Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Karl Josef-Laumann, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ein Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung illegaler
Beschäftigung und Schwarzarbeit in Deutschland ist sicherlich notwendig; denn wir haben es hier mit einem
wachsenden und tief greifenden Problem in Deutschland
zu tun. Es gibt Berechnungen, nach denen das Volumen
der Schwarzarbeit in Deutschland mittlerweile rund
350 Milliarden Euro beträgt. Wissenschaftler sagen uns,
dass der Anteil der Schwarzarbeit am Bruttoinlandsprodukt bei über 16 Prozent liegen könnte. Das Schlimmste, was uns die Wissenschaft zu diesem Thema sagt, ist,
dass die Tendenz steigend ist.
Dass diese Tendenz in Deutschland steigt, während sie
in anderen europäischen Ländern abnimmt, beweisen
auch umfangreiche europäische Studien. So ist in Finnland, Belgien, Dänemark und Griechenland die Schwarzarbeit deutlich gesunken,
({0})
wohingegen sie bei uns deutlich angestiegen ist. Man geht
davon aus, dass die Einnahmeausfälle für die Sozialversicherungen durch illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit in Deutschland bei weit über 100 Milliarden DM
liegen und dass große Beitragssenkungen möglich wären,
wenn wir diese Problematik nicht hätten.
Deswegen ist es wichtig, über den Bereich der
Bekämpfung der illegalen Beschäftigung vor allen Dingen am Bau - den dieser Gesetzentwurf stark im Auge
hat - hinaus auch einmal darüber nachzudenken, dass wir
ja nicht nur in diesem Bereich Schwarzarbeit und illegale
Beschäftigung haben, sondern dass es mittlerweile in
breiten Teilen der Bevölkerung, vor allen Dingen im
Bereich der handwerklichen Dienstleistungen, bei uns in
Deutschland einen riesigen Markt für Schwarzarbeit gibt.
Das hat nicht nur, aber doch sehr deutlich mit der Gesetzgebung in Deutschland zu tun. Ich bin wirklich davon
überzeugt, dass durch die Neuregelung der 630-MarkJobs
({1})
vor allen Dingen diejenigen, die neben ihrer Hauptbeschäftigung einen 630-Mark-Job hatten,
({2})
zu Hunderttausenden in die illegale Beschäftigung, also in
die Schwarzarbeit, getrieben worden sind.
({3})
Ich wette, dass Sie mit Ihren in vielen Bereichen des Steuerrechts getroffenen Entscheidungen - beispielsweise haben Sie die Absetzbarkeit einer Haushaltshilfe wieder
zurückgenommen ({4})
hunderttausende Beschäftigte im privaten Haushalt wieder in die Schwarzarbeit getrieben haben.
({5})
Ich kann Ihnen nur sagen: In dem schwierigen Bereich
Bau muss die Illegalität ganz anders bekämpft werden als
in dem Bereich, über den ich jetzt rede. Wenn es der Politik in Deutschland nicht gelingt, eine praktikable Lösung
zu finden, um den privaten Bereich stärker für die offizielle Beschäftigung zu öffnen, werden wir an diesem riesengroßen Bereich der Schwarzarbeit nur ganz wenig verändern. Die illegale Beschäftigung findet nämlich
- neben dem Baubereich - vor allen Dingen im privaten
Bereich statt.
Sie brauchen sich nur einmal die Statistiken der Finanzämter anzuschauen, um zu sehen, wie viele private Putzfrauen, für die Abgaben gezahlt werden, in der Bundesrepublik Deutschland gemeldet sind. Ich kann Ihnen sagen:
Allein in meinem privaten Umfeld und in meiner Heimatgemeinde gibt es mehr Putzfrauen in Privathaushalten, als
Parl. Staatssekretär Gerd Andres
der gesamten Finanzverwaltung meines Wahlkreises gemeldet sind. Jeder - auch hier im Bundestag - weiß, dass
es dort eine Beschäftigung nach BAT - Bar auf die Tatze gibt; dies ist mittlerweile die Regel.
({6})
Ich befürchte, dass uns, wenn Sie so weitermachen, in
diesem Bereich ein ähnlicher Systembruch ins Haus stehen wird, wie wir ihn jetzt bei der Arbeitsverwaltung erleben. Anscheinend haben dort nämlich ebenfalls alle gewusst, dass es nicht effizient ist; es ist aber nie etwas
geschehen.
({7})
So ist es auch mit Ihrer Politik zur Bekämpfung der
Schwarzarbeit. Sie setzen darauf, Gesetze zu verschärfen
und Strafen zu erhöhen, anstatt die Rahmenbedingungen
für offizielle Arbeit in Deutschland zu verbessern
({8})
und damit die Anreize für Schwarzarbeit bei uns in
Deutschland von vornherein nachhaltig zu verschlechtern.
Wir haben im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
auch in der Vergangenheit schon manche Anhörung über
das Thema illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit
durchgeführt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch die
Expertenrunden zur Beurteilung Ihres Gesetzentwurfes,
die vor uns liegen, sehr deutlich machen werden, dass es
nur mit Sanktionen, Auflagen und Strafen nicht geht. Ich
glaube auch, dass wir gemeinsam überlegen müssen, wie
wir weiter vorgehen. Vor der Verschärfung des Gesetzes
hätte in einem ersten Schritt eigentlich dafür gesorgt werden müssen, dass die bestehenden rechtlichen Vorschriften konsequenter umgesetzt werden, dass die Einhaltung
schärfer kontrolliert wird und dass viel effektiver gearbeitet wird.
({9})
Ich lege mich heute noch nicht fest, wie meine Fraktion
am Ende des Beratungsprozesses über diesen Gesetzentwurf entscheiden wird. Die Problematik auf dem Bau
werden wir sicherlich alle gleich beurteilen. Sie müssen
sich einmal vorstellen: Wenn die so genannten Generalunternehmer eine Rücklage für die Steuern bilden und die
Löhne garantieren müssen sowie dann noch zusätzlich
den Sozialversicherungsbeitrag zu leisten haben - wenn
man es bei der Steuer macht, spricht vieles dafür, es bei
der Sozialversicherung nicht anders zu machen; das muss
ich zugeben -, dann müssen sie mehr als 50 Prozent der
Rechnungssumme für irgendwelche Rücklagen treuhänderisch abgeben. Diejenigen, die Generalunternehmer
sind, müssten sich also dafür verbürgen.
Ich finde, dass an so einem Beispiel deutlich wird,
welch verrückten Weg wir in diesen Bereichen mittlerweile einschlagen. Ich glaube, das ist das Herumdoktern
an Symptomen, aber nicht das Herangehen an die Wurzel
des Problems. Die Wurzel des Problems ist, dass wir uns
in der Bundesrepublik Deutschland - in der Tradition unseres Landes - für ein Sozialsystem entschieden haben, in
dem die Kosten für die soziale Sicherheit allein durch die
menschliche Arbeit erbracht werden müssen.
Wenn es uns nicht gelingt, hier umzusteuern und auch
andere Einkommensarten, die heute eine ganz andere Bedeutung haben als damals, als man sich entschieden hatte,
es nur auf den Lohn zu beschränken, zu berücksichtigen,
wird die Sozialpolitik zur Verteuerung der menschlichen
Arbeit erheblich beitragen. Die Menschen werden dann
versuchen, am Steuer- und Abgabensystem vorbei zu arbeiten.
({10})
Deswegen ist es notwendig, dass wir in dieser Frage
der Politik einen ganz anderen Weg gehen, nämlich den
Weg der Entlastung der menschlichen Arbeit pro Arbeitsstunde.
({11})
Sie haben die Kosten in diesem Bereich mittlerweile nur
erhöht. Wenn Sie die Steuern erhöhen und nicht gleichzeitig die Sozialversicherungsbeiträge senken, wie zum
1. Januar dieses Jahres, wenn Ihre Rentenreform schon
nach dem In-Kraft-Setzen nicht mehr greift, weil die Einnahmeseite nicht stimmt, dann sollten Sie uns auch nicht
so viele Ratschläge geben. Wir können uns diese Dinge
weiterhin gegenseitig vorwerfen; aber solange wir das
tun, errichten wir eine Art Selbstblockade und haben in
der Bundesrepublik Deutschland eine gute Konjunktur
für Schwarzarbeit.
Deshalb sollten sich beide Seiten dieses Hauses
bemühen, nach Lösungen zu suchen, um mehr Arbeit wieder auf den offiziellen Arbeitsmarkt zurückzuführen.
Das wird nur gelingen, wenn die Menschen sehen, dass
ihnen mehr verbleibt, als sie an Abzügen haben.
({12})
Es ist doch heute schon ein Spruch unter vielen Leuten,
dass sie bei einer Überstunde lieber die Abzüge ausgezahlt bekommen möchten als das, was sie netto erhalten.
({13})
Solange diese Situation besteht, werden Sie die Schwarzarbeit in Deutschland nicht effektiv bekämpfen können.
Schönen Dank.
({14})
Ich erteile das Wort
Kollegin Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr
Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben bereits im April über einen Entschließungsantrag zur
Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit debattiert und ihn angenommen. Die negativen Folgen und Auswirkungen der illegalen Beschäftigung sind in
jener Debatte geschildert worden und weiterer HandlungsKarl-Josef Laumann
bedarf wurde deutlich. Gehandelt werden soll gemäß dem
nun vorliegenden Gesetzentwurf, der an drei Stellen ansetzt:
Erstens. Die Zusammenarbeit der bei der Bekämpfung
zuständigen Behörden wird verbessert, die Befugnisse für
die Arbeitsverwaltung werden ausgeweitet. Dies erweitert die Möglichkeiten zur Verfolgung entsprechender
Verstöße.
Zweitens. Unternehmer, die der illegalen Beschäftigung überführt werden, müssen zukünftig mit erheblich
verschärften Sanktionen rechnen.
Drittens. Unternehmer im Baubereich stehen zukünftig
stärker in der Verantwortung. Um auch bei ihren Subunternehmen illegale Beschäftigung nach Möglichkeit
auszuschließen, haften sie für die Sozialversicherungsbeiträge von deren Beschäftigten. Diese Generalunternehmerhaftung kommt nur dann zur Geltung, wenn
der Generalunternehmer seiner Sorgfaltspflicht unzureichend nachgekommen ist, sprich: wenn er im Vorfeld
nicht überprüft hat, ob ein Subunternehmer Sozialversicherungsbeiträge abführt.
Wir haben uns in diesem Zusammenhang ein Ziel gesetzt: Wir wollen den Behörden, die damit befasst sind,
Instrumente an die Hand geben, mit denen sie Schwarzarbeit effektiv bekämpfen können. Auch der Justiz soll ermöglicht werden, sich entsprechend zu spezialisieren, um
der zunehmenden Professionalisierung im Bereich der illegalen Beschäftigung und Schwarzarbeit begegnen zu
können. Wir weiten die Sanktionen aus, um eine abschreckende Wirkung zu erzielen.
Dazu muss ich eines sagen: Gestern gab es hier eine innenpolitische Debatte, in der vor allem die Vertreter der
CDU/CSU verschärfte Sanktionen und Strafen auf allen
Feldern gefordert haben.
({0})
Aber auf diesem Feld, auf dem es angezeigt und richtig
ist, sagen Sie, wir bräuchten solche Sanktionen nicht. Das
ist ein Widerspruch und ich weiß nicht, wie Sie diesen erklären wollen.
({1})
Die öffentliche Hand muss vorbildhaft vorgehen;
denn sie kann in Zukunft Unternehmern, denen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung nachgewiesen werden,
vier Jahre von öffentlichen Aufträgen ausschließen. Das
soll insbesondere eine Signalwirkung haben.
Herr Laumann, Sie haben eben von Rahmenbedingungen gesprochen. Es trifft zu, dass wir bereits die Rahmenbedingungen verbessert haben. Ich will Ihnen ein
paar Beispiele nennen: das 1999 beschlossene Entsendegesetz, die Vorbereitung eines Gesetzentwurfs zur Tariftreue, die Steuersenkungen, die Stabilisierung der Abgaben und - nicht zu vergessen - die Reformen auf dem
Arbeitsmarkt mithilfe einzelner Instrumente von Job Rotation bis zum Job-Aqtiv-Gesetz. Wir haben alle diese
Rahmenbedingungen gesetzt. Welche Vorschläge haben
Sie dem entgegenzusetzen? Sie haben in Ihrer Rede nur
alte Vorschläge aufgeführt, die Sie immer wieder aus der
Schublade herausholen und von denen Sie nicht einmal
wissen, wie sie wirken sollen. Mit diesen Vorschlägen erreichen Sie ganz bestimmt eines nicht: die Bekämpfung
der Schwarzarbeit.
({2})
Für die Schaffung guter Rahmenbedingungen haben
wir - das habe ich gerade ausgeführt - einiges getan. Aber
wir müssen auch ordnungspolitisch agieren und reagieren. Es geht nämlich um große Summen von Geld, das den
Sozialversicherungen vorenthalten wird. Es geht aber
auch um die Wiederherstellung eines gerechten Wettbewerbs und - mehr noch - um die Erhaltung zahlreicher
Arbeitsplätze in seriös wirtschaftenden Unternehmen sowie um die Sicherung der Beschäftigung von zahlreichen
Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. Es geht ferner
darum, fahrlässige Ignoranz gegenüber den Spielregeln in
einer Solidargesellschaft zu bekämpfen. Deshalb bringen
wir diesen Gesetzentwurf ein.
Wir müssen Schranken setzen und Signale aussenden.
Ich denke, an diesem Punkt sollten auch Sie mitgehen.
({3})
Ich erteile dem Kollegen Heinrich Kolb, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon seltsam:
Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung, mithin die
Schattenwirtschaft in unserem Lande, wachsen kräftig.
Rund 6,2 Prozent hat dieser Bereich nach Schätzung von
Experten im letzten Jahr zugelegt. Er boomt also regelrecht. Im Gegensatz dazu herrscht in der übrigen Wirtschaft Flaute. Mit einer Jahreswachstumsrate von wahrscheinlich durchschnittlich weniger als 0,5 Prozent stehen
wir am Rande einer Rezession, möglicherweise schon
mittendrin.
({0})
Für die Bauwirtschaft, in der nach den Formulierungen Ihres Gesetzentwurfes, Herr Dreßen, die illegale Beschäftigung und die Schwarzarbeit eine besondere Bedeutung haben, sehen die Zahlen sogar noch dramatischer
aus. Nach den vom Statistischen Bundesamt am vergangenen Mittwoch, also vor zwei Tagen, herausgegebenen
Daten zur Bauindustrie zeigt sich für das Gesamtjahr
2001 - zum Vergleich wurde das Jahr 2000 zugrunde gelegt - folgendes Bild: Auftragseingang minus 5,1 Prozent,
geleistete Arbeitsstunden minus 11,9 Prozent, Gesamtumsatz minus 7,5 Prozent, Beschäftigte minus 9,1 Prozent. Mit nur noch 954 000 liegt die Zahl der Beschäftigten im deutschen Baugewerbe erstmals unter 1 Million.
Lieber Kollege Dreßen, das ist die aktuelle Lage in der
Baubranche. Ich will Ihnen sagen: An dieser Situation
sind die Bundesregierung und die rot-grüne Koalition
alles andere als unschuldig.
({1})
Die Einschränkung der Möglichkeiten zur Verlustverrechnung, die rückwirkende Veränderung von Spekulationsfristen, das einseitige Mietrecht, die bürokratische
Bauabzugsteuer - man könnte noch viel mehr Punkte
nennen -: Das alles sind Bausteine, mit denen Sie zu dieser Situation beigetragen haben.
({2})
Vielleicht ist es dieses Schuldgefühl, das die Regierung
zum Handeln treibt. Allerdings muss man deutlich sagen:
Wie so oft in den letzten Jahren versuchen Sie, das Problem mit zusätzlicher Regulierung und mit mehr Bürokratie in den Griff zu bekommen.
({3})
Es gehört wirklich nicht viel Fantasie dazu, um Ihnen vorauszusagen: Auch mit diesem Gesetz werden Sie eine
Bauchlandung erleiden.
({4})
Die Folge wird ein weiterer Abbau von Arbeitsplätzen
sein.
Dabei sind wir uns einig - das will ich hier feststellen -:
Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sind keine Lösung. Sie führen zu einem unfairen Wettbewerb gegenüber
denjenigen, die sich unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften und auch in Erfüllung ihrer sozialen Verantwortung, etwa was die Sozialversicherungen anbelangt, im täglichen Kampf um Aufträge zu behaupten versuchen. Der
Punkt ist aber: Man muss das Übel an der Wurzel packen
und darf nicht einfach nur die Symptome bekämpfen. Das
werfen wir Ihnen vor.
Ihr Gesetzentwurf ist auch - anders als Sie behaupten nicht kostenneutral für die Bauwirtschaft. Er hat selbstverständlich Auswirkungen auf das Niveau der Baupreise. Da
haben Sie es sich in Ihrem Gesetzentwurf ein bisschen
einfach gemacht.
({5})
- Herr Brandner, hören Sie einmal zu! - Die Kostenerhöhungen beruhen nicht nur auf einem höheren Verwaltungsaufwand. Ich empfehle Ihnen dringend die Lektüre
der gemäß Ihrem Gesetzentwurf in SGB IV einzufügenden § 28 a Abs. 3 a, § 28 e Abs. 3 a und § 28 f Abs. 1 a
- diese Bezeichnungen sollte man sich einmal auf der
Zunge zergehen lassen; es wird immer komplizierter - mit
den dort begründeten Meldepflichten, Prüfungspflichten
und Aufbereitungspflichten. Nicht nur das ist kostentreibend. Ein besonders hohes Kostenrisiko besteht vielmehr
auch in der selbst bei größter Sorgfalt nicht auszuschließenden Haftungsverpflichtung eines Auftraggebers. Jeder ordentliche Kaufmann wird in seiner Kalkulation ein solches Risiko berücksichtigen müssen. Wer das
nicht glaubt, sollte einmal die Luftfahrtbranche betrachten: Unternehmen dieser Branche lassen natürlich, nachdem keine staatliche Haftung mehr existiert, Risikoprämien in ihre Kalkulation einfließen.
({6})
Unternehmer des Baugewerbes haften nach Ihrer Vorlage für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge,
und zwar - das ist paradox - nicht nur für die ihrer unmittelbaren Subunternehmer, sondern auch für die von deren Subunternehmern usw., also bis ins letzte Glied. Die
Last des Beweises, sich von der ordnungsgemäßen Abführung der Sozialversicherungsbeiträge oder zumindest
von der ordnungsgemäßen Planung der Abführung überzeugt zu haben, liegt bei den Bauauftraggebern. Es werden sich interessante juristische Auseinandersetzungen
ergeben; so viel ist schon jetzt klar.
Ich will hier deutlich auf eine Äußerung des Hauptgeschäftsführers des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, Herrn Knipper, hinweisen, der in dieser Woche
nach unserer Auffassung zu Recht gesagt hat: Dieser Entwurf eines Gesetzes gegen die Schwarzarbeit ist verfassungswidrig.
({7})
Wie gesagt, jeder vernünftig kalkulierende gewerbsmäßige Bauauftraggeber wird das Haftungsrisiko sowie
die Kosten, die bei der Überprüfung seiner Subunternehmer entstehen, in die Kalkulation einfließen lassen. Das
heißt im Klartext - das ist das Ergebnis rot-grüner Politik -:
Bauen wird wieder einmal teurer werden. Für das gleiche
Geld gibt es weniger Haus, weniger Straße und weniger
Bauvolumen. Wichtige Infrastrukturmaßnahmen der öffentlichen Hand müssen gestreckt werden. Manches private Investitionsprojekt bleibt auf der Strecke, weil es sich
nicht mehr rechnet. So kann man die Nachfrage nach Bauleistungen erfolgreich zum Erliegen bringen.
({8})
Neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze werden
Sie mit diesem Gesetzentwurf garantiert nicht schaffen,
jedenfalls nicht im Bausektor. Neue Arbeitsplätze entstehen allenfalls in Anwaltskanzleien.
Ich finde es fatal, dass Sie den Druck vor allem auf mittelständische Bauunternehmen, denen es bereits jetzt
schlecht geht, noch einmal erhöhen. In Ihrem Gesetzentwurf wird die Bedeutung der Freistellungsbescheinigung nach § 48 b Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes weiter gestärkt. Die im Zusammenhang mit der
Bauabzugsteuer eingeführte Freistellungsbescheinigung
gilt nämlich, so ist es in der Begründung zu lesen, als Indiz dafür, dass der Subunternehmer seiner Pflicht zur
ordnungsgemäßen Abführung der Sozialversicherungsbeiträge nachkommen wird. Das heißt im Umkehrschluss: Wer die Freistellungsbescheinigung nicht hat, gilt
als unzuverlässig und bleibt bei der Auftragsvergabe
außen vor. Niemand will schließlich riskieren, in die Haftung genommen zu werden.
Wie ich eingangs sagte: Man muss die Probleme an der
Wurzel packen und sollte nicht nur Symptome angehen.
Wer illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit unattraktiv
machen will, der muss dafür sorgen, dass legale Arbeit
billiger wird und dass sich legale Arbeit lohnt. Dazu
braucht es entschiedener Steuersenkungen, wirklicher Reformen der Sozialversicherung und weniger Regulierung
des Arbeitsmarktes.
({9})
Senken Sie also die Sozialversicherungsabgaben unter
40 Prozent!
({10})
Das hatten Sie ja einmal ausweislich Ihrer Koalitionsvereinbarung vor. Sorgen Sie für eine wirklich einfache und
gerechte Steuerreform, die den Mittelstand entlastet, und
belasten Sie nicht die Bauwirtschaft zusätzlich in solch
existenzvernichtender Weise! Ich befürchte aber, dass Sie
dazu nicht mehr die Kraft haben. Sie haben auch nicht die
nötige Zeit - sieben Monate sind nicht viel. Wir werden
hier nach dem 22. September 2002 für Abhilfe sorgen.
Vielen Dank.
({11})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Klaus Grehn, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über das Ziel, Schwarzarbeit und
illegale Beschäftigung zu bekämpfen, sind wir uns sicher
alle einig. Nur über den Weg könnte man streiten. Bei diesem Gesetzentwurf müssen wir also fragen: Ist der Weg,
der gegangen werden soll, auch angesichts der Erfahrungen, die wir mit dem geltenden Gesetz gemacht haben,
richtig?
Nun heißt Schwarzarbeit ja „Schwarzarbeit“, weil sie
im Dunkeln stattfindet. Bereits Bertolt Brecht wusste in
der „Dreigroschenoper“ zu sagen: Die im Dunkeln sieht
man nicht.
({0})
In diesem Sinne haben wir im Ausschuss für Arbeit und
Sozialordnung wiederholt festgestellt, dass wir über
Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung nichts Genaues
wissen. Hier gilt also das Sprichwort: Nichts Genaues
weiß man nicht.
Erstens. Alles gründet sich auf Vermutungen und Berechnungen, die nicht nachvollziehbar sind. Deshalb müssen wir schon nachprüfen, ob denn die Angaben wirklich
zutreffen.
Zweitens. Schwarzarbeit ist nicht gleich Schwarzarbeit
und illegale Beschäftigung nicht gleich illegale Beschäftigung. Ich möchte schon unterscheiden zwischen demjenigen, der schwarzarbeitet, um zu gehobenem Wohlstand
zu kommen, und demjenigen, der schwarzarbeitet, um
sich und seine Familie über Wasser zu halten.
({1})
Für den letzteren Fall gibt es Beispiele zur Genüge.
Schwarz oder illegal wird häufig gearbeitet für Hungerlöhne, für ein Taschengeld, unter unwürdigen Bedingungen. Es ist kein Vergnügen, wie man es hier manchmal
herauszuhören glaubt. Damit ist keine erstrebenswerte
Lebensgestaltung möglich. Finanziell bleiben die Menschen weit abgeschlagen. Schwarzzuarbeiten entspringt
nicht dem Wunsch der Menschen.
Deshalb sehen wir einen Ansatz darin - das wäre eine
Möglichkeit gewesen -, einen Gesetzentwurf zur Förderung von Beschäftigung und zur massenhaften Schaffung
von Arbeitsplätzen vorzulegen. Wenn es hinreichend viele
Arbeitsplätze gibt, können zumindest diejenigen, die nur
deshalb schwarzarbeiten, weil sie überleben müssen und
weil nichts anderes angeboten wird, in das normale Arbeitsleben eingegliedert werden - bitte schön zu existenzsichernden Löhnen! Selbst wenn das neue Gesetz, so wie
Sie es formuliert haben, greifen sollte, wird es nur einen
winzigen Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen leisten. Ich weiß auch nicht, ob damit die Schwarzarbeit wesentlich bekämpft werden kann.
Außer den Zahlen, die darin genannt sind - Anstieg der
Schwarzarbeit auf 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts -, haben wir auch Kenntnisse darüber, welche Sanktionen verhängt worden sind und in welchem Umfang sie
realisiert worden sind. Das Ausmaß der verhängten Sanktionen hat sich mehr als vervierfacht, die Summe, die dadurch realisiert werden konnte, hat sich nicht einmal
verdoppelt. Genau daran wird das Problem sichtbar: Sanktionen - da stimme ich Ihnen, Herr Kollege Kolb, völlig
zu - sind nicht der richtige Weg. Statt Sanktionen brauchen
wir Prävention. Auf Prävention ist dieser Gesetzentwurf
aber nun wahrlich nicht ausgerichtet.
Es bleibt auch dahingestellt, ob die selbstschuldnerische Haftung mit der Verfassung in Übereinstimmung zu
bringen ist. Genauso ist zu prüfen, ob der Datenabgleich,
den Sie im Hinblick auf die illegale Beschäftigung ausländischer Bürger vorsehen, mit dem Datenschutz in Übereinstimmung zu bringen ist. Alles das muss geprüft werden, wenn die Rechtsstaatlichkeit eingehalten werden soll.
Es gibt ein weiteres Problem, auf das ich aufmerksam
mache; Kollege Kolb hat es schon in etwa angedeutet.
Wenn ein Großunternehmen für seine Nachunternehmer
haften soll, dann wird es sich bei den kleinen und mittelständischen Unternehmen, die die Aufträge annehmen,
selbstverständlich absichern wollen. Insofern ist die Situation in meinem Wahlkreis symptomatisch für die
neuen Bundesländer. Wenn dort von kleinen oder mittelständischen Unternehmern gefordert wird, diese Haftung
zu übernehmen und einen entsprechenden Betrag bei dem
Großauftraggeber zu hinterlegen, dann sind sie am Ende.
({2})
Das können sie nicht leisten. Man muss also im Auge behalten, ob das so machbar ist. Ich glaube, dass dies eher
schädlich ist. Deshalb muss man überprüfen, ob damit das
Ziel, das Sie anvisieren, erreicht wird.
Ich will ein weiteres Problem ansprechen, das dieser
Gesetzentwurf aufwirft. Der Gesetzentwurf tangiert ein
altes Thema, nämlich die aus dem Mittelalter stammende
und immer mehr unzeitgemäße Ordnung des deutschen
Handwerks.
({3})
- Das hat etwas damit zu tun, dass die Handwerksordnung den Notwendigkeiten eines modern operierenden
Handwerks nicht mehr Rechnung trägt. Man muss in die
Handwerksrolle eingetragen sein. Wenn man arbeitet,
ohne eingetragen zu sein, gerät man in den Bereich der illegalen Beschäftigung. Damit sind im Gesetzentwurf
Sanktionen - ich hoffe, ich habe es richtig im Kopf - von
bis zu 100 000 Euro verbunden.
Illegale Beschäftigung am Bau hat offensichtlich ein
bedrohliches Ausmaß angenommen. Dazu ist viel gesagt
worden. Das kostet viele qualifizierte Bauarbeiter den
Job. Gerade hier den Arbeitnehmerschutz zu erhöhen,
Dumpinglöhne und mangelhaften sozialen Schutz zu unterbinden findet unsere Zustimmung. Es ist richtig, den
Unternehmer in die Pflicht zu nehmen, aber das muss verträglich sein und darf keine Arbeitsplätze kosten.
Der Präsident signalisiert mir das Ende meiner Redezeit. Daher rede ich jetzt „in Schwarzarbeit“ weiter. Lassen Sie mich betonen: Alles in allem verkennen wir nicht,
dass durch illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit in
dem geschilderten Ausmaß erheblicher gesellschaftlicher
Schaden angerichtet wird. Vor diesem Hintergrund muss
der Gesetzentwurf ausgewogener gestaltet werden.
({4})
Ich erteile der Kollegin Anette Kramme, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich das erste Mal
eine Studie über das Ausmaß der Schwarzarbeit in der
Bundesrepublik Deutschland gelesen habe, habe ich deren Ergebnisse angezweifelt, obwohl die dargelegte Methodik und die gesetzten wissenschaftlichen Prämissen
durchaus plausibel erschienen.
({0})
Ich habe mir daraufhin verschiedene andere Untersuchungen angeschaut und musste einsehen: Die gewonnenen Erkenntnisse stimmen zumindest der Richtung nach.
Die Wirtschaftswissenschaften umschreiben den Sachverhalt der Schwarzarbeit in der Bundesrepublik Deutschland
mit folgenden statistischen Daten:
Erstens. Das Schwarzarbeitvolumen macht circa
16 Prozent des offiziellen Bruttoinlandsproduktes aus.
Dies entspricht einem Volumen von 336 Milliarden Euro
im Jahr 2001. Diese Bilanz zieht das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung.
({1})
Zweitens. Herr Laumann und Herr Dr. Kolb, hören Sie
jetzt ganz genau zu. Sie können etwas lernen.
({2})
Seit dem Jahr 2000, also nach In-Kraft-Treten der rot-grünen Steuerreform, wächst die Schattenwirtschaft zum
ersten Mal seit den 80er-Jahren nicht stärker als die offizielle Wirtschaft.
({3})
In den vergangenen Jahren ist dagegen die Schattenwirtschaft drei- bis viermal schneller als die offizielle Wirtschaft gewachsen. Dieses Ergebnis teilt ebenfalls das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung mit. Ihr
Politikansatz, Herr Kolb, erweist sich als komplett unrichtig.
({4})
Drittens. Betrachtet man die Schattenwirtschaft im
Baugewerbe im Bundesland Brandenburg, so erzielte
diese eine Wertschöpfung, in einem Umfang von 25 Prozent der offiziellen Wertschöpfung. Der Umfang der
Schattenwirtschaft in Berlin beträgt sogar 53 Prozent der
offiziellen Wertschöpfung, so Professor Schneider von
der Universität Linz.
Viertens. Im Bundesland Brandenburg werden im Baugewerbe circa 112 Millionen Stunden Schwarzarbeit geleistet, in Berlin circa 132 Millionen Stunden. Das entspricht für Brandenburg 64 000 Vollzeitschwarzarbeitsplätzen bei 91 000 offiziell Beschäftigten. Der entsprechende Wert für Berlin lautet 75 000 Schwarzarbeiterstellen und 67 000 legale Arbeitsplätze. Diese Erkenntnisse gehen wiederum auf Professor Schneider zurück.
Diese Zahlen sind leider nicht nur Statistik, sondern
dokumentieren auch einen immer wieder von den Gewerkschaften, den Verbänden, den Industrie- und Handelskammern und den Unternehmen beschriebenen und
beklagten Prozess.
({5})
Der ruinöse Wildwestwettbewerb gerade im Bereich der
Bauwirtschaft hat dazu geführt, dass nur Unternehmen
überleben, die mittels Mischkalkulationen mehr Billigsubunternehmer mit illegalen Beschäftigten als ihre Mitbewerber einkalkulieren.
Die in Gang gesetzte Spirale der illegalen Beschäftigung vernichtet permanent legale Beschäftigungsverhältnisse und verhindert die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Legal beschäftigte Arbeitnehmer können im Lohnkonkurrenzkampf mit den illegalen, die bei den Stundenverrechnungssätzen bis zu 50 Prozent billiger sind, nicht bestehen. Der Leiharbeitsbericht der Bundesregierung geht
davon aus, dass in den letzten vier Jahren allein im Baugewerbe mindestens 170 000 legale Stellen durch diesen
Prozess vernichtet worden sind.
Massive Verstöße gegen zwingende Tarifverträge, gegen Arbeitnehmerschutzgesetze und die Umgehung arbeitsschutzrechtlicher Normen sind gerade in der Baubranche tagtägliche Realität. Viele Unternehmen denken,
dass sie sonst nicht dem Wettbewerb standhalten können.
Das Hauptzollamt Bamberg hat errechnet, dass der
jährliche volkswirtschaftliche Schaden zulasten der Sozialversicherungsträger, der Bauberufsgenossenschaft sowie des Finanzamtes bei durchschnittlich 40 000 Euro je
Ganztagsschwarzarbeiter liegt. Der öffentlichen Hand
entgehen jedes Jahr etwa 125 Milliarden Euro. Das
Hauptzollamt Bamberg stellt weiter fest, dass je nach illegaler Beschäftigungsform häufig - gerade an ausländische Bürger - nur Nettolöhne von 4 Euro, 3 Euro, 2,5 Euro
und weniger bezahlt werden. Dass damit menschliche
Schicksale einhergehen, ist klar.
Der Skandal hat aber einen Namen. Der Name lautet
Kohl-Regierung.
({6})
Die eben zitierte Studie belegt eindeutig, dass die
CDU/CSU über 16 Jahre das rasante Wachsen des
Schwarzarbeitsektors hat geschehen lassen,
({7})
ohne wirksame Gegenmaßnahmen einzuleiten. Sie hat zugeschaut.
({8})
Der Schuldspruch lautet: politisch verantwortlich durch
Unterlassen.
({9})
Die Studie hebt im Umkehrschluss die Arbeit der rotgrünen Koalition hervor. Angesichts der weiterhin dramatischen Zahlen können wir es dabei aber nicht bewenden
lassen. Lohndumping, Beitragsbetrug und Steuerhinterziehung sind konsequent und zielgenau anzugehen.
Weil wir wieder Chancengleichheit für legal arbeitende
Beschäftigte und legal arbeitende Unternehmer wollen,
brauchen wir eine verschuldensabhängige Generalunternehmerhaftung im Baubereich für Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer. Weil wir wieder Chancengleichheit für legal arbeitende Beschäftigte und legal
arbeitende Unternehmer wollen, brauchen wir den
langjährigen Ausschluss von schwarzen Schafen der
Branche bei öffentlichen Bauaufträgen.
({10})
Weil wir wieder Chancengleichheit wollen, brauchen wir
einen größeren Sanktionsrahmen und eine Erweiterung
der Straftatbestände bei illegaler Beschäftigung. Den hohen Gewinnchancen muss eine angemessene Abschreckung gegenüberstehen.
Justiz und Behörden brauchen Chancen, um Recht und
Ordnung wieder herzustellen.
({11})
Deshalb räumen wir ihnen jetzt die Möglichkeit der verbesserten Zusammenarbeit und der verbesserten Information ein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Gesetzentwurf baut nicht auf Misstrauen gegenüber den Unternehmen auf. Vielmehr geht es darum, dass die Verantwortlichen mehr Verantwortung für die Verhältnisse
übernehmen, derer sie sich bedienen. Er ist ein wichtiger
und guter Schritt in Richtung faire Wettbewerbsbedingungen.
({12})
Ich erteile dem Kollegen Franz Romer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Illegale
Beschäftigung und Schwarzarbeit bescheren uns in jedem
Jahr erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden. Die Tendenz ist steigend.
({0})
Dass hier etwas getan werden muss, ist jedem klar.
Frau Kollegin, was Sie soeben berichtet haben, ist wie
so oft in den vergangenen Wochen ein Ergebnis Ihrer
rückwärts gewandten Politik.
({1})
Eine Fülle von Aussagen sind überhaupt nicht nachvollziehbar.
({2})
Das Gesetz allein kann die Misere auf dem Arbeitsmarkt
und bei den Sozialkassen natürlich nicht lösen. Ich werde
jetzt nicht lange auf die desolate Lage in unserem Land
eingehen; die Zahl von 4,3 Millionen Arbeitslosen spricht
für sich. Man kann nur hoffen, dass die Bekämpfung der
Schwarzarbeit ihren Teil zur Schaffung legaler Arbeitsverhältnisse beiträgt.
Ich weise ferner darauf hin, dass die Regierung mit
ihrem Gesetzentwurf etwas bekämpfen muss, was
sie durch ihre bisherige Politik, durch Gesetze wie das
325-Euro-Gesetz und durch mehr Bürokratie leider selbst
vorangetrieben hat.
({3})
Sehen wir uns einmal die Instrumente an, mit denen die
Bundesregierung die Schwarzarbeit bekämpfen will.
Gleich an erster Stelle des Gesetzentwurfes ist zu lesen,
dass die Bundesanstalt für Arbeit neue Befugnisse bekommen soll. Was wollen Sie der Bundesanstalt denn
noch alles auferlegen? Ist Ihnen denn überhaupt bewusst,
wie viele Aufgaben die Bundesanstalt bereits jetzt wahrnimmt?
Meine Damen und Herren, ich muss Ihnen sagen: Mir ist
nicht wohl dabei. Eine Bundesanstalt, die die Erfolge ihrer
Arbeit in der Vergangenheit falsch dargestellt hat, muss erst
einmal in den eigenen Reihen aufräumen. Zur Verfolgung
von illegaler Beschäftigung ist sie leider, zumindest zurzeit,
wohl nicht geeignet und auch nicht in der Lage.
({4})
Ein Blick in die heutige Presse genügt. Mir gefällt die Alternative, die Behörden der Zollverwaltung vermehrt in
die Verantwortung zu nehmen, wesentlich besser.
({5})
Auch sind die Verbindung und die Durchlässigkeit zu
allen Sozialsystemen sowie zu den jeweiligen Organisationen der Handwerkskammern und zu den IHKs dringend geboten. Denn nur so lassen sich bei den Subunternehmen schon im Vorfeld Illegalität und schwarze Schafe
feststellen.
Wichtig und im Gesetzentwurf auch vorgesehen sind
verschärfte Sanktionen. Über die Abschreckungswirkung
lässt sich sicher streiten. Höhere Strafen schrecken nur
dann ab, wenn sie mit verschärften Kontrollen einhergehen.
Denn viele Unternehmen, die mit illegal Beschäftigten
hohe Gewinnspannen haben, lassen sich durch mögliche
Sanktionen nicht abhalten. Das sieht anders aus, wenn die
Wahrscheinlichkeit, überführt zu werden, zunimmt.
Aus meiner Sicht sind also verschärfte Kontrollen am
wichtigsten. Für diese Aufgaben sind die Behörden der
Zollverwaltung sicher gut geeignet. Die Unabhängigkeit
der Verfolgungsbehörden muss gewahrt sein. Die
schwarzen Schafe, die erwischt werden, müssen zumindest durch hohe Geldbußen ein wenig zur Schadensminimierung beitragen.
({6})
Angemessen ist, dass der Gesetzentwurf einen besonderen Schwerpunkt im Baugewerbe setzt. Die Bauunternehmer selbst sollen sich nicht mehr hinter dem Subunternehmer verstecken können. Die Haftung des
Generalunternehmers ist sicher ein geeignetes Mittel,
Ordnung in das Baugewerbe zu bringen.
({7})
Auch der Ausschluss von der Vergabe der begehrten
öffentlichen Aufträge für die Dauer von vier statt bisher
zwei Jahren klingt vielversprechend. Dies haben Bewerber zu erwarten, die wegen illegaler Beschäftigung zu einer bestimmten, nicht geringen Strafe verurteilt wurden.
Neu und auch sehr begrüßenswert ist, dass Unternehmen mit illegal Beschäftigten auch aus laufenden Verträgen entlassen werden können. Welche Konsequenzen dies
bei öffentlichen Aufträgen hat, ist noch abzuklären. Denn
die Neuvergabe kann mit Mehrkosten verbunden sein.
Die günstigen Preise des gekündigten Unternehmens basieren ja auf seinen illegalen Machenschaften.
Die Verwirklichung des Ziels, illegale Beschäftigung
einzudämmen, darf aber nicht wieder zu mehr Bürokratie
führen.
({8})
Denn genau diese führt, genauso wie die Kostenseite, zu
mehr Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung. Wir
wissen ja: Bürokratie ist Schröders Liebling.
({9})
Sie muss verhindert werden.
Deshalb ist es besonders wichtig, dass die zunehmende
Bürokratie auf dem Arbeitsmarkt aufgebrochen wird,
damit es sich wieder lohnt, legal zu arbeiten. Die Abgaben
sind allgemein zu hoch.
({10})
Es bleibt einfach zu wenig im Geldbeutel. Deshalb ist es
für viele unattraktiv, überhaupt zu arbeiten oder aber
einen Zusatzverdienst ordnungsgemäß anzumelden.
({11})
Leichter ist es, wenn man sofort in die Schwarzarbeit
geht.
Der Anteil der Schwarzarbeit am Bruttoinlandsprodukt
beträgt inzwischen 16,5 Prozent. Das entspricht 350 Milliarden Euro. An einem Arbeitsmarkt, der Schwarzarbeit
in diesem Ausmaß benötigt, stimmt etwas nicht.
({12})
Der Gesetzentwurf muss deutlich machen, was illegale
Beschäftigung und was Schwarzarbeit ist. Es muss nämlich sichergestellt werden, dass das Gesetz letztendlich
auch den Richtigen trifft. So befürchten beispielsweise
unabhängige Handwerker und Handwerkerinnen, dass
sie wegen unklarer Formulierungen zu Unrecht von dem
Gesetz erfasst werden. Dies hätte für sie existenzbedrohende Konsequenzen. Die Unklarheiten bestehen nicht
bei den eingetragenen Handwerksbetrieben, sondern bei
den Betrieben, die sich laut Gesetz ausnahmsweise nicht
in die Handwerksrolle eintragen lassen müssen. Dies ist
zum Beispiel bei einfachen handwerklichen Tätigkeiten
sowie bei einem unerheblichen Nebenbetrieb der Fall.
In dem vorliegenden Gesetzentwurf sollte klar zum
Ausdruck kommen, dass es sich bei diesen handwerksähnlichen Betrieben um eine erlaubte Tätigkeit handelt. Auch die Höhe des Bußgeldes sollte dem Umfang
des Betriebes angemessen sein. So sollte sich der Bußgeldkatalog für handwerksähnliche Betriebe eher an den
Bußgeldern für die übrigen Gewerbebetriebe orientieren.
Die zahlreichen offenen Fragen sind zu erörtern. Wir
werden die Probleme bei der Anhörung zu diesem Thema
aufzeigen. Die Fragen müssen in die weiteren Beratungen
einfließen und berücksichtigt werden. Positiv ist - ich begrüße dies ausdrücklich -, dass dieser längst fällige Vorstoß überhaupt vorgenommen wird. Vielleicht ist der vorliegende Gesetzentwurf ein Schritt zu einer Verbesserung.
Ich bedanke mich.
({13})
Ich erteile der Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war sehr erfreut über den Beitrag des Kollegen
Romer, aber sehr entsetzt über den Beitrag des Kollegen
Kolb.
({0})
Ich glaube, der Unterschied liegt darin: Wir müssen endlich begreifen, dass wir nicht immer fordern können, es
müsse alles billiger werden, und dass wir nicht immer sagen dürfen, Deregulierung werde das schaffen.
({1})
Wir sind insbesondere in der Bauwirtschaft in der Situation einer Kostenkonkurrenz und eines Preisdumpings,
die die Illegalität regelrecht ermuntert. An dieser Stelle
muss endlich gehandelt werden. Es stimmt - Frau
Kramme, Sie haben es vorhin gesagt -: Eigentlich hätte
schon unter der letzten Regierung gehandelt werden müssen. Wir sollten das Problem auch sehr ernst nehmen. Ich begrüße es - das wird von der CDU/CSU auch so gesehen -,
dass noch einmal geprüft werden soll, ob Bürokratie
durch das Gesetz angemessen reduziert worden ist. Ich
halte das für eine ernste Frage. Man darf aber nicht so tun,
als könnten wir mit weiterer Deregulierung die Probleme
lösen, vor denen wir heute stehen.
({2})
Die Probleme durch Schwarzarbeit sind ausführlich
angesprochen worden; ich brauche die Zahlen daher nicht
noch einmal zu erwähnen. Ich möchte aber deutlich sagen, dass all denen in der Bauwirtschaft, die sehr korrekt
arbeiten, die ihr Unternehmen solide führen und eine
Wirtschaftskultur in unserem Lande aufrecht erhalten
wollen, nicht länger zuzumuten ist, ständig in Konkurrenz
mit Geschäftemachern zu stehen, die sie durch illegale
Praktiken - im Wesentlichen ist das der Versuch, durch
Lohndumping Sozialversicherungsbeiträge und Steuerabgaben zu umgehen - schädigen. Insofern ist das nicht nur
ein Problem der Arbeitnehmer und der politisch Verantwortlichen, sondern auch ein Problem der Wirtschaftskultur - speziell der Bauwirtschaft - in unserem Land. Wir
wollen die betroffenen Unternehmen schützen und stärken, damit sie nicht geschädigt werden. Ich glaube, das
Thema Wirtschaftskultur muss in diesem Lande endlich
wieder diskutiert werden.
Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb?
({0})
Ja, ich gestatte sie, ich will mal sehen, ob er
in dieser Debatte etwas Sinnvolles gelernt hat.
({0})
Frau Kollegin, ich wollte
Sie fragen, ob Sie bereit sind, zu den Ausführungen von
Herrn Knipper, dem Geschäftsführer des Hauptverbandes
der Deutschen Bauindustrie, Stellung zu nehmen, der gesagt hat, mit der von Ihnen vorgelegten Regelung stehle
sich der Staat aus der Verantwortung. Er sagt, dieser Gesetzentwurf sei mittelstandsfeindlich, aber Sie haben gesagt, Sie wollen den Unternehmen helfen. Offensichtlich
sehen das diejenigen, denen Sie helfen wollen, nämlich
die Unternehmen, anders. Ihr Vorhaben, so Knipper,
belaste die Unternehmen zusätzlich und es werde die Liquidität und der Kreditrahmen auch seriöser Nachunternehmen erheblich eingeschränkt.
Frau Kollegin, ich frage Sie: Sehen Sie diese Probleme
nicht? Sehen Sie nicht, dass Sie mit diesem Gesetzentwurf
am Problem vorbei handeln?
Herr Kollege, zunächst einmal müssen Sie
bedenken, dass verschiedene Verbände und Unternehmen
dies unterschiedlich sehen. Ich habe sehr deutlich gesagt,
dass ich insbesondere im Interesse des Mittelstands rede,
der sich für einen soliden Wirtschaftsraum engagiert, um
mit einer korrekten Finanzierung und Bezahlung von
Löhnen und Gehältern und den zugehörigen Sozialabgaben und Steuern seine Wirtschaftskultur zu pflegen. Deswegen habe ich sehr wohl gesagt, dass ich es für richtig
halte, in der Beratung sehr genau zu prüfen, inwieweit der
bürokratische Aufwand angemessen ist und ob es richtig
ist, die Zollverwaltung statt die Arbeitsverwaltung und die
Arbeitsämter einzusetzen.
Aber wenn einfach gesagt wird: Das kostet uns wieder
ein paar Groschen und deswegen ist es schlecht;
({0})
deshalb werden wir das Sub- und Subsubunternehmertum
weiterhin pflegen, dann sollte die FDP einmal prüfen, ob
sie nicht der Aufforderung zur Illegalität regelrecht Vorschub leistet.
({1})
- Das ist nicht verfassungsfeindlich. Es gibt eben das
Dreiecksverhältnis zwischen dem Staat mit seinem Steueraufkommen und solider Finanzierung einerseits, der
vernünftigen Entlohnung der Beschäftigten in unserem
Lande andererseits und der Konkurrenz zwischen denen,
die meinen, ihr Geld durch Schwarzarbeit erwirtschaften
zu können, und denen, die ihren Platz im Wirtschaftssystem haben und ihr Geld auf ehrliche Art verdienen. Die
Schwarzarbeit müssen wir eindämmen Es müssen korrekte Linien eingezogen werden. Das halte ich für richtig.
Insofern halte ich den Gesetzentwurf im Prinzip für unterstützenswert.
({2})
Ich habe es eben bereits deutlich gesagt: Wir müssen
prüfen, inwieweit der bürokratische Aufwand noch etwas
reduziert werden kann. Hier sind wir durchaus verhandlungs- und gesprächsbereit. Aber die alte FDP-Formel
„Mehr Deregulierung bringt preiswertere Angebote und
deswegen mehr Arbeit für die Bauwirtschaft“ ist eine Primitivformel, mit der wir die Wirtschaft in unserem Land
kaputtmachen und die solide arbeitenden Unternehmen in
eine immer stärkere Konkurrenz zu denjenigen bringen,
die nicht solide wirtschaften.
({3})
Ich hoffe, dass auch die FDP endlich lernt, dass wir ein
Stück Wirtschaftskultur in unserem Lande aufrechterhalten wollen. Deswegen halte ich es für richtig und fordere
die Bauwirtschaft - auch den Verband von Herrn
Knipper - auf, dieses Gesetz mit zu unterstützen; die mittelständische Bauwirtschaft macht dies bereits sehr aktiv.
Dann bekommen wir im Umgang damit wirklich eine
Trendwende. Dass wir das Sub- und Subsubunternehmertum einschränken müssen, lernen Sie hoffentlich auch
mitzutragen.
Ich sage - auch im Hinblick darauf, dass wir nicht nur
dieses eine Gesetzeswerk diskutieren, sondern dass es,
wie bereits ausgeführt worden ist, mit der Bauabzugssteuer und dem Gesetz zur Tariftreue, das wir noch diskutieren werden, im Zusammenhang steht - noch eines ganz
deutlich. Es ist richtig, dass dadurch auch ein Stück weit
Kosten entstehen. Aber sie stehen in einer angemessenen
Relation zu dem, was die Gesellschaft für Bauleistungen
zahlt - das gilt auch für andere -, und dem, was wir wollen, nämlich dass unsere Arbeitnehmer und Beschäftigten
für ihre Entlohnung eine solide Sozialversicherung, Altersversorgung und Gesundheitsvorsorge erhalten und der
Staat korrekt seine Steuern erhält. Wir haben die Aufgabe,
dafür zu sorgen, dass dieses Dreiecksverhältnis solide gepflegt und dass nicht ständig die Konkurrenz vergrößert
wird und wir uns gegenseitig kaputt konkurrieren.
({4})
Insofern tut die Regierung etwas für die neue Wirtschaftskultur. In diesem Sinne hoffe ich, dass auch die
Opposition mehr und mehr lernt, dass dies der richtige
Weg ist.
({5})
Ich erteile dem Kollegen Klaus Wiesehügel von der SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
zunächst einmal der Bundesregierung danken, dass sie
diesen Gesetzentwurf eingebracht hat. Er ist auf eine Initiative dieses Hauses zurückgegangen und wird den Rahmen dafür setzen, dass wir die illegale Beschäftigung und
die Schwarzarbeit wirksam bekämpfen können.
({0})
Bei Schwarzarbeit haben wir es mit einem Phänomen
zu tun. Eigentlich sind alle dagegen. Eigentlich will niemand die Schwarzarbeit,
({1})
aber wenn es um die Bekämpfung der Schwarzarbeit geht,
zeigt jeder auf den anderen und niemand will wirkliche
Einflussnahme und entsprechende Gesetze, die das Ganze
beseitigen würden.
({2})
In der vergangenen Legislaturperiode zum Beispiel
gab es die so genannte Blüm-Kampagne, in der umfangreich plakatiert wurde, dass es sich nicht um ein Kavaliersdelikt handelt. Die gesamte Kampagne zielte aber im
Grunde genommen auf den Feierabendschwarzarbeiter
ab. Das ist nicht zu entschuldigen; denn auch das ist
Schwarzarbeit. Schlimmer ist aber, dass der Eindruck erweckt wurde, als sei die Schwarzarbeit nach Feierabend
das Hauptproblem. Ich sage: Wir müssen die Gewichtung
ein wenig verändern.
({3})
Wir müssen die Realität zur Kenntnis nehmen. Der wesentliche Teil von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit ist organisierte und unternehmerische Schwarzarbeit.
({4})
Das sind Tatsachen, die Sie einfach nicht zur Kenntnis
nehmen wollen. Wir haben das zur Kenntnis genommen
und deswegen einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht.
Herr Laumann, Sie behaupten seit fast drei Jahren immer wieder, unser Gesetz zur Neuregelung der
325-Euro-Jobs sei an der Ausweitung der Schwarzarbeit
schuld. Das ist völlig falsch. Sie müssen zur Kenntnis
nehmen: Gerade die Schwarzarbeit ist durch dieses Gesetz erheblich eingedämmt worden.
({5})
Wenn Sie sich mit der Materie beschäftigt hätten, dann
wüssten Sie, dass die illegale Beschäftigung gerade im
Bereich des Gebäudereinigerhandwerks massiv zurückgegangen ist, weil wir einen entsprechenden gesetzlichen
Rahmen geschaffen haben. Sie können schreien, so viel
Sie wollen: Das sind die Tatsachen.
({6})
Nur noch Sie und eine kleine Gruppe hier im Hause machen uns im Zusammenhang mit den 630-DM-Jobs
- heute sind das 325-Euro-Jobs - Vorhaltungen. Außerhalb des Parlaments spricht längst jeder positiv über das
Gesetz; denn jeder weiß, dass es aufgrund unseres Gesetzes wieder Ganztags- und Halbtagsarbeitsplätze und
keine gestückelten Arbeitsplätze mehr gibt.
({7})
Ich möchte deutlich machen, was ich mit der Veränderung der Gewichtung meinte. Laut einer Meldung vom
14. Februar 2002 wurden bei einer Kontrolle auf der staatlichen Baustelle des BKA in Wiesbaden, also vor der
Haustür von Herrn Koch, fünf Maler erwischt, die
schwarz arbeiteten. Sie waren von der Regierung Koch
eingestellt und auf der Baustelle des BKA beschäftigt
worden. Es handelte sich dabei aber mitnichten um fünf
Maler, die jeder für sich schwarz arbeiteten. Nein, eine
Malerfirma hat diese fünf organisiert und auf der Baustelle des BKA illegal eingesetzt. In 90 Prozent der Fälle
findet Schwarzarbeit in organisierter Form statt. Deswegen wollen wir mit dem vorliegenden Gesetz vor allen
Dingen die organisierte Schwarzarbeit treffen. Wir müssen - das ist schon gesagt worden - das Übel bei der Wurzel packen. Wir sollten uns aber auch einig sein, was die
Wurzel des Übels ist.
Ich möchte einen Punkt aufgreifen, der in der jetzigen
Debatte - Herr Kolb, Sie müssen mir keine Zwischenfrage stellen; ich weiß ja, was Sie fragen wollen; ich
werde auf das, was Sie vorhin dazu gesagt haben, sofort
eingehen - auch eine Rolle gespielt hat. Die Generalunternehmer haften dafür, dass die von Ihnen beauftragten Subunternehmer die Sozialabgaben der Arbeitnehmer
ordentlich abführen.
({8})
Sie haben gesagt - das stellen Sie immer wieder falsch
dar -: Wir können doch das Bauen nicht noch teurer machen. Ich hatte mir schon überlegt, an dieser Stelle eine
Zwischenfrage zu stellen. Ich habe es aber dann doch
nicht getan, weil ich wusste, dass ich dazu in meiner Rede
Stellung nehmen kann. Das werde ich jetzt wie folgt tun:
Seit 1993 - das sind fast 10 Jahre; Herr Kolb, es wird Zeit,
dass Sie das endlich zur Kenntnis nehmen - sind die Baupreise fast unverändert geblieben, während in der sonstigen produktiven Wirtschaft die Preise um 5 Prozent gestiegen sind.
({9})
Diese Entwicklung fiel nicht in unsere, sondern in Ihre
Regierungszeit, also in die Zeit, als Sie in der Regierung
tief verstrickt waren.
({10})
Für die Wurzel des Übels, nämlich die Stagnation der
Baupreise, sind Sie verantwortlich und nicht wir. Nehmen
Sie das endlich zur Kenntnis!
({11})
Nun wird behauptet, die Unternehmen müssten für den
Haftungsfall Rücklagen bilden. Sie kennen offenbar nur
das Rezept „Weiter so wie bisher“. Damit löst man keine
Probleme. Herr Laumann, warum müssen denn die Unternehmen Rücklagen bilden?
({12})
- Was soll das Gerede vom Gewerkschaftsvorsitzenden?
Plärren Sie nicht herum! Hören Sie doch lieber zu!
Warum müssen die Unternehmen Rücklagen bilden?
Warum können die Generalunternehmen nicht einfach das
machen, was meine Kollegin Eichstädt-Bohlig vorgeschlagen hat, nämlich auf Subunternehmer zu verzichten?
({13})
In den Niederlanden, dem Deregulierungsmusterländle,
auf das Sie immer verweisen, sind Subunternehmerketten
verboten. Der Verzicht auf Subunternehmer ist die richtige Antwort; denn dann müssen sich die Generalunternehmen keine Sorgen im Hinblick auf die Haftung machen und müssen keine Rücklagen bilden.
({14})
Viele Vorschläge, die gemacht worden sind, sind in unseren Gesetzentwurf eingeflossen. Sie selber wissen, dass
es in der Vergangenheit - das war einer der wesentlichen
Punkte - erhebliche Defizite in der Zusammenarbeit der
Behörden gab. Wir haben die Behörden in der Tat nicht
ausreichend verpflichtet, sich gegenseitig Daten zur Verfügung zu stellen. Dies fasst dieses Gesetz an. Die Erkenntnis, dass es erforderlich ist, die Daten entsprechend
auszutauschen, ist in dieses Gesetz eingeflossen. Ich
hoffe, dass die für die Bekämpfung von Illegalität und
Schwarzarbeit zuständigen Behörden künftig besser
zusammenarbeiten und dass wir mit dem effektiveren
Weitermelden von Daten in der Lage sind, Schwarzarbeit
wirklich zu bekämpfen und nicht nur darüber zu reden.
Dieses Gesetz soll dem Anspruch seiner Überschrift gerecht werden. Bei Ihren Gesetzen war das nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, wir unterscheiden uns nicht
nur in der Beschreibung von Illegalität und Schwarzarbeit, sondern auch ganz erheblich in der Nennung der Ursachen. Sie haben hier heute Morgen wieder eindrucksvoll vorgetragen, welche Ursachen für Schwarzarbeit
Sie kennen: zu hohe Steuern, zu hohe Lohnnebenkosten.
Sie meinen, bei deren Senkung würde Schwarzarbeit von
ganz alleine verschwinden.
({15})
Nehmen Sie bitte folgende Tatsache zur Kenntnis: Seit
1998 - hören Sie einmal zu, Herr Kolb! - haben sich in einem mittelständischen Betrieb mit einer Bruttolohnsumme von ungefähr 250 000 Euro - das sind ungefähr
acht Beschäftigte - die Aufwendungen für die Arbeitgeberbeiträge zur Rentenversicherung um 1 534 Euro reduziert. Wir haben tatsächlich die Aufwendungen für Sozialversicherungsbeiträge reduziert.
({16})
Gleichzeitig sagen Sie, die Schwarzarbeit nehme zu, weil
wir sie erhöht hätten. Irgendetwas stimmt mit Ihrer Argumentation nicht. Sie müssen einfach einmal zur Kenntnis
nehmen: Ihre Argumentation ist schlichtweg falsch.
({17})
Ich will Ihnen sagen, warum die Schwarzarbeit zunimmt. Schwarzarbeit hat im Wesentlichen etwas mit
Moral zu tun.
({18})
Schwarzarbeit hat ganz erheblich mit mangelndem Unrechtsbewusstsein zu tun.
({19})
Der Weg von Schwarzgeld zu Schwarzarbeit ist bei
schwindendem Unrechtsbewusstsein leider sehr kurz geworden. Auch da liegen die Ursachen.
({20})
Die Moral einiger Politiker in diesem Land ist durch Gesetze nicht zu verändern. Das wissen wir. Deswegen brauchen wir Kontrollen und auch Sanktionen.
Die Mitverantwortlichen dafür, dass die Moral in diesem Land eben nicht erneuert, sondern total fehlgesteuert
wurde und den Bach heruntergegangen ist, sollten sich
dieser Verantwortung bewusst sein, an diesem Gesetz
konstruktiv mitarbeiten und nicht ständig von Deregulierung reden. Ich hoffe, dass Sie darüber einmal ein bisschen nachdenken.
({21})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf den Drucksachen 14/8221 und 14/8288 an die
an der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse und zu-
sätzlich an den Ausschuss für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen vorgeschlagen. Sind Sie damit einver-
standen? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 12 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Klaus Riegert, Ilse Aigner, Marie-Luise
Dött, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung ehrenamtlicher Tätigkeiten in
Vereinen und Organisationen
- Drucksache 14/5224 ({0})
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
- Drucksache 14/6218 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Bernd Scheelen
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({2}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Peter
Letzgus, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Gemeinnützige Vereine von hohen Energiekosten entlasten
- Drucksachen 14/4386, 14/5196 Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Barthle
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Michael Bürsch, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Vor zwei Jahren hat der Bundestag
eine Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ ins Leben gerufen. Das Thema
heute hat mit dem weitreichenden Thema der EnqueteKlaus Wiesehügel
Kommission zu tun. Deshalb freue ich mich über die
Möglichkeit, in der heutigen Debatte ein paar grundsätzliche Worte zu sagen. Ich möchte fünf Anmerkungen
machen.
Erstens. Vereine und andere Organisationen sind maßgebliche Träger der Bürgergesellschaft und des bürgerschaftlichen Engagements. Dies gilt quantitativ: Laut
Freiwilligensurvey von 1999 gibt es in Deutschland rund
22 Millionen Engagierte, die Hälfte davon in Vereinen
und Verbänden. Qualitativ betrachtet bilden Vereine und
andere Organisationen sozusagen den Kernbereich der
Bürgergesellschaft. Sie ermöglichen gesellschaftliche
Selbstorganisation, geben dem dritten Sektor Gewicht gegenüber Staat und Wirtschaft, sie geben dem Engagement
Halt und Dauer und sie vermitteln und stärken soziale und
bürgerschaftliche Kompetenzen wie Verantwortungsübernahme, Konfliktfähigkeit und Gemeinwohlorientierung. Letztlich tragen sie dadurch zum gesellschaftlichen
Zusammenhalt bei.
Zweitens. Bürgerschaftliches Engagement ist nicht auf
materiellen Gewinn ausgerichtet. Wer sich bürgerschaftlich engagiert, übernimmt gemeinnützig Verantwortung
für andere als Bürgerin oder Bürger. Diese freiwillige
Selbstverpflichtung schließt sicher ein Eigeninteresse
nicht aus, wohl aber das Motiv der materiellen Gewinnerzielung. Steht Verdienst oder auch geringfügige Beschäftigung im Mittelpunkt, kann nicht mehr von bürgerschaftlichem Engagement die Rede sein. Aus der Perspektive
der Vereine heißt das: Ein zu großzügiger Umgang mit
materiellen Vergütungen oder Aufwandsentschädigungen, die über den tatsächlich entstandenen Aufwand
hinausgehen, untergraben die Freiwilligkeit bürgerschaftlichen Engagements und setzen unter Umständen eine
Anspruchsspirale in Gang, die es immer schwerer macht,
überhaupt noch Menschen für eine unentgeltliche Mitarbeit zu gewinnen. Daraus folgt: Eine Ausdehnung steuerfreier Vergütungen für bürgerschaftliches Engagement
widerspricht letzten Endes dem Spezifikum bürgerschaftlichen Engagements, nämlich der Unentgeltlichkeit.
Drittens. Die Vereine sind herausgefordert, sich in
Organisation und Alltagspraxis auf gewandelte Motive
und Erwartungen bürgerschaftlichen Engagements einzustellen. Ein genereller Rückgang der Bereitschaft, Verantwortung in Vereinen und anderen Organisationen zu
übernehmen, lässt sich nach den uns vorliegenden Erkenntnissen nicht feststellen. Allerdings verändern sich
die Motive und Erwartungen der Engagierten: Eigeninteresse und Gemeinwohlorientierung gehen eine neue
Verbindung ein; diese Verknüpfung zum Ausgangspunkt
für veränderte Formen bürgerschaftlichen Engagements
zu machen scheint wichtig. Viele Engagierte wollen auch
keine langfristigen Bindungen mehr übernehmen; insofern wachsen die Anforderungen an ihre Betreuung, an
ihre Fortbildung und auch an die Mitgestaltungsmöglichkeiten, die man ihnen einräumen muss. In diesen veränderten Motiven der Engagierten liegt auch eine Hauptursache für Nachwuchsprobleme in manchen Bereichen
des Ehrenamts, zum Beispiel im Sport. Das bedeutet: Für
Vereine liegt eine entscheidende Aufgabe darin, institutionelle Passungen - wie die Fachleute sagen - zu entwickeln; das heißt, die veränderten Motive und Erwartungen der Engagierten und die Anforderungen der Organisationen wie Verlässlichkeit und Kompetenz besser als
bisher einander anzupassen.
Viertens. Die Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements wird nicht vorrangig durch materielle Anreize gesichert, sondern durch die Entwicklung einer umfassenden Anerkennungskultur - in Vereinen und Verbänden
ebenso wie in Wirtschaft und Verwaltung.
({0})
Anerkennung kann sich in vielerlei Hinsicht zeigen:
Durch Ehrungen und symbolische Aufmerksamkeiten,
aber noch mehr durch vielfältige Formen von Wertschätzung und Würdigung kann deutlich gemacht werden, dass
dieses Engagement gewünscht, gewollt und möglich ist.
({1})
Auch Weiterbildung ist eine Form der Anerkennung:
Menschen, die sich engagieren, erwerben durch ihr Engagement vielfältige Kompetenzen. Qualifizierung im Engagement und für Engagement gewinnt insoweit zunehmende Bedeutung.
Fünftens. Der Bundesgesetzgeber kann Vereine und
andere Organisationen durch die Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen stärken: Erstes und wichtigstes Ziel dabei scheint mir der Schutz der Engagierten
vor unkalkulierbaren Risiken, Schäden und Haftungen zu
sein. Die Enquete-Kommission befindet sich zurzeit in
Gesprächen mit Verbänden und der Versicherungswirtschaft und wird dem Parlament zu diesem Thema im Abschlussbericht konkrete Handlungsempfehlungen unterbreiten. Freiwilligkeit und Selbstorganisation sind aus
unserer Sicht zentrale Kennzeichen bürgerschaftlichen
Engagements in Vereinen und anderen Organisationen der
Bürgergesellschaft. Insofern sind die Organisationen
selbst die ersten Akteure und auch die ersten Ansprechpartner, wenn es um die Entwicklung nachhaltig fördernder Strukturen für bürgerschaftliches Engagement
geht.
Der Staat wirkt hierbei vor allem ermöglichend, ermunternd und ermutigend. Während materielle Vergünstigungen einseitige und unter Umständen sogar falsche
Anreize setzen, trägt die Stärkung des bürgerschaftlichen
Engagements und die Stärkung des Schutzes von bürgerschaftlich Engagierten zur Verbesserung der institutionellen Rahmenbedingungen des Engagements bei.
Bei der heutigen Debatte sind wir uns in einem Punkt
sicherlich einig - da schließe ich mich gerne einem Satz
aus dem Entschließungsantrag der CDU/CSU an -:
Vereine müssen gestärkt werden, damit Bürgerinnen
und Bürger ermutigt werden, sich für den Verein und
ihre Mitmenschen zu engagieren.
({2})
Wo Sie Recht haben, Herr Barthle, haben Sie Recht.
Die Enquete-Kommission wird mit ihren Empfehlungen deutliche Zeichen für ein vereinsfreundliches Klima
in Deutschland setzen - und das ist gut so.
Vielen Dank.
({3})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Norbert Barthle, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege
Bürsch, Sie haben über die Inhalte der Enquete-Kommission sehr schön berichtet. Aber ich erlaube mir - bei aller
Wertschätzung - die Anmerkung, dass man in der Schule
sagen würde: Thema verfehlt. Wir diskutieren heute nämlich über einen Gesetzentwurf aus dem Jahr 2001 und einen Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aus dem
Jahr 2000. Zwischenzeitlich ist mehr als ein Jahr vergangen, bis wir in zweiter und dritter Lesung über diesen
Gesetzentwurf endlich debattieren. So „eilig“ hatte es also
diese Bundesregierung, sich mit unseren Vorschlägen zur
tatsächlichen Stärkung ehrenamtlicher Tätigkeiten in Vereinen und Organisationen auseinander zu setzen.
({0})
Warum so viel Zeit vergangen ist, erklärt sich schnell,
wenn man auf die Inhalte schaut. Da geht es nämlich
tatsächlich um konkrete Maßnahmen zur Verbesserung
der Rahmenbedingungen.
({1})
Wenn es darum geht, schöne Veranstaltungen zu organisieren - gerade ist das Jahr des Ehrenamts abgelaufen -,
wenn es darum geht, rhetorisch wohlklingende Reden
auszuformulieren, wenn es darum geht, schöne Prospekte
und Werbematerialien zu erstellen, dann ist diese Regierung fleißig. Wenn es aber um konkretes Handeln geht,
dann wird die Luft dünn.
({2})
- Ich weiß schon, warum Sie nach den Fakten rufen. Sie
haben die Übungsleiterpauschale auf 3 600 DM erhöht
und den Berechtigtenkreis erweitert.
({3})
Sie haben die Lohnsteuerrichtlinie für die Feuerwehrleute
verändert und Sie haben - der Kollege hat darauf ausführlich hingewiesen - eine Enquete-Kommission zur
Förderung des bürgerschaftlichen Engagements eingesetzt. Das will ich gar nicht kritisieren. Im Gegenteil: Da
wird sogar gute Arbeit geleistet.
({4})
Aber das allein genügt eben nicht. Es reicht nicht aus,
eine Enquete-Kommission einzusetzen, die ihre Vorschläge zum Ende der Legislaturperiode vorlegt und die
daraus zu ziehenden Konsequenzen der nächsten Regierung überlässt.
({5})
- So machen wir es dann. - Dieses Vorgehen genügt auch
deshalb nicht, weil Sie die Vereine in den dreieinhalb Jahren Ihrer Regierungszeit nicht entlastet, sondern belastet
haben, und zwar durch Ihre unseligen Gesetze zu den
630-DM- bzw. 325-Euro-Jobs, durch die Regelung zur
Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit und durch die
von Ihnen eingeführte Ökosteuer. Damit haben Sie die
Vereine wirtschaftlich geschwächt.
({6})
Vor allem haben Sie zusätzliche Bürokratie geschaffen
und damit viele Menschen entmutigt, sich zu engagieren.
({7})
Man muss so weit gehen und sagen: Diese Gesetze haben
in der Vereinslandschaft wie eine Bombe eingeschlagen
und die Kollateralschäden sind bis heute nicht beseitigt.
({8})
Die von Ihnen eingeführte ungerechte und unsoziale
Ökosteuer stellt für unsere gemeinnützigen Vereine eine
erhebliche Belastung dar. Ehrenamtlich Tätige, Eltern und
Betreuer, die zum Beispiel Kinder zu Veranstaltungen
fahren, werden durch diese Ökosteuer belastet. Sie verteuern die Benutzung von Schwimmbädern, Vereinsheimen, Hallen, Übungsstätten von Musikvereinen. Sie
langen überall dort zu, wo Energie verbraucht wird, und
zwar ohne jeden Ausgleich. Eine Ermäßigung erhalten
nur diejenigen Unternehmen, die möglichst viel Energie
verbrauchen, während Sie die Vereine hängen lassen.
Eine Umfrage unter den großen Sportvereinen hat gezeigt, dass sie allein durch die Ökosteuer im Jahr durchschnittlich mit 8 740 DM zusätzlich belastet werden. Die
größeren Vereine, die selbst Anlagen betreiben, werden
direkt belastet. Ein Verein wie der TSC Eintracht Dortmund hat im vergangenen Jahr allein 28 000 DM Stromsteuer - nicht Stromkosten - gezahlt. Da schlägt Ihre
Steuererhöhung ordentlich zu Buche. Die kleineren Vereine, die keine eigenen Anlagen betreiben, sehen sich vor
die Situation gestellt, dass die Träger die Nutzungsentgelte anheben, häufig unter Verweis auf die gestiegenen
Energiekosten.
Während Sie für Pendler, für Wohngeldbezieher und
auch für die Landwirtschaft einen entsprechenden Ausgleich für die Belastungen durch die Ökosteuer geschaffen haben, lassen Sie unsere Vereine im Regen stehen.
Diese Ungleichbehandlung, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, müssen Sie den Menschen draußen
erklären, und zwar am besten, Herr Kollege Bürsch, bevor wir von einer neuen Kultur der Freiwilligkeit reden.
({9})
- Ich komme darauf zurück. - Lassen Sie mich noch einmal auf § 3 Nr. 26 des Einkommensteuergesetzes eingehen, die so genannte Übungsleiterpauschale. Wenn wir
uns recht erinnern, konnte die Übungsleiterpauschale in
der SPD-Fraktion nur gegen den Widerstand des Finanzministers durchgesetzt werden. Der Finanzminister ist
übrigens derselbe Herr Eichel, der noch 1998 als
Ministerpräsident in Hessen die Erhöhung gefordert hatte.
({10})
- Das können Sie nachlesen. - Dies geschah auch nur, um
die durch die Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse entstandene bürokratische Belastung
einigermaßen auszugleichen. Das war die Begründung.
Tatsache ist aber - so können wir im Freiwilligensurvey von 1999 nachlesen -, dass gerade einmal ein Drittel
der im Bereich des Sports Engagierten überhaupt eine
Kostenerstattung und lediglich 7 Prozent eine pauschalierte Aufwandsentschädigung erhalten.
({11})
Mit der Erhöhung der Übungsleiterpauschale entlasten
Sie also nur jene ehrenamtlich Tätigen, die in den Genuss
dieser Regelung kommen. Das bürgerschaftliche Engagement in unseren Vereinen und Organisationen wird aber
ganz wesentlich von einem viel weiteren Personenkreis
getragen, und das sind eben nicht nur die durch § 3 Nr. 26
des Einkommensteuergesetzes Begünstigten.
({12})
Das sind vor allem auch die Funktionsträger, das sind die
Vorstandsmitglieder, die Jugendleiter, die Schatzmeister,
die Schriftführer, aber auch zum Beispiel Platzwarte,
Zeugwarte oder sonstige Helfer.
({13})
Deshalb fordern wir, die CDU/CSU-Fraktion, Sie auf,
die Regelungen zu den steuerfreien Einnahmen nach § 3
Nr. 26 des Einkommensteuergesetzes so zu gestalten, dass
zumindest die ehrenamtlich tätigen Vorstandsmitglieder
und Funktionsträger erfasst werden. Darüber hinaus sollten nach unserer Meinung die ehrenamtlich tätigen Helfer
und Mitarbeiter durch eine allgemeine steuer- und sozialversicherungsfreie Ehrenamtspauschale von 600 Euro pro
Jahr entlastet werden.
({14})
Wir haben diese und weiter gehende klare Vorschläge vorgelegt; ich will jetzt nicht im Einzelnen darauf eingehen.
Meine Damen und Herren, wir alle freuen uns in diesen Tagen über die hervorragenden Erfolge unserer Sportler, vor allem unserer Sportlerinnen, in Salt Lake City, denen ich auch von dieser Stelle aus nochmals ganz herzlich
gratuliere.
({15})
Aber eines muss man sagen: Von nichts kommt nichts,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
({16})
Wenn wir auch in Zukunft konkurrenzfähig bleiben wollen, müssen wir heute die Grundlagen für künftige Erfolge
schaffen.
({17})
Dazu gehört zu allererst eine Neuregelung der 325-EuroJobs und eine Änderung der Regelung zur Scheinselbstständigkeit. Damit würden Sie bürokratische Entlastungen für unsere Vereine schaffen.
Bis zum heutigen Tag ist übrigens auch die Frage der
Sozialversicherungspflicht im Zusammenhang mit der
Übungsleiterpauschale völlig unklar.
({18})
Tatsache ist nämlich, dass auch nach dem Gespräch der
Bundesregierung mit den Sozialversicherungsträgern und
nach entsprechenden Schreiben, die über die Spitzenverbände ins Land hinausgingen, wonach ein Betrag von
940 DM monatlich für Übungsleiter sozialabgabenfrei sein
sollte, sofern diese bis maximal 15 Stunden wöchentlich
tätig sind, im Lande größte Unklarheit herrscht. Die Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg hat mit dem
Verband Deutscher Rentenversicherungsträger Kontakt
aufgenommen und von dort die Antwort erhalten, dieser
Vereinbarung werde nicht zugestimmt und in der Sozialversicherung gelte weder eine Entgeltgrenze - mit Ausnahme der 3 600 DM pro Jahr - noch eine Stundengrenze.
Nach dieser Antwort, liebe Kolleginnen und Kollegen von
Rot-Grün, weiß draußen im Lande nun wirklich niemand
mehr, wie eigentlich zu verfahren ist. Wenn man sich das
Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung anschaut, wundert man sich darüber auch nicht.
Darin steht klipp und klar, dass in jedem konkreten
Einzelfall die vorliegenden Umstände einzeln geprüft und
gewürdigt werden müssen.
({19})
- Dazu brauchen wir vor allem wieder viel Bürokratie.
Lassen Sie mich noch kurz auf die Neuregelung für die
Feuerwehrleute eingehen.
({20})
Unser bzw. Ihr Bundeskanzler Gerhard Schröder hat beim
Feuerwehrtag versprochen, die Gleichstellung mit den
kommunalen Mandatsträgern herzustellen. Auch dieses
Versprechen wurde nur zum Teil eingelöst. Während für
die kommunalen Mandatsträger ein gestaffelter Betrag
nach der Anzahl der Einwohner der Kommune gilt, erhalten die Feuerwehrleute nun pauschal 300 DM pro Monat
steuerfrei.
({21})
Wenn ein Feuerwehrmann in einem Monat zufällig viele
Einsätze hat - weil vielleicht der Feuerteufel umgeht und er eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 301 DM
erhält, wird er für den gesamten Betrag steuer- und abgabepflichtig.
({22})
Es wäre also viel klüger gewesen, statt einer Monatspauschale eine Jahrespauschale einzuführen. Damit wäre
den Feuerwehren wirklich geholfen gewesen. Auch hier
gilt der Satz: Hätten Sie uns vorher gefragt, hätten wir Ihnen gesagt, wie man besser regiert. Man kann es nämlich
besser machen.
({23})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns in der
Einschätzung der Aufgaben, die unsere Vereine in unserer
Gesellschaft wahrnehmen, einig. Wir wissen, dass die
Vereine Ausdruck einer lebendigen, leistungsfähigen und
solidarischen Bürgergesellschaft sind. Mit ihrer sozialen
Integrationskraft schaffen sie eine ganz wesentliche
Klammer über alle Bevölkerungsschichten und -kreise
hinweg. Wir wissen, dass Dank und Anerkennung in diesem Bereich eigentlich Selbstverständlichkeiten sind. Anerkennung heißt aus unserer Sicht aber vor allem, dass
entbürokratisiert wird, dass für den Aufwand eine pauschale Entschädigung gezahlt wird und dass es zu Erleichterungen bei Haftungsfragen kommt.
({24})
Ich hoffe, dass Sie an dieser Stelle noch zu entsprechenden Lösungen finden. Wir haben mit unseren Gesetzesanträgen Vorschläge gemacht. Deshalb fordere ich Sie
auf: Stärken Sie unsere Vereine, geben Sie unseren Bürgerinnen und Bürgern wieder mehr Mut, sich im Verein
für ihre Mitmenschen zu engagieren, setzen Sie ein Zeichen für ein vereinsfreundliches Klima und handeln Sie
vor allem einmal konkret.
({25})
Reden Sie nicht nur darüber, sondern folgen Sie unseren
Vorschlägen und stimmen Sie unseren Anträgen zu. Dann
wird es für unsere Vereine in diesem Lande besser.
Vielen herzlichen Dank.
({26})
Ich erteile Kollegin
Franziska Eichstädt-Bohlig, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes habe ich verstanden, dass die Erfolge
von Salt Lake City offenbar noch nicht ausreichen.
({0})
Von nichts kommt nichts. Ich hatte es vorhin fast so verstanden, dass wir in Richtung DDR-Strategie gehen sollten;
({1})
denn nur, wenn Deutschland 100 Prozent der Medaillen
gewinne, sei es international verträglich. Ich gönne auch
anderen Ländern ein paar Medaillen und finde, dass wir
in Salt Lake City sehr gut abgeschnitten haben.
({2})
Als Zweites habe ich verstanden, dass die CDU/CSU
wieder einmal die Spendierhosen anhat. Ich habe eben darüber nachgedacht, wie der blaue Brief bzw. die rote Karte
aus Brüssel ausgesehen hätte, wenn wirklich all das, was
Sie uns von diesem Podium aus vorgeschlagen haben, gemacht worden wäre. Ständig reden Sie von vorgezogenen
Steuersenkungen. Gleichzeitig haben Sie eine spendable
Art, mit Staatsausgaben umzugehen.
({3})
Ich kann nur sagen: Herzlichen Glückwunsch, das gäbe
nur noch rote Karten, sodass man ganz vom Feld gehen
könnte. Das alles sollten Sie sich für die Zukunft wirklich
überlegen. Ich glaube, wir leben in einer Zeit, in der auch
Oppositionsparteien anfangen müssen, sich zu fragen, ob
sie das, was sie der Bevölkerung versprechen, auch wirklich halten können.
({4})
Ich denke, das gehört sich für eine seriöse Politik, und
zwar nicht nur für die Regierungskoalition, sondern auch
für die Opposition. Weil Sie das einfach nicht können,
werden Sie in der Opposition bleiben.
({5})
Zum Praktischen: Als Erstes möchte ich als Grüne
natürlich etwas zu Ihrer Dauerschallplatte Ökosteuer sagen, weil dieses Thema immer wieder angesprochen wird.
({6})
Wir bekommen in jeder Sitzung auf den Tisch, dass unsere Gesellschaft an der Ökosteuer zusammenbricht. Das
ist offenbar auch in Salt Lake City der Fall.
Sie behaupten tatsächlich, dass die Ökosteuer zu so
sensationellen Energiekosten geführt hat, dass ganze Vereine nicht mehr arbeiten können und praktisch kurz vor
dem Zusammenbruch stehen. Bei Ihrem Antrag hatte ich
ein wenig das Gefühl, dass Sie sich hauptsächlich über
Vereine zum Üben von Formel-1-Rennen Sorgen machen.
({7})
Ich verstehe ehrlich gesagt nicht ganz, welche Zielsetzung
Sie hier haben.
Die Regierung hat an sehr vielen Stellen, besonders im
Bereich der Energiepreise, deutliche Anreize für einen
sparsamen Umgang geschaffen. Die Praxis zeigt, dass gerade Vereine - jedenfalls die Vereine, die ich kenne - sehr
bewusst und verantwortungsvoll mit Energie umgehen,
weil sie die Zeichen der Zeit verstanden und Umweltengagement in ihre Vereinsziele mit einbezogen haben.
Von daher habe ich das Gefühl, dass Sie mit den falschen
Vereinen Kontakt haben bzw. mit denen, die die künftigen
Generationen nicht im Blick haben und den Klimaschutz
nicht ernst nehmen wollen. Ich kenne Vereine, bei denen
das anders ist, und finde es gut, dass es viele Vereine gibt,
die unsere Ziele positiv unterstützen.
({8})
- Doch, doch, da machen Sie sich mal keine Sorgen. Es
gibt viele umweltengagierte Vereine.
Ich möchte in diesem Zusammenhang einmal eines der
CDU-geführten Länder loben. Es gibt in einigen Bundesländern staatlich geförderte Ökochecks, beispielsweise
für Sportvereine. Das Umweltministerium von BadenWürttemberg engagiert sich in diesem Bereich sehr stark.
({9})
Es hat Anlagen von 50 Sportvereinen auf ihre Umweltverträglichkeit hin untersucht, Schwachstellen in der Energieversorgung aufgezeigt und den Vereinen geholfen,
Konzepte zu entwickeln, die dann auch gefördert werden,
um die Umstellung von starkem Energieverbrauch auf
Energieeffizienz voranzutreiben. Auch der Landessportbund Hessen fordert eine bessere Vernetzung der Vereine
untereinander, damit das Know-how des Energiesparens
im Vereinsleben weitergegeben werden kann.
Es gibt also in unserer Gesellschaft praktische Schritte
zu einem energieeffizienten Umgang, ohne dass es immer
gleich um mehr Geld geht. Das Energiesparen selbst spart
irgendwann auch Geld.
({10})
Als Zweites möchte ich etwas zu der Forderung nach
Steuererleichterungen in Ihrem Gesetzentwurf sagen. Immerhin haben Sie zur Kenntnis genommen, dass wir die
Übungsleiterpauschale von 3 600 DM - das war ja noch
zur Zeit der D-Mark - auf 4 800 DM angehoben haben.
({11})
- Entschuldigung, jetzt war ich in der falschen Zeile. Sie
fordern die weitere Anhebung, wir haben die Pauschale
überhaupt erst auf 3 600 DM angehoben. Das war eine
Steigerung um 50 Prozent.
({12})
Außerdem haben wir durch das neue Stiftungsrecht
die Möglichkeit von Spenden für Vereine verbessert, sodass jetzt sehr viel mehr gespendet werden kann. Wir haben das Steuerrecht und das Stiftungsrecht insgesamt verbessert. Auch dadurch wird die Gesellschaft in ihrem
bürgerschaftlichen Engagement sehr unterstützt.
Wir haben in der Enquete-Kommission begonnen, zu
prüfen, wie bürgerschaftliches Engagement weiter gestärkt und die Gesellschaft in Zukunft aktiv an gesellschaftlichen Aufgaben beteiligt werden kann.
({13})
- Eine Enquete-Kommission macht ihre Arbeit, erstellt
einen Schlussbericht, gibt Empfehlungen und dann ziehen wir politische Schlussfolgerungen. Ich glaube,
Sie sollten einmal prüfen, ob und wie stark Sie dann
noch da sind und ob Sie die richtigen Schlussfolgerungen ziehen.
({14})
Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass Sie die Modernisierung des bürgerschaftlichen Engagements nicht
aktiv mittragen wollen. Ich finde es gut und richtig,
wenn wir Sportvereine, Kleingärtner- und Feuerwehrvereine haben. Aber es kann nicht das einzige Ziel sein,
vorhandenen Vereinen mehr Geld zu geben und mehr
Steuererleichterungen zu verschaffen. Von daher ist der
Ansatz, den wir jetzt haben, sehr richtig und wichtig:
Erst einmal diskutieren wir darüber, wie wir das bürgerschaftliche Engagement in der Gesellschaft, auch bei
den jüngeren Generationen, ausweiten können, und dann
diskutieren wir darüber, wann und wie wir es fördern
wollen.
({15})
- Wir diskutieren nicht nur, sondern wir handeln auch.
Das habe ich Ihnen eben am Beispiel des Stiftungswesens,
der Übungsleiterpauschale und auch unseres Umgangs
mit dem Steuerrecht dargelegt.
({16})
Als Letztes will ich in Ihre Richtung Folgendes sagen:
Wir haben ausgerechnet, dass die Umsetzung der Forderungen in Ihrem Gesetzentwurf und in Ihrem Antrag
13 Milliarden Euro kosten würde. Ich muss Sie deshalb
ernsthaft fragen, ob Sie wirklich meinen, dass man mit solchen falschen Versprechungen an die Öffentlichkeit treten
sollte. Meiner Meinung nach sollte man entsprechende
Maßnahmen sehr viel differenzierter und sozusagen kleinteiliger prüfen.
({17})
Wir sind uns alle einig, dass wir das bürgerschaftliche
Engagement stärken müssen. Wir dürfen aber nicht die
falsche Versprechung machen, wir könnten alles geben,
ohne dass die Bürger ihrerseits etwas einbringen. Die
Vereinskultur in unserem Lande ist sehr viel weiter, als
Sie es suggerieren, weil sich eben sehr viele Bürger in einem sehr hohen Maße engagieren und damit dieser Gesellschaft ein Stück Bürgerkultur geben und auch in Zukunft geben wollen.
Wir werden differenziert vorgehen und nicht einfach
versuchen, nur mit Geld diese Dinge anzupacken. Wir
werden in der nächsten Legislaturperiode in diesem Bereich Zeichen setzen, um ihn zu stärken.
({18})
Dies wird aber nicht nach dem Formel-1-Prinzip geschehen, wie Sie sich das wünschen.
({19})
Ich erteile dem Kollegen Gerhard Schüßler, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Erstens, Frau Kollegin
Eichstädt-Bohlig: Ich habe selten einen Beitrag von Ihnen
gehört, der so wenig Sachkenntnis zeigte wie der, den Sie
hier über die aktuelle Situation von Vereinen vorgetragen
haben.
({0})
Zweite Bemerkung. Sie beziehen sich auf die Arbeit in
der Enquete-Kommission. Ich kann dazu nur feststellen,
dass die Vertreter der Grünen in der Enquete-Kommission
in aller Regel durch Abwesenheit glänzen.
({1})
Vor circa vier Wochen hat der Bundestag über die
Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion bezüglich der Situation der Vereine in Deutschland debattiert. Sowohl
diese Anfrage als auch der vorliegende Antrag und Gesetzentwurf haben den gleichen Geist. Im Verlaufe des
Jahres 2000 hat sich mehr als deutlich gezeigt, dass die
vielen Gesetzesänderungen der rot-grünen Regierungsmehrheit den Vereinen große Lasten aufgebürdet haben.
({2})
Wer das bestreitet, Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, hat
von der Vereinsarbeit keine Ahnung.
({3})
Bis heute hat sich die Situation nicht geändert.
Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Die Bundesregierung hat gerade mit dem 325-Euro-Gesetz den Vereinen massiv geschadet.
({4})
Auf die Vereine ist ein riesiger Verwaltungsaufwand zugekommen, da statt der pauschalen Versteuerung nun verschiedene Renten- und Krankenversicherungsbeiträge
auszurechnen und an unterschiedliche Kassen abzuführen
sind. Mit Aufwandsentschädigungen unter 325 Euro
wurde in der Vergangenheit häufig das äußerst zeit- und
kostenintensive ehrenamtliche Engagement einiger Mitglieder abgemildert, auf das ein Verein nicht verzichten
kann. Vereine können nun einmal keine Lohnbüros unterhalten.
Am Rande bemerkt: Das Schöne für die Bundesregierung war ja, dass die ehemalig geringfügig Beschäftigten
mit einem Schlag sozialversicherungspflichtig Beschäftigte waren und damit voll in der Statistik gezählt worden
sind.
({5})
Das ist ein phänomenales Ergebnis: Der Ehrenamtler im
Verein mit seiner Aufwandsentschädigung wird plötzlich
zum Aktivposten in Schröders Arbeitsmarktstatistik.
({6})
- Nein, Frau Kollegin, das ist ein primitiver Versuch, die
Menschen zu täuschen.
Die CDU/CSU-Fraktion hat Recht - wir teilen diese
Meinung -, wenn sie die gestiegene wirtschaftliche Belastung der Vereine, hervorgerufen vor allem durch die
Ökosteuer, beklagt.
({7})
Da können Sie so viel reden, wie Sie wollen: Diesem
Vorwurf können Sie sich nicht entziehen.
({8})
Gerade die Vereine, die eigene Anlagen und Schwimmbäder unterhalten, was ja in einem hohen Maße den Staat
entlastet, sind in besonderer Weise belastet.
({9})
Lassen Sie sich die Zahlen einmal geben! Dann werden
Sie erkennen, dass Sie nicht so wie bisher reden können.
Aber auch die mittleren und kleinen Vereine sind indirekt dadurch betroffen, dass die Kommunen ihre gestiegenen Kosten durch Gebührenerhöhungen auf die Vereine umlegen.
({10})
Wie ist nun dagegen vorzugehen? Die Vorschläge der
CDU/CSU-Fraktion zielen darauf, die wirtschaftlichen
und administrativen Belastungen der Vereine durch rotgrüne Gesetzeswerke punktuell zu kompensieren. Dies
ist nur verständlich; wir haben dafür große Sympathien
gezeigt.
Doch damit lassen sich nur kleine Etappensiege herbeiführen, die das Steuerchaos letztlich weiter vergrößern. Wenn der Übungsleiterfreibetrag gemäß § 3
Nr. 26 Einkommensteuergesetz beispielsweise auf nebenberufliche pädagogische, künstlerische, pflegende und organschaftliche Tätigkeiten ausgedehnt werden soll, dann
birgt das - das ist voraussehbar - viele neue Schwierigkeiten. Zum einen ist fraglich, ob damit erfasste Nebenberufe notwendigerweise etwas mit einem Ehrenamt
zu tun haben. Zum anderen lässt die Weite der Ausdehnung befürchten, dass es zu missbräuchlichen Gestaltungen kommt. Als Teil einer unendlichen Geschichte würde
der Gesetzgeber zur Beschränkung wieder Regeln in § 3
Nr. 26 Einkommensteuergesetz hineinarbeiten müssen. In
Zukunft würde wieder - wie jetzt in der Enquete-Kommission „Bürgerschaftliches Engagement“ - die Klage
über viel zu komplizierte gesetzliche Rahmenbedingungen geführt.
({11})
Die FDP-Bundestagsfraktion fordert daher für den
gesamten gemeinnützigen Sektor eine grundlegende
Reform des Steuerrechts. Neben den wichtigen allgemeinen Maßgaben der Vereinfachung und Tarifsenkung
muss im Steuerrecht für den gemeinnützigen Sektor unter
anderem Folgendes gelten:
Erstens. Das Gemeinnützigkeitsrecht wird vom Grundsatz her neu konzipiert; denn das jetzige spiegelt noch den
Obrigkeitsstaat des 19. Jahrhunderts wider und entspricht
nicht den Erfordernissen einer offenen, pluralistischen
Bürgergesellschaft des 21. Jahrhunderts.
Zweitens. Die jetzt bestehenden punktuellen Privilegierungstatbestände werden zugunsten genereller Regelungen abgeschafft, da sie ungerecht sind und historisch
auf die Stärke einzelner Lobbygruppen zurückzuführen
sind.
Drittens. Die Bürger werden so weit entlastet, dass sie
mehr Freiraum für bürgerschaftliches Engagement haben.
Die leicht anwendbare Gewährung von Frei- oder Pauschbeträgen ersetzt den Wust an Detailregelungen.
Für die FDP ist klar, dass der Staat seiner Verpflichtung
hinsichtlich vernünftiger Rahmenbedingungen für ehrenamtliches Engagement nachzukommen hat. Doch statt
des jahrzehntelangen Gezerres um einzelne Privilegien,
dessen Gefechte wir auch heute in der Enquete-Kommission partiell erleben, sollte sich der Gesetzgeber wieder
auf die Grundideen des ehrenamtlichen Engagements besinnen, das auch nur den geringsten Ansatz von Kommerzialisierung verbietet.
({12})
Für mich persönlich war der letzte Sommer entscheidend. Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich nach all den
Anhörungen in der Enquete-Kommission, woran fast ausschließlich Verbandsvertreter beteiligt waren, die Abwechslung gegönnt, Jugendliche aus dem ganzen Bundesgebiet, die persönlich ehrenamtliche Arbeit leisten und
Beachtliches getan haben, einzuladen. Besonders nachdrücklich haben sie vor der zunehmenden Kommerzialisierung des Ehrenamtes gewarnt.
({13})
Viel entscheidender sei, so die jungen Menschen, die Verringerung der bürokratischen Hürden und der bessere
Zugang zum ehrenamtlichen Engagement, verbunden mit
einer gewissen Ausbildungsvoraussetzung, um ehrenamtliches Engagement auch tatsächlich leisten zu können.
({14})
Der Bundestag sollte verstärkt sein Augenmerk auf diese
einfachen, aber vom Grundsatz her einzig richtigen Ideen
legen.
Danke schön.
({15})
Ich erteile dem Kollegen Gustav-Adolf Schur, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Werte
Kolleginnen und Kollegen! Alles, was Rang und Rahmen
hat, jettet zurzeit zu den Olympischen Spielen und feiert
sich und die deutschen Medaillengewinner.
({0})
Sogar der Sportkoordinator der Bundeswehr erklärt: „Wir
als Bundeswehr haben von unserem Parlament den Auftrag erhalten, uns um den Leistungssport zu kümmern“,
was ich so präzise bislang nicht kannte.
Aber wo bleiben in diesen Stunden die Glückwünsche
für die Ehrenamtlichen,
({1})
die die Sieger von Salt Lake City irgendwann in der
Schule oder im Verein für den Sport gewonnen haben, die
für den ersten Anstoß, für die erste Begeisterung sorgten?
Bereits im September 1999 habe ich mich bei der Beratung eines Gesetzentwurfs zur Stärkung des Ehrenamts
geäußert. Die heutige Kopplung mit dem Antrag zur Energiekostensenkung für gemeinnützige Vereine vom November 2000 halte ich für angebracht. Hierbei geht es um
Energie, die durch Kabel und Drähte geleitet wird. Ich
meinte eingangs aber solche Energie, die Tausende jeden
Tag in Vereinen aufbringen, um junge Menschen für den
Sport zu begeistern. Diese Energie wurde über Jahrzehnte
nur unzureichend vergolten. Wenn die Kosten für die andere Energie gesenkt werden, dann hilft immerhin das
- das ist klar - den Ehrenamtlichen.
Ich glaube aber, dass beide Vorlagen zu kurz greifen.
Sie erfassen die Gesamtsituation der deutschen Vereinslandschaft nicht. Bei der öffentlichen Anhörung im
Sportausschuss im November vergangenen Jahres zur
Situation der Sportvereine und der dort ehrenamtlich
Tätigen wurde das von Experten leider sehr eindrucksvoll
bestätigt.
Herr Remberg, Vorsitzender eines Großvereins in
Rheine, sagte - ich zitiere -:
Ich glaube, dass der Sport sowohl vom Sport selbst
als auch von der Politik noch zu wenig als Querschnittsaufgabe gesehen wird. Deshalb fallen in der
Politik und bei den Behörden sehr häufig Entscheidungen, deren Tragweite für den Sport nicht erkannt
wird und die dann die Ehrenamtlichen verunsichern.
Wenn Sie das einmal aus den verschiedenen Politikbereichen betrachten, dann ist sicher Gesundheitspolitik ohne Sport ..., Sozialpolitik ... und auswärtige
Politik ohne Sport nicht denkbar ...
Der Hauptgeschäftsführer des Landessportverbandes
Baden-Württemberg, Rainer Hipp, äußerte sich unter anderem zu Sport und Gesundheitswesen und stellte dazu
eine weit gehende Nichtbefassung durch die Bundespolitik über zehn Jahre hinweg fest. Er zitierte aus der Zeitschrift „Sportmedizin“:
In der Bundesrepublik entstehen jährlich Kosten und
Leistungseinbußen durch Krankheiten in Höhe von
450 bis 500 Mrd. DM. Dies ist eine kaum mehr
finanzierbare volkswirtschaftliche Belastung. Mindestens 30 % davon entfallen auf teilweise vermeidbare degenerative Erkrankungen, vor allem des
Herz-Kreislauf-Systems.
Durch kontinuierliche sportliche Betätigung könnte
also eine Kosteneinsparung in Höhe von 5 Prozent erzielt
werden - eine echte volkswirtschaftliche Größe. Es würde
sich bezahlt machen, in den Sport mehr als bisher zu
investieren, damit Vereine wirklich Sport für jedermann
und nach jedermanns Geschmack anbieten können.
Ich zitiere nochmals Rainer Hipp:
Der Sport will keine Privilegierung. Aber er möchte
eine ungekürzte Güterabwägung unter Einbeziehung
aller Interessen und eine daran orientierte rechtlich
gesicherte Ordnung, ein Konzept, das ihn seine Aufgaben auch erfüllen lässt.
Leider, meine Damen und Herren, ist ein solches Konzept
mit Ihrem Gesetzentwurf und Ihrem Antrag nicht in Sicht.
({2})
Ein Ehrenamtsgesetz, wie vom Deutschen Sportbund in
seinem Katalog von Forderungen an die Bundesregierung
benannt, würde diese Anforderung viel eher entsprechen.
Der Präsident des Deutschen Turner-Bundes, Rainer
Brechtken, sagte in der gleichen Anhörung, dass mit den
schon eingeleiteten Neuregelungen im Vereinsrecht eine
gewisse Entbürokratisierung erfolgt ist, ein Vereinsfördergesetz aber von Vorteil wäre, weil es, ähnlich wie
bei anderen Gesetzen, alle Tatbestände in einem Gesetz
zusammenfassen würde und damit Übersichtlichkeit und
Informationssicherheit gegeben wären. Er sagte aber
auch, dass er aufgrund seiner parlamentarischen Erfahrungen - er war Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg - einer möglichen Realisierung skeptisch gegenüberstehe.
Diese Befürchtung wird durch die mehr als 25-jährige
Schulsportmisere und die defizitäre Entwicklung der Bewegungserziehung im Elementarbereich erhärtet. PISAStudie und Schulsportmisere verlangen im Interesse der
Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet nach einem einheitlichen Bildungssystem.
Die Stellung des Sports im Wertesystem der Gesellschaft ist durch die Praxis neu definiert worden. Eine gesunde, lebensfrohe und leistungsfähige Bevölkerung ist
mehr wert als jede olympische Goldmedaille,
({3})
andererseits aber auch der beste Garant für das Erreichen
von Weltspitzenleistungen.
Ich bedanke mich.
({4})
Ich erteile dem Kollegen Dieter Grasedieck, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU arbeitet wirklich ziemlich flexibel:
({0})
Einmal sagt sie Ja, ein anderes Mal sagt sie Nein zur Ökosteuer. Ab und zu ist dann ein Jein zu hören. 2000 erklärten Sie von der CDU/CSU: Die Ökosteuer ist absolutes
Teufelswerk.
({1})
Im Januar 2002 veränderten sich Ihre Ansichten zum
Teufel. Herr Stoiber, Herr Glos und die Spitzenvertreter
der CDU/CSU sagten dann: Wir wollen die Ökosteuer in
der Zukunft beibehalten. Sie arbeiten nach dem Motto:
Wer nicht überzeugen kann, sollte wenigstens verwirren.
({2})
Die Koalition hat schon vor Jahren eine Gesamtlösung
- und keine Detaillösung - umgesetzt. Wir legen Wert darauf, dass wir bei allen Lösungen verantwortungsvoll vorgehen. Im Gegensatz zur Opposition ist uns das wichtig.
Sie kennen das Wort „Verantwortung“ offensichtlich
nicht. Sie versuchen, den Schuldenberg noch zu erhöhen.
Damit haben wir wirklich Probleme. Sie haben uns ein
Langzeitdesaster hinterlassen.
({3})
Auch in den nächsten zehn Jahren werden wir mit diesem
Langzeitdesaster der Schulden zu kämpfen haben. Wir haben stets verantwortungsvoll gehandelt.
({4})
Sie wollen die Übungsleiterpauschale noch einmal erhöhen. Die Summe ist vorhin schon einmal genannt worden: 13 Milliarden Euro. Wir haben wirklich Wert darauf
gelegt, dass wir den gesamten Ansatz des Ehrenamtes und
nicht nur Details sehen. Das müssten vor allem diejenigen
wissen, die in der Enquete-Kommission zum Ehrenamt
mitgearbeitet haben. Die Koalition hat diese EnqueteKommission eingerichtet, um ein Gesamtbild zu erreichen. Es wäre einfach falsch, Teile des Gesamtbudgets
herauszubrechen. Sie sehen nur Einzelgesichtspunkte und
haben keine langfristigen Konzepte.
Von Ihnen, Herr Barthle, ist vorhin Salt Lake City angesprochen worden. Dort haben wir viel erreicht. Das ist
unter anderem auch ein Verdienst der dreijährigen SPDPolitik.
({5})
Sie haben 16 Jahre lang nichts getan. Wir hingegen - es
ist schon einiges genannt worden - müssen festhalten:
Wir haben gehandelt. Im Unterschied zu Ihnen haben wir
die Übungsleiterpauschale in den letzten drei Jahren von
2 400 auf 3 600 DM erhöht. Wir haben viel erreicht.
({6})
Wir haben das gemacht, weil wir genau wissen, dass
die Übungsleiterarbeit innerhalb unserer Sportvereine
wichtig und entscheidend ist. Es ist wichtig, dass die
Übungsleiterarbeit weiter unterstützt wird. Durch sie wird
Integrationsarbeit und Jugendarbeit betrieben. Die Integrationsarbeit ist vielleicht sogar die wichtigste Aufgabe.
Hier haben wir im Gegensatz zu Ihnen etwas verändert.
({7})
- Schreiben Sie sich das alles auf. Das wäre gut, damit Sie
etwas lernen.
Im Rahmen der Integrationsarbeit spielen Kurden,
Deutsche und Türken zusammen und nehmen Rücksicht
aufeinander. Das ist ein wichtiger Punkt für unsere Sportvereine. Wir haben das unterstützt.
({8})
Sie sehen nur Details. In diesem Fall sind das die
4 800 DM. Was sagen Sie einer Frau, die in einer Selbsthilfegruppe krebskranke Menschen betreut und selbst
krank ist? Es ist eine wichtige Aufgabe, Kranke zu betreuen und zu beraten. Das ist in der Selbsthilfegruppe
möglich. Wir haben einen Gesamtansatz gefunden. Wir
haben die Selbsthilfegruppe in den letzten drei Jahren unterstützt. Das will ich noch einmal unterstreichen. Dafür
ist eine Mark pro Einwohner zur Verfügung gestellt worden. Diese wichtige Aufgabe muss auch weiterhin
unterstützt werden.
Herr Barthle hat noch einen weiteren Punkt aufgeführt:
Die Feuerwehr ist unterstützt worden.
({9})
Auch haben wir die Freiwilligendienste beträchtlich
gefördert. Das Budget dafür ist um 50 Prozent heraufgesetzt worden: von 11,5 Millionen Euro auf 16,5 Millionen
Euro. Jugendliche können in Hospizen, Krankenhäusern
und Behindertenheimen arbeiten. All das zählt zum Ehrenamt.
Hierzu gehört natürlich auch unser Stiftungsrecht.
({10})
Im Stiftungsrecht ist vieles umgesetzt worden, was für unsere Wahlkreise wichtig ist. Sie müssen selbst einmal in
Ihrem Wahlkreis nachsehen.
Durch die Förderung der Übungsleiter, der Selbsthilfegruppen, der Freiwilligendienste und durch das neue
Stiftungsrecht unterstützen wir das Ehrenamt in seiner
Gesamtheit. Das ist der wesentliche Vorteil. Die EnqueteKommission wird in Zukunft ein Gesamtkonzept erarbeiten, das wir abarbeiten werden. Wir werden das Ehrenamt
auch künftig so wie in den letzten drei Jahren unterstützen.
({11})
Ich erteile dem Kollegen Klaus Riegert für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Die Ablehnung unserer Gesetzesinitiative durch die Koalition in den Ausschüssen hat mich
schon überrascht. In der Öffentlichkeit, vor Vereinen und
Verbänden, hören Sie sich ganz anders an. Aber so ist das
bei Ihnen: versprochen, gebrochen.
({0})
Ihr Dreisprung heißt: Unsere Verbesserungsvorschläge
für Vereine und das Ehrenamt lehnen Sie als utopisch ab.
Ihre eigenen mickrigen Ergebnisse blasen Sie auf. Handlungsnotwendigkeiten schieben Sie auf die EnqueteKommission ab. Mittlerweile habe ich den Verdacht, Sie
hoffen, dass Sie dies nach dem Herbst nicht mehr umsetzen müssen.
({1})
Was haben Sie nicht alles versprochen? Eichel forderte
am 1. Dezember 1998 die steuerfreie Aufwandsentschädigung für Vorstandsmitglieder und Funktionsträger. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende und heutige Bundesgesundheitsministerin Schmidt forderte am
6. Mai 1999, die steuerfreie Übungsleiterpauschale auf
400 DM monatlich anzuheben.
({2})
Zur Begründung sagte Frau Schmidt, dies koste nicht viel,
man verzichte nur auf zu erwartende Steuereinnahmen.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Wilhelm Schmidt, bot mit und forderte am 23. Juni 1999 in einer Vorlage an die SPD-Bundestagsfraktion,
die so genannte Übungsleiterpauschale auf 400 DM monatlich anzuheben.
({3})
Seine Begründung: Die gemeinnützigen Organisationen
könnten mit ihren ehrenamtlichen Strukturen die bürokratisch sehr aufwendige Umsetzung der Neuregelung der
geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse kaum bewältigen. Recht hat er! Das ist eine seltene, aber wahre Einsicht.
({4})
Der Fraktionsvorsitzende Peter Struck versprach am
20. Mai 2000, die steuerfreie Übungsleiterpauschale auf
400 DM monatlich anzuheben. Die sportpolitischen Sprecher von Rot und Grün, die heute nicht anwesend sind,
forderten dies sowie die Ausweitung auf andere Tätigkeiten. Finanzminister Eichel hat sie zurückgepfiffen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, Ihre
Vorschläge waren alle gut, auch die Begründungen. Deshalb haben wir sie in einem Gesetzentwurf zusammengefasst. Nun verweigern Sie Ihren eigenen Vorschlägen die
Zustimmung. Sie bestätigen dringenden Handlungsbedarf, lehnen Verbesserungen aber ab.
({5})
Das, Herr Bürsch, ist nicht gut so. Würde dies nur Ihrer
Glaubwürdigkeit schaden, wäre es nicht schlimm. Ihr Verhalten schadet aber vor allem den ehrenamtlich Tätigen.
({6})
Meine Damen und Herren, in unserer Gesellschaft besteht ein breiter Konsens für unsere Vorschläge. Der
Deutsche Sportbund und der Deutsche Kulturrat fordern
diese Verbesserungen. Die von der Enquete-Kommission
„Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ beauftragten Gutachter kommen zu dem gleichen Ergebnis wie
wir. Sie sehen breiteste Übereinstimmung bei Politikern,
Sachverständigen und Betroffenen. Erinnern wir Sie an
Ihre Aussagen und berufen wir uns auf die Ergebnisse der
von Ihnen bestellten Gutachter, sprechen Sie von utopischen Forderungen.
Heute sagt uns Ihr Finanzminister, dass seine eigenen
Forderungen unbezahlbar gewesen sein sollen. Dies nennen Sie seriöse Politik für das Ehrenamt. So hätten Sie unsere Vorschläge nicht umsetzen müssen. Doch man hätte
in den Ausschüssen wenigstens über mögliche Verbesserungen sprechen können. Aber Sie verweigern sich total.
Ich erinnere Sie - falls Sie das übersehen haben - an Folgendes: Sie hätten auch einen eigenen Gesetzentwurf einbringen können.
({7})
Wir werden es Ihnen nicht durchgehen lassen, mit
Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“, deren Inhalte
Sie heute im Bundestag reihenweise ablehnen, in den
Wahlkampf zu ziehen. Ein solch durchsichtiges Wahlkampfmanöver wird Ihnen nicht gelingen.
({8})
Zwar findet man bei Ihnen plakative, vollmundige
Ankündigungen, Versprechungen und Broschüren vor.
Aber Sie tun nichts. Wenn Sie etwas tun, führen Sie die
ehrenamtlich Engagierten unverfroren hinter das Licht.
Das ist Ihre Art Engagement. Sie gaukeln den ehrenamtlich Tätigen vor, welch Heilsbringer diese Bundesregierung für das Ehrenamt ist.
({9})
Ich habe hier eine Broschüre der Bundesregierung mit
dem Titel „Mitmachen, mithelfen - Ehrensache“. Besser
wäre der Titel „Getäuscht, getrickst, gelogen“.
({10})
Im Vorwort preist der Bundeskanzler das ehrenamtliche
Engagement an. Bei den inhaltlichen Ausführungen lässt
er die ehrenamtlich Tätigen schamlos über die Klinge
springen. Schröder spricht von bürokratischer Entlastung durch das Bundesseuchengesetz 2001. Wie immer
versucht er, seine Wohltaten möglichst volkstümlich an
den Mann zu bringen. Auf Seite 12 heißt es:
Würstchen können demnach von der freiwilligen
Feuerwehr seit 2001 ohne Belehrung und Bescheinigung bei Straßenfesten gegrillt werden,
({11})
damit sich die Feuerwehr von dem Erlös einen neuen
Spritzenwagen kaufen kann.
({12})
Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer können
Mahlzeiten ohne Belehrung und Bescheinigung zubereiten und diese bei Vereinsfesten verkaufen, um
die Vereinskasse aufzubessern.
({13})
Ich fände es - genau wie Millionen ehrenamtlich
Tätige - prima, wenn sie von bürokratischen Lasten befreit wären.
({14})
Nur ist dies nicht die Wahrheit. Ich habe bei der Bundesregierung schriftlich nachgefragt, ob dies so zutreffe. Die
Antwort der Bundesregierung vom Januar 2002 lautet:
Seit 1997 - Sie hören richtig: seit 1997 - habe sich nichts
geändert.
({15})
Die Bundesregierung und der Bundeskanzler haben die
Ehrenamtlichen schlicht getäuscht. Stellen Sie sich einmal eine ehrenamtliche Helferin auf einem Vereinsfest
vor, die selbst gemachten Salat oder Kuchen verkauft.
Dann kommt ein Beamter vom Gesundheits- oder Ordnungsamt
({16})
und verlangt von ihr Bescheinigungen nach der Hygieneverordnung. Dann zieht die ehrenamtliche Helferin die
Broschüre der Bundesregierung aus der Tasche, zeigt das
Foto des Bundeskanzlers und den folgenden Text, in dem
steht, dass durch Änderung des Seuchengesetzes 2001
nun alles besser und unbürokratischer geregelt sei. Da
wird den Beamten des Ordnungsamtes nichts anderes
übrig bleiben als zu sagen: Packen Sie Ihre Sachen ein!
({17})
Schröder hat vieles anders, aber nichts besser gemacht.
({18})
Es geht weiter im Text. Der Bundeskanzler, der Bundesinnenminister, die Fraktionsspitzen und die rot-grüne
Koalition haben die Vereinbarungen mit den Sozialversicherungsträgern, dass die geringfügigen Beschäftigungen in Sportvereinen bis zu 630 DM zukünftig melde- und
sozialversicherungsfrei seien, als Stärkung des Ehrenamts
und als Abbau von Bürokratie gepriesen. Bundesinnenminister Schily konnte sich ob dieser Wohltaten gar nicht
genug auf die Schultern klopfen. Ich habe die Bundesregierung gefragt, wie die geringfügige Beschäftigung in
gemeinnützigen Vereinen geregelt war, bevor die von
Rot-Grün verursachte Neuregelung des 630-DM-Gesetzes in Kraft getreten ist. Antwort der Bundesregierung:
Vor 1999 gab es diese Bürokratie gar nicht.
({19})
Für die Beschäftigten gab es weder eine Meldepflicht bei
den Sozialversicherungen noch eine Pflicht zur Beitragsabführung. Getäuscht, getrickst und gelogen - dies zieht
sich wie ein roter Faden durch diese Broschüre.
({20})
Wir danken den Millionen von ehrenamtlich Tätigen
und wollen Verbesserungen für ihr Engagement. Ist Ihnen
eigentlich bewusst, dass Sie den Vorsitzenden, den Kassierer, den ehrenamtlichen Geschäftsführer, den Jugendleiter oder den Abteilungsleiter weiterhin zwingen, jedes
Blatt Papier, jede Briefmarke, jedes Telefongespräch und
jeden gefahrenen Kilometer zu notieren, damit sie ihre
tatsächlichen Kosten erstattet bekommen können? Meinen Sie, dass die Vereine Geld ausgeben können, soweit
dies nicht gerechtfertigt ist? Sie haben jetzt die Gelegenheit, diese Ungerechtigkeit abzustellen und Ihre umfangreichen Ankündigungen zum Wohle der ehrenamtlich
Tätigen in die Tat umzusetzen. Stimmen Sie deshalb gegen die Beschlussempfehlung des Ausschusses! Die ehrenamtlich Tätigen haben diese Verbesserungen verdient.
Sie könnten damit Ihrer eigenen Glaubwürdigkeit einen
Dienst erweisen.
({21})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dr. Peter Danckert von der SPD-Fraktion.
({0})
Lieber Herr Kollege Klaus
Riegert, herzlichen Glückwunsch: Nach dreieinhalb Jahren Opposition einen derart pompösen Gesetzentwurf zur
Stärkung ehrenamtlicher Tätigkeiten in Vereinen und Organisationen. Und was kommt dann raus? Ein Mäuslein!
Nicht mehr als das. Ich frage Sie allen Ernstes: Haben Sie
in den letzten Tagen mit Ihrem Kanzlerkandidaten über
diesen Gesetzentwurf geredet? Mich würde interessieren,
was er dazu sagt. Ich bin sicher, dass er Ihnen die gleiche
Antwort gibt wie zum Thema Ökosteuer.
({0})
Zwei Jahre lang haben Sie uns mit der Ökosteuer gepeinigt und verlangt, sie abzuschaffen. Nichts ist mehr davon
übrig. Bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen wird sich auch nichts ändern, und
zwar ganz egal, wer regiert. An dieser Stelle hätte ich
gerne einmal die Meinung von Herrn Stoiber über diesen
Gesetzentwurf gehört.
Sie haben hier viel erzählt, Herr Kollege Riegert, haben aber eine Frage nicht beantwortet - die Antwort in
Ihrem Gesetzentwurf ist mehr als dürftig -: Was wird das
kosten? In dem Gesetzentwurf steht ein interessanter
Satz:
Die eventuell anfallenden Steuermindereinnahmen
können nicht genau beziffert werden. Sie liegen im
Rahmen vergleichbarer steuerlicher Änderungen der
letzten beiden Jahre.
({1})
Was meinen Sie eigentlich damit? Sie legen uns hier allen
Ernstes einen Gesetzentwurf vor und haben noch nicht
einmal eine schwache Ahnung, was seine Umsetzung
kosten wird.
({2})
Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens gab es - Kollege Barthle wird das als Berichterstatter des Finanzausschusses bestätigen können - Hinweise der Bundesregierung, was die Umsetzung des Gesetzentwurfs kosten
könnte. Wir haben eine Summe von 25 Milliarden gehört;
das steht auch in den amtlichen Unterlagen.
({3})
Ich selber kann auch nicht sagen, ob diese Zahl stimmt.
({4})
Sie aber setzen sich mit dieser Frage gar nicht erst auseinander. Das Schlimme an dieser Geschichte ist: Sie verkaufen der Öffentlichkeit einen tollen Gesetzentwurf, bei
dem ein Paragraph mit einer Nummer geändert werden
soll, verraten uns aber nicht, wie das finanziert werden
soll.
({5})
Das ist das Unseriöse an Ihrer Politik: ein großes Gedöns
zu machen und kein Wort zur Frage der Kosten zu verlieren. Man kann alles versprechen, muss aber den Bürgerinnen und Bürgern vor der Wahl offen sagen, was eine
Maßnahme unterm Strich kosten wird.
({6})
Ein zweiter Punkt. Sie haben in Ihrer langen Regierungszeit - diese ist Gott sei Dank am 27. September 1998
zu Ende gegangen - eine interessante Sache gemacht, auf
die ich Sie aufmerksam machen möchte. Die Kohl-Regierung hat nämlich im Jahre 1997 eine unabhängige
Sachverständigenkommission zur Prüfung des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts einberufen.
({7})
Diese Kommission hat am 24. März 1998 einen sehr interessanten, umfangreichen Bericht vorgelegt. Wenn Sie
den umgesetzt hätten, müssten Sie sich heute nicht mehr
so verstecken. Das ist nämlich die Realität: Sie setzen eine
Sachverständigenkommission ein, die einen Bericht zur
Vereinfachung und Verbesserung des Gemeinnützigkeitsund Spendenrechts vorlegt, unternehmen aber anschließend nichts.
({8})
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der noch
interessanter ist. Zur Begründung Ihres Erhöhungsverlangens von 3 600 auf 4 800 DM - nachdem wir nun den ersten entscheidenden Schritt in dieser Angelegenheit unternommen haben - berufen Sie sich
({9})
- auch Sie, Herr Kollege Barthle - in Ihren Ausführungen auf die Bundesratsinitiative des damaligen Ministerpräsidenten Eichel, nachzulesen in der Bundesratsdrucksache 950/98. Die müssten Sie einmal lesen, bevor
Sie dummes Zeug in Ihren Gesetzentwurf schreiben!
Darin ist nämlich nicht von einer Erhöhung der Kostenpauschale die Rede, sondern nur von einer Erweiterung
auf andere Funktionsträger.
({10})
Sie aber argumentieren zur Begründung Ihrer Auffassung
ständig, dass Herr Eichel schon 1998 die Erhöhung gefordert habe. Nichts davon ist wahr. Sie sind noch nicht
einmal in der Lage, sich die Unterlagen, auf die Sie sich
berufen, anzusehen, sondern Sie tragen hier falsche Dinge
vor. Das ist das Unseriöse an Ihrem Vorgehen.
({11})
Lassen Sie mich abschließend anmerken, Herr Kollege
Riegert: So ganz ernst kann das alles ja gar nicht gewesen
sein. Warum brauchen Sie eigentlich dreieinhalb Jahre
- ich rede gar nicht von den 16 Jahren, in denen Sie Zeit
hatten, so etwas umzusetzen; weshalb Sie zu dem Thema
gar nichts sagen, ist eine offene Frage; aber lassen Sie uns
das vergessen -, um diesen Gesetzentwurf vorzulegen?
Können Sie uns das verraten? Sie scheinen es mit Ihrer
Initiative nicht besonders eilig gehabt zu haben. Denn das
ist ja alles schon Anfang vergangenen Jahres - ({12})
- Sie hätten es schließlich auf die Tagesordnung des Hauses setzen lassen können. Das haben Sie aber nicht gemacht. Offensichtlich war Ihnen bei dieser Angelegenheit selber nicht wohl. Wir hätten schon im Sommer
darüber diskutieren können. Sie haben aber darauf verzichtet.
Warum bringen Sie den Gesetzentwurf jetzt ein? Die
Antwort darauf ist sehr einfach: Das ist nur Wahlkampfgeklingel.
({13})
An die Fraktionen der FDP und der PDS gerichtet lassen Sie mich sagen: Meine Herren Kollegen, ihr habt doch
nicht so recht verstanden, wofür ihr eigentlich seid.
({14})
Aus den Empfehlungen der verschiedenen Ausschüsse
ist ersichtlich, dass einmal eine Enthaltung erfolgt und
einmal dagegen gestimmt wird. Die Positionen der
Parteien, die wir auch besprochen haben, sind ziemlich
offen.
Abschließend möchte ich sagen, Herr Kollege Riegert,
dass wir - das ist doch das Vernünftige - zunächst einmal
abwarten sollten, was die gemeinsam eingesetzte EnqueteKommission vorlegt.
({15})
Dann sollten wir zu einer umfassenden Regelung kommen und nicht punktuell sozusagen einen Warenhauskatalog mit einer gewissen Beliebigkeit vorlegen und am
Ende noch nicht einmal angeben, wie das Vorhaben finanziert werden soll.
({16})
Sie als Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Sportausschuss sollten sich den Grundsatz „Fair geht vor“ merken
und sich erst dann wieder zu Wort melden.
Vielen Dank.
({17})
Der Kollege Klaus
Riegert hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Bitte
sehr.
({0})
Herr Dr. Danckert, wenn
Sie das Motto „Fair geht vor“ anführen, möchte ich kurz
vortragen, was ich gesagt habe. Ich habe gesagt: Eichel
fordert am 1. Dezember 1998 die steuerfreie Aufwandsentschädigung für Vorstandsmitglieder und Funktionsträger - genauso wie Sie es aus der Drucksache 950/98 zitiert haben.
({0})
Ich habe das völlig korrekt zitiert. Sie können das nachher
im Protokoll nachlesen.
Die anderen Zitate stammten in der Tat von Mitgliedern Ihrer Fraktion. Die können Sie in den entsprechenden Presseberichten ebenfalls nachvollziehen
({1})
oder wenn Sie sich die Mühe machen wollen, können Sie
bei Ihrer sportpolitischen Sprecherin den Entwurf heraussuchen, in dem genau die Stellen, aus denen ich zitiert
habe, enthalten sind und die dann in der Fraktion zurückgezogen wurden. Laut dieser Drucksache hat Herr Eichel
gesagt, dass die Steuermindereinnahmen nicht bezifferbar
seien. Des Weiteren wird ausgeführt, dass die tatsächlichen Steuerausfälle - das haben wir genau so übernommen - gering seien.
({2})
Herr Kollege
Danckert, möchten Sie erwidern? - Bitte sehr.
Herr Kollege Riegert, lesen Sie bitte einmal die entsprechenden Ausschussprotokolle nach. Sie werden dann feststellen, dass man sich auf
die Äußerungen des ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten Eichel bezogen hat, als es um die Erhöhung des
Steuerfreibetrags von 3 600 DM auf 4 800 DM ging. Genau das ergibt sich auch aus den verschiedenen Drucksachen. Ich habe mich ja nicht auf Ihre Rede bezogen.
({0})
Ich habe vielmehr auf das Bezug genommen, was von Ihrer Fraktion in dieser Angelegenheit nicht mündlich, sondern schriftlich vorgetragen worden ist. Das ist noch viel
schlimmer; denn man muss den Eindruck haben, dass hier
ganz bewusst getäuscht wird.
({1})
Jetzt erteile ich das
Wort dem Kollegen Lothar Binding für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die jetzige Debatte bietet eine gute Gelegenheit, den ehrenamtlich Tätigen zu danken und unserer
Gesellschaft zu den Abermillionen selbstlos geleisteten
Stunden zu gratulieren, die die ehrenamtlich Tätigen von
ihrer Lebenszeit abgegeben haben.
({0})
Schließlich ist jede Stunde, die man der Gesellschaft abgibt, für die persönliche Verwendung unwiederbringlich
verloren. Ich glaube, dass das die eigentliche Bedeutung
des Ehrenamts unterstreicht.
Wir müssen aber auch erkennen, dass das traditionelle
Ehrenamt, das uns immer vorschwebt, sehr stark gefährdet
ist. Bestimmte Großorganisationen und Vereine verzeichnen eine dramatische Erosion in diesem Bereich. Wir tun
so, als könnten wir diese Entwicklung mit einem leichten
Federstrich und durch Einbringung eines Gesetzentwurfs
bzw. eines Antrags im Parlament korrigieren. Die Arbeitsund Freizeitwelt wird vollständig umgebaut. Es entwickeln sich eine neue Jugendkultur und neue Engagementformen, die dieses Haus noch gar nicht registriert hat.
Der Zerfall moralischer Kategorien - darauf komme ich
später zurück - tut das Seine dazu, dass nicht mehr so viele
Menschen wie in der Vergangenheit bereit sind, sich ehrenamtlich zu engagieren. Daraus ergeben sich bestimmte
Zukunftsaufgaben.
Die CDU/CSU lenkt mit ihrem Entwurf genau von diesen Zukunftsaufgaben ab; denn sie reduziert Problemlösungsansätze auf die Geldfrage. Aber beim Ehrenamt
geht es vordergründig nicht um Geld. Es geht vielmehr
um viel tiefere Begründungszusammenhänge, über die
wir nachdenken müssen.
({1})
Es ist ein Widerspruch - dieser lässt sich auch in der
Begründung des CDU/CSU-Entwurfs finden -, wenn
Herr Schüßler im Zusammenhang mit dem Ehrenamt über
die Entwicklung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse nachdenkt; denn geringfügige Beschäftigungsverhältnisse haben mit dem Ehrenamt nichts zu tun.
({2})
Bei den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen handelt es sich um bezahlte Tätigkeiten. Aber die ehrenamtliche Tätigkeit ist unbezahlt. Wer geringfügige Beschäftigungsverhältnisse und ehrenamtliche Tätigkeit in einem
Atemzug erwähnt, der will das Volk bewusst desinformieren.
({3})
Ich denke, das war auch die Konsequenz aus der einfallslosen Großen Anfrage der CDU/CSU, die insgesamt
60 Fragen umfasst. Wenn man sich die einzelnen Fragen
genau anschaut, dann stellt man fest, dass sich 18 Fragen
auf geringfügige Beschäftigungsverhältnisse beziehen,
neun Fragen auf Steuerprüfung, acht Fragen auf die
Übungsleiterpauschale, sieben Fragen auf Rechtsvorschriften und drei Fragen auf das Durchlaufspendenverfahren. Es
ist lächerlich, wenn Sie glauben, dass Sie mit diesen Fragen
Antworten auf die Zukunftsfrage bezüglich des Verhältnisses von Jugend und Ehrenamt finden werden.
({4})
Vorhin wurden Fakten eingeklagt. Die möchte ich nun
nennen. Die Übungsleiterpauschale gibt es seit 1980. Von
1980 bis 1998 ist die Übungsleiterpauschale um 0 Prozent
angehoben worden.
({5})
Das heißt also, dass die Übungsleiterpauschale beispielsweise im Jahr 1983 um 0 Prozent, 1984 um 0 Prozent, 1985
um 0 Prozent und auch in den Jahren 1997 und 1998 um
0 Prozent angehoben wurde. Meines Wissens war die rotgrüne Koalition in diesem Zeitraum noch nicht an der Regierung. Insofern muss man sich einmal überlegen, was für
ein Vorgang das ist: 1999 wurde die Übungsleiterpauschale von uns um 50 Prozent angehoben - um jetzt, ein
Jahr später, von Ihnen einen Gesetzentwurf vorgelegt zu
bekommen, mit dem Sie weitere 50 Prozent fordern.
({6})
Noch etwas: Aus steuersystematischen Gründen ist die
Übungsleiterpauschale noch nicht einmal eine kluge Antwort auf die Problemlage, die sich uns stellt.
({7})
Die Anhebung durch die rot-grüne Koalition war eine Notoperation, mit der wir deutlich machen wollten: Ehrenamt,
wir nehmen dich wichtig. Es ist so lange nichts passiert;
lasst uns schnell die Übungsleiterpauschale anheben,
auch wenn wir langfristig ein völlig anderes System brauchen, weil sich das Ehrenamt nicht auf diese primitive
Frage nach Geld reduzieren lässt.
Es gibt noch ganz andere Widersprüche: Herr Riegert
hat in der letzten Debatte zu diesem Thema gefordert - ich
habe das einmal nachgelesen -, die Zweckbetriebsgrenzen
bei gemeinnützigen Vereinen anzuheben. Andererseits
aber will die CDU/CSU das Gastronomie- und Tourismusgewerbe nicht gefährden - ein bislang unaufgelöster
Widerspruch.
({8})
Auf eine Ursache für die Erosion des Ehrenamts und
der Vereine wurde heute noch gar nicht eingegangen.
Mich wundert Folgendes: Die meisten von uns sind ja in
einem Alter, wo wir Kinder zwischen, sagen wir einmal,
zehn und 25 Jahren haben könnten. Ich frage mich wirklich, ob Sie mit Ihren Kindern gelegentlich einmal reden.
({9})
- Deshalb habe ich auch in die andere Richtung geschaut.
Mein Eindruck ist nämlich, dass das bei der CDU/CSU
relativ selten passiert.
({10})
Die CDU/CSU stellt immer die Frage: Geht ihr eigentlich in die Vereine? Die Antwort ist: Ja, wie gehen in Vereine. Ich zum Beispiel gehe in die DLRG.
({11})
Dort heißt das Treffen Ortsgruppe. Im Sport heißt es Verein, in Parteien heißt es Ortsverein. Meine Kinder aber gehen überhaupt nicht in einen Verein oder eine Ortsgruppe,
sondern bilden - komischerweise ein Wort, das hier selten
vorkommt - einen Clan.
({12})
Jugendliche treffen sich zum Beispiel zu einem Wettkampfwochenende.
({13})
- Nein, das ist nicht nur ein englisches Wort. Daran erkennt man, dass Sie die Problemlage überhaupt nicht
durchdrungen haben. Sie gehen in Ihrer Freizeit zu einem
Seminar, aber die Jugendlichen heute gehen zum Beispiel
zu einer LAN-Party - womöglich treffen sie sich gar nur
virtuell, sind also real an unterschiedlichen Orten.
({14})
Lothar Binding ({15})
Die Jugendlichen schaffen auch völlig neue Verhaltensmuster und haben andere moralische Vorstellungen.
({16})
Die Gerechtigkeitsfragen beispielsweise werden ganz neu
abgebildet. Auf diese Fragestellungen gehen wir überhaupt nicht ein.
Ich will Ihnen sagen, warum ich glaube, dass wir mit
einem naiven Zugang zu diesem Thema Ehrenamt bei Jugendlichen überhaupt nichts bewirken können. Meine
Kinder fragen mich zum Beispiel, warum ich ihnen etwas
von Selbstlosigkeit erzähle, wenn doch ein Herr Kohl
noch im Parlament sitzt.
({17})
Wenn ich sage, dass die Maxime „Du sollst anderen Menschen helfen“ eine positive Qualität hat, dann bekomme
ich zu hören: Der Koch verwaltet Schwarzkonten und ist
immer noch im Amt, wird sogar als Kanzlerkandidat gehandelt. - Nun gut, in Bezug auf die Nachfolge von Kohl
bedeutete das ja wenigstens Kontinuität: Verwaltung von
Schwarzkonten im Kanzleramt.
({18})
Für mich wäre das aber eine Perspektive, die mich erschrecken lässt.
Was ich sagen will, ist: Der Zerfall moralischer Kategorien macht den Jugendlichen keinen Mut, sich im klassischen Sinne ehrenamtlich zu engagieren. Die Ignoranz
von vielen in diesem Hause hinsichtlich der neuen Jugendkulturen schafft jedenfalls keine Brücke zwischen
neuen Jugendkulturen und unserem traditionellen bürgerschaftlichen Engagement. Ich denke, dass Sie mit der Reduktion dieses Themas auf die primitive Frage des Geldes
dem Ehrenamt mehr schaden als nutzen.
({19})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5224 zur
Stärkung ehrenamtlicher Tätigkeiten in Vereinen und Organisationen. Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/6218, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? ({0})
Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf
Drucksache 14/5196 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel: „Gemeinnützige Vereine von
hohen Energiekosten entlasten“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4386 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Enthaltung der
PDS und FDP und gegen die Stimmen von CDU/CSU ist
die Beschlussempfehlung angenommen.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 7 auf:
Vereinbarte Debatte
zur Einsetzung des EU-Verfassungskonvents
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Darüber
herrscht Einverständnis.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Professor Jürgen Meyer für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Eröffnung des
„Konvents zur Zukunft Europas“ in der kommenden Woche in Brüssel ist ein Ereignis, das für die Zukunft der Europäischen Union besondere und hoffentlich historische
Bedeutung hat. Die Regierungschefs der 15 Mitgliedstaaten sprechen in den Schlussfolgerungen von Laeken vom
vergangenen Dezember vom Weg zu einer Verfassung
für die europäischen Bürger. Deshalb nennen viele den
Konvent der 105 Delegierten aus 28 Ländern, dessen Einberufung ich übrigens schon einmal im Juni 1995 in einer
Bundestagsdebatte zu fordern gewagt hatte, nicht zu Unrecht „Verfassungskonvent“. Damit ist eine faszinierende
Aufgabe beschrieben.
Ich will die erste Sitzungswoche nach meiner Wahl
zum Delegierten des Deutschen Bundestages im Konvent
({0})
gerne nutzen, um Ihnen für das in mich gesetzte Vertrauen
zu danken.
({1})
Ich habe mich darüber gefreut, dass mich alle Fraktionen
außer der CDU/CSU-Fraktion geschlossen gewählt haben, aus der CDU/CSU-Fraktion immerhin die Europapolitiker, die dem Thema etwas näher stehen als andere.
({2})
Die Europäische Union benötigt eine Verfassung oder,
wie manche sagen, eine Grundordnung, die Demokratie
und Effizienz auch nach der bevorstehenden Erweiterung sichert. Diese Erweiterung, die wir ja alle wollen,
um möglicherweise weitere zehn Staaten noch vor der Europawahl 2004 ist mit der Gefahr verbunden, dass sich die
zentrifugalen Kräfte verstärken und ein nicht mehr
arbeitsfähiges Gebilde entsteht. Deshalb ist es höchste
Zeit für eine Verfassung. Ich denke, unsere gemeinsame
Lothar Binding ({3})
Überzeugung ist: Eine Erweiterung der Europäischen
Union ohne Vertiefung ist kein überzeugendes Konzept.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es waren nicht zuletzt wir Parlamentarier, die diesen zweiten Konvent erkämpft haben.
({4})
Ich erinnere an Entschließungen aller Fraktionen dieses
Hauses, an Entschließungen der Konferenz der Europaausschüsse mit dem schönen Namen COSAC und an eine
gemeinsame Sitzung der Europaausschüsse des Bundestages und der Assemblée Nationale wenige Tage vor
Laeken. Ich erinnere aber auch daran, dass der Erfolg dieser Bemühungen drei Voraussetzungen hatte:
Erstens. Ohne die Erfindung des ersten Konvents
durch die rot-grüne Bundesregierung und ohne die Durchsetzung des Konventsgedankens auf dem Gipfel von Köln
im Juni 2000 gäbe es keinen zweiten Konvent. Daran
sollte man sich immer erinnern, wenn man in diesem Zusammenhang auf die Bundesregierung zu sprechen
kommt.
({5})
Zweitens. Mit der Konferenz von Nizza war die alte
Methode, europapolitische Weichenstellungen hinter verschlossenen Türen vorzubereiten und dann in der „Nacht
der langen Messer“ zu mehr oder weniger überzeugenden
Kompromissen zu kommen, an ihre Grenzen gestoßen.
Drittens und vor allem: Ohne den Erfolg des ersten
Konvents, dessen Zusammensetzung und Arbeitsweise
im Wesentlichen weiterhin gelten, gäbe es den zweiten
Konvent nicht.
({6})
Ich habe darauf hingewiesen, dass die Arbeitsweise
und die Zusammensetzung des ersten Konvents weiterhin
gelten. Davon gibt es zwei Ausnahmen, die aber positiv
zu bewerten sind:
Zum einen sind am zweiten Konvent auch die Kandidatenländer beteiligt, und zwar ebenso wie die 15 Mitgliedsländer mit drei Delegierten. Das ist notwendig, weil
es, demokratisch betrachtet, völlig unerträglich wäre, eine
Verfassung zu erarbeiten, die den demnächst beitretenden
Kandidatenländern übergestülpt würde. Sie müssen daran
mitwirken können. Das ist eine gute Lösung.
({7})
Außerdem wird dem zweiten Konvent das „Forum
der Zivilgesellschaft“ hinzugefügt. Auch das ist ein Fortschritt. Es ist notwendig, dass die Delegierten in ständigem Kontakt mit den Vertretern von Kirchen, Gewerkschaften, Hochschulen usw. sind; denn erst dieser Kontakt
ermöglicht es, eine überzeugende Verfassung zu erarbeiten, die die Köpfe und, so hoffe ich, die Herzen der Menschen erreicht. Ich hoffe, dass das Forum der Zivilgesellschaft nicht nur virtuell ist, sondern dass seine Sprecher in
Brüssel zusammenkommen und die Delegierten dann das
tun, was besonders wichtig ist, nämlich einfach zuhören.
Ein wichtiges Thema, mit dem wir uns zu befassen haben werden, ist die Verbindlichkeit der Grundrechte-Charta, die vom ersten Konvent erarbeitet worden ist. Entgegen manchen Befürchtungen, zum Beispiel
unserer britischen Freunde, ist der Schritt zu einer verbindlichen Grundrechte-Charta nicht so groß, wie manche
meinen:
Zum einen haben sich die Regierungschefs durch die
feierliche Verkündung der Charta im Dezember 2000 in
Nizza politisch selbst verpflichtet.
Zum Zweiten wird die Grundrechte-Charta von der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg aufgrund der Anträge der Generalanwälte schon
jetzt angewandt. Das ist notwendig, weil nach Art. 6 des
geltenden EU-Vertrages auch die gemeinsame Verfassungsüberlieferung der Mitgliedstaaten Grundlage des
geltenden Rechts in der Europäischen Union ist. Im Rahmen des ersten Konvents hatten wir genau das zu formulieren.
Roman Herzog hat völlig Recht, wenn er sagt, dass die
Kandidatenländer - er wies insbesondere auf die Türkei
hin - gut daran tun, vor der Entscheidung über ihren Beitritt die Charta nicht nur zu lesen, sondern auch im eigenen Land zu verwirklichen. Darin liegt die praktische Bedeutung dieser Charta.
({8})
Ihre Anerkennung als rechtsverbindlicher erster Teil
der Verfassung bedeutet vor allem, dass die Europäische
Union eben nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft und
eine Währungsunion, sondern auch eine Wertegemeinschaft ist. Das kann man mit den anspruchsvollen Worten
der Regierungskonferenz von Laeken formulieren, die ich
hier zitieren will:
Welche Rolle spielt Europa in dieser gewandelten
Welt? Muss Europa nicht - nun, da es endlich geeint
ist - eine führende Rolle in einer neuen Weltordnung
übernehmen, die Rolle einer Macht, die in der Lage
ist, sowohl eine stabilisierende Rolle weltweit zu
spielen, als auch ein Beispiel zu sein für zahlreiche
Länder und Völker? Europa als Kontinent der humanitären Werte, der Magna Charta, der Bill of Rights,
der Französischen Revolution, des Falls der Berliner
Mauer. Kontinent der Freiheit, der Solidarität, vor allem der Vielfalt, was auch die Achtung der Sprachen,
Kulturen und Traditionen anderer einschließt. Die
einzige Grenze, die die Europäische Union zieht, ist
die der Demokratie und der Menschenrechte. Die
Union steht nur Ländern offen, die ihre Grundwerte,
wie freie Wahlen, Achtung der Minderheiten und der
Rechtsstaatlichkeit, teilen.
Dr. Jürgen Meyer ({9})
Ich denke, dass das eine Überzeugung ist, die uns auch
hier, in diesem Hohen Hause, eint.
({10})
Die Regierungschefs haben in Laeken die weiteren
Themen, mit denen sich der Konvent befassen soll, mit
einer Reihe von Fragebündeln beschrieben, aus denen
sich eines ganz klar ergibt: Die Antworten muss der Konvent in der vorgegebenen Zeit von etwa zwölf Monaten
selbst finden. Sie sind ihm nicht vorgegeben; denn sonst
hätten die Regierungschefs ja diese Frageform nicht sinnvoll wählen können.
Was das in Deutschland mehr als anderswo heftig diskutierte Thema der Kompetenzen angeht, wird sicher der
Versuch notwendig sein, einen Kompetenzkatalog, wie
ihn übrigens auch der britische Premierminister Tony
Blair inzwischen vorgelegt hat, zu diskutieren. Aber über
zwei Dinge sollten wir uns dabei einig sein: Das von allen anerkannte Subsidiaritätsprinzip, wonach die untere
Einheit immer so lange zuständig ist, wie sie konkrete
Fragen ausreichend regeln kann, also in Deutschland eben
auch die Gemeinden, die Regionen, die Länder, und
selbstverständlich der Staat Bundesrepublik, wird Grundlage der Konventsberatungen sein.
Ich füge eines hinzu, worüber wir hoffentlich auch einig sein werden. Immer, wenn Kompetenzen von der nationalen auf die europäische Ebene übertragen werden,
muss auf eines geachtet werden: Es darf nicht eine
Reduzierung oder gar einen Wegfall der parlamentarischen Kontrolle geben.
({11})
Die Übertragung von Kompetenzen muss mit der Erhaltung der Kontrolle, im Normalfall durch das Europäische
Parlament, verbunden sein. Stärkung der Europäischen
Union mit weniger Demokratie - das ist ein Weg, den wir
hoffentlich gemeinsam ablehnen.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Konventsmodell
ist oft als Versuch gewürdigt worden, mehr Demokratie
und mehr Parlament zu wagen. Das ist ein hoher Anspruch, dem keine tiefe Enttäuschung folgen darf. Deshalb meine ich, dass wir im Konvent - das gilt selbstverständlich auch für den Präsidenten Giscard - zum Erfolg
geradezu verurteilt sind. Der zweite Konvent darf kein
Luftballon sein, der mit Getöse aufsteigt und dann in
großer Höhe leise zerplatzt. Die Konventsidee darf nicht
mit dem Ende des Konvents ebenfalls zu Ende sein. Das
heißt: Der Geist dieses Modells muss sich im Inhalt der
Verfassung, die der Konvent erarbeitet, widerspiegeln.
Der Konvent ist eine große historische Chance, die es
zu nutzen gilt. Ich will gerne meinen engagierten Beitrag
dazu leisten und bitte alle Fraktionen dieses Hauses, mich
dabei durch konkrete und konstruktive Zusammenarbeit
zu unterstützen.
Ich bedanke mich.
({13})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Peter Altmaier für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Die europäische Geschichte der letzten zweieinhalbtausend Jahre war immer auch eine Verfassungsgeschichte, ob Sie an die griechische Polis, die
römische Republik, die Magna Charta - Kollege Meyer
hat sie bereits genannt -, die Französische Revolution, die
Paulskirchenverfassung oder das deutsche Grundgesetz
denken. Verfassungen haben den Sinn, ein Gemeinwesen
zu ordnen. Sie haben den Sinn, der allumfassenden Macht
Einzelner wie des Staates Grenzen zu setzen. Sie sollen
Interessengegensätze ausbalancieren. Sie sollen dazu beitragen, dass ein Gemeinwesen vernünftig funktionieren
kann.
Deshalb brauchen wir, auch wenn die Europäische
Union sicherlich kein Staat im klassischen Sinne ist und
es vielleicht auf lange Zeit nicht oder auch nie werden
wird, auch auf europäischer Ebene eine Verfassung.
({0})
Es war der französische Staatspräsident Jacques Chirac,
der sich von dieser Stelle aus in seiner Rede vor dem
Deutschen Bundestag als erster amtierender europäischer
Staatsmann klar und unzweideutig zu dem Projekt einer
europäischen Verfassung bekannt hat und damit der Diskussion in der Europäischen Union über die künftigen
Herausforderungen eine neue Dimension verliehen hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Konvent,
der am 28. Februar zusammentritt, erleben wir in der Tat
nicht mehr und nicht weniger als die Geburtsstunde dieser europäischen Verfassung.
({1})
Deshalb ist es notwendig, dass wir uns, bevor der Konvent
beginnt, Gedanken darüber machen und uns darüber klar
werden, wie die entscheidenden Herausforderungen, die
es zu bewältigen gibt, aussehen, damit wir uns nicht in
Debatten über Einzelheiten wie zum Beispiel die Stimmgewichtung, die qualifizierten Mehrheitsentscheidungen
und das Verhältnis der Institutionen zueinander verzetteln.
Die erste und wichtigste Herausforderung ist die Parlamentarisierung des europäischen Prozesses. Was
meine ich damit? Bisher treffen wir die Entscheidungen
auf europäischer Ebene nach einem alten Modell, das in
der Vergangenheit erst leidlich und dann immer weniger
funktioniert hat. Nach diesem Modell definieren die
15 Mitgliedstaaten zunächst einmal ihre nationalen Interessen und versuchen dann in langwierigen Verhandlungen, diese 15 verschiedenen nationalen Interessen so
auszugleichen, dass am Ende ein Package Deal, ein
Dr. Jürgen Meyer ({2})
Kompromiss, ein Teppichhandel herauskommt. Dieses
System hat früher funktioniert. Danach hat es eine Zeit
lang mehr schlecht als recht funktioniert. In den letzten
Jahren funktionierte es überhaupt nicht mehr. Das haben
wir in Nizza gesehen. Nizza ist das Menetekel für das
Scheitern der alten Methode der Entscheidung und Konsensfindung in der Europäischen Union.
({3})
Oft wird gesagt, dass es die Beamten hinter verschlossenen Türen sind, die keine Ergebnisse zustande bringen.
Herr Minister Fischer, ich will ausdrücklich auch Ihre Beamten in Schutz nehmen, weil ich weiß, dass die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, so wie in vielen anderen
Mitgliedstaaten auch,
({4})
die europapolitischen Entscheidungen und Auffassungen,
die wir in diesem Hause gemeinsam teilen, mit großem
Engagement vertreten.
({5})
Das System verhindert aber, dass Ergebnisse zustande
kommen.
Deshalb brauchen wir ein parlamentarisches System
der Beratung. Im Übrigen ist es auch nahe liegend: Wenn
es um Fragen wie die Tabakrichtlinie, die Altautorichtlinie oder um die Fragen geht, wie viel Umweltschutz wir
in Europa brauchen und wie wir die Steuergesetzgebung
in Europa gestalten wollen, geht es in erster Linie eben
nicht nur um nationale Interessen. In Deutschland sind die
Auffassungen zwischen der CDU/CSU, der SPD, den
Grünen und der FDP dann auch unterschiedlich.
({6})
Auch in fast allen anderen Ländern sind sie unterschiedlich. Trotzdem zwingen wir die Mitgliedstaaten nach unserem bisherigen System dazu, sich auf eine Position zu
einigen. Derjenige, der im Rat überstimmt wird, hat dann
große Schwierigkeiten, zu Hause zu verkaufen, warum er
in der Minderheit geblieben ist.
Ich glaube, dass es deshalb wichtig ist, dass wir das,
was im Parlamentarismus aller europäischen Mitgliedstaaten seit langem die Regel ist, auch in der Europäischen
Union zur Regel machen. Wir müssen nach politischen
Lagern diskutieren. Wir müssen versuchen, zwischen der
europäischen Linken und der europäischen Rechten, zwischen der Europäischen Volkspartei, den Sozialdemokraten, den Grünen und den Liberalen vernünftige Kompromisse hinzubekommen.
({7})
Es war das Erfolgsgeheimnis des Konvents, der die
Grundrechtecharta ausgearbeitet hat, dass es nicht 15 Akteure gab, sondern dass am Ende nur zwischen zwei oder
drei unterschiedlichen Auffassungen Kompromisse zustande gebracht werden mussten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb ist mit der
Einsetzung dieses Konvents auch ein entscheidender
Schritt zu einem Systemwechsel eingeleitet worden. Ich
will allerdings auch deutlich sagen, dass nicht alle Regierungen so sehr für den Konvent waren wie die deutsche
Bundesregierung, die den Deutschen Bundestag und den
Europaausschuss in dem Bestreben, einen Konvent zustande zu bringen, unterstützt hat. Es gab andere Regierungen in Europa, die das Projekt torpedieren wollten.
Diejenigen, die sich nicht durchgesetzt haben, versuchen
jetzt zum Teil, den Konvent zu einer kleinen Regierungskonferenz umzufunktionieren, indem sie durch allerhand
Geschäftsordnungstricks - es geht unter anderem um die
Sitzordnung, die Abstimmungsmodalitäten und die Redeordnung - versuchen, diesen Konvent an seiner parlamentarischen Arbeit zu hindern. Dies werden wir gemeinsam mit den Parlamentariern im Europäischen Parlament
zu verhindern wissen.
({8})
Zweiter Punkt. Im Verfassungskonvent geht es auch
um die Demokratisierung der Europäischen Union. Damit ist nicht Demokratisierung in dem Sinne gemeint,
dass wir heute im Europäischen Parlament und im Ministerrat über die Regierungen, die ihrerseits von Parlamenten gewählt worden sind, keine demokratische Legitimation hätten. Nein, das Kernrecht des Bürgers in
einer Demokratie besteht darin, dass er alle vier oder fünf
Jahre die Möglichkeit hat, seine Regierung, wenn sie gute
Arbeit gemacht hat, zu bestätigen oder sie, wenn sie
schlechte Arbeit gemacht hat, abzuwählen. Das mussten
wir früher alle vier Jahre fürchten, das fürchten Sie jetzt.
({9})
Aber das ist der Normalfall von Demokratie.
({10})
Wir sollten das ernst nehmen. Warum scheitern denn so
viele Referenden über europäische Vertragsänderungen,
zum Beispiel in Dänemark und jetzt in Irland? Warum haben wir die Debatten über Europamüdigkeit und Europaverdrossenheit? Doch sicherlich auch deswegen, weil
viele Menschen das Gefühl haben, dass sie dem, was in
Brüssel entschieden wird, hilflos ausgeliefert sind,
({11})
dass sie keine Sanktionsmöglichkeiten haben, dass sie
sich nicht zur Wehr setzen können.
Deshalb ist es wichtig, dass der Präsident der Europäischen Kommission in Zukunft vom Europäischen
Parlament gewählt werden kann. Dann werden wir einen
europäischen Wahlkampf mit unterschiedlichen Spitzenkandidaten und unterschiedlichen Programmen bekommen. In diesem europäischen Prozess werden sich die
Bürger wesentlich besser wiederfinden können, als dies
gegenwärtig der Fall ist.
({12})
Das Dritte ist die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union. Es führt auch zu Europaverdrossenheit,
wenn viele Bürger, die zum Beispiel als Handwerker, als
Landwirte oder als Studenten in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld mit Europa und europäischen Regelungen
konfrontiert werden, feststellen, dass es zwar in vielen
Bereichen europäische Kompetenzen gibt, dass diese Zuständigkeiten auf europäischer Ebene aber entweder gar
nicht oder nur unzureichend wahrgenommen werden
können. Das ist ein Problem für die Akzeptanz der europäischen Einigung. Deshalb müssen wir durch eine mutige Reform des Ministerrats - durch Mehrheitsentscheidungen - dafür sorgen, dass die Europäische Union ihre
Handlungsfähigkeit erhält.
({13})
Damit komme ich zu dem eigentlichen Kernpunkt des
Konventes. Ich glaube nicht, dass der Konvent automatisch ein Erfolg wird. Es wird in diesem Konvent Interessengegensätze geben zwischen denen, die meinen, dass
wir schon viel zu viel Europa haben, dass die Unabhängigkeit des Nationalstaates bedroht ist, und denen, die sagen, wir brauchen mehr Europa und vor allen Dingen ein
stärkeres Europa. Das bedeutet, dass es im Konvent zu
Krisen kommen wird, dass die Beratungen stocken werden, dass sie möglicherweise sogar scheitern können.
Wie können wir einen historischen Kompromiss finden
zwischen dem Nationalstaat, der ja nicht verschwinden
soll, den nationalen Identitäten, die weiterbestehen müssen, auf der einen Seite und den Bedürfnissen der europäischen Integration auf der anderen Seite, um das, was in
Europa gemacht werden muss, so erledigen zu können,
dass die Bürger damit einverstanden sind?
Es gibt dafür zwei Ansatzpunkte. Die einen sagen, wir
müssten in Europa künftig über alles reden. Europa müsse
zuständig sein von der Schule bis zur Bahre: für jede
Frage der Sozialpolitik, Kulturpolitik, Bildungspolitik,
Wirtschaftspolitik und Finanzpolitik. Zum Ausgleich
wird versucht, die europäischen Institutionen zu
schwächen, indem Befugnisse von der Kommission auf
den Ministerrat übertragen werden, indem dafür gesorgt
wird, dass - statt der alten Methode nach Jean Monnet intergouvernementale Prozeduren verstärkt werden, sodass die Europäische Union am Ende überhaupt nicht
mehr handlungsfähig ist und an ihren eigenen Befugnissen erstickt. Das ist nicht unser Weg.
Die zweite Lösung, die sich anbietet, ist, dass wir sagen, dass wir starke europäische Institutionen wollen,
eine handlungsfähige Kommission und einen Ministerrat,
der seiner Verantwortung gerecht wird, dass wir aber nicht
wollen, dass Europa alles macht. Wenn es in Zukunft noch
Nationalstaaten geben soll, dann brauchen sie auch
eigene Zuständigkeiten, dann dürfen wir die Zuständigkeiten nicht so vermischen, dass der Bürger am Ende
nicht mehr entscheiden kann, wer wofür verantwortlich
ist, wer was macht. Zur Demokratie gehört auch, dass die
Bürger wissen und entscheiden können, wen sie für etwas
verantwortlich machen, wenn sie mit einer Regelung zufrieden sind oder nicht.
Wir werden im Konvent sicherlich schwierige Beratungen haben. Wir dürfen vor allen Dingen nicht den Fehler machen, mit der Schere im Kopf an diese Beratungen
heranzugehen; denn ich glaube, dass wir ein Ergebnis nur
dann erzielen werden, wenn wir uns nicht von vornherein
auf Minimalkompromisse, auf den kleinsten gemeinsamen Nenner festlegen lassen.
Wir werden allerdings auch nur dann Erfolg haben,
wenn wir niemanden überfordern: weder die kleinen Mitgliedstaaten, die vor einem Direktorium der großen Mitgliedstaaten Angst haben, noch die reicheren Mitgliedstaaten, deren finanzielle Belastbarkeit nicht unendlich
groß ist, und auch nicht die ärmeren Mitgliedstaaten, die
zu Recht auf Solidarität hoffen.
Herr Kollege, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.
Ich komme zum
Schluss, Frau Präsidentin.
Wir dürfen vor allen Dingen nicht den Fehler machen,
das Vertrauen, das die Bürger in ihre Institutionen haben,
dadurch zu beschädigen, dass wir im Konvent in Brüssel
ein schlechtes Beispiel für die Zusammenarbeit der Europäer geben. Wir müssen zeigen, dass wir imstande sind,
ein mutiges und ambitioniertes Projekt voranzutreiben, an
dessen Ende ein Verfassungsvertrag steht, der Europa voranbringt und die europäischen Probleme im Interesse der
Bürger löst.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Ich will darauf hinweisen, dass auch die frei gesprochenen Schlussworte zur
Redezeit gehören.
({0})
- Ja, es war nur ein langer Schlusssatz, der zudem hoch
interessant war. Ich darf noch hinzufügen, dass wir uns
über die Fortschritte hinsichtlich des Verfassungskonvents sehr freuen.
Ich gebe nun dem Kollegen Christian Sterzing das
Wort für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist
schwierig, diesen Konvent in vier Minuten so zu würdigen, wie es ihm eigentlich gebührt. Aber es ist sicherlich
nicht so schwierig wie das Entwerfen einer europäischen
Verfassung innerhalb eines Jahres. Ich will im Folgenden
nur einige wenige Stichworte nennen.
Es ist ganz wichtig, dass wir diesen Konvent im Rahmen der fortschreitenden Demokratisierung des Integrationsprozesses betrachten. Die Demokratisierung im
Sinne von Parlamentarisierung wurde bereits angesprochen. Eine Versammlung, die mehrheitlich aus Parlamentariern zusammengesetzt ist, ist in der Lage - so
hoffen wir alle -, die Logik der Regierungskonferenzen
und der nicht nachvollziehbaren Kompromisse hinter
verschlossenen Türen zu durchbrechen. Insofern bedeutet
der Konvent einen großen Fortschritt auf dem Weg der
Demokratisierung der Europäischen Union.
Das zweite Stichwort ist die Entnationalisierung. Es
ist wichtig, dass durch diesen mehrheitlich von Parlamentariern besetzten Konvent auch die nationale Logik
von Regierungskonferenzen durchbrochen wird. Die Abgeordneten werden sich weitgehend in ihren politischen
Familien organisieren. Dies wird die Debatten prägen.
Dadurch kommt es nicht zu einer Belebung scheinbarer
Gegensätze bei den nationalen Vorstellungen. Auch das ist
ein ganz wesentlicher Fortschritt.
Ich glaube drittens, dass dieser Konvent zu einer Politisierung beitragen wird. Die Debatten werden anders
verlaufen, weil sie sich auf die politischen Kernthemen
konzentrieren können. Es geht nämlich nicht darum, zu
Hause das Gesicht zu wahren und Rivalitäten in Bezug
auf nationale Interessen auszutragen. Wir können uns
vielmehr um die wirklichen politischen Probleme des Integrationsprozesses kümmern. Dies wird in der Konsequenz dazu führen, dass die Akzeptanz des Integrationsprozesses und der Reiz, diesen Prozess zu verfolgen und
sich daran zu beteiligen, gesteigert wird.
Meines Erachtens dürfen wir nicht nur den Konvent im
Blick haben, sondern müssen auch das Forum der Zivilgesellschaft sehen, das diesem Konvent nach dem Beschluss von Laeken zur Seite gestellt wird. Wir sind uns
alle darin einig, dass es wichtig ist, eine breite gesellschaftliche Debatte über den Integrationsprozess und über
die Zukunft Europas zu initiieren. Die Verantwortung
dafür kann nicht einfach auf den Konvent übertragen werden. Die Verantwortung muss in diesem Forum wahrgenommen werden. Hier kommt es darauf an, in geeigneter
Weise Initiativen, Organisationen und Institutionen an der
Debatte zu beteiligen.
Auch für uns auf der nationalen Ebene ist das sehr
wichtig. Die Debatte darf sich nicht alleine in Brüssel abspielen. Wir müssen sie bei uns im Parlament, in den Fraktionen und in den Parteien politisch begleiten. Wir müssen diesen Konvent insofern auch als einen Impuls für
unsere europapolitische und integrationspolitische Arbeit
in den verschiedensten politischen Gremien verstehen.
Vielen Dank.
({0})
Für die FDP-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
FDP-Fraktion begrüßt ausdrücklich und uneingeschränkt
die Einsetzung des europäischen Verfassungskonvents.
Sie unterstützt genau diesen Titel. Ich kann mich noch gut
an Diskussionen hier im Parlament im Zusammenhang
mit der Europäischen Grundrechte-Charta erinnern, in
denen immer wieder gesagt wurde: Lassen Sie uns die
Grundrechte-Charta nicht in Verbindung mit einem europäischen Verfassungsgebungsprozess setzen; das kann
diesem Projekt schaden. Man sieht daran - das erfüllt uns
mit Hoffnung -, dass die Meinungsbildung in Europa innerhalb eines Jahres auch in diesem Punkt sehr wohl
vorangegangen ist.
({0})
Von daher unterstützen wir diesen Prozess.
Wir sehen darin die - vielleicht sogar einzige - Chance,
Europa am Scheideweg, wie es auf dem Gipfel von
Laeken bezeichnet wurde, in die richtige Richtung zu bewegen. Denn neben der historisch notwendigen Erweiterung um ost- und mitteleuropäische Staaten geht es gleichzeitig zwingend darum, die Vertiefung der Europäischen
Union voranzubringen. Denn nur wenn uns beides innerhalb eines sehr ehrgeizig festgelegten Zeithorizontes gelingt, wird Europa wirklich die politische Europäische
Union, die wir wollen, und läuft nicht Gefahr, sich rückwärts bzw. hin zu einer in erster Linie wirtschaftlichen
Gemeinschaft, in der es um die Verteilung von Subventionen bzw. Geldern geht, zu entwickeln.
Wir sprechen zwar hier im Bundestag über den Konvent. Es ist aber schade, dass unsere unmittelbaren Einflussmöglichkeiten gering sind.
({1})
Herr Meyer, wir unterstützen, dass mit Ihnen ein profunder Kenner der europäischen Materie und ein überzeugter
Europäer im Konvent vertreten ist. Sie sind ja auch von
unserer Fraktion gewählt worden, um die dortigen Aufgaben wahrzunehmen. Aber der Konvent - vor allem das
Präsidium - ist nicht so zusammengesetzt, wie wir uns das
gewünscht haben.
({2})
Es ist kein Parlamentskonvent. Das Präsidium besteht
mehrheitlich nicht aus Parlamentariern und in ihm wird
leider, wie es wohl sein wird, auch kein Vertreter Deutschlands sein. Das ist schade.
({3})
Es kommt entscheidend darauf an, dass sich der Konvent auf seinen ersten Sitzungen Gedanken über Verfahren macht - und diese auch beschließt -, die der Gefahr
der Dominanz durch das Präsidium vorbeugen. Es sollte
verhindert werden, dass die Parlamentarier aus dem Europäischen Parlament und aus den nationalen Parlamenten nach einer wunschgemäßen Diskussion mehr oder weniger das abnicken, was ihnen nach internen Beratungen
im Präsidium vorgelegt worden ist. Genau das wollen wir
nicht.
({4})
Meine Damen und Herren, deshalb sollten wir uns hier
als Parlamentarier und insbesondere als Mitglieder des
Europaausschusses, der nach Art. 45 des Grundgesetzes
eine besondere Funktion hat, der nämlich ermächtigt ist,
die Rechte des Bundestages wahrzunehmen, Gedanken
darüber machen, wie wir dieser Funktion außer durch die
vielen zu erwartenden Diskussionen über den gesamten
Themenkatalog, der uns allen bekannt ist und der in den
Schlussfolgerungen des Gipfels von Laeken in einer Fülle
von Fragen umrissen worden ist, gerecht werden. Wir
sollten uns im Europaausschuss und auch im Parlament
auf wichtige Vorgaben einigen, die dann den deutschen
Vertretern im Konvent, also unserem deutschen Parlamentsvertreter, aber auch den anderen deutschen Vertretern, eine gewisse Rückendeckung bieten. Ich hoffe nicht,
dass sich unsere Befürchtung bestätigen wird, dass sich
die weiteren deutschen Vertreter, Herr Teufel als Vertreter
der Länder,
({5})
Herr Glotz als Regierungsbeauftragter und sein Unterstützer Herr Pleuger,
({6})
nicht hier im Bundestag befinden werden, um sich das anzuhören, was wir hier im Zusammenhang mit dem Verfassungskonvent zu sagen haben, und dies auch ernst zu
nehmen.
Die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich dieses Konventes sind zu Recht groß. Entsprechend große Erwartungen sind ja geweckt worden. Wie
können wir diesen Erwartungen entsprechen? - Indem,
wie Herr Altmaier gesagt hat, nachher nicht der kleinste
gemeinsame Nenner herauskommt, indem es nicht nur
eine Neuauflage von Regierungskonferenzen nach altem
Stil mit einem Ergebnis à la Nizza gibt, sondern indem in
dem Konvent ein Ergebnis erzielt wird, das zwar von einer Regierungskonferenz abgesegnet wird, aber dort nicht
entscheidend verändert wird, und das Europa wirklich zu
einem demokratischen, transparenten, effizienten Gemeinwesen macht - natürlich mit staatlichen Funktionen
und staatlicher Autorität.
({7})
Damit das mit unseren schwachen Mitteln - dass es
schwache Mittel sind, müssen wir einmal deutlich sagen gelingen kann, ist es zwingend notwendig, dass zumindest die deutschen Vertreter in dem Konvent in ihren unterschiedlichen Rollen, auch mit ihren unterschiedlichen
Interessen - sie sind dort ja in unterschiedlichen Funktionen - zusammenstehen. Wenn es noch nicht einmal gelingen sollte, dass Herr Teufel, Herr Glotz und Herr Meyer an
einem Strang ziehen, dann, so glaube ich, brauchen wir in
das Ergebnis der Beratungen des Konvents keine allzu
großen Hoffnungen zu setzen. Deshalb hoffe ich nicht,
dass es jetzt ein schlechter Auftakt war,
({8})
weil diese Herren in ihren Funktionen heute leider nicht
die Debatte hier verfolgt haben.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat nun der
Kollege Uwe Hiksch für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir von der PDS-Bundestagsfraktion begrüßen, dass ein europäischer Verfassungskonvent
eingesetzt wird, weil wir glauben, dass dieser europäische
Verfassungskonvent die Chance bietet, politische und
auch institutionelle Reformen voranzubringen, die in der
Europäischen Union bisher nicht möglich waren.
Wir weisen aber auch darauf hin, dass die Einsetzung
dieses zweiten Konvents nur möglich geworden ist, weil
- wir alle wissen das ja - eine Reihe von Regierungen in
Europa erkennen musste, dass das Instrument der Regierungskonferenzen, diese Treffen in geheimen Zirkeln, als
Reformmotor der Europäischen Union gescheitert ist.
Diesen europäischen Konvent zu schaffen ist auch deshalb möglich gewesen, weil manche Regierungen, die der
Integration und der europäischen Idee nicht so aufgeschlossen gegenüberstehen, beispielsweise die deutsche
Regierung, durchaus hoffen, dass dieser Konvent zeigen
wird, dass auch die Parlamentarierinnen und Parlamentarier dann, wenn sie an die Reform der Verträge gehen, daran ein Stückchen scheitern könnten. Deshalb sind wir
alle gemeinsam dazu aufgerufen, Kolleginnen und Kollegen, für die Zukunft Europas und für die Schaffung eines
Europas der Bürger dabei mitzuhelfen, dass dieser Konvent ein Erfolg wird.
({0})
Damit er ein Erfolg werden kann, darf über der Frage
der institutionellen Reformen nicht vergessen werden,
dass auch politische Reformen auf die Tagesordnung der
Europäischen Union gesetzt werden müssen. Wir von der
PDS-Bundestagsfraktion sind der Überzeugung, dass es
nicht angehen kann, eine Agrarpolitik zu entwickeln, die
mit dem Beitritt der mittelosteuropäischen Staaten in Europa Landwirte erster und zweiter Klasse schafft. Die
Landwirte müssen wissen - dabei wollen wir mithelfen -,
dass sie gleiche Rechte und auch gleiche Subventionen
bekommen.
Wir glauben auch, dass die Reform der Strukturpolitik in der Europäischen Union auf die Tagesordnung gesetzt werden muss. Dabei darf aber nicht der Egoismus der
Starken siegen. Schwächere Regionen und schwächere
Staaten brauchen weiterhin die europäische Unterstützung.
({1})
Wir müssen deutlich machen, dass bei der Internationalisierung der Kapital- und Finanzströme, die es schon
lange gibt, eine immer stärkere Zusammenarbeit in der
Wirtschaftspolitik notwendig ist, die beispielsweise mit
dem Modell einer europäischen Wirtschaftsregierung ein
Stückchen vorangebracht werden kann.
Die Menschen in unserem Lande werden der europäischen Idee gegenüber nur dann aufgeschlossen bleiben,
wenn sie spüren, dass auf europäischer Ebene nicht nur
die Ökonomie, sondern auch die realen Probleme der
Menschen, die Arbeitslosigkeit, die Wohnungsnot und die
soziale Ausgrenzung immer größerer Teile unserer Gesellschaft, eine Rolle spielen. Deshalb glauben wir, dass
dieser Konvent eine gute Grundlage ist, um die Demokratisierung der Europäischen Union voranzubringen.
Demokratisierung bedeutet aber auch - Frau
Leutheusser-Schnarrenberger hat es bereits aufgezeigt -,
dass der darauf folgende Konvent darüber diskutieren
muss, dass sich ein Konvent faktisch nicht nur aus den
beiden Hauptströmungen zusammensetzen darf, sondern
die Pluralität europäischer Parteien und ideeller Strömungen wiedergeben muss. Deswegen sollte der übernächste
Konvent vielleicht so angelegt sein, dass eine rein nationalstaatliche Auswahl überwunden wird.
({2})
Wir glauben, dass der Versuch der Schaffung einer europäischen Verfassung, in der individuell einklagbare soziale und bürgerliche Grundrechte festgeschrieben werden
müssen, ganz wichtig für die Zukunft der Europäischen
Union ist. Darüber hinaus müssen die Leftovers von Nizza
- die Versuche, eine kleinere arbeitsfähige Kommission zu
schaffen, Mehrheitsentscheidungen als grundsätzliche europäische Entscheidungsgrundlage sowie individuell einklagbare Grundrechte für die einzelnen Menschen im sozialen und bürgerlichen Bereich durchzusetzen - angegangen
werden. Das sind einige der wichtigsten europäischen
Herausforderungen, dass ohne Europa viel schwieriger
ist, die Zukunftschancen zu nutzen, Vollbeschäftigung zu
schaffen und Armut zu bekämpfen, als mit Europa.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, Herr Meyer, viel
Erfolg im Konvent und hoffe, dass dies gelingen möge.
({3})
Das Wort hat jetzt der
Kollege Günter Gloser für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Von Europa weiß kein Mensch, weder ob es vom
Meer umflossen ist, noch wonach es benannt ist,
noch wer es war, der ihm den Namen gegeben hat.
Diese Sorgen haben im Jahr 430 vor Christus einen altgriechischen Historiker geplagt.
Wir stehen vor anderen Herausforderungen: der Integration und Erweiterung der Europäischen Union. Beides
setzt ein handlungsfähiges Europa voraus. Wie ist zu
diesem Ziel zu gelangen? Die Methode Jean Monnets hat
sich in einer bestimmten und sicherlich auch sehr langen
Phase als richtig erwiesen. Aber die Schwerpunktsetzung
allein auf das ökonomische Zusammenwachsen hat die
demokratische Verfasstheit in dieser Europäischen Union
in den Hintergrund gedrängt. Es hat Strukturen gegeben,
mit denen wir als Parlamentarier nicht einverstanden sein
konnten. Insofern ist es wichtig und richtig zugleich,
wenn sich die Europäische Union - Regierungen wie Parlamente, Wissenschaft, aber auch Zivilgesellschaft - auf
den Weg zu einer europäischen Verfassung macht. Mit
dem Einsetzen eines Konvents wird gleichzeitig Abschied
von der bisherigen Methode der Vertragsänderungen genommen.
Was aber hat das für Folgen? Dies ist bereits von meinen
Vorrednerinnen und Vorrednern angesprochen worden.
Erstens. Jetzt muss der Konvent beweisen, dass er es
besser kann als vorausgegangene Regierungskonferenzen.
Zweitens. Wir haben an mancher Stelle beklagt und beklagen es auch heute noch, dass der Konvent nicht rein
parlamentarisch besetzt ist. Dennoch ist der parlamentarische Einfluss erheblich gestärkt worden. Wir als Parlamentarier müssen nun beweisen, dass es uns gelingt, die
Initiative zu ergreifen und die Möglichkeit zur Gestaltung
zu nutzen. Der Konvent soll sich - es wurde gerade schon
die Forderung nach dem nächsten Konvent gestellt - in
der Tat bewähren.
Drittens - das halte ich für einen wichtigen Punkt; wir
sehen dies bei eigenen Parlamentsdebatten -: Der Konvent kann der Beginn einer europäischen Öffentlichkeit,
ein Beleg für mehr Transparenz in der Europäischen
Union und damit auch ein Beleg für mehr Demokratie
sein. Insofern ist es nicht vermessen, die konstituierende
Sitzung des Konvents am 28. Februar 2002 als ein historisches Datum zu bezeichnen.
({0})
Nachdem aufgrund der innenpolitischen Situation vieles an diese Bundesregierung herangetragen wurde, nachdem sie verurteilt und kritisiert wurde, will ich noch einmal in Erinnerung rufen - der Kollege Professor Meyer
hat das zu Recht erwähnt -, dass in Köln durch diese Bundesregierung, durch Bundeskanzler Schröder und Außenminister Joschka Fischer, ein Testlauf in Gang gebracht
worden ist. Dieser Testlauf wurde positiv abgeschlossen.
Insofern war es nur folgerichtig, dass wir Parlamentarier
gesagt haben: Lasst uns dieses Modell aufgreifen und den
Parlamentariern mehr Mitwirkungs- und Gestaltungsrechte bei dieser Verfassung geben.
Die SPD hat mit ihrem Leitantrag „Verantwortung für
Europa“ unterstrichen, welche Kernbereiche wichtig genug sind, in diesem Konvent behandelt zu werden. Was
erwarten wir für die Zukunft der Europäischen Union?
Ich verdeutliche es an vier Punkten:
Erstens. Die Handlungsfähigkeit der Europäischen
Union ist sicherzustellen.
Zweitens. Eine klare Aufgabenzuordnung für die europäischen Institutionen, die Europäische Kommission, das
Europäische Parlament und den Europäischen Rat, ist erforderlich.
Drittens. Nicht zu vergessen ist das Zusammenspiel
dieser Institutionen mit den nationalen Parlamenten. Damit ist nicht gesagt, dass wir von vornherein alles auf die
europäische Ebene heben wollen. Vielmehr müssen auch
die nationalen Parlamente eine wichtige Rolle spielen.
Dafür ist aber nicht unbedingt eine neue Institution auf europäischer Ebene erforderlich.
Viertens. Wir brauchen eine Reform der Sachpolitiken.
Lieber Kollege Hiksch, Sie haben in Ihrem Beitrag die
zwei Klassen in der gemeinsamen Agrarpolitik erwähnt.
Wir Sozialdemokraten lassen uns weiterhin davon leiten,
in der Europäischen Union auf Solidarität zu achten. Das
haben wir bei den 15 gezeigt, das werden wir auch bei der
erweiterten Union zeigen. Allerdings müssen Sie dann
auch sagen, wie das alles finanziert werden soll. Dazu
höre ich leider keine Vorschläge von der PDS. Es wäre sicherlich sinnvoll, dies im Laufe der Diskussion zu erreichen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Europäische Union wird in wenigen Jahren 25 oder noch mehr
Mitgliedstaaten umfassen. Eine Gemeinschaft mit dann
mehr als 500 Millionen Einwohnern braucht klare Ziele
und Regeln für das Zusammenleben und die Politikgestaltung. Sie muss auch nach ihrer Erweiterung handlungs- und entscheidungsfähig sein. Insofern ist es gerade
vor dem Hintergrund der Erweiterung der Europäischen
Union richtig, dass wir von vornherein fraktionsübergreifend - das finde ich sehr gut - gefordert haben, dass alle
Beitrittsländer an diesem Prozess beteiligt werden können. Auch dies ist ein Beleg für die Offenheit dieser Zukunftsdiskussion in der Europäischen Union.
Europa ist seit vielen Jahrhunderten ein gemeinsamer
Lebens- und Gestaltungsraum mit sehr vielen Brüchen:
mit Kriegen, Katastrophen, Tragödien und Kleinstaaterei.
Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, besteht die große
Chance, mit der Debatte über die Zukunft Europas und der
bevorstehenden Erweiterung aus einem über viele Jahre
zerstrittenen Kontinent einen friedlichen Kontinent zu gestalten und eine europäische Identität herzustellen.
Wenn wir als Parlamentarier daran mitwirken können
und gemeinsam mit den Kollegen, die Deutschland in diesem europäischen Konvent vertreten, daran beteiligt werden, dann müssen wir in den nächsten Wochen und Monaten auch in diesem Parlament Gelegenheit haben,
mehrfach über den Verlauf des europäischen Konvents
und die Zukunft der Europäischen Union zu diskutieren.
Vielen Dank.
({1})
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Gerd Müller.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Wir müssen uns gegenseitig
wieder ernst nehmen, sonst können wir Debatten vergessen. Sich gegenseitig mehr ernst zu nehmen heißt, das
Parlament und nicht die Regierung oder den Bundesrat
zum Zentrum der Debatte zu machen; denn bei diesem
Projekt handelt es sich um eine der weitest reichenden
Reformen des europäischen Staats- und Verfassungsgefüges. Hier geht es um zentrale politische Fragen, die
uns in den nächsten Jahren alle berühren werden. Daher
müssen wir uns gegenseitig ernst nehmen.
Eine solche Debatte ist ein hervorragender Aufbruch.
Frau Kollegin, ich gebe Ihnen vollkommen Recht: Heute
stellt sich nicht die Frage „Wo ist Behle?“, sondern es
stellt sich die Frage, wo Teufel, Glotz und Pleuger sind.
Natürlich wollen wir miteinander in Deutschland mit den
Vertretern im Konvent - auch mit denjenigen, die den
Bundesrat vertreten - in einen Dialog eintreten und eine
gemeinsame Linie entwickeln. Nur dann haben solche
Debatten Sinn.
({0})
Es geht jetzt darum, in Europa die internationale Handlungsfähigkeit der Union, aber auch die Erweiterungsfähigkeit und deren Funktionsfähigkeit nach innen sicherzustellen. Heute diskutieren wir über die Zielstellung
des Konvents. Nun hat der Gipfel von Nizza dem Konvent
die klare Aufgabe vorgegeben, zu den Themenbereichen
Kompetenzabgrenzung der einzelnen Ebenen, Vereinfachung der Verträge und Stärkung der Rolle der nationalen
Parlamente Vorschläge und Optionen zu erarbeiten. - Dieses Thema rutscht oft ein bisschen unter den Teppich. Der Konvent wird dazu wichtige Vorarbeiten für die im
Jahr 2004 einzuberufende Regierungskonferenz leisten.
Er wird und kann aber die Regierungskonferenz nicht ersetzen.
({1})
Er leistet zentrale Vorarbeiten, die dann in eine Regierungskonferenz einmünden werden.
Welche vorrangigen Fragen müssen neben denen, die
aufgeworfen wurden, diskutiert werden? Natürlich stehen
auf der Tagesordnung weitere brennende Themen: die
Reform der europäischen Regional- und Strukturpolitik
sowie die Reformierung des Finanzsystems und der Landwirtschaftspolitik. Dies sind die Tagesfragen. In der Konventsdebatte gehen wir ein Stück darüber hinaus.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen
die Debatte über die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Europa, den Mitgliedstaaten und den Ländern auch
dazu nutzen - dazu möchte ich die Bundesregierung und
uns alle ermutigen -, eine innerstaatliche Funktionalreform in Deutschland anzudiskutieren. Denn wir können in der Europäischen Union nicht eine zusätzliche,
neue Ebene der Gesetzgebung einführen, ohne die Auswirkungen auf das Staatsgefüge in Deutschland und auf
den Staats- und Verwaltungsaufbau auf den Prüfstand zu
stellen. Die Ziele dieser innerstaatlichen Funktionalreform sind eine Verschlankung staatlicher Hierarchieebenen und eine Entbürokratisierungsoffensive. Dies
müssen wir intern leisten. Darüber hinaus geht es darum,
den Aufgabenbestand der EU an die Leistungsfähigkeit
der erweiterten 27er-Gemeinschaft anzupassen.
Was die Frage der Kompetenzabgrenzung betrifft, so
hat die CDU/CSU mit dem Bocklet/Schäuble-Papier einen überzeugenden, umfassenden und abgewogenen Vorschlag in die Debatte eingeführt, der in der europäischen
Diskussion schon heute eine zentrale Rolle spielt. Ich
möchte nur einige Punkte dieses Papiers ansprechen: Wir
bringen sehr klar zum Ausdruck, wo wir für uns mehr europäische Kompetenzen erwarten. Hier lauten die Stichworte: Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Aber demgegenüber sagen wir auch sehr klar, differenziert und detailliert, wo die Grenzen europäischer Durchgriffsgestaltung liegen, nämlich beispielsweise beim
inneren Staatsaufbau der Mitgliedstaaten einschließlich
der kommunalen Selbstverwaltung und bei der Daseinsvorsorge.
Herr Fischer - Sie sprechen ja nach mir -, das
Bocklet/Schäuble-Papier ist eine hervorragende Basis.
Wo ist der Diskussionsvorschlag bzw. der Entwurf der
Regierung, wie diese Themen angepackt werden sollen?
Ich werde anschließend ganz gespannt Ihren Ausführungen lauschen.
({2})
Bei den institutionellen Reformen - dies möchte ich
ergänzend sagen - sollte man sich nicht nur auf die Europäische Kommission und das Europäische Parlament,
sondern insbesondere auf den Ministerrat konzentrieren.
({3})
Die Europapolitik bedarf, wenn wir vom Ministerrat auf
den Rat und die nationale Beteiligung blicken, einer
neuen Struktur, und zwar auch in Deutschland. Wir
benötigen ein koordinierendes und gestaltendes Europaministerium. Europapolitik ist längst nicht mehr Außenpolitik, sondern sie benötigt einen eigenen Kopf, der dem
Parlament gegenüber Verantwortung übernimmt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Nizza gibt
den Mitgliedstaaten auch den Auftrag einer Neudefinition
der Rolle der nationalen Parlamente; darüber denken
nationale Parlamentarier komischerweise weniger nach
als über die Rolle des Europäischen Parlaments. Dazu haben wir Vorschläge vorgelegt. Ich skizziere sie nur kurz:
Wir brauchen eine Parlamentarisierung und die konsequentere Nutzung der jetzigen Rahmenbedingungen. Eine
solche Debatte ist im Rahmen unserer jetzigen Möglichkeiten gegeben. Aber wir brauchen auch eine Ergänzung
des Art. 23 GG, um den Rat und unsere Vertreter bei
grundlegenden Rechtsetzungsfragen an das Votum des
Bundestages zu binden.
Darüber hinaus ist die Frage zu diskutieren, ob in zentralen Fragen ein neuer Rat, ein Ministerrat, auch aus Vertretern der nationalen Parlamente bestehen soll. Der Bundesrat ist hier einen Schritt weiter.
Diese Fragen müssen in den nächsten Monaten miteinander im Dialog diskutiert werden. Es stellt sich darüber
hinaus die Frage nach der Rolle der Nationen. Ich habe
sehr aufmerksam zugehört: Wir müssen natürlich auch die
Chance nutzen, eine europäische Wertedebatte zu initiieren. Insgesamt stehen wir nicht am Rande einer Krise,
sondern vor einer großartigen Chance, gemeinsam moderne, zukunftsfähige Strukturen in Europa zu entwickeln.
Vielen Dank.
({4})
Nun erteile ich dem
Bundesaußenminister Joschka Fischer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir
bis zum Jahre 2006 oder kurz darüber hinaus vorausschauen, werden wir feststellen, dass wir vor drei wirklich
zentralen Aufgaben stehen, die nicht nur Deutschland,
sondern die Europäische Union als Ganzes in einem hohen Maße fordern werden.
Die erste Aufgabe ist, endlich den Schritt zu machen,
die europäische Integration zu leisten, und zwar in räumlicher Ausdehnung durch die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten. Das wird, da die Arbeit gut vorankommt - entsprechend den Vorgaben der Europäischen Räte von
Nizza und Göteborg -, hoffentlich bis zum Frühsommer 2004 gelingen, sodass die ersten neuen Mitgliedstaaten an der Wahl zum Europaparlament werden teilnehmen können.
Dies wird aber eine große Herausforderung für uns alle
bedeuten, und zwar in finanzieller und institutioneller
Hinsicht. Wenn es so kommt, wie die Kommission meint,
dass es vermutlich kommen wird, dass zehn neue Mitgliedstaaten aufgenommen werden, werden wir eine Europäische Union der 25 haben. Dies wird das institutionelle Gefüge vor grundsätzliche Herausforderungen
stellen, und zwar nicht nur im funktionalen, sondern
auch im demokratischen Sinne. Ein Staatenverbund mit
25 Mitgliedstaaten wird die Kompromisse immer undurchschaubarer und die Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Nationalstaaten immer komplizierter und
überfrachteter machen. Die einzelnen Staaten werden
schwerer zusammenzubringen sein, die Kompromisspakete werden von den Menschen immer weniger verstanden werden. Damit wird ein heute bereits sich
abzeichnendes Legitimationsdefizit verstärkt werden,
sodass die Zustimmung zu der für uns alle unverzichtbaren europäischen Entscheidungsebene - denn Europa
bedeutet unser aller Zukunft - in den Mitgliedstaaten abnehmen wird. Das kann nicht in unserem Interesse sein.
Es ist aber auch die funktionale Seite berührt. Die
neuen Mitgliedstaaten haben kein Interesse, in eine Europäische Union einzutreten, die nur noch unzureichend
funktioniert oder gar in eine Stagnation verfällt. Wir dürfen uns keine Illusionen darüber machen - ich plädiere
hier für Realismus; gerade wir Deutsche sind dafür besonders geeignet, da wir innerstaatlich die Schwierigkeiten des Zusammenfindens und Zusammenwachsens
bereits erlebt haben -, wie viel Geduld und gegenseitigen
Verständnisses es bedarf. Es treten neue Mitgliedstaaten ein, die für ihre nationale Unabhängigkeit von
der Sowjetunion und gegen Diktaturen über fünf Jahrzehnte hinweg gekämpft haben. Wir werden neue
Mitgliedstaaten bekommen, die ihren eigenen Zugang zur
europäischen Integrationsidee haben und - das ist sehr
wichtig - im Laufe der Zeit weiter entwickeln müssen.
Das alles wird keineswegs die Bindungskraft einer sich
erweiternden Europäischen Union verstärken. Wenn also
zu dem Demokratieproblem auch noch ein Funktionalitätsproblem hinzu käme, würde das die Europäische
Union vor sehr ernste Probleme stellen. Genau deshalb
besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Erweiterung und Vertiefung der Integration. Hier liegt
die Hauptaufgabe. Ich sage unbeschadet der parteipolitischen Positionen, die hier eingenommen werden - in der
Politik zählen die Ergebnisse -: Wenn der Konvent das
Demokratieproblem und das Funktionalitätsproblem nur
unzureichend lösen würde, würden wir mit einer Union
der 25 eben nur unzureichende Ergebnisse erzielen, die
dann zu unzureichenden Konsequenzen führten.
Ich wünsche mir, dass sich der Konvent an diesen
Grundtatsachen orientiert:
Wie kann eine europäische Demokratie der 25 Mitgliedstaaten funktionieren? Welches institutionelle Gefüge und welches Verhältnis von nationalstaatlicher und
europäischer Ebene braucht sie? Ich stimme völlig damit
überein, dass die innerstaatliche Organisationskompetenz
bei den Nationalstaaten liegt. Es wäre geradezu unsinnig,
bei einer so unterschiedlichen föderalen und zentralstaatlichen Tradition, wie sie beispielsweise in Deutschland
und Frankreich besteht, plötzlich von Brüssel her entscheiden zu wollen. Das wird nicht funktionieren.
Aber die entscheidende Frage ist die nach der Funktionalität einer europäischen Demokratie. Dabei wage
ich die Prophezeiung, dass auf den Konvent eine sehr
schwierige Aufgabe zukommt. Meine These ist, dass der
Konvent bereits zu 95 Prozent oder mehr über den Erfolg
der dann stattfindenden Regierungskonferenz entscheiden wird. Ich sehe nicht, dass die Regierungskonferenz
Ergebnisse erzielen wird, die der Konvent nicht schon
vorher hinbekommen hat. Aber wir werden sehen, dass
die nationalen Widersprüche bzw. die unterschiedlichen
Verfassungstraditionen und die unterschiedlichen Vorstellungen von Europa nicht zwischen Parlamentariern und
Regierungsvertretern, sondern im Konvent erstens ausgetragen und zweitens in einen Konsens überführt werden
müssen. Zugleich bestehen zentrale Interessenwidersprüche zwischen Groß und Klein.
Auch die Vorstellungen zur Kompetenzabgrenzung, die
Sie eben mit dem Schäuble-Bocklet-Papier artikuliert
haben, Herr Müller, werden von sehr vielen - ich behaupte
sogar: von der Mehrheit - in der Europäischen Union mit
großer Skepsis gesehen und nur sehr eingeschränkt geteilt,
um es in diplomatische Formulierungen zu kleiden.
({0})
- Es mag ja sein, dass es an Kraft gewinnt, aber diese
Kraft könnte sich durchaus auch in der Ablehnung solcher
Vorstellungen manifestieren. Ich sage nicht, dass es so
kommen muss. Ich beschreibe nur das Spannungsverhältnis, in dem sich der Konvent befinden wird. Deswegen
plädiere ich für sehr viel Realismus, das heißt, dass
visionäre Kraft, wie man sich einen solchen Kompromiss
vorstellt, auch mit Realismus gepaart ist.
Es wird viele Ideen geben. Für mich lautet die zentrale
Frage - damit komme ich zum Schluss; das würde ich
Herrn Meyer und seinem Stellvertreter Altmaier als Vertreter des Parlaments gerne mit auf den Weg geben -: Verlassen wir den Staatenverbund und schaffen wir den
Schritt in die Föderation? Schaffen wir also auf der politischen Ebene denselben Schritt, den wir mit dem Maastricht-Vertrag auf der monetären Ebene und der Ebene
des gemeinsamen Marktes geschafft haben, ja oder nein?
Das richtet sich danach, ob wir den Staatenverbund überschreiten und zu der Föderation gelangen, was die politische Integration bzw. die Schaffung einer europäischen
Demokratie ausmacht.
Es wird sich meines Erachtens zeigen, ob die Doppelrolle des Europäischen Rates wirklich überwunden und
aufgelöst werden kann - dazu gibt es unterschiedliche Varianten und Ansätze - oder ob - in welcher Form auch immer - die Doppelrolle des Rates erhalten bleibt. Bleibt die
Doppelrolle erhalten, bleiben wir im Staatenverbund.
Dann wird es mit 25 Mitgliedstaaten alles andere als einfach werden. Überschreiten wir den Staatenverbund, werden wir den Schritt in die Föderation gehen und der Rat
wird sich zwischen Legislative und Exekutive entscheiden müssen. Das ist für mich die zentrale Frage.
Die Zeit lässt es nicht zu, näher in die Details zu gehen.
Aber ich bin mir sicher, dass wir im Rahmen des Ausschusses, Herr Vorsitzender, noch Gelegenheit haben werden, mit allen am Konvent Beteiligten diese Fragen zu
diskutieren. Ich wünsche Ihnen allen und auch uns Erfolg;
denn Europa ist unser gemeinsames Schicksal.
Gerade die jüngsten weltpolitischen Ereignisse zeigen:
Bleiben die Europäer getrennt und schaffen wir die europäische Demokratie nicht, dann werden wir nicht zum Gestaltungsfaktor, sondern werden mitgestaltet werden. Ich
meine, es liegt in unser aller Interesse, gemeinsam mit unseren Partnern im 21. Jahrhundert ein Gestaltungsfaktor
zu werden und zu bleiben.
Danke.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahr 2000
({0})
- Drucksache 14/7657 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss ür Wirtschaft und Technoloie ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Damit
sind Sie einverstanden. Ich eröffne die Aussprache. Das
Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Siegmar
Mosdorf.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Rüstungsexportbericht 2000 legt die Bundesregierung dem
Deutschen Bundestag zum zweiten Mal Rechenschaft
über die Rüstungsexportpolitik des Vorjahres ab. Der
neue Bericht zeigt, dass die Bundesregierung auch im Jahr
2000 eine restriktive Rüstungsexportpolitik verfolgt hat.
In dem jetzt vorliegenden Bericht sind im Sinne der
Verbesserung der Transparenz - das war immer ein wichtiges Anliegen des Parlaments - zusätzliche Informationen aufgenommen worden. So enthält der jetzige Bericht
- um die Entwicklung über die Jahre hinweg offen zu legen - Aufstellungen zu der Entwicklung der Zahl der Genehmigungen und der tatsächlichen Ausfuhren in den Jahren 1996 bis 2000.
Des Weiteren wurde auch eine Aufstellung mit einer
Strafverfolgungsstatistik - auch das war mehrfach Gegenstand der Ausschussberatungen - nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz und dem Außenwirtschaftsgesetz
aufgenommen. Außerdem wird über an andere Länder geleistete militärische Ausrüstungshilfen sowie über neu abgeschlossene regierungsamtliche Kooperationen im Rüstungsgüterbereich mit deutscher Beteiligung berichtet.
Für das Jahr 2000 konnte in beiden Bereichen Fehlanzeige gemeldet werden. Allerdings wird in Zukunft in der
Frage der Kooperation - das füge ich hinzu - gerade vor
dem Hintergrund dessen, über das wir in der vorangegangen Debatte diskutiert haben, in Europa sehr viel mehr ablaufen als in der Vergangenheit. Das bedeutet, dass Europa auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik
handlungsfähiger werden muss.
Neu ist im Rüstungsexportbericht ebenfalls ein Kapitel
über die Genehmigungspolitik bei der Ausfuhr von Kleinwaffen. Die Bundesregierung zollt damit der Bedeutung
der Kleinwaffenproblematik Tribut. Im letzten Jahr hat zu
diesem Thema eine große UN-Konferenz in New York
stattgefunden, auf der wir uns zusammen mit unseren europäischen Partnern für eine stringente Exportpolitik im
Bereich dieser Waffenkategorie eingesetzt haben.
Nicht gefolgt ist die Bundesregierung dem Wunsch
nach Aufnahme von Angaben über Dual-use-Güter. Das
Wirtschaftsministerium hatte dem Wirtschaftsausschuss
einen Bericht dazu vorgelegt. Dieser wird im Ausschuss
erörtert werden.
Ich möchte an dieser Stelle nicht auf die Einzelheiten
eingehen. Nur so viel: Rüstungsgüter und Dual-use-Güter
sind Waren von sehr unterschiedlichem Charakter. Rüstungsgüter werden speziell für militärische Zwecke hergestellt. Dual-use-Güter können auch für völlig andere
Zwecke hergestellt werden. Sie können in sensitiven Bereichen sicherlich auch anders verwendet werden. Aber in
der Praxis werden diese Güter in aller Regel für zivile
Zwecke eingesetzt. Vor diesem Hintergrund würde die
Aufnahme von Dual-use-Gütern in den Rüstungsexportbericht statistisch ein völlig falsches Bild vermitteln. Das
möchten wir auch im Interesse der Transparenz vermeiden. Eine Informationslücke für das Parlament ergibt sich
hieraus jedoch nicht. Der Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie, der Auswärtige Ausschuss und der Haushaltsausschuss werden wie schon in den vorangegangenen Jahren jährlich über die Zahl der Ablehnungen und
die der Genehmigungen der Ausfuhren von Dual-use-Gütern unterrichtet.
Lassen Sie mich nun noch ein paar Sätze zu den Zahlen
sagen, die der Bericht, der sehr umfangreich ist und in dem
die Entwicklung der letzten Jahre dargelegt wird, enthält.
Die jetzt vorliegenden Zahlen belegen erneut, dass die
Rüstungsexporte - das ist traditionell so - nur eine geringe
Rolle bei den deutschen Ausfuhren spielen. So lag der Anteil der Ausfuhren von Kriegswaffen an den deutschen
Gesamtausfuhren im Jahr 2000 bei 0,11 Prozent. Kriegswaffen wurden im Wert von 1,33 Milliarden DM ausgeführt. Das bedeutet im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang um 53 Prozent.
Es liegen auch statistische Angaben sowohl zu der Ausfuhr von Kriegswaffen als auch zu der Ausfuhr von sonstigen Rüstungsgütern vor. Im Berichtsjahr wurden Ausfuhrgenehmigungen im Wert von 5,568 Milliarden DM
erteilt. Dieser Wert ist im Vergleich zum Vorjahr um 6 Prozent gesunken. Interessant ist, dass der Wert der Genehmigungen für Ausfuhren in EU- und NATO-Länder sowie
in ihnen gleichgestellte Länder fast unverändert geblieben
ist, während der Wert der Genehmigungen für Ausfuhren
in so genannte Drittländer um 24 Prozent zurückgegangen
ist. Das entspricht unserer Politik; denn wir wollen nicht
nur Transparenz herstellen. Wir wollen auch dafür sorgen,
dass die EU- und die NATO-Länder ihre Sicherheitsbestimmungen für die Genehmigung von Ausfuhren in
Drittländer verschärfen.
Einen Anstieg gab es bei den Sammelausfuhrgenehmigungen. Dabei handelt es sich um Genehmigungen,
welche für Ausfuhren im Rahmen von Kooperationsprojekten mit EU- und NATO-Ländern erteilt werden. Sammelausfuhrgenehmigungen ermöglichen den vereinfachten Warenaustausch zwischen den Kooperationspartnern;
deshalb diese Zusammenfassung. Der Anstieg beruht unter anderem darauf, dass im letzten Jahr das EurofighterProgramm anlief und daher entsprechende Sammelausfuhrgenehmigungen ausgestellt wurden.
Der Rüstungsexportbericht geht auch auf die in der öffentlichen Diskussion viel beachteten internationalen Vergleichsstatistiken ein. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass ein seriöser Vergleich der bedeutenden
Rüstungsexportländer nur schwer möglich ist. Das liegt
unter anderem daran, dass in den jeweiligen Statistiken
der Länder ganz unterschiedliche Waffenkategorien zugrunde gelegt werden.
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Herr Staatssekretär,
es besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage. Wollen
Sie die Frage des Kollegen Koppelin zulassen?
Ja, von Herrn
Koppelin immer.
Bitte sehr.
Danke, Herr Staatssekretär.
- Das hört sich alles ganz gut an; aber entscheidend ist
doch die Lieferung in Krisengebiete. Ich nehme einmal einen Bereich heraus. Vielleicht können Sie dazu etwas sagen; es gab auch Presseberichte dazu. Wie verhält es sich
mit den Lieferungen nach Israel? Sind die Pressemeldungen richtig, wonach die Lieferungen nach Israel angestiegen sind?
Herr Koppelin,
wir sind da sehr aufmerksam, gerade aufgrund der aktuellen Entwicklungen. Aus Ihrer Regierungszeit wissen Sie,
dass es langfristige Verträge gibt. Gerade angesichts der
momentan sehr angespannten Situation verfolgen wir das
sehr aufmerksam. Wir haben, soweit mir bekannt, keinerlei Entscheidung getroffen, die einen Anstieg begründet
hätte, beobachten aber sehr wohl genau, wie dieses Spannungsgebiet einzuschätzen ist. Insofern können Sie davon
ausgehen, dass wir unsere Grundsätze auch bei aktuellen
Entwicklungen sehr genau im Auge behalten.
Bei den Empfängern deutscher Rüstungsgüter stehen
EU- und NATO-Partner eindeutig im Vordergrund. Das ist
sehr wichtig, weil wir immer gesagt haben, wir wollten
zwar unsere Sicherheitskräfte binden und stabilisieren,
aber bei Drittländern vorsichtig sein. Fast 80 Prozent der
Genehmigungen wurden für Ausfuhren in EU-, NATOund gleichgestellte Länder erteilt. Die ersten sechs Positionen bei den wichtigsten Bestimmungsländern werden
von NATO-Ländern besetzt, angeführt von den USA.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß natürlich,
dass es immer problematisch ist, etwas mit einem statistischen Werk darstellen zu wollen. Ich glaube, dass der Rüstungsexportbericht, den ich Ihnen hier kurz vorgestellt
habe, belegt, dass die Bundesregierung entsprechend
ihrem Bekenntnis in ihren politischen Grundsätzen eine
restriktive Exportkontrollpolitik betrieben hat, wiewohl
sie auch dem Gedanken der Kooperation, insbesondere mit
unseren europäischen Nachbarn, Rechnung getragen hat.
Die Ergebnisse des 11. September des letzten Jahres haben
deutlich gezeigt, dass eine internationale Zusammenarbeit
bei der Bekämpfung des Terrorismus - hierzu zählt auch
eine entsprechende Ausstattung von Streitkräften - unumgänglich ist und dass wir Kooperationen auf europäischer,
aber auch weiterer internationaler Ebene suchen müssen.
Es ist besser für die Weltgemeinschaft, in einer großen Kooperation statt unilateral zu agieren. Insofern macht es
Sinn, hier Kooperationswege zu suchen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung
wird - wenn wir den Auftrag erhalten, unsere Regierungsarbeit fortzusetzen ({0})
alles tun, um auch in der nächsten Periode den restriktiven Kurs mit Augenmaß fortzusetzen. Gerade in diesem
sensiblen Bereich müssen wir auf der einen Seite unseren
verteidigungspolitischen Ansprüchen gerecht werden
- wir brauchen eine leistungsfähige Einheit - und auf der
anderen Seite sehr genau hinschauen. Dies ist aber, so
glaube ich, überparteilicher Konsens und kommt auch
in dem Rüstungsexportbericht 2000, dem zweiten Bericht, den wir in unserer Verantwortung dem Parlament
vorlegen, zum Ausdruck. Man kann sagen - auch nach
den Beratungen in den Ausschüssen -, dass dies ein Kurs
mit Augenmaß ist. Das heißt, dass man nicht nur auf Produkte schaut, sondern auch auf die internationale Lage
und die jeweilige politische Situation.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({1})
Für die CDU/CSUFraktion erteile ich das Wort dem Kollegen Erich Fritz.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seit November 2001 liegt dem Bundestag der Rüstungsexportbericht 2000 vor. Fertig war er meines Wissens
bereits im April 2001. Wie viele Waschgänge bei 90 Grad
er in dieser Zeit durchlaufen hat, weiß ich nicht; aber das
Produkt ist dennoch nicht so weiß geworden, wie Sie
es sich vielleicht gewünscht hätten, meine Damen und
Herren von der rot-grünen Koaltion.
({0})
In einer Studie kommt das Institut für Europäische
Studien der Freien Universität Brüssel zu dem Ergebnis:
Gemessen an diesen Vorgaben
- gemeint sind die eigenen Vorgaben von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ist die rot-grüne Rüstungsexportpolitik zweifellos
gescheitert.
({1})
Die Regierungskoalition hat ihr Versprechen, beim Rüstungsexport noch restriktiver zu verfahren, nicht umgesetzt. Egal, ob man den Bericht an dem Anspruch, den
Sie selbst sich gestellt haben, oder an der Politik der
Vorgängerregierung misst oder ihn einem europäischen
bzw. internationalen Vergleich unterzieht, das Ergebnis ist
jeweils nicht besonders aufregend.
({2})
Rot-Grün macht so weiter wie bisher. Es gibt ganz offensichtlich eine große Kontinuität zwischen der Rüstungsexportpolitik vor und nach 1998. Das belegt nur, dass
auch vorher Politik auf diesem Feld verantwortungsvoll
und restriktiv betrieben wurde.
({3})
Die Fakten stellen sich folgendermaßen dar: Die Rüstungsexporte sind nicht gesunken. Die Addition von Sammel- und Einzelgenehmigungen ergibt gegenüber dem
Vorjahr einen Anstieg: von 6 573,3 Millionen DM 1999
auf 9 303,1 Millionen DM 2000. Dies entspricht einer
Steigerungsrate von gut 40 Prozent gegenüber 1999. Daran ändert auch die Äußerung der Regierung - auch der
Staatssekretär hat ja gerade noch einmal darauf hingewiesen, dass man das nicht tun dürfe -, dass beide Posten,
Einzel- und Sammelgenehmigungen, nicht vergleichbar
seien, nichts. Solche Argumente haben Sie ja früher nie
interessiert. Sie haben beide Posten, wenn ich mich recht
entsinne, auch immer addiert. Im Vergleich zu den Tiraden von Herrn Bachmaier und Herrn Ströbele ist die Auseinandersetzung jetzt doch sehr zivil geworden, wie ich
finde.
Die deutschen Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern bewegen sich also auf hohem Niveau. Deutschland rangiert an fünfter Stelle unter den
weltweit größten Exportländern.
({4})
- Wenn Sie demnächst weitere Rüstungsgüter verkaufen
müssen, wird das wieder genauso sein. - Ich rechne im
Übrigen damit, dass schon im Jahr 2001 wieder ein Gesamtwert der Exporte von Rüstungsgütern im Wert von
14 bis 14,5 Milliarden DM zu verzeichnen sein wird. Die
Bundesregierung sollte diesen Bericht unmittelbar nach
Fertigstellung vorlegen. Oder liegt die späte Vorlage des
2000er-Berichts darin begründet, dass man einen Grund
anführen kann, den Bericht für 2001 erst nach der Bundestagswahl vorzulegen?
({5})
Wenn Sie ernsthaft belegen wollen, wie sich Ihre politische
Arbeit in diesem Bereich entwickelt hat, dann legen Sie
bitte den Bericht noch im Frühsommer dieses Jahres vor.
({6})
Über das Transparenzgebot und wie man ihm richtig
nachkommt, kann man lange streiten. Wenn man die verschiedenen Berichte in Europa vergleicht, stellt man
große Unterschiede fest. Wir wissen, dass gar nicht alles
erfassbar ist und es nicht sinnvoll ist, hier einen Wust
an bürokratischen Maßnahmen zu ergreifen; gerade im
Kooperationsbereich sind wir gut beraten, nicht jede
Schraube aufzuführen.
Man darf aber vor diesem Hintergrund nicht, wie die
Regierungsfraktionen es immer tun, vorgeben, dass der
Bericht völlige Transparenz herstelle. Die Informationen
über die tatsächlich erfolgten Exporte sind sehr spärlich.
Man stellt fest, dass das Niveau beim Export der Kriegswaffen wieder das Niveau von 1998, dem letzten Jahr der
Regierung Kohl, erreicht. Insofern ist es recht fragwürdig,
von einer drastischen Reduzierung der Kriegswaffenexporte zu sprechen.
Herr Kollege Koppelin hat gerade schon die Frage der
Abwägung und des Umgangs mit Exporten in Spannungsgebiete am Beispiel Israels problematisiert. Das ist
natürlich ein schwieriges Thema; das gebe ich gerne zu.
Es wäre aber schon einmal ganz interessant, nachzuvollziehen, wie der Abwägungsprozess bei der Bundesregierung hier vor sich gegangen ist.
Meine Damen und Herren, in der Koalition gibt es über
den Waffenkatalog ja reichlich Uneinigkeit, auch zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Verteidigungsministerium. Es handelt sich hierbei sicherlich um einen
schwierigen Abwägungsprozess innerhalb einer Regierung; ich möchte aber daran erinnern, dass wir, wenn unsere Politik glaubwürdig bleiben soll, vor allen Dingen die
Berücksichtigung von Handelspartnern in Europa und in
der NATO intensiv beachten müssen. Deshalb können
Abwägungsprozesse nicht einfach nach den von Ihnen
jetzt vorangestellten Kriterien ablaufen; es handelt sich
vielmehr immer um Einzelfallabwägungen.
Durch diesen Streit in der Koalition ist deutlich geworden, auf welch wackligen Beinen der vermeintliche
rot-grüne Konsens hinsichtlich der Forderungen nach einer restriktiven Rüstungspolitik tatsächlich steht. Die
Äußerungen der Grünen-Chefin Roth, die Rudolf
Scharpings Aussagen als „unverantwortlich“ bezeichnete
- das kann man anhand von Zeitungsberichten belegen -,
weil er nicht nur Überschussmaterial der Bundeswehr
weltweit zum Verkauf angeboten, sondern auch in der
Krisenregion des Nahen Ostens für deutsche Rüstungsexporte geworben habe, zeigen die übliche Regierungskonfusion. Herr Scharping ist offensichtlich ein genauso
schlechter Verkäufer, wie er ein unsolider und unkalkulierbarer Einkäufer ist. Das hat sich am Beispiel der Airbusflugzeuge gezeigt.
Der vorgelegte Bericht der Bundesregierung über ihre
Exportpolitik zeigt, dass Anspruch und Wirklichkeit weit
auseinander klaffen. Von einer restriktiveren Rüstungsexportpolitik kann keine Rede sein. Der rot-grüne Anspruch,
eine wirklich neue Politik zu machen, wird nicht erfüllt;
dennoch glaube ich, dass wir Deutschen uns mit unserer
Politik insgesamt sehen lassen können. Sie haben allerdings eine Erwartungshaltung aufgebaut, die keine verantwortlich handelnde Regierung erfüllen kann. Die Zahlen sprechen gegen Sie. Der „Tagesspiegel“ hat am
18. Dezember geschrieben: „Das ist ja wie bei Kohl.“
Damit hat er völlig Recht.
Mich stört besonders die Tatsache, dass das ständige
Bemühen der Regierung Kohl, weitere Schritte hin zu einem gemeinsamen Rechtsrahmen für die Rüstungsexportpolitik der Europäischen Union zu machen, offensichtlich zum Stillstand gekommen ist. Dabei weiß jeder,
dass wir eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
und auch eine gemeinsame Rüstungs- und Rüstungsexportpolitik in Europa brauchen.
Deutschland gilt in diesen Fragen unter den EU- und
NATO-Partnern als zumindest nicht restlos zuverlässig.
Wir haben im Bereich der Kooperation Schwierigkeiten.
Ich hoffe, dass diese Schwierigkeiten in den nächsten Jahren ausgeräumt werden können. Jeder muss wissen: Wenn
wir in diesem Bereich Sonderwege gehen, dann verlieren
wir auch unseren politischen Einfluss auf die europäische
Sicherheits- und Verteidigungspolitik und auf die Gestaltung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.
Meine Schlussfolgerung bezüglich Ihrer Politik lautet:
Die Politik von Rot-Grün steht ohne jede Glaubwürdigkeit da. Der Unterschied zwischen einer hohen, öffentlich
dargestellten Moral auf der einen Seite und der politischen Praxis auf der anderen Seite ist allzu offensichtlich.
Es wäre viel besser und viel verantwortlicher, wenn Sie
deutlich machten und erklärten, dass der Rüstungsexport
nun einmal eine schwierige Angelegenheit ist und dass
unabhängig davon, was man in den Grundsätzen niedergelegt hat, in jedem Fall die Abwägung schwierig ist und
bleibt, weil doch in jedem Einzelfall sowohl außen- und
sicherheitspolitische Erwägungen als auch viele weitere
Aspekte in die Betrachtungen einbezogen werden
müssen. Dabei könne keine Regierung widerspruchsfrei
bleiben.
Vielen Dank.
({7})
Jetzt hat die Kollegin
Angelika Beer für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine
Fraktion begrüßt die Vorlage des zweiten Rüstungsexportsberichts. Herr Kollege Fritz, das, was wir erreicht
haben, hat die von Ihrer Fraktion getragene damalige Regierung nie geschafft: Wir haben unsere Zusage eingehalten, mit der Vorlage dieser Berichte ein Stück Transparenz und Nachvollziehbarkeit für die Öffentlichkeit
herzustellen,
({0})
wohl wissend, dass wir uns damit - das wollen wir; das
ist vernünftig - der Kritik stellen. Rüstungsexport ist ein
heikles Geschäft. Wir werden versuchen, unsere politische Option weiter zu definieren. Diese Transparenz ist
ein Erfolg von Rot-Grün.
({1})
Dieser Bericht zeigt auch, dass wir durchaus - der Kollege Mosdorf hat darauf hingewiesen - einige Erfolge im
Sinne einer tatsächlich restriktiven Exportpolitik erringen
konnten. Dieser Bericht ist im Vergleich zum vorherigen
Bericht in einigen Punkten und Details verbessert worden,
was nicht zuletzt auf Bemühungen meiner Fraktion und
insbesondere auf die Anliegen des Ausschusses für Menschenrechte zurückgeht. Dieser Bericht bildet eine gute
Grundlage für weitere Verbesserungen, die ich hier ansprechen möchte:
Dieser Bericht enthält zum ersten Mal eine den entsprechenden Zeitraum betreffende Strafverfolgungsstatistik und Vergleichszahlen für die Vorjahre. Erst diese
Daten ermöglichen eine Bewertung.
({2})
Dieser Bericht geht gesondert auch auf die Problematik
des Kleinwaffenexports ein. Kleinwaffenexport ist ein
besonderes Anliegen der Regierung gerade in der internationalen oder europäischen Kooperation, um dort
weitere Ausdehnungen des Exports zu verhindern.
({3})
Allerdings zeigt der Bericht auch - das will ich durchaus sagen -, dass die rot-grünen Exportrichtlinien, die wir
zu Anfang unserer Koalition verbessert und verschärft
haben, in der Praxis noch nicht zufrieden stellend umgesetzt worden sind. Wir halten weitere substanzielle Reduzierungen bei Exporten für notwendig,
({4})
auch wenn die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr tatsächlich zurückgegangen sind. Kriegswaffenexporte in so genannte Entwicklungsländer spielen - das ist nachgewiesen - so gut wie keine Rolle mehr und das ist gut so.
({5})
Ich will das betonen, weil es aus menschenrechtlicher
Sicht aufgrund des prekären Zusammenhangs von Menschenrechten, Rüstungsimporten und Entwicklungschancen ganz besonders erfreulich ist. Es ist heute - das
gebe ich zu - noch nicht absehbar, ob sich dies zu einem
beständigen Trend entwickeln wird. Wir hoffen das und
arbeiten daran.
Herr Kollege Fritz, wir als Grüne haben überhaupt
nichts dagegen, den nächsten Exportbericht noch in dieser Legislaturperiode zu beraten, wenn er rechtzeitig
durch das federführende Haus vorbereitet wird.
({6})
Rot-Grün hat keinen Grund zu verheimlichen. Wir werden diesen Weg der Transparenz fortsetzen.
Wir wollen gern auch die weiteren Berichte ausbauen.
Wir sind der Überzeugung - da gibt es einen Dissens; aber
das ist unsere Position -, dass Dual-use-Güter Bestandteil
des Exportberichtes sein sollen. Auch wenn es in der Generalität nicht möglich sein sollte - über die Gründe werden wir beraten -, möchte ich zumindest noch einmal auf
die Anhörung des Menschenrechtsausschusses zur Frage
der Folter hinweisen. Ich glaube, diese Anhörung hat sehr
deutlich gemacht, dass zum Beispiel so heikle Exportgüter wie Elektroschockgeräte auf jeden Fall in diesem
Bericht erwähnt werden müssen. Wir haben die Bitte an
das Ministerium, das mit zu berücksichtigen.
({7})
Der Bericht zeigt auch, wie schwierig es ist, die Endverbleibskontrolle gerade im Bereich von Kleinwaffen,
die ich hier noch einmal erwähnen will, festzuschreiben.
Meines Erachtens wäre es sinnvoll, dass wir auch die
Gründe zur Verweigerung von gewünschten Exporten anderer Länder aufführen, weil dadurch der Erfolg der rotgrünen Koalition deutlich würde, dass wir aus guten,
menschenrechtlichen Gründen auf Exporte verzichten.
({8})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Fraktion
tritt dafür ein, die Transparenz im Bereich der parlamentarischen Kontrolle zu erhöhen. Ich möchte als Beispiele
die aktuelle Praxis der amerikanischen und der schwedischen Kolleginnen und Kollegen nennen. Dort werden
die Parlamente sehr frühzeitig unterrichtet. Das tut nicht
weh, sondern ermöglicht es dem Parlament, über wesentliche Entscheidungen mitzudiskutieren. Wenn man
akzeptiert, dass Export ein Bestandteil von Außenpolitik
ist, muss die parlamentarische Kontrolle von dem Knüppel der Geheimhaltung befreit werden. Sonst werden die
Sachen, die über die Medien oder über das Internet sowieso international bekannt werden, immer wieder für
unsägliche Debatten missbraucht. Unser Anliegen ist es,
die Transparenz herzustellen. Die Notwendigkeit ergibt
sich zum Beispiel aus den jährlichen Berichten der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung, der
GKKE. Es ist auch ein Anliegen von Amnesty International und vielen anderen Nichtregierungsorganisationen.
Dort möchten wir Instrumente schärfen. Ich glaube, dass
das dem Anliegen einer restriktiven Exportpraxis entgegenkommen würde.
({9})
Werte Kolleginnen und Kollegen, noch eines zur Opposition: Wir sind in einem schwierigen Umsteuerungsprozess. Wir steuern um, was Sie über Jahre praktiziert
haben.
({10})
Sie sind die Verpflichtungen eingegangen; ich nenne als
Beispiel die U-Boot-Lieferungen an Israel. Sie haben die
Voranfragen im Hinblick auf den Export von Bestandteilen einer Munitionsanlage in die Türkei rechtlich bestätigt.
({11})
Sie können uns gern für aktuelle Entscheidungen kritisieren, aber bitte nicht dafür prügeln, dass wir rechtlich gezwungen sind, eingegangene Verpflichtungen der KohlRegierung umzusetzen.
({12})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist übrigens ein
Grund dafür, dass wir uns dafür einsetzen, dass auch Voranfragen Bestandteil des Exportberichtes werden, weil
dann deutlich wird, welche schwierigen politischen Entscheidungen zu treffen sind. Wir versuchen damit, die Praxis transparent zu machen. Ich glaube, das kommt auch der
Opposition entgegen. Dadurch könnten wir - auch eine
zukünftige Regierung - verhindern, dass dort verbindliche
Zusagen gegeben werden, die wir nicht mittragen können.
Abschließend möchte ich noch auf eines hinweisen:
Der Verteidigungsminister hat dankenswerterweise eine
Liste erstellt, die eine Aufstellung der Rüstungsgüter der
Bundeswehr, die im Rahmen der Bundeswehrreform für
den Export bereitgestellt werden sollen, enthält. Aus unserer Sicht wäre es sehr viel wünschenswerter, auf den
Export zu verzichten und die weniger modernen Waffen
zu vernichten.
Wenn sie dennoch exportiert werden, muss das natürlich auf der Grundlage der Exportrichtlinien geschehen.
Bei einem Export zum Beispiel an NATO-Partner, die auf
den gleichen technischen Standard gehoben werden sollen, muss sichergestellt werden, dass der Endverbleib dort
auch bestätigt wird.
({13})
Vor allen Dingen darf es nicht zu einem Exportwettlauf
führen. Die Staaten, die von uns ausgesondertes Gerät
erhalten - geschenkt oder verkauft -, müssen versichern,
dass die bei ihnen dadurch frei werdenden Waffen nicht in
Krisenregionen exportiert, sondern vernichtet werden.
Das ist eine verantwortliche Politik im Bündnis und
dafür setzen wir uns ein. Wir sind bereit, diese in Zukunft
transparenter zu gestalten, als das bisher der Fall gewesen
ist.
({14})
Für die FDP-Fraktion
hat der Kollege Dr. Werner Hoyer das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, ich danke
Ihnen für die differenzierte Darstellung in Ihrer heutigen
Rede. Das sind wir von Ihnen auch gewohnt. Ich weiß
nicht, ob Sie in der nächsten Woche noch die Absicht haben, im Deutschen Bundestag zu reden. Wenn nicht, war
das heute Ihre letzte Rede. Ich möchte auf keinen Fall vergessen, mich als Haushaltsberichterstatter der FDP für das
Bundeswirtschaftsministerium für die exzellente Zusammenarbeit zu bedanken.
({0})
Die differenzierte Darstellung, die Sie heute hier vorgetragen haben und der pragmatische Ansatz, der auf die
Realitäten und die praktischen Schwierigkeiten eines
Rüstungsexportberichts hinweist, sind natürlich nicht der
Maßstab, den die Opposition heute anlegen muss. Maßstab für das, was die Opposition heute hier zu sagen hat,
ist das, was die Koalitionsfraktionen vor dieser Legislaturperiode angekündigt haben. Dort sind doch große
Diskrepanzen festzustellen. Herr Kollege Fritz hat zum
Teil schon zu Recht darauf hingewiesen. Ich werde darauf
noch zurückkommen.
Ich habe mich gefreut, dass die Kollegin Beer eben klar
gemacht hat, dass auch die Grünen ein Interesse daran haben, dass der Rüstungsexportbericht 2001 nicht erst im
November, sondern, wie früher üblich, spätestens im September vorgelegt wird, damit wir noch vor der Bundestagswahl darüber diskutieren können.
Transparenz ist eines der wesentlichen Ziele, die mit
dem Rüstungsexportbericht erreicht werden sollen. Dies
ist ein großes und zugleich sehr schwer erreichbares Ziel;
denn wir bewegen uns hier auf einem sehr schmalen Grat.
Es gibt berechtigte Interessen der eigenen und der europäischen Rüstungsindustrie, es gibt Verpflichtungen gegenüber Bündnispartnern und es gibt selbstverständlich
auch die Sorge um die Verwendung der exportierten Rüstungsgüter durch andere. Hinzu kommen Geheimhaltungsnotwendigkeiten in wesentlichen Bereichen. All das
schränkt die Vollständigkeit eines solchen Berichtes und
die Aussagefähigkeit notwendigerweise etwas ein. Deswegen ist das Erreichen der Transparenz ein sehr anspruchsvolles Ziel. Wir sollten damit ehrlich und vorsichtig umgehen.
Abstriche muss man allerdings nicht nur im Hinblick
auf die Transparenz machen, sondern auch im Hinblick
auf die Aussagekraft, und zwar allein schon deshalb,
weil grundsätzlich vom Geldwert ausgegangen wird.
Das bedeutet zum Beispiel, dass preiswert oder kostenlos abgegebene Überschusswaffen der Bundeswehr nur
dann, wenn sie als schwere Waffen dem VN-Waffenregister gemeldet worden sind, berücksichtigt werden
können.
Sie sind eben auf die Erfassung der Kleinwaffen eingegangen. Hier gibt es natürlich einen kleinen Fortschritt
dadurch, dass dieses Kapitel überhaupt erwähnt wird.
Aber auch hier wird nur mit dem Wert argumentiert;
Stückzahlen sucht man dort vergeblich. Wenn man sich
die praktische Problematik des Missbrauchs von Kleinwaffen ansieht, dann erkennt man, dass das auf eine echte
Lücke im Rüstungsexportbericht hinzudeuten scheint. Ich
will das gar nicht kritisch anmerken, sondern ich will nur
feststellen, dass das ein praktisches Problem ist, das man
durch ideologische Erklärungen nicht einfach aus der
Welt schaffen kann.
Was hat nun die Bundesregierung beim Thema Rüstungsexporte bislang getan? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass es unter dieser Bundesregierung eigentlich
gar keine Rüstungsexporte geben dürfte. Da hat mittlerweile die pragmatische Seite die Oberhand gewonnen.
Das ist auch gut und beruhigend. Aber Faktum ist, dass
noch im Grundsatzprogramm der SPD, in der Variante
vom 17. April 1998, also von vor der Bundestagswahl,
steht:
Unser Ziel ist es, den Export von Waffen und
Rüstungsgütern zu verhindern.
({1})
In dem Programm der Grünen zur Bundestagswahl
1998 steht:
Wir wollen Rüstungsexporte außerhalb der EU, der
USA und Kanadas unterbinden und ihre Subventionierung beenden.
Das sind die Maßstäbe, an denen Sie sich messen lassen müssen.
({2})
Dass wir diese Maßstäbe nicht teilen, ändert nichts an der
Notwendigkeit, Sie daran zu messen. An diesem Maßstab
gemessen ist die Bundesregierung bei der Rüstungsexportpolitik gescheitert.
({3})
Die Ausfuhren deutscher Kriegswaffen stiegen im
Jahr 1999 um fast 120 Prozent. Selbstverständlich weiß
ich, dass das auch Abwicklungen beinhaltet. Aber dass
man diesen erheblich gestiegenen Wert als Referenzmaßstab für die angebliche Absenkung im Jahr 2000 heranzieht, ist einigermaßen dreist, das ist Chuzpe.
({4})
Es ist doch bei der Praxis der Rüstungsexportberichte
ganz pragmatisch davon auszugehen, dass durch Schwankungen bei einzelnen Projekten von Jahr zu Jahr riesige
Gesamtschwankungen in der Rüstungsexportsumme zustande kommen. Da brauchen nur zwei U-Boote von einem Jahr aufs andere umgebucht zu werden und schon hat
man eine völlig andere Aussage. Das ist hier der Fall. Deswegen kommt es darauf an, die Rüstungsexportzahlen
über die mittlere Frist zu bewerten. Wenn man das tut und
die Trends sieht, dann sieht die Bundesregierung bei weitem nicht so gut aus. Bei Vorlage des Rüstungsexportberichts 2001 wird sie erst recht nicht besonders gut aussehen, weil dann nämlich eine erhebliche Steigerung
enthalten sein wird.
({5})
Herr Fritz, in der Tat steht die Bundesrepublik
Deutschland in der SIPRI-Studie bei den Rüstungsexporten an fünfter Stelle. Was mich aber beunruhigt, ist die
Tatsache, dass sich diese Zahl auf den Referenzzeitraum
1996 bis 2000 bezieht. Die relativ niedrige Platzierung auf
Platz fünf ist darauf zurückzuführen, dass es in den Jahren 1996/1997 relativ wenig Rüstungsexporte gab. Aber
zum Schluss, in den Jahren 1999/2000, ist erheblich zugelegt worden. Wenn Sie die Zahlen für 2000 nehmen,
dann sehen Sie, dass die Bundesrepublik Deutschland in
der Rüstungsexportstatistik schon auf Platz drei liegt. Da
muss man einfach der Wahrheit die Ehre geben.
Eine in sich stringente Position der Bundesregierung
zum Thema Rüstungsexporte sehe ich nicht. Das ist auch
viel schwieriger, als es sich Ideologen von Rot und Grün
vorgestellt haben. Insbesondere wird es dann immer
wieder zum Schwur kommen, wenn ganz pragmatische
Entscheidungen zum Beispiel des Bundesministers der
Verteidigung mit Grundsatzaussagen zur Rüstungsexportpolitik der Regierungskoalition, wie ich sie eben vorgetragen habe, kollidieren. Es erscheint zum Beispiel absolut unsinnig, wenn der Bundesminister der Verteidigung
überschüssiges Rüstungsmaterial über die deutschen Botschaften an befreundete Nationen veräußern will und das
vom Außenminister verhindert wird.
({6})
Das ist reine Rüstungsexportkosmetik und schadet den
Interessen unseres Landes.
Herzlichen Dank.
({7})
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Heidi Lippmann für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich vorab der Bundesregierung und auch Ihnen gratulieren, dass wir diese
Debatte heute nicht, wie im vergangenen Jahr, um Mitternacht führen
({0})
und vor allem die Grünen ihre Reden nicht zu Protokoll
gegeben haben.
({1})
Es ist ja schon toll, dass Frau Beer hier heute gesprochen
hat. Außerdem gratuliere ich der Bundesregierung für die
erfolgreiche Verteidigung des fünften bis dritten Platzes.
Immerhin liegen wir bei den Rüstungsexporten noch mit
weitem Abstand vor China.
Ich will jetzt gar nicht so weit zurückgehen und auf das
zurückgreifen, was vor der Wahl gesagt wurde. 1999 hat
Herr Fischer gesagt, wer Rüstungsgüter verbrauche, müsse diese auch produzieren und exportieren. Das ist von
dieser Regierung doch hervorragend umgesetzt worden.
Ein Erfolg ist das natürlich nur aus Sicht derjenigen,
die an diesem mörderischen Geschäft ordentlich verdienen, und derjenigen, die Krieg und Kriegsführungsmöglichkeiten als legitimes Mittel der Politik betrachten. Sie
werden uns sicherlich verzeihen, wenn die PDS in diesen
Lobgesang nicht einstimmt.
({2})
Dabei befinden wir uns in sehr guter Gesellschaft mit all
denen, die sich kritisch mit der Problematik der Waffenausfuhren beschäftigen, mit der gemeinsamen Kommission der beiden Kirchen, mit Amnesty International, mit
der Deutschen Friedensgesellschaft, mit dem Berliner
Institut für Transatlantische Sicherheit, mit dem BICC in
Bonn und vielen anderen.
Transparenz und die Verbesserung parlamentarischer
Mitbefassung, also Mitberatung vor wichtigen Entscheidungen, sind das eine. Wir haben Ihnen dazu einen entsprechenden Antrag unterbreitet. Viel wichtiger aber ist
die weitere Einschränkung bis hin zur endgültigen Einstellung aller Rüstungsexporte.
({3})
In Ihren Sonntags- und Parteitagsreden erklären Sie,
den zivilen Anteil in der Konfliktlösung stärken zu wollen. In der Praxis zeichnen Sie aber dafür verantwortlich,
dass die in Ihren Richtlinien festgelegten Kriterien wie
zum Beispiel die Achtung von Menschenrechten und die
Vermeidung von Waffenlieferungen in Krisengebiete
kaum eine Rolle spielen. Das ist schlichtweg ein Skandal.
Als Beispiel - dies steht im Widerspruch zu dem Augenmaß, das Herr Mosdorf angesprochen hat - nenne ich
höchst problematische Lieferungen in Staaten, in denen
Krisen oder Konflikte herrschen: Herstellungsausrüstung
für Munition nach Usbekistan und Nepal und Panzerabwehrwaffen nach Indien, U-Boot-Teile, Fregatten und
Hubschrauber, maritime Kriegsmittel - darunter U-Boote für Südafrika und Malaysia, Kampfhubschrauber nach
Südkorea, wenn auch ohne Bewaffnung, wie Sie - ich
muss sagen: lächerlicherweise - in Ihrem Bericht hervorheben.
({4})
Nicht zu vergessen sind die Lieferungen an Indonesien, in
die Türkei und, wie schon genannt, an Israel: 346 Millionen für Panzerteile, Panzerfahrzeuge, Torpedos und anderes. Wie diese eingesetzt werden, können wir uns stündlich in den Nachrichten ansehen. Waffen für Israel sind
kein legitimes Mittel zur Konfliktlösung im Nahen
Osten.
({5})
Wir fordern Sie auf, die Kriterien der Spannungsvermeidung und der Gewaltprävention endlich ernst zu nehmen. Gerade mit Blick auf die Gewalteskalation im Nahen Osten und auf die akuten Völkerrechts- und
Menschenrechtsverletzungen der israelischen Armee in
den besetzten Palästinensergebieten füge ich hinzu: Beobachten Sie nicht länger, sondern stoppen Sie umgehend
alle Rüstungslieferungen in den Nahen Osten!
({6})
Machen Sie endlich ernst damit, den Export von Kleinwaffen einzudämmen und komplett einzustellen!
Es genügt nicht, auf internationalen Konferenzen
große Reden zu halten. Wir wollen Taten sehen, was sowohl den Export von Kleinwaffen als auch das tödliche
Geschäft mit Landminen angeht. Sagen Sie hier und
heute, dass Sie Schluss damit machen, und steigen Sie
aus!
({7})
Last, not least ein Satz zu der atemberaubenden Liste,
die Herr Scharping wohl in den nächsten Tagen über das
auszumusternde Wehrmaterial vorlegen wird. Er
braucht ja dringend Geld für neue Waffensysteme. Wir
fordern Sie auf: Verkaufen Sie nicht ein Stück dieses Materials, egal ob innerhalb der NATO-Staaten oder in Drittländer! Verschrotten Sie den Kram!
({8})
Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was
Sie in Ihren Programmen und in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben haben, ernst nehmen, dann stimmen
Sie bitte unserem Entschließungsantrag zu.
({9})
Das Wort hat der Kollege Dr. Ditmar Staffelt für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich einmal vom
letzten Redebeitrag absehe,
({0})
so finde ich, dass hier eine sehr ausgewogene und sehr
nachdenkliche Diskussion geführt worden ist, die der Bedeutung des Gegenstandes in erfreulicher Weise Rechnung trägt. Ich will hinzufügen, dass ich es geradezu für
normal halte, wenn wir uns alle - ob in Oppositionsfraktionen oder in Regierungsfraktionen - mit diesen Fragen
auseinander setzen; denn es handelt sich tatsächlich im
Einzelnen um schwierige Abwägungsfragen.
Zunächst möchte ich darauf verweisen, dass es erfreulich und richtig ist - es ist zudem eine Neuerung -, dass
wir hier überhaupt über einen Rüstungsexportbericht miteinander debattieren. Ich will Ihnen zwar keinen Vorwurf
machen, möchte aber zumindest festhalten, dass Sie in Ihrer Regierungszeit diese Möglichkeit der umfassenden Information des Parlaments und der Öffentlichkeit nicht
eingeräumt haben. Insofern ist das ein Fortschritt.
({1})
Herr Kollege Staffelt,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
({0})
Herr Kollege Weiermann,
ich habe nur eine Informationsfrage. Keine Aufregung!
({0})
Herr Kollege Staffelt, können Sie bestätigen, dass zu
der Zeit, in der Ihre Regierung die Vorlage eines Rüstungsexportberichtes eingeführt hat, in allen anderen europäischen Ländern - mit Ausnahme Dänemarks; es hat
erst jetzt nachgezogen - das Erstellen solcher Berichte
eingeführt wurde, dass dies also der Logik der Entwicklung der europäischen Rüstungsexportkontrollpolitik
entspricht und kein besonderes politisches Verdienst ist?
Herr Kollege Fritz, man
kann natürlich alles herunterreden. Sie wissen vielleicht,
dass sich die Bundesregierung im europäischen Rahmen
sehr stark für die Vorlage eines solchen Berichtes eingesetzt hat. Sie wollte nicht nur mit einem guten Beispiel
vorangehen, sondern hat auch die anderen Partner animiert, einen solchen Weg zu gehen. Das ist doch ein Gewinn an sich. Ich freue mich darüber, wenn alle übrigen
Staaten der Europäischen Union und möglichst weitere
Staaten einen solchen Bericht erstellen.
Sie wissen bestimmt - das fällt mir in diesem Zusammenhang ein -, dass auf dem Gipfel in Nizza zwischen der
EU und den Vereinigten Staaten von Amerika sehr intensiv darüber gesprochen worden ist, dass auch dort der Öffentlichkeit Rüstungsexporte sehr viel transparenter
gemacht werden. Auch das ist ein Teilerfolg der Bundesregierung, die sich diesen Dingen in gesonderter Weise
verpflichtet fühlt.
({0})
Lassen Sie mich an die Tatsache anknüpfen, dass heute
ein solcher Bericht vorliegt. Wir legen das deutsche Kontrollsystem für Rüstungsgüter in aller Offenheit dar. Wir
haben eingeführt, dass die Auswirkungen von Abrüstungsvereinbarungen auf die Exportkontrolle genannt
werden. Heute wird die deutsche im multilateralen Rahmen stattfindende Rüstungsexportkontrollpolitik auch in
der Öffentlichkeit debattiert.
Im Rahmen der politischen Grundsätze auf dem Gebiet
des Exports von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern, die Ihnen allen bekannt sind, wird die Beachtung
der Menschenrechte in den Mittelpunkt gestellt. Auch das
ist in dieser prioritären Form eine Neuerung im Vergleich
zu dem, was wir aus der Vergangenheit kennen, wobei ich
nicht unterstellen will, dass vergangene Regierungen aus
ihrer politischen Sichtweise heraus nicht auch einen Abwägungsprozess vorgenommen haben, der ihren politischen Leitlinien folgte.
Lassen Sie mich darüber hinaus darauf hinweisen, dass
es keinen Sinn macht, eine Diskussion zu führen, wie Sie
das hier getan haben. Sie haben gesagt, wir hätten
zunächst anderes formuliert und würden jetzt das praktizieren, was Sie praktiziert hätten, und deshalb sei das
falsch.
({1})
- Doch, so ist schon seit langem Ihre Argumentation. Im
Übrigen ist es immer wieder auch die von Herrn Uldall im
Wirtschaftsausschuss gewesen. - Ich glaube, dass wir an
dieser Stelle sehr sorgsam vorgehen müssen. Wir haben
eine neue Plattform und wir haben Richtlinien, die jeder
überprüfen kann. Dass sich das Ganze im Bereich von Interpretation und Einzelentscheidungen abspielt, das wissen wir alle sehr genau.
Die Realitäten sind eindeutig: Es geht um das Thema
Menschenrechte und um das Thema Konfliktvermeidung. Ich muss zurückweisen, dass sich die Bundesregierung nicht ernsthaft mit der Befriedung wichtiger Teile
dieser Welt auseinander setzen würde. Bundesminister
Fischer und die gesamte Bundesregierung haben sich,
gerade was den Konflikt im Nahen Osten betrifft, politisch sehr nachhaltig und mehr als andere engagiert.
({2})
Ich sage Ihnen: Wir haben gegenüber Israel Verpflichtungen; das ist das eine. Das andere ist - das hat Staatssekretär Mosdorf sehr deutlich festgestellt -: Wir beobachten die Situation und natürlich wird es Teil der
Regierungsüberlegungen sein, nicht dazu beizutragen,
dass Waffen oder ähnliches Gerät, das in diesem Konflikt
eine Rolle spielen könnte, in diese Region geliefert werden. Das liegt doch auf der Hand und dazu steht jeder.
Es ist richtig, was in Bezug auf die im vorliegenden Bericht genannten Zahlen gesagt worden ist: Jeder Bericht
wird natürlich nur einen Ausschnitt der Anträge, Genehmigungen und - um es wirtschaftlich auszudrücken - der
Umsatzzahlen darstellen können, die es in dem betreffenden Zeitraum gegeben hat. Dennoch muss ich sagen, dass
es meiner Ansicht nach nicht so sehr auf die Quantität,
sondern mehr auf die Qualität ankommt. Wir können konstatieren - das ist in dem Zusammenhang außerordentlich
wichtig -, dass bei den Einzelexportgenehmigungen für
Exporte in Länder, die nicht der NATO angehören,
NATO-Ländern auch nicht gleichgestellt sind, ein Minus
von 24 Prozent festzustellen ist. Das ist doch eine Entwicklung, die wir begrüßen.
({3})
Wenn es in der Zukunft andere Entscheidungen in dem
Bereich gibt, wenn es zum Beispiel die Entscheidung für
die Lieferung von Schiffen nach Südafrika gibt - das ist
hier angesprochen worden und ist auch im Antrag der
PDS nachzulesen -, dann fallen diese im Rahmen eines
Überlegungs- und Entscheidungsprozesses, den man
nicht ohne weiteres verweigern kann; wenn das vernünftig gehandhabt wird, ist das auch zu rechtfertigen. Wir haben in Deutschland nun einmal eine hoch technisierte Industrie, die in Kooperation mit der in anderen
europäischen Ländern einen wichtigen Beitrag zu unserer
Volkswirtschaft leistet. An dieser Stelle möchte ich auf
eine Zahl hinweisen - sie ist ganz interessant -, damit wir
uns auch einmal darüber im Klaren werden, welche Dimensionen das Ganze eigentlich hat: Im Jahr 2000 betrug
bei uns der Anteil der Rüstungsexporte an den Gesamtexporten 0,11 Prozent.
Herr Kollege Staffelt,
gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin
Lippmann?
Ja, bitte.
Herr Kollege Staffelt, Sie
sprachen gerade die U-Boot-Lieferung nach Südafrika
an. Ich war seinerzeit mit Mitgliedern des Verteidigungsausschusses dort. Wir haben Gespräche mit dem Fregatten- und dem U-Boot-Konsortium der deutschen Unternehmen, die vor Ort waren, geführt. Ihnen ist genauestens
bekannt, denke ich, dass wegen Korruptionsvorwürfen
mittlerweile staatsanwaltlich und gerichtlich ermittelt
wird und dass Mitarbeiter auch aus deutschen Unternehmen entlassen wurden, weil Korruptionsvorwürfe bestehen.
({0})
Es gibt die Forderung nach einem Moratorium der Lieferungen. Stimmen Sie dieser Forderung nach einem Moratorium zu?
Das kann ich nicht beurteilen und das werde ich hier auch nicht beantworten. Ich
kann Ihnen zu diesem Thema nur eines sagen: Wie bei
vielen geschäftlichen Aktivitäten wird es auch in dem Bereich immer das Risiko geben, dass sich Unternehmen
oder einzelne Personen nicht an die Spielregeln halten.
Ich habe das hier nicht zu erörtern. Ich habe hier die Rüstungsexportpolitik der Bundesrepublik Deutschland und
nicht das Verhalten einzelner Unternehmen bei der Akquisition von Aufträgen zu erörtern.
Wenn es solche Vorkommnisse gibt, dann werden sie
aufgeklärt - offenbar ist das ja auch hier der Fall - und
dann wird man derartige Schäden zu reparieren haben.
Das liegt auf der Hand. Das ist ganz normal. Wenn ich
Ihren Vorstellungen folgte, dann müsste ich sozusagen
ganze Branchen auslöschen, nur weil in diesen Branchen
der eine oder andere Versuch unternommen wird, unlauter an Aufträge heranzukommen. Das wäre kein vernünftiges Verfahren.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss noch einmal darauf verweisen, dass unser
Bemühen darauf gerichtet ist, die Grundwerte, denen sich
diese Regierung verpflichtet fühlt, in die Praxis umzusetzen und dafür Sorge zu tragen, dass diese Grundsätze, soweit es irgend möglich ist, mit den Realitäten dieser Welt
in Übereinstimmung gebracht werden. Wir sind gut beraten, glaube ich, gemeinsam mit unseren Partnern in Europa und in der NATO eine Politik der Transparenz, aber
eben auch eine Politik zu betreiben, die Rüstungsexporte
da, wo sie verantwortbar sind, nicht unmöglich macht.
({0})
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Herr Kollege Ruprecht Polenz für
die Fraktion der CDU/CSU.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Als Frau Beer vorhin zum
Rednerpult ging, habe ich mich gefragt, wie es wohl wäre,
wenn sie eine ihrer Reden von 1995 oder 1996 zum gleichen Thema halten würde.
({0})
- Das hat Frau Lippmann übernommen. Insofern bin ich
doch noch auf meine Kosten gekommen.
({1})
- Aber die Argumente waren ziemlich gleich.
SPD und Grüne wollen den Eindruck erwecken - auch
Frau Beer hat das heute wieder versucht -, als gäbe es seit
1998 eine grundsätzlich andere Rüstungsexportpolitik.
Den Eindruck müssen Sie erwecken, weil Sie die Vorgängerregierung kritisiert haben - das sind die Debatten von
damals gewesen -, sie habe Waffen „auf Teufel komm
raus“ und gleichsam „ohne Rücksicht auf Verluste“ exportiert. Wenn man dies in den alten Debatten nachliest,
dann findet man die Zitate von dem Tod, der ein Meister
aus Deutschland sei, und Ihre Vorwürfe von damals, in denen man auch illegale Exporte der alten Bundesregierung
zur Last gelegt hat.
({2})
Was hatten Sie den Wählern 1998 versprochen, Frau
Beer? In Ihrem Programm heißt es wörtlich:
Wir wollen Rüstungsexporte außerhalb der EU, der
USA und Kanadas unterbinden und ihre Subventionierung beenden.
Die SPD hat in ihrem Programm geschrieben:
Unser Ziel ist es, den Export von Waffen und Rüstungsgütern zu verhindern.
Gemessen an diesen Vorgaben und an Ihren eigenen Zielen ist die rot-grüne Rüstungsexportpolitik zweifellos gescheitert. Das ist nicht meine Feststellung, sondern das
wörtliche Ergebnis einer ausführlichen Bewertung von
Sibylle Bauer vom Institut für Europäische Studien, FU
Brüssel, die kürzlich in der „Frankfurter Rundschau“ ausführlich nachzulesen war.
Frau Beer, Sie haben die Fachgruppe Rüstungsexporte
der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung zitiert. Sie stellt in ihrem Rüstungsexportbericht 2001 fest:
Der deutsche Export an Kriegswaffen und Rüstungsgütern ist seit 1998 nicht zurückgegangen, sondern
hat inzwischen wieder das Niveau der frühen 90erJahre erreicht.
({3})
Der Rüstungsexportbericht der Bundesregierung versucht, dieses Ergebnis zu kaschieren. Gleich zu Anfang
wird hervorgehoben, Herr Staatssekretär, 2000 seien
53 Prozent weniger Kriegswaffen als im Vorjahr exportiert worden. „Donnerwetter“! kann ich dazu nur sagen.
Darüber wird sich die grüne Basis freuen. Ich habe einmal
den Vorjahresbericht nachgelesen. Dort wurde herausgestellt: Etwa ein Drittel der Kriegswaffenexporte gehen auf
die Lieferung von zwei U-Booten nach Israel zurück. Die
Lieferung stand damals im Zusammenhang mit Zusagen
aus dem Golfkrieg.
Es ist schon ein merkwürdiger Umgang mit Statistik,
dass man die aus diesem Grund hohen Zahlen vom Vorjahr als Vergleichsgröße anführt, um daraus eine drastische Verringerung des Exports von Kriegswaffen zu
folgern.
({4})
Es stehen jetzt Vertragsabschlüsse in Bezug auf die Lieferung von U-Booten nach Südkorea und von U-Booten und
Fregatten nach Südafrika ins Haus, die in der Exportstatistik noch nicht erfasst sind. Im kommenden Jahr ist deshalb mit einem Anstieg von Kriegswaffenexporten in
Drittländer zu rechnen. Wie ich Sie kenne, werden Sie uns
das dann in die Schuhe schieben, wenn Sie nach dem
22. September den künftigen Rüstungsexportbericht als
Opposition kritisieren.
({5})
Wie sieht die Wirklichkeit aus? Deutschland hat auch
unter der CDU-geführten Bundesregierung eine restriktive Rüstungsexportpolitik betrieben. Das wird auch eine
künftige CDU-geführte Bundesregierung tun. Der heutige
gültige Verhaltenskodex der Europäischen Union zur
Waffenausfuhr, der zu Recht als großer Fortschritt auch
in dem Bericht gelobt wird, stammt vom 8. Juni 1998. Die
CDU-geführte Bundesregierung hat diesen Kodex maßgeblich mit herbeigeführt, um die eigene restriktive Praxis auch auf europäischer Ebene durchzusetzen. Insbesondere Außenminister Kinkel und auch Sie, Herr Hoyer,
als Staatsminister hatten daran großen Anteil.
Zu der Entwicklung der deutschen Rüstungsexporte in
den zurückliegenden Jahren hat die Stiftung Wissenschaft
und Politik die vier wesentlichen internationalen Statistiken ausgewertet und kommt dabei zu folgendem Ergebnis
- ich zitiere -:
Im internationalen Rüstungshandel der 90er-Jahre ...
spielen Deutschland und die deutsche Industrie nur
eine marginale Rolle, wenn man einmal vom Marineschiffbau absieht. Anders als die öffentliche Diskussion oft nahe legt, gilt dies insbesondere für den
Export konventioneller Waffen in Entwicklungsländer ...
Die Statistiken machen daher auch deutlich, dass
- mit Ausnahme des Marineschiffbaus - die deutsche
Rüstungsindustrie im internationalen Rüstungshandel kaum von Bedeutung ist.
Zum gleichen Ergebnis kommt auch die Fachgruppe
Rüstungsexporte der Konferenz „Kirche und Entwicklung“:
Deutschland hat über Jahrzehnte hinweg eine vergleichsweise zurückhaltende Rüstungsexportpolitik
verfolgt ...
Sie brauchen also kein schlechtes Gewissen zu haben,
meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen,
dass Sie diese Politik nicht geändert haben. Sie sollten
dann aber auch nicht so tun, als hätten Sie sie geändert.
Im letzten Jahr gab es ein großes Spektakel um den
Testpanzer „Leopard“ für die Türkei. Sie haben
({6})
immer wieder - auch in dramatischer Weise und öffentlich - die Rüstungshilfe für diesen NATO-Partner infrage
gestellt. An diesem Punkt zeigt sich die Widersprüchlichkeit rot-grüner Politik.
({7})
Die Türkei wird jetzt Führungsnation bei den Friedenstruppen in Afghanistan, weil die Bundeswehr nicht so
ausgestattet ist, dass sie diese Aufgabe übernehmen
könnte, obwohl dies zweifellos im Interesse der afghanischen Regierung gewesen wäre. Jetzt, meine Damen und
Herren, hängt auch die Sicherheit der deutschen Soldaten
in Afghanistan unter anderem davon ab, wie gut türkische
Soldaten für ihre Aufgabe dort ausgerüstet sind.
({8})
Ich bin gespannt, wie lange Rot-Grün diesen Spagat noch
vorführen will: gute Ausrüstung der türkischen Soldaten,
aber am liebsten keine Waffenlieferungen an die Türkei.
({9})
Es gibt noch einen zweiten Schwachpunkt in Ihrer
Politik:
({10})
die Auswirkungen der dramatischen Unterfinanzierung
der Bundeswehr auf die Rüstungsexporte. Weil der Verteidigungshaushalt nicht ordentlich finanziert ist, soll
Scharping die nicht mehr benötigten Waffen verkaufen.
Den Erlös kann er dann behalten.
({11})
Ein 46-seitiger Katalog von Überschusswaffen - er ist
heute schon mehrfach angesprochen worden - wurde vom
Verteidigungsministerium an 53 Verteidigungsattachés in
deutschen Botschaften geschickt, damit diese Bestellungen hereinholen. Aber nach Intervention des Auswärtigen
Amtes darf er nun nicht an alle vorgesehenen Adressaten
verteilt werden.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns im Deutschen Bundestag in Zukunft stärker mit den Fragen beschäftigen, die sich im Zusammenhang mit Rüstung aus
der Internationalisierung und europäischen Kooperation
ergeben. In diese Aufgabe müssen wir auch das Europäische Parlament einbeziehen.
Ich komme zusammenfassend zum Schluss: Niemand
in diesem Haus sieht Waffen als einen Exportartikel wie
jeden anderen an.
({12})
Niemand will die restriktive Rüstungspolitik aller Bundesregierungen ändern. Wir stehen gemeinsam vor der
Aufgabe, dieses Ziel auch bei zunehmender Internationalisierung der Rüstungsproduktion zu erreichen.
Vielen Dank.
({13})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7657 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsan-
trag auf Drucksache 14/8275 soll an dieselben Ausschüsse
überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das
ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a) und b) auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes
- Drucksachen 14/6884, 14/7169 ({0})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Roland Claus,
Sabine Jünger, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion
der PDS eingebrachten Entwurts eines ... Gesetzes zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes ({1})
- Drucksache 14/65 ({2})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({3})
- Drucksache 14/8299 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Hacker
Hans-Christian Ströbele
Rainer Funke
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({4})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Evelyn
Kenzler, Dr. Ruth Fuchs, Ulla Jelpke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Evelyn
Kenzler, Roland Claus, Sabine Jünger, Dr.
Gregor Gysi und der Faktion der PDS
Änderung der Nutzungsentgeltverordnung
({5})
- Drucksachen 14/6918, 14/63, 14/8299 Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Hacker
Hans-Christian Ströbele
Rainer Funke
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, über den wir
später namentlich abstimmen werden, liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Eckhart Pick.
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Der uns vorliegende Gesetzentwurf ändert das
Schuldrechtsanpassungsgesetz. Daher befassen wir uns
erneut mit dem Recht der Überleitung von Eigentumsund Nutzungsrechten an Immobilien in den neuen Bundesländern. Damit sind wir in dem Bereich, den jede und
jeder von uns kennt: im Bereich des so genannten Datschenrechts. Dabei handelt es sich um eine besonders sensible Materie.
Es geht nämlich um widerstreitende Interessen von
Grundstückseigentümern auf der einen Seite und von vertraglichen Grundstücksnutzern auf der anderen Seite. Es
geht um einen gerechten Ausgleich dieser Interessen.
Diese Diskussionen werden in der Öffentlichkeit, wie wir
alle wissen, zum Teil sehr emotional geführt. Denn jede
Seite fühlt sich schnell übervorteilt.
Ich denke, es ist umso erfreulicher, dass es uns gelungen ist, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen sachgerechten und, wie ich meine, akzeptablen Kompromiss
zu finden. Dazu haben in einer besonders intensiven Weise
die Überlegungen und Ergebnisse einer von der Bundesministerin der Justiz und der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister der neuen Bundesländer eingesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe beigetragen, die die
Grundlagen für den Gesetzentwurf geschaffen haben.
Sie alle wissen, dass wir mit diesem Gesetzentwurf einen Gesetzgebungsauftrag des Bundesverfassungsgerichts erledigen. Das Bundesverfassungsgericht verlangt in seinem Beschluss vom 14. Juli 1999 „Regelungen
zur angemessenen Beteiligung des Nutzers an den öffentlichen Lasten des Grundstücks und zur Gewährung eines
Teilflächenkündigungsrechts für Eigentümer großer
Grundstücke“. Es hat uns somit - mit anderen Worten aufgefordert, die sich aus dem Schuldrechtsanpassungsgesetz ergebenden Rechte der Grundstückseigentümer zu
stärken. Dieser Auftrag des Gerichts ist unsere Grundlage.
Deswegen war es auch von Anfang an klar, dass die Politik bezüglich der Nutzerseite nur einen äußerst beschränkten Gestaltungsraum haben wird, weil wir hier
verfassungsrechtlich eingeschränkt sind. Wenn man sich
kritisch mit den Problemen befasst, dann weiß man auch,
dass die Erledigung dieses Auftrages nicht einfach gewesen ist.
Ich möchte einige Punkte aus dem Interessenausgleich
zwischen Nutzern und Grundstückseigentümern im Einzelnen darstellen. Erstens. Der Gesetzentwurf enthält zur
Beteiligung der Nutzer an den öffentlichen Lasten einen
Vorschlag, der sachgerecht die Belange beider Seiten
berücksichtigt. Die wiederkehrenden Leistungen soll der
Nutzer tragen, weil er den Vorteil der diesen Beiträgen zugrunde liegenden Leistungen während der Nutzungszeit
ja auch alleine genießt. Die einmalig erhobenen Beiträge
sollen sich Eigentümer und Nutzer grundsätzlich teilen,
wobei wir hier zugunsten der Nutzer einen Zeitraum von
zehn Jahren vorsehen, in dem dies - solange das Vertragsverhältnis auch tatsächlich besteht - durch Teilbeträge erledigt werden kann.
Zweitens. Der Vorschlag des Entwurfs zum Teilkündigungsrecht der Eigentümer verlangt, dass das Grundstück mindestens 1000 Quadratmeter groß sein muss und
dass dem Nutzer nach Ausübung des Kündigungsrechts
mindestens 400 Quadratmeter zur eigenen Nutzung verbleiben müssen. Außerdem darf der Grundstückseigentümer die Teilkündigung nur vornehmen, wenn der Nutzer „die bisherige Nutzung ohne unzumutbare Einbußen
fortsetzen kann“. Auch dies hat das Bundesverfassungsgericht vorgegeben.
Wir sind über den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts hinausgegangen. Wir haben nämlich gesagt: Auch
für die Nutzerseite ist es angemessen, ihr ein Teilkündigungsrecht bei besonders großen Grundstücken einzuräumen. Wir haben also mehr getan, als uns das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat.
Drittens. Der Regierungsentwurf enthält den Vorschlag
klarstellender Änderungen der Nutzungsentgeltverordnung. Hier werden die Vergleichbarkeitskriterien zur Ermittlung des ortsüblichen Nutzungsentgelts deutlicher gefasst. Sie wissen, dass dieser Vorschlag jetzt auf die
entsprechenden Vorschläge der Nutzerverbände selber
zurückgeht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Antrag ist in den Ausschüssen ausgesprochen gründlich beraten worden. Ich darf mich an dieser Stelle für die konstruktive Zusammenarbeit auch der Kolleginnen und
Kollegen der Oppositionsparteien ausdrücklich bedanken. Ich denke, dass auch die Anhörung, die wir im November letzten Jahres durchgeführt haben, zum Ausdruck
Vizepräsidentin Petra Bläss
gebracht hat, dass es als Alternative eigentlich keine sinnvolle und verfassungsrechtlich tragfähige Regelung gibt.
Es sind keine entsprechenden anderweitigen Vorschläge
gemacht worden. Im Gegenteil: Wenn Sie sich an die Aussagen der Gutachter erinnern, müssen Sie zugeben, dass
sie im Wesentlichen die Vorschläge der Bundesregierung
bestätigt haben. Das gilt auch für die Vertreter der Bundesländer.
Ich kann verstehen, dass sich die Nutzer auf der einen
Seite und die Eigentümer auf der anderen Seite mehr erwartet haben. Ich denke, dass wir gut daran tun, darauf
hinzuweisen, dass es wichtig ist, in diesem hochsensiblen
Bereich endlich zu Rechtssicherheit zu gelangen. Ich
finde, man sollte, auch wenn es schwer fällt, der Versuchung, populistisch zu arbeiten, etwas widerstehen. Denn
nichts wäre schädlicher, als erneut Erwartungen zu
wecken, die der Gesetzgeber hinterher nicht erfüllen
kann.
Vielen Dank.
({0})
Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt die Kollegin Andrea Voßhoff.
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Die Aufmerksamkeit vieler Grundstückseigentümer und Nutzer von Freizeit- und Erholungsgrundstücken in den neuen Bundesländern ist uns bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs der Bundesregierung heute
gewiss.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung soll eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1999 zum Schuldrechtsanpassungsgesetz umgesetzt werden. Wir alle wissen, wie
emotional und kontrovers diese Entscheidung zwischen
den betroffenen Grundstückseigentümern und Nutzern
bisher diskutiert wurde. Die rechtliche Anpassung der
Nutzungsverhältnisse von Freizeitgrundstücken gehörte
von Anfang an zu den schwierigen Kapiteln des Einigungsvertrages. Grundstückseigentümer und Grundstücksnutzer kämpfen daher seit Jahren für ihre Interessen, dabei begleitet ein Spannungsbogen aus Emotionen
und Verunsicherungen diesen Angleichungsprozess. Wir
alle wissen ob der vielen Petitionen, Schreiben und Veranstaltungen vor Ort, die die bestehenden Regelungen seit
Jahren und dieses aktuelle Gesetzgebungsverfahren begleiten und daher den Rechtsfrieden anscheinend nur
schwer einkehren lassen.
Die emotionale Betroffenheit der Nutzer ist sicher
verständlich. Wer seit Jahren ein Grundstück nutzt, es mit
einer eigenen Datsche unter den damaligen Bedingungen
der DDR bebaut hat, es hegt und pflegt, auch wenn es ihm
auf dem Papier nicht gehört, der entwickelt ein sehr persönliches Verhältnis zu dem Grundstück und kämpft für
sein Vertrauen in den Fortbestand dieser Verhältnisse.
({0})
Aber wer vor dem Grundstück steht und von der Nutzung
langfristig ausgeschlossen ist, obwohl es sein Eigentum
ist, von dem er vielleicht sogar vertrieben wurde und er es
bis heute selbst nicht nutzen kann, vielleicht für den Rest
seines Lebens nicht, versteht die Welt nicht mehr. Das
sind Schicksale, sind Enttäuschungen, für die eine SEDDiktatur verantwortlich ist und nicht das Schuldrechtsanpassungsgesetz.
({1})
Deshalb, meine Damen und Herren von der PDS, ist
Ihre Rolle in diesem Gesetzgebungsverfahren auch besonders verwerflich. Statt aus dieser Verantwortung zu
lernen, ist Ihre einseitige Interessenvertretung zugunsten
der Nutzer nichts anderes als eine Instrumentalisierung zu
Ihrer eigenen politischen Profilierung.
({2})
Sie wollen den Rechtsfrieden nicht einkehren lassen. Ihre
Änderungsanträge stellen dies auch heute wieder unter
Beweis und ignorieren zudem die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in eklatanter Weise. Dies ist auch in
der Anhörung deutlich geworden. Dass das Eigentum zu
den elementaren Grundrechten gehört, sollten Sie nicht
immer beharrlich ignorieren bzw. einseitig interpretieren.
Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen,
Sie müssen sich in Ihr rechtspolitisches Stammbuch schreiben lassen, dass Sie diesen Interessenausgleich in der Vergangenheit mit Ihren einseitigen Forderungen zugunsten
der Nutzer und zulasten der Grundstückseigentümer erheblich strapaziert haben. Das Bundesverfassungsgericht hat
Sie ja nunmehr auch auf den Boden der verfassungsrechtlichen Realität zurückgeholt und Ihren rechtspolitischen
Waghalsigkeiten aus der vergangenen Legislaturperiode
ein Ende gesetzt. Sie haben mit Ihren Initiativen und Forderungen in der Vergangenheit auch in dieser Frage wieder einmal alles versprochen und konnten es, wie dieser
Entwurf belegt, nicht halten. Auch das gehört zu Ihrer Regierungsbilanz, meine Damen und Herren von Rot-Grün.
Das fing mit Ihren Versprechungen zur Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit zu Beginn Ihrer Regierungszeit an
und hört bei Ihren in der Vergangenheit gemachten Versprechungen gegenüber den Grundstücksnutzern auf.
Aber das ist Ihre Bilanz, die der Wähler im September
dieses Jahres quittieren wird.
Übrigens muss ich mich wundern, dass die Justizministerin, Frau Däubler Gmelin - sie ist anwesend -, auch
heute zu diesem Thema wieder nicht spricht. Es wäre
schon geboten gewesen, dass gerade die Justizministerin
den Nutzern, denen sie offenbar noch 1997 auf einem
Kongress Hoffnungen gemacht hat, die schon damals
mehr als bedenklich waren, wenigstens heute in der abschließenden Lesung erklärt, warum der heutige Gesetzentwurf ihren Forderungen von damals nun wirklich diametral entgegensteht.
({3})
Nun hat aber das Bundesverfassungsgericht mit seiner
Entscheidung 1999 das genaue Gegenteil von dem verlangt, was Sie immer gefordert haben. Das Bundesverfassungsgericht hat zwingende Änderungen zugunsten der
Grundstückseigentümer gefordert. So hat es festgestellt, dass Regelungsbereiche des Schuldrechtsanpassungsgesetzes die wirtschaftliche Verwertbarkeit des
Grundstücks für den Eigentümer in verfassungswidriger
Weise einschränken, und entsprechende Änderungen gefordert, die heute zur Diskussion und zur abschließenden
Beratung anstehen.
Dass Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, sich mit der Umsetzung der Entscheidung
schwer getan haben, kann ich verstehen. Wenn Sie die
Rede der Justizministerin auf dem Nutzerkongress 1997
und die vielen Schreiben der betroffenen Nutzer, die dies
nun von Ihnen einfordern, neben diesen Gesetzentwurf legen und an Ihre parlamentarischen Initiativen aus der vergangenen Legislaturperiode denken, dann weiß ich, dass
Sie sich heute nicht sonderlich wohl in Ihrer Haut fühlen.
Um sicherzustellen, dass Sie dieses Gesetz nicht, wie
es sonst bei Ihnen üblich ist, im Geschwindschritt durch
das Parlament treiben, haben wir auch im Interesse der
Betroffenen im Zuge des parlamentarischen Beratungsverfahrens eine Anhörung im Rechtsausschuss eingefordert und durchgeführt. Ich konzediere ausdrücklich
- das habe ich auch in der Ausschusssitzung gesagt -: Der
Gesetzentwurf geht in die richtige Richtung und setzt die
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts über weite
Strecken richtig um. Ich stelle ebenfalls fest - Herr Staatssekretär Pick hat es ausgeführt -, dass der Handlungsspielraum für den Nutzer mehr als begrenzt ist. Auch die
Anhörung im November des vergangenen Jahres hat dies
in vielen Teilbereichen ergeben.
Die gemeinsame Arbeit der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, deren Ergebnis doch wohl ein wesentlicher Bestandteil dieses Gesetzentwurfs ist, hatte über weite
Strecken das Ziel, den sozialen Interessenausgleich und
das gewachsene Vertrauen der Betroffenen zu wahren.
Wir sagen deshalb auch nicht Nein zu dem Entwurf.
Wir werden uns aber dennoch enthalten, weil wir in einem
besonders strittigen und daher nicht unwesentlichen Teilbereich einerseits verfassungsrechtliche Bedenken
nicht ganz ausräumen können und andererseits fehlende
repräsentative rechtstatsächliche Erkenntnisse über den
Umfang etwaiger anrechenbarer Nutzerinvestitionen eine
Zustimmung zu dieser Regelung nicht möglich gemacht
haben.
Dabei geht es um die Ausgestaltung der Stundungsregelung bei der 50-Prozent-Beteiligung des Nutzers an den
rückwirkenden einmaligen öffentlichen Lasten. Es bleiben eben Zweifel, ob die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts nach einer angemessenen Beteiligung des
Nutzers an den öffentlichen Lasten mit der Ausgestaltung
der langjährigen Stundungsregelung in dem Gesetzentwurf umgesetzt wurde.
Auch fehlt uns im rechtstatsächlichen Bereich ein repräsentativer Überblick darüber, ob und in welchem Umfang die faktischen Investitionen des Nutzers in Erschließungsmaßnahmen in der Vergangenheit dem im
Gesetzentwurf verfolgten Ansatz einer hälftigen Kostenteilung für die rückwirkend angefallenen einmaligen öffentlichen Lasten entgegenstehen.
Einzelne Berechnungen, die auch in der Anhörung genannt wurden, die aber zum Teil auch Investitionen darstellen, die lediglich dem Nutzer dienlich sind und deshalb nicht berücksichtigt werden können, lassen keinen
Rückschluss auf repräsentative Aussagen und Erkenntnis
zu.
Auch hierzu, meine Damen und Herren, kann ich nur
erneut feststellen, dass die parlamentarische Beratungszeit in diesem Hause wieder einmal relativ kurz war, wenn
auch nicht so kurz wie bei manch anderer Initiative.
({4})
Ich erinnere daran, dass die erste Lesung des Entwurfs im
Oktober des vergangenen Jahres stattfand, zu einer Zeit,
als die Frist des Bundesverfassungsgerichts zur Umsetzung, nämlich der 30. Juni 2001, längst verstrichen war.
Mit Blick auf den von Ihnen immer wieder erwähnten
abschließenden Charakter dieses Gesetzes sind unsere
Bedenken in diesen Punkten eben nicht ausgeräumt.
({5})
Wir lehnen wegen der übrigen Ansätze den Gesetzentwurf nicht ab, können ihm aber aus den genannten Gründen auch nicht zustimmen und werden uns deshalb enthalten.
Vielen Dank.
({6})
Jetzt spricht der Kollege Hans-Christian Ströbele für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Voßhoff, auch wir - das hat die PDS-Fraktion
auch zu Recht festgestellt - haben in der Vergangenheit,
noch 1998, in der Frage des Ausgleichs zwischen Nutzer
und Grundstückseigentümer eine andere Auffassung vertreten. Wir waren immer der Meinung, dass die Nutzer
- darauf haben Sie hingewiesen -, die sich manchmal
jahrzehntelang über zwei Generationen hinweg um ein
Pachtgrundstück bzw. um ein von ihnen genutztes Grundstück gekümmert haben, in den schweren Zeiten der DDR
dort investiert und auch Lebenszeit investiert haben, einen
Anspruch darauf haben, auf diesem Grundstück ihren Lebensabend zu verbringen und dass ihre Kinder dort weiter
leben können.
Wir wollten die Lasten anders verteilen. Wir wollten
dieses Leben möglichst allen ermöglichen.
Nur, das Bundesverfassungsgericht zwingt uns mit
dem Beschluss vom 14. Juli 1999 - Frau Voßhoff, das haben Sie offenbar vergessen -, unsere Auffassung aufzugeben und eine andere Regelung zu finden. Das gilt für
die Justizministerin genauso wie für die Bündnisgrünen.
Viele Menschen aus den ostdeutschen Bundesländern haben uns daraufhin verbittert geschrieben, dass sie sich, als
sie sich für den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik
Deutschland entschieden haben, nicht hätten vorstellen
können, dass dieser Beitritt einmal zum Verlust ihres
Grundstückes, des Lebensmittelpunktes ihrer Familien,
führen könnte. In den Briefen wird auch darauf hingewiesen, dass man Pachtzinsen von 500 DM bezahlen solle,
wo früher die Pachten bei 20 DM lagen - ob die Berechnungen im Einzelfall richtig sind, wird sich noch herausstellen; es steht aber außer Frage, dass sich die Pachten
exorbitant erhöhen werden -, diese Pachten aber nicht
zahlen könne. Wir können diesen Menschen nur sagen:
Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland habt ihr auch das Grundgesetz mit dem Grundrecht
auf Eigentum übernommen. Den hohen Stellenwert des
Grundrechts auf Eigentum müsst ihr nun hinnehmen, und
zwar so, wie es das Bundesverfassungsgericht auslegt.
Dem müssen wir uns alle unterwerfen.
Was haben wir gemacht? Wenn Sie die Begründung
des Beschlusses vom 14. Juli 1999 lesen, dann werden Sie
feststellen, dass fast jede Bestimmung, die der vorliegende Gesetzentwurf enthält, aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts abgeleitet ist. In zwei Punkten
sind wir über den Beschluss sogar noch hinausgegangen.
Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass das
alte Schuldrechtsanpassungsgesetz, das alleine den
Grundstückseigentümern die öffentlichen Lasten ihrer
Grundstücke aufbürdet, verfassungswidrig sei. Dem müssen wir nachkommen. Deshalb werden nach der jetzigen
Regelung die öffentlichen Lasten des Grundstücks zwischen Nutzern und Eigentümern hälftig geteilt. Wir haben
allerdings einen Kompromiss gefunden: Die Kosten, die
jetzt auf die Nutzer zukommen, müssen nicht auf einmal,
sondern können in Raten innerhalb von zehn Jahren beglichen werden. Den Nutzern steht außerdem ein Sonderkündigungsrecht zu, das es ihnen ermöglicht, sich den finanziellen Lasten zu entziehen, allerdings nur unter
Aufgabe ihres Grundstückes. Das ist der Preis.
Frühere Gesetzgeber haben nach dem Grundsatz
„Rückgabe vor Entschädigung“ - das hätte man auch anders regeln können; aber das war eine grundsätzliche Entscheidung des Deutschen Bundestages - gehandelt und
haben versucht, den Nutzern dadurch entgegenzukommen, dass ihnen kündigungsfreie Zeiten von Jahren
und Jahrzehnten eingeräumt wurden. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu festgestellt: Wenn man die Eigentümer zwingt, auf die wirtschaftliche Nutzung ihrer
Grundstücke so lange zu verzichten, dann müssen auch
die Nutzer an den öffentlichen Lasten angemessen beteiligt werden. Nichts anderes setzen wir jetzt um. Wir tun
das gezwungenermaßen. Wir tun es nicht, weil wir etwa
die große Not, in der sich manche Nutzer von Grundstücken jetzt befinden, nicht sehen würden. Wir können
einfach nicht anders.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist nach Maßgabe des
Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts ein notwendiger Kompromiss. Wir können diesen Beschluss nicht
ignorieren. Es würde weder den Eigentümern noch den
Nutzern nutzen, wenn wir eine Regelung schaffen würden, die nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht; denn dann würde die Gefahr bestehen,
dass das Bundesverfassungsgericht in ein, zwei oder drei
Jahren erneut korrigierend eingreifen müsste. Deshalb
halte ich auch den Gesetzentwurf der PDS, mit dem den
Nutzern angeblich geholfen werden soll, für den falschen
Weg. Das hieße „Steine statt Brot“ geben. Denn wenn Ihr
Vorschlag umgesetzt würde, dann wäre die Rechtslage der
Nutzer weiterhin sehr unsicher. Die Nutzer könnten ihr
Leben und das ihrer Familien nicht planen. Es bestünde
die Gefahr, dass die Nutzer in ein, zwei Jahren sogar mit
noch höheren Kosten belastet würden.
Herr Kollege
Ströbele, kommen Sie bitte zum Schluss.
Deshalb: Lassen Sie uns das heute beschließen,
auch wenn es uns schwer fällt und wir große Probleme
haben, bei den Betroffenen für diese gesetzliche Regelung
auf Verständnis zu stoßen.
({0})
Für die FDP-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Klaus Haupt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes
behandeln wir wahrlich kein Weltproblem; aber für viele
Ostdeutsche ist unsere Entscheidung heute äußerst wichtig. Für manche hängt davon ab, ob ihre Datschenwelt
buchstäblich zusammenbricht.
({0})
Rund 1 Millionen Datschenbesitzer zwischen Rostock
und Suhl sehen diese Problematik verständlicherweise
mit viel Emotionen und Herzblut. Sie haben zu DDR-Zeiten ihr Erholungsgrundstück mit Leidenschaft, Fleiß und
Schweiß sowie für damalige Verhältnisse auch mit erheblichen Ersparnissen buchstäblich urbar und nutzbar gemacht. Es wurde Teil ihres Lebens. Hier wurde für die
ganze Familie Frei- und Urlaubszeit verbracht. Sie hatten
gar keinen Anlass, das mit irgendeinem Unrechtsgefühl
zu tun. In der Regel war es ihnen nicht möglich, das
Grundstück zu kaufen. Die damaligen Pachtverträge
konnten sie als ebenso dauerhaft ansehen wie einen Erbbaupachtvertrag nach westlichem Muster.
Diese objektiven Besonderheiten darf man nicht
außer Acht lassen. Sie erfordern heute differenzierte Lösungen. Es geht um einen vernünftigen Interessenausgleich zwischen den Grundstückseigentümern und den
Nutzern. Das ist zugegebenermaßen alles andere als
leicht; denn die Interessen könnten unterschiedlicher
nicht sein.
Selbstverständlich gibt es zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1999
keine Alternative. Aber selbstverständlich ist auch die
Frage zu stellen, ob der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf auch den Vorgaben der obersten
Richter der Republik entspricht.
({1})
Wir sehen die Forderung des Bundesverfassungsgerichtes
nach einem ausgewogenen und sozialverträglichen Interessenausgleich zwischen Nutzern und Grundstückseigentümern in dem vorliegenden Entwurf als leider nicht
erfüllt.
({2})
Grundsätzlich ist richtig, dass die Pächter in vollem
Umfang die regelmäßig wiederkehrenden Gebühren
- wie für Abwasser, Abfall usw. - zu tragen haben. Das ist
nachvollziehbar und akzeptabel. Denn was man nutzt und
verbraucht, muss man auch bezahlen. Dagegen ist nicht
nachvollziehbar, dass die Nutzer bei einmalig erhobenen
Abgaben wie Anschluss- und Straßenbaubeiträgen rückwirkend mit der Hälfte der Kosten belastet werden. Denn
die damit verbundene Erhöhung des Grundstückswertes
kommt vor allem dem Eigentümer zugute. Auch wenn den
Pächtern jährlich nur maximal 10 Prozent dieses Kostenanteils abverlangt werden können, werden nicht wenige
Datschenbesitzer im Osten aufgeben müssen.
Die Karlsruher Richter haben richtigerweise verlangt,
die Nutzer angemessen an den einmaligen Aufwendungen
der Grundstückseigentümer zu beteiligen. Sie haben aber
keine Beteiligung von 50 Prozent gefordert.
({3})
Dass die Nutzer keine Möglichkeit haben, ihre erbrachten
Erschließungsleistungen gegenzurechnen, ist unlogisch,
ungerecht und ebenfalls kein angemessener Interessenausgleich.
({4})
Bedenklich ist auch die Tatsache, dass die Lebensdauer
von Investitionen nicht berücksichtigt wurde. Eine Kanalisation ist zum Beispiel auf eine Lebensdauer von 40 Jahren ausgelegt. Nach dem vorgelegten Gesetzentwurf kann
der Nutzer sie nur noch 14 Jahre in Anspruch nehmen, soll
sie aber zur Hälfte mitfinanzieren. Die FDP ist hier der
Meinung, dass eine Regelung für eine angemessene Beteiligung des Nutzers an den öffentlichen Lasten im Verhältnis zum tatsächlichen Nutzungszeitraum stehen muss.
({5})
Von der Bundesregierung hätten wir Liberalen in dieser Sache mehr Sensibilität und Problembewusstsein gegenüber der spezifischen Situation in der ehemaligen
DDR erwartet, um endlich den notwendigen Rechtsfrieden in der Beziehung zwischen Grundstückseigentümern
und Nutzern herbeizuführen. Viele Probleme bleiben vom
Gesetzentwurf unberücksichtigt, obwohl sie einer dringlichen Lösung bedürfen. Deshalb kann die FDP der Vorlage der Regierung nicht zustimmen.
({6})
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler. - Bevor ich
ihr das Wort erteile, bitte ich Sie, den Lärmpegel etwas zu
reduzieren. Ich habe Verständnis für die Wiedersehensfreude zwischen den Kolleginnen und Kollegen vor der
namentlichen Abstimmung, wir sollten aber auch der letzten Rednerin und den letzten Redner noch die entsprechende Aufmerksamkeit zollen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Regierungsentwurf
bringt nicht die abschließende und für alle Seiten befriedigende Lösung auf dem schwierigen Gebiet der
Schuldrechtsanpassung. Er dient fast ausschließlich der
Umsetzung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1999. Die gesetzlichen Defizite und Mängel
wie beispielsweise beim Kündigungsrecht wurden mit
Verweis auf eben diese Entscheidung nicht behoben. Das
ist bitter für viele Tausende ostdeutscher Nutzer von
Erholungsgrundstücken. Sie hatten in den Regierungswechsel große Hoffnungen gesetzt, denn es war neben
meiner Fraktion ja gerade die SPD, die in der letzten
Wahlperiode ganz ähnliche Änderungsvorschläge zugunsten der Nutzer gemacht hat.
Rechtsfrieden zwischen Grundstückseigentümern und
Nutzern wird es auf der Basis der Regelungen dieses Entwurfes nicht geben.
({0})
Die eklatante Benachteiligung der Nutzer zum Beispiel in
Entschädigungsfragen bleibt, nun noch vermehrt durch
eine zum Teil unangemessen hohe Beteiligung an den öffentlichen Lasten. Das zwingt viele weitere ostdeutsche
Nutzer zur Aufgabe ihrer Datschen. Unsere Änderungsvorschläge finden Sie in unseren beiden heute zur Abstimmung stehenden Anträgen.
Lieber Herr Kollege Hacker und liebe Frau Kollegin
Voßhoff, Sie bemühen in diesem Zusammenhang gern
den üblichen parlamentarischen Vorwurf des Populismus
oder jetzt auch der Verwerflichkeit an die Adresse meiner
Fraktion.
({1})
Wir würden bei den Betroffenen mit verfassungswidrigen
Vorschlägen falsche Hoffnungen wecken und einseitig
zugunsten der Nutzer agieren. Das ist natürlich Nonsens.
Wenn das nämlich stimmen würde, dann hätte Ihre Fraktion im 13. Bundestag ebenfalls verfassungsrechtlich
nicht haltbare Vorschläge erarbeitet.
({2})
Nur das Bundesverfassungsgericht hätte dann die SPD
davor bewahrt, im 14. Bundestag verfassungswidrige gesetzliche Regelungen durchzusetzen. Damit stellen Sie
sich doch selber ein juristisches Armutszeugnis aus; das
wollen Sie doch sicher nicht.
({3})
Bei den Nutzungsverhältnissen stehen sich zwei Eigentümer gegenüber, nämlich der Eigentümer des Grundstücks und der Eigentümer der Baulichkeit. Das wird leider oft übersehen.
({4})
Die Regelung der Schuldrechtsanpassung muss nach
Art. 14 Grundgesetz beiden Eigentümergruppen gerecht
werden. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
schließt nicht aus, dass notwendige Änderungen auch
zum Schutz des Eigentums der Nutzer erfolgen. Da Gegenstand der Entscheidung Verfassungsbeschwerden der
Grundstückseigentümer waren, hatte es naturgemäß auch
nur über diese zu entscheiden. Das bedeutet jedoch im
Umkehrschluss nicht, dass der Spielraum des Gesetzgebers für die Vertragsseite der Nutzer nun gleich Null ist.
Für die ostdeutschen Nutzer ist es tragisch, dass Sie
Ihre Courage, jetzt da Sie an der Regierung sind, verlassen hat und Sie hinter dem Bundesverfassungsgericht in
Deckung gehen. Offensichtlich gibt es auch keinen politischen Willen mehr zu weitergehenden Änderungen. Ich
empfehle Ihnen deshalb das Buch von Stefan Reker über
Roman Herzog. Darin äußert sich der ehemalige Präsident
des Bundesverfassungsgerichts zu der aus seiner Sicht
übertriebenen Unterwürfigkeit der Politik gegenüber den
Karlsruher Urteilen folgendermaßen:
Unsere Entscheidungen werden in der politischen
Praxis oft heillos überinterpretiert. Einzelne Sätze
werden aus der Masse herausgegriffen und verabsolutiert ... Und diese werden dann in der politischen
Diskussion gehandelt, als ob sie von Gott persönlich
dem Moses auf dem Berg Sinai überreicht worden
wären.
Ich will Ihnen deshalb nur den Rat mit auf den Weg geben: Versuchen Sie sich nicht in der Rolle des Moses.
({5})
Der letzte Redner vor
der namentlichen Abstimmung ist der Kollege HansJoachim Hacker für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Dr. Kenzler, Ihr
Abgleiten in Bibelzitate wird den Nutzern wenig helfen.
Auf Ihre Position werde ich am Ende meiner Rede noch
zu sprechen kommen, aber ich denke, wir sollten uns erst
einmal mit dem eigentlichen Thema, um das es hier geht,
näher befassen.
Mit der heutigen Debatte beenden wir das parlamentarische Verfahren der Novellierung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes, auf das die Nutzer von Erholungsgrundstücken und die Eigentümer monatelang gewartet
haben. Auch ich meine, ebenso wie der Herr Staatssekretär das dargestellt hat, dass dieser Gesetzgebungsprozess,
der die komplizierte Materie der Nutzungsverhältnisse an
Grundstücken in den neuen Ländern beinhaltet, von einer
beispielhaften Art und Weise der Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern, aber auch der Zusammenarbeit der Kolleginnen und Kollegen im Rechtsausschuss und in den Berichterstattergesprächen gekennzeichnet war. Ich möchte mich an dieser Stelle insbesondere für die sehr kompetente Unterstützung bei dieser Arbeit durch das Bundesjustizministerium bedanken.
Der heutigen Abschlussberatung gehen auf Initiative
des Bundesjustizministeriums durchgeführte Beratungen
einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe voraus, an die wir an
dieser Stelle erinnern sollten. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1999 ist nach dem Beginn dieser Beratungen auf der Ebene zwischen dem
Bund und den Ländern verkündet worden. In diese Beratungen waren die Vertreter der unterschiedlichen Interessengruppen bereits eingebunden.
Der federführende Rechtsausschuss hat am 14. November 2001 zu dieser Thematik eine Anhörung durchgeführt. Das Ergebnis dieser Anhörung kann man folgendermaßen zusammenfassen: Der Gesetzentwurf der
Bundesregierung hat den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts in verfassungskonformer Weise umgesetzt
und hierbei die Interessen des Bestands sozialverträglicher Lösungen beachtet.
Uns ist bewusst, dass wir mit diesem Gesetz nicht jeden Betroffenen zufrieden stellen können. Nicht jeder Betroffene wird die Bewertung mittragen bzw. vollständig
mittragen. In dieser Hinsicht hat jedoch nicht die subjektive Akzeptanz Vorrang; wir sind vielmehr gehalten, uns
ganz konkret an den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts zu halten. Dieser Auftrag umfasst letzten Endes
auch die Eigentumsgarantie. Frau Dr. Kenzler, er umfasst
nicht nur die Eigentumsgarantie der Nutzer, die von der
SPD immer hoch geschätzt wurde, sondern auch die Eigentumsgarantie der Grundstückseigentümer, die in der
DDR jahrzehntelang nicht beachtet worden ist. Auch das
gehört zu der gesamten Wahrheit. Insofern haben Sie uns
aus der Geschichte ein Osterei ins Nest gelegt.
Ich will an dieser Stelle - das sage ich jetzt ganz deutlich - nichts verschweigen. Ich nehme zu dem Sachverhalt Stellung, an den von Frau Voßhoff und von Frau
Kenzler immer wieder gern erinnert wird. Natürlich hatte
die SPD-Bundestagsfraktion ursprünglich weitergehende
Vorstellungen. Wir haben diese weitergehenden Vorstellungen in der letzten Legislaturperiode in ein parlamentarisches Verfahren konkret einbezogen; aber - das ist der
entscheidende Punkt - wir kommen nicht darum herum,
dass der Handlungsrahmen des Gesetzgebers aufgrund
des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts klar bestimmt ist. Durch das Gesetz wird er ausgefüllt. Das muss
man hier so konkret feststellen. Auch an dieser Stelle
muss man das den Nutzern und ihren Vertretern in den
Verbänden - ich spreche insbesondere das Präsidium des
VDGN an - sagen.
Dieser Bewertung schließen sich nicht nur die Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion an, sondern auch
viele Vertreter der neuen Länder, und zwar ganz gleich,
welches Parteibuch sie haben, obgleich dies bei der Bildung der Landesregierungen eine Rolle gespielt hat.
Frau Dr. Kenzler, an dieser Stelle möchte ich unterstreichen: Das Bundesverfassungsgericht hat bei seiner
Bewertung sicherlich auch berücksichtigt, über wie viele
Jahre bzw. Jahrzehnte während der DDR-Zeit Grundstückseigentümer in ihren Rechten beschränkt waren.
Herr Kollege Hacker,
ich muss Sie kurz unterbrechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, ein wenig Rücksicht darauf zu nehmen, dass noch ein Redner
spricht. Seine Redezeit beträgt noch zweieinhalb Minuten. Ich bitte für diese zweieinhalb Minuten um etwas
mehr Ruhe, damit wir auch dieser Rede noch folgen können.
({0})
Vielen Dank, Frau
Präsidentin.
Das Bundesverfassungsgericht hatte zu berücksichtigen, dass durch die Gesetzgebung im Jahre 1994 ein
Kündigungsschutz bis zum Jahre 2015 festgeschrieben
wurde. Das sind 25 Jahre zuzüglich der Zeit, während der
der Grundstückseigentümer in der DDR über sein Eigentum nicht verfügen konnte. Vergessen wir das nicht, Frau
Dr. Kenzler!
Es wird oft darauf hingewiesen, dass ältere Menschen
von ihren Grundstücken vertrieben werden. Für diejenigen, die das 60. Lebensjahr erreicht hatten, gilt ein lebenslanger Kündigungsschutz. Insofern unterscheidet die
Regierungskoalition - ich spreche hier insbesondere für
die SPD - eines von der Opposition: Wir haben das Machbare, den Interessenausgleich zwischen den Nutzern und
den Eigentümern, im Auge. Die Opposition - voran die
PDS, aber auch Vertreter anderer Oppositionsparteien nährt reines Wunschdenken. Das muss man hier im Plenum einmal so deutlich sagen.
({0})
Sie helfen damit den Nutzern nicht, sondern Sie geben,
wie die Zeitschrift „Das Grundstück“ des VDGN mich
richtig zitiert, den Betroffenen Steine statt Brot. Wunsch
und Hoffnung der PDS ist es, aus verständlicher Ablehnung zusätzlicher finanzieller Lasten, die bei den Nutzern
vorhanden ist, politisches Kapital zu schlagen. Das kann
ich parteipolitisch nachvollziehen; Sie leisten damit den
Nutzern aber keinen guten Dienst, sondern einen Bärendienst.
({1})
Sie haben vorhin gesagt, wir würden Ihre Position als
Populismus bezeichnen. Populismus, Frau Dr. Kenzler, ist
noch geschmeichelt. Es gibt dafür andere Begriffe, die ich
hier lieber nicht einführen möchte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Professor Pick hat hier auf die Regelung zur Beteiligung der Nutzer an den öffentlichen Lasten verwiesen. Ich möchte, auch
unter dem Aspekt, dass mir wenig Zeit verbleibt, die einzelnen Themen nicht noch einmal im Detail ansprechen,
sondern nur auf Folgendes hinweisen: Der Bundesgesetzgeber ist nach dem Grundgesetz an seine Kompetenzen gebunden. Natürlich hat die Bundesregierung auch überlegt,
ob es nicht möglich ist, durch den Erlass einer Stundungsregelung die Last von den Nutzern abzuwenden.
({2})
Sie alle wissen aber - die PDS genauso wie andere -, dass
wir nach dem Grundgesetz diese Stundungsregelung nicht
erlassen können, weil die Zuständigkeit des Bundestages
für diese Regelung gar nicht gegeben ist. Wenn Sie aber
eine solche Regelung für richtig halten, richte ich folgenden Appell an Sie: Ich werde in Mecklenburg-Vorpommern dafür werben. Ich richte einen entsprechenden Appell an Herrn Gysi und Herrn Holter. Vielleicht hat Herr
Holter ja Zeit, sich auch mit dieser Thematik einmal zu
beschäftigen. Ich sehe einer solchen Initiative mit sehr
viel Zutrauen entgegen und Sie können sicher sein, dass
ich einer Stundungsregelung wie bei den Bundeskleingartengrundstücken meine volle Unterstützung geben werde.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die finanzielle Last kommt nur dann zum Tragen, wenn tatsächlich
Anschlüsse getätigt werden. Die Opposition baut hier ein
Szenario auf, als würden diese Gebühren morgen für jedes Grundstück anfallen. Die Gebühren entstehen tatsächlich aber nur durch Anschlüsse. Ich habe mich auf den
Grundstücken in den Erholungsanlagen umgesehen. Da
hat sich generell seit 1990 so viel Neues nicht getan. Es ist
aber völlig klar, dass die Kosten getragen werden müssen,
wenn die Anschlüsse kommen.
Herr Kollege Hacker,
wenn Sie einmal auf die Uhr schauen, sehen Sie, dass Ihre
Redezeit abgelaufen ist.
Ich habe das schon
gesehen, Frau Präsidentin. Deshalb möchte ich mit zwei
Sätzen enden.
Der erste Satz: Ich bin ernüchtert von den Positionen
der CDU/CSU und der FDP. Die FDP hat vollmundig angekündigt, weitere Änderungen einzubringen. Sie haben
hier aber nicht einen einzigen Änderungsantrag vorgelegt
und lehnen den Gesetzentwurf ab.
Zur PDS kann ich nur sagen: Machen Sie weiter so.
Was Sie betreiben, ist kein Beitrag zur deutschen Einheit;
das ist Spalterpolitik. Sie leisten den Nutzern mit Ihrer Position keinen Dienst. Ich bin gespannt, wie sich Ihre Partei auf den Länderebenen verhalten wird. Das werden wir
dann sehen.
Herr Kollege Hacker,
ich muss Sie jetzt wirklich bitten, zum Schluss zu kommen.
Frau Präsidentin, ich
bin bereits am Schluss.
({0})
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än-
derung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes, Drucksa-
chen 14/6884 und 14/7169. Der Rechtsausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 14/8299, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen.
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf
Drucksache 14/8315 vor, über den wir zuerst abstimmen. -
Ich bitte darum, dass noch erkennbar bleibt, wie die Frak-
tionen abstimmen. Deshalb sollten bitte nicht alle schon
jetzt die Urnen bestürmen. - Ich lasse zunächst über den
Änderungsantrag der Fraktion der PDS abstimmen. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dage-
gen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist gegen
die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der CDU/
CSU- und der FDP-Fraktion angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Die Fraktion der PDS verlangt
eine namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu-
nehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich
eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-
kannt gegeben.1)
Ich bitte alle hier verbleibenden Abgeordneten, die
Plätze jetzt relativ schnell einzunehmen, damit wir zur
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der
PDS zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes,
Drucksache 14/65, kommen können. - Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/8299, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
dritte Beratung.
Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/8299 empfiehlt der Rechtsausschuss, den
Antrag der Fraktion der PDS zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes auf Drucksache 14/6918 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.
Unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktion der PDS zur
Änderung der Nutzungsentgeltverordnung auf Drucksache 14/63 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch
diese Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der
PDS-Fraktion angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Steffen Kampeter, Dr. Norbert Lammert, Bernd
Neumann ({0}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Bestandsaufnahme und Perspektiven der
Rock- und Popmusik in Deutschland
- Drucksachen 14/4290, 14/6993 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. - Ich wollte gerade „den
Singewettbewerb“ sagen, aber der findet ja erst heute
Abend statt. - Erster Redner für die CDU/CSU-Fraktion
ist der Kollege Steffen Kampeter.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche
Bundestag beschäftigt sich heute auf Initiative der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit einem Thema, das wir
nicht in jeder Sitzungswoche auf der Tagesordnung haben, nämlich mit dem Stand und den Entwicklungsperspektiven der Rock- und Popmusik in Deutschland.
Da es in den letzten Tagen einige interessierte Blicke,
auch der veröffentlichten Meinung, darauf gegeben hat,
wie es zu dieser Anfrage kam, lassen Sie mich erläutern,
welche Motive uns getrieben haben, die Situation der
Rock- und Popmusik im Deutschen Bundestag zu thematisieren.
Die populäre Musik gehört zu den Grundgeräuschen
der Gegenwart. ... Diese Musik begleitet den modernen Menschen, vom Erwachen bis zur Müdigkeit,
von der Stunde seiner Geburt bis zur letzten Müdigkeit. Sie lässt ihn bei der Arbeit nicht allein, sie
gehört zum Krieg und zum Vergnügen, sie begleitet
den Schmerz, die Hoffnung und die Liebe.
Dieses Zitat des Feuilletonisten Thomas Steinfeld beschreibt sicher auch die Aufnahme der modernen Musik
durch die - nicht nur die heute hier anwesenden - Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Wer heute zu einem
Konzert der Rolling Stones geht, erlebt, um welch generationenübergreifendes Phänomen es sich handelt. Rockund Popmusik geht über Staats- ebenso wie über Parteigrenzen hinweg, sie ist, obwohl oftmals versucht, schwerlich politisch zu vereinnahmen und sie ist schon längst
keine Domäne der politischen Linken mehr, so gerne sie
selbst das hätte.
({0})
Sie ist vielmehr ein Beleg dafür, dass die Trennung zwi-
schen Hoch- und Subkultur nicht mehr so eindeutig ist,
wie noch vor wenigen Jahren behauptet.
Vizepräsidentin Petra Bläss
1) Ergebnis Seite 21766 D
Deutschland hat im Bereich der Unterhaltungsmusik
eine große Tradition. In den 30er-Jahren des vergangenen
Jahrhunderts gingen von Deutschland wichtige Impulse
aus. Mit dem Exodus der kulturellen Eliten war nach dem
Zweiten Weltkrieg ein Anknüpfen an diese Unterhaltungsmusiktraditionen schwer möglich. Der Wind der populären Musik weht seither vor allem transatlantisch. Die
ehemalige DDR war in der Förderung der populären Musik im Übrigen eine positive Ausnahme.
Es ist uns in Deutschland noch nicht gelungen, den Bereich der Kreativwirtschaft als einen wesentlichen Standortfaktor im kulturellen wie im wirtschaftlichen Bereich
zu sehen. Deswegen ist es ein wesentliches Anliegen unserer Anfrage, auf die berechtigten Forderungen und
Wünsche dieses Bereiches der Kreativwirtschaft hinzuweisen und sie im Parlament zu diskutieren.
({1})
Wir wollen damit auch die in unseren Augen fragwürdige Praxis beenden, dass sich die Bundesregierung und
auch andere prominente Politiker im Rahmen eines oberflächlichen und auf Außenwirkung abzielenden Scheindialogs der Popularität von Musikerinnen und Musikern
bedienen. Es fehlt dabei meist die ernsthafte Auseinandersetzung mit den Rahmenbedingungen, die eine nachhaltige und musikalisch erfolgreiche Rock- und Popmusik in Deutschland ermöglichen.
({2})
Die Beantwortung unserer Großen Anfrage macht
deutlich, dass auch die Einrichtung eines Beauftragten für
Kultur und Medien die Exekutive nicht zu einem emphatischen Unterstützer der Rock- und Popmusik gemacht
hat.
({3})
Ich füge hinzu: Damit steht sie zweifelsohne in der Tradition manch ihrer Vorgänger. Mit Fleiß, aber sicherlich keinesfalls mit Liebe haben die Beamten das zusammengetragen, was ihnen zusammenzutragen wichtig erschien.
Allerdings liefert die Antwort bei allem Unzulänglichen,
Unvollständigen und Beschönigenden gleichwohl eine
Tagesordnung der Themen und Anliegen, mit denen sich
der Deutsche Bundestag im Kulturausschuss, aber auch
im Wirtschaftsausschuss in Zukunft stärker auseinander
setzen muss. Wir dürfen mit unseren kreativen Eliten
nicht so selektiv umgehen wie in der Vergangenheit, indem wir die Filmwirtschaft fördern und die Musikwirtschaft am Rande liegen lassen.
Die CDU hat sich als Partei gleichwohl dieser Aufgabe
gestellt. Mit der Gründung des Dialogforums Musikwirtschaft bietet sie den verschiedenen Interessen im Bereich der deutschen Rock- und Popmusik eine Gesprächsplattform zur Erörterung ihrer Anliegen. Dabei zielen wir
nicht auf das einmalige, nach außen gerichtete Event oder
Happening, sondern vielmehr auf den fortgesetzten, an
Themen orientierten Austausch. Die erfreuliche Resonanz
zeigt, dass wir hier einem objektiven Bedürfnis entgegengekommen sind. Wir hoffen, dass andere gesellschaftspolitische Akteure diesem Beispiel folgen. Es schadet
keinem, sich mit Themen auseinander zu setzen, die wahrscheinlich - wie ich mir vorstellen kann, wenn ich auf die
Tribüne schaue - stärker interessieren als manch anderer
Punkt auf der Tagesordnung.
({4})
Was können wir aus der Anfrage an politischen Forderungen ableiten? Die erste Forderung, die uns leider am
wenigsten betrifft, zielt auf die Situation des Musikunterrichts. Der Musikunterricht in Deutschland leidet Not.
Ich appelliere daher nachdrücklich an die Kultusministerkonferenz, dieses Thema offensiv anzugehen und die
Schwächen endlich zu beseitigen, die sie in vielen Stellungnahmen hinreichend beschrieben hat.
({5})
Ohne Musiker gibt es keine Musik.
Die zweite Forderung, die ich hier aufstellen möchte,
ist, dass die Musikerverbände und die Musikinitiativen
aus diesem Bereich von der Politik stärker wahrgenommen werden müssen. Sie stehen oft am Rande. Der Bund
hat es in der Hand, die bestehenden Wettbewerbe und Initiativen im Pop- und Rockbereich stärker wahrzunehmen.
Ich wünsche uns allen mehr Mut für diese Kontakte. Ich
empfinde es als ein ermutigendes Signal, dass der Kulturbeauftragte heute selbst in dieser Debatte sprechen wird.
Die mit der Rock- und Popmusik verbundenen Unternehmen leisten einen respektablen Beitrag zu unserer
Volkswirtschaft. Die Wirtschaftskraft der Tonträgerhersteller, der Veranstaltungswirtschaft und der Unterhaltungselektronik sowie der Musiker, der Texter, der Komponisten, der Techniker, der Musikjournalisten und der
Produzenten wird vielfach unterschätzt. Alljährlich stellt
sich die Szene auf der Kölner Schau „Popkomm“ nicht
nur den Fans, sondern auch den Geschäftspartnern vor.
Schon längst hat die Branche den Bereich der Schattenwirtschaft verlassen, der ihr von manchen Zeitgenossen
noch heute angelastet wird. Wir haben es mit einer leistungsfähigen, außerordentlich kreativen und überwiegend
mittelständisch strukturierten Wirtschaft zu tun. Wäre die
Beschäftigung mit der Rock- und Popmusik nicht schon
aus kulturpolitischen Gründen unverzichtbar, wirtschaftspolitisch ist sie es gleichwohl.
Die Probleme sind ähnlich gelagert wie in anderen
Wirtschaftsbereichen. Konzentration heißt das Stichwort auch in der Tonträgerindustrie. Wir erleben in diesen
Tagen, dass beispielsweise der Branchenführer ein
Familienunternehmen aufgekauft hat, das sich insbesondere mit den deutschsprachigen Schlagern und mit der
Volksmusik beschäftigt hat. Es wird in Bezug auf Kreativität und Wettbewerb interessant sein zu erfahren, ob ein
internationaler Konzern mit genauso viel Liebe für die
deutsche Musik diese Sparte weiter pflegt, wie sie von seiner Neuerwerbung in den vergangenen Jahren bewiesen
wurde. Auch hier wie in vielen anderen Bereichen mussten die Kartellinstitutionen für die Sicherung von Wettbewerb, Vielfalt und Kreativität sorgen. Es geht uns also
nicht um einen Bundesrockminister oder um eine neue
Popsubvention. Wie im gesamten Mittelstandsbereich
sind es vor allen Dingen die Rahmenbedingungen, die für
ein erfolgreiches - das heißt in diesem Bereich: kreatives Handeln erforderlich sind.
Aus Anlass der Beantwortung dieser Großen Anfrage
regen wir an, die Rahmenbedingungen der Kreativwirtschaft zu überprüfen. Eine erste Erleichterung hat dieses
Parlament im steuerlichen Bereich bereits beschlossen.
Mit der Reform der so genannten Ausländersteuer sind
gerade mittelständische Veranstalter wesentlich entlastet
und ist eine politische Fehlentscheidung aus den 90er-Jahren korrigiert worden.
Ein weiteres wichtiges Thema sind die Ausbildungsfragen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt, dass
mit dem Veranstaltungskaufmann neben dem Veranstaltungstechniker und Medienkaufmann ein weiteres branchenspezifisches Ausbildungsprofil geschaffen worden
ist. Im Kern geht es wie auch in vielen anderen Bereichen
um die gezielte Nachwuchsförderung sowohl auf der
Seite der Künstler wie auch auf der Seite der Vermarkter.
In vielen anderen europäischen Ländern ist die Entwicklung schon sehr viel weiter. Auf Dauer werden wir nicht
mit den Westernhagens, den Maffays und den Lindenbergs die nächsten 20 Jahre kreativ überleben. Hier muss
in Deutschland ein neuer Wind in die Rock- und Popmusik kommen.
Als eine weitere, rasch zu verwirklichende Maßnahme
für die kleinen und mittleren Tonträgerunternehmen
schlagen wir die Einrichtung eines Musikexportbüros
vor, das die bisherige außenwirtschaftliche Förderung ergänzt. Der Staat könnte hier die Anschubfinanzierung
leisten. Das Büro muss sich auf Dauer finanziell selbst tragen und seine Dienstleistungen zu marktfähigen Konditionen anbieten. Das wäre ein Signal in Zeiten sinkender Inlandsumsätze. Damit würden wir lediglich das
nachvollziehen, was viele andere Staaten bereits zur Förderung ihrer heimischen Rock- und Popmusik unternehmen. Hier können wir kurzfristig eine sinnvolle Aktivität
entwickeln.
Ein weiteres Feld sind die Urheberfragen, die durch
die Entwicklung der digitalen Techniken in den Fokus von
Künstlern, Rechteinhabern und Tonträgerunternehmen
gerückt sind. Wie die chaotische und wechselhafte Diskussion beim Urhebervertragsrecht zeigt, hat die derzeitige Regierung für diese Bereiche des Urheberrechts kein
umfassendes, konsensbildendes Konzept.
({6})
Es ist wichtig, dass sich der Staatsminister für Kultur
und Medien in diesen Fragen stärker gegenüber der zuständigen Justizministerin durchsetzt. Denn es geht im
Kern darum, die Rechte der Kreativen und die Vielfalt der
Branche aufrechtzuerhalten.
({7})
Mit dem Urhebervertragsrecht ist aber nur ein Teil des
Urheberrechts abgehandelt. Die Europäische Union hat
uns weitere Aufgaben gestellt. Deren mögliche Lösungen
lassen die Kreativen in diesem Land unruhig werden. Es
geht um die Ausgestaltung von digitalen Kopien im Privatbereich. Bei Software und vergleichbar geschützten
Inhalten besteht ein strikter Urheberschutz. In der Musik
fehlt er. Dies betrifft auch den weit gefassten Bereich der
Internetpiraterie.
Eine Zahl in diesem Zusammenhang: Im vergangenen
Jahr sind erstmals mehr unbespielte Tonträger als bespielte CDs verkauft worden. Der „Marktplatz Musik“
droht ohne eine entsprechende verbindliche Regelung zu
verarmen und die kreativen Szenen auszutrocknen. Deswegen müssen wir bei der bis zum Ende des nächsten Jahres anstehenden Umsetzung der diesbezüglichen EURichtlinie ganz besonders sorgsam auf diesen Bereich
achten. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie
noch vor der Sommerpause einen Vorschlag in die Diskussion einbringt, wie wir die Vorgaben aus Europa in nationales Recht umsetzen können.
({8})
Viele der hier angesprochenen Themen sind nicht im
klassischen Sinne parteipolitisch zu strukturieren. Es gibt
eben keine linke oder rechte Poppolitik. Mehrheiten und
Minderheiten ändern sich schneller, als noch vor kurzem
vermutet.
({9})
Deswegen bieten wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Ihnen an, den Dialog mit den Kreativen in der Musikbranche, insbesondere mit denjenigen in der Rock- und
Popmusik, über alle Fraktionsgrenzen zu suchen und im
Rahmen dieses Dialogs dazu beizutragen, dass sich dieser
kreative Standortfaktor fortentwickeln kann. Wir als
CDU/CSU sind dazu bereit.
({10})
Bevor wir in der
Debatte fortfahren, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der
namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzes
zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes verkünden. Abgegebene Stimmen 445. Mit Ja haben
262 Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Mit Nein haben
33 Abgeordnete gestimmt. 150 Kolleginnen und Kollegen
haben sich enthalten.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 445;
davon
ja: 262
nein: 33
enthalten: 150
Ja
SPD
Brigitte Adler
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr
Doris Barnett
Eckhardt Barthel ({0})
Klaus Barthel ({1})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({2})
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({3})
Hans-Günter Bruckmann
Vizepräsidentin Petra Bläss
Edelgard Bulmahn
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({4})
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({5})
Gabriele Fograscher
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({6})
Harald Friese
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({7})
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({8})
Klaus Hagemann
Klaus Hasenfratz
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({9})
Stephan Hilsberg
Jelena Hoffmann ({10})
Walter Hoffmann
({11})
Iris Hoffmann ({12})
Frank Hofmann ({13})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Gabriele Iwersen
Jann-Peter Janssen
Dr. Uwe Jens
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Hans-Ulrich Klose
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({14})
Detlev von Larcher
Waltraud Lehn
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({15})
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({16})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Heide Mattischeck
Ulrike Merten
Dr. Jürgen Meyer ({17})
Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Jutta Müller ({18})
Christian Müller ({19})
Franz Müntefering
Volker Neumann ({20})
Gerhard Neumann ({21})
Dr. Edith Niehuis
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Holger Ortel
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Christel RiemannHanewinckel
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({22})
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Horst Schild
Otto Schily
Ulla Schmidt ({23})
Silvia Schmidt ({24})
Dagmar Schmidt ({25})
Wilhelm Schmidt ({26})
Dr. Frank Schmidt
({27})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({28})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Karsten Schönfeld
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Richard Schuhmann
({29})
Brigitte Schulte ({30})
Reinhard Schultz
({31})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({32})
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({33})
Matthias Weisheit
Jochen Welt
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Jürgen Wieczorek ({34})
Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer ({35})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({36})
Waltraud Wolff
({37})
Heidemarie Wright
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Wolfgang Börnsen
({38})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({39})
Marieluise Beck ({40})
Volker Beck ({41})
Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Amke Dietert-Scheuer
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({42})
Joseph Fischer ({43})
Gerald Häfner
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Dr. Reinhard Loske
Kerstin Müller ({44})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Albert Schmidt ({45})
Werner Schulz ({46})
Christian Simmert
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({47})
Margareta Wolf ({48})
Fraktionslose Abgeordnete
Christa Lörcher
Nein
CDU/CSU
Hans Jochen Henke
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Sylvia Voß
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Vizepräsidentin Petra Bläss
Wolfgang Bierstedt
Maritta Böttcher
Heidemarie Ehlert
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Klaus Grehn
Dr. Bärbel Grygier
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Manfred Müller ({49})
Kersten Naumann
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Dr. Ilja Seifert
Enthalten
SPD
Siegfried Scheffler
CDU/CSU
Ilse Aigner
Norbert Barthle
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Dr. Heribert Blens
Dr. Norbert Blüm
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Hartmut Büttner
({50})
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen
({51})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Hansjürgen Doss
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Axel E. Fischer ({52})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({53})
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Peter Götz
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser
({54})
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Martin Hohmann
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Dr. Klaus W. Lippold
({55})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({56})
Erich Maaß ({57})
Dr. Martin Mayer
({58})
Dr. Michael Meister
Bernward Müller ({59})
Günter Nooke
Franz Obermeier
Norbert Otto ({60})
Anton Pfeifer
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Christa Reichard ({61})
Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Clemens Schwalbe
Wilhelm Josef Sebastian
Bernd Siebert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl ({62})
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Peter Weiß ({63})
Gerald Weiß ({64})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({65})
Hans-Otto Wilhelm ({66})
Bernd Wilz
Werner Wittlich
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
FDP
Jörg van Essen
Gisela Frick
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther ({67})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Heinrich L. Kolb
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des
Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({68})
Bierling, Hans-Dirk* Bühler ({69}), Klaus* Höfer, Gerd* Kossendey, Thomas*
CDU/CSU CDU/CSU SPD CDU/CSU
Raidel, Hans* Rauber, Helmut* Schloten, Dieter* Dr. Süssmuth, Rita*
CDU/CSU CDU/CSU SPD CDU/CSU
Weisskirchen ({70}), Gerd* Wimmer ({71}), Willy* Zapf, Uta*
SPD CDU/CSU SPD
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung OSZE
Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Jetzt erteile ich Staatsminister Julian Nida-Rümelin
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kampeter, wir waren in den
vergangenen Monaten nicht immer einer Meinung. Ausweislich dessen, was Sie hier vorgetragen haben, sind
heute die Übereinstimmungen groß. Es schadet nicht,
dass wir im Bundestag über das Thema Rock und Pop diskutieren, wenn auch bei reduzierter Besetzung im Vergleich zu der vor einigen Minuten.
({0})
Ich möchte mich auf wenige Bemerkungen beschränken. Meine Behörde hat sehr ausführlich zu der vorliegenden Großen Anfrage Stellung genommen. Sie umfasst
fast 40 Seiten, eng bedruckt. Es ergibt keinen Sinn, hier
den Versuch zu unternehmen, sie zusammenzufassen.
Aber einige zentrale Aussagen sowohl zu dieser Antwort
als auch zur Perspektive der Zusammenarbeit von Politik
und Pop- und Rockmusikbranche sind angebracht.
Zum einen darf man zwei Dinge nicht miteinander verwechseln: die kulturelle Bedeutung einer bestimmten
Sparte der Kunst auf der einen Seite und auf der anderen
Seite das Ausmaß der Förderung, die der Staat dieser
Sparte bzw. Branche angedeihen lässt.
({1})
- Ja, der Film ist ein Beispiel dafür, aber auch die Literatur. Der Staat hält sich in der Literaturförderung, wenn
man einmal von Ausbildungsinstitutionen absieht, sehr
zurück. Wir vertrauen auf eine funktionierende Verlagsbranche und sollten die Rahmenbedingungen so setzen,
dass sich die Verlagsbranche gedeihlich entwickelt. Wir
fördern die literarische Produktion so gut wie gar nicht
unmittelbar. Das ist aber selbstverständlich kein Unwerturteil gegenüber der Literatur.
Das heißt, wenn wir darüber diskutieren, ob der Staat
in einem höheren Maße fördernd tätig werden soll, so
müssen wir dies zunächst einmal von der Frage der kulturellen Bedeutung abkoppeln. Deswegen möchte ich
dazu doch noch eine Bemerkung machen.
Wir haben in Deutschland - auch darin scheinen wir
übereinzustimmen - eine Tradition der Trennung von
„E“ und „U“, von so genannter ernster und so genannter
Unterhaltungskultur, wie sie im internationalen Vergleich
vermutlich sogar einmalig ist. Weder unser Nachbar im
Westen, Frankreich, noch unsere Nachbarn weiter westlich, Großbritannien, USA, haben diese scharfe Trennung. Es ist ganz wichtig, denke ich, dass wir den Beitrag
der Popkultur im weitesten Sinne zur kulturellen Entwicklung, übrigens auch zur Identitätsbildung jüngerer
Menschen, sehr ernst nehmen.
({2})
Jetzt stellt sich die Frage, ob eine spezifische zusätzliche Förderung des Staates, über das hinaus, was es gibt
und was in der Antwort auch aufgelistet ist, wünschenswert ist.
Ich will nur in Klammern hinzufügen: Wir müssen gegen die Bedrohung, die sich gegenwärtig durch die Möglichkeit, digitale Kopien zu erstellen, für die künstlerische Kreativität und ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit
zeigt, sehr gründlich angehen. Sie haben die wesentlichen
Rahmenbedingungen genannt. Die Umsetzung der EURichtlinie ist jetzt auf der Tagesordnung. Es gibt im Wesentlichen nur zwei Optionen. Die eine ist, dass diejenigen Kopien, die wir zulassen, zur Stärkung der Urheber
beitragen müssen. Die andere ist das, was die Amerikaner
„technological device“ nennen, also ein technologisches
Verfahren, das die Möglichkeit, digitale Kopien, auch aus
dem Internet, zu erstellen - das gilt auch für den Film -,
beschränkt. Wir müssen sehr genau prüfen, welche Formen schädlich und welche positiv sind. Die USA haben
auch dazu einige Erfahrungen gesammelt.
({3})
Jetzt zur Frage der zusätzlichen Förderung durch den
Staat. Ich war im November letzten Jahres auf der 3. Popkonferenz in Germering. Mir ist dort aufgefallen, dass die
Erwartung an den Staat im weitesten Sinne, Kommunen,
Länder und Bund, groß ist, dass aber wirklich überzeugende Konzeptionen dazu, wie das denn aussehen sollte,
noch nicht vorliegen. Ich habe dann gefragt, wie viele
denn aus der Branche kommen. Wenn ich mich richtig
erinnere, hat sich nur ein Einziger gemeldet. Das heißt,
die Branche selbst war auf dieser 3. Popkonferenz nur
schwach vertreten.
Ich habe vor einigen Tagen ein Gespräch geführt, um
auszuloten, wie weit die Kooperationsbereitschaft der
Branche selbst denn eigentlich geht. Ich kann mir vorstellen - ich sage das hier ganz deutlich -, dass in einer gewissen Analogie zu dem, was wir in der Filmförderung
machen, mit Branchenunterstützung Förderungen organisierbar sind.
({4})
Ich sage das hier deswegen, weil die Gesprächspartner,
mit denen ich geredet habe, erstaunlich offen waren, und
zwar auch offen für den Gedanken, dass dies nicht Sache
des Steuerzahlers sein kann - jedenfalls nicht primär, weil
da ein Brancheninteresse dahinter steht -, dass der Staat
aber bereit sein muss, diesem Brancheninteresse, das einem kulturellen Interesse entspricht, das wir fördern müssen, dann auch nachzukommen.
Dazu gehört auch die Frage Exportbüro. Da kann man
sich zum Beispiel Förderung von Start-ups, Nachwuchsförderung, Förderung von Clubs, die in dem Bereich agieren, in dem es wirtschaftlich schwierig ist, sich zu halten,
und vieles mehr überlegen. Als Einziges kann ich hier versprechen, in den nächsten Monaten einen Diskussionsentwurf zu erarbeiten, in dem einige Vorschläge, die in
diese Richtung gehen, enthalten sein werden. Wir werden
Vizepräsidentin Petra Bläss
dann Gelegenheit haben, darüber zu diskutieren. Die konkrete Umsetzung wird in dieser Legislaturperiode nicht
mehr möglich sein.
Ganz zum Schluss spreche ich noch einen Punkt an
- die Redezeit ist noch nicht abgelaufen -, der mir Kopfzerbrechen bereitet und uns allen vielleicht Kopfzerbrechen bereiten sollte. Wir haben in Deutschland einen
Horror vor fast jeder Art von Quote, außer vielleicht bei
der Gleichstellung der Geschlechter.
Herr Staatsminister,
der Kollege Lammert hat eine Frage. Lassen Sie die zu?
({0})
Ich möchte dem
begonnenen Satz und seiner Vollendung nicht im Wege
stehen.
Bitte schön. Ich bringe ihn gleich zu Ende.
Herr Staatsminister, ich möchte meine Frage gerne mit dem ausdrücklichen
Interesse an Ihren Ausführungen und wegen der damit verbundenen grundsätzlichen Ankündigungen stellen. Ich
möchte gerne wissen, ob Sie beabsichtigen und sich in der
Lage sehen, die von Ihnen dargestellten prinzipiellen Erwägungen und Überlegungen der Bundesregierung noch
vor Abschluss dieser Legislaturperiode in einer Weise zu
konkretisieren, die beratungsfähig ist? Oder halten Sie das
eher für ein Projekt der nächsten Legislaturperiode?
Die Umsetzung wird sicherlich nicht mehr in
dieser Legislaturperiode möglich sein. Aber ähnlich wie
beim Filmkonzept, dessen konkrete Umsetzung in seinen
wesentlichen Teilen erst 2003 erfolgen kann, denke ich
doch, dass wir noch vor der Sommerpause auf der Basis
eines Diskussionsentwurfes, den wir in Zusammenarbeit
mit Branchenvertretern und Kreativen erarbeiten sollten,
darüber im Kulturausschuss das Gespräch führen können.
({0})
Jetzt bringe ich noch meinen Satz mit der Quote zu
Ende. Ich gebe offen zu: Ich bin in diesem Punkt überhaupt noch nicht festgelegt. Ich habe etwas provokativ geschrieben, man solle im Bereich der Filmförderung von
Frankreich lernen. Wir müssen im Zusammenhang mit
dem Film über die Investitionsquote sowieso noch einmal
beraten. Das ist ein sehr ernstes Thema. Dazu werde ich
einen Vorschlag unterbreiten.
Das Interessante ist, dass der französische Markt gegen
den globalen Trend gegenwärtig eine Zunahme der Popund Rockmusik auf dem nationalen Markt erlebt. Der
Zwang zu kultureller Vielfalt hat dazu geführt, dass in
Frankreich ein breiteres kulturelles Interesse an dieser
Form der Kunst und der Musik besteht. Wir müssen uns
überlegen, ob wir nicht im Sinne dessen, was die Franzosen „diversité“ nennen, einen Beitrag leisten können.
Mich hat es - das will ich ganz offen sagen - alarmiert,
dass mir Fachleute erzählt haben: Einer der Hauptgründe
dafür, dass deutschsprachige Popmusik so unbeliebt ist,
sei in dem mangelnden Interesse der Werbebranche zu suchen, weil die Zuhörer durch die deutschen Texte von den
Inhalten der Werbebotschaft abgelenkt würden. Das muss
uns zu denken geben.
Danke schön.
({1})
Nächster Redner ist
der Kollege Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich habe beide Seiten dieser
Branche kennen gelernt. Zum einen habe ich viele Jahre
lang Musik mitproduziert und war an vielen erfolgreichen
Titeln beteiligt. Zum anderen war ich später als Leiter einer Musikredaktion beim Norddeutschen Rundfunk tätig.
Insofern bin ich der Bundesregierung für diese Materialsammlung sehr dankbar. Es ist eine ausgesprochen
gute Materialsammlung. Wenn die Antwort Schwächen
hat - das muss ich leider meinen Kolleginnen und Kollegen von der Union sagen -, dann liegt das an den Fragen,
die die Union gestellt hat.
({0})
Ich sage ganz offen, dass mir einige der Fragen wehtun.
Ich finde, die Künstlerinnen und Künstler, die wir unterstützen wollen und die der Kollege Kampeter zu Recht angesprochen hat, haben es nicht verdient, dass in einer Anfrage auf links- oder rechtsextreme Musik eingegangen
wird. Das sollte man in einer solchen Anfrage nicht tun.
({1})
Es gibt eine weitere Schwäche, die mir sehr wichtig ist
und die ich daher ansprechen möchte, Kollege Kampeter.
Es ist ein Versäumnis der Union bei der Anfrage, dass leider nicht nach den vielen Künstlerinnen und Künstlern
aus Ostdeutschland gefragt wird.
({2})
Nach der Wende haben viele Künstlerinnen und Künstler
aus der ehemaligen DDR auf einen Umschwung gehofft.
Sie wollten endlich frei arbeiten können und hofften auf
eine offene Welt. Was mussten sie feststellen? Dass die
deutsche Einheit die Künstlerinnen und Künstler aus Ostdeutschland überhaupt nicht auf der Rechnung hatte, weder in den Medien noch bei der GEMA.
({3})
Insofern freue ich mich wirklich darüber, dass meine
Freunde von Karat oder auch mein Freund Frank Schöbel
jetzt wieder im Kommen sind. Wenn man mit diesen Personen auch schon vor der Wende lange zusammengearbeitet hat, dann war es schmerzhaft zu sehen, dass
die Künstler aus der ehemaligen DDR mehr als Fußnote
der Unterhaltungsbranche angesehen wurden. Manchmal
reichte der eine oder andere Künstler als Beigabe für
Kaffeefahrten ostdeutscher Rentner zur Animation beim
Kauf von Rheumadecken oder Kochtöpfen. Auch wenn es
der eine oder andere nicht gern hören mag, sage ich an
dieser Stelle: Ich bin dem Mitteldeutschen Rundfunk
dankbar, dass diese Künstler zumindest bei diesem Sender eine Chance haben, wie immer man deren musikalischen Stil im Einzelnen bewertet.
({4})
Ich habe erhebliche Zweifel, ob unsere Künstler wirklich rechtliche Rahmenbedingungen vom Gesetzgeber
verlangen, wie es die Union hier fordert; Herr Kollege
Kampeter hat dazu das eine und andere angesprochen.
Vielmehr braucht kulturelle Betätigung - das trifft jedenfalls auf Rock- und Popmusik zu; darüber sollten wir
mehr sprechen - in erster Linie Freiheit und eine Vielzahl
von Entfaltungsmöglichkeiten.
({5})
Meine Sorge ist, dass rechtliche Rahmenbedingungen
sehr schnell zu geistiger Einengung, zu Vorschriften und
zum Teil auch zu Geschmacksdiktatur führen.
Herr Kollege Kampeter, Ihre Vorschläge habe ich
gehört. Als Beispiel nehme ich die unbespielten CDs:
Das hatten wir doch früher auch. Man hat Musikkassetten
gekauft und bespielt. An den Problemen hat sich nichts
geändert; an ihnen wird sich auch nichts ändern. Es wird
immer Wege geben, Musik irgendwo aufzunehmen, ohne
dafür bezahlen zu müssen. Die Frage stellt sich eher an die
Industrie, ob die Preise in jedem Falle gerechtfertigt sind,
die sie für ihre Produkte verlangt. Und die Frage ist, was
beim Künstler übrig bleibt. Das würde mich viel mehr interessieren.
({6})
Zu wenig gibt die Antwort auf die Große Anfrage Auskunft darüber, warum es deutsche Rock- und Popmusiker
so schwer haben. Eine der Hauptursachen liegt, wie ich
glaube, darin, dass deutsche Rundfunk- und Fernsehanstalten - egal, ob es öffentlich-rechtliche oder private
sind - zu reinen Abnudelmaschinen für Hitlisten geworden sind.
({7})
Da kommen dann Nachwuchsmusiker eindeutig zu kurz.
Überlegen Sie einmal, ob Freunde von mir wie Jürgen von
der Lippe und Reinhard Mey heute eine Chance hätten,
von den Rundfunkanstalten gespielt zu werden. Sie hätten
in der augenblicklichen Situation keine Chance und das
ist das Schlimme.
Nicht nur die Rundfunk- und Fernsehanstalten haben
entscheidend dazu beigetragen, dass der Nachwuchs
keine Chance hat. Auch die Musikindustrie selbst ist für
diese Entwicklung verantwortlich. In einem Interview mit
BBC sagte Elton John in dieser Woche, viele in der
Musikindustrie dächten heute nur noch an ihre Quartalseinnahme und in der Musikbranche gebe es keine Langlebigkeit. Das ist auch einer der Gründe und das ist bedauerlich. Hierin liegt das Problem für junge Künstler,
wenn sie sich heute an die Musikbranche wenden.
Herr Kollege Kampeter hat gesagt, Musik lasse sich
politisch nicht vereinnahmen. Damit hat er natürlich
Recht. Auf der anderen Seite hat die Musik auch auf Politik Einfluss genommen, lieber Kollege Kampeter.
({8})
Zum Beispiel denke ich - das war wirklich eine schöne
Zeit - an die Neue Deutsche Welle. Ich weiß nicht, ob sich
der eine oder andere noch daran erinnert. Da gab es einen
unbekannten Sänger wie Markus, der damals „Ich will
Spaß“ sang. Die Grünen haben das übernommen, weil es
im Text dann hieß:
Und kostet Benzin auch zwei Mark zehn,
- Entschuldigung, Frau Präsidentin scheißegal, es wird schon gehn.
Die Grünen haben das sofort zum Programm gemacht.
({9})
Dem Bundeskanzler wünsche ich, dass er sich einmal die
Platte von Geier Sturzflug auflegt, in der es hieß: „Und
jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir erhöhen das
Bruttosozialprodukt“.
({10})
Wenn das Kabinett hier tätig würde, würde es mich
freuen.
({11})
Mein Wunsch ist, dass die Medien - vor allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk, aber auch die privaten Sender - nicht nur Abnudelstationen für amerikanische und
englische Hitparaden sind, sondern dass sie auch unseren
Künstlern eine Chance geben. Jetzt werden nämlich nur
noch Hitlisten abgespielt, die aus dem Computer kommen. In den Funkhäusern gibt es zum Teil keine Musikredakteure und Musikabteilungen mehr. Das ist schlecht.
Lassen Sie mich, weil es Freitagnachmittag ist, noch
eine humorvolle Bemerkung machen - ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis -: Nach dem 22. September wird in
unserem Land die FDP die Musik machen. Ich glaube,
vielen Menschen wird es gefallen.
({12})
Jetzt wird langsam
deutlich, wie schade es ist, dass diese Debatte nicht auch
durch etwas Gesang angereichert werden kann.
Ich erteile dem Kollegen Steffen Kampeter das Wort zu
einer Kurzintervention.
Herr Kollege
Koppelin, ich bin für Kritik offen. Wenn es aber Missverständnisse gibt, möchte ich sie ausräumen.
Erstens. Ich habe hier in keiner Weise - das gilt auch
für den Text der Anfrage - die Leistungen der DDRRockmusik gering geschätzt. Im Gegenteil, in meinem
Redebeitrag habe ich - Sie können das im Protokoll nachlesen - die Rock- und Popmusikförderung der ehemaligen
DDR ausdrücklich hervorgehoben. Denken Sie nur an
Puhdys, Karat und andere Gruppen. Da war man in der
DDR vielleicht aus ideologischen Gründen flotter und fixer. Aber die DDR-Musik ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Rock- und Popmusik in Deutschland nach
dem Zweiten Weltkrieg.
({0})
Zweitens. Sie haben behauptet, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordere rechtliche Rahmenbedingungen,
um die Freiheit einzuschränken. Das ist natürlich absoluter Humbug und beruht wahrscheinlich auf einem Missverständnis. Tatsache ist, dass ich hier den Urheberrechtsschutz angesprochen habe. Dort befinde ich mich mit der
Bundesregierung in Übereinstimmung.
Ich zitiere jemanden, der ja auch gelegentlich von der
Bundesregierung gehört wird, nämlich Klaus Meine von
den Scorpions, der sich zu diesem Themenbereich laut einer Agenturmeldung von gestern geäußert und sich beklagt hat, dass die Politiker hierzulande in den vergangenen Jahren zu wenig für Künstler und Musiker getan
hätten. Die Altrocker fordern mit deutlichen Worten ein
Gesetz gegen die Brennerei.
({1})
Die Musikindustrie leide unter dem Diebstahl geistigen
Eigentums.
Im Kern geht es darum, dass wir diesen Diebstahl geistigen Eigentums nicht weiter zulassen wollen. Wir warten
auf die Initiative des Herrn Staatsministers und der Bundesjustizministerin. Das hat mit der Einschränkung von
Freiheit überhaupt nichts zu tun. Herr Kollege Koppelin,
da sind Sie etwas über das Ziel hinausgeschossen.
Jetzt hat der Kollege
Koppelin die Möglichkeit zu erwidern.
({0})
Kollege Kampeter, sonst
schätze ich Sie ja als Mitglied des Haushaltsausschusses.
Aber heute habe ich es anscheinend sehr schwer mit Ihnen. Ich habe festgestellt, dass die ostdeutschen Künstler in der Anfrage der Union überhaupt keine Berücksichtigung finden. Zeigen Sie mir doch die Frage, in der
es um die ostdeutschen Künstler geht. Nach ihnen ist nicht
gefragt worden. Dieser Bereich ist für diese Branche unglaublich wichtig. Wenn man Künstler fördern will, dann
muss man auch danach fragen.
({0})
- Es geht nicht um Ihre Rede. Ich habe von der Anfrage gesprochen. Ich bitte Sie um Nachsicht und um das Nachlesen
meiner Rede. Ich denke, in Ihrer Anfrage, auf die ich mich
bezogen habe, hätten die ostdeutschen Künstler besondere
Berücksichtigung finden müssen, weil es in der DDR eben
ein anderes System gab, nach dem gefördert wurde.
Kollege Kampeter, ich sage eines ganz offen: Wir sehen uns ja hin und wieder in einem Gebäude hier in der
Nähe. Da war früher eine Schallplattenfirma drin, die ich
häufig besucht habe. Auch diese gibt es nicht mehr. All
dies sind Probleme, mit denen man sich ruhig einmal beschäftigen sollte.
({1})
Dann haben Sie allerdings etwas gesagt, was ich nicht
erwähnt habe, dass nämlich die CDU/CSU die Freiheit
einschränken wolle. Zwar möchte ich Sie gern so zitieren,
aber gesagt habe ich dies nicht. Ich habe nur auf die rechtlichen Rahmenbedingungen hingewiesen, die von der
Union gefordert werden. Als Liberaler bin ich hier immer
sehr vorsichtig.
Ich wiederhole es: Auch früher ist kopiert worden. Damals waren es die Kassetten. Heute kauft man CDs und
brennt sie. Das haben junge Menschen immer getan. Ich
bekenne mich dazu, dies auch getan zu haben, als es noch
nicht viel Taschengeld gab. Das wird es immer geben. Der
Gesetzgeber sollte dies nicht so regeln, wie Kollege
Kampeter das fordert. Kollege Kampeter, ich habe vielmehr gesagt - das ist mir wichtig -, dass vielleicht auch
die Industrie einmal ihre Preispolitik überdenken sollte.
Denn diese kassiert in erster Linie ab, nicht die Künstler.
({2})
Nach diesem Duett
kommt jetzt wieder ein Solo. Das Wort hat die Kollegin
Grietje Bettin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich
freue ich mich, heute zu einem Thema reden zu dürfen,
das das Lebensgefühl junger Menschen wie kaum ein anderes ausdrücken kann. Durch die Rock- und Popmusik
mit ihren vielen unterschiedlichen Genres - sei es Alternative, Hiphop oder Techno - können heutzutage mehr
Jugendliche direkt erreicht oder tangiert werden als beispielsweise durch den Sport - geschweige denn durch die
Politik oder Parteien.
Nicht zuletzt deswegen hat sich die Unterhaltungsmusikbranche zu einem wichtigen ökonomischen Faktor entwickelt. Erfreulich dabei ist aus unserer Sicht, dass sich
gerade auch die deutsche Branche in diesem Markt beVizepräsidentin Petra Bläss
haupten kann. Schön ist, dass auch die CDU/CSU endlich
erkannt hat, welche Bedeutung die von ihr bislang eher
stiefmütterlich behandelte U-Musik für den Wirtschaftsstandort Deutschland hat.
({0})
Anders als vor 20, 30 oder 40 Jahren, wo mancherorts
allein das Hören der Doors oder der Rolling Stones schon
beinahe ein Straftatbestand war, wird Rock und Pop inzwischen von nahezu allen Altersgruppen und sozialen
Schichten akzeptiert. Kaum jemand spricht mehr abfällig
von „Negermusik“, wenn er oder sie Rockmusik im Radio oder im Fernsehen hört.
({1})
Die Frage ist jedoch: Welche Rolle kann und soll der
Staat gegenüber der Rock- und Popkultur einnehmen?
Diese Kultur war und ist in vielen Bereich immer noch
eine Subkultur. Dies muss sie auch bleiben.
({2})
Sie ist eben nicht nur populistisch und kommerziell ausgelegt, sondern in ihr spiegelt sich auch gesellschaftliche
Opposition. Auch deswegen erreicht sie viele Menschen
direkter und unverfälscht.
Erfolg im Popbusiness ist oft unabhängig von einer
messbaren musikalischen Qualität. Daher kann es unseres
Erachtens kein Kriterium für förderungswürdige Rockund Popmusik geben. Niemand hat etwas davon, wenn er
oder sie sich einen „Rockmusikmagisterhut“ aufsetzen
kann. Einziges Kriterium könnte ein Trend oder der Geschmack des Publikums sein. Dies wäre sicherlich nicht
förderungswürdig.
Sehr wohl hat der Staat aber die Aufgabe, günstige
Rahmenbedingungen für Musiker und Musikerinnen zu
schaffen. In diesem Bereich hat die Bundesregierung eine
positive Bilanz aufzuweisen.
({3})
Stichworte hierfür sind KSK, Urheberrecht und die Reform der Besteuerung ausländischer Künstlerinnen und
Künstler. All dies sind Punkte, die die Produktionsbedingungen von Rock- und Popmusikern, aber auch von den
Veranstaltern in Deutschland verbessert haben.
Was wir allerdings nicht brauchen, ist eine Quote für
deutsche Rock- und Popmusik in Radio und Fernsehen.
Diese unselige, weil auch nationalistische Debatte ist
schon 1996, damals unter anderem von dem Musiker
Heinz-Rudolf Kunze, ins Spiel gebracht worden. Auch
ohne eine Quote liegt der Chartanteil an deutschen Repertoires seit Jahren bei knapp 50 Prozent. Auch ohne eine
Quote erfreuen sich Musiksender wie VIVA, die verstärkt
auf inländische Musik setzen, zunehmender Beliebtheit
bei den Zuschauerinnen und Zuschauern.
({4})
Auch ohne eine Quote sind deutsche Musikerinnen und
Musiker wie Sarah Connor, Echt oder Guano Apes nicht
nur national, sondern auch international erfolgreich.
Wer eine solche Quote fordert, vergisst zudem, dass
Rock und Pop schon immer ein internationales Phänomen
gewesen sind und dass auch die deutsche Popmusik zum
Beispiel aus der Aneignung und Verwandlung anglo-amerikanischer Stile entstanden ist. Er vergisst auch, dass Musik von Kreativität lebt und Kreativität von Austausch.
Dieser Austausch findet international statt und ist nicht
national beschränkt.
Zudem ist Deutschland seit über zehn Jahren Ausgangspunkt einer Techno- und Diskokultur, unter anderem mit der Love Parade in Berlin, die sich weit über die
Grenzen verbreitet und Deutschland zu einem wichtigen
Repertoirelieferanten für den Weltmarkt gemacht hat.
Auch wenn ich nicht gerade behaupten kann, dass mir
diese Musikrichtung besonders am Herzen liegt, so beweist dieses Beispiel doch, wie wenig wir eine solche
Quote benötigen.
Ich möchte noch auf einen weiteren Aspekt - meine
Vorredner haben es schon angesprochen - eingehen, nämlich auf Musik im Internet sowie auf die leidige Frage
von Raubkopien und MP3. Keinesfalls dürfen wir hier
die urheberrechtlichen Fragen aus den Augen verlieren.
Dennoch muss es nicht automatisch durch das Internet zu
einer Beeinträchtigung der Musikszene kommen.
({5})
Es ist meines Erachtens in erster Linie die Aufgabe der Musikbranche, mit technischen Verfahren so genannte Umgehungsstrategien der Konsumentinnen und Konsumenten
abzuwehren. Aktuelle Untersuchungen aus den USA zeigen zudem, dass nicht durch das Internet Umsätze wegbrechen, sondern vor allem durch eine weltweite Rezession.
Auf der letzten Kölner Popkomm beklagten vor allem
die kleinen so genannten Independent Labels das rein auf
den Kommerz ausgerichtete Verhalten der so genannten
Major Labels, die nur unflexibel auf die Wünsche der Konsumenten reagieren. Die wahre Angst der Großen der Branche gründet sich wohl eher darauf, dass im Netz jedermann
als Musikproduzentin oder Musikproduzent und zugleich
auch als Händler auftreten kann und dass auf diese Weise
Fangemeinden innovativer Richtungen entstehen, auf die
die Branchenriesen nicht schnell genug reagieren können.
Dabei könnte das Internet durchaus als Chance begriffen
werden, einen wirklichen Dialog zwischen Musikschaffenden, Produzenten und Fans herzustellen.
({6})
Abschließend noch eine sehr persönliche Bemerkung:
Ich möchte mir persönlich angesichts des Altersdurchschnitts im Parlament nicht vorstellen, wie eine vom
Deutschen Bundestag geförderte Popmusik aussehen
würde.
({7})
- Das ist doch die Wahrheit oder nicht? Die Wahrheit ist
manchmal hart.
({8})
- Ich glaube, das sähe für uns sehr gut aus.
Unsere Möglichkeiten der politischen Einflussnahme
im Bereich der Rock- und Popmusik sind zum Glück insgesamt eher gering und zum großen Teil beschränkt auf
unsere Rollen als Konsumentinnen und Konsumenten,
Konzertbesucher und gegebenenfalls auch aktive Musiker. All das hoffentlich ganz im Sinne der Buntheit und
Vielfalt der Rock- und Popmusik.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Dr. Heinrich Fink.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich
finde es sehr gut, dass wir uns heute am Tag der Verleihung des Grand Prix d’Eurovision aufgrund der Anfrage
der CDU/CSU in diesem Hause mit der Situation und den
Perspektiven der Rock- und Popmusik beschäftigen. Dadurch wurde die Bundesregierung genötigt, einen
Überblick über die allgemeine Situation der Ausbildung
und Nachwuchsförderung sowie über die rechtlichen
Rahmenbedingungen zu geben.
Im Vortext der großen Anfrage heißt es:
Die Rock- und Popmusik bedarf - auch aufgrund der
Entwicklung in der Branche - staatlicher Aufmerksamkeit sowie angemessener rechtlicher Rahmenbedingungen wie andere Bereiche der Kultur- und Musikförderung auch.
Das ist richtig. Das ist richtig. Die gegenwärtige Praxis
der Förderung sieht leider anders aus. Hier ist festzustellen, dass der populären Musik bislang kein den anderen
Kultursparten vergleichbares Gewicht zukommt.
Den kulturpolitischen Diskurs zur Rock- und Popmusik voranzutreiben ist angesichts des gewachsenen gesellschaftlichen Stellenwerts dieses Musikbereichs und seiner Präsenz im Alltag verschiedener sozialer Schichten
und Generationen zwingend notwendig. Wir sehen in einer solchen intensiven Debatte auch den Weg zu einem
sinnvollen Konzept für die Gestaltung der bundes- und
landespolitischen Rahmenbedingungen.
Wenn wir als PDS-Fraktion für öffentliches Engagement im Bereich der Rock- und Popmusik eintreten, dann
haben wir dafür auch wirtschaftliche und beschäftigungspolitische Motive. Rock- und Popmusik ist ein wesentlicher Standort- und Wirtschaftsfaktor und kann eine wichtige
Rolle bei der Entwicklung strukturschwacher Regionen
spielen, zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern. Entscheidend aber sind für uns ihre kulturelle Funktion und ihre
Rolle im Alltag als Moment der Sinnbestimmung und Wertorientierung breiter Bevölkerungskreise. Das beschränkt
sich nicht mehr nur auf den Alltag von Jugendlichen.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
bin dem Kollegen Koppelin sehr dankbar dafür, dass er
darauf hingewiesen hat, welche Rolle die Rock- und Popmusik in der DDR gespielt hat.
({0})
Wenn wir jetzt genug Zeit hätten, könnten wir noch weiter vertiefen, dass sie für meine Generation eine wesentliche politische Sozialisation im Alltag bedeutete. Sie war
ein wesentlicher Ausdruck eines bestimmten menschlichen Empfindens, das natürlich auch oppositionelle Züge
trug.
Ohne ihre Rolle zu überhöhen, sehen wir gerade in der
Rockmusik und in der Popkultur als relativ neuen, aus den
Jugend- und Gegenkulturen der 60er-Jahre hervorgegangenen Phänomenen eine Art soziales Laboratorium, in
dem neue Sinngebung gefunden, neue Lebensformen erprobt oder erlebensorientierte und gegenwartsbezogene
Wahrnehmungsformen erkundet werden können. Ihre in
diesem Sinne emanzipatorischen Momente gilt es zu stärken und der Nutzung dieser populären Formen durch die
rechte Szene entgegenzusteuern. „Rock gegen Rechts“ ist
immer noch ein deutliches Zeichen, dem wir uns nicht
entziehen dürfen.
({1})
Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen entwickeln
sich rasch, und in der Rock- und Popkultur sind eine
enorme Beschleunigung von Trends und eine Vervielfältigung und Ausdifferenzierung von Szenen festzustellen.
Die Anpassung der Förderstrukturen an diese veränderten
Bedingungen erfolgt aber nur zögerlich. Um neue Wege
zu finden, ist der Dialog mit den Interessenverbänden der
Rock- und Popmusik auf Bundes- und Landesebene unverzichtbar. Die Bundesregierung will diesen Dialog
führen. Das begrüßen wir. Daher müssen die Bedingungen für die Arbeit solcher Interessenverbände wie etwa
der Bundesarbeitsgemeinschaft der Musikinitiativen
B.A.Rock dringend verbessert werden. Auch muss eine
kontinuierliche Arbeit ermöglicht werden.
Herr Kollege Fink, Sie
müssen jetzt bald zum Schluss kommen.
Abschließend möchte ich
auf die Bedeutung der wissenschaftlichen Begleitung dieser Prozesse hinweisen. Dass es hierbei Differenzen gibt
und weiterer Forschungsbedarf besteht, ist für mich ein
wichtiger Hinweis. Ein Forschungszentrum für populäre
Musik als weltweit erste Institution dieser Art ist 1983 in
der DDR gegründet worden, nämlich an der HumboldtUniversität. Ich bin sehr froh, dass es inzwischen auch eiGrietje Bettin
nen ordentlichen Professor für dieses Fach gibt. Wir sollten diese Potenziale nutzen und uns darum bemühen, diese
Prozesse auch auf wissenschaftlichem Weg zu begleiten.
({0})
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Michael Roth von der SPDFraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind ja heute richtig hymnisch geworden. Dazu fällt mir Rio Reiser ein, der
einst sang: Das alles und noch viel mehr würd’ ich machen, wenn ich König von Deutschland wär. - Mit Verlaub, Herr Staatsminister: Es gäbe dann wohl keinen Kulturminister, sondern einen Rock’n’ Roll-Minister, und die
heutige Thematik wäre Chefsache.
({0})
Den König gibt es glücklicherweise nicht, den Minister schon, aber ausgemachte Experten für Rock und Pop
sind in unseren Reihen eher rar. Wir sind - da sollten wir
die Kirche im Dorf lassen - eher Konsumenten und als
Politiker eher Zielscheibe - das ist auch gut so - denn
Verbündete der Rockkultur.
({1})
Rock und Pop haben ihre Wurzeln im Protest.
({2})
Ihre Kultur entstand als ein Gegenentwurf gegen alles Arrivierte, gegen unsere schicken Anzüge und vor allen Dingen gegen das Etablierte. Ich denke, das betrifft alle Abgeordneten, egal welcher Partei sie angehören, vielleicht
mit Ausnahme von Angela Marquardt von der PDS. Diese
Musik sprach eine Sprache, die offensichtlich geeignet
war, soziale Schranken zu sprengen und Generationen zu
überbrücken. Die Rock- und Popmusik ermöglichte die
Demokratisierung der Musik. Das habe nicht ich gesagt.
Das stammt von Eric Hobsbawn. Es ist trotzdem richtig.
Daher kann hier auch nicht ernsthaft zur Debatte stehen,
dass dieses Themenfeld vor der Sozialdemokratie gerettet
werden müsste.
({3})
Die Rock- und Popkultur sucht auch nicht Schutz, schon
gar nicht in den Armen der CDU/CSU.
({4})
Ich kann mir vorstellen, dass Sie sich, Herr Kampeter,
gerne in der Rolle des Retters sehen würden. Aber dann
müssten Sie schon etwas mehr bieten.
({5})
Dass das persönliche Interesse an der Rock- und Popmusik in den vergangenen Jahrzehnten auch im Deutschen Bundestag zugenommen hat, darf durchaus als ein
positives Zeichen gewertet werden. Dass wir heute nicht
über antiquierte Vorstellungen von „langhaarigen
Rockern“ und anderen „Revoluzzern“ diskutieren müssen, zeigt, dass die Rock- und Popmusik inzwischen sogar in der CDU akzeptiert wird; ja selbst die CSU verschließt sich nicht mehr gänzlich den Klängen einer
„gepflegten Beatmusik“.
({6})
Diskutiert werden muss aber über die Rolle, die der
Staat gegenüber der Rock- und Popkultur spielen kann
und sollte. Die Rockmusik ist ein Medium, um mit mehr
oder weniger Lautstärke und vor allem mit entsprechenden Liedtexten rebellieren zu können: gegen die Eltern,
gegen die Schule, gegen die Gesellschaft und nicht zuletzt
auch und gerade gegen die Politik. Es bedarf keiner Konventionen, keiner besonderen Ausbildung, keiner Diplome und schon gar keiner offiziellen gesellschaftlichen
Anerkennung, um Rockmusik zu produzieren. Wir brauchen vor allen Dingen keine Normen.
({7})
Ich fände es fürchterlich, wenn wir darüber im Bundestag
diskutierten.
({8})
Dennoch darf nicht vergessen werden, dass die Rockund Popmusik ein enormer Wirtschaftsfaktor, der am
stärksten kommerzialisierte Bereich des Kulturwesens ist.
Lange bevor Fördermechanismen anderswo die Kreativen
unterstützen, hat die Musikindustrie Bands abgegriffen,
multipliziert und verkauft. Dass darin auch Gefahren liegen - auf diese hat Grietje Bettin gerade hingewiesen -,
darf nicht unbeachtet bleiben. Die Diskussion über die
MP-3-Technologie ist hinlänglich bekannt. Die Vervielfältigung von Musik ist kaum kontrollierbar. Diese Technologie wird aber auch von freien Musikern zur Selbstvermarktung genutzt. Letztlich entscheiden die Konsumenten
und die Musikindustrie, die ja teilweise schon dazu übergegangen ist - hier wird es pervers -, die Talente nicht erst
zu entdecken, sondern sie von vornherein und zielgruppengerecht zu produzieren. Erst gibt es die Songs und
dann die Gesichter. Die Produzenten bleiben im Hintergrund. Hier wirkt das freie Spiel der Kräfte des Marktes
bisweilen absurd.
({9})
Das spiegelt sich beim Publikum durchaus wider. Die
Kosten einer hochsubventionierten Theater- oder Konzertkarte sorgen eher für Verdruss, während 50 Euro oder
mehr für die Karte eines Rockevents zumeist locker sitzen.
({10})
Jeder Versuch, die im Ursprung kreativ-anarchischen Elemente der Rock- und Popkultur - seien sie revolutionär
oder kommerziell - in staatsnahe, wenngleich fördernde
Strukturen einzubinden, kann nur mit Loriots Jodeldiplom belohnt werden.
({11})
Die Rock- und Popmusik kennt keine Grenzen. Warum
sollte man mit der Diskussion über Quotenregelungen irgendwelche Grenzen ziehen, Herr Staatsminister? Gerade
die neuere Popmusik wie Hip-Hop, Techno oder Rap
- diese Musikrichtungen sind in entscheidendem Maße von
der Bundesrepublik Deutschland ausgegangen - ist längst
nicht mehr nach muttersprachlichen Kriterien einzuordnen.
So schwach, wie es gelegentlich dargestellt wird, ist die
deutschsprachige Rock- und Popmusik gar nicht.
Dort, wo wir als Politiker gefragt sind, hat diese Koalitionsregierung durchaus für vorbildliche Regelungen
gesorgt. Dort, wo es um sinnvolle Rahmenbedingungen
geht, haben wir für die Kulturschaffenden und somit auch
für die Rock- und Popszene erhebliche Verbesserungen
- die Kollegin Grietje Bettin hat sie schon vorhin genannt - durchgesetzt:
({12})
Künstlersozialkasse, Urhebervertragsrecht, Besteuerung
ausländischer Künstlerinnen und Künstler. Das spricht
auch die Rock- und Popszene an.
({13})
Weitere Verbesserungsmöglichkeiten - darauf möchte
ich zum Schluss noch hinweisen - müssen natürlich auf
Länderebene und kommunaler Ebene ausgelotet werden
- ich bin mir sicher, dass einige Kollegen damit schon
Erfahrungen auf kommunaler Ebene gemacht haben -:
Unterstützung von Konzertorganisationen und Festivals;
Hilfe bei der Bereitstellung von Übungsräumen; womöglich Investitionszuschüsse beim Instrumentenkauf oder
Finanzhilfen für Studioproduktionen. Natürlich könnte
auch im schulischen Musikunterricht noch eine Menge
getan werden, wenn diesem Unterrichtsfach endlich
flächendeckend ein adäquater Stellenwert eingeräumt
würde. Darüber redet überhaupt niemand.
({14})
Rockmusiker zu sein ist zumeist mehr als ein Beruf; es
ist ein Lebensgefühl.
Herr Kollege Roth,
Präsidentin zu sein ist ebenfalls ein harter Job.
({0})
Denn man muss selbst in einer solchen Debatte den Redner an die Redezeit erinnern.
Ich weiß! Ich habe
vorhin schon meine Parlamentarische Geschäftsführerin
gefragt, wie lange ich überziehen darf. Denn bislang habe
ich noch nie überzogen. Es ist wirklich mein letzter Satz.
Rockmusiker zu sein ist zumeist mehr als ein Beruf; es
ist ein Lebensgefühl, in das ausgerechnet wir in diesem
Haus uns wohl wahrlich nicht hineinversetzen können.
Zumindest habe ich noch nicht gehört, dass jemals ein Abgeordneter zum Rockmusiker avancierte. Wenn das so
wäre, dann, meine Damen und Herren, hätte die Kulturrevolution wahrlich ihre Kinder gefressen.
Herzlichen Dank.
({0})
Auch wenn wir in dieser temperamentvollen Debatte noch nicht zu Rockmusikerinnen und -musikern mutiert sind, muss ich leider die
Aussprache schließen. Wir haben auch keine Abstimmungen durchzuführen, da dies eine vereinbarte Debatte zu
der Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion war.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte
Wimmer ({0}), Dr. Peter Eckardt, Dr. Hans
Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Dr. Reinhard Loske, Grietje Bettin, Hans-Josef
Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Mehr Frauen an die Spitze von Wissenschaft
und Forschung - durch Gender Mainstreaming
Frauen in Wissenschaft und Forschung stärken
- Drucksache 14/7627 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Die Kolleginnen Brigitte Wimmer, Kerstin Griese,
Bärbel Sothmann, Irmingard Schewe-Gerigk, Ulrike
Flach sowie Maritta Böttcher haben ihre Reden zu Proto-
koll gegeben.1) - Ich sehe Einverständnis im gesamten
Hause.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7627 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Dazu gibt es keinen
Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef
Parr, Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Dieter Thomae,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für eine Verlängerung der Rückwirkungsfrist
für die Berufskrankheit Nr. 4111
- Drucksache 14/6969 Michael Roth ({2})
1) Anlage 2
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({3})
Ausschuss für Gesundheit
Die Kolleginnen und Kollegen Wolfgang Grotthaus,
Gerald Weiß, Katrin Göring-Eckart, Dr. Heinrich Kolb
und Pia Maier haben ihre Reden ebenfalls zu Protokoll ge-
geben.1) - Kein Widerspruch.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/6969 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Einverständnis im
ganzen Hause. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({4}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Sabine Jünger,
Monika Balt, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der PDS
Soziale Arbeit stärken - Alternativen zum
Zivildienst entwickeln
- Drucksachen 14/3563, 14/7996 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Dzewas
Thomas Dörflinger
Ina Lenke
Christian Simmert
Monika Balt
Die Kolleginnen und Kollegen Dieter Dzewas, Mar-
lene Rupprecht, Thomas Dörflinger, Christian Simmert
und Ina Lenke haben ihre Reden bereits zu Protokoll ge-
geben.2) - Redet die PDS?
({5})
- Das war mir nicht angekündigt.
Dann erteile ich dem Kollegen Dr. Ilja Seifert das Wort.
Frau Präsidentin! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Nach der Debatte über Rockund Popmusik über Zivildienstleistende zu reden ist gar
nicht so schwer. Es ist nahe liegend, dass die einen mit
dem anderen etwas zu tun haben.
Im Zivildienst geht es um ernsthafte Probleme. Jeder
von uns weiß, dass der Zivildienst keinen gesetzlichen
Sicherstellungsauftrag im sozialen Bereich hat. In der
Praxis ist es aber so, dass ohne die Zivildienstleistenden
heute kaum noch eine Alteneinrichtung, kaum noch eine
Behinderteneinrichtung - sei es im ambulanten, sei es im
stationären Bereich -, kaum noch eine Kindereinrichtung
existieren kann.
({0})
Das kann so nicht hingenommen werden. Deswegen
schlagen wir in unserem Antrag vor, die soziale Arbeit
- die gut bezahlt sein muss - zu stärken, indem der Zivildienst reformiert wird. Wir sagen klipp und klar: Obwohl
wir eigentlich für die Abschaffung aller Zwangsdienste,
also von Wehrpflicht und Zivildienst, sind, kann man den
Zivildienst nicht abschaffen, ohne vorher Kompensationen für das geschaffen zu haben, was die jungen Männer
mit großem Engagement - zum Teil arbeiten sie wesentlich länger, als sie eigentlich müssten - leisten.
({1})
Es geht um eine Konversion des Zivildienstes, nicht um
eine scheibchenweise Amputation, indem wir ihn jedes
Mal ein bisschen mehr zurückschrauben.
Nachdem ich das vorausgeschickt habe, möchte ich auf
unseren Antrag zu sprechen kommen. Wir schlagen verschiedene Maßnahmen vor, damit diejenigen - ich rede
jetzt hauptsächlich vom sozialen Bereich -, die jetzt einen
Vorteil davon haben, dass es die Zivildienstleistenden
gibt, zum Beispiel behinderte Menschen in Werkstätten
oder in der ISB, der individuellen Schwerbehindertenbetreuung, nicht in ein Loch fallen, aus dem sie nicht herauskommen. Wir können denen das nicht zumuten.
Bei der notwendigen Konversion müssen auch die Trägereinrichtungen in die Lage versetzt werden, den Übergang zu bewältigen. Momentan werden die Zivildienstleistenden als billige Arbeitskräfte missbraucht. Das kann
nicht Aufgabe des Zivildienstes sein. Deshalb muss dieser
Missbrauch zurückgefahren und eine vernünftige Regelung gefunden werden, damit die wichtigen sozialen Aufgaben, die in diesem Bereich erfüllt werden, weiterhin in
guter Qualität erfüllt werden können.
Wir schlagen zum Beispiel die Schaffung des Amtes
eines Ombudsmannes vor, an den man sich, falls irgendwo bei den Betroffenen Probleme auftauchen - also
zum Beispiel bei den behinderten Menschen, bei den Zivildienstleistenden oder bei den Zivildienststellen -, wenden kann und der dafür sorgt, dass diese Probleme schnell
und unbürokratisch gelöst werden.
({2})
Wir haben in unserem Antrag auch noch mehrere
Vorschläge unterbreitet, die von einer langfristigen Perspektive ausgehen. Insbesondere sollte endlich dazu übergegangen werden, bestimmte Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, die von jedem von uns für wichtig gehalten
werden - darüber bestand in jeder Aussprache hier bisher
Einigkeit -, nicht ausschließlich betriebswirtschaftlichen
bzw. Marktkriterien zu unterwerfen. Man sollte vielmehr
sagen, dass diese Arbeit auch dann, wenn man dort keine
Gewinne erzielen kann, geleistet werden muss. Demzufolge ist eine ständige - auch finanzielle - Unterstützung
erforderlich. Ob Sie das wie wir als öffentlich geförderten
Beschäftigungssektor bezeichnen oder umbenennen,
({3})
ist egal; es geht mir hier um die Sache, und die brauchen
wir.
({4})
Ich möchte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier
noch an einem ganz konkreten und aktuellen Beispiel
Vizepräsidentin Petra Bläss
1) Anlage 3
2) Anlage 4
darstellen, was Zivildienstleistende heute leisten, was passiert, wenn sie wegfallen, und wie es eigentlich nicht laufen sollte. In der vergangenen Woche erfuhr ich von einem
Mann aus der schönen Stadt Viersen: Er ist Ende 30, querschnittsgelähmt und führt mithilfe von Zivildienstleistenden ein relativ selbstbestimmtes Leben. Ende März dieses Jahres wird ihm die Hilfe durch Zivildienstleistende
verwehrt, weil die Zivildienststelle sagt, sie könne die Zivis nicht mehr bezahlen. Einerseits bezahlt die Pflegeversicherung für die Zivildienstleistung nur drei Stundensätze pro Tag, obwohl die Zivildienstleistenden
14 Stunden am Tag da sind. Das liegt daran, dass die Pflegeversicherung nicht bereit ist zu zahlen, wenn Zivildienstleistende Behinderte außer Haus begleiten usw.
Diese dürfen nur das Verlassen der Wohnung abrechnen,
wofür es 70 Punkte gibt; für eine Begleitung außer Haus
- dabei handelt es sich um Spazierengehen oder Essengehen - gäbe es 600 Punkte. So bezahlt die Pflegeversicherung für die Zivildienstleistenden, die diesen Mann betreuen, nur drei Stunden pro Tag, während die anderen elf
Stunden das Sozialamt zahlen soll. Das Sozialamt andererseits begrenzt aber seine Leistungen ab sofort auf maximal 1 500 Euro pro Monat. Da für die Betreuung dieses
Mannes nunmehr 300 Euro im Monat fehlen, wird ihm gesagt, er solle ins Heim gehen, weil die Zivis diese Arbeit
nicht mehr leisten könnten. Sagen Sie bitte: Wie wollen
wir aus dieser Kluft eigentlich herauskommen? - Entweder wir erlauben den Zivis, die Arbeit die ganze Zeit zu machen, und bezahlen sie ordentlich oder wir erhöhen - das
entspricht unserem Vorschlag - das Niveau der sozialen
Arbeit: ordentliche Bezahlung, klare Verhältnisse. Die betroffenen Menschen dürfen nicht mehr der Demütigung
ausgesetzt sein, Bittsteller zu sein.
({5})
Ich bedauere, dass die Kolleginnen und Kollegen
hierzu heute nicht mehr reden können. Ich denke, dass wir
in der Sache vorankommen müssen - es ist nicht damit getan, den Antrag heute abzulehnen -, um den Zivildienst zu
konvertieren und nicht zu amputieren.
Danke schön.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend auf Drucksache 14/7996 zu dem Antrag der
Fraktion der PDS mit dem Titel „Soziale Arbeit stärken Alternativen zum Zivildienst entwickeln“. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3563 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf - es handelt sich zugleich um den letzten Tagesordnungspunkt des heutigen
Tages -:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der PDS
Haltung der Bundesregierung zu aktuellen
Drohungen des Präsidenten der USA gegen den
Irak
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Fraktionsvorsitzende der PDS, Roland Claus.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich wurde in dieser Woche
gefragt, ob der Titel „Haltung der Bundesregierung zu aktuellen Drohungen des Präsidenten der USA gegen den
Irak“ nicht zu martialisch gewählt ist. Ich glaube, dass das
nicht der Fall ist. Allenfalls der Vorgang, um den es hierbei geht, ist martialisch. Wir haben es mit Kriegsdrohungen zu tun.
Ich war in den Vereinigten Staaten, als die Worte des
US-Präsidenten die Runde machten. Ich war am Ground
Zero und habe wahrgenommen, dass sich die Bevölkerung der Vereinigten Staaten als im Krieg befindlich empfindet. Die herausragende Frage der Verantwortlichen im
Pentagon ist natürlich immer: Wo ist der Feind? Diese
Frage ist zu beantworten.
Die Situation in Deutschland und in Europa ist anders:
Die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland und auch
die Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages wollen
diesen Krieg nicht. Verstehen Sie insofern das Ansinnen
der von uns beantragten heutigen Aktuellen Stunde nicht
konfrontativ! Wir haben seinerzeit, als es um die Entscheidung über den Einsatz deutscher Soldaten im Afghanistan-Krieg ging, gesagt: Krieg ist die falsche Antwort
auf den Terror. Wir finden, dass Krieg auch die falsche
Antwort auf ganz sicher vorhandene Unterdrückungen
und Menschenrechtsverletzungen im Irak ist.
Ich hatte jüngst die Gelegenheit, im amerikanischen
State Departement einmal die Position gegen den Afghanistan-Krieg - sie wird in Europa nicht nur, aber auch von
der PDS vertreten - einzubringen. Ich habe versucht,
darzustellen, dass diese Position sehr wohl mit einer Haltung einhergeht, die nicht als Antiamerikanismus diffamiert werden kann, die durchaus solidarisch sein kann,
auch wenn sie sich in dieser Angelegenheit mit dem amerikanischen Vorgehen kritisch auseinander setzt. Die Reaktion auf die Frage, ob diese Position für die Kollegen im
State Departement akzeptabel sei, war, dass sie sich selbst
sehr wohl als auf der Suche befindlich verstehen und deshalb mit Kritik umgehen können.
Ich finde, man muss an dieser Stelle eines sehr deutlich
sagen: Ein Krieg gegen den Irak wäre durch nichts zu
rechtfertigen, von den unabsehbaren Auswirkungen auf
den Nahostkonflikt einmal ganz abgesehen.
({0})
Deshalb sind die Mahnungen der europäischen Außenminister, denen wir von hier aus den Rücken stärken können,
sicher zu begrüßen. Diese Mahnungen sind ehrenwert.
Aber ich fürchte, dass die Mahnungen des Bundesaußenministers Fischer und der anderen europäischen
Außenminister folgenlos bleiben. Deshalb besteht die Gefahr, dass zwischen „uneingeschränkter Solidarität“, die
hier vom Kanzler bekundet wurde, und dem Ausschluss
von Abenteuern, der auch an dieser Stelle verkündet
wurde, fließende Grenzen entstehen. Ist es denn kein
Abenteuer, wenn deutsche Soldaten in Kuwait an
Manövern teilnehmen? Wir wollen Ihnen eines deutlich
sagen: Wir verkennen die schwierige Situation der Bundesregierung nicht, auch wenn sie sie natürlich selbst zu
verantworten hat. Sie sind nicht aus Versehen in den Beistandsfall geraten.
Da Bundesaußenminister Fischer so starke Worte wie
„Alliierte sind keine Satelliten“ gewählt hat, will ich an
das erinnern, was uns hier alles - das waren nicht ganz so
starke Worte - im Herbst des vergangenen Jahres unterstellt worden ist und welche Häme wir damals einzustecken hatten. Sofort kommt ja auch die Kritik der CDU
an die Adresse des Bundesaußenministers, die ich in der
Sache nicht teile. Aber ganz sicher ist ein Problem daran
echt: Dem Wahlkämpfer Fischer steht der Außenminister
Fischer dabei schon ein Stück im Wege.
Gesetzt den Fall - diese Erwartungen wurden ja auch
in öffentlichen Ankündigungen geäußert -, die USA wollen diesen Krieg im Alleingang führen, bleibt noch immer
die Tatsache, dass wir hier und an anderen Stellen den
Beistandsfall nach Art. 5 des NATO-Vertrages beschlossen haben - nicht mit unseren Stimmen, aber mit den bekannten Mehrheiten. Wir stehen damit vor der auch völkerrechtlich spannenden Frage: Wo ist der Ausstieg aus
dem NATO-Beistandsfall? Ein solcher ist bekanntlich im
Vertrag nicht geregelt.
Ich habe in einer ganzen Reihe von Gesprächen mit Expertinnen und Experten zu dieser Frage in dieser und in den
zurückliegenden Wochen immer wieder gewissermaßen als
Beruhigung gehört: Nun regen Sie sich doch nicht auf, das
dauert doch alles noch. - Ich empfinde das überhaupt nicht
als Beruhigung. Ich denke, wir brauchen den öffentlichen
Widerstand vor dem Waffengang. Wir brauchen den Widerspruch gegen eine solche Politik auch hier aus Europa
und wir haben heute und sicher auch danach noch Gelegenheit, diesen Widerspruch zu artikulieren.
Herzlichen Dank.
({1})
Das war eine Punktlandung, was die Redezeit betrifft.
Nächster Redner ist der Kollege Markus Meckel für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Interesse an dieser Debatte
scheint mir - so muss ich es, wenn ich die Zeitungen aufschlage, sagen - ein eher innenpolitisches zu sein. Ich
muss gestehen: Diese Rede hat mich auch nicht vom Gegenteil überzeugen können.
Wenn hier behauptet wird, dass es um Krieg oder nicht
Krieg geht, werden durchaus starke Worte gewählt, die
wir aus der PDS oft genug gehört haben. Aber darum geht
es heute hier nicht. Ich muss auch sagen, lieber Kollege
Pflüger: Es geht heute auch nicht um die Frage, wie weit
Deutschland im Kampf gegen den Terrorismus klar an der
Seite Amerikas steht oder wie weit dies nicht der Fall ist.
Alles, was wir in den letzten Tagen dazu gehört haben,
halte ich sowohl in der Debatte darüber, wie man sich gegenüber dem Irak verhalten soll, als auch in der Debatte
darüber, was im Rahmen des Kampfes gegen den Terrorismus zu tun ist, wirklich für wenig hilfreich.
Konsens besteht unter uns allen hinsichtlich der Gefährlichkeit des Irak. Es ist klar, wie gefährlich er für die
Nachbarn ist. Es ist klar und deutlich, wie schwierig die
Lage für Israel und für den Nahen Osten wird, wenn hier
etwas losgeht. Dass die Person Saddam Hussein und sein
Regime wahrhaftig mit großer Gefahr gerade im Nahen
Osten zu tun haben, dürfte wohl uns allen bewusst sein.
Gefahr besteht auch, wenn Massenvernichtungsmittel
angeschafft und Trägerraketen vorbereitet werden.
({0})
Das ist eine Gefahr für uns alle, mit der wir uns auseinander zu setzen haben. Nicht zuletzt darf man auch feststellen, was übrigens für alle Diktatoren gilt: Er ist eine Gefahr für die eigene Bevölkerung.
({1})
Auch um der eigenen Bevölkerung willen ist Saddam
Hussein zu bekämpfen.
Aber nach allem, was wir wissen - natürlich muss ich
zugeben, dass wir vielleicht nicht alles wissen -, muss
man gleichzeitig sagen: Diese Gefahr ist keine akute, sondern eine längerfristige Bedrohung. Wir müssen durchaus
offen miteinander darüber diskutieren, wie wir dieser Gefahr Herr werden können.
Von zentraler Bedeutung - ich denke, auch darüber
sind wir uns einig - ist die Einhaltung der UNO-Resolutionen, die Frage der Waffeninspektionen, die auf jeden
Fall weiter möglich sein müssen und die man durchsetzen
muss. Sie sind dringend notwendig. Deshalb sollten wir es
begrüßen und das mit unserer Unterstützung deutlich machen, dass der Generalsekretär der UNO im April, begleitet von Herrn Blix - das ist auch wichtig und ein deutliches Signal -, im Irak Gespräche führen will.
({2})
Die Diskussion über das Sanktionsregime scheint mir
ebenfalls von großer Bedeutung zu sein. Wir haben auch
diese Debatte lange geführt und müssen zumindest feststellen, dass dieses Regime, das wir hatten, wohl eher
- ich sage es vorsichtig - zur Verelendung der Bevölkerung geführt, als wirklich zu einer Schwächung Saddam
Husseins beigetragen hat. Das Gegenteil scheint mir der
Fall zu sein. Deshalb ist es wichtig, dass wir darüber neu
diskutieren und dass wir auch im Sanktionsregime neue
Strukturen finden. Im Mai wird es hierzu neue Entscheidungen geben. Wir hoffen, dass diese im Rahmen des
UNO-Sicherheitsrates in einem großen Konsens getroffen
werden können.
Wir alle wissen ehrlich gesagt relativ wenig darüber,
welche Rolle der Irak im internationalen Terrorismus spielt,
wie die Strukturen aussehen. Es gibt jedenfalls bisher keine
klaren Beweise für entsprechende Zusammenhänge. Wir
wissen, dass die Diskussion darüber auch in den USA intensiv geführt wird.
Ich denke, wir brauchen ein gemeinsames und entschlossenes Handeln gegen den Terrorismus und eine
klare Position gegenüber dem Irak in den Punkten, die ich
eben genannt habe. Das heißt, dass wir intensive Konsultationen zwischen den USA und Europa brauchen.
Dies ist bereits in durchaus hohem Maße geschehen. Vielleicht war es aber nicht in allen Punkten ausreichend. Darüber lässt sich reden; dies sollten wir auch tun.
In den letzten Tagen war ich in Brüssel. Im Rahmen der
NATO-Parlamentarierversammlung führten wir auch ein
Gespräch im NATO-Rat. Es war klar, dass es auch hier ein
Spektrum unterschiedlicher Positionen gibt. Eines sollte
wichtig sein: Wir brauchen ein klares, politisches und gemeinsames Vorgehen und keine Debatte über Antiamerikanismus oder dergleichen Vorwürfe. Es geht darum, dass
wir zusammenstehen und dass die wichtigsten UNO-Sicherheitsratsmitglieder, die ein Vetorecht haben, zu einer
gemeinsamen Position finden. Dafür gibt es auch erste Anzeichen. Hierbei müssen wir insbesondere Moskau drängen, dass es seinen Einfluss auf Saddam Hussein nutzt.
Wir müssen hier zu einer gemeinsamen Position kommen.
Im Kampf gegen den Terrorismus darf die breite Koalition, die weit über die Wertegemeinschaft des Westens
hinausgeht, nicht gefährdet werden. Ihr Verschwinden
würde uns allen nichts nützen.
Ich danke Ihnen.
({3})
Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Karl Lamers.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Kollege Meckel, ich stimme
Ihnen ausdrücklich zu: Nach der Rede des Kollegen Claus
war es notwendig, darauf hinzuweisen, dass nicht Amerika, sondern der Irak das Problem ist.
({0})
Es kann wenig Zweifel daran geben, dass dieser Diktator, der einer der brutalsten ist, die wir je kennen gelernt
haben, weiterhin nach Massenvernichtungswaffen strebt
und vielleicht auch schon über solche verfügt. Wir sind
uns auch alle darüber klar, dass er sein eigenes Volk unterdrückt und dass es höchste Zeit ist, dass dieses schwierige Volk - es besteht im Grunde genommen aus vielen
Völkern - ein anderes Regime bekommt. Das bleiben die
Grundaxiome sowohl der europäischen und deutschen als
auch der amerikanischen Politik. Dazu gehört auch, dass
die UN-Inspekteure wieder ins Land gelassen werden.
Das muss unser erstes und vorrangiges Ziel sein.
({1})
Was sind nun die weiteren Optionen? Was muss und
kann getan werden? Was sind dabei die Interessen von
Deutschland und Europa? Die Amerikaner lassen keinen
Zweifel daran, dass sie es mit ihren Warnungen gegenüber
dem Irak ernst meinen. Wir müssen diese Warnungen
ernst nehmen. Ich glaube, wir können ihre Entschlossenheit nur dann verstehen, wenn wir bereit sind, uns in ihre
Rolle als Symbol der freiheitlichen westlichen Gesellschaftsordnung hineinzuversetzen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die USA durch die Ereignisse des
11. September zutiefst verletzt fühlen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns muss klar sein,
dass wir uns von den Vereinigten Staaten nicht abkoppeln
können. Von allem, was sie tun, sind auch wir betroffen.
Das gilt ebenso für die Folgen, wie zum Beispiel denen
ihres Einsatzes in Afghanistan. Genauso wäre es im Falle
eines Vorgehens gegen den Irak.
Wir haben nicht nur den Wunsch, sondern auch das
Recht, mit den Amerikanern darüber zu reden und konsultiert zu werden, bevor Entscheidungen getroffen werden; denn ein solcher Angriff wäre mit einer Reihe von
Problemen verbunden. Ich will sie nicht alle aufzählen.
Herr Kollege Meckel hat schon darauf hingewiesen, dass
die Erhaltung der internationalen Koalition, gerade mit
der arabischen Welt, ganz vorrangig sein muss. Wir können mögliche Auswirkungen auf den Israel-PalästinaKonflikt nicht übersehen. Vor allen Dingen müssen wir
uns darüber im Klaren sein, dass wir die Frage beantworten müssen, was nachher geschehen kann und wie wir uns
in der richtigen Weise verhalten und einsetzen können.
Kurzum: Unser gemeinsames Ziel mit den USA ist es,
den Irak Saddam Husseins zur Räson zu bringen und dem
Kontrollregime der Vereinten Nationen wieder volle Geltung zu verschaffen.
Wenn es richtig ist, dass wir, aus den Gründen, die ich
genannt habe, einen Anspruch darauf haben, gehört zu
werden, dann gilt aber auch, dass wir dialogfähig sein
müssen. Der Vorwurf, den ich der Bundesregierung machen muss, ist, dass sie nicht alles in ihren Kräften Stehende getan hat,
({2})
um uns dialogfähig zu machen bzw. dafür zu sorgen, dass
Europa dialogfähig wird. Denn wir müssen uns doch darüber im Klaren sein: Alleine sind wir nicht in der Lage,
({3})
uns wirklich Gehör zu verschaffen.
({4})
Es ist eine traurige Tatsache: Wer nicht gebraucht wird,
der wird auch nicht gehört. Wir werden für den militärischen Teil nicht gebraucht. Das hat gerade im Falle
Deutschlands Ursachen, die im Versagen dieser Regierung liegen.
({5})
- Dass die Bundeswehr in einem mehr als beklagenswerten Zustand ist,
({6})
haben wir ja gerade bei der Verlegung der Streitkräfte
nach Afghanistan gemerkt.
({7})
Sosehr es stimmt, dass im Augenblick aus allen europäischen Ländern ein gemeinsamer Tenor über den Atlantik schallt, so wissen die Amerikaner doch sehr genau,
dass Europa, wenn es ernst wird, wieder auseinander fällt.
Deswegen ist das Erste, was wir von dieser Regierung
verlangen müssen, dass Europa mit einer Stimme spricht.
Herr Minister, da hat es ja in der letzten Zeit, wenn auch
nicht im Zusammenhang mit diesem Thema, genau das
Gegenteil einer deutschen Bemühung gegeben. Der Bundeskanzler hat Europa schwersten Schaden zugefügt
({8})
und da hat man Ihre Stimme leider nicht gehört.
Herr Kollege Lamers,
ich muss Sie leider an die Redezeit in der Aktuellen
Stunde erinnern.
Ja. - Was wir also brauchen, ist ein dialogfähiges Europa, ein Europa, das seine
Stimme auch in der NATO erheben kann und das über den
Atlantik gehört wird. Ich glaube, dass wir uns vornehmen
sollten, die öffentliche Diskussion und die öffentliche Kritik an Amerika mit dem heutigen Tag zu beenden.
({0})
Das Wort für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat der Kollege
Dr. Helmut Lippelt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
fand die Art und Weise, wie Herr Meckel das Problem angesprochen hat, sehr gut und ich fand die Art und Weise,
wie Herr Lamers Herrn Meckel aufgenommen hat, sehr
gut und richtig. Ich fand sie richtiger als die Anfänge, bei
denen sich Herr Claus und Herr Pflüger in einer seltsamen
Achse befanden und meinten, dieses Thema auf den
Wahlkampf reduzieren zu dürfen, wobei dem deutschen
Außenminister der Wahlkämpfer im Wege stehe. Das fand
ich, ehrlich gesagt, etwas geschmacklos, auch von Ihnen,
Herr Pflüger.
({0})
Es geht hier doch um die ernste Frage, die Herr Lamers
gerade aufgebracht hat, wie wir mit einer sich zuspitzenden Krise umgehen, bei der die Amerikaner gar nicht im
Unrecht sind. Ich bin der Letzte, der leugnet, dass wir,
wenn Bomben fallen, möglicherweise eine Giftwolke haben. Es ist gar nicht daran zu zweifeln, dass es viele gute
Gründe gibt. Man muss aber trotz Solidarität die Frage an
die amerikanische Politik stellen, ob die Aktionen, die
sich anbahnen, mit den richtigen Mitteln und zum richtigen Zeitpunkt durchgeführt werden. Es stellt sich die
Frage, ob es nicht klüger wäre - das hat auch der französische Außenminister angemahnt -, diese Situation differenzierter zu betrachten.
Die Frage ist, ob es richtig ist, das Problem des Terrorismus - bei der Bekämpfung des al-Qaida-Terrorismus
musste man sehr wohl militärische Mittel anwenden hier mit dem Problem der Massenvernichtungswaffen zu
verbinden. Angesichts der Verschiebung dieser Ziele
muss man fragen, ob damit nicht größerer Schaden in der
arabischen Welt angerichtet wird und ob man nicht zu anderen Schlussfolgerungen kommen sollte. Aus diesem
Grunde, Herr Lamers, fand ich den zweiten Teil Ihrer
Rede nicht richtig.
Ich will sagen, weshalb es richtig ist, dass wir dieses
Thema heute debattieren. Wer die Entwicklung genau verfolgt hat - man konnte es ja auch nachlesen -, wie islamische Regierungen aus großer Sorge Saddam Hussein
signalisiert haben, er möge doch gefälligst die Inspektoren ins Land lassen - sie sprachen davon, dass dies seine
letzte Chance sei; ich erwähne in diesem Zusammenhang
den Brief von Ecevit -, und wer die Antwort „Es werden
nur Spione geschickt“ kennt, der weiß, dass eine Einsicht
kaum zu erwarten ist und dass sich die Lage weiter zuspitzen wird.
Wer auf der anderen Seite zur Kenntnis nimmt, dass die
amerikanische Administration eine neue Irak-Strategie
erarbeiten lässt, was zur Folge hat, dass es auf der Reise
von Cheney nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um
das Wie geht, der muss große Angst verspüren, Herr
Pflüger. Man muss daher kritische Fragen stellen dürfen.
Es besteht kein Zweifel, dass wir diese Fragen in angemessener Form und unter Berücksichtigung der Bündnissolidarität stellen.
Wir haben im Moment folgendes Problem: Ein Diktator verharrt in seiner unbeweglichen Trotzhaltung. Auf
der einen Seite haben wir also ein Milosevic-Problem.
Auf der anderen Seite gibt es das Problem, dass bis Mai
eine Drohkulisse aufgebaut wird. In der „Herald Tribune“
kann man sehr genau nachlesen - auch wenn die Amerikaner jetzt Desinformationen verbreiten sollten -, dass
mit den Vorbereitungen begonnen wird. Natürlich wird es
politische Lösungsversuche und eine UNO-Resolution
geben. Das heißt, die Vorbereitung auf politischem Gebiet
steht noch bevor. Bis dahin hat Europa Zeit, seine Stimme
zu erheben, so wie es Blair und - für das konservative Lager - Aznar schon getan haben.
Diese Gelegenheit muss genutzt werden, um - ausgehend von einer Drohkulisse - dafür zu sorgen, dass der Diktator den Ernst der Lage erkennt. Es muss aber gleichzeitig
dafür gesorgt werden, dass Amerika aus einer solchen
Drohkulisse wieder herauskommt und nicht in Handlungszwänge gerät, die nicht mehr beherrschbar sind. Wenn
diese Zwänge nicht mehr beherrscht werden können, geraten wir nämlich in eine Situation, die ich jetzt nicht weiter
ausmalen möchte, die Ihnen aber allen bekannt ist.
({1})
Jetzt spricht der Kollege Dr. Werner Hoyer für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist von Herrn Lamers und
Herrn Meckel und teilweise auch von Herrn Lippelt schon
so viel Richtiges zum Thema Irak und Saddam gesagt
worden, dass ich mich mit dem Herrn gar nicht mehr
lange aufhalten möchte. Ich möchte mich vielmehr auf
eine andere große Sorge konzentrieren, die ich in diesem
Zusammenhang habe.
Mich bewegt gegenwärtig am meisten, wie die freie
Welt in der mittel- und langfristigen Betrachtung mit Bedrohungen, wie sie von jemandem wie Saddam Hussein
ausgehen, umgeht. Es bewegt mich die Frage, wie wir uns
vor der Gefahr schützen, uns in der freien Welt von jemandem auseinander dividieren zu lassen, der für Völkermord,
Vertreibung, Angriffskrieg, Geiselnahme des eigenen
Volkes und vieles andere und nicht zuletzt auch für die Produktion und Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und gegebenenfalls auch Trägersystemen steht.
Mir behagt natürlich vieles nicht an der Kriegsrhetorik,
die gegenwärtig von jenseits des Atlantiks zu uns herüberkommt. Ich halte manches, was im Zusammenhang
mit der Achse des Bösen gesagt wird, nicht unbedingt für
klug.
({0})
Es ist völkerrechtlich problematisch, so zu tun, als sei der
Angriff auf den Irak die logische und automatisch gerechtfertigte Konsequenz aus den Aktionen gegen die
Terrororganisation al-Qaida.
({1})
Ich teile schließlich ausdrücklich die Sorgen derjenigen, die befürchten, dass die Soldaten der Bundeswehr,
die sich gegenwärtig an einem sich immer mehr verlängernden Manöver in Kuwait beteiligen, unter Umständen
in eine Situation hineingezogen werden könnten, die in einem Krieg endet, in dem der Deutsche Bundestag seine
Rolle als Herr einer Parlamentsarmee im Grunde nicht
mehr frei spielen kann. Insofern habe ich wirklich größte
Besorgnisse.
Aber ich bin der Meinung, dass es sich diejenigen, die
plötzlich ihren antiamerikanischen Reflexen wieder
freien Lauf lassen, deutlich zu leicht machen. Plötzlich ist
ja - der Wahlkampf lässt grüßen - so mancher antiamerikanische Reflex wieder da. Das ist eine Zeit lang überdeckt worden. Der Außenminister musste natürlich der
amerikanischen Administration erst einmal beweisen,
dass er wirklich von einem antiimperialistischen Streetfighter zu einem überzeugten Atlantiker mutiert ist.
({2})
Jetzt hat er den latenten Antiamerikanismus der grünen
Basis eben doch wieder entdeckt.
({3})
Deswegen habe ich die Sorge, dass wir als Deutsche
und Europäer aufgrund dieser innenpolitischen Dimension letztendlich schlecht vorbereitet sind, wenn es darum
geht, die Diskussion über Meinungsunterschiede mit
den amerikanischen Freunden tatsächlich sachgerecht zu
führen. Wo sind denn die europäischen Konzepte für
eine entschlossenere Abrüstungs- und Antiproliferationspolitik? Welche Konzepte haben wir im Hinblick auf
den Umgang mit Terrorismus und mit der Produktion
von Massenvernichtungswaffen und Trägersystemen?
Mit welchen Instrumenten wollen wir Saddam Hussein
zwingen, die UN-Inspektoren wieder in sein Land zu lassen? Zu all dem hören wir hier relativ wenig.
Das Gefährlichste ist, dass wir in Amerika und in
Europa zwischenzeitlich voneinander eine wechselseitige
Perzeption haben zustande kommen lassen, bei der die
einen auf der anderen Seite des Atlantiks als Weicheier
dargestellt werden, die die Realitäten des Lebens nicht erkennen, während bei diesen der Eindruck entsteht, dass
die andere Seite des Atlantiks blindwütig draufschlagen
würde, wenn ihr in dieser Welt irgendetwas nicht passt. Es
ist höchste Zeit, dass die Europäer und die Amerikaner
wieder zu gemeinsamen Analysen, zu gemeinsamer Entscheidungsfähigkeit und hoffentlich auch zu einer gemeinsamen Sprache zurückfinden. Nach meiner Auffassung ist es in dieser Frage fünf vor zwölf.
Ich glaube nicht an Huntingtons „Clash of civilizations“. Aber ich habe schon die Befürchtung, dass wir auf
einen Clash der politischen Kulturen zwischen Nordamerika und Europa hinsteuern könnten, wenn wir nicht
gewaltig aufpassen und gegensteuern. Die deutsche Politik ist hier in besonderer Weise gefordert. Seit 50 Jahren
ist es ein Imperativ deutscher Außenpolitik, sich niemals
in die Situation manövrieren zu lassen, zwischen europäischer Integration und transatlantischer Verankerung
wählen zu müssen. Deswegen sind in schwierigsten
Zeiten - ich denke an die INF-Debatte Ende der 80erJahre, als es um die Kurzstreckenraketen ging - durch
kluge Diplomatie und Außenpolitik immer wieder Formen der Begegnung und des Dialogs - teilweise auf diskrete Art - gefunden worden. Ich hoffe, dass es solche
Initiativen wie damals bei Hans-Dietrich Genscher auch
jetzt bald wieder geben wird. Wir brauchen sie, wenn wir
die Zeit, die wir noch haben, tatsächlich nutzen wollen.
({4})
Das Gefährlichste ist, dass das Wirklichkeit werden
könnte, was als Paradigmenwechsel der amerikanischen
Außenpolitik beschrieben wird: weg vom Multilateralismus, aufgrund dessen uns der ehemalige Präsident
George Bush seinerzeit „partnership in leadership“ angeboten hatte, hin zu dem, was sich jetzt als Unilateralismus
der amerikanischen Seite unter George W. Bush darstellt,
der zum Beispiel die Vereinten Nationen nur noch als lästig zu empfinden scheint.
Diese kurzfristigen Ad-hoc-Zweckbündnisse, die eine
Aushöhlung der Nordatlantischen Allianz, dem neben EU
und UNO wichtigsten Instrument, das wir in der Welt haben, übrigens auch für den Kern deutscher Außen- und
Sicherheitspolitik, zur Folge haben können, könnten auf
längere Sicht zu dem Gefährlichsten führen, was Deutschland passieren kann: dass die Europäer tatsächlich den
Weg der Renationalisierung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik gehen. Die NATO hat uns über Jahrzehnte
davor bewahrt. Wir sollten nicht zulassen, dass durch eine
Erosion der NATO diese Gefahr wieder virulent wird.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat der Kollege Reinhold Robbe für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Völlig unabhängig
von der Frage, wie sich die Bundesregierung zur aktuellen Situation im Irak verhält, ist in diesem Zusammenhang doch eine ganz andere Frage zu stellen, nämlich:
Was veranlasst eigentlich die PDS, dieses Thema gerade
zu diesem Zeitpunkt auf die Tagesordnung zu setzen? Ich
will noch einen Schritt weiter gehen und fragen: Ist die
PDS unter moralischen Gesichtspunkten überhaupt legitimiert, sich an einer derartigen Debatte zu beteiligen?
({0})
Ich beantworte diese Frage mit einem klaren Nein. Die
SED-Nachfolger haben sich bisher jeder internationalen
Verantwortung grundsätzlich verweigert.
({1})
Die PDS hat jeden Bundeswehreinsatz abgelehnt, der darauf gerichtet war, Völkermord, Vertreibung, Massenvergewaltigungen und Terror zu beenden. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Verweigerungshaltung der
PDS in Sachen Bosnien, Kosovo, Mazedonien und auch
Terrorismusbekämpfung in Afghanistan.
Stets war es die PDS, die alle Befürworter dieser
Einsätze de facto als Kriegstreiber verunglimpfte und sich
selber insbesondere in den neuen Bundesländern als Friedenspartei zu etablieren versucht hat. Besonders unerträglich wurde es immer dann, wenn die PDS auch noch
solche Leute hofierte, die für all die Verbrechen verantwortlich waren.
({2})
- Warten Sie es ab! - Geradezu verräterisch ist jenes Bild,
das Herrn Gysi Hände schüttelnd mit Herrn Milosevic
zeigt
({3})
- das wollen Sie nicht gern hören, aber das muss an dieser Stelle gesagt werden -, und zwar zu einem Zeitpunkt,
als die Völkergemeinschaft der freien Welt Milosevic eindeutig als Drahtzieher und Hauptverantwortlichen für die
Verbrechen gegen die Menschlichkeit identifiziert hatte.
({4})
Diese doppelzüngige und aus meiner Sicht auch in
höchstem Maße unmoralische Politik wird von den Postkommunisten munter weiter betrieben. So findet beispielsweise Anfang März in Berlin eine Solidaritätsveranstaltung der PDS für Milosevic statt, der im Augenblick wegen zahlreicher Kriegsverbrechen in Den
Haag angeklagt wird.
({5})
Und diese Partei erdreistet sich, den USA und der deutschen Bundesregierung Zensuren zu verteilen, weil sie offensichtlich der festen Überzeugung ist, dass die Öffentlichkeit schon nicht so genau hinschauen wird!
Gott sei Dank sind wir nicht auf die Erkenntnisse und
Ratschläge der PDS angewiesen. Gott sei Dank spielt
diese Auffassung der SED-Nachfolger in der deutschen
Außen- und Sicherheitspolitik überhaupt keine Rolle.
({6})
Der Bundesaußenminister hat alles Notwendige zur
aktuellen Lage im Irak-Konflikt erklärt und wird dies, wie
ich vermute, auch in der heutigen Debatte tun.
({7})
Wichtig ist, in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass
die deutsche Bundesregierung nichts unternehmen wird,
was zu einer Verschärfung der angespannten Situation
beitragen könnte. Sie hat vielmehr ein elementares Interesse daran, alle Bemühungen zu unterstützen, die die
vielfältigen Konfliktherde des Nahen und Mittleren
Ostens mit diplomatischen Mitteln und in enger Abstimmung mit den europäischen und transatlantischen
Verbündeten entschärfen.
({8})
Im Übrigen ist es unverantwortlich, den Einsatz der
deutschen ABC-Abwehrkräfte in Kuwait als ersten Schritt
einer deutschen Verwicklung in den nächsten Krieg - das
ist Originalton PDS - bewusst misszudeuten. So etwas
nenne ich: Stimmung machen wider besseres Wissen.
({9})
Unabhängig von der Notwendigkeit, im Dialog mit unseren amerikanischen Freunden erforderlichenfalls auch
vor übertriebenen Drohgebärden zu warnen, muss man die
besondere Stimmungslage in den USA bei der Bewertung
bestimmter Kraftausdrücke berücksichtigen. Eines aber
steht unumstößlich fest: Es ist unsere Pflicht, in enger Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn immer wieder die mahnende und warnende Stimme gegenüber
Saddam Hussein zu erheben; denn er ist dafür verantwortlich, dass tagtäglich Menschen verfolgt und ermordet werden, dass Menschenrechte mit Füßen getreten werden
({10})
und dass möglicherweise biologische und chemische
Waffen produziert und in Stellung gebracht werden. Deshalb darf der Druck auf Bagdad nicht nachlassen. Daher
gibt es keine Alternative zum verhängten Embargo.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({11})
Ich erteile jetzt dem
Kollegen Friedbert Pflüger für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ich glaube, es gibt niemanden
im Saal, der der Meinung ist, man dürfe die Vereinigten
Staaten von Amerika nicht kritisieren oder nicht seine
eigene Meinung haben. Wir sind freie Bündnispartner
und nicht unmündige Befehlsempfänger. Solidarität heißt
nicht Gehorsam.
({0})
Natürlich kann man Kritik üben. Aber die öffentliche Kritik, die der Außenminister in diesen Tagen mehrfach
geübt hat, war in Form und Substanz falsch und nicht
akzeptabel. Diese besondere Art der Kritik war zum jetzigen Zeitpunkt ein schwerer Fehler. Ich will versuchen,
das zu begründen.
Wir haben nach dem 11. September in der NATO den
Bündnisfall erklärt. Unsere Soldaten patrouillieren gemeinsam mit amerikanischen Soldaten in Afghanistan.
Die Amerikaner tragen bei diesem Kampf gegen den weltweiten Terror, der auch nach Auffassung der Bundesregierung uns und unsere Zivilisation bedroht, die Hauptlast. Sie jetzt öffentlich zu ermahnen, zu schelten, den
Eindruck zu vermitteln, Amerika stünde kurz vor einem
Alleingang und einem militärischen Schlag gegenüber
Bagdad, ist wirklich unverantwortlich. Das kann man mit
Stil hinter verschlossenen Türen machen. Unter Freunden
ist es üblich, dass man sich manchmal die Meinung sagt.
Aber das öffentlich auszutragen ist etwas, was in Amerika
nicht verstanden wird.
({1})
Es wird in Amerika vor allen Dingen auch deshalb
nicht verstanden, weil wir als Europäer nach dem 11. September ein so schlechtes Bild abgegeben haben, weil wir
- Karl Lamers hat es gesagt - eben nicht mit einer Stimme
gesprochen haben. Wenn wir nicht einmal in der Lage
sind, unser Militärmaterial mit eigenen Flugzeugen
nach Afghanistan zu transportieren, sondern uns aus
Usbekistan Iljuschins dafür leihen müssen, wenn wir uns
eine solche Airbusposse wie die der letzten Wochen leisten,
({2})
dann sollten wir mit öffentlichen Belehrungen gegenüber
unseren amerikanischen Bündnispartnern etwas vorsichtiger und zurückhaltender sein.
({3})
Ich glaube, dass dies ein großer Fehler gewesen ist, zumal die Art der Kritik des Bundesaußenministers gerade
diejenigen in Washington stärkt, die er eigentlich bekämpfen möchte, nämlich die Unilateralisten, die der Ansicht
sind, sie könnten sowieso alles alleine, ohne die Europäer
und ohne jegliche Bündnispartner. Lesen Sie einmal in der
heutigen Ausgabe des „Wall Street Journal“, was dazu der
frühere CIA-Chef James Woolsey sagt! Schauen Sie sich
an, was in den Kommentaren in Amerika nach dieser Kritik von Fischer geäußert worden ist! In den USA gibt es
Enttäuschung und Abwendung. Dadurch werden gerade
diejenigen bestärkt, die sagen: Wir brauchen die Europäer
sowieso nicht. Seht, auf sie ist kein Verlass.
Das ist eine falsche und in der Tat - darin stimme ich
dem Kollegen Hoyer zu - langfristig durchaus gefährliche
Politik. Hier ist der Popanz eines unmittelbar bevorstehenden Krieges aufgebaut worden. Herr Powell, der
amerikanische Außenminister, hat am 14. Februar 2002 in
der „Financial Times“ gesagt: Niemand sollte glauben,
auf dem Schreibtisch des amerikanischen Präsidenten
läge ein Plan für eine militärische Intervention. Das ist
nicht der Fall.
Warum also diese Aufregung? Warum die Warnung vor
einem Alleingang? Hat nicht Amerika diese Antiterrorkoalition aufgebaut? Fährt nicht Vizepräsident Dick
Cheney demnächst in die Region, um genau diese Antiterrorkoalition zu pflegen? Was eigentlich hat Sie zu der
Skepsis gegenüber Amerika berechtigt, man könne diese
Koalition leichtfertig aufgeben und einen Alleingang unternehmen? Ich halte Ihre Äußerung für nicht verantwortlich. Ich glaube, das war ein schwerer Fehler.
({4})
Meine Damen und Herren, es ist doch offenkundig
- der eine oder andere hat es hier gesagt -, was für ein
fürchterlicher Diktator Saddam Hussein ist. Hans Magnus
Enzensberger hat ihn bereits 1991 den „genuinen Nachfolger Hitlers“ und ein „Monster“ genannt und hat Folgendes gesagt:
Die Entschlossenheit zur Aggression ist der primäre
Antrieb. Objekte, Anlässe, Gründe werden gesucht,
wo sie sich finden. Wer bei der Vernichtung zuerst an
die Reihe kommt, hängt nur von den Gelegenheiten
ab, die sich bieten.
Das sagte der eher linke Intellektuelle Enzensberger und
nicht irgendein CDU-Politiker.
Nun wissen wir, dass dieser Diktator an Massenvernichtungswaffen arbeitet. Wir wissen, dass er einer der
schlimmsten Diktatoren der Welt ist. Sollen wir angesichts dessen wirklich sagen, dass wir, ganz egal was er
macht, nie militärisch eingreifen werden? Es geht nicht
darum, morgen Krieg gegen den Irak zu führen. Es geht
aber darum, eine Druck- und Drohkulisse gegen diesen
Diktator als eine Option unter mehreren aufrechtzuerhalten. Wenn wir das nicht tun, helfen alle netten und freundlichen Appelle, alle Konsultationen, Markus Meckel, und
alle sonstigen Maßnahmen nichts. Wenn man nicht bereit
ist, solchen Leuten notfalls auch militärisch entgegenzutreten, werden wir irgendwann keine Chance und keine
Zukunft mehr haben. Dass wir das ebenfalls so sehen, das
müssen wir auch unseren amerikanischen Freunden sehr
deutlich sagen. Wenn wirklich klar ist, dass es im Irak
Massenvernichtungswaffen gibt, dass bei Hussein aggressive Absichten bestehen und dass er mit Terroristen zusammenarbeitet, dann darf er sich nicht mehr wohl fühlen
und nicht mehr ruhig schlafen. Es geht darum, eine militärische Option nicht von vornherein auszuschließen,
und um nichts anderes.
Meine Damen und Herren, hier sind wir mit unseren
Freunden in den USA einer Meinung. Ich fordere jeden
von uns, der kritische Anmerkungen hat, auf, sie nicht
über die „Welt“ und den „Spiegel“ in die Öffentlichkeit zu
tragen, sondern sie mit den Amerikanern im Gespräch
hinter verschlossenen Türen zu erörtern, jedenfalls solange wir in einer Auseinandersetzung gegen den internationalen Terrorismus stehen, wie es im Moment der Fall
ist.
({5})
Jetzt spricht die Kollegin Angelika Beer für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr
Pflüger, ich wundere mich einigermaßen über Ihre Polemik, die dem Ernst der Situation nun wirklich nicht mehr
angemessen ist, sondern den Versuch darstellt, an der
falschen Stelle die falsche Debatte zu führen.
({0})
Ich wundere mich auch, weil ich ziemlich sicher bin, dass
Sie an der Münchener Sicherheitstagung teilgenommen haben. Die öffentliche Debatte fing spätestens dann an, als
Herr Wolfowitz und andere Vertreter der amerikanischen
Partner dort sehr klar gesagt haben, wie sie ihre Rolle bewerten. Ich habe jetzt das Zitat nicht schriftlich vorliegen;
aber ich versuche, mich an den Wortlaut zu erinnern. Sie
sagten, sie, die Amerikaner, seien angegriffen worden; sie
würden selbst darüber entscheiden, wie sie reagierten, und
bräuchten dazu keine Resolution, egal, wozu und von wem.
Wir haben diese Debatte auf der Münchener Sicherheitskonferenz öffentlich weitergeführt. Dabei war eine
große Einigkeit der Europäer insoweit zu erkennen, als
Europa mit diesem zunehmenden Unilateralismus ein
Problem hat und zwar zu einer Stärkung der transatlantischen Beziehungen bereit ist, aber doch eine eigenständige Position in dieser Frage vertreten will und wird. Ich
erinnere an die kritischen Äußerungen von Blair und der
französischen Seite, die nicht ohne Grund und meines Erachtens auch mit gutem Recht vor einem drohenden einseitigen Schlag der Amerikaner gegen den Irak gewarnt
haben. Es war gerade von unserem Außenminister mehr
als verantwortlich, sehr zurückhaltende und zugleich
klare Worte auszusprechen.
Dass wir in der Europäischen Union noch nicht so weit
sind, wie wir es uns alle wünschen, ist ein Problem; das
wissen wir. Das gilt übrigens nicht nur für die ESVP,
sondern auch für die gemeinsame europäische Positionierung, wenn es darum geht, europäische Interessen zu vertreten. Nichtsdestotrotz findet dieser dringend notwendige europäische Dialog statt; denn wenn es zu einseitigen
Angriffen auf den Irak käme und dies dazu führen würde,
dass der Nahe Osten in Flammen aufginge, dann wäre es
nicht mehr nur eine Frage der Amerikaner, sondern auch
eine europäische Frage.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zum ersten Mal
war ich in diesem Land unter Saddam Hussein direkt nach
dem Giftgaseinsatz in Halabja, also dem Einsatz von
Massenvernichtungswaffen gegen das eigene Volk. Das
zweite Mal war ich dort zusammen mit Menschenrechtsorganisationen zur Analyse der Anfal-Offensive gegen die
Opposition im eigenen Land. Das dritte Mal war ich nach
der Massenflucht der Kurden im Norden Iraks dort, um zu
helfen, dieses Land zu entminen. Wir wissen, mit welchem Regime wir es zu tun haben.
({1})
Aber es muss doch erlaubt sein, die Frage zu stellen,
was der Kampf gegen den internationalen Terrorismus,
den wir uneingeschränkt solidarisch unterstützen, beinhaltet und was nicht dazu gehört. Gerade das gemeinsame und erfolgreiche Agieren gegen al-Qaida in Afghanistan hat deutlich gemacht, dass Militär allein
terroristische Strukturen nicht beseitigen kann. Wir sehen
die politischen Aufgaben, die wir auch verantwortungsbewusst angehen.
Aber es besteht - jedenfalls nach allem, was mir bekannt ist - ein Unterschied zu dem Regime Saddam
Husseins und den von ihm ausgehenden Gefahren. Ich
glaube, dass uneingeschränkte Solidarität durchaus Folgendes beinhalten muss - was auch positiv sein soll -:
eine Kritik, die davor warnt, die internationale Koalition
gegen den Terrorismus mit einem einseitigen Vorgehen
gegen Saddam Hussein zu spalten und zu zerbrechen, eine
Kritik, die auch unsere Sorge über die Lage im Nahen
Osten und den Schutz Israels betrifft, eine Kritik, die nicht
unsolidarisch ist, sondern darauf setzt, dass wir multinational bzw. international, wenn möglich, zusammen mit
den Amerikanern, unterschiedliche Gefahren differenziert
und gemeinsam militärisch, vor allem aber auch nicht militärisch zu bekämpfen versuchen.
Genau dies ist die Aufgabe, wenn es um den Irak geht.
Wir brauchen eine Stärkung der Vereinten Nationen und
des Sanktionsmechanismus. Wir müssen Saddam Hussein
klarmachen, dass das einzige Mittel, Weiteres zu verhindern, die Zulassung der Inspekteure ist. Denn nur so können wir doch perspektivisch versuchen, das Problem der
Massenvernichtungswaffen im Irak, möglicherweise aber
auch in anderen Staaten, transparent zu machen und diese
Gefahr einzudämmen, bis hin zur Vernichtung unter internationaler Kontrolle.
Dann geht es um die Stärkung der Instrumente der internationalen Abrüstung und Rüstungskontrolle, wie wir
sie im Unterausschuss „Abrüstung und Nichtproliferation“ regelmäßig diskutieren, schärfen und anspitzen.
Denn mit einem Militärangriff werden wir die Gefahr der
Proliferation solcher Staaten wie des Irak nicht beseitigen
können. Insofern hoffe ich, dass diese Debatte etwas zur
Versachlichung beiträgt.
Ich denke, dass der Außenminister seine Gründe darlegen wird. Ich begrüße die Initiative der deutschen Bundesregierung, innerhalb der europäischen Sicherheitsund Verteidigungspolitik eine gemeinsame Stimme zu
finden, die die legitimen deutschen, vor allen Dingen aber
europäischen und damit internationalen Interessen gegenüber dem amerikanischen Partner klarmacht.
Danke schön.
({2})
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Wolfgang Gehrcke.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es war doch sehr herzerfrischend, hier im Plenum der Rede solch eines kalten Kriegers wie Herrn Robbe zuzuhören. Ich hatte schon fast vergessen, dass es so etwas noch gibt. Ich finde es angenehm,
diese Erinnerung an die lebendige Vergangenheit hier vorgeführt zu bekommen. Zur Substanz selbst hatte er nichts
zu sagen und hat er auch nichts gesagt.
({0})
Deswegen möchte ich mich lieber mit intelligenteren
Beiträgen auseinander setzen. Mich bedrückt es schon ein
bisschen, dass ein so kluger Kopf wie Karl Lamers hier
formuliert, dass die USA nicht öffentlich zu kritisieren
seien. Kollege Pflüger hat dies dann differenziert und gesagt, man dürfe kritisieren, allerdings nicht öffentlich.
Eine Kritik, die nur im stillen Kämmerlein und in exklusiven Runden, nicht aber vor der Öffentlichkeit geäußert
wird, ist unwirksam, zudem unehrlich und trägt nicht dazu
bei, dass man politische Positionen kontrovers oder gemeinsam entwickeln kann. Das ist einfach Unsinn.
({1})
Im Unterschied zu Ihnen nehme ich den amerikanischen Präsidenten sehr ernst. Wenn er von einer „Aggression“ und von einem „Feldzug gegen das Böse“ spricht,
dann ist das richtig, was man heute - sowohl national als
auch international - in fast jeder Zeitung lesen kann, dass
nämlich die Frage eines Krieges gegen den Irak nicht
mehr eine Frage des Ob, sondern nur noch eine Frage des
Wie, des Wann und des Mit-wem-zusammen ist.
Wir müssen uns klarmachen: Wir stehen vor einem solchen Krieg, wenn die Amerikaner nicht gestoppt werden
können. Das macht die Brisanz dieser Sache aus. Ob, wie
und wann es zu einem solchen Krieg kommt, entscheidet
ausschließlich die US-Spitze, und zwar allein, das heißt,
ohne Verbündete, ohne NATO und ohne Koalition gegen
den Terror. Das ist uns allen in den letzten Wochen mehrfach, wie ich finde, glaubwürdig und überzeugend durch
die USA mitgeteilt worden. Das erste und letzte Wort liegt
in dieser Frage bei den Vereinigten Staaten.
Ich erinnere an die großen Worte der Kollegen Merz,
Fischer, Volmer und anderer, die in diesem Hause wähnten, dass die USA einen Multilateralismus neu entdeckt
hätten, dass sie jetzt multilateral handeln würden. Das alles erweist sich doch schlichtweg als Traumtänzerei.
Traumtänzerei kann man Bush nicht vorwerfen, er betreibt Realpolitik, Macht- und Interessenpolitik. Es geht
um Einflusssphären, Naturressourcen und um Handelswege. Um diese Tatsache soll niemand herumreden. Wir
brauchen nicht Absichten, sondern Interessenanalysen.
Zum Krieg der Waffen kommen der Krieg der Worte
und - wie man jetzt sehen kann - der Krieg der Fälschungen und - das muss nicht einmal meine gesamte Fraktion
teilen - eine unappetitliche Mischung von Nationalismus,
Weltherrschaftsanspruch und religiösem Sendungsbewusstsein. Diese komplizierte Mischung macht die Gefährlichkeit der amerikanischen Politik aus.
({2})
Vor einigen Wochen haben wir vom Bundesaußenminister gehört, wer Einfluss nehmen wolle, müsse mitmachen. Mitgemacht haben wir - ich finde: leider -, aber
Einfluss haben wir dadurch nicht gewonnen. Ich möchte
deutlich sagen: Wer Einfluss nehmen will, darf eben nicht
mitmachen, er muss sich entgegenstellen. Diese Meinung
verbreitet sich immer stärker in Europa.
({3})
Jetzt habe ich vom Außenminister gehört - die
CDU/CSU findet das ja so entsetzlich -, wir seien keine
Satelliten der USA. Ich befürchte, wir sind es doch. Ich
zweifle an der Glaubwürdigkeit der Aussage des Außenministers, solange mir nicht das Gegenteil bewiesen wird.
Ich meine, dass die Polemik, dass das ein Rückfall in seine
Vergangenheit sei - das weiß doch jeder -, Unsinn ist.
Herr Fischer hat ganz klar gesagt, die Amerikaner seien
nicht zu kritisieren. Jetzt sagt er, wir seien keine Satelliten
der USA. Er muss den Widerspruch auflösen. Man löst
ihn am besten durch Taten auf.
Solange die deutschen Truppen in Kuwait stationiert
sind, besteht die Gefahr, dass die Teilnahme an den gemeinsamen Manövern mit den USA zum jetzigen Zeitpunkt weltweit nur so verstanden werden kann, dass
Deutschland bereit ist, in einem solchen Krieg auch militärisch an der Seite der USA zu kämpfen.
({4})
Das ist „the proof of the pudding“: Rückzug der Truppen,
und das ohne Hintertür. Wir müssen klar feststellen, dass
das Parlament in diesen wie auch in anderen Fragen immer wieder getäuscht und belogen worden ist. Es ist ja gar
nicht vorgesehen, dass alle deutschen Truppen nach dem
Manöver zurückgezogen werden. 50 Soldaten sollen da
bleiben und die anderen, die nach Deutschland zurückgenommen werden, sollen so positioniert werden, dass sie
innerhalb von Stunden wieder in Kuwait sein können.
Das ist doch die Realität: Man hat zugestimmt, dass
deutsche Truppen hinter dem Rücken des Parlaments in
Kuwait stationiert werden. Man hat damit signalisiert:
Wir stehen auch in kriegerischen Auseinandersetzungen
an der Seite der USA. Dass wir unmittelbar in eine solche
Auseinandersetzung hineingezogen werden könnten, ist
die Sorge, die die PDS bewegt hat, diese Aktuelle Stunde
zu fordern, um der deutschen Bundesregierung im ParlaAngelika Beer
ment rechtzeitig zu sagen, sie solle nicht nur erklären,
dass sie diesen Krieg nicht will, sondern auch, dass sie an
ihm nicht teilnehmen wird. Das ist unsere Forderung.
({5})
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Christoph Moosbauer.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es immer wieder spannend, wie die Union es schafft, egal um welches
Thema es geht, ihre Redebeiträge immer so hinzudrehen,
dass sie irgendwie ihre Kritik an der angeblich unterfinanzierten Bundeswehr unterbringen kann.
({0})
Wenn der Kollege Lamers, dessen Äußerungen über
die Regionen des Nahen und Mittleren Ostens ich ansonsten bekanntlich sehr schätze, andeutet, im transatlantischen Verhältnis stimme es deswegen nicht, weil wir nicht
gehört wurden, und zwar deshalb, weil wir nicht gebraucht würden, erweckt er den Eindruck, dass die Bundeswehr, wenn es 1998 keinen Regierungswechsel gegeben hätte, unter Ihrer Regierung mittlerweile über
Flugzeugträger und große Flottenverbände verfügen
würde, die wir den Amerikanern zur Verfügung stellen
würden. Das wage ich aber zu bezweifeln.
Da wir über den Kern der derzeitigen Krise im und um
den Irak sprechen, die ja schon lange andauert, möchte ich
versuchen, einmal das Positive an dieser Situation herauszukehren, nämlich dass der Irak auch durch den internationalen Druck, der bei der Behandlung dieser Frage
wieder zustande gekommen ist, stärker zu kooperieren
versucht, als es vorher der Fall war. Das lehrt uns zweierlei: Ich meine, wir sind gut beraten, wenn wir als Europäer
- das gilt aber auch für die Amerikaner - erkennen, dass
wir in den letzten Jahren in unseren eigentlichen politischen Bemühungen, nämlich zu verhindern, dass vom
Irak noch einmal eine militärische Bedrohung für die Region, für die eigene Bevölkerung, aber auch über die Region hinaus ausgeht, etwas nachgelassen haben. Wir sollten das nun zum Anlass nehmen, wieder verstärkt
politische Forderungen zu stellen und auch die VN-Sanktionen wirksam werden zu lassen.
Wir wissen natürlich, dass der europäische Ansatz, Instabilitäten und Konflikte am besten politisch zu bekämpfen, nicht immer funktioniert - vor allem dann nicht,
wenn man es mit einem Menschen wie Saddam Hussein
zu tun hat -, dass wir - das muss aufgrund der Erfahrungen in den vergangenen Jahren auch von europäischer
Seite eingestanden werden - den Druck, der hinter solchen politischen Forderungen steht, nicht aufbauen können und dass die Amerikaner dazu offensichtlich besser in
der Lage sind. Diese Analyse ist sicherlich unstrittig.
Gleichwohl meine ich, dass eine gute Politik nicht aus
einer einseitigen militärischen Drohung, aber auch offensichtlich leider nicht nur aus reiner Diplomatie besteht,
sondern aus einer Mischung aus beidem. Deshalb sollten
wir jetzt in erster Linie politisch handeln, um diesem Konflikt zu begegnen, und von europäischer Seite das, was
wir lange bedacht haben, nämlich wie wir ein Sanktionsregime effektiv gestalten können, umsetzen, sodass wir
auf der einen Seite Saddam Hussein nicht die Möglichkeit
bieten, über die Sanktionen zu legitimieren, dass er sein
eigenes Volk aushungert und unterdrückt, aber auf der anderen Seite verhindern, dass vom Irak auch durch atomare, biologische und chemische Waffen wieder eine Bedrohung für die Region ausgeht. Das gilt gerade in der
gegenwärtigen Situation, in der sich die Lage zuspitzt und
durchaus mit unwägbaren Eskalationsmöglichkeiten und
Übergriffen auf den Kernkonflikt im Nahen Osten zwischen Israel und Palästina zu rechnen ist.
Da es hier offensichtlich in erster Linie nicht so sehr
um den Irak ging, sondern um den Versuch, der Bundesregierung zu unterstellen, in antiamerikanische Reflexe
zurückzuverfallen, möchte ich noch eines loswerden: Das
Ganze wird durch den Wahlkampf und den Zwang gezeitigt, die eigene Klientel zu bedienen. Ich frage mich, wer
tatsächlich mit solchen Äußerungen Wahlkampf macht:
derjenige, der versucht, eine europäische oder deutsche
Position einzubringen, oder der andere, der reflexartig
den Knüppel des Antiamerikanismus aus der Tasche holt,
um damit vielleicht ebenfalls im Wahlkampf seine eigene
Klientel zu bedienen.
({1})
Herr Pflüger, Sie haben gesagt, man dürfe die USA
zwar kritisieren, aber man dürfe sie nicht belehren, schon
gar nicht in unserer Situation. Ich möchte aber abschließend anmerken, dass nicht nur die Bundesregierung versucht, als Lehrer aufzutreten, wenn Sie so wollen, sondern
dass es noch andere gibt, die den Amerikanern etwas ins
Hausaufgabenheft schreiben. Ich zitiere Folgendes:
Die USA müssen begreifen, dass die Europäer Partner sind und keine Vasallen.
({2})
Das wurde vor dem Auswärtigen Ausschuss der Pariser
Nationalversammlung von Altkanzler Helmut Kohl gesagt. Herr Pflüger, übernehmen Sie!
({3})
Jetzt spricht der Kollege Manfred Opel für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin!
Entschuldigen Sie,
Herr Kollege. - Da kein anderer Abgeordneter der
CDU/CSU mehr auf der Rednerliste steht, wird Herr
Hedrich nach dem Bundesaußenminister reden; denn es
ist nicht üblich, dass ein Mitglied der Bundesregierung
der letzte Redner ist.
({0})
- Wenn Sie akzeptieren, dass der Bundesaußenminister
das letzte Wort hat, dann kann Herr Hedrich jetzt sprechen. Normalerweise hat die Opposition das Recht, eine
Erwiderung zu verlangen.
({1})
- In Ordnung. Dann haben wir uns wirklich missverstanden. Entschuldigung, Herr Kollege.
Das Wort hat jetzt der Kollege Hedrich.
({2})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir ist es
egal, ob ich jetzt oder nach dem Bundesaußenminister
rede.
Ich möchte - das liegt mir besonders am Herzen - die
Gesamtsituation betrachten. Mir bereitet die Destabilisierung der gesamten Nahostregion Sorge. Natürlich bin ich
damit einverstanden, dass wir deutlich machen, wo die
eigentlichen Verantwortlichkeiten liegen. Das ist im Zusammenhang mit dem Irak eindeutig. Es ist auch eindeutig, dass die Koalition gegen den Terrorismus, die weit
über unsere Wertegemeinschaft hinausgeht, absolute Priorität hat. Aber wir sollten uns auch darüber im Klaren
sein, dass wir - so möchte ich das einmal nennen - eine
zweite Phase brauchen. Wir müssen uns nämlich sehr
viel ernsthafter als bisher mit der Situation in den Ländern auseinander setzen, die Mitglied der Antiterrorkoalition sind. Geben diese Partnerländer zum Teil nicht
auch Anlass, über die Gestaltung der westlichen Politik
nachzudenken? Werfen wir ruhig einmal einen Blick auf
unsere Partner im Kampf gegen den Terrorismus: In Usbekistan herrscht ein diktatorisches Regime. Auch Ägypten ist nicht gerade ein klassisches Beispiel für Demokratie.
Es kann durchaus Entwicklungen geben, die wir unterstützen sollten. Sollte beispielsweise Syrien einmal eine
Öffnungspolitik betreiben, dann sollten wir die dortige
Mittel- und Oberschicht unterstützen; denn sie ist sehr
stark westlich orientiert und wäre durchaus bereit, das
Land auf einem freiheitlich-demokratischen Weg in die
Staatengemeinschaft des Westens zu führen. Herr Außenminister, wenn man sich einige Persönlichkeiten aus der
syrischen Mittel- und Oberschicht genau anschaut, dann
stellt man fest, dass das durchaus eine Perspektive ist.
Worum geht es mir in diesem Zusammenhang? Wir, die
Amerikaner und die Europäer, dürfen über den Kampf gegen Terrorismus und Diktaturen, der absolute Priorität hat,
nicht vergessen, den Ländern, die Mitglied der Antiterrorkoalition sind und die aufgrund ihrer innenpolitischen Verhältnisse nicht unbedingt als freiheitlich-demokratische
Rechtsstaaten bezeichnet werden können, deutlich zu machen, dass der Nährboden für fundamentalistisch-terroristische Bewegungen und für Unfreiheit nicht beseitigt werden kann, wenn sich ihre Regime nicht stärker als bisher
öffnen; denn gerade die Perspektivlosigkeit bringt viele
Jugendliche, die in Diktaturen leben, dazu, sich Terroristen
als Vorbilder zu suchen. Deshalb darf uns der Kampf gegen Diktatoren und gegen fundamentalistische Terroristen,
der sicherlich auch militärisch geführt werden muss, nicht
den Blick dafür verstellen, dass wir die gesellschaftlichen
Kräfte ermutigen müssen, die für mehr Freiheit und demokratische Rechtsstaatlichkeit eintreten.
({0})
Nicht nur die Bundeswehr, auch der Etat der Entwicklungshilfeministerin zum Beispiel - ich bitte um Nachsicht, aber das ist der nächste Punkt - ist absolut unterfinanziert, womit wir uns möglicherweise schon heute
versündigen, weil wir es unterlassen, eine Perspektive zu
entwickeln.
(Manfred Opel [SPD]: Aber die Zahlen sind
besser, als sie vorher waren!
- Diese Zahlen kenne ich besser, lieber Kollege Opel.
Deshalb eine höfliche, aber kritische Anmerkung: Herr
Außenminister, wir wissen es durchaus zu schätzen, dass
Sie sich persönlich die Zeit für diese Debatte nehmen. Das
Verteidigungsministerium war wenigstens zeitweise vertreten. Aber das Ministerium, das die Dinge, die ich eben
angesprochen habe, vor Ort implementieren muss, ist in
dieser Debatte überhaupt nicht vertreten. Diese Verhältnisse beobachten wir hier seit Wochen und Monaten. Das
lässt mich ein bisschen zweifeln, ob es wirklich einen
kohärenten Ansatz der Politik der Bundesregierung in dieser Frage gibt. Ich bezweifle das - leider!
({1})
Jetzt ist der Kollege
Manfred Opel dran, bitte.
({0})
Mir ist es egal.
({0})
- Macht doch nichts. Ich lege gerne den Rückwärtsgang
ein.
Wir sind heute flexibel. Dann hat jetzt der Bundesaußenminister Joseph
Fischer das Wort.
Vizepräsidentin Petra Bläss
Herr Kollege Opel, ich bitte um Verzeihung. Sie wissen
jetzt, wie es mir mit Kabul geht.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Saddam
Hussein regiert, genauer gesagt: terrorisiert den Irak und
die Region seit 20 Jahren mit diktatorischer Gewalt. Er ist
einer der schlimmsten Gewaltherrscher, der sich an der
Macht hält. Er unterdrückt mit brutaler Härte gleichermaßen jede politische Opposition wie ethnische Minderheiten, Kurden und Schiiten. Ich werde nie die Bilder des
Einsatzes von Giftgas gegenüber Dörfern in den kurdischen Gebieten im Norden des Iraks vergessen.
({1})
Das zeigt die Entschlossenheit und die Brutalität dieses
Gewaltherrschers. Er hat Massenvernichtungswaffen produziert und gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt. Er
hat sie im irakisch-iranischen Krieg auch gegenüber dem
Iran eingesetzt. Er hat Kuwait überfallen und nicht nur
versucht, diesen Nachbarstaat zu annektieren, sondern
auch dort schlimme Verbrechen begangen.
Aber am schlimmsten unterdrückt er die eigene Bevölkerung. Ich kenne zufälligerweise die Daten und Zahlen,
auch aus Gesprächen mit meinem früheren Kollegen Robin Cook, der ausgeführt hat, dass die Möglichkeiten, die
das Programm der Vereinten Nationen etwa zum Import
von Medizin, von Technologie für Krankenhäuser, von
Lebensmitteln und Ähnlichem bietet, bei weitem nicht
ausgeschöpft wurden, wohl aber der Import von Spirituosen aus Schottland gewaltig zugenommen hat. Es gibt andere Beispiele dafür, die zeigen, wie versucht wird, die
Sanktionen zu umgehen und sich wieder die Möglichkeit
zur Herstellung von Massenvernichtungsmitteln zu verschaffen.
Das alles ist seit längerem bekannt und hat auch dazu
geführt, dass es Colin Powell war, dass es gerade die USA
waren, die mit Beginn der Administration Bush darauf gesetzt haben, eine Erneuerung des Sanktionsprogramms zu
leisten, nämlich so genannte Smart Sanctions zu vereinbaren.
Das ist die Lage, in der wir uns befinden. Dies alles ist
eingebettet in die Gesamtlage im Nahen Osten und der gesamten Region sowie die Situation seit dem 11. September, seit dem Angriff eines menschenverachtenden Terrorismus auf die Menschen der Vereinigten Staaten, auf die
Regierung der Vereinigten Staaten, und die Koalition gegen den Terror.
Damit wir gleich zweifelsfrei einen Punkt klarstellen:
Die Bundeswehr wird nur auf der Grundlage der Beschlussfassung des Parlaments zu Enduring Freedom eingesetzt. Was das Mandat - und übrigens auch Einsatzgebiete - betrifft, gibt es hier eindeutige Festlegungen. Für
das Verfahren gibt es sowohl von der Regierung in Afghanistan als auch außerhalb von Afghanistan Zustimmung. Insofern können Sie fest davon ausgehen, dass alle
Einsätze, die die Bundeswehr dazu vornimmt, nur im
Rahmen dieses Mandats stattfinden. Etwas anderes ist mit
der Bundesregierung nicht zu machen. Insofern sollten
Sie Ihre Wahlkampfpropaganda an diesem Punkt nun
wirklich den Realitäten annähern.
({2})
- Es geht nicht darum, was wir sehen, sondern um Fakten.
Es ist mir wichtig, dieses hier noch einmal zu unterstreichen.
Es ist etwas völlig anderes, hier über die allgemeine Situation oder über konkrete Planungen zu sprechen. Der
Bundesregierung sind konkrete Planungen der Regierung
der Vereinigten Staaten von Amerika nicht bekannt. Angesichts des Ernstes des Themas mag es trefflich sein, darüber in politischen Diskussionen zu spekulieren, aber die
Bundesregierung kann und darf sich - das werden Sie verstehen - nicht öffentlich an diesen Spekulationen beteiligen. Wir sind gerne bereit, über alle Aspekte im Ausschuss zu sprechen, aber in der öffentlichen Diskussion
müssen wir uns an die Fakten halten. Wir sehen allerdings
mit Sorge, dass sich die Diskussion in eine bestimmte
Richtung entwickelt: Es wurde die Münchner Sicherheitskonferenz genannt. Auch in der State of the Union
Address hat sich der amerikanische Präsident einer sehr
kräftigen Sprache bedient.
Ob man die Konsequenzen, die sich aus der Idee einer
Achse des Bösen ergeben, in jeder Hinsicht teilt, ob es
richtig ist, in diesem Zusammenhang die Öffnungsbemühungen der Reformer um Chatami im Iran so darzustellen, wie es geschehen ist, ob die Behauptung einer
Achse des Bösen der Dynamik der „sunshine policy“, also
der Sonnenscheinpolitik, von Präsident Kim Dae-jung in
Südkorea, mit der zweifelsohne Schritte in die richtige
Richtung gemacht wurden - das ist natürlich noch nicht
der Durchbruch -, nutzt, sind Fragen, die nicht nur hier in
Deutschland gestellt wurden, sondern mittlerweile auch
im Licht des Besuchs des amerikanischen Präsidenten in
Fernost in Washington neu gestellt werden dürften. Insofern halte ich es für einen ganz wichtigen Punkt, dass wir
uns hier nicht in Spekulationen ergehen, aber sehr wohl
unsere Sorgen zum Ausdruck bringen.
Es geht mir hier nicht darum, Saddam Hussein in
Schutz zu nehmen - mitnichten. Ich bin vielmehr der Meinung, dass es nur einen Schritt gibt, um eine entsprechende Eskalation zu verhindern, nämlich dass Saddam
Hussein - dazu ist er politisch und völkerrechtlich verpflichtet, wenn er es ernst meint - das Sanktionsregime
der Vereinten Nationen, wie es in zwei Sicherheitsratsresolutionen formuliert wurde, uneingeschränkt akzeptiert,
das heißt, die uneingeschränkte Tätigkeit von Inspektoren
der Vereinten Nationen im Irak zulässt, damit festgestellt
werden kann, ob er über Massenvernichtungsmittel verfügt und ob er sie gegebenenfalls produzieren kann. Wenn
ja, müssen diese Mittel entsprechend den Resolutionen
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vernichtet
werden, damit der Irak nicht mehr über diese Möglichkeiten verfügt.
({3})
Für jemanden, der weiterdenkt, stellt sich die entscheidende Frage, wie es denn in der Gesamtregion weitergeht. Da muss ich ehrlich sagen - das tut mir Leid, Herr
Pflüger -, dass die Diskussion mit einer größeren Gruppe
von Kongressabgeordneten, wozu ich heute die Gelegenheit hatte, richtig erfrischend im Verhältnis zu dem war,
was Sie hier vorgetragen haben.
({4})
Ihre Haltung beschreibt man im katholischen Raum mit
„päpstlicher als der Papst“. Ich meine damit eine unter
Demokratien nicht angemessene Form von Ergebenheitsadressen, wie Sie sie hier abgegeben haben. Sie sagen,
dass Helmut Kohl mich in Paris zu Recht kritisiert habe,
dass ich darauf hingewiesen habe, dass Demokratien
Bündnispartner und keine Satelliten seien. Gleich anschließend hat er gesagt, dass wir auch keine Vasallen
seien. Können Sie mir den Unterschied zwischen unseren
beiden Auffassungen sagen? In der Sache, abgesehen von
den Personen Helmut Kohl und Joschka Fischer, werden
Menschen, die des Deutschen mächtig sind, darin keinen
Unterschied sehen.
Hinter Ihnen sitzt der Kollege Lamers, dem Sie sich gerade zuwenden und dessen stechender Blick auf Ihnen
ruht. Der hat in einem Interview mit der „Frankfurter
Rundschau“ die Dinge eher noch zugespitzter formuliert.
Sie können darauf antworten, dass der Kollege Lamers
zwar ein sehr kluger Kopf sei - dem stimme ich zu -, aber
nicht die Bundesregierung vertrete.
({5})
- Ich kann dem nur hinzufügen, dass es auch gut ist, dass
Sie nicht die Bundesregierung vertreten, sonst würden Sie
vom Kollegen Pflüger ähnlich kritisiert, wie ich es wurde.
({6})
Wenden wir uns der FDP zu. Wenn ich den Kollegen
Westerwelle, der zum Widerstand aufgerufen hat, in dieser Frage als Maßstab nehme, dann stellt sich für mich die
Frage, wer hier eigentlich Wahlkampf mit dieser Debatte
betreibt.
({7})
Uns erfüllt die ganze Entwicklung mit großer Sorge.
Wir befinden uns in einer Debatte mit unseren europäischen Partnern. Beim informellen Treffen der europäischen Außenminister in Cáceres haben alle dieselben
Sorgen geäußert. Wenn Sie die Veröffentlichungen in der
nationalen Presse verfolgen, können Sie das feststellen.
Ich habe den Eindruck, dass die etwas kräftige transatlantische Debatte, die sicherlich nicht in dieser Tonlage fortgeführt werden sollte, unter den Gesichtspunkten des
„Jetzt müssen wir miteinander reden“ und des „Jetzt
hören wir einander zu“ - diesen Eindruck konnte ich zumindest in meiner heutigen Diskussion mit amerikanischen Kongressabgeordneten gewinnen - eher gut getan
hat, als dass sie zu negativen Entwicklungen geführt hat.
Noch immer ist klar: Wir diskutieren unter Partnern, ja unter Freunden.
Wir müssen begreifen, dass die USA eine andere Sicht
der Dinge haben als wir Europäer. Umgekehrt müssen die
USA verstehen, dass sich unsere Sichtweise in manchen
Punkten von ihrer unterscheidet. Wir stehen vor einer
komplizierten und wichtigen Diskussion, die wir in die
Gesamtlage einordnen müssen.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Der große Erfolg der Vereinigten Staaten im 20. Jahrhundert war letztendlich der militärische Sieg über den Nationalsozialismus. Leider hat nicht Deutschland selbst Hitler und seine
Schergen gerichtet; leider war das Attentat vom
20. Juli 1944 nicht erfolgreich. Ich füge hinzu: Leider war
auch der Widerstand von Sozialdemokraten und Kommunisten nicht erfolgreich. Leider haben auch mutige Einzelne keinen Erfolg gehabt.
Die USA, die anderen Alliierten und die Rote Armee haben die Nazis niedergekämpft. Das führte zur Teilung Europas und zum Kalten Krieg. Dass Westeuropa frei geblieben
ist, verdanken wir den USA. Dass Westdeutschland eine demokratische Perspektive hatte, verdanken wir ebenso wie
die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit den USA.
Der große Erfolg bestand eben nicht darin, allein auf
militärische Stärke zu setzen, sondern im „nation building“ - so nennt man es heute -, das aus der Systemauseinandersetzung mit dem Sowjetkommunismus hervorging. Nichts anderes als „nation building“ war der Aufbau
der Bundesrepublik Deutschland und anderer europäischer Demokratien. Sie gründen auf Marktwirtschaft,
Sozialstaat und Demokratie. - Das war der große Erfolg.
Was das Nachdenken über allfällige Perspektiven angeht: Wir werden auch in Bezug auf Afghanistan feststellen, dass es darum geht, langfristig so etwas wie „nation
building“, Nationenbildung, zu betreiben. Selbstverständlich wird das auch für den Nahen und Mittleren Osten gelten. Alles andere hätte sehr gefährliche Konsequenzen.
Wenn ich in diese Richtung weiterdächte, dann geriete ich
ins Spekulieren und das will ich nicht tun.
Im transatlantischen Verhältnis führen wir eine notwendige und wichtige Debatte. Die Bundesregierung hat
eine klare Position: Wir wollen, dass die VN-Resolutionen ohne Wenn und Aber unverzüglich umgesetzt werden.
Vielen Dank.
({8})
Bevor der Kollege
Manfred Opel das Wort hat, hat der Kollege Friedbert
Pflüger für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Zu den Ausführungen des
Kollegen Fischer möchte ich drei Bemerkungen machen.
Zunächst einmal möchte ich Folgendes sagen: Er hat
darauf hingewiesen - ich begrüße das -, dass wir alle miteinander die Forderung erheben, dass die UN-Inspektoren
wieder ins Land kommen. Wir wissen, dass die Arbeit an
Massenvernichtungswaffen verstärkt vorgenommen wird,
seit die UN-Inspektoren nicht mehr im Land sind. Wir
wissen, dass sich Saddam Hussein bemüht, die Teile, die
ihm weggenommen worden sind, neu zu erwerben. Deshalb ist es absolut notwendig - ({0})
- Ich habe die entsprechenden Berichte gelesen. Herr
Hanning, der BND-Chef, hat in der letzten Ausgabe des
„Spiegel“ noch einmal sehr deutlich gesagt: Im Irak ist
man dabei, sich die Teile, die verloren gegangen sind, verdeckt wieder zu beschaffen. Ich finde, das sollte bei uns
besondere Aufmerksamkeit hervorrufen.
Herr Kollege Fischer, es ist richtig, die Forderung zu
erheben: Die UN-Inspektoren müssen ins Land. Aber
warum sollte Saddam Hussein dieser Forderung nachgeben, wenn von ihm jeder militärische Druck genommen
wird? Wegen der freundlichen Appelle der Außenminister? - Ich glaube, das ist der falsche Weg. Wenn man es
wirklich damit ernst meint, dass dieses Regime die Menschen nicht weiter terrorisieren darf - das sagen auch Sie
zu Recht -, dann kann man ihm doch nicht von vornherein
sozusagen einen Freifahrtschein geben und sagen: Ganz
egal, was du tust, militärisch werden wir dir nichts tun. Das war mein erster Punkt. Mein zweiter Punkt: Sie haben
eben etwas zu unseren Soldaten in Kuwait gesagt. Die sind
dort mit ABC-Spürpanzern, die den Namen „Fuchs“ tragen. Nach meinem Kenntnisstand und nach dem der Kollegen, die ich gefragt habe, die auch an den Sitzungen des
Verteidigungsausschusses teilgenommen haben, könnte
sich die einzig denkbare Aufgabe für diese Soldaten im
Falle einer Eskalation des Konfliktes unter Beteiligung des
Iraks ergeben. Nur dann haben sie eine Funktion. Was sie
sonst in Kuwait machen, weiß kein Mensch.
Sie stellen sich als Außenminister der Bundesrepublik
Deutschland hin und sagen: Ich habe große Sorgen - das
haben Sie eben noch einmal gesagt - vor einem militärischen Alleingang der USA und vor einer Eskalation und
davor warne ich die Amerikaner. - Wenn Sie diese Sorge
haben, dann haben wir in der CDU/CSU und wir alle im
Parlament das Recht, endlich klare Auskunft über den
Auftrag dieser Soldaten der Bundesrepublik Deutschland
in Kuwait zu bekommen. Dann haben wir auch das Recht
zu erfahren, unter welchem Kommando sie dort eigentlich
ihren Dienst tun.
({1})
Diese Aussagen haben wir bisher von Ihnen nicht gehört.
Ich nehme an, die eigentliche Funktion dieser Soldaten interessiert gerade auch die Kollegen Ihrer Partei, die Kollegen von den Grünen. Geben Sie nicht große Interviews
und machen Sie nicht große Muskelspiele, sondern klären
Sie diese Fragen und informieren Sie uns vernünftig. Ich
sage gar nicht, dass ich dagegen bin, dass die Soldaten in
Kuwait sind; ich als Parlamentarier in diesem Land
möchte es nur gerne klar wissen. Ich finde, dass wir alle
miteinander das Recht haben, zu erfahren, was unsere
Soldaten dort eigentlich sollen.
Zum Schluss noch eine dritte Bemerkung: Herr
Fischer, Sie haben eben gesagt: Wir dürfen nicht allein auf
das Militärische setzen. - In Ihrem Interview in der
„Welt“ in der letzten Woche haben Sie gesagt, Amerika
würde jetzt ausschließlich auf die militärische Option setzen und das würde die Verzweiflung der Menschen nicht
beseitigen. Wenn Sie sich anschauen, welche Gelder auf
der Welt für humanitäre Dinge ausgegeben werden, werden Sie feststellen: Die meisten Gelder sind immer noch
amerikanische Gelder, die zwar nicht von der Regierung,
aber von den Menschen in Amerika, oft durch amerikanische Stiftungen oder durch amerikanische Regierungsprogramme angeregt, kommen. Die Menschen in Amerika haben nicht die Einstellung, dass sie alle Konflikte
auf der Welt mit Militär lösen wollen; die Amerikaner sind
im Gegenteil ein sehr großherziges Volk. Das haben wir
auch hier in Deutschland erlebt. Die Unterstellung, Amerika würde nur noch in Rüstungskategorien denken, empfinde ich angesichts der gesamten Geschichte der Vereinigten Staaten in Europa wirklich als einen Fehlgriff.
({2})
Bei allem, was Sie auch sonst so leichtfertig von sich geben, sollten Sie sich überlegen, ob Sie hier auf dem richtigen Weg sind. Mit der einen oder anderen Ihrer Bemerkungen sind Sie uns entgegengekommen.
Ich bin dem Kollegen Lamers sehr dankbar dafür, dass
er klipp und klar gesagt hat: Natürlich haben wir das Recht
auf Kritik. - Wir sollten sie in einer Art und Weise üben,
dass wir in Amerika verstanden werden, und nicht so, dass
dort die Schotten herunterklappen. Die Art und Weise, wie
Sie in den letzten Wochen die Kritik vorgetragen haben, ist
leider nicht dazu angetan, die Amerikaner darin zu bestärken, mit uns den Dialog zu suchen, sondern sie führt im
Gegenteil dazu, dass sie sich stärker unilateralistisch verhalten. Deshalb war Ihre Kritik nach meinem Dafürhalten
kontraproduktiv, auch Ihren eigenen Zielen gegenüber.
({3})
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist nun endgültig der Kollege Manfred
Opel.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Die Fragen, die mit dem Irak
zusammenhängen, sind Strukturfragen der Politik. Es sind
Fragen, die uns zum Nachdenken veranlassen, welche
Kriterien wir in Bezug auf eine präventive Friedenspolitik aufstellen. Es sind Fragen, die mit aktiver Stabilitätspolitik zu tun haben. Die Fragen machen Antworten
darauf erforderlich, wie wir die Reduzierung aller Risiken
für den Weltfrieden organisieren wollen.
Eines muss klar sein - Herr Pflüger, Sie haben das
gerade am Rande noch angedeutet -: Militär schafft keinen Frieden. Militär hilft bei der Friedensschaffung, aber
Militär selbst schafft keinen Frieden. Sie fragen, warum
Saddam Hussein, der Diktator, wie er an diesem Pult beschrieben wurde, Einsicht walten und neutrale Inspektoren
der Vereinten Nationen ins Land lassen sollte. Wenn man
das anstrebt, bedeutet das nicht, dass man ihm mit der Zerstörung des Landes bei Gefahr für Leib und Leben unschuldiger Menschen droht. Es bedeutet, dass er keine politische
Zukunft hat. Wir müssen vorher alle politischen Möglichkeiten ausschöpfen. Herr Kollege Pflüger, deswegen ist es
falsch, wenn wir von vornherein mit dem stärksten Mittel,
das wir haben, nämlich dem Militär, drohen. Wir wissen uns
dabei übrigens mit den Vereinten Nationen und letztlich
auch mit den Vereinigten Staaten von Amerika einig.
Der Kollege Hoyer hat hier einige sehr interessante
Ausführungen gemacht. Herr Kollege, es wäre aber sicher
unerträglich, wenn wir erlauben würden, dass Saddam
Hussein die Qualität unserer Beziehungen zu Amerika, sei
es direkt oder indirekt, bestimmt. Genau deswegen müssen wir in der Diskussion, in die wir uns hineinbegeben,
sehr vorsichtig sein. Dabei ist es egal, wie die äußeren
Verhältnisse sind; als Stichwort nenne ich den Wahlkampf. Herr Gehrcke, daher glaube ich, dass jede Fraktion
des Deutschen Bundestages gut beraten ist, sich nicht
- vielleicht unwillentlich, faktisch dann aber doch - zum
Handlanger von Saddam Hussein zu machen.
({0})
Herr Kollege Pflüger, ich glaube, dass Sie in der Diskussion mit dem Außenminister gemerkt haben, dass Ihre
Kritik einseitig war. Sie haben ja erstaunlicherweise keine
Kritik an den Worten des Außenministers, sondern nur an
der Art, wie es vorgetragen wurde, geübt. Das ist hochinteressant. Die Menschen in unserem Lande müssen aber
bei den Grundfragen unserer Politik genau erkennen können und auch wissen, was unsere Regierung denkt und
was sie tut. Deshalb ist es gerade in den Grundfragen erforderlich, dass die Vertreter der Bundesregierung klar
sprechen. Die Geheimdiplomatie, die Sie einklagen, hat
hier eine deutliche Grenze.
({1})
Man darf nicht annehmen, dass die Amerikaner so
empfindlich wie zerbrechliche Porzellanpüppchen seien.
Das sind sie nicht.
({2})
Die Amerikaner wissen sehr wohl, dass ihre eigene Sicherheit völlig inhaltsleer ist, wenn sie hier in Europa kein starkes Standbein besitzen und es bewahren. Dass die Amerikaner in und mit Europa sind, liegt in ihrem ureigensten
Interesse. Deswegen ist es völlig falsch, anzunehmen, dass
die Amerikaner von Europa lassen würden. Richtig ist: Wir
brauchen die Amerikaner für unsere Sicherheit. Es stimmt
aber auch, dass die Amerikaner uns für ihre brauchen.
Verehrter Herr Kollege Gehrcke, ich wollte eigentlich
nicht darauf eingehen, dass Sie den Kollegen Robbe einen
kalten Krieger genannt haben. Damit haben Sie offenbart,
welchen Denkkategorien Sie noch verhaftet sind. Herr
Gehrcke, das gehört in die Zeit von vor Gorbatschow. Dagegen sollten Sie etwas tun.
({3})
Das ABC-Analysepotenzial, welches wir mit dem
Fuchs im Golf haben, dient nur der Prävention. Dass sie
üben, bedeutet überhaupt nichts anderes, als dass versucht
werden muss, einsatzbereit zu sein. Anders, als Sie es dargestellt haben, entspricht das den Entscheidungen des
Deutschen Bundestages.
({4})
- Herr Gehrcke, natürlich ist das so. Das können Sie nicht
abstreiten. Den Beschluss haben wir gefasst und Sie haben ihm widersprochen. Vielleicht ist Ihnen das entfallen.
Zusammenfassend muss man feststellen, dass die Bundesregierung in voller Übereinstimmung mit den Vereinten Nationen, der Europäischen Union und auch den USA
weiterhin darauf drängen wird, dass der Irak die Verpflichtungen, die ihm die Vereinten Nationen bzw. der
Weltsicherheitsrat auferlegt haben, erfüllt. Niemand kann
hinnehmen, dass ein Staat oder eine Gruppe von Staaten
den Weltfrieden gefährdet. Das gilt auch für den Irak.
Ich hätte mich gefreut, wenn die PDS hier klargestellt
hätte, dass auch sie in diesen Kategorien denkt. Ich halte
es für verfehlt, dass man den amerikanischen Präsidenten
in dieser Fragestellung unqualifiziert angreift. Der Präsident hat die Drohungen, die ihm von Ihnen unterstellt
werden, nie ausgesprochen.
Vielen Dank.
({5})
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 27. Februar 2002, 13 Uhr, ein.
Ich bedanke mich ausdrücklich bei all den Kolleginnen
und Kollegen, die bis zum Schluss in dieser Intensität und
Disziplin ausgeharrt haben, ebenso bei unseren Zuschauerinnen und Zuschauern auf der Besuchertribüne.
Ein gutes Wochenende für Sie alle!
Die Sitzung ist geschlossen.