Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ob die neuen faszinierenden Entwicklungen in Gentechnik und Biomedizin
zum Fluch oder zum Segen für die Menschheit werden,
hängt entscheidend davon ab, ob und wie wir den politischen Willen aufbringen, die Entwicklungen so zu gestalten, dass sie zum Segen werden.
Wir stehen heute vor einer Grundsatzentscheidung.
Wir stehen an einer Weggabelung ohne Rückkehrmöglichkeit. Maßgebliche Forscher ließen auch in den letzten
Tagen keinen Zweifel daran, dass sie keineswegs nur einen eng begrenzten Ausnahmetatbestand für den Import
embryonaler Stammzellen wollen. Sie wollen mehr. Unter Berufung auf die Forschungsfreiheit soll allgemein an
menschlichen Embryonen geforscht werden.
Ich frage mich: Wie weit wird menschliches Leben verfügbar, wenn Embryonen unter dem Vorwand der
Bekämpfung von Krankheit getötet werden dürfen? Es
geht um die sehr grundsätzliche Entscheidung, ob
menschliche Embryonen als Forschungsmaterial verwandt werden dürfen. Wir müssen vorher die Frage beantworten: Wer ist Mensch? Welchen Schutz genießt er?
Wenn der Mensch mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle beginnt, dann kommt ihm von diesem Zeitpunkt
an eine unverfügbare Würde zu - unverfügbar für den
Staat, die Gesellschaft und die Mitmenschen.
Diesen Auffassungen liegen Annahmen zugrunde, die
etwas mit Grundhaltungen und Überzeugungen zu tun haben, Überzeugungen, die sich auch in der Rangordnung
unserer Verfassung niederschlagen und die aus den
großen Traditionen der Aufklärung und nicht zuletzt aus
dem christlichen Menschenbild gespeist werden. Eine
weltanschaulich neutrale Betrachtungsweise gibt es nicht.
Die Wertepräferenz ist meines Erachtens eindeutig. Es
gibt eine ethische Verpflichtung zum Heilen, insbesondere zur Vermeidung von schier unerträglichem Leid, und
zur Bekämpfung von bislang als unheilbar geltenden
Krankheiten. Es gibt auch das hohe Gut der Forschungsfreiheit. Es gibt aber nicht zuletzt den Respekt vor der
Würde eines jeden Menschen. Hier muss eine Abwägung erfolgen. Es ist nicht alles gleichwertig. Die Hierarchie der Werte muss stimmen. Die Würde des Menschen
nimmt in der Rangordnung der abzuwägenden Güter die
erste Stelle ein.
Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Das ist nicht die
Sondermoral einer versprengten Truppe mit ideologischen Scheuklappen. Nein, darauf haben wir uns bei der
Verabschiedung des Grundgesetzes geeinigt.
({0})
Präsident Wolfgang Thierse
Die Menschenwürde bedeutet, dass der Mensch nie allein
Objekt werden und nie allein als Mittel zum Zweck dienen darf, sondern immer Subjekt bleiben muss.
Ich lehne mit meinen Mitstreitern vor allem aus zwei
Gründen den Import embryonaler Stammzellen ab: Erstens. Es wäre die nachträgliche Billigung der vorangehenden Tötung der Embryonen außerhalb Deutschlands.
Zweitens. Das Problem des möglichen Versiegens vorhandener Stammzelllinien bleibt unausgesprochen. Ich
bin sicher: Der Import wird dann bald nicht mehr genügen. Die Ansprüche werden größer.
Der einzige Grund - das ist für mich der Kern -, warum
die Forschung unabdingbar erscheint, ist eine bestimmte
forschungspolitische Binnenperspektive, die von anderen
Forschern mit überzeugenden Argumenten bestritten
wird. Ich möchte nicht die Hand dafür reichen, dass wegen dieser Forschungsperspektive grundlegende Prinzipien unseres Personen- und Rechtsverständnisses, so wie
sie in der Verfassung niedergelegt sind, aufgegeben oder
umgedeutet werden.
({1})
Die Forschung befindet sich im Fluss. Ich erinnere nur
an die Möglichkeit, Embyronen Stammzellen zu entnehmen, ohne den Embryo zu töten, wie es erst kürzlich veröffentlicht wurde. Ich erinnere an die Forschungsalternative der adulten Stammzellen, von der vor einem
halben Jahr kaum die Rede war. Ich möchte nicht - das
will ich noch einmal deutlich sagen -, dass wir unser
Menschenverständnis ohne Not umdeuten und bestimmten Forschungszwecken anpassen. Wir können nur Schritt
für Schritt entscheiden. Wir müssen immer wieder neu
abwägen. Allerdings dürfen wir keine Schritte in die
falsche Richtung tun.
Ich anerkenne ausdrücklich die großen Leistungen der
Forscher. Wenn aber einer der aktuellen Antragsteller
ganz offen davon spricht, wie ich es gestern Morgen im
Deutschlandfunk gehört habe, es gehe jetzt zunächst darum, die Tür einen Spalt zu öffnen, um letztlich diese
Technologie im Lande zu etablieren, dann weiß jeder von
uns, um was es in Wirklichkeit geht. Deswegen bitte ich
Sie aus tiefer Überzeugung um Unterstützung für den Antrag, den ich mit initiiert habe und der von zahlreichen
Kolleginnen und Kollegen ausdrücklich unterstützt wird.
Wir sind gegen das Töten von Embryonen und deshalb gegen den Import von Stammzellen. Dies ist die Stunde des
Parlaments und wir sollten diese Stunde nutzen.
Vielen Dank.
({2})
Ich erteile Kollegin
Margot von Renesse das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Um es gleich vorweg zu sagen: Es
braucht sich niemand um das Wohl von Kranken und um
die Erkenntnisse der Wissenschaft Sorgen zu machen,
wenn es in diesem Hause zu einem hundertprozentigen
Nein zur Forschung an embryonalen Stammzellen käme;
denn - so ist unsere Rechtslage - es kommt jeder in
Deutschland zu jeder Therapie, die ihm nützt, sei sie in
Wisconsin oder auf den Philippinen entwickelt. Unser
SGB V gibt ihm das Recht darauf. Kein Sozialrichter in
Deutschland würde einem Aidskranken, der eine in Amerika oder in England oder neuerdings in Frankreich verfügbare Therapie einklagt, sagen: Um der Menschheit
willen stirbst du kläglich. - Das kommt nicht infrage, und
zwar um unserer Werteordnung willen.
Genauso verhindert nicht einmal das Embryonenschutzgesetz, dass ein mit einem DAAD-Stipendium ausgestatteter deutscher Wissenschaftler, der irgendwohin
geht und sich an dem beteiligt, was in Deutschland verboten ist, bei seiner Rückkehr nach Deutschland kein Problem mit dem Staatsanwalt hätte. So werden wir - ob wir
es wollen oder nicht - auch mit einem Nein in diesem
Hause nicht verhindern, weil es aufgrund unserer Werteordnung nicht zu verhindern ist, dass wir von den Erkenntnissen, Erzeugnissen und Ergebnissen profitieren.
Nicht einmal katholische oder evangelische Krankenhäuser werden sich weigern können, derartige Therapien anzuwenden, wenn es sie denn tatsächlich gäbe, was bisher
nicht der Fall ist, damit das klar ist. Das wird auch von uns
nicht verkannt. Es geht zunächst einmal um Grundlagenforschung. Dazu muss man aber sagen: Es gibt nicht
automatisch Therapien aus Grundlagenforschung. Aber
ohne sie gibt es auch keine. Insofern ist Grundlagenforschung das, was ihr Name sagt, nämlich die Grundlage für
alles. Das galt für Robert Koch genauso wie für Anatomen
des ausgehenden Mittelalters.
In einer schwierigen Situation, in der wir zwischen
Feuern leben, in der Werte einander gegenüberstehen, ist
es gefährlich, gerade Wege zu suchen. In einem Labyrinth
wird man vor die Mauer laufen, wenn man gerade Wege
sucht, oder man wird sie einreißen müssen. Oft ist der
gewundene Weg gerade der, der zum Ausweg führt. Das
haben wir schon an vielen Stellen erlebt. Meine Lebenserfahrung sagt mir, dass in einer grundsätzlichen Auseinandersetzung selten jemand das Wort ergreift, der nicht
auch etwas Richtiges zu sagen hat, selbst wenn es der andere noch nicht erkennt.
Deswegen bin ich sehr glücklich darüber, dass wir es
mit unserem Antrag hinbekommen haben, keinen Kompromiss zu machen, bei dem von der einen oder anderen
Seite Kröten geschluckt werden mussten; vielmehr hat
niemand etwas zu sagen gehabt, was er nicht ausgedrückt
haben könnte. Niemand hat etwas sagen müssen, was für
ihn eigentlich unerträglich war. Der Antrag ist nicht das
Ergebnis eines Kompromisses, sondern einer Verständigung. Nach meiner Auffassung bietet das die höchste Gewähr für eine Antwort, mit der man leben kann. Wir haben das auch schon bei der Diskussion um den § 218
Strafgesetzbuch erlebt.
Vor welchen Fragen stehen wir? Welche Probleme sind
uns zur Lösung aufgegeben? - Wir alle wollen, dass
menschliches Leben nicht verdinglicht bzw. zur Sache
gemacht wird, und wir wollen keine Vampir-Medizin
- wie ich es mitunter genannt habe - einführen, bei der
sich der eine, der es zu brauchen glaubt, der Lebenskraft
eines anderen bedient. Dies ist gefährlich; es führt zur
Verdinglichung und zur Verrohung. Das wollen wir alle
nicht. Wir wollen keine verbrauchende Embryonenforschung, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern,
wenn irgend möglich, auch in der Welt. - Die europäische
Perspektive ist in unserem Antrag deutlich zum Ausdruck
gekommen. - Das können wir aber angesichts der Situation, in der wir uns befinden, nur dann, wenn wir uns an
dieser Arbeit bzw. an diesem Erarbeiten beteiligen, das
wir ohnehin nutzen werden.
Nach unserem Antrag wird kein Embryo geschädigt, nicht einmal in Zukunft. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern geben wir durch die Stichtagsregelung keinen Anreiz, Embryonen zu vernichten,
um Stammzelllinien zu gewinnen, selbst wenn Wissenschaftler zum Ausdruck bringen, dass sie es gerne anders
hätten. Hierüber entscheidet der Gesetzgeber und kein
Wissenschaftler.
({0})
Das ist eine Frage an uns und die lassen wir uns nicht aus
der Hand nehmen.
Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass sich Wissenschaftler in großer Zahl nicht an plausible, in der Gesellschaft für richtig gehaltene Gesetze halten. Es ist aber
auch nicht auszuschließen - das wird unterstellt -, dass sie
in ihren Kellerlabors Dinge machen, die der Gesetzgeber
nicht prüfen kann, ebenso wenig wie der Paragraph, der
den Mord verbietet, diesen nicht zu 100 Prozent verhindert. Aber halten kann ein Gesetz in der Regel nur, wenn
es freiwillig befolgt wird. Denn wir morden nicht deshalb
nicht, weil wir Angst vor dem Staatsanwalt haben, sondern weil wir es nicht für richtig halten, es zu tun. So muss
es auch bei diesem Gesetz sein. Die Wissenschaftler in ihrer großen Zahl haben erklärt, dass sie mit einer solchen
Regelung leben können, auch wenn sie sich mehr gewünscht hätten. Wer wirft ihnen das vor?
Wir haben in unserem Antrag diejenigen eingebunden,
die mehr haben wollten, aber die entscheidende Klippe
erkannt haben, dass nämlich Deutschland nur ein Standort für Wissenschaft und Wirtschaft sein kann, soweit es
kulturell integrierbar ist. Dass diejenigen mitgemacht haben, die gern Nein gesagt hätten, aber erkannt haben, dass
dies verfassungsrechtlich nicht möglich ist, ist für mich
eine große Freude.
Ich meine, dass ein „Nein-Gesetz“ an der Klippe der
Verfassung scheitern würde. Der „TÜV“ in Karlsruhe
könnte anderer Meinung sein. Wir reden nämlich nicht
über das Recht des Bundestages, etwas zuzulassen. Wir
leben mit einer Verfassung der Freiheit und auf Freiheit
begründet sich Würde. Also müssen wir darüber reden, ob
wir verbieten wollen und können. Wenn wir dies aber tun,
befürchte ich, dass wir angesichts der Tatsache, dass wir
alle auch davon profitieren werden - es wird das Gesetz
in unserer Gesellschaft geben, und zwar nicht, weil andere
dasselbe tun und wir es nachmachen müssen, sondern
weil es sich aufgrund unserer Rechtslage ergeben wird -,
im Zynismus enden werden.
Kein Embryo wird durch unsere Regelung geschädigt,
sondern wir nutzen das Vorhandene. Die entscheidende
Frage ist der Vorwurf, ob wir das damit billigen. Billigen
wir den Verbrauch von Embryonen dadurch, dass bei uns
die In-vitro-Fertilisation, die künstliche Befruchtung,
und neuerdings auch das ICSI-Verfahren, für dessen Entwicklung auch Embryonen ihr Leben haben lassen müssen, eine Krankenkassenleistung ist? Oder billigen wir die
KZ-Menschenversuche, weil auch bis heute - im Übrigen klägliche - Erkenntnisse aus der damaligen Zeit verwendet werden?
Natürlich werden wir nicht Organe von Menschen importieren, die exekutiert worden sind - ein Beispiel, das
Wolfgang Wodarg gerne verwendet -, aber die Stammzelllinie ist nicht nur kein Embryo, sondern sie ist auch
kein embryonales Gewebe. Man könnte die Urzelle, aus
der sie stammt, ohne weiteres dem Embryo zurückgeben.
Sie wird nicht benötigt. Sie ist ein Erzeugnis dieser Technik. Dass wir diese Erzeugnisse nutzen werden, habe ich
bereits dargelegt.
Meine Damen und Herren, ich kann zwar verstehen,
dass Angst vor den Verrohungspotenzialen der Moderne
bestehen. Die Natürlichkeit der Natur scheint eine Gewährleistung der Humanität des Menschen zu sein. In der
Tat: Humanität ist durch die immer weiteren Eingriffe in
die Natur, die wir aufgrund von Wissen und Können vornehmen, gefährdet. Aber auch die Natur ist kein Wegweiser; denn der Mensch definiert auch die Natur und er setzt
ihr Grenzen. Wer „Natur“ sagt, landet wieder beim Menschen. Die Antwort ist vielmehr, dass wir die Moderne
verarbeiten und dass wir ihr geistig gewachsen sind. Ich
bitte darum, dass wir in diesem Sinne entscheiden.
Vielen Dank.
({1})
Ich erteile der Kollegin Ulrike Flach das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Die Debatte um den Import von embryonalen Stammzellen und die Forschung an Zelllinien ist in
Deutschland sehr lange und mit sehr großer Vehemenz geführt worden. Ich kann Ihnen das so sagen, weil ich mehr
als eineinhalb Jahre lang an unzähligen Debatten sozusagen deutschlandweit beteiligt war. Ich bin froh darüber
- das sage ich auch für meine Kollegen und Kolleginnen,
die diesen Antrag mit unterzeichnet haben -, dass es nicht
nur innerhalb der Wissenschaft, bei den Kirchen, den Ärzten und Behindertenverbänden eine breite Diskussion gegeben hat, sondern dass sich auch viele Menschen - vielleicht seit sehr langer Zeit zum ersten Mal wieder - mit
der Frage der Ethik in der Forschung befasst haben.
Meine Damen und Herren, die Enquete-Kommission
und der Nationale Ethikrat haben Empfehlungen abgegeben, aber die Entscheidung - da stimme ich Ihnen, Frau
von Renesse, voll zu - liegt hier; sie gehört in die Hände
des Parlaments.
Wir schlagen mit unserem gemeinsamen Antrag vor,
den Import von embryonalen Stammzellen zuzulassen
- damit unterscheiden wir uns von Ihnen - und die Forschung an ihnen zu ermöglichen. Das Ziel dieser Grundlagenforschung ist ein besseres Verständnis davon, wie die
Programmierung von Zellen funktioniert. Wie kommt es,
dass aus einer unspezifischen Zelle eine Leber-, Blut-,
Knochenmarks- oder Herzmuskelzelle wird? Wie können
wir diesen Prozess gezielt steuern? Wir hoffen darauf, dass
diese Forschung dazu beiträgt, dass zumindest einigen von
Tausenden von Menschen in Deutschland, aber auch weltweit, die zurzeit auf ein Spenderorgan warten, geholfen
werden kann.
Wir wollen so vorgehen - das steht in unserem gemeinsamen Antrag -, wie es die Deutsche Forschungsgemeinschaft in ihrem Votum vom Mai des letzten Jahres
vorgeschlagen hat:
Erstens. Forschung an adulten Stammzellen und solchen aus Nabelschnurblut soll gefördert werden.
Da die Qualität dieser Stammzellen nach Einschätzung
der Fachleute jedoch nicht ausreicht - das muss man ganz
klar sagen - und wir zum Verständnis der Zellprogrammierung den Vergleich zwischen adulten und embryonalen Stammzellen benötigen, stimmen wir zweitens für
den Import von embryonalen Stammzellen. Hierbei
- das ist für die Diskussion ganz klar zu machen - handelt
es sich um Stammzellen, die bei der künstlichen Befruchtung nicht genutzt werden. Es sind Embryonen, die von
Spendern selbstlos und ohne finanziellen Gewinn zur Verfügung gestellt werden - ohne Bezahlung und ohne Bestellung. Zusätzlich muss eine Ethikkommission zugestimmt haben.
Drittens. Wenn sich nach einem angemessenen Zeitraum intensiver Forschung an importierten Embryonen
zeigt, dass diese nicht geeignet sind, Erfolg versprechende Ergebnisse für Therapien gegen Alzheimer, Parkinson und MS zu erbringen, dann - darauf haben wir uns
in unserem gemeinsamen Antrag geeinigt - wollen wir
eine Weiterentwicklung des Embryonenschutzgesetzes, um auch in Deutschland Stammzelllinien etablieren
zu können.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch auf
Ihre Anträge eingehen, Frau von Renesse und Frau
Böhmer. Sie haben von einem gewundenen Weg gesprochen. Ich sage: Ihr Antrag lässt Hintertüren offen. Sie sagen, dass der Import embryonaler Stammzellen für öffentliche wie für private Forschung verboten sein soll,
wollen aber Ausnahmen machen. Sie stellen in Ihrem Antrag völlig richtig fest, dass menschliche embryonale
Stammzellen keine Embryonen sind, weil sie sich nicht zu
einem vollständigen Menschen entwickeln können. Daraus ergibt sich, dass kein unmittelbarer Grundrechtsschutz besteht. Wenn Sie dies feststellen, Frau von
Renesse, dann ist die Forschung mit embryonalen Stammzellen nicht nur zulässig, dann ist sie moralisch geboten.
({0})
Sie geben auch keine Antwort auf die Frage, was wir
tun sollen, wenn sich zum Beispiel zeigt, dass die Qualität
der importierten Stammzellen nicht ausreicht; auch diese
Frage wird natürlich unter Wissenschaftlern diskutiert.
Sie mogeln sich mit juristischer Finesse um eine klare
Entscheidung herum. Die Menschen erwarten aber vom
Parlament eine eindeutige Werteentscheidung, meine
Damen und Herren: Entweder ist die Forschung an embryonalen Stammzellen moralisch nicht verantwortbar;
dann dürfen wir sie weder im Ausland noch im Inland zulassen und müssten Sanktionen gegen Staaten erwägen,
die dies tun. Oder sie ist moralisch vertretbar; dann muss
sie angesichts der darauf wartenden Patienten umfassend
und schnellstmöglich gefördert werden. Wir sagen in dieser Verantwortung: Ja, wir halten es für verantwortbar.
Wenn unser Antrag eine Mehrheit findet, werden wir
uns im europäischen Vergleich in einem ausgewogenen
Mittelfeld befinden. Wir kennen die weiter gehenden Regelungen in Großbritannien, in Frankreich plant die Regierung für den Herbst ein Gesetz zur Zulassung der Forschung an so genannten überzähligen Embryonen und in
Schweden sollen in naher Zukunft die gesetzlichen Voraussetzungen zur Erlaubnis des therapeutischen Klonens
geschaffen werden. Niemand in diesem Hause hat einen
winzigen Zweifel daran, dass England, Frankreich und
Schweden kulturell und moralisch hoch stehende Länder
sind, obwohl sie in der Forschung viel weiter gehen wollen als wir. Unser Antrag, meine Damen und Herren, geht
längst nicht so weit; er ist abgewogen und maßvoll.
Lassen Sie mich noch zwei Sätze zum Antrag von
Wodarg, Knoche, Seifert und anderer sagen. Diejenigen,
Herr Dr. Wodarg, die alles verbieten wollen, müssen auch
bereit sein, den Patienten zu sagen, dass wir nicht jede
Chance nutzen, Gewebe zu schaffen, obwohl in Deutschland Tausende Menschen auf eine solche Chance warten.
Wer den Import ablehnt, verzichtet bewusst auf durchaus
vorhandene Chancen, Therapien für schwere, lebensbedrohende Krankheiten zu entwickeln. Wer den Import ablehnt, muss konsequenterweise auch die irgendwann aus
der Stammzellenforschung gewonnenen Medikamente
unseren Patienten vorenthalten.
({1})
- Das sehe ich völlig anders als Sie, Frau von Renesse. Ich
halte diese Position auch aus ethischen Gründen nicht für
richtig, denn auch Mitleid, Barmherzigkeit und Hilfe für
die Kranken sind Grundwerte unserer Gesellschaft.
({2})
Meine Damen und Herren, nicht nur die Präsidenten
und Vorsitzenden der großen Wissenschaftsorganisationen von Markl bis Winnacker, nicht nur sechs Nobelpreisträger wie Christiane Nüsslein-Vollhard, sondern
auch Vertreter von Patientenorganisationen wie der
Deutschen Multiple-Sklerose-Gesellschaft sagen: Wir
brauchen die Grundlagenforschung und wir brauchen
dafür den Import von Stammzelllinien.
Unsere heutige Entscheidung wird im In- und Ausland
mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Wir wissen, dass ein
Importverbot bei uns die Stammzellenforschung im Ausland nicht beeinflussen wird. Ein Importverbot kann aber
zu einem Export von deutschen Wissenschaftlern ins
Ausland sowie dazu führen, dass - dies ist noch viel wichtiger - unsere Kontrollmöglichkeiten für eine verantwortungsbewusste Forschung eingeschränkt werden und
unsere Patienten Hilfe im Ausland suchen.
Meine Damen und Herren, die Möglichkeit für betroffene Patienten, sich öffentlich zu artikulieren, ist - auch
das haben wir in den letzten Monaten gelernt - leider nicht
so stark wie die einiger Verbandsvertreter. Hier geht es gerade um die Schwachen in unserer Gesellschaft. Für diese
Patienten wollen wir mit unserem Antrag eine verantwortungsbewusste Forschung mit strengen Auflagen ermöglichen. Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitten wir
Sie um Ihre Unterstützung.
({3})
Ich erteile Kollegin
Monika Knoche das Wort.
Sehr
geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und
Damen! Richtig ist, dass wir heute vor einer grundsätzlichen Entscheidung stehen. Wenn wir ehrlich sind, stellen
wir fest, dass es nur eine Entscheidung zwischen Ja und
Nein geben kann. Wir haben die Aufgabe, eine menschenrechtlich relevante Frage in einem werteprogressiven Sinn
zu beantworten. Wir müssen mit einem aufgeklärten,
emanzipatorischen Menschenrechtsverständnis das weiterentwickeln, was in unserer Verfassung geschrieben steht
und was sie an Erfahrungen auch der Inhumanität speichert.
Es geht heute um den Embryo, um die Frage, ob er zur
Menschheit gehört, ob er zur Gattungsart Mensch gehört.
Wenn das bejaht wird, dann ist er nicht verfügbar.
Wir haben in Deutschland ein Grundgesetz, das die
Würde des Menschen in all seinen Zuständen als unantastbar wahrt. Wir haben in Deutschland ein Embryonenschutzgesetz, mit dem wir praktische Lösungswege
im Hinblick auf die krankheitswertige Unfruchtbarkeit
der Frau regeln und sicherstellen, dass keine überzähligen
Embryonen entstehen. Im gesamten angelsächsischen
Raum bestehen solche rechtlichen Vorgaben als Begrenzung der Fortpflanzungsmedizin und der Forschung nicht.
Das kann aber nicht heißen, dass das, was im Ausland gestattet ist, in Deutschland erlaubt werden muss oder - wie
in diesem Fall - dass wir in Deutschland einen Nießnutz
aus der Embryonenvernutzung anderer ziehen, aber selber
sagen: Wir wollen den Status des Embryos nicht verändern. - Insofern bin ich froh, Frau Flach, dass Sie mit
Ihrem Antrag eine sehr klare, sehr konsequente Position
beziehen - nicht, dass ich ihr zustimme, ganz im Gegenteil. Aber man darf sich nicht vormachen, dass wir mit einer Legaldefinition hinsichtlich des Imports embryonaler
Stammzellen nicht erstmalig in Deutschland eine Statusdefinition des Embryos in vitro vornähmen. Wir tun das
implizit. Wer mag dann noch mit Fug und Recht auf die
Verfassung und die Menschenwürde verweisen, nachdem
wir mit einem Gesetz festgestellt haben, dass wir die Forschungsfreiheit, die Freiheit, an der Embryonenvernutzung teilzuhaben, höher werten als die Unverfügbarkeit
des Embryos selbst?
Der Embryo, um den es geht, ist durch künstliche Befruchtung in die Welt gekommen. Er ist herzeigbar, er ist
handhabbar und schon werden Begehrlichkeiten an ihm
wach, die darauf abzielen, ihn nicht in den Uterus der Frau
zu transplantieren, sondern aus ihm ein Produkt herzustellen. Jeder Embryo, ob er sich im Körper der Frau oder
in der Petrischale befindet, hat die gleiche, aus sich selbst
kommende Kraft, sich als Mensch zu entwickeln, zur Person zu werden. Wer hier die Auffassung vertritt, der Embryo sei, wenn er die Gebärmutter nicht erreiche, auch
kein Mensch, der entfernt sich weit vom Menschenrechtsverständnis unserer Verfassung und sagt, es sei von
den Handlungen anderer abhängig, ob er ein eigenes
Recht hat, ob er ein eigenständiger Rechtsträger ist.
({0})
Das ist dann in der Tat eine biologistische Menschenrechtsdogmatik, die sich mit unserem Konzept der Menschenwürde nicht verträgt und nicht vertragen kann.
({1})
Was würde es angesichts der weiteren Entwicklungen
in der Forschung bedeuten, wenn wir in die Auffassung
einstimmten, dass da, wo kein Uterus ist, auch kein
Mensch ist? Es hinge davon ab, wie viele seiner natürlichen Funktionen künstlich ersetzt werden könnten.
Machen wir uns bitte nichts vor: Wenn dieser Weg
durch Import embryonaler Stammzellen beschritten wird
und wir hier in Deutschland eine Legaldefinition vornehmen, werden wir keine verfassungsrelevanten Gründe
mehr dafür anführen können, nicht in die Embryonenproduktion einzusteigen. Das ist eine Konsequenz.
({2})
Ich bitte an dieser Stelle um die geforderte Aufrichtigkeit. Wir haben kein Dilemma. Wir haben keinen Konflikt. Wir brauchen keinen Mittelweg. Der Ausweg
- wenn wir bei diesen festen Werten bleiben wollen - ist,
den Status quo zu bestätigen.
({3})
Sagen wir doch in dem internationalen Konzert: Wir als
Souverän verzichten auf den Aufbau eines Forschungszweiges, der zwangsläufig auf der Indienstsetzung und
der Instrumentalisierung des ungeborenen In-vitro-Embryos basiert. Sagen wir das! Viele unserer europäischen
Nachbarn wären froh, wenn sie ein solches Grundgesetz
hätten, das an erster Stelle sagt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Danke.
({4})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Maria Böhmer.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Entscheidung über den Import von menschlichen embryonalen
Stammzellen macht sich in diesem Parlament wahrlich
niemand leicht. Wir wissen sehr wohl um die ethischen
Fragen, die sich damit verbinden, und auch um die Bedeutung für unsere Werteordnung, für das Bild vom Menschen. Dieses wollen wir achten und alles daransetzen,
dass es auch in Zukunft trägt. Dafür gilt es, jede Regelung
zu überprüfen, feste Mauern zu bauen und feste Grenzen
zu setzen.
({0})
Wir haben die Diskussion mit großer Intensität geführt.
Manche haben uns den Vorwurf gemacht, wir hätten verzögert oder verschleppt. Ich sage ganz klar: Das war nicht
der Fall. - Vielmehr gehen wir aus dieser Diskussion in
unserem Wissen und in unserem Wertebewusstsein gestärkt hervor. Das gilt nicht nur für dieses Hohe Haus, sondern für die ganze deutsche Gesellschaft: Die Diskussion
fand nicht mehr nur in kleinen Zirkeln und Akademieveranstaltungen statt, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit, in den Medien und im privaten Bereich. Wir haben
uns den grundlegenden Fragen gestellt: Wer sind wir?
Was wollen wir? Wo gehen wir hin?
Die Entscheidung über den Import menschlicher embryonaler Stammzellen - das wissen wir alle - darf nicht
isoliert gesehen werden. Wir müssen fragen: Woher kommen diese Stammzellen? Wie sind sie gewonnen worden?
Genauso gilt es, abzuschätzen, wohin der Weg führt. Die
Frage liegt auf dem Tisch: Folgt aus der Forschung an embryonalen Stammzellen letztendlich das therapeutische
Klonen, also die Produktion von Menschenklonen? Folgt
daraus möglicherweise eine Eizellspende in großem Umfang? Werden sich unsere Gesellschaft und das Bild vom
Menschen dann verändern?
Wir sind gehalten, darauf eine Antwort zu geben. Ich
glaube, dass wir an dieser Stelle sehr genau hinhören müssen. Zum einen gibt es in Deutschland aufseiten der Forscher sehr viele, die sagen: Therapeutisches Klonen
kommt nicht infrage. - Wir dürfen aber auch die anders
lautenden Stimmen nicht überhören. Wir dürfen diejenigen nicht überhören, die sagen, dass es demnächst den
Forschungsembryo gebe. In den USA hat jetzt ein Ausschuss der unabhängigen Nationalen Akademie der Wissenschaften der Regierung empfohlen, therapeutisches
Klonen auch mit staatlichen Geldern zu fördern.
Von daher müssen wir sehr wohl sehen: Forschungsembryonen und therapeutisches Klonen sind ebenso irreführende wie verführerische Zauberwörter. Was verbirgt
sich dahinter? Nichts anderes, als einen menschlichen
Embryo zu Forschungszwecken oder für Therapien zu
verbrauchen. Der Mensch ist aber kein Experimentierfeld
und der Mensch ist kein Ersatzteillager. Hier müssen wir
die Grenze deutlich ziehen, damit in Zukunft niemand in
die Versuchung gerät, diese Grenze zu überschreiten.
({1})
Wir stehen heute nicht nur vor der Frage des Imports;
sondern im Kern geht es um die Frage: Dürfen menschliche Embryonen für die Forschung getötet werden? Im
geltenden Recht finden wir eine klare Antwort. Sie heißt:
Nein. Wer die verbrauchende Embryonenforschung
will, muss das Recht ändern und muss sich auch über die
Folgen nicht nur für den einzelnen Menschen, sondern für
den Menschen als solchen im Klaren sein. Die Abschätzung der Folgewirkungen ist nicht nur ethisch, sondern
auch verfassungsrechtlich geboten. Wir wissen von vielen
Verfassungsrechtlern, dass man nicht nur den Status des
Embryos, den Schutz des Lebens und die Würde des Menschen in den Blick nehmen muss. Vielmehr geht es darüber hinaus um die Verfassungsordnung als Ganzes und
um die Würde des Menschen als das zentrale Grundprinzip der Verfassung, die es zu wahren gilt.
Zur Debatte stehen heute zwar drei Anträge. Aber in
Wahrheit handelt es sich nur um zwei Grundpositionen,
die sich wie folgt auf den Nenner bringen lassen: Die eine
Grundposition erteilt jeglicher verbrauchender Embryonenforschung eine klare Absage. Die andere Grundposition öffnet sich der verbrauchenden Embryonenforschung. Beiden Grundpositionen liegen sehr wohl
unterschiedliche Prämissen zugrunde. Bei der einen Prämisse geht man davon aus, dass das menschliche Leben
unbedingt von Anbeginn zu schützen ist. Die Vertreter
dieser Prämisse sagen: Das ist uns durch die Verfassung
aufgegeben, die die Anerkennung der Menschenwürde
und deren vollen Schutz beinhaltet. Die andere Prämisse
geht von einem abgestuften Lebensschutz aus. Beide Ausgangspositionen sind sehr unterschiedlich. Daher werden
aus ihnen auch sehr unterschiedliche Schlussfolgerungen
gezogen. Aber ich stelle fest, dass es eine überwiegende
Mehrheit im Parlament - das machen zwei Anträge deutlich - gibt, die der verbrauchenden Embryonenforschung
eine klare Absage erteilt und sie verbieten will.
({2})
Der Antrag, den ich gemeinsam mit den Kolleginnen
Margot von Renesse und Andrea Fischer, dem Kollegen
Horst Seehofer, der heute aus Krankheitsgründen leider
nicht an der Debatte teilnehmen kann, und vielen anderen
eingebracht habe, ist dem Gedanken verpflichtet, dass Lebensanfang und voller Lebensschutz zusammenzudenken
sind. Wir machen in unserem Antrag deutlich - und zwar
in jeder Beziehung -: Es darf in Deutschland nicht dazu
kommen, dass Embryonen für die Forschung verbraucht
und damit getötet werden. Wir wollen keinen Anreiz zur
Herstellung neuer embryonaler Stammzelllinien im
Ausland schaffen. Wir wollen damit vermeiden, dass weitere Embryonen getötet werden. Das ist die Grundlinie
unseres Antrags. Damit halten wir am Embryonenschutzgesetz fest und bekräftigen seine Zielrichtung. Wir wollen, dass dieses Gesetz auch zukünftig gültig ist und dass
von ihm um keinen Zentimeter abgewichen wird; denn
das ist die Grundlage für unser Leben und für unser Bild
vom Menschen. Wir wollen die Tür damit zuhalten.
Jetzt fragen etliche wie Frau Flach: Gibt es nicht doch
eine Hintertür? Mogelt man sich mit diesem Antrag nicht
an der Entscheidung vorbei? Ist das Denken, das sich in
unserem Antag offenbart, nicht inkonsequent? - Ich
glaube, man muss sich den entscheidenden Punkt genau
anschauen. Der entscheidende Punkt ist, dass wir mit unserem Antrag, der ein grundsätzliches Nein zum Import
von menschlichen embryonalen Stammzellen enthält,
deutlich machen, dass weder jetzt noch in Zukunft Embryonen für die Gewinnung neuer embryonaler Stammzelllinien getötet werden dürfen. Das ist von entscheidender Bedeutung. Das ist die Kernaussage unseres Antrags.
Wir müssen uns aber auch überlegen, wie sich sicherstellen lässt, dass dieses Verbot eingehalten wird, wie man
einen Damm bauen kann, damit es keine Wanderdüne
gibt, damit sich das „Nein, aber“ nicht zu einem „Ja, aber“
entwickelt. Das ist für uns eine ganz zentrale Frage. Wir
wollen nur dort eine Ausnahme erlauben - das ist ein
schmaler Korridor -, wo es um bereits existierende
Stammzelllinien geht. Wir wollen also nur dort eine Ausnahme erlauben, wo menschliches Leben beendet worden
ist bzw. wo Embryonen getötet worden sind, wo wir diese
Tötung nicht mehr rückgängig machen können. Das heißt
nicht, dass wir diese Tötung billigen. Wir werden auch für
die Zukunft alles daransetzen, dass dies nicht mehr geschieht.
Aber wir müssen sehen: Stammzelllinien sind keine
Embryonen. Von daher kommt ihnen nicht der volle
Schutz des Grundgesetzes zu. Deswegen besteht, wenn es
um die Forschungsfreiheit geht, auch ein verfassungsrechtliches Problem. Wir müssen eine Regelung schaffen,
die Bestand hat. Deshalb haben wir uns für dieses deutliche, grundsätzliche Nein und für eine Ausnahmeregelung
ausgesprochen.
Diese aber bedeutet, dass nur in sehr restriktiver Art
und Weise bereits existierende Stammzelllinien nach
Deutschland importiert werden können. Das ist daran gebunden, dass wir alternativen Forschungsvorhaben den
Vorrang geben, dass wir einen Stichtag nennen, der sicherstellt, dass es weder jetzt noch in der Zukunft zu einer Entwicklung kommen wird, die wir nicht gutheißen
können, dass wir das Einverständnis der Eltern haben,
kommerzielle Interessen ausschließen und dass die Hochrangigkeit der entsprechenden Forschungsvorhaben nachgewiesen werden muss. Dafür brauchen wir gesetzliche
Grundlagen; denn ohne gesetzliche Regelungen ist dies
nicht durchführbar. Auch benötigen wir eine Kontrollbehörde und eine Genehmigungspflicht.
All denjenigen, die in ihrem Leben von schwerster
Krankheit bedrängt sind, Hoffnung brauchen und Heilung
erfahren möchten, möchte ich sagen: Wir sehen einen
anderen Weg vor uns. Das ist nicht der Weg der embryonalen Stammzellenforschung, sondern der Weg der adulten Stammzellenforschung. Dieser ist ethisch unproblematisch und für die Betroffenen auch medizinisch
hilfreicher. Denn hierbei handelt es sich nicht nur um vage
Hoffnungen. Vielmehr gibt es hier schon klinische Anwendungen. In diesem Bereich findet aufgrund der Möglichkeiten, die sich eröffnen, eine faszinierende Entwicklung statt.
Deshalb sprechen wir uns in unserem Antrag klar dafür
aus, dass die adulte Stammzellenforschung stärker gefördert werden muss als bisher. Deutschland muss zu einem
Kompetenzzentrum für die adulte Stammzellenforschung
werden, damit Menschen bald Heilung erfahren können
und sie Therapien erhalten, die wirksam sind.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich hoffe, dass
sich heute der Deutsche Bundestag mit einer klaren und
überwältigenden Mehrheit für ein Nein zur verbrauchenden Embryonenforschung ausspricht. Ich hoffe, dass wir
mit einer solchen Entscheidung ein Nein zur Verzweckung und zum Missbrauch des menschlichen Lebens
aussprechen, dass wir uns gegen die Herstellung von
neuen Stammzelllinien und damit auch gegen die Tötung
von Embryonen wenden. Ich hoffe, dass wir uns zugleich
für die massive Förderung von adulten Stammzellforschungsbereichen aussprechen. Lassen Sie uns alles daransetzen, dass der Schutz menschlichen Lebens, die Würde
des Menschen und damit unsere gemeinsame Werteordnung geachtet werden.
Ich bin mir sicher, dass es nicht einfach sein wird, immer wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen.
Aber ich bin mir sicher, dass es uns mit diesem Gruppenantrag gelingt, ein Fundament zu bauen, mit dem wir unsere Werteordnung und menschliches Leben in Zukunft
schützen, sodass wir darauf vertrauen können: Das Bild
des Menschen, das unserer Verfassung zugrunde liegt, ist
gewahrt und wird Bestand haben.
Ich danke Ihnen.
({3})
Ich erteile der Kollegin Katherina Reiche das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nunmehr diskutieren
wir in Deutschland seit über einem Jahr, ob auch hierzulande mit embryonalen Stammzellen geforscht werden
darf, um Erkenntnisse zu gewinnen, die Kranken und Leidenden helfen können. Nun ist es an uns, die Argumente
heute in eine Entscheidung zu gießen.
Klar ist, dass wir mit zunehmender Internationalität
biomedizinischer Forschung und ihren Ergebnissen
konfrontiert sind. Keine Politik - schon gar nicht die eines einzelnen Staates - kann die biotechnologische Forschung aufhalten. Politik muss den Rahmen setzen und
die Gesellschaft auf die ethischen, sozialen und soziologischen Konsequenzen vorbereiten. Sie muss vor allem
dafür Sorge tragen, dass den Menschen wissenschaftliche
Erkenntnisse nicht vorenthalten bleiben.
Der Wille zu heilen entspricht dem humanitären Auftrag, Alten, Schwachen und Kranken zu helfen. Der
christliche Auftrag, sich die Erde untertan zu machen, erwartet vom Menschen, die ihm gegebene Vernunft und
das aus ihr resultierende Wissen zur Erkenntnis und Nutzung der Natur einzusetzen.
Verliert einer unserer 200 Zelltypen seine Funktion,
führt dies zu gesundheitlichen Ausfallerscheinungen, oft
sogar zum Tod. Bei vielen schweren Erkrankungen fehlen
bislang wirksame Therapien.
Stammzellforschung verfolgt zwei Ziele: die Entwicklung von Zell- und Gewebetransplantaten und die Entwicklung von Medikamenten. Ethisch unproblematisch
wäre der Einsatz von adulten, das heißt aus Organen von
Erwachsenen gewonnener, Stammzellen und von Stammzellen, die aus dem Nabelschnurblut Neugeborener gewonnen werden. Der Erforschung dieser beiden Stammzelltypen ist Vorrang zu geben und diese ist auch
finanziell zu unterstützen. Allerdings sind die adulten
Stammzellen auch mit erheblichen Nachteilen behaftet.
Sie sind bereits stark differenziert und nur bedingt vermehrbar. Außerdem nimmt die Anzahl der adulten
Stammzellen leider mit zunehmendem Alter der Patienten
ab.
Wir wissen bis heute nicht, warum aus einer bestimmten Zelle eine Nervenzelle wird. Den Weg der Zelldifferenzierung und -programmierung will die Wissenschaft
erforschen. Der amerikanische Forscher Gearhart entdeckte erstmals 1998 embryonale Stammzellen. Diese
Stammzellen können sich nahezu unbegrenzt vermehren,
teilen und in sehr viele verschiedene Zelltypen entwickeln. Embryonale Stammzellen sind der Schlüssel
zum Verständnis aller anderen Stammzelltypen. Die Forschung versichert glaubhaft, dass die Funktionsweise
adulter Stammzellen nur mithilfe der Grundlagenforschung an embryonalen Stammzellen festgestellt werden kann. Mit anderen Worten: Man muss die Programmierung einer Zelle kennen, um sie am Ende
reprogrammieren zu können. Ziel ist es ja, Krankheiten
mit eigenen Stammzellen des Patienten zu heilen.
Ein Forscher versucht die Dinge zu begreifen, indem er
die Wirklichkeit erfasst. Schon Augustinus sagte: „Ich
forsche, um eine Sache zu wissen, nicht, um sie zu denken.“ Die Medizin ist nicht von vornherein der Weiterentwicklung des Lebens verpflichtet; sie steht auch im
Dienste der Heilung von Menschen. Sie berührt neben der
Forschungsfreiheit auch den Schutz der Gesundheit anderer Menschen. Die zu importierenden embryonalen
Stammzelllinien sind pluripotente Stammzellen und
können sich nicht mehr zu einem Menschen entwickeln.
Die pluripotente Stammzelle ist somit rechtlich und medizinisch kein Embryo.
Gegen die Herstellung von embryonalen Stammzelllinien gibt es ethische und rechtliche Bedenken. Es geht um
elementare Schutzgüter wie den Würde- und den Lebensschutz. Die Frage, wann das Leben beginnt, ist medizinisch, rechtlich, philosophisch und theologisch umstritten. Viele Menschen halten den Zeitpunkt der Verschmelzung von Samen- und Eizelle für den
überzeugendsten. Gleichwohl gibt es gewichtige Gründe,
die Einnistung des Embryos in die Gebärmutter als
entscheidend anzusehen. Die Mutter gibt dem Embryo die
Kontinuität einer Entwicklung als Mensch, die Identität
der in der Eizelle angelegten und mit der Nidation bestätigten Person.
({0})
Kann Politik den Beginn des Lebens festlegen? Der
ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Professor Paul Kirchhof, führt dazu aus:
Das Zusammenwirken von Menschenwürdegarantie
und Lebensschutz fordert einen je nach dem vorgefundenen Leben bemessenen, realitätsgerecht gestuften Schutz, der schon dem geborenen Menschen
in anderer Weise zukommt als dem Embryo im Mutterleib, den Embryo vor der Nidation anders erfasst
als nach der Nidation.
Unsere Gesellschaft akzeptiert bereits, dass das Lebensrecht des Embryos nicht absolut ist. Dies gilt zum
Beispiel sowohl für die Regelung des Schwangerschaftsabbruches als auch für die Anwendung von Nidationshemmern. Auch bei der In-vitro-Fertilisation werden
Rechtsgüter abgewogen. Man nimmt bei der In-vitro-Fertilisation in Kauf, dass sich nur ein kleiner Teil der implantierten Embryonen einnistet, ein Teil verworfen wird
bzw. nie die Gebärmutter erreicht. Dies wird um des fortpflanzungsmedizinischen Ziels willen billigend in Kauf
genommen. Die In-vitro-Fertilisation brachte in den
15 Jahren seit ihrer Zulassung in Deutschland etwa
70 Embryonen hervor, die aus verschiedenen Gründen
nicht zur Herbeiführung einer Schwangerschaft benötigt
wurden. Sie sind um ihrer selbst willen erzeugt worden,
werden jedoch nie die unverzichtbare Lebensbedingung
Mutter vorfinden.
In anderen Ländern ist die Forschung an embryonalen
Stammzellen bereits im Gange. Die dabei gewonnenen
Erkenntnisse werden künftig in der Medizin zur Anwendung kommen. Es wird sich dann die Frage stellen, ob wir
es in Deutschland rechtfertigen können, Patienten diese
Behandlungsmöglichkeiten zu verwehren, nur weil sie
mithilfe von in Deutschland nicht zugelassenen Verfahren
zustande gekommen sind. Können wir es dann trotz ethischer Bedenken gegen die Nutzung embryonaler Stammzellen verhindern, dass Patienten in die Länder gehen, wo
diese Therapien angeboten werden? Dann würden zwar in
Deutschland keine embryonalen Stammzellen verbraucht,
aber Stammzellen durch Deutsche im Ausland. Daraus ergeben sich für mich eine Reihe von Wertungswidersprüchen.
Nach Abwägung aller Argumente komme ich zu der
Überzeugung, dass wir die Forschung an embryonalen
Stammzellen und die Nutzung der Forschungsergebnisse
in Deutschland befürworten sollten. Die rechtliche Möglichkeit zum Import embryonaler Stammzellen besteht
bereits heute; sie sollte genutzt werden.
Zurzeit ist nicht absehbar, ob die bereits im Ausland
hergestellten Stammzelllinien, die der deutschen Forschung zur Verfügung gestellt werden sollen, den wissenschaftlichen Anforderungen in jeder Hinsicht gerecht
werden. Um eine erfolgreiche Grundlagenforschung auch
hierzulande zu gewährleisten, darf daher auf die Möglichkeit, embryonale Stammzellen auch in Deutschland
herzustellen, nicht von vornherein verzichtet werden. Die
Herstellung von Stammzellen kann aber nur an solchen
Embryonen geschehen, die bei künstlicher Befruchtung
erzeugt werden und dort nicht zur Anwendung kommen.
Für diese überzähligen Embryonen, die wir auch in
Deutschland haben, gibt es derzeit keine überzeugende
Lösung. Die Gewinnung von eigenen Stammzelllinien ist
erst recht dann geboten, wenn nach Ausschöpfung aller
anderen Forschungswege schwerwiegende Argumente
für die Forschung an embryonalen Stammzellen sprechen.
Ich möchte mit einem Zitat von Hubert Markl enden,
der sich fragt, was uns Kant zu seinem kategorischen Imperativ heute sagen würde:
Vermutlich hätte er uns also gesagt, wenn wir wissen
wollen, was wir wissen können und wissen müssen,
sollten wir das tun, was uns auch künftig hoffen lässt.
Recht hätte er damit gehabt.
({1})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Wolfgang Wodarg.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Menschenwürde kommt
dem Menschen als solchem zu. Wenn man sie als etwas
versteht, was ihm von anderen zu- oder abgesprochen
werden kann, dann hat man sie eigentlich schon aufgegeben. Sie ist nicht damit vereinbar, nach willkürlichen
Kriterien - wie den aktuellen Fähigkeiten, dem Entwicklungsstand oder dem Umfeld, in dem ein Mensch existiert, zum Beispiel im Labor - abgestuft zu werden. Alle
Menschen in allen Entwicklungsphasen haben Anteil an
der Menschenwürde.
({0})
- Wir müssen über die Frage des § 218 sprechen und das
werden wir auch tun. Aber das überlasse ich den Frauen
in unserer Gruppe. Sie werden Ihnen eine sehr genaue
Antwort geben. Ich maße mir nicht an, dieses Thema jetzt
in meiner Redezeit zu bearbeiten.
Wir dürfen nicht zulassen, dass irgendjemand festlegen
will, welche Kriterien erfüllt sein müssen, welche Eigenschaften vorliegen müssen, welche Fähigkeiten da sein
müssen, bevor einem Menschen Menschenwürde zugesprochen wird. Menschenwürde ist auch nichts, was man
unter dem Mikroskop finden könnte. Deshalb gibt es für
Wissenschaftler auch keine besondere Zuständigkeit bei
der Definition dessen, was Menschenwürde ausmacht.
Der Mensch soll für den Menschen unverfügbar sein.
Deshalb darf man auch niemandem das Recht einräumen,
zu definieren, in welcher Phase seiner Existenz oder aufgrund welcher Kriterien ein Mensch als Mensch gelten
darf.
Auch das Ausland kann hier nicht maßgebend für unsere Gesetzgebung sein. In anderen Ländern wird von
Forschern und Ärzten sehr viel nicht Hinnehmbares mit
Menschen angestellt. Es ist richtig, dass wir - das gilt für
die Vergangenheit und für die Zukunft - die Augen vor
den Erkenntnissen, die dort gewonnen werden, nicht zumachen dürfen. Aber es gibt hier sehr wohl eine abgestufte Wertung und eine abgestufte Verantwortung, um
die wir streiten müssen. Im Ausland werden riskante Versuche an Menschen unternommen, die selbst oft gar nichts
davon wissen und die erst recht nicht zustimmen konnten.
Es werden Sterbenden, ja sogar Hingerichteten und Getöteten ohne deren Zustimmung Organe entnommen und für
die Transplantation oder die Forschung angeboten und es
geschehen viele Dinge mehr, die hier in Deutschland unter strenge Strafe gestellt sind.
Von den Befürwortern des Importes ist zu hören, dass
man den Import verfassungsrechtlich nicht verhindern
könne, weil mit embryonalen Stammzellen kein Rechtsgut von Verfassungsrang betroffen sei. Das haben wir
auch gerade wieder gehört. Ein Kompromiss sei deshalb
möglich.
Unserer Meinung nach ist das abwegig. Ein bekannter
Verfassungsrechtler hat gerade letzten Montag in der
„FAZ“ darauf hingewiesen. Er schreibt:
Im Übrigen kennt die deutsche Rechtsordnung
durchaus Regelungen, die über das innerstaatliche
Verbot hinaus auch den „Rechtswidrigkeitsimport“
untersagen, wenn es um fundamentale Positionen
wie Würde und Leben geht.
Er zitiert § 12 Abs. 1 Satz 4 des Transplantationsgesetzes,
in dem es heißt, dass im Ausland gewonnene Organe nur
dann nach Deutschland vermittelt werden dürfen, wenn
die Organentnahme „mit wesentlichen Grundsätzen des
deutschen Rechts, insbesondere mit den Grundrechten,“
nicht offensichtlich unvereinbar ist. Der Deutsche Bundestag hat damit entschieden, dass die Ethik des Heilens
an dieser Stelle ihre Grenze findet.
Er sagt dann weiter:
Das Herz eines hingerichteten Strafgefangenen oder
eines so genannten „non heart beating donors“
- wie es in den Vereinigten Staaten heißt ist danach ebenso tabu wie die für 10 000 Dollar
erworbene Niere eines Slumbewohners aus Kalkutta,
selbst wenn dieser Verzicht den sicheren Tod eines
ganz konkreten, schwer leidenden Patienten in
Deutschland zur Folge hat. Was sollte den Gesetzgeber also hindern, Ähnliches für den Import von
embryonalen Stammzellen für Deutschland zu normieren?
({1})
Das Verfassungsrecht steht dem ebenso wenig entgegen wie das europäische Gemeinschaftsrecht.
Ich denke, die Tötung von Embryonen zur Gewinnung
von Stammzellen kann durchaus als die früheste Form der
Tötung eines Menschen zur Gewinnung von Organen
empfunden werden, sollen doch aus dem Embryo ein
Mensch und aus den Stammzellen seine Organe wachsen.
In einer Frage wie dieser brauchen wir deshalb nicht
nur eine juristisch saubere Lösung, sondern die Lösung,
die unserem Menschenbild und unserem moralisch-ethischen Empfinden gerecht wird. Wenn wir es verbieten, in
Deutschland Embryonen zur Erzeugung von Stammzellen zu vernichten, es aber gleichzeitig erlauben, solche
embryonalen Stammzellen aus dem Ausland zu importieren, widerspricht das ohne Zweifel dem moralischen
Empfinden vieler Menschen in unserem Lande.
({2})
Wenn wir keine verbrauchende Embryonenforschung
wollen, dann sollte es ethisch unerheblich sein, ob sie hier
oder im Ausland geschieht.
Hinzu kommt ein weiteres Problem. Wenn wir erst einmal einen Katalog definiert haben, welche Bedingungen
an die Gewinnung von embryonalen Stammzellen zu stellen sind: Welches Argument hätten wir dann eigentlich
noch gegen die Embryonenvernichtung im eigenen Land,
wenn diese denselben Bedingungen genügen würde?
Noch einige Worte zur Signalwirkung der deutschen
Entscheidung. Auch in den europäischen Ländern, in denen die Tötung von Embryonen zu Forschungs- oder Therapiezwecken erlaubt ist - oder wie in Frankreich gerade
erlaubt werden soll -, fühlen sich viele Menschen von einer solchen Politik nicht repräsentiert. Die deutsche Haltung zum Embryonenschutz ist für viele dort ein Referenzpunkt, auf den sie sich beziehen konnten. Wenn wir
diese Haltung nun aufweichen würden, hätte das eine sehr
negative Signalwirkung. Wir haben auch hier eine europäische Verantwortung.
Würden wir heute einem begrenzten Import zustimmen, dann würden uns sogar die Befürworter der verbrauchenden Embryonenforschung in ganz Europa als
heuchlerisch bezeichnen können - nach dem Motto: Die
Deutschen wollen sich zu Hause die Hände nicht schmutzig machen, wollen aber gleichzeitig von im Ausland
getöteten Embryonen profitieren. Solche Äußerungen
gibt es bereits aus dem Umfeld der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament. Eine klare, der
bisherigen deutschen Haltung entsprechende Entscheidung gegen den Import wäre ein wichtiges und positives
Signal für das ganze Europa.
({3})
Wir alle waren einmal ein Embryo. Das Leben jedes
Einzelnen von uns hat so angefangen. Wir müssen uns
auch immer wieder fragen, was es für unser eigenes
Selbstverständnis als Gattung und für unser Menschenbild bedeutet, wenn wir das früheste Stadium unseres Lebens als instrumentalisierbares, verfügbares Material behandeln würden. Produkte, für deren Entwicklung
Embryonen getötet werden mussten, werden immer mit
diesem Makel behaftet sein.
Ich wünsche mir, dass medizinischer Fortschritt made
in Germany das Label der ethischen Unbedenklichkeit
mit Recht erhalten kann. Menschliche Embryonen und
auch ihre Teile sind keine Ware, die man kaufen und
verkaufen, importieren und exportieren darf. Die Mehrheit dieses Hauses ist hoffentlich mit mir der Meinung,
dass sie auch niemals Ware werden dürfen.
Ich danke Ihnen.
({4})
Ich erteile Kollegin
Andrea Fischer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der
Antrag, für den ich hier heute argumentieren möchte, hat
eine klare Zielsetzung: Wir wollen die strengen Regeln
des Embryonenschutzgesetzes erhalten, wir wollen keine
verbrauchende Embryonenforschung zulassen und wir
wollen nicht, dass von Deutschland Anreize ausgehen,
Embryonen - wo auch immer - für die Forschung zu töten.
Zugleich aber schlagen wir eine streng geregelte Ausnahme für heute bereits vorhandene Stammzelllinien vor,
für die bereits Embryonen getötet wurden. Entgegen manchem Urteil von Kollegen hier im Hause halte ich diesen
Vorschlag für eine konsistente Position. Er ist ein ernsthaftes Angebot auf einer festen moralischen Grundlage,
im bislang so unversöhnlich geführten Streit um die
Zulässigkeit des Imports der Stammzelllinien vermittelnd
wirken zu können.
Unser Antrag geht von der unteilbaren Menschenwürde des Embryos aus: Ab der Verschmelzung von Ei
und Samenzelle entwickelt sich der Embryo als Mensch.
Mit Verweis auf seine vorpersonale Form kann ihm nicht
der Schutz der Gemeinschaft entzogen werden. Denn
- wie es in unserem Antrag heißt -: Embryonen sind die
künftigen Kinder künftiger Eltern.
Mich hat in der Debatte des vergangenen Jahres keines
der biologistischen und der philosophischen Argumente
überzeugt, die einen abgestuften Schutzstatus des Embryos begründen sollten. Zu offenkundig trat dahinter die
Absicht hervor, durch eine Bagatellisierung der Tötung
des Embryos eine Rechtfertigung für dessen Verzwecklichung zu finden.
({0})
Im Übrigen möchte ich all denen, die die in unserem
Antrag deutlich werdende Sicht der Schutzwürdigkeit
des Embryos nicht teilen, zu bedenken geben, dass es
auch in ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse liegen
mag, dass wir uns nicht auf den Weg einer - wie es
Habermas nennt - Selbstinstrumentalisierung der Gattung
begeben. Wenn wir uns darauf einlassen, dass wir
menschliches Leben zu einem außerhalb seiner selbst liegenden Zweck verwenden, werden wir künftig nur
schwerlich Maßstäbe finden, auf diesem Gebiet Grenzen
zu setzen.
Daher ist unser Antrag an diesem Punkt unmissverständlich und niemand sollte dies für nur begleitende Lyrik halten, die angesichts des materiellen Ergebnisses des
Antrages vernachlässigenswert sei. Wir wollen keine
Embryonen auch für noch so hochrangige Zwecke verbrauchen und wir billigen ihre Tötung auch im Nachhinein nicht.
Das heißt dann auch, dass der potenzielle Erfolg oder
Misserfolg der Forschung, um die es hier geht, kein schlagendes Argument ist.
Das gilt in beide Richtungen: Zum einen verkennt man
das Wesen der Wissenschaft, wenn man von ihr im Vorhinein Belege für ihren späteren Erfolg verlangt, um die
Forschung erst dann zuzulassen.
({1})
Umgekehrt ist das Heilungspotenzial für sich genommen
ein notwendiges, aber kein hinreichendes Argument.
Stünden die Heilungschancen über allen anderen Rechtsgütern, dann gäbe es keinerlei Grund für irgendeine
Schranke. Ich meine aber, dass es ein zu Recht geltender
Konsens in unserer Gesellschaft ist, dass uns auch noch so
verlockende Heilungsmöglichkeiten nicht das Recht geben, sie zulasten Dritter durchzusetzen.
({2})
Diese Selbstbeschränkung, die uns allen im Angesicht
von vielfachem Leid durch Krankheiten schwer fällt, wird
dadurch erträglicher - und übrigens auch zwingender -,
dass wir Aussicht auf gute Ergebnisse der Forschung an
ethisch unbedenklichen Stammzellen von Erwachsenen
oder an Stammzellen aus dem Nabelschnurblut haben.
Deshalb sprechen wir uns in unserem Antrag deutlich für
den Vorrang dieser Forschung aus.
Für die Grundlagenforschung wollen wir eine Ausnahme zulassen, nämlich die Forschung an bereits bestehenden embryonalen Stammzelllinien, wenn Bedingungen hinsichtlich ihrer Herkunft erfüllt sind sowie der
Nachweis der Alternativlosigkeit der Forschung erbracht
ist. Diese Stammzelllinien, die nach unserem Vorschlag
importiert werden können, sind keine Embryonen mehr.
Sie können sich nicht mehr als Mensch entwickeln und
der Tod dieser Embryonen ist nicht mehr abänderlich.
Deshalb steht diese Ausnahme in Einklang mit unserem
Bekenntnis zum Embryonenschutz.
Ich habe mich schon vor langer Zeit davon überzeugen
lassen, dass es aus verfassungsrechtlichen Gründen
nicht möglich sein wird, deren Import nach Deutschland
verbieten zu lassen. Auch das Lebensschutzgebot des
Grundgesetzes gibt uns keine Handhabe, die Forschung
an Stammzelllinien zu verbieten, für die Embryonen in
der Vergangenheit bereits getötet worden sind. Und das
noch an den Kollegen Wodarg: Hier geht es nicht um den
Unterschied zwischen In- und Ausland, sondern um den
Unterschied zwischen Vergangenheit, Heute und Zukunft.
({3})
Allerdings ist es uns möglich, rigide Begrenzungen für die
Verwendung dieser Stammzelllinien durchzusetzen. Deshalb appelliere ich an Sie: Lassen Sie uns gemeinsam
diese Regeln bestimmen, anstatt uns in Rechtsstreitigkeiten mit ungewissem Ausgang zu begeben, die uns bei einem einfachen Nein zum Import gewisslich drohen.
Aber selbst dann, wenn das rechtliche Argument schlagend sein sollte, entbindet es mich nicht von der Frage
nach der moralischen Legitimität dieses Vorgehens.
Ich will keine verbrauchende Embryonenforschung
und ich will, dass sich der Bundestag heute dazu bekennt,
auch künftig nicht damit zu beginnen. Dieses Ziel wird
nicht verletzt, wenn an Stammzelllinien gearbeitet wird,
zu deren Herstellung Embryonen verwendet werden können, deren Tötung nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Im Gegenteil: Dieses Ziel kann vielleicht eher
dadurch erreicht werden, dass wir die vergleichende
Grundlagenforschung in engen Grenzen ermöglichen, sodass künftig keine Arbeit mehr mit embryonalen Stammzelllinien erforderlich ist. Im Lichte einer solchen Erwartung macht diese Ausnahmeregelung Sinn.
Wir nehmen damit diejenigen Forscher beim Wort, die
uns die Absicht zur begrenzten Grundlagenforschung versichern. Im Verlauf der Debatte um die embryonale
Stammzellenforschung hat es im Verhältnis zwischen
Wissenschaft und Politik - um es vorsichtig zu formulieren - manche Irritation gegeben. Die Forschung erwartet
von uns, der Gesellschaft, zu Recht Vertrauen und auch
die Anerkennung ihrer guten Absichten. Umgekehrt aber
erwarten wir von der Forschung, dass sie die Regeln unserer Gesellschaft auch dann akzeptiert, wenn sie ihr
Grenzen setzen. Sie muss sich auch der historischen Erfahrung stellen, dass die gute Absicht allein noch nicht
ethische Abwege der Forschung verhindert hat.
Unser Antrag will eine Brücke zwischen den verschiedenen Interessen bauen und sucht nach einem praktikablen Weg auf einem soliden ethischen Fundament.
Dieses Angebot vertraut darauf, dass es nicht gewollt
missverstanden wird. Es handelt sich hier eben nicht um
einen ersten Schritt zum Abschied von hinderlichen ethischen Rücksichtnahmen. In diesem Sinne ist unser Antrag
auch ein Vertrauensvorschuss und wir setzen darauf, dass
unser Vertrauen nicht enttäuscht wird.
Die Debatte hat bislang die unterschiedlichen Positionen strikt gegeneinander gesetzt. Vorhin hat dies jemand
in der Forderung zusammengefasst: Man kann nur Ja oder
Nein sagen. Deswegen schien es oft so, als sei eine Verständigung nicht möglich, ja, als gelte sie den Beteiligten
als Verrat an der eigenen moralischen Position. Aber in einer pluralistischen Gesellschaft haben Konsense gerade
Andrea Fischer ({4})
in moralischen Fragen ihren eigenen Wert. Einen Dissens
in der Renten- oder Finanzpolitik muss ich als Demokratin immer hinnehmen. Aber bei der Verständigung über
die moralischen Regeln unseres Zusammenlebens kann
eine schlichte Mehrheitsentscheidung die Gefühle der
Unterlegenen in schwerer Weise verletzen. Doch wir alle
sollten uns auch nach der heutigen Entscheidung noch
hier zu Hause fühlen können. Deshalb werbe ich heute um
eine große Zustimmung zu unserem Antrag.
({5})
Ich erteile dem Kollegen Peter Hintze das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Wenn wir hier in diesem
Hause die Frage stellen, ob die Wissenschaft in Deutschland in der Lage und bereit ist, mit diesen Fragen mit einem hohen Maß an ethischer Verantwortung umzugehen,
so möchte ich doch in dieser Debatte feststellen, dass die
Wissenschaft in Deutschland in den letzten Monaten bereits dadurch ein hohes Maß an Verantwortung bewiesen
hat, dass sie aus freier Entscheidung die eigenen für wichtig gehaltenen Forschungsvorhaben zurückgestellt hat,
obwohl die rechtliche Möglichkeit dazu unbestritten besteht, und gesagt hat: Wir als Wissenschaftler in Deutschland verpflichten uns, die Meinungsbildung im Deutschen
Bundestag abzuwarten, und versetzen uns selbst auch
ohne Rechtsgrund in die Lage, den ethischen Konsens abzuwarten, bevor wir das, was wir als richtig erkennen, tun.
Ich finde deswegen, dass die Forschung in Deutschland
unseren Rückhalt und unser Wort verdient hat.
({0})
Diese Debatte geht um die Frage, wie wir der Menschenwürde gerecht werden. Wir sind uns darüber einig,
dass die Menschenwürde die größte ethische, rechtliche
und kulturelle Errungenschaft unserer Zivilisation ist. Wir
sind uns auch darin einig, dass das menschliche Leben einen so hohen Stellenwert genießt, dass jeder ungerechtfertigte Eingriff in dieses Gut verboten ist. Darauf haben
uns nicht zuletzt die Kirchen hingewiesen.
Uns beschäftigt die Frage, ob der Mensch alles darf,
was er kann. Ich denke, wir können sie gemeinsam beantworten: Nein, er darf nur das, was er ethisch verantworten
kann.
({1})
Die Menschenwürde aber wird nicht nur durch aktives
Tun verletzt; sie kann auch durch Unterlassen verletzt
werden. Ich kann einen Menschen nicht nur durch eine
Fehlhandlung, sondern auch dadurch verletzen, dass ich
Leiden oder den abwendbaren Tod sehenden Auges hinnehme, obwohl ich Mittel zu seiner Bewahrung davor
habe.
({2})
Unser Ja zum Leben schließt ein Ja zur Heilung unseres
Gegenübers ein. Ich freue mich, dass Bischof Huber unsere
Debatte auf der Tribüne verfolgt. Wir diskutieren das auch
in unseren Kirchen. Für mich ist dieses Ja zum Leben zugleich Verpflichtung, auch Ja zur Heilung des Gegenübers
zu sagen. Dies ist eine zentrale Botschaft der Bibel.
({3})
Hier erhält die Stammzellforschung ihre ethische und für
die Christen auch religiöse Begründung.
Ich halte es für medizinisch und ethisch geboten, dass
wir uns an dieser menschenfreundlichen Basisinnovation
des 21. Jahrhunderts beteiligen. Wir müssen das natürlich
abwägend tun. Es gibt keine schwierigen ethischen Fragen,
die man abwägungslos beiseite schieben kann. Wie aber
lautet die Abwägung? Auf der einen Seite steht der ernst zu
nehmende und wichtige Schutz einer befruchteten Eizelle
in einer Petrischale außerhalb des menschlichen Körpers.
Die Ehrfurcht vor dem Leben gebietet es uns, mit dieser
biologischen Wurzel für individuelle Menschwerdung
ganz behutsam umzugehen. Auf der anderen Seite stehen
mögliche Heilungschancen für ganze Generationen.
Auch wenn die Debatte, was ich sehr gut finde, in einer ruhigen Atmosphäre stattfindet, so muss man doch die
Unterschiede herausarbeiten. Deshalb will ich eines
ernsthaft sagen: Die befruchteten Eizellen, um die es hier
geht, wurden im Rahmen der Reproduktionsmedizin gewonnen. Die Eltern haben sich aus Gründen, die lange vor
der Forschung liegen, entschieden, diese befruchtete Eizelle nicht einzupflanzen. Wer gibt uns eigentlich das ethische Recht, diesen Eltern den selbstlosen und großherzigen Schritt zu verweigern, diese befruchtete Eizelle zu
spenden, weil sie sagen, dass es ihrem Leben Trost und
Hoffnung gibt, wenn sie wissen, dass damit vielleicht vielen anderen Leben geholfen werden kann?
({4})
Dass das nicht ohne einen ethischen Konflikt gehen
kann, kennen wir aus der Debatte um das Transplantationsgesetz. Wir haben hier im Haus bewegende Reden
- auch von betroffenen Kollegen - gehört. Diese haben
sich, nachdem ein Familienangehöriger gestorben war, gefragt, ob sie dies oder jenes tun können, dürfen oder müssen. Der eine mag das so, der andere so entscheiden. Wenn
aber die Vorstellung in den Raum gestellt wird, die Alternative liege in der Entscheidung zwischen der Entfaltung
zu einer individuellen Person - lassen wir alle biologischen
Voraussetzungen einmal beiseite - und der Hilfe in der Forschung, so muss man sagen: Dies war schon gegen die Entfaltung der Person entschieden, noch bevor die Frage nach
einer möglichen Forschung überhaupt gestellt wurde.
({5})
Für mich ist daher die Abwägung zwischen dem Recht
künftiger Generationen auf Leben und Gesundheit und
unserer Verweigerung an diese Eltern, zu einer solchen
Spende Ja zu sagen, sehr wichtig.
Ich bin kein Verfassungsjurist; das weiß hier jeder.
Aber jeder, der sich damit beschäftigt hat, weiß, dass das
Andrea Fischer ({6})
Bundesverfassungsgericht die Frage des rechtlichen
Schutzes der befruchteten Eizelle in seinen Entscheidungen aus guten Gründen immer außen vor gelassen hat. Wir
kommen hier in Wertungswidersprüche hinein, die gar
nicht zu beschreiben sind.
Natürlich weiß ich, dass eine Kirche in unserem Lande
insgesamt gegen empfängnisverhütende Mittel und auch
gegen nidationshemmende Mittel wie die Spirale ist.
Dazu, was jährlich zu Hundertausenden von Abgängen
von befruchteten Eizellen führt, haben wir kaum einen
Ton gehört. Darüber haben wir nicht ein Dreivierteljahr
diskutiert; dazu regt sich keine Empörung. Jetzt aber, wo
es um zwei oder drei Stammzelllinien geht, was wirklich
Hilfe für Generationen von Menschen bedeuten kann,
kommt die große Empörung. Das empfinde ich als einen
quälenden Widerspruch.
({7})
Ein letzter Gedanke. Was haben wir vom Menschen gelernt? Neun Hochschullehrer, Professoren der Theologie,
haben es vorige Woche unseren beiden Kirchen gesagt:
Der Mensch ist doch mehr als sein Genom. Der Mensch
ist mehr als seine biologische Wurzel. Wir können das
ausführen: Der Mensch ist von Gott dazu berufen, Geschichte zu haben. Das hat ein behinderter Mensch, das
hat ein kranker Mensch und das hat ein Mensch, dem viele
Möglichkeiten nicht mehr zur Verfügung stehen. Dadurch
zählt er zur Gemeinschaft der Menschen.
Aber sollen wir deshalb keinen Unterschied mehr machen zwischen einem Menschen, der eine Geschichte hat,
und einer befruchteten Eizelle, die in einem Tiefkühlbehälter der Reproduktionsmedizin lagert? Wenn das alles gleichgesetzt wird, wenn hier an diesem Pult dauernd
vom Töten geredet wird, was müssen dann Menschen
denken, deren Angehörige zum Beispiel von Regimen
qualvoll getötet wurden?
({8})
Eine solche kategoriale Gleichsetzung wird unserem
Thema meiner Ansicht nach nicht gerecht.
({9})
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Deswegen
will ich unsere Forscher und auch Frau Flach, Frau Reiche,
Herrn Schäuble und all die anderen, die unseren Antrag unterstützt haben, eindeutig vor dem Vorwurf in Schutz nehmen, es gehe uns nicht um die Menschenwürde. Uns geht
es um die Menschenwürde, um den Respekt vor der Würde
des Menschen, der auch darin seinen Ausdruck findet, dass
wir unsere Kraft, unsere Fähigkeit und unseren Willen einsetzen, damit Menschen geholfen wird, denen es nicht so
gut geht und die nicht gesund sind, damit auch sie ein menschenwürdiges Leben führen können.
Ich danke Ihnen.
({10})
Ich erteile der Kollegin Monika Griefahn das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Politik muss Grenzen setzen und Forderungen stellen. Forschung dagegen impliziert, neugierig zu sein und
gleichzeitig die Hoffnung auf Hilfe für Kranke.
Es ist wichtig, dass wir die Neugier in uns Menschen
immer wieder weitertreiben und dass wir die Neugier befriedigen. Aber wie wir Kindern, die neugierig sind, Grenzen setzen und auch ihnen nicht alles erlauben, so ist es
bei der Forschung ab und zu wichtig, die Schwerpunkte in
eine Linie zu bringen.
Woher kommen denn die embryonalen Zellen, über die
wir uns hier unterhalten? Es sind Embryos, die aus der
künstlichen Befruchtung entstanden sind und übrig geblieben sind. Und warum brauchen wir künstliche Befruchtung? Weil immer mehr Menschen unfruchtbar werden. Sie alle, die Sie hier als Mann sitzen, sind
durchschnittlich nur noch halbe Männer.
({0})
Weil die durchschnittliche Anzahl an Samenzellen enorm
zurückgegangen ist - er lag ehedem bei 110 Millionen,
heute liegt er bei 55 Millionen -, haben heute weitaus mehr
Männer als früher Schwierigkeiten, selber Kinder zu zeugen.
Nur 6 Prozent der In-vitro-Fertilisationen sind erfolgreich. Das heißt, wir reden über die übrig gebliebenen
Stränge. Wenn wir darüber diskutieren, wie Schwerpunkte von Forschung zu setzen sind, dann kann ich nur
sagen: Ich will nicht vorwiegend die Reparaturtechnik,
sondern die Prävention fördern. Die Vielzahl von Chemikalien nämlich ist es, die dafür sorgt, dass die Fruchtbarkeit zerstört wird, dass Menschen krank werden, dass zum
Beispiel die Brustkrebsrate bei Frauen enorm gestiegen
ist. Zu nennen sind zum Beispiel die Organozinn-Verbindungen bei Schiffsanstrichen, aber auch das, was Sie alle
in Ihren Büros haben, nämlich die Drucker, insbesondere
die Laserdrucker, und die Kopierer. Aus diesen Geräten
strömen diese Verbindungen aus, die dann direkt ins Gewebe gelangen und krank machen. Da brauchen wir dringend Forschung, um unschädliche Chemikalien zu entwickeln; denn sie ist viel zu gering. Da brauchen wir
Aktivitäten und Schwerpunktsetzungen, auch auf europäischer Ebene. Ich hoffe, dass dadurch viel eher die Möglichkeit besteht, den Menschen präventiv zu helfen, als
wenn wir viel Luxus investieren. Es kostet Pfennige, die
Strassenkinder in Lateinamerika vor Krankheiten, vor
Blindheit zu bewahren. Auch das bekommen wir nicht
hin. Aber wir leisten uns eine Luxusdebatte über etwaige
Möglichkeiten von Reparaturtechnik.
Deshalb: Neugier ja, aber Grenzen stecken! Ich plädiere dafür, die Grenze so zu stecken, dass wir Importe
verbieten und das Geld schwerpunktmäßig für die
Prävention, das heißt für die Entwicklung von Stoffen
verwenden, die nicht krank machen.
Herzlichen Dank.
({1})
Ich erteile Kollegin
Angela Merkel das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Nach einer langen und aus
meiner Sicht außerordentlich verantwortungsvoll geführten breiten gesellschaftlichen Debatte, die sich gerade die
Mitglieder meiner Partei nicht leicht gemacht haben, stehen wir heute in diesem Parlament vor einer wichtigen,
grundsätzlichen Entscheidung
Ich sage an einem der Zwischenpunkte dieser Debatte
als Vorsitzende der Christlich Demokratischen Union: Jedem, den ich in meiner Partei kenne, geht es um die
Würde des Menschen. Jedem geht es um eine verantwortbare Entscheidung, und zwar eine ethisch-verantwortbare
Entscheidung an einer neuen Wegmarke. Immer wieder
haben wir Menschen angesichts neuer wissenschaftlicher
Erkenntnisse vor solchen Wegmarken gestanden. Immer
wieder war es nötig, Grenzen zu ziehen, Erlaubnisse zu
geben und Erkenntnisse neu zu bewerten. Immer wieder
hat dies gegenseitigen Respekt von uns verlangt.
Deshalb wird die Antwort, die die Mehrheit dieses
Hauses heute findet, auch eine Antwort auf unser Bild
vom Menschen sein. Sie wird aber auch eine Antwort
sein, die unser Verständnis von Forschung und von den
Grenzen der Forschung widerspiegelt.
Dass wir diese Debatte heute führen, beruht darauf,
dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft Anträge zu
dem Import von Stammzellen zu bescheiden hat - Anträge, die sich mit einer Situation außerhalb unseres Landes befassen, die die Existenz solcher Stammzellen bereits impliziert.
Wir haben in dieser Debatte - das ist heute schon gesagt worden - eine wichtige Erfahrung gemacht: Die
Deutsche Forschungsgemeinschaft hat sich nicht einfach
darauf berufen, dass ein rechtlich nicht geregelter Bereich
durch Handeln ausgefüllt werden kann, sondern sie war
bereit, die Debatte in diesem Parlament abzuwarten, um
hierüber auch zu einem allgemeinen gesellschaftlichen
Konsens zu kommen. Ich halte das für eine sehr wichtige
Demokratieerfahrung.
({0})
Das, was wir hier heute zu bescheiden haben, ist im
Embryonenschutzgesetz nicht geregelt. Es ist darin deshalb nicht geregelt, weil wir zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Embryonenschutzgesetzes von diesen
neuen Möglichkeiten noch gar keine Vorstellungen hatten. Dies zeigt, mit welcher Dynamik menschliche Erkenntnis voranschreitet, und zeigt auch, dass es mit Sicherheit nicht die letzte Debatte gewesen ist. Aber ich
glaube, jeder von uns weiß, dass das, was wir heute zu
entscheiden haben, auf einer Rechtslücke beruht, die den
Geist des Embryonenschutzgesetzes nicht etwa außer
Kraft setzt, sondern ihn bei der Entscheidung, die wir zu
treffen haben, wieder von uns einfordert.
Deshalb gibt es für mich auch keinerlei Abstriche bei
der Aussage zu machen, dass menschliches Leben mit der
Verschmelzung von Ei und Samenzelle beginnt. Dies
bleibt für mich der Fixpunkt der gesamten Debatte. Deshalb darf es auf gar keinen Fall eine Erzeugung von Embryonen zum Zwecke der Forschung oder eine verbrauchende Embryonenforschung geben.
Die Sorge, die viele hier umtreibt - egal, zu welcher
Antwort sie am Schluss kommen -, besteht doch darin,
dass aus den Möglichkeiten der Forschung mit embryonalen Stammzellen implizit ein Druck erwächst, solche
embryonalen Stammzellen aus reinen Nützlichkeitserwägungen heraus zu erzeugen.
Dennoch warne ich davor, diejenigen, die sich für eine
Forschung an embryonalen Stammzellen unter bestimmten Grenzsetzungen aussprechen, sozusagen als die Erfüllungsgehilfen einer wissenschaftlichen Innensicht zu
betrachten, und andere, die diese wissenschaftliche Innensicht nicht teilen, wiederum als diejenigen, die den
ethischen Prinzipien verpflichtet sind.
({1})
Gute Wissenschaft kann von Ethik nicht getrennt werden.
Beides bildet eine Einheit; das muss auch so sein. Das ist
meine Anforderung an die Wissenschaft.
Natürlich gehen die Meinung und das Wissen der Forscher in unsere Erkenntnisbildung und Entscheidungsfindung mit ein. Wir wissen, dass es nicht nur im Bereich der
embryonalen Stammzellen, sondern zum Beispiel auch
der adulten Stammzellen ungeahnte Forschungsmöglichkeiten gibt. Meiner Ansicht nach muss die Forschung an
adulten Stammzellen absoluten Vorrang vor allen anderen Forschungen haben.
({2})
Deshalb geht es bei dem Beschluss, den wir heute fassen
werden, nicht nur um die Frage, ob der Import von embryonalen Stammzellen zu bejahen oder zu verneinen ist,
sondern auch um die Frage der neuen, grundsätzlichen
Ausrichtung unserer zukünftigen Forschungspolitik, die
- was die Forschung an adulten Stammzellen betrifft - aus
meiner Sicht längst nicht die notwendigen Schwerpunkte
setzt, wie sie in Zukunft zu setzen sind. Das muss eine
Folge unserer heutigen Debatte sein.
({3})
Meine Damen und Herren, es geht also um die Chancen und Möglichkeiten von Forschung, aber vor allen
Dingen darum, alles zu tun, um außerhalb Deutschlands
- innerhalb natürlich sowieso - den Druck zu nehmen,
dass Embryonen aus Nützlichkeitserwägungen erzeugt,
verbraucht und gebraucht werden und daraus völlig neue
Maßstäbe entstehen würden. Deshalb plädiere ich für den
Antrag, der Folgendes vorsieht: keine verbrauchende
Embryonenforschung und ein grundsätzliches Verbot des
Imports, der nur unter strengen Voraussetzungen zugelassen werden soll.
Wie schön wäre es, wie bereits einige heute festgestellt
haben, wenn man eine so komplizierte Frage mit einem
einfachen Ja oder Nein beantworten könnte.
({4})
Ich stelle für mich persönlich fest: Ich kann es leider nicht.
Wir leben schließlich in einer realen Welt, in der bereits
embryonale Stammzellen existieren, und wir wissen, dass
man mit ihnen forschen kann und dass die Tötung der Embryonen unter bestimmten Bedingungen, die wir in unserem Antrag sehr deutlich klassifiziert haben, in einem völlig anderen Zusammenhang bereits stattgefunden hat.
Deshalb meinen wir, dass ein Stichtag festgelegt werden
muss, bis zu dem die embryonalen Stammzellen erzeugt
wurden und von dem ab wir - weil uns neue Erkenntnisse
vorliegen - alles tun, um den Druck zu nehmen, weiter
embryonale Stammzelllinien herzustellen. Wir nehmen
aber die Welt so zur Kenntnis, dass wir meinen: Wenn es
diese Stammzellen gibt und wir diese Grenzen ziehen,
dann sollten wir - weil wir in Deutschland die Therapien
einsetzen werden - uns nicht davor verschließen, unter
diesen strengen Grenzziehungen auch den Import dieser
Stammzellen zu akzeptieren.
Meine Damen und Herren, meine Entscheidung
kommt dadurch zustande, dass wir meiner Meinung nach
in einer Gesamtwelt leben und nicht für uns allein in einem Land. Das entbindet uns natürlich nicht der Aufgabe,
unsere eigenständigen Entscheidungen zu fällen. Das haben wir in Deutschland mit dem Embryonenschutzgesetz und mit unserem Verständnis des Menschen auch
eindeutig getan.
Ich meine aber auch, dass wir, wenn wir unsere Wertmaßstäbe in dieser Welt erhalten wollen, mehr tun müssen, um in Zukunft auf die internationalen Maßstäbe Einfluss zu nehmen. Um dies zu können, müssen wir
sicherstellen, dass kein falscher Druck zur Erzeugung von
Embryonen entsteht. Wir müssen aber auch sicherstellen,
dass internationale rechtliche Regelungen getroffen
werden, die dies für alle bindend festlegen. Deshalb ist
Politik in diesem Sinne meines Erachtens nicht auf nationales Handeln beschränkt.
Ich sage ganz deutlich: Mich beschwert es, dass
Deutschland noch immer nicht die Bioethik-Konvention
unterzeichnet hat.
({5})
Wir drücken uns vor Entscheidungen und werden dadurch
immer wieder mit Situationen konfrontiert werden, in denen wissenschaftliche Erkenntnisse schneller greifen, als
wir Grenzen gesetzt haben. Das darf und sollte uns in Zukunft nicht so häufig passieren. Deshalb stimme ich für
den Antrag so, wie ich es begründet habe.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich erteile dem Kollegen Jochen Borchert das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte heute wie schon
die Debatte der vergangenen Monate zeigt, um welch
grundsätzliche Fragen es hierbei geht und wie schwierig
die Frage zu beantworten ist, was der Mensch darf und wo
ethische Grenzen sind. Es geht um die Frage: Wann beginnt menschliches Leben? Gibt es eine Zäsur in der Entwicklung des individuellen menschlichen Lebens, die so
eindeutig ist, dass man sagen kann: „Davor gibt es keinen
Lebensschutz, danach gibt es einen uneingeschränkten
Lebensschutz.“?
Nach meinem christlichen Verständnis vom Menschen
beginnt menschliches Leben mit der Verschmelzung von
Ei und Samenzelle. Von da an gilt der uneingeschränkte
Lebensschutz. Von da an gilt die Unantastbarkeit der
Würde des Menschen. Wenn man den Beginn des Lebens
an andere Kriterien wie Entwicklung oder Nidation bindet, dann kommen wir dahin, dass sich die Frage stellt: Ist
die Würde des Menschen nur dann unantastbar, wenn der
Mensch zur Selbstachtung fähig ist? Wenn wir diese
Grenze aufgeben, dann, so glaube ich, werden alle anderen Grenzen willkürlich sein.
Der uneingeschränkte Lebensschutz, die Schutzwürdigkeit auch des Embryos verbieten es, den Embryo für
die Gewinnung von Stammzellen zu töten, und verbieten
eine verbrauchende Embryonenforschung. Bis hierher
stimme ich und stimmen die anderen Unterzeichner des
Antrags gegen einen Import von Stammzelllinien auch
mit dem Konsensantrag überein.
Wenn ich eine verbrauchende Embryonenforschung in
Deutschland ablehne, dann ist es für mich auch nicht vertretbar, Stammzellen zu importieren, die aus der Vernichtung von Embryonen gewonnen worden sind. Jede noch
so eng definierte Importerlaubnis wird die Tür zu weiteren Ausnahmen öffnen. Hier ist schon die Frage angeklungen: Was spricht dagegen, nach einiger Zeit, wenn die
existierenden Stammzellen für die wissenschaftliche Forschung nicht ausreichen, zu sagen: „Es gibt neue Stammzelllinien, für die Embryonen bereits vernichtet worden
sind“, und die Tür für den Import weiterer Stammzelllinien zu öffnen? Wenn wir den ersten Schritt tun, dann
- da bin ich ganz sicher - werden weitere Schritte folgen
und wir werden die Tür nicht wieder schließen können.
Dies wäre eine Entwicklung, die ich ethisch nicht verantworten könnte.
({0})
Von den Befürwortern einer weiter gehenden Embryonenforschung auch hier in Deutschland werden immer
zwei Argumente ins Feld geführt. Es wird gesagt, ein Verbot der Forschung an embryonalen Stammzellen gefährde
den Forschungsstandort Deutschland, und es wird auf die
mit der Forschung verbundene Hoffnung auf zukünftige
Heilungsmöglichkeiten verwiesen. Ein Verbot des ImDr. Angela Merkel
ports embryonaler Stammzellen bedeutet jedoch nicht den
Verzicht auf Stammzellforschung.
({1})
Vielmehr haben wir die Wahl zwischen einer Forschung
an embryonalen Stammzellen mit großen ethischen Problemen, mit ethischen Fragen, die diesen Weg für mich
nicht gangbar machen, und einer ethisch unbedenklichen
Forschung an adulten Stammzellen. Hierbei geht es
doch um die Grenzen einer ethisch verantwortbaren Forschung. Deshalb sagen wir Ja zu einer Forschung an adulten Stammzellen und fordern wir eine sehr viel intensivere
und stärkere Forschung auf diesem Gebiet.
Mit der Stammzellforschung verbinden sich Hoffnungen
auf die Entwicklung von Heilverfahren für bisher nicht zu
heilende Krankheiten. Diese Hoffnungen lassen sich nach
Ansicht einiger nur oder schneller mit embryonalen Stammzellen realisieren. Aber rechtfertigt die Hoffnung auf mögliche Heilung die Tötung menschlichen Lebens? Können wir
hier abwägen zwischen dem Lebensrecht des Embryos und
einer Hoffnung auf Heilung, von der wir nicht wissen, ob sie
zu realisieren ist und ob sie nur auf diesem Wege zu realisieren ist? Ist es vertretbar, zu sagen, je intensiver die Heilungshoffnung sei, desto stärker dürften wir die Unantastbarkeit der Würde des Menschen in einem frühen Stadium
infrage stellen? Nach meinem Dafürhalten lässt sich die verbrauchende Embryonenforschung nicht mit der mehr oder
weniger fundierten Hoffnung auf Heilung rechtfertigen.
({2})
Eine Ethik, die eine verbrauchende Embryonenforschung in Deutschland ablehnt, muss auch einen wie immer begrenzten Import von Stammzellen ablehnen. Wie
bereits mehrfach angeklungen ist, geht es hier um ein Ja
oder Nein zu einer verbrauchenden Embryonenforschung. Eine Erlaubnis zum begrenzten Import von
Stammzellen öffnete hier eine Tür, die wir auf Dauer nicht
wieder schließen könnten. Deswegen stehen wir heute vor
der entscheidenden Frage, ob wir zu einem Import embryonaler Stammzellen Nein sagen, wie es der Geist des
Embryonenschutzgesetzes vorsieht, oder ob wir die Tür
zu einer verbrauchenden Embryonenforschung auch in
Deutschland öffnen, was uns auf einen Weg führte, den
wir Schritt für Schritt immer weiter gehen müssten. Ich
plädiere dafür, im Hinblick auf eine embryonale Stammzellenforschung in Deutschland beim Nein zu bleiben.
Danke.
({3})
Ich erteile dem Kollegen Gerhard Schröder das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein gutes Zeichen für den Zustand
der politischen Kultur in Deutschland, dass die Debatte,
die wir heute hier führen, in der Öffentlichkeit so breit, so
intensiv und gelegentlich auch durchaus leidenschaftlich
geführt worden ist. Wir sollten auch in Zukunft darauf
achten, zu vermeiden, dass diejenigen, die prinzipiell gegen jede Form der Forschung an embryonalen Stammzellen und infolgedessen auch gegen ihre Einfuhr sind, den
„Knüppel“ der unterlassenen Hilfeleistung zu spüren bekommen und die anderen, die diese Forschung generell
oder unter restriktiven Bedingungen bejahen, als Antwort
darauf mit dem Etikett der ethischen Verantwortungslosigkeit oder gar des verfassungswidrigen Handelns belegt
werden. Wir haben dies in der Vergangenheit vermieden
und sollten es auch in Zukunft vermeiden.
({0})
Für diejenigen, die sich nicht jeden Tag mit diesen Fragen beschäftigen können oder wollen, möchte ich das,
worüber heute zu entscheiden ist, präzise bestimmen: Vor
dem Hintergrund einer breiten öffentlichen Diskussion
haben wir über die Frage zu entscheiden, ob wir den
Import von embryonalen Stammzellen, den das heute
geltende Embryonenschutzgesetz erlaubt, verbieten wollen oder ob wir auch in deutschen Labors und Universitäten Forschung an ebendiesen embryonalen Stammzellen
ermöglichen wollen, wie es in den Vereinigten Staaten, in
Israel und Australien, aber auch - das ist besonders wichtig - in mehr und mehr europäischen Ländern selbstverständlich geschieht, da man sich von dieser Forschung erhoffen darf - mehr ist es zunächst nicht -, dass sie neue
Medikamente und Heilverfahren für bislang unheilbare
Krankheiten hervorbringt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach meiner
Auffassung wären ein totales Importverbot für embryonale Stammzellen und als Konsequenz dessen ein totales
Forschungsverbot nicht nur unangemessen, sondern auch
verfassungsrechtlich problematisch.
({1})
Stammzellen, aus denen sich kein vollständiger Organismus mehr entwickeln kann, genießen - das ist meine persönliche Meinung - keinen Grundrechtsschutz. Sehr wohl
aber genießt die Freiheit von Wissenschaft und Forschung Grundrechtsschutz. Wir alle täten gut daran, dieses Grundrecht zu verteidigen.
Vor diesem Hintergrund bitte ich darum - das haben hier
auch schon andere ausgeführt -, dass wir uns gemeinsam
dagegen verwahren, dass Medizinern und Biologen dunkle
Motive wie etwa Profitgier oder Geltungssucht unterstellt
werden, nur weil sie sich der Erforschung embryonaler
Stammzellen widmen oder sich für diese Forschung aussprechen. In dieser Debatte muss klar werden: Diese Wissenschaftler haben ihre Forschungstätigkeit in den Dienst
ihrer Mitmenschen gestellt. Sie haben sich damit einer
großartigen Aufgabe verschrieben. Sie wollen anderen helfen, sie wollen Schmerzen lindern und Krankheiten heilen.
Ich finde, dafür haben sie Anerkennung verdient.
({2})
Frau Merkel, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, wenn
Sie darauf hinweisen, dass auch die DFG Anerkennung
verdient - in diese Anerkennung schließe ich auch Herrn
Professor Brüstle ein, über den so viel geschrieben und
geredet worden ist -, denn Wissenschaftler haben in den
vergangenen Monaten darauf verzichtet, von einem
Recht, das ihnen ausdrücklich zusteht und das wir nicht
eingeschränkt hatten, Gebrauch zu machen, um ihre Forschungen schon jetzt zu ermöglichen. Ich werte das als einen Beweis für den sehr verantwortungsvollen Umgang
deutscher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit
ebendiesem Problem.
({3})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich werde heute
für den Gruppenantrag von Frau Böhmer, Frau von
Renesse und anderen stimmen, trotz einiger Bedenken,
die auch ich habe, trotz einiger meiner Auffassung nach
ernst zu nehmender Argumente, die ich von denen, die für
ein weniger eingeschränktes Ja eintreten, gehört habe. In
der jetzigen Situation und vor dem Hintergrund der breiten öffentlichen Debatte schafft dieser Antrag keine
gegenüber dem geltenden Embryonenschutzgesetz prinzipiell neue Rechtslage, aber er kann ein Stück Rechtssicherheit und ein Stück Klarheit vermitteln helfen.
Die Anforderungen an den Import embryonaler
Stammzellen sind in diesem Antrag präzise und sehr umfassend geregelt. Ich glaube, dass damit die Forschungsmöglichkeiten, die man neben der Forschung an adulten
Stammzellen braucht, vielleicht nicht in optimaler Weise
für die Forscher, aber in vertretbarer Weise für die Gesellschaft geregelt werden. Zudem beschreiten wir, falls
wir diesen Antrag beschließen, keinen Sonderweg für
Deutschland. Wir gehen längst nicht über die Praxis in anderen Staaten hinaus, aber - das ist für mich entscheidend wir koppeln uns eben auch nicht von den internationalen
Forschungsstandards ab.
Für diejenigen, die prinzipiell dagegen sind, könnte
vielleicht folgendes Argument ein wenig Überzeugungskraft entwickeln: Nur auf der Basis dieses vermittelnden
Antrags haben wir eine Chance, uns über unsere nationalen Regelungen hinaus auch in der internationalen
Forschungspolitik Mitsprachemöglichkeiten zu sichern
- auf andere Weise würde es außerordentlich schwer werden, das zu tun -, um auf diese Weise ein Problem, das
nicht allein im nationalen Maßstab zu regeln ist, im internationalen Maßstab vielleicht in stärkerem Maße gemäß
unseren Vorstellungen von verantwortungsbewusster Forschung zu regeln, als das - das muss man einräumen - in
anderen Ländern der Fall ist.
Natürlich rühren die Fragen, die wir hier zu beantworten haben, an Grundfragen des menschlichen Lebens und
Zusammenlebens. Das wurde hier bereits gesagt. All diejenigen, die es sich schwer gemacht haben - das gilt für
jeden von uns, denke ich - und die sagen, die einfache
Antwort Ja oder Nein ist keine angemessene, keine mir
mögliche Antwort, haben Recht. Befürworter und Gegner
der Stammzellenforschung - auch das ist wichtig - unterscheiden sich nicht nach den üblichen Kriterien, nach
rechts oder links, die in der politischen Debatte gelten,
übrigens auch nicht nach Konfessionszugehörigkeit. Das
sind Fragen, die der Einzelne für sich und in seiner Verantwortung für die Erfüllung des Auftrags, den er vom
Volk bekommen hat, beantworten muss.
Mir ist wichtig, dass Folgendes ausgedrückt wird: Es
ist klar, dass die Entscheidung pro Forschung an embryonalen Stammzellen keine Entscheidung gegen Forschung
an adulten Stammzellen ist, sein kann und sein darf.
({4})
Im Gegenteil: Das, was wir da in der Vergangenheit geleistet haben - ich erinnere auch an das, was wir an Unterstützung mobilisiert haben -, ist wichtig und richtig
und muss weitergeführt werden. Ich denke, darüber gibt
es Übereinstimmung.
Ich nenne ein letztes Argument, das nicht neu ist und
das hier schon angeführt worden ist, das ich aber unterstreichen will - mich jedenfalls hat es immer beschäftigt -:
Wie geht man, wenn man zu einem prinzipiellen Nein
kommt, ehrlich mit der Tatsache um - Frau von Renesse
hat sie eingangs ihrer Rede beeindruckend dargestellt -,
dass Therapien oder Medikamente, die durch Forschung
an embryonalen Stammzellen in anderen Ländern
verantwortungsbewusst - es geht jetzt nicht um diejenigen, die das anders machen - entwickelt worden sind, hier
natürlich, selbstverständlich benutzt werden? Ich rede
jetzt nicht nur über den rechtlichen Regelungskatalog, der
das gebietet, sondern auch über die Verantwortung, die jeder Arzt, aber auch jeder, der Hilfe leistet, verspüren wird.
Wie geht man dann damit um? Auf diese Frage, glaube
ich, wissen diejenigen, die prinzipiell Nein sagen, keine
- jedenfalls für mich befriedigende - Antwort. Ich habe in
der Diskussion auch keine gehört.
Ich ziehe folgendes Fazit: Der vorliegende Gruppenantrag, den ich erwähnt habe, bewältigt, glaube ich, in
sehr adäquater Weise auf der einen Seite den Abwägungsprozess, von dem hier zu Recht die Rede gewesen
ist; auf der anderen Seite setzt er nationale Grenzen, er
eröffnet uns Möglichkeiten des Einflusses auf die internationale Forschungspolitik und er macht zudem das
möglich, was forschungspolitisch und auch vor dem Hintergrund des Heilenwollens in unserem Land geboten ist.
Das ist der Grund, warum ich Sie bitte, diesem Antrag zuzustimmen.
({5})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, auf der Tribüne hat soeben die Präsidentin
des schwedischen Parlaments, Dahl, mit ihrer Delegation
Platz genommen. Wir begrüßen Sie sehr herzlich.
({0})
Wir hoffen, dass Sie einen aufschlussreichen Einblick
in unsere parlamentarische Arbeit bekommen. Sie nehGerhard Schröder
men heute ja an einer besonders wichtigen Debatte des
Bundestages teil. Für Ihren Aufenthalt hier bei uns, in unserem Lande und für Ihr weiteres Wirken begleiten Sie
unsere besten Wünsche.
({1})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Edzard SchmidtJortzig.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr
Kollege Schröder, ich komme mit ganz ähnlichen Argumenten wie Sie zur Befürwortung des Gruppenantrags
Flach/Reiche/Hintze/Gerhardt.
Ich möchte mit meiner Argumentation bei dem einsetzen, was schon Frau von Renesse am Anfang gesagt hat.
Ich möchte nämlich darauf hinweisen - das scheint mir
auch und gerade bei einer so emotionalen und sensiblen
Frage wie der, die wir heute behandeln, wichtig zu sein -,
dass es nicht darum geht, zu fragen, was wir denn zulassen, sondern darum, was wir verbieten sollen oder dürfen.
In unserem Verständnis von Gemeinwesen, von Rechtsordnung und von politischer Verfassung ist nämlich, jedenfalls staatlich - alles andere ist eine Frage der ganz
persönlichen Moral und Ethik -, alles zu tun erlaubt, solange es nicht verboten ist. Umgekehrt gilt nicht plötzlich,
dass nur zugelassen sei, was hoheitlich ausdrücklich gestattet werde. Wir leben eben nicht in einem totalitären
Regime oder in einer Diktatur, sondern in einer freiheitlichen Staatsordnung. Ich möchte, dass das auch hier deutlich wird. Wir müssen also fragen: Was legitimiert, wenn
wir es aussprechen wollen, ein Verbot?
Gerade für ein Verbot und im Übrigen auch für entsprechende Einschränkungen gibt es - das bestreitet niemand - manche Argumente:
Da ist zum einen der Schutz des embryonalen Lebens. Für mich - das will ich für meinen Teil ganz deutlich machen - ist es nicht streitig, dass das menschliche
Leben mit der Verschmelzung der beiden Keimzellen und
damit sowohl sein verfassungsrechtlicher als auch sein
moralisch gebotener Schutz beginnen. Man kann wissenschaftlich sicherlich darüber streiten, ob man den Zeitpunkt noch früher ansetzen müsste. Nur, im Zusammenhang mit dem menschlichen Leben müssen
unterschiedliche Dinge gegeneinander abgewogen werden. Wir Christen wissen sehr gut - das sage ich besonders an Ihre Adresse, lieber Kollege Borchert, da Sie ganz
bewusst aus christlicher Sicht argumentiert haben -, dass
es mehr als die bloße physische Existenz gibt. Wir müssen in der Praxis ohnehin auf vielfältige Weise zwischen
Leben und Leben abwägen.
Ein anderes Argument für die Rechtfertigung des Verbots der verbrauchenden Embryonenforschung ist der
Schutz der Menschenwürde. Dazu möchte ich sagen:
Ich bezweifle sehr stark, dass die Blastozyste, also der
Frühzellverband, bereits ein würdefähiger Mensch ist. All
diejenigen, die schockiert sind, wenn man so etwas sagt,
rufe ich auf, sich um ein tieferes Verständnis der Dinge zu
bemühen. Es geht ja nicht darum, irgendwelche Behauptungen tapfer zu wiederholen. Es geht vielmehr darum,
herauszubekommen, zu erfühlen oder für sich zu entscheiden, was denn Würde im Kern wirklich bedeutet,
und die Frage zu beantworten, warum sie unter Gottes
Himmel nur dem Menschen und keinem anderen Geschöpf, erst recht keiner anderen Sache, keinem einzelnen
Organ und im Übrigen auch keiner totipotenten Zelle, zuerkannt wird. Ich sage auch dies in Richtung derjenigen,
die besonders aus christlicher Sicht argumentieren. Emsige Dogmaverkündigung ersetzt jedenfalls nicht Überzeugungskraft.
({0})
Es geht also darum, abzuwägen, inwieweit die Schutzund Förderungsbelange des einen Guts bzw. Handlungsziels zugunsten der des anderen zurückgedrängt werden
können. Das gilt auch für die empfindliche Stelle, über die
wir jetzt diskutieren, nämlich wenn es um den Import embryonaler Stammzellen und die Forschung an ihnen geht.
Das müssten doch auch diejenigen - darauf ist schon hingewiesen worden - spüren, die vehement für ein absolutes Verbot streiten. Mir ist jedenfalls nie klar geworden,
wie man seinerzeit für eine - wie auch immer konditionierte - Regelung des Schwangerschaftsabbruchs sein
konnte und jetzt vehement für ein striktes Verbot der
Stammzellenforschung eintreten kann.
({1})
Bei dem von mir skizzierten Abwägungsprozess - um
ihn kommen wir nicht herum; ich glaube, dass Roman
Herzog völlig Recht hat, wenn er vor absoluten Verboten
warnt, weil diese das Ende jeder Argumentation seien mag man je nach subjektiver Gewichtung der Vektoren
und je nach weltanschaulicher bzw. religiöser Grundausrichtung zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Das
ist klar. Deshalb habe ich die größte Achtung vor der Entscheidung derjenigen Kollegen, die eine andere Position
vertreten. Ich jedenfalls kann an der Verwendung frühester, noch gänzlich individuumsferner Zellsubstanzen für
hochwertige, ernsthafte Ziele nichts per se Verwerfliches
erkennen.
({2})
Es geht ja nicht um Ausforschung um der Ausforschung willen, nicht um die Entschlüsselung irgendwelcher Geheimnisse um der Neugier willen, sondern um das
Vorankommen der Forschung auf medizinisch-therapeutischem Feld. Von der Ethik des Heilens ist bereits gesprochen worden. Auch darüber müssen wir uns ernsthaft
Gedanken machen. Es sollen überhaupt nur - die Terminologie wirkt hier zugegebenermaßen etwas gewalttätig so genannte überzählige oder verwaiste Embryonen für
Forschungszwecke herangezogen werden, die sonst, wie
es einmal von einem hoch gestellten Juristen formuliert
worden ist, in das ewige Eis verbannt sind, also keine Perspektive auf wirkliche Individualität und Menschenwürde
haben. Sie, Herr Hintze, haben ja auch schon darauf hingewiesen.
Präsident Wolfgang Thierse
Deshalb entscheide ich mich - ich bin dankbar, das hier
einmal deutlich und klar dartun zu können - für ein konditioniertes Freihalten entsprechender Forschung, für
einen möglichen Fortschritt. Dieser Fortschritt ist nur
möglich. Niemand verspricht ihn fest. Aber eine solche
Perspektive ist auf dem medizinisch-therapeutischen
Feld vorhanden. Wichtige Elemente dieser Freihaltung
der Forschung, die in dem entsprechenden Antrag der
Kollegin Flach und anderen enthalten sind, sind die strikte
Begründungsnotwendigkeit, die Meldeauflage, die Institutionenlizenz etc.
Ich glaube, dass nur der Weg einer verantwortlichen,
freien Forschung unserem zivilisatorischen Vorankommensanspruch, unserem Verbesserungsanspruch und unserem Anspruch, nicht stehen bleiben zu wollen, gerecht
werden kann. Wenn man davon nicht überzeugt ist, sollte
man bei dieser Gewissensfrage nicht so votieren.
Herzlichen Dank.
({3})
Ich erteile dem Kollegen Ernst Ulrich von Weizsäcker das Wort.
Herr Präsident! Frau Dahl! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sehe alle drei Anträge als ethisch gut begründet
und motiviert an. Es ist niemandem, der sich einem der
Anträge angeschlossen hat, vorzuwerfen, sich die Frage
ethisch leicht gemacht oder sich gar aus niederen Motiven
entschieden zu haben.
({0})
Ich gestatte mir, insbesondere für den Antrag, der den
Namen von Margot von Renesse trägt, diese positive Einschätzung zum Ausdruck zu bringen. Anfangs war ich
durchaus in der Versuchung, mich dieser Initiative
anzuschließen. Doch was hat mich dazu gebracht, mich
schließlich gegen eine Importerlaubnis auszusprechen?
Mich hat einiges an der medizinischen Argumentation
bei Befürwortern des Imports, nicht zuletzt in der Wissenschaftlergemeinde, gestört.
({1})
Da spricht man, oft mit Fotos von bedauernswerten
Kranken unterlegt, von Heilungschancen bekannter
Krankheiten. Oft wird der Mund ziemlich voll genommen. Dabei sind die nahe liegenden Heilungschancen
heute ausschließlich bei ausgereiften adulten Stammzellen zu suchen,
({2})
zumal man bei der Übertragung von embryonalen Stammzellen ein echtes Tumorrisiko eingeht, weswegen dies
heute auch kein Arzt tun würde.
Der Vorzug der embryonalen Stammzellen ist, zumindest heute, ein rein wissenschaftlicher. Mit ihnen können
bestimmte Fragen der Zelldifferenzierung und deren
Steuerung besser untersucht werden. In Zukunft können
hieraus auch Heilungschancen erwachsen. Aber diese
Grundlagenforschung lässt sich mit embryonalen Stammzellen von Primaten, zum Beispiel Weißbüscheläffchen,
({3})
größtenteils genauso gut durchführen.
({4})
- Hier gibt es in der Tat kein Importproblem.
({5})
Sollte sich nach Jahren der Grundlagenforschung im
In- und Ausland ein starker Hinweis auf eine verbesserte
Chance auf Heilung bestimmter Krankheiten ergeben,
dann wäre ich bereit, meine derzeitige Haltung zu revidieren und im Sinne des Antrags von Renesse eine sehr
vorsichtige Öffnung der Forschung an vorhandenen, ansonsten todgeweihten embryonalen Stammzellen zuzulassen. Wenn die Heilungschancen konkretisiert sind,
würde ich dieser Argumentation zustimmen.
Tut man dies aber beim heutigen Stand der Erkenntnisse, also bereits auf vagen Verdacht hin, dann ist nach
meiner Befürchtung eine ethische Rutschpartie programmiert.
({6})
Einen vagen Verdacht späterer medizinischer Nützlichkeit kann ein ehrgeiziges Forscherteam eigentlich immer
konstruieren.
Ich höre den Einwand, dass die Wissenschaft in
Deutschland verkümmere, wenn man im Ausland etwas
darf, was hierzulande verboten ist. Gut - das Argument
„Wissenschaftsstandort Deutschland“ ist für mich das
seriöseste von denen, die für den Stammzellenimport
sprechen. Nicht etwa, weil die Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen eine so zentrale Stellung einnähme, sondern weil die Debatte der letzten Monate sie zu einem Symbolfall der Forschungsfreiheit
hochstilisiert hat.
Mein Einwand bleibt aber, dass es Tausende faszinierender wissenschaftlicher Fragestellungen mit medizinischer Relevanz auch im Bereich der erlaubten
Stammzellforschung gibt. In dieser Lage ausgerechnet
diejenigen Fragen zum Symbolfall der Freiheit zu machen, bei denen viele Menschen starke ethische Bedenken
haben, ist nicht gut.
({7})
Ich traue aus eigener wissenschaftlicher Kenntnis der
deutschen Lebenswissenschaft zu, auf höchstem internaDr. Edzard Schmidt-Jortzig
tionalen Niveau ohne Verletzung ethischer Bedenken zur
Mehrung des Wissens um die Heilung von Kranken beizutragen. Das ist ein Weg, der nicht zu Spaltungen führt.
({8})
Es ist der Weg, der eine breite Akzeptanz der Wissenschaft in unserem Volk sichert.
({9})
Ich erteile
das Wort der Kollegin Petra Bläss.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der heutigen Entscheidung ist eine
einzigartige und breite gesellschaftliche bioethische Debatte vorausgegangen, die mit der heutigen Beschlussfassung nicht abgeschlossen wird - im Gegenteil.
Die von uns jetzt zu beantwortende Teilfrage, ob der
Import embryonaler Stammzellen zugelassen werden
soll, verlangt eine Gewissensentscheidung von jeder und
jedem von uns, die uns in ethischer Hinsicht eine ungeheure Verantwortung aufbürdet. Die Zuschriftenflut,
die uns Abgeordnete in den letzten Tagen erreicht hat,
zeugt von der Relevanz, die dieses Thema für die Menschen in diesem Lande hat. Als Politikerinnen und Politiker sind wir verpflichtet, Hoffnungen und Sorgen ernst
zu nehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben es heute
mit einer Entscheidung zu tun, bei der keine Seite ruhigen
Gewissens sagen kann, was in der Konsequenz daraus
folgt. Die bisherige Debatte war von hoher Qualität und
politischer Kultur gekennzeichnet; davon zeugen sowohl
die fraktionsübergreifenden Bündnisse als auch die gegenseitige Akzeptanz unterschiedlicher Sichtweisen. Eins
aber ist in der Debatte immer deutlicher geworden: Bei
der Entscheidung über eine Zulassung ist nur ein klares Ja
oder ein klares Nein möglich, ein „Nein, aber“ oder ein
„Ja, aber“ sind grundsätzlich auch ein Ja. Hier gibt es keinen Kompromiss.
({0})
Ich spreche mich klar gegen die Zulassung des Imports
embryonaler Stammzellen aus.
Die Frau spielt in der ganzen Debatte eine untergeordnete Rolle; dabei geht es doch um sie: um ihre Gesundheit und darum, dass nur sie das Ausgangsmaterial
für die embryonale Stammzellenforschung, nämlich die
Eizelle, liefern kann - im Übrigen unter Inkaufnahme hoher gesundheitlicher Risiken aufgrund der notwendigen
hormonellen Stimulation. Davon ist leider nirgendwo die
Rede gewesen.
Keine und keiner kann heute sagen, ob ihre oder seine
Entscheidung in einem Jahr noch richtig ist. Die, die heute
Ja sagen, können sich irren; die, die heute Nein sagen,
können sich ebenso irren. Doch ein Ja bringt die große
Gefahr mit sich, dass die Entscheidung, wenn sie sich als
Irrtum herausstellt, nicht rückgängig zu machen ist, dass
eine Tür geöffnet wird, die möglicherweise nicht wieder
zu schließen ist.
({1})
Bei einem Nein könnten wir, wenn sich unsere heutige
Entscheidung als Irrtum herausstellt, immerhin noch später die Tür aufmachen.
Worum geht es bei der notwendigen Entscheidung?
Doch nicht darum, heute Kranken Heilungschancen zu
versprechen. Bei allem Verständnis für die Argumente,
die für eine Zulassung des Imports embryonaler Stammzellen sprechen, kann ich ihm nicht zustimmen, weil damit auch und vor allem ein Paradigmenwechsel in der
Fortpflanzungsmedizin eingeleitet werden würde. Wer für
die Importzulassung stimmt, stimmt für die Vernutzung
der Eizelle und damit der Frau. Die Frau wird so zur Lieferantin eines Rohstoffs, der für Forschungszwecke genutzt wird, zur Spenderin eines potenziell auf dem Markt
gehandelten Gutes.
Ja, es besteht die Gefahr, dass hier ein Markt entsteht,
der kommerziellen Interessen folgt. Die Befürworterinnen und Befürworter der Importzulassung kommen
zum Teil ganz offen mit dem Argument des Wirtschaftsund Wissenschaftsstandorts. Ja, es gibt hier handfeste
wirtschaftliche Interessen, aber die dürfen meines Erachtens an dieser Stelle nicht ausschlaggebend sein, genauso
wenig wie das Gut der Forschungsfreiheit nicht losgelöst
vom ethischen Gebot der Verantwortung für die Folgen
betrachtet werden darf.
Unsere Debatte zeigt: Jede und jeder von uns ist gezwungen, durchaus schlüssige Argumente pro und kontra
abzuwägen und letztlich eine Entscheidung zu treffen. Für
mich wiegen die Risiken und möglichen Gefahren, die mit
einer Zulassung des Imports embryonaler Stammzellen
verbunden sind, schwerer. Daher spreche ich mich klar
gegen eine Importzulassung aus.
Danke.
({2})
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Werner Lensing.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Kolleginnen! Meine Herren Kollegen! Unter dem Eindruck der heutigen Debatte gestatten Sie mir
drei Grundaussagen.
Aussage eins. Die theologisch in der Zuwendung
Gottes zu den Menschen begründete Würde findet in der
heutigen Bundestagsdebatte ihren prägenden Ausdruck
sowohl in der Freiheit des Abgeordneten, zu einem
eigenen Standpunkt zu finden, als auch in seiner ethischen
Verpflichtung, bereitwillig Verantwortung zu übernehmen.
Aussage zwei. Wie uns bereits aus den Heilungsgeschichten der Evangelisten bekannt ist, gehört die Zuwendung zum Kranken zu den Grund- und Kernbeständen christlicher Ethik. Von hier aus gewinnt die
therapeutisch begründete Grundlagenforschung eine zusätzliche moralische und religiöse Rechtfertigung.
Aussage drei. Gleichwohl lehne ich eine Klassifizierung der Kolleginnen und Kollegen, etwa nach der
Art: hier die angeblich fortschrittsfreundlichen Heilenden
und dort die vermeintlich fortschrittsfeindlichen Lebensschützer, eindeutig ab.
({0})
Vor diesem Hintergrund komme ich zu einem Mittelweg zwischen den beiden Polen, die uns heute im Wesentlichen beschäftigt haben. Aus meiner persönlichen
Überzeugung heraus, nach der der Mensch von Anfang an
Mensch ist, will ich versuchen, diesen Mittelweg zu begründen.
Unser Antrag, der den Import, wie Sie wissen,
grundsätzlich verbietet und nur nach strengen Kriterien
Ausnahmen zulässt, unterstreicht die bestehende Rechtslage, nach der in Deutschland keine Embryonen zu
Forschungszwecken getötet werden dürfen. Der Antrag
der Befürworter eines vollständigen Importverbots berücksichtigt, zumindest aus meiner Sicht, zwar uneingeschränkt die Rechte des Embryos, aber er unterscheidet nicht präzise genug zwischen Embryonen und Stammzellen und grenzt dadurch grundgesetzlich geschützte Positionen wie die der Forschungsfreiheit aus.
Deswegen möchte ich, auch anbindend an die Ausführungen meiner Kolleginnen Maria Böhmer und Frau
Renesse, weil es für mich und erst recht für all diejenigen
ganz wichtig ist, die eventuell noch überlegen, welchem
Antrag sie denn zustimmen sollen, mit Deutlichkeit feststellen: Pluripotente Stammzellen sind keine Embryonen. Aus solchen Stammzellen können auch keine Embryonen erwachsen. Wer embryonale Stammzellen
importiert, begeht damit keine Tötung von Embryonen
und verstößt insofern auch nicht gegen den Geist unseres
Embryonenschutzgesetzes.
Vielmehr bedeutet der Tod des Embryos eine Zäsur,
mit der das - zugegebenermaßen - ethisch wie grundgesetzlich begründete Lebensrecht des Embryos zwangsläufig endet. Dies muss bei der ethischen wie auch bei der
rechtlichen Beurteilung beachtet und darf nicht miteinander vermengt werden. Insofern ist es nicht nachvollziehbar, wenn ein vermeintlich zwingend erforderliches rechtliches Verbot des Imports von humanen embryonalen
Stammzellen mit einer ethischen Argumentation begründet wird, die ihre Grundlage ausschließlich in dem Hinweis auf die Tötung von Embryonen findet.
Gegen unseren Antrag - das möchte ich hier sehr offen
sagen - hörte ich wiederholt das schlichte Argument: Der
Hehler ist ebenso schlimm wie der Stehler. Dieser Hinweis ist völlig unzutreffend. Ich will das begründen. Ein
Hehler schafft durch die von ihm gebotene Absatzmöglichkeit gerade den Anreiz für den Dieb, eine Sache zu
stehlen. Mit unserem Antrag hingegen werden, insbesondere durch die Stichtagsregelung, sämtliche Anreize zur
Tötung von Embryonen für den Import nach Deutschland
genommen. Zudem - auch das ist mir besonders wichtig verbietet die christliche Ethik ausdrücklich nicht, aus
Sachverhalten, die durch Unrecht entstanden sind, neue
Erkenntnisse zu gewinnen, solange hierdurch nicht der
Eindruck einer nachträglichen Legitimierung der Unrechtstat entsteht.
Lassen Sie mich nach all den grundsätzlichen Bemerkungen und Erwägungen drei Punkte ganz pragmatisch
ansprechen. Da ist zunächst einmal der Hinweis auf den
befürchteten Dammbruch. Angesichts der geltenden Gesetzeslage, in der ein Import humaner embryonaler
Stammzellen grundsätzlich und ohne Beschränkung möglich ist, wird erst durch ein grundsätzliches Verbot, auch
wenn es einen Erlaubnisvorbehalt enthält, ein Damm errichtet, der auch zukünftig mit dem Hinweis auf den notwendigen Embryonenschutz gehalten werden kann.
Eine weiterer Punkt ist die Stichtagsregelung. Die von
uns vorgesehene Regelung stellt sicher, dass dem Embryonenschutzgesetz gebührend Rechnung getragen wird
und der Verbrauch von Embryonen weiterhin verboten
bleibt. Durch die Stichtagsregelung wird zugleich jeder
Anreiz genommen, humane embryonale Stammzellen im
Ausland durch Tötung von Embryonen zu gewinnen, damit sie nach Deutschland exportiert werden können.
Schließlich ist das Argument von der Doppelmoral ein
wichtiger Punkt. Dieses Argument wurde heute schon
wiederholt angeführt. Weil ich es persönlich für so wichtig erachte, gestatten Sie mir diesen deutlichen Hinweis.
Doppelmoral wäre es, wenn man durch ein Verbot der
Stammzellenforschung ausschließt, dass die deutsche
Forschung einen Beitrag zur Entwicklung des Wissens
auf diesem Gebiet leistet, sich aber vorbehält, die therapeutischen Optionen selbst zu nutzen. Dass nämlich solche Optionen auch deutschen Patienten zugute kommen
müssten, dürfte ein jeder zugestehen, auch derjenige, der
der Stammzellenforschung grundsätzlich skeptisch gegenübersteht. Im Übrigen dürfte sich die Annahme, dass
sich eine Übernahme möglicher Forschungsergebnisse
ausschließen lässt, als völlig illusorisch erweisen.
Meine Damen und Herren, keine der heute im Zusammenhang mit der Forschung an embryonalen Stammzellen vertretenen Positionen kommt ohne persönliche
Güterabwägung und ohne persönliche Entscheidung aus.
Jede Entscheidung muss Risiken in Kauf nehmen, Risiken, die letztlich nicht mehr - egal, auf welchem Standpunkt ich auch stehen mag - voll kontrollierbar sind. Ich
persönlich glaube, dass unser vorgelegtes Konzept auf
dem hohen Stellenwert, der dem Schutz unserer Embryonen gebührt, beruht und dass wir mit diesem Konzept eine
verbrauchende Embryonenforschung ablehnen, aber zugleich die Hoffnung und die Chancen auf Heilung befördern.
Vielen Dank.
({1})
Ich erteile
der Kollegin Pia Maier das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wenn mir vor einigen Jahren die Position
begegnete, das Leben beginne mit der Verschmelzung von
Samen und Ei, wurde das immer mit dem Gebot „Du darfst
nicht töten“ und mit der absoluten Schutzwürdigkeit des
Lebens verknüpft und als Argument gegen Abtreibung herangezogen. In der damaligen Auseinandersetzung mit
dieser Position kam ich zu der Grundüberzeugung, dass
nicht nur die Verschmelzung von Ei und Samen den
Lebensbeginn und die Schutzwürdigkeit begründen, sondern dass der zweite Schritt ein ebenso elementarer ist: die
Einnistung in die Gebärmutter und die Entscheidung der
Frau für eine Schwangerschaft.
Der Mensch ist nicht nur ein biologisches, sondern
auch ein soziales Wesen.
({0})
Das gilt nicht nur im Körper, sondern auch außerhalb. Der
Embryo im Reagenzglas sollte ebenso geschützt sein wie
der im weiblichen Körper, aber eben nur genauso und
nicht weitergehend. Dieser Grundüberzeugung folge ich
auch heute, indem ich für den Antrag der Kolleginnen und
Kollegen Flach, Hintze und Reiche votieren werde, den
ich und auch andere PDS-Abgeordnete gern mit unterstützt hätten.
Dieser Grundüberzeugung folge ich, indem ich von einem Konzept der abgestuften Schutzwürdigkeit des
menschlichen Lebens ausgehe. In den ersten 14 Tagen,
also vor dem Zeitpunkt der Einnistung, ist das befruchtete
Ei kein x-beliebiger Forschungsgegenstand; aber es muss
nicht um jeden Preis am Leben gehalten werden. Es handelt sich um potenzielles Leben.
Die Forschung mit embryonalen Stammzellen bedeutet, den Embryo, aus dem sie gewonnen werden, zu nutzen. Aber dennoch und in vollem Bewusstsein dessen
sage ich: Die Forschung an ihm und mit ihm kann unter
bestimmten Bedingungen zugelassen werden.
({1})
Zentrale Bedingungen sind dabei der Kinderwunsch und
das hochrangige Forschungsinteresse. Die Forschung
muss dem Interesse Kranker, dem Interesse an Heilung
dienen, und zwar nicht nur derjenigen, die sich das leisten
können.
Forschung, die potenzielles menschliches Leben verbraucht, benötigt gute Gründe. Jedes einzelne Forschungsvorhaben muss entsprechend geprüft werden. Forschung
kann zugelassen werden, wenn die Eltern zugestimmt haben, wenn Transparenz und Öffentlichkeit gewahrt sind
und wenn der Embryo - wie eben erwähnt - ursprünglich
wegen eines Kinderwunsches entstand.
Mit diesen Bedingungen sind meiner Meinung nach
die Befürchtungen ausgehebelt, die hier unter dem Stichwort „Selbstbestimmungsrecht der Frau“ vorgebracht
werden. Wenn der Kinderwunsch und die Zustimmung
Voraussetzung sind, werden Frauen nicht zu Eispenderinnen gemacht, werden ihre Körper nicht zu Ersatzteillagern, werden sie nicht gegen ihren Willen oder aus
Geldnot in eine Hormonbehandlung getrieben. Denn das
will auch ich nicht. Das zu verhindern ist unsere Aufgabe.
({2})
Zum Selbstbestimmungsrecht der Frau gehört nach
meinem Verständnis auch, dass sie sich selbst entscheidet:
für oder gegen Kinder, für oder gegen eine Hormonbehandlung, für oder gegen die Verwendung ihrer Eizellen zur Forschung.
({3})
Zum Selbstbestimmungsrecht der Frau gehört, sich selbst
zu entscheiden, und nicht, den Frauen fürsorglich eine Entscheidung durch ein vorsorgliches Verbot abzunehmen.
({4})
Lassen Sie mich zum Schluss Dürrenmatts „Die Physiker“ zu Hilfe nehmen: Dürrenmatt gelangt in seinem
Stück zu dem Schluss, dass eine Erkenntnis, die einmal in
der Welt ist, nicht ungeschehen gemacht werden kann.
Man muss lernen, mit dieser Erkenntnis zu leben.
Die Forschung an embryonalen Stammzellen ist in der
Welt. Es ist besser, diese Forschung hier geregelt zuzulassen, hier mit Gesetzen die in diesem Zusammenhang gewonnenen Erkenntnisse in geeignete Bahnen zu leiten.
Sonst treiben wir die, die mit embryonalen menschlichen
Stammzellen forschen wollen, in andere Länder, in Länder, die sich aus Geldnot und aus anderen Gründen eine
Regulierung bzw. eine Begrenzung nicht leisten können
und die andere ethische Maßstäbe setzen als wir. Das wäre
der falsche Umgang mit dieser Forschung.
Danke schön.
({5})
Es spricht
die Kollegin Christa Nickels.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als katholische Rheinländerin muss ich mich wirklich wundern,
mit welch überzogener Heilserwartung seit Jahr und Tag
auf die Forschung an embryonalen Stammzellen geblickt
wird. Zu den Versprechungen, die im Hinblick auf eine
Forschung gemacht werden, die sich noch absolut im Stadium der Grundlagenforschung befindet, und der damit
verbundenen Wundersehnsüchtigkeit und Erwartungen
kann ich nur sagen, dass im Vergleich dazu Pilger, die an
einer Marienprozession teilnehmen und über die ja viele
lachen, wirklich staubtrockene Realisten sind.
({0})
Vergessen wir nicht - das sagen Herr Brüstle und alle
anderen -: Die embryonale Stammzellenforschung ist im
Stadium der absoluten Grundlagenforschung. Alle Forscher sagen: Wir brauchen mindestens noch zehn Jahre,
bis wir Aussagen darüber treffen können,
({1})
ob es überhaupt ein therapeutisches Potenzial geben wird.
Es macht mich traurig, dass man das Leiden von Menschen mit schweren Krankheiten funktionalisiert und
durch einen möglichen Eintritt in die Forschung an embryonalen Stammzellen bei ihnen unglaubliche Erwartungen weckt, die nicht gedeckt sind.
({2})
Wir leiten unglaubliche Mengen an Kapital in die Lebenswissenschaften. Die Bundesregierung hat im Januar
2001 ein Fünfjahresprogramm zur Förderung der
Bio-Technologie mit einem Gesamtetat von 1,5 Milliarden DM aufgelegt. Das ist eine riesige Summe, die für
diese Forschung eingesetzt wird. Dazu kommen 350 Millionen DM für die Genomforschung. Dem gegenüber stehen die großen Volkskrankheiten, die gut erforscht sind
und die durch Prävention, gesunde Lebensweise und eine
gesunde Arbeitsumwelt drastisch zurückgefahren werden könnten. Gegen die oben erwähnten Summen nehmen sich - um nur einige zu erwähnen - die 1,5 Millionen DM für das Aktionsprogramm für Umwelt und
Gesundheit und die 4,8 Millionen DM für den Kinderund Jugendgesundheitssurvey klein aus. Mit diesem
Geld könnte man bei vielen Volkskrankheiten sehr
schnell Heilung und Linderung schaffen. So viel zu dem
Argument, dass wir nicht für die Heilung von Menschen
seien.
({3})
Es gibt eine ethisch unbedenkliche Alternative. Es ist
nicht so, dass die Forschung an embryonalen Stammzellen alternativlos ist. Bei der Forschung an adulten
Stammzellen gibt es viele der Nebenwirkungen nicht, die
es bei embryonalen Stammzellen gibt, wie etwa die Tumorbildung. Auch gibt es keine Abstoßungsreaktionen.
Wenn man Nabelschnurblut von jedem Neugeborenen
entnehmen würde, könnte man für jeden Menschen eine
entsprechende Heilungsoption schaffen. Hier muss
massiv investiert werden. Hier ist Deutschland Spitze.
Hierauf muss man alle Kraft lenken. Wir haben - wie gesagt - zehn Jahre Zeit.
({4})
Zu den Kolleginnen Renesse, Böhmer und Fischer ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das Menschenbild des
Grundgesetzes ausdrücklich bestätigen; das ist sehr
wichtig. Zu dem Argument, dass wir uns jetzt in einer Situation befinden, in der wir eine Brücke bauen und mit bestimmten Zellen forschen wollen, sage ich: Eine Brücke
ist kein Ort, an dem man verweilen kann. Man muss entweder zurück- oder weitergehen. Wer, der diesen Weg
geht, wird denn in dem Augenblick, in dem eine therapeutische Möglichkeit erkennbar wird, zurückgehen? Das
ist meiner Meinung nach eine Illusion und für mich ein
Grund dafür, zu sagen: Wir müssen alle Kraft auf die Forschung mit adulten Stammzellen setzen.
({5})
Auch denjenigen, die sagen, was in der Welt ist, muss
man nutzen, man kann es nicht einfach ungenutzt liegen
lassen, sage ich: Wir als Koalitionsfraktionen haben gerade den Ausstieg aus der Atomenergie eingeleitet,
({6})
weil sie mit unübersehbaren Risiken für Millionen von
Menschen behaftet ist. Ich sehe nicht ein, in eine Risikotechnologie, deren Auswirkungen auf das menschliche
Leben erst über Generationen hinweg sichtbar werden,
einzusteigen. Es gibt diese Forschung in Deutschland
nicht. Es besteht keine Notwendigkeit dafür.
({7})
Ich stimme Frau von Renesse ausdrücklich darin zu,
dass sich Würde auf Freiheit begründet. Sie begründet
sich aber nicht auf schrankenloser Freiheit, Frau von
Renesse. Würde begründet sich auch darauf, dass wir der
Freiheit Grenzen setzen können, die ethisch begründet
sind. Für mich ist es sehr wichtig, dass wir an einem Menschenbild festhalten, das den Menschen in all seinen Daseinsformen, sei es mikroskopisch klein, sei es hilflos,
unnütz, krank oder alt, die Würde nicht abspricht.
Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag, der gewährleistet und sicherstellt, dass wir keine Nachfolgezwänge schaffen. Denn wenn die Forschung an embryonalen Stammzellen einmal genutzt wird, wird es sehr
schwer, hier wieder eine Grenze zu ziehen.
Danke schön.
({8})
Ich gebe der
Kollegin Regina Schmidt-Zadel das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und technische Möglichkeiten stellen uns - das
hat die Diskussion heute gezeigt - vor grundsätzliche Fragen und auch Herausforderungen: Wie gehen wir mit der
Gattung Mensch um? Was bedeutet Fortschritt heute? Wo
beginnt und wo endet die Ethik des Heilens?
In den vergangenen Monaten - viele Vorrednerinnen
und Vorredner haben darauf hingewiesen - wurde verstärkt die Hoffnung geweckt, dass unter Verwendung embryonaler Stammzellen schwerste Krankheiten geheilt
werden könnten. Der entsprechende Beweis steht bis
heute aus. Im Gegensatz dazu besteht die Möglichkeit,
dass die Verwendung embryonaler Stammzellen im Hinblick auf alternative therapeutische Möglichkeiten nur ein
Hilfsmittel auf Zeit wäre. Es gibt fundierte wissenschaftliche Anhaltspunkte dafür, dass eine zielführende Grundlagenforschung mit adulten Stammzellen im Hinblick
auf die Therapie bisher nicht behandelbarer Krankheiten ein Erfolg versprechender Weg ist; Ernst Ulrich
von Weizsäcker hat darauf hingewiesen.
Viele Menschen versprechen sich von Fortschritten in
der Bio- und Gentechnik in erster Linie eine Heilung von
schweren und schwersten Krankheiten wie Morbus Parkinson, Alzheimer, MS, Herzinfarkt oder Diabetes mellitus. Für Hoffnung auf Heilung ist es grundsätzlich zu
früh, da konkrete Studien am Menschen frühestens in
etwa drei bis fünf Jahren, wahrscheinlich aber erst sehr
viel später vorliegen werden.
Ich denke - auch das will ich ausdrücklich sagen -,
dass es der falsche Weg ist, denjenigen, die einen anderen
Antrag unterschrieben haben bzw. befürworten, zu unterstellen, dass sie gegen Therapie oder Heilung von Krankheiten sind. Das sollten wir uns heute nicht erlauben und
das sollte auch nicht Sinn dieser Diskussion sein.
({0})
Ich will meinen ganz persönlichen Standpunkt darstellen: Der Import von Stammzellen, die aus menschlichen
Embryonen gewonnen wurden, ist aus meiner Sicht
ethisch nicht zu vertreten. Eine Produktion dieser Stammzelllinien ist mit der Manipulation an menschlichen
Stammzellen verbunden. Der Import embryonaler Stammzellen wäre ein Verstoß gegen den Konsens über den uneingeschränkten Schutz menschlicher Embryonen, der
1990 vom Bundestag beschlossen wurde. Das Grundgesetz stellt den Schutz der Menschenwürde und des Lebens über alle Gesetze. Nur die direkte Bedrohung, nicht
aber an fernen Zielen ausgerichtete Grundlagenforschung
kann das Recht auf Leben einschränken.
({1})
Meine Damen und Herren, die Forschungsfreiheit hat
ihre Grenzen. Deswegen unterstütze ich den Antrag, der
von Wolfgang Wodarg und anderen eingebracht wurde.
({2})
Das Wort
hat der Kollege Hubert Hüppe.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Heute fällt sicherlich eine der wichtigsten Entscheidungen im Deutschen Bundestag. Ich
habe vieles gehört - ich wohne dieser Debatte von Anfang
an bei - und es ist deutlich geworden, dass fast alle - egal,
welchen Antrag sie unterstützen - davon ausgehen, dass
es sich beim Embryo um menschliches Leben handelt.
Die Konsequenz daraus ist, dass wir heute darüber entscheiden - das ist der eigentliche Punkt -, ob man in
Deutschland für Grundlagenforschung menschliches
Leben töten oder mit Material arbeiten darf, für das
menschliches Leben getötet wurde. Das ist die eigentliche
Entscheidung.
Herr Schmidt-Jortzig, den ich aufgrund vieler anderer
Debatten ansonsten sehr schätze, hat gerade gesagt, es
gebe kein grundsätzliches Verbot, das weiterhelfen
würde. Ich glaube, es gibt ein solches grundsätzliches
Verbot. Dieses grundsätzliche Verbot steht ganz oben in
der Verfassung. Wir können dieses Verbot auch nicht mit
einer Dreiviertelmehrheit des Bundestages aufheben. Es
besagt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Es steht dort nicht: Die Würde des Menschen ist unantastbar - Klammer auf -, es sei denn, im Ausland wird sie
auch angetastet - Klammer zu. Es steht dort auch nicht,
dass die Würde der Person oder des individuellen Menschen unantastbar ist. Das Schutzkonzept beinhaltet, dass
jeder Mensch unantastbar ist, weil er Mensch ist. Das ist
die einzige Voraussetzung. Alles andere wird gefährlich.
({0})
Auch heute - ich habe genau zugehört - wurden, immer wieder, zwar keine Heilungsversprechen gegeben,
aber ganz nebenbei doch Perspektiven zu Parkinson, Diabetes, Alzheimer und Multipler Sklerose aufgezeigt.
Noch vor einer Woche - ich bitte darum, das einfach einmal zur Kenntnis zu nehmen - hat die „Ärztezeitung“ aufgrund neuer Forschungsergebnisse deutlich gemacht: Es
gibt überhaupt keinen Ansatz, bei Multipler Sklerose auf
Stammzellforschung, auch nicht - leider - auf die Forschung mit erwachsenen Stammzellen zurückzugreifen.
Das muss man einmal sagen.
Ich finde das deswegen so schlimm, weil viele kranke
Menschen, die zum Beispiel vor den Fernsehern die Debatte verfolgen, natürlich nach jedem Halm greifen, der
ihnen hingehalten wird. Diese Hoffnungen sind einfach
nicht zu erfüllen. Deswegen darf ich Sie bitten, sich da
sehr zurückzuhalten.
({1})
Es ist interessant, dass viel davon gesprochen wird,
behinderten und kranken Menschen helfen zu wollen.
Wenn Sie die Stellungnahmen der großen Behindertenverbände und auch der Zusammenschlüsse gelesen haben, werden Sie feststellen, dass es fast keinen Behindertenverband gibt, der die Forschung an embryonalen
Stammzellen will. Weder die Bundesvereinigung „Lebenshilfe“ noch ein anderer Verband wollen das.
Warum ist das so? Das ist deswegen so, weil sie Angst
davor haben, dass bei dem Vorgehen, der Zweck heiligt
die Mittel, möglicherweise auch andere Personengruppen
in die Forschung einbezogen werden, die angeblich keine
Menschenwürde mehr hätten, weil sie geistig behindert
oder altersdement sind.
Ich will noch eines sagen, das zwar nicht von den Rednern, aber oft in der Öffentlichkeit genannt wird. Viele
Behinderten- und Patientengruppen wären dankbar, wenn
sie so viel Aufmerksamkeit für ihre heutigen Probleme in
Heimen, in Pflegeheimen wie diejenigen bekämen, die
jetzt von Forschungsperspektiven für die nächsten 10, 20
oder 50 Jahre reden.
({2})
Wenn wir heute dem Import zustimmen, wird es sich
nicht dabei bewenden lassen, sondern es wird weitergehen.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat dies dargestellt. Sie hat gesagt, sie will jetzt erst einmal den Import.
Sie hat aber auch klar gemacht, dass sie danach sofort eigene Stammzelllinien in Deutschland produzieren will.
Wer heute die Tür öffnet, wird sie nie wieder schließen
können. Deswegen darf ich Sie bitten, den Antrag des
Kollegen Kues und anderer zu unterstützen.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort
hat der Kollege Ernst Dieter Rossmann.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im deutschen Parlament haben wir mit dem Grundgesetz, dem Embryonenschutzgesetz und der Gesetzgebung zum § 218 StGB einen Konsens in der Gesellschaft herbeigeführt, der Werte
gesetzt hat. Ich möchte fragen: Ist es nicht tatsächlich eine
Nachfrage wert, ob es nicht zu diesem Konsens gehörte,
dass wir die Bestimmung eines menschlichen Embryos
- egal, in welchem Zustand seiner Entwicklung - immer
in dem Zweck gesehen haben, zu einem eigenen Leben
werden zu können? So hat es die Schöpfung vorgesehen
und so haben wir es respektiert. Oder ein Embryo muss
absterben, so wie es die Schöpfung vorgesehen hat. Wir
als Menschen haben nicht das Recht, in diese natürliche
Zweckbestimmung der individuellen Menschwerdung
mit anderen Zwecken - und seien sie noch so hochrangig - einzugreifen.
({0})
Ausgenommen - das ist in der Geschichte dieser Republik zu einem Konsens gewachsen - ist das Recht der
Frau. Dieses Recht der Frau leitet sich aus ihrer ganz persönlichen, individuellen und existenziellen Verhaftung
und Verknüpfung mit entstehendem Leben ab. Aber, Frau
Maier und andere, die es angesprochen haben: Das Recht
der Frau leitet sich nicht so weit ab, dass sie andere
Zwecke als die Zwecke, die sich mit entstehendem Leben
und ihrer Existenz verbinden, einbringen kann.
({1})
Das ist für meine Begriffe die Sorge um den Dammbruch, der dazu führen kann, dass sich an dieser Stelle in
den Köpfen von Menschen in dieser Gesellschaft etwas
verändert. Auch in der Entwicklung der Biomedizin haben wir den Menschen viel an neuer Entwicklung abverlangt. Aber das hat sich immer darauf bezogen, sich an
menschlichem Leben, an der Ermöglichung von menschlichem Leben, von Schwangerschaft und Elternschaft bei
Menschen zu orientieren. Jetzt kommt ein anderer Zweck
hinzu, und zwar der Zweck von Dritten und von Heilung.
Es können auch noch andere Zwecke hinzukommen. Wir
müssen uns überlegen, ob wir das zulassen wollen.
Ich bin dafür, dass wir es im Bild belassen: Ein in kleinem Umfang gebrochenes Tabu ist ein gebrochenes Tabu.
Ein Fenster, das ein Stück weit geöffnet ist, ist ein offenes
Fenster. Wir sollten an der Kraft von modernen Tabus
festhalten. Das mag nicht von allen so gesehen werden.
Wir sind aufgerufen, uns hinsichtlich möglicher eigener Widersprüche oder der Widersprüche, die andere
aufzeigen, zu prüfen. Ich will das an einem Punkt tun.
Einige Kolleginnen und Kollegen haben das Dilemma
des unmoralisch gewordenen Nutzens angesprochen.
Ich möchte die Rückfrage stellen: War es in der Geschichte der Medizin, der Technik, der Kunst und der Kultur nicht schon immer selbstverständlich, dass Gutes genutzt wird, selbst wenn es aus früher oder noch immer
Verbotenem entstanden ist, solange es nicht selbst durch
Verbotenes gewonnen wird?
({2})
Das ist der Punkt: Es darf nicht selbst durch Verbotenes
wieder neu gewonnen werden. Deshalb wäre meine Antwort: Sollte sich durch in Deutschland nicht gewollte Forschung in anderen Ländern eine Perspektive in Bezug auf
Heilung ergeben, dann bin ich so lange für deren Nutzung,
solange für deren therapeutischen Einsatz keine weitere
Nutzung von embryonalen Stammzellen erforderlich ist.
Das will doch auch niemand.
({3})
Wir können das umso eher einfordern, als wir eine Alternative haben. Es wäre unmoralisch, wenn wir den Weg
der Forschung an adulten Stammzellen nicht so massiv
mitgehen würden. Da wir ihn mitgehen, bieten wir anderen eine Chance und können von anderen die Chance
wahrnehmen. Aber es muss feststehen: Es darf keine therapeutische Nutzung von embryonalen Stammzellen geben. Deshalb nehme ich das nicht als Widerspruch wahr.
Ich will noch kurz darauf hinweisen, dass wir in eine
Besonderheit hineingeraten, die einmalig auf der ganzen
Welt ist: Wir haben ein starkes Embryonenschutzgesetz
und eine Ausnahme, die es nirgendwo gibt. In Amerika
werden embryonale Stammzellen im eigenen Land erzeugt. Die Stärke einer Position zeigt sich an der Klarheit
einer Norm. Sie zeigt sich auch darin, dass man verzichtet. Ich fasse es wie folgt zusammen: Wir brauchen keinen
starken Standort, sondern wir brauchen einen starken
Standpunkt,
({4})
damit aus dem, was wir als Anker des Embryonenschutzgesetzes haben, kein Treibanker wird, der uns absichtlich
unabsichtlich über den Rubikon führt.
Danke schön.
({5})
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Martin Mayer.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werbe um Zustimmung für den Antrag der Abgeordneten Böhmer,
Renesse, Fischer und Seehofer, weil dieser Antrag einerseits auf christlichen Wertorientierungen aufbaut und auf
die Empfindungen der Bürger in unserem Land Rücksicht
nimmt, andererseits aber die Möglichkeiten der Forschung an embryonalen Stammzellen des Menschen in
Deutschland nicht völlig verbaut.
Der Antrag ist in wesentlichen Aussagen deckungsgleich mit dem Papier, das Alois Glück und Horst
Seehofer im vergangenen Jahr dem Parteivorstand der
CSU vorgelegt haben.
Das christliche Menschenbild verpflichtet uns in besonderer Weise zum Einsatz für die Würde des Menschen
und den Schutz des Lebens. Aus christlicher Sicht ist es
aber auch eine große Verpflichtung, die durch die medizinische Forschung eröffneten Perspektiven von Hilfe
und Heilung auch dann zu nutzen, wenn es sich bisher nur
um eine Option bzw. eine Hoffnung handelt.
In diesem Zusammenhang möchte ich einige Sätze zu
den meist religiös geprägten Mitbürgern sagen, die uns
viele, zum Teil anrührende Briefe geschrieben haben. Einer empfahl mir, die Frage zu stellen: Was würde Jesus
dazu sagen? Meine Antwort war: Ich habe mir die Frage
gestellt. Würde Jesus sagen, verlasst euch einfach auf die
Bischöfe, oder würde er sagen: Denkt nach und verlasst
euch auf euer Gefühl und euer Gewissen? Oder würde er
vielleicht die provokante Gegenfrage stellen, wie wir in
Deutschland mit den Kindern im Mutterleib umgehen,
von denen im vergangenen Jahr 135 000 zwischen dem
zweiten und dritten Schwangerschaftsmonat sterben
mussten? Jeder gläubige Christ muss seine Antwort auf
diese Frage suchen.
Heute ist viel von Tabubrüchen die Rede gewesen. Die
Heilige Schrift nennt jedenfalls Beispiele für Tabubrüche
wie die Heilung von Kranken am Sabbat. Auch in der Forschung an embryonalen Stammzellen des Menschen ist
letztlich die Heilung von Kranken das Ziel.
Durch das Embryonenschutzgesetz wird der Import
von im Ausland erzeugten humanen embryonalen Stammzellen nicht ausdrücklich verboten. Das wurde heute
schon mehrmals festgestellt. Da deren Gewinnung nach
dem derzeitigem Stand von Wissenschaft und Technik zur
Tötung von Embryonen führt, ist der Import von humanen
embryonalen Stammzellen rechtlich und ethisch problematisch. Dies gilt ungeachtet der mit der Forschung an
diesen Stammzellen verbundenen Hoffnungen auf Heilung für schwerkranke Menschen. Der Antrag nennt deshalb strenge Bedingungen für den Import, die ich nicht
mehr im Einzelnen ausführen muss.
Wir befinden uns in dem Dilemma, dass der Antrag die
Forschung an Stammzellen vorsieht, die auf einem in
Deutschland verbotenen Weg gewonnen wurden. Das Dilemma besteht aber auch bei denen, die die Stammzellenforschung in Deutschland verbieten wollen. Denn die Erkenntnisse, die aus der Forschung im Ausland gewonnen
werden, werden natürlich auch in Deutschland zur Anwendung kommen.
Ich möchte noch eines hinzufügen. Wir führen heute
eine sehr ernsthafte und wichtige Debatte. Der Erfolg oder
Misserfolg der Forschung an Stammzellen im Ausland
wird aber die öffentliche Meinung und Debatte in
Deutschland stärker beeinflussen, als wir es in dieser Debatte können.
Nach Ansicht der Repräsentanten der deutschen Forscher stellt die Forschung an embryonalen Stammzellen
den Schlüssel zur Erkenntnis und zur Nutzung aller
Stammzellen dar. Dies wurde in den letzten Tagen noch
einmal bestätigt. Ich will mir nicht anmaßen, dass ich
diese schwierigen Fragen besser beurteilen kann als die
Wissenschaftler.
({0})
Allein mit der Forschung an adulten Stammzellen lässt
sich nach heutiger Erkenntnis deren Funktionsweise nicht
feststellen. Hierzu bedarf es der Grundlagenforschung an
embryonalen Stammzellen. Es besteht die Hoffnung, dass
dadurch neue Erkenntnisse gewonnen werden. Per definitionem ist Grundlagenforschung immer etwas Ungewisses. Man kann letztlich nie mit Gewissheit sagen, welche
Ergebnisse dabei herauskommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Mikrokosmos einer befruchteten menschlichen Eizelle und
seine Entwicklung sind ein Wunderwerk der Schöpfung,
dem wir mit ehrfürchtigem Staunen gegenüberstehen.
Dieses Wunderwerk zu entdecken und zu verstehen, um
Krankheiten besser begegnen zu können, ist eine faszinierende Aufgabe, von der wir die deutsche Forschung bei
Beachtung strenger ethischer Grenzen nicht ausschließen
sollten. Ich bitte deshalb um Zustimmung zu dem Antrag
der Abgeordneten Böhmer und Seehofer.
({1})
Jetzt spricht
die Kollegin Maria Eichhorn.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Darf der Mensch alles, was machbar
ist? Das habe ich in der Debatte im vergangenen Jahr gefragt. Seither habe ich viel gelesen, viele Vorträge gehört
und Gespräche im In- und Ausland geführt. Viele Fragen
sind dabei entstanden. Wir stecken in einem Dilemma.
Die überzähligen Embryonen sind da. Durch Forschung
mit ihnen könnten Menschen möglicherweise von schweren Krankheiten geheilt werden. Darf ich vor diesem Hintergrund zur Forschung an embryonalen Stammzellen
Nein sagen? Aber Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen heißt: Der Embryo muss getötet werden.
Wann - das ist die Grundfrage - beginnt menschliches
Leben? Es gibt viele Argumente dafür, dass menschliches
Leben mit der Befruchtung entsteht. Für mich ist wichtig,
dass der Embryo bereits die volle genetische Ausstattung
hat und sich von diesem Zeitpunkt an zu einem eigenständigen Menschen entwickelt. Auch wenn die Naturwissenschaft zu anderen Ergebnissen käme, ist letztlich
entscheidend, ob ich diesem Embryo von Anfang an die
volle Würde des Menschen zuerkenne.
Für mich spannt sich der Bogen aber weiter. Würden
wir dem Menschen nicht von Anfang an, in jedem Stadium, die volle Würde zuerkennen, so kämen wir schnell
in Gefahr, auch am Ende des Lebens, bei Krankheit oder
Gebrechlichkeit, diese Zuerkennung der menschlichen
Würde infrage zu stellen.
Dennoch muss ich feststellen: Es gibt überzählige Embryonen. Allein im Memorial Hospital in der Nähe von
New York, in dem In-vitro-Fertilisation durchgeführt
wird, gibt es einige Tausend eingefrorene Embryonen. Als
ich im Kühlraum vor den Behältern mit diesen Embryonen stand, wurde mir bewusst, dass hier einige Tausend
mögliche Kinder lagern. Sie sind durch IvF entstanden.
Bei einer solchen Behandlung bleiben im Durchschnitt
drei Embryonen übrig. Wäre es somit nicht ethisch vertretbar, diese Embryonen zur Entwicklung von Heilungsverfahren zu verwenden? Aber, meine Damen und Herren, es ist menschliches Leben. Wenn sich später
herausstellt, dass die Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen nicht den gewünschten Erfolg erzielt, dann wäre menschliches Leben nur zum Zwecke der
Forschung getötet worden.
Ich nehme die Hoffnungen von Kranken sehr ernst.
Diese Hoffnungen beziehen sich aber nicht nur auf embryonale, sondern auch - wir haben es heute schon aus berufenem Munde gehört - auf adulte Stammzellenforschung. Unabhängig davon, wie heute die Entscheidung
ausfällt: Wir müssen die Forschung an den ethisch unbedenklichen adulten Stammzellen verstärkt fördern. Das
Argument, wir wären in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig, wird entkräftet, wenn wir uns auf die Forschung an adulten Stammzellen konzentrieren und dort
Höchstleistungen erzielen.
Der Umgang mit menschlichem Leben ist für mich
letztlich der entscheidende Punkt, warum ich für den restriktiven Antrag stimme. Ich habe im Ausland mit Ärzten
gesprochen, die IvF durchführen. Die sagten ganz klar,
gegen Geld werde alles gemacht; die zukünftigen Eltern
hätten große Ansprüche, die erfüllt werden müssten. Dies
zeigt mir, dass die Grenze, über die wir alle hier nicht
schreiten wollen, dort schon lange überschritten ist. Ich
habe Sorge, dass dies auch bei uns geschieht.
Nach einem langen Abwägungsprozess hat bei meiner
Gewissensentscheidung der Schutz der Würde des Menschen von Anfang an höchste Priorität. Deswegen stimme
ich für den Antrag Kues.
({0})
Ich gebe das
Wort der Kollegin Hanna Wolf.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben aus großem
Verantwortungsgefühl heraus das Embryonenschutzgesetz debattiert und verabschiedet. Wir wollen seinen Geist
auch nicht ändern. Embryonale Stammzellen waren zu
der Zeit der Verabschiedung des Gesetzes unbekannt. Aus
embryonalen Stammzellen kann sich zwar kein Leben
mehr entwickeln, aber sie sind aus Embryonen gewonnen
worden. Diese Gewinnung ist bei uns immer noch ungesetzlich - aus gutem Grund, wie ich meine. Wenn wir solche nach unserem Gesetz unrechtmäßig gewonnenen embryonalen Stammzellen importieren, dann geben wir
gleich, so finde ich, einen Freifahrschein für die Erzeugung solcher Zellen in Deutschland. Forderungen hiernach gibt es bereits.
Weil § 218 immer wieder in die Debatte geworfen
wurde, gehe ich auf den entscheidenden Unterschied zum
heutigen Thema ein. Das Schlüsselwort heißt Konfliktfall. Bei den mit großem Ernst geführten Debatten um
§ 218, an denen viele von Ihnen teilgenommen haben, war
der beste Schutz des Embryos, der sich im Mutterleib befindet, der zentrale Punkt. Konsens ist, dass der Fötus
nicht ohne die Mutter zu schützen ist. Die Frau kann sich
jedoch in einem so schweren Konflikt befinden, dass sie
keine andere Möglichkeit als die Abtreibung sieht. Nur für
diesen schweren Konfliktfall und nur nach der Entscheidung der Frau ist eine Abtreibung straffrei; sie bleibt aber
weiterhin ungesetzlich. Bei der Produktion embryonaler
Stammzellen dagegen wurde ohne Not gehandelt. Forscher haben über die Verwendung von Embryonen außerhalb des Mutterleibes entschieden. Das war kein Konfliktfall.
({0})
Das Tor zur Gewinnung von Stammzellen wurde durch
die In-vitro-Befruchtung geöffnet. Leider können wir sie
nicht mehr zurückschrauben. Sie ist aber das Einfallstor
dafür, dass der Mensch zum formbaren Produkt wird. Der
nächste Schritt heißt wahrscheinlich irgendwann PID.
Wir befinden uns also auf einer schiefen Bahn. Erlauben Sie mir, dass ich hier Jürgen Habermas zitiere:
Ich misstraue den Abwieglern unter den Experten,
die nur den nächsten Schritt ins Auge fassen wollen.
... Je kürzer der zeitliche Horizont, den wir in Betracht ziehen, umso größer wird später die Macht der
dann bereits geschaffenen Fakten sein.
({1})
Die embryonalen Stammzellen außerhalb Deutschlands stellen die Fakten dar, vor denen wir heute stehen.
Vor welchen Fakten stehen wir morgen? Wie verändern
sie unser Verhältnis zum Menschsein? Wie verändern sie
die Position von Frauen? Heute schon bezweifeln wir, ob
die existierenden embryonalen Stammzellen virenfrei
sind. Der „Sauerteig“ kann durch die Art seiner Vermehrung verseucht sein. Neue Stammzellenreihen werden bereits verlangt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb
sollten wir heute ein Verbot des Imports embryonaler
Stammzellen beschließen.
Die vielen Briefe aus der Bevölkerung, die ich ebenso
wie Sie alle bekommen habe, sprechen sich ganz überwiegend gegen den Import aus. Sie sind Ausdruck einer
regen öffentlichen Diskussion. An dieser Stelle danke ich
für die vielen ernsten Gedanken, die mir übermittelt wurden. Sie befassen sich immer wieder auch damit, dass die
Illusion der Perfektion den richtigen Umgang mit Behinderung, Krankheit und Sterben verhindert.
Mit einem Verbot des Imports geben wir den deutschen
medizinischen Forschern unter Umständen einen Kreativschub - weg von dem einen angeblichen Königsweg hin
zu einer Vielfalt in der Forschung und einer Vielfalt therapeutischer Möglichkeiten.
Vielen Dank.
({2})
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Wolfgang Gerhardt.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ich werbe für den Antrag von
Herrn Hintze, Frau Reiche, Frau Flach und Herrn
Schmidt-Jortzig, den Wolfgang Schäuble und ich aus
mehreren ganz einfachen Gründen mit unterzeichnet haben.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat uns in einem Memorandum wissen lassen, dass Hoffnungen, wesentliche Erkrankungen lindern zu können, nicht als unbegründet anzusehen sind. Sie hat keine falschen
Heilsversprechungen gemacht. Niemand aus der Deutschen Forschungsgemeinschaft hat den Eindruck erweckt, mit der Stammzellenforschung seien schon morgen die Leiden der Menschheit in Vergessenheit zu
bringen.
({0})
Die Forschungsgemeinschaft hat in ihrem Memorandum
vorsichtig gesagt:
Die Erwartungen auf diesem Gebiet erhalten durch
Forschungsergebnisse der letzten Jahre eine wissenschaftlich begründete und Erfolg versprechende Basis.
Von Gegnern dieser Haltung mag der Vorhalt gemacht
werden, dass man das noch nicht alles wisse. Das stimmt,
aber das ist kein Vorhalt. Hier geht es um die legitime Aufforderung, in verantwortungsvoller Weise danach zu fragen, was wir im Rahmen der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland in Erfahrung bringen können. Das ist die
Kernfrage.
({1})
Wer jetzt schon zu wissen meint, dass sich keine weitere
Erkenntnis gewinnen lässt, der muss uns auch die moralische Konsequenz seines Handelns und seiner Haltung darlegen, wenn dereinst Erkenntnisse vorliegen werden, die
Menschen helfen können, und er vielleicht mit einem erkrankten Mitglied seiner Familie zum Arzt kommt und gern
entgegennimmt, dass in Deutschland ein Medikament verordnet wird, das aus einem Land kommt, das unserem Kulturkreis angehört, dessen Verfassung der unseren entspricht,
aber dessen Gesellschaft ihrer Forschungslandschaft dieses
Verfolgen großer, hochrangiger Ziele ermöglicht hat.
({2})
Deshalb ist es nicht mehr als vernünftig, dass wir auch
diese Frage so entscheiden können.
({3})
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft ist eine große
Scientific Community, die von verfassungsgebundenem
Handeln geprägt ist, die weiß, welche Verantwortung sie
in der Wissenschaftslandschaft hat. Ich glaube, dass zu
dieser Entscheidung nicht nur eine eigene Haltung gehört,
die mit religiösen Überzeugungen verbunden ist, sondern
vielmehr, dass ein Stück menschliches Maß und ein Stück
Vertrauen in die Entscheidung eingebunden werden muss.
Mit Vertrauen meine ich auch das Zutrauen in deutsche
Forscherpersönlichkeiten, von denen wir überzeugt sind,
dass sie bislang menschliches Maß, Regeln, fairen Erkenntnisgewinn, öffentliche Darlegung und eigene Rückkoppelung vertreten haben. Sonst wäre dieses Land mit
seiner Forschungskapazität auch nicht aus dieser Katastrophe seiner Geschichte herausgekommen. Das muss
hier auch ganz klar gesagt werden.
({4})
Wir glauben deshalb, dass man die Entscheidung, Stammzellenforschung in Deutschland zuzulassen, verantworten
kann.
Um es auf den Punkt zu bringen: Mir will nicht einleuchten, dass Zellverbände, die ihrem Schicksal in Tiefkühlfächern in Deutschland nicht entrinnen können,
({5})
selbst dann, wenn die Spender zustimmen, nicht benutzt
werden können, um ein Stück Erkenntnis gewinnen und
damit Menschen helfen zu können.
({6})
Hanna Wolf ({7})
Das ist nach meiner tiefen Überzeugung weder aus einem
christlichen Menschenbild noch aus einer Interpretation
der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland herzuleiten. Jemand mag diese Auffassung haben. Sie ist aber
überhöht, weil aus ihr keine Verhaltensweisen der Mitmenschlichkeit, der Barmherzigkeit und der Hilfe entspringen können.
({8})
Ihr Kern liegt außerhalb menschlichen Lebens, der Lebenswirklichkeit und unserer Fähigkeit, uns der Wege zu
versichern, die Menschen helfen können.
Für die Antragsteller sage ich: Wir befinden uns in
guter internationaler Gesellschaft. Die DFG und die MaxPlanck-Gesellschaft stehen in internationaler Kooperation mit Wissenschaftsorganisationen in anderen Ländern,
die genau die gleichen Wertvorstellungen und die gleichen zivilisatorischen Gepflogenheiten haben wie wir.
Das ist eine internationale Scientific Community, die
uns allen im Grunde genommen signalisiert, dass sie ihre
Verantwortung kennt. Gesellschaften in anderen Ländern,
die auch ethisch-moralische Abwägungen vorgenommen
haben, die die Diskussion ebenso wie wir geführt haben,
haben bereits Entscheidungen getroffen, die etwa dem
Antrag entsprechen, den wir hier vorlegen. Das sind verfassungsgebundene Gesellschaften; deren Menschen haben moralische Positionen und christliche Lebensüberzeugungen. Sie haben sich so entschieden!
Ich werbe für diesen Antrag, weil ich der Meinung bin,
dass er Maß und Ziel hat. Er ist regelgebunden; er weiß
auch nicht schon alles. Wir wissen im Gegensatz zu manchen der Kolleginnen und Kollegen, die vorhin vorgetragen haben, eben nicht, dass wir mit adulten Stammzellen
wesentlich weiter kämen. Wir wissen nicht, ob das so ist;
wir möchten es durch Forschung feststellen lassen.
({9})
Wenn die Kollegen Recht haben, dann beenden wir die
embryonale Stammzellenforschung und arbeiten mit
adulten Stammzellen weiter. Um das aber entscheiden zu
können, möchten wir es wissen und nicht - wie es hier
vorgetragen wurde - glauben. Wir möchten es in einem
Forschungsgang verantwortbar wissen. Wir bleiben deshalb bei unserem Antrag.
Den Kolleginnen und Kollegen, die den Antrag von
Frau von Renesse unterschrieben haben, muss ich sagen:
Wenn etwas verantwortbar ist, dann ist es nicht bis zu einem Stichtag verantwortbar und gut und hinterher nicht
verantwortbar und böse.
({10})
Wenn wir in Deutschland Stammzellenforschung zulassen können, dann muss man sich entscheiden, sie zuzulassen. Der Hinweis auf einen Stichtag ist dann moralisch-ethisch nicht entscheidend. Wenn die embryonale
Stammzellenforschung zu dem Zweck, menschliches
Leid zu lindern, legitim ist, dann ist sie nicht mit einem
Kalenderblatt zu beenden; dann richtet sich der weitere
Fortgang vielmehr nach dem Erkenntnisgewinn. Deshalb
ist unser Antrag klarer und, wie ich finde, überzeugender.
Er ist im Übrigen moralisch, ethisch und forschungspolitisch wirklich vertretbar. Er ist das Ergebnis eines gründlichen Abwägungsprozesses.
Wir beachten die Würde des Menschen ebenso wie
die Kolleginnen und Kollegen, die gegen diesen Weg
sind. Wir nehmen für uns in Anspruch, eine andere Abwägung vorgenommen zu haben - nicht mehr und nicht
weniger. Wir glauben, dass wir sie gemeinsam mit einer
Forschungsgemeinschaft, deren Seriosität, deren Forschungsverhalten und deren Transparenz wir seit Jahrzehnten kennen, auch verantworten können.
Zum Schluss bitte ich deshalb wirklich jede Kollegin
und jeden Kollegen, sich das zu überlegen. Es ist verantwortbar, in Deutschland Stammzellenforschung zuzulassen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Es spricht
der Kollege Ilja Seifert.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Auch mich erreichten in den letzten Tagen,
Wochen, ja Monaten Dutzende oder Hunderte von Briefen, E-Mails usw. von Menschen, die sich Hoffnungen
machen, dass die „Stammzellenforschung“ ihnen oder
ihren Kindern hilft.
Die meisten von Ihnen wissen, dass ich in der deutschen und internationalen Behindertenbewegung ziemlich tief verwurzelt bin. Wenn ich „Behindertenbewegung“ sage, schließt das die chronisch Kranken immer mit
ein. Ich habe das größte Verständnis für all diese Hoffnungen; aber der wichtigste Punkt ist - Herr Gerhardt,
auch Sie haben diesen Zwiespalt befördert -: Es geht nicht
um die „Stammzellforschung“ im Allgemeinen; es geht
um die Forschung mit embryonalen Stammzellen. Das
ist ein gewaltiger Unterschied, der in der Öffentlichkeit
aber kaum richtig wahrgenommen wird.
Ich habe größtes Verständnis, wenn betroffene Menschen äußern: „Stimmt doch jetzt dem Import der Stammzellen zu, damit meinen Kindern geholfen werden kann,
die an einer erblichen Krankheit leiden und möglicherweise früher sterben, als ich - der Vater, die Mutter - mir
das für meine Kinder wünsche!“ Warum sprechen sich
aber alle deutschen Behindertenorganisationen, einschließlich der Organisationen der chronisch Kranken - das hat
der Deutsche Behindertenrat, der nur einstimmige Beschlüsse fassen kann, erst heute wieder getan -, klar gegen den Import embryonaler Stammzellen aus? - Weil
sich in diesen Gremien - Frau Flach, ich komme gleich
noch auf den angeblichen Widerspruch zwischen Funktionären und Betroffenen zu sprechen, den Sie immer wieder aufzeigen - der Sachverstand im Hinblick auf die Betroffenheit und das Nachdenken über die Zukunft
bündeln. Das ist die Funktion solcher Organisationen.
Es wurde hier mehrfach gesagt, dass wir nicht nur an
den morgigen Tag denken dürfen, sondern die Folgen der
Folgen, die wir heute einleiten, bedenken müssen. Wir
müssen sehen, was hinter der Tür ist, die wir heute öffnen
oder nicht öffnen. Die Behindertenorganisationen sagen
uns deutlich: Lasst es sein! Ihr könnt uns auch anders helfen, zum Beispiel, indem ihr uns vernünftige Lebensbedingungen schafft, aber auch, indem ihr die Forschung,
die sich auf andere, gute Möglichkeiten konzentriert, fördert. Damit tut ihr etwas, das uns allen - sowohl den Menschen, die krank sind, als auch denen, die krank werden
können, als auch denen, die es nicht werden, weil dadurch
nämlich ihre Menschlichkeit gefördert wird - wirklich
nützt. - Das halte ich für einen Aspekt, den wir in diesem
Hause hoch bewerten sollten.
({0})
Nun, Frau Flach, zur Frage nach den Betroffenen und
den Funktionären: Die Vertreter der Behindertenorganisationen sind Leute wie du und ich und engagieren sich in
ihrer Freizeit für die Belange der Behinderten. Sie sind
also keine hoch bezahlten Funktionäre.
Erlauben Sie mir, noch auf einen anderen Aspekt einzugehen. Das Niveau der heutigen Debatte - dieser Meinung bin ich unabhängig von ihrem Ausgang; ich gebe zu,
ich hoffe, dass sie zugunsten des Verbots des Imports von
embryonalen Stammzellen ausgeht - wird es uns ermöglichen, weiter miteinander zu reden und zu arbeiten. Das
ist sehr wichtig.
({1})
Bei der weiteren Zusammenarbeit sollten wir ganz
schnell die Frage beantworten: Wie können wir verhindern, dass Menschen aufgrund ihrer genetischen Dispositionen diskriminiert werden? Ob wir das einfachgesetzlich regeln können oder ob wir einen entsprechenden
Passus ins Grundgesetz aufnehmen müssen, kann ich
zwar noch nicht abschätzen. Aber ich appelliere an Sie:
Lassen Sie uns nach dieser Debatte darüber nachdenken,
wie wir es verhindern können, dass jemand, nur weil er
oder sie eine chronische Krankheit hat und demzufolge
andere Lebensbedingungen braucht, im privaten oder im
beruflichen Leben oder zum Beispiel durch Versicherungen und all das, was sich auf diesem Gebiet andeutet, benachteiligt wird. Die Enquete-Kommission Recht und
Ethik der modernen Medizin, die über diesen Punkt intensiv diskutiert hat, wird dazu einen Vorschlag unterbreiten; aber ich denke, wir und auch die Öffentlichkeit
sollten uns überlegen, ob wir nicht schon eher damit anfangen können, Regelungen gegen Diskriminierung
wegen genetischer Anlagen auf den Weg zu bringen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wünsche uns
eine gute Abstimmung und wünsche, dass wir hinterher
beherzt an die weiteren Aufgaben herangehen.
Danke schön.
({2})
Es spricht
die Kollegin Ilse Falk.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte macht noch
einmal deutlich, dass es im Kern um ganz wenige, aber
entscheidende Fragen geht: Was ist Leben? Was ist Leben
wert? Wer ist wert zu leben? Wer bestimmt den Wert? Den
Fragen folgen zwingend scheinbar einfache Antworten:
Der Embryo ist von Anfang an menschliches Leben mit
der diesem innewohnenden Würde. Jede andere Grenzziehung wäre willkürlich und von selbst definierten Kriterien abhängig. Wir können doch nicht wollen, dass der
Mensch Definitionsmacht über seinesgleichen erhält.
({0})
Jeder Mensch ist in seiner Einzigartigkeit so viel wert
wie ein anderer. Deshalb kann es kein abgestuftes Lebensrecht geben, das den einen dazu berechtigte, das Leben eines anderen - vermeintlich minder wertvollen einzufordern. Deshalb kann es nicht erlaubt und schon gar
nicht geboten sein, einen Menschen im frühesten Stadium
seiner Entwicklung so zu verwerten, dass zunächst nutzbringende Erkenntnisse, dann aber auch dringend
benötigte Zellkulturen und Organe aus ihm gewonnen
werden, anderen somit geholfen werden kann, er selbst
aber getötet wird.
Gäbe es eine unterschiedliche Bewertung des Menschen in seinen verschiedenen Lebensphasen, wer dürfte
sich anmaßen, einen solchen Wert zu bestimmen? Welcher Maßstab sollte hierfür gelten? Wird nicht vielmehr
deutlich, wie sehr uns inzwischen die verbindliche Basis
für das, was man tun darf und was nicht, abhanden
kommt? Dürfen wir tatsächlich um der Menschlichkeit
willen die Grenzen des Lebens neu definieren und unserer Selbstbestimmung unterwerfen? Oder gibt es nicht
vielmehr Grenzen, die wir auf keinen Fall überschreiten
dürfen?
Natürlich erproben wir immer wieder unsere Grenzen
und versuchen, sie zu verschieben. Das entspricht unserem Selbstverständnis und auch unserem Freiheitsverständnis. Dabei werden wir aber schnell merken, dass alle
Grenzen, die wir erkennen, immer nur vorläufig sind. Sie
lassen sich verschieben, aber nicht aufheben. Indem der
Mensch in dieses komplizierte Gefüge eingreift, löst er
immer auch unbeabsichtigte Folgen aus. Er schafft neue
Zufälligkeiten, für die er sich als auslösender Faktor verantwortlich macht, ohne die Verantwortung wirklich tragen zu können oder auch zu wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer sagt mir denn,
dass wir nicht eines Tages vor die Frage gestellt werden,
Ergebnisse der heute begehrten Forschung an Menschen
zu erproben, deren Leben zwar sichtbarer ist als das eines
Embryos, aber auch für weniger wert, für überzählig oder
überflüssig erklärt wird?
({1})
Ich denke an Menschen im Koma, Verwirrte und Behinderte - an diejenigen, die ohne unsere Fürsorge und Verantwortung der Willkür ausgeliefert wären.
Zwar haben wir, gerade auch nach christlichem Verständnis, die Freiheit, unser Leben in die eigene Hand zu
nehmen und uns nicht an ein anonymes Schicksal auszuliefern. Aber es gibt auch Grenzen dieser Freiheit. Sie zu überschreiten hieße, die Grundlagen der Freiheit zu zerstören.
Sie werden immer dann überschritten, wenn Menschen ihr
Interesse dem Gemeinwohl überordnen und sich zu Herren
über Leben und Tod machen, wenn sie Hand an ihresgleichen legen und die Vernichtung von Leben rechtfertigen.
Wenn wir die Debatte auf diese Kernfragen zurückführen, werden sich auch manche scheinbar unlösbaren
Probleme auflösen. Wir müssen nicht mehr entscheiden,
ob Embryonen der einen oder anderen Herkunft nicht
doch verwendet werden dürfen. Wir dürfen überzählige,
eingefrorene, wie auch immer gewonnene Embryonen
einfach sterben lassen, ohne ihre Verwendung bestimmen
zu müssen.
({2})
Dann können wir uns mit aller Kraft der Forschung
mit adulten Stammzellen zuwenden, die möglicherweise ein größeres Heilungspotenzial in sich bergen, als
wir es uns heute vorstellen können. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies so ist, ist mindestens so groß wie die erhofften Erkenntnisse aus der Forschung an embryonalen
Stammzellen.
({3})
Das Wort
hat die Kollegin Carola Reimann.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wohl kaum ein Forschungsbereich ist in der Vergangenheit
so intensiv diskutiert worden wie jener der Stammzellenforschung. Wer sich dabei in den vergangenen Wochen für die
Stammzellenforschung ausgesprochen hat, ist schnell in den
Verdacht geraten, Handlanger einer profitorientierten Forschungsindustrie zu sein. Dabei wurde zuweilen auch ein
Bild von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vermittelt, das den Eindruck erweckte, als ob in den Laboren
unseres Landes nur noch verantwortungslose und ungeduldige Karrieristen ihr Unwesen treiben würden. Dies waren
Bilder, aus denen tiefes inneres Misstrauen sprach.
Ich möchte hier für unsere Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler eine Lanze brechen.
({0})
Denn gerade diejenigen Forscher, die in diesem Bereich
arbeiten, legen zurzeit ganz besondere Geduld an den Tag.
Seit einem Dreivierteljahr warten sie nämlich auf unsere
Entscheidung.
({1})
Dabei haben sie eine hohe Bereitschaft gezeigt, sich der
kritischen Öffentlichkeit immer wieder in Diskussionen
zu stellen und ihre Forschungsvorhaben einem breiten Publikum zu erläutern und auch zu vermitteln.
({2})
Dafür möchte ich ihnen an dieser Stelle ausdrücklich danken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt für mich gute
Gründe, einen Import von Stammzellen unter restriktiven Bedingungen zu befürworten. Häufig ist zu hören,
dass die Medizin vor neuen Anforderungen steht. Nicht
immer kann die traditionelle Therapie die in sie gesetzten
Erwartungen erfüllen. Wenn man aber will, dass die Forschung neue Wege geht, dann darf Politik die Tore nicht
zumauern; das gilt auch für die Stammzellforschung.
({3})
Ich habe Respekt vor den moralischen Überzeugungen,
die stark genug sind, die sonst üblichen parteitaktischen
Überlegungen in den Hintergrund zu drängen - und das in
Vorwahlkampfzeiten! Ich denke, dass auch die Bürgerinnen und Bürger spüren, dass sich keiner hier im Hause die
Entscheidung leicht macht. Bevor wir aber zu einem abschließenden Urteil kommen, sollten wir uns einige Dinge
klar machen.
Bei der hier diskutierten Stammzellforschung handelt
es sich um Grundlagenforschung mit dem Ziel, die Entwicklung von Geweben und Zellen sowie die Differenzierungsvorgänge und ihre Beeinflussbarkeit zu verstehen.
Unabhängig davon, ob man adulte, also von erwachsenen Personen gewonnene, oder embryonale Stammzellen
für die Untersuchung verwendet, und abgesehen von allen Hoffnungen und Erwartungen, die daran geknüpft
sind, ist zu sagen, dass die Forschung hier noch am Anfang steht. Aussagen über künftige Therapiemöglichkeiten bleiben daher zwangsläufig spekulativ.
Forschung ist nicht vorhersehbar, das gilt für Erfolge
wie für Misserfolge. Deshalb lässt sich auch nicht seriös
vorhersagen, ob Versuche mit adulten Stammzellen
höhere Erfolgsaussichten als Versuche mit embryonalen
Stammzellen haben. Ich halte es für richtig, dass die Bundesregierung die Forschung an adulten Stammzellen
schwerpunktmäßig fördert.
({4})
Wir sollten aber das eine tun und das andere nicht lassen.
({5})
Wir sollten uns die Option erhalten, Forschungsergebnisse zu erzielen, aus denen sich im Laufe der nächsten
Jahrzehnte eventuell Therapien entwickeln lassen. Wir
sollten unseren Einfluss als nationales Parlament erhalten.
Wir sollten den Gestaltungsspielraum, den wir haben,
nutzen, um Maßstäbe auch für die internationale Diskussion zu setzen. Das heißt für mich: Der Import muss an
Bedingungen geknüpft werden, die die ethischen Bedenken ernst nehmen und ihnen Rechnung tragen.
Die Befürchtung, dass beständig neue Embryonen verwendet werden müssen, um die Stammzellforschung dauerhaft abzusichern, ist unbegründet. Einmal etablierte
Stammzelllinien gelten als unbegrenzt vermehrbar. Deshalb genügt es der Forschung, wenn der Import bereits
etablierter, aber vermehrbarer Stammzelllinien ermöglicht und zugleich auf diese Linien begrenzt wird.
Wir wollen mit den Bedingungen, wie wir sie in unserem Antrag formuliert haben, Maßstäbe für die Forschung
setzen und die Möglichkeit eröffnen, die Chancen verantwortlich zu nutzen. Ein striktes Nein ist genauso falsch
wie ein bedingungsloses Ja. Liebe Kolleginnen und Kollegen, reißt weder die Tore blindlings auf, noch mauert
diese Tore blindlings zu, sondern sichert diese Tore!
({6})
Deshalb bitte ich Sie, dem Antrag für einen Stammzellimport unter restriktiven Auflagen zuzustimmen.
Danke schön.
({7})
Es spricht
der Kollege Heinz Schemken.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die EnqueteKommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ hat
in ihrem Zwischenbericht festgestellt, dass den menschlichen Embryonen uneingeschränkte Schutzwürdigkeit zukommen muss. Diese Erkenntnis leitet mich zu dem Antrag
Wodarg/Kues. Ethisch können nicht unterschiedliche Kriterien für den Schutz von Embryonen von außerhalb
Deutschlands und von solchen aus Deutschland aufgestellt
werden. Auch wenn rechtlich die Bewertung von Gewinnung und Import getrennt werden kann, so höhlt ein solches
Vorgehen ethisch den Embryonenschutz aus. Dies widerspricht in jedem Fall dem Geist des Embryonenschutzgesetzes. Menschliches Leben darf grundsätzlich nicht zum
Objekt fremdnütziger Zwecke gemacht werden. Dies muss
auch für menschliches Leben im Stadium seiner frühen embryonalen Entwicklung gelten.
({0})
Da menschliches Leben auch nach Auffassung des
Bundesverfassungsgerichts mit der Verschmelzung von Ei
und Samenzelle beginnt, ist der Import von Stammzellenlinien, die aus der Tötung menschlicher Embryonen gewonnen wurden, ethisch konsequenterweise nicht vertretbar. Da die Forschung mit adulten Stammzellen bzw.
gewebespezifischen Stammzellen als Alternative zur
Grundlagenforschung ausreicht, sollte die Wissenschaft
auf diesem Feld nachdrücklich gefördert werden. In diesem Rahmen kann auch das Gebot des Heilens bei schweren Krankheiten und Leiden in ethisch vertretbarem Rahmen progressiv befolgt werden.
Auf der anderen Seite steht am Ende möglicherweise
das Klonen des Menschen. Das müssen wir sicherlich beachten. Herr Gerhardt, Sie haben ja diesen Forschungsweg, das Prinzip des Öffnens, hier beschrieben. Diese
Frage von höchster ethischer Relevanz wird durch die
Auseinandersetzung über den Import der Stammzellen
mehr oder weniger überdeckt. Wenn der Gesetzgeber dem
Drängen interessierter Wissenschaftler nachgibt, wird
auch er es zukünftig schwer haben, entsprechende Weiterungen abzuwehren. Das liegt in der Natur der Sache. Es
zeichnet sich doch bereits heute ab, dass es nicht bei den
64 Stammzellenlinien bleiben wird. Es wird ja schon
heute angekündigt, dass weitergeforscht werden wird,
ganz gleich, wie der Gesetzgeber entscheidet. Im Übrigen
wäre es unvertretbar, dass diejenigen, die in ethischen und
rechtlichen Grauzonen geforscht haben, nun auch noch einen Vorteil hätten. Auch dies sollten wir beachten.
Da mir die Wissenschaft keine Antwort gibt, kann ich
nur aus meiner eigenen Sicht, aus der Sicht eines Menschen, der versucht, die Dinge christlich zu sehen, die
Würde des Menschen anführen. Sie ist ihm von Gott gegeben. Wir sollten der Wissenschaft Grenzen setzen, die
keinen Kompromiss zulassen; sonst würden wir in das
Schöpfungswerk eingreifen. Deshalb gibt es für mich nur
eine Entscheidung: Das ist der absolute Stopp des Imports
und der Forschung mit embryonalen Stammzellen. Mir
hilft dabei nur mein Werteverständnis. Ich kann hier keine
andere Antwort geben.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort
hat der Kollege Christoph Matschie.
Herr Präsident! Werte
Kolleginnen und Kollegen! Wir führen hier heute eine
Debatte über die Forschung an Stammzellen, weil uns alle
gemeinsam die Sorge umtreibt, dass Schutz und Würde
des Menschen angetastet werden könnten, weil wir gemeinsam um eine Antwort auf die Frage ringen, wo in diesen schwierigen Fragen die Grenzen zu ziehen sind.
Hier ist an verschiedenen Stellen davon die Rede gewesen, dass wir möglicherweise eine Schwelle überschreiten, dass wir eine Tür aufmachen, die wir nicht wieder zubekommen, dass wir einen Damm brechen. Ich bin
dafür, dass wir, bevor wir uns weiter überlegen, ob dem so
ist, einmal einen Moment den Kopf heben und schauen,
was die anderen um uns herum in dieser Frage tun - nicht,
weil ich glaube, dass sie uns Orientierung sein sollten,
sondern weil ich glaube, dass wir nicht auf einer Insel leben und dass wir den anderen um uns herum, die zu anderen Entscheidungen kommen, beispielsweise in Großbritannien oder in Frankreich, nicht unterstellen können,
dass sie bei ihren Überlegungen weniger moralisch verantwortlich, weniger ethisch entschieden haben.
({0})
Es gibt unterschiedliche Konzepte für den Schutz der
Würde des Menschen, für den Schutz des Lebens. Das
sollten wir zunächst respektieren. Wir haben uns in
Deutschland mit dem Embryonenschutzgesetz für ein
sehr hohes Niveau entschieden. Der Antrag von Frau
Renesse und Frau Böhmer, den ich unterstütze, bleibt bei
diesem hohen Niveau.
Ich sage aber ebenso ganz deutlich: Ich glaube, dass
auf der Grundlage unseres Grundgesetzes auch hier in
Deutschland andere Positionen möglich sind, wie es sie in
anderen Ländern gibt. Ich glaube nicht, dass es von vornherein verwerflich ist und dass der Rubikon überschritten
wird, wenn auch darüber nachgedacht wird, wie man
überzählige Embryonen, bei denen jetzt nur die Alternative besteht, sie auf Eis zu lagern oder zu vernichten, unter ganz bestimmten Voraussetzungen - ich nenne in diesem Zusammenhang die Zustimmung der Spender, die
Öffentlichkeit der Forschung und die Tatsache, dass es
sich um eine hoch qualifizierte Forschung handelt - nutzen kann. Dass das nach unserem Grundgesetz von vornherein nicht zulässig sein soll, leuchtet mir nicht ein.
({1})
Die quälenden Widersprüche an dieser Stelle sind
schon deutlich geworden. Aber sie gibt es bei allen hier
vorgetragenen Positionen. Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass wir Entscheidungen treffen, die ein
für alle Mal gültig sind. Ich sage als Theologe ganz klar:
Auch ethische Positionen verändern sich im Laufe der
Geschichte. Dafür gibt es die vielfältigsten Beispiele. Wir
haben heute vor dem Hintergrund unserer gesellschaftlichen Auseinandersetzung eine verantwortliche ethische
Entscheidung zu treffen.
({2})
Die entscheidende Frage ist: Wie können wir heute zu
dieser verantwortlichen Entscheidung kommen? Ich halte
die hier vorgetragenen Positionen allesamt für mit dem
Grundgesetz vereinbar. Ich habe schon deutlich gemacht,
dass ich auch die Position in dem Antrag von Frau Flach
und anderen nicht von vornherein für eine Überschreitung
des ethischen Rubikon halte.
Trotzdem votiere ich für den Antrag von Frau von
Renesse und Frau Böhmer. Ich will Ihnen sagen, warum.
Ich glaube nämlich, dass ethische Entscheidungen ganz
wesentlich das Produkt einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung, einer Debatte sind. Deshalb möchte ich
bei dieser Entscheidung, die wir heute zu fällen haben,
nicht die Empfehlung der Enquete-Kommission des
Bundestages außer Acht lassen, die beinhaltet, dass wir
das Embryonenschutzgesetz nicht verändern und diesen
Schutzstatus aufrechterhalten sollten. Diese Empfehlung
sollten wir bei unserer heutigen Entscheidung berücksichtigen.
Natürlich empfinden viele - nicht nur hier im Hause,
sondern überall in der Gesellschaft - den Widerspruch in
den Debatten, dass wir einerseits den hohen Schutz in
Deutschland aufrechterhalten wollen und dass wir andererseits bereit sind, Stammzelllinien zu importieren, bei
deren Herstellung dieser hohe Schutz nicht eingehalten
wurde. Das ist ein Widerspruch, den man aushalten muss.
Es ist aber auch ein Widerspruch, wenn man die Stammzellenforschung nicht zulassen und den Import von
Stammzellen verbieten, aber von den Erkenntnissen der
Forschung profitieren will. Ich frage Sie: Ist das in diesem
komplizierten Prozess nicht eine Verschiebung des ethischen Widerspruchs ein Stück weiter nach hinten?
Ich habe keine Position gefunden, die von Widersprüchen frei ist. Das kann angesichts einer solch schwierigen Frage auch nicht der Fall sein. Deshalb bin ich dafür,
dass wir auf der Grundlage der Ergebnisse der Diskussion
der letzten Monate, die zur Empfehlung der EnqueteKommission geführt hat, die Möglichkeit eröffnen, unter
ganz engen Voraussetzungen die Forschung hier in
Deutschland weiter zu betreiben.
Ich bitte Sie: Stimmen Sie dem Antrag von Frau von
Renesse und von Frau Böhmer zu!
({3})
Das Wort
hat der Kollege Georg Brunnhuber.
Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Wochenzeitung „Rheinischer Merkur“ hat ihre Ausgabe vom 25. Januar mit der Überschrift „Biopolitik - Die große Versuchung“ aufgemacht. Es besteht die große Versuchung,
dass der Mensch sein eigener Schöpfer wird.
Es geht heute um das Wesentliche, nämlich um das
menschliche Leben überhaupt, um ethische und moralische Grundsätze sowie um die Unantastbarkeit der
menschlichen Würde und den Schutz des menschlichen
Lebens von Anfang an. Ich möchte uns deshalb an folgende Grundsätze erinnern:
Erstens. Nach christlicher Überzeugung beginnt
menschliches Leben mit der Verschmelzung von Ei und
Samenzelle. Jede andere Prämisse, die etwa den Lebensbeginn zu einem späteren Zeitpunkt ansetzt oder ihn dem
Embryo nur in abgestufter Weise zugesteht, steht unter
ethischen Gesichtspunkten auf schwankendem Boden.
Sie widerspricht unserem Bild vom Menschen und der
Würde des Menschen, auf der das Grundgesetz aufbaut.
Zweitens. Eine angestrebte Therapie zur Heilung von
bisher noch unheilbaren schweren Erkrankungen - so
wünschenswert sie wäre - kann nicht unabhängig von den
Methoden gesehen werden, die dafür angewandt werden.
Positive Ziele wie Forschung und Heilung rechtfertigen
nicht jeden Weg. Auch der Weg selbst muss ethisch vertretbar sein. Der Respekt vor dem Leben des anderen ist
eine Grenze, die nie überschritten werden darf, weder aus
wirtschaftlichen Gründen noch aus Gründen des Wettbewerbs. Auf der Heilung von Krankheiten kann kein Segen liegen, wenn sie auf Kosten des Lebens anderer erkauft wird.
({0})
Drittens. Die Unterstützung und Förderung alternativer Methoden auf dem Weg zu neuen Möglichkeiten für
Therapie und Heilung, wie zum Beispiel die verstärkte
Forschung an adulten Stammzellen, wie sie gerade die
Landesregierung von Baden-Württemberg besonders fördert, können auch zum Anreiz für einen Dialog werden,
der über die Grenzen Deutschlands hinaus zu führen ist.
Die Möglichkeit der Gewinnung von adulten Stammzellen und die Forschung daran sind ethisch unbedenklich.
Sie schädigt niemanden und vernichtet kein menschliches
Leben. Es wäre deshalb wünschenswert, der Deutsche
Bundestag würde sich Gedanken darüber machen, wie bei
Gewährung von mehr Mitteln der Forschungsstandort
Deutschland in der Forschung an adulten Stammzellen
weltweit eine herausragende Rolle bekommen würde.
({1})
Im Grunde genommen ist dies die allseits verantwortbare forschungspolitische Alternative. Dies wäre ethisch
und moralisch vertretbar.
({2})
Es spricht
der Kollege Friedrich Merz.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich
zunächst eine Vorbemerkung machen: Ich hoffe, dass uns
diejenigen, die unsere Debatte heute Nachmittag verfolgen und sie heute Abend und morgen früh kommentieren
und beschreiben werden, den Respekt vor dem Verlauf
dieser Debatte genauso wenig versagen wie den Respekt
vor dem individuellen Abstimmungsverhalten.
({0})
Ich sage das deshalb, weil ich mit einiger Sorge betrachtet habe, wie insbesondere aus den Kirchen - ich
muss leider sagen: auch aus meiner Kirche - Erwartungen
formuliert worden sind, die man vielleicht aus dem kirchlichen Lehramt heraus artikulieren kann, die aber in der
Abwägung, die Abgeordnete eines frei gewählten Parlaments vorzunehmen haben, nicht ohne weiteres im Verhältnis 1:1 nachvollzogen werden können.
({1})
Ich sage dies nicht, weil, sondern ich sage dies, obwohl
ich derselben Auffassung bin, wie sie von den beiden Kirchen zum Ausdruck gebracht wird.
Ich möchte aus meiner Sicht drei Anmerkungen zur Sache machen:
Erste Anmerkung. Auch heute ist - genauso wie in den
letzten Wochen - sehr häufig die Forschungsfreiheit in
Anspruch genommen worden. Es gibt sie in der Tat. Sie
ist ein Grundrecht und steht nicht unter einem Gesetzesvorbehalt. Die Forschung ist frei; aber sie ist nicht ungebunden. Auch die Forschung in Deutschland unterliegt
dem tragenden Prinzip unserer Grundrechtsordnung: der
unbedingten Schutzwürdigkeit der menschlichen Würde,
so wie sie in Art. 1 des Grundgesetzes zum Ausdruck
kommt.
({2})
Deswegen kann es Forschungsverbote geben, ohne dass
damit das Grundrecht der Freiheit der Forschung verletzt
wird.
({3})
Meine zweite Anmerkung betrifft den Redebeitrag
meines geschätzten Kollegen Peter Hintze. Dieses tragende Prinzip unserer Grundrechtsordnung bindet staatliche Gewalt und bindet auch die Eltern und Erzeuger befruchteter Eizellen. Es ist nicht ein Akt altruistischer
Hilfe, wenn Eltern ihre so genannten „überflüssigen“ befruchteten Eizellen zu Forschungszwecken zur Verfügung
stellen. Auch die Eltern sind in ihrer Dispositionsfreiheit
eingeschränkt, jedenfalls dann, wenn dieses alles tragende Prinzip unserer Grundrechtsordnung verletzt
würde. Ich sage dies bewusst im Konjunktiv; aber ich
meine, dass es gilt, dies noch einmal klarzustellen.
Und schließlich drittens: Der Kollege Gerhardt hat auf
das Memorandum der Deutschen Forschungsgemeinschaft hingewiesen, das wir alle kennen. In der Tat werden mit der Forschung an embryonalen Stammzellen viele
Hoffnungen verbunden. Es heißt in diesem Memorandum: Die Hoffnungen sind nicht unbegründet. Sie sind
nicht weniger, aber auch nicht mehr als nicht unbegründet. Wenn uns aber nach heutigem Kenntnisstand Alternativen zur Forschung an embryonalen Stammzellen zur
Verfügung stehen, von denen noch niemand mit Gewissheit sagen kann, ob sie nicht zu den gleichen Ergebnissen
führen können,
({4})
dann müssen wir uns sehr wohl überlegen, ob wir heute
- denn wir können nur vom heutigen Erkenntnisstand ausgehen - die Entscheidung treffen, die Forschung an embryonalen Stammzellen in Deutschland ab morgen zuzulassen.
Ich komme zu einem anderen Ergebnis und sage: Nach
heutigem Wissens- und Erkenntnisstand spricht alles
dafür, dass sich Deutschland bei seinem Anspruch, bei der
Erforschung dieser großartigen Chancen, die die Biomedizin bietet, führend in der Welt zu sein, auf die Forschung
an adulten Stammzellen und alternativen Methoden konzentrieren sollte.
({5})
Wir werden gewiss nicht eine Spitzenposition verlieren,
wenn wir gerade in diesem Bereich größte Anstrengungen
unternehmen und - vielleicht sogar als erste - den Nachweis erbringen, dass die Forschung an adulten Stammzellen eine weitere Erforschung embryonaler Stammzellen
überflüssig macht. Das könnte die Spitzenposition von
Forschung und Entwicklung in Deutschland mit besonderem Nachdruck unterstreichen. Deswegen sage ich nur für
mich: Aus heutiger Sicht kann ich der Entscheidung, embryonale Stammzellenforschung in Deutschland zuzulassen, nicht zustimmen.
({6})
Nun spricht
der Kollege Hans-Josef Fell.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Das Töten von Embryonen zu Forschungszwecken lehne
ich ab. Für den Import bereits existierender embryonaler
Stammzellen werde ich stimmen, da für deren Erzeugung
keine weiteren Embryonen getötet werden müssen. - Herr
Merz, da unterscheiden sich unsere Auffassungen überhaupt nicht. Auch wir wollen uns bei der Forschungsförderung auf adulte Stammzellen konzentrieren.
Für mich stehen die Menschenwürde und das Menschenleben im Vordergrund. Dies umfasst auch das Lebensrecht und die Würde der Embryonen. Dieses Recht
wiegt für mich schwerer als die Forschungsfreiheit. Die
Tötung von Embryonen zu Forschungszwecken darf es
daher nicht geben.
Wäre es, wie es viele hier fordern, dann nicht eine logische Konsequenz, den Import von Stammzellen embryonaler Herkunft vollständig zu verbieten? Ich denke,
nein. Embryonale Stammzellen haben nicht mehr die
Möglichkeit, sich zu einem ganzen Menschen zu entwickeln. Folglich wird hier nicht grundsätzlich über das
Lebensrecht von Embryonen entschieden.
Diese Antwort allein wäre aber zu kurz gegriffen. Wer
den Import von embryonalen Stammzellen erlaubt, fördert auch die Nachfrage nach neuen Stammzellen, es sei
denn, der Import beschränkt sich auf bereits vorhandene
Stammzelllinien. Manche befürchten dennoch einen
Dammbruch, wenn der Import nicht vollständig verboten
wird. Ich sehe auch dies anders, und zwar aus zwei
gewichtigen Gründen: Zum einen halte ich den streng
reglementierten Import für verfassungsrechtlich gefestigter. Es ist zumindest umstritten, ob ein vollständiges Importverbot verfassungsrechtlich möglich ist. Noch bedeutsamer erscheint mir aber zum anderen die Frage,
inwiefern ein Dammbruch politisch - auch international verhindert werden kann. Wer über Importregelungen entscheidet, darf die internationale Ebene nicht außer Acht
lassen. Deutschland ist keine isolierte Forschungsinsel.
Dieser Aspekt kam in der bisherigen Debatte viel zu
kurz. Lediglich Kollege Wodarg hat darauf hingewiesen.
Ich komme aber zu einem anderen Ergebnis als er. Wer
heute nämlich über die eigenen Grenzen hinaus sieht,
wird Folgendes sehen: Zum einen haben sich die USA
bereits auf eine Stichtagsregelung für die Förderung der
Forschung mit embryonalen Stammzellen festgelegt.
Zum anderen haben sich das Europäische Parlament,
Forschungskommissar Busquin und große Teile des
europäischen Forschungsministerrates - mit Ausnahme
Deutschlands und nur weniger anderer Staaten - für die
Forschung an embryonalen Stammzellen ausgesprochen.
Eine Entscheidung steht noch aus.
Nimmt Deutschland eine Maximalposition gegen die
Forschung mit embryonalen Stammzellen ein, wird
Deutschland, so fürchte ich, in der Abstimmung unterliegen. Zu groß ist der Druck auf der europäischen Ebene, an
embryonalen Stammzellen zu forschen. Aller Wahrscheinlichkeit nach würden die USA spätestens unter
einem demokratischen Präsidenten dem Druck von Wissenschaft und Wirtschaft nachgeben und dem Dammbruch Europas folgen.
Fordert Deutschland hingegen eine sehr streng reglementierte Forschung, deren Regelung derjenigen der
USA gleicht, haben wir gute Chancen, diese Position in
Europa durchzusetzen. Wenn Europa und die USA auf einer Linie liegen, gibt es die Möglichkeit, diese strikte
Regelung zu einem internationalen Standard zu machen,
der sich kaum mehr lockern ließe. Damit wäre der Menschenwürde mehr gedient als mit einer isolierten Position
Deutschlands, die international nicht mehrheitsfähig ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Embryonenschutz hat für mich absolute Priorität. Daneben sollten
aber auch zukünftige Therapiemöglichkeiten in der ethischen Debatte betrachtet werden. Es ist heute noch
vollkommen unklar, ob die Forschung mit embryonalen
Stammzellen eines Tages zu bedeutenden Therapien
führen könnte; doch zumindest die Chancen hierzu gibt
es. Ich halte es unter der Voraussetzung, dass keine weiteren Embryonen mehr getötet werden - dies ist bei einer
Beschränkung auf vorhandene Stammzelllinien der Fall -,
für ethisch vertretbar, der Menschheit diese Chancen zu
eröffnen.
Deshalb werde ich dem streng begrenzten Import bestehender embryonaler Stammzellen zustimmen in der
Annahme, dass hierdurch eine internationale Regelung
und eine höhere Verfassungskonformität möglich werden,
die der Tötung weiterer Embryonen zu Forschungszwecken entgegenstehen.
({0})
Jetzt spricht
der Kollege René Röspel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir als Naturwissenschaftler und Politiker, der auf Zeit mit Verantwortung in ein Parlament entsandt worden ist und auch heute
noch der Faszination erliegt, die von Wissenschaft und
Forschung ausgeht, auch zu später Stunde ein leidenFriedrich Merz
schaftliches Plädoyer für die Forschung an Stammzellen
zu halten.
Stammzellen besitzen ohne Zweifel ein großes Potenzial, vor allem für die Wissenschaft, aber auch für die Medizin. Ich sage das, ohne außer Acht lassen zu wollen, dass
die Erfolge der zunehmenden Lebenserwartung und Gesundheit der Menschen in den letzten Jahrzehnten nicht
nur auf das Konto moderner Medizin gehen, sondern vor
allem auf die Bekämpfung des Hungers, eine bessere Hygiene, bessere Sozialstandards und vor allen Dingen eine
bessere Bildung zurückzuführen sind.
Über Stammzellen lernen wir jeden Monat Neues. Mit
ähnlicher Schnelligkeit erfahren wir, zu welchen unterschiedlichen Zellarten sich Stammzellen entwickeln können. Allein beim Menschen konnten bisher aus Stammzellen Nerven-, Leber-, Blut-, Knochen-, Knorpel- und
Muskelzellen hergestellt werden. Mittlerweile können
aus 20 unterschiedlichen Gewebearten Stammzellen gewonnen werden, zum Beispiel aus Knochenmark, aus
Fettgewebe und - dieser viel versprechende Ansatz ist in
den letzten Tagen bekannt geworden - aus der Haut.
Sie werden sich jetzt vielleicht wundern, dass ich nicht
ein einziges Mal das Wort Embryo benutzt habe. Das liegt
daran, dass ich bisher nur über die Möglichkeiten der Forschung an adulten Stammzellen gesprochen habe, nämlich solcher Zellen, die sich aus dem Gewebe erwachsener Menschen gewinnen lassen. Wenngleich man für
embryonale Stammzellen sicherlich eine ähnlich imponierende Liste erarbeiten könnte, unterscheiden sich die
adulten, die erwachsenen Stammzellen von den embryonalen Stammzellen in zwei wesentlichen Punkten: in der
Gewinnung und in der Verwendung zu therapeutischen
Zwecken.
Erstens: die Gewinnung. Adulte Stammzellen lassen
sich ethisch unproblematisch aus dem Gewebe bereits
geborener Menschen isolieren. Um embryonale Stammzellen zu erhalten, muss ein Embryo zerstört werden.
Auch wenn bereits existierende Zelllinien importiert werden, setzt das immer voraus, dass ein Embryo zerstört
worden ist, dass im Ausland das gemacht worden ist, was
in Deutschland verboten ist.
Der zweite Unterschied ist die Verwendung zu therapeutischen Zwecken. Entgegen dem Eindruck, der in der
Öffentlichkeit erweckt wurde, gibt es bei embryonalen
Stammzellen bisher keine therapeutische Anwendung.
Das beruht bisher nur auf Spekulationen. Bei adulten
Stammzellen hingegen gibt es schon seit langem therapeutische Anwendungen. Seit 1959, also seit über 40 Jahren, wissen die meisten Menschen in diesem Land, dass
mit Knochenmark Leukämie bekämpft werden kann, und
zwar sehr erfolgreich. Seit 1995 laufen Therapieversuche
bei Autoimmunerkrankungen wie zum Beispiel Diabetes
und Multipler Sklerose.
Wenn Sie erlauben, möchte ich bei dieser Gelegenheit
etwas klarstellen: Selbst wenn es gelänge, adulte oder embryonale Stammzellen herzustellen, die in das Hirn an
Multipler Sklerose Erkrankten gepflanzt werden könnten,
würde damit nicht die Ursache dieser Krankheit bekämpft; denn es ist eine Autoimmunerkrankung. Diese
Stammzellen würden vom eigenen Immunsystem des
Körpers genauso wie alle anderen und auch die ursprünglichen Zellen bekämpft und zerstört. Das heißt, die Lösung des Problems, die Bekämpfung der Krankheit, ist
auch hier nicht mit Stammzellen zu erreichen. Das Gleiche gilt für Diabetes. Im Klartext: Wer heute auf den
Import embryonaler Stammzellen verzichtet, verzichtet
nicht auf Therapie. Das will ich deutlich machen.
({0})
Die zentralen Fragen sind also: Sind die Möglichkeiten
adulter Stammzellen wirklich ausgereizt? Befinden wir
uns heute an einem Zeitpunkt, an dem wir unausweichlich
importierte embryonale Stammzellen zum Erkenntnisgewinn oder zu therapeutischen Zwecken haben müssen?
Ich sage: Nein.
Ich erkenne das Bemühen derer an, die hoffen, dass ein
beschränkter Import - Hans-Josef Fell hat das gerade gesagt
- die Zerstörung weiterer Embryonen zur Gewinnung von
Stammzelllinien verhindern kann. Ausdrücklich begrüße
und unterstütze ich den Absatz im Antrag derer, die den Import beschränken möchten - ich erlaube mir ein Zitat -:
Die Wahrung der Werteordnung des Grundgesetzes
ist uns von der Verfassung aufgegeben. Sie würde gefährdet, wenn durch die Zulassung des Importes eine
Ausweitung der Nachfrage nach neuen Stammzelllinien hervorgerufen würde mit der Folge der Tötung
weiterer Embryonen.
Der beschränkte Import wird in diesem Antrag an bestimmte Kriterien wie Alternativlosigkeit der Forschung
und Hochrangigkeit der Forschung geknüpft. Es wird
auch ein Stichtag eingeführt. Aus meiner Sicht sind diese
Kriterien nicht wirksam. Alternativlosigkeit und Hochrangigkeit lassen sich von jedem guten Forscher immer
begründen und für jedes Forschungsprojekt formulieren.
Der Stichtag wird bedeuten: Forscher in Deutschland sollen nur noch Stammzelllinien importieren können, die bis
zum heutigen Tage gewonnen worden sind.
In den USA gibt es eine ähnliche Regelung; ich glaube,
an dieser Stelle zeigt sich ein zentraler Knackpunkt der
Regelung. Bis heute wissen wir - die Stimmen aus den
Labors werden immer lauter -, dass die zur Verfügung stehenden Zelllinien wahrscheinlich nicht ausreichen werden oder sogar ungeeignet sind. Am 9. August des letzten
Jahres hat Präsident Bush in den USA verfügt, dass die an
diesem Stichtag vorhandenen 72 Zelllinien beforscht und
mit öffentlichen Mitteln versehen werden dürfen. Inzwischen gibt die US-Regierung bekannt, dass es wahrscheinlich nicht 72, sondern nur 24 Zelllinien sind. Es
wird immer deutlicher, dass die bereits bestehenden Zelllinien, weil sie auf Mäusezellen gewachsen sind, wahrscheinlich nicht genutzt werden können. Das heißt, die
Forderung nach neuen, frischen Zelllinien wird nicht nur
in der übrigen Welt, sondern auch in Deutschland schnell
erhoben werden. Ich frage Sie: Sollen deutsche Forscher
ab morgen an den schlechten, älteren Zelllinien forschen,
weil es bei uns den Stichtag gibt, während die amerikanischen bald frische erhalten? Wie wollen Sie das den
deutschen Forschern erklären? Wie lange können Sie das
durchhalten?
Lässt man den Import einmal zu, so wird er sich meiner Auffassung nach nicht lange beschränken lassen. Der
Druck, mit frischen Zelllinien zu arbeiten, wird zunehmen. Ihr und unser Ziel, die Werteordnung zu wahren,
wie Sie das in dem Importbeschränkungsantrag formuliert haben, würde verloren gehen. Die Forderung, die
Doppelmoral zu beenden und auch in Deutschland Embryonen zu Forschungszwecken zu verwenden, käme
zwangsläufig. Ein heutiges „Nein, aber“ - so ehrenwert
es sein mag und so sehr ich es respektiere - ist nichts
anderes als ein „Ja, aber später“.
({1})
Ein „Nein, aber“ halte ich auch nicht für konsequent. Ich
glaube, die Forderung, Embryonen auch hierzulande verwenden zu können, bereits heute zu erheben, wäre konsequenter. Deshalb wäre es meiner Ansicht insgesamt konsequenter, wenn man entweder deutlich Ja oder Nein sagt.
Es ist noch nicht der Zeitpunkt gekommen, einen Import zuzulassen. Die Forschung an adulten Stammzellen
ist noch lange nicht ausgereizt. Die Forschung an Nabelschnurstammzellen befindet sich noch am Anfang. Alternative Untersuchungen an Affenzellen, wie sie beispielsweise am Uniklinikum in Essen durchgeführt
werden sollten, haben noch nicht begonnen. In diesem
Zusammenhang möchte ich ausdrücklich die Initiative
der nordrhein-westfälischen Landesregierung herausheben, die solche Projekte unterstützt.
({2})
Es ist häufig gefragt worden: Werden wir eigentlich
den Einfluss verlieren, wenn wir uns nicht beteiligen?
Auch das glaube ich nicht. Ich habe ein anderes Modell:
In dem Moment, in dem wir zeigen, dass wir ohne embryonale Stammzellen und mit Fokussierung auf die adulten Stammzellen den Weg des Erfolgs gehen können, werden wir auch ein gutes und positives Beispiel für die
anderen Länder sein, ohne den ethisch umstrittenen Weg
beschritten zu haben.
({3})
Wir müssen Weltmeister in der Forschung an adulten
Stammzellen werden, hat der Präsident der Bundesärztekammer, Hoppe, gesagt.
Als ich vor drei Jahren in den Bundestag gewählt
wurde, habe ich mir vorgenommen, Entscheidungen so zu
treffen, dass sie rückholbar sind. Das bin ich künftigen
Generationen schuldig und das bin ich auch mir schuldig.
Die Zustimmung zu einem Import wird einen Prozess in
Gang setzen, der nicht mehr rückholbar ist. Dieser Preis
ist mir - noch - zu hoch. Deswegen werde ich gegen den
Import stimmen.
({4})
Es spricht
der Kollege Jörg Tauss.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Als Forschungspolitiker hätte ich
mir durchaus viele Punkte vorstellen können, in denen ich
mit den Kolleginnen Reiche, Flach oder anderen zu einer
gemeinsamen Auffassung gekommen wäre. Ich bin auch
in dem Dialog mit vielen in diesem Hause und auch über
Parteigrenzen hinweg immer wieder auf andere zugegangen und habe mich bemüht, zu einem Kompromiss - auch
für mich selbst - zu kommen. Diesen Kompromiss finde
ich im Antrag der Abgeordneten von Renesse, Böhmer
und Catenhusen, der eine gute Grundlage für die heutige
Entscheidung bildet. Denn Kompromisse sind in dieser
Frage nicht nur möglich, Herr Kollege Wodarg, sondern
auch nötig. Das möchte ich deutlich hervorheben.
({0})
Kein Problem wird mit einem kompromisslosen Nein
gelöst, selbst wenn es hierfür heute eine Mehrheit gäbe.
Kein Problem wird dadurch gelöst - nicht national und
erst recht nicht international. Aus diesem Grunde stimme
ich Ihnen, Kollegin Flach, auch in dem, was Sie eingangs
bemerkt haben, nicht zu, nämlich dass sich die Antragstellerin von Renesse und andere um den Problemkreis
herumgemogelt hätten. - Nein, der Antrag enthält eine
klare Aussage: Wir verbieten den Import, aber wir formulieren den Erlaubnisvorbehalt mit strengen Auflagen. Das kennen wir auch aus anderen rechtlichen Regelungen, die wir - übrigens auch in diesem Hause getroffen haben. Ich erinnere an den § 218, Herr Kollege
Hüppe.
Für mich stehen zwei Fragen im Vordergrund: Bildet
die Biomedizin einen besonderen Bereich der Wissenschaft, der auch besonderer Regelungen bedarf? - Ja.
Auch das wollen wir mit unserem Antrag erreichen. Die
Forschung bestärkt uns sogar darin. Ich zitiere aus einem
Schreiben der sechs Nobelpreisträger an uns:
Die Verfassung räumt Forschung und Lehre ein Privileg ein. Für uns Wissenschaftler bedeutet dies, mit
dem Privileg selbstverständlich auch sorgsam umzugehen. Das ist eine Pflicht, die wir ernst nehmen.
Frau Kollegin Nickels, ich kann darin nichts von Schrankenlosigkeit der Wissenschaft erkennen. Davon kann
nicht die Rede sein.
({1})
Ich habe auch keinen Grund, an diesen Aussagen zu zweifeln.
Wir sind übrigens immer sehr stolz auf unsere Nobelpreisträger und meinen, dass deren Leistungen stärker gewürdigt werden müssten. All diejenigen, die dies immer
wieder sagen, sollten wenigstens in diesen Fragen auch
einmal auf sie hören. Ich bemühe mich darum.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich stellt sich
die Frage nach Alternativen. Die gibt es auch. Aber diese
Alternativen schließen die Grundlagenforschung nicht
aus und dürfen sie auch nicht ausschließen. Wir sollten
keinen Gegensatz zwischen adulten und embryonalen
Stammzellen aufbauen. Wir wissen nicht, welche Wege
erfolgreich sind, aber selbstverständlich setzen wir in genau dem Bereich, der hier eingefordert wird, Schwerpunkte. Das ist auch in unserem Antrag enthalten. Wir geben allein für diesen Bereich 100 Millionen Euro aus.
Kein anderes Land in Europa tut mehr dafür. Wir wollen
diesen Weg noch ausbauen. Das schließt aber den anderen
Weg nicht aus.
Wir dürfen auch andere Optionen nicht ausschließen
- weder die adulten Stammzellen noch die Nabelschnur
und den Tierversuch -, auch darin sind wir uns sicherlich
einig. Es ist zwar davon heute nicht die Rede gewesen: Es
muss auch da ethische Begrenzungen geben. Wir dürfen
aber, wie gesagt, die embryonalen Stammzellen nicht ausschließen.
Im Übrigen können wir nach Art. 5 des Grundgesetzes
auch nicht vorschreiben, welche Wege beschritten werden
können, und wir dürfen auch nicht politisch festlegen,
welche Wege die erfolgreichen sind. Ich habe den Eindruck, dass es bei einigen nicht so recht angekommen ist,
was in Art. 5 des Grundgesetzes geregelt ist.
({2})
Wir haben zwei widersprüchliche Argumente gehört.
Die einen wollen wegen der überzogenen Heilserwartungen nicht zustimmen. Andere wiederum sind der Meinung, dass die Heilserwartungen nicht erfüllt werden können. Das ist tatsächlich ein Widerspruch. Nein, wir wissen
nicht, was dabei herauskommt. Aber genau das soll
schließlich erforscht werden.
({3})
Unser Ziel ist es, herauszubekommen, welcher Weg erfolgreich sein wird. Ich hoffe, dass es ein Weg sein wird,
der ethisch vertretbar ist und dem entspricht, was die deutschen Wissenschaftsorganisationen in ihrem Schreiben an
uns ausgeführt haben. In Abwägung der verfassungsrechtlich geschützten Güter - Lebensschutz und Schutz
der Freiheit der Forschung - und nicht zuletzt, um den Erwartungen der kranken und hilfsbedürftigen Menschen
Rechnung zu tragen, erhoffen wir uns für die Wissenschaft eine verantwortungsvolle Entscheidung des Deutschen Bundestags. Unser Antrag greift dies auf, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich bitte Sie sehr herzlich um Ihre
Zustimmung.
Wir wollen keinen Weg verbauen, sondern jeden vertretbaren Weg öffnen. Aber wir wollen jeden Weg verantwortungsbewusst gestalten.
Ich danke Ihnen.
({4})
Es spricht
die Kollegin Antje Vollmer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Vorfeld dieser Debatte ist sehr viel vor Fundamentalismus
und moralischem Rigorismus gewarnt worden. Ich bin
sehr froh darüber, dass es diese fundamentalistischen
Stimmen, die Hitzigkeit apokalyptischer Gefahrenbeschwörungen in dieser Debatte nicht gegeben hat. Das
gibt dieser Debatte eine gewisse Ruhe, aber es gibt ihr
auch eine große Qualität, gewährleistet letztlich die Freiheit der Entscheidung. Das spricht für dieses Parlament.
({0})
Ich möchte deswegen über zwei andere Begriffe sprechen, nämlich über Aufklärung und über Freiheit. Es ist
das Recht dieses Parlaments, von denen, die besonders
betroffen sind und die besonders große Anforderungen an
uns gestellt haben, nämlich von den Wissenschaftlern, zu
verlangen, sich ebenfalls einer Debatte der Aufklärung
zu stellen. Ich habe manchmal den Eindruck, als ob es im
Kern des wissenschaftlichen Wollens so etwas gibt wie einen unaufgeklärten Rest, eine Zone, über die man nicht
diskutiert und über die man sich keine Klarheit verschafft.
Ich sage das auch deshalb, weil ich selber lange Zeit auf
einer Station der Spitzenmedizin gearbeitet habe.
Der Punkt, der mir unaufgeklärt erscheint, ist der des
Mehr bei der Forschung an embryonalen Stammzellen
gegenüber der Forschung an adulten Stammzellen. In Bezug auf die Forschung an adulten Stammzellen gibt es bis
heute keine feststellbare Grenze. Wenn es keine feststellbare Grenze gibt, besteht meines Erachtens kein Grund,
darüber hinauszugehen und zu sagen, dass man unbedingt
embryonale Stammzellen braucht, jedenfalls nicht, ohne
Auskunft über das qualitative Mehr der embryonalen
Stammzellen zu geben.
({1})
Mir kommt es manchmal so vor, als ob das - ich will
diesen Eindruck mit einfachen Worten wiedergeben - ein
magisches Mehr ist, als ob es darum geht, an die Grundsubstanz der Schöpfung heranzukommen, der man dieses Mehr zutraut. Da, finde ich, kann man Wissenschaftlern zumuten, den mühseligeren Weg zu gehen, an den
adulten Stammzellen das zu erforschen, was sie noch
nicht ausgeforscht haben.
({2})
Eine Aufklärungsdebatte müssen wir, finde ich, angesichts der Möglichkeiten der Moderne auch über unsere
eigenen Wünsche nach Heilung, aber auch über die Grenzen von Heilungsmöglichkeiten führen. Viele Debatten
in der modernen Medizin haben damit zu tun.
Aufklären müssen wir uns auch über das, was dem
Staat erlaubt ist. Wir haben in der Debatte über die Organtransplantation zum ersten Mal einen kleinen Raum des
Noch-Lebens vom Schutz des Staates freigestellt. Wir
sind jetzt dabei, einen solchen freien Raum am anderen
Ende des Lebens, am Anfang, zuzulassen. Wie weit
dürfen wir noch gehen? Das ist die Frage, die uns allen
gestellt wird und zu der wir selbst einen Präzedenzfall geschaffen haben.
Ich will aber auch über die Freiheit reden. Wir brauchen und wir haben heute die Freiheit der Wahl. Alle die
haben nicht Recht, die heute vor allem von den Gesetzen
des nationalen Wissenschaftsraums Deutschland gesprochen haben. In der globalisierten Welt gibt es diese
nationale Sphäre des wissenschaftlichen Forschens nicht
mehr. Aber rund um uns herum, in den USA, in Großbritannien, an vielen Orten, existiert diese Forschung an den
embryonalen Stammzellen. Welches Signal bedeutete es,
wenn von einem Land wie unserem, das ebenfalls Spitzenforschung betreibt, gesagt würde: „Wir wollen heute
vor allem an adulten Stammzellen forschen.“?
Es ist - ich glaube, vom Herrn Bundeskanzler - gesagt
worden, es werde einen Export von Wissenschaftlern geben. Ich meine dagegen: Eine solche Entscheidung dieses
Hauses stellte eine riesengroße Einladung an die Wissenschaftler dar, die an den adulten Stammzellen forschen
wollen. Ich bitte Sie alle, diesen Wissenschaftlern, aber
auch uns selbst diesen Raum der Freiheit zu geben.
Wir können wählen. Im Wissen der Menschheit ist verankert, dass es stets genügend Möglichkeiten gab, den jeweils anderen Weg zu gehen. Es gibt aber auch die Erfahrung, dass ein Weg gelegentlich in eine Sackgasse führt.
Wir können heute noch Nein sagen. Bitte unterstützen Sie
das und ermöglichen Sie so eine Alternative.
({3})
Ich bitte
nunmehr auch noch für die drei letzten Redner um Ihre
Aufmerksamkeit. Jeder Redner spricht für einen der drei
Anträge. Ich gebe zunächst dem Kollegen Wolfgang
Schäuble das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Viele
haben in dieser Debatte vor allem einen Gegensatz zwischen der Menschenwürde und der Forschungsfreiheit
herausgearbeitet. Ich beurteile das anders. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde ist doch wohl Ausdruck der
Einzigartigkeit des Menschen gegenüber jeder anderen
Form von Leben. Diese Einzigartigkeit des Menschen gegenüber jeder anderen Form von Leben ist, soweit ich es
verstanden habe, naturwissenschaftlich nicht eindeutig zu
begründen, sondern eine religiös begründete oder ethische Normsetzung. Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms kann die Einzigartigkeit menschlichen Lebens nicht begründen. Nur wenige Gene unterscheiden
uns von anderen Lebewesen. Auch die Evolutionsbiologie
kann den Punkt, an dem sich diese Einzigartigkeit des
Menschen festmacht, nicht genau definieren. Es ist also
eine religiös begründete oder ethische Normsetzung.
Eines aber scheint klar zu sein: Neugier, Lernbereitschaft, der Drang nach immer mehr und immer neuer Erkenntnis ist beim Menschen einzigartig. Wenn also Forschung und Drang nach mehr Wissen das Besondere und
Unverwechselbare des Menschen mit begründen, dann
muss Forschungsfreiheit für mich eher Bestandteil der
Unantastbarkeit der Menschenwürde sein, als dass sie zu
ihr im Widerspruch stünde.
({0})
Im Übrigen hat in der Geschichte die Auffassung, was
die Unantastbarkeit der Menschenwürde konkret bedeutet, immer sehr viel mit dem jeweiligen Stand von Forschung und Erkenntnis zu tun gehabt. Dies gilt auch für
diese Debatte. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion,
Friedrich Merz, hat aus heutiger Sicht Nein gesagt. Wie
aber wollen wir die morgige Sicht finden, wenn wir heute
nicht forschen dürfen?
({1})
Meine Kolleginnen und Kollegen, in der Geschichte
sind anatomische Forschungen an Leichen lange als Verstoß gegen die Menschenwürde gewertet worden. Heute
sehen wir das zweifelsfrei anders. Auch die Entschlüsselung des menschlichen Genoms oder die Organtransplantation werden kaum noch als Verstoß gegen die Würde des
Menschen gewertet. Das heißt, der jeweilige Forschungsstand beeinflusst offenbar das Verständnis dessen, was
Menschenwürde im Einzelnen bedeutet.
In dieser Debatte geht es für mich eigentlich auch nicht
um den Beginn des menschlichen Lebens. Das ist - wie
das Sterben - doch wohl eher ein Prozess, als dass man es
an einem Punkt, an einer Sekunde festmachen könnte. Die
Unantastbarkeit der Menschenwürde entfaltet übrigens
Schutzwirkung auch über Anfang und Ende des individuellen menschlichen Lebens hinaus. Beim Umgang mit
Verstorbenen und menschlichen Leichen wissen wir das.
Umgekehrt treten auch diejenigen, die den Beginn
menschlichen Lebens mit der Verschmelzung von Ei und
Samenzelle definieren, nicht dafür ein, dass man zuvor,
also mit den noch nicht verschmolzenen Zellen, unter dem
Gesichtspunkt der Menschenwürde beliebig verfahren
könnte. Also geht die Menschenwürde über Anfang und
Ende des individuellen Lebens hinaus.
({2})
Ich kann mir menschliches Leben in seiner Einzigartigkeit nicht ohne die Mutter denken; ich will es auch gar
nicht. Weil der Mensch viel mehr ist als die Summe seiner Gene, ist das Einzigartige des Menschen eben mehr
als nur die genetische Definition des Individuums.
({3})
Dies sage ich in dem Wissen, dass bei katholischen und
evangelischen Theologen, aber auch in den großen monotheistischen Weltreligionen die Meinungen darüber geteilt sind. Unsere bürgerliche Rechtsordnung hat übrigens
bislang keinen Zweifel daran gelassen, dass die Frau, die
ein Kind zur Welt bringt, auch die Mutter dieses Kindes
ist. Das sollte man nicht gering schätzen, denn unser BürDr. Antje Vollmer
gerliches Gesetzbuch ist auch zu Gesetz geronnene kulturelle Erfahrung.
Der Hinweis auf andere Religionen, in denen das anders gesehen wird, bringt mich zu dem dritten Argument,
das ich Ihnen bei Ihrer Entscheidung zu bedenken gebe.
Aus der Unantastbarkeit der Menschenwürde folgt, dass
jeder Mensch Träger unveräußerlicher Menschenrechte ist, unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder
auch religiöser Überzeugung. Freiheit, Toleranz und Pluralismus folgen also zwingend aus diesem Verständnis.
Vor diesem Hintergrund, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann uns eben nicht unberührt lassen, was andere Gesellschaften, Kulturen und Rechtsordnungen in Bezug auf
diese Frage denken. Wenn andere Staaten in Europa oder
auf anderen Kontinenten hinsichtlich der Forschung an
Stammzellen zu anderen Ergebnissen kommen, sollten
wir zurückhaltend sein, dies als Verstoß gegen die Unantastbarkeit der Menschenwürde zu bewerten.
Frau Kollegin Knoche, Sie haben gesagt, andere Völker in Europa wären froh, wenn ihre Verfassungen den
Schutz der Menschenwürde enthielten. In der Grundrechte-Charta der Europäischen Union ist der Satz von der
Unantastbarkeit der Menschenwürde mit dem ersten Satz
des Art. 1 Abs. 1 unseres Grundgesetzes identisch. Wir
sollten also darauf achten, dass wir nicht andere aus dem
Kreis derer hinaus argumentieren, die für den Schutz der
Unantastbarkeit der Menschenwürde stehen.
({4})
Natürlich wird niemand durch den Hinweis auf Entscheidungen anderer von der Notwendigkeit entbunden, selbst
eine Entscheidung zu fällen. Aber vielleicht legt das doch
nahe, nicht nur einen Standpunkt kategorisch für den allein richtigen zu halten.
Im Übrigen gibt es kaum einen Zweifel - das ist schon
zu Beginn von Kollegin von Renesse gesagt worden -,
dass wir Erkenntnisse, die andere aufgrund anderer Entscheidungen gewinnen sollten, in der Zukunft gegebenenfalls auch für uns nutzen werden. Auch das sollte uns
im Hinblick darauf, was wir mit welcher Entschiedenheit
rechtlich regeln wollen, eher zurückhaltend machen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich zitiere ErnstWolfgang Böckenförde: Aufgabe des Rechts ist es nicht,
eine „Tugend- oder Wahrheitsordnung“ zu sein, sondern
Aufgabe des Rechts ist es, auf der Grundlage der Unantastbarkeit der Menschenwürde und der unveräußerlichen
und unverletzlichen Rechte jedes einzelnen Menschen
eine „Ordnung des Friedens und der Freiheit“ zu ermöglichen. Wenn das die Aufgabe der Rechtsordnung ist, dann
erfordert das, Raum für unterschiedliche kulturelle und
religiöse Überzeugungen zu lassen. Anderenfalls wird das
Recht seines Frieden stiftenden Charakters eher entkleidet. Aus all diesen Gründen plädiere ich dafür, die Freiheit der Forschung im Zweifel möglichst nicht durch gesetzliche Einzelregelungen zu beschränken.
Auch ich bin dafür, dass man - wer immer das zu entscheiden hat - der Forschung an adulten Stammzellen den
Vorrang einräumt. Das ist überhaupt nicht strittig. Aber
sollen wir darüber als Gesetzgeber entscheiden? Ich
meine: nein. Ich sage: Im Zweifel sollten wir die Freiheit
der Forschung nicht durch gesetzliche Einzelregelungen
reglementieren, sondern eher auf die gewissensstärkende
Kraft eines ethischen Diskurses setzen.
({5})
Es spricht
der Kollege Wolf-Michael Catenhusen.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Tagen hat
ein Essener Biologe von seiner Forschung an adulten
Stammzellen gesprochen; denn es gelang ihm, aus Knochenmarkstammzellen Leberzellen herzustellen. Dieser
Wissenschaftler hat bei der Präsentation seiner Ergebnisse
die Mitteilung über seine Erfolge in der adulten Stammzellforschung mit der klaren Aussage verbunden, dass
auch nach seiner Auffassung angesichts des geringen
Fortschritts der Stammzellforschung insgesamt und angesichts der zentralen Bedeutung, die ein besseres Verständnis der Differenzierung des Zellgewebes von Menschen
hat - wie differenziert sich eine Stammzelle in bis zu
250 unterschiedliche Zelltypen -, auch die Einbeziehung
der embryonalen Stammzellen in ein strategisches Konzept für die Stammzellforschung unverzichtbar sei.
Ich verstehe die Argumente derjenigen, die eine eher
wertorientierte Entscheidung mit wissenschaftlichen Argumenten untermauern wollen. Ich rate allerdings dringend davon ab, dass wir Parlamentarier - gar durch ein
Gesetz - der Wissenschaft vorschreiben, was Erfolg versprechende und was weniger Erfolg versprechende Wege
der Wissenschaft auf diesem schwierigen Gebiet sind.
({0})
Die Debatte ist heute auch - so werden das viele sehen,
die in späteren Jahren über unsere Debatte nachdenken ein Maßstab für die Kultur des Umgangs zwischen Wissenschaft und Gesellschaft in Deutschland, einer Gesellschaft, die immer mehr zu einer Wissenschaftsgesellschaft wird und in der die Frage grundsätzlich geklärt
werden muss, wie wir mit einer Entwicklung, mit einer
Perspektive umgehen, deren Kennzeichen es ist, dass wir
als vernunftbegabte Wesen immer mehr wissen wollen
und immer mehr wissen werden. Uns ist das Schicksal
mitgegeben, vernunftbegabt zu sein. Der Glaube, uns
durch Nicht-mehr-wissen-Wollen sozusagen ethische
Grenzen zu setzen, ist der falsche Ansatz.
({1})
Wir sind als Menschen dazu verurteilt, Maßstäbe für einen verantwortlichen Umgang mit dem, was die Wissenschaft an erwarteten und an unerwarteten Ergebnissen
hervorruft, zu entwickeln, oder wir versagen als Menschen.
({2})
Genossinnen und Genossen! - Entschuldigung.
({3})
- Meine Damen und Herren, Sie auf der rechten Seite haben es in Ihren Fraktionen leichter, da Sie die Anrede
„Liebe Freundinnen und Freunde“ benutzen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wissenschaft war
immer mit Tabubrüchen verbunden. Ich stimme dem Kollegen Schäuble zu: Die Öffnung von Leichen im späten
Mittelalter - Christen sind zu diesem Zweck in muslimische Gebiete ausgewichen - war ein unerhörter Tabubruch. Die Vorstellung der christlichen Kirchen über den
Beginn des menschlichen Lebens hat sich Mitte des
19. Jahrhunderts dadurch dramatisch geändert, dass man
sich erstmals über die Bedeutung der Eizelle klar wurde.
Bis dahin gingen die christlichen Kirchen von einem Konzept der schrittweisen Beseelung des Menschen im Laufe
seiner Entwicklung aus. Unsere Vorstellungen vom
menschlichen Leben sind untrennbar mit den neuen Fragen und mit den neuen Ergebnissen der Wissenschaft verbunden.
Die Stammzellforschung ist ein strategisch wichtiges
Feld. Allerdings stehen wir vor dem Dilemma, dass zur
Erzeugung embryonaler Stammzellen Embryonen, also
menschliches Leben, verbraucht worden sind. Dieses Parlament wird das, was geschehen ist, durch seine heutige
Entscheidung nicht rückgängig machen können.
In dem Kompromissantrag von Frau von Renesse, Frau
Böhmer und anderen Abgeordneten, den ich nachhaltig
unterstütze, wird versucht, durch Regulierung der Forschung pragmatische Ziele zu setzen:
Erstens. Es soll kein zusätzlicher Bedarf an neuen
Stammzelllinien von deutschen Forschern erzeugt werden.
Zweitens. Es soll in jedem Einzelfall geprüft werden,
ob es andere Wege als den der Forschung an embryonalen
Stammzellen gibt, um das Forschungsziel zu erreichen.
Das ist ein pragmatischer Weg, um die Hochrangigkeit
der Forschung sicherzustellen.
Drittens. Wir wollen - das ist wichtig - mit unserm Antrag auch sicherstellen, dass in Deutschland nicht dieselbe
schizophrene Situation wie in den USA entsteht, wo es
eine unterschiedliche Ethik für öffentlich finanzierte Forschung und für von privaten Unternehmen finanzierte
Forschung gibt. Eine solche Schizophrenie der Ethik darf
nicht zum Modell deutscher Politik werden.
Ich sehe in der heutigen Entscheidung aber auch ein
grundsätzliches Problem. In dem Nein-Antrag wird versucht, eine ethisch ehrenwerte Position zu beschreiben. Es
werden aber auch Taten gefordert: Die Bundesregierung
wird in Kenntnis des grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Problems aufgefordert, die Freiheit der Forschung,
die grundgesetzlich garantiert ist, durch das Verbot der
Forschung an embryonalen Stammzellen einzuschränken, obwohl diese keine Embryonen sind und obwohl aus
ihnen kein Mensch entstehen kann. Sie unterliegen also
nicht unmittelbar dem Schutz des Grundgesetzes. Wollen
Sie dieses Problem nur der Bundesregierung zuschieben?
Nein, wir müssen das heute in unserer Verantwortung bewerten.
({4})
Deshalb werden diejenigen, die wie ich den Antrag von
Frau von Renesse, Frau Böhmer und anderen Abgeordneten unterstützen, selbst die Initiative ergreifen und nach
einer entsprechenden Entscheidung des Deutschen Bundestages möglichst noch in der nächsten Sitzungswoche
einen Gesetzentwurf in erster Lesung einbringen, der der
Wissenschaft drei Dinge klar machen soll: Der ethische
Abwägungsprozess soll nach Kriterien erfolgen, die für
die Wissenschaft klar und berechenbar sind. Es soll nach
Verfahren erfolgen, die für die Wissenschaft kalkulierbar
bleiben. Wir dürfen uns nicht in die Gefahr bringen lassen, heute mutige Entscheidungen zu treffen und anschließend der Wissenschaft mitteilen zu müssen: Vielleicht wissen wir erst in der nächsten Legislaturperiode,
ob und wie sich das Nein durchsetzen lässt oder wie der
kontrollierte Umgang mit embryonalen Stammzellen
auch praktisch möglich ist.
Ich denke, mit der Zustimmung zu dem Antrag, den ich
unterstütze, kann das Parlament seine Verantwortung für die
Gestaltung der Rahmenbedingungen der Verwendung von
embryonalen Stammzellen in Deutschland wahrnehmen.
Herzlichen Dank.
({5})
Als letzter
Redner spricht der Genosse Norbert Lammert.
({0})
Herr Präsident!
Unser ausgesprochen gutes persönliches Verhältnis wird
durch diese Gemeinheit nicht ernstlich getrübt werden.
({0})
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Je mehr ich in den vergangenen Monaten über
das Thema, über das wir heute diskutieren, gehört und gelesen habe und je mehr ich glaubte, davon verstanden zu
haben, desto unsicherer bin ich in meiner Beurteilung vieler Aspekte der Genomforschung und der Biomedizin geworden. Drei Einschätzungen sind mir allerdings ganz
persönlich bei meinem jedenfalls sehr ernsthaften
Bemühen um sorgfältige Behandlung dieses Themas zur
Gewissheit geworden:
Erstens. Es gibt keine Entscheidung, die ethisch vollkommen aufgeht, die über alle Zweifel erhaben ist, weil
sie allen ethischen Ansprüchen genügt.
Zweitens. Es gibt keine Möglichkeit, das grundsätzliche Verbot der Forschung an menschlichen Embryonen
gleichzeitig mit der Erlaubnis der Forschung unter bestimmten Bedingungen zu verbinden.
({1})
Wenn Forschung an Embryonen und ihre Tötung unter
festgelegten Voraussetzungen überhaupt erlaubt ist, dann
wird aus genau denselben Gründen auch die Herstellung
von Embryonen zu Heilungs- und Forschungszwecken
erlaubt werden.
({2})
Der gesamte Gang der Menschheitsgeschichte ist eine
unübersehbare Demonstration der Eigendynamik solcher
Entwicklungen. Deshalb kann die Genehmigung des Imports von embryonalen Stammzellen - trotz aller guten
Motive, die einer solchen Entscheidung zugrunde liegen
mögen und die ich keinen Augenblick in Abrede stelle ganz gewiss nicht die Brandmauer zum Schutz menschlichen Lebens und der Würde des Menschen sein, als die sie
in dieser Diskussion immer wieder ausgegeben wird.
({3})
Drittens. Soweit uns die Fortschritte der Biogenetik
Heilungschancen für bislang nicht therapierbare, schwere
Krankheiten eröffnen, bieten sie zugleich höchst zweifelhafte Aussichten auf eine genetische Programmierung
noch nicht geborener Menschen.
In Frankreich gibt es nach Auskunft des Vorsitzenden
des Nationalen Ethikrates gegenwärtig vier Fälle, in denen Kinder genetisch so „optimiert“ werden sollen, dass
man aus ihren Körpern später Zellen gewinnen kann, mit
denen ihre kranken Geschwister geheilt werden. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, schon ihre Geburt verfolgt einen anderen Zweck als sie selbst.
({4})
Genau dies, die Nutzung von Embryonen, ist die Verdinglichung werdenden menschlichen Lebens. Dies ist für
mich der Anfang vom Ende einer glasklaren Unterscheidung zwischen Person und Sache.
({5})
Genau deswegen geht es bei den heute zu treffenden
Entscheidungen eben nicht nur um den Umgang unserer
Gesellschaft mit Wissenschaft und Technik, sondern auch
um den Umgang unserer Gesellschaft mit ihren grundlegenden Wertüberzeugungen. Aldous Huxleys „Schöne
Neue Welt“ mit dem nach mathematisch-naturwissenschaftlichen Gesetzen perfekt funktionierenden Menschen wäre bestenfalls eine neue, ganz gewiss aber keine
schöne Welt.
Der Mensch hat sich, so wie er geschaffen ist und sich
entwickelt hat, nie mit den Defiziten seiner Existenz abfinden wollen - am wenigsten mit der Schicksalhaftigkeit
von Anfang und Ende seines Lebens. Er hat immer wieder vorgefundene Grenzen bekämpft, bis sie überwunden,
mindestens aber verschoben waren. So ist das Maß des
Möglichen immer mehr zum Maßstab des Erlaubten geworden. Und wenn am Ende alles möglich ist, soll dann
auch alles erlaubt sein? Die Politik - dieses Parlament hat nicht zu klären, was wissenschaftlich, technisch oder
medizinisch möglich ist, sondern es hat zu entscheiden,
was in unserer Gesellschaft erlaubt sein soll und was nicht
zugelassen werden darf.
({6})
Dies ist unsere ureigene Aufgabe.
Vor gut zehn Jahren - darauf ist in dieser Debatte mehrfach hingewiesen worden - hat der Bundestag das Embryonenschutzgesetz beschlossen. Damals wollte er das
Entstehen menschlichen Lebens auch außerhalb des Mutterleibes möglich machen. Zugleich wollte er jede Manipulation menschlichen Erbguts unterbinden. Wie ernst haben wir das Verbot der Forschung an menschlichen
Embryonen und embryonalen Stammzellen eigentlich gemeint, wenn es fallen soll, sobald Wissenschaft und Medizin die Möglichkeiten dafür eröffnen?
({7})
Wie unantastbar sind der Schutz des Lebens und die
Würde des Menschen von seinem Entstehen an, wenn sie
- über den unlösbaren Konflikt „Leben gegen Leben“ hinaus - der Abwägung mit anderen Interessen zum Opfer
fallen können?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, den Anfängen zu
wehren, ist es längst zu spät. Aber es ist nie zu spät, Entwicklungen, deren Folgen unabsehbar sind, anzuhalten
oder mindestens aufzuhalten - wenn wir nur den Mut haben, Nein zu sagen, solange dies - hoffentlich - noch
möglich ist.
({8})
Ich schließe
die Aussprache.
Es liegen eine Reihe von Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung vor. Sie werden zu Protokoll genommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zur Abstimmung über die drei Gruppenanträge. Sie benötigen
den blauen Stimmzettel. Ich bitte Sie, den Namen und die
Fraktion einzutragen. Stimmzettel, die mehr als ein Kreuz
aufweisen, kein Kreuz aufweisen oder keinen lesbaren
Namen enthalten, sind ungültig. Sie benötigen neben dem
blauen Stimmzettel auch noch die weiße Stimmkarte aus
Ihrem Stimmkartenfach in der Lobby.
Bekannt ist, dass im ersten Abstimmungsgang der Antrag angenommen ist, der die einfache Mehrheit erhält,
das heißt, mehr Ja-Stimmen als alle anderen Anträge zuDr. Norbert Lammert
sammen zuzüglich der Nein-Stimmen; sonst wird ein
zweiter Wahlgang erforderlich.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, benutzen Sie bitte
auch die Urnen an den Ausgängen. Dort ist nicht ein solcher Andrang wie hier vorne; dann geht es schneller.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis
zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Geduld. Ich kann das
Ergebnis noch nicht bekannt geben, weil mir das Abstimmungsprotokoll noch nicht vorliegt. - Die Stimmzettel für
die nächste Abstimmung werden schon verteilt, Sie müssen aber noch einen Augenblick warten, bis wir das Protokoll offiziell verlesen haben.
Ich darf schon jetzt darum bitten, bei der zweiten Abstimmung darauf zu achten, den Namen auf den Stimmzettel zu schreiben. Bei der ersten Abstimmung waren
18 Stimmzettel - ich glaube, das kann ich schon jetzt
sagen - ungültig, weil kein Name verzeichnet war. Deswegen bitte ich um Verständnis, dass ich, bevor ich den
zweiten Abstimmungsgang aufrufe, noch einmal deutlich
machen werde, wann ein fehlerhaft angekreuzter Stimmzettel zur Ungültigkeit führt.
Ich darf die Gelegenheit nutzen, die Parlamentarischen
Geschäftsführer zu fragen, ob entgegen der ursprünglichen Absicht auf eine Abstimmungspause verzichtet werden kann.
({0})
- Sobald das Protokoll verlesen wurde, lasse ich also mit
der zweiten Abstimmung beginnen.
({1})
Die unter-
brochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-
führern ermittelte Ergebnis der ersten Abstimmung be-
kannt. Abgegebene Stimmen 617. Ungültige Stimmen -
darauf habe ich hingewiesen - 18, gültige Stimmen 599.
Mit Nein haben gestimmt 2, Enthaltungen 2. Es entfielen
auf die Drucksache 14/8101 - Dr. Wodarg und andere -
263 Stimmen, auf die Drucksache 14/8102 - Dr. Böhmer
und andere - 226 Stimmen, auf die Drucksache 14/8103
- Frau Flach und andere - 106 Stimmen.1)
Ein Antrag ist angenommen, wenn er mehr Stimmen
als die beiden anderen Anträge zusammen zuzüglich der
Neinstimmen erhalten hat. Keiner der Anträge hat bei der
ersten Abstimmung diese erforderliche Mehrheit erreicht.
Der Antrag auf Drucksache 14/8103, auf den die geringste Zahl der Stimmen entfiel, scheidet für das weitere Abstimmungsverfahren aus. Die beiden bestplatzierten Anträge 14/8101 und 14/8102 kommen in den zweiten
Abstimmungsgang.
Für diese Abstimmung benötigen Sie jetzt den gelben
Stimmzettel und wieder den weißen Stimmausweis. Ich
bitte herzlich darum, dass alle ihren Namen eventuell mit
Ortszusatz und ihre Fraktion eintragen, und zwar leserlich. Wir haben wieder nur die Möglichkeit, ein Kreuz auf
dem Stimmzettel zu machen. Sie können für einen der beiden verbliebenen Anträge, für Nein oder für Enthaltung
stimmen. Auch hier gilt: Stimmzettel, die mehr als ein
Kreuz, gar kein Kreuz oder keinen lesbaren Namen aufweisen, sind ungültig.
Ein Antrag ist in diesem Abstimmungsgang dann angenommen, wenn er mehr Stimmen als der andere Antrag
zuzüglich der Neinstimmen enthält. Ich weise ferner darauf hin, dass es nicht auszuschließen ist, dass sich ein
dritter Wahlgang anschließt.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ich sehe, dass alle
Urnen besetzt sind. Ich eröffne die Abstimmung.
Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme abgegeben? - Das ist der Fall. Ich schließe die Abstimmung
und bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses unterbreche ich erneut die Sitzung.
({0})
Liebe Kol-
leginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wie-
der eröffnet. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der zweiten Abstim-
mung über die Anträge zur Stammzellforschung bekannt.
Abgegebene Stimmen 618. Ungültig eine Stimme. Gül-
tige Stimmen 617. Mit Nein haben gestimmt 10, Enthal-
tungen zwei.
Auf die Drucksache 14/8101, den Antrag des Abge-
ordneten Wodarg und anderer, entfielen 265 Stimmen, auf
die Drucksache 14/8102, den Antrag der Abgeordneten
Frau Dr. Böhmer und anderer, entfielen 340 Stimmen.2)
({0})
Ein Antrag ist angenommen, wenn er zuzüglich der Nein-
stimmen mehr Stimmen erhält als der andere Antrag. Das
heißt, der Antrag der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer,
Margot von Renesse, Andrea Fischer, Horst Seehofer und
anderer auf Drucksache 14/8102 mit dem Titel „Keine
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
1) Endgültiges Ergebnis und Namensliste siehe Seite 21239 ({1}) 2) Endgültiges Ergebnis und Namensliste siehe Seite 21250 ({2})
verbrauchende Embryonenforschung - Import humaner
embryonaler Stammzellen grundsätzlich verbieten und
nur unter engen Voraussetzungen zulassen“ hat im zweiten Abstimmungsgang die erforderliche Mehrheit erhalten und ist damit angenommen.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Donnerstag, den 31. Januar,
9.00 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.