Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/1/2002

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der CDU/CSU spricht der Kollege Cajus Julius Caesar. ({0})

Cajus Julius Caesar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir, die Union, werden diesen Gesetzentwurf auch unter Einbeziehung des Ergebnisses des Vermittlungsausschusses ablehnen. Es handelt sich um ein Vermittlungsausschussergebnis, das die SPD-geführten Länder gegen den Willen der unionsgeführten Länder herbeigeführt haben. Wir sehen als Folge des Gesetzentwurfs ein Mehr an Bürokratie. Wir wollen ein Miteinander mit den vor Ort lebenden Menschen. Das muss unser gemeinsames Ziel sein. ({0}) Wir erkennen an, dass es aufgrund unserer herben Kritik und aufgrund unserer konstruktiven Vorschläge zu einzelnen Verbesserungen gekommen ist. Ich erwähne in diesem Zusammenhang, dass das grundsätzliche Kahlschlagsverbot durch die Zielformulierung nunmehr ein Stückchen aufgeweicht wird. Dennoch muss man zur Kenntnis nehmen, dass die Waldbauern, gerade die 1,3 Millionen Waldbesitzer mit einem durchschnittlichen Besitz von nur 3,6 Hektar, beeinträchtigt werden. Wir erkennen an, dass die Dokumentationspflicht nunmehr an das Fachrecht gebunden ist. Das ist auch sinnvoll. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass die Dokumentationspflicht auch für kleine Einheiten gilt. Das bedeutet aber eine übertriebene Regelung mit mehr Kontrolle, mehr Bürokratie, mehr Verwaltungsaufwand. ({1}) Wir sehen es als sehr problematisch und nicht hinnehmbar an, dass in § 22 nach wie vor der Umgebungsschutz für an Schutzgebiete angrenzende bewirtschaftete Flächen formuliert ist. Das bedeutet eine ungenaue Definition. Das bedeutet auch Beeinträchtigungen für die dort Wirtschaftenden und auch Unklarheit für das Planungsrecht der Kommunen vor Ort. Das ist aus unserer Sicht nicht hinnehmbar. ({2}) Nicht hinnehmbar ist für uns auch, dass nach dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses erneut die Formulierung in das Gesetz aufgenommen wird, nach der die vor Ort Tätigen die Landschaftselemente nicht nur zu erhalten und zu pflegen, sondern auch zu vermehren haben. Wenn dies zur guten fachlichen Praxis gehört, dann bedeutet das, dass man dafür keine Förderungsmittel der EU beanspruchen kann. ({3}) Das kann man so nicht hinnehmen. Wir kritisieren auch, dass Sie bei der Tierhaltung über das Fachrecht hinausgehen. Sie wollen - das besagt die Protokollnotiz der Bundesregierung im Vermittlungsausschuss -, dass ein Ausgleich nur noch in engem betrieblichen Zusammenhang erfolgt. Das bedeutet: Sie treffen insbesondere die ganz kleinen Betriebe, die darauf angewiesen sind, neben den Einnahmen aus ihren kleinen Flächen auch Einnahmen aus der Tierhaltung zu erzielen. Das kann es doch nun wirklich nicht sein! Hier wird wieder etwas zulasten der ganz kleinen Betriebe formuliert. ({4}) Wir wollen grundsätzlich, dass die gute fachliche Praxis an das Fachrecht gebunden wird, damit es eindeutige Zuständigkeiten und keine Doppelzuständigkeiten gibt. Durch Ihre Formulierung kommt es dagegen zu einer Verschwendung von Ressourcen insbesondere finanzieller Art. Das ist nicht unser Anliegen. ({5}) Sie bleiben bürokratisch. Schauen Sie sich das einmal an! Bei der Umweltbeobachtung wollen Sie die Einwirkung und Wirkung von Umweltschutzmaßnahmen, den Zustand und die Veränderung ermitteln sowie Auswertung und Bewertung betreiben - das natürlich nicht zulasten der Finanzen des Bundes; die Lasten sollen mal wieder die Kommunen und die Länder tragen. ({6}) Auch das können wir nicht hinnehmen. ({7}) Auch mit der flächendeckenden Landschaftsplanung bleiben Sie bürokratisch. Jeder Quadratmeter soll von den Ländern und Kreisen mit Verboten, Geboten und Festsetzungen überzogen werden. ({8}) Auch diesbezüglich waren die Länder, weite Teile des Bundesrats und wir als Union völlig anderer Meinung. Das ist Bürokratie hoch drei, die wir nicht akzeptieren. ({9}) Michael Müller ({10}) Sie verschärfen die Zulässigkeitsvoraussetzungen und verändern die Abwägungsklausel. Auch das greift in das Planungsrecht der Kommunen ein und wird - entgegen Ihren Ausführungen an anderer Stelle - die Planung und vor allem die Umsetzung von Vorhaben deutlich erschweren. Auch das können wir nicht hinnehmen. ({11}) Sie nehmen eine Ausweitung der Schutzgebietsdefinitionen vor. Damit wird der Dschungel von Schutzgebietsdefinitionen noch mehr vergrößert und unnötiger Verwaltungsaufwand produziert. ({12}) Das ist nicht in unserem Sinne. Wir wollen nicht, dass noch mehr Planungs- und Zwangsinstrumente auf den Weg gebracht werden, wie Sie das mit diesem Gesetz betreiben. Wir wollen vielmehr, dass der praktische Naturschutz in den Vordergrund gestellt wird. Deshalb wäre es aus unserer Sicht ganz wichtig gewesen, die verpflichtenden Ausgleichsregelungen, die neben uns auch der Bundesrat in einem neuen § 5 a gefordert hatte, zusätzlich aufzunehmen. Das haben Sie nicht unterstützt. Dies ist sehr schade. Das ist gegen die Menschen gerichtet und kommt enteignungsgleichen Eingriffen gleich. ({13}) Wir wollen eine gesunde und lebenswerte Umwelt. Wir wollen Chancen für die wirtschaftliche Entwicklung der ländlichen Räume. Wir wollen das Miteinander von Ökologie, Ökonomie und sozialer Komponente. Herzlichen Dank. ({14})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile das Wort der Kollegin Sylvia Voß für Bündnis 90/Die Grünen.

Sylvia Voß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003252, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn es die Opposition offensichtlich nicht begreifen kann: ({0}) Es ist heute wirklich ein großer Tag für unser Land; denn Deutschland erhält endlich, nach 25 Jahren, und dank Rot-Grün ein modernes, neues Naturschutzgesetz. ({1}) Das ist gut für die Fauna und Flora unseres Landes. Das ist gut für unsere Landschaften und für all diejenigen, die von, mit und in den Landschaften leben. Das ist also gut für uns alle. Wir haben dabei sowohl an die Gegenwart als auch an die Zukunft gedacht. Ein entscheidendes Novum unseres Neuregelungsgesetzes ist die Ausgestaltung eines kooperativen Naturschutzes. ({2}) Naturschutz und landwirtschaftliche Nutzung werden in diesem Gesetz in ein neues Verhältnis zueinander gesetzt. Das haben Sie nie zustande gebracht. ({3}) - Warum schreien Sie denn so, wenn Sie meinen, dass Sie es schon gemacht haben? Die Einflüsse, die von der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft auf die Arten- und die Biotopvielfalt ausgehen, sind teilweise wirklich dramatisch. Da können Sie so viel schreien, wie Sie wollen. ({4}) Das ist Fakt und durch Studien belegt. Dieser Wahrheit mussten wir uns stellen, und zwar nach vielen Jahren, in denen Sie sie ignoriert hatten. Die Wahrheit ist eine harte Birne, egal ob man sie wirft oder fängt: Chemischer Pflanzenschutz, Düngung, Bodenbearbeitung, Melioration und Flurbereinigungen beeinträchtigen den Naturhaushalt. Es wäre wirklich verantwortungslos, darüber hinwegzusehen. ({5}) Wir suchen keinen Sündenbock. Wir bieten Lösungen - vielleicht haben Sie einmal den Begriff „Win-win-Strategie“ gehört - mit Vorteilen für alle Seiten, mit dem Ziel, auch für künftige Generationen die biologische Vielfalt und unser aller Lebensgrundlagen zu erhalten. ({6}) Das neue Naturschutzgesetz erweitert erstmals die von der Landwirtschaft entwickelten Regeln und Grundsätze der guten fachlichen Praxis um naturschutzfachliche Anforderungen. Das ist ungeheuer wichtig. ({7}) Es haben uns im Übrigen viele Landwirte versichert, dass sie diese Anforderungen schon erfüllen. ({8}) Deshalb möchte ich wissen, warum Sie andauernd dazwischenrufen. ({9}) Zudem sind die Anforderungen - auch durch die Überarbeitung des Vermittlungsausschusses - so gefasst, dass sie den regionalen Besonderheiten entsprechen und durch die Länder gut ausgestaltet werden können. Ich glaube, auch Sie können nicht bestreiten, dass das eine föderal sehr gut ausgewogene Lösung ist. ({10}) Die im Gesetz verankerten Kriterien berücksichtigen die direkten und die indirekten Einflüsse der Landwirtschaft auf den Bestand und die Veränderungen der Tierund Pflanzenwelt. Das Gesetz verlangt von der Landwirtschaft eine Bewirtschaftungsweise, die dem Standort angepasst ist und die die Bodenfruchtbarkeit sowie die Nutzbarkeit der Flächen langfristig sichert. Ich glaube, das sollten auch Sie wollen; denn davon profitiert nicht nur der Landwirt, weil er so generationsübergreifend die biologische Vielfalt erhält. Vielmehr profitieren wir alle von dieser Kulturlandschaft, die wir zum Leben brauchen. Was fordert das neue Recht noch? Vermeidbare Beeinträchtigungen von Biotopen sind zu unterlassen. Hat in diesem Haus wirklich jemand etwas dagegen, vermeidbare Eingriffe zu untersagen? Ich kann mir das nicht vorstellen. Aber Sie wollen das offensichtlich nicht akzeptieren. Von der Einführung einer Dokumentation über den Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln geht die landwirtschaftliche Welt nicht unter. Malen Sie doch nicht den Teufel an die Wand! Er sitzt schon auf vielen unserer Äcker. ({11}) Der Anstieg des Nitratgehalts im Grundwasser ist zum großen Teil durch eine nicht standortgerechte Produktion sowie durch eine unsachgemäße Düngung und konzentrierte Tierhaltung verursacht worden. ({12}) - Das ist überhaupt kein Quatsch. Mit diesem Zuruf zeigen Sie nur, dass Sie sich damit überhaupt nicht auskennen. ({13}) Deshalb macht es nämlich Sinn, dass festgelegt wurde, dass die Tierhaltung in einem ausgewogenen Verhältnis zum Pflanzenbau stehen muss. Für die Reinigung unseres Trinkwassers zahlen wir nämlich alle. Da Trinkwasser für uns lebensnotwendig ist, haben Antibiotika, Pestizide und andere gefährliche Stoffe nichts darin zu suchen. ({14}) Angesichts der großen Bedeutung von Landschaftselementen wie Hecken und Feldgehölzen - hören Sie gut zu - für die Vernetzung vorhandener Biotope verlangt der Gesetzgeber, dass diese erhalten bleiben und dass Wiederanpflanzungen dort, wo sie unbedingt erforderlich sind, vorzunehmen sind. Die Flurbereinigung, die Sie gefördert haben, hatte schreckliche Auswirkungen. ({15}) Wir brauchen eine stärkere Vernetzung und mehr Landschaftselemente wie Hecken. Die Länder können jetzt Programme zur Förderung von Wiederanpflanzungen auflegen. Dafür haben wir die gesetzlichen Grundlagen geschaffen. Lesen Sie das Gesetz einmal richtig! Ein ideologisch unbefangener, gerecht denkender Zeitgenosse wird diese Regelungen vernünftig finden. Sie sind ganz gewiss nicht, wie Herr Ruck meinte mitteilen zu müssen, Ausdruck eines rot-grünen Feldzugs gegen die Bauern. ({16}) Welche Realitätsferne, wenn Herr Ruck behauptet, die Verbandsklage verhindere Gewerbeansiedlungen und Verkehrsinfrastrukturprojekte! Das kann ja wohl nur passieren, wenn gerichtsfest festgestellt wird, dass Vorhaben gegen geltendes Recht verstoßen. Ich weiß nicht, was Sie gegen den Rechtsstaat haben. Zum Schluss möchte ich sagen: Es ist wirklich der große Tag für den Naturschutz, den wir uns gewünscht haben, ({17}) der mich mit Freude erfüllt, der auch Sie mit Freude erfüllen sollte und der uns noch einmal deutlich vor Augen führt, dass wir dieser Opposition ({18}) weder das Feld noch die Natur, weder unsere Tiere noch unsere Pflanzen überlassen dürfen; denn das wäre schlecht für den Rothalstaucher, für den Roten Steinbrech, für die Gemeine Gelbeule, für den dunkelschwarzen Alpensalamander und für das allseits beliebte Immergrün. ({19})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der FDP spricht die Kollegin Marita Sehn.

Marita Sehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002146, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung und, wie wir gerade hören konnten, auch die sie tragenden Fraktionen werden nicht müde, ihr Gesetz als einen Meilenstein für den Naturschutz zu loben. ({0}) Doch die Anhörung, bei der auch Sie waren, hat etwas anderes ergeben: Defizite im Naturschutz sind Vollzugsdefizite und keine Gesetzesdefizite. ({1}) Aber wie viel einfacher ist es doch, ein Gesetz zu stricken, als sich um eine entsprechende Umsetzung zu kümmern! ({2}) Sie machen Gesetze und die Länder sollen sehen, wie sie mit der Umsetzung fertig werden. ({3}) Selbst die SPD-regierten Länder teilen nicht - Sie hätten da vielleicht einmal hinhören sollen, Frau Mehl - Ihre Euphorie über die Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz. Wenn man ehrlich gewesen wäre, hätte man sie lieber abgelehnt. Hier wurde ein Gesetz über die Köpfe der Länder hinweg gemacht und dort soll es nun umgesetzt werden. Die Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz ist keine Sternstunde des Föderalismus, sie ist eher ein Zeichen der Selbstherrlichkeit dieser Bundesregierung, ({4}) die über alle Einwände der Betroffenen achselzuckend hinweggeht. Immer wenn Rot-Grün ein Problem angeht, stehen am Ende mehr Bürokratie, weniger Entscheidungsfreiheit für die Bürger und mehr Ordnungsrecht und Vorschriften. ({5}) Mit diesem Regulierungswahn betreiben Sie die schrittweise Entmündigung der Bürger. Ob Dosenpfand, ob Legehennenverordnung, ob Bundesnaturschutzgesetz, ({6}) bei dieser Bundesregierung, Frau Voß, kommt immer Verordnen vor Überzeugen. Das Bundesnaturschutzgesetz ist nichts als ein schlecht kaschierter Misstrauensantrag gegenüber unseren Landund Forstwirten. Frau Voß hat das hier eben wieder exemplarisch vorgeführt. ({7}) Für die FDP ist es unerträglich, wie Sie einen ganzen Berufsstand unter den Generalverdacht des umweltschädigenden Verhaltens stellen. ({8}) Misstrauen und versteckte Vorwürfe ziehen sich wie ein roter Faden durch die gesamte Naturschutznovelle. Sie misstrauen den Menschen. Deshalb geben Sie Dirigismus und Ordnungsrecht den Vorzug vor dem bewährten Vertragsnaturschutz. ({9}) Das ist ein zentraler Fehler in der Novelle, der leider auch im Vermittlungsausschuss nicht beseitigt werden konnte, Herr Müller. ({10}) - Dazu komme ich noch. Die Politik der Bundesregierung durchzieht wie ein Spaltpilz unsere Gesellschaft. Sie spalten, anstatt zusammenzuführen. ({11}) Sie versuchen, einen Keil in unsere Bauernschaft zu treiben, indem Sie diese in öko gleich gut und konventionell gleich böse einteilen. Sie, Herr Müller, provozieren StadtLand-Konflikte, indem Sie bewährten Kooperationsmodellen eine Absage erteilen. ({12}) - Nein! - Mit dem Vertragsnaturschutz hat die alte Bundesregierung - das waren wir - das umgesetzt, wovon Sie, die Grünen, heute immer nur reden. ({13}) Wir haben den Landwirten eine echte Einkommensperspektive durch den Naturschutz verschafft. So erreicht man Akzeptanz im Naturschutz und nicht durch Ihren Verordnungswahn. ({14}) - Ich darf doch wohl noch lachen. Ein weiterer gravierender Schwachpunkt bleibt die Aushöhlung der Eigentumsrechte. Leider haben wir nicht in allen Ländern - jetzt kommt Rheinland-Pfalz, Herr Müller; gut zuhören! - einen FDP-Agrarminister, der das Eigentum verteidigt und schützt. ({15}) In Rheinland-Pfalz ist das Gott sei Dank so. ({16}) Aber glaubt denn tatsächlich jemand hier im Parlament, dass rot-grün regierte Länder eine Ausgleichsregelung wie in Rheinland-Pfalz durchsetzen werden? ({17}) Nein, das wird leider nicht geschehen. ({18}) Das Gleiche gilt für die gute fachliche Praxis und das Biotopverbundsystem. Rheinland-Pfalz wird einen pragmatischen Weg finden, der Landwirte und Kommunen nicht vor unlösbare Probleme stellt. Alle diejenigen, Frau Müller, die zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen leben, werden neidvoll über die südliche Grenze nach Rheinland-Pfalz blicken. Da bin ich mir sicher. ({19}) Die FDP-Beteiligung in der Landesregierung wird zu einem echten Standortvorteil für die Landwirte werden. Während die Landwirte, der Gartenbau, die Wirtschaft immer wieder gleiche Wettbewerbsbedingungen in Europa einfordern, schafft die Bundesregierung nun auch noch mutwillig Wettbewerbsverzerrungen innerhalb Deutschlands. ({20}) Das zeigt, dass die Grünen geistig immer noch nicht in Europa angekommen sind. Herr Fischer träumt von den Vereinigten Staaten von Europa und sein Kollege Trittin und seine Kollegin Künast betreiben eine rückwärts gewandte Kleinstaaterei. ({21}) Die Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz bleibt trotz unserer Bemühungen im Bundesrat ein Anschlag auf die Entwicklungsfähigkeit des ländlichen Raums; das finde ich sehr traurig. ({22}) Wir bleiben deshalb auch weiterhin bei unserem kategorischen Nein zu dem trittinschen Gesetzentwurf. Wir wollen den Naturschutz; aber wir wollen, dass er zu einem Anliegen der gesamten Gesellschaft wird und nicht zu etwas, ({23}) das man per Gesetzesbeschluss einer Minderheit aufs Auge drückt. ({24}) Wir wollen einen modernen, einen kooperativen Naturschutz ({25}) und keinen veralteten, verordnenden Naturschutz, wie er der Bundesregierung vorschwebt. Wir wollen einen Naturschutz für und mit den Menschen und keinen gegen sie. ({26}) Deshalb wird die FDP-Bundestagsfraktion die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses ablehnen. Schönen Dank. ({27})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der PDS spricht die Kollegin Eva BullingSchröter.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir begrüßen - dies möchte ich hier eingangs klar sagen -, dass das Gesetzgebungsverfahren zur Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes endlich zum Abschluss gekommen ist. ({0}) Neben dem Artikelgesetz zur Umsetzung der IVU/UVPRichtlinie gehört sie sicherlich zu den umfangreichsten Vorhaben der Bundesregierung auf dem Gebiet der Umweltpolitik. Sie gehört auch zu den umstrittensten. Vor allem der konservative Teil der Landwirtschaftslobby lief unermüdlich Sturm gegen diese Novelle. ({1}) Kollege Cajus Caesar hat uns das ja wieder vorgeführt. Dennoch sind einige Fortschritte erzielt worden. Zu nennen wären die Einführung eines bundesweiten Biotopverbundes, für den erstmals Regelungen einschließlich solcher zur Mindestgröße der Gebiete aufgestellt wurden, die bundeseinheitlichen Regelungen zur Verbandsklage sowie die Regelungen zum Meeresschutz, zur flächendeckenden Landschaftsplanung und zur Umweltbeobachtung. Zudem gelten jetzt für die Land- und Forstwirtschaft mehr Naturschutzauflagen. Während bei den Beratungen im Bundestag zahlreiche Änderungen zum ursprünglichen Regierungsentwurf eingearbeitet wurden, die in der überwiegenden Mehrzahl positiv zu bewerten sind, wurde die Novelle im Bundesrat in einigen Punkten aufgeweicht. ({2}) Schmerzlich ist vor allem, dass die Möglichkeit der Beteiligung von Verbänden bis hin zur Klage, sofern Planfeststellungen durch Bebauungspläne ersetzt werden, im Vermittlungsergebnis herausgefallen ist. Hier ergibt sich ein Spielraum, um gerade in Ostdeutschland die unliebsame Bürgerbeteiligung durch die Wahl eines bequemeren Verfahrens auszuhebeln. ({3}) Für mich unverständlich ist zudem, dass es nun für die Fischereiwirtschaft überhaupt keine Vorschriften zur guten fachlichen Praxis geben soll. ({4}) - Ich erzähle dazu noch etwas. Unklar ist auch, ob durch die im Vermittlungsverfahren eingeführte Einschränkung der ursprünglich vorgesehenen schlagspezifischen Dokumentation über den Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln nicht lediglich der unbefriedigende Status quo festgeschrieben wird. Diese soll nun nach Maßgabe des landwirtschaftlichen Fachrechtes durchgeführt werden. Doch das gilt ja auch heute schon. In der Summe ist mit der Naturschutznovelle nicht wirklich der große Wurf gelungen. Das sehen - hinter den Kulissen - auch die Umweltverbände so. Ich denke, ihnen blieb nach 25 Jahren Stillstand und Blockade im Naturschutzrecht nichts anderes übrig, als die Novelle, die ja tatsächlich einiges verbessert, zu verteidigen. ({5}) Ähnlich geht es auch der PDS. Wir hatten, wie Sie sich sicher erinnern, einen weiter gehenden Gesetzentwurf eingebracht. Dieser hatte keine Chance. Wir haben aber weder auf Bundes- noch auf Landesebene den Koalitionsentwurf abgelehnt. Jetzt zu Ihrer Frage. Ich möchte einige Märchen entkräften. ({6}) Auch in Mecklenburg-Vorpommern haben sich die PDS und ihr Umweltminister dem Koalitionsentwurf nicht verweigert. Es war nicht die PDS, sonder die SPD. Sie können sich die Reden von Herrn Methling angucken. ({7}) - Liebe Kollegen, wenn Sie im Glashaus sitzen, sollten Sie nicht mit Steinen werfen. ({8}) Eine Partei, die den Atomkompromiss gut findet und sich für Auslandseinsätze der Bundeswehr einsetzt, braucht hier nicht den Mund aufzureißen. Wir sind im Wahlkampf. Das wissen wir auch. ({9}) Aber die, die im Glashaus sitzen, sollten nicht mit Steinen werfen. ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zusammengefasst meinen wir, dass die rot-grüne Naturschutznovelle einige Aspekte moderner Naturschutzpolitik aufgreift. Andere Forderungen aus Wissenschaft und Umweltpolitik, wie sie in unserem Gesetzentwurf zu finden sind, harren noch einer gesetzlichen Umsetzung. Bei der nächsten Novelle des Naturschutzgesetzes müssen neue Regelungen gefunden werden, um den Flächenverbrauch zu begrenzen. Ich denke, das ist eine ganz wichtige Sache. Im Zeichen der Nachhaltigkeit muss hier wesentlich weiter diskutiert werden und es müssen Tatsachen geschaffen werden. Auch der weiterhin unbefriedigende Baurechtskompromiss, welcher nach wie vor Naturschutzbelange hintanstellt - Sie kennen die Problematik: „Benehmen“ in „Einvernehmen“? -, sollte geändert werden. Ich wünsche mir, dass unsere Vorschläge zum Individualklagerecht bei Umweltbelangen nach amerikanischem Vorbild und auch die von den Verbänden lange geforderte Positivliste für den Wildtierhandel diskutiert werden und einfließen. Ich komme zum Schluss. Vonseiten der CDU/CSU und der FDP wurde hier die Frage der Tierhaltung diskutiert. Ich meine, wir müssen für eine vernünftige Tierhaltung sorgen. Ich habe kein Verständnis zum Beispiel für die FDP, die zwar fordert, den Tierschutz ins Grundgesetz aufzunehmen, sich aber aufregt, wenn endlich eine vernünftige Legehennenverordnung eingeführt wird. Viele Tierschutzverbände fordern das seit langem. Auch in den Ställen hat sich etwas verändert. Danke. ({11})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 14/8095? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Fraktionen von CDU/CSU - ({0}) - Sie sollten abwarten. - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei hälftiger Zustimmung und hälftiger Enthaltung der PDS angenommen. ({1}) Sie sind so ungeduldig heute Morgen. ({2}) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({3}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Schröter, Eckhardt Barthel ({4}), HansEva Bulling-Schröter Werner Bertl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Grietje Bettin, Rita Grießhaber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Reform der deutschen Filmförderung - zu dem Antrag der Abgeordneten Bernd Neumann ({5}), Dr. Norbert Lammert, Renate Blank, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Verbesserung der Rahmenbedingungen für den deutschen Film - Drucksachen 14/7178, 14/3375, 14/7705 Berichterstattung: Abgeordnete Gisela Schröter Bernd Neumann ({6}) Hans-Joachim Otto ({7}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe als erster Rednerin der Kollegin Gisela Schröter für die Fraktion der SPD das Wort.

Gisela Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002086, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir diese Debatte zur Filmförderung heute führen können. Ich finde es gut, dass sie nicht in den Wahlkampf gezogen wird. So können wir unsere gute Zusammenarbeit zwischen allen Fraktionen fortsetzen, um schließlich ans Ziel zu kommen, der Novellierung des Filmförderungsgesetzes. ({0}) Das Filmförderungsgesetz ist, wie Sie wissen, bis zum 31. Dezember 2003 befristet und steht für uns daher im nächsten Jahr auf der Agenda. Unsere heutige Debatte begreife ich als einen wichtigen Schritt zur Reform des Filmförderungsgesetzes. ({1}) Nicht nur das auslaufende Gesetz zur Filmförderung gibt Anlass zum Handeln; es ist - ich denke, da verrate ich kein Geheimnis - die Lage des deutschen Films selber, die Handeln erfordert. Dazu zählt auch gesetzgeberisches Handeln. Es ist nicht damit getan, das geltende Gesetz fortzuschreiben, es muss in wichtigen Punkten grundlegend umgestaltet werden. ({2}) - Das stimmt, darüber sind wir uns einig. Darüber herrscht, wie wir wissen, weitgehend Konsens, Herr Kollege Otto. ({3}) Wir dürfen uns nicht durch die guten Zahlen täuschen lassen, die der deutsche Film derzeit vorzuweisen hat. ({4}) Der derzeit relativ hohe Marktanteil konnte - ich denke, auch darüber sind wir uns einig, Herr Kollege Otto - im Wesentlichen durch zwei sehr erfolgreiche Filme erreicht werden, und zwar zum einen durch den Film „Der Schuh des Manitu“ und zum anderen durch die deutsch-französische Koproduktion „Die fabelhafte Welt der Amélie“. Ich freue mich, dass es im vergangenen Jahr neun Produktionen gab, die über 1 Million Besucher aufweisen konnten, und freue mich ganz besonders darüber, dass darunter vier Kinderfilme waren. Ich denke, das ist sehr gut. ({5}) Die langjährige Erfahrung hat uns aber gezeigt, wie schnell das Pendel wieder in die andere Richtung ausschlagen und der Marktanteil zusammenschrumpfen kann. Warum sollen wir uns eigentlich mit einem Marktanteil von ungefähr 20 Prozent zufrieden geben, während fast der gesamte Rest von US-amerikanischen Produktionen bestritten wird? ({6}) - Im Moment liegen wir mit 19,7 Prozent bei einem Anteil von ungefähr 20 Prozent. Ich habe schon darauf hingewiesen, welchen Filmen das in erster Linie zu verdanken war. Ich möchte mich damit nicht zufrieden geben. Mit rund 175 Millionen Kinobesuchen im Jahr 2001 haben wir bei der Zahl der Kinobesuche eine Steigerung von 15 Prozent zu verzeichnen. Ich nenne diese Zahl, um auf die Massenwirksamkeit und die herausragende Bedeutung, die das Medium Film hat, hinzuweisen. Man sollte sich diese hohe Zahl von Besuchern in deutschen Kinos einmal vor Augen führen. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Ausland sieht es für den deutschen Film dagegen nicht rosig aus. Ganz anders verhält sich das übrigens mit den deutschen Fernsehproduktionen; diese stehen hier heute aber nicht zur Debatte. Es gibt kaum ein Filmfestival im Ausland, auf dem deutsche Beiträge gezeigt werden. Da muss etwas passieren. Ich glaube, wir alle denken etwas wehmütig an die 70er-Jahre zurück. Das waren damals die goldenen Jahre des deutschen Films nach 1945. Als Mitglied der Vergabekommission der Filmförderungsanstalt sind in den letzten Jahren eine ganze Menge Drehbücher durch meine Hände gegangen. Es war, so muss ich Ihnen sagen, nicht immer ein Vergnügen; durch so manches musste ich mich bis zum Schluss durchkämpfen. Auf den Punkt gebracht heißt das: Bereits in dieser ersten kreativen Phase des Filmemachens beginnt schon das Problem. Natürlich lässt sich Kreativität nicht verordnen, aber wir müssen die Rahmenbedingungen für Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters künstlerische Kreativität verbessern. Ich denke, darin sind wir uns einig. ({8}) Wir können zum Beispiel konkrete Maßnahmen für die Förderung des Autorennachwuchses ergreifen. Ein Fazit: Die Lage des deutschen Films, ob im Inoder Ausland, gibt allen Anlass, das gesamte Fördersystem und die Rahmenbedingungen für das Filmschaffen auf den Prüfstand zu stellen. ({9}) Die Debatte ist nicht neu. Sie hat einen sehr langen Vorlauf. Ich möchte darauf noch einmal kurz hinweisen: Angefangen hat es mit den Initiativen des damaligen Staatsministers Michael Naumann und es ging über die beiden Anträge der Union und der Koalitionsfraktionen, über intensive Beratungen im Ausschuss bis hin zu der einstimmig im Ausschuss angenommenen gemeinsamen Entschließung, die heute auch als Beschlussempfehlung Grundlage unserer Debatte ist. Dieser Vorlauf war wichtig und notwendig, auch wenn er einigen zu lange gedauert hat. Wir dürfen nicht den Blick dafür verlieren, wie gegensätzlich die Interessen der Filmbranche gelagert sind. Wir wissen auch, dass die Regelungsmöglichkeiten des Bundes auf diesem Feld relativ eingeschränkt sind. Wirkliche Bewegung in die festgefahrenen Positionen kam - ich denke, das steht außer Frage, auch wenn es am Anfang ein wenig gehakt hat - mit dem Bündnis für den Film, wo alle Beteiligten erstmalig an einen Tisch zusammen gekommen sind. ({10}) Ich denke, das war die Voraussetzung dafür, dass wir heute hier über konkrete Reformvorschläge diskutieren können. Diese Vorschläge für eine Reform der Filmförderung hat Staatsminister Nida-Rümelin in seinem filmpolitischen Konzept im November des vergangenen Jahres vorgelegt. Es sind also ganz konkrete Vorlagen, über die wir hier diskutieren sollen und wollen. ({11}) Für mich ist es ganz besonders wichtig - das möchte ich auch noch einmal sagen -, dass diese Reformvorschläge über die im neuen FFG zu regelnde Materie hinausgehen. Es wird nicht nur anhand des FFG diskutiert, sondern wir gehen weiter. Wir lassen uns davon nicht einschränken. Das ist die besondere Stärke des Konzepts. Es nimmt das deutsche Filmförderungsgesetz in seiner Gänze, also auch unter Einschluss der Länderförderung - das ist ganz besonders wichtig - und der europäischen und internationalen Rahmenbedingungen, in den Blick. Ich halte dieses Konzept für mutig und so auch für gelungen. ({12}) Es werden durchaus strittige Ideen in die Diskussion eingebracht. Hierbei denke ich beispielsweise an den Vorschlag - diesen möchte ich schon einmal nennen - eines Investitionsbeitrages des Fernsehens. Ich halte dieses Konzept auch mit Blick auf die Umorientierung des Förderverständnisses für gelungen. Mit diesem Konzept wird der Film zum ersten Mal wirklich als Kulturgut betrachtet. Darauf liegt der Schwerpunkt dieser Debatte. ({13}) Das umfasst - lassen Sie mich das auch noch nennen erstens den massenwirksamen, kommerziell erfolgreichen, aber zugleich auch qualitativ guten Film und zweitens den primär künstlerisch anspruchsvollen Film, der nicht auf das Massenpublikum zielt, aber für Vielfalt in den Kinos sorgt. ({14}) Ich denke, es ist wichtig, das Nebeneinander dieser beiden Filmarten zu fördern. So verstanden, ist die Förderung über jeden Verdacht einer Subventionspolitik erhaben und hat damit - das ist auch ganz wichtig - nicht zuletzt von einer Beihilfekontrolle durch die EU nichts zu befürchten. Auch darauf muss ich hinweisen. Wichtig finde ich auch die Grundforderung des Konzepts, die Produktionsbudgets deutlich zu erhöhen. Wir können angesichts des Abschneidens im internationalen Vergleich nicht die Augen davor verschließen, dass hier etwas getan werden muss. ({15}) - Es gibt vieles - dies, Kollege Lammert, zu Ihrer Frage -, worüber wir noch diskutieren müssen und wollen. ({16}) Ich denke, dass all diejenigen, die heute dazu reden werden, auch dazu bereit sind. Wir haben keine Schere im Kopf, die uns hindert, alle Eventualitäten hier zu diskutieren. Wir wissen, dass es viele Knackpunkte gibt. All diese müssen wir offen diskutieren. Ich denke zum Beispiel an ein deutlich stärkeres Engagement des deutschen Fernsehens; das ist angesprochen worden. Ich denke auch an den noch geltenden Medienerlass. Es geht darüber hinaus darum, die Referenzfilmförderung gegenüber der Projektfilmförderung zu stärken, und es geht - auch das ist genannt worden - um eine stärkere Außenvertretung des deutschen Films. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, das ist eine breite Palette; wir haben viel zu tun. Gestatten Sie mir, das zum Schluss zu sagen: In der nächsten Woche findet hier die Berlinale statt und demnächst werden wieder die Oscars verliehen. Es wäre doch toll, wenn dort endlich wieder einmal deutsche Filme prämiert würden. In diesem Sinne wünsche ich uns allen viel Erfolg bei der Arbeit. Herzlichen Dank. ({17})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der CDU/CSU spricht der Kollege Bernd Neumann.

Bernd Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001593, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren hier heute zum zweiten Mal in dieser Legislaturperiode über die Rahmenbedingungen des deutschen Films und über seine Perspektiven. ({0}) Ich meine, das ist angemessen; denn der deutsche Film ist ein wichtiges Wirtschafts- und Kulturgut. Wenn wir heute über den Film diskutieren, meinen wir den Kinofilm - nicht den Fernsehfilm - als besonderes Kulturgut mit seinen Anforderungen an Ästhetik, Kameraführung und Darstellung und mit seinen Chancen. Vom Zeitpunkt her ist die heutige Debatte höchst aktuell; denn sie findet unmittelbar vor der Eröffnung der Berlinale statt, bei der sich auch deutsche Filme dem internationalen Wettbewerb stellen. Der deutsche Film wird nach den Worten des neuen Berlinale-Chefs, Dieter Kosslick, einen starken Auftritt bei den internationalen Festspielen in Berlin haben. Im diesjährigen Wettbewerb konkurrieren insgesamt vier deutsche Filme mit weiteren 44 aus aller Welt um den Goldenen Bären. Darüber hinaus werden in der Reihe „Perspektive deutsches Kino“ zehn Filme von Nachwuchstalenten gezeigt. Meine Damen und Herren, diese Entwicklung ist zu begrüßen; denn wie soll der deutsche Film international erfolgreicher werden, wenn wir das bedeutendste Festival im eigenen Land nicht dazu nutzen, herausragende deutsche Filme anzubieten, und stattdessen, wie in der Vergangenheit, möglichst viele US-Produktionen in den Wettbewerb holen? ({1}) Dem neuen Berlinale-Chef, Dieter Kosslick, sei dafür herzlich gedankt. ({2}) Der deutsche Film hat einen bescheidenen Marktanteil in den deutschen Kinos; Frau Schröter hat darauf hingewiesen. Dieser lag in den letzten Jahren zwischen 10 und 18 Prozent. ({3}) Das Jahr 2001 war für den deutschen Film - man muss es immer relativ sehen - allerdings das erfolgreichste seit langer Zeit. Der Marktanteil lag bei fast 20 Prozent. Der Film „Der Schuh des Manitu“ ist mit über 11 Millionen Besuchern der erfolgreichste deutsche Film überhaupt. ({4}) 2001 gab es acht deutsche Filme, die in unseren Kinos mehr als 1 Million Besucher erreichten. Auch das ist bemerkenswert. Natürlich ist dies kein Grund zur Euphorie; denn die Zahlen sind nicht stabil. Sie hängen von wenigen besonders erfolgreichen Filmen ab. Dies kann sich schnell wieder ändern. Dennoch sollte man sich darüber freuen. Meine Damen und Herren, natürlich sind die Rahmenbedingungen für den deutschen Film, einschließlich der Fördermechanismen, dringend verbesserungsbedürftig. Dabei muss trotz allem die Zielsetzung realistisch bleiben. Die Zielsetzung heißt - Frau Kollegin Schröter, Sie haben hier euphorisch eine Zahl genannt -: Es gilt, den im letzten Jahr erreichten Anteil deutscher Filme in unseren Kinos, also etwa 20 Prozent, möglichst zu halten, zu stabilisieren und vielleicht sogar ein wenig auszubauen. Alle anderen Zielsetzungen sind aus heutiger Sicht unrealistisch. Auf den internationalen Märkten und auch in Deutschland werden wir in der Quantität mit Hollywood sobald nicht konkurrieren können. Die Dominanz des amerikanischen Films hat primär filmunspezifische Ursachen, die mit dem riesigen Markt für englischsprachige Filme und entsprechend höherem Kapital zusammenhängen. Wenn in Deutschland durchschnittlich nur 4 Millionen Euro für einen Film zur Verfügung stehen, in Amerika dagegen 50 Millionen Dollar, wird der ungleiche Wettbewerb deutlich. Auch der Verweis auf den Erfolg des französischen Films in Frankreich - der Marktanteil liegt dort gegenwärtig bei 41 Prozent - ist wenig tauglich. Ursache dieses Erfolges sind neben einer in der Tat traditionell besseren kulturellen Akzeptanz des Films im Vergleich zu Deutschland ein ausgeprägter staatlicher Dirigismus und Zentralismus, verbunden mit Quoten und einer Kinoabgabe von 11 Prozent; bei uns liegt diese bei 2 Prozent. Das wollen wir in Deutschland so nicht. ({5}) Wir haben gute deutsche Filme, hoch begabte Regisseure, Drehbuchautoren, Schauspieler und Kameraleute, die von der Qualität, also von kulturellen und filmischen Ansprüchen her, im Vergleich mit Frankreich und Italien, aber auch den USA voll mithalten können. ({6}) Deshalb halte ich es für ungerecht und falsch, den deutschen Film als solchen schlecht zu reden. ({7}) Die primäre Verantwortung für den Film liegt bei der Filmwirtschaft und den Filmschaffenden selbst. Die Politik kann nur möglichst vernünftige Rahmenbedingungen für den Film schaffen. Hier allerdings ist einiges zu tun. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte deshalb bereits am 16. Mai 2000 einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht, der für die erste filmpolitische Debatte in diesem Hause im September 2000 und für die heutige ursächlich ist. Dass dieser Antrag, in dem es um die Vorlage eines Konzeptes der Bundesregierung zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für den deutschen Film geht, erst heute, also nach fast zwei Jahren, abschließend behandelt werden kann, liegt ausschließlich an der Verzögerungshaltung der rot-grünen Regierungskoalition, die damit den Ministerwechsel im Bereich Kultur und Medien einschließlich seiner Einarbeitungsphase überbrücken wollte. Besonders kurios wurde es, als SPD und Grüne im Oktober 2001, also anderthalb Jahre nach der Einbringung unseres Antrages, einen fast inhaltsgleichen Antrag in den Bundestag einbrachten und dafür im Ausschuss für Kultur und Medien unseren Antrag ablehnen wollten. ({8}) Letztlich setzte sich auch bei Ihnen die Vernunft durch, ({9}) sodass wir heute einen gemeinsamen Beschlussvorschlag unterbreiten. Ich darf dennoch feststellen, dass Sie mit dieser Verzögerung dem Anliegen des deutschen Films einen schlechten Dienst erwiesen haben. ({10}) Mit der Vorlage des filmpolitischen Konzeptes des BKM im November letzten Jahres wurde die Intention unseres Antrages, wenn auch leider sehr spät, erfüllt. Das Konzept ist, Herr Nida-Rümelin, eine solide Diskussionsgrundlage. Es enthält interessante Anregungen, ({11}) aber in den meisten Punkten keine endgültigen Festlegungen, sodass, wenn wir der Filmwirtschaft endlich helfen wollen, alsbald konkrete Beschlüsse dazu folgen müssen. Ich möchte zu vier Schwerpunkten dieses Papiers Stellung nehmen. Erstens. Die öffentliche Förderung deutscher Filme ist unverzichtbar. Ohne diese wäre die Mehrzahl nicht darstellbar. ({12}) Dies ist politisch vertretbar; denn der Kinofilm ist ein wichtiges öffentliches Kulturgut. Bernd Eichinger hat Recht, wenn er fordert, dass der Film im Verhältnis zu Theater und Oper als gleichrangige Kunstform anzusehen ist. ({13}) Die Vielfalt in diesem Bereich lässt sich über den Markt, Herr Otto, allein nicht erreichen. ({14}) Von den etwa 185 Millionen Euro, die für die Filmförderung in Deutschland jährlich zur Verfügung stehen, werden über die FFA circa 60 Millionen Euro von der Filmwirtschaft selbst aufgebracht. Nur circa 15 Millionen Euro kommen aus dem Bundeshaushalt, die größere Summe also von den Ländern. Forderungen nach Zentralismus und der Kompetenz des Bundes sind daher deplatziert, es sei denn, der Bund wolle sein finanzielles Engagement deutlich erhöhen. Das sieht aber nicht so aus. Deshalb kann nur Kooperation zwischen Bund und Ländern infrage kommen. Sie aber ist nötig und muss weiter verbessert werden, um der nationalen Bedeutung des Films verstärkt Rechnung zu tragen und auch große deutsche Filme zu ermöglichen. Das Ziel des Filmkonzepts, die Referenzförderung zu stärken, um erfolgreiche Filme und damit deren Wirtschaftlichkeit zu honorieren sowie Kapital für neue Filme bereitzustellen, ist zu begrüßen. Es ist auch richtig, das dies nicht zulasten der Projektförderung gehen darf. ({15}) - Doch. Zweitens. Unverzichtbar für Kreativität und Innovation sind unabhängige Produzenten. Dazu gehört deren Verfügungsmöglichkeit über eigene Filmrechte. Deshalb unterstützen wir die vorgesehene Reduzierung der Rechterückfallfristen von sieben auf fünf Jahre und gegebenenfalls darüber hinaus. Die Einführung eines Investitionsbeitrages zugunsten von Kinofilmen unabhängiger Produzenten, den Fernsehveranstalter und gegebenenfalls auch andere Filmanbieter zu zahlen haben, halte ich für problematisch. Diese müssten dann einen bestimmten Anteil ihres Programmbudgets in Werke unabhängiger Produzenten investieren. Vergleichbare Bestimmungen im EU-Bereich - ich denke hierbei an die Fernsehrichtlinie haben nichts bewirkt, weil durch die Möglichkeit vielfältiger Interpretation Umgehungen nicht zu verhindern sind. Solche Regelungen führen eher zum bürokratischen Streit, nicht aber zur Stärkung von Produzenten. ({16}) Drittens. Die Absicht, im Rahmen der anstehenden Novellierung des FFG eine deutliche Erhöhung der bisher freiwilligen Abgabe der öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsender für die Filmförderung zu erreichen, wird von der CDU/CSU-Fraktion voll unterstützt. Die bisher geleistete Summe von nur 22 Millionen DM jährlich steht in keinem Verhältnis zu dem Nutzen, den die Fernsehanstalten durch die jährliche Ausstrahlung von vielen tausend Kinofilmen haben. ({17}) Insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat aufgrund seiner Gebühreneinnahmen in Höhe von mehr als 6 Milliarden Euro eine besondere Verpflichtung für den deutschen Film. ({18}) Bernd Neumann ({19}) Viertens. Die im Konzept der Bundesregierung geäußerte Absicht, die Kino- und Videoabgabe um einige Prozentpunkte zu erhöhen, halten wir für falsch. Angesichts des Kinosterbens sollten zurzeit keine weiteren Belastungen auf die Kinos zukommen. ({20}) Zurzeit zahlen die Filmtheaterbesitzer jährlich circa 18 Millionen Euro Abgaben. Eine Erhöhung um nur 1 Prozent des Jahresumsatzes ergäbe eine Summe von circa 9 Millionen Euro. Dies ist insbesondere den mittelständischen Unternehmern im Augenblick nicht zuzumuten. ({21}) Meine Damen und Herren, bei den Tagungen des „Bündnisses für den Film“ wie auch in dem filmpolitischen Konzept der Bundesregierung wurden bzw. werden überwiegend Themen behandelt, für die der Bund keine direkte Zuständigkeitskompetenz hat. Umso wichtiger wäre es und umso glaubwürdiger wäre die Bundesregierung in ihren allgemeinen Bekenntnissen für den deutschen Film, wenn sie wenigstens dort zur Verbesserung der Rahmenbedingungen beitrüge, wo sie die direkte Verantwortung hat. Hier allerdings sind die Ergebnisse bescheiden, um das vorsichtig auszudrücken. Lassen Sie mich vier Punkte nennen. Erstens. Die von der Bundesregierung initiierten Gesetzesänderungen zum Urhebervertragsrecht haben entgegen den Wünschen und Zusagen in allen Treffen des „Bündnisses für den Film“ die Rechtsposition der Produzenten und damit ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht gestärkt, Herr Nida-Rümelin, sondern durch eine Reihe unklarer Formulierungen sogar noch geschwächt - eine Ohrfeige für die Filmwirtschaft. ({22}) Zweitens. Der Medienerlass des Finanzministers zur steuerlichen Behandlung von Filmfonds hat fatale Folgen für die internationale Zusammenarbeit. ({23}) Grenzüberschreitende Koproduktionen werden erschwert bzw. unmöglich und konterkarieren damit die Bemühungen, deutsche Filme im Ausland wettbewerbsfähig zu machen. ({24}) Staatsminister Nida-Rümelin kennt das Problem. Seit fast einem Jahr warten die Betroffenen auf eine Lösung. ({25}) Drittens. In Ihrem gestrigen Interview mit der „FAZ“ beklagen Sie, Herr Staatsminister, dass Medienfonds, die mit deutschem Geld gespeist werden, ein Fünftel bis ein Viertel des Hollywoodfilms finanzieren und damit Milliardenbeträge ins Ausland fließen. Tatsächlich haben allein im Jahr 2001 vorwiegend private deutsche Investoren rund 3,5 Milliarden Euro in solche Medienfonds investiert. Dieses Geld fließt ganz überwiegend in Auftragsproduktionen US-amerikanischer Studios und steht somit deutschen und europäischen Produzenten nicht mehr zur Verfügung. Herr Staatsminister, Sie beklagen in dem Interview mit Recht, dass wir in Deutschland die Einzigen sind, die dadurch entstehende Steuerausfälle - man schätzt sie auf circa 1,2 Milliarden Euro - großzügig zulassen. Meine Damen und Herren, dieses Problem ist doch seit 1999 bekannt, nachdem die rot-grüne Bundesregierung den unseligen § 2 b in das Einkommensteuergesetz eingeführt hat. Warum ändern Sie denn nichts, wenn Ihnen die deutsche Filmwirtschaft am Herzen liegt? Wir würden dies uneingeschränkt unterstützen. ({26}) Viertens. Die Außenvertretung des deutschen Films ist natürlich verbesserungsfähig. Der Deutsche Bundestag hatte die Bundesregierung bereits 1998 - Kollege Börnsen, Sie waren dafür federführend ({27}) aufgefordert, Vorschläge zu machen. Seit 1999 wird dieses Thema immer wieder in allen Bündnisveranstaltungen für den Film diskutiert. Ankündigungen, diverse Gutachten und häufige Kritik aus Ihrem Hause, Herr NidaRümelin, haben zwar für Verunsicherung der Mitarbeiter der Export-Union gesorgt; aber bis heute gibt es kein konzeptionelles Ergebnis. Das ist unverantwortlich. Eines steht fest: Wenn Sie die Verstärkung der Arbeit der Export-Union im Ausland fordern, müssen Sie selbst deutlich mehr Mittel zur Verfügung stellen, anstatt sie einzufrieren. Alles andere wäre unglaubwürdig. ({28}) Meine Damen und Herren, obwohl es viele Gemeinsamkeiten in diesem Hause beim Thema Film gibt, stelle ich doch fest, dass Ansprüche und Wirklichkeit bei dieser Bundesregierung auch im Bereich der Filmpolitik weit auseinander klaffen. Allerdings ist nicht zu bestreiten, dass sich der neue Staatsminister für Kultur und Medien um den Filmbereich redlich bemüht. Wie heißt es so schön in Goethes „Faust“? „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen!“ Das tun wir gern, meine Damen und Herren, ({29}) und zwar durch einen Wahlsieg der CDU/CSU am 22. September. ({30})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat die Kollegin Dr. Antje Vollmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bernd Neumann ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Formen der Erlösung, auf die man leicht verzichten kann. ({0}) Wir alle freuen uns auf die Berlinale. Wir freuen uns darauf, dass es vier deutsche Filme gibt. Besonders wichtig ist, dass es einen deutschen Eröffnungsfilm von Tom Tykwer gibt. Wir gratulieren dem neuen Chef der Berlinale, Herrn Kosslick, zu diesem Programm und wünschen ihm auch für die Zukunft eine glückliche Hand. ({1}) Wir wollen dabei nicht vergessen, dass es eine echte Neuerung gibt, die das gute Verhältnis des Parlaments zur Berlinale zeigt: Die Feier wird in der Halle des Paul-LöbeHauses stattfinden. Das ist sicherlich auch ästhetisch ein Fortschritt gegenüber den Feiern der letzten Jahre. Film ist ein außergewöhnliches und auch sehr suggestives Medium, das nahezu alles kann: an Imagination, gelegentlich aber auch - darum ist Film auch kein harmloses Medium - an Wirklichkeitsgestaltung und -veränderung. Film ist Kunst, Film ist aber auch Kommerz. Deswegen birgt er in sich die denkbar breiteste Spannung, was auch für Politiker, die dieses Medium fördern wollen, nicht ohne Folgen ist. Wir brauchen keine Vorbildung, um Filmgeschichten zu verstehen, ({2}) und doch wäre eine gründliche Ausbildung erforderlich, um die subtile Sprache dieses Mediums auch in seiner ganzen Tiefe zu erfassen oder sie gar selbst zu sprechen. Film ist die Kunst, die die anderen Künste in sich vereint. Film ist Kultur und gleichzeitig ein ganzer Wirtschaftszweig, bei dem wir uns, Herr Otto, nicht mit 18 Prozent zufrieden geben wollen. ({3}) Sieht man sich diese vielen Facetten an, so ist der Film doch geradezu prädestiniert, populär und wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Warum stagnierte aber der deutsche Film in den letzten Jahren, sieht man von diesem Jahr ab? Warum sind seine Marktanteile selbst im eigenen Land über Jahre so gering gewesen, dass wir uns schon mit den 20 Prozent zufrieden geben, von denen Sie, Herr Neumann, gesprochen haben? Warum wandern immer noch die deutschen Filmemacher und Stars ins Ausland ab? Was ist mit dem deutschen Kino los und wie sieht seine Zukunft aus? In den vorliegenden Anträgen - und zwar auch in dem der Opposition, das will ich ausdrücklich anerkennen werden genau diese Fragen aufgeworfen. Der Staatsminister für Kultur und Medien hat eine sehr gründliche Antwort darauf formuliert. Ich kann nichts Unanständiges darin sehen, Herr Neumann, dass ein Ministerwechsel dazu genutzt wird, ihn mit der gründlichen Ausarbeitung eines Konzepts zu überbrücken. Ich meine, dafür müssten Sie uns loben und nicht etwa kritisieren. ({4}) Julian Nida-Rümelin ist der Aufforderung dieses Hauses und vieler anderer Stellen nachgekommen und hat ein Konzept erstellt. Wenn ich es richtig sehe, wird es den nächsten großen Schwerpunkt der Arbeit des Kulturausschusses bilden, und zwar nicht nur in diesem Jahr, sondern auch darüber hinaus. Wir haben keine andere Alternative, als uns intensiv darum zu kümmern. Das vorliegende Konzept ist kenntnisreich, umfassend und detailliert. Es ist ein Programm zur Förderung des deutschen Films und zu seiner Neuverortung. ({5}) Wir halten die wesentlichen Aussagen für richtig und unterstützen sie. Ich möchte zwei Punkte herausgreifen. Zunächst geht es um die Akzeptanz des Films in der Bundesrepublik. ({6}) Welche Stellung der Film bei uns einnimmt, möchte ich anhand von vier Gesichtspunkten deutlich machen. Erstens: staatliche Zuwendungen. Natürlich sind es die materiellen Zuwendungen, die am leichtesten zu messen sind. Ein Blick auf unseren Nachbarn, das viel gepriesene Filmparadies Frankreich, zeigt, dass das Kino dort einen anderen gesellschaftlichen und auch wirtschaftlichen Stellenwert hat als hierzulande. Es ist angesehen, beliebt und wird von staatlicher Seite auf vielen Ebenen gefördert. Frankreich schützt seine Filmemacher durch Quotierung und durch Kinoabgaben. Beides ist bei uns nicht sehr populär. ({7}) Das ist mir bekannt. Aber ich meine insbesondere in Bezug auf die Kinoabgabe, dass zwischen unserer Filmabgabe und der in Frankreich noch sehr viel Platz ist. Da könnten wir noch zulegen. ({8}) Ganz abgesehen davon meine ich, dass wir nicht nur vom deutschen Film sprechen dürfen, ({9}) sondern wenn wir vor der übergroßen Konkurrenz aus Hollywood bestehen wollen, müssen wir gedanklich vom europäischen Film ausgehen; also müssen sich die Fördersysteme in Europa aufeinander zubewegen. ({10}) Zweitens will ich nie vergessen, dass der deutsche Film einmal sehr bedeutend gewesen ist. Er war sogar der weltweit bedeutendste und innovativste ({11}) in einer völlig anderen Zeit. Wir dürfen nie vergessen, was der Nationalsozialismus auch im Bereich von Kunst und Kultur an Zerstörung von Strukturen, Mythen und Existenzen von Künstlern und Regisseuren bedeutet hat, und dass man 100 Jahre braucht, um wieder daran heranreichen zu können. ({12}) Drittens sollten wir einmal einen genaueren Blick auf unsere Filmpreise werfen. In den Auswahlkriterien wurde jedenfalls in der Vergangenheit - zu stark an der Trennung zwischen Kunst und Unterhaltung festgehalten. Wenn aber das Publikum ausbleibt, wandern die Filmemacher ab. Deshalb - das Konzept gibt eine Antwort darauf - versuchen wir beides, nämlich den künstlerischen Wert und den Erfolg, als Kriterien einzuführen und wichtig zu nehmen. Viertens gibt es meines Erachtens ein Gewirr von unterschiedlichen Quellen der Unterstützung, ({13}) sodass man manchmal den Eindruck gewinnt, dass die Qualität eines Geschäftsführers wichtiger ist als die eines Regisseurs. ({14}) Aber an guten Regisseuren, Schauspielern und Produzenten mangelt es uns nicht. Wir können sie nur nicht halten. Das ist unser Problem. Dabei muss man sich manchmal auch fragen, welche Einstellung die Öffentlichkeit zu diesen besonderen Kreativen, unseren Künstlern in vielen Bereichen, aber auch zu Schauspielern und Produzenten hat. Warum klagen so viele Schauspieler, Produzenten und Stars, dass sie in Deutschland permanent einer besonderen Häme und Härte der Kritik ausgesetzt sind ({15}) und eine ganz andere Stellung einnehmen als Künstler, Stars und Schauspieler in anderen Ländern? Ich glaube, die Öffentlichkeit - übrigens auch die Kulturkritik - sollte sich einmal überlegen, woran es liegt, dass sich so viele kreative Menschen verletzt fühlen. (Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig ({16}) Um wieder etwas Materielles anzusprechen: Natürlich ist es auch wichtig, wie für den deutschen Film im Ausland geworben wird. Die Probleme der Export-Union waren schon oft ein Thema; Herr Neumann, Sie haben darauf hingewiesen. Schon der Name, der nicht aus unserer Zeit stammt, erinnert eher an einen Bierverlag als an eine Institution zur Förderung eines künstlerischen Mediums im Ausland. Da könnten wir einiges tun, auch im Sinne ihrer Mitarbeiter. Ich denke, dass wir mit unseren neuen Plänen, auch mit der Bundeskulturstiftung, dafür sorgen können, dass es auch im Ausland eine Plattform für unsere Künstler gibt. ({17}) Wir hatten vor einiger Zeit eine Theateranhörung; dort waren viele Regisseure und Schauspieler, sehr interessante Leute aus dem Theaterbereich anwesend. Ich habe die Diskussion mit einer regelrechten Provokation begonnen, indem ich gesagt habe: Über Geld wird nicht geredet. Das verursachte zunächst große Empörung. Dann aber haben wir den ganzen Tag über Kreativität und die Bedingungen dafür geredet, zum Beispiel darüber, wie das Theater heutzutage auf Ereignisse wie den 11. September reagiert, ob es noch ein politisches Theater gibt und ob es nicht Zusammenschlüsse von Kreativen, von Regisseuren geben muss, um sich gegenseitig zu unterstützen, um gemeinsam wieder eine eigene Handschrift zu finden, die auch in einer globalisierten Welt Bestand haben kann. Ich wünschte mir, dass die Diskussion über die Bedingungen von Kreativität, über die eigene Handschrift des deutschen oder auch europäischen Films auch in der Filmwirtschaft begonnen wird. Denn genau dies war Bestandteil der großen Zeit des deutschen Nachkriegsfilms. Diese Zeit war geprägt durch Solidarität unter den Künstlern und gegenseitiges kreatives Befruchten, nicht durch große finanzielle Förderung. ({18}) Dies heißt nicht, dass wir den Film nicht fördern sollten. Ich glaube aber, dass Politik und Kultur hier zusammenarbeiten sollten. Kulturpolitik ist nämlich - in diesem Sinne verstanden - zunächst einmal Kultur. Vielleicht ist die Berlinale die erste Möglichkeit, miteinander über diese Ziele zu reden. Danke. ({19})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die FDP spricht nun der Kollege Hans-Joachim Otto.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kollegin Vollmer, ich lausche immer wieder sehr gerne Ihren interessanten, schöngeistigen Höhenflügen. Ich sehe es hier allerdings als meine Aufgabe an, auf die noch immer sehr deprimierende Bilanz hinzuweisen. Der Anteil des deutschen Films im Jahr 2000 - das ist das letzte Jahr, zu dem offizielle und gesicherte Daten der FFA vorliegen - sank von 14 Prozent auf 12,5 Prozent. Dieser Anteil wäre im Jahr 2001 vermutlich weiter gesunken, Kollege Neumann, hätte es nicht kulturelle Highlights wie „Der Schuh des Manitu“ gegeben. So sehr wir uns aber auch über den Erfolg dieses Films freuen: Dies entspricht nicht ganz den hehren Zielen und Anforderungen, die Sie, Frau Kollegin Vollmer, eben dargestellt haben. Wir freuen uns auch über den Erfolg des Films „Die fabelhafte Welt der Amélie“. Aber, Hand aufs Herz: Wer außer uns Filmpolitikern und einigen Filmförderern weiß denn schon, dass es sich bei dieser sehr französischen Liebesgeschichte um eine deutsche Koproduktion handelt? Also: Wir haben im Jahr 2001 Glück gehabt; das ist schön. Wir müssen uns aber wirklich Gedanken machen, wie es weitergehen soll. Sie, Herr Staatsminister Nida-Rümelin, verfolgen mit Ihrem groß angekündigten filmpolitischen Konzept nach eigenen Worten zwei Ziele: erstens, pragmatische Reformschritte vorzuschlagen und, zweitens, grundlegende Veränderungen anzustoßen. Wenden wir uns also zunächst einmal Ihren, wie Sie sagen, pragmatischen Reformvorschlägen zu. Es gibt durchaus einige Vorschläge - darüber brauchen wir gar keinen Streit zu entfachen -, die allseitige Zustimmung verdienen. Hierzu gehören beispielsweise die verstärkte Förderung von Drehbüchern, des Verleihs und der Außenvertretung des deutschen Films. ({0}) Wir widersprechen Ihnen auch nicht, wenn Sie die Projektmittel zugunsten der Referenzmittel drastisch umschichten wollen. Innerhalb des bestehenden Systems ist das nur konsequent. Wirsindzwarauchbei Ihnen, lieberHerrNida-Rümelin, wenn Sie eine filmfreundliche Gestaltung des Urhebervertragsrechts fordern. Wir haben Sie aber vermisst, als letzte Woche im Deutschen Bundestag die Urhebervertragsnovelle in dritter Lesung verabschiedet wurde. ({1}) Wo haben Sie da Ihre Stimme erhoben? Wo haben Sie für eine filmfreundliche Gestaltung gekämpft? - Geschwiegen haben Sie! ({2}) - Das reicht nicht ganz. Wir konnten auch nicht Ihre angekündigte Initiative bei Finanzminister Eichel erkennen, um dessen Medienerlass und § 2 b Einkommensteuergesetz zu ändern. Hat Sie da der Mut vor fremden Thronen verlassen? Oder können Sie auf zusätzliche Investorengelder verzichten? ({3}) So viel zu den pragmatischen Reformankündigungen. Jetzt wende ich mich den von Ihnen vorgeschlagenen „grundlegenden Veränderungen“ zu. Ich habe mir Ihr Konzept durchgelesen - zweimal, dreimal - und habe mich immer verzweifelter gefragt, ob noch ein Kapitel beispielsweise mit der Überschrift „Systemwechsel“ oder „Zukunftsperspektive“ kommt. In meinem Druckexemplar muss dieses Kapitel wohl irgendwo verloren gegangen sein. Die zentrale Botschaft, die Ihr Papier durchzieht, heißt stattdessen - höchst altbacken sozialdemokratisch -: höhere Abgaben, noch mehr Umverteilung. An dieser Stelle verweigern wir Liberalen Ihnen die Gefolgschaft. ({4}) Die Rettung des deutschen Films kommt nicht von noch mehr Fördergeldern. Bereits heute beträgt die Filmförderung von Bund und Ländern insgesamt schlappe 400 Millionen DM jährlich oder - um es harmloser auszudrücken - 200 Millionen Euro. Hinzu kommen kommunale Mittel und vor allem Mittel aus europäischen Förderprogrammen von weiteren 400 Millionen Euro. Schon heute werden zwei Drittel aller Kosten des deutschen Films aus diesen Fördertöpfen gedeckt. Wohin wollen wir denn noch gehen? Wie krass sich die Schere zwischen steigenden Fördermitteln und sinkenden Zuschauerzahlen öffnet, macht folgende Rechnung deutlich: In die deutschen Kinos kamen im Jahr 2000 - aus diesem Jahr stammt die letzte gesicherte Zahl - 150 Millionen Besucher. Der Anteil des deutschen Films betrug 12,5 Prozent. Das heißt, 18,75 Millionen Besucher haben sich deutsche Filme oder Koproduktionen angeschaut. Bei 400 Millionen DM Fördervolumen - europäische Gelder außen vor - bedeutet dies eine Subventionierung von 21,33 DM pro Besucher, also fast doppelt so viel wie jede Kinokarte. Irgendwo ist das Ende der Fahnenstange erreicht. ({5}) - Diese Diskussion führe ich mit Ihnen auch noch. ({6}) Die Umverteilungsarie hat zahlreiche deutsche Produzenten und Regisseure - das hat übrigens auch Frau Vollmer eben bestätigt - offenbar bei der Erschließung öffentlicher Fördertöpfe kreativer werden lassen als bei der Produktion guter Filme. Es ist das süße Gift der Subvention, das den Blick auf die Qualität und die Marktfähigkeit von Filmen trübt. ({7}) Wahrscheinlich schadet diese Förderpraxis dem deutschen Film mehr, als sie ihm nützt. Hier sollte der von Ihnen, Herr Nida-Rümelin, angekündigte Systemwechsel liegen. Zumindest mittel- bis langfristig brauchen wir eine konsequente und deutliche Zweiteilung: Auf der einen Seite sollte es die reine Kulturförderung geben, die sich auf anspruchsvolle Dokumentarfilme und andere Formate fokussiert, welche die Studio- und Programmkinos bespielen. Deren Produktion kann zielgerichteter und erfolgreicher als bisher gefördert werden. ({8}) Hans-Joachim Otto ({9}) Auf der anderen Seite sollte es den weiten Bereich der kommerziellen Kinofilme - Filme wie beispielsweise „Schuh des Manitu“ - geben, die sich wie sonstige Wirtschaftsgüter mit privatem Kapital zu finanzieren haben. Wenn Sie mich jetzt, Frau Kollegin Schröter und Frau Kollegin Dr. Vollmer, für einen Turbokapitalisten halten - das tun Sie ja sowieso -, ({10}) dann muss ich mich, Herr Kollege Barthel, für die Entgegnung der Autorität eines angesehenen Dritten bedienen. Frage des „Spiegel“: „Wird der deutsche Film sich je ohne Fördergelder rechnen?“ Antwort: „Warum nicht? Es gibt in Europa ein deutschsprachiges Einzugsgebiet von mehr als 90 Millionen Menschen ...“ Es gibt auch noch Übersetzungsmöglichkeiten. ({11}) Das sagte Michael Naumann. Inzwischen beschleicht mich die bange Erkenntnis, dass mein „Freund“ Naumann in der Filmpolitik mehr Mut und Perspektive als sein Nachfolger hatte. Im Interesse des gemeinsamen Ziels, den deutschen Film national und international zu stärken - darin sind wir uns einig -, werden wir Liberalen mit Ihnen und allen Beteiligten um ein Reformkonzept ringen. Wir appellieren aber an Sie, endlich mehr Mut, mehr Konsequenz und mehr Fantasie zu entwickeln. Der neue Berlinale-Chef, Dieter Kosslick, ist mehrfach angesprochen worden. Auch ich möchte das tun. Er hat vor kurzem so schön gesagt - ich zitiere -: Die deutsche Filmförderung ist eine komplett konservative Schnarchabteilung, weil jeder Angst hat, etwas zu verlieren, wenn er etwas verändert. ({12}) Ich kann nur sagen: Wenn nichts verändert wird, verlieren wir alles. Soweit Herr Kosslick. Also: Wecken wir die Schnarchabteilung! Bringen wir frischen Wind in die deutsche Filmpolitik! Machen wir den Film national und international wettbewerbsfähig! Es ist höchste Zeit. Vielen Dank. ({13})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der PDS spricht der Kollege Dr. Heinrich Fink. ({0})

Prof. Dr. Heinrich Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003116, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sie werden sehen! - Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Einigkeit besteht darin, dass ein Reformprozess notwendig ist. Das haben wir alle zum Ausdruck gebracht. Die Akzente, die die Richtung, die diese Reform einschlagen soll, vorgeben, werden von den verschiedenen Fraktionen aber durchaus unterschiedlich gesehen. Wir sollten die Vorstellungen bündeln, um der Reform zu einem Erfolg zu verhelfen. Ich möchte kurz erläutern, in welche Richtung die Überlegungen der PDS zur Filmpolitik gehen. Dabei muss ich einräumen, dass wir bei der Diskussion um notwendige Veränderungen in diesem kulturellen Bereich noch am Anfang stehen. Damit bekunde ich meine Bescheidenheit und kündige nicht die von Ihnen erwartete Lösung an. Wir halten die Verbesserung der Rahmenbedingungen der Produktion und der Verbreitung von deutschen Filmen für dringend notwendig. Dabei ist mehr als nur die Reform der Filmförderung in den Blick zu nehmen. Es geht um die Gesamtheit der Rahmenbedingungen: von den Förderinstrumenten, der Stellung der unabhängigen Filmproduzenten über steuerrechtliche und urheberrechtliche Fragen bis hin zum gesellschaftlichen Klima und zum Stellenwert, der dem Film beigemessen wird. Der deutsche Film muss wieder das Kulturgut werden, das er einmal war. Die kulturelle und die wirtschaftliche Bedeutung des Kinofilms sind unbestritten. Aus Sicht der PDS ist auch seine wirtschaftliche Bedeutung nicht zu unterschätzen. Die Kulturwirtschaft ist eine der Schlüsselindustrien der Gegenwart. Das mögliche Wachstumspotenzial, das ihr Forscher bescheinigen, sollte - nicht zuletzt mit Blick auf die Möglichkeit des Entstehens neuer Arbeitsplätze - ausgeschöpft werden. Dazu bedarf es einer ressortübergreifenden Politik, des Zusammenwirkens von Kultur-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitikern. Dennoch hat für uns die kulturelle Zielsetzung Priorität. Insofern steht uns der Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen hinsichtlich seiner Intentionen näher. In dem Antrag heißt es: Die Reformvorschläge sollten darauf gerichtet sein, ... - den deutschen Film primär als Kulturgut zu fördern, ohne die wirtschaftliche Förderung zu vernachlässigen; ... - mit gezielten Maßnahmen den Erhalt der kulturellen Vielfalt im Filmschaffen zu gewährleisten; ... Darum muss es nach meiner Meinung zweifellos für uns alle gehen. In diese Richtung gehen die vorgelegten Vorschläge der Bundesregierung, deren Ansatz ist - ich wiederhole -: Filmförderung ist Kulturförderung. Dieser Grundrichtung stimmen wir ohne Wenn und Aber zu. Die Notwendigkeit der Filmförderung und des Einsatzes öffentlicher Mittel steht für uns außer Frage. ({0}) Hans-Joachim Otto ({1}) Kreativität und Vielfalt im Filmschaffen müssen gesichert werden. Wir müssen uns gemeinsam überlegen, woher die Mittel dafür kommen können. Zum Beispiel müsste von den Fernsehanstalten eine deutlich höhere Abgabe geleistet werden. Das wäre schon ein Schritt. Allerdings bin ich auf jeden Fall gegen Kinopreiserhöhungen. Das bewirkte nach meiner Meinung das Gegenteil. ({2}) Es sollte über ein verstärktes Engagement des Bundes und der Länder in der so genannten kulturellen Filmförderung nachgedacht werden. Gemessen an dem tatsächlichen Finanzbedarf reicht das, was an öffentlichen Mitteln zur Verfügung gestellt wird, keineswegs aus. Deshalb sind sozusagen nur kleine Filme und nur bestimmte Genres möglich. Wir sind uns einig: In den Film zu investieren heißt, in Kultur zu investieren. Das ist für mich nach wie vor die nachhaltigste Investition zur Erhaltung von Geschichte und Kunst. Als Folge des bisherigen Fördersystems sehen wir inzwischen ganze Genres vernachlässigt, zum Beispiel den Aktionsfilm, den Abenteuerfilm, vor allem aber den Dokumentarfilm. Gerade der Dokumentarfilm ist auf öffentliche Förderung angewiesen, soll er nicht gänzlich aus unseren Kinos verschwinden. Im Filmkonzept vermissen wir Vorschläge dazu, wie dem zu begegnen ist. Den Dokumentarfilm als Kinofilm zu erhalten ist eine wichtige kulturpolitische Aufgabe des Bundes. ({3}) Wir sehen mit Sorge, wie schwierig es gegenwärtig ist, Stoffe zu verfilmen, die formal provokant sind oder sich gar kritisch mit gesellschaftlichen Themen auseinander setzen. Das aber sollte kulturelle Filmförderung ermöglichen. Deshalb halten wir es für richtig, insbesondere bei der Drehbuchförderung anzusetzen, um das kreative Potenzial von Autoren besser zu nutzen und einen Freiraum zur Entwicklung jenseits der Marktzwänge zu schaffen. Zugleich sollten die Anreize für Produzenten verstärkt werden, Projekte von Autoren weiterzuentwickeln und auf den Markt zu bringen. Der Ausbau der kriterienbasierten Referenzfilmförderung ist zu begrüßen. Wichtig ist uns, dass dieser Ausbau mit zusätzlichen Mitteln und nicht zulasten der Projektfilmförderung geschieht. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch einer Hoffnung Ausdruck geben, nämlich dass es zur Zusammenarbeit aller kommt, die mit Film beschäftigt sind. Ich begrüße es sehr, dass es nicht nur einen Drehbuchpreis, sondern auch einen Cutterpreis gibt; denn auch der Cutter ist letztlich an diesem Prozess mit beteiligt. Der Sachverstand aller und auch die Bereitschaft aller zu gemeinsamer, von kooperativer Grundhaltung bestimmter Aktion sind notwendig. Deswegen sollten wir uns diesem Filmförderungsunternehmen nicht verschließen, sondern sollten ihm unsere Stimme geben. Vielen Dank. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile nunmehr dem Kollegen Wolfgang Börnsen für die Fraktion der CDU/CSU das Wort.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident Dr. Seiters! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es dient dem Kulturgut Film, wenn wir in der Mehrheit grundsätzlich einer Auffassung sind. Damit wird auch eine Tradition fortgesetzt, die es hier bereits in der letzten Legislaturperiode gegeben hat. Ich bin meinem Kollegen Bernd Neumann dankbar dafür, dass er trotz seiner deutlichen und gezielten Kritik diese Übereinstimmung im Grundsatz noch einmal unterstrichen hat. „Was tun, wenn’s brennt?“ ({0}) ist der Titel eines neuen deutschen Films, der jetzt angelaufen ist. Noch brennt es beim Kulturgut Film nicht, doch es schwelt seit langem. Die Situation wird deutlich, wenn man sich die Position des deutschen Films auf der Jahresrangliste der zuschauerstärksten Streifen ansieht. 1998 war „Titanic“ das Filmflaggschiff mit 18 Millionen Besuchern in Deutschland. Auf Platz 15 folgte eine bundesdeutsche Produktion, „Comedian Harmonists“. Auf Platz 15! 14-mal Hollywood in Front! Auf Platz 19 dann „Lola rennt“. 1999 schaffte es der US-Film „Star Wars“ an die Spitze. Die deutsch-französisch-italienische Koproduktion „Asterix und Obelix“ kam auf Rang 9. Danach kam lange Zeit gar nichts. Wieder beherrschte Hollywood den Markt. ({1}) Im Jahr 2000 war unter den zehn erfolgreichsten Kinoattraktionen keine einzige deutsche oder europäische Produktion. An der 15. Stelle stand mit „Anatomie“ der erste bundesdeutsche Film. „American Pie“, „American Beauty“ und der US-Film „Gladiator“ dominierten das Kinoerlebnis der Jahrtausendwende und damit dominierten amerikanische Ideale, amerikanische Werte. Die US-Kulturoffensive per Film ist weltweit und ganz besonders bei uns erfolgreich. Mit einem durchschnittlichen Marktanteil von gut 85 Prozent ist das amerikanische Kino in der Bundesrepublik marktbeherrschend. Deutschlands junge Generation huldigt Hollywood, auch weil attraktive nationale Alternativen fehlen. Das ist kulturpolitisch problematisch; denn der Spielfilm, egal ob er im Kino, im Fernsehen oder auf Video läuft, hat kulturprägende Kraft. Er beeinflusst - weil er Denken und Fühlen gleichermaßen anspricht - die soziale und kulturelle Identität seiner Zuschauer. 152 Millionen Kinokarten wurden im Jahr 2000 in Deutschland verkauft. Die junge Generation ist der Hauptkunde. Die Zahl der Kinoleinwände hat sich seit 1990 verdoppelt. Das Kino vermeldet Wachstumsrekorde. Damit wächst auch die Wirkung auf die nachwachsende Generation. Der für die Medien zuständige EU-Kommissar hat in einem Grundsatzpapier gesagt: Bewegte Bilder haben einen fundamentalen Einfluss auf die Vermittlung gesellschaftlicher Werte. Bildhafte Fakten und Filme tragen dazu bei, die Welt begreifbar und verstehbar zu machen. Gleichzeitig vermitteln sie uns auch den Maßstab, wie wir die Welt sehen sollen. Filme haben eine suggestive Wirkung. Für den Fernsehzuschauer bilden Spielfilme den höchsten Anteil. 205 Minuten täglich, das heißt fast dreieinhalb Stunden, bringt jeder Europäer vor dem Fernsehen, dem Heimkino, zu. ({2}) Wir müssen weg von der Sichtweise, dass die audiovisuelle Industrie allein ein Warenproduzent sei. Sie ist wie die Buchindustrie, die Museen und die Theater eine Kulturindustrie. ({3}) Das, was unsere Mitbürger und wir glauben, wissen, denken, fühlen und fordern, wird nicht zuletzt auch durch Filme geprägt. Beim Aufbau einer kulturellen Identität spielen sie eine zentrale Rolle. Obwohl wir gemeinsam durch die Neufassung des Filmförderungsgesetzes 1998 eine gute Grundlage für den Film in Deutschland geschaffen haben, bleiben die Defizite offenkundig. Das gilt für das auf Bund und Länder zersplitterte Förderkonzept. Das gilt für die zu geringe Beachtung des Kinder- und Jugendfilms. Das gilt besonders auch für die Auslandspräsentation. Das Bündnis für den Film hat offenkundig zu mehr Dialog der Verantwortlichen geführt. Die Atomisierung der deutschen Filmlandschaft ist aber noch nicht beendet worden. Der Auftritt des Bundeskanzlers bei Filmfestspielen ist zwar förderlich für das Image des deutschen Films, hat aber noch keine Auswirkungen auf eine verbesserte Mittelvergabe. ({4}) Hollywood gibt durchschnittlich pro Film 40 Millionen Dollar plus 20 Millionen Dollar für die Werbung aus. Das sind also insgesamt 60 Millionen Dollar. In Deutschland werden pro Film durchschnittlich 4 Millionen Euro ausgegeben. Da kämpft David gegen Goliath. Das kann nichts werden. Wir benötigen, wenn der deutsche Film in internationalen Wettbewerb bestehen will, eine Kombination aller Mittel. Wir benötigen steuerliche Erleichterungen für diejenigen, die mit privatem Kapital das Risiko der Filmfinanzierung eingehen. Wir benötigen eine höhere Beteiligung der Sender an der Filmproduktion. In Frankreich macht dieser Anteil 3 Prozent des Umsatzes aus. Bei uns werden gerade einmal 11 Millionen pro Sendesystem ausgegeben. Das entspricht einem Anteil von noch nicht einmal 0,3 Prozent. Hier herrscht Handlungsbedarf. ({5}) Handlungsbedarf gibt es nach meiner Auffassung auch bei unserer Filmphilosophie, von der wir uns leiten lassen. Viele deutsche Filme sind erstklassig, intellektuell anspruchsvoll sowie mit exzellenten Schauspielerinnen und Schauspielern besetzt. Doch besucht werden sie nur von wenigen. Allzu oft werden sie als zu trist, zu traurig und zu temperamentlos empfunden. Außerdem wird bemängelt, dass sie nur auf eine Zielgruppe zugeschnitten seien. Der Großteil der Kinokunden wird jedenfalls nicht erreicht. Warum wurde „Der Schuh des Manitu“ eigentlich ein Erfolg? Dieser Film wurde ein Erfolg, weil er durch Witz, Humor, Ironie und komödiantische Wirkung Alltagsentlastung versprach. Er ist eine Art modernes Märchen. Jetzt sind wir schon wieder dabei, einen guten Erfolg klein zu reden. Was sind wir doch für Kleingeister! ({6}) Doch zumeist produzieren wir in Deutschland Filmkunstwerke für Minderheiten. Ich würde mir wünschen, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland in Zukunft in den Fokus der Filmemacher gerät. Außerdem - hier darf ich meinen Kollegen Norbert Lammert zitieren müssen wir zuerst einmal die Attraktivität des Angebots verbessern, ({7}) bevor wir uns über eine Erhöhung der Abgaben unterhalten. ({8}) Herzlichen Dank. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Staatsminister für Kultur und Medien, Julian Nida-Rümelin.

Not found (Gast)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! An Sie gerichtet, Herr Börnsen: Sie haben hier eine Kurzfassung der aristotelischen Theorie der Katharsis geliefert. ({0}) Kathartische Wirkung kann aber nicht nur der Unterhaltungsfilm haben, sondern auch der künstlerisch anspruchsvolle Film. Ich denke, wir haben viele Beispiele in Erinnerung. Wenn man sich die beiden Anträge der SPD-Fraktion und der Unionsfraktion ansieht, erkennt man, dass es zwischen den beiden großen Parteien in den Grundlinien doch eine erstaunlich große Übereinstimmung gibt, in welche Richtung sich die Filmpolitik, die Filmförderung in Deutschland entwickeln sollte. Es gibt aber auch Extreme in dieser Position. ({1}) Der eine Pol sitzt hier im Bundestag - Herr Otto hat dafür gesprochen - und lässt sich im Kern auf folgende Position reduzieren: Wir sollten den anspruchsvollen, an ein kleines Publikum gerichteten schwierigen Film fördern, aber Wolfgang Börnsen ({2}) den Kinofilm ansonsten aus der Förderung durch Abgaben und Steuern herausnehmen. ({3}) Ich warne vor diesem Experiment. Es würde bedeuten, dass wir zwar sicher noch eine Reihe interessanter Angebote hätten, die dann in den dritten Programmen spätabends, um 24 Uhr oder später, oder von Goethe-Instituten - was verdienstvoll ist - gezeigt würden. Aber der deutsche Kinofilm würde - da bin ich sicher - auf diesem Wege marginalisiert werden. ({4}) Der zweite extreme Pol ist hier nicht vertreten, wenn ich das recht sehe. Aber er lässt sich demnächst wohl in einer Dokumentation nachlesen. Er ist relativ deutlich von dem in Bayern zuständigen Minister für Film und Medien, Herrn Huber, formuliert worden, der mich zu einem Gespräch der filmpolitischen Arbeitsgemeinschaft der CSU eingeladen hatte. Bei diesem Gespräch hat er im Wesentlichen formuliert, dass er keinen Änderungsbedarf - oder wenn, nur einen marginalen Änderungsbedarf - in den heutigen Filmförderstrukturen in Deutschland sieht. ({5}) - Sie wollen den Systembruch, Sie wollen die Privatisierung. ({6}) - Jetzt warten Sie erst einmal ab, Herr Otto. Ich bin der Auffassung, wir müssen nicht nur die verschiedenen Initiativen, zum Beispiel Aufwertung der Filmfestivals - zur Berlinale ist schon einiges gesagt worden -, voranbringen, sondern wir müssen uns auch überlegen, ob bestimmte Weichenstellungen neu vorgenommen werden müssen. Wenn man das von mir vorgelegte Filmkonzept aufmerksam liest, dann wird man feststellen, dass dort über diese Weichenstellungen - ich komme gleich darauf zu sprechen - sehr deutlich gesprochen wird. Mit anderen Worten: Wir können nicht die Hände in den Schoß legen und sagen, die Politik hat das Ihre getan, jetzt ist es Sache der Kreativen, die interessanten Stoffe zu liefern, die dem deutschen Film im In- und Ausland eine größere Bedeutung geben. Bevor ich zu den zentralen Elementen dieses Konzeptes komme, das ich übrigens als Diskussionsentwurf verstehe, möchte ich einmal kurz Distanz zu unserer jetzigen Situation nehmen. Die Filmförderung in Deutschland beginnt gewissermaßen mit dem Oberhausener Manifest 1962. Dieses Manifest war nicht etwa eine Reaktion darauf, dass der deutsche Film an den deutschen Kinokassen keine Rolle gespielt hätte; im Gegenteil: In den Nachkriegsjahrzehnten - das wird Herr Otto gleich für seine Position in Anspruch nehmen - war der Anteil des deutschen Films in den Kinos sehr viel höher als in den Jahrzehnten danach. Das Oberhausener Manifest war vielmehr eine Reaktion auf die im Großen und Ganzen geringe künstlerische Qualität und die geringe Wahrnehmung des deutschen Films im Ausland. Das war der Anstoß. Der damalige Innenminister Höcherl hat dann ein 5-Millionen-DM-Programm aufgelegt und das Kuratorium Junger deutscher Film 1965 gegründet. Prompt erhielten deutsche Filme auch bei ausländischen Festivals Preise. Nachdem die FFA 1965 gegründet worden war, ging die Anzahl der Filme zwischen 1966 und 1969 extrem nach oben, sie hat sich von 69 auf 121 Filme fast verdoppelt. Mit dem Filmfernsehabkommen zur Kooperation mit den Fernsehanstalten 1974 ging eine Öffnung einher. Dies war der Beginn der heutigen Struktur der Filmförderung. Bevor wir uns heute überlegen, was wir tun müssen, um dem deutschen Film in Deutschland und international ein größeres Gewicht zu geben, lohnt es sich, darüber nachzudenken, was uns eigentlich dazu treibt, dieses Thema so intensiv zu diskutieren. Man könnte generell sagen: Die Filmbranche ist eine Branche neben vielen anderen. Der Staat sollte sich mit Subventionen in diesem Bereich ({7}) wie in jeder anderen Wirtschaftsbranche zurückhalten; ({8}) schließlich sind wir dabei, Subventionen abzubauen. ({9}) Hierauf ist zu antworten: Die eigentliche Legitimationsgrundlage für die Förderung des deutschen Kinofilms mit Steuern und Abgaben ist die kulturelle Dimension. Ich will ganz deutlich sagen: Die kulturelle Dimension des Kinofilms beschränkt sich nicht auf den künstlerisch ambitionierten „kleinen“ Minderheitenfilm, sondern die kulturelle Bedeutung des Kinofilms hängt vor allem damit zusammen, dass das Medium Kinofilm insbesondere bei der Generation der Jüngeren - sagen wir einmal zwischen 14 und Mitte 20, zum Teil auch noch darüber hinaus - Identitäten prägt, Bilder, wie man lebt und leben sollte, vermittelt und mit dazu beiträgt, Vorbilder zu schaffen. Das gilt natürlich auch für große HollywoodProduktionen, die massiv die Entwicklung der Persönlichkeit von jungen Leuten beeinflussen. Deswegen müssen wir ein Interesse daran haben, dass sich im Medium Kinofilm nicht nur eine einzige kulturelle Prägung durchsetzt, sondern auch die Vielfalt der europäischen Kulturen deutlich wird und die deutsche Stimme vernehmbar wird. Das ist, wie ich glaube, ganz wesentlich. ({10}) Angesichts dessen müssen wir uns überlegen, was die Politik dazu beitragen kann. Herr Neumann, Sie hatten angesprochen, dass einige Monate ins Land gegangen sind, seitdem ich im Amt bin. Das stimmt. Meine MitarStaatsminister Dr. Julian Nida-Rümelin beiter wissen, dass ich auf keinen Bereich mehr Zeit aufgewendet habe als auf diesen. Es wäre sicherlich leicht gewesen, ohne diesen Zeitaufwand ein Konzept zu erstellen. Mein Eindruck ist - Ihre Erfahrungen müssten das eigentlich bestätigen -: Wir werden eine Veränderung zum Besseren nur erreichen, wenn es uns gelingt, innerhalb der Branche, bei den Filmförderern und den wichtigsten Beteiligten einen Konsens herzustellen; anders ist das nicht zu erreichen. Das kann nicht oktroyiert werden, sondern das geht nur, indem wir die wechselseitige Blockade, die nach meinem Eindruck den Prozess so lange verzögert hat - natürlich sind die Interessen unterschiedlich und treffen auch im Bündnis für den Film aufeinander -, dadurch aufheben, dass wir ein Paket schnüren. Deswegen appelliere ich jetzt auch an Sie, nicht einzelne Elemente - Herr Fink und Herr Otto haben das gemacht - herauszugreifen und andere abzulehnen. Wir brauchen eine zusätzliche Förderung für deutsche Kinos. Dazu gibt es konkrete Ideen. Auch die Kinos haben ein Interesse daran, dass der Film in Deutschland insgesamt vorangebracht wird. Das spricht dafür, in dieses Paket auch die Kinoabgabe einzubeziehen. Es geht hier um eine Größenordnung von 1 Prozent des Kinokartenpreises. ({11}) Das sind etwa 12 Pfennig oder 6 Cent. ({12}) - 2,3 ist gegenwärtig der Durchschnitt. Wir brauchen höhere Budgets. Es ist ganz merkwürdig, dass Deutschland mit seiner starken Wirtschaftskraft so niedrige Budgets pro Film hat: niedriger als Frankreich, wesentlich niedriger als Großbritannien, von den USA gar nicht zu sprechen. ({13}) Wir brauchen eine Stärkung der Produzenten als zentrale Akteure. Sie müssen ein Interesse daran haben, dass ihre Filme Erfolg haben. ({14}) - Im Urheberrecht ist - so muss man sagen - die Sorge, die verständlicherweise über viele Monate bestand, auch aufgrund ausweislich der Schreiben, die ich jetzt bekommen habe, zerstreut. ({15}) - Über den Prozess will ich jetzt gar nicht sprechen. Wir haben intensive Diskussionen mit der Branche gehabt. So, wie wir das Urhebervertragsrecht jetzt im Bundestag beschlossen haben, ist es keine Behinderung der Filmbranche. ({16}) - Das ist ein schwieriges Thema, wie Sie wissen. Es ist wahr: Das ist in dieser Form nicht geschehen. Aber dafür spricht sachlich viel. Ich habe in diesem Konzept einige ordnungspolitische Instrumente angesprochen. Ich will zwei in Erinnerung rufen. Es ist schon gesagt worden: Dass 7 Milliarden DM zu 80 Prozent in Hollywood-Produktionen gehen, ist angesichts der Situation des europäischen Films schwer erträglich. ({17}) Aber ich füge hinzu: Wir haben seit 1954 ein Handelsabkommen mit den USA, das es schwierig macht, das mit einem Federstrich zu lösen. Herr Neumann, ich kann das am wenigsten, weil das eine finanzpolitische Frage von gewaltiger Größenordnung ist. ({18}) Wir brauchen da eine Lösung; auch ich will sie. Wir müssen darüber diskutieren, warum wir hier eine Sonderrolle einnehmen. Das macht kein anderes Land in Europa so. Das ist eine schwierige Debatte. Wenn wir da einen Fortschritt bekommen, dann haben wir eine ganz andere Grundlage für den europäischen und speziell den deutschen Film. Wir sollten uns auch nicht davor drücken, eine Investitionsquote, wie sie nach europäischem Recht möglich ist, zumindest sehr genau zu diskutieren. ({19}) Ich habe keine Lösung; aber darüber diskutieren müsste man. Es lohnt sich. Es geht nicht nur um einen wichtigen Teil der deutschen Kulturwirtschaft, sondern auch um ein faszinierendes Medium der Kunst, das kulturelle Identitäten prägt. Wie gesagt: Es ist wünschenswert, dass in diesem Medium die deutsche Stimme in Zukunft vernehmbarer ist als in den letzten Jahren. Danke schön. ({20})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe da- mit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf Drucksache 14/7705 zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Reform der deutschen Filmförderung“ sowie zu dem An- trag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Verbesse- rung der Rahmenbedingungen für den deutschen Film“. Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7705 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- men des ganzen Hauses gegen die Stimmen der FDP an- genommen worden. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7705 empfiehlt der Ausschuss für Kultur und Medien, die genannten Anträge auf den Drucksa- chen 14/7178 und 14/3375 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gibt es Gegen- stimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit einstimmig angenommen worden. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 16 a und 16 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Verbesserung von Kinderrechten ({0}) - Drucksache 14/2096 ({1}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2}) - Drucksache 14/8131 Berichterstattung: Abgeordnete Margot von Renesse Volker Beck ({3}) Sabine Jünger b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rosel Neuhäuser, Dr. Evelyn Kenzler, Monika Balt, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({4}) - Drucksache 14/7818 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({5}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Nach interfraktioneller Vereinbarung haben wir für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Eckhart Pick.

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute über ein Gesetz zur weiteren Verbesserung von Kinderrechten. Ich weiß, dass uns allen die Verbesserung von Kinderrechten am Herzen liegt, und stelle fest, dass der heutige Gesetzentwurf eine echte Koproduktion zwischen Bundesrat, Bundestag und auch der Bundesregierung darstellt. Die Kinderrechte sind erst im Verlauf des letzten Jahrhunderts in den Blick gerückt. Die Wahrnehmung von Kindern als Persönlichkeiten mit eigenen Rechten, eigenen Wünschen und eigenen Wertvorstellungen, aber auch mit besonderen Schutzbedürfnissen ist uns heute selbstverständlich. Das gesetzliche Modell des Verhältnisses zwischen Kindern und Eltern hat sich von autoritärer Über- und Unterordnung zu einem eher partnerschaftlichen Erziehungsstil gewandelt. ({0}) - Das kann auch eine natürliche Autorität sein, Herr Kollege Geis. - Damit einher ging eine zunehmende Ablehnung von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung von erzieherischen Vorstellungen der Eltern. Insbesondere die Pädagogen, die Psychologen und die Ärzte haben uns die zerstörerischen Folgen von Gewaltanwendung für die Entwicklung von Kindern dargestellt. Beim Schutz der Kinder vor Gewalt haben wir schon Wichtiges erreicht: Ende 2000 ist zunächst das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung in Kraft getreten. Es verbietet klar und unmissverständlich die Anwendung körperlicher Strafen und anderer, auch subtiler Formen von Gewalt als Mittel der Erziehung. Als zweiter Schritt ist Anfang 2002 das Gewaltschutzgesetz in Kraft getreten. Es verbessert den zivilrechtlichen Schutz von Gewaltopfern in ihren eigenen vier Wänden. ({1}) Das Opfer soll nicht mehr gezwungen sein, aus der Wohnung zu flüchten; vielmehr kann es verlangen und durchsetzen, dass der Schläger die Wohnung verlässt. „Der Schläger geht - die Geschlagene bleibt“ - das ist eine sehr deutliche Charakterisierung. ({2}) Dieses Gesetz gibt den Opfern ein wirkungsvolles Instrument an die Hand, um den Peiniger übergangsweise oder gegebenenfalls auch dauerhaft aus der gemeinsamen Wohnung zu verweisen. Diese Regelungen des Gewaltschutzgesetzes gelten allerdings nicht für das Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern. Für die Regelung dieses Verhältnisses gibt es im BGB spezielle Vorschriften, auf deren Grundlage das Familiengericht Maßnahmen zur Abwendung einer Gefährdung des Kindeswohls treffen kann. Dabei kann das Familiengericht auf eigene Initiative von Amts wegen tätig werden; es bedarf nicht eines Antrags. Auch die Auswahl der Maßnahmen ist ganz bewusst den Familiengerichten überlassen worden. Sie treffen die geeigneten Maßnahmen zum Schutz des Kindeswohls. Wird ein Kind misshandelt, so können die Familiengerichte schon heute einen Elternteil oder einen Dritten aus der Wohnung weisen. So haben die Gerichte zum Beispiel schon entschieden, dass ein Nachbar, der einem Nachbarskind Gewalt zufügte oder es missbrauchte, seine WohVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer nung verlassen musste. Es wurde bisher allerdings noch kein einziger Fall veröffentlicht, bei dem ein Gericht einen gewalttätigen Elternteil aus der gemeinsamen Familienwohnung gewiesen hat. Um die Familiengerichte zu ermutigen, in Zukunft ihren Spielraum auch in dieser Richtung zu nutzen, wollen wir im Rahmen des § 1666 a BGB die Wegweisung aus der Wohnung als mögliche Maßnahme ausdrücklich nennen. Ich denke, das ist ein wichtiges politisches Signal zum Schutz von Kindern vor Gewalt. ({3}) So werden sich künftig das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung, das Gewaltschutzgesetz und das Kinderrechteverbesserungsgesetz zu einem Schutzsystem bei häuslicher Gewalt, insbesondere gegenüber Kindern, ergänzen. Im zweiten Teil des Gesetzes haben wir einige Restanten der Kindschaftsrechtsreform aufgegriffen. Ich nenne hier die Einbenennung eines Kindes gemäß § 1618 BGB. Diese soll künftig auch dann möglich sein, wenn die Eltern nach der Trennung die gemeinsame elterliche Sorge beibehalten haben. Das ist zwar schon von der obergerichtlichen Rechtsprechung zugelassen worden, ich denke aber, dass es richtig ist, dass das geschriebene Recht dieser Richtung folgt. Auch eine Beistandschaft des Jugendamtes in Unterhaltsangelegenheiten soll künftig nicht nur bei alleiniger elterlicher Sorge, sondern auch bei gemeinsamer elterlicher Sorge beantragt werden können. ({4}) Damit tragen wir einem Bedürfnis des betreuenden Elternteils Rechnung, nämlich Unterstützung bei der Geltendmachung des Kindesunterhalts zu bekommen, und wir beenden hier eine ziemlich uneinheitliche Handhabung der Jugendämter. Ich möchte noch einige kurze Bemerkungen zum Antrag der PDS zur Änderung des Grundgesetzes machen. Sie wissen, dass wir über diese Frage bereits in den 90erJahren in der Gemeinsamen Verfassungskommission lange diskutiert haben. Es hat sich herausgestellt, dass hier eine entsprechende Änderung nicht durchzusetzen war. Dazu muss man sagen, dass unser Grundgesetz natürlich in vollem Umfang auch für Kinder gilt. Dies ist eigentlich selbstverständlich. ({5}) Sie verweisen in Ihrer Begründung ausdrücklich auf diese Tatsache. Auch das Bundesverfassungsgericht hat diesen Grundsatz immer hervorgehoben. ({6}) Das Kind als Träger eigener Rechte und eigener Würde muss in unserer Verfassung sicher nicht neu erfunden werden. ({7}) Mit dem nun geschaffenen gesetzlichen Rahmen ist ein Raum geschaffen worden, um die Wahrung der Kinderrechte zu verbessern. Die Achtung der Kinderrechte ist unabdingbare Voraussetzung für die Entwicklung der Kinder zu selbstständigen und auch gemeinschaftsfähigen Erwachsenen, wie sie uns am Herzen liegt. Vielen Dank. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ronald Pofalla.

Ronald Pofalla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001726, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Endlich einmal ist in dieser Legislaturperiode ein Gesetzgebungsverfahren so verlaufen, wie eigentlich alle Gesetzgebungsverfahren verlaufen sollten, nämlich geregelt und geordnet. Man konnte während des Gesetzgebungsverfahren über alles reden. ({0}) Sachliche Argumente auch der Opposition, Herr Hartenbach, wurden berücksichtigt und es herrschte ein kollegialer Umgang. ({1}) Eigentlich ist es ungewöhnlich, dass man so etwas zu Beginn einer Rede lobend erwähnen muss. Der Grund für diese ausdrückliche Erwähnung der Regelmäßigkeit und Fairness liegt in den schlechten Erfahrungen, die wir als Opposition bei diversen Gesetzgebungsverfahren in der Vergangenheit, auch in der jüngsten Vergangenheit, gemacht haben. ({2}) In geradezu halsbrecherischer Geschwindigkeit und mit einem zum Teil heillosen Durcheinander haben wir in den letzten Wochen und Monaten hier im Deutschen Bundestag verschiedene Gesetzgebungsvorhaben vonseiten der Regierungskoalition erleben müssen, zuletzt das Gesetzgebungsverfahren zum Urheberrecht. Ich möchte aber - aus Überzeugung - ganz besonders dem Parlamentarischen Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz, dem Kollegen Professor Dr. Eckart Pick, danken. Durch seine bereits an anderer Stelle von mir besonders hervorgehobene ruhige, besonnene und nicht von persönlicher Eitelkeit geprägte Art hat er es vermocht, ein professionelles Beratungsklima zu schaffen, das bei anderen Vorhaben aus dem Bundesjustizministerium sehr zu vermissen war. ({3}) Ich möchte aber auch der Kollegin Margot von Renesse danken. Wir arbeiten auf diesem Themengebiet seit mehreren Legislaturperioden zusammen. ({4}) Ich würde mir wünschen, dass sich auch die Kolleginnen und Kollegen der grünen Bundestagsfraktion an der Kollegin von Renesse ein Vorbild nähmen, weil sie es wirklich vermag, sachkundig zu argumentieren und durchaus auch auf qualifizierte Gegenargumente einzugehen. ({5}) Ich will einige wenige Anmerkungen zum Inhalt des Gesetzentwurfes machen, damit deutlich wird, warum wir vonseiten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zustimmen. Wir glauben, dass den Kindern - sie leiden unter Gewaltsituationen in der Familie oder im Umfeld der Familie häufig am allermeisten - in der Tat zusätzliche Rechte eingeräumt werden. Diese werden durch das Kinderrechteverbesserungsgesetz in das Zivilrecht übertragen, um auch dort die Rechte der Kinder zu stärken. Ich möchte mit der Einfügung des Abs. 2 in § 1600 BGB beginnen. Dadurch wird eine Rechtssicherheit für Kinder hergestellt. Es geht um die künstliche Befruchtung und um die Frage, wer möglicherweise anfechten kann. In unserem Land ist die künstliche Befruchtung durch die Samenspende eines Dritten grundsätzlich verboten. Insofern könnte man die Auffassung vertreten, dass man das überhaupt nicht regeln muss. Wir müssen es aber regeln, weil es gesellschaftliche Realität ist, dass die künstliche Befruchtung im Ausland stattfindet und das Problem der Anfechtung in der Bundesrepublik Deutschland auftaucht. Es war wichtig, diese gesetzliche Klarstellung vorzunehmen, um Rechtsklarheit für die betroffenen Kinder zu erreichen. Ich möchte einen zweiten Punkt nennen, nämlich die beabsichtigte Änderung des § 1618 Satz 1 BGB. Diese wird im Art. 1 Nr. 2 dieses Gesetzentwurfes vorgesehen. Der zurzeit geltende Wortlaut dieser Regelung ist mehr als irreführend. Nach dem Wortlaut scheint diese Vorschrift nämlich zu bestimmen, dass bei Wiederverheiratung einer geschiedenen Ehefrau, die in der neuen Ehe den Namen des neuen Ehegatten annimmt, diese den neuen Namen nur in dem Fall auf das Kind übertragen kann, dass ihr das alleinige Sorgerecht zusteht. Selbstverständlich muss es diese Möglichkeit auch für den Fall des gemeinsamen Sorgerechts geben. Diese Neuregelung schafft insoweit die notwendige Klarheit, wenngleich ich mich über manches in der Rechtsprechung gewundert habe. Ich glaube nämlich, dass die bestehende Regelung diesen Umstand bereits berücksichtigt. Durch wohlwollende Auslegung hätte man dieses Ergebnis also auch anders erreichen können. ({6}) Nun folgen wir quasi unserer ursprünglichen gesetzlichen Intention und stellen es klar. Ich glaube, dass damit etwas vollzogen wird, was hier im Hohen Hause bisher niemand anders gesehen hat. Ich möchte auf eine weitere Regelungslücke, die in diesem Gesetzgebungsvorgang geschlossen wird, eingehen. Es geht um die Änderung des § 1666 a BGB. Diese ist in Art. 1 Nr. 4 des Kinderrechteverbesserungsgesetzes geregelt. Dort wird festgelegt, dass dem Gewalttäter - sowohl für den Fall der Gewalttätigkeit durch einen Elternteil, was bereits geregelt war, als auch durch einen Dritten gegen das Kind - die Nutzung der von dem Kind mitbewohnten Wohnung oder einer anderen Wohnung - das ist jetzt neu -, zum Beispiel im selben Haus, untersagt werden kann. Zum Schutz der von Gewalt betroffenen Kinder war diese gesetzliche Präzisierung richtig und notwendig. Ich glaube, dass sie hier im Haus einvernehmlich vollzogen werden kann. Abschließend möchte ich betonen, dass die von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beantragte Streichung der Art. 2 und 3 des Gesetzentwurfes, die eine Änderung des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nicht ehelichen Kinder vorsah, richtig gewesen ist. Die Übernahme dieses Antrages durch die Koalitionsfraktionen beweist, dass die von uns vorgetragenen Argumente für die Streichung richtig und überzeugend gewesen sind. ({7}) Das Ziel dieser ursprünglich vorgesehenen Änderung war die Beseitigung der alten Stichtagsregelung, auf die nun verzichtet wird. Durch diese Regelung bei Einführung des Erbrechtes für nicht eheliche Kinder in den 60er-Jahren waren diejenigen Kinder von der erbrechtlichen Regelung ausgenommen, die zum Stichtag bereits volljährig waren. Stichtag war damals das In-Kraft-Treten des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nicht ehelichen Kinder am 1. Juli 1970. Folge dieser Stichtagsregelung ist es, dass nicht eheliche, vor 1949 geborene Kinder keinen erbrechtlichen Ausgleichsanspruch haben. Die Stichtagsregelung ist vom Prinzip des Vertrauensschutzes gedeckt, eine Rechtsauffassung, die auch durch das Bundesverfassungsgericht geteilt wird. Im Übrigen muss man an dieser Stelle betonen, dass durch die Testierfreiheit alle diese Fälle geregelt werden können, weil logischerweise durch ein Testament jede denkbare einzelrechtliche Regelung vollziehbar ist, sodass wir im Grunde genommen keine gesetzliche Regelung brauchen. Mittels des vorliegenden Gesetzentwurfes sollte also diese Stichtagsregelung beseitigt werden. Das ist zum Wohle des Vertrauensschutzes nun jedoch nicht erfolgt. Alles in allem bleibt festzuhalten, dass durch den Gesetzentwurf zahlreiche Lücken geschlossen werden konnten, die in der Praxis bisher für Unverständnis und Ungereimtheiten gesorgt hatten. Um es noch einmal zu betonen: Es freut mich, dass dem berechtigten Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf ein handwerklich einwandfreies Gesetzgebungsverfahren Rechnung getragen werden konnte, was in der Vergangenheit leider eher die Ausnahme als die Regel gewesen ist. ({8}) Der kollegiale Geist, Frau Kollegin, von dem dieses Gesetzgebungsverfahren getragen wurde, sollte unsere Verhandlungen öfter durchwehen. Ich bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen für diese gute, offene und konstruktive Beratung. Im Ergebnis wird dieses Gesetz den Kindern in der Bundesrepublik Deutschland helfen. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über alle Fraktionsgrenzen hinweg sind wir uns einig: Kinder sind in besonderem Maße darauf angewiesen, dass Staat und Gesellschaft alle Möglichkeiten ausschöpfen, um ihnen ein Aufwachsen in Geborgenheit und Sicherheit zu ermöglichen. ({0}) Die psychischen und physischen Folgen von Gewalt gegen Kinder sind verheerend. Sie haben Auswirkungen auf ihr ganzes Leben und nicht selten auf das Leben ihrer eigenen Kinder. Wer die Gewaltspirale durchbrechen will, der muss dafür sorgen, dass Kinder vor Gewalt geschützt werden. Das hat nicht zuletzt Professor Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen ermittelt. ({1}) Wie für Frauen ist auch für Kinder der soziale Nahbereich ein gefährlicher Ort: Der Vater, der Onkel oder der Nachbar stellen nicht selten eine Bedrohung der Kinder dar. ({2}) 60 bis 80 Prozent sexualisierter Gewalt finden im sozialen Nahbereich statt. Dabei sollte gerade die Familie der Ort sein, an dem ein Kind auf Schutz vertrauen kann. ({3}) Darum ist es das Ziel der rot-grünen Bundesregierung, deutlich mehr Rechtssicherheit für Kinder zu schaffen. Ich freue mich, Herr Geis, dass auch die Opposition dieser Meinung ist. ({4}) Mit dem vorliegenden Kinderrechteverbesserungsgesetz setzen wir den Paradigmenwechsel, den wir schon beim Gewaltschutzgesetz begonnen haben, fort. Das Gesetz stellt klar: Der Schutz vor Gewalt endet nicht an der Wohnungstür. Schläge oder sexualisierte Gewalt in der Familie sind nicht länger Privatangelegenheit. Das Prinzip, das gerade Herr Staatssekretär schon nannte - der Täter geht, das Opfer bleibt -, wird künftig auch dann angewendet werden können, wenn das Opfer nicht die Ehefrau oder die Lebensgefährtin, sondern das Kind ist. Bislang erhielten Mütter, die sich wegen sexuellen Missbrauchs ihres Kindes an die Polizei oder an Beratungsstellen gewendet haben, meist den gut gemeinten Rat: Schütze dein Kind, zieh aus der Wohnung aus. Künftig wird dies nicht mehr notwendig sein. Polizei und Justiz sind in Fällen von Kindesmisshandlung nicht mehr die Hände gebunden. Sie können den Gewalttäter aus der Wohnung verweisen, wenn dies zum Schutze des Kindes notwendig ist. Dieses Vorgehen gilt jetzt nicht nur für Eltern, sondern auch für andere. Beispielsweise kann einem Lebensgefährten der Mutter eine so genannte Go-Order erteilt werden. Ich freue mich ganz besonders, Herr Pofalla, dass auch die Anregung der Bündnisgrünen von allen Fraktionen einvernehmlich aufgenommen wurde, dass ein Dritter, der zum Beispiel im gleichen Hause wohnt, ebenso der Wohnung verwiesen werden kann, wenn er ein Kind bedroht. ({5}) - Ja, aber das ist doch hervorragend. Loben Sie uns doch einfach einmal dafür. ({6}) - Wunderbar, das tut besonders gut. Mit dieser Regelung finden die neuen Schutzmöglichkeiten des Gewaltschutzgesetzes auch im Kindschaftsrecht Eingang. Wir schaffen aber auch weitere Rechtssicherheit für Kinder. Wir passen das Abstammungsrecht den neuen technischen Entwicklungen wie der künstlichen Befruchtung mithilfe einer Samenspende an. In diesen Fällen ist nämlich die Anfechtung einer Vaterschaft nicht mehr möglich, wenn der Partner der Mutter vorher mit einer künstlichen Befruchtung durch eine Samenspende einverstanden war. Damit wird verhindert, dass ein Mann, der einer künstlichen Befruchtung durch einen anderen Mann zugestimmt hat, sich seiner Vaterpflicht entledigen kann. Wir stärken aber auch die Rechte des Elternteils, bei dem ein Kind nach einer Trennung lebt. Danach kann auch bei gemeinsamem Sorgerecht, das wir mit der Kindschaftsrechtsreform eingeführt haben, der Elternteil, bei dem das Kind lebt, einen Antrag auf Beistandschaft des Jugendamtes bezüglich des Kindesunterhalts stellen. Dies war vorher nur bei alleinigem Sorgerecht möglich. Damit muss der betreuende Elternteil - das ist in den meisten Fällen die Mutter - künftig nicht mehr, nur weil ein gemeinsames Sorgerecht besteht, einen Anwalt oder eine Anwältin bezahlen, um den Kindesunterhalt durchzusetzen. ({7}) Außerdem wird die Möglichkeit, einem Kind nach einer Scheidung und Wiederverheiratung den neuen Ehenamen zu geben, neu geregelt. Das wird den Interessen aller Betroffenen künftig besser gerecht werden. So scheitert es künftig auch nicht mehr an einem gemeinsamen Sorgerecht, wenn das Kind diesen neuen Namen tragen soll. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bundesrat hat einen weiteren Punkt als regelungsbedürftig angesehen und Bestimmungen dazu in seinem Gesetzentwurf vorgesehen. Das ist die Gleichbehandlung der nicht ehelichen und der ehelichen Kinder, die vor 1949 geboren wurden; für ab 1949 Geborene hatten wir eine diesbezügliche Regelung. Auch meine Fraktion sieht hierin eine Ungerechtigkeit, zumal die völlige Gleichstellung zwar für die neuen Bundesländer, nicht aber für die alten Bundesländer gilt. Wir akzeptieren aber, dass ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, der auch vom Bundesverfassungsgericht bereits bestätigt wurde. Lassen Sie mich nun noch etwas zum Gesetzentwurf der PDS anmerken. Gut gemeint ist nicht immer gut; das wissen wir. Die Würde des Kindes ist natürlich ebenso wie die Würde der Frauen und die Würde der alten Menschen unantastbar. Sie alle fallen unter Art. 1 des Grundgesetzes, der die Menschenwürde festschreibt. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS, wir haben kein gesetzliches Defizit, sondern ein Defizit bei der Umsetzung. Darum müssen wir uns auf allen Ebenen vielmehr für die Einhaltung der Menschenwürde einsetzen. Wir brauchen aber keine Änderung des Grundgesetzes. Deshalb ist das vorliegende Gesetz auch so wichtig. Es schützt Kinder ganz konkret vor Gewalt und stärkt ihre Rechte. Ich bin mir sehr sicher, dass das neue Kindschaftsrecht zusammen mit dem Recht auf gewaltfreie Erziehung auch gesellschaftliche Signalwirkung haben wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür, dass Kinder keine Objekte sind, über die Erwachsene beliebig verfügen können. Wir tragen die Verantwortung dafür, dass wir in einer Gesellschaft leben, die Kindern Rechte zugesteht, die ihre Würde respektiert und Gewalt gegen Kinder verhindert. Darum bin ich froh, dass wir diesen Antrag interfraktionell erarbeitet haben und diesem auch so zustimmen werden. Vielen Dank. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainer Funke.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die FDP begrüßt den vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Verbesserung von Kinderrechten. Dieser Entwurf schließt sich nahtlos an die große Kindschaftsreform vom 1. Juli 1998 an. Damals ist unter anderem die Gleichstellung von ehelichen und nicht ehelichen Kindern im materiellen Recht und im Verfahrensrecht erreicht worden, allerdings mit einer Ausnahme, die bereits erwähnt worden ist und die zunächst auch Gegenstand der ersten Lesung des vorliegenden Gesetzes und der Beratungen im Rechtsausschuss gewesen ist. Dabei geht es um die Kinder, die vor dem 1. Juli 1949 nicht ehelich geboren waren und aufgrund des Nichtehelichen-Gesetzes von 1969 nur einen Erbersatzanspruch besitzen. Auch bei dieser Novelle ist wie 1998 von einer Neuregelung Abstand genommen worden, und zwar, wie ich meine, aus gutem Grund. Die Betroffenen haben in der Regel durch Verfügungen unter Lebenden und/oder Verfügungen von Todes wegen längst sinnvolle Regelungen gefunden. Selbst dann, wenn dies nicht der Fall sein sollte, bedarf es keiner dringenden Regelung, weil auch insoweit die mehrfachen Entscheidungen des Gesetzgebers und des Bundesverfassungsgerichtes respektiert werden sollten. Meine Damen und Herren, für den Fall der einverständlichen Zeugung des Kindes durch künstliche Befruchtung mittels Samenspende ist eine familienrechtliche Regelung getroffen worden, bei der die Anfechtung der Vaterschaft durch den Mann oder die Mutter ausgeschlossen ist. Wer die Entstehung eines Kindes verantwortet, muss für dieses Kind auch lebenslang Verantwortung übernehmen. ({0}) Das Gebot der gewaltfreien Erziehung ist bereits durch die Neufassung des § 1631 Abs. 2 BGB durch das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts vom 2. November 2000 geregelt, sodass dieser Passus aus dem Bundesratsentwurf obsolet war. Die Regelung, die wir noch zusätzlich in § 1666 a BGB gefunden haben, ist sicherlich zweckmäßig; darauf sind meine Vorredner bereits ausführlich eingegangen. Ich bin mir bewusst, dass im tatsächlichen Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, vor allem aber zwischen getrennt lebenden Ehegatten und Kindern trotz der großen Kindschaftsreform und trotz des Gesetzes, das wir heute gemeinsam verabschieden werden, nach wie vor Fragen offen bleiben werden. Wir können nicht alle tatsächlichen Verhältnisse durch Gesetze regeln. Fragen, die sich einer gesetzlichen Normierung und gerichtlichen Überprüfung entziehen, können wir nicht durch Gesetze oder Verordnungen regeln. Selbst dann, wenn solche Fragen durch Beschluss oder Urteil entschieden worden sind, sind sie häufig nur schwer oder gar nicht vollstreckbar. Hier wird es auch Aufgabe des Gesetzgebers sein, die Beteiligten davon zu überzeugen, dass bei allem Streit zwischen Erwachsenen das Wohl der Kinder im Vordergrund stehen muss, denn sie sind die schwächsten Glieder unserer Gesellschaft. ({1}) Abschließend danke ich dafür, dass die Berichterstattergespräche in guter und sachlicher Atmosphäre stattgefunden haben und von den Mitarbeitern des Bundesjustizministeriums sachkundig vorbereitet wurden. So etwas würde man bei größeren Vorhaben auch gern erlebt haben. Aber es verbleibt die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Vielen Dank. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Rosel Neuhäuser.

Rosel Neuhäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002744, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beschließen heute ein weiteres Gesetz, dessen Ziel es ist, die Rechtsstellung des Kindes zum Inhalt gesetzlicher Regelungen zu machen. Die Subjektstellung des Kindes hat auf der einfachgesetzlichen Ebene Deutschlands in den letzten Jahren in vielen Bereichen schon ihre Berücksichtigung gefunden, Ich nenne zum Beispiel das heute schon viel zitierte Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung vom November 2000. Diese Gesetzesänderungen spiegeln die veränderte Wahrnehmung von Kindern in unserer Gesellschaft wider. Kinder werden im öffentlichen Bewusstsein mehr und mehr als eigenständige Persönlichkeiten wahrgenommen. Diese Entwicklung verfolge ich als derzeitige Vorsitzende der Kinderkommission, deren Aufgabe die Wahrnehmung der Belange von Kindern ist, mit großer Freude. Im Sinne der Berücksichtigung der Subjektstellung des Kindes ist die Forderung des Ausschlusses der Vaterschaftsanfechtung bei künstlicher Befruchtung zu nennen. Die Regelung, dass sich Männer, die in eine künstliche Befruchtung mittels Samenspende eines Dritten eingewilligt haben, von der damit übernommenen Verantwortung nicht wieder lossagen können, schützt aus meiner Sicht das Wohl des Kindes. In diesem Sinne ist die Einführung einer Beistandschaft in Unterhaltssachen auch bei gemeinsamer elterlicher Sorge zu begrüßen. Sie scheint ein Indiz dafür zu sein, dass Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, das gemeinsame Sorgerecht mittlerweile realistischer und damit kritischer als zum Zeitpunkt seiner Einführung 1998 sehen. Bezüglich des vereinfachten Verfahrens zu Unterhaltsfragen bleibt jedoch zu prüfen, zu welcher Wirkung es letztendlich in der Praxis führt. Die Forderung nach einem völligen Verzicht auf Körperstrafen in der Erziehung ist im bereits erwähnten Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung schon enthalten. Darin aber - das scheint mir dabei besonders wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen - ist geregelt, dass das Kind ein Recht auf gewaltfreie Erziehung hat. ({0}) Hier setzt die rechtliche Regelung in Anlehnung an die UN-Kinderrechtekonvention direkt beim Kind an. Das Kind wird so aus seiner Rolle als Objekt elterlicher und staatlicher Sorge herausgeholt. Dies ist auch der zentrale Punkt des von meiner Fraktion vorgelegten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes. Wenn wir Politiker unsere Verantwortung Kindern und Jugendlichen gegenüber wahrnehmen wollen, dann müssen wir die Entwicklung der veränderten Sichtweise von Kindern in unserer Gesellschaft fixieren. Unsere Verfassung bleibt aber hinsichtlich einer expliziten Formulierung subjektiver Rechte der Kinder hinter dieser Entwicklung zurück. Diese Einschätzung hat übrigens auch die Bundesfamilienministerin Bergmann im August des letzten Jahres in einem Artikel selbst geäußert. Es geht um die formale Aufnahme einer längst verbreiteten Praxis. Die Verankerung der Rechte des Kindes in der Verfassung ist meiner Ansicht nach ein längst überfälliger, beinahe schon symbolischer Akt. ({1}) Er würde aber den Willen, das Aufwachsen von Kindern in unserer Gesellschaft verbessern zu wollen, noch einmal deutlicher unterstreichen. Genau heute vor einer Woche hat das Land NordrheinWestfalen als zehntes Bundesland Kinderrechte in seine Landesverfassung aufgenommen, und zwar nicht mit einem mehrheitlichen Abstimmungsergebnis, sondern einstimmig. Wir auf Bundesebene sollten es nun auch endlich in die Hand nehmen, die Rechte von Kindern explizit im Grundgesetz zu verankern. ({2}) Das wäre ein weiterer Schritt in der Umsetzung der UN-Kinderrechtekonvention, den wir der deutschen Delegation als Gepäck mit auf den Weg zum Weltkindergipfel der Vereinten Nationen in New York geben könnten. Vielen Dank. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Anni Brandt-Elsweier.

Anni Brandt-Elsweier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000247, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich zur Volksschule ging, wurde Ungehorsam dort noch mit körperlicher Züchtigung bestraft, und zwar geschlechtsspezifisch. Die Jungen mussten ihr Gesäß dem Rohrstock entgegenhalten, die Mädchen die geöffneten Hände. Es herrschte Zucht und Ordnung; besser gesagt glaubte man, Ordnung durch Zucht zu erreichen. Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei. Leider aber bedeutet das nicht, dass Kinder heutzutage frei von Angst und Gewalt aufwachsen können. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass Gewalt gegen Kinder in vielen Familien zum Erziehungsalltag gehört. Etwa 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland erfahren in unterschiedlichem Ausmaß Gewalt in der Erziehung, zum Beispiel durch Ohrfeigen oder sogar durch eine Tracht Prügel. Rund 1,3 Millionen Kinder werden körperlich misshandelt. Hinzu kommt in etwa der gleichen Größenordnung psychische Gewalt in Form von elterlicher Ablehnung oder Vernachlässigung. Wir wissen heute, dass Kinder, die in der Familie Gewalt erlitten haben, später selbst eher zur Gewalttätigkeit neigen. Um diesen Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen, haben wir bereits im November 2000 - das ist mehrfach erwähnt worden - das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung verabschiedet, mit dem das Bewusstsein dafür geschärft werden soll, dass Gewalt nicht nur kein geeignetes Erziehungsmittel ist, sondern vielfältige negative Auswirkungen auf die betroffenen Kinder hat. Das oberste Ziel von Erziehung heißt Mündigkeit, sagte der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung, Ludwig Eckinger, auf einer Pressekonferenz des Verbandes im Juli letzten Jahres. Ich teile diese Auffassung, und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen ist die Mündigkeit der Eltern gefragt. Untersuchungen zufolge misshandeln Eltern ihre Kinder zum Teil aufgrund psychischer Überforderung, Gereiztheit oder Stress. In vielen Familien aber wird Gewalt noch immer als brauchbares Erziehungsmittel angesehen. ({0}) Diesen Eltern ist klar zu machen, dass Gewalt nicht die Lösung der Probleme darstellt, sondern leider allzu oft die Ursache ist. Es hat wenig Sinn, Kinder anzubrüllen oder gar zu schlagen; das macht sie nur verstört oder verstockt. Es gilt, den Eltern zu vermitteln, dass man auch mit kleinen Kindern argumentieren und diskutieren kann - so meine eigene Erfahrung - und über den Weg der Einsicht wesentlich mehr erreicht als über den Weg der Gewalt. ({1}) Deswegen ist es zum anderen ebenso wichtig, die Mündigkeit der Kinder zu betonen. Kinder sind nicht der Besitz der Eltern; sie haben eine eigene Persönlichkeit und eigene Rechte. ({2}) Es sind junge Menschen, die uns anvertraut werden, für die wir Verantwortung übernehmen, über die wir aber keine uneingeschränkte Gewalt ausüben dürfen und die ein Anrecht auf eine gewaltfreie häusliche Umgebung haben. Ein solches Bewusstsein lässt sich aber weder verordnen noch erzwingen. Hierzu bedarf es flankierender Maßnahmen vonseiten des Staates. Deswegen bin ich sehr froh, dass wir mit dem vorliegenden Kinderrechteverbesserungsgesetz auch eine Lücke schließen können, die das von uns bereits verabschiedete Gewaltschutzgesetz offen gelassen hat. ({3}) Im Rahmen der damals geführten parlamentarischen Debatte wurde unter anderem die Frage erörtert, ob der zivilrechtliche Schutz von Kindern vor elterlicher Gewalt oder Gewaltanwendung durch Dritte, etwa dem neuen Partner eines Elternteils, ausreichend ist. So sieht das Gewaltschutzgesetz zum Beispiel keinen Schutz vor, wenn gemeinsam sorgeberechtigte Eltern mit einem Kind zusammenleben und zum Beispiel der Vater oder der Lebensgefährte das Kind, nicht aber die Mutter misshandelt. Wir waren uns fraktionsübergreifend einig - auch dies ist bereits mehrfach betont worden -, dass diese Gesetzeslücke zu schließen ist. Ihr Versprechen, dies mithilfe eines Kinderrechteverbesserungsgesetzes zu erreichen, hat die Bundesjustizministerin sehr schnell erfüllt. Dafür gebührt dem Ministerium herzlicher Dank. ({4}) Ist zum Schutz des Kindes eine Trennung von seinen Eltern bzw. einem Elternteil erforderlich, so wurde diese Trennung in der Praxis bisher meist durch eine so genannte Fremdunterbringung des Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern realisiert. Mit der Ergänzung des § 1666 a BGB ist es nun möglich, den Schutz des Kindes auch dadurch zu realisieren, dass das Gericht eine Wegweisung des gewalttätigen Elternteils anordnen kann. Das Kind kann somit in seiner vertrauten Umgebung bleiben und wird nicht zusätzlich durch eine ihm völlig fremde Umgebung bestraft. Wir wissen, dass für eine Anzeige bei den Behörden oft das Täter-Opfer-Verhältnis entscheidend ist. Die Kriminalstatistik belegt, dass Fremdtäter sehr häufig angezeigt werden. Dagegen kommen Misshandlungen in der Familie aus Scham, Angst oder aus Solidarität mit dem Täter nur selten zur Anzeige. Ähnlich hoch ist nach Ansicht der Experten auch die Dunkelziffer bei der Misshandlung von Schutzbefohlenen. In diesem Bereich werden die Anzeigen vor allem von Nachbarn, Kindergärtnern oder Lehrern erstattet. Auch hier erweist sich die neue Regelung als effektiv, da die Maßnahmen unabhängig von einem Antrag von Amts wegen getroffen werden. Eine Wegweisung des gewalttätigen Elternteils, aber auch eines Dritten zum Schutz des Kindes ist auch dann möglich, wenn der nicht gewalttätige Elternteil keinen entsprechenden Antrag stellt, weil er beispielsweise seine Beziehung nicht gefährden will. Ich denke, dies alles dient dem Wohl des Kindes. Diese sehr gute Lösung ist im Interesse der Kinder zu begrüßen. Somit reiht sich dieses Gesetz in die Reihe der bereits verabschiedeten Gesetze ein, die in Zusammenarbeit zwischen den Ressorts Justiz sowie Familie, Senioren, Frauen und Jugend in dieser Legislaturperiode erfolgreich auf den Weg gebracht wurden. ({5}) Wir haben umfangreiche Regelungen zum Schutze von Frauen und Kindern gegen Gewalt und Diskriminierung getroffen. Auch das Kinderrechteverbesserungsgesetz verdeutlicht nochmals: Kinderrechte sind Menschenrechte. Kinder sind eigene Persönlichkeiten mit eigenen Rechten, die von niemandem verletzt werden dürfen - auch nicht von den eigenen Eltern. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ingrid Fischbach.

Ingrid Fischbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003117, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir verabschieden heute ein gelungenes Werk. Ich sage das nicht nur deshalb, weil dieser Gesetzentwurf die Stellung der Kinder verbessert und dazu beiträgt, die Rechtssicherheit und die Subjektstellung der Kinder in unserer Gesellschaft zu verbessern, sondern auch - das möchte ich an dieser Stelle betonen -, weil es Ihnen, meine Damen und Herren der Regierungskoalition, gelungen ist, auf die Vorschläge der Opposition einzugehen. ({0}) Ich kann mich noch an die eine oder andere Diskussion im Ausschuss erinnern, bei denen Sie anfangs noch sehr skeptisch waren. Insofern freue ich mich ganz besonders, dass Sie unsere Vorschläge aufgegriffen haben und dass wir heute diesen Gesetzentwurf einstimmig verabschieden können. Dieser Gesetzentwurf ist eine gute Weiter- und Fortentwicklung des bestehenden Kindschaftsrechtsreformgesetzes, das wir seinerzeit noch unter der alten Regierung - ebenfalls gemeinsam - verabschiedet haben. Wie alle guten Reformen und Gesetze muss auch dieses Gesetz in der Praxis überprüft werden. Dementsprechend gilt: Wenn es neue Erkenntnisse gibt und Verbesserungen möglich sind, muss es eine Überarbeitung geben. In der ersten Vorlage, die wir schon vor Jahren im Ausschuss hatten, waren einige Punkte enthalten, die mittlerweile obsolet sind. Zum Beispiel wurde das Thema „gewaltfreie Erziehung“ durch das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung schon aufgegriffen. Das kleine Sorgerecht ist mittlerweile genauso wie das vereinfachte Verfahren bei den Unterhaltszahlungen überholt. Das Problem des Erbrechts bei nicht ehelichen Kindern hat schon mein Kollege Pofalla angesprochen. Ich freue mich, dass Sie an dieser Stelle unserem Vorschlag gefolgt sind, den bestehenden Vertrauenstatbestand nicht abzuschaffen, sondern beizubehalten. Dafür danke ich Ihnen sehr. Lassen Sie mich drei Punkte zu den Regelungen sagen, die im Interesses der Kinder besonders wichtig sind. Der erste Punkt ist die Vaterschaftsanfechtung. Ich finde es sehr wichtig und richtig, dass die Anfechtung einer Vaterschaft bei künstlicher Befruchtung durch Samenspende eines Dritten ausgeschlossen wird. Wer sich entschließt, eine künstliche Befruchtung durchzuführen, bei der man eine Samenspende eines Dritten braucht, der hat es sich ganz genau überlegt. Diese Eltern - da sind wir sicher einer Meinung - sollte man nicht aus der Verantwortung gegenüber dem Kind entlassen. Insofern kann man diese Regelung nur unterstützen. Sie ist der richtige Schritt im Interesse der Kinder. ({1}) Der zweite Punkt, der für die Kinder ebenfalls sehr wichtig ist, ist die Einbenennung bzw. das Namensrecht. Bisher war es möglich, dass ein Kind den Namen der neuen Familie annehmen konnte, wenn der Elternteil, der eine neue Familie gegründet hat, das alleinige Sorgerecht hatte. Wir haben dieses Recht auf die gemeinsame Sorge erweitert und das ist richtig. Gerade die Erfahrungen im Schulwesen zeigen - ich kann das aufgrund meiner früheren Tätigkeit sagen -, dass Kinder darunter leiden, nicht denselben Namen wie die neuen Eltern zu tragen. Dank des gemeinsamen Sorgerechts ist das jetzt möglich. Das ist ein Weg, die Integration der Kinder in die neuen Familien zu fördern. Das sollten wir unterstützen. Zweifel und Sorgen führten zu der berechtigten Frage: Kann man das Recht so gestalten, dass man die Namensänderung rückgängig machen kann? Wir sollten aber gerade beim Namensrecht auf Kontinuität achten und keinen ständigen Wechsel des Namens möglich machen. Daran sollten wir stärker arbeiten. Ich bin der Auffassung, dass der eingeschlagene Weg richtig ist. ({2}) Meines Erachtens ist der weitere Ausbau des Schutzes unserer Kinder vor Gewalt der wichtigste Aspekt. Dazu gehört das Wegweisungsrecht. Ich finde es richtig, dass der zivilrechtliche Kinderschutz konkretisiert worden ist. Es wird klargestellt, dass ein gewalttätiger Elternteil aus der Wohnung gewiesen werden kann. An dieser Stelle ist es mir besonders wichtig, festzuhalten, dass nicht nur ein gewalttätiger Elternteil weggewiesen werden kann, sondern auch ein gewalttätiger Dritter. Die Realität zeigt, dass in neuen Familiensituationen Ehepartner bzw. Lebenspartner gewalttätig werden. Jetzt besteht die Möglichkeit, konkret zu handeln. Zum Schutze unserer Kinder ist das wichtig. Wir haben dafür gesorgt - ich halte es für gelungen; wir tragen das gemeinsam -, dass Kinder nicht aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen werden. Wie sah es bisher aus? Um unsere Kinder zu schützen, wurden sie in Heimen oder in Pflegefamilien untergebracht, das heißt, sie wurden aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen. Für die kindliche Entwicklung ist das schädlich. Insofern ist es besser - davon bin ich überzeugt -, den gewalttätigen Elternteil oder den gewalttätigen Dritten aus der Wohnung zu weisen. Das ist ein richtiger Schritt zum besseren Schutz unserer Kinder. ({3}) Ich möchte zwei Punkte hinsichtlich der Kompetenzerweiterung des Jugendamtes nennen, die wir begrüßen. Meine Fraktion findet es richtig, dass die Beistandschaft des Jugendamtes in Unterhaltsachen ausgeweitet wurde. Das bedeutet, dass auch bei Vorhandensein der gemeinsamen elterlichen Sorge das Jugendamt Beistand leisten kann. Das ist richtig und wichtig. Das Beurkundungsrecht des Jugendamtes ist ebenfalls erweitert worden. Es hilft den Familien und den Kindern. An diesem Punkt wird deutlich, dass Kinder gleichgestellt werden und nicht darauf geschaut wird, wer das - alleinige oder gemeinsame - Sorgerecht hat. Die Gleichbehandlung der Kinder steht im Vordergrund. Die heutige Verabschiedung des Kinderrechteverbesserungsgesetzes ist ein weiterer wichtiger Schritt zur Verbesserung der Kinderrechte in unserer Gesellschaft. In Art. 2 des Grundgesetzes werden das Persönlichkeitsrecht des Kindes und seine Rechtsstellung garantiert. Das Kinderrechteverbesserungsgesetz verfolgt dieses Ziel. Auf diesem Gebiet arbeiten wir weiter. Insofern freue ich mich, dass das Land Nordrhein-Westfalen auf Initiative der CDU-Fraktion - das darf ich an dieser Stelle sagen - ({4}) - Frau Schewe-Gerigk, Sie sehen: Wir sind die Initiatoren und wir können im Moment noch damit leben, dass Sie dieses Vorhaben umsetzen. Nach dem 22. September werden wir unsere Initiativen selbst umsetzen. Lassen Sie uns für unsere Kinder gemeinsam arbeiten! Danke. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Margot von Renesse.

Margot Renesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein heutiger Beitrag ist wahrscheinlich mein letzter zum Thema Familienrecht. Ich freue mich, dass wir auf diesem Gebiet - gerade in diesem Punkt - wieder Einvernehmen erzielt haben. Sie, Herr Pofalla und Herr Funke, wissen ebenso wie meine Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion, dass ich immer Wert darauf gelegt habe, dass man Familienrecht bei aller Auseinandersetzung nicht mit einer Mehrheit von 51 Prozent ändert. Damit ist weder den Regierungsfraktionen noch der Opposition geholfen; ({0}) denn das Familienrecht ist kulturell tief verankert. Man sollte sich auf diesem Gebiet nicht einfach durchsetzen. Das würde die Gesellschaft spalten. Im Übrigen hätte es wenig Sinn; denn die Richter würden machen, was sie wollen. ({1}) Wir würden - das weiß ich als Richterin - die Rechtswirklichkeit dann nicht prägen können. Ich habe mich ein bisschen über Sie geärgert und das will ich Ihnen auch ganz deutlich sagen, Herr Pofalla und Herr Funke. Was Sie in Bezug auf Herrn Pick und mich formuliert haben, waren vergiftete Komplimente. Sie erinnern mich an folgende Situation: Ich koche sonntags mit großer Mühe und mein Mann sagt: Heute schmeckt es mal gut. ({2}) Sie werden verstehen, dass das ein Unwerturteil ist, verpackt in eine Süßigkeit. Das kann man nicht billigen. Wir haben uns, denke ich, Mühe gegeben, so wie Sie es in den vergangenen Legislaturperioden getan haben, als Sie - im Sinne dessen, was ich eingangs sagte - das Gespräch zu moderieren hatten. Ich freue mich darüber, dass es jedenfalls geklappt hat und dass wir im ganzen Hause Zustimmung bekommen. Ich möchte noch etwas deutlich machen, was die Gewalt im Nahbereich angeht; Herr Geis hat da vorhin in seinem Beitrag protestiert. Wir wissen auf der einen Seite, dass Kinder besonders häufig durch Gewalt, Missachtung und Misshandlung im Nahbereich geschädigt werden. Das heißt, Schädigungen, die bei Kindern eintreten, geschehen weitgehend im Nahbereich. Auf der anderen Seite können Kinder ohne den Nahbereich nicht leben. Die meisten Eltern, sogar diejenigen, die die Sprache mit dem hässlichen Ausdruck Stiefeltern belegt, lieben ihre Kinder und sie sind in dieser Liebe Motivbündel. Wenn sie mit Kindern zusammenleben, müssen sie Gott sei Dank nicht danach differenzieren, was sie für sich tun und was sie für das Kind tun; es ist alles ein Strunk. ({3}) Wenn Eltern ihr Kind Klavier spielen lernen lassen, dann brauchen sie nicht zu fragen, ob sie das tun, weil sie ein Kind haben möchten, das Klavier spielen kann, oder ob sie das tun, weil sie dem Kind eine Chance zur Lebensfreude geben wollen. Es läuft alles in dieselbe Richtung. Eine solche Unterscheidung braucht man - dem Himmel sei Dank - in aller Regel nicht zu treffen. Kindern bekommt der Nahbereich, weil er Nähe und Distanz gleichermaßen vermittelt - mit Versagen, aber auch, und zwar am meisten, mit Gutem. Wenn Eltern anfangen, Dienst nach Vorschrift zu machen, dann Gnade uns Gott! Das Versagen gehört dazu. Ich bekenne mich vor meinen Kolleginnen und Kollegen Eltern als jemand, der im Erziehungsgeschäft auch immer wieder einmal versagt hat. So etwas sollte kein Jugendamt und kein Gericht zum Handeln zwingen. Die Familie - das wissen wir eben auch - ist ein gefährliches besonderes Gewaltverhältnis, wenn sie nicht funktioniert. Wenn Kälte regiert, wenn Überforderung regiert, wenn Stress regiert, dann ist es für Kinder gefährlich. Familienrecht beschreibt nicht Familie, Familienrecht ist Konfliktrecht. Ich erinnere mich an eine Situation zu Hause. Da hat mein Ältester von mir verlangt, dass ich um 19 Uhr das Abendbrot serviere. Das sei in vernünftigen Familien so üblich, erklärte er mir. Da habe ich ihn voller Zorn in sein Zimmer geschickt, ihm die Unterhaltsparagraphen aufgeschlagen und gesagt, da könne er nachlesen, was er von mir verlangen könne. ({4}) Normalerweise schauen weder Eheleute ins Familienrecht, wenn sie miteinander umgehen, noch Eltern, wenn es um das Verhältnis zum Kind geht, und, wie ich hoffe, auch umgekehrt. Wenn wir Familienrecht formulieren, schaffen wir ein Recht für die Fälle, in denen Eltern mit Kindern auf die normale, intuitive Weise nicht klarkommen; es gibt diese gescheiterten Eltern-Kind-Verhältnisse. Wir schaffen auch ein Recht für Richter, das sie aber nicht federfuchsig handhaben sollten. Sie sollten wissen, dass Sie immer nur dafür da sind, das Allerschlimmste zu verhindern. Sie sind nicht die Überväter und Übermütter unserer Kinder. ({5}) Sie haben zu respektieren, dass die Eltern ihre Kinder in der Regel mehr lieben als Jugendämter, Familienrichter, irgendwelche Funktionäre und auch der Gesetzgeber. ({6}) Ich hoffe, dass wir da kein Missverständnis ausgelöst haben; wenn doch, wäre es nicht in meinem Sinne. Es tut mir Leid, dass ich nun die Lösung einiger Probleme im Familienrecht nicht mehr mit anpacken kann. Dazu gehört das Problem der gescheiterten Besuchsverhältnisse. Dazu gehört das Problem der gescheiterten Herausgabeverhältnisse. Was wir da an Leid und Elend in der Rechtswirklichkeit erleben, spottet jeder Beschreibung. Ich wünsche Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen, dass Sie in der nächsten Legislaturperiode dabei eine glückliche Hand haben und dafür sorgen, dass es dieses Verzweifeln am Recht nicht mehr gibt, dass es Sie genauso stört und schmerzt wie die Betroffenen selbst. In diesem Sinne: Gutes Glück für weiteres Gelingen! ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gutes Glück wünschen wir auch Ihnen. Wir jedenfalls möchten Ihre Rede zum Familienrecht noch nicht als Abschiedsrede gewertet wissen. ({0}) - Ich wollte damit nur klarstellen, wie viel Sie uns wert sind. Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Verbesserung von Kinderrechten, Drucksachen 14/2096 und 14/8131. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Stimmt jemand dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen worden. ({1}) Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben, wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. Stimmt jemand dagegen? - Das ist nicht der Fall. - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit auch in dritter Lesung einstimmig angenommen. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/7818 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist auch die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch ({2}) - Drucksache 14/8099 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({3}) Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat das Wort der Abgeordnete Fritz Schösser.

Fritz Schösser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003230, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 9. Dezember 1992 sagte Rudolf Dreßler in der Debatte zum Gesundheitsstrukturgesetz: Die im Gesetzentwurf vorgesehene neue Regelung der Beitragszahlung für freiwillig Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1992 Rentner werden, hat zu heftigen öffentlichen Diskussionen geführt. Auch wenn dieser Neuregelungsvorschlag nicht von uns erfunden wurde, sondern aus den Reihen der Koalition stammt - die SPD hätte bekanntlich eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze bevorzugt -, haben wir keine Veranlassung, zu dieser Regelung auf Distanz zu gehen. Hätte Horst Seehofer - dem ich im Übrigen von dieser Stelle aus die besten Genesungswünsche übermitteln möchte ({0}) auf die SPD gehört, wären die Beitragszahler pro verdienten 100 DM über der damaligen Beitragsbemessungsgrenze von 5 100 DM mit einem Krankenversicherungsbeitrag von 6,22 DM bzw. höchstens mit 18,66 DM bei einem Einkommen von 5 400 DM belastet worden. Damit wären wir verfassungsrechtlich auf der sicheren Seite gewesen und es wäre uns ein Haufen Ärger erspart geblieben. ({1}) - Herr Wolf, das ist bei Kompromissen so. Trotzdem ist in der damaligen Auseinandersetzung deutlich geworden, was falsch war. ({2}) Falsch war, die Regelung zu den Vorversicherungszeiten zu verschärfen. Dennoch war das, was Horst Seehofer beitragsrechtlich für freiwillig versicherte Rentner in der Krankenversicherung auf den Weg brachte, überlegenswert. Warum? Zum einen traf diese Regelung den Normalrentner nicht. Zum anderen mussten die Rentner, die neben der gesetzlichen Rente hohe zusätzliche Einkünfte aus Kapitalvermögen und Vermietung hatten und die nach den Bestimmungen des Gesetzes als freiwillig Versicherte einzustufen waren, höhere Beiträge zahlen, weil jetzt auch diese Einkünfte bis zur Bemessungsgrenze beitragspflichtig wurden. Bei einem Teil der freiwillig versicherten Ruheständler war das im Übrigen auch schon vor dem 1. Januar 1993 so. So wird es wohl auch in Zukunft sein, und zwar dann, wenn ihre Versicherungsvita nicht wenigstens dem so genannten Halbbelegungsgrundsatz entspricht. Und das ist auch richtig so. Denn es ist ja nicht einzusehen, dass zum Beispiel eine allein erziehende Arbeitnehmerin mit 1 200 Euro brutto pro Monat auf ihr gesamtes Einkommen Krankenversicherungsbeiträge zahlen muss, während sich der freiwillig Versicherte mit geringer Rente, aber mit hohen Einkünften aus anderen Einkommensquellen mit Krankenversicherungsbeiträgen in bescheidener Größenordnung in die solidarische Krankenversicherung hineinschwindeln kann. ({3}) Anlass für die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit war also die Verschärfung der Regelung zu den Vorversicherungszeiten im Gesundheitsstrukturgesetz vom 1. Januar 1993. Das ist letztendlich der ursächliche Fehler, der zur Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht geführt hat. ({4}) Seither werden Rentenbezieher nur noch dann Mitglied in der Krankenversicherung der Rentner, wenn zumindest bei neun Zehnteln der zweiten Hälfte ihres Erwerbslebens eine Pflichtmitgliedschaft vorgelegen hat. Dies hatte zur Folge, dass ein Versicherter, der mit seinem Einkommen in einigen Jahren seines Erwerbslebens die Beitragsbemessungsgrenze überschritten hatte und damit freiwillig versichert war, nicht mehr in die Krankenversicherung der Rentner aufgenommen werden konnte, sondern sich als Rentner freiwillig oder privat versichern musste. Diese Regelung, verbunden mit der Frage der beitragsrechtlichen Ungleichbehandlung zwischen pflichtversicherten Rentnern einerseits und den freiwillig versicherten Rentnern andererseits, verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht lässt für den Gesetzgeber nun ganz ausdrücklich zwei Wege offen: Entweder kann er die Vorversicherungszeit zur Begründung einer Mitgliedschaft neu gestalten und vor allem die Zeiten der freiwilligen Versicherung zur Begründung einer Pflichtmitgliedschaft in der Krankenversicherung für Rentner wieder berücksichtigen oder die Beitragsbelastung der pflichtversicherten Rentner und der freiwillig versicherten Rentner wird angenähert. Auch hier lassen die Verfassungsrichter die Wege in beide Richtungen offen und schaffen kein Präjudiz. Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht für den Fall, dass der Gesetzgeber die Schlechterstellung der freiwillig versicherten Rentner nicht beseitigt, den Zugang zur Versicherungspflicht der Rentner nach den Regelungen des Gesundheits-Reformgesetzes von 1988 festgelegt. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes hat damit Gesetzeskraft und bedürfte eigentlich keiner gesetzlichen Klarstellung. Vor welcher Situation stehen wir nun? Die vom Bundesverfassungsgericht erwogene Alternative, das Beitragsrecht von Rentnern neu zu regeln, muss gut durchdacht und abgewogen werden. Es wäre meines Erachtens fatal, jetzt eine Präjudizierung der Frage der künftigen Gestaltung des Beitragsrechtes der gesetzlichen Krankenversicherung vorzunehmen. ({5}) - Ganz ruhig, Herr Wolf, das kommt schon noch. - Im Übrigen befinden wir uns damit in voller Übereinstimmung mit Herrn Seehofer, der in der „Frankfurter Rundschau“ vom 28. Juli 2000 mit folgender Aussage wiedergegeben wird: Unionsfraktionsvize Horst Seehofer ({6}), aus dessen Zeit als Gesundheitsminister die kritisierte Regelung stammt, mahnte im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau zu „großer Ernsthaftigkeit“ beim Umgang mit dem Urteil. Der Spruch habe „tiefgreifende Bedeutung weit über den Kreis der Rentner hinaus“. Die Frage, ob Zins- und Mieteinnahmen zum Kassenbeitrag herangezogen werden, „könnte auch für andere Sozialversicherungszweige erhebliche Bedeutung haben“. ({7}) Deshalb geht es heute nicht um irgendwelche Schnellschüsse. ({8}) Das zeigt sich auch, wenn man die Kleine Anfrage der CDU/CSU vom 29. Januar liest, Herr Wolf, in der Sie unter Ziffer 3 fragen: Sofern die Bundesregierung im Amt bleibt, schließt sie auch für die nächste Legislaturperiode aus, dass - wie von dem rheinland-pfälzischen Sozialminister Gerster ({9}) vorgeschlagen - alle Rentner mit sämtlichen Einkünften zur Beitragsbemessung herangezogen werden? ({10}) Ich zitiere einmal Frau Stamm aus der Zeit, als sie noch Gesundheitsministerin war. Das ist nämlich ganz interessant. Ich zitiere aus einer Pressemitteilung: Eine Strukturreform dürfe auch nicht die Einnahmenseite der gesetzlichen Krankenversicherung außer Acht lassen. ({11}) Es stelle sich die Frage, ob es noch gerechtfertigt sei, die Beiträge allein an das Arbeitsentgelt zu koppeln. Immerhin sei der Anteil der Arbeitseinkünfte am gesamten Einkommen der Versicherten von 56 Prozent in 1960 auf 42 Prozent in 1997 gesunken. Dann folgt ein Zitat von Frau Stamm: „Ist es nicht falsch verstandene Solidarität, wenn der, der auch andere Einnahmequellen als seine Arbeit zur Verfügung hat, die Solidargemeinschaft voll in Anspruch nehmen kann?“ Ich frage mich: Wer will da was für die Zukunft? ({12}) Ich hoffe, Herr Wolf, Sie sorgen für Aufklärung darüber, was Sie in der nächsten Legislaturperiode machen würden, wenn der komische Zustand eintreten würde, dass Herr Stoiber Bundeskanzler wird, was ich ganz und gar nicht erwarte oder glaube. ({13}) Der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Rahmen kann erst im Zuge einer grundlegenden Neuregelung des Beitragsrechtes für alle Versicherten ausgelotet werden. Jetzt geht es uns darum, für die betroffenen Rentner Klarheit zu schaffen, damit sie wissen, woran sie sind. Jetzt geht es um Vertrauensschutz und Bestandsschutz für die betroffenen Rentner. Das ist die Zielrichtung des heutigen Gesetzes. ({14}) Die überwiegende Zahl von 1 Million freiwillig krankenversicherten Rentnern wird im Übrigen entlastet. Für sie entfällt die Beitragspflicht auf sonstige Einnahmen und sie haben auf Versorgungsbezüge geringere Beiträge zu entrichten. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts droht aber Rentnern, die ausschließlich eine gesetzliche Kleinrente bzw. nur ganz geringe Versorgungsbezüge erhalten, eine Belastung. Diese Rentner müssen als künftige Pflichtversicherte nicht mehr den ermäßigten, sondern den allgemeinen Beitragssatz entrichten. Es geht für diesen Personenkreis also um 0,75 Beitragspunkte mehr. Ähnliches gilt im Übrigen für die mitversicherten Familienangehörigen, die ein Einkommen unter 335 Euro haben, wenn der Stammversicherte bisher freiwillig versichert und nur Rentenbezieher war. Weil wir es nicht akzeptieren, dass die Rentner mit mehrfachem und gutem Alterseinkommen weniger zahlen und die mit geringerem Einkommen jetzt bluten sollen, sorgen wir mit unserem Gesetzentwurf dafür, dass bestehende Versicherungsverhältnisse von Rentnern im bisherigen Versichertenstatus bei gleicher Beitragsleistung fortgeführt werden. Das ist unsere Zielsetzung. Wir stellen also für die vom Urteil negativ betroffenen Rentner einen weit gehenden Bestandsschutz bezüglich Ihrer Versicherungsverhältnisse her. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir gehen mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes sozial verantwortlich um und wetzen erneut eine Scharte aus, die Sie uns, meine Damen und Herren von der Opposition zu meiner Rechten, eingebrockt haben. ({15})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ulf Fink.

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute über den von der Regierungskoalition eingebrachten Gesetzentwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - ein sehr komplizierter Titel; die Leute verstehen das kaum. Die Presse, die ja die Aufgabe hat, die Dinge etwas klarer zu stellen, hat diesem Gesetzentwurf, wie ich finde, einen besseren Titel gegeben: Die Regierungskoalition beginnt mit Wahlgeschenken an die Rentner. ({0}) Ich finde, damit hat die Presse es genau auf den Punkt gebracht. Was lag denn vor? Es lag in der Tat ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vor, in dem gesagt wurde: Ihr müsst die Rentner gleich behandeln; entweder bei den freiwillig versicherten Rentnern die Nebeneinkünfte bei der Beitragsbemessung nicht mehr wie bisher mitberücksichtigen oder umgekehrt bei den pflichtversicherten Rentnern neben der Rente auch die Nebeneinkünfte zur Beitragsbemessung heranziehen. Das Bundesverfassungsgericht hat also gefordert: Gesetzgeber, du musst alle gleich behandeln. Das ist ja auch okay. Weiter hat es gesagt: Wie du, Gesetzgeber, diese Gleichbehandlung herstellst, ist dir überlassen; das sollst du sagen. ({1}) Zu den Aussagen, die ich gerade gehört habe, man sei noch nicht so weit und müsse verantwortlich damit umgehen usw., ({2}) sage ich, lieber Fritz Schösser - Herr Schösser ist ja ein alter Fahrensmann der Gewerkschaftsbewegung -: ({3}) Zwei Jahre habt ihr Zeit gehabt. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist nicht erst gestern oder vor drei Monaten oder vor sechs Monaten ergangen. ({4}) Nein, vor zwei Jahren hat das Bundesverfassungsgericht gesagt: Gesetzgeber, du musst handeln. Dafür hat es dem Gesetzgeber zwei Jahre Zeit gegeben. ({5}) Ich habe damals schon gesagt, dass ich sehr gespannt bin, in welche Richtung die SPD gehen wird und ob sie vor der Bundestagswahl den Mut aufbringt, das zu tun, was sie in ihr Wahlprogramm von 1996 hineingeschrieben hat. ({6}) Da steht nämlich ausdrücklich drin: Die SPD schlägt vor: eine gerechtere Bemessungsgrundlage in der Rentner-Krankenversicherung durch Einbeziehung von Nebeneinkünften. Das war der Beschluss von 1996. ({7}) Dann stand dort: Schluss mit der Flickschusterei der Regierung Kohl. Das war sozialdemokratische Beschlusslage 1996. ({8}) Was müssen wir heute feststellen? Heute hat die Regierungskoalition jeglicher Mut verlassen. Sie hat nicht einfach gesagt: „Wir machen in dieser Frage gar nichts“, sodass der ursprüngliche Rechtszustand wieder hergestellt worden wäre. Nein, es gibt noch ein paar Rentner, denen unter Umständen etwas Böses geschehen wäre. Als Konsequenz wurde ein Gesetzentwurf, der der Besitzstandswahrung dient, vorgelegt; die niedrigen Beiträge werden beibehalten. In der Begründung Ihres Gesetzentwurfes steht ein wirklich verräterischer Absatz. Da steht doch tatsächlich: Eine gesetzliche Regelung des Mitgliedschafts- bzw. Beitragsrechts von Rentnern entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erscheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt ... nicht sachgerecht, weil keine Präjudizierung der Frage der künftigen Gestaltung des Beitragsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung vorgenommen werden sollte. ({9}) Die vom Bundesverfassungsgericht geforderten Regelungen sollten daher in den Kontext einer grundlegenden Neuregelung des Beitragsrechts für alle Versichertengruppen gestellt werden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Büttner, Herr Kollege Fink?

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Fink, Sie sind ja als Experte bekannt, der darum bemüht ist, sich für sachgerechte Regelungen einzusetzen. ({0}) Würden Sie uns bitte erklären, welchen konkreten Gegenvorschlag Sie und Ihre Partei machen? ({1}) Denn das Parlament hat ja die Aufgabe, sich auszutauschen.

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, Kollege, das kann ich sagen. Wir haben der Regierungskoalition in den letzten dreieinhalb Jahren immer wieder gesagt: Es war einfach ein Fehler, dass Sie mit Ihrem ersten Gesetz die Neuordnungen bei der Selbstbeteiligung, beim Zahnersatz und bei vielen anderen Fragen - sie sind notwendig - zurückgenommen haben. Sie haben damit die Krankenversicherung mit 1 Milliarde DM mehr belastet. ({0}) Wir haben darüber hinaus gesagt: Sie müssen dringend eine Reform des Risikostrukturausgleichs vornehmen. Sie haben als Erstes das Gutachten, das wir dafür in Auftrag gegeben hatten, gecancelt, ({1}) nach dem Motto: Wir brauchen das alles nicht zu machen. Die Konsequenz ist, dass Sie jetzt nur eine Flickschusterei haben machen können. Sie haben darüber hinaus immer wieder gesagt: Wir brauchen gar nicht grundlegend an das Gesundheitssystem heranzugehen; vielmehr wird sich das schon von alleine gestalten. ({2}) Heute sagen Sie: Jawohl, wir brauchen eine grundlegende Gesundheitsreform. Lieber Herr Kollege, das eigentliche Problem lautet: Dreieinhalb Jahre sind der Gesundheitspolitik verloren gegangen. Sie sind in die falsche Richtung gegangen. ({3}) Sie haben dabei eine Flickschusterei nach der anderen gemacht. Da kommen Sie natürlich zum Schluss nicht mehr hin. Sie haben Angst vor dem Wähler - das ist mir schon klar - und sagen: Dann machen wir es einmal so. ({4}) Das werden die Wähler merken. ({5}) Denn eines ist doch klar: Durch diese Regelungen oder dadurch, dass Sie nichts getan haben, gehen den Krankenversicherungen weitere 300 oder 400 Millionen Euro pro Jahr verloren. Die Krankenversicherungen heben ihre Beitragssätze jetzt schon flächendeckend an. Vorher hat es geheißen: 13,5 Prozent, das ist es. Mittlerweile sagen alle: 14 Prozent. ({6}) Jetzt kommt noch einmal neuer Beitragsdruck. Wer zahlt das zum Schluss? Das sind doch alle Versicherten, auch die Rentner. Denjenigen, denen Sie mit der einen Hand ein Wahlgeschenk geben, nehmen Sie es mit der anderen Hand gleich wieder weg. ({7}) - Wie wollen Sie denn die Beitragsausfälle, die jetzt kommen, wettmachen? Sie haben doch ohnehin schon Druck im Beitragssatzschlauch. ({8}) Jetzt kommen noch 300 oder 400 Millionen Euro hinzu. Wie sollen die Krankenkassen das ausgleichen? ({9}) Frau Schmidt-Zadel, Herr Rebscher hat Ihnen doch vorgerechnet, welche Lasten Sie in der letzten Zeit auf die Krankenkassen verlagert haben: ({10}) Arbeitslosenhilfe, Rente und dergleichen mehr. Ständig haben Sie den Etat von Herrn Eichel zulasten der Krankenkassen entlastet. Er hat dennoch einen blauen Brief aus Brüssel bekommen. ({11}) Was müssen die armen Leute machen? Sie müssen die Beitragssätze erhöhen. Wer zahlt das? Das sind genau dieselben Leute, denen Sie vor der Wahl sagen: Ihr werdet entlastet. - Das ist genau der Punkt. ({12}) Sie werden einsehen müssen, dass die Krankenversicherung der Rentner eine zentrale Rolle bei der künftigen Reform des Gesundheitssystems spielen wird. Sie wissen vielleicht, dass zu Beginn, in den 50er-Jahren, die Krankenversicherung der Rentner überwiegend durch Beiträge der Rentner gedeckt wurde. Der Anteil, den die Rentner zur Deckung beitragen, ist danach aber immer weiter gesunken. Mittlerweile sind nur noch 40 Prozent der Ausgaben durch die Beiträge der Rentner für die Krankenversicherung gedeckt. Diesen Zustand werden Sie nicht in alle Zukunft prolongieren können. Sie wissen ganz genau, dass dieses Problem für die gesetzliche Krankenversicherung immer gravierender werden wird; es ist nämlich demographisch begründet: Die Zahl der Rentner steigt. ({13}) Wenn Sie nun ein Signal geben, dass Sie den Deckungsgrad weiter verringern, dann kommen Sie doch nie zurecht. ({14}) Diese Regelung kann doch für die Zukunft nicht taugen. ({15}) Sie werden nicht darum herumkommen, auch in diesem Bereich eine grundsätzliche Neuorientierung vorzunehmen; denn wenn Sie so weitermachen, dann werden Sie - Herr Müller, Ihr Wirtschaftsminister, hat dazu ein Gutachten in Auftrag gegeben und hat Ihnen das vorgerechnet - auf Beitragssätze von 31 Prozent kommen. Durch die von Ihnen jetzt beabsichtigten Maßnahmen erhöhen Sie das jetzt auch noch. ({16}) Ich sage Ihnen: Die Wählerinnen und Wähler werden sich durch eine solche Maßnahme, wie sie die Regierungskoalition jetzt vorgenommen hat, nicht täuschen lassen. Das wird nach der Wahl wieder einkassiert werden; aus einer Entlastung wird dann eine Belastung werden. Ich finde, das haben die Leute nicht verdient. ({17})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bevor ich das Wort dem nächsten Redner gebe, frage ich Sie, ob Sie da- mit einverstanden sind, dass die Reden der Kollegin Karin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen, und der Kolle- gin Dr. Ruth Fuchs von der PDS zu Protokoll gegeben werden.1) - Ich höre dazu keinen Widerspruch. 1) Anlage 2 Ich rufe als nächsten Redner in der Debatte den Abgeordneten Detlef Parr auf.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ulf Fink hat doch Recht: Still ruhte der See. Sehr spät, acht Wochen vor Ablauf der gesetzten Frist, reagiert die Bundesregierung jetzt auf den Spruch der Karlsruher Richter. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. ({0}) Die Bundesregierung wäre dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes auch durch Nichtstun nachgekommen, wenn sie das gewollt hätte. Dann wäre der alte Rechtszustand von 1993 wieder hergestellt worden. Freiwillig Versicherte, die die erleichterten Zugangsbedingungen des alten Rechts erfüllt hätten, wären wieder in die Krankenversicherung der Rentner gekommen. Das hätte, Herr Schösser, die durch folgenreiche Fehlentscheidungen der Bundesregierung bereits schon jetzt gebeutelte GKV mit circa 250 Millionen Euro Mindereinnahmen zusätzlich belastet. ({1}) Das ist vor dem Hintergrund der eben erst in Kraft getretenen Beitragserhöhungen schon schlimm genug. Wir haben den Wahltag vor Augen und stellen fest: Die Bundesregierung wird zunehmend nervös. ({2}) Sie gehen mit dem Änderungsgesetz, das Sie heute vorlegen, sogar über die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes hinaus, ohne das zu müssen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Kollegen Kirschner?

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Selbstverständlich gestatte ich gerne eine Zwischenfrage des Vorsitzenden meines Ausschusses.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Kollege Parr, Sie haben schon zu Recht auf das Urteil aus Karlsruhe hingewiesen. Können Sie dem Hohen Haus vielleicht darüber Auskunft geben, welche Ursachen das Urteil hat, auf welches Gesetz es sich bezieht und ob die FDP-Fraktion diesem Gesetz zugestimmt hat? ({0})

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es geht zunächst einmal um die Verfassungsmäßigkeit, und den Gleichbehandlungsgrundsatz. Ich persönlich bin für das, was in der betreffenden Legislaturperiode gelaufen ist, nicht verantwortlich. ({0}) Auch die SPD - Herr Kollege Zöller hat eben darauf aufmerksam gemacht - hat zugestimmt. Frau SchmidtZadel, insofern sind wir gar nicht auseinander. ({1}) Ich komme zu der Situation zurück, die wir heute vorfinden. Zum einen enthält der Gesetzentwurf folgende Regelung: Entgegen der bisherigen, vom Verfassungsgericht gerügten Praxis werden von April an bei der Berechnung der Kassenbeiträge der freiwillig versicherten Rentner die Einkünfte aus Kapitalerträgen, Vermietung und Verpachtung nicht mehr und Einnahmen aus Betriebsrenten nur noch zum Teil angerechnet. Dazu kommt aber noch Folgendes: Die Bundesregierung eröffnet den betroffenen Rentnern darüber hinaus die Möglichkeit, innerhalb von sechs Monaten nach In-Kraft-Treten des Gesetzes die Wahl zu treffen, ob sie in die KVdR oder freiwillig versichert bleiben wollen. Für wen rechnet sich dieses Optionsmodell? Es wird sich insbesondere für Rentner mit hohen Zusatzeinkünften sowie für diejenigen rechnen, deren Ehepartner nur über eine geringe Rente verfügt. Offen bleibt die Frage, ob dieses Modell der Regierung den verfassungsrechtlichen Ansprüchen an eine Gleichstellung von freiwillig und pflichtversicherten Rentnern wirklich genügt. Denn erstens ist es mehr als ungewöhnlich, dass man in einem solidarisch finanzierten Sozialversicherungssystem Versicherten die Möglichkeit der Wahl zwischen einem niedrigeren und einem höheren Beitrag lässt, obwohl beide mit den gleichen Bedingungen und den gleichen Leistungen unterlegt sind. ({2}) Es geht also nicht etwa darum, dass jemand die Wahl erhält, einen niedrigeren Beitrag zu zahlen und dafür auf Leistungen zu verzichten oder einen höheren Selbstbehalt in Kauf zu nehmen. Dieser Gedankengang ist der Regierungskoalition fremd. ({3}) Es geht nur darum, dass jemand eine Vorher-Nachher-Berechnung vornimmt und sich dann für das günstigere Modell entscheidet. Das wird die Krankenkassen zusätzlich zig Millionen kosten. ({4}) Zweitens. Das Bundesverfassungsgericht hat die Regelung von 1993 für verfassungswidrig erklärt. Die Bundesregierung gibt mit diesem Optionsgesetz jedoch einem bestimmten Personenkreis die Möglichkeit, an einer solchen verfassungsinkonformen Lösung festzuhalten. Dies ist ein weiterer Widerspruch in sich. Drittens. Durch diese Regelung wird eine neue Ungleichbehandlung geschaffen, nämlich zwischen denjenigen, die ihren Rentenantrag bis zum 31. März 2002 gestellt haben, und denjenigen, die erst später in Rente gehen können. Sie schafft zudem eine UngleichbehandVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer lung gegenüber den bereits heute in der Krankenversicherung der Rentner Pflichtversicherten. Diese erhalten nicht die Möglichkeit, sich zwischen einer freiwilligen Versicherung und einer Pflichtversicherung zu entscheiden. Frau Ministerin, Sie haben versprochen, niemand solle durch die Neuregelung schlechter gestellt werden. Wir werden Sie im Gesetzgebungsverfahren daran messen. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur das Stichwort „Kostenerstattung“ nennen. Viertens. Die Option für einen niedrigeren Beitragssatz ist von der Versichertengemeinschaft zu tragen. Die Beitragsverluste erhöhen den Druck auf die Beitragssätze der gesetzlichen Krankenversicherung zusätzlich. Auch die Arbeitgeber, die immer mit der Hälfte dabei sind, haben somit etwas von dieser Regelung, um es ironisch auszudrücken. Fünftens. Wie von Grünen und Sozialdemokraten eigentlich nicht anders zu erwarten, ist mit dem Optionsmodell ein ungeheurer bürokratischer Aufwand verbunden. ({5}) Jetzt möchte ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen Frau Schmidt-Zadel: Opa ist zurzeit freiwillig versicherter Rentner. Nunmehr erhält Opa zum 1. April eine Nachricht seiner Krankenversicherung, dass er wieder pflichtversichert ist. ({6}) Eine neue Beitragsberechnung ist beigefügt, die neue Krankenversichertenkarte ebenfalls. Der Rentenversicherungsträger stellt den Rentenbescheid um. Auch dieses Schreiben erfreut unseren Opa. Es ist ja schön, wenn man Post bekommt. Monate später kommt sein Enkel zu Besuch. Opa freut sich wieder. Dieser Enkel stellt fest, dass Opa mehr bezahlt, als er bezahlen müsste. Opa teilt der Krankenkasse mit, dass er doch lieber freiwillig versicherter Rentner bleiben möchte. Die Krankenkasse nimmt eine Nachberechnung der letzten Monate vor. Sie stellt die Beitragsberechnung um und schickt ihm eine neue Krankenversichertenkarte. Sämtliche Rentenbescheide der letzten fünf Monate müssen revidiert und die Weichen für die Zukunft richtig gestellt werden. ({7}) - Dies alles, Herr Schösser, gibt es natürlich nicht zum Nulltarif. - Die Beitragssätze steigen und Opa bezahlt so viel wie vorher, nur ist er diesmal nicht mehr allein, sondern in Gesellschaft all der anderen Versicherten um ihn herum. Das ist Solidarität verkehrt. ({8}) Meine letzte Bemerkung: Mit ihrer an Inflation grenzenden Gesetzesflut erhöht die Bundesregierung mit jeder Teilmaßnahme den Reformdruck, ohne ein schlüssiges Gesamtkonzept für eine den Patienten und Ärzten dienende Gesundheitsreform im Kopf zu haben, geschweige denn vorzulegen. ({9}) - Ich wage die Prognose, Frau Schmidt-Zadel: Sie kommen aus Ihren selbst gestellten Fallen nicht mehr heraus. Sie werden mit Ihrer Gesundheitspolitik scheitern. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Frau Bundesministerin für Gesundheit, Ulla Schmidt. Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit ({0}): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht nur um die Verfassungsmäßigkeit, Herr Parr. Das ist richtig. Wenn ich bösartig wäre, würde ich sagen: Wir haben uns mit so vielen Verfassungsgerichtsurteilen zu beschäftigen, weil Sie bei Ihren Gesetzesvorhaben erst an letzter Stelle auf die Verfassungsmäßigkeit geachtet haben. ({1}) - Herr Kollege Zöller, darüber wollen wir jetzt aber nicht diskutieren. Die Frage ist vielmehr: Worum geht es hier? Herr Kollege Fink, es ist keine späte, sondern eine sehr gut überlegte Reaktion. Es geht hier nicht um Wahlgeschenke für Rentner und Rentnerinnen, sondern um eine gerechte Lösung. ({2}) Meine Auffassung von Elterngeneration ist eine andere als die Ihrige. Ich sehe, dass in diesem Fall zu Recht die Beseitigung einer Ungerechtigkeit in Bezug auf ({3}) diejenigen, die pflichtversichert sind, und diejenigen, die freiwillig versichert sind, angemahnt wurde. Die freiwillig versicherten Rentnerinnen und Rentner sind der Solidargemeinschaft ihr Leben lang treu geblieben und haben in die gesetzliche Krankenversicherung eingezahlt. Sie haben damit Anspruch darauf, genauso behandelt zu werden wie diejenigen, die als Pflichtversicherte in der Solidargemeinschaft bleiben mussten; ({4}) denn die freiwillig versicherten Rentnerinnen und Rentner hätten in jüngeren Jahren auch den Weg in die private Versicherung wählen können, wie es viele, die am Ende des Erwerbslebens gern wieder in die Solidargemeinschaft zurückkommen würden, getan haben. Das ist der Unterschied. ({5}) Meine Damen und Herren, deshalb werde ich gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen mit diesem Gesetz dafür sorgen, dass diejenigen, die der Solidargemeinschaft treu geblieben sind, im Alter zu den gleichen Bedingungen versichert werden wie diejenigen, die pflichtversichert waren. ({6}) Das Gericht hat ja auch ausdrücklich gesagt, dass der Status eines Versicherten während der Erwerbstätigkeit nicht ausschlaggebend dafür sein kann, welcher Status ihm im Rentenalter zukommt.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Bitte schön.

Wolfgang Zöller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002603, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, was Sie eben gesagt haben, kann von jedem, der hier sitzt, nachvollzogen werden. Gerade das Gegenteil tun Sie aber. Sie sagen, Sie wollen eine Gleichbehandlung zwischen den freiwillig Versicherten und den Pflichtversicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung. Ihre Regierung hat das genaue Gegenteil beschlossen, indem sie zum Beispiel den freiwillig Versicherten die Möglichkeit der Kostenerstattung lässt, den anderen diese aber genommen hat. Das ist eine Ungleichbehandlung. Oder sehen Sie das anders? ({0})

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Wir können über dieses Thema im Zusammenhang mit den weiteren Reformbemühungen noch einmal reden. ({0}) Darum geht es nicht. Es geht nicht um die Frage: Kostenerstattung bei freiwillig Versicherten und anderen - Ja oder nein? Herr Kollege Zöller, heute geht es um die Frage, ob wir Respekt davor haben, was die ältere Generation für den Aufbau dieses Landes getan hat, und davor, dass sie die Solidarsysteme gestützt hat. Als junge Menschen haben sie nämlich alle eingezahlt und dadurch den Anspruch erworben, dass sie, wenn sie älter werden, häufiger einen Arzt oder das Gesundheitswesen in Anspruch nehmen können als Jüngere. ({1}) Es ist eine Solidargemeinschaft, wo Junge für Alte, Gesunde für Kranke, Singles für Familien und Menschen mit hohem für Menschen mit niedrigem Einkommen einstehen. Nur so funktioniert dieses System. Deshalb sagen wir: Wer neun Zehntel der zweiten Hälfte seines Berufslebens Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung war, erhält im Rentenalter den Zutritt zur KVdR, der Krankenversicherung der Rentner, als Pflichtmitglied. ({2}) Nun kommt eine Gruppe von Personen hinzu - sie wurden auch angesprochen -, die in den zehn Jahren, in denen das andere Gesetz galt, freiwillig versicherte waren und ausschließlich Rente beziehen. Wir sagen: Wir wollen nicht, dass es denjenigen, die einen bestimmten Status haben und Beitragszahlungen leisten, durch diese Neuregelung schlechter geht. Das Gericht hat nämlich gesagt, dass Differenzierungen durchaus möglich sind. Deshalb geben wir jedem einmalig die Möglichkeit, für sich zu entscheiden, ob der alte Status beibehalten werden soll. Das gilt nicht für diejenigen, die ab dem 1. April 2002 Rentner oder Rentnerin werden bzw. in den Ruhestand gehen, sondern das gilt nur für diejenigen, die schon jetzt einen bestimmten Status haben und diesen nicht verändern möchten. Es ist recht und billig, diesen Versicherten einen Vertrauensschutz zu gewähren. Dabei geht es nicht um den Opa. Ich glaube nicht, dass die älteren Menschen, die mir in Briefen ihre Sorgen schreiben, Mitteilungen der Krankenkasse nicht verstehen. Sie wissen sehr wohl, wie sie darauf zu reagieren haben. ({3}) Aber weil man diese Dinge natürlich auch besprechen will, haben wir eine Frist eingeräumt, während der sich die Menschen entscheiden können. Es ist recht und billig, dass sich eine Regierung darüber Gedanken macht, ob die Rentnerinnen und Rentner mit dieser Situation zurechtkommen. Sie können sich entscheiden und haben hier die Wahlfreiheit, die Sie sonst immer fordern. ({4}) Insofern halte ich das, was hier vorgelegt wurde, für den richtigen Weg. Ich halte ihn auch in der Hinsicht für angemessen, dass man die jahrelangen Beitragsleistungen der Menschen berücksichtigt. Sie haben angesprochen, dass in unserem Gesetzentwurf keine Präjudizierung der Frage der künftigen Gestaltung vorgenommen wird, weil das Gericht auch die Möglichkeit eingeräumt hat, dass jeder, der jahrelang in die Versicherung eingezahlt hat, nach seinem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben auf alles Beiträge zahlt. Diesen Weg gehen wir nicht, weil wir keine Ungleichbehandlung zwischen der aktiven und der nicht mehr aktiven Generation wollen. Dass andere Dinge diskutiert werden, wissen Sie genauso gut wie ich. Ich persönlich sage Ihnen: Ich halte die Vorschläge, sonstige Einkommen einzubeziehen, für nicht sozial gerecht. Unsere Beitragsbemessungsgrenze liegt bei 3 375 Euro. Es würden immer nur diejenigen getroffen, die unterhalb dieser Grenze von 3 375 Euro im Monat liegen. Das ist unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit kein gangbarer Weg. Dass wir langfristig, wenn sich die Lohnquote immer weiter nach unten entwickelt, überlegen müssen, wie auch in 10, 20 oder 30 Jahren die Finanzierung gesichert werden kann, ist eine ganz andere Frage. Aber diese Frage wird dann alle betreffen. Sie muss für alle geregelt werden, nicht nur für die ältere Generation, während man die aktive Generation außen vor lässt. Um das deutlich zu machen: Ich bin nicht der Auffassung, dass wir an dem Punkt sind, an dem wir das regeln müssten. Das wird auch in der nächsten Legislaturperiode nicht der Fall sein. Denn wir haben ein System, welches das vorhandene Geld nicht optimal einsetzt. Das weiß jeder, der in der Gesundheitspolitik etwas zu sagen und mit ihr zu tun hat. ({5}) Meine Auffassung ist: Wenn wir jetzt über eine Verbreiterung der Finanzierungsgrundlagen reden, um mehr Geld ins System zu bekommen, ({6}) dann gibt es in diesem System überhaupt keine Reform mehr, sondern es bleibt weiter dabei, dass wir Ineffizienzen, Doppeluntersuchungen und Parallelbehandlungen haben, die nicht aufeinander abgestimmt sind. Wir werden zu keiner Qualitätssicherung und zu keiner verbesserten Versorgung der chronisch kranken Menschen gelangen. Wenn wir die Wirtschaftlichkeitsreserven erschlossen und die Qualität der Versorgung gestärkt haben, dann erst wird irgenwann der Punkt kommen, an dem wir das Beitragssystem ändern müssen, weil die Einnahmenbasis nicht ausreicht. Dieser Punkt wird aber viel später eintreten. Deswegen kann ich auch klar sagen: Dies wird auch in der nächsten Legislaturperiode nicht anstehen, wenn wir weiterhin regieren, wovon ich ausgehe. ({7}) Die Menschen können in der Gesundheitspolitik sehr genau unterscheiden: Wollen sie auch in Zukunft ein Gesundheitssystem, das jedem, der krank ist, das medizinisch Notwendige ohne Ansehen der Person und des Einkommens zur Verfügung stellt? Oder wollen sie einen Weg gehen, wie ihn viele aufseiten der Opposition befürworten, bei dem die Leistungen im Gesundheitswesen vom Einkommen abhängen, weil man Grund- und Wahlleistungen hat? ({8}) Mit uns wird es diesen Weg nicht geben. Vielen Dank. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Aribert Wolf. ({0})

Aribert Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Keine Sorge, Herr Schösser, es gibt auch noch einen Bundesrat. Vielleicht können wir uns dann dort wieder unterhalten. ({0}) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der letzten Woche hat die rot-grüne Bundesregierung ihr ganzes „Können“ richtig unter Beweis gestellt: ein Innenminister, der sein Haus nicht im Griff hat und damit das NPD-Verbotsverfahren zu vergeigen droht, ein Verteidigungsminister, der nicht in der Lage ist, 73 Flugzeuge nach dem Haushaltsrecht richtig zu bestellen, ein Finanzminister, der einen blauen Brief aus Brüssel bekommt. Wenn diese tolle Truppe dann so richtig in Aktion ist, dann darf natürlich auch die Gesundheitsministerin nicht fehlen. Um zu zeigen, wie unprofessionell und kurzatmig unter Ulla Schmidt gearbeitet wird, ({1}) werfen wir einen Blick auf die Entstehungsgeschichte des uns heute vorliegenden Gesetzentwurfs oder erinnern wir daran, dass heute im Bundesrat ein Gesetz der rot-grünen Bundesregierung, an dem unter Ulla Schmidt weiter gearbeitet worden ist, das Fallpauschalengesetz, ebenfalls mit großer Mehrheit zurückgewiesen worden ist. ({2}) Man sieht: Die rot-grüne Gesundheitspolitik steht vor einer Wand. Sie ist komplett gescheitert. ({3}) Auch mit dem, was heute vorliegt, werden Sie keine Probleme lösen. ({4}) Kollege Ulf Fink hat bereits darauf hingewiesen: Vor zwei Jahren, nämlich am 15. März 2000, hat das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber dazu aufgefordert, in der Krankenversicherung der Rentner neue Regelungen einzuführen. Es hat dafür eine Frist bis zum 31. März 2002 gesetzt. Diese Frist läuft bald ab. Bis zur vorletzten Woche hieß es im Gesundheitsausschuss noch, dass Rot-Grün gar kein Gesetz hat, man sich vor einer gesetzgeberischen Entscheidung drücken und stattdessen das machen will, was das Verfassungsgericht in dem Urteil ebenfalls als Möglichkeit aufgezeigt hat: Macht der Gesetzgeber nichts, bleibt es bei der alten Rechtslage. Ich habe letzte Woche im Gesundheitsausschuss Staatssekretärin Schaich-Walch gefragt, ob es ein Gesetz zur KVdR geben und was gegebenenfalls dessen Inhalt sein werde. Sie konnte mir weder sagen, ob es ein Gesetz geben wird, noch Auskunft geben, was in einem solchen Gesetz stehen könnte. ({5}) Selbst als ich am Dienstag dieser Woche im Ausschuss noch einmal nachfragte, war die Regierung nicht in der Lage, mir über ein solches Gesetz Auskunft zu geben. Heute wird uns von Rot-Grün ein Gesetz auf den Tisch gelegt, das mit so heißer Nadel gestrickt ist, dass man förmlich spüren kann, wie warm das Papier noch ist, auf dem der Gesetzentwurf gedruckt ist. ({6}) Ich fühle mich davon peinlich an die „ruhige Hand“ des Kanzlers erinnert. Er hat ja auch monatelang nichts zur Ankurbelung der Wirtschaft und für den Arbeitsmarkt getan. ({7}) Jetzt plötzlich fällt ihm ein, dass man schnell ein paar showmäßige Einzelaktionen starten muss. Leider läuft es auch in der Gesundheitspolitik auf diese Weise. Das ist kein überlegtes Regieren, sondern hektischer Aktionismus pur. Damit lösen wir die Probleme im Gesundheitswesen leider nicht. ({8}) Dem traurigen Kapitel rot-grüner Gesundheitspolitik, das unter der Überschrift „Keine Konzepte - wieder eine Reformchance vertan“ steht, wird heute ein neuer Absatz angefügt. Aber nicht nur die Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes spricht Bände; auch der Inhalt wirft ein bezeichnendes Licht auf den Zustand der rot-grünen Koalition und ihre Gesundheitspolitik. Zunächst eine freudige Nachricht: Es ist richtig, dass die vielen freiwillig versicherten Rentner aufgrund dieses Gesetzes weniger Krankenkassenbeiträge zahlen müssen. Wenn der Bürger etwas geschenkt bekommt, dann ist das normalerweise ein Grund zur Freude. Warum kommt aber draußen in der Öffentlichkeit keine rechte Freude auf? Das hat mehrere Gründe. Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Wege aufgezeigt, die der Gesetzgeber gehen kann. Das Bundesverfassungsgericht hat zum einen gesagt: Der Gesetzgeber kann das, was für pflichtversicherte Rentner gilt, auch für die freiwillig versicherten Rentner regeln. Zum anderen hat das Bundesverfassungsgericht aber gesagt, Frau Schmidt: Gleichbehandlung ist auch dann gewährleistet, ({9}) wenn man den umgekehrten Weg geht, indem man die pflichtversicherten Rentner den freiwillig versicherten gleichstellt und im Gesetz die Bemessungsgrundlage verbreitert. Was Sie heute machen, entspricht nicht dem, was das SPD-Präsidium am 25. April 1996 beschlossen hat und was Sie vor der Wahl angekündigt haben. ({10}) - Das haben Sie selbst beschlossen, Herr Schösser; das ist doch der Punkt. Wieso tun Sie denn etwas anderes, als Sie selbst beschlossen haben? ({11}) Sie sind doch an der Regierung. Im Beschluss des SPDPräsidiums vom 25. April 1996 - ich lese es Ihnen vor; dieses Papier müssten Sie kennen - heißt es: ({12}) „Die SPD schlägt vor: gerechtere Bemessungsgrundlage für die Rentnerkrankenversicherung durch Einbeziehung von Nebeneinkünften“ in die Beitragszahlungen. ({13}) Frau Schmidt, das haben Sie 1996 beschlossen. Jetzt aber machen Sie das genaue Gegenteil dessen, was Sie damals beschlossen haben. Das ist kein Konzept, sondern kurzatmiges Handeln. Weil Sie merken, dass Sie in einem Umfragetief sind und es sich nicht mehr leisten können, den Menschen die Wahrheit zu sagen, wollen Sie kurzfristig Wahlgeschenke machen. ({14}) Die Menschen draußen durchschauen Ihr Vorgehen. Sie gewinnen damit keinerlei Vertrauen in die Gesundheitspolitik. Die Menschen wissen, dass das ein Danaergeschenk ist. ({15}) Sie kennen die Geschichte von Troja: Als die Griechen nach langer Belagerungszeit ein hölzernes Pferd als Geschenk zurückließen, haben haben die Trojaner dieses Pferd in ihre Stadt hineingenommen und gefeiert. Des Nachts sind Soldaten aus dem Pferd herausgekommen und haben die ganze Stadt niedergebrannt. So geht es auch den Rentnerinnen und Rentnern, meine Damen und Herren: Jetzt bekommen sie kurzfristig eine Beitragsentlastung. Nach kurzer Zeit aber - nach der Wahl - steigen die Krankenversicherungsbeiträge und hinterher zahlt jeder mehr an die Krankenversicherung als heute. Das ist keine seriöse Politik. ({16}) Frau Schmidt, Sie wissen doch, dass die Finanzlage der Krankenkassen angespannt ist. Nach wie vor drohen Milliardendefizite. Alle Kassen überlegen, ob sie ihre Beiträge erhöhen müssen. Das Gesetz, das Sie heute eingebracht haben, hätte zur Folge, dass wieder 300 Millionen Euro weniger bei den Krankenkassen landen, als es bei einer vernünftigen Politik der Bundesregierung der Fall wäre. Ihre Nachfolger laufen sich ja schon warm. Herr Gerster geht schon forsch daran und glaubt, dass er Sie bald ablösen kann. ({17}) Er ist auch etwas mutiger und sagt zum Beispiel - auch das lese ich Ihnen vor, wenn Sie wollen, Herr Schösser -, ({18}) er sei der Meinung, dass die Dinge in eine andere Richtung gedreht werden müssten. Eines ist auf alle Fälle klar - da können Sie schreien, was Sie wollen -: Mit diesem Gesetz verabschieden Sie sich weiter von einem Ziel, das der Bundeskanzler in dieser Legislaturperiode in seine Regierungserklärung hineingeschrieben hat: die Sozialversicherungsbeiträge unter 40 Prozent zu drücken. Wir sind heute bei 41 Prozent. Wenn Sie dieses Gesetz beschließen und damit weiter in die falsche Richtung gehen, drohen den Bürgern trotz Ökosteuer-Milliarden ({19}) weitere Belastungen in der Krankenversicherung. Die Zielmarge von 40 Prozent ist im Hinblick auf die Sozialversicherung in weite Ferne gerückt. ({20}) Darum ist es leider so, Frau Schmidt: Wenn man konzeptionell schwach ist, kann auch das Schiff der Regierung keinen klaren Kurs fahren. Sie sind wie ein Schiff ohne Steuermann, das von der einen Welle in die eine Richtung und zwei Wochen später von der nächsten Welle in die andere Richtung getrieben wird. ({21}) - Das ist leider so traurig. Wir können hier leicht reden. Die Menschen draußen haben die Zeche aber über erhöhte Krankenversicherungsbeiträge mit barer Münze zu bezahlen. ({22}) Wenn Sie wirklich Respekt vor den Rentnerinnen und Rentnern haben, Frau Schmidt, dann müssen Sie ihnen vor allem die Wahrheit sagen. ({23}) Es ist den älteren Menschen gegenüber respektlos, wenn Sie deren Lebensleistung damit vergelten wollen, dass Sie ihnen heute eine Mark in die Tasche stecken, nach der Wahl aber zwei Mark aus ebendieser Tasche herausziehen wollen. ({24}) Das ist keine seriöse Politik. Diese Regierung verdient es allein wegen ihrer Gesundheitspolitik, abgewählt zu werden. ({25})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/8090 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert Hauser ({1}), Dr. Heinz Riesenhuber, Dr. Gerhard Friedrich ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU „Stiftung Bildungstest“ - Qualität und Effizienz für den wachsenden Bildungsmarkt - Drucksachen 14/6437, 14/8092 Berichterstattung: Abgeordnete Ernst Küchler Norbert Hauser ({3}) Ernst Burgbacher Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Ernst Küchler.

Ernst Küchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003165, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Stiftung Warentest hat im Auftrag der Bundesregierung kürzlich eine Machbarkeitsstudie vorgelegt, mit der untersucht worden ist, ob und inwieweit Bildungsangebote zu testen sind. Diese Studie belegt, dass auch Bildungsangebote wie Produkte und Dienstleistungen seriös und erfolgreich getestet werden können. Die Bundesregierung hat damit auf die zahlreichen einschlägigen Vorschläge und Forderungen reagiert und so die Voraussetzungen für eine sachliche Debatte über dieses Thema geschaffen. ({0}) Die Studie befasst sich auch eingehend mit den Entwicklungen auf dem Weiterbildungsmarkt und bestätigt die Beurteilung des Weiterbildungssektors, welche die Koalitionsfraktionen in ihren beiden Anträgen zur Weiterbildungspolitik beschrieben haben. Diese Aussagen beziehen sich auf die Defizite und damit auf den politischen Handlungsbedarf. Sie beziehen sich auf das Thema Transparenz im Weiterbildungsbereich, den Zugang zur Weiterbildung, die Beratung und Qualitätssicherung. Hier setzt der Vorschlag der Machbarkeitsstudie an, durch die Etablierung eines Bildungstestsystems die drei folgenden Ziele zu erreichen: erstens die Stärkung des Verbraucherschutzes durch Bildungsinformation und die Schaffung von Transparenz durch vergleichende Untersuchungen von Bildungsangeboten, zweitens die Beschreibung und Veröffentlichung von Qualitätskriterien zur Orientierung und zum Schutz der Verbraucher und drittens die Qualitätssicherung durch Qualitätswettbewerb unter den Anbietern. - So wirken Bildungstests nach innen in das System der Weiterbildungsanbieter hinein und nach außen, indem sie die Nachfrageseite stärken. Bezüglich der Qualitätssicherung geht der Antrag der CDU/CSU-Fraktion meines Erachtens von der falschen Annahme aus, eine „Stiftung Bildungstest“ sei hinreichend, um die Qualität der Angebote und der Anbieter, das heißt der Weiterbildungseinrichtungen, sicherzustellen. Die CDU/CSU weist der Stiftung Bildungstest gleichermaßen die Aufgabe zu, einerseits Weiterbildungsangebote zu testen und zu vergleichen und andererseits Weiterbildungsanbieter zu zertifizieren. Die Machbarkeitsstudie empfiehlt, diese beiden Aufgaben nicht bei ein und derselben Institution anzusiedeln. Sollte sich die Stiftung auch durch die Vergabe von Gütesiegeln finanzieren, sind Interessenkonflikte nicht auszuschließen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir teilen die Intentionen des Antrags der CDU/CSU-Fraktion; aber wir wollen einen anderen Weg gehen. Die „Stiftung Bildungstest“ soll erst nach einer dreijährigen Erprobungsphase in Abstimmung mit den Ländern begründet werden. Sie soll sich auf vergleichende Tests der Angebote im Bereich der Weiterbildung, der Schule und der Hochschule beschränken. Damit bleibt jedoch nach wie vor die Aufgabe, ein Qualitätssicherungssystem zu schaffen. Dieses System, dessen institutionelle Verankerung noch zu prüfen sein wird, soll die Zertifizierung von Weiterbildungseinrichtungen sicherstellen, damit sich die Anbieter an einer seriösen und nachvollziehbaren Qualitätskontrolle beteiligen. Die Unabhängigkeit der Zertifizierungsinstanz muss dabei gewährleistet sein. Die Bundesregierung hat den richtigen Weg eingeschlagen, indem sie zunächst eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben hat und nun nach der Vorlage dieser Studie eine Erprobungsphase vorsieht, in der - beschränkt auf die Angebote der beruflichen Weiterbildung - Bildungstests durch die Stiftung Warentest durchgeführt werden. Erst danach ist die Einrichtung einer „Stiftung Bildungstest“ in Absprache mit den Ländern sinnvoll und machbar. Mit dieser Initiative wird den Bemühungen der Koalitionsfraktionen, einen verlässlichen Rahmen für das Weiterbildungssystem zu schaffen, ein weiterer Baustein hinzugefügt. Sie ergänzt die bereits in Angriff genommenen Vorhaben zum Ausbau dieses Weiterbildungssystems. ({1}) Ich erinnere an die Schaffung regionaler Netzwerke in der Weiterbildung, die Verabschiedung gesetzlicher Regelungen zur Stärkung der beruflichen Weiterbildung, etwa die Job-Rotation im Rahmen der Verabschiedung des Job-Aqtiv-Gesetzes, und die Vereinbarungen im Bündnis für Arbeit zur betrieblichen Weiterbildung, um nur einige zu nennen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch die Ablehnung des CDU/CSU-Antrags aus vorgenannten Gründen wird das Vorhaben nicht gefährdet. Im Gegenteil: Wir beginnen sofort mit Bildungstests und bereiten die Einrichtung einer „Stiftung Bildungstest“ solide vor. Der Antrag der CDU/CSU ist somit überholt und erledigt. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Norbert Hauser.

Norbert Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003141, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zeit ist reif für eine „Stiftung Bildungstest“, so lautete das Fazit, als wir unseren Antrag zur Errichtung einer eigenständigen „Stiftung Bildungstest“ im Juni 2001 eingebracht haben. Die Koalition hat sich seitdem - das ist bemerkenswert - mit eigenen Anträgen zurückgehalten. Aber sie hat eine Leistung vollbracht: Sie hat es hinbekommen, dass eine Machbarkeitsstudie erstellt wurde. ({0}) Das Ergebnis dieser Studie lautete: Die Zeit ist reif für eine „Stiftung Bildungstest“. Bereits am 31. Juli des Jahres 2000 haben die badenwürttembergische Kultusministerin Dr. Annette Schavan und ich die Einrichtung einer „Stiftung Bildungstest“ gefordert. ({1}) Diese Stiftung soll einmal alle Bildungsangebote, vom Bereich Schule bis zum Bereich Weiterbildung, testen. Zunächst aber soll sie sich auf die Weiterbildung konzentrieren; denn hier haben wir es mit einem sehr ungeordneten und undurchschaubaren Markt zu tun. Es gibt 35 000 Anbieter mit insgesamt 400 000 Weiterbildungsangeboten und einem Volumen von etwa 40 Milliarden Euro. Darüber, ob sich die Investition von Mensch und Kapital in die Weiterbildung lohnt, gibt es nämlich leider keine Analysen. In vielen Fällen weiß der Betroffene erst, nachdem er einen Kurs absolviert hat, ob dies tatsächlich der Kurs war, den er benötigt, um wieder in den ersten Arbeitsmarkt zurückkehren zu können oder um die Kompetenz zu erhalten, auch zukünftig den Anforderungen des Arbeitsmarktes gerecht werden zu können. Ist dies nicht der Fall, hat er eben Pech gehabt. - Gerade deshalb brauchen wir eine „Stiftung Bildungstest“. Sie soll auf die so zentrale Frage Antwort geben, ob der Nachfrager Vertrauen in den Kurs haben kann. Denn wir alle können uns keine Verschwendung von Humankapital leisten, weder die Menschen noch der Staat. ({2}) Es gibt vier Ziele, die mit einer „Stiftung Bildungstest“ erreicht werden sollen: Das erste Ziel ist die Transparenz. Der entscheidende Nachteil des Weiterbildungsmarktes ist, dass Angebote nicht zentral abgerufen werden können. In vielen Fällen ist es eigentlich reiner Zufall, welches Angebot der Kunde, der Nachfrager von Weiterbildungsleistungen, in Anspruch nimmt. Die „Stiftung Bildungstest“ kann und muss daher der Wegweiser durch den Dschungel von Weiterbildungsangeboten werden. ({3}) Das zweite Ziel ist die Vergleichbarkeit. Um eine echte Auswahl treffen zu können, muss eine Vergleichbarkeit zwischen den Anbietern und den Angeboten von Weiterbildung hergestellt werden. Die „Stiftung Bildungstest“ wird hier den Maßstab bilden, um eine Vergleichbarkeit zugunsten des Nachfragers, des Kunden, herstellen zu können. Damit bin ich auch schon beim dritten Ziel, dem Wettbewerb. Die „Stiftung Bildungstest“ wird zu Wettbewerb auf dem Weiterbildungsmarkt führen. Anbieter und Nachfrager werden sich an der Arbeit und den Ergebnissen dieser Stiftung orientieren. Wir müssen dahin kommen, dass sich die Weiterbildung an den Bedürfnissen der Nachfrager orientiert - wir haben es auch einmal „marktorientiert“ genannt - und dass nicht von oben dekretiert wird, wie Weiterbildung auszusehen hat. ({4}) Das vierte Ziel ist die Qualitätssicherung. Herr Küchler, wir können uns gerne darüber unterhalten, ob es nun ein Gütesiegel geben soll und ob wir neben der „Stiftung Bildungstest“ eine weitere Einrichtung brauchen, die Qualitätssicherung gewährleistet und dazu Kriterien erarbeitet. Wir sind der Meinung, dass dies die „Stiftung Bildungstest“ leisten kann und dass es ihr möglich sein sollte - es wäre trotzdem gut gewesen, wenn Sie einen weiteren Vorschlag gemacht hätten, über den wir uns hätten verständigen können -, Qualitätssicherungsmaßstäbe zu setzen und damit schwarze Schafe vom Markt zu verdrängen. Dadurch wird die „Stiftung Bildungstest“ einen maßgeblichen, unschätzbaren Beitrag zum Verbraucherschutz auf dem Feld der Weiterbildung leisten. ({5}) Die Reaktion von Frau Bulmahn, unserer Bundesbildungsministerin, auf unseren Antrag vor nahezu zwei Jahren war: Das wollen wir nicht; das kennen wir schon, wir sind schon viel weiter. ({6}) Es ist doch schön, dass Sie auf den Pfad der Tugend zurückgefunden haben und jetzt selber eine „Stiftung Bildungstest“ wollen. Besser spät als nie! ({7}) Allein die Tatsache, dass die Machbarkeitsstudie, wenige Tage bevor das Thema in unserem Ausschuss diskutiert wurde, das Licht der Welt erblickte, zeigt doch, dass man Sie und die Regierung auch auf diesem Feld zum Jagen tragen musste. ({8}) Sie zeigt ein Weiteres: Es sind nicht Sie, sondern es ist die Opposition, die in der Bildungspolitik den Takt vorgibt. ({9}) - Wenn ich gleich noch Zeit habe, diese Frage zu beantworten, werde ich das gerne tun. ({10}) - Gerne. - Auch auf dem Feld Bildungstest gehört Mut dazu, Dinge anzupacken. Das Gutachten der Stiftung Warentest ist hervorragend. Aber wir haben zwei Jahre Zeit verloren, in der wir dieses Ziel hätten weiterverfolgen können. ({11}) Es ist auch nichts dagegen zu sagen, dass die Stiftung Warentest zunächst einmal Weiterbildungsangebote prüfen soll. Das Ziel ist ehrenwert. Aber die Ausführung ist absolut mangelhaft und unzureichend. Die Bundesregierung will 6 Millionen Euro in drei Jahren zur Verfügung stellen, ({12}) 2 Millionen Euro im Jahr bei einem Markt, der ein Volumen von 40 Milliarden Euro hat. Die Stiftung Warentest geht von maximal 20 Tests pro Jahr bei einem Angebot von 400 000 aus. Die Trefferquote liegt also im Norbert Hauser ({13}) Promillebereich. Wenn Sie Lotto spielen, ist Ihre Trefferquote höher als bei der Untersuchung der „Stiftung Bildungstest“. ({14}) Damit werden Sie die Transparenz, die wir benötigen, nicht erreichen. So wird es nicht zum Durchbruch kommen. „Kleckern statt Klotzen“ heißt hier die Devise. Wir beklagen einen Fachkräftemangel. Die „Stiftung Bildungstest“ kann dazu beitragen, den Fachkräftemangel zu beseitigen. Wenn Arbeitslose sowie Männer und Frauen, die Weiterbildung nachfragen, möglichst schnell eine richtige Wahl in Bezug auf Weiterbildungsmaßnahmen treffen können, dann ist dies ein Beitrag zur Beseitigung des Fachkräftemangels. ({15}) Die „Stiftung Bildungstest“ lässt sich finanzieren. Wir wissen sehr genau, dass Milliardenbeträge in den zweiten und dritten Arbeitsmarkt, in AB-Maßnahmen sowie in Weiterbildungsmaßnahmen fehlinvestiert werden. Wenn es uns gelingt, auch nur einen Bruchteil hiervon sachgerecht und effektiv für die „Stiftung Bildungstest“ einzusetzen, dann haben wir unser Ziel erreicht. Dann haben wir nämlich den Menschen geholfen und haben überdies auch noch Geld gespart. Wir wissen auch, dass wir in Sachen Bildung mit den Ländern in einem Boot sitzen. Diesbezüglich gibt es eine gemeinsame Verantwortung. Deshalb sollten auch die Länder Verantwortung für die „Stiftung Bildungstest“ tragen. ({16}) Dies würde die Bedeutung und den Wert der „Stiftung Bildungstest“ unterstreichen. Wir fordern eine eigenständige „Stiftung Bildungstest“. Sie darf nicht im Warenkorb - der Ansatz der Stiftung Warentest mag auch noch so gut gemeint sein - als „ein bisschen Weiterbildung“ zwischen Waschmitteln und Windeln untergehen. Herr Küchler, Sie wissen genau, dass es in der Machbarkeitsstudie fünf Beispiele gibt, von denen nur eins eine eigenständige Stiftung vorsieht. Wir appellieren an Sie, mit uns zusammen eine eigenständige „Stiftung Bildungstest“ zu schaffen. ({17}) Einer unserer wenigen Rohstoffe ist das Wissen und sind die Fertigkeiten der Menschen in unserem Land. Dieser Bedeutung kann nur eine eigenständige „Stiftung Bildungstest“ gerecht werden. Ich wiederhole: Die Zeit ist reif für eine „Stiftung Bildungstest“. ({18}) Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von den Grünen, die Sie wieder einmal nicht zu Potte und aus den Puschen gekommen sind, ({19}) werden in wenigen Monaten wieder auf den Oppositionsbänken sitzen. ({20}) Vielleicht haben Sie dann Zeit bzw. Muße und können Kraft sammeln, um die Kreativität zu erreichen, die man für die Schaffung einer „Stiftung Bildungstest“ benötigt. Bis dahin werden Sie das Stück „Warten auf Godot“ in der Fassung „Warten auf die Vorschläge von Frau Bulmahn“ aufführen. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. ({21})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön. Jetzt hat der Abgeordnete Hans-Josef Fell das Wort.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Idee zur Schaffung einer „Stiftung Bildungstest“ analog zur Stiftung Warentest ist doch nicht neu. Herr Hauser, Sie tun gerade so, als wenn Sie selbst das erfunden hätten. ({0}) Sie hatten wirklich viele Jahre Zeit. Falls Sie wieder die Regierungsbank erreichen - wovon ich überhaupt nicht ausgehe -, ({1}) werden Sie - da bin ich sicher - den Vorschlag zur Errichtung einer „Stiftung Bildungstest“ wie so viele andere Vorschläge in Ihren Anträgen einstampfen; schließlich haben Sie sie jahrelang nicht verwirklicht. ({2}) Die Bundestagsfraktion des Bündnisses 90/Die Grünen unterstützt natürlich die grundsätzliche Zielsetzung dieser Idee, was auch aus dem Koalitionsantrag zur Weiterbildung hervorgeht. In diesem sprechen wir uns für die Prüfung der Einrichtung einer solchen Stiftung aus. Uns allen ist klar: Bildung wird beim Übergang von der Industrie - zur Wissens- und Informationsgesellschaft zu einem bestimmenden Faktor. Wir können den Übergang nur meistern, wenn Bildung insgesamt einen höheren Stellenwert erhält. ({3}) In diesem Kontext wird nicht nur die Bedeutung von allgemeiner und beruflicher Bildung zunehmen. Die Herausforderung, vor der wir derzeit stehen, ist, alle Stufen des Bildungssystems, vom Kindergarten bis zur WeiterNorbert Hauser ({4}) bildung, in einem gemeinsamen Raster zusammenzuführen. Die Idee, dass jemand nach einem ersten beruflichen Abschluss ausgelernt hat, ist hinfällig; deshalb brauchen wir zum einen mehr und zum anderen qualitativ hochwertigere Weiterbildungsangebote. Der Markt für Weiterbildung ist bereits heute enorm und er wird weiter wachsen. Weiterbildungsinteressierte stehen einer Vielzahl von Angeboten gegenüber, für die es kein System der qualitativen Bewertung gibt. Es liegt unter anderem in den Händen der Politik, dafür Sorge zu tragen, dass der Bildungsmarkt nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ wächst. ({5}) Im Sinne einer modernen Verbraucherschutzpolitik müssen wir die Position der Nachfrager von Bildung stärken. Verbraucherschutz endet bei uns eben nicht bei den Fragen der Ernährung. Ob Biosiegel, Rabattgesetz oder Bildung - Bündnis 90/Die Grünen ist die Partei des Verbraucherschutzes. ({6}) Die rot-grüne Regierung ist längst tätig geworden und hat einen ersten Versuch gestartet, um zu prüfen, inwiefern die Stiftung Warentest mit ihren Instrumenten Bildungsangebote sinnvoll evaluieren kann. Das geschieht für den IT-Bereich. Ab Juli 2002 wird die neu geschaffene Abteilung „Stiftung Bildungstest“ der Stiftung Warentest Kursangebote im Bereich der Weiterbildung untersuchen. Wir wollen die Ergebnisse abwarten. Wir wollen keine Schnellschüsse wie Sie in der Union. Es gibt noch keine einhellige Expertenmeinung zu der Frage, inwieweit die Mittel des herkömmlichen Verbraucherschutzes ausreichen, um genügend Transparenz und Qualitätssicherheit für die Teilnehmer zu gewährleisten. Ob im Anschluss an diese Versuchsphase eine eigenständige Stiftung aufgebaut wird, muss dann überlegt werden. Wir sehen daher noch keinen Entscheidungsbedarf in dieser Frage. Der Antrag der CDU/CSU ist als Beitrag zur Debatte generell zu begrüßen; zustimmen können wir ihm aus den genannten Überlegungen heraus aber nicht. Wir von Bündnis 90/Die Grünen wollen über die Vorstellungen der CDU/CSU hinausgehen. ({7}) Über ein Ranking und ein Testverfahren der „Stiftung Bildungstest“ hinaus setzen wir uns auch für den Aufbau von Beratungsstrukturen ein. ({8}) Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger aktiv darin unterstützen, an Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen. ({9}) Wir wollen allen die Chance des lebensbegleitenden Lernens eröffnen. ({10}) Dies darf nicht auf diejenigen beschränkt bleiben, die in der Lage sind, sich selbst umfassend zu informieren. ({11})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die FDP-Fraktion erteile ich der Kollegin Ulrike Flach das Wort.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der CDU/CSU greift das wichtige Thema „Qualitätssicherung und Evaluation“ auf. Das ist eines der Themen, das uns mit Sicherheit weit über die jetzige Legislaturperiode hinaus umtreiben wird. Deshalb, lieber Herr Hauser, ist die Idee, eine „Stiftung Bildungstest“ zu gründen und Bildung für die Nutzer transparenter zu machen, gut; ({0}) aber sie geht aus Sicht der FDP bei weitem nicht weit genug. ({1}) Was ich hier gehört habe, war ganz erfreulich. Eines scheint Ihr Antrag ja auch bewirkt zu haben: Das Ministerium und die freundlich lächelnden Herren von SPD und Bündnisgrünen scheinen aufgewacht zu sein. ({2}) Vor zwei Wochen haben wir da eine Art Sturzgeburt erlebt: Frau Bulmahn will mit der Stiftung Warentest Angebote der beruflichen Weiterbildung untersuchen. ({3}) Eines hat mich allerdings etwas verwirrt: Herr Fell, Sie haben gesagt, Ihre Überlegungen seien noch nicht so richtig abgeschlossen. ({4}) Herr Küchler hat uns vorher gesagt, es sei alles kalter Kaffee, den Herr Hauser da anbiete. Vielleicht empfiehlt sich da etwas mehr Kommunikation zwischen den beiden. ({5}) Qualitätssicherung, Überprüfung und Zertifizierung sind offensichtlich ein schwieriges Geschäft. Daher bitte ich Sie, doch einmal über den nationalen Zaun zu schauen. Ich empfehle in diesem Fall, da es nicht nur um Weiterbildung geht, einmal einen Blick nach Schweden. Unsere Nachbarn in Schweden zertifizieren, überprüfen und qualifizieren sozusagen ständig auch die Schulen und nicht nur die Weiterbildung. ({6}) Dort gibt es Qualitätsstandards, die ständig überprüft werden, und dort gibt es eine Art Schul-TÜV. Das ist übrigens auch das, was die FDP Ihnen vorschlägt und was über Ihre Vorstellungen, Herr Hauser, deutlich hinausgeht. Sie wissen: Wir mahnen einen Qualitätsrahmen für unser Bildungswesen in umfassendem Sinne an und darunter verstehen wir deutlich mehr als nur die reine Weiterbildung; ({7}) darunter verstehen wir auch Schule und Hochschule. Insofern hoffe ich, dass Sie, Frau Bulmahn, dieses Angebot über den Bereich der Weiterbildung hinaus entwickeln und auch den Schul- und Hochschulbereich einbeziehen; bei der Vorstellung der neuen Aufgabe der Stiftung Warentest haben Sie es ja ein bisschen durchklingen lassen. Lassen Sie mich kurz noch etwas zur Konstruktion sagen. Dreieinhalb Minuten für uns von der FDP sind immer sehr wenig, um Ihnen unsere umfassenden Bildungsansichten zu schildern. ({8}) Herr Hauser, Sie haben ein Konzept vorgeschlagen, bei dem ich ausgesprochene Zweifel daran habe, ob es wirklich so schnell greifen wird, wie Sie sich das vorstellen. Sie wollen einen Staatsvertrag. Ich frage mich, wie angesichts der uns allen bekannten Spritzigkeit und Schnelligkeit der Bundesländer ein solcher Vertrag greifen soll. Wir Liberale sind zwar von Ihrem Vorschlag angetan. Aber wir neigen eher dazu, den Vorschlag zu unterstützen, wonach bei der Stiftung Warentest eine Abteilung zur Prüfung von Weiterbildungsangeboten eingerichtet werden soll; denn damit wird die Unabhängigkeit der Kontrollen garantiert. Nur, Frau Bulmahn stellt nach unserer Meinung viel zu wenig Geld für das, was sie vorgeschlagen hat, zur Verfügung. Da stimme ich Ihnen zu. ({9}) Schließlich gibt es 35 000 Anbieter und 400 000 verschiedene Programme. Für die zukünftige Stiftung sollen aber nur 2 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Das wird gerade einmal bis zur Bundestagswahl reichen. Damit komme ich auf einen Punkt zu sprechen, der für das bulmahnsche Bildungskonzept charakteristisch ist: Es gibt immer kleine Initialschübe, die - davon müssen wir ausgehen - nach der Bundestagswahl schlagartig aufhören und im Nichts versinken werden, weil keine Mittel mehr bereitgestellt werden. Das ist meine Sorge. Zusammenfassend möchte ich feststellen: Der Vorschlag der CDU/CSU ist zwar gut. Aber er greift nach unserer Meinung zu kurz. Wir werden uns deshalb enthalten. Wir hoffen sehr, dass Frau Bulmahn bei Herrn Eichel noch mehr Mittel loseisen kann. ({10}) Dann kann auch etwas Vernünftiges auf die Beine gestellt werden. ({11})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die PDS-Fraktion erteile ich das Wort der Kollegin Maritta Böttcher.

Maritta Böttcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002631, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mittlerweile wird in allen Sonntagsreden die große Bedeutung der Weiterbildung betont. Doch jenseits solcher Reden, wenn es um praktische Vorschläge und Maßnahmen geht, verengt sich alles sehr schnell auf die Frage: Wie lässt sich Weiterbildung am effektivsten für die Verbesserung des so genannten Humankapitals einsetzen? Dieses Herangehen bildet auch den Hintergrund des vorliegenden Antrags. Schon deshalb, Herr Hauser, können wir ihm nicht zustimmen. Wie wichtig für eine gedeihliche Entwicklung unserer Gesellschaft kulturelle und politische Bildung sind, hat uns die Debatte am Mittwoch doch nachdrücklich vor Augen geführt. Wenn wir nun Qualitätskontrollen und Qualitätsverbesserungen auf die berufliche Weiterbildung konzentrieren, dann ist das ein weiterer Schritt zur Vernachlässigung von allgemeiner und kultureller Bildung. Aus diesem ersten Kritikpunkt ergibt sich ein zweiter: Durch die Verengung der Weiterbildung auf ihre wirtschaftlichen Aspekte werden die Bereiche der Weiterbildung verabsolutiert, die marktmäßig organisiert sind und in denen die Bildung demzufolge eine Ware ist. Wir möchten aber die Bildung vorrangig als ein öffentliches Gut bewahren und entwickeln, ({0}) das allen ohne Einschränkung zugänglich ist. Der Markt kann das alleine nicht leisten. ({1}) Ich halte es durchaus für sinnvoll, wenn die Stiftung Warentest den Bürgerinnen und Bürgern sagt, welches Auto mit welchen Qualitätsmerkmalen sie sich bei ihrem jeweiligen Verdienst leisten können. Für die Weiterbildung ist das allerdings nicht akzeptabel; denn das hieße, die bereits höher Qualifizierten könnten sich teurere und bessere Kurse leisten als andere. In der Weiterbildung müsste es aber genau umgekehrt sein: Für die sozial und in ihrer Bildungsbiografie Benachteiligten müsste es die besten und damit die teuersten Kurse geben. Vor allem sie brauchen gute Lehrkräfte, die besten Lernmaterialien und mehr Zeit, um die Folgen früherer Benachteiligungen auszugleichen. Schließlich will ich ein Drittes anmerken: Der PDS wird in der Bildungspolitik immer wieder Zentralismus unterstellt. Im Unterschied zu unserem Antrag zur Weiterbildung - Sie können das unter Punkt 6 unseres entsprechenden Antrags nachlesen - ist der vorliegende Vorschlag Zentralismus pur. ({2}) Ich halte es für ein Unding, die Qualität der Weiterbildung von einer zentralen Institution aus wirksam zu verbessern. ({3}) Über die Möglichkeiten einer solchen Institution gibt uns die vom BMBF in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie ja eine ungefähre Vorstellung. Danach sollen im Rahmen einer Abteilung der Stiftung Warentest zwölf Mitarbeiter jährlich circa 20 Kurse testen. Dem stehen über 35 000 Anbieter mit über 400 000 verschiedenen Programmen gegenüber. ({4}) - Ja, in der Erprobungsphase. - Ich hätte es sinnvoller gefunden, die vorgesehenen 2 Millionen Euro in das BIBB zu stecken, um dort den Weiterbildungsbereich zu stärken. Damit würde sich das erreichen lassen, was ich vorhin an der Stelle, an der Sie, meine Damen und Herren von der SPD, Beifall geklatscht haben, geschildert habe. Wenn Sie das tun, sind wir uns wieder einig. Dann werden wir den Weiterbildungsbereich zu einer Säule im Bildungswesen machen, die diesen Namen auch verdient. Dann werden Sie uns an Ihrer Seite haben. Danke schön. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt spricht der Kollege Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem Herr Hauser und andere hier ihre eigene Geschichtsbetrachtung vorgenommen haben, sage ich, um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ideen werden nicht erst dann zu guten Ideen, wenn sie von der CDU/CSU kommen. ({0}) Darum, Herr Hauser, sei Ihnen empfohlen, die Machbarkeitsstudie Bildungstests zu lesen, in der Sie auf Seite 14 finden: Genese Testeinrichtung Bildung, wo auf einen Vorschlag von der Hans-Böckler-Stiftung vom Dezember 1998 verwiesen wird, der kurz darauf von der Bertelsmann-Stiftung aufgenommen wurde. Uns ist das deshalb wichtig zu erwähnen, weil Sie von der CDU/CSU keine Ideen aus dem gesellschaftlichen Raum aufnehmen, sondern erst nach einem gewissen zeitlichen Abstand sagen, sie seien von Ihnen. Wir als Sozialdemokraten halten es für besser, es anzuerkennen, wenn von gesellschaftlichen Institutionen Ideen kommen; denn das bedeutet Respekt gegenüber diesen Institutionen. ({1}) Die Idee der Stiftung und der Bildungstests ist nicht im Kopf von Politikern entstanden, sondern im gesellschaftlichen, bildungsbezogenen Umfeld. Deshalb haben wir als Sozialdemokraten im Jahr 2000, als wir unseren Leitantrag zu Weiterbildungsfragen ins Parlament eingebracht haben, relativ bescheiden diese Idee aufgegriffen und sie als Prüfauftrag an die Regierung weitergegeben. Die Regierung hat dann ihre Arbeit aufgenommen. Das ist der richtige Weg. ({2}) Ein Zweites will ich an die CDU/CSU gewandt sagen. Uns hat gewundert, dass Sie einerseits ganz massiv in die Richtung gingen, nur noch das informelle Lernen zu protegieren - Sie erinnern sich, wie sehr sich Kollege Lensing dafür eingesetzt hat -, und andererseits jetzt fordern, im Haushalt 2002 mit fünfmal 50 Millionen die Qualitätssicherung des formellen Lernens in den Mittelpunkt zu stellen. Unsere Bitte an Sie: Verabschieden Sie sich von dem Irrweg, nur informelles Lernen sei zukunftsbezogenes Lernen, wenn Sie mit Ihren Anträgen wie dem zur „Stiftung Bildungstest“ doch zugleich besonders das institutionelle, das organisierte Lernen fördern wollen. ({3}) Frau Flach, bei Ihnen müssen wir die gleiche merkwürdige Wendung feststellen. Ihrem Beitrag gerade war zu entnehmen, dass Sie meinen, die Regierung hätte die Stiftung Warentest in Bezug auf die Bildungstests noch stärker unterstützen müssen. Weil bekannt ist, wie die FDP sich wendet, ({4}) habe ich einen Antrag der FDP vom 11. Oktober 2000 mitgebracht, in dessen Begründung es heißt: ... dass die Bundesregierung die Stiftung mit zusätzlichen Aufgaben, nämlich mit Bildungstests, beauftragen will. Hierfür müsste die Stiftung aber völlig neue Kompetenzen aufbauen, die wiederum Geld und Zeit kosten. Dies erscheint gerade in der aktuellen Situation als unangebracht. Sinnvoller wäre es, wenn die Bundesregierung solche Aufträge öffentlich ausschreiben würde, um Bewerbungen verschiedener ({5}) Fachinstitute zu ermöglichen. ({6}) Das war im Jahr 2000, als Sie mit der Stiftung gar nichts am Hut hatten. Die Regierung ist dagegen einen geraden Weg gegangen, ({7}) und das in praktischer Kontinuität. Ich komme im zweiten Teil meiner Ausführungen auf das zurück, was den Antrag der CDU/CSU, dessen fachliche Bewertung schon vom Kollegen Küchler vorgenommen worden ist, von dem Prozess, der von der Regierung praktisch eingeleitet worden ist, unterscheidet. Die CDU/CSU möchte, dass der Bundestag die Bundesregierung auffordert, mit den Ländern in Verhandlungen über eine „Stiftung Bildungstest“ einzutreten und dafür mit den Ländern ein Finanzierungsmodell zu entwickeln. In dem Antrag sind vier Punkte aufgelistet, die bei diesen Verhandlungen der Regierung mit den Ländern im Einzelnen erfüllt werden sollen. An dieser Stelle sagen wir: Wir finden es besser, dass die Regierung jetzt konkret einen Prozess einleitet, als dass es am Ende eines langen Weges vielleicht zu Ergebnissen kommt. Dazu haben Sie leider und bemerkenswerterweise in Ihrem umfassenden Redebeitrag fast nichts gesagt. ({8}) Denn die Regierung tut jetzt etwas. ({9}) Sie investiert in den nächsten drei Jahren 2 Millionen Euro für einen bestimmten Prüfbereich, nämlich Tests für berufliche Bildung. Damit macht sie es möglich, dass Erfahrungen gesammelt werden. Diese Erfahrungen machen beispielhaft deutlich, worauf sich die Länder dann in einem gemeinsamen Entschluss mit dem Bund einlassen könnten. ({10}) Das ist praktische Reformpolitik. Sie bewegt sich im Übrigen in einem finanziellen Rahmen, der sich nicht wesentlich von dem unterscheidet, was Sie uns mit Ihrem Antrag, fünfmal 50 Millionen ab dem Haushalt 2002 für eine Stiftung bereitzustellen, anempfohlen haben. Das Stiftungskapital soll ja nicht verzehrt werden, sondern soll über Erträge etwas abwerfen. Von 50 Millionen Stiftungskapital jetzt zu 4 Millionen DM real einsetzbares Geld zu kommen, ist durchaus eine angemessene Entsprechung. ({11}) An der Stelle merken wir, dass es gut ist, dass jetzt begonnen wird. Auch wenn jetzt begonnen wird, möchte ich in meinem dritten Teil zwei Fragen aufwerfen, die wir von uns aus in die Debatte bringen, um diesen Prozess zu begleiten. Das eine ist die Frage, wie wir denn, wenn auch den Ländern eine Beteiligung angeboten werden soll, bei der jetzigen Konstruktion der Stiftung Warentest diese mit ins Boot bekommen. In den Gremien der Stiftung Warentest sitzen sie bislang nicht; dies aber müsste vorgesehen werden, wenn die Bund-Länder-Zusammenarbeit in Bezug auf Weiterbildung verankert werden soll. Zum Zweiten sind neben dem wissenschaftlichen Sachverstand in der Stiftung Warentest bisher auch Verbraucher und Wirtschaft stark vertreten. Wenn man den Bildungsbereich organisiert, müssen sich, wie wir glauben, auch die Repräsentanzverhältnisse verschieben. Es ehrt die Stiftung Warentest, dass sie trotz Befangenheit in ihrer Machbarkeitsstudie auch diese Frage aufwirft. Es liegt jetzt an uns, diese Studie nicht unbeachtet zu lassen, sondern an ihr entsprechend mitzuarbeiten und dafür zu sorgen, dass dies so aufgenommen wird. Durchaus auch in kritischer Auseinandersetzung mit manchen Punkten, die die Regierung ins Auge fasst, ist es eher unsere Vorstellung, die „Stiftung Bildungstest“ auf den Weiterbildungsbereich zu konzentrieren und dort so zu positionieren, dass sie auch einen gewissen Einfluss entwickeln kann. ({12}) Wenn man einerseits sagt, dass 2 Millionen Euro für 20 Tests im Bereich der beruflichen Bildung zu wenig seien, dann kann man jetzt andererseits nicht noch gleichzeitig fordern, dass Schule und Hochschule in dieses Bildungskonzept miteinbezogen werden. Weil Sie ja auch dafür sorgen müssen, dass die CDU-regierten Länder motiviert werden, wird man letztlich sicherlich gemeinsam anstreben, dass man aus der Substanz - Sie wollten ein Stiftungskapital von 250 Millionen; unser Realzuschuss beläuft sich jetzt auf 10 Millionen - 80 Tests für insgesamt 100 Maßnahmen, die man im weiteren Sinne beurteilt, entwickelt. Das reicht dann, so glaube ich, zur Qualitätssicherung aus. Abschlussgedanke: Die Bildungspolitiker der Koalition - ich glaube, das kann man auch auf das ganze Haus ausdehnen - können wirklich zufrieden sein, wenn man sich einmal anschaut, welche Bausteine für Weiterbildung in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht wurden: ({13}) 100 Prozent mehr Mittel - von 100 Millionen DM auf 200 Millionen DM -, Netzwerk lernende Regionen, 100 Prozent Steigerung beim Meister-BAföG, Softwareentwicklung auch für den Weiterbildungsbereich und Job-Aqtiv-Gesetz mit Jobrotation. Dieses letzte Vorhaben, nämlich eine „Stiftung Bildungstest“ mit Qualitätssicherung zu beauftragen, ist ein weiterer Baustein in dem guten Fundament, das Frau Bulmahn und die Regierung für die Weiterbildung gelegt haben. Dafür bedanken wir uns herzlich. Danke schön. ({14})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 14/8092 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel: „‚Stiftung Bildungstest’ - Qualität und Effizienz für den wachsenden Bildungsmarkt“. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/6437 abzulehnen. Wer folgt dieser Beschlussempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen von CDU/CSU und bei Enthaltung der FDP ist die Beschlussempfehlung angenommen. Nun rufe ich Zusatzpunkt 9 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten ({0}) - Drucksache 14/7229 ({1}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2}) - Drucksache 14/8130 - Berichterstattung: Abgeordneter Hubertus Heil Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Alle Reden sind zu Protokoll gegeben.1) So eröffne ich die Aussprache und schließe sie auch wieder. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über den Schutz von Zugangskontrolldiensten in der Ausschussfassung auf den Drucksachen 14/7229 und 14/8130. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der CDU/CSU auf Drucksache 14/8145? - Wer stimmt dagegen? - Gegen die Stimmen der CDU/CSU ist der Änderungsantrag abgelehnt. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Gegen die Stimmen der CDU/CSU und bei Enthaltung der PDS ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen - Wer enthält sich - Gegen die Stimmen der CDU/CSU und bei Enthaltung der PDS ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung angenommen. Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 21 a auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Christine Ostrowski, Sabine Jünger, Dr. Heinrich Fink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Dranske retten - der Gemeinde eine Perspek- tive geben - Drucksachen 14/5806, 14/7887 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Christine Lucyga Auch hier sind die Reden bis auf diejenige der Kolle- gin Christine Ostrowski zu Protokoll gegeben.2) Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Christine Ostrowski das Wort.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Viele Städte in Ostdeutschland sind in einem schlimmen Zustand. Dranske, dieser eigentlich sehr idyllisch gelegene Ort auf Rügen, ist meines Erachtens in dem schlimmsten Zustand. Stellen Sie sich ein wunderschönes altes Dorf und daneben 700 Plattenwohnungen vor, von denen 530 leer stehen: tote Fenster, vernagelte Haustüren, ein verwahrloster, trostloser Ort. Nun fragt man sich: Wo sind die Bewohner alle hin? Denn zu DDR-Zeiten waren diese Wohnungen bevölkert. Ist der Bürgermeister in der Gemeinde Dranske so grässlich, dass alle ausgerissen sind? Hat die Gemeinde so schlecht gearbeitet? - Mitnichten. In Dranske gab es einen NVA-Standort. Der NVA gehörten auch die Wohnungen. 1990 sind die Wohnungen zu Bundeseigentum geworden. Aus dem NVA- wurde ein Bundeswehrstandort und dieser Standort wurde 1992 geschlossen. Mit der Schließung des Standortes stieg die Arbeitslosigkeit schlagartig. Es begann die Abwanderung. Die Einwohnerzahl sank. 50 Prozent der Einwohner dieses Ortes sind weg, und zwar für immer. Zwei Jahre später verkaufte der Bund 700 Wohnungen an die Gemeinde Dranske, und zwar zu einer Zeit, als eine Studie, die er selber gefördert hatte, dem Bund sagte: Diese Wohnungen werden nie mehr bevölkert werden; der Leerstand in der Gemeinde wird sich erhöhen, weil die Einwohnerzahl weiter sinken wird. - Das heißt, der Bund wusste um diese Situation. Er hat der Gemeinde die 700 Wohnungen zu Bedingungen verkauft, die ich für unredlich halte. Er hat zum Beispiel der Gemeinde die Auflage gemacht, diese Wohnungen 20 Jahre lang in einem vermietbaren Zustand zu halten. Zudem hat er der Gemeinde einen Sanierungsaufwand von 19 Millionen DM und andere schwierige Bedingungen aufgedrückt. Herr Otto von der CDU hat gesagt: Was wollen Sie denn, Frau Ostrowski? Die Gemeinde hat sich unternehmerisch betätigt und sich eben verspekuliert! - Da hat er Recht. Aber den Vertrag haben zwei geschlossen. Auf der einen Seite saß die Bundesregierung, vertreten durch professionelle Leute, auf der anderen Seite eine Gemeinde, vertreten durch ehrenamtliche Gemeinderäte. Auch der Bund hat spekuliert, nämlich zu seinen Gunsten. Er hat 9 Millionen DM für diese Wohnungen eingenommen, die er ansonsten am Hals gehabt hätte und die ihm nur finanzielle Belastungen gebracht hätten. Diese Belastungen lagen von da an bei der Gemeinde. Sie ist hoch verschuldet, alleine mit 20 Millionen DM wegen dieser Wohnungen. Das generelle Problem von Dranske - Arbeitslosigkeit, Abwanderung, Leerstand - hat nicht die Gemeinde verschuldet. Dieses generelle Problem ist typisch für viele Regionen in Ostdeutschland. Der Bund hat die Wohnungen zu Bedingungen verkauft, die unredlich sind. Unser Antrag ist vom 4. April vergangenen Jahres. Zwei Monate nach diesem 4. April hat sich die Bundesregierung endlich bewegt. Sie ist auf das Land und auf die Gemeinde zugegangen und hat einige dieser knebelnden Bedingungen verändert. Die Gemeinde muss nun keinen Schadensersatz mehr zahlen. Die Gemeinde muss nicht mehr so hohe Verzugszinsen und keinen Verbilligungsabschlag mehr zahlen. ({0}) Dies alles hätten Sie aber sowieso nie bekommen. Diese Gemeinde ist mittellos. Greifen Sie einem nackten Mann Vizepräsidentin Anke Fuchs 1) Anlage 3 2) Anlage 4 einmal in die Tasche. Sie haben also lediglich Bedingungen verändert, die sich durch das reale Leben schon eh erledigt hatten. Auf die Verzugszinsen haben Sie noch nicht einmal ganz verzichtet, sondern nur auf die Hälfte. ({1}) - Das soll etwas sein für eine Gemeinde, die 12 000 DM Schulden pro Kopf hat? Frau Lucyga, Sie waren noch nie, noch kein einziges Mal dort. Und dabei liegt Dranske in Ihrem Land und Ihrem Wahlkreis. Das Entgegenkommen des Bundes hat sich also auf Schritte reduziert, die lächerlich sind. An der Gesamtlage, an der Existenzfähigkeit dieser Gemeinde hat sich überhaupt nichts geändert. Ich habe gestern zum wiederholten Mal mit dem Bürgermeister, der von der FDP ist, gesprochen, der mir dies bestätigt hat: Die Existenzfähigkeit der Gemeinde steht nach wie vor auf der Kippe. Das ist völlig klar. Die SPD und konkret Sie, Frau Lucyga, erklärten im Ausschuss, für eine Entschuldung enthalte das Programm „Stadtumbau Ost“ umfangreiche Maßnahmen. Das ist sachlich und fachlich großer Blödsinn. Zur Entschuldung der Wohnungswirtschaft, auch der Wohnungswirtschaft in Dranske, beinhaltet das Stadtumbauprogramm keine einzige Maßnahme. Das ist eines der größten Probleme dieses Programms. ({2}) Das gesamte Land Mecklenburg-Vorpommern bekommt für Rückbau und Aufwertung im Rahmen dieses Programms in diesem Jahr insgesamt 34 Millionen DM vom Bund. Zur Relation: Dranske alleine hat 20 Millionen DM Schulden. Angesichts der Tatsache, dass die Ausschussmitglieder regelmäßig wegen spannender Themen nach England, China oder in sonstige Länder der Welt reisen, habe ich mich sehr ernsthaft darum bemüht, dass wenigstens die Wohnungspolitiker der Fraktionen eine Tagesreise nach Dranske unternehmen. Ich habe allen Ausschussmitgliedern einen Brief geschrieben. Zunächst bekam ich eine heimliche Zusage von einer Kollegin aus der SPD, dann eine Absage vom Kollegen Goldmann aus der FDP - und am Ende eine generelle Absage. Der Ausschuss war nicht zu bewegen, wenigstens fünf Vertreter nach Dranske zu schicken. Selbstverständlich habe ich dies öffentlich gemacht, auf einer Gemeindeversammlung in Dranske und auf andere Weise. Man hat mir daraufhin den Vorwurf unkollegialen Verhaltens gemacht.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich komme zum Schluss. - Ich frage Sie: Halten Sie es nicht für einen Skandal, dass Sie jede Gelegenheit, eine Reise zu unternehmen, nutzen, dass Sie es aber nicht fertig bekommen, von Berlin nach Dranske zu fahren und sich vor Ort von der Situation zu überzeugen? ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksache 14/7887 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Dranske retten“ - der Gemeinde eine Perspektive geben“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5806 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS angenommen. Ich rufe nun Zusatzpunkt 10 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS Haltung der Bundesregierung zum Umfang der Umsatzsteuerbefreiung von Dienstleistungen der Deutschen Post AG Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegin Heidemarie Ehlert von der PDSFraktion.

Heidemarie Ehlert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003112, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den vergangenen Tagen war in der Presse von dem Bericht des Bundesrechnungshofes über die umstrittene Steuerbefreiung der Deutschen Post AG die Rede. Zu dem Bericht will ich mich nicht äußern. Ich kenne ihn zwar; aber er ist, wie wir wissen, eigentlich noch immer streng geheim, obwohl die Medien tagtäglich darüber berichten. Mir geht es auch nicht um die Deutsche Post AG an sich, gegen deren Privatisierung die PDS gestimmt hat. Die Privatisierung hatte einerseits gravierende Folgen für die Beschäftigten und die flächendeckende Versorgung. Heutzutage kann ein Dorf, das noch einen Bäckerladen hat, in dem Briefmarken verkauft werden, schon stolz sein. Die Anzahl der Filialen wurde von 14 000 im Jahr 1998 auf 12 000 reduziert. Aber alle Vorteile, die mit der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben verbunden sind - wie die Umsatzsteuerbefreiung -, werden natürlich mitgenommen. Mir geht es erstens um Aufklärung der in diesem Zusammenhang sichtbar gewordenen steuerrechtlichen Probleme und zweitens um den Umgang der Bundesregierung mit dem Parlament. Zu erstens: Das Umsatzsteuergesetz hätte spätestens zum 1. Januar 1998 im Zuge der Privatisierung der Post geändert werden müssen. Das Postgesetz schreibt die hoheitlichen Aufgaben der Post fest. Darunter fallen aber nicht die Universaldienstleistungen und die sonstigen Leistungen. Um diesen Bereich geht es heute hier. Hier sind Wettbewerber zugelassen, auch wenn diese derzeit noch nicht zahlreich sind. Die Wettbewerber müssen UmChristine Ostrowski satzsteuer zahlen, die Deutsche Post aber eben nicht. Das ist Wettbewerbsverzerrung. ({0}) In ihrem Börsenprospekt hat die Post in Vorbereitung auf den Börsengang festgestellt, dass eine Klärung hinsichtlich der Steuerpflicht notwendig ist. Auf Seite 180 dieses Prospekts wird auf Steuerforderungen der Finanzbehörden von knapp 1 Milliarde Euro allein für die Jahre 1998 und 1999 verwiesen. Lakonisch heißt es darin weiter: Die Bundes- und Landesfinanzbehörden haben die Frage der Umsatzsteuerbefreiung im Jahre 2000 abschließend entschieden, ... dass die Postuniversaldienstleistungen nach § 4 Nr. 11 b Umsatzsteuergesetz von der Umsatzsteuer freizustellen sind. Darauf komme ich noch einmal zurück. Es ist unstrittig, dass die Deutsche Post im Bereich der Universaldienstleistungen hohe Investitionen in die Infrastruktur vorgenommen hat. Deshalb optierte die Deutsche Post seit dem 1. Januar 1999 selbst zur Umsatzsteuerpflicht, um in den Genuss der Vorsteuerüberhänge in Höhe von circa 45 Millionen DM pro Monat zu kommen, und stellte offensichtlich im gewerblichen Bereich Unternehmen Umsatzsteuer in Rechnung. Hieraus ergeben sich für mich zwei Fragen: Erstens. Wurde die Deutsche Post durch Steuergeschenke der Bundesregierung börsenfähig gemacht? Zweitens. Wenn die Umsatzsteuerbefreiung im Jahre 2000 geklärt war, wieso hat dann die Post selbst anders gehandelt und teilweise zur Umsatzsteuerpflicht optiert, wie es heute der „Bild“-Zeitung zu entnehmen war? Bei der vorliegenden Einzelentscheidung der Bundesregierung zur Besteuerung der Post haben wir es nicht nur mit einem steuerrechtlichen Problem zu tun, sondern auch mit möglichen Verstößen gegen § 20 Verwaltungsverfahrensgesetz, gegen § 82 Abgabenordnung und gegen die Geschäftsordnung der Bundesregierung. Auch hier tut Aufklärung Not. Damit bin ich bei meinem zweiten Problem: Ich hatte aus dem Börsenprospekt zitiert, wonach Bundes- und Landesbehörden entschieden hatten, die Universaldienstleistungen der Post steuerfrei zu stellen. Das Finanzministerium in Nordrhein-Westfalen war mit dieser Entscheidung nicht einverstanden. Finanzminister Eichel unterzeichnete dennoch eine entsprechende Weisung an seinen Düsseldorfer Kollegen. Der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages wurde nicht gefragt, übrigens auch nicht bei der jüngsten Änderung des Postgesetzes, wonach die Universaldienstleistungen von der Post bis zum Jahre 2007 vorgehalten werden müssen. Diese Verlängerung hätte ich selbstverständlich unterstützt. Gleichzeitig hätte ich aber gefordert, den Punkt „Kosten der öffentlichen Haushalte“ zu ändern. ({1}) Wenn wir Parlamentarier es denn wollen, bleiben die Universaldienstleistungen umsatzsteuerfrei und damit gehen den Kassen von Bund, Ländern und Kommunen Gelder in einer beträchtlichen Größenordnung verloren. Das ist meines Wissens nicht mit den Ländern besprochen worden. Wir wurden aber nicht gefragt, sondern Herr Eichel hat per Unterschrift und im Alleingang entschieden, dass die Universaldienstleistungen steuerfrei seien.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, wir sind in der Aktuellen Stunde. Sie haben Ihre Redezeit überschritten.

Heidemarie Ehlert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003112, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Gleichzeitig wurden Gesetze zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges verabschiedet. Das habe ich unterstützt. Aber hier wird einfach anders gehandelt. Was nützt uns dieses Gesetz? Wie sollen meine Kollegen im Finanzamt draußen prüfen gehen, wenn der Minister entscheidet, was steuerfrei und was steuerpflichtig ist? Ich danke Ihnen. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die Bundesregierung spricht jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesfinanzminister, Barbara Hendricks.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den von der PDS-Fraktion angesprochenen Presseberichten wird aus einem als geheim eingestuften Bericht des Bundesrechnungshofes zitiert. Dies geschieht noch dazu ziemlich einseitig und ungenau. Darüber hinaus verletzen diese Berichte das Steuergeheimnis der Deutschen Post AG. Dies vorausgeschickt will ich mich - wohl wissend, dass dieser Versuch inzwischen skurrile Züge annimmt ausdrücklich nur zu den Presseberichten äußern, weil der Bericht des Bundesrechnungshofes nach wie vor geheim ist. Dass er nach wie vor geheim ist, liegt in der Verantwortung des Bundesrechnungshofes. Die Einstufung wurde durch den Großen Senat vorgenommen und kann auch nur durch diesen aufgehoben werden. Darauf hat die Bundesregierung keinen Einfluss. Die Deutsche Post AG hat aber den Bundesminister der Finanzen am Donnerstag vergangener Woche insoweit vom Steuergeheimnis entbunden. Die umsatzsteuerliche Bewertung muss die rechtlichen Vorgaben und die Wettbewerbssituation betrachten. Ich komme zunächst zu den rechtlichen Vorgaben: Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe a der 6. EGRichtlinie befreien die Mitgliedstaaten „die von den öffentlichen Posteinrichtungen ausgeführten Dienstleistungen“ von der Umsatzsteuer. Nach § 4 Nr. 11 b Umsatzsteuergesetz sind die unmittelbar dem Postwesen dienenden Umsätze der Deutschen Post AG von der Umsatzsteuer befreit. Diese Vorschrift ist durch das Gesetz zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation vom 14. September 1994 mit Wirkung vom 1. Januar 1995 zur Umsetzung der 6. EG-Richtlinie ins nationale Recht in das Umsatzsteuergesetz eingefügt worden. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass die Steuerbefreiung zumindest so lange bestehen bleiben soll, als wesentliche Marktsegmente den Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost ausschließlich vorbehalten bleiben, diese Unternehmen besondere Infrastrukturlasten zu tragen haben und durch hoheitliche Maßnahmen wie auch durch Allein- und Mehrheitsbesitz des Bundes die Einhaltung staatlicher Vorgaben gesichert bleibt. Zudem ging der Gesetzgeber damals davon aus, dass der öffentliche Charakter der Deutschen Post AG trotz Umstrukturierung der Deutschen Bundespost von einem Monopolunternehmen in drei private Unternehmen noch nicht vollständig aufgegeben worden ist. Am 1. Januar 1998 trat das Postgesetz in Kraft. Zweck dieses Gesetzes ist es, durch Regulierung im Bereich des Postwesens den Wettbewerb zu fördern und flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen zu gewähren. Nach § 51 Postgesetz wurde der Deutschen Post AG für einen näher bezeichneten Bereich von Postdienstleistungen - zunächst bis zum 31. Dezember 2002, jetzt bis 2007 - eine gesetzliche Exklusivlizenz eingeräumt. Diese Leistungen sind nach § 4 Nr. 11 b Umsatzsteuergesetz von der Umsatzsteuer befreit. Darüber hinaus kann die Deutsche Post AG - zunächst bis zum 31. Dezember 2002, jetzt bis 2007 - bei Marktversagen zur Erbringung eines so genannten Universaldienstes verpflichtet werden. Die weiteren Einzelheiten hierzu sind in der Post-Universaldienstleistungsverordnung vom 15. Dezember 1999 geregelt. ({0}) - Es ist offenbar notwendig, auf die Rechtslage hinzuweisen. ({1}) - Sie kennen mich ja als durchaus lebhafte Rednerin. Es scheint mir aber notwendig zu sein, hier - in der Hoffnung, dass auch die Herren und Damen Kollegen so viel Auffassungsgabe wie die von Ihnen angesprochenen Juristen des ersten Semesters haben - sehr eindeutig und nachdrücklich auf die Rechtslage hinzuweisen. Die Post-Universaldienstleistungsverordnung legt in § 1 fest, welche Leistungen der Deutschen Post AG als Universaldienstleistungen anzusehen sind. Hierzu gehören die Beförderung von Briefen bis zu einem Gewicht von 2 000 Gramm, soweit deren Maße bestimmte Grenzen nicht überschreiten, von Paketen bis zu einem Gewicht von 20 Kilogramm, soweit deren Maße bestimmte Grenzen nicht überschreiten, sowie von bestimmten Zeitungen und Zeitschriften. Diese Universaldienstleistungen, die ein Mindestangebot an Postdienstleistungen darstellen, muss die Deutsche Post AG unter den in den §§ 2 bis 4 und 6 der Post-Universaldienstleistungsverordnung genannten Anforderungen und Bedingungen flächendeckend erfüllen. Dabei werden Mindestanforderungen an die Qualitätsmerkmale für die Beförderung von Briefen und Paketen sowie von Zeitungen und Zeitschriften festgelegt. ({2}) Kein anderes Unternehmen als die Deutsche Post AG kann diese Leistungen derzeit erbringen, sodass im Ergebnis dieses Bündel von Leistungen mit Fug und Recht als der Deutschen Post AG eigentümlich und vorbehalten angesehen werden kann. ({3}) - Der Rechnungshof hat offenbar nur Teile der Gesetzeslage zur Kenntnis genommen. ({4}) Zur Klarstellung hat der Gesetzgeber im Zweiten Gesetz zur Änderung des Postgesetzes die Deutsche Post AG verpflichtet, für den Zeitraum der gesetzlichen Exklusivlizenz, die jetzt bis 2007 gilt, bis dahin auch die Universaldienstleistungen zu erbringen. Die Novelle wird in Kürze im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Daraus lässt sich entnehmen, dass der Gesetzgeber selbst deutlich gemacht hat, dass er diese Sicht der Dinge auch schon 1998 den damaligen Regelungen zugrunde gelegt hat. ({5}) Zweitens. Es ist zu fragen: Steht die Deutsche Post AG auch hinsichtlich der Universaldienstleistungen in vollem Wettbewerb? Dafür spricht lediglich, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung, nämlich am 18. Februar 2000, Lizenzen an 220 private Wettbewerber erteilt waren, die zu diesem Zeitpunkt nach Auskunft des Bundesrechnungshofes allerdings lediglich rund 1 Prozent Marktanteil hatten. Aber die Deutsche Post AG stand und steht nach wie vor unter einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung. Die Verpflichtung der Deutschen Post AG zur Erbringung des Universaldienstes ergibt sich aus dem am 1. Januar 1998 in Kraft getretenen Postgesetz. Hintergrund für die Regelungen des Postgesetzes ist die Vorgabe des Art. 87 f des Grundgesetzes, wonach der Bund im Bereich des Postwesens flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen gewährleistet. Das Postgesetz sieht in den §§ 11 ff. vor, dass die Regulierungsbehörde zur Gewährleistung des Universaldienstes erforderlichenfalls Unternehmen zu Universaldienstleistungen verpflichten kann. Dabei ging der Gesetzgeber für eine Übergangszeit von einer faktischen Erfüllung der Universaldienstleistungsverpflichtung durch die Deutsche Post AG aus. Dies ergibt sich aus den §§ 52 und 56 des Postgesetzes. Dort wird die Deutsche Post AG verpflichtet, der Regulierungsbehörde eine beParl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks absichtigte Dienstleistungseinschränkung im Bereich des Universaldienstes sechs Monate vorher mitzuteilen. Damit soll sichergestellt werden, dass die Regulierungsbehörde Versorgungslücken im Bereich der Grundversorgung verhindern kann; § 52 des Postgesetzes. ({6}) Die in § 56 des Postgesetzes unterstellte Verpflichtung der Deutschen Post AG zur Erbringung von Universaldienstleistungen bis sechs Monate nach Kündigung wird von der gerade verlängerten Exklusivlizenz flankiert, die den Zutritt privater Wettbewerber insoweit verhindert. ({7}) Soweit die bisherige Regelung. ({8}) In der Begründung der Neufassung des § 52 des Postgesetzes durch die Novelle zum Postgesetz ist in authentischer Interpretation des Gesetzgebers ausgeführt - ich zitiere -: Mit der Neufassung des § 52 wird der faktisch bestehende Zustand gesetzlich festgeschrieben. Die Deutsche Post AG ist als alleiniger Anbieter sämtlicher Universaldienstleistungen bereits heute während des Zeitraums der Exklusivlizenz ausschließlicher Adressat einer im Falle des Auftretens einer Versorgungslücke gegebenenfalls notwendig werdenden förmlichen Verpflichtung zum Universaldienst und unterliegt daher einer besonderen Universaldienstverantwortung, die auch in der Regelung des § 56 zum Ausdruck kommt. Vor dem Hintergrund der dadurch schon nach der bisherigen Rechtslage begründeten faktischen Universaldienstpflicht hat die Änderung des § 52 in erster Linie klarstellende Funktion. Ich habe aus dem verabschiedeten Gesetz zitiert. Zur Sicherstellung des verfassungsrechtlichen Auftrages hat die Deutsche Post AG zum Beispiel gemäß § 2 der Post-Universaldienstleistungsverordnung eine unter betriebswirtschaftlichen Maßstäben überdimensionierte Infrastruktur mit mindestens 12 000 Filialen zu unterhalten. Diese in der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung liegenden Vorhaltekosten, von der Deutschen Post AG als Universaldienstlasten bezeichnet, belasten nur die Deutsche Post AG, keinen der Wettbewerber.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, ich muss Sie auf das Ende Ihrer Redezeit aufmerksam machen, weil sich sonst alles nach hinten verschiebt. Bitte sehr. ({0})

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Solange diese kostenträchtige Verpflichtung besteht, ist voller Wettbewerb nicht hergestellt. ({0}) Ich möchte Ihnen gern noch ein Zitat des früher verantwortlichen Staatssekretärs Dr. Stark vorlesen, der genau zu diesem Schluss kommt. Er hat am 2. Juli 1996 dargelegt: Ob und wann die Deutsche Post AG mit anderen Unternehmen in uneingeschränkten Wettbewerb tritt und ihre Leistungen in vollem Umfang der Umsatzsteuer zu unterwerfen sind, hängt nicht zuletzt von der weiteren EG-rechtlichen Entwicklung auf dem Gebiet der Postdienstleistungen ab. Bis zu diesem Zeitpunkt muss es bei der bestehenden Regelung verbleiben. ({1}) Unter anderem damit begründete Dr. Stark, als Ihre Bundesregierung die Verantwortung trug, die Umsatzsteuerbefreiung. ({2}) Dem ist nichts hinzuzufügen. ({3})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun wissen wir es alle. - Das Wort hat der Kollege Hans-Joachim Fuchtel. ({0}) - Ich weise darauf hin, dass die Bundesregierung länger reden darf. Wir sind in der Aktuellen Stunde. Jetzt bitte höchstens fünf Minuten!

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Staatssekretärin, wenn Sie schon so gut vorlesen können, hätten Sie uns auch den Text anderer Schreiben vortragen können. Ich hörte, dass das „Handelsblatt“ zitierte, es gebe Schreiben von der Post AG an Ihr Haus, in denen dringend darum gebeten werde, mit Blick auf den Börsengang darauf zu verzichten, die Mehrwertsteuer zu erheben. Nach Auskunft des „Handelsblatts“ heißt es darin weiter, man solle Gründe dafür suchen. Warum haben Sie uns dieses Schreiben hier nicht vorgelesen? ({0}) Folgt man dem „Handelsblatt“ weiter, ging es um eine ganze Reihe von Antwortschreiben des Staatssekretärs Overhaus, um Schreiben, die an den Minister des Landes Nordrhein-Westfalen gerichtet wurden. Warum haben Sie diese Schreiben nicht zitiert? Sie wären sehr interessant und dazu geeignet gewesen, die Sachzusammenhänge aufzuhellen und Klarheit zu schaffen. ({1}) Wenn Sie ausführen, Sie könnten leider nichts Weiteres sagen, weil der Bundesrechnungshof die Geheimhaltung vorgegeben habe, hätten Sie es in der Hand, die Akten an den Deutschen Bundestag herauszugeben. Es sind Ihre Akten, über die da verhandelt wird. Dann könnten wir selber diesen Skandal mit der richtigen Bewertung in der Öffentlichkeit darstellen. ({2}) Da beißt die Maus keinen Faden ab: Mit seiner Entscheidung hat Bundesminister Hans Eichel nicht nur Länder, Kommunen und Sozialversicherungen und übrigens auch die Europäische Union um Milliarden gebracht. Er hat vielen kleinen Geldanlegern großen Schaden zugefügt. ({3}) Er hat darüber hinaus ein geradezu verheerendes Bild über die internen Entscheidungsprozesse im Bundesfinanzministerium abgeliefert. Der Minister hat eine Entscheidung, die üblicherweise Gerichte fällen, schlichtweg an sich gerissen - vorbei am Parlament, vorbei am Bundesrat, nur ein Ziel verfolgend: Man wollte unbedingt im Jahr 2000 mit der Post an die Börse gehen. ({4}) Warum wollte man das? Man wollte an die Börse, weil man die 10 Milliarden unbedingt im Bundeshaushalt brauchte, ({5}) um einen strahlenden Hans Eichel und einen schönen Bundeshaushalt präsentieren zu können. Dies hätte es nämlich anderenfalls gar nicht gegeben. Die volkswirtschaftlichen Daten hätten sich ganz anders entwickelt. ({6}) Daher musste man einen Weg finden und fand den Weg, die Gelder, die eigentlich für die Umsatzsteuer hätten zur Verfügung gestellt werden sollen, einfach zu Gewinn zu machen. Damit präsentierte man in der Öffentlichkeit ein Ergebnis, das suggerierte: Jawohl, die Post ist für den Gang an die Börse gewappnet. ({7}) Auf diese Weise hat man die Situation mit einem Federstrich bereinigt, sodass dieser Börsengang möglich wurde. In der Fernsehwerbung für die Postaktie freilich wurde dieser Trick bewusst nicht vorgeführt; vielmehr wurde der Ertrag der Post dargestellt. Daraufhin kaufte der kleine Mann die Aktie. Schlecht für Hans Eichel: Der Bundesrechnungshof hat die Sache zu früh aufgedeckt. Bis jetzt hat offenbar noch niemand richtig wahrgenommen, dass die Verjährung des Umatzsteueranspruchs - das kann noch eine große Rolle spielen ({8}) erst Ende 2002 eintritt und sich bis dahin noch alle Beteiligten darum bemühen können, ihre Ansprüche zu realisieren. ({9}) Meine Damen und Herren, lachen Sie nicht zu früh; das Thema wird mit Sicherheit noch sehr viele bewegen. Es ist sehr schlecht für Sie, dass die rechtswidrige Entscheidungspraxis aus dem Haus Eichel bekannt geworden ist. Die Kollegin hat es vorhin schon gesagt: Hier sind vier Firewalls, vier Gesetze vorhanden: die Abgabenordnung, das Verwaltungsverfahrensgesetz, die Geschäftsordnung des eigenen Hauses und darüber hinaus die Entsenderichtlinie des Bundesinnenministers. Über all diese Vorschriften hat sich das Finanzministerium in eigener Sache hinweggesetzt. Das ist ein Skandal ersten Ranges und kein Kavaliersdelikt. ({10}) Jetzt kommt noch eine ganz neue Story, die hier - abgesehen von Ihnen, Frau Ehlert - noch gar nicht angesprochen worden ist: die Rechtfertigung durch das neue Gesetz. Wer einmal den Werdegang dieses Gesetzentwurfs verfolgt, wird erkennen, dass der Bundesrat das Gesetz anfangs ganz anders eingebracht hat. Dann hat das Gesetz - sehr spät - eine andere Wendung genommen: vorbei am Bundestag, vorbei am Bundesrat; niemand hat es gemerkt. ({11}) In dieses Gesetz hätte man hineinschreiben müssen, dass man eine andere Grundlage beschließen wolle, was in den nächsten Jahren 5 Milliarden DM kosten werde. Dann wäre die Sache sauber gewesen. ({12}) Dass man das nicht getan hat, ist eine Manipulation des Gesetzgebers durch diese Regierung, meine Damen und Herren. Das kann und wird sich dieses Parlament nicht gefallen lassen. ({13})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat der Kollege Oswald Metzger für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass sich der Kollege Fuchtel in der Sache ereifert, habe ich im Rechnungsprüfungsausschuss erlebt, als er die Sitzung am vorletzten Freitag als stellvertretender Vorsitzender leitete. In der Sache selbst kann man Folgendes festhalten: Es gibt eine Praxis der Umsatzsteuerbefreiung für die Deutsche Post AG, die wir in der rechtlichen Anwendung von der Vorgängerregierung übernommen haben. Es gibt keine neue rechtliche Position auf Bundesebene. ({0}) In allen europäischen Ländern - deshalb gibt es eine EU-Richtlinie - haben die Postunternehmen, die überwiegend aus Staatsunternehmen hervorgingen, für entsprechende gemeinwirtschaftliche Auflagen befristete Steuerbefreiungen erhalten. ({1}) - Wie Sie vielleicht gehört haben, ist die Befreiung nach geltendem Recht in Deutschland bis 2007 befristet. Das sage ich als Ordnungspolitiker jetzt als Fußnote. ({2}) Natürlich ist klar, dass sich im Zuge des zunehmenden Wettbewerbs eines nicht allzu fernen Tages auch im Bereich der Universaldienstleistungen die Frage der Umsatzsteuerpflicht der Deutschen Post AG stellen wird. Damit sind wir genau an dem Punkt, der heute in der „Bild“-Zeitung eine Rolle spielt. Dort wird nämlich der Eindruck erweckt, die Deutsche Post AG würde Mehrwertsteuer von gewerblichen Kunden erheben, dann aber auf dem Umsatzsteuerprivileg beharren und dadurch Rechtsbruch begehen. Meine Damen und Herren, hier unterliegen sowohl die „Bild“-Zeitung als auch Sie von der Opposition einem Irrtum: Die Deutsche Post AG hat natürlich auch einen gewerblichen Bereich, in dem sie nicht den Rechtsverpflichtungen nach der PUDLV unterliegt. ({3}) Dort kann sie Umsatzsteuer erheben. Diese Umsatzsteuer wird an die Finanzverwaltung abgeführt. Das können Sie in einer Pressemitteilung der Deutschen Post AG von heute, 11.34 Uhr, nachlesen. Selbstverständlich können die gewerblichen Kunden der Deutschen Post AG die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer von der bei ihnen zu ermittelnden Umsatzsteuer abziehen. Dies ist also formalrechtlich auch in Ordnung. Jetzt komme ich zu dem entscheidenden Punkt. Ihnen geht es ja im Prinzip um die Diskreditierung eines Vorgangs im September, den Ihre Staatssekretäre selber mitgetragen haben. Dem Postgesetz, gegen das Sie jetzt vorgehen, hat zumindest die Union zugestimmt, die FDP nicht; hier muss ich differenzieren. ({4}) - Sie haben im September der Postgesetz-Novelle zugestimmt. ({5}) Daher brauchen Sie sich hinsichtlich der materiellrechtlichen Natur dieses Vorgangs jetzt nicht aufzublasen. Natürlich gibt es Kritik am Prozedere im Finanzministerium. Aber was hat das Finanzministerium gemacht? Staatssekretär Overhaus und Staatssekretär Zitzelsberger waren bei der ersten parlamentarischen Behandlung des Vorgangs im Rechnungsprüfungsausschuss anwesend und haben Rede und Antwort gestanden. Sie waren an diesem Mittwoch im Finanzausschuss des Deutschen Bundestag anwesend und standen auch zur Verfügung, als dieser Vorgang im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestag andiskutiert wurde. Die Bundesregierung hat in dieser Woche zugesagt, dass der Bundesfinanzminister bei der abschließenden Beratung im Rechnungsprüfungsausschuss - ich glaube, am 23. Februar - zur Verfügung stehen wird. Wie wollen Sie da den Eindruck erwecken, dass die Bundesregierung mauert und sich dieser Auseinandersetzung nicht stellt? ({6}) Seien wir doch ehrlich: Sie alle wissen, dass einer der beiden Staatssekretäre, nämlich der Nachfolger - sozusagen in Zweitnachfolge - von Herrn Dr. Stark im Verantwortungsbereich der Steuerabteilung, vier Monate lang schwer erkrankt war. Genau in dieser Zeit wurde der Börsenprospekt der Deutschen Post AG erstellt. In Vertretung dieses Staatssekretärs Professor Zitzelsberger hat Staatssekretär Overhaus, der seinen Kollegen im Amt vertrat, ({7}) dies dem Minister vorgetragen. ({8}) Der Finanzminister hat eine Entscheidung getroffen, die die alte Regierung im Außenverhältnis auch getroffen hatte. ({9}) - Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen. - Jetzt kommt der entscheidende Punkt: Das war ein formaler Fehler. Das haben Staatssekretär Overhaus und auch die Koalition eingeräumt. Das Finanzministerium hatte nach dem Bericht des Rechnungshofs schon die Konsequenz gezogen, dass künftig im Vertretungsfall beteiligte Mitarbeiter des BMF, die im Aufsichtsrat von Beteiligungsunternehmen sitzen, künftig nicht mehr gegenzeichnen dürfen. Das ist in Ordnung. ({10}) Diese Entscheidung ändert aber in materiellrechtlicher Hinsicht nichts daran, dass der zuständige Mitarbeiter, bei dem keine Interessenkoalision im Rechtssinne bestanden hätte, zu dem gleichen Ergebnis gekommen wäre. ({11}) Ihr Bemühen als Opposition, guten Ministern sozusagen durch formale Mängel am Zeug flicken zu wollen, ist durchaus legitim; ({12}) aber was ist das Ergebnis der ganzen Aufregung? Ich meine, dass dieser Versuch in der Sache gescheitert ist. Wir werden dieses Scheitern noch erleben, weil sie am 23. Februar im Rechnungsprüfungsausschuss an diesem Thema sicherlich längst kein Interesse mehr haben werden. Vielen Dank. ({13})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Jürgen Koppelin das Wort.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Bemerkung zu Ihnen, Frau Staatssekretärin: Ich bin ehrlich genug zuzugeben, dass ich es in Ihrer Funktion wahrscheinlich genauso gemacht und hier die Gesetzestexte verlesen hätte. Denn ich finde es - auch Ihnen persönlich gegenüber - unfair, dass die hochrangigen Männer in Ihrem Hause wie Eichel, Overhaus, Diller und wie sie alle heißen, die sich mit diesen Angelegenheiten beschäftigen, alle den Karren in den Dreck gefahren haben und Sie es hier ausbaden sollen. Das ist nicht sehr sauber. ({0}) Was wir bisher über die Umsatzsteuerbefreiung der Deutschen Post AG und die dazu gehörigen Vorgänge erfahren haben - es kommen immer noch neue Vorgänge hinzu -, ist so ungeheuerlich, dass befürchtet werden muss, dass es sich dabei nur um die Spitze des Eisbergs handelt. Es ist zu befürchten, dass noch mehr Informationen dazukommen, und es ist nicht auszuschließen, dass sich viele Kleinaktionäre, die Postaktien gekauft haben, verraten und betrogen fühlen. ({1}) Im Finanzministerium wird ein Staatssekretär beauftragt, den Börsengang der Post vorzubereiten. Gleichzeitig sitzt dieser Staatssekretär im Aufsichtsrat der Deutschen Post AG. Allein das ist ein Vorgang, der nicht nur gegen die Geschäftsordnung der Bundesregierung verstößt, sondern auch gegen die Abgabenordnung. Darin heißt es: In einem Verwaltungsverfahren darf für eine Finanzbehörde nicht tätig werden, ... wer bei einem Beteiligten gegen Entgelt beschäftigt ist oder bei ihm als Mitglied des Vorstandes, des Aufsichtsrates oder eines gleichartigen Organs tätig ist. ({2}) Das wird von diesem Staatssekretär in einer Pressekonferenz so kommentiert, das sei wohl formal nicht alles in Ordnung gewesen. - Wie gehen Sie denn mit dem Gesetz um? Wie geht dieser Staatssekretär mit dem Gesetz um? ({3}) Dabei handelt es sich nicht um irgendeine Kleinigkeit. Deswegen fordert die Fraktion der FDP den Bundesfinanzminister auf, den betreffenden Staatssekretär sofort zu entlassen. ({4}) Dieser Staatssekretär hat dafür gesorgt ({5}) - hören Sie doch zu, Herr Kollege, Sie kommen auch noch dran -, und Herr Eichel hat sich daran beteiligt, dass die Post von der Umsatzsteuer befreit wurde. Ich habe von Ihnen kein Wort dazu gehört, Herr Metzger. Es gab aber Widerstand im Ministerium. Die leitenden Personen, die dort mit dem Thema befasst waren, haben Widerstand geleistet und auch schriftlich niedergelegt, dass sie dagegen waren. Der Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen - das ist ja keiner von uns, sondern Ihr Parteifreund Steinbrück ({6}) hat Widerstand geleistet und gesagt: Wenn ich es denn machen muss, dann fordern Sie mich schriftlich dazu auf. Das war im Februar 2000. Warum ist denn das Ganze geschehen? Die Antwort auf diese Frage sind Sie uns bisher schuldig geblieben. ({7}) Sie haben das Ganze doch nur gemacht, um die Bilanz der Post AG für den Börsengang aufzupäppeln. Nichts anderes haben Sie gemacht! Das werfe ich Ihnen vor. ({8}) - Ich bin kein Jurist; ich kann das nicht beurteilen. Aber die Börsenaufsicht sollte sich schon damit beschäftigen, Herr Funke. Sie haben die Umsatzsteuerbefreiung doch nur gewährt, um nach dem Börsengang der Post zugunsten des Bundeshaushalts kräftig abkassieren zu können. Nichts anderes war der Grund. ({9}) Als Nächstes zu den Bundesländern. Haben Sie überhaupt mit ihnen gesprochen? Das Bundesland, aus dem ich komme, Schleswig-Holstein - das ist gar nicht einmal so groß -, hat durch Sie in zwei Jahren 30 Millionen DM verloren. Wie wird das wohl in NRW sein? ({10}) - Von den Kommunen will ich gar nicht erst reden. ({11}) Es ist doch sonst bei solchen Dingen üblich, mit den Bundesländern zu reden. Haben Sie mit dem Bundesrat oder dem Bundestag darüber gesprochen? - Das haben Sie nicht gemacht. Herr Kollege Fuchtel hat mit Recht das angesprochen, was noch auf uns zukommen wird. Auch da haben wir ja erst die Spitze des Eisbergs gesehen. Was ist denn mit der Vorsteuerpauschale? Was wurde dabei alles angerechnet? Da bleibt noch vieles im Dunkeln. Wir haben es doch im Rechnungsprüfungsausschuss erlebt: Dort wurden uns weit über eine Stunde lang erst einmal nur Dokumente gezeigt. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch darauf hinweisen: Ich habe den Staatssekretär Overhaus in der Bundespressekonferenz vor einer Woche gehört. Er sollte einmal nachlesen, was er dort gesagt hat. Er hat nämlich gesagt, er sei nur einmal mit dieser Angelegenheit befasst gewesen, nämlich als er die Vorlage für den Bundesminister der Finanzen gemacht hat, das Land NRW anzuweisen, die Umsatzsteuerfreiheit zu gewähren. ({12}) Ich habe im Rechnungsprüfungsausschuss noch andere Dokumente gesehen; ich habe häufiger etwas von Herrn Overhaus gelesen. - Frau Staatssekretärin, Sie sollten Herrn Staatssekretär Overhaus bitten, sich zu überlegen, seine Aussage zu korrigieren. Nach meiner Erinnerung stimmt sie nicht mit dem überein, was ich durch den Rechnungsprüfungsausschuss weiß. Ich wiederhole: Der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Herr Overhaus, muss sofort entlassen werden. ({13}) Wenn der Bundesfinanzminister zu diesem Schritt nicht bereit ist, dann ({14}) schließe ich nicht aus, dass der Bundesfinanzminister selbst den Hut nehmen muss. ({15}) Denn, Herr Kollege Wagner, der Bundesfinanzminister trägt letztlich die Verantwortung dafür, dass beim Börsengang der Deutschen Post AG getarnt, getäuscht und hinters Licht geführt worden ist. ({16})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Christa Luft für die PDS-Fraktion.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Tagen war in der „Süddeutschen Zeitung“ zu lesen: Irgendwie fühlt man sich zurzeit an das Frühjahr 1999 erinnert, als die Regierung Schröder von Fehler zu Fehler stolperte. Damals hatte sie die Entschuldigung, noch in der Lernphase zu sein. Dieses Argument sticht allerdings im vierten Jahr der rotgrünen Koalition nicht mehr. ({0}) Was an Ungereimtheiten, Fehlern und Versäumnissen im Regierungsalltag allein in den letzten vier bis fünf Wochen an die Öffentlichkeit gelangt ist, gar der Versuch, sich am Gesetzgeber, am Parlament, vorbei mogeln zu wollen, spricht, wie ich finde, eher für Selbstgerechtigkeit. ({1}) Das kann sich dieses Parlament nicht länger gefallen lassen. Nach dem Verteidigungsminister, dem Innenminister, dem Arbeitsminister und dem Wirtschaftsminister kommt nun auch der Finanzminister, der ansonsten immer versucht, sorgsam mit den Zahlen umzugehen, ins Gerede, weil er entgegen der einhelligen Rechtsauffassung der Steuerreferate sowohl des Bundesfinanzministeriums als auch des Finanzministeriums von Nordrhein-Westfalen die Eigenmächtigkeit seines Staatssekretärs geduldet hat, obwohl eine gesetzliche Regelung notwendig gewesen wäre. ({2}) Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, es gibt überhaupt keine Rechtfertigung, diesen Vorgang herunterzuspielen, ({3}) auch nicht mit dem Hinweis, Herr Kollege Metzger, die Vorgängerregierung habe dies auch immer so praktiziert. Ich frage mich allmählich, wie lange man als fehlerhaft erkannte Praktiken der Vorgängerregierung mit dem Hinweis auf die Vorgängerregierung fortsetzen will; denn dies taucht ja fast in jeder Debatte auf. ({4}) Dieser Fall ist wie der Fall des Steuererlasses gegenüber der bayerischen Rüstungsfirma Diehl exemplarisch für das willkürliche Agieren des Bundesfinanzministeriums. Per Erlass oder per Anordnung werden Unternehmen aus ganz unterschiedlichen Gründen Steuern erlassen. Wenn der entsprechende Fall in die Öffentlichkeit gelangt und wenn Parlamentarier Rechenschaft fordern - so wie heute die PDS-Bundestagsfraktion -, dann zieht sich der Finanzminister auf das Steuergeheimnis zurück. Das Steuergeheimnis verbietet aber nur die Offenbarung der Steuerverhältnisse Dritter. Das Steuergeheimnis hindert die Bundesregierung überhaupt nicht daran, zu ihrem eigenen Verhalten Stellung zu nehmen. ({5}) Es erstaunt mich schon - aber wir hören ja noch einige Kolleginnen und Kollegen der Koalition -, dass das deutliche Raunen, das in den letzten Tagen zu diesem Fall zu hören war und über das der „General-Anzeiger“ am 29. Januar berichtet hat, in der heutigen Diskussion überhaupt nicht mehr anklingt. Dabei sind doch eine Fülle von Fragen, die berechtigterweise gestellt werden, noch nicht - auch nicht durch die lange Chronik, die die Frau Parlamentarische Staatssekretärin uns hier vorgetragen hat - beantwortet. Im Übrigen muss ich sagen, Frau Staatssekretärin, Sie waren im Unterschied zu Ihren sonstigen Reden heute nicht besonders kämpferisch. ({6}) Sie haben eine solche Akribie an den Tag gelegt, dass man vermuten muss, die Bundesregierung ist sich sicher, dass es zu weiteren Prüf- und vielleicht auch Gerichtsverfahren kommt. Ich persönlich möchte nicht ausschließen, dass das der Fall sein wird. Die Fragen, die noch nicht beantwortet sind, lauten: Warum optiert ein umsatzsteuerbefreites Unternehmen zur Umsatzsteuerpflicht? Bezog sich dieses Optieren nur auf die im Wettbewerb stehenden Leistungen? Diese Fragen sind bisher noch nicht beantwortet. Warum kann die Telekom nicht das gleiche Privileg in Anspruch nehmen, da sie doch auch verpflichtet ist, Universaldienstleistungen wie den Sprachdienst oder die flächendeckende Versorgung mit öffentlichen Fernsprechern anzubieten? Warum räumt Staatssekretär Overhaus Fehler ein, wenn im Grunde genommen alles seine Ordnung hatte? Man kann diese Unstimmigkeiten doch nicht mit Vertretungsund Krankheitsfällen begründen. Ich glaube, dass der hier debattierte Fall große Zweifel an der Konsistenz und Glaubwürdigkeit rot-grüner Steuer- und Finanzpolitik nährt. Wer auf der einen Seite Umsatzsteuerbefreiungen in Milliardenhöhe für ein einziges Unternehmen genehmigt, der möge auch begründen, warum zum Beispiel Handwerksbetriebe, die arbeitsintensive Dienstleistungen anbieten, nicht mit einem niedrigen Mehrwertsteuersatz belegt werden. ({7}) In diesem Fall wird immer gesagt, das führe zu Steuerausfällen. Das führt aber nur zeitweilig zu Steuerausfällen, weil damit Wachstum und Beschäftigung und somit neue Steuereinnahmen generiert werden. ({8}) Aus diesem Fall kann die öffentliche Hand außer einer kurzfristigen Haushaltseinnahme keine weiteren Vorteile erzielen. Man muss dem „Handelsblatt“ zustimmen, das am 28. Januar geschrieben hat, dass die Bundesregierung kein politisches Konzept mehr hat, das bis zum Wahltag frei von Häme und Kritik ist. Ich glaube, der eben debattierte Fall belegt das, was das „Handelsblatt“ geschrieben hat. ({9})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat der Kollege Dieter Grasedieck für die SPD-Fraktion das Wort.

Dieter Grasedieck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP-, PDS- und CDU/CSU-Detektive sind wieder einmal fündig geworden. ({0}) Oberdetektiv Austermann spricht von einem Steuerskandal. Sie müssen es wissen. Sie haben ja lange genug Spendenaffären in verschiedenen von Ihnen regierten Ländern gehabt. In diesem Bereich sind Sie zu Hause; da haben Sie Erfahrung. ({1}) Worin geht es im Kern bei dieser Aktuellen Stunde? ({2}) Es geht erstens um Wahlkampf. ({3}) Das erkennt man besonders deutlich an der Rede von Herrn Koppelin. Es geht zweitens um Ihr Postgesetz und im Zusammenhang damit um Ihr Steuergesetz. Sie, Herr Repnik, Herr Fromme und Herr Koppelin, haben das Gesetz 1995 und 1998 eingebracht. ({4}) Sie dürfen nicht alles verteufeln, was Sie einst beschlossen haben, Herr Fromme. Manches war ganz gut; vieles war natürlich sehr schlecht. Das ist gar keine Frage. Nebenbei bemerkt: Es geht - das ist vorhin schon angesprochen worden - um offensichtliche Verfahrensfehler. ({5}) Die Kernfrage, die hier im Raum steht, lautet: Braucht die Post Steuervorteile oder nicht? Ich sage: Ja. Die Post hat soziale Aufgaben: Sie befördert die Post, die Päckchen und die Zeitungen von München zur Hallig Hooge. ({6}) Ihre Aufgabe ist es, ihre Dienstleistungen flächendeckend anzubieten. Es ist wichtig, dass die Post auch das normale Paket transportiert. Das ist ebenfalls eine Aufgabe der Post, die flächendeckend erfüllt werden muss. Die dafür anfallenden Kosten müssen - auch vom Staat - ausgeglichen werden. Herr Fromme, es gibt faktisch keinen Wettbewerb. Denn der freie Markt stellt nur 1 Prozent - nicht mehr der Postdienstleistungen zur Verfügung; die auf dem freien Markt tätigen Unternehmen haben allerdings nicht die Aufgabe, flächendeckend zu arbeiten. ({7}) - Hören Sie doch zu! Wir brauchen in ganz Deutschland ein Dienstleistungsnetzwerk. Die Post wird den Betrieb in 12 000 Filialen aufrechterhalten müssen; im Moment hält sie den Betrieb in 13 000 Filialen aufrecht. ({8}) Für meinen Wahlkreis ist es wichtig, die Poststellen zu erhalten. ({9}) Ich bin froh, dass es in meinem Wahlkreis Bottrop-Recklinghausen noch viele Poststellen gibt. Sie haben doch sicherlich hin und wieder auch Probleme mit der Schließung von Poststellen. Sie sollten auch sehen, dass wir die Gebühren berücksichtigen müssen. Nicht die Post, sondern eine Regulierungsbehörde setzt die Gebühren fest. Auch deshalb benötigt die Post ein Steuerprivileg. ({10}) Das wissen Sie doch; schließlich haben Sie dieses Gesetz mit verabschiedet und waren sozusagen mit von der Partie. Ein weiterer für mich entscheidender Punkt ist: Die Planungssicherheit muss für unsere Post gewährleistet sein, und zwar deswegen, weil wir in Europa eine einheitliche Regelung haben. In Europa zahlen staatliche Poststellen, staatliche Unternehmungen keine Umsatzsteuern. ({11}) Für mich ist ein ganz entscheidender Punkt - Herr Fromme, Sie werden überrascht sein -, dass mit dem Schicksal der Deutschen Post AG auch das Schicksal von 300 000 qualifizierten Menschen, die ihre Arbeit machen, verbunden ist. Diese Menschen brauchen in den nächsten Jahren Planungssicherheit. ({12}) Deshalb sagen wir: Wir brauchen Planungssicherheit bis 2007. Sie stellen die Frage: Was geschieht, wenn die Umsatzsteuer wegfällt? Ich sage Ihnen: Sie reduzieren die sozialen Aufgaben der Post; Sie gefährden weiterhin 300 000 Arbeitsplätze. Unser Fazit ist: Die Postdienstleistungen müssen bis 2007 umsatzsteuerfrei bleiben. ({13})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat der Kollege Josef Hollerith für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als zuständiger Berichterstatter im Rechnungsprüfungsausschuss bescheinige ich dem Rechnungshof ausdrücklich seriöse Arbeit, saubere Dokumentation und ein hohes Maß an Pflichterfüllung gegenüber dem Parlament. ({0}) Der Bericht ist geheimgestempelt. Ich zitiere deshalb nicht aus diesem Bericht. ({1}) Meine Ausführungen stützen sich ausdrücklich auf eigene Recherche und eigene Erkenntnisse. Der erste zu hinterfragende Punkt ist die Befangenheit des zuständigen beamteten Staatssekretärs. Er ist Vertreter der Bundesregierung im Aufsichtsrat der Deutschen Post AG und beeinflusst nicht nur, sondern prägt ({2}) auch die Haltung des Bundesfinanzministeriums zur Frage der Umsatzsteuerfreiheit der Post AG. ({3}) Damit hat er - gegen die Rechtsauffassung des zuständigen Umsatzsteuerreferats und gegen die Rechtsauffassung des für die Veranlagung zuständigen Finanzamtes in NRW - in unzulässiger Weise in ein Verwaltungsverfahren eingegriffen. Damit verstößt er gegen die Geschäftsordnung des Bundesministeriums der Finanzen, gegen § 82 Abs. 1 Abgabenordnung, gegen § 20 Verwaltungsverfahrensgesetz und gegen die Entsenderichtlinien des Bundesministeriums des Innern. Zu fragen ist daher: Wie wird mit einem solchen Fehlverhalten umgegangen? ({4}) Ein kleiner Beamter wird disziplinarrechtlich verfolgt, wird in der Personalakte abgestraft - mit allen negativen Konsequenzen. Ich fordere Bundesminister Eichel auf, ({5}) als zuständiger Dienstvorgesetzter die notwendigen Konsequenzen, die jeder kleine Beamte zu tragen hat, auch in diesem Fall zu ziehen. ({6}) Der zweite Fragenkomplex betrifft die Seriosität des Bundes als Beteiligungsverkäufer. Der Bund hat gerade zu dem Zeitpunkt, zu dem die Privatisierung der Deutschen Post anstand, zu dem auch die Notwendigkeit bestand, in die Bilanz Rückstellungen für möglicherweise zu zahlende Umsatzsteuer einzustellen, zu dem also auch die Wertermittlung der Post anstand, in unzulässiger Weise diese Umsatzsteuerbefreiung erklärt. ({7}) Damit hat er die Aktienkäufer getäuscht. Er hat Börsenmanipulation betrieben. Er hat im Ergebnis Bilanzfälschung betrieben. ({8}) Die dritte Fragestellung betrifft die Steuerverteilung in unserem Land. Durch Ministerschreiben hat das Bundesministerium der Finanzen gegen die erklärte Rechtsauffassung des nordrhein-westfälischen Finanzministeriums die Anweisung erteilt, dass die Post AG von der Umsatzsteuer zu befreien ist. Damit entgehen den Ländern Steuereinnahmen in erheblichem Umfang, es entgehen den Kommunen erhebliche Steuereinnahmen und es entgehen der Europäischen Union sowie der Rentenversicherung Steuereinnahmen. Bemerkenswert dabei ist, dass dieser Streit über die Auslegung des Umsatzsteuerrechts nicht vor den Finanzgerichten ausgetragen worden ist, wie das sonst üblich ist, und dass entgegen der normalen Praxis die Umsatzsteuerreferenten der Länder nicht am Verfahren beteiligt worden sind, sondern dass allein durch Ministerschreiben von Hans Eichel eine solche Anweisung erteilt worden ist. Das widerspricht in doppelter Weise den Regeln und der Praxis in unserem Rechtsstaat. Auch dafür trägt der Bundesfinanzminister die volle Verantwortung. ({9}) Er hat sich im Rechnungsprüfungsausschuss zu stellen. Er hat sich im Haushaltsausschuss zu stellen. ({10}) Er trägt die gesamte politische Verantwortung für diesen Vorgang. ({11})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile für Bündnis 90/Die Grünen dem Kollegen Oswald Metzger das Wort. Er spricht ein zweites Mal. Ob das zulässig ist, ist umstritten. Heute lasse ich es zu und dann klären wir das. Es gibt schon Fälle, auf die man sich berufen kann. Aber wenn das alle so machten, dann wäre hier von jeder Fraktion einer und redete viermal. ({0}) Das kann nicht im Sinne der Geschäftsordnung sein. Weil Sie es sind, Herr Kollege Metzger! Sie dürfen heute ein zweites Mal reden. Ich danke Ihnen allen dafür, dass Sie damit einverstanden sind.

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Vielen Dank für die Ermahnung, aber es gibt in der Tat Fälle aus den letzten Wochen, auf die man sich berufen kann. Zu meiner Entschuldigung kann ich anführen: Meine Kollegin Scheel ist kurzfristig verhindert. Wir hatten uns die Redezeit aufgeteilt. Ihre Argumente habe ich in meinem ersten Beitrag vorgetragen. Jetzt möchte ich noch drei Argumente von mir einbringen. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Metzger, Sie sind jetzt sozusagen die Kollegin Scheel. In Ordnung. ({0})

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, jetzt bin ich Oswald Metzger. Erstens. Die EU-rechtlichen Aspekte müssen wir uns noch einmal genauer anschauen. Das Briefmonopol ist praktisch vertraglich in den Richtlinien verankert. Das gilt EU-einheitlich bis 2007. Die EU-Kommission hat im Sommer 2001 den Antrag eines privaten Kurierdienstes aus Ludwigshafen, in dem sich dieser über die Ungleichbehandlung im Wettbewerb mit der Post AG beschwert hat, abgelehnt, weil die umsatzsteuerrechtlichen Regelungen nach EU-Recht nun einmal so sind, wie sie sind, und eben Ausnahmen für gemeinwirtschaftliche Leistungen zulassen, und zwar europaweit. Zweiter Punkt. Die von verschiedenen Rednerinnen und Rednern aufgestellte Behauptung, dass der Erlös aus der Privatisierung der Deutschen Post in den Bundeshaushalt eingeflossen sei, ist falsch. ({0}) Dieser Erlös ging - diesen Begriff kennt man - in die Postunterstützungskasse. ({1}) Aus dieser Unterstützungskasse werden die Pensionen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gezahlt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, wenn ich Ihre Einwände richtig verstanden habe, dann sind Sie der Meinung, dass die Postunterstützungskasse aus Steuermitteln finanziert werden soll. ({2}) Ich muss mich wundern; denn Sie sind doch sonst diejenigen, die uns immer vorwerfen, wir konsolidierten den Haushalt nicht. Wir haben alle Erlöse - es gab nicht nur welche aus dem Börsengang der Deutschen Post AG, sondern auch aus den Platzhalterlösungen, die Ihr Finanzminister Waigel 1996 gefunden hatte, um Geld in den Bundeshaushalt einzustellen, da die Postunterstützungskasse noch nicht in den Bundeshaushalt integriert war - für die Postunterstützungskasse - sie ist nun in den Bundeshaushalt integriert - und für die Tilgung alter Schulden verwendet. So weit, so gut. Das alles ist ganz solide. Aber genau diese Solidität macht Ihnen Probleme. Deshalb reiben Sie sich so am Bundesfinanzminister. ({3}) Dritter Punkt. Wer verliert bei diesem Geschäft? Bitte schön, erklärt ihr von der Opposition doch einmal den Bürgerinnen und Bürgern, was es bedeuten würde, wenn die Deutsche Post AG auf Leistungen im Universaldienstleistungsbereich 16 Prozent Mehrwertsteuer zahlen müsste. Das würde doch bedeuten, dass die Leistungen der Deutschen Post AG für den Endverbraucher - das beträfe viele Millionen Menschen in unserem Land - genau um diesen Prozentsatz teurer würden, es sei denn, ihr glaubt, die Deutsche Post AG würde solch erhöhte Preise beim Endkunden nicht durchsetzen können. Wo, bitte schön, ist angesichts der Tatsache, dass der Bund die Deutsche Post AG verpflichtet, mindestens 12 000 Poststellen in der Fläche vorzuhalten, der volkswirtschaftliche Verlust? Welcher private Kurierdienst würde beispielsweise in Oberschwaben, wo ich zu Hause bin, oder im Allgäu, also in entlegenen ländlichen Regionen, die postalische Versorgung der Bevölkerung sicherstellen? ({4}) Weil der Wettbewerb in diesem Segment noch schwach ausgeprägt ist, ist gesetzlich geregelt, dass die Deutsche Post AG ein Umsatzsteuerprivileg hat. Das macht übrigens - vorhin kamen entsprechende Zwischenrufe - auch den Unterschied zur Telekom aus. Dem Unternehmen Telekom sind per Gesetz keine Sonderlasten auferlegt worden. Außerdem ist der Wettbewerb im Telekommunikationsbereich - Gott sei Dank - wesentlich stärker ausgeprägt. Das alles führt dazu, dass die Telekom umsatzsteuerpflichtig ist. Die Kunden können das auch erkennen, weil der Anteil der Umsatzsteuer auf der monatlichen Rechnung der Telekom separat ausgewiesen ist. Das ist auch gut so. Letzter Punkt. Zu Ihnen spricht ein Redner, der durchaus ein Anhänger des Wettbewerbsgedankens ist und der aus marktwirtschaftlichen Gründen für fairen Wettbewerb eintritt. Wenn der Gesetzgeber - auch Sie waren dieser Meinung, als Sie noch an der Regierung waren - der Meinung ist, dass die Deutsche Post AG Sonderlasten zu tragen hat und deshalb von der Umsatzsteuer befreit werden muss, dann kann ich nur sagen: Diese Auffassung ist konsistent, rechtlich korrekt und kompatibel mit EU-Recht. Dass das Bundesland Nordrhein-Westfalen eine andere Auffassung hat, ist legitim; denn die Deutsche Post AG hat ihren Sitz in diesem Bundesland. Natürlich würde es dieses Bundesland gern sehen, wenn Dienstleistungen der Deutschen Post AG umsatzsteuerpflichtig wären; denn dann hätte es zusätzliche Einnahmen. Ich will zwar die Legitimität dieses Interesses nicht in Abrede stellen. Aber ich möchte auf die Vielzahl von Fällen verweisen, in denen die Finanzgerichtsbarkeit und der Gesetzgeber andere Positionen vertraten als die nachgeordneten Dienststellen. Das ist alles. Dies eignet sich meines Erachtens nicht für einen Skandal und schon gar nicht dafür, den Rücktritt eines Bundesministers oder eines Staatssekretärs zu fordern. Das ist absurd. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die SPD-Fraktion erteile ich dem Kollegen Hans Georg Wagner das Wort.

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Aktuelle Stunde hätte nicht stattgefunden, wenn der Kollege Koppelin nicht das mir vorliegende Papier der Presse übergeben hätte. Aufgrund eines Berichts in der Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 27. Januar 2002, in dem Sie namentlich mit entsprechenden Kommentaren erwähnt werden, gehe ich davon aus, dass Sie der Informant der Presse gewesen sind. ({0}) Diese Debatte hätte nicht stattgefunden, wenn Herr Kollege Koppelin und andere, insbesondere die PDS, an der ganzen Sitzung des Rechnungsprüfungsausschusses teilgenommen hätten. Ich muss Herrn Fuchtel bestätigen, dass er die Verhandlungsführung im Rechnungsprüfungsausschuss ordnungsgemäß wahrgenommen hat. ({1}) In diesem Ausschuss sind alle Probleme angesprochen worden. Dort ist nach Aussagen von Herrn Professor Zitzelsberger und auch von Dr. Overhaus, der zugegeben hat, dass man diesen Punkt etwas kritischer sehen kann, festgestellt worden, dass alles nach Recht und Gesetz zugegangen ist. ({2}) - Herr Zwischenrufer, Sie waren nicht dabei; deshalb reden Sie nicht dazwischen, sondern behalten Sie das für sich. Ich bin froh, dass der Rechnungsprüfungsausschuss am 23. Februar Gelegenheit hat, Herrn Minister Eichel anzuhören und mit ihm darüber zu diskutieren. Ich habe den Bericht des Bundesrechnungshofes nicht als geheim empfunden. Ich fand es unsinnig, ihn als geheim einzustufen. Aber das ist Sache des Bundesrechnungshofes, nicht unsere Sache. Ich habe den Stempel nicht aufgedrückt. Ich habe den Bericht durchgelesen und bin zu dem Schluss gekommen, dass er ein Drehbuch ist, um Herrn Overhaus abzuschießen. Für mich sah das so aus. ({3}) - Ich unterstelle, dass private Gründe in die Formulierungen eingeflossen sind, die ich so nicht akzeptieren kann, weil sie keinen sachlichen Bezug haben. Das will ich ganz deutlich sagen. Eben ist schon dargelegt worden, dass wir vor etwa einem Jahr in einem Bundesgesetz beschlossen haben, dass die Post die 12 000 bzw. 13 000 Postdienststellen im Lande bis zum Jahre 2007 aufrechterhält. Bei 6 000 Postdienststellen ist für die Post die Wirtschaftlichkeitsgrenze. Das heißt, wir zwingen die Post durch einen Bundestagsbeschluss - Sie haben daran mitgewirkt, ob Sie zugestimmt haben oder nicht - in die Unwirtschaftlichkeit. Sie reden immer von Wettbewerb. Der freie Wettbewerb macht nur 1 Prozent aus. Sagen Sie mir einmal, wo da insgesamt Wettbewerb stattfindet! Das ist bestimmt kein Wettbewerb. ({4}) Herr Repnik, zu Ihren Äußerungen zu den Aufgaben der Post sage ich Ihnen aus der Erfahrung in meinem eigenen Heimatort: Überall, wo Postdienststellen geschlossen worden sind, werden Protestbriefe geschrieben. Diese Erfahrungen machen auch Sie. Das ist alles akzeptiert. Aber ich erlebe beispielsweise, dass ein privater Paketdienst, der in einem entfernten Ort ein Paket ausliefern soll, zur nächsten Postdienststelle geht und es dort aufgibt, sodass die Post kostenlos dort hinfahren muss; das finde ich nicht richtig. ({5}) - Natürlich muss man eine Gebühr dafür zahlen. Aber der private Transporteur spart die Benzinkosten und die Fahrerkosten, sodass es wahrscheinlich billiger ist, wenn er die Post dort hinschickt. Ich wollte nur darauf hinweisen, wie sich das System der privaten Anbieter auf die Flächenversorgung auswirken kann. Ich bin der Meinung, dass es so, wie es läuft, nicht gut läuft. Ich denke, Herr Koppelin, dass auch Überlegungen eine Rolle gespielt haben, die Kleinaktionäre der Post zu verunsichern. Die Aktivitäten, die Sie in der Öffentlichkeit betrieben haben, gehen in diese Richtung. Sie wollten die Kleinaktionäre der Post verunsichern und das als Wahlkampfinstrument gegen die Bundesregierung richten. ({6}) - Das ist eine Tatsache, ob Ihnen das gefällt oder nicht. ({7}) Ich kann das nur so darstellen, wie ich das wahrnehme; ich habe mit dieser Wahrnehmung sicherlich nicht danebengelegen. Die Kollegin Ehlert hat gesagt, wir hätten der Post Steuergeschenke gemacht. Aber diese „Geschenke“ sind gesetzlich verbrieft. Das mag vielleicht in anderen Zeiten und anderen Staaten so gewesen sein; in dieser Bundesrepublik Deutschland gelten nach wie vor Recht und Gesetz. ({8}) Danach ist von allen gehandelt worden. Wir werden uns im Rechnungsprüfungsausschuss hoffentlich abschließend mit der Sache befassen. Herr Koppelin hat schon den Staatsanwalt gefordert. Der muss dann bis 1995 zurückgehen und auch die Handlungen anderer Minister untersuchen. ({9}) Ich finde, die politische Auseinandersetzung ist in diesem Punkt verkommen. Wir sollten zu einem normalen Umgang unter den Abgeordneten zurückkehren. Ich finde, es ist fatal, wenn etwa aus dem Immunitätsausschuss Verfahren an die Öffentlichkeit kommen, interessanterweise nur Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten und nie Christdemokraten betreffend. Wer gibt diese preis? Und wer sagt, was mit den V-Leuten in der NPD war? Das wird alles aus einer vertraulichen Sitzung des Kontrollgremiums ausgeplaudert. ({10}) - Das waren nicht Sie, das war Herr Marschewski, der in der Öffentlichkeit Namen genannt hat, die in diesem Gremium gefallen sind. ({11}) Dieser Umgang miteinander ist unmöglich! Wenn Sie aus reiner Wahlkampfarithmetik heraus versuchen, solche Gerüchte zu verbreiten, tun Sie mir furchtbar Leid. ({12}) Stellen Sie endlich ein Programm auf die Beine, über das man dann streiten kann. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, diese Praxis zu beenden. ({13})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat das Wort der Kollege Elmar Müller für die CDU/CSU-Fraktion.

Elmar Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wagner, dazu, dass Sie hier geradezu Tränen über den mangelnden Wettbewerb bei der Post verlieren, kann ich Ihnen nur sagen: Ihre Fraktion tut alles, damit der Wettbewerb kaputtgemacht wird. ({0}) Seit der Verlängerung des Monopols bekommen wir wöchentlich Briefe von Unternehmen, die kaputtgehen oder Arbeitsplätze abbauen. Es ist schon peinlich, dass Sie jetzt hier Tränen vergießen. ({1}) - Sie haben dieses Monopol verlängert. Ich werde dazu ein paar Sätze sagen. Meine Damen und Herren! Seit der Auflösung des Postministeriums ist das Wirtschaftsministerium politisch für die Postbereiche zuständig, ({2}) für die Vermögensteile ist das Finanzministerium zuständig. Ich möchte in diesem Zusammenhang an einen Punkt erinnern, den vielleicht schon mancher vergessen hat. Anfang des Jahres 2000 hatten wir hier die Diskussion um die Portoerhöhung bei Briefen und anderen Leistungen. ({3}) Das war ein interessanter Vorgang: Der Bundeswirtschaftsminister ging für alle überraschend an die Öffentlichkeit und sagte, die Post wolle das Porto von 1,10 DM um weitere Pfennige erhöhen, weil die Portoerhöhung von 1997 nicht ausreiche. In diesem Zusammenhang hat er, sozusagen als Robin Hood, gesagt, er wolle das auf alle Fälle verhindern. Das hat er dann schließlich auch mit einer Anordnung an die Regulierungsbehörde getan. Die Regulierungsbehörde hatte aber exakt zu diesem Zeitpunkt vorgesehen, anzuordnen, das Porto um 15 Prozent abzusenken, weil die Portotarife um etwa 30 Prozent über dem europäischen Niveau lagen. ({4}) Deswegen war also eine Absenkung um 15 Prozent vorgesehen. Der Wirtschaftsminister hat leider bei diesem Spiel eine traurige Rolle gespielt und der Verbraucher muss die Zeche zahlen. ({5}) Es bestand überhaupt keine Chance für irgendeinen Wettbewerber, angesichts dieser Wettbewerbsverzerrung hier noch irgendwie zu bestehen. ({6}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach der Presseerklärung vom 19. März fand also diese Nichterhöhung des Portos und die ebenso unrechtmäßige Festlegung der Preise durch den Bundeswirtschaftsminister statt. Zu diesem Zeitpunkt, im März 2000, Frau Staatssekretärin, waren nicht 220, sondern bereits 677 Lizenznehmer auf dem Markt, wovon rund 400 bereits in diesem Bereich tätig waren. Die meisten haben inzwischen übrigens ihre Segel gestrichen, weil unter den herrschenden Wettbewerbsverhältnissen diese Unternehmen überhaupt keine Chance gehabt haben. ({7}) Damit es da überhaupt keinen Zweifel gibt - ich höre ja schon das Argument, dass auch die alte Regierung das Monopol verlängern wollte -, sage ich hier deutlich: Wir wollten das Monopol Ende 2002 auslaufen lassen und auch diese Regierung wollte es auslaufen lassen. Noch in einem Bericht an den Wirtschaftsausschuss, Herr Kollege Barthel, im Mai 2000 hat das Wirtschaftsministerium mitgeteilt, dass die Exklusivlizenz 2003 auslaufen werde und sich die Regierung auch an diese Gesetzeslage halten wolle. Nun gibt es, meine Damen und Herren, die Frage, auf die auch Sie, Frau Staatssekretärin, eingegangen sind, nämlich wer zum Universaldienst verpflichtet werden kann. Am 13. Dezember des vergangenen Jahres, Herr Kollege Barthel, waren wir schon überrascht - zugleich kam ja der Bericht des Rechnungshofes im Haushaltsausschuss, wie ich glaube, an -, dass am Tage der letzten Beratung in den Ausschüssen morgens noch ein Änderungsvorschlag zum Gesetz vorgelegt wurde, durch den in den Bereich, wo es um die Pflicht zur Universaldienstleistung geht, noch der Satz eingefügt wurde, dass künftig nur die Post AG zum Universaldienst verpflichtet sei. Vor dieser Zeit waren nicht nur die Post AG, sondern alle am Markt beteiligten Unternehmen verpflichtet ({8}) - Herr Barthel, ich kann es Ihnen vorlesen -, mit einer Umlage dazu beizutragen, dass mögliche Versorgungslücken beim Universaldienst geschlossen werden können. Herr Barthel, erklären Sie mir doch, warum Sie noch am Tag der Entscheidung in den Ausschüssen diesen Änderungsantrag vorgelegt haben! Sie hätten das ja schon im Entwurf vorschlagen können, der im Oktober vorgelegt wurde. Also ist in der Zwischenzeit irgendetwas geschehen. Das hat offensichtlich mit dem Bericht des Bundeswirtschaftsministeriums zu tun. Das macht das ganze Dilemma, die Manipulation und die Art und Weise, wie Sie mit dem Gesetzgeber, mit dem Bundestag, umgehen, wirklich deutlich. Meine Damen und Herren, diese Art der Beratung und der Manipulation, zu der Sie hier beigetragen haben, ist erbärmlich. Sie sollten zu diesen Fehlern stehen. Es kann zwar keine Korrektur stattfinden. Aber daraus erklärt sich die ungeheure Wettbewerbsverzerrung, die wir auf diesem Markt haben, und dass die Wettbewerber überhaupt keine Chancen haben, auf diesem Markt Fuß zu fassen. Einziges Ziel war es - ich will es wiederholen; der Wirtschaftsminister hat das in einem Interview zur vermeintlichen Portoerhöhung erklärt -, die Post AG für den Börsengang mit ausreichenden Gewinnen auszustatten. ({9}) Das gleiche Ziel hatte die Mehrwertsteuerbefreiung. Stehen Sie zu Ihren Fehlern und korrigieren Sie zunächst durch Rücktritte, ({10}) dann aber auch durch Ausgleich für die Länder und Kommunen - diesen Fehltritt. ({11})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun spricht für die SPD-Fraktion der Kollege Klaus Barthel. ({0})

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines gestehen wir der größten Oppositionspartei gerne zu: ({0}) dass sie von der Verflechtung von privaten, persönlichen, wirtschaftlichen und politischen Interessen mehr versteht als wir. ({1}) Aber man sollte an Ihrer Stelle nicht von sich auf andere schließen. Wenn man schon öffentlich von Rechnungshofberichten Gebrauch macht, die normalen Abgeordneten nur unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen zugänglich sind, dann sollte man diese Berichte genau lesen und auf ihre Stichhaltigkeit überprüfen. Vielleicht wäre es auch klüger gewesen, wenn Sie erst Ihre Kleinen Anfragen eingebracht, deren Beantwortung abgewartet, sie dann gründlich gelesen und zur Kenntnis genommen hätten und sich dann erst öffentlich geäußert hätten, ({2}) anstatt heute hier herumzuspekulieren. Denn was in den letzten Tagen an Missverständnissen, Verdrehungen und Unwahrheiten in den Medien zu lesen war, entbehrt leider der Sachkenntnis und auch der Kenntnis der rechtlichen Situation im Postwesen in der Bundesrepublik und in ganz Europa. Deswegen einige Klarstellungen. ({3}) Zunächst hebt das Umsatzsteuerrecht, wie der Rechnungshof zutreffend feststellt, im Prinzip auf die Steuerfreiheit des Postwesens ab, zumindest insoweit es sich in öffentlichem Auftrag bewegt. ({4}) - Ich zitiere nicht den Bericht, ({5}) sondern diesen Band, der vom ehemaligen Bundespostminister herausgegeben worden ist und in dem das hinten nachzulesen ist. ({6}) Art. 12 des Postneuordnungsgesetzes ist damals eben nicht am Parlament vorbei, wie die PDS behauptet, beschlossen worden. Vielmehr ist dieses Gesetz 1994 vom Deutschen Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates beschlossen worden. Das Postwesen ist also von der Umsatzsteuer im Prinzip befreit. Jetzt ist es aber für nicht Sachkundige schwer, verschiedene Bereiche, die juristisch und systematisch zu unterscheiden sind, die sich aber wirtschaftlich an einigen Elmar Müller ({7}) Stellen überschneiden, voneinander zu trennen. Deswegen muss man hier noch einmal die Rechtslage klären. Erst einmal lohnt immer ein Blick ins Grundgesetz. ({8}) In Art. 87 f Abs. 1 heißt es: Nach Maßgabe eines Bundesgesetzes, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, gewährleistet der Bund im Bereich des Postwesens und der Telekommunikation flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen. Man kann dann also lesen: Nach der amtlichen Begründung zählt zu den hoheitlichen Aufgaben insbesondere, die aus der Sicht der Nachfrage angemessenen und ausreichenden Dienstleistungen flächendeckend zu sichern. ({9}) So der Bötsch-Kommentar zur Postreform II. Ich wiederhole die Begriffe: „hoheitliche Aufgabe“ und „angemessene und ausreichende Dienstleistungen aus der Sicht der Nachfrage“. Genau das versteht man heute landläufig unter Universaldienst. Dies sollte durch ein Bundesgesetz definiert werden. Durch das Postgesetz und die Post-Universaldienstleistungsverordnung ist das auch geschehen. Wie Ihnen allen bekannt ist, findet der Universaldienstbereich bei uns größte Aufmerksamkeit; denn er ist für uns im Interesse der Kunden wichtig. Der Universaldienst umfasst zum Beispiel - das will ich einmal aufzählen - fast den ganzen Postsektor, Briefsendungen bis 2 000 Gramm, Pakete bis 20 Kilogramm, Zustellungen von Zeitungen und Zeitschriften, Einschreiben, Eil-, Nachnahme- und Wertsendungen, Postfilialen, Briefkästen sowie werktägliche Zustellung. All das ist dort festgelegt. Das Postgesetz in seiner geltenden Fassung geht eindeutig davon aus, dass die Deutsche Post AG das Unternehmen ist, das dazu verpflichtet ist - damit unterscheidet es sich von allen anderen Wettbewerbern -, diese Leistungen zu erbringen. ({10}) - Sie von der PDS sagen gerade, dass einem da die Tränen kommen. Versuchen Sie doch einmal, einen Wettbewerber zu finden, der sich, ob freiwillig oder dazu verpflichtet, bereit erklärt, Briefe, Pakete oder Ähnliches bis ins kleinste Dorf in Mecklenburg-Vorpommern oder in Brandenburg zuzustellen oder dort Filialen offen zu halten. Wenn Sie mir einen nennen können, dann können wir über die Befreiung von der Umsatzsteuer für ihn reden. Aber ich sage Ihnen: Dazu ist keiner bereit. ({11}) Nebenbei bemerkt ist - das ist bekannt - auch die Post AG nicht freiwillig dazu bereit. Wir haben sie per Gesetz dazu verpflichten müssen, all diese Filialen und all diese Leistungen aufrechtzuerhalten. Deswegen ist es EU-konform und richtig, dass wir die Deutsche Post AG von der Umsatzsteuer befreien. An dieser Stelle - das ist die entscheidende Stelle - irrt offenbar der Rechnungshof; denn der Rechnungshof unterscheidet wohl nicht zwischen dem Monopolbereich und dem Universaldienstbereich. ({12}) Der öffentliche Auftrag gilt für den Universaldienstbereich. Der Monopolbereich ist wesentlich kleiner. Er umfasst nur Briefe bis 200 Gramm und Massensendungen bis 50 Gramm. Der öffentliche Auftrag bezieht sich nicht nur auf den Monopolbereich; das wäre zu wenig. Dann könnte man die ganzen Filialen nicht halten. Der Monopolbereich ist das EU-konforme Instrument zur Sicherstellung und Finanzierung des Universaldienstes. Das ist der entscheidende Unterschied, den wohl der Rechnungshof meiner Auffassung nach nicht begriffen hat. Inzwischen ist klar, dass diese Regelung EU-konform ist.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist weit überschritten.

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich mache eine letzte Bemerkung hinsichtlich des EU-Rechts. In der „Financial Times Deutschland“ war zu lesen, dass der EUBinnenkommissar Bolkestein bereits Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet hat, doch musste man in Brüssel rasch eingestehen, dass die Rechtslage keine Schritte zulässt. In fast allen Ländern der Europäischen Union, abgesehen von zwei Ausnahmen, haben wir dieselbe Situation. Wir sind auf dem richtigen Weg. Wer die Umsatzsteuerbefreiung aufheben will, der muss den Kunden ganz klar sagen, dass sie das in Form höherer Tarife zahlen müssen, und darf sich nicht wie die Vertreter einiger Parteien hier hinstellen und in diesem Hause eine Senkung des Portos fordern. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die CDU/CSUFraktion hat jetzt der Kollege Jochen-Konrad Fromme das Wort.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zwei Vorbemerkungen machen. Erstens. Dass Sie sich in langweiligen Gesetzestextverlesungen ergehen, ({0}) dass Sie falsche Anschuldigungen machen und dass diejenigen, die am Verfahren eigentlich beteiligt sind, hier Klaus Barthel ({1}) gar nicht auftauchen, zeigt, welch schlechtes Gewissen Sie bei dieser Angelegenheit haben. ({2}) Zweitens. Es geht nicht darum, einem anonymen Dritten etwas zu geben, wie das hier immer den Anschein hat, sondern darum, dass sich die Bundesregierung selbst etwas geben will, indem sie den Privatisierungserlös für sich selbst erhöht, um Haushaltsmittel zu sparen oder Mehreinnahmen im Haushalt verzeichnen zu können, und um nichts anderes. Dies ist ein Fall für die Börsenaufsicht und für die EU. Wir werden sehen, wie es weitergeht. ({3}) „Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles“, heißt es so schön im „Faust“. Ich kann verstehen, dass man sich angesichts von 4,3 Millionen Arbeitslosen und von drohenden blauen Briefen aus der EU jede Mark und jeden Pfennig unter den Nagel reißen will. Hier artet das aber zu einem „Faust“-Recht aus und nicht zu einem literarischen Erguss. Darum kann es doch gehen. Sie haben das Recht so eigenartig ausgelegt, damit es Ihnen passt. ({4}) Seit wenigen Tagen hat dieser Fall eine neue Dimension. Hoch gekommen ist er doch nur durch die Umsatzsteuerbefreiung. Jetzt stellen wir fest - wie das „Handelsblatt“ berichtet -, dass die Post auf der einen Seite die Steuerbefreiung in Anspruch nimmt, auf der anderen Seite aber gleichzeitig Mehrwertsteuer in Rechnung stellt. Das ergibt sich, mein lieber Kollege Metzger, bereits aus dem Börsenprospekt. Das ist nicht irgendeine Spekulation. Die Post hat das selbst gesagt. Dabei geht es um viel Geld, nämlich um Steuern in Höhe von circa 45 Millionen DM monatlich, das sind circa 500 Millionen DM im Jahr, die die Post möglicherweise zurückzahlen muss. Denn eines ist klar: Wenn ich unberechtigt Mehrwertsteuer kassiere, hafte ich insgesamt für diesen Bereich, ohne dass ich einen Vorsteuerabzug geltend machen kann. Da kommt noch einiges auf die Post zu. ({5}) Dies kann so nicht durchgehen. Man kann nicht in dem gleichen Sektor eine Umsatzsteuerbefreiung - sei sie berechtigt oder unberechtigt - hinnehmen und gleichzeitig Mehrwertsteuer kassieren. Das Ganze dient doch nur der Bilanzkosmetik. ({6}) - Wer zahlt denn die Zeche? - Die Kleinsparer! Jetzt werden die Kurse wieder fallen, wie es auch bei der Telekom passiert ist. ({7}) Warum betreiben Sie denn Bilanzkosmetik auf Kosten der Rentenversicherung, der Länder und der Gemeinden? Es geht um 450 Millionen DM Umsatzsteuer jährlich. Sie wollen das bis zum Jahre 2007 fortsetzen. Das sind dann insgesamt 4,5 Milliarden DM. ({8}) Sie haben niemanden gefragt. Dass Sie es hinter verschlossenen Türen gemacht haben, ist doch bezeichnend. Zu wessen Lasten geht denn das? - Dies geht zulasten der Rentenversicherung, denn ihr stehen 5,63 Prozent der Umsatzsteuer zu. In dieser Kasse fehlen 250 Millionen DM, die Sie dann den Leuten über die Ökosteuer wieder aus die Tasche ziehen. 2,2 Prozent der Umsatzsteuer bekommen die Gemeinden. Zusammen mit dem Finanzausgleich sind das 290 Millionen DM. 2 Milliarden DM müssen die Länder bezahlen. Lieber Kollege Metzger, Sie irren. Nordrhein-Westfalen muss ein Interesse an hohen Gewinnen haben, denn die Körperschaftsteuer bleibt im Land, die Mehrwertsteuer wird verteilt. Sie haben hier etwas hinter verschlossenen Türen gemacht - das spricht für Ihr schlechtes Gewissen -, was üblicherweise mit den Steuerreferenten der Länder besprochen und abgestimmt sowie in OFD-Karteien oder sonst wo veröffentlicht wird. Sie haben das nicht gemacht. Warum? - Sie wollten das Geld in der eigenen Tasche haben. ({9}) Das ist ein politischer Vorgang. Hier geht es darum, dass sich die Bundesregierung Privatisierungserlöse direkt oder indirekt in die eigene Tasche stecken will, und zwar auf Kosten anderer. ({10}) Das ist die übliche eichelsche Methode. Die hatten wir schon bei den UMTS-Lizenzen oder sonst wo. Sie wollen immer auf Kosten anderer Geschäfte machen. Die Art und Weise, wie Sie vorgehen, spricht Bände. Warum machen Sie dies hinter verschlossenen Türen? ({11}) Die Post hat in der vorigen Woche erklärt, sie verzichte auf die Einhaltung des Steuergeheimnisses. Das heißt, dass am letzten Mittwoch im Finanzausschuss alles, das heißt amtliche Zahlen, hätte auf dem Tisch liegen können. Dann hätten wir nicht über Pressemitteilungen spekulieren müssen, sondern hätten gewusst, worüber wir reden. ({12}) - Ich habe überhaupt nichts weitergegeben. ({13}) Die Presse hat die Zahlen berichtet, als die Post gesagt hat, sie habe nichts dagegen, wenn sie genannt würden. Aber ihr nennt die Zahlen nicht. Warum nicht? Das Ganze soll hinter verschlossenen Türen stattfinden, damit es ja keiner merkt. So geht es nicht. Dass diese Debatte hier stattfindet, ist ein wichtiges Signal auch für die Öffentlichkeit, dass unsere Korrekturmechanismen doch noch funktionieren. ({14}) Meine Damen und Herren, so kann es nicht weitergehen. Wer sich selbst in die Tasche wirtschaftet, ist ein Fall für die Börsenaufsicht. ({15}) Ihre Beschuldigungen hier werden mit Sicherheit Folgen haben. ({16}) Wir haben Sie bei einem Betrug zulasten der Bürger, zulasten der Rentner und zulasten der Länder und Gemeinden erwischt. ({17})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Als letzter Redner hat für die SPD-Fraktion Dr. Frank Schmidt das Wort.

Dr. Frank Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003473, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den Ausführungen von Herrn Fromme weiß man so langsam nicht mehr, wer die letzten 16 Jahre vor uns regiert hat, wer per Gesetz dafür gesorgt hat, dass jetzt diese Umsatzsteuerbefreiung auf uns zugekommen ist. ({0}) Es ist schon interessant, was hier zum Besten gegeben wird. Sie wollen von Ihrer eigenen Regierungsverantwortung, die Sie früher hatten, wie so oft nichts mehr wissen. Aber vielleicht kennen Sie ja einen Kollegen noch, der auch heute noch bei Ihnen ist, nämlich Herrn Dr. Michael Meister. ({1}) Soweit ich weiß, ist er immer noch im Bundestag. Er hat bei der Gesetzesverabschiedung am 9. Oktober 1997 zu diesem Thema sehr deutlich ausgeführt: Wir bekennen uns ausdrücklich dazu, dass wir eine flächendeckende Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland erhalten wollen. ({2}) Wir haben in diesem Gesetz die notwendigen Mechanismen vorgesehen, um diese flächendeckende Versorgung sicherzustellen. ({3}) Dies deshalb, damit die Poststellen hier in Deutschland erhalten bleiben und eine entsprechende Umsatzsteuerbefreiung erfolgen kann. Das sind also Ihre Vertreter. Es war Ihre Gesetzesvorlage, die am 9. Oktober hier beschlossen worden ist, und nicht die Vorlage vonseiten der SPD oder der Koalition. ({4}) Wir können feststellen: Sie von der Union haben noch 1994 und 1995 sowie - das habe ich eben zitiert - 1997 und 1998 große Versprechungen abgegeben, was mit der Post in der Region und in der Fläche geschehen soll. ({5}) Dazu gehörte auch die Umsatzsteuerbefreiung, die es heute gibt. Aus nahe liegenden Gründen, die mit dem 22. September zu tun haben, wollen Sie davon nichts mehr wissen. Das steht ja übrigens auch in den Protokollen des Deutschen Bundestages von damals. Sie waren damals zu feige, öffentlich zu bekennen, dass Sie lieber ein Poststerben in der Region wollen. Herr Müller, Sie haben es damals im Deutschen Bundestag zitiert. Die 43 000 Postbediensteten, die in der Rheinaue demonstriert haben, waren angeblich nicht der Grund, warum entsprechende Regelungen gefasst wurden. Aber sie hatten Einfluss auf die Gesetzgebung. Damals hat sich die CDU dafür ausgesprochen, dass die Post in der Region bleibt und dass entsprechende steuerliche Regelungen gefasst werden. Und heute? Heute wollen Sie nichts mehr davon wissen, dass Sie 1997 - vielleicht auch aus Wahlkampfgründen - entsprechende Dinge beschlossen haben. Das passt nicht zusammen. Das muss hier öffentlich angeprangert werden. Wenn Sie damals dafür waren, können Sie sich heute nicht dagegen aussprechen. ({6}) Ich komme zu einem Punkt aus der Praxis, über den eben schon gesprochen wurde. Sie haben die Hoffnung, dass der Markt es schon irgendwie richten wird. Gerade wurde von einem Prozent gesprochen. ({7}) Wie sieht es denn in der Realität aus? Herr Fromme, gehen Sie in die Region und in die ländlichen Wahlkreise. ({8}) Sie werden feststellen, dass zum Beispiel in Limburg - bei mir zu Hause - zwei neue Postfilialen eingerichtet werden müssen, weil der Markt es nicht gerichtet hat. ({9}) Die Post ist dazu verpflichtet, weil wir entschieden haben, dass zwei neue Filialen eingerichtet werden sollen. Es ist Wille des Gesetzgebers und auch unser Wille, dass in der Region, in der Fläche die Post erhalten bleibt. Wer dies will, muss auch dazu und zu den steuerlichen Regelungen stehen. Wer es nicht will, muss es abschaffen. ({10}) Er muss dann aber auch hier sagen, dass er die Post in der Region und in der Fläche nicht haben will. ({11}) Wenn Sie das nicht wollen, dann sagen Sie das. ({12}) Ich komme zu dem Verdacht, den Sie eben geäußert haben: Umsatzsteuerbetrug. Darüber wurde auch heute Morgen in der Presse berichtet. Sie haben es eben aufgegriffen. Es grenzt an Heuchelei, was Sie hier betreiben. Warum haben Sie - das ist ja noch nicht allzu lange her - unserem Gesetzeswerk - es ging um das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz; Sie kennen es - Ende vorigen Jahres nicht zugestimmt? Es sorgt dafür, dass dem Umsatzsteuerbetrug in dieser Republik besser nachgegangen werden kann. Sie haben nicht zugestimmt. Sie können nicht gegen ein Gesetz stimmen, das dafür sorgt, dass eine Bekämpfung der Steuerverkürzung vorgenommen werden kann, ({13}) und sich gleichzeitig hier hinstellen und sagen, dass entsprechende Maßnahmen zur Steuerverkürzung von einem Unternehmen durchgeführt werden. Wenn etwas unrechtmäßig geschehen ist, wird dem nachgegangen, und zwar durch die Gesetzesvorlage, die wir beschlossen haben und die ordnungsgemäß hier im Deutschen Bundestag zum Abschluss gebracht worden ist. ({14}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können feststellen, dass die Union, die sich an eine Anfrage der PDS gehängt hat, unglaubwürdig bezüglich ihrer Position in der Umsatzbesteuerung ist. Ich habe eben dargestellt, dass Sie noch vor wenigen Jahren eine ganz andere Position hatten. Sie sind unglaubwürdig bezüglich Ihres Versprechens, dass Sie früher einmal gegeben haben. Sie sagten nämlich, dass Sie für die Post in der Region sind. Schließlich sind Sie unglaubwürdig bezüglich der Verfolgung von Umsatzsteuerbetrug. Sie betreiben in diesem Parlament nichts anderes als Scheingefechte. ({15}) Das erleben wir immer wieder. Sie wollen davon ablenken, dass Sie - das weiß inzwischen ohnehin jeder ein staatlich anerkannter Hühnerhaufen in Steuer- und Finanzfragen sind. Etwas anderes wird Ihnen bis zum 22. September niemand mehr abnehmen, weil Sie einfach keine Ahnung von diesen Dingen haben. Deswegen sind Sie nicht regierungsfähig. Das weiß inzwischen auch jeder in diesem Land. ({16})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Die Aktuelle Stunde ist beendet. - Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 20. Februar 2002, 13 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende und eine fröhliche Karnevalszeit. Ich schließe die Sitzung.