehen hört. ({1}) Die Frage ist jedoch: Welche Rolle kann und soll der Staat gegenüber der Rock- und Popkultur einnehmen? Diese Kultur war und ist in vielen Bereich immer noch eine Subkultur. Dies muss sie auch bleiben. ({2}) Sie ist eben nicht nur populistisch und kommerziell ausgelegt, sondern in ihr spiegelt sich auch gesellschaftliche Opposition. Auch deswegen erreicht sie viele Menschen direkter und unverfälscht. Erfolg im Popbusiness ist oft unabhängig von einer messbaren musikalischen Qualität. Daher kann es unseres Erachtens kein Kriterium für förderungswürdige Rockund Popmusik geben. Niemand hat etwas davon, wenn er oder sie sich einen „Rockmusikmagisterhut“ aufsetzen kann. Einziges Kriterium könnte ein Trend oder der Geschmack des Publikums sein. Dies wäre sicherlich nicht förderungswürdig. Sehr wohl hat der Staat aber die Aufgabe, günstige Rahmenbedingungen für Musiker und Musikerinnen zu schaffen. In diesem Bereich hat die Bundesregierung eine positive Bilanz aufzuweisen. ({3}) Stichworte hierfür sind KSK, Urheberrecht und die Reform der Besteuerung ausländischer Künstlerinnen und Künstler. All dies sind Punkte, die die Produktionsbedingungen von Rock- und Popmusikern, aber auch von den Veranstaltern in Deutschland verbessert haben. Was wir allerdings nicht brauchen, ist eine Quote für deutsche Rock- und Popmusik in Radio und Fernsehen. Diese unselige, weil auch nationalistische Debatte ist schon 1996, damals unter anderem von dem Musiker Heinz-Rudolf Kunze, ins Spiel gebracht worden. Auch ohne eine Quote liegt der Chartanteil an deutschen Repertoires seit Jahren bei knapp 50 Prozent. Auch ohne eine Quote erfreuen sich Musiksender wie VIVA, die verstärkt auf inländische Musik setzen, zunehmender Beliebtheit bei den Zuschauerinnen und Zuschauern. ({4}) Auch ohne eine Quote sind deutsche Musikerinnen und Musiker wie Sarah Connor, Echt oder Guano Apes nicht nur national, sondern auch international erfolgreich. Wer eine solche Quote fordert, vergisst zudem, dass Rock und Pop schon immer ein internationales Phänomen gewesen sind und dass auch die deutsche Popmusik zum Beispiel aus der Aneignung und Verwandlung anglo-amerikanischer Stile entstanden ist. Er vergisst auch, dass Musik von Kreativität lebt und Kreativität von Austausch. Dieser Austausch findet international statt und ist nicht national beschränkt. Zudem ist Deutschland seit über zehn Jahren Ausgangspunkt einer Techno- und Diskokultur, unter anderem mit der Love Parade in Berlin, die sich weit über die Grenzen verbreitet und Deutschland zu einem wichtigen Repertoirelieferanten für den Weltmarkt gemacht hat. Auch wenn ich nicht gerade behaupten kann, dass mir diese Musikrichtung besonders am Herzen liegt, so beweist dieses Beispiel doch, wie wenig wir eine solche Quote benötigen. Ich möchte noch auf einen weiteren Aspekt - meine Vorredner haben es schon angesprochen - eingehen, nämlich auf Musik im Internet sowie auf die leidige Frage von Raubkopien und MP3. Keinesfalls dürfen wir hier die urheberrechtlichen Fragen aus den Augen verlieren. Dennoch muss es nicht automatisch durch das Internet zu einer Beeinträchtigung der Musikszene kommen. ({5}) Es ist meines Erachtens in erster Linie die Aufgabe der Musikbranche, mit technischen Verfahren so genannte Umgehungsstrategien der Konsumentinnen und Konsumenten abzuwehren. Aktuelle Untersuchungen aus den USA zeigen zudem, dass nicht durch das Internet Umsätze wegbrechen, sondern vor allem durch eine weltweite Rezession. Auf der letzten Kölner Popkomm beklagten vor allem die kleinen so genannten Independent Labels das rein auf den Kommerz ausgerichtete Verhalten der so genannten Major Labels, die nur unflexibel auf die Wünsche der Konsumenten reagieren. Die wahre Angst der Großen der Branche gründet sich wohl eher darauf, dass im Netz jedermann als Musikproduzentin oder Musikproduzent und zugleich auch als Händler auftreten kann und dass auf diese Weise Fangemeinden innovativer Richtungen entstehen, auf die die Branchenriesen nicht schnell genug reagieren können. Dabei könnte das Internet durchaus als Chance begriffen werden, einen wirklichen Dialog zwischen Musikschaffenden, Produzenten und Fans herzustellen. ({6}) Abschließend noch eine sehr persönliche Bemerkung: Ich möchte mir persönlich angesichts des Altersdurchschnitts im Parlament nicht vorstellen, wie eine vom Deutschen Bundestag geförderte Popmusik aussehen würde. ({7}) - Das ist doch die Wahrheit oder nicht? Die Wahrheit ist manchmal hart. ({8}) - Ich glaube, das sähe für uns sehr gut aus. Unsere Möglichkeiten der politischen Einflussnahme im Bereich der Rock- und Popmusik sind zum Glück insgesamt eher gering und zum großen Teil beschränkt auf unsere Rollen als Konsumentinnen und Konsumenten, Konzertbesucher und gegebenenfalls auch aktive Musiker. All das hoffentlich ganz im Sinne der Buntheit und Vielfalt der Rock- und Popmusik. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die PDS-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Heinrich Fink.

Prof. Dr. Heinrich Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003116, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es sehr gut, dass wir uns heute am Tag der Verleihung des Grand Prix d’Eurovision aufgrund der Anfrage der CDU/CSU in diesem Hause mit der Situation und den Perspektiven der Rock- und Popmusik beschäftigen. Dadurch wurde die Bundesregierung genötigt, einen Überblick über die allgemeine Situation der Ausbildung und Nachwuchsförderung sowie über die rechtlichen Rahmenbedingungen zu geben. Im Vortext der großen Anfrage heißt es: Die Rock- und Popmusik bedarf - auch aufgrund der Entwicklung in der Branche - staatlicher Aufmerksamkeit sowie angemessener rechtlicher Rahmenbedingungen wie andere Bereiche der Kultur- und Musikförderung auch. Das ist richtig. Das ist richtig. Die gegenwärtige Praxis der Förderung sieht leider anders aus. Hier ist festzustellen, dass der populären Musik bislang kein den anderen Kultursparten vergleichbares Gewicht zukommt. Den kulturpolitischen Diskurs zur Rock- und Popmusik voranzutreiben ist angesichts des gewachsenen gesellschaftlichen Stellenwerts dieses Musikbereichs und seiner Präsenz im Alltag verschiedener sozialer Schichten und Generationen zwingend notwendig. Wir sehen in einer solchen intensiven Debatte auch den Weg zu einem sinnvollen Konzept für die Gestaltung der bundes- und landespolitischen Rahmenbedingungen. Wenn wir als PDS-Fraktion für öffentliches Engagement im Bereich der Rock- und Popmusik eintreten, dann haben wir dafür auch wirtschaftliche und beschäftigungspolitische Motive. Rock- und Popmusik ist ein wesentlicher Standort- und Wirtschaftsfaktor und kann eine wichtige Rolle bei der Entwicklung strukturschwacher Regionen spielen, zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern. Entscheidend aber sind für uns ihre kulturelle Funktion und ihre Rolle im Alltag als Moment der Sinnbestimmung und Wertorientierung breiter Bevölkerungskreise. Das beschränkt sich nicht mehr nur auf den Alltag von Jugendlichen. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich bin dem Kollegen Koppelin sehr dankbar dafür, dass er darauf hingewiesen hat, welche Rolle die Rock- und Popmusik in der DDR gespielt hat. ({0}) Wenn wir jetzt genug Zeit hätten, könnten wir noch weiter vertiefen, dass sie für meine Generation eine wesentliche politische Sozialisation im Alltag bedeutete. Sie war ein wesentlicher Ausdruck eines bestimmten menschlichen Empfindens, das natürlich auch oppositionelle Züge trug. Ohne ihre Rolle zu überhöhen, sehen wir gerade in der Rockmusik und in der Popkultur als relativ neuen, aus den Jugend- und Gegenkulturen der 60er-Jahre hervorgegangenen Phänomenen eine Art soziales Laboratorium, in dem neue Sinngebung gefunden, neue Lebensformen erprobt oder erlebensorientierte und gegenwartsbezogene Wahrnehmungsformen erkundet werden können. Ihre in diesem Sinne emanzipatorischen Momente gilt es zu stärken und der Nutzung dieser populären Formen durch die rechte Szene entgegenzusteuern. „Rock gegen Rechts“ ist immer noch ein deutliches Zeichen, dem wir uns nicht entziehen dürfen. ({1}) Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen entwickeln sich rasch, und in der Rock- und Popkultur sind eine enorme Beschleunigung von Trends und eine Vervielfältigung und Ausdifferenzierung von Szenen festzustellen. Die Anpassung der Förderstrukturen an diese veränderten Bedingungen erfolgt aber nur zögerlich. Um neue Wege zu finden, ist der Dialog mit den Interessenverbänden der Rock- und Popmusik auf Bundes- und Landesebene unverzichtbar. Die Bundesregierung will diesen Dialog führen. Das begrüßen wir. Daher müssen die Bedingungen für die Arbeit solcher Interessenverbände wie etwa der Bundesarbeitsgemeinschaft der Musikinitiativen B.A.Rock dringend verbessert werden. Auch muss eine kontinuierliche Arbeit ermöglicht werden.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Fink, Sie müssen jetzt bald zum Schluss kommen.

Prof. Dr. Heinrich Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003116, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Abschließend möchte ich auf die Bedeutung der wissenschaftlichen Begleitung dieser Prozesse hinweisen. Dass es hierbei Differenzen gibt und weiterer Forschungsbedarf besteht, ist für mich ein wichtiger Hinweis. Ein Forschungszentrum für populäre Musik als weltweit erste Institution dieser Art ist 1983 in der DDR gegründet worden, nämlich an der HumboldtUniversität. Ich bin sehr froh, dass es inzwischen auch eiGrietje Bettin nen ordentlichen Professor für dieses Fach gibt. Wir sollten diese Potenziale nutzen und uns darum bemühen, diese Prozesse auch auf wissenschaftlichem Weg zu begleiten. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege Michael Roth von der SPDFraktion.

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind ja heute richtig hymnisch geworden. Dazu fällt mir Rio Reiser ein, der einst sang: Das alles und noch viel mehr würd’ ich machen, wenn ich König von Deutschland wär. - Mit Verlaub, Herr Staatsminister: Es gäbe dann wohl keinen Kulturminister, sondern einen Rock’n’ Roll-Minister, und die heutige Thematik wäre Chefsache. ({0}) Den König gibt es glücklicherweise nicht, den Minister schon, aber ausgemachte Experten für Rock und Pop sind in unseren Reihen eher rar. Wir sind - da sollten wir die Kirche im Dorf lassen - eher Konsumenten und als Politiker eher Zielscheibe - das ist auch gut so - denn Verbündete der Rockkultur. ({1}) Rock und Pop haben ihre Wurzeln im Protest. ({2}) Ihre Kultur entstand als ein Gegenentwurf gegen alles Arrivierte, gegen unsere schicken Anzüge und vor allen Dingen gegen das Etablierte. Ich denke, das betrifft alle Abgeordneten, egal welcher Partei sie angehören, vielleicht mit Ausnahme von Angela Marquardt von der PDS. Diese Musik sprach eine Sprache, die offensichtlich geeignet war, soziale Schranken zu sprengen und Generationen zu überbrücken. Die Rock- und Popmusik ermöglichte die Demokratisierung der Musik. Das habe nicht ich gesagt. Das stammt von Eric Hobsbawn. Es ist trotzdem richtig. Daher kann hier auch nicht ernsthaft zur Debatte stehen, dass dieses Themenfeld vor der Sozialdemokratie gerettet werden müsste. ({3}) Die Rock- und Popkultur sucht auch nicht Schutz, schon gar nicht in den Armen der CDU/CSU. ({4}) Ich kann mir vorstellen, dass Sie sich, Herr Kampeter, gerne in der Rolle des Retters sehen würden. Aber dann müssten Sie schon etwas mehr bieten. ({5}) Dass das persönliche Interesse an der Rock- und Popmusik in den vergangenen Jahrzehnten auch im Deutschen Bundestag zugenommen hat, darf durchaus als ein positives Zeichen gewertet werden. Dass wir heute nicht über antiquierte Vorstellungen von „langhaarigen Rockern“ und anderen „Revoluzzern“ diskutieren müssen, zeigt, dass die Rock- und Popmusik inzwischen sogar in der CDU akzeptiert wird; ja selbst die CSU verschließt sich nicht mehr gänzlich den Klängen einer „gepflegten Beatmusik“. ({6}) Diskutiert werden muss aber über die Rolle, die der Staat gegenüber der Rock- und Popkultur spielen kann und sollte. Die Rockmusik ist ein Medium, um mit mehr oder weniger Lautstärke und vor allem mit entsprechenden Liedtexten rebellieren zu können: gegen die Eltern, gegen die Schule, gegen die Gesellschaft und nicht zuletzt auch und gerade gegen die Politik. Es bedarf keiner Konventionen, keiner besonderen Ausbildung, keiner Diplome und schon gar keiner offiziellen gesellschaftlichen Anerkennung, um Rockmusik zu produzieren. Wir brauchen vor allen Dingen keine Normen. ({7}) Ich fände es fürchterlich, wenn wir darüber im Bundestag diskutierten. ({8}) Dennoch darf nicht vergessen werden, dass die Rockund Popmusik ein enormer Wirtschaftsfaktor, der am stärksten kommerzialisierte Bereich des Kulturwesens ist. Lange bevor Fördermechanismen anderswo die Kreativen unterstützen, hat die Musikindustrie Bands abgegriffen, multipliziert und verkauft. Dass darin auch Gefahren liegen - auf diese hat Grietje Bettin gerade hingewiesen -, darf nicht unbeachtet bleiben. Die Diskussion über die MP-3-Technologie ist hinlänglich bekannt. Die Vervielfältigung von Musik ist kaum kontrollierbar. Diese Technologie wird aber auch von freien Musikern zur Selbstvermarktung genutzt. Letztlich entscheiden die Konsumenten und die Musikindustrie, die ja teilweise schon dazu übergegangen ist - hier wird es pervers -, die Talente nicht erst zu entdecken, sondern sie von vornherein und zielgruppengerecht zu produzieren. Erst gibt es die Songs und dann die Gesichter. Die Produzenten bleiben im Hintergrund. Hier wirkt das freie Spiel der Kräfte des Marktes bisweilen absurd. ({9}) Das spiegelt sich beim Publikum durchaus wider. Die Kosten einer hochsubventionierten Theater- oder Konzertkarte sorgen eher für Verdruss, während 50 Euro oder mehr für die Karte eines Rockevents zumeist locker sitzen. ({10}) Jeder Versuch, die im Ursprung kreativ-anarchischen Elemente der Rock- und Popkultur - seien sie revolutionär oder kommerziell - in staatsnahe, wenngleich fördernde Strukturen einzubinden, kann nur mit Loriots Jodeldiplom belohnt werden. ({11}) Die Rock- und Popmusik kennt keine Grenzen. Warum sollte man mit der Diskussion über Quotenregelungen irgendwelche Grenzen ziehen, Herr Staatsminister? Gerade die neuere Popmusik wie Hip-Hop, Techno oder Rap - diese Musikrichtungen sind in entscheidendem Maße von der Bundesrepublik Deutschland ausgegangen - ist längst nicht mehr nach muttersprachlichen Kriterien einzuordnen. So schwach, wie es gelegentlich dargestellt wird, ist die deutschsprachige Rock- und Popmusik gar nicht. Dort, wo wir als Politiker gefragt sind, hat diese Koalitionsregierung durchaus für vorbildliche Regelungen gesorgt. Dort, wo es um sinnvolle Rahmenbedingungen geht, haben wir für die Kulturschaffenden und somit auch für die Rock- und Popszene erhebliche Verbesserungen - die Kollegin Grietje Bettin hat sie schon vorhin genannt - durchgesetzt: ({12}) Künstlersozialkasse, Urhebervertragsrecht, Besteuerung ausländischer Künstlerinnen und Künstler. Das spricht auch die Rock- und Popszene an. ({13}) Weitere Verbesserungsmöglichkeiten - darauf möchte ich zum Schluss noch hinweisen - müssen natürlich auf Länderebene und kommunaler Ebene ausgelotet werden - ich bin mir sicher, dass einige Kollegen damit schon Erfahrungen auf kommunaler Ebene gemacht haben -: Unterstützung von Konzertorganisationen und Festivals; Hilfe bei der Bereitstellung von Übungsräumen; womöglich Investitionszuschüsse beim Instrumentenkauf oder Finanzhilfen für Studioproduktionen. Natürlich könnte auch im schulischen Musikunterricht noch eine Menge getan werden, wenn diesem Unterrichtsfach endlich flächendeckend ein adäquater Stellenwert eingeräumt würde. Darüber redet überhaupt niemand. ({14}) Rockmusiker zu sein ist zumeist mehr als ein Beruf; es ist ein Lebensgefühl.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Roth, Präsidentin zu sein ist ebenfalls ein harter Job. ({0}) Denn man muss selbst in einer solchen Debatte den Redner an die Redezeit erinnern.

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich weiß! Ich habe vorhin schon meine Parlamentarische Geschäftsführerin gefragt, wie lange ich überziehen darf. Denn bislang habe ich noch nie überzogen. Es ist wirklich mein letzter Satz. Rockmusiker zu sein ist zumeist mehr als ein Beruf; es ist ein Lebensgefühl, in das ausgerechnet wir in diesem Haus uns wohl wahrlich nicht hineinversetzen können. Zumindest habe ich noch nicht gehört, dass jemals ein Abgeordneter zum Rockmusiker avancierte. Wenn das so wäre, dann, meine Damen und Herren, hätte die Kulturrevolution wahrlich ihre Kinder gefressen. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Auch wenn wir in dieser temperamentvollen Debatte noch nicht zu Rockmusikerinnen und -musikern mutiert sind, muss ich leider die Aussprache schließen. Wir haben auch keine Abstimmungen durchzuführen, da dies eine vereinbarte Debatte zu der Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion war. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Wimmer ({0}), Dr. Peter Eckardt, Dr. Hans Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Grietje Bettin, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Mehr Frauen an die Spitze von Wissenschaft und Forschung - durch Gender Mainstreaming Frauen in Wissenschaft und Forschung stärken - Drucksache 14/7627 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Die Kolleginnen Brigitte Wimmer, Kerstin Griese, Bärbel Sothmann, Irmingard Schewe-Gerigk, Ulrike Flach sowie Maritta Böttcher haben ihre Reden zu Proto- koll gegeben.1) - Ich sehe Einverständnis im gesamten Hause. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/7627 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef Parr, Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Dieter Thomae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für eine Verlängerung der Rückwirkungsfrist für die Berufskrankheit Nr. 4111 - Drucksache 14/6969 Michael Roth ({2}) 1) Anlage 2 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({3}) Ausschuss für Gesundheit Die Kolleginnen und Kollegen Wolfgang Grotthaus, Gerald Weiß, Katrin Göring-Eckart, Dr. Heinrich Kolb und Pia Maier haben ihre Reden ebenfalls zu Protokoll ge- geben.1) - Kein Widerspruch. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/6969 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Einverständnis im ganzen Hause. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Sabine Jünger, Monika Balt, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der PDS Soziale Arbeit stärken - Alternativen zum Zivildienst entwickeln - Drucksachen 14/3563, 14/7996 - Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Dzewas Thomas Dörflinger Ina Lenke Christian Simmert Monika Balt Die Kolleginnen und Kollegen Dieter Dzewas, Mar- lene Rupprecht, Thomas Dörflinger, Christian Simmert und Ina Lenke haben ihre Reden bereits zu Protokoll ge- geben.2) - Redet die PDS? ({5}) - Das war mir nicht angekündigt. Dann erteile ich dem Kollegen Dr. Ilja Seifert das Wort.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Nach der Debatte über Rockund Popmusik über Zivildienstleistende zu reden ist gar nicht so schwer. Es ist nahe liegend, dass die einen mit dem anderen etwas zu tun haben. Im Zivildienst geht es um ernsthafte Probleme. Jeder von uns weiß, dass der Zivildienst keinen gesetzlichen Sicherstellungsauftrag im sozialen Bereich hat. In der Praxis ist es aber so, dass ohne die Zivildienstleistenden heute kaum noch eine Alteneinrichtung, kaum noch eine Behinderteneinrichtung - sei es im ambulanten, sei es im stationären Bereich -, kaum noch eine Kindereinrichtung existieren kann. ({0}) Das kann so nicht hingenommen werden. Deswegen schlagen wir in unserem Antrag vor, die soziale Arbeit - die gut bezahlt sein muss - zu stärken, indem der Zivildienst reformiert wird. Wir sagen klipp und klar: Obwohl wir eigentlich für die Abschaffung aller Zwangsdienste, also von Wehrpflicht und Zivildienst, sind, kann man den Zivildienst nicht abschaffen, ohne vorher Kompensationen für das geschaffen zu haben, was die jungen Männer mit großem Engagement - zum Teil arbeiten sie wesentlich länger, als sie eigentlich müssten - leisten. ({1}) Es geht um eine Konversion des Zivildienstes, nicht um eine scheibchenweise Amputation, indem wir ihn jedes Mal ein bisschen mehr zurückschrauben. Nachdem ich das vorausgeschickt habe, möchte ich auf unseren Antrag zu sprechen kommen. Wir schlagen verschiedene Maßnahmen vor, damit diejenigen - ich rede jetzt hauptsächlich vom sozialen Bereich -, die jetzt einen Vorteil davon haben, dass es die Zivildienstleistenden gibt, zum Beispiel behinderte Menschen in Werkstätten oder in der ISB, der individuellen Schwerbehindertenbetreuung, nicht in ein Loch fallen, aus dem sie nicht herauskommen. Wir können denen das nicht zumuten. Bei der notwendigen Konversion müssen auch die Trägereinrichtungen in die Lage versetzt werden, den Übergang zu bewältigen. Momentan werden die Zivildienstleistenden als billige Arbeitskräfte missbraucht. Das kann nicht Aufgabe des Zivildienstes sein. Deshalb muss dieser Missbrauch zurückgefahren und eine vernünftige Regelung gefunden werden, damit die wichtigen sozialen Aufgaben, die in diesem Bereich erfüllt werden, weiterhin in guter Qualität erfüllt werden können. Wir schlagen zum Beispiel die Schaffung des Amtes eines Ombudsmannes vor, an den man sich, falls irgendwo bei den Betroffenen Probleme auftauchen - also zum Beispiel bei den behinderten Menschen, bei den Zivildienstleistenden oder bei den Zivildienststellen -, wenden kann und der dafür sorgt, dass diese Probleme schnell und unbürokratisch gelöst werden. ({2}) Wir haben in unserem Antrag auch noch mehrere Vorschläge unterbreitet, die von einer langfristigen Perspektive ausgehen. Insbesondere sollte endlich dazu übergegangen werden, bestimmte Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, die von jedem von uns für wichtig gehalten werden - darüber bestand in jeder Aussprache hier bisher Einigkeit -, nicht ausschließlich betriebswirtschaftlichen bzw. Marktkriterien zu unterwerfen. Man sollte vielmehr sagen, dass diese Arbeit auch dann, wenn man dort keine Gewinne erzielen kann, geleistet werden muss. Demzufolge ist eine ständige - auch finanzielle - Unterstützung erforderlich. Ob Sie das wie wir als öffentlich geförderten Beschäftigungssektor bezeichnen oder umbenennen, ({3}) ist egal; es geht mir hier um die Sache, und die brauchen wir. ({4}) Ich möchte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier noch an einem ganz konkreten und aktuellen Beispiel Vizepräsidentin Petra Bläss 1) Anlage 3 2) Anlage 4 darstellen, was Zivildienstleistende heute leisten, was passiert, wenn sie wegfallen, und wie es eigentlich nicht laufen sollte. In der vergangenen Woche erfuhr ich von einem Mann aus der schönen Stadt Viersen: Er ist Ende 30, querschnittsgelähmt und führt mithilfe von Zivildienstleistenden ein relativ selbstbestimmtes Leben. Ende März dieses Jahres wird ihm die Hilfe durch Zivildienstleistende verwehrt, weil die Zivildienststelle sagt, sie könne die Zivis nicht mehr bezahlen. Einerseits bezahlt die Pflegeversicherung für die Zivildienstleistung nur drei Stundensätze pro Tag, obwohl die Zivildienstleistenden 14 Stunden am Tag da sind. Das liegt daran, dass die Pflegeversicherung nicht bereit ist zu zahlen, wenn Zivildienstleistende Behinderte außer Haus begleiten usw. Diese dürfen nur das Verlassen der Wohnung abrechnen, wofür es 70 Punkte gibt; für eine Begleitung außer Haus - dabei handelt es sich um Spazierengehen oder Essengehen - gäbe es 600 Punkte. So bezahlt die Pflegeversicherung für die Zivildienstleistenden, die diesen Mann betreuen, nur drei Stunden pro Tag, während die anderen elf Stunden das Sozialamt zahlen soll. Das Sozialamt andererseits begrenzt aber seine Leistungen ab sofort auf maximal 1 500 Euro pro Monat. Da für die Betreuung dieses Mannes nunmehr 300 Euro im Monat fehlen, wird ihm gesagt, er solle ins Heim gehen, weil die Zivis diese Arbeit nicht mehr leisten könnten. Sagen Sie bitte: Wie wollen wir aus dieser Kluft eigentlich herauskommen? - Entweder wir erlauben den Zivis, die Arbeit die ganze Zeit zu machen, und bezahlen sie ordentlich oder wir erhöhen - das entspricht unserem Vorschlag - das Niveau der sozialen Arbeit: ordentliche Bezahlung, klare Verhältnisse. Die betroffenen Menschen dürfen nicht mehr der Demütigung ausgesetzt sein, Bittsteller zu sein. ({5}) Ich bedauere, dass die Kolleginnen und Kollegen hierzu heute nicht mehr reden können. Ich denke, dass wir in der Sache vorankommen müssen - es ist nicht damit getan, den Antrag heute abzulehnen -, um den Zivildienst zu konvertieren und nicht zu amputieren. Danke schön. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 14/7996 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Soziale Arbeit stärken Alternativen zum Zivildienst entwickeln“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3563 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf - es handelt sich zugleich um den letzten Tagesordnungspunkt des heutigen Tages -: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS Haltung der Bundesregierung zu aktuellen Drohungen des Präsidenten der USA gegen den Irak Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Fraktionsvorsitzende der PDS, Roland Claus.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wurde in dieser Woche gefragt, ob der Titel „Haltung der Bundesregierung zu aktuellen Drohungen des Präsidenten der USA gegen den Irak“ nicht zu martialisch gewählt ist. Ich glaube, dass das nicht der Fall ist. Allenfalls der Vorgang, um den es hierbei geht, ist martialisch. Wir haben es mit Kriegsdrohungen zu tun. Ich war in den Vereinigten Staaten, als die Worte des US-Präsidenten die Runde machten. Ich war am Ground Zero und habe wahrgenommen, dass sich die Bevölkerung der Vereinigten Staaten als im Krieg befindlich empfindet. Die herausragende Frage der Verantwortlichen im Pentagon ist natürlich immer: Wo ist der Feind? Diese Frage ist zu beantworten. Die Situation in Deutschland und in Europa ist anders: Die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland und auch die Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages wollen diesen Krieg nicht. Verstehen Sie insofern das Ansinnen der von uns beantragten heutigen Aktuellen Stunde nicht konfrontativ! Wir haben seinerzeit, als es um die Entscheidung über den Einsatz deutscher Soldaten im Afghanistan-Krieg ging, gesagt: Krieg ist die falsche Antwort auf den Terror. Wir finden, dass Krieg auch die falsche Antwort auf ganz sicher vorhandene Unterdrückungen und Menschenrechtsverletzungen im Irak ist. Ich hatte jüngst die Gelegenheit, im amerikanischen State Departement einmal die Position gegen den Afghanistan-Krieg - sie wird in Europa nicht nur, aber auch von der PDS vertreten - einzubringen. Ich habe versucht, darzustellen, dass diese Position sehr wohl mit einer Haltung einhergeht, die nicht als Antiamerikanismus diffamiert werden kann, die durchaus solidarisch sein kann, auch wenn sie sich in dieser Angelegenheit mit dem amerikanischen Vorgehen kritisch auseinander setzt. Die Reaktion auf die Frage, ob diese Position für die Kollegen im State Departement akzeptabel sei, war, dass sie sich selbst sehr wohl als auf der Suche befindlich verstehen und deshalb mit Kritik umgehen können. Ich finde, man muss an dieser Stelle eines sehr deutlich sagen: Ein Krieg gegen den Irak wäre durch nichts zu rechtfertigen, von den unabsehbaren Auswirkungen auf den Nahostkonflikt einmal ganz abgesehen. ({0}) Deshalb sind die Mahnungen der europäischen Außenminister, denen wir von hier aus den Rücken stärken können, sicher zu begrüßen. Diese Mahnungen sind ehrenwert. Aber ich fürchte, dass die Mahnungen des Bundesaußenministers Fischer und der anderen europäischen Außenminister folgenlos bleiben. Deshalb besteht die Gefahr, dass zwischen „uneingeschränkter Solidarität“, die hier vom Kanzler bekundet wurde, und dem Ausschluss von Abenteuern, der auch an dieser Stelle verkündet wurde, fließende Grenzen entstehen. Ist es denn kein Abenteuer, wenn deutsche Soldaten in Kuwait an Manövern teilnehmen? Wir wollen Ihnen eines deutlich sagen: Wir verkennen die schwierige Situation der Bundesregierung nicht, auch wenn sie sie natürlich selbst zu verantworten hat. Sie sind nicht aus Versehen in den Beistandsfall geraten. Da Bundesaußenminister Fischer so starke Worte wie „Alliierte sind keine Satelliten“ gewählt hat, will ich an das erinnern, was uns hier alles - das waren nicht ganz so starke Worte - im Herbst des vergangenen Jahres unterstellt worden ist und welche Häme wir damals einzustecken hatten. Sofort kommt ja auch die Kritik der CDU an die Adresse des Bundesaußenministers, die ich in der Sache nicht teile. Aber ganz sicher ist ein Problem daran echt: Dem Wahlkämpfer Fischer steht der Außenminister Fischer dabei schon ein Stück im Wege. Gesetzt den Fall - diese Erwartungen wurden ja auch in öffentlichen Ankündigungen geäußert -, die USA wollen diesen Krieg im Alleingang führen, bleibt noch immer die Tatsache, dass wir hier und an anderen Stellen den Beistandsfall nach Art. 5 des NATO-Vertrages beschlossen haben - nicht mit unseren Stimmen, aber mit den bekannten Mehrheiten. Wir stehen damit vor der auch völkerrechtlich spannenden Frage: Wo ist der Ausstieg aus dem NATO-Beistandsfall? Ein solcher ist bekanntlich im Vertrag nicht geregelt. Ich habe in einer ganzen Reihe von Gesprächen mit Expertinnen und Experten zu dieser Frage in dieser und in den zurückliegenden Wochen immer wieder gewissermaßen als Beruhigung gehört: Nun regen Sie sich doch nicht auf, das dauert doch alles noch. - Ich empfinde das überhaupt nicht als Beruhigung. Ich denke, wir brauchen den öffentlichen Widerstand vor dem Waffengang. Wir brauchen den Widerspruch gegen eine solche Politik auch hier aus Europa und wir haben heute und sicher auch danach noch Gelegenheit, diesen Widerspruch zu artikulieren. Herzlichen Dank. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das war eine Punktlandung, was die Redezeit betrifft. Nächster Redner ist der Kollege Markus Meckel für die SPD-Fraktion.

Markus Meckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001451, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Interesse an dieser Debatte scheint mir - so muss ich es, wenn ich die Zeitungen aufschlage, sagen - ein eher innenpolitisches zu sein. Ich muss gestehen: Diese Rede hat mich auch nicht vom Gegenteil überzeugen können. Wenn hier behauptet wird, dass es um Krieg oder nicht Krieg geht, werden durchaus starke Worte gewählt, die wir aus der PDS oft genug gehört haben. Aber darum geht es heute hier nicht. Ich muss auch sagen, lieber Kollege Pflüger: Es geht heute auch nicht um die Frage, wie weit Deutschland im Kampf gegen den Terrorismus klar an der Seite Amerikas steht oder wie weit dies nicht der Fall ist. Alles, was wir in den letzten Tagen dazu gehört haben, halte ich sowohl in der Debatte darüber, wie man sich gegenüber dem Irak verhalten soll, als auch in der Debatte darüber, was im Rahmen des Kampfes gegen den Terrorismus zu tun ist, wirklich für wenig hilfreich. Konsens besteht unter uns allen hinsichtlich der Gefährlichkeit des Irak. Es ist klar, wie gefährlich er für die Nachbarn ist. Es ist klar und deutlich, wie schwierig die Lage für Israel und für den Nahen Osten wird, wenn hier etwas losgeht. Dass die Person Saddam Hussein und sein Regime wahrhaftig mit großer Gefahr gerade im Nahen Osten zu tun haben, dürfte wohl uns allen bewusst sein. Gefahr besteht auch, wenn Massenvernichtungsmittel angeschafft und Trägerraketen vorbereitet werden. ({0}) Das ist eine Gefahr für uns alle, mit der wir uns auseinander zu setzen haben. Nicht zuletzt darf man auch feststellen, was übrigens für alle Diktatoren gilt: Er ist eine Gefahr für die eigene Bevölkerung. ({1}) Auch um der eigenen Bevölkerung willen ist Saddam Hussein zu bekämpfen. Aber nach allem, was wir wissen - natürlich muss ich zugeben, dass wir vielleicht nicht alles wissen -, muss man gleichzeitig sagen: Diese Gefahr ist keine akute, sondern eine längerfristige Bedrohung. Wir müssen durchaus offen miteinander darüber diskutieren, wie wir dieser Gefahr Herr werden können. Von zentraler Bedeutung - ich denke, auch darüber sind wir uns einig - ist die Einhaltung der UNO-Resolutionen, die Frage der Waffeninspektionen, die auf jeden Fall weiter möglich sein müssen und die man durchsetzen muss. Sie sind dringend notwendig. Deshalb sollten wir es begrüßen und das mit unserer Unterstützung deutlich machen, dass der Generalsekretär der UNO im April, begleitet von Herrn Blix - das ist auch wichtig und ein deutliches Signal -, im Irak Gespräche führen will. ({2}) Die Diskussion über das Sanktionsregime scheint mir ebenfalls von großer Bedeutung zu sein. Wir haben auch diese Debatte lange geführt und müssen zumindest feststellen, dass dieses Regime, das wir hatten, wohl eher - ich sage es vorsichtig - zur Verelendung der Bevölkerung geführt, als wirklich zu einer Schwächung Saddam Husseins beigetragen hat. Das Gegenteil scheint mir der Fall zu sein. Deshalb ist es wichtig, dass wir darüber neu diskutieren und dass wir auch im Sanktionsregime neue Strukturen finden. Im Mai wird es hierzu neue Entscheidungen geben. Wir hoffen, dass diese im Rahmen des UNO-Sicherheitsrates in einem großen Konsens getroffen werden können. Wir alle wissen ehrlich gesagt relativ wenig darüber, welche Rolle der Irak im internationalen Terrorismus spielt, wie die Strukturen aussehen. Es gibt jedenfalls bisher keine klaren Beweise für entsprechende Zusammenhänge. Wir wissen, dass die Diskussion darüber auch in den USA intensiv geführt wird. Ich denke, wir brauchen ein gemeinsames und entschlossenes Handeln gegen den Terrorismus und eine klare Position gegenüber dem Irak in den Punkten, die ich eben genannt habe. Das heißt, dass wir intensive Konsultationen zwischen den USA und Europa brauchen. Dies ist bereits in durchaus hohem Maße geschehen. Vielleicht war es aber nicht in allen Punkten ausreichend. Darüber lässt sich reden; dies sollten wir auch tun. In den letzten Tagen war ich in Brüssel. Im Rahmen der NATO-Parlamentarierversammlung führten wir auch ein Gespräch im NATO-Rat. Es war klar, dass es auch hier ein Spektrum unterschiedlicher Positionen gibt. Eines sollte wichtig sein: Wir brauchen ein klares, politisches und gemeinsames Vorgehen und keine Debatte über Antiamerikanismus oder dergleichen Vorwürfe. Es geht darum, dass wir zusammenstehen und dass die wichtigsten UNO-Sicherheitsratsmitglieder, die ein Vetorecht haben, zu einer gemeinsamen Position finden. Dafür gibt es auch erste Anzeichen. Hierbei müssen wir insbesondere Moskau drängen, dass es seinen Einfluss auf Saddam Hussein nutzt. Wir müssen hier zu einer gemeinsamen Position kommen. Im Kampf gegen den Terrorismus darf die breite Koalition, die weit über die Wertegemeinschaft des Westens hinausgeht, nicht gefährdet werden. Ihr Verschwinden würde uns allen nichts nützen. Ich danke Ihnen. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Karl Lamers.

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, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Meckel, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: Nach der Rede des Kollegen Claus war es notwendig, darauf hinzuweisen, dass nicht Amerika, sondern der Irak das Problem ist. ({0}) Es kann wenig Zweifel daran geben, dass dieser Diktator, der einer der brutalsten ist, die wir je kennen gelernt haben, weiterhin nach Massenvernichtungswaffen strebt und vielleicht auch schon über solche verfügt. Wir sind uns auch alle darüber klar, dass er sein eigenes Volk unterdrückt und dass es höchste Zeit ist, dass dieses schwierige Volk - es besteht im Grunde genommen aus vielen Völkern - ein anderes Regime bekommt. Das bleiben die Grundaxiome sowohl der europäischen und deutschen als auch der amerikanischen Politik. Dazu gehört auch, dass die UN-Inspekteure wieder ins Land gelassen werden. Das muss unser erstes und vorrangiges Ziel sein. ({1}) Was sind nun die weiteren Optionen? Was muss und kann getan werden? Was sind dabei die Interessen von Deutschland und Europa? Die Amerikaner lassen keinen Zweifel daran, dass sie es mit ihren Warnungen gegenüber dem Irak ernst meinen. Wir müssen diese Warnungen ernst nehmen. Ich glaube, wir können ihre Entschlossenheit nur dann verstehen, wenn wir bereit sind, uns in ihre Rolle als Symbol der freiheitlichen westlichen Gesellschaftsordnung hineinzuversetzen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die USA durch die Ereignisse des 11. September zutiefst verletzt fühlen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns muss klar sein, dass wir uns von den Vereinigten Staaten nicht abkoppeln können. Von allem, was sie tun, sind auch wir betroffen. Das gilt ebenso für die Folgen, wie zum Beispiel denen ihres Einsatzes in Afghanistan. Genauso wäre es im Falle eines Vorgehens gegen den Irak. Wir haben nicht nur den Wunsch, sondern auch das Recht, mit den Amerikanern darüber zu reden und konsultiert zu werden, bevor Entscheidungen getroffen werden; denn ein solcher Angriff wäre mit einer Reihe von Problemen verbunden. Ich will sie nicht alle aufzählen. Herr Kollege Meckel hat schon darauf hingewiesen, dass die Erhaltung der internationalen Koalition, gerade mit der arabischen Welt, ganz vorrangig sein muss. Wir können mögliche Auswirkungen auf den Israel-PalästinaKonflikt nicht übersehen. Vor allen Dingen müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass wir die Frage beantworten müssen, was nachher geschehen kann und wie wir uns in der richtigen Weise verhalten und einsetzen können. Kurzum: Unser gemeinsames Ziel mit den USA ist es, den Irak Saddam Husseins zur Räson zu bringen und dem Kontrollregime der Vereinten Nationen wieder volle Geltung zu verschaffen. Wenn es richtig ist, dass wir, aus den Gründen, die ich genannt habe, einen Anspruch darauf haben, gehört zu werden, dann gilt aber auch, dass wir dialogfähig sein müssen. Der Vorwurf, den ich der Bundesregierung machen muss, ist, dass sie nicht alles in ihren Kräften Stehende getan hat, ({2}) um uns dialogfähig zu machen bzw. dafür zu sorgen, dass Europa dialogfähig wird. Denn wir müssen uns doch darüber im Klaren sein: Alleine sind wir nicht in der Lage, ({3}) uns wirklich Gehör zu verschaffen. ({4}) Es ist eine traurige Tatsache: Wer nicht gebraucht wird, der wird auch nicht gehört. Wir werden für den militärischen Teil nicht gebraucht. Das hat gerade im Falle Deutschlands Ursachen, die im Versagen dieser Regierung liegen. ({5}) - Dass die Bundeswehr in einem mehr als beklagenswerten Zustand ist, ({6}) haben wir ja gerade bei der Verlegung der Streitkräfte nach Afghanistan gemerkt. ({7}) Sosehr es stimmt, dass im Augenblick aus allen europäischen Ländern ein gemeinsamer Tenor über den Atlantik schallt, so wissen die Amerikaner doch sehr genau, dass Europa, wenn es ernst wird, wieder auseinander fällt. Deswegen ist das Erste, was wir von dieser Regierung verlangen müssen, dass Europa mit einer Stimme spricht. Herr Minister, da hat es ja in der letzten Zeit, wenn auch nicht im Zusammenhang mit diesem Thema, genau das Gegenteil einer deutschen Bemühung gegeben. Der Bundeskanzler hat Europa schwersten Schaden zugefügt ({8}) und da hat man Ihre Stimme leider nicht gehört.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Lamers, ich muss Sie leider an die Redezeit in der Aktuellen Stunde erinnern.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Was wir also brauchen, ist ein dialogfähiges Europa, ein Europa, das seine Stimme auch in der NATO erheben kann und das über den Atlantik gehört wird. Ich glaube, dass wir uns vornehmen sollten, die öffentliche Diskussion und die öffentliche Kritik an Amerika mit dem heutigen Tag zu beenden. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat der Kollege Dr. Helmut Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fand die Art und Weise, wie Herr Meckel das Problem angesprochen hat, sehr gut und ich fand die Art und Weise, wie Herr Lamers Herrn Meckel aufgenommen hat, sehr gut und richtig. Ich fand sie richtiger als die Anfänge, bei denen sich Herr Claus und Herr Pflüger in einer seltsamen Achse befanden und meinten, dieses Thema auf den Wahlkampf reduzieren zu dürfen, wobei dem deutschen Außenminister der Wahlkämpfer im Wege stehe. Das fand ich, ehrlich gesagt, etwas geschmacklos, auch von Ihnen, Herr Pflüger. ({0}) Es geht hier doch um die ernste Frage, die Herr Lamers gerade aufgebracht hat, wie wir mit einer sich zuspitzenden Krise umgehen, bei der die Amerikaner gar nicht im Unrecht sind. Ich bin der Letzte, der leugnet, dass wir, wenn Bomben fallen, möglicherweise eine Giftwolke haben. Es ist gar nicht daran zu zweifeln, dass es viele gute Gründe gibt. Man muss aber trotz Solidarität die Frage an die amerikanische Politik stellen, ob die Aktionen, die sich anbahnen, mit den richtigen Mitteln und zum richtigen Zeitpunkt durchgeführt werden. Es stellt sich die Frage, ob es nicht klüger wäre - das hat auch der französische Außenminister angemahnt -, diese Situation differenzierter zu betrachten. Die Frage ist, ob es richtig ist, das Problem des Terrorismus - bei der Bekämpfung des al-Qaida-Terrorismus musste man sehr wohl militärische Mittel anwenden hier mit dem Problem der Massenvernichtungswaffen zu verbinden. Angesichts der Verschiebung dieser Ziele muss man fragen, ob damit nicht größerer Schaden in der arabischen Welt angerichtet wird und ob man nicht zu anderen Schlussfolgerungen kommen sollte. Aus diesem Grunde, Herr Lamers, fand ich den zweiten Teil Ihrer Rede nicht richtig. Ich will sagen, weshalb es richtig ist, dass wir dieses Thema heute debattieren. Wer die Entwicklung genau verfolgt hat - man konnte es ja auch nachlesen -, wie islamische Regierungen aus großer Sorge Saddam Hussein signalisiert haben, er möge doch gefälligst die Inspektoren ins Land lassen - sie sprachen davon, dass dies seine letzte Chance sei; ich erwähne in diesem Zusammenhang den Brief von Ecevit -, und wer die Antwort „Es werden nur Spione geschickt“ kennt, der weiß, dass eine Einsicht kaum zu erwarten ist und dass sich die Lage weiter zuspitzen wird. Wer auf der anderen Seite zur Kenntnis nimmt, dass die amerikanische Administration eine neue Irak-Strategie erarbeiten lässt, was zur Folge hat, dass es auf der Reise von Cheney nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie geht, der muss große Angst verspüren, Herr Pflüger. Man muss daher kritische Fragen stellen dürfen. Es besteht kein Zweifel, dass wir diese Fragen in angemessener Form und unter Berücksichtigung der Bündnissolidarität stellen. Wir haben im Moment folgendes Problem: Ein Diktator verharrt in seiner unbeweglichen Trotzhaltung. Auf der einen Seite haben wir also ein Milosevic-Problem. Auf der anderen Seite gibt es das Problem, dass bis Mai eine Drohkulisse aufgebaut wird. In der „Herald Tribune“ kann man sehr genau nachlesen - auch wenn die Amerikaner jetzt Desinformationen verbreiten sollten -, dass mit den Vorbereitungen begonnen wird. Natürlich wird es politische Lösungsversuche und eine UNO-Resolution geben. Das heißt, die Vorbereitung auf politischem Gebiet steht noch bevor. Bis dahin hat Europa Zeit, seine Stimme zu erheben, so wie es Blair und - für das konservative Lager - Aznar schon getan haben. Diese Gelegenheit muss genutzt werden, um - ausgehend von einer Drohkulisse - dafür zu sorgen, dass der Diktator den Ernst der Lage erkennt. Es muss aber gleichzeitig dafür gesorgt werden, dass Amerika aus einer solchen Drohkulisse wieder herauskommt und nicht in Handlungszwänge gerät, die nicht mehr beherrschbar sind. Wenn diese Zwänge nicht mehr beherrscht werden können, geraten wir nämlich in eine Situation, die ich jetzt nicht weiter ausmalen möchte, die Ihnen aber allen bekannt ist. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht der Kollege Dr. Werner Hoyer für die FDP-Fraktion.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist von Herrn Lamers und Herrn Meckel und teilweise auch von Herrn Lippelt schon so viel Richtiges zum Thema Irak und Saddam gesagt worden, dass ich mich mit dem Herrn gar nicht mehr lange aufhalten möchte. Ich möchte mich vielmehr auf eine andere große Sorge konzentrieren, die ich in diesem Zusammenhang habe. Mich bewegt gegenwärtig am meisten, wie die freie Welt in der mittel- und langfristigen Betrachtung mit Bedrohungen, wie sie von jemandem wie Saddam Hussein ausgehen, umgeht. Es bewegt mich die Frage, wie wir uns vor der Gefahr schützen, uns in der freien Welt von jemandem auseinander dividieren zu lassen, der für Völkermord, Vertreibung, Angriffskrieg, Geiselnahme des eigenen Volkes und vieles andere und nicht zuletzt auch für die Produktion und Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und gegebenenfalls auch Trägersystemen steht. Mir behagt natürlich vieles nicht an der Kriegsrhetorik, die gegenwärtig von jenseits des Atlantiks zu uns herüberkommt. Ich halte manches, was im Zusammenhang mit der Achse des Bösen gesagt wird, nicht unbedingt für klug. ({0}) Es ist völkerrechtlich problematisch, so zu tun, als sei der Angriff auf den Irak die logische und automatisch gerechtfertigte Konsequenz aus den Aktionen gegen die Terrororganisation al-Qaida. ({1}) Ich teile schließlich ausdrücklich die Sorgen derjenigen, die befürchten, dass die Soldaten der Bundeswehr, die sich gegenwärtig an einem sich immer mehr verlängernden Manöver in Kuwait beteiligen, unter Umständen in eine Situation hineingezogen werden könnten, die in einem Krieg endet, in dem der Deutsche Bundestag seine Rolle als Herr einer Parlamentsarmee im Grunde nicht mehr frei spielen kann. Insofern habe ich wirklich größte Besorgnisse. Aber ich bin der Meinung, dass es sich diejenigen, die plötzlich ihren antiamerikanischen Reflexen wieder freien Lauf lassen, deutlich zu leicht machen. Plötzlich ist ja - der Wahlkampf lässt grüßen - so mancher antiamerikanische Reflex wieder da. Das ist eine Zeit lang überdeckt worden. Der Außenminister musste natürlich der amerikanischen Administration erst einmal beweisen, dass er wirklich von einem antiimperialistischen Streetfighter zu einem überzeugten Atlantiker mutiert ist. ({2}) Jetzt hat er den latenten Antiamerikanismus der grünen Basis eben doch wieder entdeckt. ({3}) Deswegen habe ich die Sorge, dass wir als Deutsche und Europäer aufgrund dieser innenpolitischen Dimension letztendlich schlecht vorbereitet sind, wenn es darum geht, die Diskussion über Meinungsunterschiede mit den amerikanischen Freunden tatsächlich sachgerecht zu führen. Wo sind denn die europäischen Konzepte für eine entschlossenere Abrüstungs- und Antiproliferationspolitik? Welche Konzepte haben wir im Hinblick auf den Umgang mit Terrorismus und mit der Produktion von Massenvernichtungswaffen und Trägersystemen? Mit welchen Instrumenten wollen wir Saddam Hussein zwingen, die UN-Inspektoren wieder in sein Land zu lassen? Zu all dem hören wir hier relativ wenig. Das Gefährlichste ist, dass wir in Amerika und in Europa zwischenzeitlich voneinander eine wechselseitige Perzeption haben zustande kommen lassen, bei der die einen auf der anderen Seite des Atlantiks als Weicheier dargestellt werden, die die Realitäten des Lebens nicht erkennen, während bei diesen der Eindruck entsteht, dass die andere Seite des Atlantiks blindwütig draufschlagen würde, wenn ihr in dieser Welt irgendetwas nicht passt. Es ist höchste Zeit, dass die Europäer und die Amerikaner wieder zu gemeinsamen Analysen, zu gemeinsamer Entscheidungsfähigkeit und hoffentlich auch zu einer gemeinsamen Sprache zurückfinden. Nach meiner Auffassung ist es in dieser Frage fünf vor zwölf. Ich glaube nicht an Huntingtons „Clash of civilizations“. Aber ich habe schon die Befürchtung, dass wir auf einen Clash der politischen Kulturen zwischen Nordamerika und Europa hinsteuern könnten, wenn wir nicht gewaltig aufpassen und gegensteuern. Die deutsche Politik ist hier in besonderer Weise gefordert. Seit 50 Jahren ist es ein Imperativ deutscher Außenpolitik, sich niemals in die Situation manövrieren zu lassen, zwischen europäischer Integration und transatlantischer Verankerung wählen zu müssen. Deswegen sind in schwierigsten Zeiten - ich denke an die INF-Debatte Ende der 80erJahre, als es um die Kurzstreckenraketen ging - durch kluge Diplomatie und Außenpolitik immer wieder Formen der Begegnung und des Dialogs - teilweise auf diskrete Art - gefunden worden. Ich hoffe, dass es solche Initiativen wie damals bei Hans-Dietrich Genscher auch jetzt bald wieder geben wird. Wir brauchen sie, wenn wir die Zeit, die wir noch haben, tatsächlich nutzen wollen. ({4}) Das Gefährlichste ist, dass das Wirklichkeit werden könnte, was als Paradigmenwechsel der amerikanischen Außenpolitik beschrieben wird: weg vom Multilateralismus, aufgrund dessen uns der ehemalige Präsident George Bush seinerzeit „partnership in leadership“ angeboten hatte, hin zu dem, was sich jetzt als Unilateralismus der amerikanischen Seite unter George W. Bush darstellt, der zum Beispiel die Vereinten Nationen nur noch als lästig zu empfinden scheint. Diese kurzfristigen Ad-hoc-Zweckbündnisse, die eine Aushöhlung der Nordatlantischen Allianz, dem neben EU und UNO wichtigsten Instrument, das wir in der Welt haben, übrigens auch für den Kern deutscher Außen- und Sicherheitspolitik, zur Folge haben können, könnten auf längere Sicht zu dem Gefährlichsten führen, was Deutschland passieren kann: dass die Europäer tatsächlich den Weg der Renationalisierung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik gehen. Die NATO hat uns über Jahrzehnte davor bewahrt. Wir sollten nicht zulassen, dass durch eine Erosion der NATO diese Gefahr wieder virulent wird. Herzlichen Dank. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Kollege Reinhold Robbe für die SPD-Fraktion.

Reinhold Robbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002762, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Völlig unabhängig von der Frage, wie sich die Bundesregierung zur aktuellen Situation im Irak verhält, ist in diesem Zusammenhang doch eine ganz andere Frage zu stellen, nämlich: Was veranlasst eigentlich die PDS, dieses Thema gerade zu diesem Zeitpunkt auf die Tagesordnung zu setzen? Ich will noch einen Schritt weiter gehen und fragen: Ist die PDS unter moralischen Gesichtspunkten überhaupt legitimiert, sich an einer derartigen Debatte zu beteiligen? ({0}) Ich beantworte diese Frage mit einem klaren Nein. Die SED-Nachfolger haben sich bisher jeder internationalen Verantwortung grundsätzlich verweigert. ({1}) Die PDS hat jeden Bundeswehreinsatz abgelehnt, der darauf gerichtet war, Völkermord, Vertreibung, Massenvergewaltigungen und Terror zu beenden. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Verweigerungshaltung der PDS in Sachen Bosnien, Kosovo, Mazedonien und auch Terrorismusbekämpfung in Afghanistan. Stets war es die PDS, die alle Befürworter dieser Einsätze de facto als Kriegstreiber verunglimpfte und sich selber insbesondere in den neuen Bundesländern als Friedenspartei zu etablieren versucht hat. Besonders unerträglich wurde es immer dann, wenn die PDS auch noch solche Leute hofierte, die für all die Verbrechen verantwortlich waren. ({2}) - Warten Sie es ab! - Geradezu verräterisch ist jenes Bild, das Herrn Gysi Hände schüttelnd mit Herrn Milosevic zeigt ({3}) - das wollen Sie nicht gern hören, aber das muss an dieser Stelle gesagt werden -, und zwar zu einem Zeitpunkt, als die Völkergemeinschaft der freien Welt Milosevic eindeutig als Drahtzieher und Hauptverantwortlichen für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit identifiziert hatte. ({4}) Diese doppelzüngige und aus meiner Sicht auch in höchstem Maße unmoralische Politik wird von den Postkommunisten munter weiter betrieben. So findet beispielsweise Anfang März in Berlin eine Solidaritätsveranstaltung der PDS für Milosevic statt, der im Augenblick wegen zahlreicher Kriegsverbrechen in Den Haag angeklagt wird. ({5}) Und diese Partei erdreistet sich, den USA und der deutschen Bundesregierung Zensuren zu verteilen, weil sie offensichtlich der festen Überzeugung ist, dass die Öffentlichkeit schon nicht so genau hinschauen wird! Gott sei Dank sind wir nicht auf die Erkenntnisse und Ratschläge der PDS angewiesen. Gott sei Dank spielt diese Auffassung der SED-Nachfolger in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik überhaupt keine Rolle. ({6}) Der Bundesaußenminister hat alles Notwendige zur aktuellen Lage im Irak-Konflikt erklärt und wird dies, wie ich vermute, auch in der heutigen Debatte tun. ({7}) Wichtig ist, in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass die deutsche Bundesregierung nichts unternehmen wird, was zu einer Verschärfung der angespannten Situation beitragen könnte. Sie hat vielmehr ein elementares Interesse daran, alle Bemühungen zu unterstützen, die die vielfältigen Konfliktherde des Nahen und Mittleren Ostens mit diplomatischen Mitteln und in enger Abstimmung mit den europäischen und transatlantischen Verbündeten entschärfen. ({8}) Im Übrigen ist es unverantwortlich, den Einsatz der deutschen ABC-Abwehrkräfte in Kuwait als ersten Schritt einer deutschen Verwicklung in den nächsten Krieg - das ist Originalton PDS - bewusst misszudeuten. So etwas nenne ich: Stimmung machen wider besseres Wissen. ({9}) Unabhängig von der Notwendigkeit, im Dialog mit unseren amerikanischen Freunden erforderlichenfalls auch vor übertriebenen Drohgebärden zu warnen, muss man die besondere Stimmungslage in den USA bei der Bewertung bestimmter Kraftausdrücke berücksichtigen. Eines aber steht unumstößlich fest: Es ist unsere Pflicht, in enger Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn immer wieder die mahnende und warnende Stimme gegenüber Saddam Hussein zu erheben; denn er ist dafür verantwortlich, dass tagtäglich Menschen verfolgt und ermordet werden, dass Menschenrechte mit Füßen getreten werden ({10}) und dass möglicherweise biologische und chemische Waffen produziert und in Stellung gebracht werden. Deshalb darf der Druck auf Bagdad nicht nachlassen. Daher gibt es keine Alternative zum verhängten Embargo. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({11})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich erteile jetzt dem Kollegen Friedbert Pflüger für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Dr. Friedbert Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001710, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es gibt niemanden im Saal, der der Meinung ist, man dürfe die Vereinigten Staaten von Amerika nicht kritisieren oder nicht seine eigene Meinung haben. Wir sind freie Bündnispartner und nicht unmündige Befehlsempfänger. Solidarität heißt nicht Gehorsam. ({0}) Natürlich kann man Kritik üben. Aber die öffentliche Kritik, die der Außenminister in diesen Tagen mehrfach geübt hat, war in Form und Substanz falsch und nicht akzeptabel. Diese besondere Art der Kritik war zum jetzigen Zeitpunkt ein schwerer Fehler. Ich will versuchen, das zu begründen. Wir haben nach dem 11. September in der NATO den Bündnisfall erklärt. Unsere Soldaten patrouillieren gemeinsam mit amerikanischen Soldaten in Afghanistan. Die Amerikaner tragen bei diesem Kampf gegen den weltweiten Terror, der auch nach Auffassung der Bundesregierung uns und unsere Zivilisation bedroht, die Hauptlast. Sie jetzt öffentlich zu ermahnen, zu schelten, den Eindruck zu vermitteln, Amerika stünde kurz vor einem Alleingang und einem militärischen Schlag gegenüber Bagdad, ist wirklich unverantwortlich. Das kann man mit Stil hinter verschlossenen Türen machen. Unter Freunden ist es üblich, dass man sich manchmal die Meinung sagt. Aber das öffentlich auszutragen ist etwas, was in Amerika nicht verstanden wird. ({1}) Es wird in Amerika vor allen Dingen auch deshalb nicht verstanden, weil wir als Europäer nach dem 11. September ein so schlechtes Bild abgegeben haben, weil wir - Karl Lamers hat es gesagt - eben nicht mit einer Stimme gesprochen haben. Wenn wir nicht einmal in der Lage sind, unser Militärmaterial mit eigenen Flugzeugen nach Afghanistan zu transportieren, sondern uns aus Usbekistan Iljuschins dafür leihen müssen, wenn wir uns eine solche Airbusposse wie die der letzten Wochen leisten, ({2}) dann sollten wir mit öffentlichen Belehrungen gegenüber unseren amerikanischen Bündnispartnern etwas vorsichtiger und zurückhaltender sein. ({3}) Ich glaube, dass dies ein großer Fehler gewesen ist, zumal die Art der Kritik des Bundesaußenministers gerade diejenigen in Washington stärkt, die er eigentlich bekämpfen möchte, nämlich die Unilateralisten, die der Ansicht sind, sie könnten sowieso alles alleine, ohne die Europäer und ohne jegliche Bündnispartner. Lesen Sie einmal in der heutigen Ausgabe des „Wall Street Journal“, was dazu der frühere CIA-Chef James Woolsey sagt! Schauen Sie sich an, was in den Kommentaren in Amerika nach dieser Kritik von Fischer geäußert worden ist! In den USA gibt es Enttäuschung und Abwendung. Dadurch werden gerade diejenigen bestärkt, die sagen: Wir brauchen die Europäer sowieso nicht. Seht, auf sie ist kein Verlass. Das ist eine falsche und in der Tat - darin stimme ich dem Kollegen Hoyer zu - langfristig durchaus gefährliche Politik. Hier ist der Popanz eines unmittelbar bevorstehenden Krieges aufgebaut worden. Herr Powell, der amerikanische Außenminister, hat am 14. Februar 2002 in der „Financial Times“ gesagt: Niemand sollte glauben, auf dem Schreibtisch des amerikanischen Präsidenten läge ein Plan für eine militärische Intervention. Das ist nicht der Fall. Warum also diese Aufregung? Warum die Warnung vor einem Alleingang? Hat nicht Amerika diese Antiterrorkoalition aufgebaut? Fährt nicht Vizepräsident Dick Cheney demnächst in die Region, um genau diese Antiterrorkoalition zu pflegen? Was eigentlich hat Sie zu der Skepsis gegenüber Amerika berechtigt, man könne diese Koalition leichtfertig aufgeben und einen Alleingang unternehmen? Ich halte Ihre Äußerung für nicht verantwortlich. Ich glaube, das war ein schwerer Fehler. ({4}) Meine Damen und Herren, es ist doch offenkundig - der eine oder andere hat es hier gesagt -, was für ein fürchterlicher Diktator Saddam Hussein ist. Hans Magnus Enzensberger hat ihn bereits 1991 den „genuinen Nachfolger Hitlers“ und ein „Monster“ genannt und hat Folgendes gesagt: Die Entschlossenheit zur Aggression ist der primäre Antrieb. Objekte, Anlässe, Gründe werden gesucht, wo sie sich finden. Wer bei der Vernichtung zuerst an die Reihe kommt, hängt nur von den Gelegenheiten ab, die sich bieten. Das sagte der eher linke Intellektuelle Enzensberger und nicht irgendein CDU-Politiker. Nun wissen wir, dass dieser Diktator an Massenvernichtungswaffen arbeitet. Wir wissen, dass er einer der schlimmsten Diktatoren der Welt ist. Sollen wir angesichts dessen wirklich sagen, dass wir, ganz egal was er macht, nie militärisch eingreifen werden? Es geht nicht darum, morgen Krieg gegen den Irak zu führen. Es geht aber darum, eine Druck- und Drohkulisse gegen diesen Diktator als eine Option unter mehreren aufrechtzuerhalten. Wenn wir das nicht tun, helfen alle netten und freundlichen Appelle, alle Konsultationen, Markus Meckel, und alle sonstigen Maßnahmen nichts. Wenn man nicht bereit ist, solchen Leuten notfalls auch militärisch entgegenzutreten, werden wir irgendwann keine Chance und keine Zukunft mehr haben. Dass wir das ebenfalls so sehen, das müssen wir auch unseren amerikanischen Freunden sehr deutlich sagen. Wenn wirklich klar ist, dass es im Irak Massenvernichtungswaffen gibt, dass bei Hussein aggressive Absichten bestehen und dass er mit Terroristen zusammenarbeitet, dann darf er sich nicht mehr wohl fühlen und nicht mehr ruhig schlafen. Es geht darum, eine militärische Option nicht von vornherein auszuschließen, und um nichts anderes. Meine Damen und Herren, hier sind wir mit unseren Freunden in den USA einer Meinung. Ich fordere jeden von uns, der kritische Anmerkungen hat, auf, sie nicht über die „Welt“ und den „Spiegel“ in die Öffentlichkeit zu tragen, sondern sie mit den Amerikanern im Gespräch hinter verschlossenen Türen zu erörtern, jedenfalls solange wir in einer Auseinandersetzung gegen den internationalen Terrorismus stehen, wie es im Moment der Fall ist. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht die Kollegin Angelika Beer für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Pflüger, ich wundere mich einigermaßen über Ihre Polemik, die dem Ernst der Situation nun wirklich nicht mehr angemessen ist, sondern den Versuch darstellt, an der falschen Stelle die falsche Debatte zu führen. ({0}) Ich wundere mich auch, weil ich ziemlich sicher bin, dass Sie an der Münchener Sicherheitstagung teilgenommen haben. Die öffentliche Debatte fing spätestens dann an, als Herr Wolfowitz und andere Vertreter der amerikanischen Partner dort sehr klar gesagt haben, wie sie ihre Rolle bewerten. Ich habe jetzt das Zitat nicht schriftlich vorliegen; aber ich versuche, mich an den Wortlaut zu erinnern. Sie sagten, sie, die Amerikaner, seien angegriffen worden; sie würden selbst darüber entscheiden, wie sie reagierten, und bräuchten dazu keine Resolution, egal, wozu und von wem. Wir haben diese Debatte auf der Münchener Sicherheitskonferenz öffentlich weitergeführt. Dabei war eine große Einigkeit der Europäer insoweit zu erkennen, als Europa mit diesem zunehmenden Unilateralismus ein Problem hat und zwar zu einer Stärkung der transatlantischen Beziehungen bereit ist, aber doch eine eigenständige Position in dieser Frage vertreten will und wird. Ich erinnere an die kritischen Äußerungen von Blair und der französischen Seite, die nicht ohne Grund und meines Erachtens auch mit gutem Recht vor einem drohenden einseitigen Schlag der Amerikaner gegen den Irak gewarnt haben. Es war gerade von unserem Außenminister mehr als verantwortlich, sehr zurückhaltende und zugleich klare Worte auszusprechen. Dass wir in der Europäischen Union noch nicht so weit sind, wie wir es uns alle wünschen, ist ein Problem; das wissen wir. Das gilt übrigens nicht nur für die ESVP, sondern auch für die gemeinsame europäische Positionierung, wenn es darum geht, europäische Interessen zu vertreten. Nichtsdestotrotz findet dieser dringend notwendige europäische Dialog statt; denn wenn es zu einseitigen Angriffen auf den Irak käme und dies dazu führen würde, dass der Nahe Osten in Flammen aufginge, dann wäre es nicht mehr nur eine Frage der Amerikaner, sondern auch eine europäische Frage. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zum ersten Mal war ich in diesem Land unter Saddam Hussein direkt nach dem Giftgaseinsatz in Halabja, also dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen gegen das eigene Volk. Das zweite Mal war ich dort zusammen mit Menschenrechtsorganisationen zur Analyse der Anfal-Offensive gegen die Opposition im eigenen Land. Das dritte Mal war ich nach der Massenflucht der Kurden im Norden Iraks dort, um zu helfen, dieses Land zu entminen. Wir wissen, mit welchem Regime wir es zu tun haben. ({1}) Aber es muss doch erlaubt sein, die Frage zu stellen, was der Kampf gegen den internationalen Terrorismus, den wir uneingeschränkt solidarisch unterstützen, beinhaltet und was nicht dazu gehört. Gerade das gemeinsame und erfolgreiche Agieren gegen al-Qaida in Afghanistan hat deutlich gemacht, dass Militär allein terroristische Strukturen nicht beseitigen kann. Wir sehen die politischen Aufgaben, die wir auch verantwortungsbewusst angehen. Aber es besteht - jedenfalls nach allem, was mir bekannt ist - ein Unterschied zu dem Regime Saddam Husseins und den von ihm ausgehenden Gefahren. Ich glaube, dass uneingeschränkte Solidarität durchaus Folgendes beinhalten muss - was auch positiv sein soll -: eine Kritik, die davor warnt, die internationale Koalition gegen den Terrorismus mit einem einseitigen Vorgehen gegen Saddam Hussein zu spalten und zu zerbrechen, eine Kritik, die auch unsere Sorge über die Lage im Nahen Osten und den Schutz Israels betrifft, eine Kritik, die nicht unsolidarisch ist, sondern darauf setzt, dass wir multinational bzw. international, wenn möglich, zusammen mit den Amerikanern, unterschiedliche Gefahren differenziert und gemeinsam militärisch, vor allem aber auch nicht militärisch zu bekämpfen versuchen. Genau dies ist die Aufgabe, wenn es um den Irak geht. Wir brauchen eine Stärkung der Vereinten Nationen und des Sanktionsmechanismus. Wir müssen Saddam Hussein klarmachen, dass das einzige Mittel, Weiteres zu verhindern, die Zulassung der Inspekteure ist. Denn nur so können wir doch perspektivisch versuchen, das Problem der Massenvernichtungswaffen im Irak, möglicherweise aber auch in anderen Staaten, transparent zu machen und diese Gefahr einzudämmen, bis hin zur Vernichtung unter internationaler Kontrolle. Dann geht es um die Stärkung der Instrumente der internationalen Abrüstung und Rüstungskontrolle, wie wir sie im Unterausschuss „Abrüstung und Nichtproliferation“ regelmäßig diskutieren, schärfen und anspitzen. Denn mit einem Militärangriff werden wir die Gefahr der Proliferation solcher Staaten wie des Irak nicht beseitigen können. Insofern hoffe ich, dass diese Debatte etwas zur Versachlichung beiträgt. Ich denke, dass der Außenminister seine Gründe darlegen wird. Ich begrüße die Initiative der deutschen Bundesregierung, innerhalb der europäischen Sicherheitsund Verteidigungspolitik eine gemeinsame Stimme zu finden, die die legitimen deutschen, vor allen Dingen aber europäischen und damit internationalen Interessen gegenüber dem amerikanischen Partner klarmacht. Danke schön. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die PDS-Fraktion spricht jetzt der Kollege Wolfgang Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war doch sehr herzerfrischend, hier im Plenum der Rede solch eines kalten Kriegers wie Herrn Robbe zuzuhören. Ich hatte schon fast vergessen, dass es so etwas noch gibt. Ich finde es angenehm, diese Erinnerung an die lebendige Vergangenheit hier vorgeführt zu bekommen. Zur Substanz selbst hatte er nichts zu sagen und hat er auch nichts gesagt. ({0}) Deswegen möchte ich mich lieber mit intelligenteren Beiträgen auseinander setzen. Mich bedrückt es schon ein bisschen, dass ein so kluger Kopf wie Karl Lamers hier formuliert, dass die USA nicht öffentlich zu kritisieren seien. Kollege Pflüger hat dies dann differenziert und gesagt, man dürfe kritisieren, allerdings nicht öffentlich. Eine Kritik, die nur im stillen Kämmerlein und in exklusiven Runden, nicht aber vor der Öffentlichkeit geäußert wird, ist unwirksam, zudem unehrlich und trägt nicht dazu bei, dass man politische Positionen kontrovers oder gemeinsam entwickeln kann. Das ist einfach Unsinn. ({1}) Im Unterschied zu Ihnen nehme ich den amerikanischen Präsidenten sehr ernst. Wenn er von einer „Aggression“ und von einem „Feldzug gegen das Böse“ spricht, dann ist das richtig, was man heute - sowohl national als auch international - in fast jeder Zeitung lesen kann, dass nämlich die Frage eines Krieges gegen den Irak nicht mehr eine Frage des Ob, sondern nur noch eine Frage des Wie, des Wann und des Mit-wem-zusammen ist. Wir müssen uns klarmachen: Wir stehen vor einem solchen Krieg, wenn die Amerikaner nicht gestoppt werden können. Das macht die Brisanz dieser Sache aus. Ob, wie und wann es zu einem solchen Krieg kommt, entscheidet ausschließlich die US-Spitze, und zwar allein, das heißt, ohne Verbündete, ohne NATO und ohne Koalition gegen den Terror. Das ist uns allen in den letzten Wochen mehrfach, wie ich finde, glaubwürdig und überzeugend durch die USA mitgeteilt worden. Das erste und letzte Wort liegt in dieser Frage bei den Vereinigten Staaten. Ich erinnere an die großen Worte der Kollegen Merz, Fischer, Volmer und anderer, die in diesem Hause wähnten, dass die USA einen Multilateralismus neu entdeckt hätten, dass sie jetzt multilateral handeln würden. Das alles erweist sich doch schlichtweg als Traumtänzerei. Traumtänzerei kann man Bush nicht vorwerfen, er betreibt Realpolitik, Macht- und Interessenpolitik. Es geht um Einflusssphären, Naturressourcen und um Handelswege. Um diese Tatsache soll niemand herumreden. Wir brauchen nicht Absichten, sondern Interessenanalysen. Zum Krieg der Waffen kommen der Krieg der Worte und - wie man jetzt sehen kann - der Krieg der Fälschungen und - das muss nicht einmal meine gesamte Fraktion teilen - eine unappetitliche Mischung von Nationalismus, Weltherrschaftsanspruch und religiösem Sendungsbewusstsein. Diese komplizierte Mischung macht die Gefährlichkeit der amerikanischen Politik aus. ({2}) Vor einigen Wochen haben wir vom Bundesaußenminister gehört, wer Einfluss nehmen wolle, müsse mitmachen. Mitgemacht haben wir - ich finde: leider -, aber Einfluss haben wir dadurch nicht gewonnen. Ich möchte deutlich sagen: Wer Einfluss nehmen will, darf eben nicht mitmachen, er muss sich entgegenstellen. Diese Meinung verbreitet sich immer stärker in Europa. ({3}) Jetzt habe ich vom Außenminister gehört - die CDU/CSU findet das ja so entsetzlich -, wir seien keine Satelliten der USA. Ich befürchte, wir sind es doch. Ich zweifle an der Glaubwürdigkeit der Aussage des Außenministers, solange mir nicht das Gegenteil bewiesen wird. Ich meine, dass die Polemik, dass das ein Rückfall in seine Vergangenheit sei - das weiß doch jeder -, Unsinn ist. Herr Fischer hat ganz klar gesagt, die Amerikaner seien nicht zu kritisieren. Jetzt sagt er, wir seien keine Satelliten der USA. Er muss den Widerspruch auflösen. Man löst ihn am besten durch Taten auf. Solange die deutschen Truppen in Kuwait stationiert sind, besteht die Gefahr, dass die Teilnahme an den gemeinsamen Manövern mit den USA zum jetzigen Zeitpunkt weltweit nur so verstanden werden kann, dass Deutschland bereit ist, in einem solchen Krieg auch militärisch an der Seite der USA zu kämpfen. ({4}) Das ist „the proof of the pudding“: Rückzug der Truppen, und das ohne Hintertür. Wir müssen klar feststellen, dass das Parlament in diesen wie auch in anderen Fragen immer wieder getäuscht und belogen worden ist. Es ist ja gar nicht vorgesehen, dass alle deutschen Truppen nach dem Manöver zurückgezogen werden. 50 Soldaten sollen da bleiben und die anderen, die nach Deutschland zurückgenommen werden, sollen so positioniert werden, dass sie innerhalb von Stunden wieder in Kuwait sein können. Das ist doch die Realität: Man hat zugestimmt, dass deutsche Truppen hinter dem Rücken des Parlaments in Kuwait stationiert werden. Man hat damit signalisiert: Wir stehen auch in kriegerischen Auseinandersetzungen an der Seite der USA. Dass wir unmittelbar in eine solche Auseinandersetzung hineingezogen werden könnten, ist die Sorge, die die PDS bewegt hat, diese Aktuelle Stunde zu fordern, um der deutschen Bundesregierung im ParlaAngelika Beer ment rechtzeitig zu sagen, sie solle nicht nur erklären, dass sie diesen Krieg nicht will, sondern auch, dass sie an ihm nicht teilnehmen wird. Das ist unsere Forderung. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Christoph Moosbauer.

Christoph Moosbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003193, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es immer wieder spannend, wie die Union es schafft, egal um welches Thema es geht, ihre Redebeiträge immer so hinzudrehen, dass sie irgendwie ihre Kritik an der angeblich unterfinanzierten Bundeswehr unterbringen kann. ({0}) Wenn der Kollege Lamers, dessen Äußerungen über die Regionen des Nahen und Mittleren Ostens ich ansonsten bekanntlich sehr schätze, andeutet, im transatlantischen Verhältnis stimme es deswegen nicht, weil wir nicht gehört wurden, und zwar deshalb, weil wir nicht gebraucht würden, erweckt er den Eindruck, dass die Bundeswehr, wenn es 1998 keinen Regierungswechsel gegeben hätte, unter Ihrer Regierung mittlerweile über Flugzeugträger und große Flottenverbände verfügen würde, die wir den Amerikanern zur Verfügung stellen würden. Das wage ich aber zu bezweifeln. Da wir über den Kern der derzeitigen Krise im und um den Irak sprechen, die ja schon lange andauert, möchte ich versuchen, einmal das Positive an dieser Situation herauszukehren, nämlich dass der Irak auch durch den internationalen Druck, der bei der Behandlung dieser Frage wieder zustande gekommen ist, stärker zu kooperieren versucht, als es vorher der Fall war. Das lehrt uns zweierlei: Ich meine, wir sind gut beraten, wenn wir als Europäer - das gilt aber auch für die Amerikaner - erkennen, dass wir in den letzten Jahren in unseren eigentlichen politischen Bemühungen, nämlich zu verhindern, dass vom Irak noch einmal eine militärische Bedrohung für die Region, für die eigene Bevölkerung, aber auch über die Region hinaus ausgeht, etwas nachgelassen haben. Wir sollten das nun zum Anlass nehmen, wieder verstärkt politische Forderungen zu stellen und auch die VN-Sanktionen wirksam werden zu lassen. Wir wissen natürlich, dass der europäische Ansatz, Instabilitäten und Konflikte am besten politisch zu bekämpfen, nicht immer funktioniert - vor allem dann nicht, wenn man es mit einem Menschen wie Saddam Hussein zu tun hat -, dass wir - das muss aufgrund der Erfahrungen in den vergangenen Jahren auch von europäischer Seite eingestanden werden - den Druck, der hinter solchen politischen Forderungen steht, nicht aufbauen können und dass die Amerikaner dazu offensichtlich besser in der Lage sind. Diese Analyse ist sicherlich unstrittig. Gleichwohl meine ich, dass eine gute Politik nicht aus einer einseitigen militärischen Drohung, aber auch offensichtlich leider nicht nur aus reiner Diplomatie besteht, sondern aus einer Mischung aus beidem. Deshalb sollten wir jetzt in erster Linie politisch handeln, um diesem Konflikt zu begegnen, und von europäischer Seite das, was wir lange bedacht haben, nämlich wie wir ein Sanktionsregime effektiv gestalten können, umsetzen, sodass wir auf der einen Seite Saddam Hussein nicht die Möglichkeit bieten, über die Sanktionen zu legitimieren, dass er sein eigenes Volk aushungert und unterdrückt, aber auf der anderen Seite verhindern, dass vom Irak auch durch atomare, biologische und chemische Waffen wieder eine Bedrohung für die Region ausgeht. Das gilt gerade in der gegenwärtigen Situation, in der sich die Lage zuspitzt und durchaus mit unwägbaren Eskalationsmöglichkeiten und Übergriffen auf den Kernkonflikt im Nahen Osten zwischen Israel und Palästina zu rechnen ist. Da es hier offensichtlich in erster Linie nicht so sehr um den Irak ging, sondern um den Versuch, der Bundesregierung zu unterstellen, in antiamerikanische Reflexe zurückzuverfallen, möchte ich noch eines loswerden: Das Ganze wird durch den Wahlkampf und den Zwang gezeitigt, die eigene Klientel zu bedienen. Ich frage mich, wer tatsächlich mit solchen Äußerungen Wahlkampf macht: derjenige, der versucht, eine europäische oder deutsche Position einzubringen, oder der andere, der reflexartig den Knüppel des Antiamerikanismus aus der Tasche holt, um damit vielleicht ebenfalls im Wahlkampf seine eigene Klientel zu bedienen. ({1}) Herr Pflüger, Sie haben gesagt, man dürfe die USA zwar kritisieren, aber man dürfe sie nicht belehren, schon gar nicht in unserer Situation. Ich möchte aber abschließend anmerken, dass nicht nur die Bundesregierung versucht, als Lehrer aufzutreten, wenn Sie so wollen, sondern dass es noch andere gibt, die den Amerikanern etwas ins Hausaufgabenheft schreiben. Ich zitiere Folgendes: Die USA müssen begreifen, dass die Europäer Partner sind und keine Vasallen. ({2}) Das wurde vor dem Auswärtigen Ausschuss der Pariser Nationalversammlung von Altkanzler Helmut Kohl gesagt. Herr Pflüger, übernehmen Sie! ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht der Kollege Manfred Opel für die SPD-Fraktion. ({0})

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin!

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Entschuldigen Sie, Herr Kollege. - Da kein anderer Abgeordneter der CDU/CSU mehr auf der Rednerliste steht, wird Herr Hedrich nach dem Bundesaußenminister reden; denn es ist nicht üblich, dass ein Mitglied der Bundesregierung der letzte Redner ist. ({0}) - Wenn Sie akzeptieren, dass der Bundesaußenminister das letzte Wort hat, dann kann Herr Hedrich jetzt sprechen. Normalerweise hat die Opposition das Recht, eine Erwiderung zu verlangen. ({1}) - In Ordnung. Dann haben wir uns wirklich missverstanden. Entschuldigung, Herr Kollege. Das Wort hat jetzt der Kollege Hedrich. ({2})

Klaus Jürgen Hedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000840, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir ist es egal, ob ich jetzt oder nach dem Bundesaußenminister rede. Ich möchte - das liegt mir besonders am Herzen - die Gesamtsituation betrachten. Mir bereitet die Destabilisierung der gesamten Nahostregion Sorge. Natürlich bin ich damit einverstanden, dass wir deutlich machen, wo die eigentlichen Verantwortlichkeiten liegen. Das ist im Zusammenhang mit dem Irak eindeutig. Es ist auch eindeutig, dass die Koalition gegen den Terrorismus, die weit über unsere Wertegemeinschaft hinausgeht, absolute Priorität hat. Aber wir sollten uns auch darüber im Klaren sein, dass wir - so möchte ich das einmal nennen - eine zweite Phase brauchen. Wir müssen uns nämlich sehr viel ernsthafter als bisher mit der Situation in den Ländern auseinander setzen, die Mitglied der Antiterrorkoalition sind. Geben diese Partnerländer zum Teil nicht auch Anlass, über die Gestaltung der westlichen Politik nachzudenken? Werfen wir ruhig einmal einen Blick auf unsere Partner im Kampf gegen den Terrorismus: In Usbekistan herrscht ein diktatorisches Regime. Auch Ägypten ist nicht gerade ein klassisches Beispiel für Demokratie. Es kann durchaus Entwicklungen geben, die wir unterstützen sollten. Sollte beispielsweise Syrien einmal eine Öffnungspolitik betreiben, dann sollten wir die dortige Mittel- und Oberschicht unterstützen; denn sie ist sehr stark westlich orientiert und wäre durchaus bereit, das Land auf einem freiheitlich-demokratischen Weg in die Staatengemeinschaft des Westens zu führen. Herr Außenminister, wenn man sich einige Persönlichkeiten aus der syrischen Mittel- und Oberschicht genau anschaut, dann stellt man fest, dass das durchaus eine Perspektive ist. Worum geht es mir in diesem Zusammenhang? Wir, die Amerikaner und die Europäer, dürfen über den Kampf gegen Terrorismus und Diktaturen, der absolute Priorität hat, nicht vergessen, den Ländern, die Mitglied der Antiterrorkoalition sind und die aufgrund ihrer innenpolitischen Verhältnisse nicht unbedingt als freiheitlich-demokratische Rechtsstaaten bezeichnet werden können, deutlich zu machen, dass der Nährboden für fundamentalistisch-terroristische Bewegungen und für Unfreiheit nicht beseitigt werden kann, wenn sich ihre Regime nicht stärker als bisher öffnen; denn gerade die Perspektivlosigkeit bringt viele Jugendliche, die in Diktaturen leben, dazu, sich Terroristen als Vorbilder zu suchen. Deshalb darf uns der Kampf gegen Diktatoren und gegen fundamentalistische Terroristen, der sicherlich auch militärisch geführt werden muss, nicht den Blick dafür verstellen, dass wir die gesellschaftlichen Kräfte ermutigen müssen, die für mehr Freiheit und demokratische Rechtsstaatlichkeit eintreten. ({0}) Nicht nur die Bundeswehr, auch der Etat der Entwicklungshilfeministerin zum Beispiel - ich bitte um Nachsicht, aber das ist der nächste Punkt - ist absolut unterfinanziert, womit wir uns möglicherweise schon heute versündigen, weil wir es unterlassen, eine Perspektive zu entwickeln. (Manfred Opel [SPD]: Aber die Zahlen sind besser, als sie vorher waren! - Diese Zahlen kenne ich besser, lieber Kollege Opel. Deshalb eine höfliche, aber kritische Anmerkung: Herr Außenminister, wir wissen es durchaus zu schätzen, dass Sie sich persönlich die Zeit für diese Debatte nehmen. Das Verteidigungsministerium war wenigstens zeitweise vertreten. Aber das Ministerium, das die Dinge, die ich eben angesprochen habe, vor Ort implementieren muss, ist in dieser Debatte überhaupt nicht vertreten. Diese Verhältnisse beobachten wir hier seit Wochen und Monaten. Das lässt mich ein bisschen zweifeln, ob es wirklich einen kohärenten Ansatz der Politik der Bundesregierung in dieser Frage gibt. Ich bezweifle das - leider! ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt ist der Kollege Manfred Opel dran, bitte. ({0})

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mir ist es egal. ({0}) - Macht doch nichts. Ich lege gerne den Rückwärtsgang ein.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Wir sind heute flexibel. Dann hat jetzt der Bundesaußenminister Joseph Fischer das Wort. Vizepräsidentin Petra Bläss

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Herr Kollege Opel, ich bitte um Verzeihung. Sie wissen jetzt, wie es mir mit Kabul geht. ({0}) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Saddam Hussein regiert, genauer gesagt: terrorisiert den Irak und die Region seit 20 Jahren mit diktatorischer Gewalt. Er ist einer der schlimmsten Gewaltherrscher, der sich an der Macht hält. Er unterdrückt mit brutaler Härte gleichermaßen jede politische Opposition wie ethnische Minderheiten, Kurden und Schiiten. Ich werde nie die Bilder des Einsatzes von Giftgas gegenüber Dörfern in den kurdischen Gebieten im Norden des Iraks vergessen. ({1}) Das zeigt die Entschlossenheit und die Brutalität dieses Gewaltherrschers. Er hat Massenvernichtungswaffen produziert und gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt. Er hat sie im irakisch-iranischen Krieg auch gegenüber dem Iran eingesetzt. Er hat Kuwait überfallen und nicht nur versucht, diesen Nachbarstaat zu annektieren, sondern auch dort schlimme Verbrechen begangen. Aber am schlimmsten unterdrückt er die eigene Bevölkerung. Ich kenne zufälligerweise die Daten und Zahlen, auch aus Gesprächen mit meinem früheren Kollegen Robin Cook, der ausgeführt hat, dass die Möglichkeiten, die das Programm der Vereinten Nationen etwa zum Import von Medizin, von Technologie für Krankenhäuser, von Lebensmitteln und Ähnlichem bietet, bei weitem nicht ausgeschöpft wurden, wohl aber der Import von Spirituosen aus Schottland gewaltig zugenommen hat. Es gibt andere Beispiele dafür, die zeigen, wie versucht wird, die Sanktionen zu umgehen und sich wieder die Möglichkeit zur Herstellung von Massenvernichtungsmitteln zu verschaffen. Das alles ist seit längerem bekannt und hat auch dazu geführt, dass es Colin Powell war, dass es gerade die USA waren, die mit Beginn der Administration Bush darauf gesetzt haben, eine Erneuerung des Sanktionsprogramms zu leisten, nämlich so genannte Smart Sanctions zu vereinbaren. Das ist die Lage, in der wir uns befinden. Dies alles ist eingebettet in die Gesamtlage im Nahen Osten und der gesamten Region sowie die Situation seit dem 11. September, seit dem Angriff eines menschenverachtenden Terrorismus auf die Menschen der Vereinigten Staaten, auf die Regierung der Vereinigten Staaten, und die Koalition gegen den Terror. Damit wir gleich zweifelsfrei einen Punkt klarstellen: Die Bundeswehr wird nur auf der Grundlage der Beschlussfassung des Parlaments zu Enduring Freedom eingesetzt. Was das Mandat - und übrigens auch Einsatzgebiete - betrifft, gibt es hier eindeutige Festlegungen. Für das Verfahren gibt es sowohl von der Regierung in Afghanistan als auch außerhalb von Afghanistan Zustimmung. Insofern können Sie fest davon ausgehen, dass alle Einsätze, die die Bundeswehr dazu vornimmt, nur im Rahmen dieses Mandats stattfinden. Etwas anderes ist mit der Bundesregierung nicht zu machen. Insofern sollten Sie Ihre Wahlkampfpropaganda an diesem Punkt nun wirklich den Realitäten annähern. ({2}) - Es geht nicht darum, was wir sehen, sondern um Fakten. Es ist mir wichtig, dieses hier noch einmal zu unterstreichen. Es ist etwas völlig anderes, hier über die allgemeine Situation oder über konkrete Planungen zu sprechen. Der Bundesregierung sind konkrete Planungen der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika nicht bekannt. Angesichts des Ernstes des Themas mag es trefflich sein, darüber in politischen Diskussionen zu spekulieren, aber die Bundesregierung kann und darf sich - das werden Sie verstehen - nicht öffentlich an diesen Spekulationen beteiligen. Wir sind gerne bereit, über alle Aspekte im Ausschuss zu sprechen, aber in der öffentlichen Diskussion müssen wir uns an die Fakten halten. Wir sehen allerdings mit Sorge, dass sich die Diskussion in eine bestimmte Richtung entwickelt: Es wurde die Münchner Sicherheitskonferenz genannt. Auch in der State of the Union Address hat sich der amerikanische Präsident einer sehr kräftigen Sprache bedient. Ob man die Konsequenzen, die sich aus der Idee einer Achse des Bösen ergeben, in jeder Hinsicht teilt, ob es richtig ist, in diesem Zusammenhang die Öffnungsbemühungen der Reformer um Chatami im Iran so darzustellen, wie es geschehen ist, ob die Behauptung einer Achse des Bösen der Dynamik der „sunshine policy“, also der Sonnenscheinpolitik, von Präsident Kim Dae-jung in Südkorea, mit der zweifelsohne Schritte in die richtige Richtung gemacht wurden - das ist natürlich noch nicht der Durchbruch -, nutzt, sind Fragen, die nicht nur hier in Deutschland gestellt wurden, sondern mittlerweile auch im Licht des Besuchs des amerikanischen Präsidenten in Fernost in Washington neu gestellt werden dürften. Insofern halte ich es für einen ganz wichtigen Punkt, dass wir uns hier nicht in Spekulationen ergehen, aber sehr wohl unsere Sorgen zum Ausdruck bringen. Es geht mir hier nicht darum, Saddam Hussein in Schutz zu nehmen - mitnichten. Ich bin vielmehr der Meinung, dass es nur einen Schritt gibt, um eine entsprechende Eskalation zu verhindern, nämlich dass Saddam Hussein - dazu ist er politisch und völkerrechtlich verpflichtet, wenn er es ernst meint - das Sanktionsregime der Vereinten Nationen, wie es in zwei Sicherheitsratsresolutionen formuliert wurde, uneingeschränkt akzeptiert, das heißt, die uneingeschränkte Tätigkeit von Inspektoren der Vereinten Nationen im Irak zulässt, damit festgestellt werden kann, ob er über Massenvernichtungsmittel verfügt und ob er sie gegebenenfalls produzieren kann. Wenn ja, müssen diese Mittel entsprechend den Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vernichtet werden, damit der Irak nicht mehr über diese Möglichkeiten verfügt. ({3}) Für jemanden, der weiterdenkt, stellt sich die entscheidende Frage, wie es denn in der Gesamtregion weitergeht. Da muss ich ehrlich sagen - das tut mir Leid, Herr Pflüger -, dass die Diskussion mit einer größeren Gruppe von Kongressabgeordneten, wozu ich heute die Gelegenheit hatte, richtig erfrischend im Verhältnis zu dem war, was Sie hier vorgetragen haben. ({4}) Ihre Haltung beschreibt man im katholischen Raum mit „päpstlicher als der Papst“. Ich meine damit eine unter Demokratien nicht angemessene Form von Ergebenheitsadressen, wie Sie sie hier abgegeben haben. Sie sagen, dass Helmut Kohl mich in Paris zu Recht kritisiert habe, dass ich darauf hingewiesen habe, dass Demokratien Bündnispartner und keine Satelliten seien. Gleich anschließend hat er gesagt, dass wir auch keine Vasallen seien. Können Sie mir den Unterschied zwischen unseren beiden Auffassungen sagen? In der Sache, abgesehen von den Personen Helmut Kohl und Joschka Fischer, werden Menschen, die des Deutschen mächtig sind, darin keinen Unterschied sehen. Hinter Ihnen sitzt der Kollege Lamers, dem Sie sich gerade zuwenden und dessen stechender Blick auf Ihnen ruht. Der hat in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“ die Dinge eher noch zugespitzter formuliert. Sie können darauf antworten, dass der Kollege Lamers zwar ein sehr kluger Kopf sei - dem stimme ich zu -, aber nicht die Bundesregierung vertrete. ({5}) - Ich kann dem nur hinzufügen, dass es auch gut ist, dass Sie nicht die Bundesregierung vertreten, sonst würden Sie vom Kollegen Pflüger ähnlich kritisiert, wie ich es wurde. ({6}) Wenden wir uns der FDP zu. Wenn ich den Kollegen Westerwelle, der zum Widerstand aufgerufen hat, in dieser Frage als Maßstab nehme, dann stellt sich für mich die Frage, wer hier eigentlich Wahlkampf mit dieser Debatte betreibt. ({7}) Uns erfüllt die ganze Entwicklung mit großer Sorge. Wir befinden uns in einer Debatte mit unseren europäischen Partnern. Beim informellen Treffen der europäischen Außenminister in Cáceres haben alle dieselben Sorgen geäußert. Wenn Sie die Veröffentlichungen in der nationalen Presse verfolgen, können Sie das feststellen. Ich habe den Eindruck, dass die etwas kräftige transatlantische Debatte, die sicherlich nicht in dieser Tonlage fortgeführt werden sollte, unter den Gesichtspunkten des „Jetzt müssen wir miteinander reden“ und des „Jetzt hören wir einander zu“ - diesen Eindruck konnte ich zumindest in meiner heutigen Diskussion mit amerikanischen Kongressabgeordneten gewinnen - eher gut getan hat, als dass sie zu negativen Entwicklungen geführt hat. Noch immer ist klar: Wir diskutieren unter Partnern, ja unter Freunden. Wir müssen begreifen, dass die USA eine andere Sicht der Dinge haben als wir Europäer. Umgekehrt müssen die USA verstehen, dass sich unsere Sichtweise in manchen Punkten von ihrer unterscheidet. Wir stehen vor einer komplizierten und wichtigen Diskussion, die wir in die Gesamtlage einordnen müssen. Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Der große Erfolg der Vereinigten Staaten im 20. Jahrhundert war letztendlich der militärische Sieg über den Nationalsozialismus. Leider hat nicht Deutschland selbst Hitler und seine Schergen gerichtet; leider war das Attentat vom 20. Juli 1944 nicht erfolgreich. Ich füge hinzu: Leider war auch der Widerstand von Sozialdemokraten und Kommunisten nicht erfolgreich. Leider haben auch mutige Einzelne keinen Erfolg gehabt. Die USA, die anderen Alliierten und die Rote Armee haben die Nazis niedergekämpft. Das führte zur Teilung Europas und zum Kalten Krieg. Dass Westeuropa frei geblieben ist, verdanken wir den USA. Dass Westdeutschland eine demokratische Perspektive hatte, verdanken wir ebenso wie die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit den USA. Der große Erfolg bestand eben nicht darin, allein auf militärische Stärke zu setzen, sondern im „nation building“ - so nennt man es heute -, das aus der Systemauseinandersetzung mit dem Sowjetkommunismus hervorging. Nichts anderes als „nation building“ war der Aufbau der Bundesrepublik Deutschland und anderer europäischer Demokratien. Sie gründen auf Marktwirtschaft, Sozialstaat und Demokratie. - Das war der große Erfolg. Was das Nachdenken über allfällige Perspektiven angeht: Wir werden auch in Bezug auf Afghanistan feststellen, dass es darum geht, langfristig so etwas wie „nation building“, Nationenbildung, zu betreiben. Selbstverständlich wird das auch für den Nahen und Mittleren Osten gelten. Alles andere hätte sehr gefährliche Konsequenzen. Wenn ich in diese Richtung weiterdächte, dann geriete ich ins Spekulieren und das will ich nicht tun. Im transatlantischen Verhältnis führen wir eine notwendige und wichtige Debatte. Die Bundesregierung hat eine klare Position: Wir wollen, dass die VN-Resolutionen ohne Wenn und Aber unverzüglich umgesetzt werden. Vielen Dank. ({8})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Bevor der Kollege Manfred Opel das Wort hat, hat der Kollege Friedbert Pflüger für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Dr. Friedbert Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001710, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu den Ausführungen des Kollegen Fischer möchte ich drei Bemerkungen machen. Zunächst einmal möchte ich Folgendes sagen: Er hat darauf hingewiesen - ich begrüße das -, dass wir alle miteinander die Forderung erheben, dass die UN-Inspektoren wieder ins Land kommen. Wir wissen, dass die Arbeit an Massenvernichtungswaffen verstärkt vorgenommen wird, seit die UN-Inspektoren nicht mehr im Land sind. Wir wissen, dass sich Saddam Hussein bemüht, die Teile, die ihm weggenommen worden sind, neu zu erwerben. Deshalb ist es absolut notwendig - ({0}) - Ich habe die entsprechenden Berichte gelesen. Herr Hanning, der BND-Chef, hat in der letzten Ausgabe des „Spiegel“ noch einmal sehr deutlich gesagt: Im Irak ist man dabei, sich die Teile, die verloren gegangen sind, verdeckt wieder zu beschaffen. Ich finde, das sollte bei uns besondere Aufmerksamkeit hervorrufen. Herr Kollege Fischer, es ist richtig, die Forderung zu erheben: Die UN-Inspektoren müssen ins Land. Aber warum sollte Saddam Hussein dieser Forderung nachgeben, wenn von ihm jeder militärische Druck genommen wird? Wegen der freundlichen Appelle der Außenminister? - Ich glaube, das ist der falsche Weg. Wenn man es wirklich damit ernst meint, dass dieses Regime die Menschen nicht weiter terrorisieren darf - das sagen auch Sie zu Recht -, dann kann man ihm doch nicht von vornherein sozusagen einen Freifahrtschein geben und sagen: Ganz egal, was du tust, militärisch werden wir dir nichts tun. Das war mein erster Punkt. Mein zweiter Punkt: Sie haben eben etwas zu unseren Soldaten in Kuwait gesagt. Die sind dort mit ABC-Spürpanzern, die den Namen „Fuchs“ tragen. Nach meinem Kenntnisstand und nach dem der Kollegen, die ich gefragt habe, die auch an den Sitzungen des Verteidigungsausschusses teilgenommen haben, könnte sich die einzig denkbare Aufgabe für diese Soldaten im Falle einer Eskalation des Konfliktes unter Beteiligung des Iraks ergeben. Nur dann haben sie eine Funktion. Was sie sonst in Kuwait machen, weiß kein Mensch. Sie stellen sich als Außenminister der Bundesrepublik Deutschland hin und sagen: Ich habe große Sorgen - das haben Sie eben noch einmal gesagt - vor einem militärischen Alleingang der USA und vor einer Eskalation und davor warne ich die Amerikaner. - Wenn Sie diese Sorge haben, dann haben wir in der CDU/CSU und wir alle im Parlament das Recht, endlich klare Auskunft über den Auftrag dieser Soldaten der Bundesrepublik Deutschland in Kuwait zu bekommen. Dann haben wir auch das Recht zu erfahren, unter welchem Kommando sie dort eigentlich ihren Dienst tun. ({1}) Diese Aussagen haben wir bisher von Ihnen nicht gehört. Ich nehme an, die eigentliche Funktion dieser Soldaten interessiert gerade auch die Kollegen Ihrer Partei, die Kollegen von den Grünen. Geben Sie nicht große Interviews und machen Sie nicht große Muskelspiele, sondern klären Sie diese Fragen und informieren Sie uns vernünftig. Ich sage gar nicht, dass ich dagegen bin, dass die Soldaten in Kuwait sind; ich als Parlamentarier in diesem Land möchte es nur gerne klar wissen. Ich finde, dass wir alle miteinander das Recht haben, zu erfahren, was unsere Soldaten dort eigentlich sollen. Zum Schluss noch eine dritte Bemerkung: Herr Fischer, Sie haben eben gesagt: Wir dürfen nicht allein auf das Militärische setzen. - In Ihrem Interview in der „Welt“ in der letzten Woche haben Sie gesagt, Amerika würde jetzt ausschließlich auf die militärische Option setzen und das würde die Verzweiflung der Menschen nicht beseitigen. Wenn Sie sich anschauen, welche Gelder auf der Welt für humanitäre Dinge ausgegeben werden, werden Sie feststellen: Die meisten Gelder sind immer noch amerikanische Gelder, die zwar nicht von der Regierung, aber von den Menschen in Amerika, oft durch amerikanische Stiftungen oder durch amerikanische Regierungsprogramme angeregt, kommen. Die Menschen in Amerika haben nicht die Einstellung, dass sie alle Konflikte auf der Welt mit Militär lösen wollen; die Amerikaner sind im Gegenteil ein sehr großherziges Volk. Das haben wir auch hier in Deutschland erlebt. Die Unterstellung, Amerika würde nur noch in Rüstungskategorien denken, empfinde ich angesichts der gesamten Geschichte der Vereinigten Staaten in Europa wirklich als einen Fehlgriff. ({2}) Bei allem, was Sie auch sonst so leichtfertig von sich geben, sollten Sie sich überlegen, ob Sie hier auf dem richtigen Weg sind. Mit der einen oder anderen Ihrer Bemerkungen sind Sie uns entgegengekommen. Ich bin dem Kollegen Lamers sehr dankbar dafür, dass er klipp und klar gesagt hat: Natürlich haben wir das Recht auf Kritik. - Wir sollten sie in einer Art und Weise üben, dass wir in Amerika verstanden werden, und nicht so, dass dort die Schotten herunterklappen. Die Art und Weise, wie Sie in den letzten Wochen die Kritik vorgetragen haben, ist leider nicht dazu angetan, die Amerikaner darin zu bestärken, mit uns den Dialog zu suchen, sondern sie führt im Gegenteil dazu, dass sie sich stärker unilateralistisch verhalten. Deshalb war Ihre Kritik nach meinem Dafürhalten kontraproduktiv, auch Ihren eigenen Zielen gegenüber. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Der letzte Redner in dieser Debatte ist nun endgültig der Kollege Manfred Opel. ({0})

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Fragen, die mit dem Irak zusammenhängen, sind Strukturfragen der Politik. Es sind Fragen, die uns zum Nachdenken veranlassen, welche Kriterien wir in Bezug auf eine präventive Friedenspolitik aufstellen. Es sind Fragen, die mit aktiver Stabilitätspolitik zu tun haben. Die Fragen machen Antworten darauf erforderlich, wie wir die Reduzierung aller Risiken für den Weltfrieden organisieren wollen. Eines muss klar sein - Herr Pflüger, Sie haben das gerade am Rande noch angedeutet -: Militär schafft keinen Frieden. Militär hilft bei der Friedensschaffung, aber Militär selbst schafft keinen Frieden. Sie fragen, warum Saddam Hussein, der Diktator, wie er an diesem Pult beschrieben wurde, Einsicht walten und neutrale Inspektoren der Vereinten Nationen ins Land lassen sollte. Wenn man das anstrebt, bedeutet das nicht, dass man ihm mit der Zerstörung des Landes bei Gefahr für Leib und Leben unschuldiger Menschen droht. Es bedeutet, dass er keine politische Zukunft hat. Wir müssen vorher alle politischen Möglichkeiten ausschöpfen. Herr Kollege Pflüger, deswegen ist es falsch, wenn wir von vornherein mit dem stärksten Mittel, das wir haben, nämlich dem Militär, drohen. Wir wissen uns dabei übrigens mit den Vereinten Nationen und letztlich auch mit den Vereinigten Staaten von Amerika einig. Der Kollege Hoyer hat hier einige sehr interessante Ausführungen gemacht. Herr Kollege, es wäre aber sicher unerträglich, wenn wir erlauben würden, dass Saddam Hussein die Qualität unserer Beziehungen zu Amerika, sei es direkt oder indirekt, bestimmt. Genau deswegen müssen wir in der Diskussion, in die wir uns hineinbegeben, sehr vorsichtig sein. Dabei ist es egal, wie die äußeren Verhältnisse sind; als Stichwort nenne ich den Wahlkampf. Herr Gehrcke, daher glaube ich, dass jede Fraktion des Deutschen Bundestages gut beraten ist, sich nicht - vielleicht unwillentlich, faktisch dann aber doch - zum Handlanger von Saddam Hussein zu machen. ({0}) Herr Kollege Pflüger, ich glaube, dass Sie in der Diskussion mit dem Außenminister gemerkt haben, dass Ihre Kritik einseitig war. Sie haben ja erstaunlicherweise keine Kritik an den Worten des Außenministers, sondern nur an der Art, wie es vorgetragen wurde, geübt. Das ist hochinteressant. Die Menschen in unserem Lande müssen aber bei den Grundfragen unserer Politik genau erkennen können und auch wissen, was unsere Regierung denkt und was sie tut. Deshalb ist es gerade in den Grundfragen erforderlich, dass die Vertreter der Bundesregierung klar sprechen. Die Geheimdiplomatie, die Sie einklagen, hat hier eine deutliche Grenze. ({1}) Man darf nicht annehmen, dass die Amerikaner so empfindlich wie zerbrechliche Porzellanpüppchen seien. Das sind sie nicht. ({2}) Die Amerikaner wissen sehr wohl, dass ihre eigene Sicherheit völlig inhaltsleer ist, wenn sie hier in Europa kein starkes Standbein besitzen und es bewahren. Dass die Amerikaner in und mit Europa sind, liegt in ihrem ureigensten Interesse. Deswegen ist es völlig falsch, anzunehmen, dass die Amerikaner von Europa lassen würden. Richtig ist: Wir brauchen die Amerikaner für unsere Sicherheit. Es stimmt aber auch, dass die Amerikaner uns für ihre brauchen. Verehrter Herr Kollege Gehrcke, ich wollte eigentlich nicht darauf eingehen, dass Sie den Kollegen Robbe einen kalten Krieger genannt haben. Damit haben Sie offenbart, welchen Denkkategorien Sie noch verhaftet sind. Herr Gehrcke, das gehört in die Zeit von vor Gorbatschow. Dagegen sollten Sie etwas tun. ({3}) Das ABC-Analysepotenzial, welches wir mit dem Fuchs im Golf haben, dient nur der Prävention. Dass sie üben, bedeutet überhaupt nichts anderes, als dass versucht werden muss, einsatzbereit zu sein. Anders, als Sie es dargestellt haben, entspricht das den Entscheidungen des Deutschen Bundestages. ({4}) - Herr Gehrcke, natürlich ist das so. Das können Sie nicht abstreiten. Den Beschluss haben wir gefasst und Sie haben ihm widersprochen. Vielleicht ist Ihnen das entfallen. Zusammenfassend muss man feststellen, dass die Bundesregierung in voller Übereinstimmung mit den Vereinten Nationen, der Europäischen Union und auch den USA weiterhin darauf drängen wird, dass der Irak die Verpflichtungen, die ihm die Vereinten Nationen bzw. der Weltsicherheitsrat auferlegt haben, erfüllt. Niemand kann hinnehmen, dass ein Staat oder eine Gruppe von Staaten den Weltfrieden gefährdet. Das gilt auch für den Irak. Ich hätte mich gefreut, wenn die PDS hier klargestellt hätte, dass auch sie in diesen Kategorien denkt. Ich halte es für verfehlt, dass man den amerikanischen Präsidenten in dieser Fragestellung unqualifiziert angreift. Der Präsident hat die Drohungen, die ihm von Ihnen unterstellt werden, nie ausgesprochen. Vielen Dank. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 27. Februar 2002, 13 Uhr, ein. Ich bedanke mich ausdrücklich bei all den Kolleginnen und Kollegen, die bis zum Schluss in dieser Intensität und Disziplin ausgeharrt haben, ebenso bei unseren Zuschauerinnen und Zuschauern auf der Besuchertribüne. Ein gutes Wochenende für Sie alle! Die Sitzung ist geschlossen.