Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir die heutigen Plenarberatungen mit einer Geschäftsordnungsdebatte beginnen müssen, ist ebenso überflüssig wie unverständlich. Wir haben
uns unter den Geschäftsführern vergeblich bemüht, zu einer Einigung darüber zu kommen, dass der Antrag „Vorhaben zukünftiges Transportflugzeug A400M“ hier debattiert wird. Das ist deswegen unverständlich, weil auch
in den Reihen der Opposition offensichtlich Einverständnis darüber besteht, dass ein solches Flugzeug beschafft
werden soll und dass die Grundlagen dafür im parlamentarischen Verfahren hergestellt werden sollen. Nun bieten
wir Ihnen dieses an und Sie lehnen das ab. Irgendwo
kommt man da nicht mehr so ganz mit.
Sie haben selbst erklärt - das erhöht das Unverständnis
gegenüber dem Verhalten der Opposition und insbesondere der CDU/CSU -, dass Sie zu dem von uns eingebrachten Antrag Änderungsanträge einbringen werden.
Warum wollen Sie dann hier keine Debatte zulassen und
erzwingen eine Geschäftsordnungsauseinandersetzung?
Ich denke schon, dass Sie da sehr unkoordiniert und
widersprüchlich handeln.
Wir werden unseren Antrag, den der Herr Präsident
schon vorgestellt hat, aufrechterhalten. Wir wollen heute
Nachmittag diese Debatte führen, um die Grundlagen für
die Airbus-Beschaffung zu legen. Wir bitten Sie um Ihre
Zustimmung; vielleicht kommen Sie ja im Laufe des Tages doch noch zu einer entsprechenden Haltung.
Vielen Dank.
({0})
Präsident Wolfgang Thierse
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hans-Peter Repnik, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was vom Herrn Kollegen
Schmidt so harmlos vorgetragen wird und sich so harmlos anhört, ist ein weiteres dreistes Kapitel aus dem Tollhaus verfehlter rot-grüner Regierungspolitik.
({0})
Einmal mehr wird der Versuch unternommen zu tricksen,
zu täuschen und Ressortstreitigkeiten innerhalb der Bundesregierung zu überdecken.
Um es vorweg zu sagen: Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, widersprechen der Aufsetzung. Wir begrüßen als Fraktion ganz eindeutig die grundsätzliche
Bereitschaft der Bundesregierung, in dieser Frage, die
Lufttransportflotte zu modernisieren, endlich zu handeln.
Die geplante Beschaffung des neuen Transporters
kostet Geld, wie wir wissen. Es kostet das Geld des Steuerzahlers. Dafür gibt es ja seit Jahrzehnten ein eingefahrenes Regelwerk, das einzuhalten ist. Der von Verteidigungsminister Scharping am 18. Dezember letzten Jahres
unter Parlamentsvorbehalt unterzeichnete Vertrag über
die Beschaffung von 73 Maschinen des Typs A400M ist
so lange schwebend unwirksam, bis wir, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die entsprechenden Finanzmittel im Bundeshaushalt 2002 bereitgestellt haben.
Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis möchte ich gerne
aus einem Brief zitieren, den Sie meinem Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz am 28. Dezember 2001 zukommen ließen, in dem Sie auf sein Schreiben antworteten.
Der Präsident trägt in diesem Brief vor - ich darf ihn zitieren:
Nach den mir vorliegenden Informationen gehe ich
allerdings davon aus, dass Rechte des Parlaments,
insbesondere seine Budgethoheit nicht berührt sind,
da die Verträge gerade unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Parlaments unterzeichnet wurden und
deshalb erst rechtswirksam werden können, wenn
der Bundestag sie billigt und die entsprechenden
haushaltsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen
sind.
({1})
Nichts anderes, verehrte Kolleginnen und Kollegen, haben wir seitens der CDU/CSU-Fraktion vor.
Mit dem Antrag, den die SPD heute auf die Tagesordnung zwingen und abstimmen lassen will, ist genau diese
haushaltsrechtliche Situation nicht gegeben. Von daher
sind wir der Überzeugung, dass wir anders prozedieren
sollen.
Man muss nicht unbedingt Jurist sein, um den Straftatbestand zu erahnen, der erfüllt wird, wenn man durch Vortäuschung falscher Tatsachen beim Vertragspartner mögliche finanzielle Verpflichtungen auslöst. Auch dies darf
ich vielleicht am Rande erwähnen.
({2})
({3})
- Herr Kollege Struck, Sie kokettieren immer damit, dass
Sie sich in Haushalts- und Finanzfragen auskennen. Diejenigen, die sich mit dem Haushaltsrecht auskennen, wissen, dass nur im Wege eines Nachtragshaushaltes der
Parlamentsvorbehalt gegenüber dem vom Verteidigungsminister unterzeichneten Beschaffungsvertrag beseitigt
werden kann.
({4})
Ich füge hinzu, um unsere grundsätzliche Bereitschaft
zu diesem Vorhaben noch einmal zu dokumentieren:
Wir haben in den Haushaltsberatungen des vergangenen
Herbstes gerade hierzu Anträge gestellt. Diese Anträge
sind von der Koalitionsmehrheit abgelehnt worden. Wir
haben auch in den Gesprächen in der letzen Woche - Herr
Kollege Schmidt, auch in unseren bilateralen Gesprächen konkret angeboten, sehr schnell einen Nachtragshaushalt
zu verabschieden, weil wir der Meinung sind: Die Bundeswehr hat es verdient, dass diese Beschaffungsmaßnahmen vorgenommen werden, und unsere ausländischen
Vertragspartner müssen Rechtssicherheit in dieser Frage
bekommen. Das geht aber nicht ohne einen Nachtragshaushalt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind der
Überzeugung, dass wir dieses Verfahren heilen können,
und zwar auf ordentlichem Weg mit einem Nachtragshaushalt. Der Antrag, den die Koalition einbringt und
heute verabschieden lassen will, heilt diesen Mangel jedoch nicht. Er stellt weder für die Bundeswehr noch für
unsere ausländischen Vertragspartner Rechtssicherheit
her. Deshalb finden wir, dass dieser Antrag heute nicht auf
die Tagesordnung gehört,
({5})
weil wir damit einen Nachtragshaushalt beschließen. Ich
bitte daher das Hohe Haus, unserem Antrag, der Aufsetzung zu widersprechen, zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die
Grünen.
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Repnik,
bisher habe ich die Position der Union so verstanden,
dass sie das Airbus-Projekt will. Wenn Sie jetzt davon
reden, wir würden mit diesem Antrag falsche Tatsachen
vorspiegeln, dann frage ich Sie ganz klar, ob Sie Ihre Zustimmung wieder zurücknehmen oder infrage stellen.
({0})
Von Tricksen und Täuschen kann überhaupt nicht die
Rede sein. Es ist richtig, dass wir einen Parlamentsvorbehalt wollen. Wir werden diesem Parlamentsvorbehalt mit
dem Beschluss, den wir heute selbstverständlich fassen
werden, auch gerecht.
Es ist richtig, dass wir ein haushaltsrechtlich einwandfreies Verfahren brauchen. Diesem haushaltsrechtlich einwandfreien Verfahren werden wir mit dem Beschluss, den
wir heute fassen werden, gerecht. Wir werden nämlich einen Teil des Geldes jetzt und den zweiten Teil des Geldes
im Haushalt 2003 darstellen. Richtig ist übrigens auch,
dass wir eine hohe Verbindlichkeit unseren Partnern gegenüber brauchen. Auch das werden wir mit dem Antrag
heute deutlich machen, es sei denn, die Union will ihre
Zustimmung zu dem Projekt, die sie signalisiert hat,
zurücknehmen.
Ich glaube, dass wir ganz klar und einwandfrei, ohne
Tricksen und Täuschen heute über diesen Antrag beraten
können. Ich kann Sie nur auffordern, ihn entsprechend zu
unterstützen und nicht vor dem Hintergrund von Wahlkampftrara zu versuchen, das Projekt zu verhindern. Sie
tun sich und dem Projekt damit keinen Gefallen
({1})
und Sie tun der europäischen Verteidigungspolitik keinen
Gefallen.
({2})
Sie tun vor allen Dingen dem Parlament keinen Gefallen,
wenn Sie hier falsche Tatsachen vorspiegeln, Herr
Repnik.
Vielen Dank.
({3})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Jürgen Koppelin, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor sieben Wochen stand der
Bundesfinanzminister an diesem Pult und erklärte, das sei
die letzte Haushaltsdebatte in dieser Legislaturperiode.
Wie wir sehen, hat nicht einmal das gestimmt.
Mit dem Antrag, den die Koalition heute auf die Tagesordnung setzen will, eröffnet sie die Debatte um den
Bundeshaushalt 2002 neu. Es zeigt sich bereits nach sieben Wochen: Ihr Haushalt ist mehr Schein als Sein.
({0})
Gegen den Rat der Opposition, gegen unsere Anträge
haben Sie sich dazu entschlossen, Mittel für die Beschaffung von 45 Flugzeugen im Bundeshaushalt einzustellen.
Am Parlament vorbei hat der Bundesverteidigungsminister wenige Tage später einen Vertrag über 73 Flugzeuge unterzeichnet. Er hat das getan, obwohl er wusste,
dass ihm dafür nicht die finanziellen Mittel zur Verfügung
stehen. Er hat es getan, obwohl ihm die Abgeordneten der
rot-grünen Koalition im Haushaltsausschuss deutlich gemacht haben, dass er das Geld nur für 45 Flugzeuge bekommt und keine Mark mehr erhält. Die Konsequenz daraus war natürlich die Ablehnung aller Anträge der
Opposition durch die Koalition.
Man darf hier festhalten: Der Bundeshaushalt ist ein
Gesetz. In namentlicher Abstimmung haben der Bundeskanzler und der Bundesverteidigungsminister diesem
Haushalt zugestimmt, in dem steht: 45 Flugzeuge und
kein Stück mehr. Das müssen wir festhalten. Das war vor
sieben Wochen.
Woher hat der Verteidigungsminister sich nun das
Recht genommen, für 73 Flugzeuge zu unterschreiben?
Von solider Regierungsarbeit kann da ja wohl nicht die
Rede sein.
Heute wollen Sie mit Ihrem Antrag Ihre falsche Entscheidung von vor sieben Wochen korrigieren, und das,
liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, ohne eine
Beratung des Haushaltsausschusses, in einem Schnellverfahren quasi am Parlament vorbei.
({1})
- Entschuldigung, darauf komme ich gleich, Kollege
Schlauch.
Sie begehen einen eindeutigen Verstoß gegen Art. 110 des
Grundgesetzes.
({2})
Ein von der FDP in Auftrag gegebenes Gutachten des
Wissenschaftlichen Dienstes und die Stellungnahme des
Bundesrechnungshofs, die wir vor zwei Tagen bekommen
haben, sagen deutlich: Sie können nur durch einen Nachtragshaushalt heilen; nur mit einem Nachtragshaushalt
kann die Unterschrift des Verteidigungsministers Gültigkeit erlangen.
({3})
Da Sie in der Koalition anscheinend Probleme mit dem
Art. 110 des Grundgesetzes haben, darf ich Ihnen mit Erlaubnis des Präsidenten den Kommentar dazu vorlesen:
Soweit die Exekutive über die betreffende
Planungsperiode hinaus Verpflichtungen eingehen
will, zum Beispiel durch Verträge oder Bewilligungsbescheide für längerfristige Vorhaben, die
zwangsläufig zu kassenmäßigen Ausgaben in späteren Haushaltsjahren führen, braucht sie dafür so genannte Verpflichtungsermächtigungen. Andernfalls
könnte die Exekutive durch rechtlich bindende VorKatrin Göring-Eckardt
verfügungen das Budgetrecht des Parlaments aushöhlen.
({4})
Würden wir heute Ihrem Antrag zustimmen und ihn auf
die Tagesordnung setzen, so wie Sie das wollen, würden
wir das Budgetrecht des nächsten Parlaments aushöhlen.
Absichtserklärungen für eine künftige Bundesregierung,
liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, die Sie
hier beschließen wollen, können Sie aber auch nicht abgeben; denn die nächste Bundesregierung wird ja nicht
von Rot-Grün gestellt.
({5})
Warum Sie keinen Nachtragshaushalt vorlegen, das
wissen wir. Der Bundesfinanzminister müsste dann nämlich auch zur Konjunktur, zum Arbeitsmarkt und zur mittelfristigen Finanzplanung Stellung nehmen. Diese Bilanz
würde für Sie katastrophal und furchtbar aussehen.
Der Antrag, den Sie heute auf die Tagesordnung setzen
wollen, klärt nichts und lässt alle haushaltsrechtlichen
Fragen unbeantwortet. Die Unterschrift des Bundesverteidigungsministers ist haushaltsrechtlich nicht abgesichert, ist ein Verstoß gegen das Haushaltsrecht.
Man merkt, dass Sie ein schlechtes Gewissen haben.
Sie wollen diesen Antrag heute auf die Tagesordnung setzen lassen und etwa um 22 Uhr, also zu später Stunde,
wenn die Journalisten nach Hause gegangen und die Kameras abgeschaltet sind, beraten lassen. Warum scheut Ihr
Antrag eigentlich das Tageslicht?
({6})
Wir werden Ihrem Ansinnen, diesen Antrag heute auf
die Tagesordnung zu setzen, nicht zustimmen. Sie können
von der Fraktion der Freien Demokraten nicht erwarten,
dass sie sich an einem Rechtsbruch beteiligt.
({7})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rolf Kutzmutz, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Es scheint sinnvoll und überzeugend zu sein,
dass ein Antrag auf die Tagesordnung gesetzt wird, um
eine parlamentarische Befassung mit dem Militärairbus
A400M zu erreichen. Schließlich ist in den letzten Tagen
sehr viel darüber diskutiert worden. Immer wieder und
quer durch alle Parteien wird darauf verwiesen, dass mit
der Unterschrift gegen das Parlamentsrecht verstoßen
worden ist und dass das Parlament außen vor gelassen
wird.
Es scheint aber nur sinnvoll zu sein; denn mit dem Antrag, der heute auf die Tagesordnung gesetzt werden soll
- unabhängig von der Zeit; Herr Koppelin hat gesagt, er
werde dann um 21 oder 22 Uhr - mit einer Debattenzeit
von gerade einmal 30 Minuten beraten -, wird das nicht
geheilt. Dagegen spricht auch nicht die Geschäftsordnung. Ich meine, es geht um eine Größenordnung, bei der
es erforderlich ist, dass wir im Parlament sehr ausführlich
diskutieren und keine Vorabzustimmung geben sollten.
Ich halte eine Debatte zu dieser Zeit und in diesem Umfang für eine Farce.
Schließlich soll mit diesem Antrag die Absicht der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
begründet werden, über die Finanzierung weiterer 33 Militärairbusse mit einem Volumen von mehr als 3,5 Milliarden Euro mit dem Bundeshaushalt 2003 zu entscheiden.
Damit wäre der Parlamentsvorbehalt nach Ihrer Auffassung aufgehoben. Würden wir der Aufsetzung zustimmen
und würde damit eine Mehrheit diesem Antrag die Zustimmung geben, wäre das Budgetrecht des Parlaments
ausgehöhlt und - das wurde hier schon gesagt - das
Grundgesetz, besonders Art. 110, verletzt.
({0})
Wenn Sie wollen, dass die Bundeswehr mit 73 Militärairbussen ausgestattet wird - wir wollen das nicht -,
dann können Sie den Parlamentsvorbehalt nach geltendem Recht mit einem Nachtragshaushalt 2002, über den
im Haushaltsausschuss des Bundestages und im Plenum
gründlich diskutiert werden muss, auflösen. Mit der heutigen Aufsetzung des Antrags würde dieses verfassungsund budgetrechtlich vorgesehene Prozedere umgangen.
Dem können wir nicht zustimmen; deshalb stimmen wir
auch Ihrem Antrag nicht zu.
Danke schön.
({1})
Wir kommen zur Ab-
stimmung. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Aufsetzungs-
antrag ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen angenommen. Damit wird der Antrag mit dem Ti-
tel „Vorhaben zukünftiges Transportflugzeug A400M“
heute nach Tagesordnungspunkt 11 beraten.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zur auswärtigen
Kulturpolitik 2000
- Drucksache 14/6825 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Helmut Haussmann, Ina Albowitz, Hildebrecht
Braun ({2}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
„Public Private Partnership“ in der auswärti-
gen Kulturpolitik
- Drucksachen 14/5963, 14/7253 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Griefahn
Rita Grießhaber
Wolfgang Gehrcke
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Monika Griefahn, Eckhardt Barthel, Hans-Werner
Bertl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Rita Grießhaber,
Dr. Antje Vollmer, Kerstin Müller ({4}), Rezzo
Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Auswärtige Kulturpolitik für das 21. Jahrhundert
- Drucksachen 14/5799, 14/7380 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Norbert Lammert
Hans-Joachim Otto ({5})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Monika Griefahn, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Wie man so schön sieht:
Eine vollkommene Menschheit wird es natürlich nie
geben.
({0})
- Tja, das ist so.
({1})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich bitte diejenigen, die den Saal verlassen
wollen, das möglichst umgehend zu tun, damit sich die
Rednerin Gehör verschaffen kann.
({0})
Es ist schön, dass Sie alle da
sind.
Eine vollkommene Menschheit wird es natürlich nie
geben. Was wir erreichen können, ist, dass immer
mehr Menschen zum Gespräch bereit werden, dass
sie sich toleranter und friedlicher verhalten. Dadurch
werden die zerstörerischen Kräfte zurückgedrängt.
Das allein wäre schon ein Fortschritt.
Diese Worte des Dalai-Lama zeigen eindrücklich, worum
es in der auswärtigen Kulturpolitik noch mehr denn je gehen muss.
„Rohstoff des Friedens ist Verständigung“, hat uns
Hilmar Hoffmann in seiner Abschiedsrede am
18. Januar 2002 ins Stammbuch geschrieben. Seit den Ereignissen vom 11. September 2001 bekommt unsere Diskussion um den Dialog der Kulturen eine neue Dimension. Wir haben uns im letzten Jahr intensiv damit
beschäftigt; jetzt wird es noch aktueller. Heute wird ein
Friedensgebet der Weltreligionen in einem Sonderzug
von Rom nach Assisi stattfinden. Dort wird eine Verständigung der Religionen - dort sind die Sikhs, die Katholiken, die Juden und die Moslems alle zusammen - angestrebt. Das ist ein gutes Signal.
({0})
Gestern Abend hat im Goethe-Institut in Berlin ein anderes Projekt begonnen: die Kulturkarawane Qafilat
as-Salam, mit der 800 Künstler aus diversen Ländern versuchen, gemeinsam Projekte zu erarbeiten, um in einen
interkulturellen Dialog zu kommen. Auch das ist ein Projekt, mit dem man versucht, die Verständigung zwischen
den Kulturen und Religionen voranzubringen. Das geschieht mit Unterstützung unserer Goethe-Institute.
Wenn wir uns die Taten vom 11. September anschauen,
fragen wir uns: Haben wir eine Chance, solche Anschläge
in Zukunft auch durch Dialoge und eine entsprechende
Ausrichtung der Politik zu verhindern? Ich formuliere
dies bewusst als Frage.
Der Dalai-Lama hat sicherlich Recht, wenn er sagt,
dass Gespräche die Grundlage für ein friedliches Miteinander sind. Aber wen können wir, wen kann die auswärtige Kulturpolitik damit erreichen? Wie kann der Dialog
der Kulturen - letztes Jahr wurde von der UN immerhin
das Jahr des Dialogs der Kulturen ausgerufen - im Einzelfall ausgestaltet werden? Was kann er tatsächlich bewirken?
Wir diskutieren über diese Fragen und die Neuausrichtung der auswärtigen Kulturpolitik. Seit den Geschehnissen im September führen wir wieder die Debatte über die
Frage, ob es einen Kampf der Kulturen gibt. Huntington
hat Konjunktur. Das geht meiner Meinung nach in die
falsche Richtung. Der Bundeskanzler hat von einem
„Kampf um die Kulturen“ gesprochen. Das ist der richtige
Ansatz.
({1})
Präsident Wolfgang Thierse
Auch wenn ich in diesem Zusammenhang weniger
vom Kämpfen sprechen möchte, so ist doch klar, was damit gemeint ist: Wir sollten uns darum bemühen, in den
internationalen Beziehungen Strukturen zu schaffen und
zu fördern, die dazu geeignet sind, dass sich Menschen
begegnen und in einen Austausch über Vorstellungen,
Werte und Ideen treten können.
„Das kommunikative Kapital ist ein verderblich Gut“,
sagte Hoffmann am letzten Freitag. Wir sind jetzt mehr
denn je gefordert, dieses „kommunikative Kapital“ zu stabilisieren und zu akkumulieren, damit es nicht verloren
geht. Es ist ein integraler Bestandteil der Außenpolitik
und hat ein enormes Potenzial, um einen wirklichen Dialog der Kulturen im Sinne der gegenseitigen Verständigung, um Toleranz und vor allem um Konfliktprävention
zu ermöglichen. Die Herstellung und Gewährleistung der
Sicherheit nach innen und außen ist nicht allein eine Angelegenheit der Polizei bzw. der Militärkräfte. Es ist eben
nicht die Ultima Ratio, sondern die „Prima Ratio“, wie
Hilmar Hoffmann meinte.
Wir sind der Auffassung, dass die Sicherheit in
Deutschland und in anderen Ländern nur dann nachhaltig
zu gewährleisten ist, wenn wir zusätzliche Maßnahmen
durchführen. Unser Außenminister ist hier sehr aktiv. Das
haben wir bei der Konferenz auf dem Petersberg und bei
den Maßnahmen, die jetzt in Afghanistan anlaufen, gesehen. Dabei spielen das zivile Element, also die Stützung
der zivilen Gesellschaft, der Dialog zwischen den Kulturen und die Möglichkeit der Begegnung von Menschen
eine zentrale Rolle.
({2})
Diese Bemühungen möchte ich an einigen Beispielen
deutlich machen. Als Projekte, die wir in Afghanistan für
die friedliche Entwicklung voranbringen, sind zum Beispiel der Wiederaufbau des Goethe-Institutes, der Wiederaufbau der deutschen Schule in Kabul sowie die Stärkung der Möglichkeit, dass Frauen überall aktiv werden,
zu nennen. Gerade der letzte Punkt ist ein ganz zentrales
Element für den Dialog; denn Frauen in der Gesellschaft
haben eine wichtige Funktion: Sie bringen eine andere
Kultur in die Debatte. Diese Projekte werden im Moment
mit 8,5 Millionen Euro unterstützt. Ich denke, das ist ein
guter Anfang.
({3})
Damit nicht genug. Wir haben im letzten Jahr den Dialog der Kulturen bei der ersten Debatte zu unserem Antrag
diskutiert. Wir haben darüber gesprochen, dass zum Beispiel das Goethe-Institut Inter Nationes wichtige Projekte voranbringt und wichtige Schritte geht. Die Präsenz
vor Ort in aller Welt ist ein ganz zentraler Punkt. Das
Goethe-Institut Inter Nationes hat sofort nach den Ereignissen am 11. September reagiert, hat zusätzliche Projekte
vorgelegt und hat auf die Bedeutung der Präsenz hingewiesen, um die Möglichkeit zum direkten Austausch zu
gewährleisten.
In den Projektbeschreibungen wird sehr deutlich, dass,
auch wenn der aktuelle Auslöser der Entwicklung die Taten islamistischer Terroristen waren, nicht der Blick dafür
verloren gehen darf, dass weder Methoden noch Ziele des
Terrors einer Religion zuzuordnen sind. Ich glaube, das ist
die zentrale Frage, mit der wir uns auseinander setzen
müssen.
({4})
Ich möchte nur ein Beispiel nennen: In Sri Lanka gibt
es Selbstmordattentäter, die gegen buddhistische Symbole angehen und aktiv werden, ohne dass man das mit
dem Islam in Verbindung bringen könnte. Wir brauchen
also insgesamt den kritischen Dialog und brauchen ein
Zugehen der verschiedenen Kulturen und der verschiedenen Wurzeln aufeinander.
Wir haben jetzt Projekte, die auf Länder zugeschnitten
sind, die zum großen Teil durch den Islam geprägt sind.
Wir dürfen uns aber nicht nur auf die arabische Welt konzentrieren. Alleine in Indien gibt es 150 Millionen Muslime. Das ist immer wieder ein Grund für Auseinandersetzungen. Wir haben stets unterschätzt, wie groß die
Auseinandersetzungen in den Ländern sind, wo viele Religionen, viele Kulturen miteinander leben. Wir sehen es
zurzeit an den Anschlägen in Kalkutta.
Die Programme, die gerade das Goethe-Institut Inter
Nationes vorschlägt, gehen von den Grundsätzen aus,
dass der Dialog zwischen den Individuen notwendig ist
und ermöglicht werden soll, dass als Zielgruppe die aufgeklärten Eliten in der Zivilgesellschaft erreicht werden
müssen und dass man besonders auf die NGOs, das heißt
die Nichtregierungsorganisationen, zugehen muss, damit
sich Menschen dort treffen können. Wie wichtig das ist,
haben wir im Iran gesehen: Im dortigen Goethe-Institut
haben sich, solange es noch existierte, Schriftsteller und
Intellektuelle getroffen und somit die Demokratieentwicklung sowie den Reformprozess untereinander weitergeführt. Das ist uns bei einer Anhörung zur auswärtigen
Kulturpolitik sehr deutlich geworden. Das ist der Weg, um
auch zu einer zivilgesellschaftlichen Entwicklung in diesen Ländern zu kommen.
({5})
Dialog der Kulturen heißt aber nicht nur, mit GoetheInstituten in den Ländern präsent zu sein, sondern auch,
diverse andere Aktivitäten, wie sie in unserem Antrag beschrieben sind, zu unternehmen. Wir haben im Jahr 2002
für eine Verstetigung der Stipendienprogramme durch Bereitstellung von 10,5 Millionen Euro gesorgt. Wir haben
die Zukunft der Schulen gesichert; es wurde ja darüber
diskutiert, ob wir eigentlich noch so viele deutsche
Schulen im Ausland brauchen. Wir haben zusätzliche
Mittel - 40 Millionen DM bzw. etwas mehr als 20 Millionen Euro - der Deutschen Welle zur Verfügung gestellt,
damit gemeinsam mit ARD und ZDF ein neuer Auslandskanal auf den Weg gebracht werden kann. Wir haben auch
Schritte unternommen, damit hier vor Ort ein stärkerer
Austausch stattfinden kann, zum Beispiel im Haus der
Kulturen der Welt, das zusätzlich dafür 5 Millionen DM
bekommen hat - das sind etwas mehr als 2,5 Millionen
Euro, ich erspare uns jetzt die Umrechnung. Wir haben
auch eine Lösung der Probleme, die sich bei den GoetheInstituten ergeben haben - ich erinnere an die Frage, ob
die Fusionsrendite kommt -, angegangen. Wir brauchen
jetzt alles Geld für die neuen Programme und für die Umsetzung der Eckpunkte, die ich eben dargestellt habe.
({6})
Die Schaffung von Orten der Begegnung und der Einsatz neuer Medien sind zentrale Anliegen. Wir wollen
unsere Internetportale ausweiten. Es gibt jetzt zum Beispiel ein Deutschlandportal, bei dem Goethe-Institute,
DAAD, die Deutsche Welle und unser Bundespresseamt
zusammenarbeiten und Informationen über Deutschland
sowie Sprachkurse anbieten, aber auch die Möglichkeit
zur Begegnung bieten. Mehr und mehr werden auch junge
Leute das Internet als Medium nutzen, um sich zu treffen.
Wie wichtig dieses wiederum für Frauen ist, habe ich persönlich bei einem Besuch im Iran gesehen, wo hauptsächlich Frauen die Internetcafés besuchten. Das Internet ist
das Tor zur Welt. Indem wir dieses ausbauen und Medienkompetenz fördern, können wir auch etwas für den
Austausch und für das gegenseitige Verständnis tun.
({7})
Es geht aber nicht nur um die Schaffung umfassender
Dialogstrukturen, sondern auch darum, dass die „Zweibahnstraße“, die durch das AKP-2000-Programm des
Auswärtigen Amtes und des Parlaments beschritten
wurde, weiter ausgebaut wird. Dazu müssen alle Mittler,
die wir haben, nämlich der Deutsche Akademische Austauschdienst, das Institut für Auslandsfragen, unsere
Schulen und die Humboldt-Stiftung einbezogen werden,
aber auch viele Einzelne, zum Beispiel Vertreter der Wirtschaft. Ich appelliere hier noch einmal an diese. Die deutsche Wirtschaft erzählt uns ja immer wieder, dass es sehr
wichtig ist, dass Deutschland nicht nur in Form von Botschaften und Konsulaten vor Ort vertreten ist, sondern
auch in Form von Kultureinrichtungen. Diese Zusammenarbeit muss verstärkt werden. Ich hoffe, dass sich
auch die Wirtschaft weiter engagiert - Hilmar Hoffmann
hat die Wirtschaft ja schon sehr engagiert angesprochen -,
vor Ort für beständige Kulturarbeit sorgt und sie noch verstärkt; denn für die Wirtschaft sind die Orte der Begegnung extrem wichtig, für sie ist es wichtig, dass ihre Mitarbeiter Deutsch lernen, damit eine Brücke nach
Deutschland geschlagen wird. Mit unseren Stipendienprogrammen werden wir auch umgekehrt hier Mitarbeiter
ausbilden, damit die Bindung an Deutschland noch enger
wird. Das liegt im allseitigen Interesse, es fördert sowohl
den Dialog der Kulturen als auch die wirtschaftliche Entwicklung.
({8})
Public Private Partnership, wie im Antrag der FDP
dargestellt, wollen wir so nicht. Wir wollen nicht, dass die
Wirtschaft die Aufgaben der Politik übernimmt und sozusagen nach Gutdünken entscheiden kann, welche der Projekte gemacht werden und welche nicht. Ich glaube, dass
der Dialog der Kulturen eine staatliche Aufgabe bleiben
muss. Wir sind in der Verantwortung und wir nehmen
diese Verantwortung wahr und haben dementsprechend
Mittel zur Verfügung gestellt. Ich hoffe, dass diese Aufgabe weiterhin vom ganzen Haus unterstützt wird. In unseren Debatten im Kulturausschuss zum Beispiel wurde
immer sehr deutlich, dass das eine gemeinsame Aufgabe
ist.
({9})
Ein wichtiger Punkt ist die Zusammenarbeit der europäischen Staaten. Seit 1. Januar 2002 gibt es bei uns den
Euro. Wenn man in ein anderes Land der Europäischen
Union fährt, muss man nicht mehr die mühsame
Umtauscharbeit leisten. Die Menschen in den Ländern,
die den Euro eingeführt haben, nehmen ihn positiv an.
Aber das darf nicht der letzte Schritt sein. Wir brauchen
auch ein Stück mehr gemeinsame europäische auswärtige
Kulturpolitik.
Dies haben wir in unserem Antrag formuliert. Wir haben das auch mit unseren Partnern in Frankreich, England, Italien, Österreich und anderen Ländern diskutiert
und der Prozess kommt langsam in Gang. Es ist ein
schwerfälliger Prozess, aber es gibt inzwischen deutschfranzösische Lesesäle und es gibt sogar deutsch-polnische Kooperationen. Gestern sagte mir der Leiter des
Goethe-Institutes in Berlin, es wäre doch schön, wenn
das polnische Kulturinstitut in den vierten Stock des
Goethe-Institutes ziehen würde, denn das würde eine
enge Kooperation bedeuten und wäre ein Signal für das
erweiterte Europa.
({10})
Wenn wir als Europäer zusammenarbeiten, heißt das
aber nicht gleichzeitig, dass die deutsche Identität verloren gehen soll. Auch die Vermittlung der deutschen Sprache als Wurzel, als Teil der Kultur ist ein ganz wichtiger
Punkt. Wir werden uns mit der deutschen Sprache aufgrund der entsprechenden Großen Anfrage heute Mittag
noch stärker beschäftigen. Insofern brauche ich darauf
jetzt nicht intensiver einzugehen.
Die auswärtige Kulturpolitik ist, wenn sie europäisch
agiert, nicht nur Kulturpolitik, sondern auch Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik. Deshalb glaube ich, dass es sehr
wichtig und sinnvoll ist, dass die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik, die GASP, noch stärker um den
Faktor Kultur erweitert wird, als das bisher der Fall ist,
und dass dieses Thema bei den Debatten bei der WTO
oder auch anderen Organisationen eine stärkere Rolle
spielt. Ich trete ebenso entschieden dafür ein, dass der Bereich der Kultur zum Beispiel auch bei dem Gipfel in Johannesburg im September, „Rio plus zehn“, stärker einbezogen wird; denn die Kultur bietet einen Hintergrund für
die Umweltzerstörung, die wir haben. Die Umweltzerstörung hängt zu einem großen Teil mit unserem linearen
Kulturdenken zusammen. Deswegen ist es wichtig, dass
wir uns in dem Viereck Soziales, Ökologisches, WirtMonika Griefahn
schaftliches und Kulturelles bewegen, um tatsächlich zu
einer nachhaltigen Entwicklung zu kommen.
({11})
Gott sei Dank ist vieles, was wir in unserem Antrag formuliert haben, schon auf den Weg gebracht worden. Die
Budgetierungen werden in den Instituten nach und nach
eingeführt. Der Austausch von Mitarbeitern zwischen den
verschiedenen Instituten, Botschaften und auch der Wirtschaft wird in Angriff genommen. Die Situation der Studierenden ist verbessert worden; sie können nach ihrem
Studium hier bleiben. Ein ganz wichtiger Punkt unseres
Antrages war auch eine andere Besteuerung ausländischer
Künstler in Deutschland. Hier hat es entschiedene Verbesserungen gegeben; denn es war ein Rückgang von
Künstlern, die zum Austausch mit deutschen Institutionen
beigetragen haben, um 30 Prozent zu verzeichnen.
Kollegin Griefahn,
Sie müssen zum Ende kommen, Sie haben Ihre Redezeit
überschritten.
Ich habe später angefangen,
weil hier eine solche Unruhe war. Ich habe auf die Uhr geschaut.
Nicht verhandeln!
Ich bin sofort fertig.
Ich freue mich, dass wir heute hier diese Debatte haben. Ich freue mich auch auf die Redebeiträge der anderen Kollegen; sie werden sicherlich das eine oder andere
zu ergänzen haben. Ich bin froh, dass wir den Weg eingeschlagen haben, den Dialog der Kulturen auch finanziell
zu unterstützen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich
möchte an dieser Stelle auch dem Bundesaußenminister
danken, dass er in den letzten Verhandlungen immer dieses Element des Dialogs der Kulturen und der Konfliktprävention in den Mittelpunkt gestellt hat.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Norbert Lammert, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Griefahn hat zum
Schluss ihrer Rede zu Recht vermutet, dass die folgenden
Redner das eine oder andere zu ergänzen haben werden.
Das will ich für meine Fraktion gerne tun.
Vor gut zwei Jahren hat der Außenminister die Neukonzeption der auswärtigen Kulturpolitik, „Konzeption
2000“, vorgelegt. Sie war nicht sonderlich aufregend,
aber anspruchsvoll, und über die Grundsätze dieser auswärtigen Kulturpolitik gibt es im Deutschen Bundestag
und nach meinem Eindruck auch darüber hinaus keinen
Streit.
({0})
Seitdem hat es zwei auffällige, weil nicht unbedingt zu
erwartende Entwicklungen gegeben. Zum einen ist die
Verkündung dieser Neukonzeption zum Ausgangspunkt
für regelmäßige Kürzungen in der Mittelausstattung der
auswärtigen Kulturpolitik geworden
({1})
und zum anderen legt uns inzwischen die Koalition, die
Fraktionen von SPD und Grünen, einen Antrag vor, in
dem die Bundesregierung aufgefordert wird, entsprechend der eigenen Konzeption doch auch tätig zu werden.
Offenbar besteht auch in den eigenen Reihen der Eindruck, dass den Ankündigungen des Außenministers nun
Taten folgen müssen. Die erfreuliche Übereinstimmung
in den Grundsätzen der auswärtigen Kulturpolitik droht
folgenlos zu bleiben.
Nichts macht die tränentreibende Diskrepanz zwischen
den hohen Ansprüchen und den bescheidenen Möglichkeiten der auswärtigen Kulturpolitik einer rot-grünen Koalition deutlicher als die Entwicklung der Haushaltsansätze. Sie haben - ich beginne bewusst vor der Zeit
Ihrer Regierungsverantwortung - im Jahre 1997 sehr
überschaubare 0,26 Prozent am Bundeshaushalt betragen,
1998 0,25 Prozent. Dann kam der Regierungswechsel und
der vermeintlich große Aufbruch in eine große Zukunft
mit dem ganz neuen Stellenwert für die auswärtige Kulturpolitik und prompt betrug der Anteil der Ausgaben für
auswärtige Kulturpolitik im Haushaltsjahr 1999 0,24 Prozent, im Haushaltsjahr 2000 0,23 Prozent. Diesen Haushaltsansatz hat man im vergangenen Jahr tapfer verteidigt,
um ihn nun für den gerade beschlossenen Haushalt des
Jahres 2002 auf 0,22 Prozent abzusenken.
({2})
Das ist das Ergebnis der Ankündigungen und das sind die
nachprüfbaren Konsequenzen, die sich daraus ergeben
haben.
Dabei muss man im Übrigen wissen, dass mit dem
neuen Haushaltsjahr nicht nur der Tiefststand in der Mittelausstattung der auswärtigen Kulturpolitik seit zehn
Jahren noch einmal unterboten worden ist,
({3})
sondern dass dies bei steigendem Gesamtetat des Einzelplans Auswärtiges Amt geschieht, folglich die viel gerühmte dritte Säule der auswärtigen Politik nicht immer
stabiler, sondern immer brüchiger zu werden droht.
({4})
Ihr Anteil an den Gesamtausgaben des Auswärtigen Amtes sinkt kontinuierlich in Richtung 25 Prozent. Ein überproportionales Minus im Kulturhaushalt des Auswärtigen
Amtes macht eben nicht glaubhaft, was der Außenminister postuliert hat, dass nämlich der auswärtigen KulturpoMonika Griefahn
litik im Kontext unserer Außenpolitik ein besonderer Stellenwert zukomme. Anspruch und Wirklichkeit klaffen
weit auseinander.
Herr Außenminister, Sie haben im Mai vergangenen
Jahres gesagt - ich zitiere Sie -:
Die Kürzungen der vergangenen zwei Jahre stehen
durchaus im Widerspruch zum formulierten Ziel einer aktiveren auswärtigen Kulturpolitik.
Das war ehrlich; ich habe das so auch verstanden und gewürdigt. Aber ich hatte damals noch den offenkundig
allzu fröhlichen Optimismus, das sei auch als Ankündigung beabsichtigter Besserung zu verstehen. Davon kann
nun leider überhaupt keine Rede sein. Im Bericht des
Außenministers heißt es lapidar:
Es ist mit weiteren Mittelkürzungen zu rechnen.
Zum Beispiel geschieht dies bei den Auslandsschulen.
Sie sind unbestritten ganz besonders wichtige Instrumente der auswärtigen Kulturpolitik, weil sie dauerhafte
Bindungen an die Sprache und an die Kultur unserer Gesellschaft ermöglichen.
({5})
Massive Einsparungen in zweistelliger Millionenhöhe
kann dieses Netz des kulturellen Dialogs nicht verkraften,
schon gar nicht, wenn sie Jahr für Jahr in der gleichen
Richtung erfolgen.
Tatsächlich werden die Mittel für die Auslandsschulen
nach der mittelfristigen Finanzplanung im Jahre 2003 unter Berücksichtigung nicht ausgeglichener Preissteigerungen und der Problematik der Wechselkurse effektiv mehr
als ein Drittel unter den Ansätzen des Jahres 1998 liegen.
({6})
Eigentlich kann man damit die Debatte abschließen, weil
es keinen Sinn ergibt, pausenlos Prinzipien zu verkünden,
wenn es sich im konkreten politischen Handeln in einer so
erbärmlichen Weise niederschlägt, wie das hier der Fall
ist. Der Kollege Koschyk wird das im Einzelnen nachher
in seinem Beitrag mit Blick auf die Auslandsschulen noch
ergänzen.
({7})
Ich nehme die Deutsche Welle hinzu - sie gehört in
diesen Zusammenhang -, für die allerdings der Außenminister - das sage ich der guten Ordnung halber - keine persönliche Verantwortung trägt. Die Verantwortung dafür
liegt im Kanzleramt. Aber dass die Deutsche Welle auf
ihre Weise ein genauso zentrales Instrument deutscher
auswärtiger Kulturpolitik ist, daran besteht unter uns allen kein Zweifel. Da man der Bundesregierung fast alles,
aber nicht ihre Konsequenz auch bei falschen Entscheidungen absprechen kann, machen wir hier präzise die
gleiche Beobachtung: Kürzung über 40 Millionen Euro,
das heißt knapp 80 Millionen DM, bei gleichzeitiger
Ankündigung neuer Aktivitäten. Das Auslandsfernsehen
wird zusätzlich gemacht bei gleichzeitiger Kürzung der
Mittel. Auch hier findet genau die gleiche Operation statt:
Man setzt Ankündigungen in die Welt, lässt diejenigen,
die sie realisieren sollen, hilflos in der Landschaft stehen
und beklagt sich am Ende darüber, dass man trotz bester,
ausdrücklich angekündigter Ziele leider nicht annähernd
so weit gekommen sei, wie man sich das vorgenommen
hatte.
({8})
Nächstes Beispiel: Goethe-Institut Inter Nationes.
Wir haben eine schwierige, aber einvernehmliche Operation hinter uns gebracht, um durch Zusammenschluss dieser beiden Institutionen unnötige Personal- und Verwaltungsausgaben einzusparen, damit die Projektförderung
gestärkt werden kann. Schon im allerersten Jahr sollte
nach den Absichten dieser Bundesregierung die feierlich
versprochene Fusionsrendite zur Stärkung der Förderung
der Projekte einkassiert werden. Verehrter Herr Außenminister, wir erinnern uns beide lebhaft an die peinliche
Szene im Deutschen Bundestag, als wir buchstäblich in
allerletzter Minute sichergestellt haben, dass das Schurkenstück noch vermieden werden konnte, das fast verhindert hätte, dass eine ausdrücklich zugesagte Stärkung der
Mittel durch den Zusammenschluss dieser beiden Institutionen auch wirklich der Aufgabenerfüllung dieser Institutionen zugute kommt.
({9})
Hilmar Hoffmann, der Präsident des Goethe-Instituts,
hat in diesen Tagen zum Abschluss seiner neunjährigen
Amtszeit erklärt: Erst lobt uns die Politik über den grünen
Klee, dann streicht sie uns die Mittel. - Dies ist eine
ebenso bittere wie leider zutreffende Beschreibung der
Situation.
({10})
Herr Außenminister, Sie haben ihm vor wenigen Tagen
anläßlich seines Ausscheidens aus diesem Amt das Große
Bundesverdienstkreuz mit Stern verliehen. Es kann kein
Zweifel daran bestehen, dass er das verdient. Ich habe
aber auch keinen Zweifel daran, es wäre ihm lieber gewesen, dass diese Auszeichnung nicht die Kompensation
für eine nicht vorhandene Unterstützung gewesen wäre.
({11})
Ihm wäre es sicher lieber gewesen, wenn er während seiner Amtszeit die Unterstützung der Bundesregierung gehabt hätte, auf die er einen Anspruch hatte.
({12})
Ich nutze die Gelegenheit gerne, Hilmar Hoffmann für
meine Fraktion unseren großen Respekt für seine Arbeit
zu zollen.
({13})
Er war nicht nur ein glänzender Repräsentant dieses Instituts und der deutschen auswärtigen Kulturpolitik. Er
war auch ein engagierter und durchsetzungsstarker Vertreter unserer - insoweit - gemeinsamen Interessen. Ich
verbinde meine Gratulation an die neue Präsidentin Jutta
Limbach mit der Hoffnung, dass es ihr gelingt, genau
diese Rolle fortzusetzen.
Nun ist ein neuer Geldsegen versprochen worden. Er
soll sich aus dem Antiterrorpaket der Bundesregierung
ergeben und den Dialog der Kulturen befördern. Mehr
noch: Er soll zur Konfliktprävention beitragen. Die Hoffnung, dass auswärtige Kulturpolitik einen Beitrag zur
friedlichen Konfliktlösung leisten könne, ist nicht vornherein abwegig. Es muss aber auch die Frage beantwortet
werden, nicht nur ob, sondern auch wie sie es denn leisten will und welche Rolle in diesem Zusammenhang
Kunst und Kultur tatsächlich wahrnehmen sollen.
Von der politischen Instrumentalisierung von Kunst
und Kultur haben wir uns in jahrelangen Diskussionen
verabschiedet. Wir müssen sehr darauf achten, dass sie
nicht durch die Hintertür wieder eingeführt wird. Neue
Konzeptionen, die in diesem Zusammenhang wohlfeil zu
diskutieren sind, Herr Außenminister, sind ganz gewiss
gut gemeint, aber nicht immer gut durchdacht. Manches
entspringt vielleicht auch einem naiven Verständnis sowohl von Außenpolitik als auch von Kunst oder einem
Mangel an Nachdenken, vielleicht auch an beidem.
({14})
Eines jedenfalls werden wir Ihnen nicht durchgehen
lassen, nämlich den Versuch, von dem beschriebenen Dilemma der deutschen auswärtigen Politik dadurch abzulenken, dass eine neue Sinnsuche als der Ausweg aus dem
Dilemma ausgegeben wird. So einfach kann es nicht gehen. Es muss schon das, was man als Ziel oder als Sinn
der Politik formuliert, mit dafür geeigneten Mitteln unterlegt werden. Die Anstrengung kann sich - wenn Sie es so
wollen - nicht im Theoretischen abspielen, sondern sie
muss praktische Folgen haben, und zwar in einer ganz anderen Weise, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.
Die Vereinten Nationen haben bereits 1998 das gerade zu Ende gegangene Jahr 2001 zum „Jahr des Dialogs
der Kulturen“ mit der Maßgabe an die Mitgliedstaaten erklärt, „geeignete kulturelle, pädagogische und soziale
Programme zu planen und durchzuführen, um das Konzept des Dialogs zwischen den Kulturen zu befördern.“
Daran wollen wir uns alle nach Kräften beteiligen. Dies
setzt voraus, dass wir uns dazu auch in die Lage versetzen.
An Lautstärke mangelt es der deutschen auswärtigen
Kulturpolitik nicht. Es mangelt ihr an Ernsthaftigkeit, an
Gestaltungswillen.
({15})
Sie ist nicht sprachlos, aber sie ist zunehmend mittellos.
Deswegen droht sie folgenlos zu werden.
Frau Kollegin Griefahn, Sie haben zu Beginn Ihrer
Rede gesagt, eine vollkommene Menschheit werde es nie
geben. Das ist wohl wahr. Seit dem Verlauf dieser Legislaturperiode wissen wir noch genauer als früher, dass es
offenkundig auch keine vollkommene Regierung gibt.
({16})
Ich erteile der Kollegin Rita Grießhaber, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Thema
auswärtige Kulturpolitik hat sich wieder einmal gezeigt
- auch beim Kollegen Lammert -, dass hier über die
Grundsätze ein sehr hoher Konsens besteht. Natürlich,
Herr Kollege, sehen auch wir, dass die Sparvorgaben inzwischen die Schmerzgrenze erreicht haben. Nur ist hier
nicht der Ort, darüber zu streiten, wieso wir diesen engen
Haushalt haben und welche Schulden Sie zurückgelassen
haben.
({0})
Weinen und Wehklagen hilft überhaupt nicht weiter.
Bei aller Sorge um die Finanzierung lohnt es sich vielmehr, sich die positiven Veränderungen genauer anzuschauen. Ob Briten, Franzosen oder die USA: Alle haben
Einschnitte und Strukturveränderungen in ihrer auswärtigen Kulturpolitik vorgenommen. Die Bundesregierung
hat mit ihrem „Konzept 2000“ die Weichen gestellt, um
mit weniger Mitteln - nicht nur bei den Mittlerorganisationen, sondern auch im eigenen Hause - durch höhere Effizienz mehr zu erreichen.
Die Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern - die Kollegin Griefahn hat darauf hingewiesen wird verstärkt und ist kontinuierlich besser geworden.
Zum Beispiel sind der Ausbau der Eurocampus-Schulen
von Frankreich und Deutschland in Shanghai oder das
gemeinsame Kulturzentrum vom Goethe-Institut und dem
British Council in der Ukraine nicht nur Ausdruck sparsameren Wirtschaftens, sondern auch sehr gute Beispiele
für die zurecht geforderte verstärkte europäische Kooperation.
({1})
Die Aufgaben der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik haben sich stark verändert. Spätestens der 11. September 2001 hat gezeigt, dass die Herausforderungen
nicht weniger, sondern mehr geworden sind. Wenn heute
das Goethe-Institut überlegt, die Schließungen von Instituten in Brennpunkten wie Sudan und Pakistan - da
gehört auch zur Wahrheit, dass sie 1996 und 1997 geschlossen wurden, als nicht Herr Fischer Außenminister
war ({2})
wieder rückgängig zu machen, wenn wir dann noch
berücksichtigen, dass wir heute wieder an Orte, an denen
Institute aufgrund der politischen Situation geschlossen
werden mussten, wie in Iran und Afghanistan, zurückkehren können, wird deutlich, dass wir dafür in Zukunft auch
mehr Mittel brauchen.
({3})
Dass dafür auch eine stärkere Kooperation mit der Wirtschaft notwendig ist, wissen wir. Da muss uns die FDP
nicht zum Jagen tragen. Das wissen Sie sehr gut, Herr
Irmer. Überall, wo öffentliche und private Hand zusammenarbeiten können, tun sie es schon längst. Schauen Sie
doch einmal zum Goethe-Institut nach London. Für die
Eröffnung dieses Instituts gab es hervorragende Sponsoren.
Der 11. September hat jedem klar gemacht, dass man
nicht nur global Coca-Cola trinken und im Internet surfen
kann, sondern dass auch der Terrorismus global agiert.
Der technische Fortschritt und die modernen Kommunikationsmittel werben nicht nur für das Gute und Schöne,
sie werden eben auch von den Gewalttätern benutzt.
Umso mehr müssen wir alles tun, damit Dialogfähigkeit
und interkulturelle Kompetenz zunehmen.
({4})
Dabei haben wir überhaupt keine überzogenen Erwartungen an Kunst und Kultur. Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist nur ein Element zur Konfliktprävention,
aber ein wichtiges. Es wäre mehr als töricht, diese Chancen nicht zu nutzen. Nicht umsonst wurde deshalb aus den
Mitteln des Antiterrorpakets das Sonderprogramm „Dialog mit der islamisch geprägten Welt“ aufgelegt.
Meine Damen und Herren, dieser Dialog ist das leitende Prinzip der auswärtigen Kulturpolitik. Im Dialog
zwischen den Kulturen und Religionen wollen wir eine
Verständigung auf gemeinsame ethische Grundlagen erzielen. Dialog heißt eben auch, unseren eigenen kulturellen Erfahrungshorizont für neues Denken zu öffnen.
„Zweibahnstraße“ ist nicht nur ein gelungenes Bild aus
dem Auswärtigen Amt für den Austausch zwischen den
Ländern, „Zweibahnstraße“ soll ebenso verdeutlichen,
dass wir uns auch im Innern um Integration aller hier lebenden Bevölkerungsgruppen kümmern müssen, um
nach außen glaubwürdig zu sein.
({5})
„Zweibahnstraße“ heißt nicht nur, dass ein Künstler wie
Heinz Mack seine Arbeiten unter dem Titel „Wahlverwandtschaften“ in Teheran ausstellt, sondern auch, dass in
Deutschland durch das „Theater an der Ruhr“ in Mühlheim
das erste iranische Theaterfestival außerhalb Irans auf die
Beine gestellt wurde. Einen herzlichen Dank an Ciulli!
({6})
Meine Damen und Herren, nicht nur die Wortführer des
politischen Feuilletons, der Politik und der Kirchen sollen
das Monopol zum interreligiösen Dialog haben. Predigten
sind wichtig, Fachgespräche und Expertenrunden ebenso.
Diese Aufgabe darf aber nicht nur auf Fachebenen beschränkt bleiben. Manchem hilft der Rat von Professor
Steinbach, dem Leiter des Orientinstituts. Er empfiehlt all
denjenigen, die sich mit dem Islam auseinander setzen
wollen, einfach selbst in eine Moschee zu gehen, um so
ganz anschaulich den praktizierten Islam wahrzunehmen.
Im Übrigen war die Literatur über den Islam nach dem
11. September in den deutschen Buchhandlungen so gut
wie ausverkauft. Das ist ein gutes Zeichen. Es ist ein Zeichen dafür, dass es bei uns Nachholbedarf und Wissensdurst gibt, und es ist ein gutes Zeichen deshalb, weil nicht
mit dem Rückzug auf Vertrautes und Traditionelles, auf
Abgrenzung oder Aggression gegen das Fremde reagiert
wurde, sondern mit Interesse am Anderen.
({7})
International ist der Dialog wichtig, um die Spaltung in
westliche und muslimische Welten zu verhindern. Es wird
darauf ankommen, dass die islamischen Gesellschaften
selbst den Dialog darüber führen, die Religion im Namen
des Terrorismus nicht zu missbrauchen. Der Islam hat im
Gegensatz zum Westen weder Aufklärung noch Säkularisation hinter sich. Die christlich-westliche Welt hat sich
über Jahrhunderte zum Teil sehr selbstquälerisch und
schmerzhaft mit den Grundlagen der eigenen Religion auseinander gesetzt. Diese Tradition fehlt im Islam. Konzepte
von Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus und politischer Partizipation existieren aber auch - allerdings auf der Grundlage
und damit mit der Einschränkung der Scharia - innerhalb
des islamischen Denkens. Das heißt dann leider auch, dass
es keine Gleichheit von Mann und Frau, keine Gleichheit
zwischen Muslimen und Nichtmuslimen und dass es Strafen gibt, die Europa glücklicherweise nicht mehr kennt.
Gerade die Moderne lebt in hohem Maße von der Freiheit und Gleichheit der Individuen. Fortschritt braucht
kritische Menschen, die ihre Kreativität in Freiheit entfalten können. Von dieser Erfahrung kann sich in der
globalisierten Welt auf Dauer kein Land und keine Religion abschotten. Gerade dies schürt auch die Angst vor
der Globalisierung und vor dem Verlust der eigenen Besonderheit. Das macht den Dialog nicht leichter.
Deswegen sind Begegnung und Austausch so wichtig;
denn über Kennen- und Verstehen-Lernen wird Vertrauensbildung möglich. Deshalb wurden in diesem Sonderprogramm die Mittel für Wissenschaftleraustausch und
Stipendien um 10 Millionen Euro erhöht.
({8})
Wenn wir uns um kulturelle Verständigung bemühen,
geht es auch um Glaubwürdigkeit. Zum Beispiel sind
wir im Kampf gegen den Terrorismus nur dann glaubwürdig, wenn wir unseren eigenen freiheitlichen Werten
und Grundsätzen treu bleiben. Wenn wir Gewalt aus den
internationalen Beziehungen bannen wollen, muss sich
der Westen selber an rechtsstaatliche Normen halten. Das
muss auch für die Haftbedingungen von al-Qaida-Kämpfern auf Guantanamo gelten.
({9})
Wer selber nicht die Genfer Konvention einhält, wirkt
in der Kritik an massiven Menschenrechtsverletzungen
hohl. Auch al-Qaida-Kämpfer haben das Recht auf menschenwürdige Behandlung. Ich bin davon überzeugt, dass
mehr als alle Worte das eigene Handeln beispielgebend
ist. Durch Unrecht schädigen wir nicht nur unsere eigenen
Werte, sondern wir verstärken darüber hinaus auch das
Gefühl der permanenten Demütigung der islamischen
Welt gegenüber dem Westen.
Deshalb unterstützen wir die Bundesregierung und die
internationale Gemeinschaft in den Bemühungen, von der
amerikanischen Regierung zu verlangen, dass die Gefangenen wie Kriegsgefangene behandelt werden. Dann sind
ihnen Achtung der Person und rechtsstaatliche Garantien
sicher.
({10})
Bei der größten Mittlerorganisation der auswärtigen
Kultur- und Bildungspolitik, beim Goethe-Institut Inter
Nationes, haben sich viele Veränderungen ergeben, zuletzt der Wechsel an der Spitze. Ich möchte an dieser
Stelle Hilmar Hoffmann für sein großes und unermüdliches Engagement nochmals ganz herzlich danken.
({11})
Aufs Allerherzlichste möchte ich die neue Präsidentin,
Frau Jutta Limbach, willkommen heißen. Sie stellt sich einer enormen Herausforderung. Wir wollen sie mit aller
Nachhaltigkeit unterstützen.
Ich danke Ihnen.
({12})
Ich erteile dem Kollegen Ulrich Irmer, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Frau Kollegin
Grießhaber, Sie haben wie so oft eine wunderschöne Rede
gehalten. Aber bei mir kommt immer ein zweifelhaftes
Gefühl auf, wenn ich Ihnen zuhöre, weil die Diskrepanz
zwischen Anspruch und Wirklichkeit gerade an Ihren Reden so unerhört deutlich wird.
Was haben Sie gesagt? Die gefangenen al-QaidaKämpfer auf Guantanamo müssen menschlicher behandelt werden. Das haben wir Anfang der Woche längst verlangt. Ihre Regierung war etwas zögerlich, die Zustände
anzuprangern. Dann haben wir es angemahnt. Jetzt haben
auch Sie etwas getan. Schön, ich bin mit Ihnen vollkommen einverstanden.
Sie haben von der Notwendigkeit gesprochen, den
Dialog der Kulturen zu führen. Ich bin mit Ihnen vollkommen einverstanden. Ich erinnere nur daran, dass Sie
vor etwa vier Jahren den Vorschlag des damaligen
Bundesaußenministers Klaus Kinkel im Deutschen Bundestag torpediert haben, eine Europa-Islam-Konferenz
einzuberufen. Das waren damals Sie.
Dann haben Sie mir eben gesagt, ich bräuchte Ihnen
keine Lehren über die private Finanzierung und die Erschließung von privaten Mitteln für die auswärtige Kulturpolitik zu erteilen. Das sind doch alles nur Worte. Unseren Antrag lehnen Sie ab. Ich räume ein, dass der Titel
unseres Antrags, Public Private Partnership, nicht sehr
schön ist. Wir sind dem zum Opfer gefallen, was ich sonst
als Anglizismusseuche immer bekämpfe. Aber was als
Substanz in ihm steht, ist vollkommen richtig.
Sie scheuen davor zurück, einen Schritt zu gehen, nämlich die auswärtige Kulturpolitik aus dem Staatsmonopol
zu befreien und in dem Rahmen, den der Staat natürlich
bereitstellen muss, grundlegend auf Privatinitiative und
Individualität zu setzen. Wenn solche Vorschläge kommen, haben Sie noch immer schreckliche Bauchschmerzen.
({0})
Für Sie ist die Verbindung von Kultur und Kommerz
noch immer so etwas wie Pfui.
({1})
- Spenden sammeln ist schön, aber machen Sie das einmal systematisch.
({2})
Folgen Sie den Vorschlägen, die wir in unserem Antrag
dargelegt haben! Denn an einem kommen Sie nicht vorbei: So sehr Sie auch die Wichtigkeit der auswärtigen Kulturpolitik betonen - darin stimmen wir vollkommen überein -, wenn es an die Finanzierung geht - das hat der
Kollege Lammert soeben in eindrucksvollen Zahlen
nachgewiesen -, dann geht es bei Ihnen wirklich bergab.
Diesen Widerspruch müssen Sie irgendwie lösen.
Wie wollen Sie all das, was Sie vorhaben und was Sie
auch in Ihren Antrag an neuen Initiativen hineingeschrieben haben, finanzieren? Die öffentlichen Mittel
reichen nicht aus. Wir alle leiden unter einem fürchterlichen Sparzwang. Aber wir dürfen diese Ansätze nicht
kaputtsparen. Deshalb müssen Sie Vorschläge machen
und unsere Vorschläge, wie Sie zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten erschließen können, aufgreifen, statt
sie abzulehnen.
({3})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die Gelegenheit wahrnehmen, noch etwas Grundsätzlicheres zu
sagen. Nach dem 11. September ist immer wieder betont
worden - und zwar auch mit Recht -, dass die Auseinandersetzungen über den Terrorismus schon gar nicht allein
mit militärischen Mitteln, aber auch nicht nur mit politischen und wirtschaftlichen Mitteln geführt werden können, sondern dass wir durchaus auch die kulturelle Auseinandersetzung suchen müssen, und zwar nicht im Sinne
eines Kampfes der Kulturen, sondern eines Dialoges der
Kulturen.
Ich komme mehr und mehr zu der Überzeugung, dass
Bazon Brock Recht hat mit der Aussage, Kultur als solche
sei aggressiv und bedürfe der Bändigung durch Zivilisation. Mit Kultur sind dabei natürlich nicht Mozart oder
Shakespeare gemeint, sondern damit ist ein Ansatz zum
Leben bzw. eine Weltanschauung gemeint, die die Tendenz hat, anderen die eigenen Vorstellungen aufzuzwingen - auch gegen ihren Willen. Wir haben das in den letzten Jahren in erschreckender Weise erlebt: Nationalismen
und ethnische Überhebungen, die andere ausgrenzen.
Auch wir Deutsche sind nicht frei davon; ich erinnere dabei an den Spruch „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“. Das ist ja noch nicht so lange her.
Das heißt, Kulturen haben die Tendenz, sich aggressiv
gegen mitbewerbende Kulturen zu wenden. Hier muss die
Bändigung durch Zivilisation erfolgen. Bei uns geschieht das innerstaatlich durch das Grundgesetz und international durch die Charta der Vereinten Nationen. Wir
sehen, wie schwierig das schon innerstaatlich ist. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der vergangenen Woche über die Durchführung ritueller Schlachtungen, die auf religiöse Motive anderer zurückgehen, hat
hier große Irritationen hervorgerufen. Wir müssen uns darüber klar sein, dass sich alle an ein Grundregelwerk, das
bei uns durch das Grundgesetz geschaffen wird, halten
müssen. Wir müssen es bei allem Respekt vor kultureller
Entfaltung und Vielfalt achten, dass wir ein zivilisatorisches Regelwerk haben, das für alle verbindlich sein
muss - innerstaatlich die Verfassung, international die
Charta der Vereinten Nationen.
({4})
Sonst wird es nämlich nicht zu einem friedlichen Miteinander kommen können. Dabei muss sich jede Kultur
selbst bändigen und selbst zähmen. Das ist, wenn man so
will, der alte Widerspruch zwischen Thomas und Heinrich
Mann, der Kampf zwischen Kultur und Zivilisation. Aber
in diesem Sinne verstanden muss die Zivilisation den Sieg
über die Kultur davontragen.
Was zeigen wir Deutschen über die Kultur im Ausland,
wenn wir von deutscher auswärtiger Kulturpolitik reden?
Wir sollten in erster Linie zeigen, dass unsere auswärtige
Kulturpolitik in die europäische Kulturpolitik eingebettet ist, wenn auch nicht von den Zuständigkeiten her.
Natürlich haben wir im Sinne der Subsidiarität als Deutsche eine eigene Verantwortlichkeit und Zuständigkeit
hierfür. Wir sollten aber nach außen deutlich machen, dass
wir diesen regionalen Zusammenschluss, auch dieses
Miteinander von europäischen Kulturen suchen und anstreben und dabei schon sehr weit fortgeschritten sind.
Das ist ein Exportartikel ersten Ranges, der in anderen
Weltregionen mit großer Aufmerksamkeit betrachtet
wird.
Pluralismus, Gewaltenteilung und der Einsatz für Menschenrechte sind unsere Exportartikel. Wir sollten Wert
darauf legen, diese im Ausland vorzuzeigen. Das sollten
wir im europäischen Sinne nicht verstecken.
Ich danke Ihnen.
({5})
Ich erteile dem Kollegen Heinrich Fink von der PDS-Fraktion das Wort.
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit ihrem Antrag
schlagen die Koalitionsfraktionen vor, dass sich der Bundestag die Position zu Eigen machen solle, die das Auswärtige Amt in seiner Konzeption 2000 zur auswärtigen
Kulturpolitik niedergelegt hat.
Als diese Konzeption im Sommer 2000 erstmals vorgelegt wurde, hat die PDS-Fraktion sie als grundlegende
Orientierung unterstützt. Dass wir auch diesem Antrag zustimmen, bezieht sich vor allem auf die Anerkennung der
Ziele, an denen die auswärtige Kulturpolitik ausgerichtet
werden soll, wie Sicherung des Friedens, Konfliktverhütung, Verwirklichung der Menschenrechte, partnerschaftliche Zusammenarbeit und Dialog der Kulturen. Dabei ist
uns klar, dass weder die Konzeption 2000 noch der heute
vorliegende Antrag eine Gewähr dafür bieten, dass diese
begrüßenswerten Prinzipien und Ziele auch zu verbindlichen Handlungsmaximen der Bundesregierung gemacht
werden. Ich sage ausdrücklich: der Bundesregierung und
nicht nur des Auswärtigen Amtes; denn die auswärtige
Kulturpolitik muss Bestätigung und Unterstützung durch
die Aktivitäten der Bundesregierung auch auf anderen Politikfeldern erfahren.
({0})
Andernfalls erfährt die auswärtige Kulturpolitik in der
außenpolitischen und in der innenpolitischen Öffentlichkeit Regierungspolitik als Widerspruch zu ihren ausdrücklich vom Bundestag bestätigten Zielen.
Als Außenminister Fischer die Konzeption 2000 vorgelegt hat, ist er ausdrücklich davon ausgegangen, dass
die Umsetzung eine bessere finanzielle Ausstattung verlangt. Leider sind in der Zwischenzeit die Mittel deutlich
gekürzt worden. Sparen - ja. Aber hier? Wer an Kultur
und Bildung spart, spart an der falschen Stelle.
({1})
An dieser Stelle sei Hilmar Hoffmann, dem langjährigen Präsidenten des Goethe-Instituts Inter Nationes, auch
von meiner Fraktion gedankt.
({2})
Wenn ich einen Titel zu vergeben hätte, dann würde ich
Hilmar Hoffmann den Titel des Präzeptors des Dialogs
verleihen.
({3})
- Das sollten wir tun. - Er hat sehr deutlich darauf hingewiesen, dass Terrorismusbekämpfung mit militärischen
Mitteln als Ultima Ratio nur vorübergehend abschreckt.
Die Wurzeln des Terrorismus stecken in der kränkenden
Aussichtslosigkeit psychosozialer Bedingungen ohne gesicherte Gegenwart und ohne Hoffnung auf Zukunft.
Wenn Beteiligung an Terror als Lebenssinn angeboten
wird, wie es im Nationalsozialismus nach dem Ersten
Weltkrieg tragisch funktionierte, muss eine lebenswerte,
demokratische Alternative kulturell vermittelt werden.
({4})
Darum muss eine Antiterrorallianz zugleich auf die
Prima Ratio der Kultur setzen. Längst vorhandene Analysen zum Beispiel des verdrängten religiösen Fundamentalismus und die Dimensionen, wie Hoffmann es nennt, der
fürchterlichen Privatisierung des Terrorismus müssen
nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch ausgewertet bzw. analysiert werden. Die Prima Ratio braucht
eine Großinvestition in Verständigungsverhältnisse, vor
allem zur Durchsetzung der Menschenrechte. Aber die
prekäre Lage, die sich aus konzeptionellen Defiziten in Sachen Terrorismusbekämpfung ergibt, dauert leider an. Ich
beziehe mich noch einmal auf Hoffmann: Obwohl er den
Militäreinsatz in der Hauptstadt Afghanistans unterstützt,
fragt er - das kann ich nur wiederholen -, ob 1 200 deutsche Soldaten, deren Einsatz in Afghanistans Hauptstadt
500 Millionen Euro kosten wird, in einem vernünftigen
Verhältnis zu 128 Goethe-Instituten in 76 Ländern stehen,
die jährlich 200 Millionen Euro kosten. Dieses Verhältnis
muss immer wieder deutlich gemacht werden.
({5})
Weil meine Fraktion für die Unterstützung von
Verständigungsverhältnissen eintritt, befürchten wir, dass
das Einwanderungsgesetz, über das zurzeit ebenfalls
diskutiert wird, den Zielen unserer auswärtigen Kulturpolitik direkt widerspricht; denn es fördert nicht die Begegnung gleichberechtigter Kulturen, sondern fordert nahezu
Assimilationsbereitschaft als Preis für Einwanderung.
Wir sind für Integration, nicht für Assimilation.
({6})
Hier sollten wir aus der deutschen Geschichte lernen. Die
Juden kamen in die deutsche bürgerliche Gesellschaft
durch die Taufe. Wir meinen, die Beherrschung der
deutschen Sprache muss keine Bedingung für Integration
sein. Leider sind hohe Arbeitslosenzahlen und wachsende
Angst der deutschen Bevölkerung vor sozialem Abstieg
keine guten Voraussetzungen, um Deutschland als Einwanderungsland zu öffnen. Wir halten es daher für sehr
wichtig, dass die Konzeption der auswärtigen Kulturpolitik auch im Inland ausführlich bekannt gemacht wird,
damit es nicht zu populistischen Überschriften, wie man
sie immer wieder liest, nämlich „Es ist doch rausgeschmissenes Geld; verwendet es doch für die Schaffung
von Arbeitsplätzen im Inland“, kommt. Wir müssen beides tun.
Der Vorschlag der FDP, Kulturkostenträger in der
deutschen Wirtschaft im Ausland zu gewinnen und dementsprechend Kultureinrichtungen und Projekte zu privatisieren, ist meines Erachtens eine Preisgabe des vorliegenden Konzepts. Das darf nicht mit den Interessen der
jeweiligen Unternehmen vor Ort oder mit Exportinteressen in Deutschland verknüpft werden. Es geht nicht um
Kulturexport, sondern um einen mühsamen kulturellen
Dialog im Ausland. Dieser soll Erfahrungen und gegenseitiges Verständnis auch im Umgang mit Konflikten und
Unvereinbarkeiten bringen. Es geht um neue Erkenntnisse und nicht um Export.
Abhängigkeit von Firmen schafft offen oder verdeckt
eine Geber-/Nehmer-Mentalität. Das darf in der Kultur
nicht sein. Damit wäre die Erfahrung, dass Kulturen
gleichberechtigt sind, auch wenn die wirtschaftlichen und
sozialen sowie die politischen Verhältnisse der Völker einander diametral entgegengesetzt sind, schwer oder gar
nicht mehr zu machen.
Kolleginnen und Kollegen, auswärtige Kulturpolitik
muss Prima Ratio sein und darf nicht Ultima Ratio sein.
Vielen Dank.
({7})
Ich erteile dem Kollegen Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hilmar Hoffmann
hat dem Goethe-Institut neun Jahre lang als Präsident gedient. Er hat, glaube ich, das Lob des ganzen Hauses verdient, weil er wie kaum ein anderer als Repräsentant der
deutschen Kultur nicht nur in Deutschland, sondern auch
gegenüber der Außenwelt erkennbar geworden ist, ein Liberaler, einer, der zugleich aber auch weiß, dass soziale
Gerechtigkeit und Liberalität zusammengehören und
- das ist für ihn wohl das Wichtigste überhaupt - dass die
Konflikte in dieser Welt nur bewältigt werden können,
wenn die Menschen einander verstehen. Wir alle, glaube
ich, sagen Hilmar Hoffmann für diese neun Jahre Arbeit
als Präsident einen ganz herzlichen Dank.
({0})
Ich darf gleich hinzufügen: Das gilt genauso auch für
den bisherigen Vizepräsidenten des Goethe-Instituts Inter
Nationes - so muss man jetzt ja sagen -, Herrn Peter
Wapnewski, der noch länger als Hilmar Hoffmann
({1})
als eine Schlüsselpersönlichkeit für das Goethe-Institut,
für die deutsche Kultur und ganz besonders - auch im
Sinne von Goethe - für die deutsche Literatur als Weltliteratur gearbeitet hat.
Wer das am letzten Freitag in München erlebt hat, der
kann sich nur darüber freuen, dass diese beiden großen
Repräsentanten der deutschen Kultur so lange Zeit für die
Literatur und für die Kultur gearbeitet haben. Sie werden
- da sind wir ganz sicher - diese Fähigkeiten und die
Kreativität, die sie in den kulturellen Dialog eingebracht
haben, an einer anderen Stelle genauso einbringen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, diese Debatte zeigt, dass der Konsens im Hause, jedenfalls unter
denjenigen, die für die auswärtige Kulturpolitik streiten,
groß ist. Es ist natürlich verständlich, dass Sie, lieber Kollege Lammert, als Oppositionssprecher die kritischen
Punkte angeführt haben. Die Kollegin Grießhaber hat
aber schon darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung
gerade bei den letzten Bemühungen um das Antiterrorpaket deutlich gemacht hat, dass manche Defizite, die aufgetreten sind, wieder ausgeglichen werden. Man kann
der Bundesregierung nicht vorwerfen, die auswärtige
Kulturpolitik spiele bei ihr keine Rolle. Ich bin dankbar
dafür, dass der Außenminister das auch mit seinem Konzeptpapier, das heute zur Debatte steht, noch einmal sehr
deutlich gemacht hat. Unsere Leistungen, die wir auch gemeinsam, lieber Kollege Lammert, für die auswärtige
Kulturpolitik erbringen, sollten wir nicht durch kleinliche
Reden zerreden.
({2})
Ich möchte einen Punkt aufgreifen, den Sie angesprochen haben, lieber Kollege Lammert; denn ich glaube,
dass wir diesem Grundgedanken etwas näher kommen
müssen. Kollege Irmer hat dies auch angesprochen.
Natürlich stehen wir alle in der Gefahr, dass, wenn auswärtige Kulturpolitik in bestimmten Kontexten zu sehen
ist - das kann ja in der Politik auch gar nicht anders sein -,
dies nahe an dem Gedanken einer Instrumentalisierung
liegt. Ich bin Ihnen dankbar, lieber Kollege Lammert, dass
Sie darauf hingewiesen haben.
Herr Irmer hat den Gedanken insofern ergänzt, als
natürlich auch Kulturverhältnisse selbst Gewaltverhältnisse sein können. Ich sage ausdrücklich: sein können. Ich
möchte nicht unbedingt Bazon Brock folgen, der sich
manchmal in Debatten vergaloppiert. Entschuldigung,
wenn ich das so sage, lieber Kollege Irmer.
({3})
Natürlich ist diese Erkenntnis gar nichts Neues. Wenn
Sie das bei Herder nachlesen oder bei dem englischen
Kultursoziologen Ernest Gellner, dann werden Sie erkennen, dass natürlich auch in kulturellen Ansprüchen so etwas wie Expansion steckt. Aber gerade weil dies so ist,
kommt es doch darauf an, dass man in eben jenen Prozess,
den man ja gerade in solchen Kulturen erkennt, die in sich
selber nicht reflexiv sind - das ist das Problem - die Reflexivität durch Aufklärung einbringt. Gerade solchen
Kulturen, die diesen Sprung durch die Aufklärung noch
nicht geschafft haben, das Durcharbeiten jener Gewaltverhältnisse, die getrennt werden müssen, zu ermöglichen
ist die große Leistung der Aufklärung in der Moderne. Wir
müssen mithelfen, dass genau diese Kulturen den Prozess
der Aufklärung vollziehen und zum Beispiel damit beginnen, die Gewaltverhältnisse zu teilen. Ist es nicht das Problem des islamistischen Fundamentalismus, dass er jene
Gewaltverhältnisse bislang nicht geteilt hat? Denn da, wo
Religion und Staat, Kultur und Gesellschaft zusammenfallen, tritt dieses Problem der Gewaltverhältnisse auf.
Unsere Leistungsfähigkeit in der auswärtigen Kulturpolitik sehe ich darin, diesen Dialog zu nutzen, damit andere
Kulturen, die diesen schwierigen Prozess nicht durchgearbeitet haben, in den Stand versetzt werden, dies selbst zu
leisten; dieses müssen sie allerdings dann auch selbst tun.
({4})
Diese Leistung kann nur von innen, aus den Kulturen
selbst kommen. Das ist die Fähigkeit der auswärtigen Kulturpolitik: Wir können allen Kulturen, die zu Gewalt und
Expansion neigen, die bestrebt sind, sich auszuweiten, bei
diesem Prozess der Teilung der Gewaltverhältnisse helfen.
Lieber Kollege Fink, dazu gehört auch die Sprache als
Verständigungsmittel jener, die in einer Gesellschaft zusammen leben. Ich kann mir nicht vorstellen - als Theologe wissen Sie das - dass man die Bibel zur Grundlage
der Theologie machen kann, wenn man sie nicht versteht.
Das heißt: Die Verständigungsverhältnisse, von denen Sie
sprechen und auf die Jürgen Habermas zu Recht hingewiesen hat, sind erst möglich, wenn man sich verstehen
lernt. Sprache ist eben jenes Mittel der Verständigung, in
das Gewaltverhältnisse nicht eindringen dürfen. In diesem Punkt gebe ich Ihnen also Recht: Integration kann nur
bedeuten, dass diese Gewaltverhältnisse abgebaut werden. Assimilation ist das schwierigste und härteste Gewaltverhältnis. Deswegen sind wir ja auch nicht für kulturelle Assimilation, sondern für kulturelle Integration.
Daran hat diese Bundesregierung einen großen Anteil.
({5})
Lieber Kollege Lammert, ich drehe Ihren Vorwurf einmal um: Wenn Sie das, was Sie gesagt haben, wirklich
ernst meinen, dann müssen Sie zum Beispiel auch in dem
Wahlkampf, der uns jetzt bis zum 22. September bevorsteht, darauf achten, dass es keine Töne gibt, die die Überlegungen der deutschen Rechten, Assimilation in den Vordergrund zu rücken und Integration zurückzustellen, als
Gefahren noch drastischer darstellen, als sie in manchen
gesellschaftlichen Verhältnissen in der Bundesrepublik
Deutschland vorhanden sind. Bitte helfen Sie dabei mit!
({6})
Verständigungsverhältnisse sind Kultur, sagt Jürgen
Habermas. In der Tat: Die überragende Aufgabe von Politik ist es, Gewaltpotenziale zu verarbeiten, sie einzudämmen und, wenn es geht, in einer Welt, in der Interessen einander feindlich gegenüberstehen und sich Kulturen
ihres jeweiligen Rechts auf Existenz wechselseitig zu berauben trachten, stillzulegen. Das ist auch tatsächlich in
Kulturverhältnissen begründet.
Ich bin sicher, genau das tut die Bundesregierung. Sie
tut das mit dem, was sie konzeptionell vorlegt und praktisch vor Ort leistet. Wir müssen gemeinsam versuchen,
die kulturellen Konflikte auf das zurückzuführen, was sie
in der Regel sind: In kulturellen Konflikten instrumentalisieren Demagogen, Fundamentalisten und Fanatiker die
kulturellen Bedürfnisse und die religiösen Gefühle der
Menschen, um Macht zu erwerben. Wenn auswärtige Kulturpolitik einen Beitrag dazu leistet, dass dieser Konflikt
durchdrungen und erkannt wird und die richtigen Mittel,
nämlich die Mittel des Dialogs, eingesetzt werden, um
die Gewaltverhältnisse zu bändigen und zu beenden, dann
ist die auswärtige Kulturpolitik Prima Ratio der Politik,
wie Hilmar Hoffmann es gesagt hat. Ich bin sicher: Die
Bundesregierung arbeitet genau an diesem Konzept weiter. Ich wünsche der auswärtigen Kulturpolitik, Herr
Dr. Spiegel, alles Gute in den nächsten Jahren.
({7})
Gert Weisskirchen ({8})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Ruprecht Polenz, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Norbert Lammert hat vorhin
in seiner Rede auf die Ankündigung der Bundesregierung
hingewiesen, als Beitrag zur Konfliktprävention zusätzliche Mittel aus dem Antiterrorpaket für den Dialog der
Kulturen bereitzustellen. Bis heute ist leider unklar, wie
diese Mittel verwendet werden sollen und welcher Betrag
überhaupt aus dem Antiterrorpaket für Kulturpolitik zur
Verfügung gestellt werden soll.
Ich möchte den Fragen nachgehen, was auswärtige
Kulturpolitik überhaupt leisten kann und sollte und welche Mittel und Wege besonders erfolgversprechend sind.
Die Voraussetzung zur Beantwortung dieser Fragen ist natürlich eine Analyse der Lage, die hier aus Zeitgründen
nur skizzenhaft möglich ist.
Das Datum 11. September des vergangenen Jahres verbindet sich für uns alle mit der Sorge vor einem Clash of
Civilizations, vor einem Zusammenprall der Kulturen.
Trotz der offiziellen Verurteilung der Anschläge durch die
Regierungen der Staaten im Nahen und Mittleren Osten
müssen wir doch zur Kenntnis nehmen, dass es in der Bevölkerung dieser Länder durchaus zwiespältige Gefühle
gab: Mitleid mit den Opfern und Mitgefühl mit den Angehörigen auf der einen Seite, aber gleichzeitig auf der anderen Seite eine Haltung nach dem Motto „Es geschieht
den Amerikanern ganz recht“ bis hin zur unverhohlenen
Freude über die Anschläge und Sympathie mit den Terroristen. Das zeigen unter anderem auch die Bin-LadenT-Shirts, die in vielen dieser Länder ein Renner waren.
Außerdem gab es abstruse Verschwörungstheorien von
angeblichen Warnungen an die jüdischen Mitarbeiter im
World Trade Center, am 11. September nicht zur Arbeit zu
gehen und damit verbunden das Gerücht, es sei ein Beleg
dafür gefunden, dass in Wahrheit der israelische Geheimdienst Mossad hinter den Anschlägen stehe.
Ein Grund für dieses problematische Meinungsklima
ist sicherlich die Kritik an der amerikanischen Politik im
Nahen Osten. Man wirft den Amerikanern eine einseitige
Unterstützung Israels und doppelte Standards bei der
Durchsetzung von UN-Resolutionen oder bei der Anmahnung von Menschenrechtstandards vor. Vor allem aber
gibt es das tief sitzende Gefühl, die eigene Identität werde
durch den Westen, insbesondere durch die USA, bedroht.
Ein weiterer Grund ist die kulturelle Identität, ist die Tatsache, dass die eigenen Werte, die Familie dort viel stärker als bei uns religiös geprägt sind. Man fühlt sich bevormundet und nicht selten gedemütigt.
Auch hier gibt es eine zwiespältige Haltung: Einerseits
wird die westliche Kultur als dekadent empfunden, zersetzend für die eigenen Werte, wie zum Beispiel den
familiären Zusammenhalt; andererseits gibt es eine Bewunderung für die technische, medizinische oder wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Westens, verbunden
wiederum mit einem Gefühl der Unterlegenheit und mit
der Frage, wie es wohl dazu kommen konnte, dass die
noch im Mittelalter auf vielen Gebieten der Wissenschaft - Medizin, Astronomie und Mathematik - führende
islamische Welt so weit zurückfallen konnte.
Diese kulturellen Spannungen bestehen nicht nur gegenüber den USA, sondern auch zwischen den islamischen, insbesondere den arabisch-islamischen Ländern
und dem Westen insgesamt, also auch gegenüber uns. Wir
haben ein Interesse daran, diese Spannungen abzubauen.
Aber durch die Globalisierung werden diese kulturellen
Spannungen eher verschärft. Die Ungleichzeitigkeiten in
der Entwicklung nehmen zu. Die Schere zwischen den
islamischen Ländern und dem Westen geht weiter auf.
Globalisierung heißt ja Beschleunigung wirtschaftlicher
Entwicklungen durch den weltweiten Wettbewerb. Wir
sehen schon an den Anpassungsprozessen bei uns und an
den Problemen damit, wie schwierig das ist. Viel größer
sind diese Schwierigkeiten für die Länder des Nahen und
des Mittleren Ostens mit ihren autoritären Regimen, ihren
Clanstrukturen und ihrer Mentalität: „Der Sieger bekommt alles“, was den demokratischen Wandel hindert.
Wir müssen uns bei diesem Dialog der Kulturen auch
die Frage stellen: Wie beeinflusst der Islam die Anpassungsfähigkeit dieser Länder an die Globalisierung? Man
kennt keine Trennung von Religion und Politik, von Staat
und Religion, wie wir das tun. Der Islam ist eine „Buchreligion“; es stellt sich dann auch die politisch wichtige
Frage: Wie wird der Koran ausgelegt, aus heutiger Sicht
oder unverändert buchstabengetreu wie vor über tausend
Jahren?
Wenn wir die kulturellen Spannungen abbauen wollen,
die sich leicht zu schwerwiegenden Konflikten mit möglicherweise unabsehbaren Folgen ausweiten, wie uns die
Ereignisse des 11. September vor Augen geführt haben,
dann ist dieser Dialog der Kulturen richtig - auch ohne
wirkliche Alternative - und er ist vor allem dringlich. Deshalb ist es um so enttäuschender, dass die Regierung bis
heute kein schlüssiges Konzept dafür erkennen lässt. Statt
neuer Prioritäten ist es nur ein eher betuliches „Weiter wie
bisher!“ Die Politik der ruhigen Hand hat offensichtlich
auch hier ihren Niederschlag gefunden. Es gibt keine
neuen Ideen und Impulse, obwohl die Anschläge des
11. September inzwischen fünf Monate her sind.
Wir dürfen dem Terrorismus nicht nur mit militärischen Mitteln begegnen, wir müssen dem Terrorismus
auch mit intellektuellen Mitteln entgegentreten.
({0})
Ich hätte nicht gedacht, dass man eine rot-grüne Bundesregierung daran erinnern muss.
({1})
Wichtig für einen Dialog der Kulturen sind Informationen über „den Anderen“. Hier gibt es einen Mangel
sicherlich auch bei uns. Aber in vielen Ländern des Nahen
und Mittleren Ostens besteht ein Zerrbild des Westens,
wie man anhand von vielen Zeitungskommentaren nach
dem 11. September sehen konnte. Wir müssen also vor allen Dingen eigene Informationen anbieten und Informationen aus den islamischen Ländern aufnehmen. Da ist
das Gespräch zwischen Eliten und Experten wichtig, aber
nicht ausreichend. Wir müssen Informationen für eine
möglichst große Zahl von Menschen bereitstellen, wir
müssen die Massenmedien nutzen, das Radio und insbesondere das Fernsehen, vor allem auch angesichts der
großen Zahl von Analphabeten, die es im Nahen Osten
noch immer gibt.
Deshalb ist der am vergangenen Wochenende beschlossene Kooperationsvertrag zwischen ZDF und
al-Dschasira so sehr zu begrüßen. Das ZDF verdient
große Anerkennung dafür, dass es ihm als erstem westlichen Sender gelungen ist, mit al-Dschasira zusammenzuarbeiten, mit Nachrichtenaustausch, Hospitation von
Journalisten und gemeinsamen Produktionen.
Ich frage: Was hat die Bundesregierung bisher getan,
um auch der Deutschen Welle ein stärkeres Engagement
für diese Region zu ermöglichen? - Nichts. Im Gegenteil,
die Mittelkürzungen wurden nicht rückgängig gemacht.
Deshalb war es der Deutschen Welle nach dem 11. September auch nur in geringem Maße möglich, ihre Programme in der Region auszuweiten: in den afghanischen
Landessprachen Paschtu und Dari um täglich 30 Minuten
auf 110 Minuten, also nicht einmal zwei Stunden täglich,
in Urdu nach Pakistan von 45 auf 75 Minuten. In Arabisch
sendet die Deutsche Welle lediglich zweieinhalb Stunden
und nur über Kurzwelle. Zum Vergleich: Die BBC
erreicht mit ihrem 18 Stunden dauernden Rundfunkangebot in Arabisch täglich Millionen von Hörern, da es über
die im Nahen Osten beliebtere Mittelwelle ausgestrahlt
wird.
({2})
Hier ist die Forderung zu erheben, dass die Kürzungen
bei der Deutschen Welle rückgängig gemacht werden, damit die Deutsche Welle ihre Programme für die islamischen Länder in den Landessprachen ausbauen kann,
insbesondere in Arabisch, und zwar im Hörfunk und im
Fernsehen.
({3})
Angesichts der Kosten für Deutsche Welle-TV und
knappen Kassen muss natürlich auch über andere Wege
nachgedacht werden. Der Bund sollte deshalb wieder die
Produktion von Sendungen unterstützen, die den Anstalten dieser Länder zur Ausstrahlung gegen eine geringe
Gebühr angeboten werden, also das so genannte Rebroadcasting. Unter der Trans-Tel GmbH gab es von Ende der
70er-Jahre bis 1998 eine Gemeinschaftsproduktion von
Deutscher Welle, ARD, ZDF, Auswärtigem Amt und Presseamt der Bundesregierung. Der Vorteil war: Die Ausstrahlung erfolgte nicht durch den „fremden“ oder „ausländischen“ Sender, sondern durch den heimischen
Sender, und zwar vergleichsweise kostengünstig.
Die Bundesregierung sollte sich auch für ein gemeinsames europäisches Programm der Auslandsrundfunkanstalten einsetzen. Ich denke an ein gemeinsames Programm von Brüssel, gemacht insbesondere von BBC, den
französischen Sendern TV 5 und Radio France Internationale, der Deutschen Welle und Radio Netherlands. Das
wird sicherlich nicht einfach sein, weil der Marktführer
BBC sagt: „Ich kann das alles auch alleine ganz gut“, und
die Franzosen überwiegend ein Interesse an frankophonen Ländern auf der Welt haben. Trotzdem: Es gibt das
Projekt Radio Europa mit einem immerhin halbstündigen
Hörfunkprogramm.
Es geht natürlich nicht darum, dass Europa mit einer
Stimme spricht. Das wäre geradezu widersinnig, da Europa vor allem kulturell durch seine Vielfalt gekennzeichnet ist. Aber es wäre schon eine gemeinsame Anstrengung
wert, sich neben CNN in der Welt Gehör zu verschaffen,
als europäischer Beitrag zur weltweiten Informationsund Meinungsvielfalt, als Forum für einen Dialog der
Kulturen, der sehr viele Menschen erreicht. Dazu ist es allerdings erforderlich, dass die Bundesregierung - vielleicht können Sie dazu gleich etwas sagen, Herr Minister - den Worten Taten folgen lässt.
Vielen Dank.
({4})
Ich erteile das Wort
dem Bundesminister Joseph Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man der
Opposition, vor allen Dingen ihrem Hauptredner, dem geschätzten Kollegen Norbert Lammert, zuhört, dann
könnte der Eindruck vermittelt werden, dass wir beim Regierungswechsel 1998 eine blühende, finanziell hervorragend ausgestattete, vorwärts strebende auswärtige Kulturpolitik vorgefunden hätten
({0})
und dass in den vergangenen drei Jahren, in denen Haushalte verabschiedet wurden, ein Abbau stattgefunden
habe. Das ist natürlich mitnichten der Fall. Selbstverständlich, Kollege Lammert - das wissen auch Sie nur zu
gut -, bringt uns eine sektorale Betrachtung der Finanzsituation, die sich nur auf die auswärtige Kulturpolitik
bezieht, überhaupt nicht weiter;
({1})
vielmehr ist völlig klar: Wir stehen unter dem Druck, die
öffentlichen Haushalte, die wir vorgefunden haben, zu
konsolidieren. Sie darauf hinzuweisen kann ich Ihnen
nicht ersparen, auch wenn Sie gleich wieder „ah!“ und
„oh!“ schreien.
({2})
- Das ist keine „alte Arie“. Sie haben es doch gerade in
der Steuerpolitik erlebt, als Sie plötzlich klar machen
mussten, wie Sie finanzieren wollen.
({3})
Da hatten oppositionelle Sprüche ein Ende und Ihr Kandidat war innerhalb von zwei Tagen von einem strahlenden Bewerber zu einem in seinen eigenen Widersprüchen
verfangenen Laokoon geworden.
({4})
Das wissen Sie nur zu gut.
Ich habe es immer wieder gesagt: Wir stehen unter
Konsolidierungsdruck. Insofern haben Sie hier eine haushälterische Debatte geführt - vom Standpunkt der Opposition her betrachtet, verstehe ich das -; aber entgegen
dem, was Haushaltsdebatten mit sich bringen, nämlich
Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit durchaus auch
in der Kontroverse herauszuarbeiten, sind Sie natürlich jeden seriösen Finanzierungsvorschlag schuldig geblieben.
({5})
Daher haben Sie hier nicht zu Haushaltswahrheit und
Haushaltsklarheit, sondern eher zur Vernebelung beigetragen. Das ist der entscheidende Punkt.
({6})
Ich gebe offen zu - diese Erkenntnis hatte man übrigens auch schon in der Schlussphase der Vorgängerregierung -, dass es einen Konsolidierungsbedarf gab. Die Personalkosten machen, bedingt durch die Struktur des
Auswärtigen Amtes, einen sehr hohen Anteil der Kosten
im auswärtigen Dienst aus; daran hat sich nichts geändert.
Wir hatten schon erhebliche Kürzungen zu verkraften. So
mussten wir 19 Auslandsvertretungen schließen, von denen ich so manche gerne offen gehalten hätte, und mussten bereits bei Mitteln für Programme, vor allem bei freiwilligen Leistungen für die Vereinten Nationen und
Ähnlichem, kürzen, um unseren Konsolidierungsbeitrag
zu leisten. Dabei hat mir, das muss ich Ihnen sagen, das
Herz geblutet.
({7})
Natürlich sind wir auch in der auswärtigen Kulturpolitik,
dies unter anderem, weil das der größte Programmmittelansatz ist, an einer entsprechenden Kürzung nicht vorbeigekommen. Das ist die Lage.
({8})
Ein großes Problem hatten wir zum Beispiel bei den
Auslandsschulen. Am Anfang haben wir von Kürzungen
bei den Auslandsschulen, so weit es ging, abgesehen.
Aber aufgrund des anhaltenden Konsolidierungsbedarfs
und -drucks konnten wir sie auf Dauer, wie Sie wissen, davon nicht ausnehmen.
Ich möchte aber nicht nur eine quantitative Betrachtung anstellen. Sie wissen doch ganz genau, dass wir
gleichzeitig einen erheblichen Bedarf an Strukturreformen haben. Ich möchte Ihnen gar nicht Ihre alten Reden
hierzu vorlesen. Das Geld, das ausgegeben wird, wird
doch nicht nur effizient für Programme ausgegeben; die
Personalkostenstruktur ist durchaus so, dass man nicht
einfach sagen kann: Das finanzieren wir alles munter weiter.
({9})
Kollege Polenz hat gerade einen Punkt, der in diesem
Zusammenhang wichtig ist, angeführt. Kollege Polenz,
ich möchte hier nicht in die Debatte um die Auslandssender einsteigen. Aber eines ist doch klar: BBC International ist aus verschiedenen Gründen, wie zum Beispiel historischen Gründen, eine Klasse für sich; auf diese Gründe
möchte ich aber nicht im Einzelnen eingehen und sie bewerten. Ich kann Ihnen das nur aus Sicht von jemandem
sagen, der das Ganze häufig aus dem Ausland betrachtet:
Sie spielen natürlich eine Rolle. Wir haben hier strukturellen Anpassungsbedarf. Das ist von den Kulturmittlern
nicht bestritten worden, auch vom Goethe-Institut Inter
Nationes nicht. Wenn wir diese Debatte also zielgerichtet
führen wollen, dann müssen wir sie auch inhaltlich führen
und müssen sie vor allen Dingen daran orientieren, was
wir leisten können, dürfen also nicht nur eine quantitative
Bewertung vornehmen. Nichtsdestotrotz werde ich mich
aber in Zukunft dafür einsetzen, dass wir hier, sobald der
Konsolidierungsdruck nachlässt, Aufwüchse zu verzeichnen haben werden.
({10})
- Ausgerechnet Sie, Herr Merz - ein ganz großer Kulturpolitiker! - der Sie permanent verkünden, Sie wollten die
Steuern senken und die Verschuldung abbauen, wollen in
der auswärtigen Kulturpolitik neue Schwerpunkte setzen?
Angesichts all Ihrer unseriösen Versprechungen muss
man meiner Ansicht nach schon fest im Glauben in der
CDU/CSU verwurzelt sein, um Ihnen das zu glauben. Jemand, der nicht in der CDU ist, wird Ihnen das nicht abnehmen.
({11})
- Das ist der Oppositionsführer: Er meint, ich könne das
Wort „Kultur“ noch nicht einmal fehlerfrei schreiben. Das
ist Ihr Niveau!
({12})
- Sie scheinen ein persönliches Problem mit mir zu haben.
Ich habe kein persönliches Problem mit Ihnen. Ich kann
Ihnen nur sagen: Das ist ein Niveau, das der auswärtigen
Kulturpolitik nicht angemessen ist.
({13})
Ich könnte, wenn ich mich auf Ihr Niveau begäbe, fragen,
ob eine gewisse Wahlkampfparole der CDU in NRW mit
den Zielen vereinbar war, für die Kollege Lammert hier
unter anderem gestanden hat. Ich behaupte: nein.
({14})
Ich komme zurück zur Sache. Der Begriff „Dialog der
Kulturen“ wird in Zukunft von zentraler Bedeutung sein.
Allerdings werden wir ihn sehr sorgfältig definieren müssen. Es freut mich zwar, dass die Opposition unser Konzept unterstützt. Aber ich gehöre nicht zu denjenigen, die
meinen, dass wir die auswärtige Kulturpolitik instrumentell einsetzen dürfen. Kultur hat einen Wert an sich.
({15})
Wenn wir von „unserer Kultur“ sprechen, so sprechen wir
von einer durch die Gedanken der Aufklärung geprägten
Kultur, von einer Kultur, die immer auch den Stachel des
Subversiven in sich trägt, die, wie gesagt, auf Grundwerten der Aufklärung wie der Menschenrechte und der Achtung der menschlichen Würde gründet. Das ist ein ganz
entscheidender Punkt. Auch die Herrschaft des Rechts
gehört ganz elementar zu unserer Kultur.
Ich bitte Sie, noch einmal darüber nachzudenken, Kollege Irmer, was Sie zu der Trennung von Kultur und
Zivilisation gesagt haben. Ich weiß nicht, ob man in den
„Betrachtungen eines Unpolitischen“ von Thomas Mann,
die damals die Grundlage für diese Frage waren, eine Tradition erkennen kann; jedenfalls hat das in Deutschland
eine Entwicklung begleitet, die ich sehr zurückhaltend als
äußerst unglücklich bezeichnen möchte.
({16})
Ich glaube vielmehr, dass im Zusammenhang mit der
Westbindung und der Durchsetzung der Demokratie als
kulturell-politischer Form in Deutschland nach 1945 auch
diese geistige Tradition überwunden wurde und auch im
Kulturbegriff eine Verwestlichung stattgefunden hat. So
zumindest würde ich es interpretieren.
({17})
In diesem Zusammenhang kommt es ganz entscheidend darauf an, dass wir diesen Dialog der Kulturen nicht
als Austausch von Freundlichkeiten begreifen, sondern
als entscheidenden Punkt. Das haben wir ja auch von Anfang an so gemacht, Kollege Polenz. Schauen Sie sich nur
einmal an, was die Bundesregierung nicht nur politisch,
sondern ganz unmittelbar in Kabul getan hat: Wir haben
den Schwerpunkt auf das Winterschulprogramm gelegt;
wir waren mit die Ersten, die mit den bescheidenen vorhandenen Mitteln sehr viel bewirkt haben.
({18})
Wir haben von Anfang an den Schwerpunkt darauf gelegt,
den Frauen und Mädchen eine Bildungsperspektive und
kulturelle Möglichkeiten zu eröffnen.
({19})
Dasselbe gilt für die Einrichtung des Goethe-Instituts in
Sarajevo. Damit haben wir eine ganz wichtige Entscheidung getroffen. So gehören zu unserer aktiveren Iranpolitik auch kulturelle Verbindungen: die sehr erfolgreiche
Reise deutscher Schriftsteller in den Iran anlässlich der
Gedenkveranstaltungen für den großartigen iranischen
Lyriker Hafis sowie die Reisen verschiedener Theater in
den Iran. All das sind, wie ich finde, ganz wichtige Initiativen. Sie können aber auch die sehr erfolgreiche Reise
von Jürgen Habermas in die Volksrepublik China nehmen.
All das gehört dazu.
({20})
Insofern haben Sie mit mir kein Problem, was die Zusammenarbeit zwischen privaten Unternehmen und der
öffentlichen Hand - das ist die deutsche Übersetzung von
Public Private Partnership - angeht.
({21})
Ich hoffe, ich kann es richtig schreiben, aber bitte.
({22})
- Nein, von Ihnen lasse ich mich nicht aus der Bahn bringen. Keine Sorge!
Bei den entsprechenden Präsentationen der deutschen
Kultur in Indien durch die Bundesrepublik Deutschland
haben wir sehr gut zusammengearbeitet. Insofern gibt es
auch hier keine Kontroverse. Ich möchte aber weder eine
politische noch eine kommerzielle Instrumentalisierung.
({23})
Darin sind wir uns doch einig. Ansonsten sind alle Möglichkeiten der Zusammenarbeit gegeben. So hat ja auch
diese Koalition entsprechende Initiativen beim Stiftungsrecht auf den Weg gebracht. Das darf man nicht vergessen.
({24})
Diese Auseinandersetzung können wir uns also ersparen.
Meine Damen und Herren, der 11. September hat klar
gemacht, dass der Kulturdialog nicht als ein Dialog der
freundlichen Worte missinterpretiert werden darf, sondern ein kritisches Aufeinanderzugehen unterschiedlicher
Kulturen - auf den eigenen Grundwerten gründend, wozu
essenziell die Menschenrechte gehören - beinhaltet. Wir
wurden am Anfang oft belächelt, als wir das Konzept einer präventiven Außenpolitik vertreten haben. Oft wurden
diejenigen als Moralisten oder Idealisten bzw. als kurzsichtig handelnd bezeichnet, die Fragen der Menschenrechte und auch des kulturellen Dialogs, die so genannten
weichen Fragen, in den Vordergrund der Außenpolitik gestellt haben. Der 11. September hat klar gemacht, dass das
die eigentlichen harten Fragen in der Welt des 21. Jahrhunderts sind.
Deswegen werden wir alle Anstrengungen auf eine
verstärkte Zusammenarbeit und einen besseren Austausch, auch und gerade den Studentenaustausch, richBundesminister Joseph Fischer
ten. Es wird wichtig sein, wie uns junge Menschen aus anderen Ländern dabei erfahren. Dieser innenpolitische Teil
ist ein integraler Bestandteil der auswärtigen Kulturpolitik.
({25})
Dazu gehört natürlich auch eine verbesserte Ausstattung der Kulturmittler. Wir treten bei der Mittelverteilung
in eine neue Entscheidungsphase ein. Wir werden mit den
knappen Mitteln, die wir haben - das habe ich am Beispiel
Kabul, aber auch an anderen Beispielen klar zu machen
versucht -, die richtigen Schwerpunkte setzen und sie erfolgreich umsetzen. Ich möchte allen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern, die für die Umsetzung verantwortlich
sind, danken.
Wir werden uns darüber hinaus weiter dafür engagieren, Aufwüchse in den entsprechenden Haushalten zu erreichen.
({26})
Gleichzeitig wird aber der Anpassungsbedarf bei den
Strukturreformen realisiert werden müssen. Dafür werde
ich ebenfalls ganz dickschädelig Sorge tragen.
({27})
Herr Minister, Sie
müssen zum Ende kommen.
Ich komme zum Schluss. - Lassen Sie mich abschließend
für die Unterstützung aus dem zuständigen Ausschuss
danken. Ganz besonders möchte ich Hilmar Hoffmann,
dem ausscheidenden Präsidenten des Goethe-Instituts,
und seinem Vizepräsidenten für die sehr gute Zusammenarbeit danken. Hilmar Hoffmann hat von der Bundesrepublik Deutschland einen Orden bekommen für die
Leistung, die er gebracht hat, und zwar nicht nur als Präsident des Goethe-Instituts. Ich kenne ihn seit vielen Jahrzehnten und weiß, dass er auch in kommunaler Verantwortung Großartiges geleistet hat.
Ich möchte von dieser Stelle aber auch der künftigen
Präsidentin des Goethe-Instituts Inter Nationes, Jutta
Limbach, alles Gute wünschen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.
Recht herzlichen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort
Kollegen Hans-Joachim Otto, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich nicht die
Aufgabe dieses Parlaments, sich bei der auswärtigen Kulturpolitik nur wechselseitig auf die Schulter zu klopfen
und zu sagen, dass wir in den Zielen übereinstimmen. Es
ist wohl wahr, dass wir in den Zielen übereinstimmen. Ich
möchte ebenfalls darauf hinweisen, dass Mitglieder der
Regierungs- und der Oppositionsfraktionen im Ausland
immer sehr stark mit einer Stimme sprechen. Das darf
auch nicht verloren gehen.
Aber, lieber Herr Fischer, zur Tränen treibenden Realität der auswärtigen Kulturpolitik muss man schon noch
ein paar kurze Worte verlieren: Erstens. Sie sagten, es
habe seit Antritt der Regierung Schröder/Fischer keinen
Abbau gegeben.
({0})
Ganz nüchtern muss man feststellen - daran lässt sich
nicht vorbeireden; ich habe mir die Zahlen eben noch einmal angeschaut -: Der Kulturhaushalt des Auswärtigen
Amtes ist von 1998 bis 2001 schlicht von 1,154 Milliarden DM auf 1,126 Milliarden DM heruntergegangen. Das
bedeutet, wenn man auch noch die Wechselkurs- und
Preisveränderungen berücksichtigt, durchaus einen Abbau. Das ist die harte Realität. Im Haushalt der Deutschen
Welle, die, wie wir wissen, nicht bei Fischer ressortiert,
hat es sogar einen Abbau um 130 Millionen DM gegeben.
Das ist die Tränen treibende Realität der auswärtigen Kulturpolitik.
Zweitens. Lieber Herr Fischer, es gibt unbestritten - da
werden Sie mit der FDP wenig Probleme haben - einen
Konsolidierungsbedarf. Wir sind die Allerletzten, die bestreiten würden, dass die Verschuldung nicht in die Höhe
getrieben werden darf; das ginge zulasten der kommenden Generationen. Aber - darüber werden wir zu reden
haben - die Prioritätensetzung ist entscheidend. Der Kulturhaushalt des Auswärtigen Amtes ist in der Ära Fischer
von 0,25 Prozent - es waren sogar schon 0,28 Prozent auf 0,22 Prozent des Gesamthaushaltes heruntergefahren
worden.
({1})
Auch das ist eine harte Realität. Die Mittel für die Deutsche Welle sind um 130 Millionen DM gekürzt worden
und gleichzeitig - das ist Ihre Prioritätensetzung - ist der
Etat des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung dramatisch angestiegen, damit in deutschen Zeitungen schöne Anzeigen für die deutschen Wähler geschaltet
werden können. Dieses Geld fehlt, um eine vernünftige
auswärtige Kulturpolitik betreiben zu können.
({2})
Ich möchte noch ein Wort über die Prioritätensetzung
verlieren. Es ist schon komisch: Es gibt jetzt die Überlegung, Serien wie „Kommissar Rex“, „Forsthaus Falkenau“ und „Klinik unter Palmen“ über den deutschen
Auslandssender zu verbreiten. Dafür sind spontan 50 Millionen DM zusätzlich vorhanden. Diese 50 Millionen fehlen natürlich letztlich im Kulturetat, die fehlen für anspruchsvolle Programme.
Liebe Freunde von SPD und Grünen, bei diesen
50 Millionen DM, die jetzt für den deutschen Auslandskanal, für das Kooperationsprogramm von ARD und ZDF,
eingesetzt werden, muss ich mich doch fragen: Welche
Prioritäten werden hier gesetzt? „Kommissar Rex“ mag ja
ganz hübsch sein, aber ist das die anzustrebende auswärtige Kulturpolitik, Herr Fischer? Ich glaube, das ist nicht
unser Ziel.
Jetzt möchte ich noch etwas zu den Inhalten sagen; das
ist immer noch das Wichtigste. Herr Fischer, Sie haben
gesagt, die auswärtige Kulturpolitik dürfe nicht instrumentell eingesetzt werden. Sie meinen damit wahrscheinlich: nicht unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ich
möchte Ihnen sagen - wahrscheinlich sind wir gar nicht
weit auseinander -: Sie muss durchaus instrumentell eingesetzt werden, und zwar zur Konfliktverhütung, zur
Durchsetzung des Rechtes, zur Durchsetzung von demokratischen Prinzipien.
Insofern möchte ich Herrn Fischer - das wird Sie jetzt
überraschen - loben: Er erklärt jedenfalls immer wieder,
dass das kein unverbindliches Kaffeekränzchen ist, dass
der Dialog der Kulturen nicht zu einer Relativierung von
Menschenrechten führen darf. Da bin ich voll bei Ihnen
und da unterstütze ich Sie auch.
Nur gibt es auch in diesem Bereich Realitäten, die einen etwas nachdenklich machen. - Ich wollte jetzt etwas
zu Herrn Nida-Rümelin sagen; aber er ist leider nicht
mehr da.
({3})
- Ah, richtig. - Herr Nida-Rümelin, Sie waren gerade in
Moskau. Man wirft Ihnen vor, Sie seien als Kulturstaatsminister in Moskau gewesen und hätten kein Wort dazu
gesagt, dass das einzige kremlfreie Fernsehprogramm
TW-6 zu dieser Zeit schließen musste. Ich war nicht dabei. Vielleicht äußern Sie sich noch einmal dazu. Ich hätte
eine Äußerung Ihrerseits jedenfalls für notwendig empfunden. Ich weiß nicht, was Herr Fischer dazu sagt; ich
will ihn auch gar nicht um eine Antwort bitten. Wenn Sie
als Kulturstaatsminister in Moskau sind und ein solcher
Sender geschlossen werden muss, dann wäre auch ein
Wort Ihrerseits dazu gegenüber Ihren Gesprächspartnern
notwendig gewesen.
({4})
Herr Fischer, eines noch zur Durchsetzung der Menschenrechte, zu einem Thema, bei dem ich im Prinzip bei
Ihnen bin: Wenn Sie sich die Situation der beiden
chinesischen Staaten einmal anschauen, so stellen Sie
fest, dass es zum einen Begeisterung für Rotchina gibt
- das ist ganz klar, denn das Land hat wegen seiner großen
Bevölkerung wirtschaftlich große Bedeutung - und zum
anderen das verhältnismäßig kleine Taiwan, das immerhin
auf dem Weg zur Demokratie schon sehr weit fortgeschritten ist und wo es einen Regierungswechsel gegeben
hat, fast untergeht. Was tun wir Deutschen eigentlich, um
den Demokratisierungsprozess in Rotchina zu fördern?
Wir laufen den Rotchinesen nach und benachteiligen Taiwan. Das ist keine auswärtige Kulturpolitik, wie ich sie
meine.
({5})
Als Letztes möchte ich noch etwas zum Dialog mit
dem Islam sagen. Wir müssen den Dialog führen, um
auch Demokratisierungsprozesse - Herr Weisskirchen hat
vorhin sehr engagiert darauf hingewiesen - in Gang zu
setzen. Lieber Herr Herr Weisskirchen, ich weiß gar nicht,
ob wir uns da uneinig sind. Der Dialog mit dem Islam
muss in gleicher Weise geführt werden, wie Herr Fischer
es eben auch angesprochen hat. Wir müssen auf Demokratiedefizite hinweisen. Das ist kein unverbindliches
Kaffeekränzchen. Der Islam insgesamt hat Demokratiedefizite aufzuweisen, die zu benennen wir uns in der auswärtigen Kulturpolitik nicht scheuen dürfen. Es geht hier
nicht nur um die Diskriminierung der Frau, es geht auch
um Gewaltenteilung, um Fragen der Gewissensfreiheit,
der Glaubensfreiheit usw.
Deswegen, lange Rede, kurzer Sinn - Herr Präsident,
ich komme zum Ende, Sie müssen mich nicht ermahnen -: Es ist in der Tat so, dass es im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik Übereinstimmungen über alle Fraktionen dieses Hauses hinweg gibt. Jetzt ist es an den
Regierungsfraktionen, diese Übereinstimmung, diesen
Konsens auch in die Tat umzusetzen. Gerade in der auswärtigen Kulturpolitik gibt es das Angebot zur Zusammenarbeit. Wenn es aber um die Haushaltsberatungen und
um einzelne Anträge geht, vermisse ich die Zusammenarbeit manchmal. Ich mache Ihnen das Angebot, verbunden
mit dem ausdrücklichen Lob für die klaren Worte zum
Dialog der Kulturen und zur Priorität und Nichtrelavitierbarkeit der Menschenrechte: Machen Sie im Bereich der
auswärtigen Kulturpolitik mehr Gebrauch von Zusammenarbeit. Einiges hat uns nicht gefallen, aber ich möchte
hier noch einmal betonen: Im Grundsatz gibt es Übereinstimmung in diesem Bereich.
Vielen Dank.
({6})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Elke Leonhard, SPD-Fraktion.
Herr Kollege Otto, ich war
2001 und 2002 die Hauptberichterstatterin im Haushaltsausschuss für die auswärtige Kulturpolitik. Wir haben mit
der FDP in Person von Herrn Hoyer, mit der CDU/CSU
wie mit allen anderen Fraktionen einvernehmlich gehandelt. Sie hätten also frühzeitiger in aller Klarheit Ihre Forderungen aufstellen müssen, damit wir darüber rechtzeitig hätten diskutieren können. Man kann aber jetzt nicht
scheinheilig „auspacken“ wollen. So geht es nicht.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Wir diskutieren heute den Bericht der Bundesregierung zur auswärtigen Kulturpolitik 2000, des Weiteren den Antrag der SPD-Fraktion und der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „ Auswärtige
Kulturpolitik für das 21. Jahrhundert“ sowie den Antrag
Hans-Joachim Otto ({1})
der FDP - so schlecht ist das gar nicht - über Public Private Partnership.
Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu den Schwerpunkten der auswärtigen Kulturpolitik machen. So wie
wir in den vergangenen zwei Jahren - ich betone das durch eine Mittelaufstockung und durch Verstetigung die
Schwerpunktsetzung bei der Vergabe von Stipendien und
bei der Internationalisierung der Hochschulen als Weichenstellung verstanden haben, so wird die nächste
Schwerpunktsetzung die Konzentration auf die qualitative Verbesserung des Auslandsschulwesens sein müssen. Trotz Haushaltskonsolidierung muss es gelingen, die
Auslandsschulen so zu stärken, dass sie innovativ und
konkurrenzfähig bleiben und die Herausforderungen einer globalisierten Welt nutzen, deutschen wie einheimischen Kindern eine zukunftssichere Ausbildung anzubieten.
({2})
Der Ausbau des Begegnungscharakters und der Ausbau von Euro-Campus-Schulen sollte forciert vorangebracht werden. Lassen Sie mich stellvertretend für die
119 Schulen mit insgesamt 70 000 Schülern, die 48 Begegnungsschulen und 44 deutschsprachigen Schulen sowie 27 landessprachlichen Schulen die Amani-Oberrealschule in Kabul erwähnen. Wir sind sicher, dass noch
im Laufe des Frühjahrs die Amani-Oberrealschule wieder
eröffnet wird. Mit großer Intensität wird an dieser Wiedereröffnung gearbeitet. Ich bin sicher, dass nach jahrelangem Terror, Unterdrückung, Knechtung und Verfolgung nichts so wichtig ist wie der Aufbau von Vertrauen.
Vielleicht können wir dazu beitragen, Vertrauen zu bilden
und damit Brücken zu bauen.
({3})
Es war eine schlichte Geste, als der Außenminister auf
dem Petersberg die Wiedereröffnung der Amani-Oberrealschule und der Mädchenschule ankündigte. Die Bilder
von der Wiedereröffnung der Mädchenschule in der vergangenen Woche werden bei uns allen noch lange haften
bleiben.
({4})
Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass Sie,
Herr Kollege Lammert, Prozentzahlen genannt haben. Ich
muss aber dazu sagen, dass die absoluten Zahlen wichtig
sind. In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass
wir die Mittel für die Stipendien um 21 Millionen DM
aufgestockt haben - wir haben sogar eine Verstetigung erreicht - und dass wir bei den Mitteln für die Auslandsschulen 2,5 Millionen Euro dazugelegt haben.
({5})
Frau Kollegin Leonhard, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lammert?
Nein, ich möchte mit meiner Rede fortfahren, obwohl er schön aufgestanden ist.
({0})
Herr Kollege Lammert, ich bedauere, dass die Zwischenfrage nicht
zugelassen wird.
({0})
Mit dem Kollegen
Lammert habe ich mich oft über diesen Punkt auseinander gesetzt. Ich habe dabei stets betont: Wenn Sie Änderungen haben wollen, dann bringen Sie diese in die Haushaltsberatungen ein!
({0})
Ich könnte Ihnen die mir vorliegende Liste vorlesen.
Während Ihrer Regierungszeit wurden beispielsweise
42 Goethe-Institute geschlossen.
({1})
Seit 1999 gab es aber keine Schließungen mehr. Ich kann
Ihre Vorwürfe nicht mehr hören. Ich habe gar nicht die
Zeit, um Ihnen die passende Antwort zu geben, die Sie
verdienen.
({2})
Es ist mir aber auch ein großes Bedürfnis, aus diesem
Hohen Hause eine Grußadresse an Hilmar Hoffmann, mit
dem ich jahrelang zusammengearbeitet habe, zu richten.
Er wurde am vergangenen Freitag zusammen mit Professor Wapnewski von unserem Bundespräsidenten
Johannes Rau verabschiedet. Beide, Präsident und Vizepräsident, zählen zu den großen Botschaftern der Bundesrepublik. Die auswärtige Kulturpolitik wäre ohne sie
nicht so erfolgreich gewesen. Hilmar Hoffmann und Peter
Wapnewski werden auf jeden Fall der auswärtigen Kulturpolitik fehlen. Respekt und Dank von dieser Stelle.
({3})
Gleichzeitig wünschen wir Frau Professor Limbach,
Volker Doppelfeld und Klaus-Dieter Lehmann die nötige
Energie und Überzeugungskraft zur Fortsetzung der bedeutenden Arbeit.
({4})
Der scheidende Präsident des Goethe-Instituts, Professor Hoffmann, formulierte treffend:
Die deutsche Außenpolitik zeigt mit Joschka Fischer
ein neues Gesicht. Zum ersten Mal seit 100 Jahren
leisten wir uns einen eigenständigen Beitrag zu einer
Weltfriedenspolitik, die auf einer den Menschenrechten verpflichteten strategischen Planung basiert.
Kritisch fügte er allerdings hinzu:
Was ganz offensichtlich bisher nicht gelungen ist, ist
der Eintritt in die neue, dritte Phase der Außenpolitik.
Hoffmann ergänzte diese Ausführungen mit den erklärenden Worten:
Früher in Bonn, heute in Berlin gilt der Begriff von
den drei Säulen der Außenpolitik als Standard. Diesen Dreiklang bildet neben Politik als erster Säule
und Wirtschaft als zweiter Säule schließlich die auswärtige Kulturpolitik als drittes Fundament unserer
Außenpolitik.
Nun spiegelt sich in diesem Säulenmodell exakt die
oben skizzierte dreiphasige Entwicklung der außenpolitischen Paradigmen der Nachkriegszeit. Wenn es stimmt
- so Hoffmann -, dass wir längst in eine neue, von Kultur
und Information, Bildung und Medien geprägte Ära der
internationalen Politik eingetreten sind, dann hat diese Erkenntnis nicht weniger zur Konsequenz als eine Umkehr
der bisherigen Rangordnung. Er fordert die neue Ära
deutscher Außenpolitik, deren Umrisse immer deutlicher
erkennbar werden, als eine Ära, die im Kern auf den Ausbau der internationalen kulturellen Verständigungsverhältnisse der Zukunft zielt. Er verlangt nicht weniger, als
der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik oberste
Priorität zu gewähren und damit die dritte Säule zur ersten zu machen.
Hoffmann bemühte Sigmund Freud, der schon wusste,
dass alles, was die Kulturentwicklung fördert, gegen den
Krieg arbeitet. Man kann zustimmen. Aber wie hauchdünn die Kultur- und Zivilisationsschicht sein kann, haben Freuds Schüler und die Frankfurter Schule treffend
analysiert.
Lassen Sie mich noch einmal anmerken: Eine Hierarchie innerhalb der Dreisäulenpolitik der Außenpolitik
halte ich für unangemessen. Außerdem würde - den Worten Hoffmanns folgend - die auswärtige Kulturpolitik sofort wieder zum Auswärtigen Ausschuss und dort nicht in
einen Unterausschuss, sondern in den Hauptausschuss
verlagert. Ob wir dies wollen, ist eine andere Frage und
wird an anderer Stelle diskutiert werden.
Ich sehe nur die Konsequenz, dass es bei der klassischen Diplomatie ebenso wie bei der Außenwirtschaft
und der auswärtigen Kulturpolitik als den drei Säulen der
Außenpolitik bleiben wird und danke Ihnen.
({5})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Hartmut Koschyk von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Außenminister hat
vorhin in seinem Redebeitrag mit Blick auf die
CDU/CSU-Fraktion angemahnt, dass wir Antworten darauf geben sollten, wo wir andere Schwerpunkte in der
auswärtigen Kulturpolitik setzen und vor allem wie wir
sie finanzieren wollten.
Die Frau Kollegin Leonhard hat gerade in ihrem Redebeitrag den schönen Satz gesagt: Wenn Sie Änderungswünsche für den Haushalt haben, dann bringen Sie sie
doch ein. - Liebe Frau Kollegin Leonhard, wir hatten im
Kulturausschuss des Deutschen Bundestages eine sehr
substanzielle Debatte über den Haushaltsansatz für die
auswärtige Kulturpolitik für das Jahr 2002. Das Auswärtige Amt hat die gutachterliche Befassung des Kulturausschusses des Deutschen Bundestages mit dem Haushaltsansatz für die auswärtige Kulturpolitik so ernst
genommen, dass weder der Herr Außenminister noch irgendeiner der Staatssekretäre noch der Abteilungsleiter
- Frau Kollegin Griefahn, Sie erinnern sich - in der Ausschusssitzung zugegen waren, sondern eine Referatsleiterin.
({0})
Frau Kollegin Leonhard, wir haben sehr wohl zahlreiche Anträge - auch Verbesserungs- und Gegenfinanzierungsvorschläge haben wir dargelegt - im Hinblick auf
den Haushalt für die auswärtige Kulturpolitik für das
Jahr 2002 eingebracht.
({1})
Das Problem war: Die Mehrheitsfraktionen von SPD und
Grünen haben sie abgelehnt.
({2})
Ich möchte noch einmal zu einem Kernbereich der auswärtigen Kulturpolitik zurückkommen. Herr Bundesminister, natürlich ist es in Zeiten knapper Haushaltskassen schwierig, in einem Bereich, der nicht immer eine
Lobby in der Gesamtregierung hat, Kürzungen zu verhindern. Man muss sich dann aber auf Prioritäten konzentrieren. Wir werfen Ihnen vor, dass Sie ständig - auch in der
auswärtigen Kulturpolitik - neue Aufgaben angehen und
das mit großen Worten beschreiben, wichtige Kernaufgaben in der auswärtigen Kulturpolitik aber vernachlässigen.
({3})
Ich möchte dies an einem Bereich, nämlich dem der
Auslandsschulen, deutlich machen; es ist auch ein wenig
durch die heutige Debatte deutlich geworden. Wenn ich
mir den Bericht des Auswärtigen Amtes zur auswärtigen
Kulturpolitik für das Jahr 2000 ansehe, dann erkenne ich,
dass dort sehr euphemistisch beschrieben wird, wie sich
die Kürzungspolitik bei den Auslandsschulen auswirkt.
Dort heißt es nämlich:
Nach sorgfältiger Einzelprüfung wird die Förderung
den Sparbeschlüssen angepasst, wobei die Schulen
möglichst wenig beeinträchtigt werden sollen. Qualität und Substanz der Ausbildung sind gewahrt ...
Herr Minister, das stimmt eben nicht. Ich werde dies an
einigen Beispielen deutlich machen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, auch in Ihrem Antrag über eine auswärtige Kulturpolitik für das 21. Jahrhundert - man muss sich das einmal
auf der Zunge zergehen lassen - findet das Auslandsschulwesen nur eine marginale, lapidare Erwähnung in
vier Sätzen.
({4})
- Wenn man sich Ihren Antrag einmal anschaut, sieht
man, dass es sich um eine lapidare, marginale Erwähnung
handelt. Ich muss Ihnen sagen: Dass Ihnen nicht mehr
dazu einfällt, als dass mit anderen europäischen Ländern
und anderen Trägern mehr zusammengearbeitet werden
muss, um Auslandsschulen zunehmend zu Euro-CampusSchulen zu entwickeln, zeigt, wie konzeptionslos Sie in
diesem Bereich sind.
Ich meine, wir müssen deutlich machen, dass das deutsche Auslandsschulwesen eines der wichtigsten Instrumente nicht nur der deutschen Bildungspolitik, sondern
auch der auswärtigen Kulturpolitik ist. Es dient neben den
Kulturbeziehungen auch der Förderung der deutschen
Außenwirtschaft, dem Dialog der Kulturen und auch der
Verbesserung unserer bilateralen Beziehungen. Über
100 000 ausländische Jugendliche erhalten an den deutschen Schulen im Ausland eine qualifizierte Schulausbildung. Dies lässt Hunderttausende Jugendliche weltweit
zu einer einzigartigen Brücke zwischen Deutschland und
den Kulturen der Welt werden.
Es geht aber - auch das muss eine Kernaufgabe deutscher auswärtiger Kulturpolitik bleiben - um die Schulversorgung von zigtausend Kindern deutscher Staatsbürger, die zeitweilig für deutsche Unternehmen, sonstige
deutsche Einrichtungen oder Auslandseinrichtungen im
Ausland tätig sind. Wir haben eine Fürsorgepflicht für die
schulische Wiedereingliederung der Kinder deutscher
Staatsbürger, die sich zeitweise im Ausland aufhalten,
wenn sie nach Deutschland zurückkehren.
Lassen Sie mich gerade auch im Hinblick auf die
Außenwirtschaft und die Globalisierung der Weltwirtschaft sagen: Wenn Sie sich heute mit Vertretern deutscher Unternehmen unterhalten, dann merken Sie, dass
junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit operierender deutscher Unternehmen nur dann bereit sind, mit
ihren Familien ins Ausland zu gehen, wenn dort auch entsprechend qualifizierte deutsche Auslandsschulen vorgehalten werden.
({5})
Ich komme jetzt zu den Kürzungen der rot-grünen
Bundesregierung. Allein im Haushaltsbereich 2000/2001
betrugen die Kürzungen für die deutschen Auslandsschulen 10,84 Millionen Euro. In der gesamten bisherigen Legislaturperiode betrugen sie 20,5 Millionen Euro.
Was diese Kürzungen bedeuten, Herr Außenminister,
das können Sie erleben, wenn Sie eine deutsche Auslandsschule besuchen. Ich habe in den letzten Jahren
mehrere deutsche Auslandsschulen besucht. Dort heißt es,
dass es zunehmend Probleme gibt, eine ausreichende Anzahl qualifizierter Auslandslehrkräfte in den Schulen zu
bekommen. In deutschen Schulen muss aufgrund der
Kürzungen die Zahl qualifizierter Auslandslehrer zurückgeführt werden. Es droht eine Statusverschlechterung der
Schulen; denn wenn es eine immer geringere Anzahl von
Lehrern an den Schulen gibt, kann dadurch die Möglichkeit, an der Schule die Reifeprüfung abzuhalten, gefährdet werden.
Wenn Sie sich mit den deutschen Außenhandelskammern und den Verantwortlichen deutscher Unternehmen
vor Ort unterhalten, dann sagen diese schon sehr klar, dass
die Gefahr besteht, es könne zu einem Renommeeverlust
deutscher Auslandsschulen gegenüber anderen internationalen Schulen vor Ort kommen. Wir müssen sehen, dass
die Kürzungen zunehmend zu einem Qualitätsverlust und
einem Imageverlust führen. Deshalb, Herr Bundesaußenminister, schlagen die deutsche Wirtschaft und vor allem
auch die deutschen Außenhandelskammern in einem nie
gekannten Ausmaß Alarm.
Ich bin dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag und den deutschen Außenhandelskammern sehr
dankbar, dass sie sich dieses Themas annehmen. Herr
Minister, die deutsche Wirtschaft nimmt sich dieses
Themas nicht in der Art und Weise an, dass sie nur die
Hand aufhält und sagt: Wir wollen mehr Geld. - Vielmehr
war es für mich sehr interessant, zu erfahren, wie sehr sich
die deutsche Wirtschaft vor Ort für deutsche Auslandsschulen engagiert: Grundstücke werden gekauft und Investitionen zur Verfügung gestellt, um die Schulausstattung zu verbessern, zum Beispiel für Turnhallen und
Musikräume.
Wenn man sich ansieht, wie der Schultitel des Auswärtigen Amtes seit 1998 bis heute insgesamt zurückgegangen ist - 1998 betrug er 193 Millionen Euro, in diesem
Jahr 172 Millionen Euro; in der mittelfristigen Finanzplanung bis 2004 soll der Schultitel auf 169 Millionen Euro
weiter zurückgeführt werden -, dann wird deutlich - der
Kollege Dr. Lammert hat darauf hingewiesen -, dass dies,
wenn man Wechselkursschwankungen und die Teuerungsrate in vielen Ländern dieser Welt berücksichtigt,
eine Absenkung um 30 bis 40 Prozent bedeutet.
Jetzt muss man nicht nur die warnenden Stimmen der
deutschen Wirtschaft hören. Jetzt muss man auch die warnenden Stimmen von wichtigen Partnern im Auslandsschulwesen in den jeweiligen Gastländern vernehmen,
die, wenn man in diesen Ländern ist, einem klar sagen,
dass Deutschland mit seinem weltweiten kulturellen Ansehen Gefahr läuft und dass immer weniger Eliten in Ländern mit deutschen Auslandsschulen ein Interesse daran
haben, auf diese Schulen zu gehen, weil andere Schulen
qualitativ besser sind.
Das hat auch Auswirkungen auf unser gemeinsames
Ziel, Herr Bundesaußenminister, die Stärkung des Hochschulstandorts Deutschland. Wir beklagen den Rückgang von Studierenden aus dem Ausland an deutschen
Hochschulen. Wenn Sie mit Vertretern der Hochschulrektorenkonferenz und Vertretern deutscher Hochschulen
sprechen, dann sagen diese sehr deutlich: Wenn es aufgrund der Qualitätseinbußen für immer weniger Eliten im
Ausland interessant ist, auf eine deutsche Auslandsschule
zu gehen, sodass dort erste Prägungen im Hinblick auf die
deutsche Sprache und die deutsche Kultur nicht erfolgen,
dann wird es auch immer weniger interessant, auf eine
deutsche Hochschule zu gehen.
Deshalb müssen wir gerade auch bei diesem zentralen
Bereich der auswärtigen Kulturpolitik sagen, dass weder
der Bericht, den die Bundesregierung für das Jahr 2000
vorgelegt hat, noch der Koalitionsantrag irgendeine umfassende Konzeption für die Zukunft des Auslandsschulwesens erkennen lassen. Drei Jahre rot-grüne Regierungszeit haben zu einer groben Vernachlässigung der
politischen Aufmerksamkeit und auch der finanziellen
Förderung für das deutsche Auslandsschulwesen geführt.
Die deutsche Wirtschaft vor Ort, die an den Auslandsschulen tätigen Lehrer, aber auch die in den Schulen engagierten Unternehmen und die Elternschaft sind alle
über diese Vernachlässigung tief enttäuscht. Deshalb sage
ich für diesen zentralen Bereich der deutschen auswärtigen Kulturpolitik: Auch hier wird im Herbst dieses Jahres
ein Politikwechsel notwendig sein, damit auch das deutsche Auslandsschulwesen als ein Kernbereich auswärtiger Kulturpolitik in Deutschland wieder den Stellenwert
bekommt - Herr Minister, das können wir sehr selbstbewusst sagen -, den es in 16 Jahren Regierungsverantwortung der Union gemeinsam mit der FDP immer gehabt
hat.
({6})
Wenn Sie vor Ort mit Verantwortlichen der deutschen
Wirtschaft und der deutschen Auslandsschulen sprechen,
dann wird das anerkannt. Das haben Sie stark vernachlässigt. Auch hier braucht die deutsche auswärtige Kulturpolitik dringend den Wechsel.
Herzlichen Dank.
({7})
Ich
schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/6825 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksa-
che 14/7253 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem
Titel „‚Public Private Partnership‘ in der auswärtigen
Kulturpolitik“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/5963 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthal-
tungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der PDS gegen
die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP
angenommen.
Wir kommen zu der Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf
Drucksache 14/7380 zu dem Antrag der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel
„Auswärtige Kulturpolitik für das 21. Jahrhundert“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5799
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen und der Fraktion der PDS gegen die Stim-
men der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP ange-
nommen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a bis c auf:
4. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Birgit Schnieber-Jastram, Karl-Josef Laumann,
Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Für mehr Wettbewerb und Subsidiarität in den
sozialen Sicherungssystemen - durch Neuorga-
nisation der aktiven Arbeitsmarktpolitik die
Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland senken
- Drucksachen 14/5552, 14/7523 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Nahles
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Hildebrecht Braun
({1}), Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit
- Drucksache 14/6548 ({2})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({3})
- Drucksache 14/7362 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Brandner
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Schnieber-Jastram, Karl-Josef
Laumann, Brigitte Baumeister, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit bei wichtigen Fragen des Arbeitsmarktes endlich handeln
- Drucksachen 14/5758, 14/7362 Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Brandner
Über den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Sicherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit werden wir
später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Klaus Brandner von der SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In der erhitzten
Debatte über den Arbeitsmarkt ist neben einem klaren
Kopf auch ein gutes Gedächtnis hilfreich. Vor genau vier
Jahren - im Januar 1998 - hatten wir in der Bundesrepublik Deutschland einen bis dahin noch nie erreichten
Stand von exakt 4,82 Millionen arbeitslosen Frauen und
Männern. Vier Jahre später ist die aktuelle Arbeitsmarktlage ohne Frage unbefriedigend: Knapp 4 Millionen Arbeitslose im Dezember und voraussichtlich mehr
als 4 Millionen Arbeitslose im Januar - das kann nicht zufrieden stellen, um das klar zu sagen.
({0})
Klar ist aber auch, dass wir in der Zwischenbilanz in einer Größenordnung von einer halben Million weniger Arbeitslosen als 1998 besser dastehen, als es viele in der Öffentlichkeit wahrhaben wollen ({1})
und dies, obwohl sich mehr Menschen am Erwerbsleben
beteiligen, also keine demographische Entlastung stattgefunden hat.
Hinzu kommt noch, dass wir - die neue Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen - nicht mit statistischen Tricks und mit Wahlkampf-ABM gearbeitet haben.
({2})
Wir haben auch nicht die Datenlage geschönt. Insofern
muss das Ergebnis positiver dargestellt werden, als es
manche zurzeit gewürdigt wissen wollen.
({3})
Sie haben natürlich dadurch, dass Sie die WahlkampfABM erfunden haben, das Arbeitsmarktmittel ABM diskreditiert. Das ist doch völlig klar. Wenn Sie es jetzt zugunsten von Kombilöhnen abschaffen wollen, zeigt das
nur, dass Sie ein sinnvolles Instrument für bestimmte Problemlagen in Misskredit gebracht und nicht dafür gesorgt
haben, den Menschen, die diese Unterstützung brauchen,
tatsächlich Hilfe zu geben.
({4})
Hinzu kommt schließlich, dass seit 1998 fast 1,2 Millionen neue Jobs entstanden sind. Das kann sich, so meine
ich, sehen lassen. Darüber kann die Aufgeregtheit über die
derzeitig schwierige Konjunkturphase auch nicht hinwegtäuschen. Wir hatten zwar - das hatte ich schon angesprochen - mehr erwartet. Aber wir stehen nicht mit
leeren Händen da. 1,2 Millionen Jobs bedeuten Zukunft,
Hoffnung und Perspektive für 1,2 Millionen Menschen in
diesem Land. Es gibt keinen Grund, dieses Ergebnis unserer Politik kleinzureden.
({5})
Dass Sie, insbesondere die Kollegen von der CDU/
CSU-Fraktion, vor diesem Hintergrund, so steht es in
Ihrem Antrag, eine grundlegende Reform der aktiven Arbeitsmarktpolitik zur Senkung der Arbeitslosigkeit fordern, ist schon ein bisschen grotesk; denn Sie selbst haben
erst 1998, wie Sie gesagt haben, eine grundlegende
Arbeitsmarktreform durchgeführt, deren Wirkungen
wir im Laufe der Jahre organisatorisch anpassen mussten
und für die wir Mittel zur Verfügung stellen mussten. Wir
dagegen haben konkrete Erfolge bei der Bekämpfung der
problematischen strukturellen Arbeitslosigkeit erzielt, die
Sie in der Tat nicht erzielen konnten.
Sie gehen in ihrem Antrag in diesem Zusammenhang
von falschen Annahmen aus. Sie fordern den Abbau der
Langzeitarbeitslosigkeit. Das ist zwar richtig. Aber richtig ist auch, dass seit 1998 die Langzeitarbeitslosigkeit um
15 Prozent zurückgegangen ist. Wir haben die verkrusteten Strukturen aufgebrochen. Wir haben die Ärmel hochgekrempelt und haben die Arbeitslosigkeit in den Problembereichen trotz zurzeit allgemein steigender
Arbeitslosigkeit zurückgeführt.
({6})
Damit nicht genug! Wir haben die Jugendarbeitslosigkeit, die Arbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmer und die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen bekämpft,
und zwar erfolgreich. Nehmen Sie das doch einmal zur
Kenntnis! Seien Sie doch nicht neidisch auf diese Erfolge!
({7})
Ein Erfolg ist auch, dass die Dauer der durchschnittlichen Arbeitslosigkeit zurückgeht. Im vergangenen Jahr
konnte sie um eine Woche auf durchschnittlich 34 Wochen im Jahr reduziert werden. Das entlastet im Übrigen
die Bundesanstalt für Arbeit um über 1 Milliarde Euro.
Auch das ist ein besonderer Beitrag, damit mehr Mittel für
eine aktive Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung stehen.
Entscheidend bei der arbeitsmarktpolitischen Debatte
ist aber, dass die geforderte Reform der aktiven Arbeitsmarktpolitik seit dem 1. Januar dieses Jahres in Kraft ist.
Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz haben wir die Instrumente
der Arbeitsmarktförderung gründlich reformiert. Dabei
geht es insbesondere darum, dass das Risiko von Langzeitarbeitslosigkeit bereits im Vorfeld erkannt und - auf
den Einzelfall passgenau zugeschnitten - gegengesteuert
wird. Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz wird die größte Vermittlungsoffensive in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland gestartet. Insgesamt sind 3 000 neue Vermittler
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
tätig. Sie bemühen sich zusammen mit den Arbeitslosen,
Wege zurück in die Erwerbsarbeit zu finden. Individuelle
Eingliederungsvereinbarungen halten die verschiedenen
Schritte verbindlich für beide Seiten fest. Eine aktive Fördermaßnahme kann, sofern sie erforderlich ist, neuerdings ohne entsprechende Wartezeit erfolgen. Die Arbeitsmarktmittel können also sofort greifen. Wir haben
ein breites Instrumentarium an Maßnahmen geschaffen,
das die Schwerpunkte insbesondere im Bereich der Qualifizierung setzt und es ermöglicht, Maßnahmen im Bereich der Teilzeitarbeit oder in Form der Jobrotation
durchzuführen.
Zum vorbeugenden Charakter unserer Arbeitsmarktpolitik gehört auch, dass Beschäftigte bereits in den Betrieben qualifiziert werden können, wenn sie in besonderem Maße von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Das betrifft
geringer qualifizierte und ältere Arbeitnehmer. Anstatt
den Katastrophenmeldungen über Personalabbau eine
noch größere Verbreitung zu verschaffen, sollten wir uns
lieber gemeinsam für die Beseitigung der Qualifizierungsmängel innerhalb des Arbeitsmarktes einsetzen und
dafür sorgen, dass die Maßnahmen, die eingeleitet worden
sind, nun auch greifen, damit den von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen und den Menschen, die schon arbeitslos sind, endlich Hilfe gegeben wird.
({8})
Altersarbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit
sind oft zwei Seiten derselben Medaille. Rund die Hälfte
der Arbeitslosen ist älter als 50 Jahre. Aus meiner Sicht ist
es ein Skandal, dass 60 Prozent der Betriebe keine älteren
Arbeitnehmer ab 50 Jahre mehr beschäftigen. Viele Arbeitgeber müssen endlich realisieren, dass sie nicht nur
olympiareife Mannschaften brauchen, sondern auch die
Erfahrung und das Know-how der Älteren. Job Aqtiv ermöglicht gerade mit Lohnkostenzuschüssen für Ältere
insbesondere auch den kleinen und mittleren Betrieben,
den Wiedereinstieg solcher Personen zu organisieren.
({9})
Ihre Sorgen um das Wohl der älteren Arbeitnehmer,
meine Damen und Herren von der Opposition, klängen
aus meiner Sicht wahrlich glaubwürdiger, wenn Sie mithelfen würden, deutlich zu machen, dass gegen den übertriebenen Jugendwahn dieser Gesellschaft gemeinsam gesellschaftlich Front gemacht werden muss,
({10})
und wenn Sie die Arbeitgeber auffordern würden, ihre sozialpolitische Verantwortung wahrzunehmen und älteren
Menschen wieder eine größere Chance zu geben.
({11})
Die Arbeitsmarktinstrumente sollten auch für spezielle
Problemlagen herangezogen werden können. Ein neuer
Vorschlag ist die Beschäftigungsbrücke für junge Menschen. Wir brauchen eine solidarische Aktion. Im Gegensatz zu den früheren Entlastungsmaßnahmen wird ein aktiver Lösungsweg vorgeschlagen, der direkt zur
Neueinstellung von Jugendlichen führt. Die SPD-Fraktion unterstützt daher grundsätzlich die Initiative der IG
Metall, dass Betriebe im Vorgriff auf später ausscheidende Arbeitnehmer arbeitslose Jugendliche unbefristet
einstellen und gegebenenfalls weiterqualifizieren sollten.
Sie sollten dafür, dass sie dieses Engagement zeigen,
möglichst einen pauschalierten Lohnkostenzuschuss erhalten. Diese Maßnahmen wären strikt bis zum Jahr 2006
zu befristen, weil sich dann der Geburtenrückgang infolge
der deutschen Einheit schlagartig bemerkbar macht und
im Land eher Fachkräftemangel droht. Im Prinzip bietet
das Job-Aqtiv-Gesetz schon solche Möglichkeiten. Es
kommt jetzt darauf an, sie passgenau zuzuschneiden. Das
wäre ein konkretes Thema für das Gespräch zum Bündnis
für Arbeit. Darüber könnte trefflich diskutiert werden und
es könnte an Lösungen gearbeitet werden.
Darüber hinaus wäre eine Einstiegsteilzeit für Berufsanfänger sinnvoll. Ähnlich wie bei der Altersteilzeit
könnten das Einkommen und die Sozialversicherungsansprüche aufgestockt werden. So würde auch Teilzeit attraktiv.
({12})
Besonders wirksam wäre eine Verkopplung mit einer
echten Altersteilzeit. Wenn nämlich ein junger Mensch
schon vor dem eigentlichen Personalbedarf eingestellt
würde, könnte der Ältere sein Erfahrungswissen direkt an
den Jüngeren weitergeben. So entstünde im weiteren
Sinne eine Jobrotation mit vorgeschalteter Überlappung
der Beschäftigung. In diesem Zusammenhang sollte dann
auch eine ebenfalls befristete Erweiterung der Altersteilzeit auf einen längeren Zeitraum kein Tabu sein. Dann
könnten bereits 55-Jährige in Teilzeit gehen und mithelfen, die Beschäftigtenstruktur in den Betrieben frühzeitig
zu verbessern. Das würde vor allem der recht großen
Gruppe der Betriebe in den neuen Ländern helfen, die aus
der Zeit der Planwirtschaft überlebt haben.
Das Wichtigste aber bleibt die Beschäftigungsbrücke
für junge Menschen. Sie muss in der Region eine Perspektive haben. Im Wesentlichen betrifft dieser Vorschlag
den Osten Deutschlands, aber auch in einigen westdeutschen Regionen mit Strukturproblemen sollte davon profitiert werden. Auch dort sollte das genutzt werden.
Ich komme zum Schluss. - Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz
stehen jedenfalls die Hebel zur Beschäftigungssicherung
und zur Schaffung neuer Jobs bereit. Es kommt jetzt darauf an, dass die Hebel offensiv genutzt werden. Je größer
die Gemeinsamkeit dabei ist, umso erfolgreicher werden
wir die Arbeitslosigkeit in diesem Land bekämpfen.
({13})
Als
nächster Redner hat der Kollege Karl-Josef Laumann von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die zuletzt veröffentlichte Arbeitslosenzahl in Deutschland,
nämlich 3,963 Millionen Arbeitslose - man kann also sagen: Sie haben die 4-Millionen-Grenze nach drei Jahren
Rot-Grün erreicht -, hat natürlich zu einer heftigen Debatte über die Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik in Deutschland geführt und das ist auch richtig so.
Für die Debatte heute ist es wichtig, dass wir uns
zunächst einmal über ein paar Zahlen klar werden. Wir haben eine Zunahme der Kurzarbeit, Herr Kollege
Brandner, um 150 Prozent.
({0})
Es arbeiten in Deutschland zurzeit 175 000 Menschen
kurz. Das ist ein klares Zeichen, das wissen Sie aus Ihrer
Praxis als Gewerkschaftssekretär auch. In vielen Betrieben ist, wenn die Auftragslage schlecht ist, als erste Nothilfe die Kurzarbeit dran; und wenn sich die Dinge in den
nächsten Wochen nicht entwickeln, dann steht auch Personalabbau auf der Tagesordnung.
Dann gibt es einen Punkt, der sollte uns alle nachdenklich machen: Die Jugendarbeitslosigkeit hat um
10,7 Prozent zugenommen! Nach drei Jahren Rot-Grün und
trotz JUMP-Programm sind in diesem Land 450 000 Menschen unter 25 Jahren arbeitslos!
({1})
Das ist nun wirklich ein Skandal.
({2})
Sie müssen sich daher fragen, ob Sie mit Ihrem milliardenschweren JUMP-Programm, das Sie im 98er Wahlkampf nahezu wie eine Monstranz vor sich her getragen
haben - Sie haben hier im Bundestag über drei Jahre lang
nur dieses JUMP-Programm als Arbeitsmarktinstrument
dargestellt, haben kein anderes erfunden und kein anderes
umstrukturiert -, nicht auch noch in dem Bereich gescheitert sind, weil die Zahlen nun einmal so sind, wie ich
sie Ihnen gerade eben vorgetragen habe.
Die Arbeitslosigkeit der Ausländer, die hier in
Deutschland leben, ist um 8,5 Prozent gestiegen.
({3})
Ich sage Ihnen allen Ernstes: Ob die politische Klasse in
diesem Lande noch ernst genommen wird angesichts dieser Arbeitsmarktzahlen, wenn rüber kommt, dass wir auch
noch arbeitsmarktbedingte Zuwanderung zum jetzigen
Zeitpunkt brauchen, das sollten sich diejenigen, die dieses
Geschäft betreiben, auch einmal in aller Ruhe überlegen.
Dann schauen Sie sich einmal die Statistiken aus Nürnberg an - dies ist aber eine Entwicklung, die schon über
viele Jahre geht -: Mittlerweile sind zwei Drittel unserer
Arbeitslosen Arbeiter, mit einer steigenden Tendenz einer Männerarbeitslosigkeit unter den Arbeitern. Und das
wird immer schlimmer und immer mehr. Dies liegt daran,
dass uns im produktiven Bereich die Arbeitsplätze wegbrechen. Die Leute, die mit der Hand ihr Geld verdienen
müssen, weil sich auch von der Mentalität her nicht jeder
für einem Computer- oder Hightecharbeitsplatz eignet,
haben es immer schwerer, in Deutschland Arbeit und Beschäftigung zu finden. Das wiederum liegt daran, dass wir
Deutschen es in unserem Lande nicht geschafft haben,
Arbeitsplätze, die im Fertigungsbereich durch höhere
Produktivität weggefallen sind, aber auch durch Auslagerung ins Ausland, weil sie hier nicht mehr marktfähig waren, dadurch zu ersetzen, dass für die Menschen in neuen
Arbeitsbereichen, zum Beispiel im personennahen
Dienstleistungssektor, neue Arbeitsplätze erschlossen
werden. Das ist nach meiner Meinung unser großes strukturelles Problem am Arbeitsmarkt.
({4})
Deswegen ist unsere Forderung schon seit Jahren - wir
haben sie ja noch im letzten Jahr der Tätigkeit von Norbert
Blüm im Arbeitsministerium konzeptionell entwickelt -,
dass uns etwas einfallen muss, damit Arbeit, die zunächst
einmal niedrige Stundenlöhne in den personennahen
Dienstleistungsbereichen aufweist, auf der Abgabenseite so behandelt wird, dass es für die Menschen mit
Blick auf die Nettolöhne gegenüber Arbeitslosen- und Sozialhilfe interessanter ist, solche Tätigkeiten zu übernehmen.
({5})
Wenn Sie jetzt nach drei Jahren, in denen Sie sich in
dieser Frage gar nicht bewegen wollten,
({6})
auf einmal kommen und sagen, jetzt machen wir das
Mainzer Modell - das in ganz Rheinland-Pfalz bis jetzt
nur 800 Leuten geholfen hat -, und behaupten, dass das
jetzt die Wunderwaffe gegen diese Arbeitsmarktentwicklung sein soll, kann ich Ihnen nur sagen, dass dies nicht
die Reformen sind, die wir brauchen.
({7})
Auf dem Weg zu dieser Debatte im Deutschen Bundestag wurde mir heute ein Flugblatt von einer Initiative
„Neue soziale Marktwirtschaft“ überreicht. Diese Leute
mahnen an: Mehr als 4 Millionen Arbeitslose warten auf
Reformen. - Herr Bundesminister Riester, am Ende meiner Rede möchte ich Ihnen gern die Wartenummer
4 130 963 überreichen, damit Sie daran denken, dass die
Menschen darauf setzen, dass wir hier Reformen machen,
die sie in Arbeit bringen. Wenn Sie da nichts tun, könnte
das auch Ihre persönliche Wartenummer nach dem
22. September sein.
({8})
Ich komme jetzt auf die heute vorliegenden Anträge zu
sprechen. Wir haben einen Antrag eingebracht, der besagt
dass wir bei den Arbeitsmarktmaßnahmen grundsätzlich
Ausschreibungen, Markt und Wettbewerb wollen.
Herr Bundesminister Riester, nach den Erfahrungen, die
Sie im letzten halben Jahr mit EQUAL gemacht haben,
müssten Sie jetzt der glühendste Verfechter unseres Antrags sein. Deswegen hege ich nach der Debatte und den
vielen Sitzungen, die dazu stattgefunden haben, die große
Hoffnung, dass auch die Mehrheitsfraktionen wissen,
dass an einem Wettbewerb der verschiedenen Träger in
der Arbeitsmarktpolitik, wie wir ihn schon im Antrag vom
März 2001 gefordert haben, kein Weg vorbeigeht, weil er
die einzige Möglichkeit ist, zu verhindern, dass sich Kungelstrukturen zwischen denjenigen, die das Geld vergeben, und denjenigen, die die Maßnahmen umsetzen, entwickeln. Hier ist der Wettbewerb die beste Lösung; er ist
besser als all Ihre Kontrollmöglichkeiten, die Sie in Ihrem
Haus zusätzlich einbauen.
({9})
Zum Schluss möchte ich noch etwas zum Gesetzentwurf der FDP sagen. Er geht aus meiner und aus der Sicht
meiner Fraktion in die richtige Richtung.
({10})
Denn betriebliche Bündnisse für Arbeit sind gerade in
Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs ein wichtiges Instrument zur Sicherung von Arbeitsplätzen. Wir als
CDU/CSU-Fraktion haben zu diesem Thema im Zusammenhang mit der Debatte, die wir über das Betriebsverfassungsgesetz geführt haben, einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht.
({11})
Ich möchte aber auch auf ein paar Unterschiede bei den
Ansatzpunkten hinweisen: Erstens. Wir halten es für erforderlich, dass betriebliche Bündnisse für Arbeit nicht
nur zur Beschäftigungssicherung, wie Sie es in den Antrag
geschrieben haben, sondern auch zum Beschäftigungsaufbau vom Günstigskeitsprinzip her möglich sein müssen.
({12})
Zweitens. Aus unserer Sicht muss zur Sicherung der
Tarifautonomie - das ist sicherlich ein weitreichender
Punkt ({13})
den Tarifvertragsparteien ein zeitlich befristetes Vetorecht
eingeräumt werden. Hier unterscheiden sich unsere Vorstellungen voneinander.
({14})
Drittens. Sie haben in Ihren Antrag geschrieben, dass
der Betriebsrat oder 75 Prozent der Belegschaft dem zustimmen müssen. Wir sind nicht für die Oder-Lösung,
sondern sagen, dass Betriebsrat und 75 Prozent der Belegschaft zustimmen müssen - wir wollen ein breites
Quorum in der Belegschaft -, weil das diejenigen, die das
Günstigkeitsprinzip wollen, dahin bringt, den einzelnen
Arbeitnehmern auch plausibel zu erklären, warum das für
die Firma und die Sicherung der Arbeitsplätze notwendig
ist.
Da die Unterschiede nicht so groß sind, dass eine Ablehnung gerechtfertigt wäre, werden wir als CDU/CSUFraktion heute in der namentlichen Abstimmung dem Antrag zustimmen.
({15})
Liebe Kollegen von der FDP, über die Unterschiede müssen wir uns dann, wenn wir daraus ein Gesetz machen, in
der Gesetzgebungsarbeit unterhalten.
({16})
Ich denke, dass solche Reformen notwendig sind, um
den Arbeitsmarkt in Deutschland wieder anspringen zu
lassen. Rot-Grün wäre gut beraten - die Grünen sind gar
nicht das Problem, sondern eher die SPD -, wenn es
sich solchen Veränderungen ohne ideologische Vorbehalte stellen und überlegen würde, ob sie nicht doch zu
mehr Beschäftigung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland führen könnten. Aber eine
Partei, in deren Programm immer noch steht, dass Zeitarbeit verboten werden muss, und die in der Arbeitsmarktpolitik nichts verändert, sondern viele Regeln in
der Arbeitsmarktpolitik mittlerweile zur Brauchtumspflege erklärt,
({17})
ist wirklich nicht in der Lage, die notwendigen Reformen
durchzuführen.
Schönen Dank.
({18})
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Dr. Thea
Dückert, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht,
ob viele das wissen, aber am Nordpol zum Beispiel gibt
es keine Pinguine. Ich sage das hier, weil viele meinen, am
Arbeitsmarkt gebe es Wunderwaffen. Die gibt es eben
auch nicht.
({0})
Was es am Arbeitsmarkt gibt, ist genauso eine Geographie, auf die man sich einstellen muss. Die Schlussfolgerung, die man daraus ziehen muss, ist, dass es eine
ganze Reihe von Maßnahmen gibt, die auf den Arbeitsmarkt zielen, ein Bündel von Maßnahmen und nicht nur
eine.
Wenn wir uns die Situation der letzten Jahre ansehen,
ist gewiss richtig, dass wir eine ganze Reihe von Beschäftigung schaffenden Strukturreformen bereits eingeleitet haben, dass wir die Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt verbessert haben. Das kann man auch an
der Entwicklung der Beschäftigungszahlen sehen. Die
Steuerreform, die Rentenreform und vor allem auch der
Haushaltskurs der Konsolidierung haben Rahmenbedingungen verändert und dazu geführt, dass wir beispielsweise mit dem Einstieg in die erneuerbaren Energien auch
Beschäftigungseffekte erzielt haben und im Bereich der
Umwelttechnologien heute gleich viel oder mehr Beschäftigte haben als in der Automobilindustrie.
({1})
Das alles, meine Damen und Herren, sind Entwicklungen, die begonnen haben und die wir weiterführen müssen. Richtig ist auch, dass wir in dem engen Bereich der
Arbeitsmarktpolitik zum Beispiel mit dem neuen JobAqtiv-Gesetz einen Paradigmenwechsel begonnen haben
und mit dem Prinzip „Fördern und Fordern“ viel ernsthafter umgehen können, indem wir Eingliederungspläne
möglich machen. Maßgeschneiderte Vermittlung und sofortige Qualifizierung, neue Instrumente in der Arbeitsmarktpolitik, auch mehr Konkurrenz übrigens durch
Vermittlung durch Dritte, das alles sind Elemente, die in
diesem Jahr mit ziemlich großer Sicherheit zur Senkung
der durchschnittlichen Dauer der Arbeitslosigkeit führen
werden.
({2})
Aber - das sage ich auch - wir können und dürfen die
Situation am Arbeitsmarkt nicht schönreden.
({3})
Die Arbeitsmarktsituation hat sich verbessert, weil wir zusätzliche Beschäftigung haben. Aber die Arbeitslosigkeit
ist zu hoch, da beißt die Maus keinen Faden ab.
({4})
Besondere Probleme bestehen im Osten. In vielen Bereichen herrscht Facharbeitermangel, aber gleichzeitig ist
eine hohe Arbeitslosigkeit beispielsweise bei gering Qualifizierten zu verzeichnen. Die durchschnittliche Dauer
der Arbeitslosigkeit ist hoch. Ältere und vor allem auch
Frauen sind stark von Arbeitslosigkeit betroffen. Das hat
viele Ursachen. Das hat konjunkturelle Ursachen, das hat
weltwirtschaftliche Ursachen,
({5})
es hat auch Ursachen in den verhärteten Strukturen am
Arbeitsmarkt.
({6})
Das ist der Grund, aus dem wir die Strukturreformen
fortsetzen werden.
Ich meine, wir sollten dabei vom Ausland lernen. Da
Sie die ganze Zeit so schön dazwischenrufen:
({7})
Sie haben ein ganzes Jahrzehnt, die 90er-Jahre, in
Deutschland die Strukturreformen am Arbeitsmarkt verschlafen.
({8})
Das Ausland, zum Beispiel die Niederlande oder
Dänemark, hat uns auf diesem Gebiet einiges vorgemacht. Natürlich brauchen wir bei der veränderten Arbeitsmarktstruktur und bei den veränderten Anforderungen an die Beschäftigten eine Entwicklung, die mehr Flexibilität, mehr Beweglichkeit am Arbeitsmarkt zulässt.
Aber wenn wir mehr Flexibilität herstellen wollen und
müssen, dürfen wir auf dem sozialpolitischen Auge der
Arbeitsmarktpolitik nicht blind sein. Wer Flexibilisierung
will, muss auch für soziale Verantwortung und soziale
Sicherheit sorgen. Das ist der Grund, aus dem wir uns
zum Beispiel anders als Herr Koch heute an unseren europäischen Nachbarn orientieren wollen, an Dänemark,
an den Niederlanden: weil dort Konzepte umgesetzt worden sind, die nicht zum Working poor führen wie bei der
Orientierung an den USA.
({9})
Was wir heute von der Opposition vorgelegt bekommen haben, ist nun wirklich
({10})
Lichtjahre entfernt von irgendwelchen Konzeptionen geschlossener Art,
({11})
die mit diesen strukturellen Problemen der Arbeitslosigkeit umgehen können.
({12})
Was schlagen Sie vor? Die FDP schlägt vor, das Günstigkeitsprinzip abzuschaffen.
({13})
Im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion schlägt
sie, weil ihr vielleicht schon aufgegangen ist, dass dies allein keine Wunderwaffe sein kann, weiterhin vor: alte
Regelung des 630-Mark-Gesetzes, alte Regelung des
Kündigungsschutzes, alte Regelung der Meldepflichten
und das Vorziehen der Steuerreform. All dies schlagen Sie
hier vor.
({14})
Das sind alte Rezepte, mit denen Sie schon in den 90erJahren gescheitert sind. Ich erkenne daran nichts Neues.
Was daran neu sein soll, das müssen Sie einmal erläutern.
Gleichzeitig schlagen Sie wieder den Marsch in die Schuldenfalle vor, die Sie uns hinterlassen haben. Das, was Sie
uns vorschlagen, führt entweder zur Verschuldung oder
({15})
zur Erhöhung der Mehrwertsteuer oder - Herr Kolb, das
schlagen Sie immer wieder gerne vor - zum Abbau von Sozialleistungen. In einer Gesellschaft, die mehr Flexibilität
und Sicherheit herstellen muss, wird daraus kein Schuh.
({16})
Wenn ich mir die Vorschläge der CDU anschaue, stelle
ich fest - Herr Laumann hat das gerade sehr schön verschleiert, weil er nur einen Punkt herausgenommen hat -,
dass sie letzten Endes ein Fanbrief für das Job-Aqtiv-Gesetz sind. Sie schlagen doch nichts anderes vor als zum
Beispiel eine direktere Vermittlung oder die Einschaltung
von Dritten und damit das, was wir in der Bundesrepublik
Deutschland seit dem 1. Januar dieses Jahres umgesetzt
haben.
({17})
- Ja, sie haben abgekupfert. Das ist wahr.
Sie schlagen die Abschaffung der ABM vor. Schauen
Sie sich doch einmal die ostdeutschen Länder an! Sie wissen ganz genau, dass es dort Situationen gibt, in denen
man keinen Kahlschlag vornehmen kann, weil es dort
Leute gibt, die keine Alternative haben.
In Ihrem zweiten Antrag schlagen Sie vor, den Kanzler
zur Gouvernante des Bündnisses für Arbeit zu erklären,
damit es dann allen im Bündnis fürArbeit gut geht. Dass
heute hier ein solcher Antrag in der Auseinandersetzung
um das Bündnis für Arbeit vorliegt, ist ein riesengroßes
Armutszeugnis. Morgen tagt das Bündnis für Arbeit.
({18})
Von Ihnen hätte ich gern einmal gehört, wie wir aus dieser Situation mithilfe des Bündnisses für Arbeit herauskommen.
({19})
Ich sage Ihnen eines: Ich hoffe, dass morgen beide Tarifparteien in der Lage sind, aus ihren Schützengräben
herauszukommen und tabufrei zu diskutieren. Wir brauchen für die Zukunft des Arbeitsmarktes eine tabufreie
Diskussion.
({20})
Natürlich brauchen wir eine Diskussion über den Abbau
von Überstunden;
({21})
aber wir brauchen auch Handlungen, in denen das Bündnis für Arbeit das bestätigt, was es einmal versprochen
hat,
({22})
nämlich eine beschäftigungsorientierte Tarifpolitik, eine
Politik, die sich auch an den Produktivitätsentwicklungen
orientiert, die zu mehr Beschäftigung und übrigens auch
zu mehr Qualifizierung führt.
({23})
Die FDP fordert mehr Bündnisse für Arbeit in den Betrieben. Ich wünsche mir, dass das Bündnis für Arbeit
morgen den Mut aufbringt, positive Beispiele, Best-Practice-Beispiele wie das von VW, endlich als Orientierungsmaßstab zu nehmen, die dann auch in anderen Betrieben Anwendung finden. Das sind kluge Bündnisse für
Arbeit, die mit den heutigen gesetzlichen Rahmenbedingungen machbar sind:
({24})
Verbindung von Qualifizierung von Arbeitslosen, an der
Produktion orientierter Lohnfindung und Beschäftigungssicherheit.
Anders als andere bin ich der Ansicht, dass das Bündnis für Arbeit morgen auch über die Vorschläge, die die
Benchmarkinggruppe des Bündnisses für Arbeit selbst
gemacht hat, debattieren sollte.
({25})
Ihren Vorschlägen kann ich nichts entnehmen. Deshalb
muss man Zeitung lesen oder Radio hören, um zu erfahren, was die CDU will. Man hört Widersprüchliches.
({26})
- Ja, man hört einen gemischten Chor. Herr Koch, als Einzelsänger,
({27})
legt das wieder neu auf, was er schon im Sommer gefordert hat: das Wisconsin-Modell. Jede Medaille hat zwei
Seiten. Ich finde, Sie sollten beide Seiten offen und ehrlich diskutieren. Zum einen ermöglicht dieses Modell sicherlich die Betreuung der Arbeitslosen aus einer Hand
wie auch eine bessere und schnellere Eingliederung. Aber
das sind Elemente, die wir auch im Job-Aqtiv-Gesetz angehen. Diese Vorschläge haben aber auch eine andere,
eine unsoziale Seite; das wird überhaupt nicht diskutiert.
Das Wisconsin-Modell hat nämlich auch zum Inhalt, dass
denjenigen die soziale Sicherung gestrichen wird, die irgendwann aus dem Arbeitsmarkt wieder herauszufallen
drohen. Die Struktur dieser Modelle weist also jeweils
zwei Seiten, auch eine unsoziale, auf. Sie sind deshalb
keine Lösung.
({28})
Sehen wir uns einmal an, wie sich Herr Koch die Finanzierung vorstellt. Er schlägt vor, zur Finanzierung
30 Prozent der Mittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu
nehmen, um sie zum Beispiel für die Vermittlungszentren
zu verwenden. Ich sage Ihnen, was das für Hessen bedeutet: Es würde ein Drittel der Mittel fehlen, die dort heute
für aktive Arbeitsmarktpolitik aufgewendet werden.
Heute befinden sich 150 000 Menschen in solchen Maßnahmen, die auf den ersten Arbeitsmarkt zielen. Ein Drittel dieser Menschen würde, wenn Kochs Vorschlag durchgesetzt wird, diese Maßnahmen nicht mehr bekommen.
Ich denke, wir sollten uns Gedanken darüber machen, wie
wir die Leute in den ersten Arbeitsmarkt bringen, und
sollten diese Modelle, die er vorschlägt, nicht unterstützen.
({29})
Das sind Schnellschüsse. Was wir am Arbeitsmarkt
aber benötigen, sind sorgfältige Strukturreformen.
({30})
So brauchen wir die Zusammenführung der Sozial- und
der Arbeitslosenhilfe. Wir schlagen hier die bedarfsorientierte Grundsicherung vor.
({31})
- Ich sage Ihnen, Frau Schwaetzer, warum das nicht auf
einmal zu machen ist.
({32})
Zu Kochs Modell ist Folgendes zu sagen: Es ist deshalb
nicht über das Knie zu brechen - so, wie Sie das wollen,
ist das verantwortungslos -, weil dazu auch eine Gemeindefinanzreform gehört. Wir wollen Strukturen eben nicht
auf Kosten der Kommunen verändern. So etwas muss
vorbereitet werden. So etwas muss seriös angegangen
werden.
({33})
Meine Damen und Herren, das ist einer der Punkte, die
zu einer vernünftigen, langfristig angelegten Strukturreform gehören. Darüber hinaus gehören dazu natürlich
auch der Ausbau einer Kindergrundsicherung - wir wollen nicht, dass Leute in die Sozialhilfe fallen, nur weil sie
Kinder bekommen - und die Verbesserung der Situation
der Familien, vor allen Dingen mit Blick auf die Kinderbetreuung. Wir brauchen eine Ausweitung der Kinderbetreuung, damit nicht nur diejenigen, die in den
Genuss des kochschen Modells kommen, in den Arbeitsmarkt gelangen, sondern auch andere hierzu die Chance
haben.
({34})
Wir brauchen eine Bildungsreform, weil lebenslanges
Lernen immer wichtiger wird. Wir brauchen eine Gesundheitsreform.
({35})
Das alles brauchen wir, wir brauchen Strukturreformen,
um das Konzept der Haushaltskonsolidierung weiter abzustützen.
({36})
Wir brauchen, last but not least, die Fortführung der ökologischen Modernisierung. Dazu haben wir länger Zeit als
die von Ihnen gerade angesprochenen sechs Monate.
({37})
Gerade in diesen Bereichen haben wir in den vergangenen
drei Jahren,
({38})
was die ökologische Modernisierung angeht, sehr viel
vorzuweisen.
Das sind die langfristigen Orientierungen. Wir brauchen - das sagte ich eingangs - auch kurz- und mittelfristig Brücken in den ersten Arbeitsmarkt. Das heißt, dass
wir Elemente, die Barrieren am Arbeitsmarkt darstellen,
wie beispielsweise hohe Lohnnebenkosten, abbauen
müssen.
({39})
Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass es Sinn macht,
mit Subventionierungen im niedrigen Lohnbereich die
Barrieren im Arbeitsmarkt abzubauen. Hierzu führen wir
eine harte Debatte; das wissen wir alle. Die IG-Metall hat
gestern wieder gesagt, dass es sich nicht lohnen würde,
dass 18 Milliarden Euro für ein Investitionsprogramm bereitgestellt werden, um 500 000 Arbeitsplätze zu schaffen.
Ich finde, diese Diskussion sollte anders geführt werden.
Frau Kollegin Dückert, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Erlauben Sie zwei Zwischenfragen, einmal vom
Kollegen Schemken und einmal vom Kollegen Niebel?
Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Frau Dückert, ich habe nur
eine kurze Frage. Sie haben einen bunten Strauß von
Wünschen angemeldet, die man alle umsetzen müsste.
Können Sie uns kurz erklären, wie viel Zeit Sie dazu brauchen?
({0})
Die Reformen, Herr Kollege, die ich eben genannt habe,
zum Beispiel die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe in einem Konzept der Grundsicherung,
sind langfristig ausgelegt und können nicht übers Knie gebrochen werden. Dazu werden wir die nächste Legislaturperiode brauchen. Ökologische Strukturreformen sind
längst angelaufen - ich habe vorhin die Zahlen genannt und werden die nächsten Jahre fortgesetzt; das ist völlig
klar. Auch eine Bildungsreform braucht ihre Zeit. Das
heißt, für diese Strukturreformen werden wir längere Zeit
brauchen. Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten in den
16 Jahren, die Sie Zeit hatten, nur eines dieser Reformprojekte angegangen.
({0})
Herr Kollege Niebel.
({0})
Frau Dückert, kennen Sie den Artikel in der „FAZ“ vom 18. Januar 2002, in dem Ihr Fraktionskollege Metzger unter anderem bemängelt, dass es
zu wenig Anreize für die Arbeitsaufnahme gebe, dass die
Bezugsdauer von Arbeitslosengeld zu lang sei, dass das
Abweichen von Tarifverträgen zur Sicherung von Beschäftigung dringend umgesetzt werden müsse, dass die
arbeitsmarktpolitische Situation ordnungspolitisch verfehlt sei, dass die Absenkung des Schwellenwertes beim
Kündigungsschutz ein Fehler gewesen sei, dass das Teilzeitpflichtgesetz die Einstellung von Frauen verhindere
und dass die Neuregelung bei den 630-Mark-Jobs im Endeffekt das letzte bisschen Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt beseitigt habe? Falls Sie diesen Artikel kennen sollten, möchte ich Sie fragen, wie Sie es bewerten, dass der
Kollege Metzger, der ja haushaltspolitischer Sprecher Ihrer Bundestagsfraktion ist, der rot-grünen Arbeitsmarktpolitik eine schallende Ohrfeige gibt und feststellt, dass
Sie komplett gescheitert sind.
({0})
Herr Kollege Niebel, ich kenne sowohl den Artikel wie
auch das Konzept, das dahinter steht und ja letzte Woche
vorgelegt worden ist. Das Konzept ist ein finanzpolitisches Konzept, in dem deutlich gemacht wird,
({0})
dass wir die Konsolidierung des Haushaltes ohne Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt nicht hinbekommen
werden.
({1})
Ansonsten sind in diesem Konzept auch die Elemente enthalten, die ich vorhin genannt habe: Zusammenlegung
von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, stärker fördern und fordern. In dem Artikel, den Sie zitiert haben, sind auch andere Elemente enthalten, die in dem Konzept so gar nicht
ausgeführt sind. Wir verfolgen hier aber die Strategie, die
ich vorgetragen habe. Insofern ziehen wir auch alle an einem Strang.
Ich komme jetzt - Herr Niebel, Sie können sich wieder
setzen - zum Schluss.
({2})
Unsere Antworten auf die Frage, die Herr Niebel eben
vorgetragen hat, und auf die Einwendungen, die die
IG Metall zu dem von uns vorgeschlagenen Konzept, mit
dem wir kleine Einkommen fördern wollen, sind deutlich
geworden. Ich meine, man sollte über diese Dinge nicht in
Form von Gegensätzen diskutieren. Wir haben die Laufzeit des Zukunftsinvestitionsprogramms verlängert, weil
wir natürlich im Bereich Schule und in anderen Bereichen
Investitionen brauchen. Das ist doch völlig klar. Ich glaube
aber, dass wir mit einer klaren Strategie, mit der die Lohnnebenkosten abgesenkt und durch Einstiegsgelder für
Langzeitarbeitslose Brücken in den Arbeitsmarkt gebaut
werden, und ähnlichen Elementen heute aktuell Politik
machen können. Beides ergänzt sich: Wir brauchen
Brücken in den Arbeitsmarkt und Strukturreformen. Erst
dann wird daraus ein Konzept.
({3})
Ich erteile
jetzt das Wort dem Kollegen Dr. Heinrich Kolb von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Angesichts dessen, was der
Kollege Brandner und die Kollegin Dückert hier vorgebracht haben, kann man sich nur wundern. Seit der letzten
regulären Sitzung des Bundestages vor Weihnachten sind
eine Reihe weiterer schlechter Nachrichten eingegangen:
Die Zahl der Arbeitslosen wird sich nach Einschätzung
der Bundesregierung in diesem Winter auf 4,3 Millionen
erhöhen und die Prognose für das Wirtschaftswachstum
ist wenige Wochen nach Verabschiedung des Haushaltes
um die Hälfte auf jetzt nur noch 0,7 Prozent für das laufende Jahr zurückgenommen worden. Sie aber stellen sich
hier hin und nehmen Konzepte der Opposition auseinander, anstatt selbst Vorschläge zu bringen, wie Sie mit dieser Situation umgehen wollen.
({0})
Ich kann Ihnen, Herr Kollege Brandner, nur mehr Aufmerksamkeit empfehlen: Sie müssen offensichtlich beim
Umzug in Ihr neues Büro die Kurve mit der Entwicklung
der Arbeitslosigkeit verkehrt herum aufgehängt haben.
({1})
Die Arbeitslosigkeit steigt seit einiger Zeit; auch Sie sollten das zur Kenntnis nehmen.
({2})
Dieser Anstieg der Arbeitslosigkeit kommt übrigens
nicht überraschend. Ich habe schon in meinem Beitrag zur
ersten Lesung des Gesetzentwurfes der FDP, der heute beraten wird, darauf hingewiesen, dass es zu dieser Entwicklung kommen kann, wenn nicht gehandelt wird. Aber
Sie haben das damals nicht ernst genommen. Ich hoffe
nur, dass Sie heute für unsere Argumente offener sind und
unserem Vorschlag zustimmen.
({3})
- Nein, das ist kein Schnee von gestern, das ist topaktuell,
Herr Dreßen.
Ich weise noch einmal darauf hin: Sie haben im Moment noch - das geht nicht mehr lang ({4})
die Mehrheit in diesem Hause. Von Ihrer Regierung wird
erwartet, dass sie handelt. Aber bei Ihnen ist das Motto angesagt: ohne Moos nichts los. Sie treten auf der Stelle. Sie
beweihräuchern sich selbst. Die Grünen feiern eine Entbürokratisierung der 630-Mark-Verträge
({5})
und übersehen dabei ganz, dass Rot-Grün selbst die Bürokratisierung der Beschäftigungsverhältnisse herbeigeführt hat.
({6})
Da kann man sich doch nur an den Kopf greifen!
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün,
Sie haben erstens nicht den Überblick und zweitens nicht
den Mut für die nötigen Entscheidungen. Wichtige Reformen - die zögerliche Kollegin Dückert hat es hier gerade
noch einmal deutlich gemacht; besser kann man es gar
nicht beschreiben - wie die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe werden auf die Zeit nach der
Bundestagswahl vertragt.
({7})
In der rot-grünen Koalition geht es drunter und drüber. Sie
haben aus den gesetzgeberischen Pleiten der letzten dreieinhalb Jahre offensichtlich überhaupt nichts gelernt.
({8})
Sie reden, streiten und einigen sich dann über ein so genanntes Tariftreuegesetz und erkennen überhaupt nicht,
dass Sie mit diesem Gesetz, das morgen verabschiedet
werden soll, dazu beitragen, die ostdeutsche Bauwirtschaft regelrecht platt zu machen.
({9})
Aber genau diese Politik haben die Menschen in unserem
Lande satt, und zwar Arbeitnehmer wie Unternehmer
gleichermaßen.
Das Schlimme ist, dass der Mittelstand unter dieser
aktuellen Situation besonders leidet. Schon im letzten
Jahr ist die Zahl der Firmenpleiten auf rund 33 000 - und
damit um 12,5 Prozent - angestiegen
({10})
- solche Zahlen hatten wir nicht, Herr Brandner - und es
steht zu erwarten, dass wir in diesem Jahr einen neuen
dramatischen Anstieg erleben werden.
({11})
Dabei ist sicher: Solange Rot-Grün regiert, kann der
Mittelstand in unserem Lande keine Hilfe erwarten.
({12})
Die Sympathie und auch die Unterstützung des Kanzlers
gehören offensichtlich den Großunternehmen. Nach
Holzmann darf jetzt Waggonbau Ammendorf auf Unterstützung des Kanzlers hoffen. Der Mittelstand wird mit
seinen Problemen regelrecht allein gelassen. Das ist auch
kein Wunder; denn der zuständige Arbeitsminister, Herr
Riester, ist, anstatt neue Konzepte zu erarbeiten, vollauf
mit der Bewältigung der Vergabeaffäre bei dem EU-Programm EQUAL beschäftigt. Vier Stunden lang mussten
gestern Herr Riester, drei seiner Staatssekretäre und mehrere Abteilungsleiter in der gemeinsamen Sitzung von
Haushaltsausschuss und Arbeitsausschuss Rede und Antwort stehen, wie es damals bei der Vergabe zugegangen
ist.
({13})
- Nein, die Antwort ist beileibe noch nicht befriedigend.
Die Untersuchung werden wir - ich bedaure das, aber es
ist so - noch fortsetzen müssen.
Zurück zur aktuellen Lage.
({14})
- Ich will gleich etwas zum Inhalt sagen, Herr Brandner. Es kann doch wirklich keinen Zweifel mehr geben, dass
wir uns in der Rezession befinden. Das kann man zwar
noch nicht in allen Details aus den Statistiken ablesen.
Aber wer wie ich als Unternehmer mit Kollegen oder als
Vorsitzender der Bundesvereinigung Liberaler MittelDr. Heinrich L. Kolb
stand tagtäglich mit mittelständischen Unternehmern im
Gespräch ist,
({15})
bekommt ein klares Bild davon, wie die Situation im Moment vom Mittelstand wahrgenommen wird. Dieses Bild
sieht so aus: Die Auftragsbücher vieler Unternehmen füllen sich nicht mehr, die finanziellen Eigenmittel der kleinen und mittleren Unternehmen schmelzen wie Schnee in
der Sonne, die Bankvorstände - übrigens nicht nur der
Großbanken, sondern zunehmend auch der genossenschaftlichen Institute und der Sparkassen - sind bei der
Vergabe von Krediten zögerlich und zurückhaltend, die
Beiträge zur Sozialversicherung steigen und belasten die
Unternehmen, ebenso die Kostensteigerungen. Letztere
sind nicht unwesentlich ein Ergebnis Ihrer Politik. Das
heißt, vielen Mittelständlern geht in diesen Tagen und
Wochen die Luft aus.
In dieser Situation, Herr Thönnes, plant nach der jüngsten Umfrage jeder zweite Mittelständler in Deutschland
Entlassungen. Ich frage Sie: Wissen Sie eigentlich, was
das bedeutet? Wir haben über 3 Millionen mittelständische Unternehmen in unserem Lande. Selbst wenn jeder
sechste Unternehmer im Mittelstand nur einen Arbeitnehmer entlassen würde, wären 500 000 Stellen in Deutschland akut bedroht, wenn sich die Politik nicht grundlegend
ändert.
({16})
Ich will nicht schon wieder Kassandra spielen, aber wir
müssen damit rechnen, Herr Brandner, dass die Arbeitslosigkeit in diesem Winter noch über die Grenze
von 4,3 Millionen hinaus ansteigen wird, wenn wir hier
nicht auch gemeinsam - das biete ich an - reagieren.
Aber als ob es die Probleme, die ich hier beschrieben
habe, nicht gäbe, präsentiert die IG Metall Lohnforderungen von 6,5 Prozent mit Signalwirkung auch für andere
Branchen. Im vom Kanzler für diesen Freitag geladenen
Bündnis für Arbeit - bei dem man sich zunehmend fragen muss, ob es diesen Namen eigentlich verdient; es ist
nämlich ein Bündnis für Arbeitslosigkeit, weil es eher zur
Stabilisierung der Lage am Arbeitsmarkt beigetragen hat ({17})
weigern sich die Gewerkschaften, das Thema Tarifpolitik überhaupt auf die Tagesordnung zu setzen.
({18})
Die Gefahr ist groß, dass es in der anstehenden Tarifrunde zu Abschlüssen kommt, die die Unternehmen überfordern werden. Deswegen und weil es einen Unterschied
macht, ob man 15 oder 20 Prozent oder wie im Mittelstand 50 Prozent Lohnkostenquote hat, ist die Verabschiedung unseres Gesetzentwurfs umso dringlicher, weil
ganz klar ist, dass sich die Frage, ob Flächentarifverträge
noch zeitgemäß sind, in wenigen Wochen noch viel intensiver stellen wird, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.
({19})
Umgekehrt ausgedrückt: Betriebliche Bündnisse für Arbeit, wenn wir sie denn ermöglichen, werden eine zentrale
Schlüsselrolle spielen, wenn es darum geht, Entlassungen
zu vermeiden.
({20})
Ich will Ihnen unseren Gesetzentwurf noch einmal erläutern. Die Notwendigkeit dieses Entwurfs, Herr
Brandner, liegt übrigens offen erkennbar auf dem Tisch.
Der Sachverständigenrat - Ihr Sachverständigenrat - hat
das in seinem jüngsten Gutachten - lesen Sie es nach,
Randnummern 413 ff. - noch einmal sehr deutlich gesagt,
und zwar nicht nur, um verkrustete Strukturen am Arbeitsmarkt aufzubrechen, sondern auch, um dem einzelnen Arbeitnehmer die Möglichkeit einzuräumen, selbst zu
entscheiden, ob er oder sie für einen sicheren Arbeitsplatz
auf verbriefte Rechte eines Tarifvertrages vorübergehend
verzichten will.
({21})
Ich will hier noch einmal deutlich sagen: Wir als Liberale wollen keine Abschaffung der Tarifautonomie. Wir
bekennen uns zur Tarifautonomie. Aber Beispiele wie
VW, Holzmann oder Viessmann zeigen, dass wir dringend flexible Strukturen im Tarifrecht brauchen.
({22})
Bei den großen Unternehmen wie VW oder Holzmann,
Frau Rennebach, machen die Gewerkschaften, auch wenn
sie sich zieren und drehen und wenden, schlussendlich ja
doch mit.
({23})
Uns Liberalen geht es auch um die 3 Millionen mittelständischen Betriebe,
({24})
in denen es eine gut funktionierende echte Partnerschaft
zwischen Unternehmer und Arbeitnehmer gibt. Die meisten dieser Unternehmen dürfen eben nicht auf die Zustimmung der Gewerkschaften zur Abweichung vom Tarifvertrag rechnen. Aber auch diese Unternehmen haben einen
Anspruch auf ein Ventil in Form einer gesetzlichen Regelung der Günstigkeit, um eine Bedrohung der Existenz des
Unternehmens und auch den Verlust der Arbeitsplätze abwenden zu können. Wir meinen, es ist unverantwortlich,
dem mündigen Bürger, dem mündigen Arbeitnehmer in
unserem Lande das Recht abzusprechen, zur Sicherung
des eigenen Arbeitsplatzes beizutragen.
({25})
Ich will zum Schluss noch eines sagen: Wir haben eine
namentliche Abstimmung zur Beschlussempfehlung über
unseren Gesetzentwurf verlangt; das ist richtig.
({26})
Ich freue mich, dass die Kollegen von der Union mittlerweile Zustimmung signalisiert haben. Das war bei den
Ausschussberatungen nicht immer klar erkennbar. Im
Ausschuss für Arbeit und Soziales haben sie sich enthalten, im Wirtschaftsausschuss dafür und in anderen Ausschüssen dagegen gestimmt.
({27})
Sie sind schlussendlich auf der Ziellinie auf unseren Kurs
eingeschwenkt. Das begrüße ich.
({28})
Jetzt fordere ich auch noch die Kollegen von den Grünen auf, mit ins Boot zu kommen. Dann haben wir nämlich in diesem Haus eine Mehrheit.
({29})
Frau Wolf, ich schaue Sie an, auch Herrn Metzger und
Frau Scheel. Ich erinnere mich noch daran, dass Ihr Fraktionsvorsitzender Herr Schlauch vor einem Jahr spektakulär ebenden Vorschlag gemacht hat, den wir heute zur
Abstimmung stellen. Jetzt bin ich mal gespannt, wie Sie
sich in der anschließenden Abstimmung verhalten werden.
({30})
Ich kann nur sagen: Es ist Zeit für mehr Flexibilität
auch im Tarifrecht. Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Antrag.
({31})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner von der
PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die bisherige Debatte zeigt mir eines: Die Lage
ist dramatisch schlecht und es gibt überhaupt nichts zu beschönigen. Aber Patentrezepte zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit haben wir alle noch nicht gefunden; sie
gibt es wahrscheinlich nicht. Ich befürchte auch, dass
noch nicht alle möglichen Alternativen - zum Beispiel
die, die von der PDS vorgeschlagen worden sind - ernsthaft geprüft worden sind. Das finde ich schade.
({0})
Ich will mich heute vor allen Dingen zum Bündnis für
Arbeit und dessen Chancen äußern, weil dieses Bündnis
von der Bundesregierung selber in den Rang eines der
wichtigsten Instrumente der Beschäftigungspolitik erhoben worden ist. Bei aller Kritik an den bisherigen Ergebnissen des Bündnisses für Arbeit bin ich nach wie vor von
der Grundidee des Dialogs mit den Tarifvertragsparteien
überzeugt. Die soziale und ökonomische Kompetenz von
Gewerkschaften und Arbeitgebern ist in dieser Frage unverzichtbar. Nach unseren Vorstellungen hätten auch die
betroffenen Arbeitslosen bzw. ihre Vertretungen mit an
den Tisch gehört.
({1})
Solche Konsensrunden sind notwendig, zukunftsorientiert und tragen auch dazu bei, ein Stück mehr Demokratie zu wagen. Ich befürchte allerdings - das meine ich
wirklich ernst -, dass die Chancen vertan sind. Wenn ich
mir das unsägliche öffentliche Gezerre heute und in den
letzten Tagen vor den für morgen angekündigten Bündnisgesprächen ansehe, dann fürchte ich, dass Bundeskanzler Schröder mit dem Bündnis für Arbeit scheitern
wird.
({2})
Der angestrebte Dialog wurde von Beginn an von den
Arbeitgebern dominiert, zunehmend für Erpressungsversuche missbraucht und dazu genutzt, sich in Tariffragen
einzumischen, was ich immer schon für falsch hielt.
Heute dient der Dialog dazu, sich schon einmal für den
Wahlkampf warm zu laufen. Auch das ist dem Ernst der
Lage kein bisschen angemessen.
({3})
Dass Tarifpolitik Gegenstand der Bündnisgespräche
sein sollte, hat selbst die CDU/CSU in ihrem Antrag kritisiert, der ansonsten, wie ich finde, ziemlich dünn und im
Übrigen längst überholt ist. Zu dieser Feststellung kommt
man, wenn man sich die Äußerungen führender Unionspolitiker heute anhört. Auch was die CDU/CSU ansonsten
zur Bekämpfung der Massen- und Langzeitarbeitslosigkeit anzubieten hat, ist weder originell noch zielführend. Mehr Arbeitsplätze entstehen dadurch nicht.
Sie glauben doch nicht im Ernst, dass 4 Millionen arbeitslose Frauen und Männer mehr Chancen auf dem
Arbeitsmarkt haben werden, wenn die von Ihnen vorgeschlagenen administrativen Maßnahmen für eine effektive Arbeitsmarktpolitik umgesetzt werden. Die Massenarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik ist kein Vermittlungsproblem. Wenn in den Bundesländern durchschnittlich 22 Arbeitslose einer offenen Stelle gegenüberstehen, dann zeigt diese Tatsache vor allen Dingen eines:
Wir haben kein Vermittlungsproblem, sondern ein Arbeitsplatzproblem.
({4})
Dieses Arbeitsplatzproblem werden wir auch nicht mit
Maßnahmen im Bereich des Niedriglohnsektors lösen
können, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition.
Weil wir gerade bei den nicht ganz so hilfreichen Vorschlägen sind, will ich ein kurzes Wort zur FDP sagen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, über Ihre
Phobie gegenüber dem bestehenden Tarifsystem und über
Ihre Absicht, die Gewerkschaften zu schwächen, haben
wir uns hier schon häufig gestritten.
({5})
Ich habe wirklich nichts gegen betriebliche Bündnisse
für Arbeit.
({6})
Ich habe sie immer mit großem Interesse verfolgt. Aber eines sage ich Ihnen sehr deutlich: Wenn Sie dabei den
Flächentarifvertrag beseitigen und das Günstigkeitsprinzip aushebeln wollen,
({7})
dann öffnen Sie die Büchse der Pandora. Sie holen dann
nicht nur die Tarifpolitik, sondern auch die Arbeitskämpfe
in die einzelnen Betriebe. Ob das Ihrer Klientel Recht ist,
das wage ich nun wirklich zu bezweifeln.
({8})
Ich glaube nach wie vor, dass das Bündnis für Arbeit
bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hätte erfolgreich
sein können, wenn der Bundeskanzler nicht vorrangig als
Moderator, sondern mit Konzept agiert hätte. Weil das gefehlt hat, konnten die Arbeitgeber die Gewerkschaften so
häufig über den Tisch ziehen, so etwa bei der Tarifrunde
2000, auf der das erste Mal eine moderate Tarifpolitik verabredet wurde - angeblich für mehr Beschäftigung in diesem Land.
Was ist dabei herausgekommen? Es baute sich vor allen Dingen das Gewinn- und Vermögenseinkommen auf.
Das aber ist für die Arbeitslosen zu wenig. Im Ergebnis
haben sich nicht nur die Arbeitseinkommen schwächer
als in den anderen europäischen Ländern entwickelt.
Deutschland trägt die rote Laterne auch bei den Masseneinkommen, bei den öffentlichen Investitionen und
folglich natürlich auch beim Abbau der Arbeitslosigkeit.
Das ist die Negativbilanz des Bündnisses für Arbeit bisher, und dies trotz aller Vorleistungen, die Sie vor allen
Dingen gegenüber den großen Unternehmen erbracht haben. Ich sage nur: Steuerreform, Abbau der Lohnnebenkosten. Aber bei den Arbeitsplätzen ist diesbezüglich
Fehlanzeige.
({9})
- Das habe ich gesagt.
Jetzt, wo die Pipeline leer ist - wie Klaus Zwickel so
schön sagte -, werden die Gewerkschaften mit provozierenden Forderungen nach Lohnleitlinien und Ähnlichem
überzogen und der Konsens wird im Grunde schon im
Vorfeld zur Disposition gestellt und verhöhnt.
Die Bundesregierung hat leider nicht den Mut gehabt
- das kritisiere ich auch -, im Bündnis für Arbeit das Gewicht der Gewerkschaften und ihrer Mitglieder in die
Waagschale zu werfen. Sie haben leider versäumt, mit ihnen gemeinsam den Unternehmen zum Beispiel beschäftigungswirksame Arbeitszeitmodelle abzuringen und endlich verpflichtende Regelungen zum Überstundenabbau
durchzusetzen, wie wir es Ihnen mehrfach vorgeschlagen
und in vielen Konzepten hier in den Bundestag eingebracht haben.
({10})
Ich weiß, dass mir jetzt einige von Ihnen zurufen
- manche laut, manche weniger laut -: Das spricht sich in
der Opposition alles gut.
({11})
- Sie können ruhig zuhören, dann werden Sie schon merken, dass ich Ihren Gedanken verstanden habe.
Ich bin mir sehr wohl dessen bewusst, dass sich viele
meiner Ideen und Konzepte, die ich hier gerne eingebracht habe, nun ein Stück weit in der Praxis bewähren
und dort Bestand haben müssen. Hier wird es manche
Ernüchterung geben. Dessen bin ich mir bewusst. Da mache ich mir keine Illusionen.
({12})
- Ich höre das Stichwort Berlin; dazu rede ich gerade. Der Unterschied besteht nur darin - deshalb wage ich
auch heute diese Kritik -, dass die Ausgangsbedingungen
auf Bundesebene andere sind. Die Regierung hier kann
über ihre Einnahmesituation selber entscheiden - hier
werfe ich Ihnen große Versäumnisse vor - und für andere
Umverteilungsprozesse die Weichen stellen.
Wo ich zukünftig für Politik verantwortlich sein werde,
herrscht Pleite und Mangel. Dies wurde aber nicht von uns
verursacht. In Berlin haben wir nichts zu verteilen, nicht
nach oben und leider auch nur ganz in Maßen nach unten.
({13})
- Über Gehälter würde ich dann, wenn ich auf Ihrem Platz
säße, wirklich nicht reden. Das muss ich einmal deutlich
sagen.
({14})
Dies soll mein letzter Gedanke sein: Es gibt in der Politik auch Kräfte und Reserven, die in keinen Haushalt
einzustellen sind, sondern in den Herzen und Köpfen der
Menschen schlummern. Sie zu gewinnen und über geDr. Heidi Knake-Werner
meinsame Lösungen für die Zukunft zu knobeln ist eine
unabdingbare Notwendigkeit und mir jedenfalls ein wichtiges Anliegen.
Kommen
Sie bitte zum Schluss.
Mit Ihnen, liebe
Kolleginnen und Kollegen, auch zukünftig - möglicherweise auf unterschiedlichen Bänken - im streitbaren und
kollegialen Dialog zu bleiben wird mir Freude machen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Adolf Ostertag von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Wenn ich mir die vorliegenden Anträge und den Gesetzentwurf, die uns CDU/
CSU und FDP auf den Tisch gelegt haben, anschaue
({0})
und die bisherigen Redebeiträge Revue passieren lasse,
muss ich schon feststellen, dass es erschreckend ist, unter
welchen Wahrnehmungsstörungen Union und FDP inzwischen leiden
({1})
und wie weit dieser kollektive Gedächtnisschwund in
dreieinhalb Jahren Opposition fortgeschritten ist.
({2})
Ich möchte das auch gerne begründen. Erstens. Offensichtlich haben Sie vergessen, mit welcher erschreckenden Arbeitsmarktbilanz Sie von den Wählerinnen und
Wählern in die Opposition geschickt wurden. Das sollten
Sie sich aber immer wieder vor Augen führen. Ich nenne
nur zwei Zahlen: Im Dezember 1997 hatten wir eine
Arbeitslosenquote von 13,1 Prozent oder 4,5 Millionen
Arbeitslose.
({3})
Im Dezember vergangenen Jahres, also 2001, hatten wir
eine Arbeitslosenquote von 10,6 Prozent oder insgesamt
3,9 Millionen Arbeitslose.
({4})
Das sind 600 000 weniger.
Wenn es in den nächsten Monaten mehr werden, müssen Sie auch das, was am 11. September passiert ist - das
wollten wir alle nicht -, bedenken.
({5})
Auch vorher hatte sich die Weltkonjunktur natürlich
schon abgekühlt.
({6})
- Ihr Protest zeigt, wie wenig Einsicht Sie in solche wirtschaftlichen Entwicklungen haben. Offensichtlich haben
Sie das nicht begriffen.
({7})
Die Bilanz Ihrer 16-jährigen Regierungszeit zeigt doch
an zwei Aspekten sehr deutlich,
({8})
dass Sie sich einen solchen Gedächtnisverlust vorwerfen
lassen müssen. Wir haben an der Staatsverschuldung, die
die Politik inzwischen fast handlungsunfähig werden
lässt, und an einer Massenarbeitslosigkeit, die sich langfristig - über diese 16 Jahre - aufgebaut hat, zu knabbern.
Zweitens. Sie legen uns heute Anträge vor, in denen die
Neuorganisation der Arbeitsmarktpolitik verlangt
({9})
und erneut nach Deregulierung geschrien wird. Wozu
Ihre Vorstellungen von aktiver Arbeitsmarktpolitik in der
Vergangenheit geführt haben, konnten wir uns in der Vergangenheit ja überzeugen. Ihre Deregulierungsorgien der
letzten Jahre betrafen ausschließlich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer: Aushöhlung des Kündigungsschutzes, Rückführung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Abschaffung des Schlechtwettergeldes für
Bauarbeiter usw. usf. - die Liste können wir wirklich über
mehrere Seiten fortsetzen.
({10})
Was hat das für die Arbeitsmarktsituation, für die Beschäftigung gebracht? Nichts außer Massenarbeitslosigkeit und einen Scherbenhaufen in den Bereichen, in denen
Sie dereguliert haben.
Jetzt kommen Sie wieder mit den alten, gescheiterten
Konzepten und den gleichen Worthülsen der Vergangenheit. Die Beiträge von Herrn Laumann und Herrn Kolb
haben gezeigt, dass Sie keine neuen Konzepte haben, sondern dass Sie an dem festhalten, was Sie in Ihrer Regierungszeit vermasselt haben. Ich kann Ihnen versichern,
dass die Koalitionsfraktionen diese rückwärts gewandten
Vorstellungen ablehnen werden.
({11})
Meine Damen und Herren, die Wirklichkeit hatte Sie
schon während der 16-jährigen Regierungszeit überholt.
Auch in den letzten dreieinhalb Jahren Opposition haben
Sie die Kurve nicht bekommen. Trotzdem sind Sie immer
noch bei diesen alten Deregulierungsvorschlägen und dieser alten Deregulierungsleier.
Ich glaube, die rot-grüne Koalition hat richtig gehandelt.
({12})
In diesen dreieinhalb Jahren haben wir einen Teil dieser
Erblast abgebaut. 430 000 Arbeitslose weniger - ein
Rückgang von rund 10 Prozent - stehen auf der Positivseite.
({13})
Wir haben immer wieder betont, dass das natürlich zu wenig ist. Es ist aber ein ordentlicher Schritt. 1,2 Millionen
neue Arbeitsplätze sind entstanden; das ist ein ordentlicher Sprung. Das muss man im Vergleich zu den Zahlen
Ihrer Regierungszeit, die viel länger war, sehen.
({14})
Im Einzelnen: Wir sind bei unserer aktiven Arbeitsmarktpolitik eben nicht mit der Gießkanne über das
Land gezogen, sondern wir haben spezielle Angebote und
Modelle für besondere Personengruppen entwickelt. Das
hat sich ausgezahlt. Von 1998 bis 2001 ist die Arbeitslosigkeit bei den älteren Arbeitnehmern - ab 55 Jahre - um
ein Viertel, also um 25 Prozent zurückgegangen. Die
Langzeitarbeitslosigkeit ist um 15 Prozent zurückgegangen, die Jugendarbeitslosigkeit um 6 Prozent. Herr
Laumann, trotz des Anstiegs im letzten Jahr ist sie in diesen drei Jahren um insgesamt 6 Prozent zurückgegangen.
Mit JUMP haben immerhin über 330 000 Jugendliche in
diesem Land neue Perspektiven bekommen. Wer sich dort
umschaut, wo die Projekte laufen, der weiß, dass es bei den
jungen Leuten einen Motivationsschub gegeben hat. Genau
das brauchen wir. Das sollten wir nicht klein reden, sondern
das sollten wir offensiv nach außen vertreten.
({15})
Die Zahl der schwerbehinderten Arbeitslosen ist um
12 Prozent zurückgegangen. Das Programm „50 000 neue
Jobs für Schwerbehinderte“ greift. Das ist erfreulich.
Auch hier sollten wir gemeinsam eine offensive Vertretung nach außen zustande bringen.
Das sind positive Zahlen. Ich glaube, die aktive Arbeitsmarktpolitik der rot-grünen Koalition, die in ein
gesamtes und nachhaltiges Politikkonzept aus Sozial-,
Wirtschafts-, Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik eingebettet ist, liegt richtig. Wir haben die Flexibilisierung der
Arbeitszeit durch die Förderung von Teilzeitarbeit und befristeten Beschäftigungsverhältnissen unterstützt. Unternehmen und Arbeitnehmer haben ein wirklich wichtiges Instrument zur Ausgestaltung der Arbeitszeit in die
Hand bekommen.
Auch zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist damit etwas getan worden. Das sollte man nicht vergessen.
({16})
Die Arbeitsförderung wurde modernisiert. Zunächst haben wir - erinnern Sie sich daran - mit einem Vorschaltgesetz die bürokratischen Hemmnisse abgebaut, die Sie
während Ihrer 16 Jahre Regierungszeit geschaffen haben.
({17})
Dann haben wir mit unserem Job-Aqtiv-Gesetz einen
wichtigen Schritt gemacht, der die Effizienz und Zielgenauigkeit der Arbeitsmarktpolitik vor Ort steigern wird.
Fragen Sie einmal in den Arbeitsämtern in Ihren Wahlkreisen nach. In meinem Arbeitsamtbezirk stehen neun
Vermittler mehr zur Verfügung, die in den Betrieben mit
den Beschäftigten und den Arbeitgebern, aber auch mit
den Arbeitslosen reden können. Das sind ganz konkrete
Auswirkungen dieses Job-Aqtiv-Gesetzes vor Ort. Vielleicht überprüfen Sie einmal die Situation bei sich selber.
Wir werden so frühzeitig die betriebsnahe Qualifizierung voranbringen. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt.
Wir werden die individuelle Vermittlung vorantreiben.
Das Prinzip „Fördern und fordern“ wird in diesem ganzheitlichen Prozess der Arbeitsvermittlung letztendlich
Einzug halten.
Außerdem - auch das sei noch gesagt - unterstützen
wir den Beschäftigungsmotor Mittelstand. Herr Kolb, Sie
haben das Thema angesprochen.
({18})
Im Zuge der Steuerreform werden in den nächsten Jahren
noch einmal 15 Milliarden Euro zur Unterstützung des
Mittelstandes zur Verfügung gestellt, weil wir wissen,
dass in erster Linie dort Beschäftigung geschaffen wird.
({19})
Wir haben einen Schwerpunkt auf Ostdeutschland gelegt. Mit der Fortsetzung des Solidarpaktes werden wir in
den nächsten 15 Jahren insgesamt 156 Milliarden Euro in
den neuen Ländern investieren. Ich glaube, das ist insbesondere für die Infrastruktur wichtig, die dort aufzubauen
ist.
({20})
Lassen Sie mich auch etwas zur besonderen Bedeutung
des Bündnisses für Arbeit sagen. Dieser Regierung ist
letztlich gelungen, was Kohl, Blüm und Ihre Fraktion torpediert haben.
({21})
Diese Regierung sitzt morgen wieder mit Gewerkschaften
und Arbeitgebern an einem Tisch, um gemeinsam Lösungswege zu finden.
({22})
Es ist erfreulich, dass die Union nach dem vorliegenden Antrag das Bündnis inzwischen als wichtiges Forum
erkannt hat. Das sehen wir als einen wichtigen Schritt an.
Allerdings sind die Anforderungen, die Sie in diesem Antrag aufgeschrieben haben - ich glaube, es sind insgesamt
sieben -, in der Tat realitätsfern.
Die Bundesregierung hat ihre Hausaufgaben im Bündnis gemacht. Immer wenn wir diese Erfolge in Gesetze
gegossen haben, haben Sie übrigens dagegen gestimmt.
Das kann man anhand einiger Punkte aufzählen.
({23})
Jetzt ist es vor allem an den übrigen Bündnispartnern, die
Vereinbarungen umzusetzen und den Abbau der Arbeitslosigkeit weiter aktiv und offensiv voranzutreiben,
({24})
zum Beispiel den Abbau von 1,8 Milliarden Überstunden, die in dieser Republik jährlich anfallen. Es entstehen
Hunderttausende von Arbeitsplätzen, wenn wir nur die
Hälfte der Überstunden abbauen. Hier sind besonders die
Arbeitgeber und natürlich auch die Betriebsräte und die
Gewerkschaften gefordert, aktiv zu werden.
Wir brauchen auf der Grundlage unseres Gesetzes
mehr Teilzeitbeschäftigung. Wir müssen flexible Modelle
zur Arbeitszeitverkürzung bei der Wochen-, Jahres- und
Lebensarbeitszeit entwickeln. Der Gesetzgeber hat dazu
die Rahmenbedingungen geschaffen.
Das Fazit: Wir alle wissen, dass Arbeitsmarktpolitik allein keine Arbeitsplätze schafft. Sie schafft nur die Rahmenbedingungen. Diese Rahmenbedingungen sind in unserer Regierungszeit viel besser geworden. Jetzt kommt
es darauf an, dass die Akteure auf dem Arbeitsmarkt die
gebotenen Chancen ergreifen. Hierbei sind natürlich insbesondere die Betriebe gefordert. In den Betrieben müssen bestehende Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen werden. Hier gilt es, Kreativität zu fördern und
voranzubringen. Es gibt viele einzelne Beispiele. Eben
ist schon dazwischengerufen worden: Bei drohenden
Verlusten von Arbeitsplätzen in großen Betrieben, in Verwaltungen, bei Banken und Versicherungen sollen sich
die Herrschaften in den Vorständen, die jährlich ein Millioneneinkommen erzielen, etwas einfallen lassen, zum
Beispiel das, was sich schon vor Jahren der Vorstand bei
VW hat einfallen lassen oder auch was in vielen kleinen
betrieblichen Bündnissen geschaffen worden ist,
({25})
nämlich kreative Lösungen, um nicht Hire-and-fire-Politik zu betreiben, sondern Arbeitsplätze zu sichern und zu
schaffen. Das ist das Gebot der Stunde. Dann kommen wir
aus dieser Beschäftigungssituation heraus und werden
viel bessere Zahlen bekommen.
Vielen Dank.
({26})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Claudia Nolte von der CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir im Bundestag über
die Arbeitsmarktsituation sprechen, kommen wir nicht
umhin, auch die besondere Situation in den neuen Bundesländern zu betrachten.
({0})
Denn die schwierige wirtschaftliche Lage zeichnet sich
dort in einem viel stärkeren Maße ab.
Wir wissen alle, dass die Angleichung der Lebensverhältnisse nicht in dem Tempo vonstatten gegangen ist, wie
wir alle gehofft haben. Ich mache der Bundesregierung
nicht den Vorwurf, dass die Lohnangleichung zwischen
Ost und West noch nicht stattgefunden hat. Aber man
muss dieser Bundesregierung vorwerfen, dass die Schere
zwischen Ost und West wieder größer wird. Das ist deutlich anders als früher bei uns, lieber Herr Ostertag.
({1})
Wir haben insgesamt steigende Arbeitslosenzahlen,
geringere Beschäftigungszahlen und ein geringes Wirtschaftswachstum. Aber dadurch, dass sich diese Entwicklung in den neuen Ländern viel schärfer abzeichnet,
kommt es nicht zu einer Angleichung, sondern zu einem
weiteren Auseinanderdriften der Lebensverhältnisse.
Wenn man die vielen Beschäftigten in ABM, SAM, Umschulungen,
({2})
und im Vorruhestand dazuzählen würde, dann würde das
Bild noch viel gravierender ausfallen.
Als der Bundestagspräsident, Herr Thierse, vor einem
Jahr die These vertrat, Ostdeutschland stehe wirtschaftlich auf der Kippe, sind Sie von der SPD nervös geworden, haben versucht zu relativieren und hätten ihm am
liebsten parteischädigendes Verhalten vorgeworfen. Aber
es hat nicht dazu geführt, dass Sie etwas dagegen tun.
({3})
Selbst Herr Thierse muss konstatieren, seine vor einem
Jahr angeregte Diskussion zur Lage in Ostdeutschland sei
bei der Aufrechnung von Licht und Schatten stehengeblieben, während die Wiederbelebung des Aufbaus Ost
nicht erfolgt sei. Dies erklärte er am Dienstag vor der
Industrie- und Handelskammer Schwerin. So war jedenfalls gestern im „Tagesspiegel“ zu lesen. Der Aufholprozess im Osten stagniert; er findet nicht mehr statt.
Diese Entwicklung hat neben anderen Effekten vor allem den Effekt, dass Menschen den neuen Bundesländern
zunehmend den Rücken kehren. Das ist eine in meinen
Augen sehr gefährliche Spirale, die nach unten führt und
die man auch nicht ohne weiteres umkehren kann. Denn
wir wissen alle, dass gerade die jungen Menschen, die
mobil sind und dorthin gehen, wo sie für sich Zukunftschancen erwarten, uns den Rücken kehren, weil es für sie
keine lohnende Arbeit gibt.
Es ist generell gut, wenn junge Menschen flexibel sind,
woanders hingehen, andere Länder kennenlernen und Erfahrungen machen. Es wäre dann kein Problem, wenn
wiederum andere in die neuen Länder kämen, um dort ihre
speziellen neuen Erfahrungen zu machen, und somit ein
ausgeglichener Saldo der Wanderungsbewegung entstehen würde. Dies ist aber nicht der Fall, sondern uns fehlen diese junge Menschen und das macht sich schon jetzt
in einer veränderten Sozialstruktur bemerkbar, indem
sich der Anteil der Bevölkerung in den neuen Bundesländern, der sich aus Rentnern, Sozialhilfeempfängern und
Arbeitslosenhilfeempfängern zusammensetzt, gegenüber
den Menschen, die produktiv tätig sind, prozentual deutlich erhöht. Das stellt natürlich auch die Kommunen, die
schließlich eine gewisse Infrastruktur vorhalten müssen,
vor erhebliche Schwierigkeiten. Das führt zudem zu der
konträren Situation, dass es trotz einer hohen Arbeitslosigkeit teilweise einen Fachkräftemangel gibt.
Am schlimmsten ist die Situation für die älteren Arbeitssuchenden, die schon viele Jahre arbeitslos sind und
inzwischen Arbeitlosenhilfe beziehen. In dieser Situation
kommt die Sozialdemokratie auf die Idee, die Zuschüsse
zur Rentenversicherung bei Arbeitslosenhilfeempfängern
so gravierend zu senken, dass sich das gerade bei den
Menschen im Osten erheblich bemerkbar machen wird.
Dadurch wird sich die Einkommenssituation in den neuen
Bundesländern von der im Westen auf Dauer erheblich
unterscheiden. Sie manifestieren dies. Dafür sind Sie verantwortlich.
Es ist sicherlich richtig, dass die Politik nicht alles richten kann. Aber es wäre falsch zu sagen, sie könne nichts
richten. Wir, die Abgeordneten aus Thüringen, haben in
der Debatte über die Frage „Kippt der Osten?“ sehr deutlich darauf hingewiesen, dass die Situation in den neuen
Bundesländern differenziert zu betrachten ist. Schaut man
sich die Arbeitslosenquoten und die wirtschaftliche Entwicklung in den einzelnen neuen Bundesländern genau
an, dann stellt man fest, dass Thüringen und Sachsen
sehr viel besser dastehen als Mecklenburg-Vorpommern
und Sachsen-Anhalt.
({4})
Das hat damit zu tun, dass in Thüringen und Sachsen jahrelang andere Prioritäten gesetzt worden sind, nämlich für
mehr Investitionen und für weniger Konsum.
({5})
Es ist kein Zufall, dass Thüringen und Sachsen CDU-regierte Länder sind. Anderswo macht man rote Experimente.
({6})
Nun ist auch die Bundesregierung gefordert, entsprechende Prioritäten zu setzen. Wir erwarten, dass mehr in
den neuen Bundesländern investiert wird und dass Investitionsvorhaben vorgezogen werden, und zwar gerade im
Bereich der Verkehrsinfrastruktur, weil Straßen und
Schienen die Lebensadern der Regionen sind.
Natürlich kann auch die aktive Arbeitsmarktpolitik
ihren Beitrag leisten. Ich habe nie verstanden, warum Sie
das arbeitsmarktpolitische Instrument, das am erfolgreichsten war, nämlich die Lohnkostenzuschüsse für ostdeutsche Betriebe, so beschränkt haben. Mit keinem anderen arbeitsmarktpolitischen Instrument sind so viele
Übergänge in den ersten Arbeitsmarkt erreicht worden.
Deshalb finde ich es wichtig, dass wir dieses Instrumentarium wieder mehr in den Vordergrund stellen.
({7})
Für den Aufbau Ost reicht es nicht, im Kanzleramt einen Beauftragten zu haben, dessen Namen im Osten kaum
jemand kennt. Es reicht erst recht nicht, den Aufbau Ost
zur Chefsache zu erklären, wenn man einen Chef hat, dem
der Aufbau Ost ziemlich egal ist und für den er keine Herzenssache ist.
({8})
Das merken die Menschen. Ein kurzer Sommertrip durch
die neuen Bundesländer und der Besuch von Cousinen
sind nicht das, was wir brauchen. Wenn das Bündnis für
Arbeit einen Sinn haben soll - Sie suchen ja noch nach einer Tagesordnung -, dann müssen Sie das Thema „Aufbau Ost“ endlich mit auf die Tagesordnung der Bündnisgespräche setzen.
({9})
Das Wort
hat jetzt der Bundesminister Walter Riester.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich mit meiner Rede beginne,
möchte ich von dieser Stelle aus jemandem herzliche Genesungswünsche übermitteln, der sich an der heutigen
Debatte sicherlich engagiert beteiligt hätte, wenn er nicht
im Krankenhaus liegen würde, nämlich Horst Seehofer.
Wir freuen uns, wenn er wieder unter uns ist und sich wieder aktiv an den Debatten beteiligen kann.
({0})
Herr Laumann, Sie haben mir vorhin ein Kärtchen gegeben, auf dem steht: 4 Millionen Arbeitslose im Januar.
Stellen Sie sich einmal vor, auch ich hätte Ihnen im letzten Januar Ihrer Regierungszeit ein Kärtchen gegeben.
Auf dem hätte dann die Zahl 4 823 000 stehen müssen.
Der große Unterschied zwischen diesen beiden Zahlen
lässt sich nur durch unsere aktive Politik für mehr Arbeitsplätze erklären, mit der wir 1,1 Millionen neue Jobs geschaffen haben.
({1})
Wir haben die Arbeitslosigkeit massiv abgebaut. Wir haben bei den Gruppen angesetzt, die auf dem Arbeitsmarkt
alleine nur wenige Chancen haben. Das sind junge Menschen, zum Beispiel Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss. 370 000 junge Menschen haben an dem Sonderprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit
teilgenommen. Davon haben 275 000 einen Arbeits-, Ausbildungs- oder Weiterbildungsplatz gefunden.
({2})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte die Arbeitsmarktpolitik der
Bundesregierung im Zusammenhang darstellen.
({0})
Der nächste Punkt betrifft den Abbau der Arbeitslosigkeit von schwerbehinderten Menschen. Gemeinsam mit
der Wirtschaft, den Gewerkschaften und den Behindertenverbänden haben wir uns das Ziel gesetzt, die Zahl der
arbeitslosen Schwerbehinderten um 25 Prozent zu senken. Zwischenzeitlich haben wir eine Senkung um 15 Prozent erreicht. Das ist eine Sache, die mich sehr freut.
({1})
Die Langzeitarbeitslosigkeit ist die Verfestigung, die
am schwersten abzubauen ist. 240 000 Langzeitarbeitslose weniger als im Jahr 1998 - das ist aktive Arbeitsmarktpolitik!
({2})
Die 4 Millionen, Herr Laumann, treiben uns natürlich
an. Da müssen wir weiter aktiv bleiben.
({3})
Genau deswegen setzen wir mit der größten Vermittlungsoffensive ein, die jemals in deutschen Arbeitsämtern
angegangen worden ist.
({4})
Das Job-Aqtiv-Gesetz regelt nicht nur die Vermittlung
inhaltlich neu, indem jedem sofort eine Vereinbarung angeboten wird, in der die Förderung, aber auch die Forderungen
an den Einzelnen festgelegt werden. Wir organisieren auch
die personelle Unterstützung für die Vermittlungsoffensive:
Es gibt zusätzlich insgesamt 3 000 Vermittler, 2 000 in den
Arbeitsämtern und 1 000 außerhalb der Arbeitsämter. Das
ist Job Aqtiv!
Der Gesetzgeber ist massiv voranmarschiert. Die Arbeitsämter qualifizieren ihre Vermittler seit Oktober. Die
stehen sozusagen Gewehr bei Fuß.
({5})
Es gibt noch einen weiteren Aspekt. Durchschnittlich
werden monatlich 300 000 offene Stellen gemeldet. Das
sind etwa 3,6 Millionen offene Stellen im Jahr. Im Moment - so sagen die Wirtschaft und das Handwerk - gibt
es zwischen 1,5 Millionen und 1,7 Millionen offene Stellen. Wenn diese den Arbeitsämtern gemeldet würden - ich
weiß, das funktioniert nicht mit 1 Million offener Stellen -,
wenn mehrere Monate lang statt 300 000 Arbeitsplätze
600 000 gemeldet würden, dann wäre das eine Vermittlungsoffensive, die wirklich zum Abbau der Arbeitslosigkeit führen würde. Dort setzen wir an.
({6})
Das wäre eine Möglichkeit im Rahmen des Bündnisses
für Arbeit, die keine Mark kosten,
({7})
aber Beiträge von allen Seiten erfordern würde: die Vermittlungsoffensive des Gesetzgebers, aber auch die Meldung der offenen Stellen. Dort müssen wir ansetzen und
dort werden wir ansetzen. Wir werden die Arbeitslosigkeit
damit Schritt für Schritt weiter abbauen.
({8})
- Wenn die Diskussion beendet würde, könnte ich fortfahren.
Meine Damen und Herren, ich habe mir heute die Vorschläge des Ministerpräsidenten von Hessen, Herrn Koch,
angehört. Er hat Vorschläge zur Sozial- und Arbeitslosenhilfe eingebracht, die er gern umsetzen möchte. Ich sage
Ihnen: Die Richtung halte ich für richtig - eindeutig.
({9})
Ich bin froh darüber, dass Herr Koch ein Stück weit in der
Wirklichkeit angelangt ist. Was er vorschlägt, bezieht sich
nicht auf Wisconsin; was er vorschlägt, wird größtenteils
bereits praktiziert: beispielsweise im Main-Kinzig-Kreis,
in Marburg, aber vor allem auch im Job-Aqtiv-Gesetz.
({10})
Ich hätte mich gefreut, wenn Hessen dieser Initiative im
Bundesrat zugestimmt hätte.
({11})
Es gibt aber auch einige Punkte, die ich nicht teile - das
will ich Herrn Koch überhaupt nicht vorwerfen; darüber
muss man diskutieren -, beispielsweise in Bezug auf die
Finanzierung. Ich teile es nicht, wenn der Herr Koch sagt:
Sanktionsmöglichkeiten können sich doch nicht auf die
Sozialhilfe beschränken. Wenn er damit darauf abzielt,
das Wohngeld oder das Kindergeld zu streichen, dann
kann ich dazu nur sagen: Ich halte das für falsch. Das kann
er auch gar nicht.
Fernab jeder Wahlkampfrhetorik sage ich: Ich würde
mich freuen, wenn mehr wirklich offensive Vorschläge
unterbreitet würden, bei denen die Grundrichtung stimmt.
Über die Einzelpunkte, die dann ebenfalls wichtig sind,
müsste man sprechen.
Wir wollen die Verzahnung von Arbeitslosenhilfe
und Sozialhilfe.
({12})
- Entschuldigen Sie! Wir machen dies nicht nur in 30 Arbeitsämtern. 100 Arbeitsämter haben zwischenzeitlich
Kooperationsvereinbarungen mit Sozialämtern geschlossen. 60 Prozent der Arbeitsämter gehen aktiv an diese Arbeit heran.
({13})
Wenn Sie sagen, Sie wollen das, dann sprechen Sie
bitte schön mal mit Ihrer Kollegin Nolte, die sich gerade
darüber empört hat, dass wir bei den Arbeitslosenhilfeempfängern die Zuschüsse zur Rentenversicherung gesenkt haben.
({14})
Und gleichzeitig erklären Sie, Sie wollen die Arbeitslosenhilfe ganz streichen bis hin zur Ausgabe von Lebensmittelkarten! Wissen Sie, was das heißt?
({15})
Dies würde im Zweifelsfall bedeuten, dass die gesamten
Beiträge zur Rentenversicherung wegfallen. Das muss
man wissen.
({16})
Frau Nolte, in dieser Frage kann man sich nicht schlank
machen, da werden Sie gefordert sein, da muss Butter bei
die Fische! Das muss man als Oppositionspartei dann aushalten. Man kann sich nicht hierher stellen und sagen: Das
wirft man uns vor. - Das betrifft nicht nur die Haushaltskonsolidierung. Wenn wir eine Verzahnung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wollen, dann müssen wir diese
Bereiche auch gemeinsam angehen. Wenn Sie das wollen,
sind Sie herzlich eingeladen. Aber wegtauchen, das geht
in dieser Frage nicht.
Dieses Problem wird von uns angegangen. Die Lösung
wird von uns nicht nur vorbereitet, sondern sie wird in
30 Arbeitsämtern schon praktiziert, wo sich der Bürger
bei einer einzigen Anlaufstelle mit dem Leistungsangebot
sowohl des Sozialamtes als auch des Arbeitsamtes Hilfe
verschaffen kann, um möglichst schnell in Arbeit zu kommen. Alle Konzepte, für die ich Verantwortung trage, werden sich danach ausrichten, ob sie geeignet sind, Leistungsempfänger in den Arbeitsmarkt zu bringen.
Auch das ist ein Punkt, bei dem ich Zweifel habe, dass
sich das, was Herr Koch heute gesagt hat, einlösen lässt.
({17})
Er sagt: Wir werden jedem Arbeitslosenhilfeempfänger
und jedem Sozialhilfeempfänger ein Arbeitsangebot machen. - Dies würde im Zweifelsfall ein riesiges Aufblähen
des öffentlich geförderten zweiten Arbeitsmarktes bedeuten. Darüber muss man sprechen. Er wird nicht automatisch die Angebote im ersten Arbeitsmarkt haben. Deswegen würde ich eine solche Parole nicht herausgeben.
Unser Ziel muss es sein, Leistungsempfänger in Arbeit zu
bringen. Daran haben wir mit der Schaffung von 1 Million
Arbeitsplätzen und mit der Verringerung der Arbeitslosenzahl um über 400 000 erfolgreich gearbeitet. Diesen
Prozess werden wir unbeirrt mit Tempo weiterführen.
Alle werden dabei mithelfen müssen.
({18})
Zu einer
Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Dirk
Niebel von der FDP-Fraktion.
Herr Minister Riester, Sie haben
leider keine Zwischenfrage zugelassen. Deswegen wähle
ich das Instrument der Kurzintervention.
Sie haben gegenüber dem Deutschen Bundestag den
Eindruck vermittelt, dass die Oppositionsanträge - hier beziehe ich mich jetzt auf den vorliegenden Antrag der FDPBundestagsfraktion zur Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe - zu einer vermehrten Altersarmut
führen würden. Das ist falsch, das ist definitiv unrichtig.
Sie wissen, dass Sie hiermit dem Deutschen Bundestag
nicht die Wahrheit gesagt haben. In unserem Konzept zur
Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe
ist explizit vorgesehen, dass die rentenrechtlichen Regelungen der Arbeitslosenhilfe auf die Sozialhilfe übertragen
werden. Das ist eine definitive Verbesserung der Altersabsicherung der zukünftigen Hilfeempfänger.
({0})
Sie sollten hier keinen Popanz aufbauen, der im Endeffekt verhindert, dass zwei steuerfinanzierte, bedürftigkeitsabhängige Sozialtransferleistungen, die alleine durch
die Doppelverwaltung 4 Milliarden Euro im Jahr verschlingen, zusammengeführt werden. Hier müssen wir
endlich die Schritte gehen, die Ihre Kollegen aus Rheinland-Pfalz, Herr Gerster, und aus Nordrhein-Westfalen,
Herr Schartau, auch öffentlich fordern.
Sie regieren seit drei Jahren und bewegen sich in dieser Sache nicht. Stattdessen machen Sie alle möglichen
netten Vorschläge, wie Sie die Statistiken verändern können. Das ist nicht zielführend. Sie müssen Vorschläge machen, wie man Arbeitsplätze zur Verfügung stellt. Hier
müssen Sie ideologiefrei herangehen. Ihre Regierung hat
zu Beginn dieses Jahres die steuerliche Absetzbarkeit bei
den sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen in privaten Haushalten gestrichen. Ich frage Sie jetzt offen und
ehrlich: Worin besteht der Unterschied zwischen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in einem
Haushalt, in einem Handwerksbetrieb oder in einem Industrieunternehmen? Hier gehen Sie ideologieverbrämt
an die Sache heran, statt Arbeitslosigkeit abzubauen.
({1})
Herr
Minister, bitte.
Herr Abgeordneter Niebel, ich bin Ihnen
sehr dankbar, dass Sie, statt laufend dazwischenzurufen,
eine Kurzintervention machen. Das finde ich sehr gut. Ihr
kann man nämlich folgen.
({0})
Erstens. Wenn die rentenrechtlichen Regelungen der
Arbeitslosenhilfe auf die Sozialhilfe übertragen werden,
müssen die Kommunen etwa 5,3 Milliarden zusätzliche
Mittel in die Rentenversicherung einzahlen.
({1})
- Wenn Sie das wissen, dann sagen Sie das auch den Kommunen. Wenn Sie aber der Meinung sind, das solle der
Bund bezahlen - so habe ich es jetzt gehört -, dann sagen
Sie gleichzeitig dazu, dass diese Mittel eine Verschuldung
in Höhe von 5,3 Milliarden auslösen. Wenn Sie das der
Öffentlichkeit nicht sagen, dann belügen Sie die Öffentlichkeit. Diesen Vorwurf muss ich Ihnen machen.
({2})
Zweitens. Sie haben die sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse angesprochen. Dazu kann ich
Ihnen gern Auskunft geben. Deren Zahl ist in drei Jahren
um 700 000 gestiegen. Das ist die Wahrheit.
Wenn Sie noch einmal intervenieren wollen, können
Sie das gern machen. Ich lade Sie herzlich dazu ein.
({3})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Johannes Singhammer, CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister, nach dreieinhalb Jahren rot-grüner Regierung sieht die Bilanz nicht nur ernüchternd aus, sondern
die Menschen in unserem Land haben das Vertrauen in die
Regierung verloren.
({0})
Der Bundeskanzler, Ihr Chef, hat beispielsweise vor
zwei Jahren, am Tag der Arbeit, versprochen, die Arbeitslosenzahlen auf deutlich unter 3,5 Millionen zu senken.
Vor wenigen Tagen hat Ihr Staatssekretär Andres erklärt,
man rechne mit 4,3 Millionen Arbeitslosen. Damit hat die
rot-grüne Bundesregierung ihr wichtigstes Ziel nicht erreicht, ihr wichtigstes Versprechen nicht eingelöst. Eine
Besserung ist nicht in Sicht: Rot-Grün muss weg!
({1})
In den dreieinhalb Jahren Ihrer Regierungszeit haben
Sie im Akkordtempo, sozusagen am Fließband, Ankündigungen - so wie jetzt gerade wieder - feierlich zelebriert,
um sie später schamhaft zurückzunehmen. Viele erinnern
sich noch daran, dass den Rentnern von diesem Bundeskanzler am 17. Februar 1999 versprochen wurde: Ich
stehe dafür, dass die Renten auch in Zukunft so steigen
wie die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer. - Einige
Wochen später hat er sich in der Sendung von Frau
Christiansen entschuldigt und gesagt: Wenn ich könnte,
würde ich mich bei jedem Einzelnen entschuldigen.
Tatsache ist, dass das soziale Gleichgewicht verloren
gegangen ist. Im Jahre 2002 werden den Menschen in
Deutschland Beiträge für eine private Rente abgezogen,
welche Gutverdienende mehr fördert als diejenigen mit
einem kleinen Geldbeutel.
({2})
Wir werden nicht alles anders machen, aber vieles
besser
- das hat der Bundeskanzler versprochen.
({3})
Heute trägt Deutschland die rote Laterne in der Europäischen Union, während es in den Jahren davor immer die
Lokomotive war und die anderen mitgezogen hat.
({4})
Deutschland ist Schlusslicht bei den Wachstumsraten und
den Innovationen. Wir verlieren Weltmarktanteile und es
droht der Abstieg von der Eliteliga in die zweite Liga der
Wirtschaftsnationen.
Mit einer Postkarte - wir erinnern uns noch gut daran haben Sie vor der Bundestagswahl mit zehn Versprechungen geworben. Eine davon hieß: Arbeitslosigkeit bekämpfen.
({5})
Stattdessen explodieren die Arbeitslosenzahlen.
({6})
Auch wenn Sie die 58-Jährigen aus der Statistik herausnehmen, werden Sie trotz dieser Kosmetik nicht erreichen, dass sich die Menschen mit ihrer Erfahrung - sie
haben etwas einzubringen - nicht weiterhin ausgegrenzt
fühlen.
({7})
Das wird Ihre ganze Statistikklitterei nicht erreichen
können.
Ich halte Ihnen einmal ein Spiegelbild dessen vor, was
Sie alles versprochen haben. In der rot-grünen Koalitionsvereinbarung steht: Wir werden die Sozialversicherungsbeiträge durch die Einnahmen aus der ökologischen Steuerreform auf unter 40 Prozent senken. In
diesem Jahr haben wir 41,3 Prozent!
({8})
({9})
Die Krankenversicherungsbeiträge werden auf einen
neuen Höchststand von über 14 Prozent ansteigen.
({10})
Damit wird den Arbeitnehmern mehr Geld aus der Tasche
gezogen als jemals zuvor.
({11})
Die Liste wird noch länger. Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung wollten Sie im Jahr 2002 um 0,5 Prozent
auf 6 Prozent absenken. Das Gegenteil ist der Fall: Die
Bundesanstalt für Arbeit benötigt mehr Geld als vorgesehen.
Der Katalog der Firmen, die im großen Stil entlassen
wollen - neben dem, was im Mittelstand an dramatischer
Entwicklung droht -, liest sich wie ein Horrorszenario:
Henkel-Gruppe minus 3 000, Infineon minus 5 000,
Hypo-Vereinsbank minus 9 000, Siemens minus 17 000,
Commerzbank minus 3 400, Deutsche Bank minus 7 100,
Dresdner Bank minus 5 500. Und ein Ende ist nicht in
Sicht.
Das Bündnis fürArbeit, das Sie hier immer wieder erwähnt haben, ist nicht deshalb, weil die Tarifparteien, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, nicht zueinander gefunden
haben, kurz vor dem Aus. Es ist deshalb vor dem Aus, weil
Sie eine Politik betrieben haben, die aus dem Bündnis ein
Zerwürfnis gemacht hat.
({12})
Der Bundeskanzler hat noch vor wenigen Wochen sich
selbst eine ruhige Hand verordnet und den Menschen die
dramatische Entwicklung verschwiegen.
({13})
Tatsache ist, dass die Entwicklung dramatisch verlaufen
ist und dass jetzt unkoordiniert und mit allem anderen als
mit ruhiger Hand, eher mit heißer Nadel genäht, eine Vielfalt von Maßnahmen eingeleitet worden sind, die aber in
ihrer geringen Beständigkeit und geringen Abgestimmtheit nicht den erwarteten Erfolg bringen werden.
Deshalb sage ich Ihnen: Was Sie machen müssen, ist
eine Generalrevision der Arbeitsmarktordnung. Im Einzelnen heißt das: Alle die Fehler, die Sie gemacht haben
- die Fehler beim 630-Mark-Gesetz, beim Gesetz zur
Scheinselbstständigkeit, beim Teilzeitgesetz - müssen Sie
korrigieren. Nur dann kommen wir wieder auf das richtige Gleis.
({14})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie setzen
Ihren verhängnisvollen Kurs sogar noch fort: Mit einem
Zuwanderungsgesetz soll eine noch nicht überschaubare
Zahl neuer Arbeitskräfte ins Land geholt werden, obwohl
wir über 4 Millionen Arbeitslose haben. Mit dem Zuwanderungsgesetz wächst auch das Risiko einer noch größeren Strapazierung unserer Sozialsysteme, obwohl sie jetzt
schon überdehnt sind.
({15})
Deshalb sage ich Ihnen hier: Uns sind die deutschen Arbeitslosen wichtiger als Utopien über Multikulti.
({16})
Mit der Erweiterung der Europäischen Union nach
Osten wird ohnehin der Wirtschaft ein großes Potenzial an
Arbeitskräften zur Verfügung stehen. Geschätzt wird,
dass nach dem Beitritt über 3 Millionen Menschen aus
den Beitrittsländern in die bisherigen EU-Staaten und bevorzugt nach Deutschland kommen werden, um Arbeit zu
finden. Auch deshalb brauchen wir das von Ihnen geforderte Zuwanderungsgesetz nicht.
({17})
Der Bundeskanzler hat immer wieder darauf verwiesen, als die Daten noch besser waren - und sie waren vor
zwei Jahren noch besser -:
Der Aufschwung, den wir jetzt haben, ist mein Aufschwung.
Deshalb sage ich an dieser Stelle: Der Abschwung, den
wir jetzt leider haben, ist Ihr Abschwung und der Ihrer Regierung.
({18})
Sie sind nicht in der Lage - das hat diese Debatte heute gezeigt -, wirklich durchgreifende Reformen anzupacken.
Dafür fehlen Ihnen die Ideen, der Mut und die Kraft. Es ist
Zeit für eine neue Regierung.
({19})
Das Wort für die SPDFraktion hat die Kollegin Andrea Nahles.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen von
der Opposition, Ihre arbeitsmarktpolitischen Vorschläge,
die Sie heute hier vorgetragen haben, sind doch olle Kamellen von Fastnacht von vor vier Jahren.
({0})
Ich sage Ihnen: So jeck sind nicht einmal wir Rheinländer, dass wir darauf hereinfallen.
Was schlagen Sie denn hier vor? Sie schlagen vor, die
630-Mark-Regelung zurückzunehmen. Wollen Sie wirklich wieder Billigjobs en masse statt sozialversicherungspflichtige Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigungen? Wollen
Sie das?
({1})
Sie schlagen vor, den Umfang der Mitbestimmung in
diesem Land wieder abzubauen und die Tarifverträge zu
unterhöhlen, Herr Kolb.
({2})
Das schafft keinen einzigen Arbeitsplatz. Das schafft nur
erneut ein Klima, das sich durch Heuern und Feuern auszeichnet. Das haben die Menschen wirklich nicht verdient.
({3})
Herr Kolb, Ihre Deregulierungspolitik hat nichts als Spesen gebracht. Die Spesen haben immer nur die Arbeitnehmer bezahlt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Herr Laumann hat von einer vollen Wundertüte gesprochen. Die Wundertüte ist aber leider leer. Er hat nichts
anderes vorgeschlagen, als den Niedriglohnbereich auszubauen und zu subventionieren. Um das zu tun, will er
den Umfang der aktiven Arbeitsmarktpolitik verringern.
Das ist - das wissen Sie auch - völlig unverantwortlich;
deswegen werden wir diesem Vorschlag nicht folgen.
({5})
Ich muss mich allerdings ernsthaft fragen, ob es sich
überhaupt lohnt, sich mit Ihren arbeitsmarktpolitischen
Vorschlägen zu beschäftigen.
({6})
Wenn sie nämlich so wie Ihre finanz- und steuerpolitischen Vorschläge gehandelt werden, dann muss man sich
allerdings über die Halbwertszeit Gedanken machen: Die
Ökosteuer sollte abgeschafft werden, dann doch wieder
nicht und dann doch wieder; die Neuverschuldung wollten Sie ausweiten, dann doch wieder nicht; die Steuerreform sollte vorgezogen werden, dann doch wieder nicht vorwärts, rückwärts, seitwärts, stopp. Das mag vielleicht
für einen Tanzkurs gut sein; zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit taugt das aber leider nicht.
({7})
Die Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung hat
nicht erst mit der Nominierung Ihres Kanzlerkandidaten
begonnen. Wir haben dafür gesorgt, dass seit dem 1. Januar das Job-Aqtiv-Gesetz in Kraft gesetzt ist; wir haben
3 000 zusätzliche Mitarbeiter in den Arbeitsämtern in die
Lage versetzt, Vermittlungen vorzunehmen.
({8})
Entscheidend ist: Es wird nicht mehr gewartet, bis die
Leute arbeitslos sind, und dann sechs Monate abgewartet.
Wir haben alle Wartezeiten gestrichen: Jeder, der jetzt arbeitslos wird, hat sofort ein Angebot für Qualifizierung
und für Arbeit. Das ist ein Riesenschritt nach vorne.
({9})
Die Vermittlung in Arbeit scheitert oft nicht daran, dass
zu viel Lohn gezahlt werden muss; vielmehr scheitert sie
an der falschen oder zu geringen Qualifizierung. Auf die
damit verbundenen Fragen geben Sie keine Antwort. Wir
hingegen haben mit dem Job-Aqtiv-Gesetz die Qualifizierungsmöglichkeiten für geringer Qualifizierte und für
Ungelernte so verbessert, dass auch Kleinbetriebe - nicht
die großen Betriebe, die das vielleicht selbst finanzieren
können - in die Lage versetzt werden, ihre Mitarbeiter
weiterzubilden, sie damit in Beschäftigung zu halten oder
Arbeitslose in Beschäftigung zu bringen.
({10})
- So fördern wir auch den Mittelstand, ganz genau.
Herr Singhammer, Sie haben von der roten Laterne
beim Wachstum gesprochen. Tatsächlich hatten wir die
rote Laterne: 1983 - vorletzter Platz, 1984 - vorletzter
Platz, 1985 - letzter Platz, 1986 - letzter Platz. Es wird
jetzt wirklich langweilig. Damit wir uns hier nicht weiter
über das Wachstum und die rote Laterne streiten müssen,
schauen Sie sich doch bitte Ihre eigene Regierungsbilanz
an. Das kann Ihnen nur helfen, damit Sie hier nicht so auftreten, wie Sie es getan haben.
Darüber hinaus hat die Jugendarbeitslosigkeit - Frau
Nolte hat darauf hingewiesen - in Ostdeutschland im letzten Jahr um 6,3 Prozent abgenommen. Ich glaube, das
können wir ganz direkt auf unsere Initiative, auf das
JUMP-Programm, zurückführen.
({11})
Ich will ganz deutlich sagen: Wir geben uns damit nicht
zufrieden. Wir haben bei der Jugendarbeitslosigkeit an der
zweiten Schwelle Probleme. Deswegen werden wir auch
an dieser Stelle etwas tun. Wir werden Beschäftigungsbrücken für junge Leute auflegen. Wir machen JUMP. Wir
machen das gut. Wir machen noch mehr. Wir machen in
den nächsten Monaten JUMP plus.
({12})
Als Letztes will ich auf das Bündnis für Arbeit eingehen. Herr Kolb: Schuster, bleib bei deinem Leisten!
({13})
Ich will Ihnen wirklich herzlich davon abraten, sich in die
Tarifverhandlungen einzumischen.
({14})
Aber eines steht fest: Das Bündnis für Arbeit hat von der
Arbeitsmarktpolitik die Rahmenbedingungen bekommen, die es braucht: bei der Teilzeitbeschäftigung und bei
der Aktivierung und Vermittlung, bei der Qualifizierung
mit Jobrotation. Es geht jetzt darum, dass unsere Initiativen in den Betrieben tatsächlich umgesetzt werden. Dazu
fordere ich alle auf.
({15})
Es kann nämlich nicht sein, dass die Probleme allein vor
der Tür der Arbeitsmarktpolitik abgestellt werden. Vielmehr brauchen wir die Tarifparteien. Deswegen brauchen
wir auch den Dialog mit den Tarifparteien.
({16})
Deshalb wird es eine erfolgreiche Bündnis-für-ArbeitRunde werden.
Vielen Dank.
({17})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Wolfgang Meckelburg für die
CDU/CSU-Fraktion. - Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bitte Sie alle, auch dem letzten Redner noch zuzuhören. Das ist auch ein Akt der Höflichkeit.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als letzter
Redner in dieser Debatte will ich mit dem anfangen, was
Herr Brandner als erster Redner von der SPD gesagt hat.
- Sie haben gesagt, Sie hätten die Ärmel hochgekrempelt.
Normalerweise krempelt man die Ärmel hoch, um etwas
zu tun. Bei Ihnen habe ich allenfalls die Vermutung, dass
Sie die ruhige Hand noch in Gips legen wollen. Ansonsten
ist bei Ihnen nicht viel Aktivität zu sehen.
({0})
Meine Damen und Herren, die K-Frage in der Union
ist geklärt. Aber das K-Problem der SPD wird bleiben. Es
ist dieser Bundeskanzler, der viel versprochen und wenig
gehalten hat. Daran werden wir ihn in diesem Jahr messen.
({1})
Die Ergebnisse der Regierung Schröder sind negativ,
nicht nur, was den Arbeitsmarkt angeht. Deutschland insgesamt hat sich verändert. Wie sieht nun das geschröderte
Deutschland im Wahljahr 2002 aus?
({2})
Beim Wirtschaftswachstum letzter Platz in Europa.
Sie selber haben vom Anfang bis zum Ende letzten Jahres
ständig die Zahlen zurücknehmen müssen. Das hat mit
dem 11. September, den Sie ständig anführen, nichts zu
tun. Es war Anfang des Jahres, also in der Phase, als wir
unsere Anträge stellten, erkennbar, dass die wirtschaftliche Lage schwieriger würde. Damals hätten Sie handeln
müssen. Sie haben nicht einmal das Job-Aqtiv-Gesetz - es
ist vom Namen her interessant, aber vom Inhalt her nicht
so groß -, das Sie über zwei Jahre angekündigt hatten,
rechtzeitig auf den Weg gebracht. Da reicht die ruhige
Hand des Kanzlers nicht. „Abwarten und Tee trinken“
hilft nicht. Wir brauchen Wachstum in diesem Land.
Wachstum ist die Nummer eins. Die Prognosen für dieses
Jahr liegen mit 0,6 oder 0,7 Prozent weit unter dem, was
wir brauchen, damit Wachstum auf dem Arbeitsmarkt
wirksam wird. Das zu sagen ist wichtig, weil Arbeitsmarktpolitik eine Hilfe ist, aber die Arbeitsplätze entstehen in der Wirtschaft. Wir brauchen Wirtschaftswachstum
in diesem Land. Das ist von der jetzigen Regierung nicht
mehr zu erwarten.
({3})
Meine Damen und Herren, die Arbeitslosigkeit zu Beginn des Jahres 2002 ist mit 4,3 Millionen weit entfernt
von dem, was dieser Bundeskanzler und diese Bundesregierung uns versprochen haben. Versprochen waren
3,5 Millionen. Sie haben auch diese Zahl im Dezember
bei den Haushaltsberatungen selber korrigiert und erwarten jetzt 3,9 bis 4,0 Millionen Arbeitslose. Nicht dass Sie
den Eindruck haben, dass wir uns darüber eventuell
freuen könnten! Wir haben Vorschläge gemacht, die abgelehnt wurden. Als Opposition muss man es deutlich sagen: Sie haben mit Ihrer Arbeitsmarktpolitik versagt.
({4})
4,3 Millionen Arbeitslose sind nach dem Versprechen des
Kanzlers, sich jederzeit an der Zahl der Arbeitslosen messen zu lassen, viel zu viele. Er wird mit dieser Zahl scheitern.
({5})
Ich will ein Wort zu der Behauptung sagen, es seien
1,2 Millionen Arbeitsplätze geschaffen worden; diese
Zahl wird hier ja dauernd präsentiert. Ich frage mich, wie
Sie eigentlich auf diese Zahl kommen. Sie gehen einfach
her und vergleichen Statistiken. Schauen Sie doch bitte
einmal in den Abschnitt des Sachverständigengutachtens
hinein, in dem beschrieben wird, was passiert ist: Der
größte Teil dieser 1,2 Millionen Arbeitsplätze wurde nicht
neu geschaffen, sondern umfasst die 630-Mark-Jobs, deren Zahl früher geschätzt wurde und jetzt aufgrund der
neuen Politik ermittelt werden kann. Auf dem Arbeitsmarkt ist nichts passiert.
({6})
Wenn es noch eines letzten Beweises bedurft hätte,
dann gibt es ihn jetzt: Schauen Sie doch nach, was im
Gutachten des Sachverständigenrates festgestellt wird.
({7})
Den Maßstab, an dem man erkennen kann, ob mehr
Arbeitsplätze entstanden sind, bildet die Zahl der Stunden, die in diesem Land insgesamt gearbeitet wird. Die
Stundenzahl stagnierte im vorletzten Jahr und ist im letzten Jahr um 1 Prozent zurückgegangen. Das heißt, hier ist
nicht wirklich neue Arbeit entstanden. Hören Sie deswegen auf, so zu tun, als seien wirklich Arbeitsplätze geschaffen worden.
({8})
Zu den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen: Sie
sagen, dass mit den 45 Milliarden DM, die Sie jedes Jahr
ausgeben, die Arbeitsmarktpolitik verstetigt werde. Allenfalls im Hinblick auf die Summe der Belastungen der
Steuerzahler und der Ausgaben handelt es sich um eine
Verstetigung, aber es kommt davon keine Bewegung in
den Arbeitsmarkt; dort entsteht nichts Neues. Wir könnten Arbeitsplätze im ersten Arbeitsmarkt fördern, statt sie
künstlich auf dem zweiten oder dritten Arbeitsmarkt zu
schaffen.
Für das JUMP-Programm für Jugendliche werden
jährlich 2 Milliarden DM ausgegeben. Das Ergebnis ist,
dass die Jugendarbeitslosigkeit im letzten Jahr um 11 Prozent gestiegen ist. Diesen Punkt muss man Ihnen vorhalten. Wenn man schon so viel Geld ausgibt, aber nichts erreicht, ist es höchste Zeit zum Umdenken. Sie haben noch
acht Monate Zeit, dann ist nämlich Schluss mit dieser Politik.
({9})
Das Job-Aqtiv-Gesetz ist vom Namen her sehr kreativ, aber inhaltlich wird nur versucht, im Bereich der Vermittlung - eigentlich eine Kernaufgabe der Arbeitsämter zu Verbesserungen zu kommen.
({10})
Am meisten, Herr Brandner, hat mich gewundert, dass
Sie das heiß bekämpfte SGB-III-Änderungsgesetz, das
wir gegen Ihre Stimmen durchgebracht haben, jetzt als
Ausgangspunkt nehmen. Hätten Sie 1997 und 1998 den
Mut gehabt, mehr Reformschritte mit uns gemeinsam zu
gehen, dann hätten wir gemeinsam eine Menge in
Deutschland bewegen können.
({11})
Beispielhafte Stichwörter nur zu dem, was sich ändern
muss: Im Niedriglohnbereich - der Kollege Karl-Josef
Laumann hat darauf hingewiesen - gibt es eine Menge an
Möglichkeiten. Wir brauchen eine Steuerpolitik, die endlich einmal den Mittelstand erreicht. Der Mittelstand ist
der Motor beim Schaffen von Arbeitsplätzen.
({12})
Wir brauchen betriebliche Bündnisse.
({13})
Meine Damen und Herren, die Politik der ruhigen
Hand und der zappelnden Füße - zurzeit sind Sie ja ein
wenig unruhig geworden - reicht nicht aus. Handeln ist
angesagt. Sie haben Chancen verpasst - ich sage das zu
Beginn dieses Wahljahres, in dem uns in den Debatten die
Arbeitsmarktpolitik das ganze Jahr über beschäftigen
wird. Sie werden mit dem, was Sie vorhaben, keine
großen Verbesserungen erreichen.
Ich will eines zum Schluss sagen: Herr Schröder bzw.
Bundeskanzler Schröder, das K-Problem der SPD,
({14})
wird keine noch so gering ausfallende positive Meldung
vergehen lassen, um von Verbesserung zu reden. Er wird
am Ende vor die Wähler treten und sagen: Bitte gebt mir
noch vier Jahre. Er tritt nicht als der Stürmer und Dränger
des Jahres 1998 auf, sondern als Bittsteller. Wir werden
ihm sagen: Du hast deine Chancen verpasst. - Wir haben
das richtige Signal gesetzt, die Menschen vertrauen uns.
Wir haben den Mut, Reformen anzupacken, damit es in
unserem Land endlich wieder besser wird.
({15})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 14/7523
zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel
„Für mehr Wettbewerb und Subsidiarität in den sozialen Si-
cherungssystemen - durch Neuorganisation der aktiven Ar-
beitsmarktpolitik die Langzeitarbeitslosigkeit in Deutsch-
land senken“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/5552 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der
CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion an-
genommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf der Fraktion der FDP zur Sicherung betrieblicher
Bündnisse für Arbeit auf Drucksache 14/6548. Der Aus-
schuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt unter Nr. 1
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7362, den
Gesetzentwurf abzulehnen. Die Fraktion der FDP verlangt
namentliche Abstimmung. Namentlich abgestimmt wird
- das sage ich, weil es Unstimmigkeiten gab - über den
Gesetzentwurf, nicht über die Beschlussempfehlung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen be-
setzt? - Noch nicht, hier vorne fehlen noch Schriftführe-
rinnen und Schriftführer. Könnte ich bitte ein Signal
bekommen, wenn Schriftführerinnen und Schriftführer
hier vorne sind? - Das ist jetzt der Fall. Dann ist die Ab-
stimmung über den Gesetzentwurf der FDP eröffnet.
Ich möchte darauf verweisen, dass im Anschluss an die
namentliche Abstimmung noch einige weitere Abstim-
mungen stattfinden werden.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Auf der einen Seite
ist die Abstimmung noch im Gange. - Ich frage ein zwei-
tes Mal, ob die Abstimmung beendet werden kann.
Könnte ich bitte ein Signal von den Schriftführerinnen
und Schriftführern bekommen? - Ich glaube, wir können
die Abstimmung schließen. Ich bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.1)
Wir setzen jetzt die anderen Abstimmungen fort. Dazu
bitte ich Sie herzlichst und inniglichst, die Plätze wieder
einzunehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen fortfah-
ren. Ich bitte Sie nochmals darum, die entsprechenden
Sitzgelegenheiten wieder einzunehmen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
auf Drucksache 14/7362 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Im Bündnis für Arbeit, Ausbil-
dung und Wettbewerbsfähigkeit bei wichtigen Fragen des
Arbeitsmarktes endlich handeln“. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag
auf Drucksache 14/5758 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
von CDU/CSU- und FDP-Fraktion bei Enthaltung der
PDS angenommen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 l
auf:
25. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung von Übergangsregelungen im Bundessozialhilfegesetz
- Drucksache 14/8010 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren
Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland
({1})
- Drucksache 14/8017 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({2})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Zollfahndungsdienstes ({3})
- Drucksache 14/8007 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({4})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Europäischen Charta der Regional- oder Min-
derheitensprachen des Europarates vom 5. No-
vember 1992
- Drucksache 14/7545 -
1) Ergebnis Seite 20963 D
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({5})
Ausschuss für Kultur und Medien
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung
- Drucksache 14/7562 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({6})
Innenausschuss
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerung
und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern ({7})
- Drucksachen 14/7987, 14/8046 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({8})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes
- Drucksache 14/8008 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({9})
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Agrarstatistikgesetzes und des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen
Marktorganisationen
- Drucksache 14/8012 ({10}) Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({11})
Innenausschuss
i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Stockholmer Übereinkommen vom 23. Mai
2001 über persistente organische Schadstoffe
({12}) und dem Protokoll
vom 24. Juni 1998 zu dem Übereinkommen von
1979 über weiträumige grenzüberschreitende
Luftverunreinigung betreffend persistente organische Schadstoffe ({13})
- Drucksachen 14/7757, 14/8014 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({14})
Ausschuss für Gesundheit
j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaften und
ihren Mitgliedstaaten einerseits und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien
andererseits
- Drucksache 14/7766 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({15})
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine
Ostrowski, Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Vollzug des Programms „Stadtumbau Ost - für
lebenswerte Städte und attraktives Wohnen“
- Drucksache 14/7794 ({16}) -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine
Ostrowski, Dr. Klaus Grehn, Uwe Hiksch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
- Drucksache 14/7992 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich unternehme jetzt einen dritten Versuch, alle Kollegen und Kolleginnen herzlichst einzuladen, die Stehplätze
zu verlassen und die entsprechenden Sitzplätze in den
Reihen der Fraktionen einzunehmen. Sonst haben wir
keine Übersicht über das Abstimmungsverhalten.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 a und 26 b auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen
keine Aussprache vorgesehen ist.
Wir kommen zunächst zu Tagesordnungspunkt 26 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
der am 3. Dezember 1999 in Peking beschlossenen Änderung des Montrealer Protokolls vom
16. September 1987 über Stoffe, die zu einem
Abbau der Ozonschicht führen, und zu weiteren Anpassungen des Protokolls
- Drucksache 14/7045 ({17})
Vizepräsidentin Petra Bläss
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({18})
- Drucksache 14/7715 Berichterstattung:
Abgeordnete Rainer Brinkmann ({19})
Dr. Reinhard Loske
Eva Bulling-Schröter
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 14/7045 zu der in Peking beschlossenen Änderung
des Montrealer Protokolls über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen, und zu weiteren Anpassungen des Protokolls.
Bevor wir dazu kommen, bitte ich ausdrücklich auch
die Vertreter der Regierungsbank, die Gespräche draußen
fortzusetzen. Ich glaube, das hat auch etwas mit der Achtung oder Missachtung gegenüber dem Parlament zu tun.
({20})
Liebe Ministerinnen und Minister, Staatssekretärinnen
und Staatssekretäre, ich bitte Sie wirklich, die notwendigen Gespräche draußen fortzuführen.
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 14/7715, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 26 b:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. Juni
2000 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Singapur über die Seeschifffahrt
- Drucksache 14/6523 ({21})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
({22})
- Drucksache 14/7836 Berichterstattung:
Abgeordneter Hans-Michael Goldmann
Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
empfiehlt auf Drucksache 14/7836, den Gesetzentwurf
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Haltung der Bundesregierung zu verschiedenen Aussagen der Union in der Haushaltsund Steuerpolitik
Ich eröffne die Aussprache. Bevor ich den ersten Redner in der Debatte aufrufe, bitte ich erneut die entsprechenden Kollegen von der CDU/CSU, den Saal zu verlassen und draußen weiterzudiskutieren.
({23})
Vielleicht könnte der amtierende Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion einmal seines Amtes walten, damit wir mit der Debatte beginnen können.
({24})
Jetzt hat der Kollege Joachim Poß für die SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Alle Äußerungen von
führenden CDU- und CSU-Mitgliedern zur Steuer- und
Finanzpolitik in den letzten Tagen sind ein deutlicher Beleg dafür, dass die Union immer noch ohne steuer- und finanzpolitische Konzeption dasteht.
({0})
Was das bedeutet, konnte man auch gestern Abend in
der Fernsehsendung „Was nun, Herr Stoiber?“ verfolgen:
Der bayerische Ministerpräsident hat sich trotz konkreter
Fragen auf nichts mehr festlegen lassen.
({1})
Stoiber zeigte sich absolut hilflos bei Nachfragen zu konkreten Maßnahmen und Schritten. Wo ist also, so frage
ich, die hochgelobte Kompetenz des CSU- und CDUKanzlerkandidaten gerade in der Wirtschafts- und Finanzpolitik? Das hätte Frau Merkel auch noch gekonnt.
({2})
Es ist offensichtlich: Herr Stoiber rudert zurück. Es
wird vermutlich nur noch wenige Tage dauern, bis Herr
Stoiber auch die letzte Stufe der Ökosteuer in 2003 akzeptieren wird.
({3})
Die gesamte Union wird nun mit Festlegungen warten
müssen, bis der Kandidat endlich die offensichtlich fehVizepräsidentin Petra Bläss
lende Übersicht gewonnen hat. Bis dahin wird die Öffentlichkeit mit allgemeinen Zielbeschreibungen und unwahren Behauptungen abgespeist.
So behauptete Stoiber zum Beispiel entgegen den Feststellungen des Sachverständigenrates und anderer Institute, dass die Steuerreform nicht zur Belebung der Konjunktur beigetragen habe. Dabei ist klar: Der wirtschaftliche Abschwung wäre ohne unsere Steuerreform wesentlich stärker gewesen.
({4})
Die Beschreibung der steuerpolitischen Forderungen
der Union der vergangenen Tage als Chaos ist noch beschönigend.
({5})
Frei nach Rainer Barzel für die Älteren: Bei diesem
Durcheinander von Meinungen und Forderungen, von
Absichten und Plänen blickt in der Union keiner mehr
durch, von der Öffentlichkeit ganz zu schweigen.
Was war in den letzten Tagen und Wochen nicht alles
zu hören? Noch kurz vor den letzten Haushaltsberatungen
wollte die Union die zweite und dritte Stufe unseres
Steuersenkungsgesetzes von 2003 bzw. von 2005 auf
2002 vorziehen. Viele Warnungen - zuletzt von der Deutschen Bundesbank -, ein Vorziehen könnten Bund, Länder und Kommunen - ich betone: Kommunen - finanziell
nicht verkraften, wurden ignoriert. Damals war es der
bayerische Ministerpräsident, der der Parteivorsitzenden
der CDU vor laufenden Fernsehkameras klar machte, ein
Vorziehen der Steuerreform sei nicht finanzierbar.
Vor einer Woche, nachdem er die K-Frage für sich entschieden hatte, wollte Stoiber das Vorziehen der dritten
Stufe der Steuerreform auf 2003 nicht ausschließen. Weil
er aber seine Äußerung gegenüber Frau Merkel noch nicht
vergessen hatte, hieß es nun, dass die Steuern nur für mittelständische Unternehmen schneller gesenkt werden
sollten.
Herr Stoiber wie auch Herr Merz sollten sich auch hier
gut überlegen, was sie sagen, und sich einmal den Inhalt der
dritten Stufe des Steuersenkungsgesetzes ansehen. Dort
sind nämlich ausschließlich weitere Tarifentlastungen bei
der Einkommensteuer vorgesehen. Der Einkommensteuer
unterliegen die kleinen und mittleren Personenunternehmen aber nicht als solche. Steuerpflichtig sind allein deren
Inhaber als natürliche Personen. Diesen wird der jeweilige
Unternehmensgewinn als so genannte Einkünfte aus Gewerbebetrieb anteilig zugerechnet. Eine Regelung, die die
Einkünfte aus Gewerbebetrieb gegenüber den übrigen Einkunftsarten, zum Beispiel dem Arbeitnehmereinkommen,
durch einen besonders ermäßigten Steuertarif begünstigt,
ist aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eindeutig unzulässig. Es gab hier also Forderungen
von Herrn Merz und anderen nach einer eindeutig verfassungswidrigen Regelung. So weit ist es mit der Kompetenz
dieser Vertreter gekommen!
({6})
Damit wird noch einmal klar: Es gibt keine Benachteiligung des Mittelstandes. Alle tariflichen Vergünstigungen, die bisher von der Koalition beschlossen worden sind, wirken natürlich auch für mittelständische
Unternehmer. Hinzu kommt etwas Entscheidendes - das
wird von Ihnen immer verschwiegen -: Die Koalition hat
die Gewerbesteuerbelastung für Personenunternehmen
faktisch abgeschafft, denn sie kann auf die Einkommensteuerschuld pauschal angerechnet werden.
({7})
Das ist wirklich mittelstandsfreundliche Politik, eine Politik, die die Union in ihrer langen Regierungszeit nicht
zustande gebracht hat.
Ich will jetzt gar nicht von Ihrer Forderung nach mehr
Neuverschuldung, nach mehr Staatsverschuldung reden.
Das werden noch andere tun. Sie haben also überhaupt
nichts aus den Fehlern gelernt. Sie haben überhaupt nichts
aus der miserablen Bilanz gelernt, die Sie uns 1998 hinterlassen haben.
({8})
Einer solchen Truppe mit Herrn Stoiber an der Spitze
kann man vieles überlassen, aber nicht das Gemeinwesen
der Bundesrepublik Deutschland.
({9})
Bevor ich der nächsten
Rednerin das Wort erteile, gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der
namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der
Fraktion der FDP zur Sicherung betrieblicher Bündnisse
für Arbeit - es handelt sich um die Drucksachen 14/6548
und 14/7362 - bekannt: Abgegebene Stimmen 576. Mit Ja
haben gestimmt 244, mit Nein haben gestimmt 332, Enthaltungen keine. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die dritte Beratung.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 575;
davon
ja: 245
nein: 330
Ja
SPD
Reinhold Strobl ({0})
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Vizepräsidentin Petra Bläss
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner
({2})
Manfred Carstens ({3})
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Dr. Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({4})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({5})
Axel E. Fischer
({6})
Klaus Francke
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({7})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({8})
Norbert Hauser ({9})
Hansgeorg Hauser
({10})
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Josef Hollerith
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Eva-Maria Kors
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers
({11})
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({12})
Dr. Klaus W. Lippold
({13})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({14})
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({15})
Erwin Marschewski
({16})
Dr. Martin Mayer
({17})
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Hans Michelbach
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller ({18})
Bernd Neumann ({19})
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({20})
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({21})
Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({22})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth ({23})
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Karl-Heinz Scherhag
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Christian Schmidt ({24})
Andreas Schmidt ({25})
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Gerhard Schulz
Diethard Schütze ({26})
Clemens Schwalbe
Wilhelm Josef Sebastian
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Thomas Strobl ({27})
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Dr. Theodor Waigel
Peter Weiß ({28})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({29})
Hans-Otto Wilhelm ({30})
Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
FDP
Ina Albowitz
Rainer Brüderle
Jörg van Essen
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({31})
Rainer Funke
Joachim Günther ({32})
Klaus Haupt
Walter Hirche
Dr. Werner Hoyer
Dr. Klaus Kinkel
Gudrun Kopp
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Günther Friedrich Nolting
({33})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae
Dr. Guido Westerwelle
Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({34})
Klaus Barthel ({35})
Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Lothar Binding ({36})
Kurt Bodewig
Vizepräsidentin Petra Bläss
Bernhard Brinkmann
({37})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({38})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({39})
Harald Friese
Anke Fuchs ({40})
Arne Fuhrmann
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf ({41})
Angelika Graf ({42})
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({43})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({44})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({45})
Walter Hoffmann
({46})
Iris Hoffmann ({47})
Frank Hofmann ({48})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Gabriele Iwersen
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({49})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({50})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Klaus Lennartz
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({51})
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dieter Maaß ({52})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({53})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Michael Müller ({54})
Jutta Müller ({55})
Christian Müller ({56})
Franz Müntefering
Volker Neumann ({57})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Manfred Opel
Holger Ortel
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel RiemannHanewinckel
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({58})
Birgit Roth ({59})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer ({60})
Ulla Schmidt ({61})
Silvia Schmidt ({62})
Dagmar Schmidt ({63})
Wilhelm Schmidt ({64})
Dr. Frank Schmidt
({65})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({66})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Volkmar Schultz ({67})
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Simone Violka
Ute Vogt ({68})
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({69})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Jürgen Wieczorek ({70})
Helmut Wieczorek
({71})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({72})
Brigitte Wimmer ({73})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({74})
Waltraud Wolff
({75})
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({76})
Marieluise Beck ({77})
Volker Beck ({78})
Angelika Beer
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Franziska Eichstädt-Bohlig
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer ({79})
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Nun erteile ich der Kollegin Gerda Hasselfeldt,
CDU/CSU, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Wir hatten noch nie eine solch chaotische Steuerpolitik wie in dieser Legislaturperiode.
({0})
Sie war von ständigen Nachbesserungen und Korrekturen
geprägt, von Versprechen, die nicht eingehalten wurden,
wie beispielsweise bei den Arbeitnehmerabfindungen,
von halbherzigen Korrekturen, die dann wieder zu zusätzlichen Unsicherheiten und Verkomplizierungen geführt haben. Dies gilt beispielsweise für den Mitunternehmererlass.
Sie haben das Allerwichtigste in der Steuerpolitik,
nämlich Planbarkeit, Verlässlichkeit und Solidität, sträflichst vernachlässigt, ja sogar mit Füßen getreten.
({1})
Sie haben eine Steuerpolitik nach Gutsherrenart gemacht.
Sie haben die Kapitalgesellschaften sofort auf einen
Schlag deutlich entlastet, für eine Entlastung bei den Personenunternehmen dann aber kein Geld mehr gehabt und
diese im Regen stehen lassen. Dabei wäre eine Entlastung
für alle geboten gewesen, für die Kapitalgesellschaften
und die Personenunternehmen.
({2})
Statt Wachstumsimpulse anzuregen, statt auf Sparen
und Konsolidieren zu setzen, haben Sie zum Mittel der
Steuererhöhungen gegriffen, was wir jetzt alle Anfang des
Jahres 2002 schmerzlich spüren. Die Auswirkungen sind
sichtbar: monatlich sinkende Wachstumsraten, monatlich
steigende Arbeitslosenzahlen und eine ständig steigende
Zahl der Insolvenzen. Sie stehen heute vor dem Scherbenhaufen Ihrer eigenen Politik. Davon brauchen Sie
nicht abzulenken.
({3})
Wir haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen zeitgleich
und gleichmäßig entlastet werden müssen. Man kann
nicht auf der einen Seite die Bemessungsgrundlage für
alle verbreitern, aber auf der anderen Seite die Entlastung
für die Personenunternehmen auf den Sankt Nimmerleinstag verschieben, wie Sie das gemacht haben.
({4})
Vizepräsidentin Petra Bläss
Dr. Angelika Köster-Loßack
Dr. Reinhard Loske
Kerstin Müller ({5})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({6})
Werner Schulz ({7})
Christian Sterzing
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({8})
Margareta Wolf ({9})
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Heidemarie Ehlert
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des
Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({10})
Behrendt, Wolfgang* Bindig, Rudolf* Bühler ({11}), Klaus* Hornung, Siegfried* Jäger, Renate*
SPD SPD CDU/CSU CDU/CSU SPD
Lintner, Eduard* Dr. Lippelt, Helmut* Lörcher, Christa* Dr. Lucyga, Christine* Michels, Meinolf*
CDU/CSU BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fraktionslos SPD CDU/CSU
Müller ({12}), Manfred* Neumann ({13}), Gerhard* Onur, Leyla* Palis, Kurt* Zierer, Benno*
PDS SPD SPD SPD CDU/CSU
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
Deshalb haben wir in diesem und im vergangenen Jahr gefordert, die Entlastungen, die Sie erst für das Jahr 2005
vorgesehen haben, vorzuziehen. Wenn Sie diesen Forderungen nachgegeben hätten, wenn Sie gemeinsam mit uns
eine zeitgleiche Entlastung der Personenunternehmen
vorgenommen hätten, gäbe es heute nicht diese Wachstumseinbrüche, sondern einen größeren steuerpolitischen
Spielraum im Haushalt.
({14})
Durch Ihr eigenes Verhalten haben Sie selbst die Spielräume für Gestaltungen im Haushalt eingeschränkt.
({15})
Was kommt nach der Bundestagswahl?
({16})
- So ist es. Es ist notwendig, den Karren wieder aus dem
Dreck zu ziehen.
({17})
Für die Steuerpolitik bedeutet das:
Erstens. Wir müssen endlich wieder für Planbarkeit
und Verlässlichkeit sorgen.
Zweitens. Das Steuersystem muss einfacher, transparenter und nachvollziehbar gemacht werden. Es darf nicht nur
darüber geredet, sondern es muss durchgeführt werden.
Das Gegenteil haben Sie in Ihrer Steuerpolitik gemacht.
({18})
Drittens. Die Misstrauensnormen, die Sie besonders in
den letzten zwei Jahren zusätzlich eingeführt haben, müssen wieder aus dem Steuerrecht verschwinden.
({19})
Ich spreche beispielsweise von den Behaltefristen beim
Mitunternehmererlass und bei der Realteilung, von der
unangekündigten Nachschau beim Umsatzsteuerbetrug.
Meine Damen und Herren, all das ist von tiefem Misstrauen Ihrerseits gegenüber den Unternehmen geprägt.
Diese Misstrauensnormen müssen wieder weg.
({20})
Viertens. Die Personenunternehmen müssen deutlich
früher, als Sie es vorgesehen haben, entlastet werden. Dies
kann durch niedrigere Steuersätze und/oder Änderungen
am Tarif geschehen. Dass eine deutlich frühere Entlastung
notwendig ist, ist unter den Sachverständigen und auch in
unseren Kreisen unbestritten. Das haben wir immer wieder deutlich zum Ausdruck gebracht.
({21})
Fünftens. Notwendig ist eine endlich grundlegende
Reform der Gemeindefinanzen. Sie haben dies auf die
lange Bank geschoben. Anfang der Legislaturperiode haben Sie es noch versprochen, danach haben Sie es verschlafen.
({22})
Sechstens. Es sind sowohl eine deutliche Absage an
weitere Erhöhungen der Erbschaftsteuer als auch eine Absage an die Vermögensteuer notwendig.
({23})
Angesichts dessen, was aus Ihren Reihen dazu immer
wieder verlautbart wird, ist diese Forderung zwingend
notwendig.
Siebtens. Eine Korrektur der Missgeburt Ökosteuer ist
erforderlich. Das haben wir von Anfang an zum Ausdruck
gebracht. Das Erste, was wir machen, wird sein, auf die
letzte Stufe zu verzichten.
({24})
Nicht alles kostet Geld. Die Spielräume, die Sie selbst
verengt haben, müssen wieder verbreitert werden.
Frau Kollegin
Hasselfeldt, ich muss Sie an die Redezeit erinnern.
Deshalb muss das
Problem an der Wurzel angepackt werden. Das kann nur
mit einer grundsätzlichen Kehrtwende in der Wirtschafts-,
der Finanz-, der Arbeitsmarkt- und der Sozialpolitik geschehen.
({0})
Meine Damen und Herren, es wird nicht einfach sein, den
Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen. Wir werden es
aber schon schaffen.
({1})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Christine Scheel.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau
Hasselfeldt, es ist schon klasse, was Sie hier dargeboten
haben.
({0})
Sie werfen uns vor, keine Planbarkeit und Verlässlichkeit
zu bieten. Wenn ich mir dies anhöre und es aufgreife, kann
ich nur sagen: Wenn man Wunderkerzen abbrennt - Sie
haben es ab und zu einmal getan, indem Sie Forderungen
erhoben haben, die schlichtweg nicht durchführbar sind -,
bleibt ein verkohlter Stecken übrig. Der schaut nicht
besonders gut aus. Das ist genau die Wirkung, die Sie mit
Ihren Aussagen der letzten Tage, und zwar in ihrer gesamten Vielfältigkeit, erreicht haben.
Wenn man sich eine kleine Auswahl der Überschriften
aus den Zeitungen dieser Woche anschaut, sieht man das
Chaos präsentiert.
({1})
Es gibt ein 40-40-40-Programm; das hat Herr Stoiber
noch kundgetan. Demnach soll der Spitzensteuersatz bei
40 Prozent liegen - das will er sofort erreichen. Auch der
Sozialversicherungsbeitrag soll 40 Prozent betragen und
ebenso der insgesamt vom Staat zu leistende Anteil. Dass
dies nicht finanzierbar ist, hat er mittlerweile eingesehen
und in verschiedenen Talkrunden auch kundgetan. So kamen dann auch Überschriften wie „Die Entzauberung des
Kandidaten“ und „Verwirrung um Steuerpläne der Union“
zustande. Das „Handelsblatt“ hat dies mit der Überschrift
kommentiert: „Zahlenrausch“. Auch kam die Überschrift
zustande: „Union tritt für höhere Neuverschuldung ein“.
Die letzten Überschriften dazu sind: „Stoiber vermeidet
Festlegung im Steuerstreit“ und „Wenn der Spielführer
patzt“.
Das sind Überschriften, die die gesamte Situation sehr
treffend beschreiben. Zwar haben Sie jetzt die K-Frage
personell entschieden. Aber es gibt keine programmatische Klarheit und Geschlossenheit in dieser Union.
({2})
Das dokumentiert sich Tag für Tag. Fast stündlich gibt es
neue Vorschläge. Ich muss sagen: Sie sind mittlerweile
eine schlecht organisierte Chaostruppe.
Es bleibt das Geheimnis der CDU/CSU - das hat Frau
Hasselfeldt wunderbar dargeboten -, wie man es möglich
machen soll, eine einzelne Gruppe, wie es jetzt vorgeschlagen wurde, im Einkommensteuerrecht zu privilegieren.
({3})
Es ist inzwischen klar geworden, dass das verfassungswidrig ist. Mit einer solchen Privilegierung gelingt es
nicht, einen verfassungsgerechten Gesetzentwurf vorzulegen. Das kann ich Ihnen schon heute sagen.
({4})
Zum Zweiten bleibt es Ihr Geheimnis, wie es gelingen
soll, eine Stufe der Steuerreform von 2005 auf 2002 vorzuziehen, ohne gegen die Maastricht-Kriterien und die
Obergrenze der Verschuldung - wir haben uns verpflichtet, diese einzuhalten - zu verstoßen.
({5})
Das ist genau die Politik, die wir nicht mehr machen wollen. Wir haben 1998 eine Kehrtwende gemacht: Wir wollen weg von dem Schuldenstaat. Sie wollen uns wieder
auf den Weg in eine höhere Neuverschuldung zurückführen. Das ist die Wahrheit, die Sie hier zur Kenntnis
nehmen müssen.
({6})
Was auch nicht geht, ist das Hü und Hott, das Sie in den
steuerpolitischen und finanzpolitischen Fragen vorführen.
Sie haben gleichzeitig ein Sammelsurium an Forderungen
zusammengestellt, die Fragen der Haushaltskonsolidierung, der Haushaltsgestaltung und der Verschuldungskriterien völlig außer Acht lassen.
Herr Austermann und andere fordern, für Bildung und
Forschung über 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
auszugeben. Das klingt gut,
({7})
bedeutet aber in der Konsequenz, dass der Bildungs- und
Forschungsetat ungefähr verfünffacht werden soll. Sie
wollen, dass die Bundeswehr mit mehreren Milliarden
Euro besser ausgestattet wird. Sie wollen trotz eines
guten, gemeinsam verhandelten Solidarpaktes, der über
Jahre trägt, für die neuen Bundesländer mehr tun. Das sagt
Herr Stoiber.
({8})
Das sagt aber auch Herr Generalsekretär Thomas Goppel.
Er schwärmt von einem 20-Milliarden-Euro-Programm.
Dazu kann ich nur sagen: Die familienpolitischen Leistungen, die Sie den Kommunen versprechen, Ihre Forderungen, die die Ausgabenpolitik des Haushalts betreffen
und die Steuersenkungen, die Sie hier formulieren, führen
in eine Verschuldung, die nicht nur aufgrund der EU-Kriterien nicht haltbar ist, die wir einzuhalten haben, sondern
dies alles zeigt, dass Sie finanzpolitisch völlig durchgedreht sind.
({9})
Das sind die Vorschläge, die Sie uns von Tag zu Tag
und von Stunde zu Stunde klarer darbieten. Frau
Hasselfeldt, Weihnachten ist vorbei.
Frau Kollegin Scheel,
auch Ihre Redezeit ist vorbei.
Danke schön. - Wir sollten gegenüber den Wählerinnen
und Wählern ehrlich sein. Zur Ehrlichkeit gehört auch,
dass man sagt, was man will. Aber dazu kann man von Ihnen derzeit leider nichts erfahren.
Danke schön.
({0})
Nächster Redner für
die FDP-Fraktion ist unser Kollege Carl-Ludwig Thiele.
Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Scheel, ich
weiß nicht, wie jemand, der in vier Jahren rot-grüner Regierungsverantwortung nur für den Bund fast 200 Milliarden DM Neuverschuldung zu verantworten hat, die
Frechheit haben kann, vor das Plenum zu treten und zu sagen, das sei Konsolidierungspolitik. Das ist alles andere,
aber keine Konsolidierungspolitik.
({0})
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, die finanzund steuerpolitischen Vorschläge, die in den letzten Tagen
aus der Union zu hören waren, können nur als verwirrend
und chaotisch bezeichnet werden. Man reibt sich die Augen: Die Union hat sich endlich auf einen Kanzlerkandidaten geeinigt. Mit welchem Programm in der Steuer- und
Finanzpolitik die Union antreten will, bleibt allerdings
völlig schleierhaft. Deshalb frage ich für die FDP-Fraktion die Union: Was wollen Sie eigentlich?
({1})
Wollen Sie die Steuerreform ganz vorziehen oder nur ein
bisschen, die Neuverschuldung ausweiten oder gesetzlich
verbieten - wie es Christian Wulff forderte -, die Maastricht-Kriterien einhalten oder überschreiten,
({2})
die Ökosteuer absetzen, aussetzen oder beibehalten?
Herrn Stoiber scheint es wie Kolumbus zu gehen: Er weiß
nicht, wo er ist. Er hat nur vage Vorstellungen davon, was
er sucht, aber unendlich viel Gottvertrauen.
({3})
Das löst aber nicht die Probleme. Die Union hat mit Herrn
Stoiber einen Steuermann, aber noch kein Steuerkonzept.
Wer aber hier in Berlin die nächste Regierung stellen will,
der muss wissen, was ist, und sagen, was er will.
Was mich bei dieser Diskussion wirklich verrückt gemacht hat, ist, dass Rot-Grün zwar politisch gescheitert
ist, dies aber heute nicht das Thema ist. Deshalb erkläre
ich für die FDP: Das Scheitern rot-grüner Politik muss in
dieser Diskussion wieder zum Thema werden.
({4})
Es muss wieder zum Thema werden, dass unter Rot-Grün
die Lohnnebenkosten steigen, dass die Arbeitslosigkeit
steigt, dass wir in Deutschland beim Wachstum Schlusslicht in Europa sind und dass die Staats- und Steuerquote
auf neue Höchststände steigt. Denn allen Konsolidierungsbemühungen des Bundesfinanzministers zum Trotz
ist die Neuverschuldung in den vier Jahren rot-grüner Regierung um fast 200 Milliarden DM gestiegen. Dies ist
leider kein Zufall, sondern die Folge einer gescheiterten
Politik.
Die von Schröder im Wahlkampf umworbene Zielgruppe der Neuen Mitte wurde von Rot-Grün zur Zielscheibe ihrer Politik gemacht.
({5})
Der Mittelstand wurde durch steigende Steuerlasten und
Bürokratie stranguliert. Ich nenne nur ein Beispiel: Durch
die rein fiskalisch an Mehreinnahmen orientierte Politik
der Gegenfinanzierung wurden die Abschreibungsbedingungen verschlechtert und wurde sich an Mehreinnahmen
reich gerechnet. Daraufhin passierte genau das, was die
FDP vorausgesagt hat: Die Investitionen blieben aus. Damit gibt es weniger Wachstum und Arbeitsplätze. Das ist
genau die Politik, die wir nicht wollen. Wir wollen nicht
mehr Staat, sondern weniger.
({6})
Das Problem hinsichtlich der Bundestagswahl besteht
darin, dass die Union ohne Kurs und Konzept ist und RotGrün nur eine defensive Politik und Argumentation betreibt. Sie verteidigen nur das Beschlossene und haben
keine Visionen mehr, wie es nach der Bundestagswahl in
unserem Land weitergehen soll.
({7})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, schon jetzt
brauchen wir keine ruhige Hand eines Kanzlers, sondern
eine tatkräftige Hand.
({8})
Wir brauchen Visionen und klare Konzepte, mit denen die
Zukunft unseres Landes errungen wird. Die Konzepte der
FDP liegen auf dem Tisch. Wir wollen ein niedriges, einfaches und gerechtes Steuersystem mit Steuersätzen in
Höhe von 15, 25 und 35 Prozent.
({9})
Die Ökosteuer als angebliches Kernstück grüner Steuerpolitik,
({10})
wie Frau Scheel und Herr Metzger es öffentlich immer
glauben machen, ist gnadenlos gescheitert. Deshalb kann
dieses Modell auch nicht so bleiben, wie es ist. Der naive
politische Glaube der Grünen, die Rentenreform rückgängig zu machen - durch massive Steuererhöhungen als
Ökosteuer getarnt soll mehr Geld in die Rentenversicherung fließen und dadurch sollen die Beiträge sinken -,
geht nicht auf. Was geschieht wirklich? Der Rentenversicherungsbeitrag wird trotz der weiteren Ökosteuererhöhung zum 1. Januar dieses Jahres um etwa 6 Milliarden
DM um 0,3 Prozent auf 19,4 Prozent steigen. Um das zu
verhindern, tricksen Sie und greifen in die Schwankungsreserve.
({11})
Der Etat von Herrn Riester explodiert. Der Zuschuss an
die Rentenversicherung steigt im Zeitraum 1999 bis 2003
um fast 30 Prozent. Der dickste Etatbrocken steigt und
erdrückt die Zukunftsfähigkeit in der Gestaltung unseres
Etats. Das alles ist Folge einer verfehlten Renten- und
Ökosteuerpolitik von Rot-Grün.
({12})
Deshalb bleibt festzuhalten: Rot-Grün ist am Ende.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ob sich der deutsche
Tanker rechts- oder linksherum im Kreise dreht - so
kommt er nicht vom Fleck. Ob der nächste Kapitän
Schröder oder Stoiber heißt, ändert nichts am falschen
Kurs der Politik. Erst wenn die FDP das Steuer übernimmt, kann es zu einem Wechsel in der deutschen Politik kommen,
({13})
hin zu mehr Freiheit und Selbstverantwortung, weniger
Staat und Bürokratie, weniger Steuern und damit zu mehr
Wachstum und Arbeitsplätzen. Dafür treten wir im Plenum und in der Bundestagswahl ein.
Herr Kollege Thiele,
ich muss jetzt leider Ihre Rede abbrechen.
Herzlichen Dank.
({0})
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Dr. Christa Luft.
Frau Präsidentin! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Thiele, das Problem, das die FDP offenbar hat, nämlich die Union auf
FDP-Kurs zu bringen, damit es zu einer neuen Koalition
kommen kann, haben wir nicht.
({0})
Das, was in den letzten Tagen aus Unionskreisen zur
Haushalts- und Steuerpolitik zu hören war, ist wohl kein
absichtsvolles Spiel mit verteilten Rollen. Das ist eher
Ausdruck dafür, dass niemand in der Union die Zügel fest
in der Hand hat. Das, was der eine sagt, relativiert der
Nächste und der Dritte dementiert es. Von einem tragfähigen, konsistenten finanzpolitischen Konzept kann keine
Rede sein, und das bei einem Thema, bei dem die Union
zuallererst Kompetenz beansprucht. Vollmundige Ankündigungen eines programmatischen Vorlaufs für die
nächste Legislaturperiode platzen wie eine Seifenblase.
Wie, Frau Kollegin Hasselfeldt, würde wohl der Praxistest ausfallen?
Erinnern wir uns an die Beratungen zum Haushalt
2002! Bis in die Schlussrunde hinein haben Unionsvertreter lautstark gefordert, die Neuverschuldung stärker zu
senken, als es die rot-grüne Koalition vorgesehen hatte.
Schon zwei Monate später ist davon keine Rede mehr. Offenbar hat man Angst vor der eigenen Courage. Jetzt sehen die einen einen Spielraum von 6 Milliarden bis 7 Milliarden Euro, bevor die von Brüssel vorgegebene Grenze
der Verschuldung erreicht ist. Gleichzeitig wollen andere,
wie Herr Wulff aus Niedersachsen, die Aufnahme neuer
Schulden im Grundgesetz ausschließen. Herrn Merz
schwebt ein nationaler Stabilitätspakt zur Schuldenverminderung vor. Das gleicht in der Tat einem Gemischtwarenladen.
({1})
Für meine Fraktion lehne ich abermals ein schuldenfinanziertes Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform ab. Wir können uns nur vorstellen, den Spielraum,
den es bei der Neuverschuldung noch gibt, bevor die vorgegebene Grenze erreicht wird, zu nutzen, wenn Investitionsprogramme, die vor allem auf kommunaler Ebene
schnell wirken, aufgelegt und die Mittel für das Programm „Stadtumbau Ost“ aufgestockt werden sollen. Nur
Investitionen bringen nachweislich konjunkturelle Wirkungen und damit Beschäftigungseffekte.
({2})
Herr Thiele, niemand kann beschwören, dass ähnliche
Effekte durch eine schnelle Senkung der Steuern erzielt
werden können. Die Praxis der letzten Jahre beweist jedenfalls das Gegenteil. Auch Rot-Grün muss dies zur
Kenntnis nehmen. Rot-Grün ist nämlich durch eine Reihe
von Schritten, die mit der Steuerreform gemacht worden
sind, zum Beispiel durch Steuergeschenke vor allen Dingen an Kapitalgesellschaften und durch den Verzicht auf
Wiedererhebung der Vermögensteuer - das macht es den
Ländern bei ihrer derzeitigen Haushaltslage unmöglich,
sich an vom Bund aufgelegten Förderprogrammen zu beteiligen -, in die Schuldenfalle getappt.
({3})
Das sind nur zwei Beispiele dafür, wie man die Schulden
hätte senken können, wenn man andere Schritte unternommen hätte.
In der heutigen Ausgabe des „Handelsblattes“ kann
man lesen - das setzt dem Ganzen die Krone auf -, dass
der Finanzminister freiwillig und am Gesetzgeber vorbei
jährlich auf 450 Millionen Euro Umsatzsteuer verzichtet,
um die Börsenfähigkeit der Deutschen Post AG herzustellen. Er will offenbar die Einmaleinnahmen aus dem
Verkauf der Postaktien in seinen Haushalt einstellen. Das
hat mit konsistenter Haushaltspolitik nichts zu tun und
wird gewiss noch ein Nachspiel haben.
Wenn die Union über die Steuerreform neu verhandeln
will, dann darf es nicht um das Vorziehen der nächsten
Stufe der Steuerreform gehen. Dann muss es vielmehr um
die gewinnabhängige Gestaltung des Körperschaftsteuersatzes, die Rücknahme der Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne von Kapitalgesellschaften und die Gewährung eines niedrigeren Mehrwertsteuersatzes für
Unternehmen gehen, die arbeitsintensive Dienstleistungen, zum Beispiel Reparaturen, anbieten. Der französische Finanzminister Fabius hat gestern im Haushaltsausschuss noch einmal bestätigt, welche Arbeitsplatzwirkung
das in Frankreich gehabt hat. Auch das sollte die Bundesrepublik Deutschland nachmachen.
({4})
Wir fordern auch die Gewährung von Steuerfreiheit für
Existenzgründer in den ersten drei Jahren,
({5})
und zwar auch dann, wenn sie schon Gewinn erzielen.
Das stärkte ihre Eigenkapitalbasis.
Mit solchen Maßnahmen, die natürlich ergänzt werden
können, würden wir es schaffen, Beschäftigung anzureizen und neue Steuereinnahmen in den Steuersack der öffentlichen Haushalte zu bekommen. Auf diese Weise würden wir die allgemeine Wohlfahrt insgesamt verbessern
können.
Danke schön.
({6})
Jetzt spricht die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Es ist kaum zwei Wochen her, da trat Frau Kollegin Merkel ihren Gang nach
Canossa an; nur liegt Canossa jetzt nicht mehr in Oberitalien, sondern in Oberbayern und heißt Wolfratshausen.
Zurück in Magdeburg, war die K-Frage gelöst. Damit
hatte die Union die interessanteste Frage, die sie der deutschen Bevölkerung in diesem Jahr überhaupt anzubieten
hatte, geklärt. Sie hat einen Kandidaten.
Zugleich aber tat sich eine neue K-Frage auf, nämlich
die Frage nach der Kompetenz, und die scheint auf Dauer
unlösbar zu sein.
({0})
Eine bekannte und nicht gerade linke deutsche Tageszeitung - es war die „Welt“ - hat noch ganz milde getitelt:
„Finanzpolitisches Durcheinander in der Union“. Das ist
wirklich milde ausgedrückt.
({1})
Die unterschiedlichsten Forderungen stehen im Raum;
nur eines ist ganz sicher: Sie kosten Geld, Geld, Geld und
lösen die wirtschaftlichen Probleme nicht.
Herr Stoiber bastelt derzeit an seinem „Kompetenzteam“. Die Zerstrittenheit der Union und die Absurdität
der Vorschläge zeigen aber vor allem eines:
({2})
Hier gibt es keine Kompetenz und kein Team, sondern nur
einen zerstrittenen Haufen - es sei denn, bei der Union
geht es um die Kompetenz beim Schuldenmachen. Da
könnte sie allerdings auf die stolze Leistungsbilanz der
Ära Kohl zurückgreifen und wieder da anknüpfen, wo sie
vor drei Jahren aufgehört hat.
({3})
Nehmen wir die Aussetzung der nächsten Stufe der
Ökosteuer! Das bedeutete einen Einnahmeausfall in Höhe
von 3 Milliarden Euro, hinterließe eine offene Frage für
die Senkung und Stabilisierung der Rentenversicherungsbeiträge und wäre natürlich auch ein Rückschlag für die
Ökologie. Diejenigen, die sich für die Aussetzung der
nächsten Stufe der Ökosteuer stark machen, sollten ehrlicherweise wenigstens sagen, ob sie die Rentenversicherungsbeiträge erhöhen wollen oder ob sie auch das wieder
mit neuen Schulden regeln wollen.
({4})
Reden Sie sich also nicht heraus, sondern geben Sie eine
klare Antwort auf diese Frage!
Dabei ist schon interessant, dass die Union von der
Forderung nach der Abschaffung der Ökosteuer inzwischen abgerückt ist. Vielen ist die Fundamentalopposition
der CSU gegen diese Steuer noch in guter Erinnerung.
Betrachten wir das angekündigte Sofortprogramm für
die neuen Länder! Die Bundesregierung misst dem Aufbau
Ost weiterhin hohe Priorität zu. Ein erheblicher Teil der Finanzhilfen und steuerlichen Vergünstigungen kommt daher einer zielgerichteten Förderung von Branchen und
Regionen in den neuen Ländern zugute. Das ist schon
heute der Fall und das wird natürlich auch nicht geändert.
({5})
Deshalb haben wir die Förderung für die neuen Länder
mit dem Solidarpakt II auch auf eine solide und nachhaltige Basis bis zum Jahr 2020 gestellt. Eine solche Langfristpolitik wäre Ihnen niemals eingefallen.
({6})
Das schafft Sicherheit für die Investoren und darauf
kommt es an.
Ich bin bei den Verhandlungen die ganze Zeit über dabei gewesen. Die waren nicht vergnügungssteuerpflichtig. Ich kann mich nicht erinnern, dass die Bayerische
Staatsregierung besonders spendabel gewesen wäre, was
die Unterstützung der finanzschwachen Länder angeht;
im Gegenteil. Der Bund hat die Hauptlast zu tragen.
({7})
Kaum hat Herr Stoiber eine neue Funktion, die des
Kandidaten - die wird er natürlich auch behalten -, ersinnt
er immer neue Programme.
({8})
Einfach so wird vonseiten des Herrn Kandidaten eine Erhöhung der Mittel für die neuen Länder um rund 20 Milliarden Euro ins Gespräch gebracht und natürlich gibt es
kein Konzept zur Finanzierung. Bleiben also wieder nur
neue Schulden.
Damit sind wir auch schon beim erstaunlichsten Punkt
der derzeitigen Entwicklung angelangt: Dieselbe Union,
deren ehemaliger Finanzminister Waigel sich in Brüssel
für den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt nun
wirklich stark gemacht hat, fordert nun eine Erhöhung der
Verschuldung. Sie will den Konsolidierungskurs verlassen, der für Vertrauensbildung auf nationaler wie auf internationaler Ebene sorgt, der die öffentlichen Finanzen
seit 1998 vom Kopf wieder auf die Füße stellt und der vor
allem auch einen wichtigen Beitrag zur Stabilität unserer
gemeinsamen europäischen Währung, des Euro, leistet.
Dafür ist uns der Euro zu wichtig. Der Umgang der Opposition mit den Maastricht-Kriterien und dem Stabilitätsund Wachstumspakt ist derzeit geradezu zynisch.
({9})
Dies zeugt von Unkenntnis oder Ignoranz gegenüber
den Vereinbarungen auf europäischer Ebene. Ziel ist ein
ausgeglichener Staatshaushalt und letztlich die Erzielung
von Überschüssen und damit die Rückgewinnung wirklichen Handlungsspielraumes. Ich weiß, dass wir davon
noch weit entfernt sind, aber wir sind jedenfalls auf dem
Weg dahin; Sie wollen ihn sofort wieder verlassen.
({10})
Wer Defizite zurückführen oder Abgaben senken will, der
muss vor diesem Hintergrund sagen, wo er denn Ausgaben zurückführen, und nicht, wo er sie erhöhen möchte.
Wer das nicht tut, der knüpft an das Weiterwursteln der
Vergangenheit bis 1998 an, mit all seinen bekannten Folgen für Staatsverschuldung und Generationenungerechtigkeit, so muss man ja in Ihrem Falle sagen; es ist übrigens vor allem die alte Garde der CDU/CSU, die immer
noch nicht einsehen will, dass dieses Konzept auf der
ganzen Linie gescheitert ist.
Was will die Union nun wirklich? Wir wissen es nicht.
Die Meldungen über immer neue Richtungsentscheidungen zur Steuer- und Haushaltspolitik der Union wechseln
derzeit ja geradezu minütlich. Ich habe mir ein paar Überschriften allein von dieser Woche aufgeschrieben. Ich beginne mit dem 20. Januar; da hatte der Kandidat immerhin schon neun Tage lang die Möglichkeit, sich auf die
Kandidatenrolle einzustellen: „CDU will Staatsschulden
verbieten“, so Herr Wulff aus Niedersachsen, der ja immer zu allem etwas zu sagen hat. - „Merkel will Steuerreform um zwei Jahre vorziehen“, im Gegensatz zu Kanzlerkandidat Stoiber. - „Union liebäugelt mit höherer
Verschuldung, Forderungen zur Steuerreform bleiben
aber widersprüchlich“. Wir sind beim 22. Januar angelangt: „Stoiber sieht nun doch keinen Spielraum für
höhere Schulden“. Zugleich erklärt er aber, er sehe keinen
Grund, die von dieser Regierung verabschiedete Steuerreform vorzuziehen. Das ist die Äußerung von gestern
Abend aus der Sendung „Was nun, Herr Stoiber?“. Zur
selben Zeit erklärt Herr Merz bei einem CDU-Empfang in
Bremen: Zur Entlastung des Mittelstandes werde die
Union alle Teile der Steuerreform vorziehen, die eigentlich für 2005 geplant seien. - Das Problem ist, so ein Kandidat kann nicht allgegenwärtig sein. Herr Genscher
konnte ja bekanntlich in zwei Flugzeugen gleichzeitig sitzen, aber Herr Stoiber kann nicht zeitgleich in allen Landeshauptstädten sein und zugleich die Rolle eines jeden
CDU-Politikers übernehmen. Dieses Problem werden Sie
auch bis zum Wahltag nicht gelöst bekommen.
({11})
Was getan werden muss, hat die Bundesregierung getan: Wir setzen eine umfassende Steuerreform um und wir
führen die Entlastung der Familien fort. Durch diese spürbaren Entlastungen werden der Konsum und die Sparfähigkeit der privaten Haushalte angeregt. Die fortwährende Entlastung von Unternehmen ist ein starker
Impuls für die Investitionstätigkeit und trägt so zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei. Wir behalten das Ziel des
Umweltschutzes im Auge und stärken Zukunftsbereiche
wie Bildung und Forschung. Die Bundesregierung verbindet eine wachstums- und stabilitätsorientierte gesamtwirtschaftliche Politik mit nachhaltigen Reformen.
Dies entspricht auch den Anforderungen der europäischen „Grundzüge der Wirtschaftspolitik“. Wir befinden
uns damit im Einklang. Das, was Sie ankündigen, ist mit
der europäischen Politik nicht vereinbar.
({12})
Die Finanzpolitik der Bundesregierung trägt den gegenwärtigen konjunkturellen Unwägbarkeiten Rechnung,
ohne das Ziel der mittelfristigen Konsolidierung aus dem
Auge zu verlieren. Deutschland ist, wie Sie wissen, stark
exportabhängig. Wir sind mit den USA eng verzahnt.
Weltwirtschaftliche Abkühlungen schlagen in Deutschland, auch im EU-weiten Vergleich stärker zu Buche als
in anderen Staaten. Dies hat uns zuletzt noch auch der
Sachverständigenrat so bestätigt.
Gerade weil dies so ist, braucht Deutschland keine Ankurbelung der Schuldenspirale, sondern eine zuverlässige
Finanzpolitik, die spürbare Entlastungen für private
Haushalte und Wirtschaft mit fortgesetzten Konsolidierungsanstrengungen verbindet. Wir wollen kein konjunkParl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
turelles Strohfeuer, sondern eine Politik, die unsere Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig stärkt.
({13})
Was die Opposition derzeit anbietet, ist dagegen eine
bunte Mischung falscher Rezepte von gestern.
Abschließend darf ich vielleicht noch auf die entsprechende Bewertung durch das „Handelsblatt“ eingehen.
Das „Handelsblatt“ sieht die gesamte Union und auch
ihren Kandidaten „im Zahlenrausch“. Nicht nur, dass dies
natürlich dem asketischen Image des Kandidaten widerspricht: Leute, die im Rausch sind, haben keinen klaren
Kopf - und das merkt man Ihnen auch an!
({14})
Das Wort hat der Kollege Dietrich Austermann für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als es Anfang der Woche
hieß, die SPD möchte zu dem genannten Thema eine Aktuelle Stunde machen, habe ich gesagt: Sehr schön, danke!
Denn wenn man sich vor Augen führt, was Sie uns vorwerfen und in welcher Situation Sie sich befinden, wird
ziemlich deutlich, dass es an der Zeit ist, dass Sie vom
Wähler dahin geschickt werden, wo Sie hingehören.
({0})
Sie haben als Beispiele Zitate von der Union aus den
letzten Tagen herangezogen, ich wende mich Ihren Ministern zu: Die Säule Schily bröckelt. Herr Riester ist weniger eine Säule, er ist eher ein Poller; ihm wurde diese Woche im Ausschuss die Frage gestellt, ob durch sein
tölpelhaftes Verhalten eine Milliarde EU-Arbeitsmarktmittel an Deutschland vorbeigehen. Fest steht schon, dass
ein Schaden in Millionenhöhe entsteht.
Die zweite Säule, Eichel, bröckelt. Dass Sie, Frau
Hendricks, die Wörter Schuldenabbau, Stabilität und Solidität überhaupt noch in den Mund nehmen, ist geradezu
lachhaft.
({1})
Ich rechne Ihnen das einmal vor: Trotz der 100 Milliarden
aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen und trotz der insgesamt 160 Milliarden aus den Privatisierungen haben Sie
180 Milliarden neue Schulden gemacht.
Stichwort Stabilität: Die EU-Kommission ist dabei, Ihnen einen blauen Brief zu schreiben.
({2})
Ein blauer Brief bedeutet doch grundsätzlich, wenn ich
das von manchen Kollegen aus der Schule noch richtig
weiß: Versetzung gefährdet.
({3})
Es ist in der Tat so - das werden Sie am 22. September
feststellen -, dass die Versetzung nicht nur gefährdet ist,
sondern dass Sie durchfallen. Mit leichter Hand kann man
dieses Land nicht regieren.
Drei von vier gesamtwirtschaftlichen Zielen - Wachstum, Arbeitslosigkeit, Preisstabilität - werden eklatant
verfehlt und belegen das Versagen der Regierung
Schröder. Ich will das nur an einzelnen Punkten deutlich
machen:
({4})
Wir haben in diesem Jahr das niedrigste Wachstum seit
acht Jahren. Die Inflationsrate ist mit 2,5 Prozent die
höchste seit sieben Jahren und im Moment sieht es so aus,
als würde sie noch weiter steigen. Es gab eine Steuerreform, die den normalen Bürger bestraft.
({5})
Die Familienentlastung, die Sie angesprochen haben,
wird durch Inflationsrate, Ökosteuer, Versicherungsteuer,
Stromsteuer und höhere Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung usw. konterkariert. Die Steuerreform
kommt beim Mittelstand nicht an, da dieser von der Senkung der Körperschaftsteuer nichts hat. Fast das gesamte
Volumen der steuerlichen Entlastungen trifft nur einen
ganz bestimmten Kreis der Bevölkerung.
({6})
Meine Damen und Herren, Sie fragen, was wir als Erstes machen wollen. Wir werden sofort nach der Regierungsübernahme im Herbst dieses Jahres Maßnahmen
einleiten, die die hausgemachte rot-grüne Rezession beenden.
({7})
Die wichtigste Maßnahme, die wir zu treffen haben, ist,
dafür zu sorgen, dass die Wachstumsgrundlagen gestärkt
und die Verkrustungen des Arbeitsmarktes aufgebrochen
werden. Wir werden einen detaillierten Kassensturz machen,
({8})
denn Sie haben offensichtlich die Übersicht über das, was
tatsächlich da ist, verloren.
Ich greife ein Beispiel auf, das von der Kollegin Luft
angesprochen wurde - Sie haben nicht darauf reagiert; ich
will es daher noch einmal mit meinen Worten sagen -:
Nach Medieninformationen sollen aus der Leitung Ihres
Hauses Anweisungen gegeben worden sein, der Deutschen Post AG in einem Bereich, in dem sie dem Wettbewerb unterliegt, die Mehrwertsteuer zu erlassen. Dem Gesamtstaat sollen dadurch Umsatzsteuern in Höhe von
1,8 Milliarden entgangen sein.
Für die Feststellung sei eine Weisung leitender Mitarbeiter aus Ihrem Hause an die zuständigen Finanzbehörden des Sitzlandes maßgebend gewesen. Gleichzeitig soll
ein leitender Mitarbeiter dem Aufsichtsrat der Post
angehören. Das Verhalten soll so gewählt worden sein,
um in gewisser Weise auf den Börsengang der Post Einfluss zu nehmen.
Fangen Sie bitte nicht an, uns vorzuwerfen, wir würden
nicht solide arbeiten. Das, was Sie hinterlassen, ist ein finanz-, haushalts- und steuerpolitischer Scherbenhaufen.
Kein normaler Mensch wird nachvollziehen können, weshalb die Großen keine Mehrwertsteuer zahlen, während
den Kleinen noch der letzte Prozentpunkt gepfändet wird.
({9})
Ich hätte es gern gesehen, wenn Sie zu dieser Frage Stellung genommen hätten.
Ich habe gesagt: Wir werden alles tun, was der Staat
dazu beitragen kann, um die Rezession zu beenden. Wir
werden einen Kassensturz vornehmen und Ihre verfehlten
wirtschaftspolitischen Maßnahmen zurücknehmen. Wir
werden eine Verbesserung der Haushaltsstruktur herbeiführen. Es kann doch nicht sein, dass die Investitionen
immer weniger werden, der Konsum immer größer und
das Geld, was für Investitionen im Haushalt vorgesehen
ist, nicht einmal ausgegeben wird.
({10})
1,6 Milliarden DM Investitionen der Bahn sind im letzten Jahr durch das Verhalten des Finanzministeriums unterblieben. Haben Sie eine Vorstellung davon, was das für
die Arbeitsplätze bedeutet?
Lassen Sie mich den letzten Punkt nennen, die Steuerreform. Die Steuerreform ist so gestrickt, dass im Jahr
2005 die Steuerbelastung eines normalen Bürgers nicht
niedriger sein wird als im Jahr 1998. Wenn man sich das
vor Augen hält, ist ziemlich klar, dass die Steuerreform so
nicht fortgeführt werden kann. Der Schritt 2003 wird aus
Zeitgründen noch so in Kraft treten. Aber danach werden
wir eine Veränderung vornehmen, die einen einfachen,
gerechteren, mittelstandsfreundlichen Steuertarif zum
Kern hat, damit wirklich wieder Wachstum angeschoben
wird, der Bürger wieder mehr Geld in der Tasche hat und
die Betriebe wieder investieren.
So einfach ist die Situation und daran lassen wir uns
messen.
({11})
Nächster Redner ist
Kollege Oswald Metzger für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Meine Damen und Herren! Die Diskussionen sind reichlich grotesk. Wenn sich die Union hinstellt und zur Haushaltspolitik redet, kommt bei mir jedes Mal die Erinnerung hoch, dass wir als rot-grüne Koalition den
Schwarzen ein Wesensmerkmal ihrer politischen Daseinsberechtigung weggenommen haben. Sie haben geglaubt, das Anrecht auf Solidität in der Finanzpolitik gepachtet zu haben.
({0})
- Das hatten sie nicht. Das werde ich mit zwei Zahlen belegen. Ich werde heute in der Aktuellen Stunde politisch
argumentieren, weil man in fünf Minuten Redezeit nicht
umfassend Haushaltszahlen referieren kann. In den vier
letzten Jahren Ihrer Regierungszeit wurden 141 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen. Das entsprach einem Zuwachs der Verschuldung des Bundes in Höhe von
23 Prozent - gemessen am Stand der vorvorletzten Periode. Wir dagegen haben, inklusive der Neuverschuldung
aufgrund des Haushaltsgesetzes für dieses Jahres, nur
39,1 Milliarden Euro an neuen Schulden aufgenommen;
das entspricht 5 Prozent. In genau diesen Zahlen liegt der
nackte Unterschied. Dieses Zahlenbeispiel zeigt die Konsolidierung, die Solidität unserer Finanzpolitik.
({1})
- Nein, Herr Thiele, auch wenn Sie ständig behaupten, das
liege an den Erlösen aus der UMTS-Versteigerung, so
wird dies durch Wiederholung nicht wahrer. Dass wir es
geschafft haben, dieses Geld, das dem Bereich des Vermögens der ehemals bundeseigenen Telekomunikationsunternehmen zugerechnet werden muss, tatsächlich in die
Schuldentilgung zu stecken und die sich daraus ergebenden Zinsersparnisse für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, für Bildung und in Forschung zu verwenden,
zeigt, dass wir Sparen nicht als Selbstzweck verstehen,
sondern dass wir den Kapitalstock unserer Volkswirtschaft aufstocken wollen. Das ist eine Leistung, auf die
wir auch im Wahljahr immer wieder hinweisen werden.
Diese Leistung können Sie auch in objektiven Parametern
messen; das ist nicht nur Hofberichterstattung von Mitgliedern der Regierungsfraktionen.
Zu Herrn Stoiber muss man nur Folgendes sagen - Kollegin Hendricks hat darauf hingewiesen -: Ein Kandidat,
der immerhin Ministerpräsident ist, äußert sich in einer
Fernsehsendung am vergangenen Sonntag - bei Frau
Christiansen; grottenschlechter Auftritt, vor allem inhaltlich - und sagt nur ein paar Tage später, gestern, die Deutschen hätten, was Maastricht angeht, noch Spielraum und das, obwohl diesen Vertrag, diesen Pakt doch gerade
der ehemalige CSU-Vorsitzende, mit dem er sich damals
um das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten gebalgt
hat, gegenüber Brüssel durchgesetzt hat. Das war doch
gerade die europapolitische Sternstunde der Regierung
Kohl. Gerade dieser Kandidat, der aus der konservativen
Ecke kommt, sagt jetzt allen Ernstes, die Deutschen könnten noch mehr Verschuldung machen. Wochenlang machen Merz, Austermann und andere hier Wind mit der
Drohung, wir würden einen blauen Brief aus Brüssel bekommen, und jetzt das! Die EU würde Stoiber angesichts
dieses konzeptionellen Ansatzes vom Platz stellen; da
würde nicht einmal ein blauer Brief reichen.
({2})
Ich als Finanzpolitiker bin, bei Gott, froh, dass wir in
Deutschland endlich einmal Planungssicherheit für die
Steuerpflichtigen dergestalt haben, dass die Steuersätze
über Jahre hinweg sinken. Von der kalten Progression - dies
sage ich den Mittelstandspolitikern in den Reihen der
CDU/CSU und der FDP - haben Sie in der Vergangenheit
doch genauso profitiert. Ihre Länder machen doch die Taschen zu, wenn es darum geht, Entlastungen zu finanzieren,
die tatsächlich bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommen.
Kollege Rauen, denken Sie einmal daran: Ihre Steuerkonzeption von 1996 hätte dazu geführt, dass man bereits
ab einem zu versteuernden Einkommen von 90 000 DM
einen Spitzensteuersatz von 39 Prozent gezahlt hätte. Das
waren die Petersberger Beschlüsse. Ab 2005 wird nun der
Spitzensteuersatz ab einem zu versteuernden Einkommen
von 102 000 DM bei 42 Prozent liegen. Warum blasen Sie
sich bei dieser Differenz so auf? Es gibt überhaupt keinen
Grund. Das ist einfach inkonsistent.
({3})
Sie predigen hier eine ordnungspolitische Konzeption, die
Sie selbst nicht haben.
Kollege Rauen und Herr Thiele, denken Sie bitte daran
- Sie haben eben in Bezug auf die Ökosteuer von der linken und rechten Tasche gesprochen -, dass die Lohnnebenkosten gesunken sind. Wahr bleibt, dass trotz des jetzigen Anstiegs im Krankenversicherungsbereich der
Sozialversicherungsbeitrag im Wahljahr 2002 unter dem
Strich um 1,3 Punkte niedriger ist als bei unserer Regierungsübernahme.
({4})
Das ist so, meine Damen und Herren! Allein dieser Trendwechsel ist ein positives Signal.
({5})
Außerdem haben wir Strukturreformen vorgenommen. Wenn man 16 Jahre lang regiert hat, dann ist es psychologisch nachvollziehbar, dass man sich nach drei Jahren Opposition nach der Regierung zurücksehnt. Wer
aber 16 Jahre lang Reformen des Arbeitsmarkts, der
Krankenversicherung, der Rente und in der Finanzpolitik
unterlassen hat, wer in der Steuerpolitik erst in der Endphase dieser 16 Jahre überhaupt Reformschritte eingeleitet hat, der braucht sich in einem Wahljahr nicht aufzublasen. Das ist ein Wolkenkuckucksheim, eine Fata
Morgana von Regierungsfähigkeit, die Sie und Ihr
bayerischer Kandidat hier vorgaukeln wollen.
({6})
Nächster Redner ist
der Kollege Hans Georg Wagner für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Kollege Austermann, manches
in Ihrer Rede habe ich nicht verstanden. Sie bekommen einiges offensichtlich nicht mit oder begreifen es nicht. Es
tut mir manchmal Leid, dass wir uns immer mit Ihnen beschäftigen müssen; aber Sie werden nun einmal von Ihrer
Fraktion vor allem dazu ins Rennen geschickt, hier
falsche Behauptungen zu konkretisieren. Das, was Sie
heute wieder vorgetragen haben, finde ich abenteuerlich.
Auch Sie, Herr Thiele, haben wohl vergessen, dass der
Schuldenstand bis 1998 - von Ihrer Regierung verursacht,
von Ihnen mitgetragen - auf 1,5 Billionen DM mit jährlichen Zinszahlungen von über 80 Milliarden DM angewachsen ist. Herr Thiele, ich weiß, dass Sie Kinder haben.
Sie haben die Zukunft Ihrer eigenen drei Kinder
({0})
- fünf sogar! - aufs Spiel gesetzt, weil Sie mit dem Geld,
das die vorherige Regierung mit Ihrer Zustimmung ausgegeben hat, die Zukunftschancen und Entfaltungsmöglichkeiten Ihrer Kinder eingeschränkt haben.
({1})
Sie haben bei Ihren Kindern Geld gepumpt, um das zu bezahlen, was Sie politisch zu verantworten haben.
({2})
Herr Austermann, wider Wissen wird behauptet - das
ist gestern ganz eindeutig gesagt worden -: Die rund 1 Milliarde, die das Haus Riester bekommt, wird Anfang Februar ausgezahlt. Das, was Sie erzählen, Herr Austermann,
ist Unsinn, eine glatte Lüge! Das stimmt einfach nicht!
({3})
Herr Austermann, ich habe Sie gestern eingeladen, einer weiteren gemeinsamen Sitzung mit dem Sozialausschuss zuzustimmen, bei der die beiden Vertreter aus
Brüssel berichten werden, warum sie die Anträge der
Bundesregierung positiv bescheiden werden. In der Februarsitzung können sie das darstellen.
({4})
Sie sollten nicht alles verwechseln.
Ich verweise auch auf das, was zu den neuen Ländern
gesagt worden ist: Wir haben gerade den Solidarpakt II
mit 300 Milliarden DM, das sind 150 Milliarden Euro, für
die nächsten Jahre beschlossen. Außerdem haben wir den
neuen Ländern die Chance eingeräumt, über das Investitionsförderungsgesetz selbstständig zu verfügen.
({5})
Das sind jährlich 6,6 Milliarden DM. Wir haben den Ländern die Möglichkeit gegeben, alle bürokratischen
Hemmnisse abzubauen und dafür zu sorgen, dass die Investitionen entsprechend eingesetzt werden können.
Ich möchte noch kurz auf das eingehen, was der Herr
Kollege Metzger bezüglich Herrn Stoiber angedeutet hat.
Als er am Sonntag von den 3 Prozent sprach, habe ich laut
gelacht.
({6})
Er hätte doch vorher Theo Waigel - die beiden verstehen
sich doch gut; das hört man allgemein - einmal anrufen
sollen. Im Jahr 2003, dem Jahr, in dem Herr Stoiber theoretisch zum ersten Mal über einen Haushalt entscheiden
könnte, wird - dies ist das Stabilitätsziel der rot-grünen
Bundesregierung - der infrage stehende Prozentsatz bei
1 Prozent und nicht bei 3 Prozent liegen. Das bedeutet,
dass der Spielraum bei 20 bis 30 Milliarden DM liegt und nicht bei 6 Milliarden DM, von denen Herr Stoiber
am Sonntag gesprochen hat. Das heißt: Er würde die
Neuverschuldung 2003 um 30 Milliarden DM erhöhen.
Sie waren schon bis 1998 Meister im Schuldenmachen.
Das ist die Position, die wir vertreten: Wir machen endlich weniger Schulden in Deutschland. Bis zum Jahre
2006 senken wir die Nettokreditaufnahme auf null.
({7})
Herr Kollege Austermann, Sie haben hier gesagt, die
Investitionen seien gesunken. Ein Schaubild, das ich Ihnen mitgebracht habe, soll Ihnen zeigen, dass das, was Sie
gesagt haben, schlicht und ergreifend falsch war. Denn im
Jahr 2002 sind - ausweislich des Haushaltsplans, den Sie
offenbar nicht kennen - 13,44 Milliarden DM für Investitionen vorgesehen. Sie hatten im Jahre 1998 in Ihrem
Haushalt genau 9,49 Milliarden DM an Investitionen.
Entweder können Sie nicht rechnen oder Sie wollen nicht
rechnen. Von 9,5 auf 13,5 Milliarden DM ist es eine ganz
klare Steigerung. Da kommen Sie und sagen, wir würden
die Infrastrukturmaßnahmen zurückschrauben oder Investitionen absenken. Was Sie erzählen, ist absoluter
Quatsch. Sie sollten endlich dorthin zurückkehren, wo
vernünftige Politik anfängt. Aber dazu sind Sie offenbar
gar nicht mehr in der Lage.
({8})
Im Übrigen sollten Sie auch Ihren Kanzlerkandidaten
({9})
darüber aufklären, damit er nicht immer in die Falle
tappt. Jeder Journalist und jede Journalistin, der oder die
ihn befragt, lässt ihn schlecht aussehen. Das war doch ein
blamabler Auftritt am vergangenen Sonntag bei Frau
Christiansen. Wir könnten uns alle zurücklehnen und sagen: Weiter so, Herr Stoiber! Das wollen wir nicht. Wir
wollen den bayerischen Ministerpräsidenten nicht in seinem Kampfesmut beeinträchtigen. Sinnlos ist es ohnehin.
Aber vielleicht informieren Sie ihn trotzdem.
Schon als Herr Austermann in Berlin als finanzpolitischer Berater von Herrn Steffel aufgetreten ist, habe ich
gesagt, dass das nur schief gehen kann.
({10})
Das Ergebnis haben wir ja bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus gesehen. Jetzt macht Austermann auf Stoiber.
Auch das kann nur schief gehen, weil gar kein Wissen
über die tatsächlichen Zusammenhänge vorhanden ist.
({11})
Für die CDU/CSU
spricht jetzt der Kollege Heinz Seiffert.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Kollege Wagner, da können Sie
noch so brüllen: Tatsache ist, dass Deutschland heute,
nach drei Jahren rot-grüner Steuerpolitik, vor einem
Scherbenhaufen steht.
({0})
Mit dieser Aktion heute
({1})
wollen Sie nur davon ablenken, dass Rot-Grün in der
Haushalts-, in der Finanz- und in der Steuerpolitik auf der
ganzen Linie versagt hat.
({2})
Sie haben 1998 bei den Menschen falsche Hoffnungen
geweckt. Sie wollten vieles besser machen. Was sind die
Fakten? Sie haben Deutschland in die Rezession geführt.
Wir sind beim Wachstum Schlusslicht in Europa.
({3})
Die Arbeitslosigkeit ist beängstigend. Die Inflation ist
gut dreimal so hoch wie 1998. Die Firmenzusammenbrüche und Pleiten sind in Deutschland auf Rekordniveau.
Die neuen Länder stehen auf der Kippe. Alle wirtschaftlichen Kennzahlen belegen, dass diese rot-grüne Regierung
bei ihrem wichtigsten Vorhaben gescheitert ist. Davon
wollen Sie heute ablenken.
Sie haben in gut drei Jahren ein Steuerchaos angerichtet, das mitursächlich für diese schwierige Lage, in der wir
heute sind, ist. Sie haben auch in der Steuerpolitik so
ziemlich alles falsch gemacht. Das Steuersystem ist noch
komplizierter geworden, als es schon war. Selbst Fachleute blicken langsam nicht mehr durch. Das Steuerrecht
ist nicht gerechter, sondern nur noch bürokratischer und
ungerechter geworden. Sie haben mit Ihrem 630-MarkWirrwarr Hunderttausende ehrlicher Steuerbürger in die
Schwarzarbeit getrieben. Das ist die Tatsache.
({4})
Diese Regierung hat den Mittelstand und die Personengesellschaften steuerlich belastet und dafür gesorgt,
dass die Kapitalgesellschaften in Deutschland 2001 fast
keine Steuern mehr gezahlt haben. Sie haben mit zu verantworten, dass den Kommunen als den wichtigsten Investoren der öffentlichen Hand die Gewerbesteuer weggebrochen ist. Was Sie den Familien, erzwungen durch
das Bundesverfassungsgericht, mit der einen Hand gegeben haben, kassieren Sie durch Ökosteuer, Tabak- und
Versicherungsteuer wieder ab.
({5})
Jetzt wundern Sie sich, dass nach gut drei Jahren rot-grüner Steuerpolitik die Steuerlastquote 1 Prozent höher ist
als 1998.
Meine Damen und Herren, bei den gut 40 Steuergesetzen, die Sie teilweise im Schweinsgalopp durch die Ausschüsse gejagt haben, haben Sie hochmütig auf den Sachverstand der Opposition verzichtet.
({6})
Bei den Anhörungen haben Sie alle guten Ratschläge der
Sachverständigen und der Opposition in den Wind geschlagen. Folge davon war, dass ein Nachbesserungs- und
Reparaturgesetz das andere gejagt hat.
({7})
Nur bei der Erfindung von Gesetzesüberschriften
waren Sie kreativ: Steuersenkungsgesetz - das 30 Milliarden Belastung für die Wirtschaft gebracht hat, Steuerbereinigungsgesetz, Steuersenkungsergänzungsgesetz,
Steueränderungsgesetz, Unternehmensteuerreformfortführungsgesetz - ich könnte das fortführen. Das alles hätten
Sie den Steuerzahlern und den beratenden Berufen ersparen können, wenn Sie mehr auf uns gehört hätten.
({8})
Jetzt, nachdem der Karren tief im Dreck steckt, fragen Sie
nach den haushalts- und steuerpolitischen Vorstellungen
der Union. Sie hätten früher auf uns hören sollen,
({9})
dann wäre dem Wirtschaftsstandort Deutschland und insbesondere den 4 Millionen Arbeitslosen viel erspart geblieben. Die Regierung hat es verpennt, das Richtige zu
dem Zeitpunkt zu tun, als es noch möglich war.
({10})
Sie hätten die Kapitalgesellschaften und die Einkommensteuerzahler von Anfang an im Gleichschritt entlasten
sollen. Dann bräuchten Sie jetzt nicht zu fragen, wann
wir endlich Ihre Versäumnisse ausbügeln und die Einkommensteuersätze senken. Sie hätten diese unsinnige
Ökosteuer, die von Anfang an nichts anderes als ein
Abkassiermodell war, überhaupt nicht einführen sollen.
Dann bräuchten Sie heute nicht zu fragen, ob wir nur
Ihren letzten Erhöhungsraubzug zum 1. Januar 2003 verhindern oder gleich die ganze Ökosteuer abschaffen.
({11})
Hätten Sie das 630-Mark-Gesetz nicht so vermurkst und
bürokratisch geregelt, dann müssten wir jetzt nicht wieder
zur Pauschalbesteuerung zurückkehren.
Hätte diese rot-grüne Regierung nicht nur von Haushaltssanierung geredet und die Investitionen gekürzt, sondern in guten Zeiten wirklich gespart und konsolidiert,
dann gäbe es jetzt die finanziellen Spielräume, um das eigentlich Notwendige in unserem Land sofort zu machen.
Rot-Grün hat in den gut drei Jahren Regierungszeit nichts
besser, aber vieles schlechter und falsch gemacht. Sie sind
für die jetzige Lage verantwortlich.
Sie haben noch acht Monate Zeit, aber da wird voraussichtlich nicht mehr viel passieren. Wenn Sie sich dann an
Ihren Leistungen messen lassen, werden Sie, meine Damen und Herren, die Quittung bekommen.
({12})
Jetzt spricht die Kollegin Nicolette Kressl für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Seiffert, gerade in
den letzten fünf Tagen hat sich sehr deutlich gezeigt, wie
gut wir daran getan haben, die Vorschläge der Opposition
nicht in unsere Gesetzgebungsvorhaben aufzunehmen.
({0})
Schauen wir einmal, was Herr Stoiber vorgeschlagen hat:
Hätten wir davon irgendetwas in den letzten drei Jahren
übernommen, wäre das totale Chaos entstanden.
({1})
Ich fange einmal mit der Aussage von Herrn Stoiber am
Sonntag bei Frau Christiansen an, dass wir noch Spielraum in Höhe von mehreren Milliarden hätten. Gestern
Abend habe ich selber gehört, wie er sagte, wir haben
überhaupt keinen Spielraum mehr.
({2})
Heute Morgen habe ich im Radio gehört, die CSU widerspreche Stoiber. Da habe ich mir gedacht: Was ist jetzt
los? Im Kommentar hieß es weiter: Er widerspricht sich
nämlich täglich selber. - Wenn Sie es nicht einmal hinbekommen, dass Ihre steuerpolitischen Vorschläge über
vier Tage lang konsistent bleiben, dann kann ich nur den
Schluss ziehen: Wir haben gut daran getan, uns an unsere
Konzepte zu halten.
({3})
Bleiben wir bei Ihren steuerpolitischen Vorschlägen der
letzten Jahre - man hat es ja vorhin bei der Frau
Hasselfeldt wieder gemerkt -: Ein Wunsch nach dem anderen wird aufgezählt. Dazu kann ich nur sagen: Ja mei, ist
denn schon wieder Weihnachten? Es kann doch wohl nicht
wahr sein, dass nicht an die Finanzierung gedacht wird, Sie
aber eine Wunschliste nach der anderen erstellen.
({4})
Sie verlangen ein Vorziehen der Steuerreform; sämtliche
Schlupflöcher, die wir geschlossen haben, wollten Sie
über Anträge im Finanzausschuss wieder öffnen. Wie soll
damit, bitte schön, eine konsistente Politik betrieben
werden?
Wir brauchen jetzt klare Rahmenbedingungen; die
Grundlinien müssen erkennbar sein. Das Problem ist
doch, dass bei Ihnen nichts erkennbar und deutlich wird,
weil jeden Tag etwas anderes kommt.
({5})
Wenn überhaupt etwas erkennbar wird, dann das, dass Sie
offensichtlich die Neuverschuldung erhöhen wollen - so
ein Zitat von Herrn Merz. Dann wird auch deutlich, dass
offensichtlich bis zum letzten Regierungstag von Herrn
Waigel überhaupt nicht daran gedacht war,
({6})
bei der Neuverschuldung eine Kehrtwende einzuleiten,
und dass es ein sozialdemokratischer Finanzminister war,
der die Kehrtwende in dieser Sache geschafft hat.
({7})
Wenn ich jetzt höre, was Herr Merz vorschlägt, wird
mir deutlich, dass es auch ein sozialdemokratischer Finanzminister sein wird, der Garant für die Kehrtwende
weg von der höheren Neuverschuldung bleiben wird.
({8})
Dann wollen wir uns einmal die verschiedenen Wünsche anschauen. Die Ökosteuer sei, so sagen Sie - Frau
Hasselfeldt hat es noch gesagt -, eine Missgeburt.
({9})
Was habe ich noch gestern von Herrn Stoiber gehört?
({10})
Er will die Ökosteuer im europäischen Rahmen. Was soll
dann daran eine Missgeburt sein? Ich würde sagen, Sie
kehren jetzt um und versuchen mit uns, das für alle europäischen Staaten gemeinsam hinzubekommen.
({11})
Dann gibt es noch ein Wunschpaket, Frau Hasselfeldt,
nämlich das Familiengeld. Die Forderung von 60 Milliarden DM jährlich
({12})
finde ich wirklich toll. Vor allem sind sie deshalb so gut
angelegt, weil der Großteil dieses Finanzvolumens zu den
schon bisher sehr gut verdienenden Familien geht, weil
diese nämlich kein Erziehungsgeld bekommen.
({13})
Das heißt, einen dicken Teil aus Ihrem fetten Wunschpaket geben Sie auch noch an die völlig falsche Stelle. Das
ist ökonomisch unvernünftig und außerdem sozial ungerecht. Aber Sie stellen sich hier hin und erzählen etwas
von konsequenter Steuerpolitik!
({14})
- Gerade wir haben über das Bundesverfassungsgerichtsurteil gesprochen. Sie lagen damals in Ihren Aussagen ein
bisschen daneben. An Ihrer Stelle wäre ich gerade bei diesem Punkt sehr ruhig.
({15})
Ich kann Ihnen sagen: Wenn es so weitergeht, werden
wir unsere Vorschläge zur Steuerpolitik in aller Ruhe
weiter konsequent umsetzen können.
({16})
- Aber natürlich!
({17})
Denn eines ist in der Steuerpolitik wirklich nicht angesagt: Man darf weder herumstolpern noch herumstoibern.
({18})
Das ist nicht die verantwortliche Steuerpolitik, die unser
Land braucht.
Danke.
({19})
Jetzt spricht der Kollege Hans Jochen Henke für die CDU/CSU-Fraktion.
Meine Damen im
Präsidium! Werte Kolleginnen und Kollegen!
({0})
Es wird Ihnen nicht gelingen abzulenken. Wahltage sind
Zahltage. Es sind weniger als 250 Tage. Dann wird zusammengezählt, vor allem, Frau Kollegin Hendricks, was
maßgeblich Ihr Haus zu verantworten hat; denn Sie stehen nicht nur für das Finanz-, sondern im eigentlichen
Sinne auch für das Wirtschaftsministerium. Ihr Haus wird
in wenigen Tagen den Jahreswirtschaftsbericht vorlegen,
in dem die wenig schöne, in Wahrheit beklemmende
Wirklichkeit offenbart wird.
Fakt ist, Ihr Konsolidierungsbeitrag nach vier Jahren
- ich kann es nur noch einmal wiederholen und auf der
Zunge zergehen lassen - beträgt 100 Milliarden Euro
Mehrverschuldung.
({1})
Ihr reales Finanzierungsdefizit, Frau Hendricks, in diesem Haushaltsjahr 2002 wird trotz UMTS- und Sonderprivatisierungserlösen nach wie vor 10 Prozent des Gesamthaushalts betragen.
({2})
Die Rückführung der jährlichen Nettoneuverschuldung, Frau Hendricks, ist in diesem Jahr außerordentlich
bescheiden. Wir haben in diesem Jahr eine Nettoneuverschuldung von fast 42 Milliarden DM. Die Rückführung
bekommen Sie überhaupt nur hin, Herr Kollege Diller,
mit einer historisch niedrigsten Investitionsrate
({3})
und einer einmaligen, unverantwortlich hohen expansiven Steuerrate und entsprechenden Steuerpolitik.
({4})
Trotz Ihrer so genannten Jahrhundertsteuerreform werden Sie dem Steuerzahler insgesamt 60 Milliarden DM,
30 Milliarden Euro, mehr aus der Tasche genommen haben. Allein in diesem Jahr - Sie hören es nicht gern, aber
die Leute auf der Zuschauertribüne sollen es hören - haben Sie um 14 Milliarden Euro höhere Abgaben als im
zurückliegenden Jahr zu verantworten.
Ich fand es herrlich: Minister Eichel hat auf seinem Geburtstagsempfang im Willy-Brandt-Haus in der letzten
Woche einen Wunsch geäußert. Er möchte gern im
Amt erleben, Herr Wagner, dass er in einem Haushaltsjahr
mehr einnimmt, als er ausgibt. Ich habe in dieser Feier - ich durfte dabei sein; ich war eingeladen und bin hingegangen - namhafte Vertreter öffentlicher Banken und
den zuständigen Staatssekretär seines Hauses angesprochen und Wetten darauf angeboten. Ich habe leider niemanden gefunden, der bereit war, auf diese Wette einzugehen.
({5})
Es rächt sich, Frau Kollegin Hendricks, dass Sie das
konjunkturell einmalig günstige Zeitfenster in dieser Legislaturperiode nicht für mutige Reformschritte genutzt
haben. So musste Ihnen der Sachverständigenrat vor
wenigen Wochen bescheinigen, dass trotz historisch
niedriger Lohnabschlüsse und trotz der demographischen
Entlastung in dieser Zeit die offene und verdeckte Arbeitslosigkeit bereits im Herbst letzten Jahres 13 Prozent
betragen hat. Sie in Ihrem Ministerium haben den Arbeitsmarkt entscheidend abgewürgt und Gründern, Investoren, den Arbeit suchenden Menschen und letztlich auch
den Gewerkschaften einen Bärendienst erwiesen. Die
Empfehlungen der Tarifkommissionen in diesen Wochen
sprechen Bände.
Heute steht in der Zeitung, dass trotz Massenarbeitslosigkeit in Deutschland so viel illegal gearbeitet wird wie
nie zuvor. Das Volumen der Schwarzarbeit - heute in der
„Berliner Zeitung“ auf Seite 1 nachzulesen - wird in diesem Jahr voraussichtlich 360 Milliarden Euro betragen.
Das geht an der regulären Wirtschaft vorbei. Damit steigt
der Anteil der Schattenwirtschaft, gemessen am offiziellen Bruttoinlandsprodukt, von 16 auf 16,5 Prozent. Die
Schattenwirtschaft nimmt allein in diesem Jahr um
3,5 Prozent zu. In den meisten anderen europäischen Ländern geht sie zurück.
({6})
Gleichzeitig sind die Unternehmensgründungen um 20 Prozent zurückgegangen, während die Zahl der Pleiten um
18 Prozent höher ist. Wo wir 2002 landen werden, weiß
niemand genau. Hermann Lübke, ein Mittelständler aus
Westfalen, sagte vor wenigen Tagen: Wenn die ruhige
Hand des Kanzlers nur so beweglich wäre wie seine politische Handlungs- und Wandlungsfähigkeit, dann ginge es
dem Mittelstand besser. - Wie Recht der Mensch hat!
Die Union hat mit ihrem Ziel, mit der Aussage des
Kandidaten Edmund Stoiber, in drei zentralen Bereichen
in der mittel- und langfristigen Orientierung unter 40 Prozent zu kommen - bei der Staatsquote, bei den Lohnnebenkosten und bei der Abgabenquote -, wichtige Meilensteine gesetzt.
({7})
Wir müssen diese Quoten nachvollziehbar, erkennbar und
spürbar absenken.
({8})
Wir müssen in einen völlig verkrusteten, zubetonierten
Arbeitsmarkt frische Luft hereinlassen.
({9}) -
Joachim Poß [SPD]: Das sind doch Sprech-
blasen!)
Verlassen Sie sich darauf: Wir werden rechtzeitig vor der
Wahl unser Konzept vorlegen und damit Ihre verheerenden Ergebnisse korrigieren.
({10})
Nächster Redner ist
der Kollege Ewald Schurer für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Henke, Sie leben in einem
irrealen Raum. Als Haushälter habe ich mich in den letzten dreieinhalb Jahren massiv darüber gewundert, dass die
CDU/CSU-Fraktion im Haushaltsausschuss in der Lage
war, munter in jedem Jahr Vorschläge für Mehrausgaben
zwischen 20 und 30 Milliarden - schon auf Euro umgerechnet - zu machen,
({0})
ohne einen einzigen dezidierten Vorschlag zu bringen, wie
man das seriös und wirtschaftlich decken könnte. Das ist
Ihre Politik.
({1})
Dieses Geholpere und Gestolpere werden Sie in den
nächsten acht Monaten noch fortführen.
({2})
Dann werden Sie entlarvt werden. Ich sage Ihnen auch:
Durch das, was Edmund Stoiber, mein bayerischer Landesvater, im Augenblick zum Besten gibt, wird er ein Stück
weit entzaubert. Die Presse konstatiert ja bereits: Stoiber
hat in den ersten zwei Wochen die wirtschaftliche Kompetenz verloren, für die er im Wesentlichen angetreten ist.
({3})
Das glaubt ihm niemand mehr.
({4})
An wirtschaftliche Kompetenz glaubt auch niemand
mehr, wenn man sieht, mit welcher finanzpolitischen
Geisterbahntruppe Sie seit drei Jahren im Finanz- und
Haushaltsausschuss agieren. Ich sage „finanzpolitische
Geisterbahntruppe“, weil Sie Vorschläge ohne wirtschaftliche Vernunft und ohne Sachverstand machen, die aus
dem hohlen Bauch kommen. Das ist die Situation.
Lassen Sie uns einmal den Fokus auf Bayern richten! In
Bayern hat sich Herr Stoiber in den letzten sechs bis sieben
Jahren durch eine Reihe von Finanzskandalen ausgezeichnet. Es muss den Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern
in Fleisch und Blut übergehen, dass Edmund Stoiber zum
Beispiel für den Verlust von 1,3 Milliarden DM bei der
Bayerischen Landesbank im Jahre 2000 verantwortlich ist.
({5})
Auf diesen Skandal angesprochen, sagte er: Das ist nicht
mein Thema. - Dass Edmund Stoiber zum Beispiel den
Deutschen Orden, für den er die Voraussetzungen für die
körperschaftsrechtliche Anerkennung geschaffen hat, als
Sozialkonzern nach Bayern verpflanzt hat und dafür Verantwortung trägt, dass dieser heute de facto pleite ist, ist
eine finanzpolitische Tatsache.
({6})
Es gibt weitere Skandale. Herr Stoiber konnte sich bei
dem LWS-Skandal nur ganz schlecht aus der Affäre ziehen. Er musste nämlich eingestehen, dass er für das Inden-Sand-Setzen einer halben Milliarde DM eigentlich
verantwortlich war.
({7})
Dafür musste der Buhmann Sauter entlassen werden.
Überall in Bayern, wo Stoiber versucht, zu insistieren,
und wo Stoiber die Finger drin hat, gehen die Projekte aus
finanzpolitischen Gründen schief.
Jetzt kommt das Wichtigste. Stoiber hat in den letzten
sechs bis sieben Jahren in Bayern durch seine Politik erreicht - das festzustellen ist für die Bundespolitik wichtig -,
dass Bayern nur im SPD-regierten München wirtschaftlich
stark ist. Meinen Gruß an den Münchner OB Christian Ude.
({8})
Dort werden 40 Prozent der Wertschöpfung in Bayern geschaffen. Aber die Gebiete in Bayern, in denen es Strukturschwächen gibt, sind in den letzten Jahren unter
Edmund Stoibers Führung schwächer geworden. Die
nordbayerischen Regionen haben massive Probleme, mit
der wirtschaftlichen Entwicklung Bayerns mitzuhalten.
Wir haben in Bayern - vielleicht weiß es Frau
Hasselfeldt - eine einzige Altlast im Bereich der Stahlwerke, nämlich die Maxhütte in der Oberpfalz. Die CSUStaatsregierung ist allein schon damit massiv überfordert,
ein einziges Stahlwerk in Bayern nachhaltig zu sanieren.
Das sind die Leistungen von Edmund Stoiber. Alles andere ist nur Getöse von Ihnen und ist sachlich nicht gerechtfertigt.
({9})
Ihr Problem ist, dass Sie sich in den nächsten sieben bis
acht Monaten selbst Stück für Stück entlarven. Sie hatten
kein Finanzkonzept und Sie haben kein Finanzkonzept.
Sie verstehen die Grundlagen des volkswirtschaftlichen
Gleichgewichtes nicht.
({10})
Sie würden das volkswirtschaftliche Gleichgewicht nicht
nur gefährden; Sie würden es mit ihren chaotischen Vorschlägen sogar zerstören. Das sind die wesentlichen
Punkte.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Die CSU kann mit
Geld schlecht umgehen. Das ist die Lektion Nummer eins.
Auch das ist wichtig für die Öffentlichkeit: Die Partei
CSU selbst ist pleite. Wer hat denn von Ihnen erzählt, dass
Sie ihre Immobilien in München verkaufen müssen? Es
war Ihr Generalsekretär Goppel, der sagte, dass Sie die
CSU-Parteizentrale in der Nymphenburger Straße in
München aufgeben müssen, weil die Schuldenlasten Sie
drücken.
({11})
Die CSU finanziert seit Jahrzehnten Wahlkämpfe, indem
sie Schulden macht.
({12})
Das ist keine Grundlage für das Aufstellen einer intelligenten Konzeption für den Bundeshaushalt. Sie sind ja
nicht einmal in der Lage, Ihren eigenen Laden in München seriös zu führen.
({13})
Ein weiterer Punkt ist, dass Sie konzeptionslos sind
und dass Sie in Bayern noch eine ganze Reihe von Affären
am Hals haben, die durch Untersuchungsausschüsse des
Landtages in den nächsten Monaten aufgearbeitet werden.
Es bleibt folgendes Fazit: Bei dem Turmbau von Babel
gab es ein Stimmengewirr, als man eine bestimmte Höhe
erreichte. Bei Ihnen gibt es ein Stimmengewirr, hervorgerufen durch die von Ihnen selbst aufgerissenen Finanzlöcher, die zu dieser Staatsverschuldung geführt haben.
Das ist eine Tatsache. Ich rate Ihnen dringend: Machen
Sie Ihre Hausaufgaben! Versuchen Sie erst einmal, in
Ihrem eigenen Laden die Fakten zu sondieren, bevor Sie
an die Öffentlichkeit gehen! Sie haben kein Konzept. Das
ist die Botschaft.
({14})
Ich möchte zum Schluss noch konstatieren: Natürlich
haben wir im Augenblick eine wirtschaftlich schwierige
Situation. Sie gehen aber über folgende Tatsache hinweg:
Wir haben heute de facto 1 Million mehr Arbeitsplätze in
Deutschland.
Herr Kollege Schurer,
jetzt muss ich Sie doch bremsen, weil Sie zu einem Vortrag ausholen.
({0})
Wir haben 2001 450 000 weniger Arbeitslose im Vergleich zu 1998. Wir haben eine
geringere Jugendarbeitslosigkeit. Wir haben eine ganz
klare Begrenzung bei der Zunahme der Staatsverschuldung, einer Staatsverschuldung, für die Sie verantwortlich
sind. Ihre Zwischenrufe zeigen, dass Sie zwar laut sein
können, aber ohne Ideen sind.
Danke schön.
({0})
Letzte Rednerin in der
Aktuellen Stunde ist die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt einen großen
Unterschied zwischen uns im Jahre 1998 sowie der CDU
und CSU in diesem Wahljahr.
({0})
Wir hatten einen Kanzlerkandidaten relativ leicht gefunden und wir hatten ein Konzept. Dieses Konzept haben
wir auch umgesetzt. Dabei mussten wir leider auf den
Sachverstand der Opposition verzichten, weil er meistens
nicht vorhanden war.
({1})
Um Ihnen das wieder in Erinnerung zu rufen, möchte
ich kurz erwähnen, was wir alles gemacht haben:
({2})
Wir haben zum Beispiel den Reformstau auf dem Arbeitsmarkt aufgelöst. Wir haben das Bündnis für Arbeit
wieder ins Leben gerufen. Wir haben Ausbildungs- und
Beschäftigungsplätze hauptsächlich für Jugendliche geschaffen.
({3})
Wir haben Mittelstand, Handwerk und Existenzgründer gestärkt und besser gestellt. Wir haben neue Ausbildungsberufe geschaffen, die es vorher gar nicht gab. Wir
haben uns in diesem Bereich modern aufgestellt.
({4})
Wir haben Rabattgesetz und Zugabeverordnung aufgehoben. - Entschuldigen Sie, wenn ich das so aufzähle,
aber sonst reicht die Redezeit nicht. - Wir haben faire Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt geschaffen. Wir haben
Lohn- und Sozialdumping abgeschafft. Wir haben die
Scheinselbstständigkeit abgeschafft. Wir haben die 630Mark-Arbeitsverhältnisse vernünftig geregelt. Wir haben
wieder eine aktive Arbeitsmarktpolitik gemacht.
({5})
Sie haben es selber schon erwähnt: Job Aqtiv war ein
voller Erfolg. Wir bekommen von überall her positive
Rückmeldungen.
({6})
Wir haben die Tarifautonomie und die Rechte der Arbeitnehmer gestärkt. Wir haben vor allen Dingen im Bereich
Aufbau Ost viel getan und werden hier auch weiterhin viel
tun.
({7})
Hierbei hat Ihr Kandidat in der Vergangenheit ein paar
Probleme gehabt, aber vielleicht wird sich das bei ihm bis
zum Wahltag ändern.
Wir haben klare Maßstäbe - im Maßstäbegesetz, wie
das so schön heißt - gesetzt. Wir haben den Solidarpakt II
und den Länderfinanzausgleich geregelt. Wir haben auch
- das ist uns ganz wichtig - den Marsch in die Verschuldung gestoppt.
({8})
Ich rechne immer gern unsere Zinsbelastung um. Als
wir die Regierung übernommen haben, haben wir
150 000 DM im Monat, nein, in der Sekunde, nein, in der
Minute an Zinsen gezahlt.
({9})
- Ich habe so wenig Zeit und muss so viel erzählen. Ich
rechne immer so: In drei Minuten zahlen wir so viel an
Zinsen, wie ein Einfamilienhaus im Münsterland kostet.
Dies macht es immer für alle sehr fassbar.
({10})
Jetzt sind wir auf dem Weg, diese abzubauen. Das haben
Sie selbst gehört. Wir haben getilgt. Wir haben die
UMTS-Lizenzen gut verkauft und haben bei der Verteilung der Erlöse den richtigen Weg eingeschlagen.
Wir haben die Lohnnebenkosten gesenkt, indem wir
die Ökosteuer eingeführt haben. Ökosteuer ist für Sie ein
Reizthema.
({11})
Man hat immer den Eindruck, dass Ihre Stammwähler die
gesamten Tankrechnungen gesammelt haben, weil sie gehofft haben, dass sie am Wahltag die gesamte Ökosteuer
zurückbekommen.
({12})
Den Eindruck hatte man immer, wenn man Sie so in den
letzten Monaten hier hat reden hören. Das wird leider
nicht passieren. Das ist sehr schade für die Leute, aber ich
denke, inzwischen hat auch jeder verstanden, dass es eine
gute Maßnahme war und sie auch weiter durchgeführt
wird.
({13})
Ich denke, dass es vielleicht irgendwann eine europäische
Lösung geben wird. Dann sind wir alle am Ziel.
({14})
Wir haben den Einstieg hin zur steuerlichen Entlastung
für Arbeitnehmer in mehreren Stufen erfolgreich geschafft. Das wird noch fortgeführt. Wir werden sowohl den
Eingangs- wie auch den Spitzensteuersatz weiter senken.
Wir haben die neue Entfernungspauschale eingeführt und
wir schaffen mehr Steuergerechtigkeit: 70 Abschreibungsmöglichkeiten wurden gestrichen, Steuerschlupflöcher
wurden gestopft. Das neue Stiftungsrecht wurde eingeführt und der Umsatzsteuerbetrug wird wirksam bekämpft.
Des Weiteren haben wir ein modernes Unternehmensteuerrecht für mehr Investitionen geschaffen. Auch das
wird in diesem Jahr richtig greifen. Außerdem haben wir
- was uns auch sehr wichtig war - den Ausstieg aus der
Atomenergie eingeleitet und werden ihn fortführen.
({15})
Ich denke, die Bevölkerung steht voll dahinter. Eine andere
Politik wird es in dem Bereich gar nicht geben müssen.
({16})
Parallel dazu haben wir eine neue sichere und umweltfreundliche Energieversorgung aufgebaut. Wir haben im
Bereich der alternativen Energien sehr viel Neues angeregt und werden auf diese Weise irgendwann auch die
Atomenergie überflüssig machen.
({17})
- Nein, das ist einfach nur das, was wir versprochen und
eingehalten haben. Dies wurde vorhin einmal gefordert
und ich erfülle diese Forderung jetzt.
({18})
- Doch! Ich finde, das hat sehr viel mit dem Thema zu tun.
Ich habe vorhin erzählt, dass wir ein Konzept hatten und
dieses auch umgesetzt haben; ganz im Gegensatz zu Ihnen.
Teil dieses Konzepts war auch, dass wir in den Bereich
Bildung und Forschung sehr viel hineingesteckt haben.
Ich denke, auch hier sind wir auf einem guten und sinnvollen Weg. Wir haben das BAföG reformiert.
({19})
Wir haben die Alterssicherung mit der kapitalgedeckten
Riesterrente auf den richtigen Weg gebracht. Wir machen
außerdem eine konsequente Sozialpolitik. Reformen sowohl des Behindertenrechts als auch des Heimgesetzes und
der Künstlerversorgungsversicherung haben wir eingeleitet.
({20})
Mein Problem ist jetzt, dass wir 36 Punkte haben und
ich erst bei Punkt 21 bin.
({21})
Nein, nein, die Redezeit ist jetzt zu Ende, Frau Kollegin.
({0})
Ich werde es jetzt abkürzen. - Ich wollte damit nur deutlich machen, dass wir ein
Konzept hatten und es umgesetzt haben. Wir haben etwas
versprochen und es gehalten.
({0})
Es gibt überhaupt keinen Grund, diese Regierung in irgendeiner Form zu ersetzen. Es gibt nichts, was man in
dieser Form besser machen könnte, als wir es getan haben.
({1})
Wir werden auf diesem Weg weitermachen.
Ich bedanke mich.
({2})
Die Aktuelle Stunde
ist jetzt aber beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf:
5. a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der
Juristenausbildung
- Drucksache 14/7176 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes und der Bundesrechtsanwaltsordnung
- Drucksache 14/7463 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
c) Beratung des Berichts des Rechtsausschusses
({2}) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem von den Abgeordneten Dr. Edzard
Schmidt-Jortzig, Rainer Funke, Jörg van Essen,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform
der Juristenausbildung ({3})
- Drucksachen 14/2666, 14/8038 ({4})
Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Stünker
Hans-Christian Ströbele
Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kollege Joachim Stünker für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Am 30. Juni 2000 haben wir
in diesem Hohen Hause den Gesetzentwurf der FDP zur
Reform der Juristenausbildung beraten. Ich habe in der
damaligen Debatte den Reformanstoß begrüßt, den Entwurf inhaltlich jedoch zurückgewiesen. Dieser Ansatz hat
sich auch bis heute nicht verändert.
Im Entwurf der FDP fehlt die zukünftige inhaltliche
Gestaltung des Universitätsstudiums für Juristinnen und
Juristen völlig und er sieht eine Abkehr von der Ausbildung zum Einheitsjuristen vor. Beides ist nicht akzeptabel. Das hat sich auch in der fast zweijährigen Diskussion
durch die Fachöffentlichkeit sehr deutlich gezeigt. Ich
denke, dass dieser Entwurf in diesem Hohen Hause nicht
weiter verfolgt werden wird.
({0})
Ich habe damals aber auch gesagt, dass die SPD-Fraktion die Bemühungen der Justizministerkonferenz, zu einer
endgültigen Einigung der Länder zur Reform der Juristenausbildung zu kommen, unterstützen und auch abwarten
wollte. Ich habe hinzugefügt, dass auf der Grundlage einer solchen Einigung ein zwischen Bund und Ländern abgestimmter Gesetzgebungsprozess erfolgen solle. Dies
gilt auch heute noch. Ich denke, wir sind mit den heute in
erster Lesung vorliegenden Entwürfen des Bundesrates
und der Regierungskoalition zur Reform der Juristenausbildung endlich genau auf diesem von mir seinerzeit beschriebenen Weg angekommen. Die Entwürfe sind in den
wesentlichen Teilen kompatibel. Ich denke, wir werden
die noch bestehenden Differenzen im Verlauf des jetzt beginnenden Gesetzgebungsverfahrens mit beiderseitigem
guten Willen - wir sind ja alle ins Gelingen verliebt - ausräumen können.
Ich denke, wir haben jetzt, nachdem wir, die wir alle
Juristen sind, jahrzehntelang über Reformen der Juristenausbildung diskutiert und das geltende Recht am eigenen
Leibe durchlitten und erfahren haben, die historische
Chance, etwas Neues auf den Weg zu bringen. Diese sollten wir in diesem Hohen Hause gemeinsam ergreifen. Wir
alle sind uns einig: Die Juristenausbildung muss reformiert werden. Auch in der Zielbestimmung sind wir uns
dahin gehend einig, dass die Ausbildung zum allseits einarbeitungsfähigen Juristen, der über juristische Urteilskraft und soziale Kompetenz verfügt, im Vordergrund stehen muss.
In sechseinhalb Minuten Redezeit kann ich unmöglich
das ganze Spektrum dieser beiden Entwürfe vorstellen. Ich
möchte mich daher kurz auf neun wesentliche Eckpunkte
beschränken. In diesem Rahmen wird die Diskussion in
den nächsten Wochen und Monaten auch verlaufen.
Punkt eins betrifft das Studium und den Vorbereitungsdienst. Wir halten an der Zweiteilung der juristischen
Ausbildung in Studium und berufspraktischen Vorbereitungsdienst fest. Die universitäre Ausbildung qualifiziert
noch nicht für die Ausübung der reglementierten juristischen Berufe. Die praktische Ausbildung muss noch hinzukommen.
Der zweite Punkt - dies ist wichtig - betrifft die Stärkung der internationalen Orientierung. Wir müssen die
internationale Orientierung bereits im Studium verstärken
und die Kompatibilität der deutschen Juristenausbildung
mit anderen europäischen Ausbildungsgängen verbessern. Deshalb sollten fremdsprachliche Pflichtveranstaltungen in den Katalog der zu lehrenden Fächer an den
Universitäten aufgenommen werden. Möglich sind entweder fremdsprachliche rechtswissenschaftliche Veranstaltungen oder aber auch fachbezogene Sprachkurse.
Auch Auslandssemester und die Anrechnung von im Ausland erbrachten Studienleistungen bei der Zulassung zur
ersten Prüfung sind zukünftig zu ermöglichen.
Das Dritte ist: Wir müssen die anwaltsorientierte
Ausbildung der Juristen verstärken. Das zieht sich durch
beide Entwürfe wie ein roter Faden. Dies muss bereits an
der Universität erfolgen; es muss aber hinterher auch noch
im Vorbereitungsdienst erfolgen.
Der vierte wichtige Punkt ist die Frage der sozialen
Kompetenz. Ich denke, auch hier sind wir uns alle darüber einig, dass für die erfolgreiche Arbeit in juristischen
Berufen nicht nur die Ergebnisse der Staatsexamina, sondern in zunehmendem Maße auch nicht juristische Fähigkeiten von Bedeutung sind. Gefordert sind interdisziplinäre
Schlüsselqualifikationen wie Verhandlungsmanagement,
Gesprächsführung, Rhetorik, Streitschlichtung, Mediation, Vernehmungslehre, Kommunikationsfähigkeit und
Teamfähigkeit. Auch dies sollte bereits an den Universitäten gelehrt werden.
Für das Berufsbild der Richterinnen und Richter,
denen nach Art. 92 des Grundgesetzes die rechtsprechende Gewalt als sehr verantwortungsvolle Aufgabe
übertragen ist, brauchen wir eine soziale Kompetenz, die
über das von mir eben Genannte noch hinausgeht. Wir
streiten im Augenblick noch darüber, was der richtige
Weg dorthin ist. Lassen Sie uns auch hier den gemeinsamen Weg zu dem als richtig erkannten Ziel finden.
Das Fünfte ist die Übertragung der Wahlfachprüfungen zum ersten Staatsexamen zukünftig auf die Universitäten. Durch die Übertragung dieser Prüfungskompetenz können die Universitäten in erheblich weiterem
Umfang als bisher inhaltliche Schwerpunkte setzen, in einen Qualitätswettbewerb unter den Fakultäten eintreten
und den jungen Juristen die Möglichkeit eröffnen, ein
ihren Neigungen entsprechendes Studium mit einem bestimmten Schwerpunkt zu wählen. Darüber, wie dieser
Anteil ausgestaltet werden soll, werden wir uns sicherlich
verständigen können.
Das Sechste ist: Ich hatte von der Verstärkung der anwaltlichen Ausbildung gesprochen, insbesondere im Vorbereitungsdienst, dem Referendariat. Auch hier sind wir
uns einig, dass die Ausbildungsdauer beim Rechtsanwalt
zwingend verändert werden soll und auch verändert werden muss. Dazu, wie nun diese Ausbildungszeit tatsächlich bemessen sein soll, werden wir eine gemeinsame Lösung finden können.
Daraus folgt natürlich siebtens, dass zukünftig die Anwaltschaft stärker an der Ausbildung sowohl inhaltlich als
auch verfahrensmäßig und mit mehr Manpower beteiligt
sein muss, als das heute oft der Fall ist.
({1})
Achtens: Durch diese Konzeption gewährleisten wir
auch für die Zukunft die Durchlässigkeit zwischen den
einzelnen Sparten. Durch die Beibehaltung der Ausbildung zum Einheitsjuristen ist diese wünschenswerte
Durchlässigkeit gesichert.
Ich möchte aber neuntens hinzufügen - das ist für die
Koalitionsfraktionen ein ganz wesentliches Essential,
das uns ein wenig von dem Bundesratsentwurf unterscheidet -: Es darf im Ergebnis keine zweigeteilte Ausbildung und vor allen Dingen keine unterschiedlichen
Zugangsvoraussetzungen in einem der reglementierten
juristischen Berufe geben. Das ist für uns ein ganz
wichtiger Punkt, den wir, wie ich meine, sehr gründlich
erörtern müssen. Daran werden wir im Ergebnis festhalten.
Im Ergebnis dieses Schnelldurchlaufs - ich habe es in
der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung stand, fast geschafft - mag vielleicht der eine oder andere sagen: Das
sind doch alles kleine Schritte. Wo ist die große Reform?
Aber alle, die vom Fach sind und sich mit der Materie auskennen, werden dem zustimmen, was einer der Professoren, die uns positiv begleiten, geschrieben hat - das Zitat
ist also nicht von mir -: Diese kleinen Schritte können in
der praktischen Umsetzung jedoch revolutionäre Wirkung
haben, sofern die Länder, die Fakultäten und die Studierenden die dadurch neu gewonnenen Handlungsspielräume nutzen.
Ich kann uns alle nur auffordern: Packen wir diese
Chance beim Schopfe! Machen wir eine gemeinsame
Regelung! Dann mögen die, die ausgebildet werden, diese
Chance, die in eine gute Zukunft führt, auch nutzen.
Schönen Dank.
({2})
Ich gebe
dem Kollegen Dr. Norbert Röttgen das Wort. Er spricht
für die Fraktion der CDU/CSU.
Herr Präsident!
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Befund bei dem Thema Juristenausbildung
ist Konsens: Das Studium der Juristen und die berufliche
Wirklichkeit passen schon seit langem nicht mehr zusammen. Es sind nicht nur organisatorische Mängel, nicht nur
die zu lange Dauer der Ausbildung, sondern die gravierendsten Mängel liegen in den Inhalten des Studiums. DaJoachim Stünker
rum muss auch die Reformdebatte im Wesentlichen um
Inhalte gehen.
Wir behandeln heute in erster Lesung zwei Gesetzentwürfe, einen Gesetzentwurf des Bundesrats und einen der
Bundesregierung.
({0})
- Ja, der Koalitionsfraktionen. Das ist in Ordnung.
Beide Entwürfe sind kein großer Wurf, Herr Stünker.
({1})
Es wird heute weder eine historische Stunde in der Reform der Juristenausbildung eingeläutet - ({2})
- Das Thema mag Sie so empören, dass Sie nicht zuhören
können, aber ich schlage trotzdem vor, dass wir uns darüber unterhalten. Das müsste eigentlich möglich sein.
({3})
Jetzt haben
wir uns gerade auf eine ruhige Debatte eingestellt, aber es
wird doch noch lebhaft. - Bitte sehr.
({0})
Dabei habe ich
noch gar nicht mit den Provokationen begonnen, und
schon sind Sie unruhig. Das stimmt mich nachdenklich.
Es ist kein großer Wurf dabei, verehrte Kolleginnen
und Kollegen von der SPD-Fraktion. Es ist keine historische Stunde und es werden durch diesen Gesetzentwurf,
den Ihre Koalition vorgelegt hat, auch keine Revolutionen
eingeleitet, meine Damen und Herren.
({0})
Allerdings gibt es einen gravierenden Unterschied zwischen dem Entwurf des Bundesrates und dem von der Koalition vorgelegten Entwurf. Ich habe mit Freude festgestellt, Herr Stünker, dass ein Bemühen Ihrer Rede
offensichtlich war, Ihren Gesetzentwurf mehr oder weniger schon mit der Einbringung abzuräumen,
({1})
indem Sie gesagt haben, wir kämen schon auf eine Linie.
Denn es gibt einen Unterschied zwischen den beiden Entwürfen. Das wissen Sie genau und das wissen auch die
Vertreter des Bundesrates.
Mit dem Entwurf der Koalition würde keines der festgestellten, unbestrittenen Probleme gelöst, aber es würden neue Probleme geschaffen.
({2})
Das wäre die Konsequenz des Entwurfs der Koalition,
({3})
während der Entwurf des Bundesrates in die richtige
Richtung geht, aber auch entscheidende Mängel aufweist,
weil darin nichts über die Inhalte enthalten ist.
Ich möchte begründen, warum Sie neue Probleme
schaffen. Ein wesentlicher Grund für neue Probleme, die
Sie schaffen werden, ist, dass Sie vorsehen, dass die universitäre Wahlfachprüfung zu 50 Prozent ins Examen
einfließen soll. Die Universitäten aller Länder bzw. die juristischen Fakultäten - auch der nordrhein-westfälische
Justizminister wird Ihnen sicherlich diese Mitteilung machen können, wenn er an dieser Stelle dazu bereit ist - teilen Ihnen unisono mit
({4})
- das ist übrigens wieder ein Beispiel Ihrer bewährten Praxisferne in der Rechtspolitik -,
({5})
dass die Universitäten nicht die personellen und die finanziellen Ressourcen haben, um dies umzusetzen. Das
teilen sie Ihnen mit. Nehmen Sie das doch zur Kenntnis!
Wenn Sie dennoch 50 Prozent der Wahlfachprüfung in das
Examen einfließen lassen wollen,
({6})
dann heißt das, dass Sie eine Lösung nur auf dem Papier
vorschlagen. Denn diese Lösung kann nicht ausgestaltet
werden, weil die dafür erforderlichen Ressourcen fehlen.
({7})
Es ist sozusagen ein Programm, von dem Sie wissen, dass
es nicht umgesetzt werden kann.
({8})
Es fehlt auch übrigens jegliche inhaltliche Konzeption.
({9})
Sie haben ausgeführt, dass eine Wahlfachprüfung zu 50 Prozent einfließen soll. Die Wahlfachprüfung ist definiert; das
Wahlfach ist ein ergänzender Teil des Studiums. Die Ergänzung kann doch nicht 50 Prozent des Examens ausmachen. Das passt nicht zusammen.
Sie sehen als Mindestanforderung eine schriftliche
Prüfung vor.
({10})
Das kann nicht die Hälfte des Examens sein.
({11})
Was Sie mit diesem Vorschlag bewirken, ist eine Kombination von Nachteilen, die im Grunde in die sozialdemokratische Bildungspolitik - ich nehme das gerne auf - hineinpasst. Sie nehmen einerseits dem Examen mit diesem
50-Prozent-Vorschlag die Vergleichbarkeit und damit einen Vorteil des Einheitsexamens,
({12})
ohne andererseits den Universitäten wirklichen Gestaltungsspielraum einzuräumen. Das, was Sie vorschlagen,
ist eine Kombination von Nachteilen.
Auch der zweite Vorschlag, den Sie machen, ist völlig
abstrus und unverständlich. Alle stimmen in der Forderung überein, dass wir mehr Flexibilität und Eigengestaltung, auch des Studenten und des Referendars, brauchen.
({13})
Sie aber schlagen vor, 21 Monate eines 24 Monate dauernden Referendariats in Pflichtstationen zu leisten. Sie
wollen 21 von 24 Monaten dem Referendar vorschreiben.
Er soll nicht gestalten und im Hinblick auf seine spätere
Berufswahl eigene Entscheidungen treffen und sich eigenverantworlich qualifizieren, sondern Sie wissen staatlicherseits immer, was für den Einzelnen am besten ist.
({14})
Das ist Ihre Grundphilosophie, die bis in solche Gesetze
hinein zum Ausdruck kommt. Mit Flexibilität und Individualität haben Sie schlichtweg nichts am Hut.
({15})
Der Bundesrat hat viel pragmatischere Vorschläge gemacht. Sein Entwurf hat Mängel - ich komme noch darauf zu sprechen -, enthält aber vernünftige Schritte. Ein
Anteil des Wahlfachs von 25 Prozent an der Prüfung ist
ein vernünftiger Vorschlag.
({16})
Die Universitäten sagen, dass sie das gerade so schaffen
können, und diesen Spielraum sollten wir Ihnen auch einräumen.
Der Bundesrat schlägt in seinem Gesetzentwurf vor
- das ist vernünftig -, das Referendariat in einen Pflichtteil und in einen Wahlfachteil einzuteilen. Dem Referendar wird also die Chance gegeben, im Hinblick auf die Berufswahl selber zu entscheiden. Es ist eine vernünftige
Lösung, das Referendariat je zur Hälfte in eine vorgeschriebene juristische Grundausbildung und in die Fächer,
die der Eigenentscheidung des Referendars obliegen, einzuteilen.
Ich gebe hinsichtlich der Gestaltung des Referendariats
zu bedenken, Herr Minister Dieckmann, ob es richtig ist,
die Voraussetzungen für die Zulassung als Rechtsanwalt so festzulegen, wie es im Gesetzentwurf des Bundesrats vorgesehen ist. Danach soll derjenige, der sich um die
Zulassung als Rechtsanwalt bewirbt, im Regelfall nachweisen, dass er während seines Referendariats zwölf Monate als Rechtsanwalt ausgebildet worden ist. Was bedeutet das? Das bedeutet, für die Zulassung als Rechtsanwalt
gibt es strengere Hürden als für die Einstellung als
Richter. Das bedeutet weiterhin, dass derjenige, der
Rechtsanwalt wird, neben der neunmonatigen Grundausbildung zwölf Monate bei einem Anwalt arbeiten muss,
dass er also 21 Monate von 24 Monaten im Grunde genommen nicht über den Tellerrand der Rechtspflegeberufe hinausschaut.
Ich sage als Rechtsanwalt: Es würde auch den Rechtsanwälten nicht schaden, wenn sie das Referendariat nutzen würden, um einmal etwas anderes als Rechtspflege,
als die Arbeit der Gerichte und der Rechtsanwälte, kennen
zu lernen.
({17})
Warum muss man den angehenden Anwälten eigentlich
ihren Blick auf ihre spätere berufliche Tätigkeit so verengen? Sollten sie nicht auch einmal ein bisschen ihren Horizont erweitern? Täte es nicht auch den Anwälten gut,
nicht so festgelegt zu sein?
({18})
Mein Referendariat liegt vielleicht noch nicht so weit
zurück wie das von anderen.
({19})
Deshalb sage ich Ihnen: Die Ausbildung in einem Anwaltsbüro gilt nicht als die intensivste und qualifizierteste.
({20})
Nirgendwo gibt es so erhebliche Qualitätsunterschiede
wie bei dieser Ausbildungsstation. Ich wage zu bezweifeln, dass es richtig ist, den Ausbildungsschwerpunkt gerade hier zu setzen. Ich als Anwalt sage Ihnen, was eigentlich hinter dieser Schwerpunktsetzung steckt: Der
junge Anwalt braucht drei bis fünf Jahre, um in seiner
Kanzlei voll einsatzfähig zu sein. Ihr Vorschlag bedeutet
im Grunde, dass den etablierten Anwälten ein Jahr Ausbildungskosten erspart werden. Die Entscheidung, die Sie
getroffen haben, ist also sehr berufspolitisch. Es ist nach
meiner Einschätzung keine Entscheidung für eine qualifiziertere Ausbildung der angehenden Anwälte. Vielmehr
begünstigt ihre Entscheidung die schon etablierten Anwälte, die junge Anwälte ausbilden; denn denen wird, wie
gesagt, staatlicherseits ein Ausbildungsjahr finanziert.
Das trägt nicht zu mehr Qualität in der Anwaltsausbildung
bei. Darum bitte ich, noch einmal über diesen Punkt zu
diskutieren.
({21})
- Ich komme jetzt zu den Punkten, über die nach unserer
Auffassung geredet werden muss. Wir waren uns ja in der
letzten Sitzung des Rechtsausschusses einig, dass die
Sachverständigenanhörung sehr konstruktiv und sachlich
war. Wir bitten darum, dass die Rechtspolitiker den Dialog mit denjenigen, die in der Ausbildung und in der Praxis tätig sind, fortsetzen.
({22})
- Ich komme zu den Themen, über die offen geredet werden muss.
Erstens. Wir müssen - das ist das Wichtigste - über Inhalte reden.
({23})
In den vorliegenden Gesetzentwürfen geht es nicht um Inhalte. Aber wir brauchen eine Modernisierung der Inhalte der juristischen Ausbildung. Das Ladenburger Manifest gibt hierfür wesentliche Orientierungshilfe.
({24})
- Ich werde es noch konkretisieren. Selbst bei einem solchen Thema muss man doch zuhören können!
Es ist nicht sinnvoll, dass jeder seine Wünsche im Hinblick auf das, was noch zusätzlich gelernt und gelehrt werden soll, äußert. Das brauchen wir nicht. Wir brauchen in
erster Linie - das wäre modern - eine Konzentration der
Inhalte. Wir können nicht immer nur draufpacken. Wir
müssen angesichts der Tatsache, dass es dauernd neue Anforderungen gibt, festlegen, was verzichtbar ist. Deshalb
bin ich der Auffassung, dass Methodik wichtiger ist als
Pauken. Die methodische Grundschulung der jungen Juristen kommt in der bisherigen Ausbildung zu kurz.
({25})
Wir müssen, wie gesagt, entscheiden, was verzichtbar
ist. Denn es kommt ja Neues hinzu: Internationalität ist
eine unverzichtbare Anforderung.
({26})
Wenn das hinzukommt, muss etwas anderes zurücktreten.
Auch im Hinblick auf die spätere berufliche Tätigkeit
plädieren wir dafür, dass das Wirtschaftsrecht einen
höheren Stellenwert in der Ausbildung bekommt. Nationales, europäisches und internationales Wirtschaftsrecht,
Steuerrecht, das sind Ausbildungsinhalte, die in der späteren beruflichen Tätigkeit insbesondere derjenigen, die
Anwalt werden - das gilt aber auch für andere -, von einer hohen Bedeutung sind, die aber im Studium heute keinen entsprechenden Platz haben. Das ist etwas, was im
Studium unbedingt einen höheren Stellenwert haben muss
als etablierte Fächer wie etwa - ich sage es hier als Provokation - das Strafrecht, das in der anwaltlichen Praxis
bei den meisten gar keine Rolle spielt.
({27})
Anderes, was erforderlich ist, muss gelernt werden.
Ich komme zum Schluss. - Wir brauchen Maßnahmen
gegen das Massenstudium. Es macht doch keinen Sinn,
die Leute zehn Jahre lang auszubilden und mitzuschleppen, wenn am Ende doch nichts daraus wird. Wir brauchen also effektive Zwischenprüfungen. Es gilt, die
Leute möglichst frühzeitig, nicht nach zehn Jahren, sondern vielleicht nach einem Jahr oder nach zwei Jahren, darauf hinzuweisen, dass das der falsche Weg ist; denn dann
haben junge Leute noch die Chance, sich zu verändern.
({28})
Mit Ausnahme der Rechtspflegeberufe treten wir für ein
berufsqualifizierendes erstes Examen ein; denn das ist
ein Weg dahin. Wir müssen die Leute nicht in das Referendariat zwingen. Viele wollen keinen Rechtspflegeberuf
ausüben; dann brauchen sie auch kein Referendariat.
({29})
Wir plädieren also für ein berufsqualifizierendes erstes
Examen.
Mein letzter Satz: Wir bitten darum, dass der Entwurf
des Bundesrates Grundlage unserer Beratungen wird
- das ist ein pragmatischer Entwurf -; über die Inhalte des
Studiums muss aber noch dringend geredet werden und
dann können wir zu einer guten Lösung kommen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({30})
Für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht der Kollege Christian Ströbele.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich dachte, das sei ein richtiges Konsensthema, bei
dem wir uns ganz gemütlich über den Einheitsjuristen unterhalten,
({0})
und dann so etwas, Herr Kollege Röttgen!
({1})
Das haben Sie doch gar nicht nötig!
Bei mir sind die juristische Ausbildung und das Referendariat schon ein bisschen länger her, aber ich weiß,
dass seit Generationen, eigentlich von Anfang an, seit einigen hundert Jahren, Kritik an der Juristenausbildung
nicht nur vorhanden, sondern auch berechtigt ist. Wenn
ich mich an das erinnere, was ich in der Universität gelernt habe und wo ich das juristische Handwerk eigentlich
gelernt habe,
({2})
dann muss ich sagen: Die Universität hätte ich mir weitgehend sparen können.
({3})
Da gibt es wesentliche Fehler und es gibt sie bis heute.
Warum, Herr Kollege Röttgen, ist es noch heute so,
dass 80 Prozent bis 90 Prozent derjenigen, die nachher Juristen sind, ihre Ausbildung nicht an der Universität, sondern bei einem selbst finanzierten Repetitorium erhalten?
Das muss einem doch zu denken geben! Da muss doch irgendetwas faul sein im Staate Dänemark oder in der Juristenausbildung.
Heute sagen viele Juristen - ich gehöre auch dazu -:
Meine eigentliche Ausbildung habe ich nicht an der Universität, nicht einmal auf den Stationen des Referendariats, sondern dann erhalten, als ich nebenher gegen geringe oder ohne Bezahlung beim Anwalt gearbeitet habe,
wo man direkt ins volle Leben hineingeworfen wurde,
({4})
sich beim Amtsgericht bewähren musste, Rechtsprobleme
lösen musste, aber zügig, und zu Ergebnissen kommen
musste. Ich habe das da gelernt
({5})
und so geht es vielen, mit denen ich rede.
Unter Berücksichtigung all dieser Erfahrungen haben
wir uns darangemacht, einen Entwurf zu erarbeiten und
die Juristenausbildung neu zu regeln. Von daher sind viele
Einzelheiten, die Sie kritisiert haben, zu erklären.
Wenn man in den Wahlfächern, die man an der Universität macht, auch an der Universität geprüft wird, dann
ist es in Zukunft vielleicht anders als heute. Im Staatsexamen werden in der Regel ja ganz andere Sachen geprüft, als in der Universität gelehrt werden oder als man
jedenfalls an der Universität richtig lernen kann. In Zukunft sollen die Examina, die man an der Universität
macht, nicht mehr ein privat finanziertes Repetitorium
voraussetzen. Um dem den Boden zu entziehen, ist es
richtig und wichtig, Wahlfächer zu haben; denn - damit
komme ich zu dem, was Sie vorhin kritisiert haben - in
den Wahlfächern kann man die Schwerpunkte für die spätere Berufsausübung zu setzen versuchen. Darüber, ob das
zu einem so frühen Zeitpunkt immer schon richtig ist,
kann man sicher diskutieren. Aber jedenfalls können die
Studenten es dann machen. Dann werden sie an der Universität geprüft und damit haben sie die Hälfte ihres Examens hinter sich, was voll eingesetzt und bewertet wird.
Eines haben Sie vergessen: Gerade bei den Inhalten sagen wir heute - da haben sie völlig Recht -, dass europäisches Recht, internationales Recht, Recht in Frankreich, in England und vor allen Dingen in den USA eine
wichtige Rolle spielen müssen. Genauso wichtig muss
aber sein, dass man sich überhaupt in diesen Sprachen
unterhalten kann. Dazu sagen wir, in Zukunft soll sich ein
Teil der Wahlfächer, die auch anerkannt werden, die auch
in der Universität geprüft werden, auf diesen Bereich beziehen: also Sprachausbildung, eine Ausbildung in anderen Rechtssystemen. Das kann natürlich immer nur ein
Teilbereich sein und es kann nur ein Einblick sein, aber
diese Ausbildung soll so hoch gewertet werden, dass sie
ein Teil der Prüfung ist. Sie soll anerkannt werden und damit auch einen Ansporn für die Studentinnen und Studenten bilden, sich in diesen Bereichen zu tummeln und zu
lernen, weil sie wissen, es wird im Examen auch geprüft.
Die andere Hälfte soll eben die gesamtdeutsche Gerechtigkeit herstellen und sicherstellen, dass die Examina
gleichwertig sind, weil das Staatsexamen bleiben soll und
damit vermieden werden kann, dass man nachher etwa für
den Vorbereitungsdienst und für den Referendardienst,
wie das die FDP ja will, Examen einrichtet, um da überhaupt aufgenommen zu werden. Das kann nicht richtig
sein und das soll nicht richtig sein. Es fehlt auch völlig
eine Erklärung dafür, wer denn nachher den Referendardienst in Ihrer Variante bezahlen soll. Sollen das die Referendare selber sein, sollen das die Anwälte sein, bei denen
die Referendare Ihrem Vorschlag und Ihrer Überzeugung
nach tätig sind? Das führt zu Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten. Es führt dazu, dass wir im juristischen Beruf
eine Auswahl derjenigen bekommen, die sich mindestens
den zweiten Teil leisten können, und derjenigen, die ihn
sich nicht leisten können. Das darf nicht sein und das wollen wir nicht.
({6})
Wir sagen, die Anwaltstation ist wichtig. Wir wollen
eine Anwaltstation von mindestens einem Jahr haben, weil
wir wissen, dass in diesem Bereich die Ausbildung des
Einheitsjuristen am besten möglich ist, der dann sowohl im
Richterberuf als auch im Anwaltberuf, aber auch in der
Wirtschaft als auch bei den Verbänden tätig werden kann.
Wenn man nur beim Strafrichter sitzt, bekommt man sicher die strafrichterliche Ausbildung, aber wenn man beim
Anwalt ist, bekommt man in der Regel die breiteste Ausbildung. Deswegen legen wir so großen Wert darauf.
Letztendlich - das ist auch ein wesentlicher Fortschritt
dieser Reform - sagen wir: Wer nachher Richter oder
Richterin werden soll, soll vorher eine praktische Berufserfahrung haben. Wir wollen nicht, dass die Leute, aus
dem Studium, aus der Referendarzeit kommend, direkt
und ohne Lebenserfahrung in einem juristischem Beruf,
ohne in der voll verantwortlichen Ausübung eines juristischen Berufes zu stehen, über Sachverhalte und über
Menschen richten. Vielmehr sollen sie möglichst einige
Jahre vorher einen anderen juristischen Beruf ausgeübt
haben, um dann die nötige Lebenserfahrung zu haben, die
für eine gerechte Ausübung des richterlichen Berufes
erforderlich ist.
Ich glaube, hier sind wichtige und richtige Ansätze.
Wir haben gestern bei der Justizministerin noch eine
ganze Reihe von zusätzlichen, sehr praktischen Hinweisen bekommen. Ich schließe mich dem an. Der Jurist,
auch der Rechtsanwalt, soll nicht nur rechtsberaten, sonder auch Recht gestalten. So habe ich auch immer meine
Berufsausübung aufgefasst. Lassen Sie uns auf dem Weg
weitermachen.
({7})
Berücksichtigen wir dabei durchaus auch das, was im
Entwurf des Bundesrates steht. Da haben wir uns ja sehr
stark angenähert. Berücksichtigen wir aber auch, was in
der Anhörung gesagt worden ist. Dann können wir endlich einen wesentlichen Schritt weiterkommen, damit die
Juristenausbildung in Zukunft den Juristen und die Juristin wirklich für den Beruf ausbildet, den sie nachher ausüben sollen.
({8})
Vielen Dank.
({9})
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Professor Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir heute verbindlich über eine Reform der Juristenausbildung beraten,
ist eigentlich schon für sich genommen ein Ereignis.
({0})
Darauf ist bereits verschiedentlich hingewiesen worden.
Ich will aber, bevor Sie zu heftig klatschen - das muss ja
für einen Oppositionellen immer verdächtig sein - darauf
hinweisen, dass die holde Regierung bzw. Koalition ja
richtiggehend zur Jagd getragen werden musste.
({1})
Wenn die FDP nicht bereits vor zwei Jahren ihren Entwurf
vorgelegt und „Feuer unterm Frack“ entfacht hätte, wären
wir wahrscheinlich heute noch nicht so weit, darüber verbindlich zu diskutieren.
({2})
- Sie, Herr Kollege Stünker, haben das freundlicherweise
auch gewürdigt.
({3})
Was nun die Koalition als Entwurf vorlegt und der
Bundesrat auf den Weg bringt, ist leider immer noch nicht
der große Wurf. Reform scheint wieder einmal nur als
Faktum des Veränderns als solcher und nicht als inhaltliche, sachbezogene Optimierung verstanden zu werden.
Um es auf einen kurzen Nenner zu bringen: Die bisher
übermäßige Justizlastigkeit wird nun gegen eine zu einseitige Anwaltslastigkeit ausgetauscht,
({4})
und die Not leidende Grundausbildung in Methodik, Kernfächern und Systembeherrschung bleibt weiterhin Stiefkind, ja, erfährt sogar Ausdünnung und Abstriche. Das
muss man deutlich sehen.
Jetzt will ich mich aber - das ist auch die eigentliche
Aufgabe des FDP-Redners - dem guten Entwurf, nämlich
dem FDP-Entwurf, widmen.
({5})
Der FDP-Entwurf will entgegen Ihrem Konzept an die
Wurzeln des Übels gehen. Sie haben manche Dinge beschrieben, aber Ihre Therapie ist völlig unzureichend.
Auch der FDP-Entwurf rückt der überkommenen Justizlastigkeit der Ausbildung zu Leibe, will aber die anderen
Hauptberufsfelder offen danebenstellen und zwischen ihnen qualifikatorische Ebenbürtigkeit sowie weitgehende
Durchlässigkeit sicherstellen.
Vor allem soll unter Beibehaltung der Zweistufigkeit
die erste Ausbildungsstufe, das Studium, qualitativ durchpariert werden: Verringerung der ausufernden Überblickskenntnisse in den Sondergebieten gegen Vertiefung und
Intensivierung der Einarbeit in den Grunddisziplinen, Systembeherrschung statt Detaildilettantismus, Substanzjurist statt PISA-Jurist.
Das heißt: Das erste Examen gehört - insofern gehe
ich, verehrte Kollegen aus der CDU, über das hinaus, was
die Koalition vorlegt - in die Universität.
({6})
Es muss danach ein verlässliches Ranking zustande gebracht werden, damit auch Konkurrenz stattfindet. Denn
das ist bei dem schwerfälligen Apparat der Universitäten
und der Fakultäten das einzige, was dort Bewegung
schafft. Das erste Examen soll bereits die volle Qualifikation als Jurist vermitteln.
Danach, lieber Kollege Ströbele, kommt in die zweite
Ausbildung, die dann nur noch eine Zusatzausbildung ist,
weil man bereits Volljurist ist, nicht mehr automatisch jeder graduierte junge Jurist, sondern nur derjenige, welcher
sich für einen der staatlich garantierten Rechtsberufe in
einem qualitativen Auswahlverfahren qualifiziert hat.
({7})
- In der Tat, das steht auch so in unserem Entwurf. Natürlich ist diese Zusatzausbildung staatlich finanziert. Sie
argumentieren da auf der alten Schiene, so nach dem
Motto: Ihr wollt das alles auf die privaten Portemonnaies
verschieben. - Das geht an der Sache völlig vorbei. Hier
sollen gleichberechtigt ein Justizvorbereitungsdienst, ein
Anwaltsvorbereitungsdienst und ein Verwaltungsvorbereitungsdienst eingerichtet werden, die jeweils mit einem
zweiten Examen - jetzt Staatsexamen - abschließen.
Es sei nach allem - man hat in der umfassenden Debatte nur ganz geringe Zeitbudgets, deswegen komme ich
schon zum Schluss - der Koalition noch einmal sehr geraten, weniger auf Modeaspekte - Stichwort: soziale
Kompetenz; keiner weiß, was das ist ({8})
- nein, Sie können es mit Sicherheit nicht definieren oder
tragen Dinge vor, die jedenfalls nichts mit Juristerei zu tun
haben - und auf Einsparungseffekte zu achten als auf
wirkliche substanzielle Verbesserungen.
Wir müssen unsere jungen Juristen in ihrer europäischen Konkurrenzfähigkeit stärken und eine hohe Qualität der deutschen Rechtsdienstleistung sichern. Das
ist unsere Verantwortung, nichts anderes.
Besten Dank.
({9})
Für die
Fraktion der PDS spricht die Kollegin Sabine Jünger.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Die Juristenausbildung in Deutschland steckt
seit Jahren in einer Sackgasse. Ich meine, dass Ihnen allen die Probleme bekannt sind. Meine Vorrednerinnen und
Vorredner haben darüber bereits gesprochen. Da meine
Redezeit nur halb so lang ist wie die des Kollegen
Stünker, möchte ich auf weitere Aufzählungen verzichten
und fasse kurz zusammen: Die Juristenausbildung ist an
vielen Punkten eine Zumutung für die einzelnen Studentinnen und Studenten sowie Referendarinnen und Referendare. Sie geht an den Anforderungen unserer Zeit und
an den Anforderungen des Justizwesens deutlich vorbei.
Es ist seit vielen Jahren klar, dass eigentlich nur eine
grundlegende Reform die Misere beseitigen kann. Deshalb finde ich es umso enttäuschender, dass Bundesrat
und Regierungskoalition, wie ich gelesen habe, nun Gesetzentwürfe vorlegen, die aus meiner Sicht bestenfalls
als lau bezeichnet werden können. Ich frage mich zum
Beispiel: Warum halten Sie bis zum zweiten Staatsexamen am Bild des Einheitsjuristen fest?
Die in den Gesetzentwürfen vorgesehene stärkere Ausrichtung der Ausbildung auf den Anwaltsberuf ist vielleicht sinnvoll, aber sie ist meines Erachtens in dieser
Form allein nicht mehr ausreichend. Eine flexiblere
Handhabung ist in den Zeiten ausdifferenzierter gesellschaftlicher Vorgänge nötig. Weshalb wollen wir gerade
im Bereich der Justiz auf Spezialisierungen verzichten?
Warum sollen sich Jurastudentinnen und -studenten nicht
auf ihre künftigen Aufgaben vorbereiten?
Kritisches Denken zu fördern und ein Bewusstsein für
gesellschaftliche Verantwortung zu entwickeln war bisher
nicht unbedingt Bestandteil der Lehre und wird es, wenn
es nach Ihren Gesetzentwürfen geht, leider auch zukünftig nicht sein.
Nun fordert die Koalition als Zugangsvoraussetzung
zum Richteramt Sozialkompetenz. Dagegen kann man
erst einmal gar nichts haben.
({0})
Da bin ich ganz anderer Meinung als der Kollege
Schmidt-Jortzig. Aber erwerben soll der Richternachwuchs diese Kompetenz durch eine zweijährige Berufserfahrung auf anderen juristischen Gebieten. Meine Damen
und Herren, Sozialkompetenz ist immer gut und wichtig;
das sage ich gern noch einmal. Allerdings - ich weiß, dass
der Kollege Stünker das manchmal auch sagt, hier natürlich nicht; deshalb sage ich es jetzt -: habe ich den Eindruck, dass es einen gegenteiligen Effekt haben könnte.
Welche fähige Juristin, welcher fähige Jurist wird nach
zwei Jahren Berufserfahrung, wenn er vielleicht gerade
den Einstieg in eine Kanzlei geschafft hat, die Aussicht
auf eine gut bezahlte Karriere aufgeben, um in den Staatsdienst in seinem heutigen Zustand zu wechseln? Ich weiß
nicht, ob das die beste Variante ist.
Immerhin - das muss man der SPD, dem Bündnis 90/
Die Grünen und auch dem Bundesrat zugute halten - haben Sie es vermieden, den Eindruck zu vermitteln - wie
es die FDP getan hat -, dass das Ganze ausschließlich der
Kostenreduzierung dienen soll. Warum allerdings wollen
Bund und Länder keinen Abschluss nach dem Vorbild des
Bachelor einführen? Ich meine, das wäre ein Vorschlag.
Seit Jahren schon ringen Vertreterinnen und Vertreter
der Hochschulen, der Berufsverbände sowie Justizministerinnen und Justizminister um eine Reform der Juristenausbildung. Mit den nun vorliegenden Gesetzentwürfen
werden große Ansprüche erhoben: die Studienzeit verkürzen, das Studium praxisgerechter machen und gleichzeitig Absolventen haben, die alles können. Das ist alles gut
und schön. Indem Regierung und Bundesrat allerdings
unhinterfragt am Einheitsjuristen festhalten und sich vor
einer wirklichen Überarbeitung und Straffung der Ausbildung drücken, vergeben sie die Chance, die Juristenausbildung in Deutschland zu modernisieren und an den
komplexen Erfordernissen der heutigen Gesellschaft zu
orientieren.
Danke schön.
({1})
Ich erteile
das Wort dem Justizminister von Nordrhein-Westfalen,
Jochen Dieckmann.
Jochen Dieckmann, Minister ({0}):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates ist eine Gemeinschaftsarbeit aller Länder. In einer Einigkeit, die wahrscheinlich selten geworden ist, ist es uns gelungen, einen
Gesetzentwurf zu präsentieren, der die Juristenausbildung
spürbar verbessert und es dank seiner hohen Flexibilität
möglich macht, diese Ausbildung rasch den sich weiter
wandelnden Erfordernissen im Rechtsleben und im Wirtschaftsleben anzupassen.
Er ist das Ergebnis einer langen und sehr intensiven
Diskussion, die bereits Gelegenheit gegeben hat, einiges
zu klären, Herr Röttgen. Da ist zum Beispiel das Bekenntnis zum Einheitsjuristen, da ist auch die klare Orientierung am anwaltlichen, am rechtsberatenden, am rechtsgestaltenden Tun. Ich glaube, in der Zielsetzung stimmen
alle Entwürfe überein: Wir wollen die Juristenausbildung
modernisieren. Der ganz große Wurf war nicht möglich;
aber wir tun einen großen Schritt nach vorne.
Nach dem Verständnis der Länder muss die Juristenausbildung beides können: Sie muss den jungen Juristinnen und Juristen eine solide Grundausbildung in allen
großen Rechtsgebieten bieten; sie muss ihnen aber auch
Einblicke in die vielfältigen beruflichen Tätigkeiten eröffnen, die für sie später offen stehen. Eine moderne Ausbildung verträgt deshalb kein starres Korsett; sie braucht
Freiräume und Entwicklungsmöglichkeiten. Diese werden ihnen mit dem Länderentwurf eingeräumt.
Wir verkennen dabei nicht, dass die weit überwiegende
Mehrheit der Absolventinnen und Absolventen den Anwaltsberuf ergreift. Daraus haben wir zwei Konsequenzen gezogen.
Erstens. Die Juristenausbildung hat sich auf allen Stufen der Ausbildung, das heißt vom ersten Tag des Studiums an, verstärkt am Anwaltsberuf zu orientieren. Das ist
so gewollt. Es wäre zu kurz gegriffen, dies als anwaltliche
Orientierung zu verstehen. Damit sind auch die Tätigkeit
des Notars und alle rechtsgestaltenden bzw. rechtsberatenden Tätigkeiten umfasst.
Zweitens. Gerade wegen der hohen Anwaltszahlen
müssen wir von Anfang an jedes Interesse fördern, einen
anderen juristischen Beruf als den des Anwalts zu ergreifen. Bei mehr als 110 000 zugelassenen Anwältinnen und
Anwälten wäre es das falsche Signal, auch noch alle Referendarinnen und Referendare zwangsweise zu Anwältinnen und Anwälten auszubilden. Wir halten es auch
nicht für zukunftsweisend, all diejenigen, die Richterinnen und Richter werden wollen, zu zwingen, für mindestens zwei Jahre im Anwaltsberuf tätig zu sein.
Damit ich nicht missverstanden werde: Wir alle sind
für die Stärkung der sozialen Kompetenz und haben davon auch eine klare Vorstellung. Hier ist nicht die Zeit, das
im Einzelnen darzulegen. Wir sind in der glücklichen
Lage, in großer Zahl Nachwuchskräfte einzustellen, die
bereits Berufserfahrung haben. Dies aber zwingend vorzuschreiben wirft viele Fragen auf, über die noch diskutiert werden muss. Es wird noch Gelegenheit geben, die
Gesetzentwürfe im Einzelnen zu diskutieren. Es wird
sicherlich möglich sein, dabei Verständigungen zu finden.
Die bislang geführte Diskussion ist dafür eine gute
Grundlage.
Ich möchte noch auf einen Punkt besonders eingehen.
Es handelt sich um die Frage, ob eine zwölfmonatige
Pflichtausbildung beim Anwalt für alle Referendarinnen und Referendare vorgesehen werden soll oder ob dies
nur gelten soll, wenn jemand zur Anwaltschaft zugelassen
werden will. Nach dem Länderentwurf muss jeder - aber
auch nur derjenige -, der zur Anwaltschaft zugelassen
werden will, mindestens zwölf Monate von einem Anwalt
ausgebildet worden sein. Diese Regelung verdient nach
unserer Auffassung den Vorzug.
Zum einen garantiert sie, dass jeder, der den anwaltlichen Beruf ergreifen will, mindestens ein Jahr lang von
einem Anwalt ausgebildet worden ist; zugleich sichert sie
das uns wichtige Höchstmaß an Flexibilität und Individualität. Wer von Anfang an entschlossen ist, eine andere
Berufstätigkeit zu ergreifen - sei es in der öffentlichen
Verwaltung oder in der Europäischen Union -, der kann
dies nach dem Länderentwurf - aber auch nur nach dem
Länderentwurf - in gleichem Maße wie jemand tun, der
sich für den Anwaltsberuf interessiert. Die intensive Vorbereitung auf andere juristische Berufe erfordert zwangsläufig einen hinreichenden Freiraum in der Gestaltung der
Ausbildung. Das wird nicht möglich sein, wenn ein
ganzes Jahr beim Anwalt absolviert werden muss.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nur kurz erwähnen, dass in dem Länderentwurf die Belastungen für
die Anwaltschaft, die mit dieser Ausbildung verbunden
sind, möglichst gering gehalten werden. Sie lässt - das ist
für die weitere Debatte ein wichtiger Punkt - auch ausreichenden Spielraum für die in Zukunft noch zu treffenden
Länderregelungen. Ich glaube, wir sollten im Bundesgesetz nicht zu viele Einzelheiten regeln, sondern es in bewährter Weise den Landesgesetzgebern überlassen, die
Einzelheiten zu regeln.
Wir als Verantwortliche in Bund und Ländern stehen
ständig in der Pflicht, die Juristenausbildung an die veränderten Anforderungen unserer Lebenswirklichkeit anzupassen. Die Länder haben einen Gesetzentwurf vorgelegt,
der die Juristenausbildung den modernen Anforderungen
anpasst, der anwalts- bzw. beratungsorientiert und dynamisch, flexibel und europafreundlich ist. Er baut auf Eigeninitiative und Eigenverantwortung.
Die Chance, die Juristenausbildung auf diese Weise
spürbar zu verbessern, war nie größer als heute. Wir sollten sie unbedingt noch in dieser Legislaturperiode nutzen.
({1})
Ich schließe
die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/7176 und 14/7463 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Das Haus ist damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr. Norbert Lammert, Bernd Neumann ({0}),
Renate Blank, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Verbreitung, Förderung und Vermittlung der
deutschen Sprache
- Drucksachen 14/5835, 14/7250 Da dieses Thema hohe Anforderungen an die nachfolgenden Redner stellt, bitte ich um Ihre besondere Aufmerksamkeit.
({1})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Sie sind
einverstanden. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort für die
Antragstellerin der soeben eintreffenden Kollegin Erika
Steinbach.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren!
Im Feuilleton der „FAZ“
({0})
- vom heutigen Tage - gibt es eine hochinteressante Analyse zur Situation der deutschen Sprache im In- und Ausland. Der Autor durchleuchtet darin als Sprachwissenschaftler akribisch die Haltung der Bundesregierung
aufgrund der Großen Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Ich will es Ihnen und mir ersparen, daraus zu
zitieren. Aber die Überschrift spricht wirklich Bände:
„Deutschland zerstört seine Muttersprache“.
({1})
Das Beunruhigende daran ist, dass diese Bundesregierung das nicht einmal bemerkt. Denn der Antwortenkatalog, der heute zur Debatte steht, will suggerieren, dass bei
uns in Deutschland, was unsere Muttersprache angeht, alles in bester Ordnung ist. Die Antworten der Bundesregierung sind von tiefster Zufriedenheit durchdrungen. Der
Bundesregierung macht es keine Sorgen, dass das Interesse
an der deutschen Sprache weltweit abnimmt, auch in unseren europäischen Nachbarländern. Sie lässt keinen Hauch
von Erkenntnis durchschimmern über die deprimierende
Situation der deutschen Auslandsschulen und die schwierigen Balanceakte, die das Goethe-Institut Jahr für Jahr vollziehen muss, um die Qualität seiner Arbeit halbwegs zu sichern. Die heile Welt, die der Antwortenkatalog der
Bundesregierung vorzeigt, ist ein potemkinsches Dorf.
({2})
- Das ist eine Kulisse, die als russischer Ort vorgezeigt
wurde.
({3})
- Richtig. Sie haben Recht.
Die überragende Bedeutung der englischen Sprache
ist weltweit unübersehbar. Dennoch wird das Erlernen
des Deutschen in vielen Ländern mit der Erwartung besserer beruflicher Chancen verbunden. Das muss von
Deutschland aber ausreichend gefördert werden. Wir
dürfen uns da nicht indolent hinsetzen und die Hände in
den Schoß legen. Sprache spielt im Wirtschaftsleben und
im Bereich der Wissenschaft international eine wichtige
Rolle. Investitionen in die Sprachkompetenz sind auch für
Unternehmen wichtig für die Zukunft. Die Vermittlung
der deutschen Sprache spielt für unser Land im Globalisierungsprozess und für Deutschlands Stellung in der
Welt insgesamt eine wichtige Rolle. Das scheint manchem gar nicht so recht bewusst geworden zu sein.
Ein anderer Bereich ist existenziell wichtig, wenn man
die Bedeutung der Sprache nach außen tragen will.
Sprachvermittlung hängt untrennbar mit der Wertigkeit
der eigenen Sprache im Inneren dieses Landes zusammen.
Hier hat uns die PISA-Studie - ich nehme an, damit geht
es uns allen, egal welcher Partei wir angehören, gleich die Augen geöffnet. Mancher hat ja geahnt, wie dramatisch es ist, aber hier haben wir einen Beleg dafür:
Sprachpflege, Sprachfähigkeit und Sprachverständnis
werden in deutschen Schulen, jetzt für alle offenbar und
offensichtlich, nur unzulänglich vermittelt; sie werden so
vermittelt, dass wir im internationalen Vergleich ein wirklich trauriges Bild abgeben.
({4})
Ich hoffe sehr, dass der allgemeine Schock darüber keine
Eintagsfliege bleibt und sich in Lehrplänen und im Lehralltag am Ende fruchtbar niederschlägt. Damit zöge man
immerhin einen Gewinn aus den Ergebnissen dieser Studie.
Dabei ist auch die Frage der Sprachintegration nach
Deutschland zugewanderter Menschen nicht zu vernachlässigen. Die babylonische Sprachverwirrung in nicht wenigen Schulklassen hemmt das Verständnis untereinander
und verhindert eine gute deutsche Sprachausbildung aller
Schüler, egal welcher Nationalität. Auch die Sprachfähigkeit und Sprachkompetenz der deutschen Schüler wird
dadurch am Ende beeinträchtigt. Dass das keine einfache
Aufgabe ist, wissen alle im Lande. Wir müssen aber diese
Aufgabe bewältigen. Einen wesentlichen Anteil daran haben die Bundesländer, aber auch die Bundesregierung und
wir im Bundestag sind gefordert und dürfen die Augen davor nicht verschließen, denn wir müssen dieses Problem
bewältigen.
Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort aber eines
fast völlig übersehen, nämlich dass sich Menschen in
Deutschland immer öfter in ihrer eigenen, deutschen Muttersprache nicht mehr ausreichend informieren können.
Das ist mit der Feststellung, dass man Anglizismen hinnehmen müsse, nicht abgetan. Fremdwörter haben wir
immer in unsere eigene Sprache eingebaut. Wir haben ein
massives lateinisches Fundament, wir haben Vokabeln,
die ihren Ursprung im Griechischen haben, wir haben
viele französische Elemente in unserer Sprache.
({5})
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
Anglizismen sind hinnehmbar, aber die Entwicklung ist
ja dramatischer: Ein offener Blick ins Alltagsleben kann
Ihnen das auch plastisch deutlich machen. Wer sehen will,
der kann es sehen, und wer hören will, der kann es auch
hören.
Jüngst drückte eine wirklich freundliche Verkäuferin in
einem großen Warenhaus den vorbeieilenden Kunden
- einer davon war ich - eine eindrucksvolle Werbebroschüre in die Hand. Darin wurden kosmetische Produkte
angepriesen: Für die Herren … - nein, so stand das da
nicht drin, sondern: „for men - shaving foam bath soap“
und „for women - soft cleansing emulsion, peach and honey mask“ oder „eye make-up remover pads“. Ist das ein
Einzelfall? Nein, natürlich ist das beileibe kein Einzelfall,
das ist Alltag hier im Lande. Tagtäglich begegnet uns das.
Heute flatterte mir auf meinen Schreibtisch - es kommt ja
viel Werbung in unseren Abgeordnetenbüros an - eine
hochelegante Einladung zur Präsentation der „spring
summer collection“ eines Modehauses auf den Tisch.
({6})
Ein Flugschein? Nein, das „passenger ticket and baggage check“ lässt sich für den, der des Englischen nicht
mächtig ist, nur mithilfe eines Dolmetschers entschlüsseln
und auch die Werbung auf der Flugscheinhülle preist eine
Uhrenmarke als „instruments for professionals“. Deutschsprachige Erläuterung dazu - absolute Fehlanzeige.
Meine lieben Kollegen, einander verstehen zu können,
dient dem friedlichen Miteinander, es dient der freundschaftlichen Kontaktpflege, es dient auch der kritischen
Auseinandersetzung. Aber dieses Verstehen beginnt
schon im eigenen Haus, im eigenen Land, in der eigenen
Muttersprache. Denn am Anfang war wirklich das Wort.
Man darf nicht Augen und Ohren davor verschließen, dass
heute durch Werbung und mangelhafte deutsche Produktbeschreibung Millionen von Menschen vom Dialog im eigenen Heimatland ausgegrenzt sind, da dieser nicht mehr
muttersprachlich geführt wird. Sie werden zu sprachlichen Analphabeten im eigenen Lande gemacht.
({7})
Wer kein Englisch gelernt hat, versteht das Hinweisschild „fasten your seat belt“ in einem Taxi eben nicht und
hat doppeltes Pech, wenn er auf einen Taxifahrer trifft, der
wiederum kaum Deutsch versteht und spricht. Wenn technische Alltagsgeräte wie Radio, Fernseher oder Videorekorder mit „On“ bzw. „Off“ ein- oder ausgeschaltet werden müssen, ist mancher Verbraucher nur noch mithilfe
der Gebrauchsanweisung in der Lage, diese oder andere
wichtige Tasten wie „Timer“, „Reverse“ usw. zu drücken
und dabei zu wissen, was er damit auslöst - wobei die
deutschsprachige Anweisung nicht selten erst auf den hintersten Seiten unter ferner liefen zu finden ist.
Es ist mehr als eine Zumutung, muss ich Ihnen sagen,
wenn die ältere Dame beim Einkauf im Supermarkt die
Duftnote von Teelichtern erschnüffeln muss, weil sie
nicht weiß, dass Strawberry Erdbeere oder Blueberry
Blaubeere heißt. Das ist eine Entwürdigung von Menschen und das ist zutiefst unsozial.
({8})
So arrogante Bemerkungen wie „Die Enkelkinder könnten ja der Oma erläutern, was Sache ist“, erinnern mich fatal an die Aussage: Kinder, klärt eure Eltern auf.
So findet tagtäglich soziale Ausgrenzung von Menschen statt. Das Tragische ist: Viele von diesen Menschen
wagen kaum zu sagen, dass sie einen Teil ihres Sprachenalltags überhaupt nicht mehr verstehen. Zugewanderte, die sich zunächst mühsam in der deutschen Sprache
zurechtfinden müssen, werden so noch etwas mehr aus
unserer Gesellschaft ausgegrenzt.
Diese Entwicklung über Jahrzehnte drängt unzählige
Menschen im Lande in die Ecke. Sie können in Bezug auf
das Sprachverständnis nicht mehr mithalten. Zu Deutschlands Sprachenalltag muss man am Ende mit Shakespeare
sagen: „Sie sind auf einem großen Schmaus von Sprachen
gewesen und haben sich die Brocken gestohlen.“ Damit
zerstört Deutschland tatsächlich seine Muttersprache. Der
Autor in der „FAZ“ hatte Recht.
({9})
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Dr. Peter Eckardt.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich werde mich mit dem
Problem der Anglizismen nicht auseinander setzen, weil
es dann vielleicht Lacher wegen meiner Aussprache des
Englischen gäbe. Aber ich denke, der geschätzte Bamberger Sprachwissenschaftler Glück, der sich heute in der
„FAZ“ - zeitgerecht für Sie, Herr Lammert - geäußert hat
- in einem etwas holprigen Deutsch, vielleicht auch etwas
zu langatmig -, will nicht bestreiten - das hat er mit seinem Aufsatz in der „FAZ“ auch nicht beabsichtigt -, dass
die deutsche Sprache nicht nur eine wichtige Kultur- und
Verkehrssprache ist, die noch immer von weit mehr als
100 Millionen Menschen in Europa und in der Welt gesprochen wird, sondern anerkanntermaßen auch eine
wichtige Wissenschaftssprache, die seit der Gründung
deutscher Universitäten neben Latein über Jahrhunderte
gelehrt und gelernt wurde und wird.
Da ich mich nicht in der Lage sehe, etwas zu beschönigen, muss auch erwähnt werden: Ihre Bedeutung ist
weltweit zurückgegangen. Ich kann aber nicht erkennen,
dass die jetzige Regierung in Berlin in irgendeiner Form
Schuld daran trägt, und ich kann auch nicht erkennen,
dass die Regierung alles schönredet, wie das im „FAZ“Artikel behauptet wird. Die Überschrift „Deutschland
zerstört seine Muttersprache“ ist unangemessen. An den
Hochschulen - nicht nur in Deutschland, sondern auch in
vielen anderen Ländern - wird in unserer Sprache nicht
nur gesprochen, sondern auch in deutscher Sprache gelehrt und es werden Forschungsergebnisse in deutscher
Sprache veröffentlicht. Die Tendenz ist trotz gegenteiliger
Meinungsäußerungen teilweise steigend, erfreulicherweise besonders in Osteuropa und Südostasien. Deutsch
ist neben Russisch die auch in den Lehrveranstaltungen
der Hochschulen Europas von den Studierenden am meisten gesprochene und geschriebene Muttersprache.
Es ist richtig, die Bedeutung der deutschen Sprache als
Wissenschaftssprache ist zurückgegangen, von der Aufklärung bis weit in das 20. Jahrhundert hinein ganz allmählich. Mir hat noch niemand gesagt, welche Möglichkeiten es gibt, diesen Prozess aufzuhalten. Konnte
Humboldt vor 180 Jahren noch unwidersprochen definieren: „Gebildet ist, wer Latein spricht“ - wobei er unterstellte, dass natürlich auch Deutsch gesprochen wurde -,
gilt heute die Definition: „Weltoffen ist, wer gut Englisch
spricht“ - natürlich unterstellt, dass man dann auch gut
Deutsch sprechen kann.
Der Rückgang des Deutschen beschleunigte sich erst
- da hat Herr Glück Recht - mit dem Bedeutungsverlust
der Wissenschaft in Deutschland während der 30er-Jahre
in der Nazizeit und ist keine aktuelle Entwicklung, aber
eine Entwicklung, unter der wir noch heute leiden.
Während Thomas Mann auch im Exil in deutscher Sprache geschrieben hat, haben Wissenschaftler - im Wesentlichen im naturwissenschaftlichen Bereich - und andere
Schriftsteller während ihres Exils des Überlebens wegen
oft die Sprache wechseln müssen, um überhaupt gehört zu
werden.
Wenn ich aber aus der Großen Anfrage der CDU/CSU
herauslese, dieser Prozess habe sich erst in den letzten
Jahren beschleunigt, so liegt diese Einschätzung neben
der Realität. Wenn in dieser Anfrage intendiert wird, dass
es politisch möglich sein könne, durch Sprachschutzgesetze, Quoten, Gerichtsurteile oder andere Restriktionen
die deutsche Sprache zu retten, sie gar wieder zu einer
Weltumgangssprache zu machen, dann ist dies eine wissenschaftliche Fehleinschätzung. Am Bedeutungsverlust
des Französischen in der Welt und in Europa kann man ablesen, wie trotz der Schutzgesetze und Förderprogramme
dieser Prozess nicht aufzuhalten war.
Eine schnelle und über Grenzen hinweg geführte Kommunikation, meist auf elektronischem Wege, zwingt heute
gerade zu einer gemeinsamen Sprache der Kommunikation und lässt wenig Platz für andere als lateinische Buchstaben und wenig Raum für andere Sprachen als Englisch. Wir als Deutsche werden akzeptieren müssen, dass
in technischen und ingenieurwissenschaftlich gestützten
Kommunikationen auch in der Zukunft ausschließlich in
Englisch gesprochen und geschrieben wird. Wir sollten
uns bei unseren Bildungskonzepten darauf einstellen.
Diese Entwicklung sollte auch nicht aufgehalten werden, garantiert sie doch eine länderübergreifende Zusammenarbeit, die allen Ländern Chancen und Erfolge bringt.
Unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind
nämlich auf Kommunikation, Kooperation und Austausch
angewiesen, nicht die anderen auf uns. Mit mehreren Gesetzen zur Förderung des Wettbewerbs und der Leistungsfähigkeit und finanziell gestützten Programmen hat
diese Regierung diesen wissenschaftlichen Austausch,
der uns allen nützt, wieder in Schwung gebracht. Sie hat
damit mehr getan, als möglicherweise durch Gesetze, die
unsere Sprache schützen sollen, erreicht werden könnte.
({0})
Was sollten wir weiter tun, um die deutsche Sprache in
der Wissenschaft zu fördern? Das Lehren und Lernen von
Sprachen im Tandem und eine leistungsfähige Übersetzungskunst verbessern trotz der Allgegenwart von Englisch nicht nur die Internationalität von Wissenschaft, sondern nützen der deutschen Sprache und Wissenschaft
gleichermaßen. Auf diese Aufgaben sollten wir uns bildungspolitisch konzentrieren. Dann können wir auch weiterhin sicher sein, dass in den Geisteswissenschaften und
in den literaturbezogenen Bereichen die Kommunikation
in deutscher Sprache weltweit zukünftig nicht nur erhalten wird, sondern noch ausbaufähig ist.
Voraussetzung für die Entwicklung ist die Förderung
der deutschen Sprache im Ausland, dort, wo sie gepflegt
wird, damit die Kenntnisse nicht über zwei Generationen
abreißen, was das große Problem ist. Diese Kontinuität ist
in einigen Ländern Südamerikas und Asiens gefährdet. Es
versteht sich wissenschaftspolitisch von selbst, dass die
Finanzmittel hierfür nie genügen können.
Vor 150 Jahren wurden - so habe ich gelesen - noch
viele Lehrveranstaltungen an berühmten europäischen
Universitäten vollständig in deutscher Sprache gehalten.
Die Zeiten, als in Coimbra in Portugal, in Dorpat in Estland und in Prag ausschließlich in deutscher Sprache gelehrt wurde und die Medizinstudenten Anatomie aus deutschen Lehrbüchern lernten, sind natürlich längst vorbei.
Man kann, ohne Prophet zu sein, sagen: Sie werden auch
nicht wiederkommen. Aber zarte deutsche Sprachpflanzen auch außerhalb der Germanistik blühen an den ausländischen Universitäten, die Lehrveranstaltungen in
deutscher Sprache anbieten und in deutscher Sprache publizieren.
In dem von vielen für die Wissenschaft überschätzten
Internet spielt die deutsche Sprache ebenfalls kein Schattendasein, was Sie gut beobachten können, wenn Sie sich
dieses Mediums bedienen.
Aber ich bin sicher, dass die deutsche Sprache auch
zukünftig eine wichtige Rolle in der Wissenschaft spielen
wird. Sie muss lediglich vor Politikern und Journalisten
geschützt werden, die ihr oft arg mitspielen. Vielleicht ist
die Reihenfolge eine andere als die, die ich gerade genannt habe.
Danke schön.
({1})
Für die
FDP-Fraktion spricht der Kollege Gerhard Schüßler.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Essen Sie gerne Äpfel? Wenn ja und wenn Sie heute Mittag zufällig im Restaurant gewesen sein sollten, haben Sie sich sicherlich
über die dort kostenlos dargebotenen Äpfel aus Südtirol
gefreut. Wenn Sie sich einen solchen Apfel genauer angesehen haben, dann haben Sie auf jedem einen Aufkleber
bemerkt, der wohl Aufschluss über den Namen der ApDr. Peter Eckardt
felsorte geben soll. Wohlgemerkt: Der Apfel kommt aus
Südtirol. Er hat aber weder einen italienischen noch einen
deutschen Namen, sondern er heißt „Pink Lady“.
({0})
Hier haben Sie exemplarisch das, worum es heute eigentlich geht. Im weltweiten Sprachenwettbewerb liegt
die englische Sprache ganz klar vorn. Diese Erkenntnis
verdanken wir allerdings nicht der Großen Anfrage der
CDU/CSU-Fraktion und deren Beantwortung durch die
Bundesregierung. Mit dieser Erkenntnis schlagen sich
Kulturpolitiker und ganze Heerscharen von Sprachwissenschaftlern seit geraumer Zeit herum. Doch die manchmal künstliche, manchmal wissenschaftlich fundierte Erregung über diesen Umstand ist zwar wohlfeil, geht aber
nach meiner Überzeugung in die falsche Richtung.
Wenn wir im Wettbewerb der Sprachen stehen, sollten
wir uns nicht über Anglizismen in der deutschen Sprache,
über die auch ich mich zugegebenermaßen oft ärgere, und
auch nicht über das so genannte „Denglisch“, wie man
sarkastischerweise sagt, ereifern. Wir müssen uns vielmehr fragen, welche Rolle die deutsche Sprache im Inund insbesondere im Ausland in Zukunft spielen soll und
wie wir dieses Ziel erreichen wollen.
({1})
Zwei Dinge sollten uns bei dieser Diskussion von vornherein klar sein:
Erstens. Die deutsche Sprache hatte nicht zuletzt wegen der politischen Situation nach dem Dreißigjährigen
Krieg zu keinem Zeitpunkt seit dem 17. Jahrhundert
Chancen, als Weltsprache mit dem Englischen oder dem
Französischen zu konkurrieren. Deshalb sollten wir auch
heutzutage nicht versuchen, dem Englischen den ersten
Rang in der Riege der Sprachen der Welt streitig zu machen.
Zweitens. Für jeden Kulturstaat ist die eigene Sprache
die wesentliche Basis seines Selbstverständnisses. Hier
sind erhebliche Versäumnisse von Schulen und in Sonderheit auch von Medien festzustellen.
({2})
Es kann schon grausam sein, die Sprache mancher Moderatoren im deutschen Fernsehen „genießen“ zu müssen.
Die deutsche Sprache ist nämlich unmittelbar verbunden
mit dem Ansehen Deutschlands in der Welt als Land der
Dichter und Denker, mit den hervorragenden Zeugnissen
des 19. und 20. Jahrhunderts und mit den wissenschaftlichen Höchstleistungen deutscher Universitäten um die
Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.
Erfreulich ist, dass seit der Wiedervereinigung
Deutschlands die bis zu diesem Zeitpunkt vorhandene
eher rückläufige Tendenz in Bezug auf die Verbreitung
der deutschen Sprache in der Welt umgekehrt wurde. Die
Position der deutschen Sprache wurde seitdem nicht nur
gefestigt, sondern auch ausgebaut. Insbesondere in den
Staaten Mittelosteuropas bis hin nach Russland erfreut
sich die deutsche Sprache, die dort einmal Lingua franca
war, wieder großer Beliebtheit. Dass dies so ist, ist zum
Großteil das Verdienst des Goethe-Instituts - mittlerweile
Goethe-Institut Inter Nationes -, das wirklich unermüdlich an der Verbreitung unserer Muttersprache in diesen Ländern arbeitet. Wenn Sie sehen, welche Aktivitäten
trotz knapper werdender Mittel entfaltet worden sind,
dann können Sie vor dieser Leistung nur den Hut ziehen.
Aber nicht nur dort, wie es sich dem jüngsten Bericht
des Goethe-Instituts Inter Nationes entnehmen lässt, wird
die deutsche Sprache im Ausland gefördert. Die Menschen unterschiedlichster Nationalität und Herkunft lernen Deutsch bei „Goethe“. Damit - das sei an dieser Stelle
einmal deutlich gesagt - erfüllen die Mitarbeiter des
Goethe-Instituts Inter Nationes nicht nur ihre Pflicht, sondern sie leisten im wahrsten Sinne des Wortes Dienst am
Vaterland.
({3})
Gerade für Deutschland ist es wichtig, dass andere
Menschen unsere Sprache erlernen und dadurch Kenntnisse über unser Land und seine Menschen erlangen. Beides ist Voraussetzung dafür, aktuelle Informationen über
Deutschland aufzunehmen und richtig zu verwerten.
({4})
Dem gerade aus dem Amt verabschiedeten Hilmar
Hoffmann und all seinen Mitarbeitern möchte ich in diesem Zusammenhang auch im Namen der FDP-Bundestagsfraktion nochmals Dank und Anerkennung für diese
Arbeit aussprechen.
({5})
Zum Schluss möchte ich auf die Debatte von heute
Morgen zur auswärtigen Kulturpolitik hinweisen. Die
Verbreitung der deutschen Sprache im Ausland leidet unter Sparmaßnahmen bei den Mittlerorganisationen,
liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen. Zu
Zeiten der Regierung Kohl haben wir noch ein Sonderprogramm für die deutsche Sprache mit einem Volumen
von 40 Millionen DM aufgelegt. Davon ist heute keine
Rede mehr. Aber die diesbezüglichen Vorwürfe hat Herr
Hoffmann an die Adresse der Bundesregierung im Rahmen seiner Abschiedsrede in der vergangenen Woche in
München erneut vorgetragen. Die Vorwürfe waren eindeutig. Nur scheint dies bei der Bundesregierung und den
Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen nicht gefruchtet zu haben. Für die deutsche Sprache im Ausland
und das Ansehen Deutschlands in der Welt ist das außerordentlich bedauerlich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle begegnen
täglich vielen Menschen. Wir sprechen mit ihnen und halten Reden in mehr oder weniger vollen Sälen. Wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages sind in Sonderheit
aufgerufen, einen sorgsamen Umgang mit unserer Sprache zu pflegen und ihre Markierungen und manipulierenden Verkleidungen zu enthüllen.
Vielen Dank.
({6})
Ich gebe
dem Staatsminister Dr. Ludger Volmer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sprachenpolitik bestimmt nicht die Schlagzeilen, sie ist aber
gewichtiger Teil einer auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, die - so unterstrich Bundespräsident Rau in seiner
Neujahrsansprache vor dem Diplomatischen Corps nicht weniger ist als „die beste zivile Krisenprävention“.
Förderung von Mehrsprachigkeit ist Kernelement einer
solchen Politik. Dies gilt besonders im europäischen Kontext. Mehrsprachigkeit hilft, die europäische Integration
auf ein festes kulturelles Fundament zu stellen. Nur wenn
alle Sprachen in der EU geachtet werden, wird diese zur
Heimat für die Bürgerinnen und Bürger.
({0})
Mit dem „Europäischen Jahr der Sprachen“ in 2001
sollte bewusst gemacht werden, welch entscheidende
Rolle Mehrsprachigkeit für Europas Zukunft spielt. Dieses Ziel, engagiert unterstützt durch die Bundesregierung,
wurde dank zahlreicher öffentlichkeitswirksamer Projekte erreicht. Allein in Deutschland haben über 1 000 Veranstaltungen stattgefunden, von Sprachenfestivals bis zu
Konferenzen, von Wettbewerben bis zu Theaterwochen.
Förderung von Mehrsprachigkeit bedeutet zunächst,
dass wir Deutschen mehr Sprachen lernen sollten. Wir
können nur dann glaubwürdig für die deutsche Sprache
im Ausland werben, wenn wir selbst Fremdsprachen lernen. In allen Bundesländern beginnt der Fremdsprachenunterricht mittlerweile bereits in der Grundschule. Dieser
frühe Beginn ist nicht nur pädagogisch sinnvoll, er ermöglicht es auch, eine zweite Fremdsprache auf breiter Basis
einzuführen. Heute haben wir erlebt, Frau Steinbach, wie
Sie sich um die Förderung der russischen Sprache - „potemkinsche Dörfer“ - im Bundestag verdient gemacht haben. Auch das ist zu begrüßen.
Mehrsprachigkeit bedeutet auch, Fremdsprachen, namentlich Englisch, stärker an unseren Bildungseinrichtungen zu etablieren. Englisch dominiert zusehends die
Wissenschaft, auch wenn Deutsch insbesondere in den
philosophischen Fächern noch bevorzugt wird. Das Internet verstärkt die Dominanz des Englischen weiter, ohne
dass dort allerdings das Deutsche verschwindet. Den
Wettbewerb um die besten Köpfe können wir also nur erfolgreich bestreiten, wenn wir jungen Menschen aus aller
Welt die Chance geben, an unseren Schulen und Hochschulen auf Englisch zu studieren.
({1})
Im Rahmen des Programms „International ausgerichtete Studiengänge“ fördert die Bundesregierung deshalb
mit 35 Millionen Euro 52 Studiengänge, in denen verstärkt Englisch verwendet wird. So lässt sich Deutschland
als Wissenschaftsstandort attraktiv erhalten.
({2})
Dies kann umgekehrt aber auch erleichtert werden,
wenn Schüler und Studenten die deutsche Sprache in
ihren Heimatländern erlernen. Gerade dann werden sie
den Wunsch haben, ihre Kenntnisse an einer deutschen
Hochschule zu vertiefen. Eine wichtige Aufgabe ist also
die Förderung der deutschen Sprache im Ausland. Wo
Deutsch gelehrt und gelernt wird, genießen wir einen
Sympathievorschuss, der sich in kulturellem Austausch,
politischen Verhandlungen oder wissenschaftlichen Investitionen positiv auswirkt. Hier spielen übrigens auch all
die Deutschstämmigen, die die Sprache konservieren
und weitergeben, eine wertvolle Rolle, auch wenn ihr eigenes Deutschlandbild hier und da einer Modernisierung
bedarf.
Wir alle sind uns, wie ich meine, vollkommen darüber
einig, welchen Stellenwert die Deutschförderung im Ausland gerade im Zeitalter der Globalisierung hat. Deutsch
gehört nach wie vor zu den bedeutendsten und attraktivsten Sprachen. Etwa 91 Millionen Menschen sprechen
Deutsch als Muttersprache. Schätzungen gehen von bis zu
55 Millionen weltweit aus, die Deutsch als Zweitsprache
gelernt haben. Ein Zentrum liegt in Mittel- und Osteuropa
und in den GUS-Staaten. Hier steht Deutsch nach Englisch an zweiter Stelle. Allein in Russland lernen knapp
4 Millionen Schüler Deutsch.
Es gibt aber auch gegenläufige Tendenzen: In wichtigen Partnerstaaten, wie Frankreich und den Niederlanden,
ist die Zahl der Deutschlernenden rückläufig oder nimmt
die Intensität des Unterrichts ab.
Um Verbreitung, Pflege und Vermittlung der deutschen
Sprache auf dem immer wichtiger werdenden elektronischen Wege macht sich zum Beispiel auch die Deutsche
Welle verdient. Sie präsentiert ein weltweites Fernseh-,
Radio- und Internetangebot, das von der Bundesregierung
in 2001 mit etwa 290 Millionen Euro finanziert wurde.
({3})
Deutsche Welle, ARD und ZDF haben gemeinsam und
unterstützt durch die Bundesregierung einen weiteren
wichtigen Schritt getan und präsentieren seit Beginn dieses Jahres einen eigenständigen deutschen Kanal
zunächst auf dem amerikanischen Markt, also ein Programm ausschließlich in deutscher Sprache.
({4})
Dies geschieht übrigens auf der Basis des Pay-TV; deshalb können die staatlichen Zuschüsse auch reduziert
werden.
Die Bundesregierung hat im letzten Haushaltsjahr ihr
elementares Interesse an der Förderung der deutschen
Sprache unter Beweis gestellt und über 240 Millionen Euro für entsprechende Programme ausgegeben.
Mehr als 40 Prozent des Kulturhaushalts des Auswärtigen
Amtes stehen damit in Verbindung. Zu nennen sind die
Ausbildung von Deutschlehrern, die Entsendung von
Lehrern und DAAD-Lektoren, die Sprachkurse an
Goethe-Instituten und - besonders wichtig - die Förderung der deutschen Sprache in den mittel- und osteuropäischen Ländern. Hauptzielgruppe sind die aktuellen
und künftigen Führungsschichten in Politik und Gesellschaft.
Parallel dazu versucht das Auswärtige Amt, die Effizienz der Programme zu steigern. So versuchen wir gemeinsam mit den Goethe-Instituten, die Anzahl defizitärer Sprachkurse dort abzubauen, wo ein vergleichbares
kommerzielles Angebot besteht. Auch in diesem Zusammenhang danke ich Hilmar Hoffmann für seine kritische
Kooperation.
Die Stellung der deutschen Sprache in den EU-Institutionen wird zu Recht häufig thematisiert. Die Bundesregierung legt großen Wert darauf, dass Deutsch als die
Sprache mit der größten Zahl an Muttersprachlern in der
EU - sie ist im Internet übrigens die am zweithäufigsten
benutzte europäische Sprache - in den Institutionen angemessen berücksichtigt wird. Die Bundesregierung wendet
sich mit Nachdruck gegen eine Veränderung des Sprachenregimes in den verschiedenen EU-Gremien zu Ungunsten der deutschen Sprache. Aufgrund eines gemeinsamen Schreibens von Bundesminister Fischer und
seinem französischen Kollegen Védrine an den Kommissionspräsidenten Prodi wurden Pläne verworfen, das im
Kollegium der Kommission geltende bewährte Dreisprachenregime zu ändern.
({5})
Das Auswärtige Amt hat außerdem die Zahl der
Deutschkurse für EU-Mitarbeiter und für mit EU-Fragen
befasste Beamte aus den Beitrittsländern deutlich vergrößert. Ich möchte mich in diesem Zusammenhang bei
den Ländern für die hervorragende Kooperation auf all
diesen Gebieten ausdrücklich bedanken.
({6})
Meine Damen und Herren, Sprache ist lebendig, Sprache wächst in der Bevölkerung, Sprache ist nicht reglementierbar. Von daher wäre es unsinnig, zu versuchen, sie
in ein starres Gesetzeskorsett zu packen.
Dennoch weiß die Bundesregierung um die Wichtigkeit der Mehrsprachigkeit und der Förderung des Kulturgutes deutsche Sprache für den weltweiten interkulturellen Dialog, für die Globalisierung und die europäische
Integration. Ich versichere Ihnen: Sie wird sie auch weiterhin kraftvoll fördern.
Ich danke Ihnen.
({7})
Ich erteile
der Kollegin Maritta Böttcher für die Fraktion der PDS
das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte jegliche Pflege
des Fremdsprachenunterrichts, auch wenn er seine Dividende nicht in Euro und Cent ausweisen kann, für eine der
wichtigsten Zukunftsinvestitionen.
({0})
Das Erlernen der Sprache des Fremden führt dazu, dass
er dies nicht mehr ist. Das bestätigt durchaus die Intention
der Fragesteller - Verbesserung der Vermittlung der deutschen Sprache im Ausland -, macht aber erst richtig Sinn,
wenn auch wir es uns in gleicher Weise als selbstverständlich auferlegen, in mindestens einer Fremdsprache
zur Konversation fähig zu sein.
({1})
Ein Mehr an Verständigung in der Welt hängt also nicht
ursächlich von einem Mehr an Verständnis des Deutschen
in dieser ab. Es mag für Sprachforscher oder Soziologen
von Wert sein, zu ergründen, warum in den großen Industriestaaten das Interesse am Deutschlernen nachgelassen
hat. Politischen Handlungsbedarf sehe ich deshalb nicht.
Nicht richtig nachvollziehen kann ich das unterschwellige Bedauern, Englisch als die Schlüsselsprache
des jüngsten Mediums Internet akzeptieren zu müssen.
Dass das so ist, hat doch leicht erklärbare Gründe, die absolut nichts mit einer Herabsetzung der eigenen Sprache
oder gar des Selbstwertgefühls zu tun haben. Folglich bedarf es auch keiner nationalen Anstrengung, dies etwa zugunsten des Deutschen zu verändern.
Auch die Befürchtung, das Deutsche leide an Überfremdung, etwa durch eine Inflation von Anglizismen,
teile ich nicht, selbst wenn ich einer solch durch und durch
subjektiven Einschätzung folgen würde. Der Gebrauch
von Fremdwörtern im eigenen Vokabular steht doch jedem frei. Sprache ist nun einmal - hier möchte ich ausdrücklich Herrn Ludger Volmer Recht geben - ein lebendiger Organismus, der sich ständig verändert und keiner
Art von Sprachpolizei bedarf.
Wenn ich etwas mit Sorge und Bedauern sehe, dann in
einer ganz anderen Richtung: Deutsche Sprache und Sprache in Deutschland sind nicht das Gleiche. Zu Frage 59
erklärt die Regierung:
Bund und Länder gewährleisten durch die Übernahme von konkreten Verpflichtungen den Schutz
der Minderheitensprachen Dänisch, Ober- und Niedersorbisch, Nord- und Saterfriesisch ... sowie des
Romanes ...
Sie trägt damit
in besonderem Maße zum Erhalt der Sprachenvielfalt in Europa bei.
Wer sich erinnert, welches Tauziehen in den parlamentarischen Gremien erforderlich war, um beispielsweise die
ohnehin nicht üppigen Mittel der Einrichtungen zur
Pflege des Sorbischen für ein weiteres Jahr zu sichern,
wird dies gewiss differenzierter sehen.
({2})
Ich möchte noch einmal darauf zurückkommen,
warum ich es für so wichtig halte, dass wir Deutschen im
Ausland die deutsche Sprache lehren. Wir sollten dabei
über die zu vermittelnde Vokabel hinaus nach dem Text
fragen, den wir in der Weise ins Ausland transportieren
sollten, dass er uns Freundschaft, Vertrauen und Zuwendung einbringt. Es ist nicht so, dass wir Deutschen das
nicht nötig hätten. So möge unsere Sprachvermittlung den
nahen und fernen Nachbarn durchaus zu mehr als zur
sachgerechten Erstellung von Beipackzetteln und Gebrauchsanweisungen nützlich sein, obzwar wir wissen,
dass das Ausland gerade dieser deutschen Sprachförderung oft am dringlichsten bedarf.
Nein, es sollte mehr sein. Wir sollten den Anspruch haben, die Sprache von Goethe und Herder, von Mann und
Brecht als die unsere zu deklarieren. Dies gilt gerade für
Brecht; denn so lange ist es noch nicht her, dass die Völker erbleichten, wenn Deutsch gesprochen wurde. Die
Bundesregierung erinnert in ihrer Antwort auf Frage 6 daran, indem sie feststellt:
Unbestritten ist, dass der Zweite Weltkrieg und der
Holocaust einen erheblich negativen Einfluss - mit
Nachwirkungen bis in die heutige Zeit - auf die Wertschätzung der deutschen Sprache in der Welt hat.
Das ist nur zu wahr. Das hat zum Beispiel auch dazu
geführt, dass uns die, gemessen am sonstigen Anspruch,
recht bescheidenen Beiträge des Deutschen zum Wortschatz anderer Sprachen in besonderer Weise ins Gedächtnis gebrannt sein sollten. So sprechen auch heute
noch Franzosen von „le blitzkrieg“, Russen sagen „Lager“ und meinen ein ganz bestimmtes und das Wort „Endlösung“ bedarf in Israel keiner Übersetzung.
Mögen die Worte, die andere Völker in diesem Jahrhundert unserer Sprache entlehnen, gänzlich anderen
Charakters sein.
Vielen Dank.
({3})
Nun spricht
der Staatsminister im Kanzleramt, Professor Dr. Julian
Nida-Rümelin.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! In der Großen Anfrage ist unter Punkt 33 gefragt worden:
Teilt die Bundesregierung die Aussage des ... Staatsministers ... Nida-Rümelin ..., das Deutsche sei als
Wissenschaftssprache „tot“, und den in diesem Zusammenhang vom Staatsminister geäußerten Rat an
angehende Wissenschaftler, auf Englisch zu publizieren?
Diese Frage enthält zwei Unterstellungen, die nachweislich - weil nämlich erfreulicherweise von dieser Veranstaltung ein Tonbandprotokoll existiert - falsch sind.
Ich sage das deshalb, weil mir aufgefallen ist, dass die
zurückhaltende Antwort, die die Bundesregierung auf
diese Frage formuliert hatte, offenbar nicht ausgereicht
hat, um diese beiden Unterstellungen aus der Welt zu
schaffen. Wer heute in die Presse schaut, wird das bestätigt finden.
Ich habe erstens nicht gesagt, dass Deutsch als Wissenschaftssprache tot sei, sondern ich habe ausweislich
des Tonbandprotokolls auf dieser Veranstaltung gesagt
- das ist leider ein Faktum -, dass Deutsch als internationales Verständigungsmittel in der Wissenschaft ebenso
wie das Französische unterdessen bei rund 1 Prozent angelangt sei und dass es unrealistisch sei, zu glauben, man
könne dies wieder grundlegend ändern.
({0})
Zweitens habe ich darauf hingewiesen, dass man sich
an der jüngeren Generation von Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern in Deutschland versündigen würde,
wenn man ihnen den Rat erteilen würde, nicht auch auf
Englisch zu publizieren, weil sie nur so ein internationales Renommee aufbauen können.
({1})
Wir können über vieles streiten, sollten uns aber nicht
wechselseitig Aussagen unterstellen, die so nicht geäußert
worden sind.
Ich darf noch einen Satz hinzufügen. Als ich - von
1994 bis 1997 - Präsident der Gesellschaft für Analytische Philosophie war, habe ich die Praxis geändert, dort
internationale Kongresse lediglich in englischer Sprache abzuhalten, und dafür gesorgt, dass diese Kongresse
zweisprachig, nämlich in deutscher und englischer Sprache, abgehalten werden.
Danke schön.
({2})
Nun erteile
ich dem Kollegen Norbert Lammert für die CDU/CSUFraktion das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Erst mit der Sprache
geht die Welt auf“ - dieser wahrhaft erhellende Satz von
Hans-Georg Gadamer findet sich weder im Text der
Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion noch in der Antwort der Bundesregierung.
({0})
Er markiert aber die Grundorientierung, die unserer Anfrage zugrunde liegt. Denn das Europäische Jahr der
Sprachen, das für 2001 ausgerufen wurde, ist zwar gewissermaßen der äußere Anlass, selbstverständlich aber
kein hinreichender Grund für diese Große Anfrage gewesen. Tatsächlich gibt es gute Gründe, gemeinsam über die
Bedeutung und den Stellenwert der deutschen Sprache
nachzudenken und dort, wo Defizite deutlich geworden
sind, zu wirksamen Maßnahmen zu kommen. Denn bei
der Sprache reden wir über eine der wesentlichen, unaufgebbaren Grundlagen des Gemeinwesens Bundesrepublik
Deutschland und ganz gewiss der Kultur unseres Landes.
Es ist das erste wichtige Motiv gewesen, dies durch die
Große Anfrage stärker in den Blickpunkt unserer Aufmerksamkeit zu rücken. Der zweite, eher handfeste Grund
ist das immer größer werdende Missverhältnis zwischen
der wachsenden Bedeutung Deutschlands sowohl politisch als auch wirtschaftlich und dem zurückgehenden Interesse an der deutschen Sprache.
Damit an dieser Stelle keine Missverständnisse entstehen: Die Erklärung, die Staatsminister Nida-Rümelin gerade abgegeben hat, nehme ich nicht nur mit Respekt zur
Kenntnis. Ich füge vielmehr hinzu: Ich habe an dem, was
er gerade zur Erläuterung des Sachverhalts vorgetragen
hat, nichts zu beanstanden. Das ist die nüchterne Beschreibung der Lage.
({1})
Ich wünsche mir allerdings, dass das, was er an einem
kleinen Beispiel aus seinem eigenen, früheren Verantwortungsbereich dargestellt hat, zu einer selbstverständlicheren Übung deutscher Wissenschaftler und Politiker bei internationalen Konferenzen würde, auf denen man nicht
immer die eigene Intelligenz durch den Nachweis nicht
immer glanzvoller englischer Sprachkenntnisse spazieren
führen muss.
Es gibt einen dritten Punkt, der eine intensive Beschäftigung mit der Verbreitung und der Situation der deutschen
Sprache mindestens rechtfertigt, wenn nicht sogar dringlich macht. Das ist die Rolle der Sprache als Instrument der
Integration, ein, wie wir auch aus anderen thematischen
Zusammenhängen wissen, sehr aktuelles und prinzipielles
Problem, wenn es um das Zusammenleben von Deutschen
und Nichtdeutschen in Deutschland geht.
Schließlich gibt es auch Anlass, sich über die Entwicklung der Sprache als Umgangssprache Gedanken, vielleicht sogar Sorgen zu machen. Ich sage bewusst: der
Umgangssprache und nicht etwa der deutschsprachigen
Literatur; denn es besteht wahrlich kein Anlass, sich im
Rahmen einer politischen Debatte über Letztere auseinander zu setzen.
Aber es ist wahr - darauf hat insbesondere die Kollegin
Steinbach hingewiesen -: Gerade in der jüngeren Vergangenheit nimmt die Neigung zu, vorhandene, hinreichend
klare deutsche Begriffe insbesondere durch Anglizismen
zu ersetzen. Das ist oft unnötig, ärgerlich und - gelegentlich - schlicht albern, aber ganz gewiss nicht das zentrale
Problem der deutschen Sprache. Es wird vermutlich keine
Meinungsverschiedenheiten darüber geben, dass man
dem am allerwenigsten mit gesetzlichen Mitteln abhelfen
kann.
({2})
Wir sind dankbar, dass durch die Antwort der Bundesregierung eine Reihe von Zahlen und Daten zur Situation
der deutschen Sprache, ihrer Verbreitung und ihres Stellenwerts vorliegt, wenn auch nicht zu übersehen ist, dass
neben den vorliegenden Zahlen manche andere nicht verfügbar sind, die im Hinblick auf eine vollständige Beschreibung des Bildes sicherlich wünschenswert und vielleicht sogar dringend geboten wären.
In dem bereits mehrfach zitierten „FAZ“-Artikel wird
angesprochen, dass die Bundesregierung zwar die prinzipielle Beurteilung des Stellenwertes der deutschen
Sprache bestätigt, der in unserer Großen Anfrage deutlich
wird, dass sie aber weit weniger erkennen lässt, ob sie
überhaupt und, wenn ja, an welcher Stelle Handlungsbedarf erkennt.
Es gibt eine gewisse Neigung - diese mag auch etwas
mit der Rollenverteilung zu tun haben -, den einen oder
anderen unerfreulichen Sachverhalt etwas schöner zu beschreiben, als er sich darstellt. Ich mache noch einmal darauf aufmerksam: Die Möglichkeiten der Politik, hier gestaltend einzugreifen, sind ganz gewiss begrenzt. Aber
wer behauptet, dass es keine Möglichkeiten gebe, der unterschätzt die Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen. Wir müssen uns ganz gewiss gemeinsam bemühen,
diese zu nutzen.
({3})
- Wir haben über einige Beispiele bereits heute Vormittag diskutiert. Wir könnten mehr für die Auslandsschulen, die Sprachausbildung im Ausland und die Vermittlung der deutschsprachigen Literatur tun. Insofern
schließt sich die jetzige Debatte nahtlos an die von heute
Vormittag an.
Das Fazit, das der in der Debatte mehrfach zitierte
Sprachwissenschaftler Helmut Glück in seinem Beitrag
gezogen hat, ist sicherlich bitter, und zwar nicht nur für
die Bundesregierung - insofern nehme ich die Empfehlung, hier keine simple Schuldzuweisung vorzunehmen,
gerne auf - aber zutreffend: Die Anfrage der CDU/CSUFraktion sei die Aufforderung zu einer systematischen,
alle Bereiche erfassenden Bestandsaufnahme gewesen.
Die Regierung habe diese Chance nicht genutzt. Sie rede
schön, wo es Probleme gebe; sie harmonisiere, wo Konflikte offenbar seien, und sie zeichne das Bild einer weitgehend heilen sprachpolitischen Welt.
Wenn allerdings die Schlussfolgerung dieser Beurteilung mit einer für uns auf den ersten Blick sympathischen
Verantwortlichkeit beim Außenminister endet, dann will
ich der guten Ordnung halber doch hinzufügen: Die Verantwortung ist breiter. Wir alle miteinander haben sie. Wir
müssen dieses Thema ernster nehmen, als wir es in der
Vergangenheit getan haben.
({4})
Die Schludrigkeit im Umgang mit der Sprache ist auch ein
Indiz für ein gewisses Maß an Gleichgültigkeit, das sich
in den vergangenen Jahren vielleicht eingeschlichen hat.
Wenn erst durch Sprache die Welt aufgeht, dann geht uns
Sprache an - mehr als jede andere unsere eigene.
({5})
Als letzter
Redner in dieser Debatte hat der Herr Kollege Eckhardt
Barthel für die SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Wir haben es mit einer Großen
Anfrage von 75 Fragen zu tun. Dies macht es schwer, auf
alles einzugehen. Ich möchte dem Beispiel von Frau
Steinbach folgen und mich auf die Frage „Gefahr/Nichtgefahr, Problem/Nichtproblem der Anglizismen“ beschränken - dies aus zwei Gründen, erstens, weil ich
weiß, dass viele, die sich um die Pflege der deutschen
Sprache bemühen, ein großes Interesse daran haben, dass
dieses Thema auch einmal im politischen Rahmen diskutiert wird, auch einmal eine Plattform im Parlament
findet, und zweitens - das gestehe ich -, weil es mich auch
persönlich sehr interessiert. Es wäre noch schöner gewesen, wenn auch die Große Anfrage der SPD-Fraktion zum
Thema der deutschen Sprache
({0})
- Verzeihung, Frau Vollmer: und der Grünen -, die sich
mehr auf diesen Bereich konzentriert und nicht so in die
Breite geht, schon heute hätte behandelt werden können.
Sei es drum!
Am Anfang möchte ich gern auf Ihren Beitrag eingehen, Frau Steinbach. Sie haben viele Punkte angesprochen, die gerade für dieses Thema wichtig sind. Sie werden erstaunt sein, dass wir da Parallelen haben. Uns trennt
aber ein Grundunterschied, Frau Steinbach: Bei der
Pflege der Sprache sollte man nicht dramatisieren, wie Sie
es getan haben, sondern man sollte versuchen, für die
Sprache zu sensibilisieren. Darin unterscheiden wir uns
wirklich sehr, sehr stark.
({1})
Deshalb scheint es mir sinnvoll zu sein, bei diesem
Thema am Anfang auch einmal darzustellen, worum es
nicht geht. Ich habe das Gefühl, dass bei dieser Diskussion Einmalereignisse und Unschönheiten die eigentliche
Problematik, die politische Problematik, die dahinter
steht, vernebeln.
Ich will Ihnen einmal ein Beispiel nennen. Als wir den
Euro eingeführt haben - erstaunlich konfliktarm, wie ich
finde -, wurde über die Medien - das war selbst Thema in
den „Tagesthemen“ - parallel eine Diskussion darüber geführt, ob wir den Cent nun „Cent“ oder „Zent“ nennen.
Das ist zwar kein Anglizismus, aber doch ein Fremdwort,
das in unsere Sprache hineinkommt. Dazu haben viele
Leute gesagt: Mich interessiert nicht, wie man das ausspricht, sondern wie viel ich davon in der Tasche habe. Mit solchen Diskussionen wird die Problematik, die
ich - wie Sie - bei dieser Frage sehe, vernebelt und das
halte ich gerade im Sinne der Sensibilisierung für die
Sprache nicht für günstig.
Deshalb in drei Punkten kurz, worum es nicht geht, um
dann darauf zu sprechen zu kommen, weshalb ich dieses
Thema für politisch wichtig halte.
Erstens. Es geht nicht darum, dass die deutsche Sprache an sich in Gefahr ist. Ich teile die Aussage der Bundesregierung: Der Schluss wäre falsch, „dass sich die
deutsche Sprache durch die häufige Verwendung von
Anglizismen zu einer anderen, nicht deutschen Sprache
verändern würde“. Das ist sicherlich richtig. Damit will
ich allerdings nichts relativieren oder beschönigen. Man
muss nur wissen: Es geht nicht etwa um den Untergang
der deutschen Sprache.
Zweitens. Es geht auch nicht darum, dass wir keine
Fremdwörter mehr in unsere Sprache aufnehmen sollten. Zu Recht ist in der Antwort der Bundesregierung gesagt worden: Deutsch war nie eine „reine“ Sprache. Das
wird auch so bleiben. Ich erinnere mich noch daran, dass
mir in meiner Schulzeit der Begriff des Lehnwortes begegnet ist. Das habe ich behalten. Lehnwörter sind etwas
ganz Natürliches und Selbstverständliches. Wie arm
wären wir, wenn es diesen Einfluss nicht gäbe? Übrigens:
Dass es nie eine „reine“ Sprache gab, kann man auch
übertragen: Es gab auch nie ein „reines“ deutsches Volk.
Der dritte Punkt liegt mir besonders am Herzen, weil
das in der Diskussion häufig durcheinander gebracht
wird. Es geht auch nicht um eine Verdrängung des Englischen als Sprache - ich werde gleich noch weiter darauf
zu sprechen kommen -; das Gegenteil ist der Fall. Es geht
nicht um eine Position „anti Englisch“, sondern um solche Begriffe wie Denglisch oder Globisch, die sich herausgebildet haben.
Meine Damen und Herren, was mir vor allem Sorge bereitet, sind nicht einzelne Begriffe, sondern das Übermaß
an unsinnigen Anglizismen und - das ist das für mich
Wichtige - die möglichen politischen Folgen aus diesem
Prozess. Es geht mir nicht darum, ob etwas gefällt oder
nicht gefällt. Ich weiß - inzwischen hat man es ja behoben -, dass die schlichte Auskunft auf dem Bahnhof „Service Point“ oder so ähnlich hieß. Dazu sagen viele: Das ist
ja idiotisch, das ist dumm. - Richtig. Aber dabei belassen
sie es. Die Frage ist, ob es, wenn daraus eine Tendenz
wird, auf der Ebene des Dumm und Unschön bleibt. Das
ist das Thema, das mich interessiert: Liegt darin ein Gefahrenpotenzial? Ich glaube, wenn wir keine Sensibilität
entwickeln, könnte diese Entwicklung zu einer Gefahr
werden. Insofern bin ich hier sehr zurückhaltend.
Zusammengefasst: Es geht mir in dieser Debatte über
die deutsche Sprache nicht um Sprachästhetik; es geht mir
vielmehr um die Identität und die Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft.
({2})
Das ist für mich das Hauptthema.
Die Bundesregierung schreibt zu Recht - ich zitiere -:
Die Vielfalt der Sprachen in Europa macht einen wesentlichen Teil der europäischen Identität aus. Dies ist richtig.
Die Sprache ist in dem jeweiligen Land ein Teil der Identität der Menschen, die in diesem Land leben. Wovon ich
jetzt spreche, ist übrigens keine auf das Deutsche begrenzte Diskussion. Überall da, wo ich den Ausdruck
„deutsche Sprache“ setze, könnte ich genauso gut „französisch“, „italienisch“, „türkisch“ oder etwas anderes setzen. Es ist die Identitätsfrage, die sich national nicht begrenzen lässt.
Wir wissen, welche Bedeutung die Identitätsfrage auch
und gerade im Rahmen der Globalisierung gewonnen hat.
Ich möchte gerne, dass die Antwort auf die Identitätsfrage
eine kulturelle Antwort ist, weil wir über die Kultur - dazu
gehört ganz wesentlich die Sprache - diese Frage in einem
positiven Sinne beantworten. Ich erzähle gerne das Beispiel, dass ein kluger Mensch einmal zum Thema Identität
gesagt hat, er fühle sich eigentlich in allen Großstädten
der Welt zu Hause: überall in den Hotels die gleiche Architektur, überall die gleiche Mode, die gleiche Musik,
dieselben Filme. Nur, nach längerem Reisen frage er sich:
Wo bin ich eigentlich?
({3})
Das heißt, Orientierungslosigkeit ist ein riesiges Problem.
Man muss sich, so glaube ich, irgendwo zu Hause fühlen
und muss sagen können: Hierauf gründet sich meine Identität.
Die Frage, ob unser Thema politisch ist, zeigt sich unter anderem an diesem Punkt. Wir erleben nämlich, dass
die Gefahr der Orientierungslosigkeit oder dass der Verlust an Orientierung durchaus politisch instrumentalisiert
werden kann. Es ist wohl kein Zufall, dass viele aus den
völkischen Gruppierungen das Thema Orientierungslosigkeit, Orientierungslosigkeit auch durch Sprache, benutzen, um ihr Süppchen zu kochen. Ich kann nur davor
warnen, dieses Thema diesen Leuten zu überlassen.
({4})
Deshalb sollten wir uns einschalten.
Ich möchte hier allerdings eine Fußnote machen. Ich
habe es leider schon erlebt, dass Leute, die sich in diesem
Bereich engagieren - manchmal vielleicht sogar mit zu
starkem missionarischem Eifer - auch in diese Ecke geschoben werden. Ich kann nur davor warnen, so vorzugehen.
({5})
So viel zur Frage der Identität.
Noch etwas zur Frage der Integration: Sprache kann
integrieren und Sprache kann ausgrenzen. Bei vielen Begriffen, die wir heute benutzen, sehe ich die Gefahr, dass
sie zu Ausgrenzung führen könnten. Ich bin ganz vorsichtig in der Formulierung. Ich weiß - vielleicht darf ich das
auch einmal sagen -, dass einige Menschen in den neuen
Bundesländern, in denen das Englische nicht so verbreitet ist, Schwierigkeiten haben, dieses oder jenes zu verstehen, besonders ältere Menschen oder auch solche, die
nicht die Bildungschancen hatten, die vielleicht wir, die
wir hier sitzen, gehabt haben. Dies kann man nicht ausschließen. Nichts wäre schlimmer, als wenn wir über eine
Vernachlässigung der Sprache den Integrationskräften
dieser Gesellschaft schaden würden.
({6})
Lassen Sie mich ein Beispiel nennen - ich bekomme
gleich Ärger, aber ich sage es trotzdem -: Eine ganz engagierte Frauenpolitikerin hat mir neulich gesagt, sie
könne es inzwischen nicht mehr hören, dass man sie ständig frage, was Gender Mainstreaming heiße. Ich kann das
verstehen, aber ich meine auch: Vor ein so wichtiges
Thema eine Sprachbarriere zu setzen kann wohl nicht im
Interesse des Gender Mainstreamings sein.
({7})
Schafft diese Barrieren weg, um den Zugang zu öffnen.
({8})
Kurz: Wer die Integrationskräfte in einer Gesellschaft
stärken will - das ist unser aller Bestreben -, der sollte die
Bedeutung der Sprache nicht vernachlässigen.
Ein letzter Punkt - Frau Steinbach, Sie haben ihn weggelassen; ich weiß, dass er der schwierigste ist -: Was machen wir jetzt? Es liegen bereits einige Vorschläge auf
dem Tisch, so zum Beispiel zu einem Sprachgesetz. Der
Staatsminister hat es bereits angesprochen, das kann keine
Alternative für uns sein.
({9})
Ich möchte nicht, dass wir „Sprachzollgrenzen“ - ich
möchte das im übertragenen Sinn sagen - in unseren Ländern haben. Es kann nicht sein, dass Institutionen prüfen, wie der Einzelne spricht - ich weiß, dass ich viele
Anglizismen benutze - und anschließend möglicherweise
Sanktionen - diese wären nötig, sonst machte das Gesetz
keinen Sinn - verhängen. Ich halte das für bedenklich und
schließe es deshalb aus.
Bezüglich der Bedeutung des Englischen in unserem
Sprachgebrauch meine ich: Je weiter sich die englische
Sprache in unserem Land verbreitet und je mehr Menschen
über englische Sprachkenntnisse verfügen, desto geringer
wird das Bedürfnis, sich durch die Benutzung englischer
Begriffe hervorzutun, desto geringer wird möglicherweise
auch der Einfluss der Anglizismen auf unsere Sprache.
Finnland soll uns Beispiel sein. Dort spricht man sehr
gutes Englisch und man stellt fest, dass die Anglizismen
kein solches Problem darstellen wie in anderen Ländern.
Das Erlernen und die Verbreitung der englischen Sprache
könnten Instrumente im Kampf gegen die Flut der unsinnigen Anglizismen - ich betone das - sein.
Mit meiner letzten Bemerkung möchte ich mich auf
unseren Bundespräsidenten berufen. Wir sollten - Herr
Lammert hat das angesprochen - auch das eigene
Sprachverhalten überprüfen. Es könnte Vorbildcharakter haben. Was machen die Medien? Was machen die
Wirtschaft und die Politik? Vielleicht könnte ihnen Vorbildcharakter zukommen, wenn sie auf ihr Sprachverhalten achten würden. Es könnte sich eine Schneeballwirkung entfalten, sodass ohne Reglementierung etwas
positiv verändert werden könnte.
Johannes Rau, der sich in dieser Frage sehr engagiert,
hat einmal gesagt: Ich bin nicht der Oberlehrer der Nation,
Eckhardt Barthel ({10})
aber ich will durch die Art meiner Reden Vorbild sein.
Auch in diesem Punkt hat unser Bundespräsident Recht.
Ich bedanke mich.
({11})
Zu einer
Kurzintervention gebe ich der Kollegin Erika Steinbach
das Wort.
Herr Kollege Barthel,
ich freue mich, dass wir die Problematik sehr ähnlich sehen. Ich glaube, wir brauchen kein neues Gesetz, und ein
Sprachenschutzgesetz ist mit Sicherheit nicht der richtige
Ansatz. Außerdem haben wir bereits ein Gesetz, das
die Problematik, die Sie und ich besonders hervorgehoben
haben, aufgreifen könnte. Das ist das Verbraucherschutzgesetz.
Im Verbraucherschutzgesetz ist im Grunde genommen
geregelt, dass Produkte in deutscher Sprache bezeichnet
werden müssen. Daneben regelt das Gesetz, dass die
Sprachbarrieren im alltäglichen Schriftverkehr weitgehend ausgeräumt werden. Darüber hinaus - davon bin ich
überzeugt - müssen wir gemeinsam ein Bewusstsein
dafür entwickeln, mit unserer Sprache anders umzugehen.
Das geht weit über die Anglizismen hinaus - 60 Prozent
der Bevölkerung unseres Landes sind der englischen
Sprache nicht mächtig -, denn es werden oft ganze Bandwurmsätze in fremder Sprache verfasst.
({0})
Damit
schließe ich die Aussprache.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 d auf:
7. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Brunhilde
Irber, Dr. Eberhard Brecht, Annette Faße, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Sylvia Voß, Dr. Thea
Dückert, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Programm zur Stärkung des Tourismus
in Deutschland ({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus
Brähmig, Ernst Hinsken, Anita Schäfer, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Tou-
rismuswirtschaft stärken
- Drucksachen 14/5315, 14/5313, 14/8021 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Brähmig
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Cornelia Pieper, Hildebrecht Braun
({3}), weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP
Neue Kampagne „Deutschland besucht
Deutschland“ starten
- Drucksachen 14/4153, 14/6846 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Ernst Burgbacher
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({4})
- zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung
({5}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung
hier: „Entwicklung und Folgen des Tourismus“
- zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung
({6}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung
hier: „Entwicklung und Folgen des Tourismus“
Bericht zum Abschluss der Phase II
- Drucksachen 13/9446, 14/272 Nr. 188, 14/1100,
14/7751 Berichterstattung:
Abgeordnete Birgit Roth ({7})
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Dehnel, Klaus Brähmig, Maria Eichhorn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Fortführung des Bundeswettbewerbs für familienfreundliche Ferienangebote in Deutschland
- Drucksache 14/7066 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus ({8})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Das Haus ist einverstanden. Dann ist
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst der Kollegin Brunhilde Irber das Wort. Sie spricht für die Fraktion der SPD.
Eckhardt Barthel ({9})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade in diesem Moment kursiert
eine Meldung des Statistischen Bundesamtes zu den
Übernachtungszahlen in Deutschland aus dem letzten
Jahr. Die konkrete Erfassung der Übernachtungen
schließt bislang nur die Monate Januar bis November ein
und weist aus, dass die Zahl der Übernachtungen in
Deutschland um 0,3 Prozent gestiegen ist. Gleichzeitig
bewertet das Statistische Bundesamt das abgeschlossene
Jahr als insgesamt erfolgreich und prognostiziert eine
Steigerung der innerdeutschen Übernachtungszahlen von
1 Prozent. Das heißt, in der Bundesrepublik sind im vergangenem Jahr ohne das Highlight EXPO etwa dieselben
Übernachtungszahlen verbucht worden wie im Jahr 2000
- ich sage es noch einmal -, ohne EXPO und die damit
verbundene besondere Aufmerksamkeit, die unserem
Lande und seinem Tourismus durch eine Vielzahl von
Werbemaßnahmen zuteil wurde.
({0})
Ich erwarte jetzt rauschenden Beifall in diesem Saal und
könnte mich danach zufrieden wieder hinsetzen.
({1})
Eine bessere Tourismuspolitik, Herr Vorsitzender,
kann objektiv niemand machen. Faktum ist: Wir haben im
Jahr 2000 die höchste Steigerungsrate in den Übernachtungszahlen seit Beginn der Statistik verzeichnen können
und konnten diese Übernachtungszahlen ohne das besondere Event der EXPO auch im Jahr 2001 wieder erreichen.
({2})
Dann frage ich mich: Was hätte es eigentlich bringen
sollen, wenn wir der Forderung der Opposition gefolgt
wären und - ich zitiere Herrn Kollegen Brähmig - „einen
kräftigen Schluck aus der Pulle“ genommen und die Marketingmittel der Deutschen Zentrale für Tourismus verdoppelt hätten? Wir hätten diesen Staat weiter verschuldet, aber unmöglich einen weiteren Rekord in den
Übernachtungszahlen erreichen können. Ich fordere daher die Opposition auf, endlich die Fakten anzuerkennen.
Die Bundesregierung hat mit der Finanz- und Wirtschaftspolitik Rahmenbedingungen geschaffen, die dem
Gastgewerbe einen Rekordbesuch und somit volle Häuser
bescheren.
({3})
Nach den Zahlen geht es der Branche hervorragend.
Die hohen Wachstumsraten zeigen, dass die Bevölkerung
ihre gestärkte Kaufkraft in hohem Maße - nach den gestrigen Zahlen wurden 53,5 Milliarden Euro ausgegeben,
die Prognose für das kommende Jahr lautet auf 55 Milliarden Euro - zu den Reisemittlern und in das Gastgewerbe getragen hat. Es hätte ja auch sein können, dass die
Nachfrage nach neuen Autos, Büchern oder Schokoriegeln überdurchschnittlich gestiegen wäre. Mit dieser Feststellung will ich ein Lob an die Branche verbinden. Sie hat
eine hohe Attraktivität und konnte daher mehr Kaufkraft
ziehen als andere Branchen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ereignisse des
11. September können an dieser positiven Bilanz auch
nichts grundsätzlich ändern. Die Lufthansa und andere
Fluggesellschaften sind ins Trudeln gekommen; das ist
völlig richtig. Das heißt aber doch konkret, dass diese Unternehmen trotz hervorragender Nachfragesteigerung mit
ihren Angeboten am Markt zu scharf kalkuliert haben.
Eine kleine Böe kann sie umwerfen.
Dies sind aber hausgemachte Probleme. Es ist unlauter,
diese Entwicklung und damit die Probleme einzelner Unternehmen im Reise- und Gastgewerbe der Bundesregierung anzulasten. Ich will auch deutlich festhalten, dass die
Forderung nach einer Absenkung der Mehrwertsteuer für
das Beherbergungsgewerbe luftleer im Raum hängt.
({4})
Wer solche Steigerungsraten in der Übernachtung verbuchen kann, sollte jetzt nicht behaupten, die Gäste liefen an
seinen Häusern vorbei und würden in die mit geringeren
Mehrwertsteuersätzen belasteten Häuser des Auslands gehen.
Ich will hier gern auch den Hauptgeschäftsführer des
DEHOGA zitieren:
Die Talsohle der letzten Jahre scheint durchschritten.
Hotellerie und Gastronomie schauen zu großen Teilen wieder mit Optimismus in die Zukunft.
Das Zitat stammt aus der „Welt“ vom 31. Oktober
2001, einer Zeitung, die nicht gerade dafür bekannt ist,
dass sie sozialdemokratenfreundlich wäre. Für den
DEHOGA ist der Tourismus eine Jobmaschine. Auch
dies sagt der Hauptgeschäftsführer Herr Ehlers.
Wir haben an dem Erfolg der Branche kräftig mitgewirkt.
({5})
Keine Branche hat vergleichbare Hilfestellungen des
Staates wie das Gastgewerbe erhalten.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte zunächst eine
Aufzählung vornehmen. Dann hat der Kollege Brähmig
das Wort.
({0})
- Herr Hinsken, Sie wissen genau, dass ich das auch anders kann.
Was haben wir getan, um die Stärkung der Branche
herbeizuführen? Wir hatten im letzten Jahr das Jahr des
Tourismus. Das internationale Jahr des Ökotourismus
2002 mit dem Slogan „Lust auf Natur“ hat gerade begonnen. Wir haben die Finanzmittel der DZT während unserer Regierungszeit trotz allgemeiner Sparmaßnahmen in
allen anderen Ressorts von 37 Millionen DM auf 44 Millionen DM angehoben.
({1})
Wir haben Modellprojekte zur Vermarktung der Nationalparke und zur Steigerung des Qualitätsmanagements
im Tourismus finanziert. Am 5. Februar wird Herr Wirtschaftsminister Müller die Absolventen dieses Modellprojekts mit den Zeugnissen auszeichnen. Ein so genannter Weiterbildungspass ist in der Entwicklung.
({2})
Wir haben die Finanzierung der Einführung einer Dachmarke für den nachhaltigen Tourismus mit dem Namen
VIABONO durchgeführt. Wir haben die Tourismusbranche in die Fachgespräche des Bündnisses für Arbeit aufgenommen. Wir haben die 50-Tage-Regelung innerhalb
der 630-Mark-Jobs durchgesetzt. Wir haben die Schausteller - zuletzt durch die Befreiung von der LKW-Maut wiederum gefördert.
({3})
Wir haben die Abschaffung der Doppellizenzen bei Busreisen für Jugendliche durchgesetzt. Außerdem haben wir
100 Millionen Euro für den Ausbau von Radwegen entlang den Bundesstraßen bereitgestellt, was eine Steigerung um 100 Prozent bedeutet.
({4})
Sie haben das alles nicht gemacht. Wir haben eine Finanz- und Wirtschaftspolitik gemacht, die der Branche
wirklich hilft.
({5})
Ich nenne nur die Stichworte Mittelstandsförderung, Entlastungseffekt in Höhe von 45 Milliarden, Steuerreform
und Kaufkraftanhebung.
({6})
Sie und Ihr Ministerpräsident, der jetzt auch Kanzlerkandidat ist,
({7})
haben jeden Tag andere Vorschläge, ohne eine Finanzierung zu nennen. Ich bin neugierig, wie man das alles bezahlen will.
Heute beschließen wir das umfassende Tourismusförderprogramm. Damit runden wir die erfolgreiche Bilanz
ab. Der Kern unseres Tourismusförderprogramms ist auf
die Verbesserung des angebotenen Produkts im Tourismus gerichtet. Wir wollen die Menschen erreichen, die in
der Tourismusbranche arbeiten, und ihre Situation und
ihre Qualifikation verbessern. Auf das Modellprojekt
habe ich bereits hingewiesen. Es stimmt schon: Die reinen
Zahlen über die Steigerung der Anzahl der Übernachtungen sagen noch nichts über die Qualität und die Zufriedenheit aus. Wir müssen in die Zukunft investieren. Das
bedeutet, wir müssen die Qualität der angebotenen Produkte nachhaltig steigern.
({8})
Sie können feststellen, dass das Kirchturmdenken in
der Vermarktung kleingliedriger Regionen etwas nachgelassen hat. Insgesamt ist das Marketing auf einem guten
Weg; aber es gibt noch immer Verbesserungsmöglichkeiten. Die Union hat einen 55-Punkte-Katalog zur Stärkung
der Wettbewerbsfähigkeit der Tourismuswirtschaft vorgelegt.
({9})
Herr Brähmig, Sie müssen erklären,
({10})
wie man bei einem überdurchschnittlichen Wachstum der
Branche nach weiterer staatlicher Hilfe rufen kann. Es ist
richtig, dass die Beschäftigungssituation und die Ertragslage im Gastgewerbe nicht befriedigend sind. Was kann
ein Staat aber Besseres tun, als eine Wachstumspolitik zu
betreiben? Genau das tun wir. Der Erfolg stellt sich ein.
Die Prognose des DEHOGA habe ich bereits zitiert, in
der festgestellt wird, dass die Talsohle durchschritten ist.
Dem Wachstum bei den Übernachtungszahlen wird eine
Gesundung der Branche folgen. In wenigen Jahren werden wir das ausbügeln, was Ihre Regierung in 16 Jahren
angerichtet hat.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
jetzt kommt es: Wenn Ihre Regierung Erfolge zu verzeichnen gehabt hätte, müssten Sie keinen Katalog mit 55 Punkten der Versäumnisse Ihrer Regierungszeit vorlegen.
({12})
Ähnliches gilt auch für den Antrag der FDP zu einer
Kampagne „Deutschland besucht Deutschland“. Lieber
Kollege Ernst Burgbacher, das tun die Deutschen immer
öfter.
({13})
Die Statistik besagt, dass im letzten Jahr bis November
91 Millionen mehrtägige Reisen unternommen wurden.
Das ist 1 Prozent mehr als im Vorjahr, also dem Rekordjahr, in dem wir die EXPO hatten. Was soll da noch eine
zusätzliche Kampagne, die unseren anderen Themen
- dem Wassertourismus, dem Jugendtourismus - das Geld
raubt?
Zu unseren Freizeitparks. Wir alle haben die Klagen
über die Subventionen in Frankreich gehört. Sie beklagen
sie jeden Tag.
Wir haben heute auch über den TAB-Bericht abzustimmen. Mit diesem außerordentlich aussagekräftigen
Bericht - an dieser Stelle einmal ein dickes Lob an die
Mitarbeiter; sie haben gute Arbeit geleistet ({14})
haben wir die Debatte um den nachhaltigen Tourismus
vorangebracht. Unser Antrag zur Umsetzung der wichtigsten Erkenntnisse aus dem Bericht wird die Nachhaltigkeit
ins Zentrum unserer Politik führen.
Des Antrags der Union zum familienfreundlichen
Reisen werden wir uns in nächster Zeit annehmen.
Jetzt kommt auch noch der neue Kanzlerkandidat. Was
hat der Tourismus zu erwarten, wenn die Union regiert?
({15})
Das gepriesene Erfolgsmodell Bayern wird auf Deutschland ausgedehnt. Das heißt: runter mit der Tourismusförderung! Der Freistaat hat die Marketingmittel in den letzten Jahren regelmäßig verringert.
({16})
Herr Adam hat den Auftrag, die öffentlichen Mittel stetig
herunterzufahren. Herr Brähmig, die mittelfristige Finanzplanung von Herrn Waigel wird für die DZT fröhliche Urständ feiern.
({17})
Frau Schörcher wird ihren Laden dichtmachen können.
Der ganze Erfolg mit dem besten Wachstum in der Geschichte wird dann zunichte gemacht.
Frau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit weit überschritten.
Deshalb setzen wir unsere
Tourismuspolitik fort. Die Statistik gibt uns Recht: Unsere Tourismuspolitik hat Erfolg.
({0})
Zu einer
Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen
Brähmig.
Frau Kollegin Irber, zuallererst freut mich natürlich, dass Sie die Unionsfraktionen und auch mich persönlich für die vielfältigen Initiativen loben, die wir in den letzten Monaten und Jahren in
dieser Legislaturperiode gestartet haben.
({0})
Ich denke, sie waren ein Segen für die Tourismusbranche.
({1})
Zum Zweiten muss ich feststellen, dass aus Ihrem Vortrag der Anschein entstehen kann, dass in der Tourismusbranche „Friede, Freude, Eierkuchen“ herrsche. Ich
glaube, das kann man so nicht im Raum stehen lassen. Wir
dürfen uns in der politischen Diskussion nicht von den absoluten Zahlen beeindrucken lassen, die sicherlich so
sind, wie Sie sie dargestellt haben. Das entscheidende Kriterium der politischen Bewertung muss vielmehr in zunehmendem Maße sein, was beim Unternehmer nach
Steuern im Portemonnaie übrig bleibt. Ich denke, die
Leute, die sich damit beschäftigen, sind sich einig, dass
die wirtschaftliche Situation, vor allem die Nettorendite,
noch nie so schlecht gewesen ist wie jetzt. Das hängt
natürlich in erster Linie damit zusammen - Frau Irber, das
wissen Sie genauso gut wie ich -, dass der Staat den Unternehmern eine Vielzahl von Belastungen auferlegt hat,
die letztendlich zu steigender Arbeitslosigkeit führen, wie
wir sie vorfinden.
Einen letzten Gedanken möchte ich im Zusammenhang mit Ihrer Rede ansprechen. Wenn wir politisch einen
Beitrag dazu leisteten, dass jeder Unternehmer in der Tourismusbranche Rahmenbedingungen vom Staat geschaffen bekommt, die ihm ermöglichen, morgen eine weitere
Arbeitskraft einzustellen - ob das in den Reisebüros ist,
ob das in den Hotels ist, ob das bei den Reiseveranstaltern
ist -, dann hätten wir einen Beitrag dazu geleistet, die
Arbeitslosigkeit, die uns bedrückt und über die wir schon
heute Vormittag debattiert haben, abzubauen. In anderen
europäischen Ländern funktioniert dies relativ gut.
Vielen Dank.
({2})
Sie haben
das Recht zu einer Erwiderung. Sie haben das Wort.
Herr Brähmig, die Forderungen, die Sie der Regierung und der Politik stellen, sind wohlfeil. Aber wenn man zusammenrechnet, was Sie in den letzten dreieinhalb Jahren in jeder Sitzung an Forderungen
finanzieller Art gestellt haben, dann ergibt sich, dass wir den
Bundeshaushalt zu 30 Prozent nur für Tourismusförderung
verwenden müssten. Das ist nicht möglich. Sie wollen uns
weiter in die Verschuldung hineintreiben, nachdem Sie
uns 1,5 Billionen DM Schulden hinterlassen haben. Jetzt
haben Sie keine anderen Vorschläge, als nur neue Schulden aufzuhäufen. Das geht nicht.
({0})
Es kann nicht sein, dass die Wirtschaft nur mit staatlichen
Subventionen läuft. Das wissen Sie genauso gut wie wir.
Dann könnte ja der Staat die Wirtschaft komplett übernehmen. Das wollen Sie nicht und das will auch ich nicht.
({1})
Ich bitte Sie, einmal darüber nachzudenken, dass die
statistischen Ergebnisse, die sich in den Jahren 2000 und
2001 aufgrund unserer Politik ergeben haben, die besten
seit dem Erheben dieser Statistik sind. Sie wurden bisher
noch nicht übertroffen. Daraus ist auch abzuleiten, dass
die Unternehmen entsprechend Gewinne gemacht haben.
Je mehr Masse es gibt, desto mehr bleibt ja am Ende auch
übrig. Das ist eine ganz einfache Rechnung.
({2})
Ich würde mich freuen, wenn von Ihrer Seite endlich
einmal konstruktive Vorschläge und kluge Konzepte kämen, die in Richtung Qualifikation und Qualitätssteigerung gingen und mit denen wir der Branche nutzen können. Das gelingt nicht durch die stereotype Forderung
nach mehr Geld. Wo führt das hin, wenn immer mehr Geld
in die Wirtschaft hineingepumpt wird und ihr immer
höhere Subventionen gegeben werden, und wer soll das
bezahlen? Ich bin neugierig, wie Sie das machen würden,
wenn Sie, wie Sie ja hoffen, an die Regierung kämen. In
diese Verlegenheit werden wir Sie aber nicht bringen.
({3})
Für die CDU/CSU
spricht jetzt der Kollege Ernst Hinsken.
Werte Frau Präsidentin!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Irber
hat eben konstruktive Vorschläge angemahnt. Ich empfehle ihr deshalb, gut aufzupassen, weil ich auch in dieser
Rede, wie schon in so vielen die ganze Zeit über, beabsichtige, einige konstruktive Vorschläge einzubringen,
damit Sie zu guter Letzt wissen, wie es weitergehen soll.
({0})
Jeder reist gerne und freut sich auf die schönsten Wochen des Jahres, den Urlaub. Nur wenige wissen, was sich
überhaupt ökonomisch dahinter verbirgt. Der Tourismus
ist der zweitgrößte Wirtschaftszweig in der Bundesrepublik Deutschland. Das kann nicht oft genug gesagt
werden; selbst Frau Kastner scheint dies noch nicht gehört
zu haben, sonst würde sie nicht versuchen, es ins Lächerliche zu ziehen.
({1})
Er umfasst 2,8 Millionen Arbeitsplätze, 8 Prozent Bruttowertschöpfung, 280 Milliarden DM Umsatz und Verschiedenes andere mehr.
Es ist natürlich schon interessant, dass gerade die
Dresdner Bank in ihrer jüngsten Studie sagt, dass die
Deutschen „Reiseweltmeister“ bleiben. 53,5 Milliarden
Euro wurden letztes Jahr ins Ausland getragen, nur
19,2 Milliarden Euro flossen nach Deutschland. Auch
wenn wir letztes Jahr einen kleinen Zuwachs von 0,3 Prozent auf 327 Millionen Übernachtungen hatten, Kollegin
Irber, so darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass vieles im Argen liegt und wir alles tun müssen, um der Tourismuswirtschaft, der Leitökonomie der Zukunft - ein
Begriff, den Kollege Brähmig einmal geprägt hat -, den
notwendigen Schwung für die Zukunft zu geben.
({2})
Deshalb ist gerade die heutige Debatte über die Tourismusförderung besonders wichtig. Ich bedauere nur, dass
sowohl die SPD als auch die Grünen in ihrem Antrag nicht
auf die großen Probleme der Tourismuswirtschaft eingegangen sind. Sie, verehrte Frau Kollegin Irber, haben
auch heute wieder versäumt, diese Probleme anzusprechen und eine Antwort darauf zu geben. Der Himmel über
Berlin war zwar heute offen, aber für die Tourismuswirtschaft ist er verschlossen und grau.
({3})
Die Branche steckt in einer ihrer schwersten Krisen. Von
Lob allein kann die Branche nicht leben. Es müssen Taten
folgen, für die wir hier im Deutschen Bundestag verantwortlich zeichnen müssen.
({4})
Meine Damen und Herren, der Deutsche Reisebüro
und Reiseveranstalter Verband sagte in den letzten Tagen:
Die Lage der Reisewirtschaft ist ernst.
({5})
Der „Focus“ vom letzten Montag titelte: „Viel Platz im
Flieger“. Nur ganz wenige wie die Preussag blicken hoffnungsfroh in die Zukunft.
({6})
Diese Bundesregierung wollte nicht alles anders, aber
vieles besser machen. Was ist dabei herausgekommen?
Selbst der erfolgsverwöhnten Sonnenscheinbranche hat
Rot-Grün Regenwolken beschert.
({7})
Nicht wegen des 11. Septembers, sondern wegen des radikalen Wirtschaftsrückgangs haben wir in der Bundesrepublik Deutschland auch auf dem Tourismussektor sehr
große Probleme, die wir bewältigen müssen.
({8})
Viele Reiseveranstalter befürchten einen Umsatzrückgang, Herr Kollege Kubatschka, von bis zu 20 Prozent.
Das berührt mich. Bei Flugreisen wird sogar mit einem
Rückgang von 25 Prozent gerechnet. Aber Sie wollen das
nicht wahrhaben. Sehen Sie denn diese Probleme nicht?
({9})
Nur ausgesprochene Optimisten können hoffen, dass der
Grund lediglich ist, dass 2002 ein Spätbucherjahr wird.
Mehrere große Carrier, wie Sabena und Swissair, sind weder am Himmel noch auf Erden bzw. auf den Flughäfen
noch zu sehen.
({10})
Selbst die erfolgsverwöhnte Lufthansa musste im vergangenen Jahr einen Rückgang ihrer Passagierzahlen um
2,9 Prozent verzeichnen.
({11})
Im Dezember 2001 waren es sogar knapp 15 Prozent weniger Reisende als im Dezember 2000. Hauptgründe für
diese Krise sind eine kränkelnde Wirtschaft und eine verfehlte Tourismuspolitik dieser Bundesregierung.
({12})
Die jüngste Saisonumfrage des DIHK brachte auf den
Punkt, wie die Stimmung wirklich ist, Frau Kollegin
Irber; sie ist anders, als Sie hier behauptet haben.
({13})
Die Geschäftserwartungen sind im Beherbergungssektor
erstmals seit drei Jahren wieder in die Negativzone gerutscht.
({14})
Weiter heißt es, die Gastronomie korrigiere die Erwartungen in Bezug auf die Saison ebenfalls nach unten. So wollen 14 Prozent der befragten Hotelbetriebe und 19 Prozent
der Gaststätten die Zahl der Beschäftigten reduzieren. Die
großen Reiseveranstalter kündigen einen umfangreichen
Abbau um Tausende von Arbeitsplätzen an.
({15})
Aber es kommt noch schlimmer: Hotellerie und Gastronomie müssen ihre Preise erhöhen. Als Grund werden
Kostensteigerungen durch steigende Sozialabgaben, Erhöhung der Ökosteuer und Mehrausgaben im Wareneinkauf genannt. Auch die Erhöhung der Versicherungsteuer
dürfte nicht gerade zur Kostenentlastung beitragen. Von
den kleinen und mittleren Betrieben wollen, so der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, 41 Prozent der
Hoteliers und 36 Prozent der Gastronomen ihre Übernachtungs- bzw. Verzehrpreise erhöhen.
({16})
Eines ist klar: Seit über drei Jahren macht die Bundesregierung mit ihrer mittelstandsfeindlichen Arbeitsmarktund Steuerpolitik der Tourismusbranche in Deutschland
das Leben schwer und jetzt bekommen wir die Rechnung
dafür präsentiert.
({17})
Die Neuregelung des Gesetzes über die 630-DMJobs - jetzt 325-Euro-Jobs - ist beschäftigungs-, wirtschafts- und sozialpolitisch verfehlt.
({18})
Ich meine auch darauf verweisen zu müssen, dass die
bürokratische Belastung genauso negativ ist, für die bei
den unmittelbar Betroffenen vor Ort kein Verständnis besteht. Aber ich bin ehrlich genug, zu sagen, dass hierfür
nicht nur Sie verantwortlich sind, sondern wir alle hier im
Parlament.
({19})
Die Reduzierung dieser Bürokratie wäre eine Entlastung
für die Wirtschaft insgesamt.
In seinem Konjunkturbericht vom November letzten
Jahres beziffert der DEHOGA die Zahl der Kündigungen
infolge der Neuregelung auf 100 000. Das ist unglaublich.
({20})
Die rot-grüne Bundesregierung wollte eigentlich die
Schwarzarbeit eindämmen. Genau das Gegenteil ist ihr
gelungen. Um am Markt bestehen zu können, driften viele
in die Schattenwirtschaft. Mit der Schattenwirtschaft sind
wir inzwischen weltweit mit an der Spitze. Es ist auch Ihr
Verschulden, dass wir so weit gekommen sind.
({21})
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage?
Ja, selbstverständlich.
Gerne.
Bitte sehr, Frau Kollegin.
Herr Hinsken, können Sie mir
folgenden Gegensatz erklären: Der DEHOGA hat bei der
Einführung des 630-Mark-Gesetzes gesagt, dass in der
Gastronomie 40 000 Beschäftigte in solchen Arbeitsverhältnissen seien. Sie sagen jetzt, man habe 100 000 gekündigt. Wie passt das zusammen?
Frau Kollegin Irber, das
passt insofern zusammen, als gerade im Hotel- und Gaststättenbereich weit über 80 000 Arbeitsplätze - nach neuesten Zahlen 100 000 Arbeitsplätze - vernichtet wurden
und man sich außerstande sieht, diese Arbeitsplätze wieder zu besetzen, weil gerade das 630-DM-Gesetz - jetzt
325-Euro-Gesetz - so bürokratisch belastet und ein solcher Hemmschuh für die Hotellerie und Gastronomie ist.
Das aber sind Arbeitsplätze, die wir so dringend brauchen.
({0})
Meine Damen und Herren, im Gegensatz zu Deutschland gewähren die meisten EU-Länder dem Hotel- und
Gaststättengewerbe sowie den Freizeitparks einen
ermäßigten Mehrwertsteuersatz. Daher haben insbesondere die Gastwirte in grenznahen Regionen sowie die
dort ansässigen Tankstellen mit der Billigkonkurrenz jenseits der Grenze zu kämpfen.
({1})
- Das haben wir nicht gehabt.
({2})
Wenn ich in meiner ostbayerischen Heimat feststelle, dass
ich beim Tanken in Deutschland teilweise 40 bis 44 Pfennig, jetzt 22 Cent, mehr bezahlen muss als in Österreich,
und wenn ich - mein Wahlkreis liegt an der tschechischen
Grenze - in der Bundesrepublik Deutschland 15 Cent
mehr bezahlen muss als in Tschechien,
({3})
dann ist das eine Wettbewerbsverzerrung. Dies kann nicht
ohne weiteres hingenommen werden und deshalb weg mit
der Ökosteuer, die wir Ihnen zu verdanken haben.
({4})
Meine Damen und Herren, Leistung muss sich lohnen;
daher setzen wir uns seit längerem für Erleichterungen bei
der Trinkgeldbesteuerung ein. Ich pflichte dem Kollegen Burgbacher bei, der schon mehrmals die Forderung
erhoben hat, dass wir daran denken sollten, dies auf den
Prüfstand zu stellen.
Vor allen Dingen berührt mich - das möchte ich besonders herausstellen -, dass bei den Reisebüros die Nettogewinne in der Zwischenzeit bei nicht einmal 1,5 Prozent liegen. Sie liegen zwischen 0,6 und 1,1 Prozent.
Gerade der Tourismus als besonders personalintensive
Branche bietet große Chancen bei der Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit. Allein für den Zeitraum bis 2010 wird
in der Europäischen Union ein Potenzial von 3,3 Millionen zusätzlichen Arbeitsplätzen erwartet. Nur wenn wir
in der Bundesrepublik Deutschland richtig ansetzen, sind
wir mit circa 400 000 bis 450 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen dabei.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir brauchen in
der Bundesrepublik Deutschland dringend ein höheres
Wirtschaftswachstum. Ein höheres Wirtschaftswachstum bedeutet nämlich auch mehr Geld in der Tasche des
Bürgers, bedeutet mehr Urlaub. Wenn die Deutschen dann
auch noch bereit sind, ihren Zweit- und Dritturlaub nicht
im Ausland zu verbringen, sondern das Geld hier bei uns
in der Bundesrepublik Deutschland zu belassen, Herr
Kollege Feibel, dann haben wir die richtigen Akzente gesetzt, um der Tourismuswirtschaft einen neuen Schub zu
geben, um den Deutschen unser schönes Land schmackhafter zu machen und um die Arbeitsplätze zu schaffen,
die wir uns wünschen und die wir auch dringend brauchen.
In diesem Sinne herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und vielen Dank an meine Kolleginnen und Kollegen,
({5})
die einen so hervorragenden Antrag, wie es auch der FDPAntrag ist, eingebracht haben. Bei Ihnen von Rot-Grün ist
noch ein bisschen Nachhilfeunterricht erforderlich; den
hoffe ich hiermit erteilt zu haben.
Danke schön.
({6})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Roth.
Sehr geehrter Herr Kollege Hinsken, es ist schon frappierend, was Sie unserer
rot-grünen Bundesregierung alles zutrauen. Darf ich Sie
ganz kurz auf Folgendes hinweisen: Deutschland ist sicherlich eine der Exportnationen innerhalb der Europäischen Union. Aufgrund dieser Exporttätigkeit sind wir in
erster Linie vom Weltmarktgeschehen abhängig, von den
Märkten in den USA, von den Märkten in Japan.
({0})
Die ganze Entwicklung als Schuld einer rot-grünen deutschen Bundesregierung darzustellen, Herr Hinsken, ist
doch Populismus. Dem können wir nicht zustimmen.
Danke schön.
Herr Kollege
Hinsken, wollen Sie darauf antworten? - Bitte sehr.
Verehrte Frau Kollegin
Roth, ich möchte mich für Ihre Kurzintervention bedanken, weil ich so die Möglichkeit habe, einige Dinge zurechtzurücken. Es ist nicht so, dass ich der Bundesregierung nicht einiges zutrauen würde. Aber trotzdem musste
ich in meiner Rede feststellen, welche negativen Entwicklungen es in Deutschland auf dem Tourismussektor
gibt.
Wir hören als Opposition auf die Stimmen in der Bevölkerung
({0})
und wir wollen die notwendigen Maßnahmen ergreifen,
damit sich die Tourismuswirtschaft wieder entfalten kann
und weiter nach oben kommt.
({1})
Deshalb habe ich die Probleme angesprochen. Ich hoffe,
dass bei Ihnen einiges hängen bleibt, damit wir der Sache
und nicht einer einzelnen Fraktion wegen eine Politik für
die deutsche Tourismuswirtschaft machen, die sie dringend braucht und die sie von uns auch zu Recht erwartet.
({2})
- Ich bin bereit, auch darauf einzugehen.
Wir sollten aber darauf achten, dass wir langsam zum nächsten Redner kommen können. Aber noch haben Sie das Wort. Bitte sehr,
Herr Kollege.
Was die weltwirtschaftliche Entwicklung anbelangt, ist leider festzustellen, dass
sie momentan nicht mehr so gut verläuft. Aber die wirtschaftliche Entwicklung, die wir in der Bundesrepublik
Deutschland zu verzeichnen haben, ist nicht allein auf die
schlechte Lage der Weltwirtschaft, sondern auf eine verfehlte Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland zurückzuführen.
({0})
Sie haben die Jahre 1999 und 2000 verschlafen,
({1})
in denen die Möglichkeit bestanden hätte, zu korrigieren
und eine Grundlage für eine positive wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland zu legen.
({2})
Jetzt hat die Kollegin
Sylvia Voß für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Hinsken, Ihre Rede und Ihre Erwiderung auf
die Kurzintervention haben mich an die drei Affen erinnert. Wenn man schon nichts sehen und hören will, dann
sollte man auch nichts sagen.
({0})
Die zurückliegenden Monate waren - wir wissen,
warum - wirklich nicht leicht für die Tourismusbranche.
Man urlaubt im Moment lieber erdgebunden und im eigenen Land. Eine insgesamt positive Entwicklung der Gästeübernachtungen in Deutschland war, wie Sie wissen, im
Jahre 2001 davon unabhängig zu verzeichnen.
({1})
Die deutsche Tourismusbranche erwartet diesen positiven Trend, der Sie eigentlich freuen sollte, auch für 2002.
Der Campingtourismus wird in Deutschland immer beliebter wie auch Flusskreuzfahrten. Der Wellnesstrend ist
ungebrochen. Für mich ist das ein deutlicher Beweis nicht
nur für den guten Ruf der Tourismusbranche, sondern
auch dafür, dass sie hier etwas leistet.
({2})
Seit mehr als drei Jahren wird die Tourismuswirtschaft
- man kann sagen: endlich - von einer zielstrebigen Koalition und von einer tatkräftigen Bundesregierung unterstützt.
({3})
Heute beschließen wir nämlich ein Tourismusförderprogramm und damit weitere - wir haben auch vorher schon
Verbesserungen auf den Weg gebracht - Verbesserungen
für einen erfolgreichen Tourismus in unserem Land.
Ein Beispiel von vielen: Wir regen Betreiber von touristischen Einrichtungen dazu an, ihre Anlage mit moderner Technologie auszustatten. Das ist ein ganz wichtiger
Beitrag für den Umweltschutz und fördert gleichzeitig
das Investitionsklima und den Arbeitsmarkt. Die Bundesregierung wird dafür Gelder in speziellen Förderprogrammen bereitstellen. Auf eine für ihn sehr angenehme
und für die Umwelt nachhaltige Art und Weise leistet der
Gast seinen Beitrag, wenn er eine Urlaubseinrichtung
bucht, die umweltschonend geführt wird, die Produkte
aus der Region vermarktet und die auch ohne Auto erreichbar ist. Mit der Einführung der Umweltdachmarke
Viabono haben wir die Orientierung für den Kunden diesbezüglich vereinfacht.
({4})
Deutschland kann auch in diesem Jahr beliebtestes
Reiseziel der Deutschen bleiben. Wenn Sie einmal einen
genauen Blick in unseren Antrag werfen, werden Sie erkennen, dass von uns die besten Voraussetzungen dafür
geschaffen wurden, dass sich daran so schnell nichts
ändert. Im Gegenteil: Wir befördern auch den IncomingTourismus, an dem es bisher immer noch fehlt.
({5})
Es gibt in Deutschland auf engem Raum viel zu
erleben, sodass man sich als Tourist hier faktisch nie langweilen kann. Zum Beispiel entdecken immer mehr Touristen die faszinierende Natur in deutschen Großschutzgebieten. Die maßgeblich von uns auf den Weg
gebrachte Image- und Marketingkampagne für Deutschlands Nationalparke kam deshalb genau zum richtigen
Zeitpunkt, ebenso wie der TAB-Bericht.
({6})
Die Qualitätsmarken - Nationalpark, Biosphärenreservat
und Naturpark - sind nun einmal für ganze Regionen
Deutschlands maßgebend, zum Beispiel für das Wattenmeer oder auch für die mecklenburgische und brandenburgische Seenplatte.
({7})
Daraus ergeben sich große Chancen für Tourismus und
Naturschutz.
Im Internationalen Jahr des Ökotourismus - auch Sie,
Herr Hinsken, sollen Lust auf Natur haben - haben einige
Prominente unsere Richtung zum nachhaltigen Tourismus
untermauert. Herr Frangialli von der WTO und Herr
Trittin haben anlässlich der Eröffnung des Reisepavillons
in Hannover entsprechende Reden gehalten.
({8})
Natürlich setzen diese touristischen Aktivitäten voraus,
dass der Schutzstatus der Großschutzgebiete erhalten
bleibt. Durch eine geschickte Besucherlenkung muss der
Tourist von der Natur fasziniert und müssen zugleich gefährdende ökologische Belastungen ausgeschlossen werden. Die Kampagnen, die wir für die Großschutzgebiete
gestartet haben, sind aber nur ein Beispiel dafür, wie wir
die Tourismusentwicklung in Deutschland fördern.
Wir nehmen uns weiterhin der Qualifizierung der
Beschäftigten an. Dies ist etwas, was Sie nie zustande gebracht haben. Das bedeutet fachkundigeres und freundlicheres Personal in Gaststätten und Hotels.
Wir engagieren uns ebenfalls deutlich auf der Ebene
der Europäischen Union und führen endlich Veränderungen im Bereich der Mobilität durch, indem wir umweltschonende Verkehrsträger fördern. Wir verbinden Mobilität mit einem umweltverträglichen Konzept, wozu Sie
nie in der Lage waren.
({9})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun beruhigt euch
wieder! Wir wissen natürlich, dass bei der Opposition ein
gewisses Engagement für den Tourismus vorhanden ist.
Ihr Antrag spiegelt das allerdings ungenügend wider. Es
hilft überhaupt nicht weiter, planlos irgendetwas aufzuschreiben und aneinander zu reihen, was einem allgemein
zum Tourismus einfällt. Die wenigen wirklich nennenswerten, sinnvollen und auch bezahlbaren Vorschläge der
Opposition sind längst in unserem Programm berücksichtigt. Sie müssten es nur einmal richtig lesen.
Aus einem ganz anderen Grund wird die CDU/CSU in
unseren Debatten über die Tourismuspolitik künftig etwas
besonnener debattieren müssen.
({10})
Früher konnte man fast die Uhr danach stellen - heute hat
es ein wenig länger gedauert, Herr Hinsken -: Spätestens
nach zweieinhalb Minuten Redezeit - egal, bei welchem
möglichen oder unmöglichen Thema - würde die Forderung nach Rücknahme der Ökosteuer erhoben. Diese
Forderung wird die FDP von nun an allein unerhört erschallen lassen.
({11})
Die „SOS-Tourismuspolitiker“ Brähmig und Hinsken
müssen nun zurückrudern, nachdem ihr Edmund „der
Kandidat“ Stoiber zu der Einsicht gelangt ist und erklärt
hat, dass eine Abschaffung der Ökosteuer, wie bisher vollmundig von Ihnen gefordert und versprochen, nicht realisierbar ist.
({12})
So schnell kann man sich blamieren, wenn man unseriös
Politik macht.
Sie wissen, dass die Ökosteuer den Faktor Arbeit entlastet, dass sie Arbeitsplätze sichert und zu umweltschonendem Verhalten motiviert, was schließlich auch der
Tourismusbranche, insbesondere dem Mittelstand, zugute
kommt.
({13})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brähmig?
Ich bin
gleich fertig und er hat schon so viel geredet.
({0})
Wenn Sie es tatsächlich immer noch nicht glauben wollen, fragen Sie doch Ihren Kollegen Stoiber selbst.
({1})
Weitsichtige umweltschützende Maßnahmen ziehen
sich wie ein roter Faden durch alle Schwerpunkte unseres
Tourismusförderprogramms, weil unser Programm auf
Nachhaltigkeit setzt. Wir berücksichtigen auch die finanzielle Förderung von touristisch bedeutenden Projekten.
Ich könnte noch mehr Punkte aufzählen, will aber nur
noch hervorheben, dass wir es waren, die die finanzielle
Ausstattung der Deutschen Zentrale für Tourismus endlich verbessert haben.
({2})
In diesem Zusammenhang möchte ich den Mitarbeitern der Deutschen Zentrale für Tourismus Dank sagen,
denn sie leisten wirklich hervorragende Arbeit und gehen
mit dem Geld, das wir ihnen gegeben haben, gut um.
({3})
In guten Händen ist auch die Tourismuspolitik. Unser
Tourismusförderprogramm macht dies deutlich. Nehmen
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, dieses Programm doch einfach immer wieder zur Hand und
freuen Sie sich mit uns an all diesen Vorhaben,
({4})
die nach vielen Legislaturperioden des Stillstandes endlich umgesetzt werden - zum Nutzen der Tourismuswirtschaft, zum Vorteil der Touristen und zum Guten für die
Natur.
Danke schön.
({5})
Für die FDP-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Ernst Burgbacher.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! „Stoppt die Abzocker“
schrieb gestern eine große Tageszeitung. Dann wurde natürlich gleich auch noch pauschal gesagt, die Gastronomie
habe die Einführung des Euro zur Preiserhöhung genutzt.
({0})
An dieser Stelle will ich eines deutlich sagen: Es stimmt
nicht. Die Gastronomie war daran beteiligt, dass die EuroEinführung so glatt verlief. Wenn es ein paar Abzocker
gibt, dann sind es schwarze Schafe; die gibt es überall.
({1})
Frau Kollegin Irber, wenn Sie sagen, dass es stimmt,
dann stimmt mich das sehr traurig. Ich danke der Gastronomie für die Leistung, die sie erbracht hat. Ich wehre
mich gegen solche pauschalen Urteile.
({2})
- Frau Kastner, ich weiß, dass Sie damit nicht gut leben
können und dass Sie Ihre Vorurteile gerne pflegen. Das
kennen wir alles.
({3})
Meine Damen und Herren, ich will gerne bei dem einsteigen, was Kollegin Irber gesagt hat. Wir sollten uns vielleicht einmal ein wenig ehrlicher über Zahlen unterhalten.
({4})
Jawohl, es ist richtig: Wir haben geringfügige Steigerungen bei den Übernachtungsraten. Wenn wir differenzieren, dann sehen wir, dass es im Städtetourismus sehr hohe
Steigerungsraten gibt, in anderen Bereichen allerdings
nicht; dort gibt es einen Rückgang. Wir sehen auch, dass
es zwar Steigerungsraten gibt, aber gleichzeitig einen Besorgnis erregenden Rückgang in der Ertragslage.
({5})
Das ist die eigentlich wesentliche Zahl. Sie verstehen das
aber nicht, weil Sie es nicht verstehen wollen. Das ist das
Problem.
({6})
Natürlich haben wir infolge des 11. September Probleme; das ist doch überhaupt keine Frage.
({7})
Wir haben - auch das ist keine Frage - ebenso konjunkturelle Probleme. Meine Damen und Herren, da Sie sich
immer mit der Steuerreform brüsten, nehmen Sie das, was
Ihr Ministerium sagt, einmal zur Kenntnis: Wir haben
zwar nur eine geringfügige, aber doch eine Erhöhung der
Steuerlastquote in Deutschland. Das wirkt sich natürlich
sehr stark auf die Nachfrage aus.
Ich komme zu Ihren Äußerungen über die Weltwirtschaft. Es ist richtig, dass wir von der Weltwirtschaft abhängen. Dafür, dass wir bei der Wachstumsrate an letzter
Stelle in der Europäischen Union liegen, trägt aber nicht
die Weltwirtschaft die Verantwortung. Das ist durch eine
völlig verfehlte Wirtschafts-, Steuer- und Arbeitsmarktpolitik hausgemacht. Auch das muss hier gesagt werden.
({8})
Aus den Anträgen wird durchaus deutlich, dass wir eine
Menge Gemeinsamkeiten haben, auch wenn Sie, Frau
Kastner, nur ununterbrochen dazwischenbellen können.
({9})
Ein paar Aussagen zur Sache wären viel schöner. Wir haben - auch im Ausschuss - eine Menge Gemeinsamkeiten
in der Tourismuspolitik. Das sollten wir hier klarstellen.
Ich bedanke mich bei der Deutschen Zentrale für
Tourismus und bei vielen anderen für die hervorragende
Arbeit, die in Deutschland für den Tourismus geleistet
wird. Es könnte aber einiges noch wesentlich besser
laufen. Liebe Kollegin Irber, wenn einiges politisch anders gelaufen wäre, könnten wir nicht nur diese Steigerungsraten, sondern wesentlich höhere haben.
Ich will einmal einige Beispiele nennen: Ich habe
schon auf die Ertragslage und die Steuerlastquote hingewiesen. Sie können doch die Augen nicht davor verschließen, dass wir auf dem Arbeitsmarkt schwierigste
Zustände haben und dass diese Branche händeringend
nach Arbeitskräften sucht, sie aber nicht findet, weil Sie
die Möglichkeiten dazu vernichtet haben. Wenn Sie sich
das neueste Gutachten des Industrie- und Handelskammertages ansehen, dann lesen Sie - ich zitiere -:
Die Kostensteigerungen durch steigende Sozialabgaben, Erhöhung der Ökosteuer und Mehrausgaben
im Wareneinkauf zwingen immer mehr Unternehmen der Tourismuswirtschaft, Preiserhöhungen am
Markt durchzusetzen.
Dann wird davon gesprochen, dass fehlende Investitionen
Sorge bereiten. „Augen zu und durch“ kann wahrlich
nicht die Devise sein. Wir müssen handeln, und zwar jetzt.
Wir als FDP-Fraktion haben dazu eine ganze Menge
Vorschläge gemacht. Wir haben vorgeschlagen, den reduzierten Mehrwertsteuersatz für die Hotellerie einzuführen. Wir haben vorgeschlagen, die Trinkgeldbesteuerung abzuschaffen. - Liebe Kollegen von der CDU/CSU,
ich glaube, Sie springen jetzt. Das begrüße ich. Endlich
springen Sie. Ich erwarte, dass die Sprünge auch von anderen kommen. - Wir haben eine ganze Menge Vorschläge zur Deregulierung gemacht und wir haben heute
einen Antrag vorgelegt. Jetzt muss ich sagen: Da hört bei
mir jegliches Verständnis dafür auf, dass Sie ihn aus parteitaktischen Gründen ablehnen werden. Wir haben zum
zehnjährigen Jubiläum der deutschen Einheit gefordert,
eine große Kampagne zu starten: Deutschland besucht
Deutschland. Damit würden wir Mauern in den Köpfen
ein Stück einreißen und hätten einen wirtschaftlichen Vorteil. Was macht die Regierung? - Der Antrag kommt von
der Opposition, also lehnt man ihn ab. Das finde ich völlig unverständlich.
({10})
Liebe Kollegin Irber, nehmen Sie bitte zur Kenntnis
- Sie haben vorhin Zahlen dazu genannt -, dass der
kleinste Teil der deutschen Bevölkerung jemals in den
neuen Ländern war. Das müssen wir auch aus politischen
Gründen ändern. Deshalb sollten Sie hier zustimmen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Lieber
Herr Mosdorf, wir werden Sie als unseren zuständigen
Staatssekretär leider bald verlieren. Das tut mir wirklich
Leid;
({11})
denn Sie haben hier gute Arbeit geleistet.
({12})
Ich will aber auch sagen: Ich bemängele an dieser
Stelle, dass wir einen Wirtschaftsminister haben, der sich
um Tourismus überhaupt nicht kümmert.
({13})
Er hat an dieser Stelle versprochen, einen reduzierten
Mehrwertsteuersatz einzuführen, und hat es nicht eingehalten. Er hat weder im Ausschuss noch im Plenum an
Tourismusdebatten teilgenommen. Er ist über Versprechen und Ankündigungen nicht hinausgekommen.
({14})
Deshalb hoffe ich, dass wir wenigstens wieder einen
Staatssekretär bekommen, der sich auch auf diesem Feld
betätigt. Ich habe die noch größere Hoffnung, dass nach
dem 22. September dieses Jahres wieder die FDP beim
Tourismus sagt, wohin die Reise geht. Dann wird auch
hier einiges anders werden.
Herzlichen Dank.
({15})
Es ist eine Debatte
mit vielen Zwischenrufen. Trotzdem gefällt mir das Wort
„bellen“ nicht so ganz. Ich glaube nicht, dass dies ein parlamentarischer Ausdruck ist, wenn ich mir die Bemerkung
erlauben darf. Das sehen Sie sicherlich ein, Herr Kollege.
Nun hat die Kollegin Rosel Neuhäuser für die PDSFraktion das Wort.
Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist eine sehr hitzige Debatte.
({0})
Ich denke, dass das „Jahr des Tourismus“, das wir in
2001 hatten, dazu beigetragen hat, dass sich in der Tourismusbranche einiges entwickelt hat. Sicherlich stimmt
die Einschätzung, dass es territorial sehr unterschiedliche
Ergebnisse gibt, was auch in den Regionen sehr unterschiedliche Wirkungen hatte. Es helfen nicht allein Vorwürfe, sondern man muss überlegen, wie man eine inhaltliche Debatte organisieren kann, statt auf eigenen
Standpunkten zu beharren, um diesen Entwicklungsprozess nach inhaltlichen Lösungen zu forcieren und damit
der Branche insgesamt zu helfen.
In vielen Gesprächen mit Vertretern aus der Tourismusbranche und Kommunalpolitikern wurde immer wieder auf die Rolle und die Verantwortung des Tourismus
für die Wirtschaft und für die Beschäftigung hingewiesen.
Es wurde darauf aufmerksam gemacht, dass das Potenzial, welches der Tourismus bietet, nur dann voll genutzt
werden kann, wenn die Bereitschaft zur Entwicklung von
Kooperationen auf allen Ebenen - ich meine hier die europäische Ebene, die nationale Ebene, die regionale und
die lokale Ebene sowie auch die Kooperation zwischen
öffentlichen und privatwirtschaftlichen Partnern - möglich wird.
Wir alle wissen: Tourismus ist kein Selbstläufer. Erfolge in der Branche erzielen wir überall dort, wo durch
Zusammenarbeit eine Bündelung von Kräften erfolgt.
Das bedeutet aber noch ein ganzes Stück gemeinsamer
Arbeit, da das gesamte touristische Potenzial auf den unErnst Burgbacher
terschiedlichsten Ebenen diesbezüglich noch lange nicht
erschlossen ist. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Beispielen.
So kurios es auch klingen mag: Das heute zu beschließende Tourismusförderungsprogramm bedarf aus
dieser Situation heraus - ich meine den von der Bundesregierung vorgelegten Antrag - Ergänzungen.
({1})
Begrüßenswert sind aus meiner Sicht die Abschnitte „Entbürokratisierung“ - das ist schon kritisiert worden -, „Finanzielle Förderung“, „Umwelt“ sowie „Europäische
Union International“, aber auch das Kapitel zur Zusammenarbeit von Bund und Ländern.
Das heißt, wenn wir in der Debatte um das Tourismusförderungsprogramm über Rahmen- und Wettbewerbsbedingungen reden, können wir eben nicht nur an
betriebswirtschaftliche Probleme - wie: höchste Qualität
der Produkte, gleiche Marktzugangsbedingungen aller
Unternehmen oder umweltfreundliche Produkte - denken. Aus unserer Sicht geht es um mehr. Es muss auch um
den Wettbewerb, die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzen, um hohe soziale Standards und um Nachhaltigkeit gehen.
Das Problem der Ausbildung und die Übernahme in
Feststellen beispielsweise - hier ist meines Erachtens
noch ein großer Nachholbedarf vorhanden - oder die
Frage des barrierefreien Reisens sprechen Sie in Ihrem
Antrag an. Nur in dieser Koppelung sehe ich zukünftig
eine Chance, in den unterschiedlichsten Regionen regionale Wirtschaftskreisläufe aufzubauen, die dazu führen,
dass die Menschen sozial abgesichert werden können und
die Kaufkraft damit gestärkt wird.
Ich bin fest davon überzeugt, dass der Beitrag des Tourismus zu Wachstum und Beschäftigung gerade jetzt eine
weit größere Anerkennung auf allen politischen Ebenen
benötigt. Es müssen Aktivitäten auf der Tagesordnung stehen, die dazu beitragen, die Tourismuswirtschaft zu stärken, um Potenziale für weiteres Wachstum zu schaffen. Der
Antrag der Koalitionsfraktionen bietet die Voraussetzungen, aber die Konkretisierung und vor allen Dingen die Unterfütterung dieser Ansätze bleiben noch aus.
Ich meine, es kann nicht allein darum gehen, die Hardware - um es einmal in der Computersprache auszudrücken - bereitzustellen. Seinerzeit - damit spreche ich
ein Problem an, das damals die CDU/CSU-Fraktion und
die FDP-Fraktion in ihrer Regierungszeit entschieden haben -, als es darum ging, GA-Fördermittel für die so genannten Spaßbäder in den neuen Bundesländern auszuweisen, existierte zwar die Hardware, aber für die
Software, also das Betreiben dieser Einrichtungen, waren
keine finanziellen Mittel mehr da. Ich meine, dieser Ansatz ist nicht unbedingt ein Beispiel für die Entwicklung
einer nachhaltigen Tourismuspolitik.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch einen Satz zu dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion sagen. Es
geht nicht allein darum, immer wieder neue Wettbewerbe
auszuschreiben. Aus meiner Sicht ist es besser, in Richtung Förderprogramme - wie Aktionsprogramm für Kinder- und Jugendreisen oder Programm für familienfreundlichere Angebote - aktiv zu werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einen
Wunsch zum Abschluss äußern. Ich möchte es so formulieren: Schalten wir die Ampel für den Aktionsplan für
Kinder- und Jugendreisen auf Grün, damit wir ihn so
schnell wie möglich auf den Weg bringen.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat jetzt der
Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss mich zunächst
recht herzlich bei dem Kollegen Burgbacher für die freundlichen Anmerkungen und Bewertungen bedanken. Ich habe
ohnehin das Gefühl, dass man diese auch zurückgeben
kann; denn der Tourismusausschuss hat eigentlich immer
versucht, interfraktionell, über die Parteigrenzen hinweg,
zusammenzuarbeiten und auch etwas voranzubringen.
({0})
- Ich meine, da kannst du auch mal klatschen, Ernst. Das
ist nämlich richtig. Wir haben eine ganze Menge gemeinsam vorangebracht. Deshalb meine ich, dass die Differenz
wesentlich kleiner ist, als es teilweise in den Debatten
zum Vorschein kommt.
Wir haben eine ganze Menge bewegt. Wir müssen, sozusagen bilanzierend, festhalten: Die Tourismusbranche
ist eine wichtige Wachstumsbranche, die viele noch nicht
als solche erkannt haben. Wir müssen auch viele Kollegen
in unserem Kreis, die nicht in unserem Ausschuss mitarbeiten, darauf hinweisen, dass die Branche wirklich aktiv ist und dass darin eine Menge passiert.
({1})
Darin liegt eine Informationschance. Der Vorsitzende
des Ausschusses hat schon darauf hingewiesen, dass in
dieser Branche sehr viele Menschen beschäftigt sind
- nämlich 3 Millionen -, dass ihr Anteil am Bruttosozialprodukt 8 Prozent beträgt, dass dort 280 Milliarden Umsatz erwirtschaftet werden und - was noch hinzukommt;
das halte ich für besonders wichtig - dass die Branche
110 000 Auszubildende beschäftigt. Ich meine, das ist ein
Lob wert und ein Dankeschön an die Branche dafür, dass
sie sich in der Ausbildung so engagiert.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin sehr dafür,
auch kritische Punkte anzusprechen. Denn nur wenn man
kritische Punkte anspricht, kann man daraus lernen und
etwas Neues entwickeln. Trotzdem können wir auch mit
ein bisschen Stolz auf die Zahlen schauen, die das Statistische Bundesamt heute veröffentlicht. Frau Irber hat bereits darauf hingewiesen: In dem für uns schwierigen Jahr
2001 - zum einen wegen des Vergleichs mit dem EXPOJahr, in dem wir wirklich außergewöhnliche Gästezahlen
hatten, zum anderen wegen des 11. September; es ist von
mehreren Rednern darauf hingewiesen worden, was der
11. September ausgelöst hat - werden wir mit 327 Millionen Übernachtungen die Zahl von 2000, einem Rekordjahr, wahrscheinlich einstellen oder möglicherweise
sogar leicht darüber liegen. Darüber können wir uns mit
der Branche freuen.
({3})
Ich finde, wir sollten deutlich machen, dass das ein wichtiger Schritt nach vorne ist. Wir sollten nicht dort schwarz
malen - Schwarz ist natürlich eine schöne Farbe -,
({4})
wo es eigentlich angebracht ist, die Dinge positiv darzustellen.
Ich möchte jetzt eigentlich mehr auf die Entwicklungen nach 1998 und weniger auf das eingehen, was vor
1998 alles geschehen ist, zum Beispiel bei den Kurstädten.
({5})
- Nein, Ernst, die Kurstädte waren in einer sehr schwierigen Situation. Das wissen wir alle. Ich bin froh darüber,
dass die Kurstädte wieder aufleben und dass sie sich im
internationalen Wettbewerb behaupten. Gerade in den
Grenzgebieten ist die Konkurrenz sehr hart. Es ist daher
wichtig, dass unsere Kurstädte wieder Tritt gefasst haben
und positive Wachstumsraten aufweisen. Das ist ein ganz
wichtiger Schritt nach vorne.
({6})
Ich möchte noch einen Punkt besonders hervorheben,
der oft vergessen wird. Die Tatsache, dass es im Jahre
2001 fast 62 Millionen Übernachtungen in den neuen
Bundesländern gab - sie haben im Vergleich zu 1999
Wachstumsraten von bis zu 14 Prozent aufzuweisen -, ist
ein Zeichen dafür, dass die deutsche Einheit auch im Tourismusbereich stattgefunden hat und dass die Juwelen in
den neuen Bundesländern inzwischen auch von vielen aus
den alten Bundesländern erkannt werden.
({7})
Deshalb habe ich überhaupt kein Problem mit dem Antrag
der FDP. Sie, Frau Irber, wahrscheinlich auch nicht. Wir
haben schon lange die Devise ausgegeben - die FDP hat
sie in ihren Anträgen übernommen -: Deutsche, besucht
Deutschland! Fahrt nicht dreimal im Jahr nach Mallorca,
macht lieber Urlaub zu Hause! Daraus können wir gerne,
wie die FDP es will, eine Kampagne machen.
({8})
Gerade in der jetzigen Zeit sollten wir alles, was die verschiedenen Regionen Deutschlands zu bieten haben, auch
erleben. Man muss nicht pausenlos irgendwohin fahren.
Man kann auch zu Hause Urlaub machen. Das sollte man
gerade mit Blick darauf tun, dass in diesem Jahr - das
letzte Jahr hatten wir mit vereinten Kräften zum Jahr des
Tourismus ausgerufen - die Nachhaltigkeit und der ökologisch verträgliche Tourismus eine große Rolle spielen. Dazu gehört vieles, über das wir im Ausschuss beraten haben, zum Beispiel die Frage, wie eine Renaissance
der Ferien auf dem Bauernhof auf hohem qualitativen Niveau eingeleitet werden kann. Andere Stichworte sind Naturparks und Fahrradtourismus. Ich glaube, wir haben gemeinsam eine Menge zustande gebracht. Wir können stolz
darauf sein, dass wir 2002 die Themen der Nachhaltigkeit
und des ökologisch verträglichen Tourismus in den Vordergrund gestellt haben, lange bevor man international
auf die Idee gekommen ist, diese Themen aufzugreifen.
Die Situation in den Monaten nach dem 11. September
- darüber haben wir hier schon gesprochen - war schwierig. Ich bin froh darüber, dass sich die Zahlen inzwischen
deutlich verbessert haben, auch die der Fluggesellschaften. Das haben mir Vertreter der Fluggesellschaften bestätigt, mit denen ich in den letzten Monaten gesprochen
habe. Das ist auch ein positives Zeichen dafür, dass die
Menschen bereit sind, mit schwierigeren Umständen fertig zu werden. Die Bundesregierung hat dazu einen Beitrag geleistet, indem sie für die Fluggesellschaften die
Haftungsübernahme temporär garantiert hat. Diese Garantie ist in diesen Tagen bis Ende Februar verlängert worden, weil die Verhandlungen zwischen den Fluggesellschaften und den Versicherungen noch andauern. Ich
finde, der Staat kann wirklich nicht alles machen. Es
macht auch keinen Sinn, dass der Staat alles macht. Aber
es ist als ein gemeinsamer Erfolg zu bewerten, wenn die
Bundesregierung in einer Krisensituation die Haftungsübernahme garantiert, und zwar so lange, bis sich die Versicherungen und die Fluggesellschaften geeinigt haben.
({9})
- Lieber Ernst Hinsken, ich glaube nicht, dass es ernsthaft
Ihre Meinung ist, der Staat müsse die Haftung sozusagen
bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag übernehmen. Das wäre
eine Staatswirtschaft, die wir nicht wollen.
({10})
Wir haben uns wie folgt entschieden: Wir versuchen,
die Haftung vonseiten des Staates sicherzustellen, solange sich der Versicherungspool nicht geeinigt hat, damit
die Airlines überhaupt fliegen können. Zu Recht sagt
Jürgen Weber: Wenn wir keine Sicherung haben, bleiben
die Flugzeuge am Boden. Was das für eine Volkswirtschaft wie die Bundesrepublik Deutschland hieße, wissen
wir alle. Deshalb noch einmal der Appell auch an die Versicherungswirtschaft, eine Einigung herbeizuführen.
Ich bin übrigens der Auffassung, dass wir dringend
eine internationale Einigung brauchen.
({11})
- Genau! Das muss man auch den amerikanischen Freunden sagen. Es geht nicht an, dass wir in einer solchen Krisensituation mit Dumpingpreisen agieren oder mit besonderen Subventionen helfen und damit im Grunde einen
fairen Wettbewerb behindern.
({12})
Bei aller Solidarität: Wir brauchen ein „level playing
field“, ein gemeinsames Feld, auf dem unter Wettbewerbsgesichtspunkten Fairness herrscht. Da wir das noch
nicht haben, sind wir als Bundesregierung eingesprungen
und haben alles dafür getan, damit die Haftpflichtversicherung auch bei Drittschäden aufrechterhalten ist und
die Wirtschaft weiter agieren kann. Die Wirtschaft anerkennt das. Das ist ein positives Zeichen.
Zum Schluss möchte ich noch Folgendes sagen: Für
uns alle ist mehr denn je wichtig, dass wir Gäste ins Land
holen. Die Deutschen geben sehr viel im Ausland aus.
Wenn wir nur diese Bilanz, nur diesen Teil der Dienstleistungsbilanz sehen, dann erkennen wir: Wir müssen hier
wirklich alle Anstrengungen unternehmen. Denn wir
müssen schon ganz schön viele Autos verkaufen, damit
wir die Devisen, die wir bei all unseren Auslandsreisen im
Ausland ausgeben, wieder hereinbekommen. Also ist es
wichtig, dass wir einen Schwerpunkt darauf setzen, Gäste
einzuladen, Gäste zu uns ins Land zu holen, ein offenes,
ein liberales, ein tolerantes Land
({13})
- ja, auch ein sicheres Land; das ist ein wichtiger Punkt und ein attraktives Land zu sein, und zwar nicht nur im
klassischen Tourismus, sondern auch im kulturellen Bereich.
Der Herr Kollege
Feibel möchte eine Zwischenfrage stellen. Wollen Sie die
zulassen?
Ich möchte das
erst zu Ende führen. Herr Kollege, Sie erhalten dann Gelegenheit zu fragen. Ich bitte da um Verständnis.
Wir müssen, glaube ich, einen ganz wichtigen Punkt
im Auge behalten. Wir sollten im Hochsegment, in der
qualitativen Tourismusförderung - dazu gehört Kultur; da
hat Deutschland sehr viel zu bieten: in der Musik, in der
Literatur - einen besonderen Schwerpunkt setzen. Da haben viele Regionen ihre eigenen Stärken. Das haben andere Länder so nicht. Andere Länder haben Sonne, haben
Wasser, haben viele andere Dinge. Wir haben auf dem Gebiet der Kultur sehr viel zu bieten. Deshalb, so meine ich,
müssen wir in den nächsten Monaten gemeinsame Anstrengungen unternehmen, um den Tourismus weiter voranzubringen, indem wir auch eine kulturpolitische Dimension in die Tourismusdebatte hineintragen. Daran
möchte ich mich gerne beteiligen.
Vielen Dank.
({0})
Jetzt noch einmal die
Frage, ob Sie eine Frage des Kollegen Feibel beantworten
wollen.
Natürlich. Ich
wollte nur meine Zeit nicht überziehen; denn die Frau Präsidentin ist sehr streng.
Bitte sehr, Herr
Feibel.
Herr Kollege, wenn ich
es richtig sehe, wird die Zeit für die Beantwortung von
Zwischenfragen nicht auf die Redezeit angerechnet.
Sie haben im Zusammenhang mit dem 11. September
die Fluggesellschaften angesprochen. In der Tourismusbranche gibt es noch andere Notleidende in sehr großer
Zahl, denen der Rückgang nach dem 11. September sehr
stark zu schaffen macht. Angesichts dessen frage ich Sie:
Meinen Sie, dass 0,6 Prozent bis 0,8 Prozent Nettoumsatzrendite in der Reisebranche - das heißt zu Deutsch:
Man muss 1 Million DM Umsatz machen, um am Ende
6 000 DM bis 8 000 DM übrig zu haben - reicht, um in
solch schwierigen Zeiten zu überleben? Wie soll denn
durch Ihre Wirtschaftspolitik eine Verbesserung erreicht
werden, sodass die Unternehmen mehr Kapital bilden
können, um eben auch in solch schwierigen Zeiten noch
überleben zu können?
({0})
Lieber Herr Kollege, ich darf Sie auf einen Rechenfehler aufmerksam machen. Bei einer Umsatzrendite von 0,6 Prozent macht man
bei 1 Million DM Umsatz nicht 6 000 DM, sondern
60 000 DM Gewinn.
({0})
- Das ist eine ganz einfache Rechnung. Das ist nun mal
leider so.
({1})
- Es ist so!
({2})
Es ändert nichts daran, dass eine Umsatzrendite von
0,6 Prozent zu wenig ist.
Gerade wenn man investieren will, braucht man eine
ordentliche Umsatzrendite, überhaupt keine Frage. Sie
werden mir aber zugestehen, dass die Rendite natürlich
eine Sache des Unternehmens, nicht des Staates ist. Wir
tun etwas für bessere Rahmenbedingungen, zum Beispiel
durch Steuersenkungen. Darüber haben wir ja gemeinsam
oft gesprochen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir so
erfolgreich sein können.
Vielen Dank.
({3})
Zum Abschluss dieser
Runde hat nun das Wort der Kollege Wolfgang Dehnel
von der CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, im Namen des Hauses zu sprechen, wenn wir dem
Parlamentarischen Staatssekretär Mosdorf für seine möglicherweise letzte tourismuspolitische Rede hier im Hause
danken. Wir wünschen ihm persönlich alles Gute.
Allerdings musste ich feststellen, dass keine der Rednerinnen beziehungsweise der Redner überhaupt auf den
familienpolitischen Aspekt des Tourismus eingegangen
ist. Deshalb fällt es mir als Familienpolitiker zu, dieses
Feld zu bestreiten. Denn Familien in Deutschland - ich
glaube, darin stimmen wir überein - sind eine attraktive
Zielgruppe des Fremdenverkehrs. Die Familien verreisen
im Urlaub häufiger als der Bundesdurchschnitt und umfassen 43 Prozent der gesamten Bevölkerung. Wenn Familien sich in ihrem Urlaub wohl gefühlt haben, kommen
sie wieder und können zu treuen Stammkunden werden,
deren Kindern mit ihren eigenen Kindern wiederkommen.
Es lohnt sich daher, im Fremdenverkehr die speziellen
Bedürfnisse von Familien zu beachten.
({0})
Familien brauchen Ferienangebote, die Kindern und
Eltern einen angenehmen und erholsamen Aufenthalt ermöglichen. Dies dient auch dem Ziel einer familienfreundlicheren Gesellschaft. Deshalb hat die CDU/CSUgeführte Bundesregierung 1986, 1990 und 1994 den
Bundeswettbewerb für familienfreundliche Ferienangebote in Deutschland gestartet, durchgeführt und ausgewertet. Die Resonanz in den Ferienorten war überwältigend. Es gab bundesweit eine Fülle von guten Ideen für
familienfreundlichen Urlaub.
An diesem Wettbewerb haben sich Gemeinden gemeinsam mit ihren Hotels, Pensionen und Anbietern von
Ferienwohnungen, von „Ferien auf dem Bauernhof“ oder
auch von Campingplätzen beteiligt.
Aber die Wettbewerbsbedingungen werden härter. In
Zukunft wird es nicht mehr ausreichen, diese Zielgruppe
nur halbherzig zu bedienen. Für die deutschen Anbieter
von Familienferien wächst der Konkurrenzdruck. Bei immer schärfer kalkulierten Preisen der Pauschalreiseveranstalter nimmt die Attraktivität ausländischer Reiseziele
auch für Familien mit mehreren Kindern zu. Das belegt
eine Untersuchung „Urlaub und Reisen �95“. Dort heißt
es - ich zitiere -:
Von 1990 bis 1994 wuchs die Zahl deutscher
Reisender mit Kindern unter 14 Jahren von
11,56 Millionen auf 13,58 Millionen. Im Vergleich
zum Anteil der Inlandsreisen, der von 5,20 im Jahre
1990 auf 4,93 Millionen sank, stieg der Anteil der
Auslandsreisen mit Kindern unter 14 Jahren in
diesem Zeitraum von 6,36 auf 8,65 Millionen.
Sie sehen an dieser Tendenz: Hier müssen wir gegensteuern.
({1})
Ein weiterer Aspekt: Die europäischen Nachbarländer
wie Dänemark und Österreich haben sich längst durch
Schaffung von entsprechenden Angeboten als kompetente
Ziele für den Familienurlaub profiliert. So überrascht es
nicht, dass nach einer Untersuchung in der Zeitschrit „Eltern“ zum Thema Familienurlaub, durchgeführt schon im
Oktober 1993, Österreich als Ferienland von jungen Familien die besten Noten erhielt. Daher sollten wir als
Deutsche endlich wieder Anstrengungen in dieser Richtung unternehmen, wie wir dies zu unserer Regierungszeit
getan haben.
({2})
- Darauf komme ich gleich noch zu sprechen.
Die Wiederaufnahme dieses Bundeswettbewerbs ist
also auch aus Gründen des verstärkten Wettbewerbs zwischen den europäischen Nachbarländern angebracht, ja
geradezu notwendig. Wenn wir unsere Gesellschaft künftig nicht framilienfreundlicher gestalten - dazu gehören
unzweifelhaft auch familienfreundliche Angebote im
deutschen Tourismus -, werden wir im internationalen
Wettbewerb zu den Verlierern gehören. Man kann nicht
alles der ruhigen Hand überlassen; wir müssen uns mit
fleißigen Händen dem Wettbewerb stellen.
Ich gebe zu, dass unsere Fraktion den Wettbewerb auch
für 1998 geplant hatte; aber leider ist die Wahl nicht positiv für uns ausgegangen. Rot-Grün wollte nicht alles anders, aber vieles besser machen.
({3})
Schon deshalb wäre dieser Wettbewerb in den vergangenen drei Jahren angebracht gewesen.
Es gibt aber noch einen anderen Grund dafür, warum
wir den Antrag zu einem Wettbewerb gestellt haben: Es
gab Forderungen und Rufe danach vor Ort. Wir waren vor
Ort bei den kommunalen Tourismusvertretern. Dazu hat
man unsere Kollegin Schäfer, unseren Kollegen Brähmig,
unseren Kollegen Hinsken eingeladen. Wir waren in den
Wahlkreisen und haben uns vor Ort umgeschaut und gefragt: Was wollen die kommunalen Vertreter? Diese haben
uns darin bestärkt, diesen Wettbewerb wieder einzuführen; das wäre eine gute Sache.
({4})
Überall, ob im Saarland oder in Rheinland-Pfalz, ob in
Sachsen oder Sachsen-Anhalt, ist der Wettbewerb auf eine
positive Resonanz gestoßen. Die CDU/CSU-Fraktion und
die Bundesregierung unter Helmut Kohl haben Ihnen die
Vorlagen geliefert. Fassen Sie sich ein Herz und springen
Sie über Ihren Schatten. Treten Sie damit ins offene Tor
eines neuen familienfreundlichen Ideenwettbewerbs zur
Ausgestaltung des Urlaubsumfelds und Ferienangebots.
Seit dem letzten Wettbewerb sind sechs Jahre vergangen. Da ist es Zeit für eine Neuauflage. Meine Damen und
Herren von der Koalition, glauben Sie wirklich, dass die
Haushaltslage als Verhinderungsgrund für diesen Wettbewerb vorgeschoben werden muss, wo Sie doch selbst in
der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage
zum Familientourismus in Deutschland von einer gelungenen Aktion zur Widerspiegelung der ganzen Vielfalt
zahlreicher Ideen für den familienfreundlichen Urlaub
sprechen?
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Neuhäuser?
Frau Neuhäuser, ja
bitte.
Bitte sehr, Frau Kollegin.
Herr Kollege Dehnel, Sie
haben in Ihrem Antrag gefordert,
den Bundeswettbewerb „Familienferien in Deutschland“, der 1997/98 in vierter Auflage letztmalig ausgetragen wurde, wieder einzuführen.
Können Sie mir sagen, wo dieser Wettbewerb aus Ihrer
Sicht mehr qualitative Angebote für Familien gebracht
hat? Außerdem möchte ich feststellen, dass ich seit Beginn dieser Legislaturperiode vehement dafür streite, kinder-, jugend- und familienfreundliche Angebote im Tourismusbereich zu schaffen.
Frau Kollegin
Neuhäuser, wir kennen uns aus zwei Ausschüssen, aus
dem Petitionsausschuss und aus dem Familienausschuss.
Wenn Sie meiner Rede richtig zugehört hätten, hätten Sie
auch gehört, dass wir 1998 den Antrag gestellt haben, den
Wettbewerb wieder durchzuführen. Auf meinem Platz
liegt ein dicker Katalog; darin enthalten sind die durchaus
positiven Meinungen der Bürgermeister, der Sprecher der
Tourismuswirtschaft, aber auch der Regionalpolitiker, die
sich alle eindeutig positiv zu diesem Wettbewerb geäußert
haben.
Ich habe Ihnen gesagt, dass gerade aus den Kommunen
der Ruf nach diesem Wettbewerb kam, weil er dort zu positiven Ergebnissen geführt hat. Es gab eine Fülle von
Ideen; wir selber konnten uns vor Ort von diesen Ideen
überzeugen. Wenn wir von diesen Ideen nicht so überzeugt gewesen wären, hätten wir den Antrag nicht eingebracht. Lassen Sie mich jetzt aber weiter ausführen, denn
ich glaube, Sie haben es verstanden.
({0})
Meine Damen und Herren, ich weiß, dass mit der Wiedereinführung des Wettbewerbs für familienfreundliche
Ferienangebote in Deutschland die Bundestagswahl in
diesem Jahr nicht entscheidend beeinflusst werden kann.
Aber Arroganz und Hochmut auch gegenüber unseren
guten und konstruktiven Vorschlägen, Ideen und Konzepten kommen vor dem Fall am 22. September 2002.
({1})
Ich schließe die Aus-
sprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Tourismus auf Drucksache 14/8021. Der
Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfeh-
lung die Annahme des Antrags der Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen auf der Drucksache
14/5315 mit dem Titel „Programm zur Stärkung des Tou-
rismus in Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Gegen
die Stimmen von CDU/CSU und FDP ist die Beschluss-
empfehlung angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 2 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5313 mit dem
Titel „Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Tourismus-
wirtschaft stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Ge-
gen die Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung der FDP
ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Tagesordnungspunkt 7 b, Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Tourismus auf Drucksache 14/6846 zu
dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Neue
Kampagne ‚Deutschland besucht Deutschland‘ starten“.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/4153 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die
Stimmen der FDP ist diese Beschlussempfehlung ange-
nommen.
Tagesordnungspunkt 7 c, Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Tourismus auf Drucksache 14/7751 zu
zwei gemäß § 56 a der Geschäftsordnung vorgelegten Be-
richten zu Entwicklung und Folgen des Tourismus. Der
Ausschuss für Tourismus empfiehlt in Kenntnis der Be-
richte auf Drucksachen 13/9446 und 14/1100, eine Ent-
schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich
der Stimme? - Gegen die Stimmen von FDP und
CDU/CSU ist die Beschlussempfehlung angenommen
worden.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7066 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das
so beschlossen.
Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c sowie
die Zusatzpunkte 4 und 5:
8. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Kioto-Mechanismen für die internationale
Klimapolitik Deutschlands nutzen
- Drucksache 14/7073 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Kioto-Mechanismen für die nationale Klimapolitik Deutschlands nutzen
- Drucksache 14/7156 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Gesetz zur Ratifizierung des Kioto-Protokolls
unverzüglich vorlegen
- Drucksache 14/7450 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
ZP 4 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Das Kioto-Protokoll ratifizieren und zum Weltgipfel 2002 in Johannesburg in Kraft setzen
- Drucksache 14/8026 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter
Paziorek, Dr. Christian Ruck, Cajus Caesar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Kioto - Bonn - Marrakesch, ein wichtiger
Schritt für die internationale Klimapolitik
- Drucksache 14/8028 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Das ist dann so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Monika Ganseforth für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute fünf
Anträge zur nationalen und internationalen Klimapolitik.
Insbesondere geht es darum, dass unser Parlament seinen
Beitrag dazu leistet, dass das Kioto-Protokoll zum Weltgipfel in Johannesburg im September dieses Jahres in
Kraft treten wird. Dazu muss es rechtzeitig ratifiziert werden. Die Bundesregierung hat den Prozess eingeleitet und
wir werden - ich glaube, da kann ich für alle sprechen diesen Gesetzentwurf der Regierung zügig behandeln, um
das Protokoll noch in Kraft setzen zu können.
({0})
- Es wäre schön gewesen, Beifall vom ganzen Haus zu erhalten; denn ich glaube, hierin sind wir uns einig.
Es tritt erst in Kraft, wenn es 55 Staaten ratifiziert haben und wenn mindestens 55 Prozent der Emissionen der
Industrieländer durch das Protokoll abgedeckt werden.
Ob das gelingt, ist noch nicht sicher. Da muss noch einiges getan werden. Ich fordere uns alle auf, bei unseren
Kontakten mit Abgeordneten der entsprechenden Länder
- das sind zum Beispiel Russland, Japan und Kanada unseren Einfluss in diese Richtung geltend zu machen. Ich
erwarte aber auch, dass unsere Regierung bei den entsprechenden Kontakten versucht, diesen Prozess voranzubringen.
Zehn Jahre sind vergangen, seitdem 1992 in Rio die
Staatschefs der meisten Länder der Welt zusammenkamen
und unter anderem die Klimarahmenkonvention verhandelt und verabschiedet haben. Das Herzstück dieser
Konvention ist Art. 2, in dem es heißt, dass die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre stabilisiert werden soll. Es ist vereinbart worden, dass die Konzentration von treibhauswirksamen Spurengasen nicht
weiter ansteigt und ein Niveau nicht überschreitet,
({1})
das in jeder Hinsicht keine gravierenden Auswirkungen
nach sich zieht.
Das ist eine sehr anspruchsvolle Forderung, weil wir
seit der Industrialisierung starke Steigerungen der Emissionen von Treibhausgasen zu verzeichnen haben. Je stärker die Emissionen sind, desto mehr langlebige treibhauswirksame Gase sammeln sich an. Wenn die Konzentration
konstant bleiben soll, wenn es also zu keiner weiteren Anreicherung der Treibhausgase kommen soll, dann müssen
die Emissionen drastisch reduziert werden, und zwar, wie
uns die Wissenschaft sagt, auf etwa 50 Prozent der heutigen Emissionen.
Die Industrieländer erzeugen ungefähr 80 Prozent der
Emissionen, obwohl sie nur 20 Prozent der Bevölkerung
Vizepräsidentin Anke Fuchs
stellen. Daher muss der Umfang der von uns erzeugten
Treibhausgase deutlich mehr reduziert werden, und zwar
möglichst schnell.
({2})
Das sind die Aussagen der Wissenschaft.
Ich will nicht verhehlen, dass es Wissenschaftler gibt,
die das anders sehen.
({3})
Es ist ganz normal, dass einige wenige abweichende Positionen vertreten. Unser Planet befindet sich im Grunde
in einem Experiment. Wenn wir abwarten, bis wir sehen,
wie es in 50 oder in 100 Jahren wird, dann müssten wir
womöglich erkennen, dass es zu spät ist. Das ist unverantwortlich.
({4})
Es hat ungefähr zwei Jahre gedauert, bis die Klimarahmenkonvention in Kraft getreten ist. Es ging darum, sie in
Protokolle umzusetzen. Jetzt, zehn Jahre später, liegt uns
das erste Protokoll vor. Dem ging ein mühsamer Prozess
voraus. Die Stationen auf dem Weg waren Kioto, Den
Haag, Bonn und schließlich Marrakesch. Nun liegt das
Protokoll vor, mit dem die Ausfüllung dieses Prozesses
begonnen wird. Der Inhalt des Protokolls besagt bis jetzt
nur, dass die Emissionen konstant gehalten werden sollen.
Wir sind also zu den drastischen Reduktionen, die nötig
sind, noch gar nicht gekommen. Es ist nur ein erster
Schritt.
Wenn wir wirklich das erreichen wollen, was nötig ist,
dann müssen wir uns darüber klar sein, dass es grundlegender Änderungen bedarf, die noch ausstehen. Das betrifft die Grundlagen unseres Wirtschaftens und unserer Lebensweise. Um diese Ziele zu erreichen, müssen
wir - geringe Mehrheiten reichen nicht aus - gemeinsam
vorgehen. Ich appelliere an das ganze Haus, sich diesem
Prozess nicht zu verweigern.
({5})
In diesem Zusammenhang begrüße ich es, dass der Antrag der CDU/CSU wieder die Gemeinsamkeit in den Vordergrund stellt, die wir lange Zeit im Hinblick auf die Klimafrage gehabt haben. Als wir noch in der Opposition
waren, war diese Gemeinsamkeit eigentlich eine Tradition. Der Antrag ist erfreulich sachlich. Er hebt sich wohltuend von vielem ab, was wir in der Vergangenheit von
der CDU/CSU und von der FDP zur Energiepolitik und
zur Klimapolitik gehört haben. Er ist nicht, wie üblich,
mit spitzfindigen Beweisführungen und dem müßigen
Versuch, uns Widersprüche in unserer Politik nachzuweisen, gespickt. Dieser Antrag enthält keine aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate und keine Zitate aus privaten Gesprächen oder nicht öffentlichen Sitzungen,
keine Halbwahrheiten, keine Behauptungen, keine Unterstellungen und kein Zitieren von abwesenden Kronzeugen, die sich nicht wehren können. Dergleichen waren wir
nämlich in der Vergangenheit gewohnt.
({6})
- Nicht nur Herr Grill ist Hardliner. Bei der FDP ist das
ähnlich: Neulich enthielt ein Antrag sogar Zitate aus einem Obleutegespräch. - Dieser Antrag ist wirklich von einem anderen Geist getragen als das, was wir in der letzten
Zeit gehört haben.
Ich will einige Sätze aus dem Antrag zitieren, die ich
wirklich wichtig finde und auf die wir uns einigen sollten:
Die Welt hat keine Zeit mehr abzuwarten, bis die
letzte Gewissheit über das Ausmaß des Klimawandels besteht. Sie muss aus Gründen der Vorsorge unverzüglich handeln. Je früher wir handeln, umso wirkungsvoller beugen wir den Gefahren sozialer und
wirtschaftlicher Verwerfungen vor.
So ist es. Wenn diese Aussage Grundlage unserer gemeinsamen Bemühungen zur Klimapolitik oder zur nachhaltigen Energiepolitik wäre, zum Beispiel in der EnergieEnquete-Kommission, dann wäre viel gewonnen. Wir
bräuchten uns dann nur noch über die Instrumente, über
den richtigen Weg zu streiten. Wir müssten in einen Wettbewerb eintreten, wer das konsistente Energiekonzept hat,
und nicht mehr immer nur hören, was wir alles falsch machen. Vielmehr würden wir auch einmal von Ihnen hören,
was Sie machen wollen, um diesem Ziel gerecht zu werden.
({7})
Richtig ist: Klimaschutz wird nur erfolgreich sein,
wenn die wichtigsten Industrieländer, auch die USA, mitmachen. Er wird nur Erfolg haben, wenn auch die Entwicklungs- und Schwellenländer dabei sind. Dabei darf es
nicht zu einer nachholenden Entwicklung kommen. Die
Industrieländer dürfen nicht ihre Fehlentwicklungen und
ihre nicht nachhaltige Lebensweise auf die Entwicklungsländer übertragen. Vielmehr bedarf es neuer Strukturen.
Kernstück dieser Strukturen ist ein effizienter Umgang
mit Energie. Wir nutzen Energie heute weltweit so, dass
90 Prozent der eingesetzten Primärenergie verloren gehen
und nur 10 Prozent für die Nutzung zur Verfügung stehen.
Diese drastische Energieverschwendung muss beendet
werden und darf nicht noch auf die Entwicklungsländer
übertragen werden.
({8})
Der zweite Punkt neben der Effizienz - wir behandeln
morgen das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, das in diese
Richtung weist - sind die erneuerbaren Energien. Auch
da muss weltweit der Durchbruch zu Solarenergie und anderen erneuerbaren Energien geschafft werden. Wenn wir
mit Vertretern von Entwicklungsländern sprechen, ist
wichtig, dass wir dies selber vormachen, dass wir zeigen,
dass das geht, dass wir zeigen, dass sich das rechnet, und
dass wir mit gutem Beispiel vorangehen. Es wäre schön,
wenn man auch da gemeinsam an einem Strang ziehen
würde.
({9})
Erfreulich ist, dass im Kioto-Protokoll der Bau von
Atomkraftwerken als Klimaschutzmechanismus ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Auch das entspricht
der deutschen Atomausstiegspolitik unserer rot-grünen
Regierung.
Die Entwicklungsländer benötigen für ihren Weg zur
Nachhaltigkeit unsere Unterstützung im Know-how und
sie benötigen Geld. Wir begrüßen daher, dass das KiotoProtokoll eine 20-köpfige Expertengruppe zum Technologietransfer vorsieht. Wir begrüßen, dass es Gelder von
der EU, Norwegen, Neuseeland, der Schweiz, Israel und
Kanada gibt, die in einen Fonds fließen, der im Rahmen
der Umweltfazilität neu eingerichtet und verwaltet wird.
Auch Deutschland hat Finanzbeiträge für Aktionsprogramme zugesagt.
In unserem Antrag, der heute vorliegt, fordern wir die
Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass auch
die USA, die das Kioto-Protokoll ja nicht mittragen, aber
auch Japan und Australien ausreichende Beiträge zur Unterstützung der Entwicklungsländer in Richtung Klimapolitik leisten.
Das Kioto-Protokoll ist also ein erster Schritt auf dem
Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung. Wir müssen weiter eine treibende Kraft in der Klimapolitik sein und unsere Aussagen und Zusagen national und international
glaubwürdig umsetzen.
Deutschland hat sich vor zehn Jahren in Rio und in
Berlin auf der ersten Konferenz nach Rio öffentlich verpflichtet - das war noch der Kanzler aus Ihren Reihen,
Helmut Kohl -, die CO2-Emissionen als ersten Schritt bis
zum Jahr 2005 um 25 Prozent, bezogen auf 1990, zu reduzieren. Nach dem Kioto-Protokoll und den EU-Lastenverteilungen müssen wir bis zum Jahr 2008 bzw. 2012 die
Emission der fünf Treibhausgase um 21 Prozent, bezogen
auf 1990, reduzieren. Tun wir alles, um diese Verpflichtungen glaubwürdig umzusetzen!
Schönen Dank.
({10})
Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Peter Paziorek.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Frau Ganseforth, ich stimme
Ihnen ausdrücklich zu, dass es eine Aufgabe der deutschen Umweltpolitik und der deutschen Politik an sich ist,
eine gemeinsame Haltung dieses Hauses zum internationalen Klimaschutz zu erarbeiten und gemeinsam bei den
internationalen Verhandlungen dafür zu sorgen, dass wir
dieses Ziel auch tatsächlich erreichen.
({0})
Auch wir sehen die Verhandlungsergebnisse der
7. Weltklimakonferenz in Marrakesch als einen wichtigen
Schritt in der internationalen Klimapolitik an. Dass nun
auch die völkerrechtlichen Voraussetzungen für eine weltweite Reduktion der Treibhausgase geschaffen, verbindliche Zielvorgaben entwickelt und nun endlich Vereinbarungen zu flexibleren Umsetzungsinstrumenten getroffen
worden sind, ist begrüßenswert und ein Erfolg. Wir stimmen
Ihnen auch zu, dass man letztlich nur von einem entscheidenden Durchbruch sprechen kann, wenn wichtige Industriestaaten wie zum Beispiel die USA nicht abseits stehen,
sondern bei der internationalen Klimapolitik mitmachen.
Alle diese Verhandlungsfortschritte auf internationaler
Ebene, die wir ausdrücklich konzedieren, dürfen aber
nicht von der Frage ablenken, wie es hier in Deutschland
um den nationalen Klimaschutz steht. Das ist eine ganz
entscheidende Frage.
({1})
Es ist kein Geheimnis: Die CO2-Emissionen in Deutschland sind in den letzten Monaten wieder angestiegen, die
Klimaschutzpolitik in Deutschland stagniert, nach drei
Jahren steht die rot-grüne Regierung beim Klimaschutz
vor dem Offenbarungseid. Was ist dabei der zentrale politische Vorwurf? Der Bundesregierung ist der Vorwurf zu
machen, dass es ihr an einer umfassenden und in sich abgestimmten Strategie fehlt, um das eine Ziel, im Jahre
2005 25 Prozent CO2-Emissionen weniger als 1990 zu haben, zu erreichen. Erst recht ist bezogen auf das Jahr 2012
der Vorwurf zu machen, dass es an einer zum Beispiel mit
wichtigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Akteuren abgestimmten Langfriststrategie fehlt.
({2})
Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass aus politischen Gründen mal an der einen Stelle das eine Instrument
herausgestellt wird, mal an der anderen Stelle ein anderes.
Im Ergebnis kann man sagen: Wir haben keine in sich abgestimmte Klimaschutzpolitik, sondern leider nur einen
Klimaschutz-Flickenteppich. Das ist eine traurige Bilanz.
({3})
Sie wollen - im Grundsatz stimme ich Ihnen da zu die Erderwärmung bekämpfen, doch in den letzten Jahren
haben Sie in der Umweltpolitik nur heiße Luft produziert.
({4})
Nach der Flut guter Initiativen unter Töpfer und Merkel
nun in den letzten Monaten die klimapolitische Ebbe unter Trittin - das ist leider keine positive Gezeitenwende in
der Umweltpolitik.
({5})
Die von der rot-grünen Bundesregierung eingeführte
Ökosteuer hat den Anstieg der CO2-Emissionen in
Deutschland nicht verhindern können. Von einer ökologischen Steuerungswirkung kann man bei der CO2-Steuer
somit nicht sprechen, weil man davon nicht viel merkt.
({6})
Angesichts der Arbeitslosenzahlen ist auch zu sagen, dass
Sie das Versprechen der so genannten doppelten Dividende, dass sich also auch auf dem Arbeitsmarkt etwas
tut, nicht haben einhalten können.
({7})
Sie haben ja selbst in der Antwort auf eine Kleine Anfrage, Drucksache 14/5002, Mitte Dezember zugegeben,
dass es zurzeit noch keine belastbare Quantifizierung der
Auswirkungen der Ökosteuer auf die Beschäftigung gibt.
({8})
Das haben Sie also selbst zugestanden. Sie haben in der
Antwort zwar gesagt, es gebe Modellrechnungen von einigen Wirtschaftsinstituten, nach denen es zu einer Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt gekommen sei, aber Sie
haben ausdrücklich in dieser Drucksache - das können
Sie, Kollege Müller, nachlesen;
({9})
ich habe sie nämlich dabei - gesagt, dass es keine belastbare positive Bilanz der Auswirkungen der Ökosteuer auf
den Arbeitsmarkt gibt. Dafür sprechen ja auch die Zahlen,
die nun in einigen Tagen veröffentlicht werden.
({10})
Natürlich ist der Energieverbrauch in einigen Teilbereichen gesunken,
({11})
aber das geht sicherlich auf den immer stärkeren Einsatz
von effizienteren Technologien in Deutschland zurück.
({12})
Da, wo der technische Standard schon hoch ist, wirkt Ihre
CO2-Steuer wie eine reine Abschöpfungssteuer. Damit
kann man sagen: Bis heute ist der Nachweis nicht erbracht, dass Reduktionserfolge aufgrund gerade dieser
Ökosteuer erzielt worden seien.
Der von der rot-grünen Koalition beschlossene Ausstieg aus der Kernenergie stellt die Klimapolitik weiterhin vor beträchtliche Herausforderungen. Sie müssen jetzt
nicht nur, wie zugesagt, den allgemeinen CO2-Ausstoß
reduzieren, sondern auch noch den Anteil des Stroms aus
der Kernenergie ersetzen. Wir sind einmal gespannt, wie
Ihr Konzept wirklich aussieht. Wir wissen ja, wie umstritten das in Ihrer Regierung ist; der Wirtschaftsminister
sieht das vielleicht anders als der Umweltminister.
Zusammengefasst: Überzeugende, belastbare, in sich
abgestimmte Konzepte für eine Energiepolitik, mit der
CO2 eingespart werden kann, haben Sie nicht vorgelegt.
({13})
Da gibt es auch einen Konflikt zwischen den verschiedenen Ministerien. Herr Müller, Sie selbst haben ja den
Wirtschaftsminister - er ist zwar nicht Ihr Parteifreund abgewatscht und haben gesagt, er habe davon keine Ahnung. Das sind doch hervorragende Belege dafür, Herr
Müller, dass Sie keine in sich abgestimmte Energiepolitik
im Sinne des Klimaschutzes haben.
({14})
Was Ihnen hervorragend gelungen ist: Sie haben sich
über Monate hinweg hinter dem Verhandlungsmarathon
der Rio-Folgekonferenzen versteckt. Das war in der Tat
sehr medienwirksam. In der Zeit haben Sie für einen konkreten Klimaschutz in Deutschland aber nichts geleistet.
Das ist eine traurige Bilanz.
({15})
Wo müssen wir jetzt also ansetzen? Das haben Sie,
Frau Ganseforth, mich zweimal in Zwischenrufen gefragt. Das Entscheidende ist jetzt - da stimme ich Ihnen
zu -, dass wir zügig darangehen müssen, die Vereinbarungen von Kioto zu ratifizieren. Dazu sind wir bereit.
Wir werden alles dafür tun - mit Ihnen gemeinsam, da
stimme ich Ihnen zu -, dass dieser Ratifizierungsprozess
hier im Hause schnell über die Bühne geht. Diese Zusage
können Sie haben.
Jetzt kommt es aber darauf an, dass wir die Mechanismen, die in dem Papier von Kioto festgelegt wurden, auch
tatsächlich umsetzen und ein Konzept entwickeln, um mit
diesen Kioto-Mechanismen eine sinnvolle nationale
Klimaschutzstrategie in Deutschland zu betreiben. Mit
anderen Worten: Es wird nicht, Frau Ganseforth, darauf
ankommen, dass wir hier nur ratifizieren. Jetzt muss die
Bundesregierung ein wirklich belastbares Konzept vorlegen, wie die Ergebnisse aus Marrakesch und Kioto tatsächlich umgesetzt werden können.
({16})
Ich bin einmal gespannt, was Sie da vorlegen. Wenn
man bedenkt, was wir im Augenblick sehen, dann muss
man große Zweifel haben, ob die Bundesregierung etwas
Brauchbares vorlegen wird. Sie haben nämlich über Jahre
hinweg die flexiblen Mechanismen bekämpft; das muss
man einmal klar und deutlich sagen. Als Frau Merkel hier
im Hause über diese flexiblen Mechanismen vorgetragen
hat, hat man ihr klar und deutlich gesagt: Das ist eine
Verlagerung der Klimaschutzpolitik in die Schwellenländer und in die so genannte Dritte Welt. Wir müssen das
ganz anders machen. Der CO2-Ausstoß muss hier in
Deutschland um 50 Prozent reduziert werden.
({17})
Jetzt sind in Marrakesch genau die flexiblen Instrumente umgesetzt worden, die von Frau Merkel früher vorgeschlagen worden sind.
({18})
Früher haben Sie das bekämpft, heute sind das die großen
Erfolge. Jetzt muss man sagen: Wir brauchen eine Klimaschutzstrategie, die genau darauf aufbaut. Jetzt brauchen
wir einen Weg, der das tatsächlich bringt. Wir haben große
Zweifel, ob Sie das überhaupt wollen. Bis jetzt haben wir
überzeugende Ansätze einer solchen Strategie von Ihnen
noch nicht gehört. Die Bundesregierung muss in dieser
Frage springen, wenn sie nicht die deutsche Wirtschaft bei
einer solchen CO2-Minderungsstrategie übermäßig finanziell belasten will.
Das bedeutet also: Wir brauchen jetzt ein Instrument,
das Klimaschutzprojekte in den Schwellenländern Asiens und Lateinamerikas ermöglicht. Die Niederländer haben uns das in den letzten Jahren gezeigt.
({19})
Sie sind schon lange dabei. Sie lassen sich das sogar zertifizieren, lieber Kollege Loske. Sie wissen auch, weshalb
sie sich das zertifizieren lassen: weil sie das nämlich bestimmt auf EU-Ebene angerechnet haben wollen. Die sind
einfach schon ein Stückchen weiter bei der Umsetzung
von Kioto-Mechanismen. Während wir in Deutschland
noch darüber diskutieren, haben andere Staaten schon
ganz entscheidende Schritte gemacht.
Deshalb brauchen wir ein Konzept, das Technologietransfer, Entwicklungspolitik und Entwicklungshilfemaßnahmen in die so genannten Schwellenländer und
Entwicklungsländer, in die Regionen Indiens und Chinas
sowie in andere Regionen Asiens trägt; denn die Klimaschutzpolitik ist ein globales Problem. Wir werden es
nicht nur in Deutschland lösen können. Jede Strategie
muss so ausgestaltet sein, dass eine nationale Klimaschutzpolitik durch Technologietransfer mit der internationalen Klimaschutzpolitik verbunden wird. Das kann
jetzt ermöglicht werden. Jetzt müssen die Konzepte auf
den Tisch. Sie haben in den letzten Monaten an einer solchen Politik nicht gearbeitet. Diesen Vorwurf muss man
Ihnen deutlich machen.
({20})
Ich glaube schon, dass in einer solchen Klimapolitik
wesentliche Effizienzpotenziale liegen. Es muss deshalb
zu einer geschickten Verknüpfung von Kapital aus Industrieländern und den flexiblen Instrumenten kommen. Das
muss ausgenutzt werden. Eine solche Kombination von
Klimaschutzpolitik, Entwicklungszusammenarbeit und
Privatinvestitionen birgt die Chance, die globalen Herausforderungen des Klimawandels auch durch einen verstärkten Technologietransfer zu bewältigen. Das ist aus
unserer Sicht der beste Klimaschutz. Das hilft Deutschland. Das hilft sicherlich auch unserer Wirtschaft. Das
hilft insgesamt aber auch dem internationalen Klimaschutz.
Wenn Sie sehen, welcher Energiehunger gerade auch
in den Entwicklungsstaaten befriedigt werden muss, dann
ist es wichtig, dass wir eine solche Politik betreiben und
die nationale Klimaschutzpolitik mit einer internationalen
Politik verbinden.
Wir stellen deshalb positiv fest, dass die deutsche Wirtschaft bereits beachtliche Reduktionsleistungen erbracht
und damit nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, dass
Deutschland sich als Spitzenreiter im Klimaschutz etablieren konnte. Das wollten wir, das haben wir immer begrüßt. Aber die deutschen Leistungen auf dem weiteren
Weg, den wir auch wollen, dürfen nicht zu einer Selbstüberschätzung führen. Es muss sinnvoll auf eine gute Abstimmung mit der Entwicklungspolitik und mit der Technologietransferpolitik geachtet werden.
Welche Konsequenzen sind aus einer solchen Sichtweise für die internationale Klimaschutzpolitik zu
ziehen? Wir müssen jetzt in eine intensive Instrumentendiskussion einsteigen, aber dabei auch kritisch
mit den Vorgaben aus Brüssel umgehen. Das gilt zu Recht
auch für den Richtlinienentwurf zum Emissionshandel,
der jetzt aus Brüssel vorgelegt worden ist. Wir sagen ganz
deutlich: Der Handel mit Emissionsrechten ist ein theoretisch überzeugendes Konzept, aber wie immer in der Politik steckt der Teufel im Detail. Die deutsche Industrie
steht aufgrund vieler Bedenken dem Zertifikatehandel ja
auch skeptisch gegenüber.
({21})
- Gut, ein Teil. - Deshalb stellen sich bei allen grundsätzlichen Sympathien für den Handel mit Emissionsrechten
aus unserer Sicht drei Fragen:
Erstens. Wie will die Europäische Union ein Zuteilungssystem für Emissionsrechte schaffen, das unzumutbare Wettbewerbsverzerrungen zwischen den betroffenen
Unternehmen und den Mitgliedstaaten vermeidet? Hier
denke ich zum Beispiel an die Anrechnung deutscher Vorleistungen.
Zweitens. Wie stellt die EU sicher, dass in den Emissionshandel einbezogene Bereiche im Vergleich zu anderen
Bereichen - deshalb haben wir beim BDI auch die unterschiedlichen Positionen - nicht übermäßig belastet werden?
Drittens. Wie will die EU das Verhältnis zu anderen
umweltpolitischen Instrumenten wie zum Beispiel zum
Ordnungsrecht und - für Deutschland eine ganz wichtige
Frage - zu den freiwilligen Selbstverpflichtungen regeln?
Diese Fragen können letztlich nur durch eine Pilotphase beantwortet werden. Wir wollen, dass diese Pilotphase möglichst schnell kommt und breit angelegt ist. Es
soll nicht nur in irgendwelchen Arbeitskreisen bei der
Bundesregierung darüber diskutiert werden, sondern sie
soll unter öffentlicher Kontrolle stattfinden. Wir begrüßen
diese Pilotphase und sagen: In dem Bereich des Emissionshandels muss schnell gearbeitet werden; denn wir dürfen nicht noch mehr Zeit verlieren. Lassen Sie uns bei unseren Partnern in der Welt für eine schnelle Ratifizierung des
Kioto-Protokolls eintreten und sorgen wir dafür, dass die
umweltpolitisch sinnvollen und ökonomisch verträglichen
Voraussetzungen für den Einsatz flexibler Instrumente auch
hier in Deutschland schnellstmöglich vorliegen.
({22})
Ich erteile das Wort
dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herrn Jürgen Trittin.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! In der Tat, wir haben es hier mit einem, was internationale Klimapolitik angeht, sehr weit
gehenden Konsens zu tun. Gerade dieser Konsens unterscheidet uns, Gott sei Dank, von anderen Ländern. Ich
hoffe, dass wir auf diese Weise auch im Wettbewerb der
Ratifizierung nicht ganz schlecht dastehen und das schaffen, was wir gemeinsam wollen, nämlich das Kioto-Protokoll, das Abkommen, das zum ersten Mal den Ausstoß
von CO2 absolut verbindlich begrenzt, so zu ratifizieren,
dass es möglichst zum Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg in Kraft treten kann.
Wie Herr Paziorek zu Recht bemerkt hat, ist natürlich
der Weg bis zur Umsetzung im Lande an manchen Stellen
durchaus umstritten. Sie werden mir nachsehen, dass ich
eine etwas andere Sicht der Dinge auf die nationale Klimapolitik habe als Sie. Ich behaupte: Nur Rot-Grün war
in der Lage, die im Konsens gefundenen Zielvorstellungen endlich mit konkreten Maßnahmen zu unterlegen.
Erst unter Rot-Grün hat es ein konkretes, spezifiziertes
und auf die einzelnen Sektoren bezogenes Klimaschutzprogramm gegeben.
({0})
Gucken wir uns einmal an, was in diesem Klimaschutzprogramm steht und wie sich beispielsweise der
Freistaat Bayern zu diesen konkreten klimaschutzpolitischen Maßnahmen verhalten hat. Ökosteuer - Bayern
dagegen. Erneuerbare-Energien-Gesetz - Bayern dagegen. Biomasseverordnung - Bayern dagegen. Bayern ist
außerdem unter allen Binnenländern Schlusslicht bei der
Windenergie.
({1})
Es gibt kein Land, das in diesem Bereich so schlecht dasteht wie Bayern.
({2})
- Entschuldigen Sie, ich habe Bayern nicht mit Schleswig-Holstein verglichen, sondern mit Binnenländern wie
Baden-Württemberg, Hessen oder auch Nordrhein-Westfalen. Sie können mir nicht erzählen, dass die Windverhältnisse in der Oberpfalz schlechter sind als im Sauerland.
({3})
Es scheint so zu sein, dass die Herausforderungen des
Klimaschutzes zwar von der Münchener Rück, einer
großen Versicherungsgesellschaft, verstanden worden
sind, aber offensichtlich noch nicht von dem Münchener
Kandidaten für ein höheres Amt.
({4})
Das Versagen in der nationalen Klimaschutzpolitik hat
Rückwirkungen auf das internationale Ansehen. Glauben
Sie denn im Ernst, mit einer Regierung, die darauf verzichtet hätte, die LKW-Maut einzuführen und das große
Programm zur Förderung erneuerbarer Energien auf den
Weg zu bringen, mit einer Regierung, die zu Hause kein
umwelt- und klimapolitisches Profil erworben hätte, hätten Sie die Kraft gehabt, in Verhandlungen mit der Europäischen Union und dann mit den Entwicklungsländern
diesen Erfolg zu erreichen? Das glaube ich nicht. Ich
glaube vielmehr: Nur wer zu Hause seine Aufgaben erledigt, der kann auch international etwas bewegen. Deswegen ist es gut, dass wir das machen.
({5})
Innerhalb des Kioto-Abkommens hat sich die Bundesregierung verpflichtet, den Ausstoß der sechs Treibhausgase bis zum Jahre 2010 um 21 Prozent zu reduzieren. Von diesem Ziel - Sie wollen an dieser Stelle noch um
Instrumente streiten, werter Kollege Paziorek - trennen
uns noch 2,3 Prozentpunkte. Zwei Drittel der Emissionsreduktionen innerhalb der EU, ja der industrialisierten
Welt sind in der Bundesrepublik Deutschland erbracht
worden.
Wenn Sie unsere netten Nachbarn aus den Niederlanden als Vorbild anpreisen,
({6})
dann muss ich trotz aller nachbarschaftlichen Freundschaft sagen: Die Niederlande haben sich zu Reduktionen
nicht von 21 Prozent, sondern von 6 Prozent verpflichtet.
({7})
Sie müssen aber in Wirklichkeit 16 Prozent Reduktion erbringen, weil sie nicht wie wir Reduktionen, sondern einen massiven Anstieg der CO2-Emissionen zu verzeichnen haben.
({8})
Da lasse ich mir ungern predigen, dass die Verhältnisse
beim Nachbarn besser seien, werter Herr Kollege
Paziorek.
Obwohl wir der Auffassung sind, dass wir das Klimaschutzziel ohne Nutzung der flexiblen Mechanismen sehr
gut erreichen können - das ist möglich -, wollen wir auch
diese Instrumente nutzen. Wir wollen beispielsweise
einen frühen Beginn von CDM. Das war eine unserer Verhandlungslinien. Im Clean Development Mechanism
stecken nämlich Potenziale gerade für die Entwicklungsländer in Bezug auf den Technologietransfer. Auch wenn
wir der Auffassung sind, dass wir unsere Selbstverpflichtung erfolgreich erfüllen können, wollen wir dennoch einen frühen Start des Emissionshandels. Wir wollen dies
nicht nur aus umweltpolitischen Gründen.
In einem Punkt stimme ich Ihnen übrigens zu. Es kann
nur eine Emissionshandelsrichtlinie geben, in der die
Leistungen, die die Bundesrepublik Deutschland erbracht
hat, auch berücksichtigt werden. In diesem Punkt besteht
zwischen uns Konsens. In dieser Frage müssen Sie mich
nicht katholisch machen.
Warum wollen wir das? Wir wollen das nicht nur, weil
es für die Umwelt gut ist. Jede Tonne CO2, die wir über
die 21 Prozent Reduktion hinaus sparen werden, ist bei einem EU-weiten Emissionshandelssystem für uns auch
ökonomisch ein Vorteil.
({9})
Deswegen stimmt die Gleichung, die gelegentlich aufgemacht wird, auch nicht, die da lautet: Klimaschutz wird
nur unter Kostenaspekten betrachtet. Wo kommen denn
die Gasturbinen her, mit denen zurzeit die neuen Kraftwerke in Kalifornien bestückt werden? Sie kommen aus
der Bundesrepublik, weil man in Kalifornien weiß, dass
„Made in Germany“ ein Synonym für Effizienz gerade in
diesem Bereich ist.
Deswegen hatte Frau Merkel auch Recht, als sie das
Gutachten in Auftrag gegeben hat, mit dem einmal untersucht werden sollte, was eigentlich passiert, wenn wir bis
2020 40 Prozent CO2 einsparen. Was bedeutet das für die
Arbeitsplätze hier? Eine Bedingung, die hinzukam und
für die ich verantwortlich bin, machte das noch schwerer,
nämlich der Atomausstieg. Das Ergebnis ist, dass hier
netto 200 000 neue Arbeitsplätze entstehen würden.
Deswegen glaube ich, dass wir alle gut daran täten, den
bei der internationalen Klimaschutzpolitik bestehenden
Konsens auch bei der nationalen Klimaschutzpolitik zu
pflegen. Ich glaube, in manchen Punkten sind wir auch
gar nicht so weit auseinander, wie das in solchen Debatten notwendigerweise von der Opposition unterstrichen
werden muss.
In einem Punkt sollten wir auch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes keinen Zweifel lassen:
Immer mehr Menschen leiden unter den inzwischen eingetretenen Folgen des mangelnden Klimaschutzes. Wir
haben heute mehr Umweltflüchtlinge als Kriegsflüchtlinge auf diesem Globus. Deswegen ist Klimaschutz nicht
nur eine Frage der Ökologie. Klimaschutz ist eine Frage
globaler Gerechtigkeit. Wenn wir den international bestehenden Konsens auch national hinbekommen würden,
würden wir dieser globalen Herausforderung gemeinsam
gerecht werden.
Ich danke Ihnen.
({10})
Ich erteile der Kollegin Birgit Homburger für die FDP-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Anlass für diese Debatte waren zunächst zwei Anträge der FDP-Bundestagsfraktion.
Es sind weitere Anträge dazugekommen, weil man wahrscheinlich in diesem Hause, insbesondere vonseiten der
Koalitionsfraktionen, nicht zulassen wollte, dass man hier
über die Initiativen der FDP allein diskutiert.
({0})
Das hat Ihnen wahrscheinlich nicht gepasst. Aber das
zeigt ganz deutlich, wer hier beizeiten in der Klimaschutzpolitik die Initiative ergriffen hat: Das waren nämlich wir.
({1})
Damit Sie mir nicht gleich wieder etwas unterstellen,
möchte ich vorneweg ganz deutlich sagen, worüber zwischen allen Parteien dieses Hauses - auch mit uns - Konsens besteht, nämlich dass wir an dem nationalen Klimaschutzziel der Reduktion des CO2-Ausstoßes um
25 Prozent bis zum Jahre 2005 gegenüber 1990 festhalten.
Dies möchte ich vor meiner eigentlichen Rede klarstellen.
Im Vordergrund steht für uns das Ziel, die weltweiten
Treibhausgasemissionen zu verringern.
({2})
Aus diesem und keinem anderen Grund engagieren wir
uns seit Jahren für den internationalen Zertifikatehandel, wie er im Kioto-Protokoll vorgesehen und jetzt in
den Vereinbarungen von Marrakesch bestätigt worden ist.
Diese wollen wir in der Bundesrepublik Deutschland umsetzen. Wir hätten dazu längst Initiativen von dieser Bundesregierung erwartet. Wir als FDP-Bundestagsfraktion
- das sehen Sie auch an dem Antrag, den Sie vorliegen haben - haben als erste direkt nach Marrakesch noch einmal
die Ratifizierung des Kioto-Protokolls beantragt.
({3})
Es ist erfreulich, dass jetzt auch ein Gesetzentwurf der
Bundesregierung vorliegt, über den wir aber nicht heute
Abend debattieren. Allerdings sollte die Bundesregierung
schon die Positionen klären, denn an dem selben Tag, an
dem die Bundesregierung diesen Entwurf im Kabinett beschlossen hat, hat Wirtschaftsminister Müller erklärt, er
sei gegen einen Zertifikatehandel.
({4})
Entweder hat der Mann nicht verstanden, dass die Ratifizierung des Kioto-Protokolls einen Zertifikatehandel bedeutet,
oder die Bundesregierung ist sich in diesem Punkt schlicht
nach wie vor nicht einig. Ich finde, das sollte man klären.
({5})
Im Interesse des internationalen Klimaschutzes begrüßt die FDP allerdings den vorgelegten Gesetzentwurf
der Bundesregierung, den wir demnächst sicherlich debattieren können, und sieht ihn als Chance, den trittinschen Stillstand in der Klimaschutzpolitik zu überwinden.
({6})
Herr Trittin, Sie haben zuvor in Ihrer Rede ausgeführt
- ich finde das beachtlich -, Sie hätten solche Erfolge gehabt und vermitteln können, weil Sie zu Hause Ihre Hausaufgaben gemacht hätten. Zudem sei die geplante Emissionsreduktion zu zwei Dritteln in Deutschland erfolgt.
Sagen Sie doch bitte dazu, dass ein Großteil der in
Deutschland realisierten Emissionsreduktionen, die Sie
für sich in Anspruch nehmen, dadurch erfolgt ist, dass die
Wirtschaft schon zu Zeiten einer anderen Regierung
große Anstrengungen hinsichtlich der Emissionsreduktionen unternommen hat, als Sie noch gar nicht daran denken konnten, Umweltminister zu werden.
({7})
Nun sagen Sie, wir könnten die Ziele auch ohne einen
Emissionshandel erreichen. Das ist ja prima. Wir wollen
aber weiterkommen und das Ziel nicht nur erreichen, sondern darüber hinaus auch die Chancen, die in diesen internationalen modernen Instrumenten liegen, auch zur
Kostenreduktion nutzen. Wieso wollen Sie der deutschen
Wirtschaft denn die Chance nicht geben? Führen Sie das
doch einmal aus!
({8})
- Ja natürlich, er sagt, er wolle Kioto ratifizieren. Er
macht aber keinen Vorschlag, wie er den Emissionshandel
in Deutschland einführen will.
Hier muss ich deutlich sagen: Es hätte zwei Effekte.
Der erste Effekt wäre, dass zukünftig an den Stellen investiert wird, an denen es in jeder Hinsicht am günstigsten
und sinnvollsten - also ökologisch wirksam und ökonomisch effizient - ist. Zweitens sollten wir in Deutschland
- das haben Sie selber gesagt - das zulassen, was gemäß
den Art. 6 und 12 des Kioto-Protokolls möglich ist, nämlich an anderen Stellen der Erde Investitionen zu tätigen
und die daraus resultierenden CO2-Reduktionen auf unsere Verpflichtungen in Deutschland anzurechnen.
({9})
Wir sagen Ihnen noch einmal sehr deutlich: Es ist dem
Weltklima völlig egal, an welcher Stelle der Erde eine
Tonne CO2 reduziert wird. Deswegen sollten wir dafür
sorgen, dass pro eingesetztem Euro so viel CO2 reduziert
wird wie nur irgend möglich.
({10})
Sie sagen jetzt, Sie hätten sich auf der Klimakonferenz
dafür eingesetzt, dass der CDM hier in Deutschland überhaupt genutzt werden kann.
({11})
Seit Ende des Jahres 2000 gibt es bereits die Möglichkeit,
diesen Mechanismus zu nutzen.
({12})
Herr Trittin, ich frage Sie: Warum lassen Sie es in
Deutschland nicht zu? Warum schaffen Sie nicht die Rahmenbedingungen in Form eines so genannten Memorandum of Understanding oder in Form von bilateralen Vereinbarungen, die für die Unternehmen, die es tun wollen,
notwendig sind? Warum machen Sie das nicht? Warum
verzögern Sie das?
({13})
- Frau Ganseforth, nein, dazu muss man das Protokoll
nicht in Kraft setzen. Lesen Sie das Kioto-Protokoll einmal durch. Es ist eben schon Realität; andere Länder nutzen das schon,
({14})
weil das Protokoll diese Möglichkeiten bereits zulässt. Ich
habe zusammen mit dem Land Georgien auf der Klimakonferenz in Bonn dazu eine Initiative gestartet, die im
Übrigen in der entsprechenden Arbeitsgruppe dort eine
Mehrheit gefunden hat.
({15})
Deswegen ist es dringend notwendig, dass wir in
Deutschland vorankommen. Dieser Zertifikatehandel bietet gerade auch im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit eine Chance, weil er den Entwicklungs- und
Transformationsländern die Möglichkeit gibt, aktiv und in
eigener Verantwortung am Welthandel teilzunehmen,
gleichzeitig substanzielle Beiträge zum Klimaschutz zu
leisten und ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern.
Deshalb fordern wir Sie auf: Bringen Sie endlich nicht
nur den Ratifizierungsgesetzentwurf, sondern auch einen
Vorschlag ein, wie Sie die Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft mit diesen modernen internationalen Instrumenten verknüpfen wollen. Das wäre auch eine
Chance für die Selbstverpflichtung der Wirtschaft bezüglich der Emissionsreduzierung. Hier versagen Sie bereits
während Ihrer gesamten Regierungszeit.
({16})
Seit über einem Jahr gibt es eine Arbeitsgruppe. Sie hat
bis heute keinen einzigen Vorschlag vorgelegt, obwohl
Sie schon für Ende letzten Jahres einen solchen angekündigt hatten. Auch vor Weihnachten hatten Sie dies in der
Beantwortung einer Kleinen Anfrage der FDP-Fraktion
für die nächsten Wochen angekündigt.
({17})
Ich habe mir heute Nachmittag noch einmal die Homepage des BMU angeschaut, um sicherzustellen, dass ich
wirklich auf dem aktuellen Stand bin. Es gibt immer noch
keinen Vorschlag.
({18})
International werden längst die Bedingungen für den
Emissionshandel festgelegt, und zwar ohne Deutschland.
Das bestätigt auch Herr Loske in einem Interview in der
„Frankfurter Rundschau“. Insofern kann ich Sie, Herr
Trittin, nur so, wie es die FDP schon seit langer Zeit tut,
auffordern: Reden Sie nicht nur darüber,
({19})
was Sie tun wollen, sondern tun Sie auch endlich einmal
das, was wir von Ihnen erwarten.
Vielen Dank.
({20})
Nun hat das Wort die
Kollegin Eva Bulling-Schröter für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP möchte den
Handel mit Emissionszertifikaten schnellstmöglich in
Deutschland, Europa und darüber hinaus einführen. Das
wurde hier sehr imposant vorgetragen.
({0})
Die Idee eines Handels mit Emissionsrechten klingt
verlockend, wird aber von Umweltverbänden, vielen Wissenschaftlern und auch von uns, der PDS, sehr kritisch betrachtet. Die Frage ist: Woran liegt das? Es liegt wohl in
erster Linie daran, dass sich die Befürworter eines solchen
Handels in einer Reihe mit den Verweigerern des Klimaschutzes befinden. International sind das die USA und andere Staaten der Umbrella-Group. Aber auch national sind
es meist diejenigen, die sich jeder wirksamen - ich betone: wirksamen - Form der Ökosteuer und zielführenden
ordnungspolitischen Regelungen zum Klimaschutz widersetzen.
Der Verdacht liegt nahe, dass es weniger um Klimaschutz als um Gewinn bringenden Handel geht. Es wäre
interessant, zu wissen, ob das Engagement genauso enthusiastisch wäre, wenn nicht der Emissionshandel mit
osteuropäischen Staaten locken würde, welcher bekanntermaßen nichts als heiße Luft produzieren wird, oder
wenn die umfangreichen Schlupflöcher der anderen flexiblen Kioto-Instrumente gestopft würden; das ist dringend notwendig.
Sich billig freikaufen vom Klimaschutz - das sollte die
ehrliche Überschrift dieser Bestrebung sein. So muss man
das auch benennen. Die Welt ist eben nicht ganz so einfach organisiert, wie sie im zweiten Semester Betriebswirtschaftslehre oder aus durchsichtigen Gründen in weiten Teilen der Politik verkauft wird.
({1})
Deshalb wird dieses Zertifikatssystem bei geringsten
volkswirtschaftlichen Kosten international kaum zu weniger CO2 führen. Der Handel mit Emissionsverpflichtungen wird nämlich nicht auf jungfräulichem Boden
blühen, bei dem alle Marktteilnehmer gleiche Ausgangsbedingungen haben. Osteuropa wird auch ohne zusätzliche Klimagaseinsparungen Zertifikate verkaufen können,
mit welchen dann potente Industriestaaten noch mehr
CO2 in die Luft blasen werden. Auch bei den anderen flexiblen Instrumenten tun sich Abgründe auf, wenn man daran denkt, wie dort getrickst und betrogen werden kann.
Das ist leider die Wahrheit.
({2})
Wenn schon nicht international, so könnte vielleicht innerhalb der EU ein Zertifikatshandel sinnvoll installiert
werden. Doch der Druck, den die FDP ausübt, ist aus
praktischen Erwägungen von uns abzulehnen. Die Entscheidungen der EU zum Zertifikatshandel werden jahrzehntelang die Klimapolitik begleiten. Es ist kein Geheimnis, dass viele EU-Beamte und auch die Mehrheit der
EU-Politiker nur wenig über die verschiedenen Instrumente dieses Handels und deren Wirkungen wissen. Dies
beweist beispielsweise der im Richtlinienvorschlag gewählte schwerfällige und wenig transparente DownstreamAnsatz. Anstatt bei den Erstverkäufern von Energierohstoffen anzusetzen, wird hier die vielfach kompliziertere
Zertifizierung von Emissionsrechten auf Unternehmensebene gewählt. Somit können eigentlich nur Großquellen
stationärer Anlagen sinnvoll einbezogen werden. Der
ganze Bereich Verkehr und private Haushalte - hier sind
beim CO2-Ausstoß die größten Wachstumsraten zu verzeichnen - bleibt außen vor.
({3})
Dabei hätte die Versteigerung bzw. der Verkauf eines politisch begrenzten Volumens von Zertifikaten an die wenigen Raffinerien und Bergwerke klare Vorteile: Die zu
ersteigernden Handelsrechte würden klare klimapolitische Ziele vorgeben. Beim Weiterverkauf der Energieträger auf dem Markt würden die Knappheitspreise marktwirtschaftlich auf alle Produzenten und Verbraucher
umgelegt werden, also auch auf den Verkehr und andere
mobile Emittenten.
Nebenbei wäre auch das Problem für diejenigen Unternehmen und Staaten gelöst, welche schon klimapolitische Vorleistungen erbracht haben. Ihre höhere Energieeffizienz wird belohnt und eben nicht bestraft, wie es mit
dem Richtlinienvorschlag zu befürchten ist. Das wurde
vorher schon thematisiert. Wer sich bis jetzt vor CO2-Reduzierungen gedrückt hat, kann nun plötzlich mit Klimaschutzinvestitionen viel Geld verdienen. Die bisherigen
Vorreiter im Klimaschutz gucken dann in die Röhre. Gerade für Deutschland ist dies ein Problem. Das BMU hat
in seiner Stellungnahme darauf hingewiesen.
Die deutsche Wirtschaft an sich hat zurzeit gespaltene
Interessen. Den Banken sichert der Emissionshandel gute
Geschäfte. Sie sind selbstverständlich dafür. Der Markt,
an dessen Handel die Häuser beteiligt sein dürften, wird
auf 60 Milliarden Dollar geschätzt. Die Industrie wiederum sträubt sich gegen den Emissionshandel, kein
Wunder, denn sie verdient mit der seltsamen rot-grünen
Variante der Ökosteuer ohne zusätzliche ökologische Gegenleistungen netto anderthalb Milliarden im Jahr. Wer
würde eine solche Geldmaschine schon gerne gegen
Zertifikate eintauschen, mit denen sich - jedenfalls in Europa - kaum Geld verdienen lässt?
Lassen Sie mich abschließend feststellen, Herr Kollege
Schmidt: Die PDS ist nicht gegen die Ökosteuer, sondern
wir wollen eine andere Ökosteuer. Wir wollen das gesamte Ökosteueraufkommen in den ökologischen Umbau
stecken.
({4})
- So ist es nicht. Natürlich muss sie bezahlt werden. Ich
verstehe aber, dass Sie das ärgert; denn diese Konzepte
gab es in Ihren Parteien auch. Was ernsthafte Politik ist,
sollten wir wohl am 22. September den Wählern überlassen.
({5})
Das Wort hat jetzt der
Kollege Michael Müller für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Der Philosoph Hermann
Lübbe hat festgestellt, dass das eigentliche und vielleicht
problematischste Kriterium unserer Zeit darin besteht,
dass wir eine Schrumpfung auf die Gegenwart erleben.
Das heißt, dass wir uns in einer Welt befinden, die nicht
fähig ist, über längerfristige Prozesse nachzudenken. Die
Kurzfristigkeit der Ökonomie findet ihre Ergänzung in
der Kurzfristigkeit des Denkens. Ich meine, das ist genau
der Punkt, um den es geht. Sind wir in der Lage - wir sind
sicherlich alle einer Meinung darüber, welch große Herausforderung die Klimaänderung darstellt -, gegen eine
Welt, in der nur die Kurzfristigkeit zählt, auch längerfristige Strukturveränderungen durchzusetzen? Die Frage
ist, ob wir ernsthaft dazu kommen, dass wir nicht den bisherigen Widerspruch fortsetzen, auf der einen Seite sehr
viel über die Zukunftsgefahren zu wissen, diese aber auf
der anderen Seite - wie Frau Bulling-Schröter - in der
Konsequenz doch zu verdrängen, weil der Alltagspopulismus viel wichtiger ist, und in der Lage sind, auch Unbequemes durchzuziehen. Bei allen Unterschieden im
Hause meine ich, dass der Deutsche Bundestag auf das,
was er mit der Klima-Enquete geleistet hat, stolz sein
kann. Damit haben wir auf nationaler wie auf internationaler Ebene etwas geleistet.
({0})
Das muss man bei allen sonstigen Unterschieden schon
sehen.
Ich meine, wir sind in einer Situation, in der wir das,
was wir zu leisten haben - nämlich langfristig die ökologische Modernisierung der Industriestaaten als Voraussetzung für eine stabile und friedliche Welt -, nur
dann erreichen, wenn wir jene Kurzfristigkeit des Denkens und des Handelns nicht mitmachen. Das ist der
Punkt, um den es geht, meine Damen und Herren.
({1})
Ich möchte noch einen zweiten Punkt ansprechen, und
zwar in Richtung FDP-Fraktion. Wenn es darauf ankommt, erlebt, erfährt man irgendwie doch das ungeschriebene Gesetz: Je konkreter es wird, desto weniger
habe ich mit dem, was ich gestern gesagt habe, zu tun. Ich nehme Ihnen die Äußerungen zum Emissionshandel,
ehrlich gesagt, nicht ab. Was haben Sie in der Vergangenheit nicht alles zum Thema Ökosteuer gesagt!
({2})
Aber als es darauf ankam, war von Ihnen nichts zu sehen.
So wird es auch beim Emissionshandel sein, und zwar aus
einem einfachen Grund: Die Klientel, die Sie vertreten,
fängt an, sich massiv gegen den Emissionshandel auszusprechen. Ich bin mir ganz sicher: Sie werden die erste
Partei sein, die umfällt, wenn es konkret wird.
({3})
Was Sie, Herr Paziorek, zu dem Thema „Zertifikate und
Emissionshandel“ angemerkt haben, finde ich richtig. Wir
müssen - und zwar gemeinsam - darauf Wert legen, dass
erstens der Emissionshandel mit anderen Instrumenten
stimmig ist. Es kann nicht sein, dass wir ein neues Instrument einsetzen, das im Grunde genommen andere erfolgreiche Instrumente konterkariert. Das darf nicht sein.
Wir haben zweitens aus meiner Sicht auch die Verpflichtung, dass der Emissionshandel so organisiert wird,
dass sich nicht andere dadurch sozusagen einen weißen
Fuß verschaffen können. Es muss eine vernünftige Anrechnung erfolgen.
Drittens muss es auch eine Stimmigkeit des Gesamtkonzepts geben. Insofern meine ich, dass der Emissionshandel ein sehr sinnvolles ökonomisches Instrument darstellt, aber er muss natürlich konkret geprüft werden. Wir
müssen in einer globalisierten Welt vor allem die Stimmigkeit der Gesamtentwicklung garantieren. Das werden
wir auch tun. Ich hoffe, dass wir hier unbeschadet aller anderen Fragen zu gemeinsamen Positionen kommen werden; denn es wird nicht einfach sein, die Auseinandersetzung in der Europäischen Union zu bestehen. Wir werden
sicherlich noch eine ganze Menge Probleme haben.
({4})
Lassen Sie mich zum Ausgangspunkt zurückkommen.
Ich sehe die Klimagipfel von Bonn und Marrakesch vor
allem deshalb als Erfolge an, weil auf ihnen die lähmende
Situation, die jahrelange Stagnation überwunden worden
ist. Ich glaube, das ist der größte Erfolg. Man muss natürlich zugeben, dass das, was dabei herausgekommen ist,
nicht mehr sein kann als ein Einstieg.
({5})
Auch wenn man sich die Ergebnisse des Gipfels von Marrakesch und die Ratifizierung des Protokolls von Kioto
anschaut, dann muss man fairerweise zugeben, dass wir
noch weit von dem entfernt sind, was notwendig ist. Aber
es ist richtig, dass der Hauptbremser USA isoliert worden
ist, wobei man ehrlicherweise sagen muss, dass sich viele
Staaten hinter den Vereinigten Staaten versteckt haben.
Die USA sind nicht alleine verantwortlich. Deshalb sollte
man mit dem Finger nicht nur auf die USA, sondern auch
auf Australien, Japan und Russland zeigen. Auch die letztgenannten Länder werden ihrer Verantwortung bisher
nicht gerecht. Das muss man bei aller Kritik an den USA,
die aus meiner Sicht in dieser Frage sicherlich die
schlimmste Rolle spielen, sehen. Die anderen Länder betreiben zum Teil ein Doppelspiel. Das ist nicht zu akzeptieren. Ökologisch sind diese Länder keine Großmächte;
denn sie sind im Grunde genommen Vertreter einer höchst
rückständigen Politik.
Die Ausgangsposition ist klar. Die Weltgemeinschaft
hat 1992 den Beschluss gefasst, den Umfang der Treibhausgase auf einem solchen Niveau zu stabilisieren, dass
das Klima auf Dauer geschützt ist. Wenn man sich aber
die heute vorliegenden Daten anschaut, dann stellt man
fest, dass es im Vergleich zum natürlichen Kohlendioxidwert einen Anstieg von etwa 200 Teilen auf 1 Million
Teile gegeben hat. Wenn man das als Ausgangsposition
nimmt, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass eine Verdoppelung des CO2-Umfangs eine Erwärmung um 2 Grad
bedeutet. Wir haben also trotz allem, was wir bisher erreicht haben, kaum noch Zeit, eine solche Verdoppelung
zu verhindern. Das ist die dramatische Situation, vor der
wir stehen.
({6})
- Das sagt beispielsweise das IPCC. Das ist die allgemeine Auffassung in der Weltgemeinschaft.
({7})
- Doch!
({8})
- Nein, die Verdoppelung ist doch klimahistorisch belegt.
Es gibt eine klare Korrelation zwischen der Verdoppelung
der Kohlenstoffwerte in der Atmosphäre und den Erwärmungswerten. Das ist unbestritten. Das IPCC ist sich nur
nicht schlüssig darüber - wenn Sie das gemeint haben
sollten, dann haben Sie Recht -, in welcher Geschwindigkeit das geschehen wird. Aber die Verdoppelung ist unbestritten. Sie können mir glauben, dass Ihre Fraktion zusammen mit meiner schon eindeutig Position in dieser
Frage bezogen hat. Aber vielleicht hat Ihr Zwischenruf
auch etwas mit der Kurzfristigkeit des Denkens zu tun,
von der ich vorhin gesprochen habe. Wenn dem so wäre,
würde ich das bedauern.
({9})
Eine Verdoppelung - sie lässt sich nicht mehr ausschließen - hätte natürlich katastrophale Folgen: Für die
Wüstenbildung, die voranschreiten würde, für die
Ernährungsgrundlagen und, vereinfacht ausgedrückt, für
eine friedliche Welt. Deshalb ist auf dem Gipfel von
Toronto 1988 - das war der Ausgangspunkt - festgelegt
worden, bis zum Jahre 2005 die CO2-Emissionen um
20 Prozent und bis zum Jahre 2030 um 50 Prozent zu
reduzieren. Davon sind wir noch weit entfernt.
Lassen Sie mich noch eine Anmerkung machen. In unserem Antrag fordern wir eine Reduktion der CO2-Emissionen um 40 Prozent bis 2020. Ich weiß, dass das eine
schwierige Aufgabe ist. Ich weiß nicht, ob wir das erreichen können. Aber ich weiß, dass eine solche Reduktion
notwendig ist. Ich finde, man muss auch Notwendigkeiten aussprechen.
({10})
Es ist wichtig, dass wir Europäer vor allem in dieser Frage
ehrgeizig sind. Es ist zwar wahr, dass solche Positionen
nur schwer durchzusetzen sind, wenn es darauf ankommt.
Aber was wäre die Politik noch wert, wenn sie nicht
wenigstens die notwendigen Ziele formulierte und alles
versuchte, sie zu erreichen? Wenn wir es noch nicht einmal versuchen, dann haben wir aus meiner Sicht politisch
schon versagt. Insofern ist es richtig, dass wir eine Reduktion von 40 Prozent als Ziel formuliert haben.
({11})
Eine solche Forderung steht aus meiner Sicht auch in der
Tradition der Forderungen, die in den Berichten der Enquete-Kommissionen erhoben werden. Wir sollten versuchen, auszuloten, unter welchen Bedingungen wir dieses
Ziel erreichen können. Darum geht es aus meiner Sicht.
Im September 2000 gab es die Millenniumerklärung
der Vereinten Nationen. Sie hat in aller Klarheit eine
Ethik des Bewahrens herausgestellt und sich zu dem Kioto-Protokoll bekannt.
Wir müssen einfach feststellen, dass wir in der Zwischenzeit weltweit eine dramatische Verschlechterung erleben. Wenn man sich die Zahlen anschaut, erkennt man:
Gegenüber dem Kioto-Basisjahr 1990 haben wir im Jahr
2000 einen Anstieg der Kohlendioxidemissionen um
11 Prozent zu verzeichnen. Wenn die USA ihren bisheriMichael Müller ({12})
gen Emissionstrend beibehalten, werden sie im Jahr 2010
um fast 50 Prozent über dem Ziel liegen, das sie nach
Kioto eigentlich erreichen müssten. 50 Prozent über dem
Ziel! Vor allem in den Schwellen- und Entwicklungsländern gibt es die dramatische Situation, dass dort in den
nächsten 18 Jahren ein Zuwachs um 2 000 Millionen Tonnen CO2 zu erwarten ist, während es in den Industriestaaten eher in Richtung Stagnation geht.
Das beispielsweise ist auch der Ausfluss einer Trickserei. In dem Kioto-Protokoll haben die Vereinigten Staaten
ein Prinzip festgelegt, nach dem im Kern versucht wird,
von den hohen Emissionen herunterzukommen, aber
nicht so sehr versucht wird, ein Gerechtigkeitsprinzip zur
Geltung zu bringen. Es ist ein Problem, dass die Amerikaner das Kioto-Protokoll in der Weise auslegen, dass es
im Wesentlichen nur für die Industriestaaten gilt. Und
dann hat sich die wichtigste Industrienation der Erde diesem Protokoll sogar noch entzogen! Es ist im Grunde genommen eine unverantwortliche Strategie der USA gewesen, die jetzt die ganze Welt auszubaden hat.
({13})
Umso wichtiger ist es, dass wir in Europa in der Globalisierung der Vorreiter der ökologischen Modernisierung sind. Die Welt wächst zusammen und Europa muss
sich fragen, welchen Beitrag es in der Globalisierung leisten will. Ich kann uns alle nur ermutigen, für ein europäisches Profil einzutreten, das neben der sozialen Gerechtigkeit vor allem die ökologische Modernisierung
beinhaltet.
({14})
Das ist die große Chance für die Zukunft und wir sollten
sie auch nutzen.
({15})
Ich erteile
für die CDU/CSU-Fraktion dem Herrn Kollegen
Christian Ruck das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Auch ich freue mich natürlich
darüber, dass knapp zehn Jahre nach dem Weltgipfel in
Rio die Völkergemeinschaft mit dem Übereinkommen
von Marrakesch doch noch die Kraft gefunden hat, der
Klimarahmenkonvention zum Leben zu verhelfen und
den Startschuss zur Umsetzung des Kioto-Protokolls zu
geben. Es war in der Tat ein zäher Prozess, der mehr als
nur einmal vor dem Scheitern stand. Man muss sagen,
dass sich jede Delegation aus Deutschland mit jedem Delegationsleiter mit besonderem Eifer hervorgetan hat und
mit besonderem Eifer gekämpft hat. Das ging von Frau
Merkel damals in Kioto oder auch in Berlin - dort stand
schon einmal ein Klimagipfel vor dem Scheitern - bis hin
zum Abschluss unter Umweltminister Trittin.
Natürlich müssen wir alles daransetzen, dass das Kioto-Protokoll rasch ratifiziert wird - selbstverständlich
von uns, aber auch von genügend anderen -, damit der
Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung im Spätherbst in
Johannesburg zumindest mit diesem positiven Beitrag beginnen kann.
Das Übereinkommen von Marrakesch hat auch gezeigt, dass die Weltgemeinschaft sehr wohl zu freiwilligen
wichtigen und notwendigen Beschlüssen, auch zu einschneidenden Entschlüssen kommen kann, und zwar auch
und gerade im Umweltbereich. Trotz der Erleichterung
über die Ergebnisse gerade nach dem Zwischentief von
Den Haag muss man allerdings sagen: Zu Begeisterung
und Euphorie haben wir keinen Anlass.
({0})
Das ursprüngliche Minderungsziel von 5,2 Prozent
bis zum Zeitintervall 2008/2012 ist durch Zugeständnisse
in der Senkenfrage zum Beispiel gegenüber Russland,
Japan und Kanada massiv verwässert worden. Nach
Schätzungen des WWF führen diese Verhandlungsergebnisse vermutlich nicht zu einer Reduktion, sondern
lediglich zu einer Stabilisierung auf dem Niveau von
1990. Das ist auch schon etwas, aber es ist langfristig zu
wenig, um nach Meinung der meisten Wissenschaftler
den Schutz des Erdklimas langfristig zu gewährleisten.
Natürlich wirft das bisherige Fernbleiben der USA im
Kioto-Prozess einen großen Schatten auf die bisherigen
Verhandlungsergebnisse. Worüber wir heute diskutieren,
ist, was wir als deutsche Politiker, als Parlamentarier oder
als Mitglieder der Bundesregierung unternehmen können,
damit das Kioto-Protokoll nun wirklich mit Leben erfüllt
wird. Ich sehe hier vier wichtige Punkte, die teilweise
auch schon angesprochen wurden. Erstens! Wir brauchen
eine neue diplomatische Offensive für den Klimaschutz
und auch für die Fragen der nachhaltigen Entwicklung,
und zwar nicht nur durch die Umweltpolitiker, sondern
auch durch das Außenministerium und den Bundeskanzler; denn die rasche Ratifizierung kommt nicht von selbst.
Wenn ich mir zum Beispiel die Situation in Russland anschaue und die Aussagen, die Putin trifft oder nicht trifft,
dann muss ich sagen: Wir brauchen auch hier vonseiten
Joschka Fischers und vonseiten des Bundeskanzlers eine
ganz andere Strampeltaktik, wir brauchen einen ganz anderen Einsatz. Toter Käfer zu spielen hilft hier nicht
weiter.
Das gilt auch, Kollege Müller, in Bezug auf die Vereinigten Staaten. Es muss uns in der Tat gelingen, die Vereinigten Staaten davon zu überzeugen, dass sie nicht nur eine
Führungsmacht in außenpolitischen und Wirtschaftsfragen
sind, sondern dass sie auch eine führende Rolle spielen
müssen in der internationalen Entwicklungspolitik, bei der
Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen und des
Klimaschutzes. Dazu brauchen wir aber auch mehr Engagement aufseiten des Kanzlers.
({1})
Zweitens - auch das wurde schon angesprochen -: Es
gibt noch viele offene Fragen zu klären, zum Beispiel in
der Senkenfrage: Abrechnungs-, Anrechnungs- und Überwachungsprobleme. Es gibt aber auch noch offene Fragen
zu den CO2-Zertifikaten. Im Grundsatz gebe ich hier
natürlich der FDP Recht. Aber ich halte den Richtlinienvorschlag der Kommission zu diesem Thema immer noch
Michael Müller ({2})
für deutlich verbesserungsbedürftig. Es ist wirklich so: Es
drohen uns ein hohes Maß an behördlichen Eingriffen und
eine erhebliche Ausweitung des Ordnungsrechtes. Die
Verpflichtung zur Teilnahme der energieintensiven Sektoren am Zertifikatehandel läuft natürlich eigentlich dem
Grundgedanken der flexiblen Instrumente zuwider.
Besonders schwierig ist die Frage der Zuteilung der
Emissionsrechte. Diese Frage ist natürlich vollkommen
offen, aber sie ist gerade auch für die deutsche Wirtschaft
von entscheidender Bedeutung. Und die wollen wir ja
auch zum Mitmachen gewinnen.
({3})
- Ja. Dass hier aber schwerwiegende Konsequenzen für
die Wettbewerbsfähigkeit ganzer Industriezweige zu befürchten sind oder eine ungleiche und damit auch unfaire
Verteilung von Rechten und Pflichten in Europa, das zeigt
sich ja auch am Diskussionsstand in der Arge Emissionshandel.
({4})
Hier darf sich die Bundesregierung nicht erneut über den
Tisch ziehen lassen; denn wenn die Regelungen sowohl
überbürokratisch als auch ungerecht sind, dann, glaube
ich, wird die Umsetzung des Kioto-Protokolls schon in
Europa scheitern.
Drittens! Wir müssen die wirtschaftliche und technologische Zusammenarbeit mit den Entwicklungs- und
Schwellenländern deutlich ausweiten. Auch das wurde ja
schon gesagt! Die Entwicklungsländer haben eine sehr
konstruktive Rolle in Marrakesch gespielt. Sie sind ja
auch ganz besonders vom Klimawandel betroffen und haben auch den größten Nachholbedarf. Ich glaube, wir sind
uns alle einig: Wenn die Entwicklungsländer unseren Entwicklungspfad, unseren Wachstumspfad kopieren, dann
haben sie uns mit ihren Treibhausemissionen schnell eingeholt. Dann tun wir uns sehr schwer, das Klima der Erde
zu bewahren. Deswegen ist es ganz entscheidend, dass
wir in Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern intelligentere Wachstumspfade erarbeiten und aufstellen,
aber nicht nur als Kopie unserer bisherigen Technologie,
sondern mit Rücksicht auf die kulturellen, sozialen und
politischen Verhältnisse der Entwicklungs- und Schwellenländer.
({5})
Das Beispiel China zeigt ja, dass wir damit auch Erfolg
haben können; denn die Zusammenarbeit mit China, vor
allem auch das Engagement deutscher Unternehmen in
China hat gezeigt, dass man gerade auch im Kohlebereich
ganz erhebliche Einsparpotenziale in relativ kurzer Zeit
erreichen kann.
({6})
- Was heißt „heimatlos geworden“, Herr Kubatschka? Sie
bringen mich natürlich schon auf eine wichtige Sache. Die
Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern geht natürlich nur, wenn man die Kioto-Mechanismen auch in diesem
Punkt mit Leben erfüllt. Das geht natürlich nicht, wenn der
Entwicklungshaushalt wie unter Rot-Grün wieder abgemeiert wird. Wir brauchen mehr statt weniger Geld.
({7})
- Ja, weil das wichtig ist, Frau Ganseforth. Wir brauchen
im Entwicklungshaushalt erheblich mehr Geld als bisher.
({8})
Über Hausaufgaben haben wir heute auch schon
gesprochen, Herr Müller. Wenn ich Ihnen zuhöre, kann
ich mich mit vielem einverstanden erklären, vor allem mit
Ihren philosophischen Passagen. Wenn es aber konkret
wird, gehen unsere Meinungen auseinander. Das darf ja
auch sein, deshalb muss niemand verbittert sein. Aber der
öffentliche rot-grüne Hauskrach um den Energiebericht
von Wirtschaftsminister Müller hat natürlich deutlich
gemacht, dass Sie kein schlüssiges und tragfähiges
langfristiges Energiekonzept haben.
({9})
Meine Damen und Herren, wenn Herr Trittin den bayerischen Ministerpräsidenten der Versäumnisse in der regenerativen Energiepolitik bezichtigt, liegt er leider
falsch.
({10})
Darf ich noch einmal daran erinnern, dass das Stromeinspeisungsgesetz auf Initiative der CDU/CSU-Fraktion,
vor allem der CSU-Landesgruppe zustande kam? Darauf
bauen Sie jetzt auf.
({11})
- Das hatte andere Gründe.
Darf ich daran erinnern, dass Bayern ein Drittel weniger CO2-Ausstoß pro Kopf hat als der Durchschnitt der
Bundesländer?
({12})
Darf ich Sie daran erinnern, dass Bayern den höchsten Anteil an regenerativen Energien hat?
({13})
Darf ich auch Sie daran erinnern, Herr Trittin? Sie sollten
wirklich einmal nach Bayern fahren.
Dass wir in der Windkraft nicht so gut aussehen
({14})
wie die küstennahen Länder, liegt einfach daran, Herr
Trittin, dass wir küstenfern sind. Ist Ihnen das schon einmal
aufgefallen? Die küstennahen Länder haben sozusagen
1 800 Stunden Wind, wir 500. Wir haben dafür einen erheblich größeren Anteil an der Biomasse. Das liegt auch daran,
dass Biomasse unauffälliger ist und wir an Bayern hängen.
({15})
Ihre Kombination von verfehlter Wirtschafts- und Klimapolitik ist ein Negativbeispiel für die Entwicklungsländer, für die USA und auch für den Weltgipfel in Johannesburg.
Herr Kollege Ruck, Sie haben Ihre Redezeit weit überschritten. Ich
darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen.
Ich bin schon im
Landeanflug.
Wir kämpfen auch dafür, dass im Spätsommer ein anderes Signal aus Deutschland für Johannesburg kommt,
nämlich ein Signal für eine andere Energie- und Klimapolitik und eine andere Bundesregierung.
({0})
Als letzter
Redner in dieser Debatte hat das Wort der Kollege
Dr. Reinhard Loske. Er spricht für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Der Kollege Christian Ruck hat gerade etwas überzogen.
({0})
Wenn es nach Frau Homburger ginge, würde hier das Institut der handelbaren Rederechte eingeführt und Herr
Ruck müsste mir etwas abkaufen, vermute ich.
({1})
Ganz so toll wollen wir es aber doch nicht treiben.
Ich will ein paar Punkte ansprechen, die mir in der Diskussion aufgefallen sind. Ich habe keine Rede vorbereitet
und will nur auf das eingehen, was andere gesagt haben.
Vielen von uns, die bei der Klimakonferenz in Bonn oder
Marrakesch, vor allem aber in Bonn, dabei waren, hat in
dem Moment, als der Hammer des Präsidenten in Kioto
niederfuhr, um die Sache abzuschließen, der Mantel der
Geschichte angeweht. Ich glaube, das darf man durchaus
einmal sagen. Dabei waren wir nicht der Meinung, dass
das, was im Kioto-Protokoll verabschiedet wurde, der
Weisheit letzter Schluss war. Wir wissen alle, dass es bestenfalls ein erster Schritt war.
Ich glaube, wir haben aus zwei Gründen gespürt, dass das
ein ganz wichtiger Moment war: erstens, weil es Europa gelungen war, mit einer Stimme zu sprechen und mit den Entwicklungsländern zusammen an einem Strang zu ziehen.
({2})
In diesem Fall war das auf die starke Verhandlungsführung der deutschen Delegation, namentlich des Ministers, zurückzuführen.
Zweitens haben auch viele wegen der zeitlichen Koinzidenz mit dem Gipfel in Genua gespürt, dass das, was in
Bonn noch schwach und sehr jungfräulich begonnen hat,
der Versuch war, der ökonomischen Globalisierung politische Regeln an die Seite zu stellen. Genau das tut Not.
Wir müssen der Ökonomie auch im globalen Maßstab Regeln an die Seite stellen. Dafür war in der Tat der Bonner
Gipfel ein ganz wichtiger Schritt.
({3})
Wir sollten alles tun - und das werden wir auch als Parlament; mit einer Stimme, nehme ich an -, damit das
Kioto-Protokoll schnell ratifiziert wird. Es wäre wunderbar, wenn wir in Johannesburg auf dem Rio-plus-10-Gipfel das Kioto-Protokoll in Kraft hätten. Dann könnten wir
sagen: Eines der großen Kinder des Rio-Gipfels, die Klimarahmenkonvention, hat sich fortgepflanzt und ein Protokoll zur Welt gebracht, das jetzt auch in Kraft ist. Dann
würden wir nicht mit leeren Händen dastehen. Danach
sollten wir streben.
Der zweite Punkt knüpft an das an, was der Kollege
Müller gesagt hat und wo der Kollege Obermeier dazwischengerufen hat. Er betrifft die naturwissenschaftlichen Grundlagen. Es gibt ganz klar den Pfad: Die
Verdoppelung des vorindustriellen Niveaus der CO2-Konzentration von 280 ppm auf 560 ppm wird einen Anstieg
der durchschnittlichen Weltmitteltemperatur um 2 bis 3 °C
zur Folge haben. Das ist keine Pfadbetrachtung, sondern
eine Aussage, soweit man sie gesichert treffen kann. Das
ist in der Tat ein großes Problem. Der Minister hat zu Recht
darauf hingewiesen. Die ganze Thematik Nord-Süd ist keineswegs ein irgendwie blauäugiges, idealistisches entwicklungspolitisches Thema, sondern es geht dabei um
ganz harte Dinge. Wenn es heute mehr Umweltflüchtlinge
als Bürgerkriegsflüchtlinge gibt, ist das in der Tat eine Sache, die weit über die Umweltpolitik hinausragt.
({4})
Der dritte Punkt - Frau Homburger, an Sie gerichtet betrifft den Zusammenhang von nationalem Handeln und
globalen flexiblen Instrumenten. Die Sorge, die es früher
gab - auch bei mir -, war doch die: Wenn wir es quasi ermöglichen, die Klimaschutzverpflichtungen komplett
außerhalb der Landesgrenzen zu erfüllen, heißt das, dass
man im Inland Innovationsdruck aus dem Kessel nimmt.
Deshalb war unser Argument immer: Wer den ökologischen Strukturwandel auch im eigenen Land will, der darf
dieses Auslassventil nicht vollständig, sondern nur kontrolliert öffnen. Das ist nach wie vor sehr vernünftig.
({5})
Deswegen sind wir nach wie vor der Meinung: Der
Löwenanteil sollte zu Hause erbracht werden. Das unterscheidet uns auch, weil wir das nicht vor allem als eine
Bürde, eine Last, sondern als eine Chance sehen. Wenn
wir auf den Heimatmärkten Kompetenz demonstrieren,
können wir auch auf den Weltmärkten der Zukunft eine
erste Adresse sein. Denn das wollen wir; das genau ist der
tragende Gedanke.
({6})
Viertens. Es gibt auch - das ist ein sehr wichtiger
Punkt - den Zusammenhang zwischen der Glaubwürdigkeit auf dem internationalen Parkett und dem, was man zu
Hause macht. Man kann international nur glaubwürdig
agieren, wenn man zu Hause seine Kompetenz demonstriert, wenn man das tut, was man international vorschlägt. So gesehen stehen wir in der Tat besser da als
1998.
Das führt mich zu meinem fünften Punkt, zu dem, was
wir alles schon gemacht haben. Es ist langweilig, das alles hier aufzulisten. Aber wenn Sie sich die Energiepolitik anschauen, die Bereiche erneuerbare Energien, KraftWärme-Kopplung, Ökosteuer, Altbausanierung und
anderes mehr, erkennen Sie: Das ist ein Faktor von 20
mehr als das, was die alte Regierung gemacht hat. Darauf
möchte ich schon noch einmal hinweisen.
({7})
Zu den Instrumenten: Sie wissen, Frau Homburger,
dass ich selbst so wie Sie auch ein großer Anhänger des
Instruments des Emissionshandels bin. Aber was mich
bei der Industrie unheimlich stört, ist diese Unglaubwürdigkeit, dieses Instrumentenhopping. Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre hieß es: Das Ordnungsrecht drangsaliert uns; wir brauchen marktwirtschaftliche Instrumente,
wir brauchen die Ökosteuer. Darauf haben wir gesagt:
Okay, Ökosteuer. Die Reaktion darauf war: Um Gottes
willen, die meinen das ja ernst! Danach haben wir mit der
Ökosteuer begonnen und es wurde gefordert, Emissionshandel zu machen. Jetzt sagen wir: Lasst uns in eine vernünftige Debatte über den Emissionshandel einsteigen.
Aber jetzt wird vonseiten der Industrie, also der Leute, mit
denen Sie eng zusammenhängen, gesagt, dass sei ein ganz
gefährliches Instrument.
Ich glaube, so kann man nicht agieren. Wir brauchen
alle Instrumente, jedes Instrument an seinem Ort. Der
Emissionshandel hat Vorzüge vor allem da, wo wir es mit
großen Akteuren zu tun haben.
({8})
Das führt mich zu meinem letzten Punkt. Zum Emissionshandel gibt es die EU-Richtlinie; sie ist umstritten. Die
EU will, dass im Jahr 2005 mit dem Emissionshandel auf
Unternehmensebene begonnen wird. Ich würde das für
vernünftig halten; es gibt aber Einwände von Skeptikern,
die sagen: Wir brauchen zunächst ein Training von drei
Jahren. Ich habe nichts gegen eine Pilotphase von 2005
bis 2008. Nur will ich, wenn ab 2008 im Rahmen des Kioto-Protokolls wirklich Emissionshandel betrieben wird,
dass wir dabei sind, dass wir gut vorbereitet sind und dass
wir nicht nach Regeln Emissionshandel betreiben, die andere für uns definiert haben, im Zweifelsfall die Angelsachsen. Nein, wir sollten das zu Hause machen. Das werden wir auch tun.
({9})
- Frau Homburger, abschließend möchte ich noch auf eines hinweisen, da Sie hier so sehr schimpfen: Wie sieht es
denn in der nationalen Emissionshandelsgruppe aus?
({10})
Es ist doch nicht so, dass diejenigen, die den Klimaschutz
befürworten, also die Technologieunternehmen, die Finanzdienstleister und andere, dieses Instrument blockieren. Es sind vielmehr die gleichen Leute, die vor zehn Jahren die Ökosteuer blockiert haben.
({11})
Wie der Kollege Müller sage auch ich Ihnen voraus:
Wenn diese Leute wirklich Ernst machen, dann sind Sie
die Ersten, die abspringen. Das halte ich für so sicher wie
das Amen in der Kirche.
({12})
Ich schließe
die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/7073, 14/7156, 14/7450, 14/8026,
14/8028 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Das Haus ist damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Klaus Riegert, Peter Letzgus, Ilse Aigner, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Sicherung der Zukunft der Vereine durch wirtschaftliche und bürokratische Entlastung - Erhöhung der Gestaltungsmöglichkeiten und
Freiräume
- Drucksachen 14/3680, 14/5445 Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst das Wort
dem Kollegen Klaus Riegert für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! In Deutschland leisten
478 000 eingetragene und eine Vielzahl nicht eingetragener Vereine ihren unverzichtbaren Beitrag zu einer lebendigen, leistungsfähigen und solidarischen Bürgergesellschaft. Deshalb müssen wir alle größtes Interesse
daran haben, die wirtschaftliche Kraft der Vereine zu stärDr. Reinhard Loske
ken, die Vereine von bürokratischem Ballast zu befreien
sowie die Gestaltungsmöglichkeiten und Freiräume der
Vereine zu erweitern.
({0})
Die Politik der Bundesregierung - dies belegt ihre Antwort auf unsere Große Anfrage - versagt vor dieser Aufgabe.
({1})
Darüber können auch marginale Veränderungen und Verbesserungen nicht hinwegtäuschen. Die Erhöhung der so
genannten Übungsleiterpauschale auf 1 840 Euro, also
3 600 DM, jährlich ist eine Verbesserung.
({2})
Nur, sie reicht ebenso wenig aus wie die Erweiterung auf
Betreuer. Diese Erweiterung ist eine Farce. Nach den Ausführungsbestimmungen des Finanzministeriums gibt es
kaum Betreuer im Sinne des § 3 Nr. 26 des Einkommensteuergesetzes.
({3})
Noch wichtiger als die Erhöhung der steuerfreien Einnahmen auf 2 454 Euro, also 4 800 DM, ist die Erweiterung des Kreises der Begünstigten um ehrenamtlich tätige
Vorsitzende, Schatzmeister und Organisationsleiter.
({4})
Genau dies hat Bundesfinanzminister Eichel als hessischer Ministerpräsident im Landtagswahlkampf 1998 den
Vereinen zugesagt. Heute sagt er: nein. Auf einmal sind
dies utopische Forderungen. Versprochen - gebrochen,
das zieht sich wie ein rot-grüner Faden durch die Politik
dieser Bundesregierung.
({5})
Die Freistellung der Aufwandsentschädigungen aus öffentlichen Kassen bis zu 153 Euro, also 300 DM, monatlich für gemeinnützige Tätigkeiten von der Sozialversicherungspflicht betrifft einen verschwindend kleinen Teil
ehrenamtlich Tätiger. Sie schaffen begünstigte und nicht
begünstigte ehrenamtlich Tätige. Die Änderungen beim
Stiftungsrecht bringen für den überwältigenden Teil der
Vereine keine Verbesserungen. Eine einfache Nachfrage
bei den Vereinen genügt, um dies festzustellen.
Das neue Spendenrecht erhöht die Haftungsrisiken für
ehrenamtlich tätige Mitarbeiter beträchtlich. Der Verzicht
auf das Durchlaufspendeverfahren war eine Forderung
der großen Vereine; aber dieser Verzicht hat sich gerade für
kleinere Vereine als nicht praktikabel erwiesen. Sie wollen
wieder die Möglichkeit der Durchlaufspende. Warum nehmen Sie Vereinen diese Haftungserschwernis nicht ab?
({6})
Auch die Behauptung der Bundesregierung, Mitgliedsbeiträge für viele Zwecke seien erstmals steuerlich absetzbar, schönt die Wirklichkeit. Mitgliedsbeiträge sind
nach wie vor kaum absetzbar.
Die Bundesregierung sieht in gemeinnützigen Vereinen Unternehmen. Ehrenamtlich tätige Vereinsvorsitzende behandelt sie wie die Hauptgeschäftsführer von
GmbHs. All das ist in der Antwort der Bundesregierung
nachzulesen. Was diese Bundesregierung mit der einen
Hand gibt, nimmt sie mit der anderen wieder zurück oder gar mehr.
({7})
Die Neuregelungen der 325-Euro-Jobs und der Scheinselbstständigkeit bringen für die Vereine und die dort
Tätigen neben der wirtschaftlichen Belastung zusätzlichen bürokratischen Aufwand. Die Einführung der so genannten Ökosteuer und die Erhöhung der Energiesteuer
belasten die Vereine zusätzlich ohne jeglichen Ausgleich.
({8})
Diese Belastungen treffen vor allem Vereine mit großen
Jugendabteilungen. Sie können die Mehrkosten nicht
durch Erhöhung der Mitgliedsbeiträge ausgleichen.
Die Kostenverlagerungen vom Bund auf die Länder
und Kommunen schränken die Finanzkraft vor allem der
Kommunen ein. Immer mehr Gemeinden sehen sich gezwungen, Fördermittel für Vereine zu reduzieren und Nutzungsentgelte einzuführen oder anzuheben.
Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung
ignoriert schlicht die gesellschaftliche Bedeutung unserer
Vereine.
({9})
Sie will keine wirklichen Verbesserungen herbeiführen.
Sie schiebt Bedenken und Forderungen der Verbände
schlicht beiseite. Die ehrenamtlich Tätigen sollen ihre Arbeit machen; ansonsten sollen sie sich ruhig verhalten das ist die Botschaft ihrer Politik.
Ich bin gespannt, welche Handlungsempfehlungen die
Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen
Engagements“ vorlegen wird. Alle - ich wiederhole:
alle - praktischen Verbesserungen im Hinblick auf die
ehrenamtliche Tätigkeit in Vereinen hat Rot-Grün hier
im Plenum abgelehnt. Wenn diese abgelehnten Forderungen in den Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission auftauchen, dann ist klar, was zu hören sein wird:
Wahlkampfgetöse wie bei Eichel 1998.
({10})
Nein, meine Damen und Herren, wir müssen die Vereine stärken.
({11})
Das Anspruchsverhalten und die Anforderungen der Mitglieder sind gestiegen. Kommerzielle Anbieter stoßen in
klassische Bereiche der Vereine vor. Fast die Hälfte der
Jugendlichen im Alter von 15 bis 18 Jahren kehrt den Vereinen den Rücken. Unsere Vereine können ihren Aufgaben nur gerecht werden, wenn wir ihre Wirtschaftskraft
stärken und wenn wir sie von den Fesseln der Bürokratie
befreien.
({12})
Die Bundesregierung muss deutliche Zeichen für ein
vereinsfreundliches Klima setzen. Wir fordern die Bundesregierung auf: Ziehen Sie die Neuregelung zu den 325Euro-Jobs und der Scheinselbstständigkeit für gemeinnützige Vereine zurück! Der grüne Haushaltsexperte
Metzger hat Recht: Diese Neuregelungen sind eine Missgeburt. Nur der Arbeitsminister hat es immer noch nicht
gemerkt.
({13})
Entlasten Sie die Vereine von der Ökosteuer und den
Erhöhungen der Stromsteuer! Sie verweigern einen Ausgleich, den Sie Großverbrauchern und Großverschmutzern gewähren.
Erleichtern Sie die Haftung ehrenamtlich tätiger Vorstände! Sie können ehrenamtlich Tätige nicht mit Geschäftsführern von GmbHs gleichsetzen. Haftungserleichterungen sind keine Privilegien. Sie sind kein
Freibrief. Sie sind Anerkennung für freiwillig übernommene Verantwortung.
Heben Sie die Grenze für Einnahmen aus sonstigen
Tätigkeiten von bisher 500 DM jährlich auf 600 Euro jährlich an! Billigen Sie ehrenamtlich tätigen Vorsitzenden,
Schatzmeistern und Organisationsleitern eine pauschale
Aufwandsentschädigung zu! Erhöhen Sie die steuerfreien
Einnahmen auf 2 454 Euro, also 4 800 DM pro Jahr!
({14})
Heben Sie die Besteuerungs- und Zweckbetriebsgrenzen
bei gemeinnützigen Vereinen an. Wenn unsere Vereine
durch Eigeninitiative Geld erwirtschaften, dann sollte die
Bundesregierung den Vereinen mehr Geld belassen. Wir
fordern damit etwas, was Herr Eichel als Ministerpräsident gefordert hat.
({15})
Schaffen Sie die gesetzlichen Grundlagen, damit gemeinnützige Vereine zusätzlich Rücklagen in Höhe bis zu
25 000 Euro bilden können. Gestalten Sie das Spendenverfahren vereinsfreundlicher.
({16})
Ermöglichen Sie den Vereinen, Spendenbescheinigungen
auszustellen oder das Durchlaufspendeverfahren zu wählen.
Herr Kollege Riegert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Barbara Hendricks?
Ja, gerne.
Herr Kollege, ich
möchte mich nicht mit all Ihren Forderungen auseinander
setzen, aber angesichts der Debatte, die heute Nachmittag
in diesem Hohen Hause zum Tourismus- und Gastronomiegewerbe stattgefunden hat, möchte ich Sie auf den
Widerspruch hinweisen, der zwischen den verschiedenen
Interessenvertretern Ihrer Fraktion bezüglich einer Anhebung der Zweckbetriebsgrenze bei den Vereinen herrscht.
Sie haben ja gerade gesagt, das Geld, das die Vereine erwirtschaften, solle bei ihnen bleiben. Dieses Geld wird
normalerweise - wir kennen ja das Leben - durch Verkauf
von Kuchen, Bier und alkoholfreien Getränken auf Festen
erwirtschaftet. Dabei handelt es sich um die so genannte
Schwarzgastronomie. Darunter leidet die Gastronomie,
die Steuern zahlen muss. Wie wollen Sie diesen Widerspruch, der auch in den beiden heutigen Debatten zum
Ausdruck kam, auflösen?
Mir sind diese Bedenken
der Gastronomie sehr wohl bekannt.
({0})
Da gibt es aber vor Ort gute Möglichkeiten, gemeinsame
Strategien zu fahren.
({1})
Zugeben müssen Sie aber, dass diese Grenze von
60 000 DM über viele Jahre geblieben ist und damit deren
Wert immer mehr abnahm. Ihr eigener Chef, der Finanzminister, hat noch als Ministerpräsident 1998 selber gefordert, diese Zweckbetriebsgrenze auf 80 000 DM anzuheben.
({2})
Damit gibt er zumindest zu, dass hier Handlungsbedarf
besteht. Genau in diese Richtung gehen die Anträge des
Landes Baden-Württemberg und unserer Fraktion. Früher
hatte auch der Finanzminister Eichel eine entsprechende
Einsicht. Deshalb fordern wir, hier einen maßgeblichen
Schritt nach vorn zu gehen.
({3})
In der Enquete-Kommission wird das im Übrigen von Ihrer Seite genauso gesehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition: Geben Sie mit uns den Vereinen, was ihnen zusteht, und stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu!
({4})
Nun spricht
für die SPD-Fraktion der Kollege Dieter Grasedieck.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Riegert, Sie sprachen vorhin von Wahlkampfgetöse. Das überrascht mich
wirklich. Über Ihrer Großen Anfrage steht: „Sicherung
der Zukunft der Vereine“. Sie sprachen aber eigentlich nur
über Ökosteuern und das 630-Mark-Gesetz. Das macht
die von Ihnen in den letzten drei Jahren eingeschlagene
Richtung deutlich: Sie suchten Angriffspunkte; aber es
war natürlich schwer, Angriffspunkte in unserer Koalition
zu finden.
({0})
Jetzt erfinden Sie etwas ganz Neues: 630-Mark-Gesetz
und Ökosteuer sind wirklich ganz aktuelle Themen; von
alleine wären wir darauf gar nicht gekommen.
({1})
Erst als wir die Anfrage sahen, konnte man die Punkte
nachvollziehen.
Herr Riegert, Sie müssen aber auch die Kehrtwende
berücksichtigen, die sich seit Sonntag vollzogen hat.
Stoiber und Merkel haben sich darauf festgelegt, dass
diese Ökosteuer nicht gekippt wird.
({2})
Nein, meine Damen und Herren, Sie haben eigentlich
drei Jahre verloren, weil Sie nur Schwachstellen suchten
und diese Schwachstellen nicht gefunden haben. Wir haben während dieser Zeit gearbeitet und viel für die Vereine und für das Ehrenamt erreicht.
({3})
Es war ja nicht einfach, da angesichts der Schuldenlast,
die Sie uns hinterlassen haben, etwas zu erreichen. Das
waren 1,5 Billionen DM Schulden sowie die Zinsbelastung. Trotzdem haben wir gute Ansätze gefunden.
Erstens. Sie sprachen davon, Herr Riegert: Die
Übungsleiterpauschale ist erhöht worden. Wir haben sie
erhöht, und zwar in diesen drei Jahren - das müssen Sie
sich einmal überlegen.
({4})
Sie haben das in 16 Jahren nicht geschafft. Wir haben die
Übungsleiterpauschale von 2 400 DM auf 3 600 DM erhöht
und sogar noch den Personenkreis erweitert. Ich meine, das
ist ein Erfolg. Sie fordern jetzt einfach 4 800 DM.
({5})
Diese Erhöhung hätten Sie ja selber vornehmen können.
Sie haben nicht einmal eine Mark dazugetan.
Zweitens. Sie sprachen das Stiftungsrecht an. Da haben wir wirklich einen guten Ansatz gefunden und auch
eingebracht. Wir fördern darüber die kleinen Organisationen: Wir fördern die Hospizgruppen, wir fördern die
einzelnen kirchlichen Organisationen, wir fördern die
Sozialverbände. Durch Sammelstiftungen ist in unseren
Wahlkreisen viel geschehen. Sie müssen sich einmal in
den Kirchen und in den karitativen Organisationen umhören. Sammelstiftungen sind dort ein wichtiges Thema.
Das haben wir eingebracht. Wir haben auch eingebracht,
dass Stiftungen mit 600 000 DM starten können. Kleine
Stiftungen können 40 000 DM als Zuwendung geltend
machen. All das waren Vorschläge, die unsere Koalition
aus SPD und Grünen eingebracht hat.
({6})
Dann sprechen Sie von Rücklagen. Schauen Sie sich unsere Gesetze einmal an, dann werden Sie feststellen: Wir
haben die Rücklagen längst gebildet. Wir haben zum Beispiel bei den Stiftungen die Rücklage von 25 Prozent auf
33 Prozent erhöht. Auch das war ein Erfolg. Auch das ist
für die jeweilige Stiftung günstig.
Drittens. Rot-Grün hat die Lage der Freiwilligendienste verbessert. Auch das haben Sie in Ihrer Großen Anfrage
angesprochen. 13 000 junge Menschen arbeiten durch unsere Politik in den unterschiedlichen Organisationen, zum
Beispiel in den Hospizgruppen und den Selbsthilfegruppen. Das war nur dadurch möglich, dass wir die Bundesmittel im Vergleich zum Vorjahr um 50 Prozent erhöht
haben, und zwar von insgesamt 11,5 Millionen Euro auf
16,5 Millionen Euro.
Viertens. Die Selbsthilfegruppen sind ein weiteres
wichtiges Thema. Diese Gruppierungen sind für uns so
wichtig, dass wir gerade sie weiter dabei unterstützen,
kranken Menschen zu helfen und sie zu beraten. In den
kommenden Jahren wird noch mehr Unterstützung nötig
sein. Das werden wir in der nächsten Legislaturperiode
auch umsetzen; das ist für uns keine Frage.
({7})
Wir haben bereits einen guten Ansatz gefunden: 1 DM pro
Bürger wird den Selbsthilfegruppen zur Verfügung gestellt.
Fünftens. Die Bürokratie wird abgebaut. Auch das ist
in Ihrer Großen Anfrage angesprochen worden. Da kann
ich Ihnen nur sagen: Durch die jüngste SPD-Initiative ist
ein Übungsleiter, der bis zu 930 DM verdient, nicht mehr
sozialversicherungspflichtig. Damit sollten Sie sich einmal beschäftigen.
({8})
Die Vereine profitieren davon. Sie sparen nicht nur Kosten, sondern auch der Verwaltungsaufwand ist dadurch reduziert worden. Spendenquittungen sind ein weiteres
Thema. Sie werden jetzt von den kleinen Vereinen ausgestellt; das läuft nicht mehr über die Stadt. Das ist wirklich
kein Problem. Auch das werden wir in den kommenden
Jahren weiter forcieren.
Sechstens. Auf unseren Antrag hin haben wir die Enquete-Kommission eingerichtet. Das ist wirklich ein
großer Wurf gewesen. Wir werden die neuen Vorschläge
gemeinsam erarbeiten und in aller Ruhe abarbeiten. All
die Punkte, die in der Enquete-Kommission erwähnt worden sind, versuchen wir umzusetzen. Soweit dies möglich
ist, geschieht das in dieser Legislaturperiode, keine Frage,
aber viele Punkte werden wir in der nächsten Legislaturperiode gemeinsam mit unserer Fraktion umsetzen.
Rot-Grün hat das Ehrenamt attraktiver gemacht. Das
muss man festhalten. Immer mehr Menschen kommen
auch zu den kleinen Organisationen. Lesen Sie einmal die
Shell-Studie, dann werden Sie das feststellen. Die Menschen arbeiten in kleinen Hospizgruppen. Ich habe das
bei meinem Vater erlebt. Er ist vor zwei Jahren gestorben.
Er ist von einer Hospizgruppe über ein Jahr begleitet worden. Das war nicht nur die Pflegearbeit, das war gleichzeitig auch die Begleitung bis in den Tod und die Trauerarbeit mit meiner Mutter. Davor kann man eigentlich nur
den Hut ziehen. Das alles werden wir weiter unterstützen.
({9})
Rot-Grün hat das Ehrenamt trotz der schlechten Startbedingungen attraktiver gemacht; ich habe darauf hingewiesen. 41 Milliarden Euro Zinsen zahlen wir pro Jahr;
das ist Ihre Hinterlassenschaft. Wir tilgen noch nicht einmal. Das ist, als wenn eine Berlinerin 4 000 Euro verdient
und pro Monat erst einmal 1 000 Euro in die Spree wirft.
Davon hat sie gar nichts mehr. Sie kann noch nicht einmal
die Schulden für ihr Haus tilgen. So sind die Verhältnisse.
Wir haben zum ersten Mal die Zinslast reduziert. Wir
machen endlich weniger Schulden. 1998 betrug der Anstieg noch 28 Milliarden Euro, im Jahr 2001 waren es
22 Milliarden Euro. Wir versuchen, 2006 die Nullmarke
zu erreichen.
Sie aber, meine sehr verehrten Damen und Herren von
der CDU/CSU, fordern heute einfach mehr Geld für das
Ehrenamt. Gestern sollte mehr Geld für die Bundeswehr
investiert werden. Vorgestern wollten Sie Geld für die
Forschung. Jeden Tag gibt es neue CDU/CSU-Wünsche.
Träume und Wünsche haben wir alle. Nur lässt es sich
nicht realisieren, auf der einen Seite Steuern zu sparen und
auf der anderen Seite diese Träume zu erfüllen. Gestern
noch wollte die CDU/CSU die Ökosteuer komplett abschaffen - es geht um 17 Milliarden Euro -, heute spricht
sie schon nicht mehr davon. Die alte 630-DM-Regelung
sollte wieder eingeführt werden - das wären 2,7 Milliarden Euro -, heute sprechen Sie nur noch gedämpft davon.
Die CDU/CSU nimmt die Neuverschuldung einfach in
Kauf, ob Stoiber oder Merkel. Sie lebten immer über Ihre
Verhältnisse, meine Damen und Herren, frei nach dem
Motto: Nach uns die Sintflut.
An dieser Stelle machen wir einfach nicht mit und
sagen Nein. In Ihrer Anfrage singen Sie in Ihrem gemischten Chor: Ökosteuer - nein, 630-DM-Gesetz - nein.
Heute überrascht der Bayer mit dem Solo: Die Ökosteuer
bleibt.
Sie müssen sich auf die neue Politik einstellen. Insofern war Ihre Anfrage auch nicht ganz stimmig. Vor allem
müssen Sie das bei der Rede berücksichtigen, Herr
Riegert. Der Wind hat sich gedreht, hier ist mehr Südwind
gegeben.
({10})
Rot-Grün hingegen weiß genau: Das Ehrenamt ist das
Herz der Gesellschaft. Deshalb fördert und unterstützt die
Koalition auch weiterhin unsere Vereine, unsere Selbsthilfegruppen und unsere ehrenamtlich Tätigen.
({11})
Für die
FDP-Fraktion spricht der Kollege Gerhard Schüßler.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die Gesellschaft lebt
nicht vom Staat, sondern von der Bereitschaft der Bürger,
Verantwortung zu übernehmen - so der ehemalige
Bundespräsident Roman Herzog. Genau das passiert in
unseren Vereinen, in unserer vielfältigen Vereinslandschaft. Die Vereine leisten einen unverzichtbaren Dienst,
insbesondere auch für die jungen Menschen.
In unserer Informations- und Kommunikationsgesellschaft wirken heute mehr Einflüsse von außen auf die
jungen Menschen ein als in früheren Zeiten, vor allem aus
der Welt der Medien und des Konsums. Allein aus diesem
Grund kommt den Vereinen in Deutschland eine herausragende Bedeutung zu. Sie geben jungen Menschen Orientierung, sie führen sie auch an die Lebenswirklichkeit
heran, damit sie sowohl eigenständig als auch gemeinschaftsfähig werden.
({0})
Die Vereine sind der Grundstein einer Zivilgesellschaft. Sie sind ein herausragendes Instrument der Selbstorganisation von gesellschaftlichen Zusammenschlüssen
und Gruppen. Ein Großteil des bürgerschaftlichen Engagements findet in ihnen statt. Zwar gibt es unter jüngeren
Menschen eine Skepsis gegenüber formalen Zusammenschlüssen wie den Vereinen, sie zögern aber nicht, wie
man sieht, selbst Vereine zu gründen, wenn sie die Rechtsfähigkeit für die Organisation ihres Engagements brauchen.
Der Verein als Instrument muss daher immer noch ganz
unterschiedlichen Anforderungen und Interessen gerecht
werden, vom Großverein mit Profiabteilung bis zur organisierten Kleininitiative.
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit noch etwas
Kritisches - auch das gehört zu unserem Vereinswesen zu den großen Bundesligavereinen sagen. Wenn Woche
für Woche Hundertschaften von Polizisten notwendig
sind, um die Sicherheit in den Stadien zu garantieren - die
Sicherheit ist nicht durch die vielen Tausende Menschen
gefährdet, die aus Freude am Sport ins Stadion gehen,
sondern durch die Rowdies und Radikalinskis -, wenn es
auf der anderen Seite diesen Vereinen möglich ist, für den
Transfer eines Spielers - das ist moderner Menschenhandel - 100 Millionen DM zu bezahlen, wenn der betroffene Spieler noch 20 Millionen DM Handgeld bekommt und wenn einem Fußballtorwart 9 Millionen DM
Jahresgehalt gezahlt werden, dann kann ich von den Vereinen, die solche Leistungen erbringen können, erwarten,
dass sie für die Sicherheit in ihren Stadien selber verantwortlich sind und nicht der Steuerzahler.
({1})
Die Vereine werden im Augenblick hauptsächlich
durch eine verfehlte Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik
dieser Bundesregierung belastet. Gerade Vereine klasDieter Grasedieck
sischer Ausprägung wie zum Beispiel Sport- und Gesangvereine stehen unter einem enormen Kostendruck. Die
kommunalen Gebühren für Hallen und Säle steigen.
Schuld daran ist selbstverständlich auch eine verfehlte
Gemeindefinanzierung
({2})
- ja, da haben Sie völlig Recht -, die die Kommunen in
den Bankrott treibt, und die steigenden Unterhaltskosten
im Zuge der Ökosteuer. Da können Sie reden, wie Sie
wollen: Das ist so. Fragen Sie einmal in den Vereinen
nach!
({3})
- Ich gehöre nicht der Fraktion der CDU/CSU, sondern
der FDP an, falls Ihnen das entgangen sein sollte.
({4})
Es wäre auch falsch, wenn neben dieser verfehlten Politik der Bundesregierung noch ein weiterer Fehler begangen würde, nämlich die Erhöhung der Besteuerungsgrenze nach § 64 Abs. 3 der Abgabenordnung und
der Zweckbetriebsgrenze. In diesem Punkt sind wir anderer Meinung als die CDU/CSU.
({5})
- Nein, das ist völlig klar. - Diese Erhöhungen würden die
Wirtschaftsbetriebe der Vereine auf Kosten der gewerblichen Konkurrenz stärken. Eine solche Wettbewerbsverzerrung können wir nicht akzeptieren. Die Bundesregierung muss vielmehr dafür sorgen, dass die Kommunen
ihrer Verantwortung für die Infrastruktur auch nachkommen können. Das ist aber nicht der Fall.
Die Bundesregierung hat den Vereinen - das muss ich
Ihnen sagen, auch wenn Sie es nicht gerne hören - durch
das 325-DM-Gesetz - ich meine: das 325-Euro-Gesetz massiv geschadet.
({6})
- Das ist nicht der Stoiber-Euro. - Auf die Vereine ist ein
riesiger Verwaltungsaufwand zugekommen, da statt der
pauschalen Besteuerung nun verschiedene Renten- und
Krankenversicherungsbeiträge auszurechnen und an unterschiedliche Kassen abzuführen sind. Die ehrenamtlich
tätigen Menschen haben dadurch einen unglaublichen
Wust an Arbeit bekommen. Von Ihnen gibt es aber nur den
lapidaren Hinweis auf die Arbeitgeberfunktion der Vereine. Dies spricht der Wirklichkeit Hohn.
Mit Aufwandsentschädigungen unter 325 Euro wurde
in der Vergangenheit häufig das äußerst zeit- und kostenintensive ehrenamtliche Engagement einiger Mitglieder abgemildert, auf das ein Verein nicht verzichten kann.
({7})
Falls diese Mitglieder jetzt noch eine Entschädigung bekommen, freuen sie sich im Alter sicherlich über ein paar
Euro zusätzliche Rente. Die Bundesregierung kann in ihrer Antwort nicht von einer sorgfältigen Prüfung der Auswirkungen sprechen. Sie hat das überhaupt nicht geprüft.
({8})
Das Festhalten der Regierung am 325-Euro-Gesetz ist inzwischen schon keine Frage der Ideologie mehr, sondern
es ist fast schon Altersstarrsinn, weil sie von keiner Seite
einen Rat annimmt.
({9})
In der Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ wird heftig über den so genannten Übungsleiterfreibetrag diskutiert. Die FDP sieht
in der momentanen Fassung eine gleichheitswidrige Bevorzugung von Übungsleitern und von den durch die Finanzrechtsprechung ebenso anerkannten Betreuern mit
pädagogischer Ausrichtung. Viele wichtige Formen des
Engagements werden nicht berücksichtigt. Kurzfristig
kann man nur durch eine vorsichtige Ausdehnung erreichen, dass diese Ungleichbehandlung beseitigt wird, wobei dann allerdings eine Erhöhung des Freibetrages kaum
möglich sein dürfte.
Langfristig sollten solche Steuerprivilegien im Zuge
einer grundlegenden Steuertarifsenkung jedoch aufgegeben werden, da sie meist die herkömmlichen Strukturen
festigen und neue innovative Formen des Engagements
ausklammern. Außerdem sollte der Gesichtspunkt der
Unentgeltlichkeit des ehrenamtlichen Engagements nicht
ganz untergehen.
({10})
Die Vereine könnten also schon durch eine Korrektur
einiger gravierender Fehler der Regierungspolitik deutlich entlastet werden. Notwendig sind die Rücknahme des
325-Euro-Gesetzes und der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage als kurzfristige Maßnahme im Hinblick auf
die Gemeindefinanzen. Dringend geboten ist auch die
Erarbeitung eines transparenten und gerade für ehrenamtlich Engagierte leicht anwendbaren Gemeinnützigkeitsrechts. Der administrative Aufwand der Vereine muss so
gering wie möglich gehalten werden, wobei nicht verkannt werden darf, dass die Vorteile von Rechtsfähigkeit
und Gemeinnützigkeit auch Pflichten mit sich bringen,
die den Vereinen nicht einfach erlassen werden können.
Die Bundesregierung und die rot-grüne Koalition sollten die Aktivitäten in Vereinen oder ehrenamtliche Aktivitäten anregen, statt sie durch strenge Überwachung,
Überregulierung und falsche Steuergesetzgebung zu verhindern.
({11})
Für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht die Kollegin Ulrike Höfken.
Sehr
geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben das heutige Thema in den unterschiedlichsten Gremien breit diskutiert. Das Ehrenamt hat
gerade in den ländlichen Regionen eine sehr große Bedeutung. Die auf Antrag der Koalitionsfraktionen eingesetzte Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ wird dazu in diesem Jahr ihren
Bericht vorlegen und uns Handlungsempfehlungen geben. Die Menschen in den Vereinen sehen, dass es uns um
eine zukunftsfähige und langfristige Entwicklung der Vereine und des bürgerschaftlichen Engagements von vielen
Bürgerinnen und Bürgern geht.
Die Opposition hat diese Arbeit auf die altbekannte
Weise begleitet: Statt Vorschläge mit seriösen Finanzierungsmöglichkeiten zu machen, stellen Sie auch auf diesem Gebiet nicht durchgerechnete und damit unbezahlbare Forderungen.
({0})
Je näher der Wahltermin rückt, umso weiter entfernen Sie
sich von einer glaubwürdigen und ernst zu nehmenden
Behandlung dieses Themas.
Tatsache ist: Die Ausweitung des steuerbegünstigten
Personenkreises, wie Sie das fordern, auch auf ehrenamtlich tätige Vorstandsmitglieder und Funktionsträger sowie
die Anhebung der steuerfreien Übungsleiterpauschale auf
etwa 2 400 Euro würden nach Angaben des Bundesfinanzministeriums Steuerausfälle von insgesamt bis zu
13,5 Milliarden Euro ergeben. Das ist unglaublich.
({1})
Sie kennen diese Zahl, aber wie üblich verschweigen
Sie diese der Öffentlichkeit. Es wundert mich deswegen
auch nicht, dass Sie keine Vorschläge für eine Gegenfinanzierung machen. Sie wissen genauso gut wie ich,
dass in dieser finanziellen Größenordnung keine vernünftige Gegenfinanzierung mehr möglich ist.
Jetzt legen Sie in Ihrem Antrag noch eins drauf, denn
Sie wollen eine steuerfreie Ehrenamtspauschale von
600 Euro einführen. Dies hätte auch die Folge, dass das
Ehrenamt unter monetären Aspekten gesehen wird. Das
ist nicht unser Weg. Wir werden Ihnen darauf auch heute
antworten: Das ist nicht finanzierbar und würde ein
falsches gesellschaftspolitisches Signal bedeuten.
Rot-Grün - das hat der Kollege Grasedieck sehr deutlich gemacht - macht das Ehrenamt attraktiver bzw. überhaupt erst attraktiv. Das Ehrenamt verdient und benötigt
Rechte in einem schlüssigen Gesamtkonzept und mit einer verbesserten Rechtsgrundlage. Dafür bildet die Arbeit der Enquete-Kommission die Basis.
Unterhalb der Gesetzesschwelle ist durchaus ein weiterer Abbau überflüssiger Bürokratie möglich. Dieses Ziel
ist in den letzten Jahren von der rot-grünen Regierung verfolgt worden. Unsere Fraktion setzt sich zum Beispiel
für eine Entbürokratisierung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, also der 325-Euro-Jobs, ein. Die
hauptamtliche Arbeit in den Vereinen wird oftmals mit geringer Stundenanzahl und geringer Entlohnung geleistet.
Es soll überprüft werden, ob bürokratische Belastungen
gerade für kleine und mittlere Vereine weiter abgebaut
werden können. Das wäre beispielsweise dann der Fall,
wenn die Sozialversicherungsbeiträge pauschal erhoben
und von einer zentralen Stelle eingezogen werden könnten. Zusätzlich könnten die bisher monatlichen Meldungen durch jährliche Meldungen ersetzt werden. Im Endeffekt würde dieses Verfahren keine Kosten nach sich
ziehen, sondern zu Ersparnissen führen, weil der Verwaltungsaufwand für die Vereine deutlich verringert würde.
({2})
Wir danken Ihnen gleichzeitig - das hat auch der Kollege Grasedieck schon getan - für die Möglichkeit, heute
nochmals auf einige wichtige Neuerungen bei der Förderung des bürgerschaftlichen Engagements hinzuweisen.
Im letzten Herbst - das ist schon gesagt worden - wurde
zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden
der Sozialversicherung vereinbart, dass die Tätigkeit von
Übungsleiterinnen und Übungsleitern im Sport nicht
mehr grundsätzlich als abhängige Beschäftigung anzusehen ist. Das bedeutet, dass die Tätigkeit, wenn der Verdienst bis zu 479 Euro beträgt und sie weniger als 15 Stunden beansprucht, nicht mehr beitrags- und meldepflichtig
ist. Gerade für selbstständig tätige Übungsleiter heißt das,
dass sie nicht mehr die Pflicht haben, Sozialabgaben zu
leisten. Für die Sportvereine entfällt damit ein beträchtlicher bürokratischer Aufwand, der durch das Meldeverfahren unter Ihrer Verantwortung entstanden war.
({3})
Im Steuerrecht - das haben Sie erwähnt - werden die
gemeinnützigen Vereine erheblich begünstigt, da sie
grundsätzlich von der Körperschaft-, Gewerbe-, Grundund Erbschaftsteuer befreit sind. Aber es ist - auch von
einem FDP-Kollegen - auf die mögliche Konkurrenz zu
den gewerblichen Unternehmen hingewiesen worden.
Natürlich können die Vereine die Zweckbetriebsgrenze
wahrnehmen. Seit Januar 2000 gibt es vereinfachte Verfahren gegenüber den Regelungen, für die die jetzige Opposition noch als Regierung verantwortlich war.
Noch ein Letztes zum Thema Bürokratie. Erst gestern
haben die Ausschüsse des Bundestages ihre Beratungen
über das Personenbeförderungsgesetz abgeschlossen. Es
wurde eine wichtige Neuerung - auch für die Vereine beschlossen: Wenn Busfahrten mit Sport- oder Jugendgruppen durchgeführt werden, benötigen die Vereine und
Jugendorganisationen in Zukunft keine eigene Genehmigung nach dem Personenbeförderungsgesetz mehr. Es
reicht aus, wenn der beauftragte Busunternehmer im Besitz einer derartigen Genehmigung ist. Auch hier haben wir
wieder ein leidiges Verfahren der Doppelgenehmigung
abgebaut. Diese Gesetzesänderung ist von den Sport- und
Jugendorganisationen einhellig begrüßt worden.
({4})
Die Vereine und die ehrenamtliche Arbeit haben eine
von uns allen anerkannte gesellschaftliche Funktion. Wir
werden diese spezielle Bedeutung auch in Zukunft noch
stärker berücksichtigen, um die Rahmenbedingungen für
das bürgerschaftliche Engagement weiter zu verbessern.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat nun die
Kollegin Dr. Barbara Höll für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rund 22 Millionen Menschen
sind in der Bundesrepublik ehrenamtlich tätig. Man kann
davon ausgehen, dass die Mehrzahl von ihnen in gemeinnützigen Vereinen organisiert ist. Ich glaube, wenn sie die
heutige Debatte hören würden, wären sie zutiefst enttäuscht. Die CDU/CSU hat Forderungen aufgestellt, die
berechtigt sind. Sie hat aber natürlich wieder einmal vergessen, selbstkritisch einzuschätzen, was in 16 Jahren alles versäumt wurde. Aber auch das, was bisher vonseiten
der Regierungskoalition geboten wurde, geht nicht auf
das ein, was Vereine nötig brauchen. In ihren Beiträgen
war bisher überwiegend Selbstlob zu hören. So ist es auch
in der Antwort auf die Große Anfrage nachzulesen.
Ich glaube, so kann man die Probleme von gemeinnützigen Vereinen nicht lösen. Wir haben sowieso ein grundlegendes Problem: Das ehrenamtliche Engagement, welches wir alle wünschen, darf nicht missbraucht werden,
um vielleicht gesellschaftliche Brüche zu kitten oder um
dort, wo der Staat soziales Engagement zurückfährt, auf
die nur noch ehrenamtliche Tätigkeit von Menschen zu
bauen. Gerade weil das nicht sein darf, gilt es in besonderem Maße, sich den Vereinen zuzuwenden; denn die öffentliche Hand hat immer weniger Geld. Ich verweise nur
auf die hohe Verschuldung der Kommunen, die oftmals die
Tätigkeit der Vereine nicht mehr mitfinanzieren können.
In meiner Heimatstadt Leipzig gibt es jetzt die Aktion
„weißer Januar“, weil die Kulturszene gesagt hat, dass
das, was im Haushalt 2002 gestrichen wurde, so stark an
die Substanz gehe, dass sie nicht mehr in der Lage sei, gerade das, was an Kinder- und Jugendarbeit geboten werde,
weiter zu realisieren. Es ist also bei weitem nicht so, dass
alles glänzt und sich die Regierungskoalition zurücklehnen kann.
Wir haben eben das Problem, dass Gelder verstärkt für
die Realisierung von Projekten erwirtschaft werden müssen, zum Beispiel die Kofinanzierung für LKZ-Stellen.
Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass die Vereine
sehr enge Gewinngrenzen sowie beschränkte Möglichkeiten für Rücklagen haben, um sich dauerhaft Liquidität
zu schaffen.
Vereine sind immer stärker auf Spenden angewiesen.
Aber auch aufgrund des Steuersenkungsgesetzes - das ist
nun einmal die Realität - sinkt der steuerlicher Anreiz für
Spenden. Darüber hinaus haben die Vereine sehr hohe Anforderungen, die sich aus der Satzung, aus der laufenden
Buchführung und der Bilanzierung ergeben. Sie haben
sehr geringe liquide Mittel.
In der Antwort auf die Große Anfrage wird dies meiner
Meinung nach vonseiten der Koalition unberechtigterweise abgewiegelt. Das sage ich, obwohl es unbestreitbar
ist, dass Sie in den drei Jahren Ihrer Regierungszeit durchaus einige Dinge verabschiedet haben: die Abschaffung
des Durchlaufspendenverfahrens, die Erhöhung und Erweiterung der Übungsleiterpauschale und die Regelung,
dass Vereine unter bestimmten Bedingungen nur noch
15 Prozent und nicht mehr 75 Prozent der Werbungseinnahmen als Gewinne versteuern müssen.
Aber es gilt auch zu konstatieren, dass Sie mit Ihrer
Zielstellung, die Stiftungen zu fördern, welche ich teile,
obwohl ich an der konkreten Ausgestaltung Kritik übe, einen Zustand herbeigeführt haben, dass die Stiftungen
gegenüber den gemeinnützigen Vereinen tendenziell bevorteilt sind. Es kann doch nicht gewollt sein, dass man
nur noch eine bestimmte Form bevorteilt und eine andere
dadurch deutlich schlechter stellt. Dies machen Sie vor
dem Hintergrund, dass Sie, wie gesagt, auch bei der Neuregelung des Stiftungsrechtes gerade die zivilrechtlichen
Regelungen ausgelassen haben und bestimmte Dinge wie
die angemessene Alimentierung des Stifters und seiner
Angehörigen nicht aufgehoben oder wenigstens beschränkt haben.
Aus diesem Grunde gilt es, wirklich ernsthaft über
Dinge nachzudenken, die in der Großen Anfrage angesprochen sind: eine Erweiterung der Inanspruchnahme
der Übungsleiterpauschale für alle im ideellen Bereich
der Vereine tätigen und aktiven Bürgerinnen und Bürger,
Erweiterung der Möglichkeit der Bildung von Liquiditätsreserven, die Anhebung der Besteuerung und
Zweckbetriebsgrenze, die Einführung gesetzlicher Freistellungsregelungen vom Beruf für ehrenamtlich Tätige
- das gibt es, siehe Technisches Hilfswerk - und letztlich
die Bereitstellung finanzieller Hilfe, damit gerade Vereine
ihren gesetzlichen Pflichten in Bezug auf Buchhaltung
und Verwaltung von Arbeitskräften professionell nachkommen können.
Ich wünsche mir dazu eine sachliche Beratung und
Selbstkritik von allen Seiten, sodass man dann die Zielstellung tatsächlich verwirklichen kann.
Ich danke Ihnen.
({0})
Nun hat der Kollege
Dr. Klaus Rose für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Im Sportausschuss reden wir immer sehr gerne von Fairness und fraktionsübergreifender Harmonie. Wenn ich mir die heutige
Debatte anhöre, stelle ich fest, dass davon wenig zu
spüren ist.
({0})
Wenn vor allen Dingen vonseiten der rot-grünen Koalition Abgeordnete aus dem Sportausschuss sprechen,
dann habe ich den Eindruck, dass sie offensichtlich wenig
zu sagen haben.
({1})
Das stimmt mich traurig.
({2})
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat ihre Große Anfrage zum Vereinswesen schon im Sommer 2000 eingebracht,
({3})
weil sie sich berechtigte Sorgen um die Zukunft der Sportvereine machte. Ich betone also nochmals: Eingebracht
wurde die Große Anfrage im Sommer 2000. Jetzt endlich
kommt eine Antwort und eine Debatte darüber. Sie können doch nicht so tun - einige Redner von Ihnen behaupten das -, als ob wir jetzt während des Wahlkampfes dieses Thema entdecken. Hätten Sie früher eine Antwort
gegeben, hätten wir früher darüber reden können.
({4})
Sie können doch nicht aus Ihrem Gedächtnis streichen,
dass Sie bei den Versammlungen und im Gespräch mit
den Sportvereinen eigentlich das Gleiche sagen, was wir
fordern. Ich habe es in den Zeitungen gelesen.
({5})
Sie haben ihnen vor zwei Jahren in Gesprächen vor Ort alles Mögliche versprochen, aber eingehalten haben Sie
nichts. Zwischen den rosaroten Ankündigungen und den
grün-roten Ergebnissen klafft eine riesige Lücke.
({6})
Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage ist dafür der Beweis.
Ich sage es noch einmal: 1990 haben wir uns Gedanken über die Fortentwicklung der Förderung der Vereine
gemacht. Wenn heute davon die Rede ist, dass die Enquete-Kommission auf Wunsch der SPD eingesetzt
wurde,
({7})
dann sage ich: Die Fortentwicklung der Vereinsförderung
ist unsere Arbeit, weil wir 1990 ein Vereinsförderungsgesetz eingeführt haben.
({8})
Wir haben uns Gedanken gemacht, wie wir das noch verbessern können. Ich kann Sie nur bitten, dass Sie bei der
Förderung der Vereine mitmachen und dass sich vor allem
die Mitglieder des Sportausschusses durchsetzen können.
({9})
Es stimmt mich traurig, dass vonseiten des Bundesinnenministeriums in der gesamten Debatte über dieses
Thema, für das dieses Ministerium zuständig ist, niemand
anwesend ist.
({10})
Daran sehen wir doch, welchen Stellenwert die Vereine
- vor allem die Sportvereine - haben.
Meine Damen und Herren, wir erwarten, dass die Bundesregierung unsere Vereine entlastet und nicht belastet.
Wir erwarten, dass sie die wirtschaftliche Kraft der Vereine stärkt und nicht schwächt, schon gar nicht
({11})
durch eine aufgeblähte Bürokratie. - Ich hatte heute befürchtet, dass wieder der Versuch unternommen wird, von
großen Leistungen zu sprechen und die großen Lasten auf
den Schultern der Ehrenamtlichen zu verschweigen. Ich
sage das, weil Ihr Zwischenruf kam, Herr Kollege
Weisheit. Sie haben einen schönen Namen, aber der Zwischenruf ist unverfroren.
({12})
Wenn ich - um nur ein Beispiel zu nennen - über die
schwierige Lage von Witwen bezogen auf ihre Renten reden und behaupten würde, die könne doch nicht so
schwierig sein, schließlich gebe es auch Millionärswitwen,
({13})
dann wäre das genauso unverfroren wie Ihr Zwischenruf.
Als ich von der Lage der Vereine gesprochen habe - der
vielen kleinen Vereine, die von den Ehrenamtlichen leben
und anders gar nicht bestehen würden, von denen Sie in
Ihren Sonntagsreden sagen, Sie seien dafür -, sind Sie
mir mit dem Zwischenruf „FC Bayern München“ gekommen.
({14})
- Darum geht es doch gar nicht. Es sei denn, man ist so
verblendet, dass das Wort „Bayern“ bei Ihnen von Hause
aus diese Reaktion auslöst.
({15})
Ich will ja nicht sagen, dass in Ihrer Fraktion bereits der
Rassismus eingekehrt ist, da bei Ihnen das Wort „Bayern“
immer wieder eine solche Reaktion auslöst.
({16})
Meine Damen und Herren, als damals die Große Anfrage eingebracht wurde - ich betone das nochmals -, gab
es im ganzen Land eine Riesenaufregung wegen der Belastung der Sportvereine und auch anderer Vereine durch
das 630-Mark-Gesetz,
({17})
die Ökosteuer und verschiedene andere Fehlentwicklungen. Ich sage es noch einmal: Es gab eine Riesenaufregung. Das haben Sie alle gespürt. Diese Aufregung ist
auch in die Enquete-Kommission hineingetragen worden.
Ich kann zwar zugeben, dass die Enquete-Kommission inzwischen viele wertvolle Ideen entwickelt hat, aber umgesetzt hat sie noch nichts. Wahrscheinlich ist die Taktik
sowieso, zu verzögern und bis zur nächsten Wahl zu warten, bis das Ganze wieder einschläft.
Meine Damen und Herren, es ist in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage knallhart zum Ausdruck gekommen, dass die Neuregelung des 630-MarkGesetzes - ich verwende nach wie vor diesen alten Begriff,
weil er in der Anfrage, die wir eingebracht haben, genannt
wird - nur dem Finanzminister und vielleicht auch dem Arbeitsminister zugute kommt. Man hat billigend in Kauf genommen, dass der Deutsche Sportbund in seiner Stellungnahme davon gesprochen hat, dass es zu einer schweren
Belastung der Sportvereine kommen wird. Das war der Regierung aber egal. Sie haben darauf hingewiesen, dass sie
mehr Geld brauchen. Das Geld muss hereinkommen, damit
sich der Finanzminister und auch andere freuen.
({18})
Bei manchen war heute in der Debatte ohnehin nur die
Rede davon, wie wichtig es sei, die Finanzen zu sanieren.
Sie sind mit keinem Wort darauf eingegangen, welche
Sorgen die Vereine und die Ehrenamtlichen draußen haben. Frau Kollegin Freitag, ich sehe, dass Sie den Kopf
schütteln. Das verstehe ich nicht. Sie reden im Sportausschuss völlig anders, als es heute der Fall ist.
({19})
Deshalb verstehe ich nicht, warum im Sportausschuss
überhaupt noch große Sprüche geklopft werden.
({20})
Ich möchte noch kurz darauf eingehen, dass wir in unserem Entschließungsantrag sechs Forderungen vorgelegt haben. Wir möchten noch einmal auf die eigentliche
Zielsetzung aufmerksam machen. Wir wollen eine Verstärkung der Gestaltungsmöglichkeiten der Vereine und
mehr Freiräume. Wir wollen keine Einengung und Gängelung. Wir wollen eigentlich nichts anderes, als dass die
Enquete-Kommission hoffentlich doch noch irgendwann
einmal einiges umsetzt.
Wir wissen doch alle, dass Vereine nicht nur Selbstzweck sind, sondern eine Entlastung für den Staat darstellen. Wir wissen auch, dass Vereine den Bürgerinnen
und Bürgern nur dann etwas bieten können, wenn man ihnen hilft und sie nicht gängelt. Darum appelliere ich zum
Schluss an Sie: Schauen Sie sich bitte unsere Forderungen
noch einmal an. Sie haben heute bereits erwähnt, dass Sie
manches davon inzwischen umgesetzt haben. Das haben
Sie vorhin stolz als Leistungen verkündet.
({21})
- Das erkenne ich auch an.
({22})
Da sind wir nicht auseinander. Aber, als wir unsere Große
Anfrage vor zwei Jahren eingebracht haben, hatten Sie
noch nichts gemacht. Wenn Sie inzwischen ein bisschen
etwas getan haben, ist das okay.
Lassen Sie uns doch gemeinsam um das große Ziel ringen. Diesem großen Ziel hat unsere Große Anfrage gedient. Wenn wir auf diesem Weg in Zukunft besser miteinander auskommen, soll es mir Recht sein. Die Freude am
freiwilligen Engagement für andere sollte uns allen ein
Ansporn sein.
({23})
Der Kollege Lothar
Binding hat seine Rede zu Protokoll gegeben.1)
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell ist vereinbart, den Entschließungsan-
trag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/8035
zur federführenden Beratung an den Sportausschuss so-
wie zur Mitberatung an den Finanzausschuss und den
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 c auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft ({0})
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Waldzustandsbericht der Bundesregierung
2000 - Ergebnis des forstlichen Umweltmonitoring - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Heidemarie Wright, Brigitte Adler, Ernst
Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Steffi Lemke,
Ulrike Höfken, Kerstin Müller ({1}), Rezzo
Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung
durch die Bundesregierung
Waldzustandsbericht der Bundesregierung
2000 - Ergebnis des forstlichen Umwelt-
monitoring -
- Drucksachen 14/4967, 14/5560, 14/6273 -
1) Anlage 5
Berichterstattung:
Abgeordneter Siegfried Hornung
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Gesamtwaldbericht
- Drucksache 14/6750 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft ({2})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Forstvermehrungsgutgesetzes ({3})
- Drucksache 14/7384 ({4})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({5})
- Drucksache 14/7998 Berichterstattung:
Abgeordneter Albert Deß
Zum Gesamtwaldbericht liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen sowie der Fraktion der CDU/CSU vor.
Intrfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung
um die Beratung des Waldzustandsberichts 2001 der Bundesregierung zu erweitern und als Zusatzpunkt 12 zu beraten. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 12 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Waldzustandsbericht der Bundesregierung
2001 - Ergebnis des fortlichen Umweltmonitoring - Drucksache 14/7946 Nach einer interfraktionellen Vereinbarungen ist für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie
damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als Erstem dem
Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
das Wort.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich möchte mit etwas Erfreulichem
beginnen, nämlich dem großen öffentlichen Interesse an
der Situation der Wälder nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.
({6})
Ebenfalls erfreulich, Herr Schorlemer, ist die Bilanz der
Bundesregierung auf diesem Gebiet.
Nicht ganz so erfreulich ist die Situation der Wälder,
auch wenn in den letzten Jahren deutliche Verbesserungen
erreicht worden sind. Es ist zwar eine Stabilisierung des
Zustandes der Wälder zu konstatieren. Aber es gibt in der
Zukunft noch viel zu tun. Es gibt also weder Anlass zur
Dramatisierung noch Anlass zur Entwarnung. Wir müssen
uns einfach vor Augen führen, dass die Ursache für die
Verschlechterungen, die Schadstoffeinträge, viele Jahrzehnte bestanden hat. Wir konnten zwar insbesondere den
Umfang des Schwefeldioxids wesentlich reduzieren.
Aber man muss bedenken: Genauso lange, wie die Ursachen, die zur Verschlechterung vor allem des Zustandes
der Waldböden geführt haben, bestanden haben, wird man
benötigen, um nachhaltige Verbesserungen zu erreichen.
Es ist wesentlich schwieriger, die gleichen schnellen
Fortschritte, die man am Anfang bei der Reduktion des
Umfangs der Emission von Schwefeldioxid erreicht hat,
bei der Reduktion des Umfangs der Emission der Stickoxide zu erzielen. Besonders hervorzuheben sind die Erfolge in Ostdeutschland. Die Waldschäden im oberen
Erzgebirge - ich komme aus Sachsen und weiß, wovon
ich spreche - hatten ja ein apokalyptisches Ausmaß angenommen. Wer diese vor allem durch Schadstoffe verursachten Schäden gesehen hat, der weiß, welche Erfolge
erreicht werden konnten und was noch alles in der Zukunft getan werden muss. Hier ist ein Mix aus Maßnahmen angebracht.
Die Schwerpunkte, die die Bundesregierung gesetzt
hat, beginnen bei der Energiepolitik. Umweltfreundliche
Verbrennungstechniken und der stärkere Einsatz von regenerativen Energiequellen wie zum Beispiel der von
Holz werden gefördert. Dadurch werden Arbeitsplätze geschaffen und nehmen wir letztlich Einfluss auf die Holzpreise und die Wirtschaftlichkeit der Waldwirtschaft.
Nicht zu vergessen sind die Bereiche Bau, Verkehr,
Straßenbau und Siedlungsmaßnahmen. Hier ist in jedem Fall exakt zwischen den Nachteilen, das heißt der
Vernichtung von Wäldern, und den Vorteilen, das heißt
dem Ausbau der öffentlichen Infrastruktur, abzuwägen.
Ich möchte auch die Ökosteuer nennen. Ich habe in
der bisherigen Debatte gelernt, dass die Ökosteuer - angeblich - den deutschen Vereinen geschadet hat. Ich kann
dazu nur sagen: Dem deutschen Wald hat sie auf alle Fälle
genutzt.
({7})
Die Landwirtschaft darf auf keinen Fall ausgenommen werden. Gerade wenn es um Nox-Verbindungen geht,
ist die Landwirtschaft neben dem Verkehr die wichtigste
Schadstoffemissionsquelle. Insbesondere ist in diesem
Zusammenhang die Tierhaltung zu nennen. Auch hier
bemühen wir uns, durch die Neuausrichtung der Agrarpolitik zu Verbesserungen zu kommen: Die Reduzierung der
Viehdichte und der Einsatz von emissionsmindernden
Verfahren insbesondere beim organischen Dünger werden
gefördert. So viel zur Situation auf der nationalen Ebene.
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Genauso wichtig sind die Anstrengungen, weltweit zur
Verbesserung der Situation der Wälder beizutragen. Nach
wie vor werden jährlich 15 Millionen Hektar Wald durch
Brandrodung, durch Umwandlung für andere Nutzungsarten, durch Umweltkatastrophen, durch industrielle
Holznutzung - die Liste ließe sich fortsetzen - vernichtet.
Die Folgen sind bekannt: Vernichtung und Ausrottung unzähliger Tier- und Pflanzenarten, Erosion und Umweltschäden, Freisetzung von Kohlendioxid, das allein
20 Prozent zum Treibhauseffekt beiträgt.
Was tut die Bundesregierung auf diesem Gebiet? Wir
haben uns maßgeblich an der Gründung des Waldforums
der Vereinten Nationen beteiligt, haben vor allem auch
nach dem Gipfel von Rio Maßnahmen zur Walderhaltung
mit ausgehandelt. Deutschland ist in der forstlichen Entwicklungszusammenarbeit weltweit führend. Derzeit fördern wir mit rund 130 Millionen Euro pro Jahr 310 Waldprojekte in 66 Ländern.
({8})
Ich habe mir solche Maßnahmen erst im vergangenen
Jahr in Brasilien anschauen können. Es ist sehr wichtig, in
den Entwicklungsländern erfahrbar zu machen, dass eine
nachhaltige Bewirtschaftung im wirtschaftlichen Interesse
dieser Länder liegt. Es nützt nichts, darauf hinzuweisen,
sie sollten etwa weniger Soja für den Export anbauen,
wenn in den Ländern nicht die Erfahrung gesammelt wird,
dass eine nachhaltige Bewirtschaftung letztlich in ihrem
ureigenen wirtschaftlichen Interesse liegt. Dazu dienen
gerade die Projekte Deutschlands in diesen Ländern.
({9})
In einem letzten Punkt möchte ich noch auf den Entwurf eines Forstvermehrungsgutgesetzes eingehen, das
hier auch zur Debatte steht. Damit setzen wir eine europäische Richtlinie um. Wenn wir naturnahe Wälder wollen, dann brauchen wir auch entsprechendes Saat- und
Pflanzgut für die genetische Vielfalt der Wälder. Das
Forstvermehrungsgutgesetz ist eine wichtige gesetzliche
Grundlage, um diese Ziele in der Zukunft zu erreichen.
Die Aufzählung all unserer Anstrengungen ließe sich
abendfüllend fortsetzen. Ich will darauf verzichten, weil
ich davon ausgehe, dass vor allem die Damen meiner
Fraktion und auch der Fraktion der Grünen die Liste noch
vortragen werden.
Vielen Dank.
({10})
Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Cajus Julius Caesar.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Gesamtwaldbericht und
der Waldzustandsbericht der Regierung werden den Anforderungen der Koalition, die sie selbst einmal aufgestellt hat, aber insbesondere auch unseren Anforderungen
in keinster Weise gerecht.
({0})
Die Verwaltung hat sich zwar bemüht, durch Formulierungen und attraktive Bilder einen Bericht zusammenzustellen, der zumindest von der Ummantelung her einen
guten Eindruck macht. Für eine Verwaltung ist es aber
natürlich extrem schwierig, etwas zu Papier zu bringen,
wenn der Regierung das Handeln fehlt. In den Aussagen
der Regierung ist wenig Konkretes, es fehlen Akzente,
und sie ist in Ihren Aussagen auch nicht zukunftsträchtig.
Die Leistungen von CDU/CSU können sich sehen lassen. Sie ruhen sich ein Stück weit darauf aus. Ich nenne als
Stichworte „Rettet den Wald“, 1983, und viele rechtliche
Regelungen aus den 90er-Jahren: Bundes-Immissionsschutzgesetz, Großfeuerungsanlagen-Verordnung, Kleinfeuerungsanlagen-Verordnung, Katalysator, Einführung
des schadstoffarmen Diesel, schadstoffbezogene KfzSteuer und vieles mehr. Insbesondere viele internationale
Vereinbarungen haben dazu beigetragen, dass Deutschland vorn stand, Vorbildfunktion hatte. Wir als CDU/CSU
sind stolz auf diese Leistungen. Damit können wir uns sehen lassen.
({1})
Wir jedenfalls können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass Sie von SPD und Grünen, von der jetzigen Regierung, sich beim Spaziergang durch den Wald verirrt haben und im Kreis laufen.
({2})
Sie kommen mit Ihren Argumenten und mit all den Dingen, die Sie sich einmal vorgenommen haben, nicht
voran. Sie haben sich im Dickicht verirrt und können nur
wenig Taten vorweisen. Vielmehr geht Ihre Politik der Zukunft zulasten der Waldbesitzer und zum Teil auch unseres Ökosystems.
Wald ist mehr als die Summe von Bäumen. Es ist die
Vielfalt unseres Ökosystems. Wir müssen dafür eintreten,
unser Wald hat vielfältige Funktionen für die Erholung suchende Bevölkerung, aber auch für das Ökosystem insgesamt.
({3})
Die Forstwirtschaft hat eine große Bedeutung in unserer Gesellschaft. Diese Bedeutung sollten auch Sie als Regierungskoalition entsprechend honorieren. Das bedeutet,
den Rohstoff Holz als einen Rohstoff, der umweltfreundlich erzeugt wird, entsprechend zu fördern
Auch das nationale Klimaschutzziel bis zum Jahre
2005, also die CO2-Reduktion um 25 Prozent zu erreichen, bedeutet, den Einsatz des Holzes als erneuerbaren
Energieträger voranzubringen. 1 Kubikmeter Holz speichert immerhin 1 Tonne CO2. Daran erkennt man ebenfalls die enorme Bedeutung unseres Waldes und unseres
Holzes als Rohstoff.
({4})
Wir als CDU/CSU haben in diesem Zusammenhang
eingebracht, in unterdurchschnittlich bewaldeten Gebieten
Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
eine Waldvermehrung vorzunehmen. Leider sind Sie
diesem Gedanken auch beim Bundesnaturschutzgesetz
nicht gefolgt. Schade!
({5})
Wie machen denn Sie es? Sie kürzen beispielsweise die
Mittel im Bereich der Agrarstruktur und des Küstenschutzes; Sie kassieren lieber die Bürger bei der Ökosteuer ab, die zwar Ökosteuer heißt, aber nicht ökologisch
ist, und das Geld wird schon gar nicht für diesen Bereich
eingesetzt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, man sollte
auch die eigenen Aussagen der Vergangenheit beachten.
Deshalb ist es wichtig, dass man hier nicht zulasten des
Waldes und des Bürgers Politik betreibt, sondern die
Dinge offensiv angeht.
({6})
Ich darf Ihnen im Übrigen auch noch einmal ans Herz
legen, die Aussagen der Arbeitsgemeinschaft Deutscher
Waldbesitzerverbände vom 10. Januar zu verfolgen. Ich
kann dem nur Recht geben, wenn gesagt wird: Eine konstruktive Einbeziehung unseres Waldes in die politischen
Entscheidungen ist wichtig. Diese ist längst überfällig, hat
der Präsident gesagt. Er hat auch gesagt: „Die bisherige
Gewichtung dieser Aspekte durch die Regierung ist
falsch. Hier werden Chancen vertan!“ Recht hat er.
({7})
Auch bei den Waldschäden handelt die Regierung mit
zweierlei Maß. Wenn man Seite 57 des Gesamtwaldberichtes aufschlägt, dann kann man dort lesen:
Die Situation kann bei diesen Baumarten mit einem
Flächenanteil deutlicher Schäden im Jahr 2000 von
25 % bei Fichte, 13 % bei Kiefer, 25 % bei den „anderen Nadelbaumarten“ als zufrieden stellend beurteilt werden
Bei Ihnen ist es so: Wenn Sie die Berichte verfassen
und es steht „SPD und Grüne“ darüber, dann ist alles zufrieden stellend. Wenn darüber „CDU/CSU und FDP“
steht, dann herrscht Weltuntergangsstimmung. So haben
Sie es bisher immer gehalten.
({8})
Das ist Ihre angeblich solide Politik im Sinne der Natur
und des Waldes. Sie schieben den Schwarzen Peter so
lange hin und her, bis er bei den Betroffenen vor Ort ankommt. Das kann man bei vielen Gesetzen, gerade auch
aus den letzten Wochen und Monaten, feststellen. Gleichzeitig werden die Mittel zurückgeführt, sodass viele aktive Maßnahmen neben den Bereichen der Vorbereitung
nicht mehr oder nur bedingt durchgeführt werden können.
Ich nenne stichwortartig die Bodenschutzkalkung, die
Wiederaufforstung, Vor- und Unterbau sowie waldbauliche Maßnahmen, Luftreinhaltung, Steuererleichterungen
für den Waldbesitzer, Forschung und internationale Abkommen: Hier gibt es erhebliche Defizite dieser jetzigen
Regierung.
({9})
Wenn wir ehrlich miteinander umgehen, dann muss
man sicherlich zur Kenntnis nehmen, dass 80 Prozent der
Standorte in Deutschland einen Versauerungsgrad von unter 4,2 aufweisen. Sie wissen alle, dass ein um 1 geringerer pH-Wert immerhin ein Mehr von einer zehnfachen
Versauerung bedeutet. Handeln ist hier angesagt, ein Handeln für uns alle. Deshalb verstehe ich es nicht, dass Sie
beispielsweise auch bei Ihren Formulierungen im Bundesnaturschutzgesetz Ideologie und Bürokratie voranstellen.
Sie gehen mit der Gesetzeskeule an die Waldbesitzer
heran, um ihnen Ihre Ideologie aufzuzwingen. Es gibt immerhin 1,3 Millionen Waldbesitzer in Deutschland, die
den Wald über Generationen hinweg im Schweiße ihres
Angesichts gepflegt - das sollte man nicht vergessen und dazu beigetragen haben, dass wir unsere Natur mit ihrer Artenvielfalt in unserem Lande vorweisen können.
({10})
Sie sprechen immer wieder von den Großgrundbesitzern und vergessen dabei, dass 50 Prozent des Waldes in
Deutschland Privatwald sind und die Durchschnittsgröße
bei rund 3,6 Hektar liegt. Sie benachteiligen die Kleinen,
die etwas für unseren Wald tun.
({11})
Ich will die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände noch einmal zitieren:
Zeigen Sie Trittin die rote Karte für seine ideologische Umweltpolitik. Bewahren Sie uns vor der bürokratischen Reglementierungswut. Wenn Sie das
Recht der Kleinen so mit Füßen treten, werden Sie
dieses irgendwann zu spüren bekommen, auch wenn
Sie meinen, es ist nur eine kleine Gruppe.
Recht hat die Arbeitsgemeinschaft.
Wir als CDU/CSU setzen uns für die Waldbesitzer und
den Wald ein. Wir meinen, auch die Menschen im ländlichen Raum haben es verdient, Beachtung zu finden.
({12})
Auch dort werden Arbeitsplätze benötigt, auch dort wollen die Menschen am Wohlstand teilhaben. Wir als CDU/
CSU wollen Kooperation statt Konfrontation im Sinne
von wirtschaftlicher Entwicklung und im Sinne der Entwicklung der Natur für unsere zukünftigen Generationen.
Gegenstand des heutigen Berichts ist auch der Tropenwald. Wenn wir heute die Beratungen zum Tropenwald im Plenum durchführen, sollten wir sehr wohl auch
die große Bedeutung dieses Bereichs in Augenschein nehmen: über 100 Millionen Jahre alte Regenwälder, empfindliche Ökosysteme, 5 Millionen Tier- und Pflanzenarten und etwa 400 verschiedene Baumarten auf 1 Hektar
Regenwald, während in Deutschland insgesamt nur
60 Baumarten beheimatet sind.
Die Tropenwälder versorgen insgesamt rund 1 Milliarde Menschen mit Trinkwasser. Deshalb ist es besonders wichtig, dass wir der Zerstörung von rund 15 MilliCajus Caesar
onen Hektar, die jedes Jahr unwiederbringlich verloren
gehen, Einhalt gebieten. Das ist die Waldfläche der Bundesrepublik und gleichzeitig die Gesamtfläche der Länder
Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen. Wegen
seiner weltweiten Bedeutung ist es ganz wichtig, dass wir
uns für den Erhalt und für eine nachhaltige Bewirtschaftung des Tropenwaldes einsetzen.
Waren es unter CDU/CSU und FDP 1997 noch über
150 Millionen Euro, die für Projekte im Haushalt zur Verfügung standen, so sind diese Mittel mittlerweile gekürzt
worden. Sie, Herr Staatssekretär, haben gerade nur von
der heute zur Verfügung stehenden Summe von rund
130 Millionen Euro gesprochen. Tatsache ist, dass Sie
diese Summe in Ihrer Regierungszeit zurückgeführt haben, sodass weniger Gelder für den Erhalt des Tropenwaldes und der Ökosysteme zur Verfügung stehen. Das ist
nicht die Politik der Union, das können wir nicht hinnehmen. Wir wollen, dass diese Mittel wieder aufgestockt
werden.
({13})
Die Lebensbedingungen für die dort wohnenden Menschen müssen besonders beachtet werden. Deshalb ist es
wichtig, dass wir die Relation nicht aus den Augen verlieren. Rot-Grün knebelt die Land- und Forstwirtschaft.
Wir wollen nicht einen Verwaltungsbeamten pro Hektar, wir wollen im Sinne unserer Natur vorankommen, damit aus dem kleinen Pflänzchen wieder ein starker Baum
wird. Wir wollen eine Politik nach dem 22. September
dieses Jahres für die Menschen, für die wirtschaftliche
Entwicklung in den ländlichen Räumen, aber auch für den
Wald und unsere Natur.
Herzlichen Dank.
({14})
Nun erteile ich der
Kollegin Steffi Lemke, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Frau
Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Nach
20 Jahren des Ringens um die Verbesserung des Zustands
unserer Wälder auf nationaler und internationaler Ebene
fällt die Bilanz nüchtern aus: Der Waldverlust in den
Tropen schreitet ungebremst voran und der Zustand der
Wälder hat sich in vielen Regionen der Welt, auch in
Deutschland, verschlechtert. Am stärksten von dieser
Entwicklung betroffen sind die Urwälder in den Tropen.
Alle zwei Sekunden verschwindet dort eine fußballfeldgroße Fläche Urwald. Damit ist auch ein immenser Verlust von Tier- und Pflanzenarten verbunden. So warnen
Umweltschützer inzwischen vor dem Aussterben des
Orang-Utans innerhalb der nächsten zehn Jahre.
Obwohl das Problem der Waldzerstörung seit vielen
Jahren - fast schon Jahrzehnten - bekannt ist und auch in
die Politik Eingang gefunden hat, haben die Gegenmaßnahmen nur teilweise Wirkung gezeigt. Die Ursachen für
das ungebremste Abholzen liegen in vielen Entwicklungsländern in den schlechten Kontrollmöglichkeiten
bei illegalem Holzeinschlag, der Armut und Finanzschwäche der Bevölkerung, der immer größeren Ausweitung von Agrarflächen, insbesondere für den Sojaanbau,
und auch in dem an kurzen Zeiträumen ausgerichteten
Gewinnstreben vieler Holzhändler. Von diesen Tropenhölzern gelangt zwar nur ein geringer Teil nach Deutschland. Nichtsdestotrotz trägt Deutschland in der Zukunft
eine große Verantwortung für die Sicherung unserer Lebensgrundlagen auch in den Tropenländern.
({0})
Um die Blockade der letzten Jahre aufzuheben, ist eine
Vielzahl verschiedener Maßnahmen auf einer Vielzahl
von Ebenen notwendig. Erwähnen möchte ich dabei den
UN-Waldgipfel, der tatsächlich auf internationaler Ebene
mit den Vereinten Nationen den Dialog über die Sicherung der Wälder verstärkt bzw. in Gang gesetzt hat, womit, wie ich glaube, für die Zukunft ein wichtiges Instrumentarium vorhanden ist, um Einfluss auf die Länder zu
nehmen, in denen jährlich nach wie vor sehr viel Tropenwald vernichtet wird.
Ein zweites Instrumentarium, das in den letzten Jahren
bereits an Bedeutung gewonnen hat und in den nächsten
Jahren weiter an Bedeutung gewinnen wird, ist die Zertifizierung nachhaltiger Holzbewirtschaftung, weil nur
so sichergestellt werden kann, dass Holz aus Tropenwäldern, das hier und in Amerika, in Kanada oder auch in
Staaten wie Japan verbraucht wird, einer sozial und vor allem umweltverträglich nachhaltigen Bewirtschaftung entstammt.
({1})
Dieses Instrumentarium haben Bündnis 90/Die Grünen
und auch die SPD seit mehreren Jahren forciert. Wir haben die Organisationen, die die Zertifizierung des Forrest
Stewardship Council unterstützen, mit aufgebaut, weil
klar ist, dass wir dieses Instrumentarium unbedingt brauchen, während Sie von der Opposition es blockiert, abgelehnt und den Versuch der Verhinderung unternommen
haben.
({2})
Ein weiterer wichtiger Schritt war die Reform der
Hermes-Bürgschaften, die erst unter Rot-Grün gelungen
ist. Auch hier hat die CDU/CSU keinerlei positiven Beitrag geleistet. Ich glaube, dass wir auf diese Art und Weise
viele Projekte, die mit verantwortlich für die Waldzerstörung in Tropenländern sind, jetzt einer vernünftigen
Bewertung unterziehen und in Zukunft sicherstellen können, dass so etwas nicht mehr vorkommt. Die Entwicklungszusammenarbeit ist unter Rot-Grün gestärkt, verbessert und insbesondere stärker an den Kriterien der
Umweltverträglichkeit ausgerichtet worden.
Ganz anders gelagert sind die Probleme des Waldes
hier in Deutschland. Ich möchte allerdings vorausschickend sagen, dass wir hier in der Tat einen sehr hohen
Waldbewirtschaftungsstandard haben; das möchte ich für
Bündnis 90/Die Grünen unterstreichen. Das hat natürlich
auch etwas mit der guten Arbeit der Forstwirte in
Deutschland zu tun.
({3})
Trotz der Anstrengungen in den letzten Jahres zur Verbesserung des Waldzustandes müssen wir feststellen, dass
wir zwar inzwischen eine Stagnation erreicht haben - der
Waldzustand verschlechtert sich nicht weiter -, aber eine
Tendenz zur Besserung bisher kaum, nur in Nuancen, erkennbar ist und von daher die Anstrengungen für die Luftreinhaltung, für die Reduzierung des Schadstoffausstoßes
nicht nachlassen dürfen, sondern verstärkt werden müssen.
Dies scheint auch die CDU nach jahrelangem Kampf
erkannt zu haben; denn zum Wahlkampfauftakt hat sie erklärt, dass sie die Ökosteuer nun doch nicht mehr abschaffen möchte, sondern fortführen wird. Vielleicht wird
sich diese Erkenntnis bei Ihnen auch auf anderen Politikfeldern noch durchsetzen.
({4})
Unter Rot-Grün ist die Förderung der erneuerbaren
Energien massiv ausgebaut worden. Auch das wird dem
Wald in zweierlei Hinsicht zugute kommen: zum einen,
weil der Schadstoffausstoß durch die verstärkte Nutzung
der regenerativen Energien reduziert wird, und zum anderen, weil wir den Landwirten auch über die Holznutzung
bei der energetischen Verwertung neue Einkommensmöglichkeiten eröffnen.
({5})
Ich kann hier nur den Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Waldbesitzerverbände, Prinz zu
Salm-Salm, unterstützen, wenn er sagt: Holzhaus statt
Treibhaus.
({6})
Er hat Recht: Wir sollten die Nutzung von Holz am Bau
intensivieren, noch stärker, als das unter Rot-Grün bereits
passiert ist.
({7})
Ich warne trotzdem davor, dass wir in ein parteipolitisches Gezänk darüber verfallen, wie kurzfristige Erfolge
bei der Luftreinhaltung und bei der Verbesserung des
Waldzustandes erreicht werden können. Wir müssen uns
hier auf eine mittelfristige oder sogar langfristige Entwicklung einstellen. Umso wichtiger ist es, jetzt intensiv
daran zu arbeiten, dass der Schadstoffausstoß reduziert
wird, dass wir neue Antriebstechnologien für den Individualverkehr entwickeln und dass wir die Nutzung erneuerbarer Energien ausweiten. Dafür steht Rot-Grün und
dies wird nach der nächsten Bundestagswahl - auch unter
Rot-Grün - fortzusetzen sein.
Danke.
({8})
Nun hat der Kollege
Ulrich Heinrich für die FDP-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute den
Waldzustandsbericht. Ich möchte mich vornehmlich mit
der Erfassung der Daten und mit den Erkenntnissen des
Waldzustandsberichts auseinander setzen. Mir scheint,
dass so einiges überholt ist und dass wir die Methoden
weiterentwickeln müssen.
Was wir heute wissen, ist nicht genug, um entscheidende, notwendige Maßnahmen zu ergreifen, mit denen
das Waldsterben reduziert werden kann. Teilweise gibt es
sogar aufgrund der Art und Weise der Erhebung - zum
Beispiel, wenn man sich nur mit der Belaubung und mit
der Belichtung der Bäume auseinander setzt und den
Baumbestand rastermäßig erfasst - Ergebnisse, die von
der Realität abweichen, was falsche Schlüsse zulässt.
Die Methoden sind nicht mehr zeitgemäß. Ich möchte
die Bundesregierung hier auffordern, von Level eins zu
Level zwei zu kommen. Ich denke dabei an eine Verbreiterung der Parameter, mit denen die Dauerbeobachtungsflächen - sie existieren heute schwerpunktmäßig bereits analysiert werden. Es geht vor allen Dingen darum, einen
neuen Bodenzustandsbericht - der erste ist vor 15 Jahren
erstellt worden - zu erarbeiten. Ich möchte die Bundesregierung auffordern, dieses Projekt in Angriff zu nehmen. Die erste und letzte Bodenzustandsberichterhebung
hat 1987 begonnen. Das ist jetzt 15 Jahre her. Wir müssen
wieder wissen, was wir tun. Derzeit wissen wir das nicht,
weil wir keine genaue Auskunft darüber haben, wie sich
der Boden, die Bewurzelung und die gesamte Situation
des Umfeldes der Bäume entwickelt haben.
({0})
Insofern brauchen wir mehr und aussagekräftigere Daten.
Wir brauchen andere Parameter, um zu besseren Erkenntnissen zu kommen.
Die wahrscheinlich sogar gut gemeinten Vorschläge
der Bundesregierung, dem Wald zu helfen, zum Beispiel
die Naturschutznovelle, verkehren sich allerdings ins
Gegenteil.
({1})
Wer für ein generelles Kahlschlagverbot und für einen
10-prozentigen Biotopschutz sorgt, wer den Vertragsnaturschutz aushebelt und stattdessen mehr staatliche Gängelung einführt, hat den Forstwirt nicht mehr auf seiner
Seite. Wer den Forstwirt nicht auf seiner Seite hat, wird
mit seinen Bemühungen, dem Wald und dem Ökologiegefüge insgesamt zu helfen, keinen Erfolg haben.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stellen
fest, dass mit der Novelle zum Naturschutzgesetz auch die
Eigentumsfragen falsch beantwortet werden. Hier ist
eine schleichende Enteignung festzustellen. Dagegen
wehren wir uns ganz besonders.
({3})
Die Funktionen des Waldes - im Klimaschutz, im Bodenschutz, für die Artenvielfalt, aber auch als Rohstofflieferant - können nur erbracht werden, wenn der Wald
wirtschaftlich betrieben werden kann. Wer glaubt, ausschließlich mit Steuergeldern den Wald erhalten zu können, der wird bald sehen, dass diese gesellschaftlich positiven Funktionen nicht mehr verwirklicht werden können.
({4})
Genau deshalb müssen wir die Wirtschaftlichkeit des
Waldes in die Betrachtungsweise aufnehmen. Wir dürfen
nicht so tun, als wäre das völlig gleichgültig. In den Ansätzen der Bundesregierung in den vergangenen drei Jahren haben wir leider Gottes genau das Gegenteil erfahren:
nicht Unterstützung, sondern im Gegenteil Belastung auf
allen Ebenen.
Insofern möchte ich dringend davor warnen, diese
Politik fortzusetzen. Die Politik muss geändert werden.
Herzlichen Dank.
({5})
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Heidi Wright.
Frau Präsidentin! Sehr
verehrte Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das Jahr beginnt
gut: Wir führen die Walddebatte. Wald ist, so meine ich,
ein gutes, weil trotz aller Probleme perspektivisches
Thema.
Die Probleme zuerst. Es darf uns keinesfalls unberührt
lassen, dass der Anteil der Bäume mit deutlichen Schäden
nach wie vor bei 22 Prozent liegt, bei den Laubbäumen
- der geliebten Eiche, der Buche gar - deutlich höher, bei
33 Prozent. Aber das Schadensniveau hat sich seit Anfang der 90er-Jahre wesentlich verbessert; Veränderungen
sind jetzt nur noch in geringen Prozentbereichen festzustellen.
Der Gesamtwaldbericht zeigt uns neben den nationalen
Schäden gerade auch die erschreckende Zerstörung der
Urwälder auf. Für alle Bereiche - im Nationalen wie im
Internationalen - gilt es, durch politisches Handeln Verantwortung zu übernehmen. Das heißt, die Luft- und Bodenbelastung ist weiter zurückzuführen. Unsere Verantwortung liegt auch hier im Nationalen wie im
Internationalen. Beide Bereiche haben Wechselwirkungen: Wenn wir national durch konsequente Luftreinhaltepolitik unsere ebenso ehrgeizigen wie notwendigen Ziele
verfolgen, haben wir die besten Argumente, um diese
Ziele auch international zu forcieren.
({0})
Wenn wir national eine Nachhaltigkeitspolitik als Querschnittsaufgabe mit Nachhaltigkeitsrat und Staatssekretärsausschuss verfolgen, haben wir die besten Chancen,
diese Nachhaltigkeitsstrategien auch nach außen zu tragen.
Wenn wir Naturschutz und Waldbewirtschaftung in
Deutschland nach höchsten Kriterien betreiben und uns
dazu ein Bundesnaturschutzgesetz und eine umfassende
Zertifizierung auferlegen, werden wir auf Dauer einen
Wettbewerbsvorteil erlangen.
({1})
Denn es ist doch ein Trugschluss, zu glauben, mit bequemen Standards oder einer wohlwollenden Freiwilligkeit
Qualitätsziele erreichen zu können. Seien wir doch selbstbewusst! Sagen wir doch: Wir wollen im Naturschutz und
in nachhaltiger Waldbewirtschaftung führend sein!
({2})
Es geht doch um mehr als um Bäume. Bei aller Wertschätzung für die Forstwirtschaft und die Waldbesitzer:
Es geht um ein Ökosystem, das unsere Lebensgrundlage
sichert.
Damit sind wir längst bei den positiven Entwicklungen. Ich werde nicht müde, die neue Energiepolitik zu
loben, die in mehrfacher Weise - die Kollegin Lemke hat
es erwähnt - positive Auswirkungen auf Wald- und Forstwirtschaft hat. Tja, liebe Kollegen von der Opposition, da
ist Musik drin! Da geht der Punk ab: beim EEG und beim
KWK-Gesetz, beim Marktanreizprogramm und auch bei
der Ökosteuer. Die rückt nämlich das Holz als Energieträger in das rechte Licht und auf die Erfolgsspur.
({3})
Wem zum Stichwort Energiepolitik nur die Atomkraft
einfällt, der ist einfältig. Wer ist das? Der Kandidat.
({4})
Ich werde nicht müde, auch weiter die Zertifizierung
nach FSC zu fordern, denn unsere deutsche Forstwirtschaft hat sich nicht hinter einem Wald- und Wiesenzertifikat zu verstecken. Müde hingegen kommt mir dagegen
der Antrag der Opposition vor. Nein, wir werden die
Schaffung eines Biotopverbundes auf 10 Prozent der
Landesfläche nicht zurücknehmen.
({5})
Mich hat in diesem Zusammenhang der Deutsche Waldgipfel in Bad Honnef im Oktober letzten Jahres gefreut.
Da gab es gute Ansätze zur Entkrampfung und die Einsicht in Notwendigkeiten, zum Beispiel auch bezüglich
der Ausweisung weiterer Naturschutzflächen.
Liebe Kollegen von der Opposition, ich komme zu einem weiteren Punkt Ihres Antrages: Wir forcieren die Entwicklung der Technik zur Minderung der Schadstoffe
im PKW- und LKW-Bereich, nicht zuletzt auch durch
die Ökosteuer, die kontinuierlich zu einem Minderverbrauch und zur Belebung der Nachfrage nach gering
verbrauchenden Fahrzeugen führt. Sie, liebe Kollegen
von der Opposition, vergessen dabei natürlich glatt die
Emissionen der Landwirtschaft. Auch hier ist eine Verbesserung nötig, im Interesse des Waldes, aber auch im Interesse des Tierschutzes und der Verbraucher.
Wenn Sie außerdem fordern, auch innerhalb der Gemeinschaftsaufgabe weitere finanzielle Verbesserungen
für die Forstwirtschaft herbeizuführen, so müssen Sie sagen, was wir stattdessen innerhalb der GA wegnehmen
sollen, denn die GA ist fest. Ich meine, die Zeit war noch
nie so gut, die Wald- und Forstwirtschaft positiv im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern. Das ist auch
notwendig. Ein Aufsatz in der aktuellen Ausgabe der „Allgemeinen Forstzeitung“ zeigt, dass nach wie vor nur
40 Prozent der Bevölkerung glauben, dass die Nutzung
der heimischen Holzvorräte angemessen ist. Mehr als
die Hälfte glaubt nach wie vor an was weiß ich alles: also
an Raubbau, Übernutzung, oder vertritt die Forderung:
Baum ab - Nein, danke! Das ist aber wirklich falsch.
({6})
Wir haben ein großes ungenutztes Potenzial heimischer
Holzreserven und Holznutzung ist sinnvoll.
Zum Schluss, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen: Wenn
es uns, das heißt der Politik, den Waldbesitzern und den
Interessenverbänden, künftig gelingt, über die Umsetzung
des Bundesnaturschutzgesetzes oder die Novellierung des
Jagdgesetzes zum Beispiel nicht ständig wegen Nichtigkeiten in Streit zu geraten und falschen Lobbyismus zu
betreiben, dann schonen wir nicht nur uns selbst, sondern
dienen auch dem Wald.
Vielen Dank.
({7})
Als Letzter in dieser
Debatte erteile ich das Wort der Kollegin Kersten
Naumann für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Auch wenn meine Kollegin Heidi
Wright sagt, das Jahr beginne mit Wald gut, bleibt dennoch wie jedes Jahr das gleiche Dilemma: Der Schadensdruck auf unsere Wälder übersteigt in Deutschland, aber
auch EU-weit wesentlich das Maß dessen, was sie langfristig verkraften können. Die Zunahme der Waldschäden in Deutschland und auch in ganz Europa zeigt,
dass sich die Umweltsituation trotz einiger beachtlicher
Teilerfolge weiter verschlechtert. In Thüringen erwiesen
sich zum Beispiel nur 16 Prozent der Laubgehölze und
34 Prozent der Nadelbäume als gesund. Darüber kann
auch das Beschönigen im Waldzustandsbericht nicht hinwegtäuschen.
Der Wald ist ein Bioindikator und ein Spiegel dafür,
wie verschwenderisch unsere Gesellschaft mit den Ressourcen Luft, Wasser und Boden umgeht. Umweltschutz
ist teuer, demzufolge wird er nur unzureichend gesellschaftlich und finanziell honoriert. Aber versäumter Umweltschutz wird noch teurer und ist für viele Wälder bereits tödlich.
Es hört sich gut an, wenn es im Bericht heißt, dass der
Stickstoffeintrag abnimmt und Waldböden heute langsamer versauern. Fakt ist aber: Das Waldsterben geht nur etwas langsamer voran, doch die Versauerung findet weiterhin statt, und das auf über 80 Prozent der Waldflächen.
Die Belastung durch bodennahes Ozon, das aus den Auspuffgasen der Kraftfahrzeuge, aber auch in der Industrie
entsteht, steigt weiter. Das Umweltbundesamt hat schon
1995 dokumentiert, dass die Konzentration dieses Gases
auf 95 Prozent der Landesfläche die Grenze der Belastbarkeit von Wald und Menschen übersteigt. Der deutsche
Wald leidet ungebremst unter den direkten und indirekten
Folgen der Luftverschmutzung. Der Treibhauseffekt auf
Waldökosysteme ist bekannt. Was nutzt denn ein Klimaschutzprogramm, wenn Handel mit Emissionen möglich
ist?
({0})
Im Wissen darum, die Probleme immer auf die nachfolgenden Generationen abzuwälzen, ist der Weg in die
falsche Richtung. Unsere Enkel werden uns dafür verdammen.
Der Bioindikator Wald ist abhängig von wirtschaftlichen und Klimaeinflüssen, die nicht an der Grenze oder
einem Gebirge Halt machen. Die von der OECD veröffentlichten Ergebnisse der Waldschadenserhebung in
30 europäischen Ländern belegen, dass der Anteil geschädigter Waldbäume weiter zunimmt. Europaweit am
schwersten betroffen ist die Tanne, die zu 86 Prozent geschädigt ist, davon 43 Prozent schwer. In Deutschland ist
die Buche am schwersten betroffen. 78 Prozent des Bestandes sind geschädigt, davon 24 Prozent schwer. Projekte des BUND wie der „Zukunftswald 2000“ sind sehr
unterstützenswert, lösen allerdings allein das Problem
nicht. Hier brauchen die Verbände eine weitaus größere
Unterstützung.
Das weitere Fortschreiten der sichtbaren Schäden an
den Bäumen und das zunächst verborgene Fortschreiten
der Bodenschäden sind nach wie vor alarmierend. Das
jährliche gebetsmühlenhafte Verkünden der neuesten
Schadensbilanz wird dem Problem ebenso wenig gerecht
wie der Umgang dieser Gesellschaft mit Klimaschutz,
BSE und Atomenergie. Deshalb ist es künftig politisch
umso dringlicher, dass sich die EU-Staaten auf ein Gesamtkonzept einlassen, das die Wälder und damit das
Klima, das Wasser und den Boden vor diesen Einflüssen
- gemacht von Menschenhand, oder besser: begleitet von
Politikerhand - schützt.
Danke schön.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zu Tagesordnungspunkt 10 a: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung
und Landwirtschaft auf Drucksache 14/6273 zu dem
Waldzustandsbericht der Bundesregierung 2000 sowie zu
dem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen zu diesem Bericht. Der
Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis des Waldzustandsberichts der Bundesregierung auf Drucksache 14/4967
den Entschließungsantrag auf Drucksache 14/5560 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 10 b: Interfraktionell wird die
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/6750 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen nun zu den Entschließungsanträgen zum
Gesamtwaldbericht. Interfraktionell ist vereinbart, den
Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/8630 zur
federführenden Beratung an den Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und zur Mitberatung an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit, den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und an den Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie zu überweisen sowie den
Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/8037 zur federführenden Beratung an den
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und zur Mitberatung an den Finanzausschuss
und an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 10 c: Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Forstvermehrungsgutgesetzes, Drucksachen 14/7384 und 14/7998.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Enthaltung
der PDS ist der Gesetzentwurf damit in zweiter Beratung
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetz zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit haben Sie dem
Forstvermehrungsgutgesetz in dritter Beratung zugestimmt. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Zusatzpunkt 12: Interfraktionell wird vorgeschlagen,
den Waldzustandsbericht 2001 auf Drucksache 14/7946
zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und zur
Mitberatung an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit, den Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder, den Ausschuss für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung und den
Ausschuss für Tourismus zu überweisen. Sind Sie damit
einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeodneten KurtDieter Grill, Jochen-Konrad Fromme, Reinhard
Freiherr von Schorlemer, weiterer Abgeodneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Ausgleich für die nuklearen Entsorgungsstandorte Gorleben und Salzgitter ({0})
in Niedersachsen und Morsleben in SachsenAnhalt
- Drucksache 14/7786 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
Die Reden sind zu Protokoll gegeben.1) Ich eröffne die
Aussprache und schließe sie wieder.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7786 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Zusatzpunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Vorhaben zukünftiges Transportflugzeug A400M
- Drucksache 14/8024 Hierzu ist interfraktionell vereinbart worden, die Tagesordnung um Zusatzpunkt 14 zu erweitern:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Für eine haushaltsrechtlich saubere Finanzierung und langfristig gesicherte Beschaffung des
zukünftigen Lufttransportflugzeuges der Bundeswehr A400M
- Drucksache 14/8077 Dieser Zusatzpunkt soll gemeinsam mit Zusatzpunkt 13
beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
der Fall.
Für die Aussprache haben wir eine halbe Stunde vorgesehen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für die
SPD-Fraktion dem Kollegen Volker Kröning.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Koalition
und die Debatte haben eine fachliche und eine rechtliche
Seite. Beides ist natürlich hoch politisch, wie die Begleit-
musik zeigt.
Zur Sache: Die Regierung hat entschieden, dass
Deutschland sich an dem Projekt A400M beteiligt. Die
Entscheidung ist nach langem Vorlauf - mehr im Außen-
als im Innenverhältnis - am 12. Dezember 2001 gefallen,
also nach Verabschiedung des Haushalts 2002.
Vizepräsidentin Anke Fuchs
1) Anlage 6
Wenn diese Entscheidung zügig umgesetzt werden soll
- und das ist der Wille der Koalitionsmehrheit und offenbar auch einer Mehrheit aller Parteien im Deutschen Bundestag mit Ausnahme der PDS -, gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder einen Nachtragshaushalt, wie ihn
CDU/CSU und FDP fordern, oder das zweistufige Verfahren, das der Koalitionsantrag vorsieht.
Den Nachtragshaushalt braucht man nicht.
({0})
Was Ihre Alternative angeht, meine Damen und Herren
von der FDP und von der CDU/CSU, so merkt man die
Absicht und ist verstimmt. Oder anders ausgedrückt: The
same procedure as every year.
Nebenbei: Es ist interessant, dass die FDP dem Antrag
auf Erhöhung der Verpflichtungsermächtigung, den die
CDU/CSU im letzten Herbst im Haushaltsausschuss und
im Plenum gestellt hat, nicht zugestimmt hat.
({1})
Unabhängig davon, was das in der Sache heißt, wollen wir
offenbar alle gleich gründlich vorgehen. Das tut die Koalition ohnehin. Der Side Letter der anderen Auftraggeber
des Projektes war deshalb überflüssig.
Zum Rechtlichen: Entscheidend ist der Parlamentsvorbehalt. Er ist aufgrund der Verfassung und des Haushaltsrechts zwingend. Dies hat das Bundesverfassungsgericht
erst jüngst anlässlich des Organstreitverfahrens zum neuen
strategischen Konzept der NATO klargestellt. Dieser rechtliche Rahmen wird durch das Vorgehen der Bundesrepublik
im Außenverhältnis und durch die Entscheidung, die heute
im Deutschen Bundestag fallen soll, nicht verletzt. Im Gegenteil, der Bundestag schließt den Präzedenzfall einer
Einschränkung des Kernbereiches seiner Verantwortung
aus. Der Parlamentsvorbehalt wird mit der Entschließung
nicht aufgehoben, sondern mit den anstehenden Beschlüssen, auf die sich das Parlament heute verpflichtet, ausgeübt
werden.
Zur großen Politik: Mit dem, was wir heute entscheiden, ist die parlamentarische Zustimmung, die nach der
deutschen Erklärung vom 18. Dezember 2001 - Zitat „so schnell wie möglich“ herbeigeführt werden soll, erreichbar. Oder anders gesagt: Damit ist Rechtssicherheit
gewährleistet. Der Vertrag, den die OCCAR und die
Airbus Military schließen sollen, wird dies umzusetzen
haben. Das ganze rechtliche und politische Thema lässt
sich in den Satz zusammenfassen: Man kann nur so viel
bestellen, wie man bezahlen kann.
({2})
Ich bin sicher, dass die OCCAR rechtliche Risiken für
sich und andere ausschließen wird.
Für die Koalitionsfraktionen bleibt bei der Umsetzung
des Beschlusses maßgebend, was zur Begründung des
Antrages gesagt wird. Nach Meinung der Regierung sind
für die Beschaffung 8,6 Milliarden Euro erforderlich. Sie
versichert, dass dies alle Programmkosten einschließt.
Man muss die Summe daher als Obergrenze ansehen.
Alle weiteren Fragen werden beim Vollzug des Haushaltes 2002, also im ersten Quartal, wie der Antrag vorsieht, und nach Verabschiedung des Haushalts 2003 in einem anschließenden Verfahren zur Beschaffung der
zweiten Tranche und Entsperrung der neuen Verpflichtungsermächtigung zu beantworten sein.
In diesem Verfahren wird sich der Haushaltsausschuss
auch mit den Berichten des Bundesrechnungshofes auseinander zu setzen haben. Wir haben uns jedenfalls vorgenommen, nicht die bei der Entscheidung zum Eurofighter begangenen Fehler zu wiederholen. Dem
Auditorium kann ich nur sagen, dass sich in diesem Punkt
die Berichterstatter aller Fraktionen einig sind.
({3})
Ich bitte das Haus, dem Antrag zuzustimmen, und
hoffe, dass wir uns bei der Arbeit wieder zusammenfinden
werden.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat der Kollege Dietrich Austermann für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! CDU und CSU lassen sich
von keiner Partei in diesem Hause übertreffen: wenn es
um die Frage der Verteidigungsbereitschaft,
({0})
wenn es um die Frage der Bündnisfähigkeit, wenn es um
die Frage der Verfassungstreue und wenn es um die Einhaltung der Vorschriften des Haushaltsrechts geht.
({1})
- Ja, wie die Vergangenheit, wie die 80er-Jahre - siehe
NATO-Doppelbeschluss - gezeigt haben, geschieht dies
gemeinsam mit der FDP. Dies gilt auch für die Entscheidung zum Eurofighter. Dies aber ist, Herr Kollege
Kröning, in einem ganz anderen Verfahren abgelaufen,
nämlich in einem sorgfältigen Verfahren, bei dem Haushalts- wie Fachausschuss schon ein halbes Jahr zuvor involviert waren und erst dann die Entscheidung getroffen
worden ist.
Wir lassen uns von niemandem übertreffen: bei der
Frage der Europafähigkeit; hinsichtlich der Abstimmung
mit unseren europäischen Partnern; auch in Fragen, wie
im Bündnis gemeinsam reagiert werden muss, wie neue
Transportkapazitäten geschaffen werden sollen, wie die
Fähigkeit zur Krisenreaktion international sichergestellt
werden kann. Deswegen sind wir für das Großflugzeug
- auch in der erforderliche Zahl -, aber deswegen sind wir
auch dafür, dass die Verfassung eingehalten wird, dass
Recht und Ordnung Platz greifen.
({2})
Wenn man die in den letzten Tagen gemachten Äußerungen der Kollegen aus den Reihen der Koalitionsabgeordneten zitiert - ich will keinen von Ihnen desavouieren, indem ich ihn wörtlich zitiere und beim Namen
nenne -, dann ist die Beschreibung, das, was die Regierung hier betreibe, sei eine „Sauerei gegenüber dem Parlament“, noch relativ harmlos.
({3})
Die Regierung hat versucht, das Parlament zu demütigen,
es an den Rand zu drängen. Die Präsenz auf der Regierungsbank zeigt ja auch, dass man davon ausgeht, das
werde schon laufen, egal, was das Parlament in dieser
Frage beschließt.
Worum geht es? Der Bundesverteidigungsminister hat
am 18. Dezember einen Vertrag über die Beschaffung von
73 Flugzeugen unterzeichnet - ein umfangreiches Vertragswerk ohne Bedingungen. In dem Vertragswerk war
eine Klausel enthalten, die besagt hat: Gezahlt wird nach
Kostenentwicklung. Daneben wurde ein Side Letter vereinbart, in dem steht: Wenn die Zustimmung zu diesem
Vertrag nicht bis zum 31. Januar dieses Jahres erteilt worden ist, das heißt, der Parlamentsvorbehalt Deutschlands
beseitigt wird, kommt das Geschäft nicht zustande.
Sie meinen, durch die von Ihnen vorgelegte Regelung
in Form eines zweistufigen Verfahrens, das Sie auf einmal, seit gestern Abend, für denkbar halten, sei der Parlamentsvorbehalt ausgeräumt. Aber was haben Sie gemacht? Sie haben eine Regelung im Innenverhältnis
getroffen, um die Koalitionsgemüter zu beruhigen, sie
schläfrig zu machen und ihnen das Gefühl zu geben, dass
sie etwas erreicht hätten. Durchgesetzt haben sie aber erst
dann etwas, wenn Herr Scharping zu den Partnern geht
und sagt: Ich habe vom Parlament 5,1 Milliarden Euro bekommen; ich bitte um Verständnis dafür, dass wir das umfangreiche Vertragswerk ändern müssen. Dann haben sie
sich durchgesetzt.
({4})
Wenn das nicht der Fall ist - für die 5,1 Milliarden Euro
können Sie auch nicht die entsprechende Anzahl von
Flugzeugen, nämlich 40 Stück, kaufen, wie sich das Herr
Kröning seit Jahren vorstellt -, verstoßen Sie gegen die
Verfassung. Dann wird noch heute von uns Verfassungsbeschwerde eingereicht.
Ich will Ihnen sagen, weshalb die Regelung nicht in
Ordnung ist. Ich habe gestern noch mit Industrievertretern
gesprochen. Diese haben mir gesagt: Wenn es nicht zu der
unbedingten Auftragserteilung über 73 Flugzeuge kommt,
müssen die Entwicklungskosten auf die niedrigere Stückzahl umgerechnet werden. Für die 5,1 Milliarden Euro
bekäme man dann nicht mehr 40, sondern vielleicht
30 Flugzeuge. Dann könnten Sie die zweite Tranche erst
später, in einem zweiten Schritt machen.
Dass Sie überhaupt versucht haben, durch eine Erklärung des Gesetzgebers, also dieses 14. Bundestages, eine
Regelung zu schaffen, die in die Zukunft des Jahres 2003
reicht, beruht vielleicht auf Ihrem Wunschdenken, ist zugleich aber wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz der
Diskontinuität verfassungsrechtlich nicht in Ordnung.
({5})
- Herr Opel, wer seit drei Jahren den entscheidenden Fehler macht, die Bundeswehr unterzufinanzieren, der Bundeswehr nicht genügend Geld zu geben, muss sich heute
nicht über die Wirkung dessen entrüsten,
({6})
nämlich dass mittelfristig nicht genügend Geld da ist, um
dieses Vorhaben in der von uns gewünschten Stückzahl zu
verwirklichen. Genau das ist die Wahrheit, vor der wir
heute stehen.
({7})
Was wir zu dieser Frage gesagt haben, ist vom Bundesrechnungshof, vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, vom Bundestagspräsidenten und natürlich auch
von Ihnen bestätigt worden. Sie selbst haben gesagt, man
könne es so nicht machen und das sei schon ein gewisser
Erfolg gegenüber der Bundesregierung. Damit ist deutlich
geworden, dass hier versucht wurde, sich so zu verhalten,
als sei der Bundestag die Volkskammer, ein Akklamationsorgan, das gerade noch bestätigen darf, was die Regierung vorher beschlossen hat.
Inzwischen haben Sie erreicht, dass es zu einer internationalen Blamage gekommen ist.
({8})
Die Bundesregierung hat sich sicherheits-, außen- und
verteidigungspolitisch blamiert.
({9})
Dabei spielt nicht so sehr eine Rolle, dass sich die Bundesregierung blamiert hat und von vielen Seiten gerufen
wird: Jeden Tag ein neuer Skandal. Das Schlimme ist vielmehr, dass Sie auch unser Land und die deutsche Industrie
blamiert haben.
Ich sagte schon, dass ich gestern mit leitenden Vertretern des Unternehmens gesprochen habe, das auf den Auftrag wartet. Diese haben mir beschrieben, welche Vorbereitungen sie getroffen haben - auch in den neuen
Bundesländern -, um sicherzustellen, dass dort in nächster
Zeit Hightecharbeitsplätze geschaffen werden können.
({10})
Auch diese haben gesagt: Bei unseren europäischen Partnern brauchen wir uns angesichts dieser Blamage, die hier
angerichtet worden ist, heute schon bald nicht mehr sehen
zu lassen.
Wenn es eines zusätzlichen Grundes für den Bundeskanzler bedurft hätte, den Verteidigungsminister zu entlassen, wäre dies der letzte und ein ganz wesentlicher
Grund gewesen.
({11})
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler selbst
trägt dafür die Verantwortung. Er hat Mitte November gegenüber dem französischen Präsidenten Chirac gesagt:
Wir kaufen die 73 Flugzeuge. Er musste wissen, dass weder über die Stückzahl noch über die Typenzahl, über die
Bewaffnung oder die technische Ausgestaltung der Flugzeuge je im Verteidigungs- oder Haushaltsausschuss gesprochen worden ist.
({12})
Wenn eine Prüfung erst erfolgt, Herr Kollege Zumkley,
nachdem der Auftrag erteilt worden ist, macht sich das
Parlament erneut lächerlich. Genau das wollen wir verhindern. Nein, der Bundeskanzler trägt in dieser Frage
selbst die Verantwortung. Er hat dafür gesorgt, dass wir
desavouiert wurden, weil er dem Verteidigungsetat nicht
die erforderlichen Mittel eingeräumt hat. Das ist das eigentliche Problem, vor dem wir heute stehen: ist die Unterfinanzierung der Bundeswehr. Meine Damen und
Herren, wir haben Ihnen mehrfach, und zwar bei den Beratungen zu den Haushalten 2001 und 2002, die Hand gereicht, um eine verfassungsmäßige Entscheidung zu treffen. In den zweiten Lesungen zu den Haushalten 2001 und
2002 haben wir jeweils Erhöhungsanträge im erforderlichen Maße gestellt. Sie haben dies alles pomadig und
schnodderig abgelehnt, weil Sie geglaubt haben, Sie
brauchten die Opposition nicht. Offensichtlich brauchte
man uns hier und heute, nämlich um deutlich zu machen,
dass es ohne eine ordentliche Arbeit des Parlaments nicht
geht. Wir sind dafür eingetreten, weil wir das Projekt wollen, aber unter Beachtung der Verfassung.
Meine Damen und Herren, Ihrem Antrag können wir in
dieser Form - über ihn wird komplett abgestimmt - nicht
zustimmen. Wir wollen das Flugzeug, wir wollen aber
auch die Verteidigungsbereitschaft, die Bündnistreue und
die Verfassungstreue.
({13})
Das Wort hat der Kollege Oswald Metzger für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu vorgerückter Stunde erlebt man schon ein merkwürdiges
Spiel. Kollege Austermann muss sich anstrengen, hier zu
vertreten, warum die Union ein Projekt will, sie aber formalrechtlich jetzt einen Eiertanz um die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen anstellt.
({0})
Genau das ist der Punkt.
({1})
- Herr Fraktionsvorsitzender Merz, Sie hätten heute
Abend die Verteidigungspolitiker Ihrer Fraktion bei einer
namentlichen Abstimmung nicht auf die Linie gebracht,
um hier die Position zu halten. Das ist der Punkt.
({2})
Kollege Austermann, an Großprojekten wie dem Eurofighter können wir feststellen, welches Scherbengericht
Sie in Sachen Bundeswehrfinanzierung hinterlassen haben.
({3})
3 Milliarden DM hat diese Republik in den letzten drei
Jahren allein für die Preisgleitklauseln, die Verteidigungsminister Rühe im Juni 1998 unmittelbar vor der
Bundestagswahl durchgepuscht hat, zusätzlich bezahlen
müssen.
({4})
Aufgrund dieser Preisgleitklauseln haben Sie die
Haushalte bis zum Jahr 2015 mit Ausgaben für Flugzeuge
belastet, die die Kosten explodieren lassen. Kollege
Austermann, das war ein wirklicher „Jäger light“: Sobald
die Flugzeuge der Bundeswehr zulaufen, müssen wir
Kampfwertsteigerungen finanzieren; denn außer fliegen
können diese nichts. Sie haben keine Defensivavionik und
keine Bewaffnung. Das war eine solide Verteidigungspolitik der Union! Sie brauchen sich inhaltlich wirklich nicht
aufzublasen.
({5})
Natürlich braucht die Bundeswehr ein modernes
Transportflugzeug. Natürlich ist es gut, dass wir das als
gemeinsames europäisches Projekt durchführen. Ich sage
das nur, um deutlich zu machen, dass es für dieses Transportflugzeug sehr, sehr gute inhaltliche Gründe gibt. Jetzt
komme ich aber zu dem Punkt, der auch angesichts der
von Ihnen angekündigten Organklage zu dieser Stunde
interessiert: Natürlich gab es an diesem Punkt einen Konflikt zwischen Parlament und Regierung.
({6})
Das räume ich als Haushaltssprecher ein. Ich spreche an
dieser Stelle nicht umsonst auch für unsere Fraktion.
Kollege Kröning hat ganz zu Recht darauf hingewiesen, dass wir im Rechtssinne mit diesem Entschließungsantrag unserer Regierung keine Ermächtigung geben,
8,6 Milliarden Euro unter Vertrag zu nehmen, so wie es im
Industrievertrag vom 18. Dezember geschrieben steht.
({7})
Diese Untervertragnahme des Gesamtprojektes kann erst
im nächsten Jahr, wenn das Haushaltsgesetz 2003 verabschiedet wurde, stattfinden.
({8})
Bis dahin ist der Vertrag rechtlich schwebend unwirksam.
Der Bundesverteidigungsminister könnte aber eine Zusatzvereinbarung mit den Partnern abschließen, sodass es
zu einem faktisch zweistufigen Verfahren kommt: Wenn
der Haushaltsausschuss bis Ende März die Entsperrung
der 5,1 Milliarden Euro beschlossen hat, kann die Bundesrepublik über diese Summe auch in einem Vertrag mit
Außenwirkung gegenüber den europäischen Partnern verfügen. Für die Zahlung des Restes der Summe müssten
dann die notwendigen parlamentarischen Voraussetzungen im nächsten Jahr abgewartet werden. Das ist ein ganz
klares und sauberes Verfahren.
({9})
- Das ist kein Eiertanz, das ist die Wahrung der Interessen
des gesamten Parlaments.
({10})
Sie werden noch daran denken, wenn wir im März im
Haushaltsausschuss darüber reden. Sie werden dann der
Erste sein, der sich bei der Finanzierung und bei der Vertragsgestaltung einmischen und Fragen zu einer möglichen Verdrängung von anderen militärischen Beschaffungsmaßnahmen aufgrund der Größe des Projektes
stellen wird. Sie werden dann wieder die große Arie singen, wie schlecht das Ganze vorbereitet sei.
Dabei haben wir dafür gesorgt, dass aus dem Datum
des 31. Januar 2002, das die Vertragspartner wollten,
tatsächlich eine Frist von einem Quartal geworden ist, sodass der Bundesverteidigungsminister die Chance hat,
dem Haushaltsausschuss eine korrekte Beschaffungsvorlage zuzuleiten, die wir als Parlament seriös beraten können.
Es geht um Summen - das ist wichtig auch für die Öffentlichkeit - von mindestens 8,6 Milliarden Euro.
({11})
Allein durch eine Preisgleitklausel von vielleicht 3 Prozent stiege diese Summe über den Zeitraum des Vertrags
um 41 Prozent. Es ist das größte Rüstungsbeschaffungsvorhaben, das in dieser Republik bisher parlamentarisch
beschlossen wurde. Dafür müssen sämtliche fiskalische
Voraussetzungen stimmen. Darauf werden wir als Koalition und hoffentlich auch Sie als Opposition pochen.
Vielen Dank.
({12})
Jetzt spricht der Kollege Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Metzger tat mir
eben Leid. Er war im Visier seines Fraktionsvorsitzenden,
der aus dem gleichen Landesverband kommt. Bekanntlich
gibt es dort ja ein paar Probleme. Vielleicht hat der Kollege Metzger in den Augen seines Fraktionsvorsitzenden
bestanden und darf einen Platz aufrücken. Ich würde sagen: Hier im Parlament sollte er eher ein paar Plätze nach
hinten rücken. Wie kann man sich nur so verbiegen?
({0})
Der Kollege Metzger hat gesagt: Das ist das größte
Projekt, das wir im Verteidigungsbereich je beschlossen
haben. Er hat Recht. Ich frage dann allerdings die rotgrüne Koalition, ob sie sich nicht schämt, auf diese Art
und Weise so ein großes Projekt im Parlament diskutieren
zu lassen.
({1})
Was ist das für ein Armutszeugnis, dass Sie das größte
Beschaffungsprojekt der Bundeswehr am Haushaltsausschuss und an den Fachausschüssen vorbei - man möchte
fast sagen: bei Nacht und Nebel - hier beschließen wollen? Das ist inzwischen Ihr Stil!
Wenn man Ihren Antrag sieht, dann fragt man sich:
Was wollen Sie mit diesem Antrag? An wen richtet sich
dieser Antrag? Der erste Teil ist Lyrik. Dort schreiben Sie
etwas über die 73 Maschinen. Uns brauchen Sie nicht zu
bekehren. Der Kollege Austermann hat darauf hingewiesen, dass sowohl die CDU/CSU wie die FDP in den Haushaltsberatungen für die 73 Maschinen waren. Wer war dagegen - Rot-Grün war dagegen.
({2})
Wofür machen Sie diesen Antrag? Das ist ganz klar: Sie
legen ihn zu nichts anderem vor als zur Disziplinierung
der eigenen Truppe.
({3})
Deswegen tat mir der Kollege Metzger so Leid, als er hier
eben gesprochen hat.
({4})
Ich darf in diesem Zusammenhang eine Agenturmeldung der ap vom Wochenende zitieren:
Trotz scharfer Warnungen des SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck bekräftigte Grünen-Haushaltsexperte Oswald Metzger am Sonntag die Absicht,
seiner Partei zu empfehlen, im Bundestag gegen den
Ankauf von 73 Stück des militärischen Transportflugzeuges Airbus A400M zu stimmen.
Weiter heißt es:
Metzger bekam dafür erstmals Unterstützung aus der
SPD.
Die Begeisterung springt Rot-Grün förmlich aus den Augen, bei diesem großen Projekt zustimmen zu müssen.
Das ist nicht zu übersehen.
({5})
Kollege Metzger hat noch eines vergessen - das gehört
zur Geschichte dieser Beschaffung dazu -: Das Ganze lief
so ab, dass morgens eine Koalitionsrunde tagte. Dabei waren, wie man den Agenturmeldungen entnahm, der Kollege Schlauch, der Kanzler und diverse andere Größen
dieser Republik: Dort beschloss man, 73 Flugzeuge zu beschaffen.
({6})
Nachmittags um 14 Uhr tagte dann der Haushaltsausschuss.
Ich habe den Kollegen Metzger - das ist dem Protokoll zu
entnehmen - darauf aufmerksam gemacht, was diese Runde
morgens beschlossen hat. Was hat die rot-grüne Koalition
daraufhin im Haushaltsausschuss beschlossen? 40 Flugzeuge, und zwar trotz des Beschlusses am Vormittag! Kommen Sie mir doch nicht damit, dass es neue Zahlen und Fakten gegeben habe. Nein, Sie wollten nicht, sonst hätten Sie
unseren Anträgen zustimmen können.
({7})
Wofür haben Sie gesorgt? Sie haben mit Ihrer Entscheidung im Haushaltsausschuss und mit dem Haushaltsplan 2002 dafür gesorgt, dass wir einen außenpolitischen Schaden erlitten haben. Sie haben dafür gesorgt,
dass wir industriepolitisch und militärpolitisch Schaden
genommen haben. Insgesamt haben wir Schaden genommen, weil der Verteidigungsminister einen Vertrag unterschrieben hat, den er gar nicht unterschreiben konnte.
Das Misstrauen der Partner ist entsprechend groß gewesen. Sie haben nämlich in den Vertrag hineingeschrieben: Rudolf Scharping muss uns sein Okay bis Ende Januar geben, sonst platzt die ganze Geschichte. - Aus
diesem Grunde sitzen wir heute hier.
Jetzt müssen Sie plötzlich ohne Vorlage, Diskussion
und Begründung etwas nachliefern. Ich sage Ihnen dazu:
Ihr Antrag, auch wenn Sie Ihn mit einer Mehrheit beschließen, ist null und nichtig und bringt überhaupt nichts.
({8})
Ich habe Ihnen bereits heute Morgen in der Geschäftsordnungsdebatte vorgelesen, was Art. 110 des Grundgesetzes dazu enthält. Sie verstoßen eindeutig gegen diesen
Artikel. Wenn es so wäre, dass man es so machen könnte,
wie es der Verteidigungsminister macht und wie Sie es in
Ihrem Antrag machen, dann fiele mir noch sehr viel ein,
was die Bundeswehr braucht. Wie wäre es dann noch mit
ein paar U-Booten? Die könnten wir auch gleich so beschließen. Wie wäre es mit einem Lazarettschiff samt entsprechender Ausrüstung? - Das können wir doch alles in
dieser Form machen. So unsolide ist Ihr Antrag. Sie werden nicht erwarten, dass wir Ihrem Antrag zustimmen.
Natürlich sind wir - darin müssen Sie uns nicht bekehren - für die 73 Flugzeuge.
({9})
- Da müssen Sie nicht „Ah!“ rufen.
Das haben wir doch schon im Haushaltsausschuss so
bekundet. Sie haben aber dagegen gestimmt. Dort hätten
Sie einmal „Ah!“ rufen sollen.
Sie aber haben nicht
mehr so viel Zeit, etwas zu sagen, Herr Kollege Koppelin.
Ihre Redezeit ist nämlich abgelaufen.
Frau Präsidentin, ich weise
dann abschließend nur noch einmal darauf hin, dass dieser Beschluss haushaltsrechtlich ohne jede Bedeutung ist.
Deswegen werden wir zwar für die Flugzeuge stimmen,
aber die haushaltspolitischen Ansätze in Ihrem Antrag ablehnen.
Vielen Dank.
({0})
Es spricht jetzt der
Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Von mehreren Rednern der Koalition wie auch der Opposition ist zutreffend festgestellt worden, dass das Transportflugzeug aus mehreren Gründen eine enorme Bedeutung hat: erstens für die europäische Sicherheits- und
Verteidigungspolitik und für das Schließen einer Lücke,
die im Bereich dieser Fähigkeiten besteht; zweitens für die
Erfüllung der Anforderungen, auf die sich die beteiligten
Nationen innerhalb der NATO und auf der Grundlage ihres neuen strategischen Konzepts verpflichtet haben.
Zudem - drittens - beweist auch die aktuelle Entwicklung, wie dringend notwendig es ist, dass die Europäer
gemeinsam, mit einem angemessenen deutschen Beitrag,
ihre Fähigkeitslücken im Bereich des strategischen Lufttransports, aber auch in anderen Bereichen schließen. Das
ist auf dem Weg. Die Entscheidung, die heute getroffen
wird, ist dafür von besonders großer Bedeutung.
Hinsichtlich der Zahl 73 will ich jetzt auf Kapazitätsberechnungen, Erfordernisse und dergleichen - schon
mit Rücksicht auf die fortgeschrittene Zeit - nicht eingehen. Ich möchte aber doch feststellen, dass wir uns angesichts der Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland, in der NATO wie in der europäischen Sicherheitsund Verteidigungspolitik, eher an der unteren Grenze des
Erforderlichen bewegen.
Vor diesem Hintergrund wird vielleicht verständlich,
warum die Bundesregierung und auch der Bundesverteidigungsminister besonders intensiv und mit einigem Erfolg darum gerungen haben, dass wir eine Koordinierung
des europäischen Lufttransports erreichen, dass wir ein
gemeinsames Unterstützungsabkommen der europäischen Nationen abschließen und dass wir eine - bisher jedenfalls - für Europa einmalige deutsch-niederländische
Vereinbarung zur gegenseitigen Unterstützung und übrigens auch zur Finanzierung gemeinsamer Lufttransportkapazitäten verwirklichen.
Ich weise darauf hin, dass das Schließen dieser und
auch anderer Fähigkeitslücken entscheidend dafür ist,
dass die Bundesrepublik Deutschland ihre außen- und sicherheitspolitische Verantwortung wahrnehmen kann. Im
Übrigen ist es auch wegen der Soldaten, die wir in interJürgen Koppelin
nationale Einsätze schicken, entscheidend, diese Fähigkeitslücken zu schließen.
({0})
Es hat keinen Sinn, es bei einer gewissermaßen rhetorischen Bekundung des Respekts, der Anerkennung und
des Dankes für die außerordentliche Leistungsfähigkeit
der Bundeswehr zu belassen. Man sieht derzeit in Afghanistan, wie ungewöhnlich hoch die Leistungsfähigkeit
und das Verantwortungsbewusstsein der Soldaten sind.
Dann aber ist es die Verpflichtung des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung, diesen berechtigten
Worten der Anerkennung und des Dankes auch die Taten
folgen zu lassen - auf der Seite der Ausrüstung, vor allem
der logistischen Systeme -, die den Einsatz der Soldaten
auf Dauer erst vertretbar machen.
({1})
Das geschieht heute. Vor diesem Hintergrund will ich
- damit das Tableau vollständig ist - noch darauf hinweisen, dass sich die Europäer auch im Bereich der Wettbewerbsfähigkeit, der Technologie und ihrer Arbeitsplätze
entsprechende Möglichkeiten erschließen. Das, was die
Opposition einwendet, ist für mich vor dem Hintergrund
eines Wahljahres in begrenztem Umfang nachvollziehbar.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Merz?
Wenn Sie meine Redezeit anhalten.
Die ist längst angehalten.
Das ist freundlich von Ihnen, Frau Präsidentin.
Das ist bei uns so
Sitte. - Bitte, Herr Merz.
Herr Bundesverteidigungsminister, könnten Sie nach der Rede des Kollegen
Metzger nicht nur der interessierten deutschen Öffentlichkeit, sondern auch dem Deutschen Bundestag sagen
({0})
- ich finde das, was Sie beim Haushalt veranstalten, nicht
so spaßig; wenn Sie die Probleme, die Sie mit dem Haushalt haben, nicht zur Sprache bringen, dann werden wir es
tun -,
({1})
wie der vorbehaltlose Vertrag aussehen wird, den Sie mit
Wirkung vom 31. Januar 2002 abzuschließen gedenken?
Können Sie mir dazu die entsprechenden Zahlen nennen?
Herr Kollege Metzger, Sie verkennen die Sachlage.
({0})
Herr Merz, Sie verkennen die Sachlage. Ich finde es erstaunlich, dass Sie als Fraktionsvorsitzender - Sie waren
doch auch einmal Mitglied des Europäischen Parlaments
und hatten dort ab und zu mit solchen Fragen zu tun nicht wissen, dass die Bundesregierung nach einem Gespräch mit den Spitzen der Koalitionsfraktionen sowie
nach einer Erörterung mit dem Finanzminister und mit anderen Mitgliedern der Bundesregierung, insbesondere mit
dem Bundeskanzler, den Verteidigungsminister beauftragt hat, den Industrievertrag, den Vertrag zwischen
OCCAR und Firma, sowie das Regierungsabkommen mit
Parlamentsvorbehalt zu unterschreiben. Es war also korrekt, dass ich die Verträge wie alle vorangegangenen Vereinbarungen mit Parlamentsvorbehalt unterschrieben
habe. Das war korrekt. - Ihr Kollege Schmidt, der Justiziar Ihrer Fraktion ist, nickt zustimmend.
Wenn der Deutsche Bundestag - das ist das Interesse
der Partnernationen; ich werde darauf gleich noch eingehen; Sie haben mich davon mit Ihrer nicht sonderlich erregenden Zwischenfrage abgehalten ({1})
einen entsprechenden Beschluss fasst, werden wir unseren Partnernationen mitteilen, dass der Deutsche Bundestag das Vorhaben uneingeschränkt unterstützt, wie es sich
aus dem ersten Satz der Ziffer 1 der Entschließung ergibt.
({2})
Vor diesem Hintergrund - das ist das, was ich Ihnen
schon sagen wollte, bevor Sie mich unterbrochen haben habe ich im Vertrauen auf die Koalition und ihre Entschlossenheit, die Politik der Bundesregierung zu unterstützen, heute, am späten Nachmittag, alle erreichbaren
Kollegen Verteidigungsminister der Partnernationen angerufen. Ich denke, das gehört sich so.
({3})
Ich bin nun in der angenehmen Lage, Ihnen mitteilen zu
können, dass alle meine Kollegen aus den Partnerländern - ich habe mit allen gesprochen, außer mit dem belgischen Verteidigungsminister, der sich in Vietnam befindet - die Entscheidung des Deutschen Bundestages
ausdrücklich begrüßen, dass sie dieses klare politische
Signal des Deutschen Bundestages für richtig halten und
sie die haushaltsrechtlichen Auseinandersetzungen, die in
Deutschland geführt werden, sehr wohl einzuschätzen
wissen. Das ist für mich der wichtigste Punkt.
Im Übrigen kann ich verstehen, dass man solche Diskussionen wie die jetzige führt. Aber für Folgendes habe
ich weniger Verständnis: Sie beklagen zwar immer die Finanzausstattung der Bundeswehr, bringen mich aber beispielsweise in die Lage, für das Beschaffungsvorhaben
Eurofighter fast 3 Milliarden DM durch den Haushaltsausschuss und den Verteidigungsausschuss schleusen zu müssen, um das, was Sie beim Eurofighter versäumt haben,
Bundesminister Rudolf Scharping,
nachzufinanzieren. Was glauben Sie, wie froh ich wäre,
wenn Sie dieses Projekt seriös finanziert hätten und wenn
mir diese 3 Milliarden DM noch für andere Zwecke zur
Verfügung stünden!
({4})
Vor diesem Hintergrund bedanke ich mich bei der Koalition einschließlich ihrer Haushälter für ihre Unterstützung der Politik der Bundesregierung. Sie dürfen sicher
sein, wir werden dieses große europäische Projekt so voranbringen, dass es im Interesse der Streitkräfte, der europäischen Sicherheitspolitik und unserer gemeinsamen Position in der NATO verwirklicht werden kann.
Vielen Dank.
({5})
Nächste Rednerin in
der Debatte ist die Kollegin Heidi Lippmann für die PDSFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde jetzt gern die Bestellung von 73 A400M ganz streichen.
({0})
Laut Bundesrechnungshof würden wir mindestens
9,4 Milliarden sparen. Wenn wir dann noch die Verträge
für den Eurofighter aussetzten, kämen noch einmal
22 Milliarden hinzu. Was glauben Sie, welch große Sympathien Sie sich in der Bevölkerung mit solchen Beschlüssen erwerben würden? Sie würden glatt mit einer
Mehrheit wiedergewählt werden - denke ich -, von der
Sie eigentlich nur träumen können.
Wenn es bei dieser Debatte nicht um das größte Beschaffungsprogramm im Rüstungsbereich ginge, dann
würde ich sagen: Dieses Projekt ist die größte Lachnummer in der Ära Scharping, die wir in den vergangenen drei
Jahren erlebt haben.
Die PDS wird natürlich keinem Ihrer Anträge zustimmen, weil Sie alle unisono erklärt haben - das hat Herr
Scharping eben zu Recht ausgeführt -, dass Sie die
73 A400M beschaffen wollen, und weil damit dann auch
der Parlamentsvorbehalt entfällt. Man muss sich im internationalen Kontext darüber austauschen, inwieweit das
deutsche Haushaltsrecht für solche internationalen Verträge, die mit der Wirtschaft und den Partnern geschlossen werden, überhaupt eine Relevanz hat. Das andere
werden Sie ja dann gegebenenfalls in Karlsruhe klären.
Wenn man die Bundeswehr zu einer Interventionsarmee umbauen will, dann - das wissen wir alle - muss man
sie natürlich auch entsprechend ausstatten. Sie alle haben
gesagt, dass das ihr erklärter politischer Wille ist. Von daher sollten Sie zusehen, wie Sie jetzt mit Ihren haushaltstechnischen Problemen zurechtkommen.
Die Kritik, die aus der Opposition gekommen ist, ist in
nahezu allen Punkten berechtigt, was das Verfahren angeht. Sie werden in der Zukunft sehen, ob Sie für dieses
Beschaffungsprojekt eine ähnliche Kritik wie die frühere
Bundesregierung für das Eurofighter-Projekt werden einstecken müssen.
Herr Kollege Metzger, ich möchte Sie noch an Folgendes erinnern: Als Sie 1998 in den Wahlkampf gegangen
sind, haben Sie gefordert, das Eurofighter-Projekt zu
streichen. Kollegin Beer hat das seinerzeit in ihrer Haushaltsrede 1998 noch als Wahnsinnsprojekt bezeichnet.
Heute treten Sie mit der gleichen Vehemenz, mit der damals Schwarz-Gelb für den Eurofighter eingetreten ist,
für den A400M ein.
({1})
Wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Steinen werfen,
Herr Kollege.
Um es noch einmal deutlich zu sagen: Der Bedarf zur
Beschaffung wird ausschließlich über die neuen Einsatzoptionen der Bundeswehr definiert. Dass die neuen Lufttransporter auch zum Zwecke der Katastrophenhilfe eingesetzt werden können, ist lediglich ein Nebeneffekt, der
unter dem Stichwort „dual use“ verbucht werden kann.
Ganz interessant ist die ddp-Meldung, die heute Nachmittag gekommen ist, nach der der Bundesrechnungshof
noch einmal bestätigt, dass man davon ausgeht, dass die
vorläufigen Kosten des Gesamtprojekts von 8,6 Milliarden Euro auf insgesamt 9,4 Milliarden Euro steigen werden. Ich zitiere die ddp-Meldung jetzt wörtlich:
Der Bundesrechnungshof stellt in seinem geheimen
Bericht unter dem Kapitel „Bedarfsbegründung“ die
Fehlplanung nüchtern fest: Selbst nach Beschaffung
des von den Militärs gepriesenen neuen Airbus
müsste die Bundeswehr - wie gerade beim Einsatz in
Afghanistan - weiter auf ausländische Großraumtransporter zurückgreifen, um ihr schweres Gerät zu
weltweiten Missionen befördern zu können.
Frau Kollegin
Lippmann, jetzt muss ich Sie an Ihre Redezeit erinnern.
Ich komme zum Schluss.
Es heißt darin weiter: Der A400M ist nicht in der Lage,
die Leo 2, die Marder, die Transporthubschrauber zu
transportieren, weshalb auch weiterhin Antonows und Belugas angemietet werden müssen. - Das sagt - wohlgemerkt - der Bundesrechnungshof.
Frau Kollegin
Lippmann, Sie wissen: Ich bin nicht gerne Wiederholungstäterin.
Mein letzter Satz, Frau Präsidentin.
Bundesminister Rudolf Scharping,
Dem Bundesrechnungshof fehlen die Unterlagen genauso wie diesem Haus. Wir werden alle Anträge ablehnen.
Frau Kollegin
Machen Sie eine vernünftige
Politik; dann kann man darüber reden.
({0})
Voraussichtlich letzter
Redner in dieser Debatte ist der Kollege Friedrich Merz.
Die SPD-Fraktion hat noch die Möglichkeit, die ihr verbliebenen zwei Minuten Redezeit zu nutzen.
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundesverteidigungsminister ist der Beantwortung meiner Frage, die
sich ausdrücklich auf den Wortbeitrag des Kollegen
Metzger bezogen hat, sehr kunstvoll ausgewichen.
({0})
Er hätte nicht mehr tun müssen, als das zu bestätigen, was
der Kollege Metzger hier gesagt hat. Ich frage Sie daher
jetzt noch einmal, Herr Scharping, und ich bitte um eine
präzise Antwort. Sie haben durch den Haushaltsgesetzgeber, den Deutschen Bundestag, eine Ermächtigung zum
Eingehen eines Vertrages über ein Gesamtvolumen in
Höhe von 5,1 Milliarden Euro. Sie beabsichtigen, einen
Parlamentsvorbehalt auf der Grundlage des Antrages,
der heute Abend von SPD und Grünen vorgelegt worden
ist, in Höhe eines Gesamtvolumens von 6 Milliarden Euro
aufzuheben.
Ich stelle hier noch einmal konkret die Frage: Beabsichtigen Sie, diesen Parlamentsvorbehalt gegenüber den
Firmen, bei denen bestellt werden soll, und gegenüber den
europäischen Partnern in der Größenordnung von 5,1 Milliarden Euro oder in der Größenordnung von 8,6 Milliarden Euro aufzuheben?
Ich fordere Sie auf, diese Frage hier klipp und klar zu
beantworten, Herr Verteidigungsminister.
({1})
Ich sage Ihnen, damit Sie genau wissen, was hier bevorsteht: Wenn Sie diese Frage nicht mit einer nochmaligen
Wortmeldung von diesem Pult aus klar beantworten - ({2})
- Ja, Entschuldigung, meine Damen und Herren, hier geht
es nicht um irgendwelche Kleinigkeiten; hier geht es um
das verfassungsmäßig verbriefte Haushaltsrecht des
Deutschen Bundestages!
({3})
In diesem Lande gelten Regeln. Sie gelten auch noch
lange, nachdem Sie aus dem Amt geschieden sind. Aber
solange Sie noch im Amt sind, haben Sie sich an diese Regeln zu halten und wir erwarten von Ihnen, dass hier Klarheit geschaffen wird.
({4})
Ich sage Ihnen das jetzt, damit Sie das ganz klar wissen,
Herr Scharping: Ich habe hier den Text eines Antrages auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung im Rahmen eines
Organstreitverfahrens des Deutschen Bundestages gegen
die Bundesregierung in der Hand. Wenn Sie diese Frage
hier nicht beantworten, geht dieser Antrag dreißig Minuten nach Schluss der Debatte an das Bundesverfassungsgericht.
({5})
Ich sage das, damit Sie wissen, dass wir diesen Sachverhalt ernst nehmen
({6})
und dass wir uns als Gesetzgeber von Ihnen nicht auf der
Nase herumtanzen lassen.
Ich sage Ihnen zum Abschluss noch eines: Wenn wegen dieses Sachverhaltes das gesamte europäische Projekt
scheitert, dann sind Sie allein dafür verantwortlich und
niemand anders!
({7})
Ich schließe die Aussprache und wir kommen zu den Abstimmungen.
({0})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Fraktion hat
angekündigt, dass sie nicht von ihrem Rederecht Gebrauch macht, und deshalb kommen wir zu den Abstimmungen. Es gibt einen Antrag des Kollegen Koppelin zur
Geschäftsordnung.
Frau Präsidentin! Dieser
Vorgang ist einmalig. Wenn der Führer einer Oppositionsfraktion eine so gravierende Frage stellt und der Bundesverteidigungsminister sie nicht beantwortet, so ist das
einmalig. Ich beantrage eine Unterbrechung der Sitzung
um 15 Minuten.
({0})
Gibt es eine formelle
Gegenrede gegen den Antrag? - Dann ist die Sitzung auf
diesen Antrag hin für 15 Minuten unterbrochen.
({0})
Die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich erteile zur Geschäftsordnung zunächst dem Kollegen Friedrich Merz das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Da ich höre, dass der Kollege
Struck eine Erklärung zur Abstimmung abgeben möchte,
möchte ich namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
noch einmal mit Nachdruck darum bitten, dass die Bundesregierung hier eine Erklärung zu meiner Wortmeldung
von vorhin abgibt.
({0})
Es ist gleich, von welchem Mitglied dies geschieht. Wir
bitten aber darum, dass eine Erklärung von der Bundesregierung abgegeben wird.
Ich bedanke mich herzlich.
({1})
Ebenfalls zur Geschäftsordnung spricht der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Wilhelm Schmidt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Merz, das ist
sehr verwunderlich; denn hierbei handelt es sich eigentlich nicht um einen Geschäftsordnungsantrag. Wir befanden uns vielmehr in einem Stadium, in dem die Debatte
bereits beendet und die Abstimmung aufgerufen worden
war. Diese Bitte zu äußern ist möglicherweise legitim;
aber die Antwort werden Sie natürlich auch durch die Erklärung von Herrn Struck erhalten. Wir sehen daher überhaupt keine Notwendigkeit, in dieser Phase einen solchen
Debattenbeitrag zu bringen.
({0})
Nächster Redner zur
Geschäftsordnung ist der Kollege Jürgen Koppelin.
({0})
Frau Präsidentin! Wenn es
das größte Rüstungsprojekt ist, über das wir heute entscheiden, dann muss es auch möglich sein, gegebenenfalls die Debatte neu zu eröffnen, damit die Erklärungen
abgegeben werden können.
Sollte der Verteidigungsminister heute hier keine Erklärung abgeben, wird sich die Fraktion der Freien Demokraten der Klage der CDU/CSU anschließen.
({0})
Ebenfalls zur Geschäftsordnung spricht Frau Katrin Göring-Eckardt.
Ich würde gern daran erinnern, dass wir heute
Morgen schon einmal eine Geschäftsordnungsdebatte in
diesem Hause hatten, dass Sie diese Debatte überhaupt
nicht führen wollten, dass wir sie nun geführt haben, dass
die Argumente ausgetauscht sind und dass Sie die Antwort, die Sie haben wollen, hier vom Vorsitzenden der
SPD-Fraktion erhalten werden. Er wird auf das, was Sie,
Herr Merz, hier angefragt haben, antworten. Ich gehe davon aus, dass das ausreicht.
Vielen Dank.
({0})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, Sie haben vernommen, dass der Kollege
Merz eine Bitte vorgetragen hat. Ich frage jetzt die
CDU/CSU-Fraktion, ob sie diese Bitte in Form eines Antrags wiederholt.
({0})
- Das ist der Fall.
Dann stelle ich jetzt den Antrag der Fraktion der
CDU/CSU und - davon gehe ich aus - auch der Fraktion
der FDP, dass die Bundesregierung, namentlich der Herr
Verteidigungsminister, in dieser Debatte das Wort er-
greift, zur Abstimmung. Wer für diesen Antrag ist, den
bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Der An-
trag ist gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP und PDS
abgelehnt.
Deshalb erteile ich jetzt dem Vorsitzenden der SPD-
Fraktion zu einer Erklärung zur Abstimmung das Wort
und verweise darauf, dass es auch noch eine schriftliche
Erklärung der Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig und
des Kollegen Hans-Josef Fell gemäß § 31 der Geschäfts-
ordnung gibt.1)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Namen der Koalitionsfraktionen
- SPD und Bündnis 90/Die Grünen - weise ich die Unterstellungen, die der Redner der CDU geäußert hat, auf
das Entschiedenste zurück.
({0})
Die Bundesregierung wird sich wie in der Vergangenheit
an die Beschlüsse des Deutschen Bundestages halten.
Herr Kollege, Politik wird nicht in Karlsruhe gemacht,
sondern hier im Deutschen Bundestag. Wir sehen Ihrer
Klage gelassen entgegen.
({1})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, wir kommen jetzt zu den Abstimmungen.
Vizepräsidentin Petra Bläss
1) Anlage 4
Ich rufe den Antrag der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/8024 mit
dem Titel „Vorhaben zukünftiges Transportflugzeug
A400M“ auf.
({0})
Es ist vereinbart, über die Nrn. 1 und 2 des Antrags einerseits sowie über die Nrn. 3 und 4 des Antrags andererseits
getrennt abzustimmen.
Wir stimmen über die Nrn. 1 und 2 des Antrags auf
Drucksache 14/8024 ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Nrn. 1 und 2 des Antrags
sind gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Abwesenheit der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP
({1})
sowie bei einer Enthaltung aus den Reihen der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Wir stimmen nun über die Nrn. 3 und 4 ab. Hierzu liegt
ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor, über den
wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 14/8056? ({2})
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist ohne Jastimme bei einer Enthaltung aus den
Reihen von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wir stimmen nun über die Nrn. 3 und 4 des Antrags auf
Drucksache 14/8024 ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Nrn. 3 und 4 sind gegen
die Stimmen der PDS-Fraktion bei einer Enthaltung aus
den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen sowie bei Abwesenheit von CDU/CSU und FDP angenommen.
Der Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/8024 ist damit insgesamt angenommen.
Wir kommen jetzt zum Antrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/8077 mit dem Titel: „Für
eine haushaltsrechtlich saubere Finanzierung und langfristig gesicherte Beschaffung des zukünftigen Lufttransportflugzeugs der Bundeswehr A400M“.
({3})
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Antrag ist bei Abwesenheit der Fraktionen von
CDU/CSU und FDP einstimmig abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Umwelt- und Gesundheitsgefahren bei Gold-
gewinnung minimieren
- Drucksache 14/7076 -
Die Kolleginnen Monika Griefahn, Gila Altmann,
Birgit Homburger, Vera Lengsfeld sowie Eva Bulling-
Schröter haben ihre Reden zu Protokoll gegeben, sodass
wir - Ihr Einverständnis vorausgesetzt - sofort zur Ab-
stimmung kommen.1)
Ich rufe den Antrag der Fraktionen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 14/7076 mit dem
Titel: „Umwelt- und Gesundheitsgefahren bei Goldgewinnung minimieren“ auf. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Antrag ist einstimmig angenommen bei Abwesenheit von
CDU/CSU-Fraktion und einer Ja-Stimme aus den Reihen
der FDP-Fraktion.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 sowie Zusatzpunkt 6 auf:
13. Beratung des Antrags der Abgeordneten Max
Straubinger, Wolfgang Börnsen ({4}), Ilse
Aigner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Luftfahrtforschung voranbringen
- Drucksache 14/7439 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({5})
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Margrit
Wetzel, Dr. Ditmar Staffelt, Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Werner Schulz ({6}), HansJosef Fell, Andrea Fischer ({7}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion von BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Nationales Luftfahrtforschungsprogramm fortsetzen
- Drucksache 14/8027 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({8})
Finanzausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Die Kolleginnen und Kollegen Margrit Wetzel, Dr. Heinz
Riesenhuber, Ulrike Flach, Hans-Josef Fell, Rolf
Kutzmutz sowie der Parlamentarische Staatssekretär
Siegmar Mosdorf haben ihre Reden zu Protokoll gege-
ben.2) - Auch darüber herrscht Einverständnis im Hause.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 14/7439 und 14/8027 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich
sehe diesbezüglich Einverständnis im Hause. Damit sind
die Überweisungen so beschlossen.
Vizepräsidentin Petra Bläss
1) Anlage 7
2) Anlage 8
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, Eva
Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS
Bahnpreissystem für Fahrgäste attraktiv gestalten
- Drucksache 14/7768 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({9})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS
fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Wider-
spruch, dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Redner für die PDS-Frak-
tion ist der Kollege Winfried Wolf. - Ich höre gerade, auch
er hat sich entschlossen, die Rede genauso wie die Kolle-
ginnen und Kollegen Karin Rehbock-Zureich, Norbert
Otto, Albert Schmidt und Horst Friedrich zu Protokoll zu
geben.1) Das entspannt - Ihr Einverständnis vorausgesetzt - die Lage natürlich.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7768 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch darüber herrscht Einverständnis im gesamten Hause. Damit ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen SPD, CDU/
CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP
Nutzung satellitengestützter Erdbeobachtungsinformationen
- Drucksache 14/8034 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({10})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Die Kolleginnen und Kollegen Lothar Fischer, Wolf-
Michael Catenhusen, Ilse Aigner, Ulrike Flach, Angela
Marquardt und Hans-Josef Fell haben ihre Reden eben-
falls zu Protokoll gegeben.2)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/8034 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch darüber besteht Einverständnis. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 25. Januar 2002, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.