Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Staatsminister, Sie wissen, dass ich mich in meiner Sympathie für
die Gründung einer Bundeskulturstiftung weder durch seriöse noch durch gelegentlich skurrile Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern über das angemessene Verständnis des Kulturföderalismus irritieren lasse
und deswegen immer schon der Meinung war, dass es weder einen wirklich überzeugenden Grund gibt, dass der
Bund eine solche Kulturstiftung auf gar keinen Fall machen dürfe, noch es überzeugend wäre, eine solche Kulturstiftung um jeden Preis zu errichten. Deswegen möchte
ich mich ausdrücklich auf die von Ihnen noch einmal dargestellten Vereinbarungen mit den Ländern beziehen.
Ich empfinde es schon als einen wunderschönen Ausdruck der Skurrilitäten dieser Auseinandersetzung zwischen Bund und Ländern über die Kompetenzverteilung
im deutschen Kulturföderalismus, dass die Kulturstiftung
der Länder ihren Sitz in Berlin nehmen wird, die Bundeskulturstiftung dagegen in Halle.
Ich hätte von Ihnen gerne gewusst, ob der Bund bei der
angestrebten Zusammenführung dieser beiden Stiftungen
darauf bestehen wird, den Ländern im Interesse eines lebendigen Kulturföderalismus entgegenzukommen und
bei einer Fusion der beiden Stiftungen den Sitz der Kulturstiftung der Länder in Berlin beizubehalten, oder ob
hier eine umgekehrte Präferenz verfolgt wird, was nach
den Erfahrungen der letzten Monate neue, unnötige Auseinandersetzungen erwarten lässt.
Darf ich den Skurilitäten noch eine hinzufügen? Es war kritisiert worden, dass die Aktivitäten des
Bundes zu sehr Berlin-zentriert seien. In dem Papier der
Chefs der Staatskanzleien wird aber nun gerade als Empfehlung zugrunde gelegt, der Bund solle sich insbesondere auf die beiden Städte Bonn und Berlin konzentrieren.
Beides geht nicht: kritisieren, dass zu viel in Berlin stattfindet, und zugleich fordern, dass man sich darauf zu beschränken habe.
Was den Stiftungssitz angeht, haben mir die Kollegen
Kultusminister aus den Ländern gesagt, die Entscheidung
für Berlin als Stiftungssitz sei vor der deutsch-deutschen
Wiedervereinigung getroffen worden. Sie wäre danach
wohl nicht mehr zugunsten Berlins ausgefallen. Das zeigt,
dass die Frage des Sitzes einer gemeinsamen Stiftung sicherlich noch sehr streitig diskutiert werden wird.
Wir haben beim letzten Treffen des Stiftungsrates der
KSL vereinbart, im Hinblick auf eine solche angestrebte
gemeinsame Stiftung - ohne jetzt schon eine Entscheidung darüber treffen zu können, ob es zu einer gemeinsamen Stiftung kommt - für die Zusammenarbeit zumindest
ein gemeinsames Dach zu etablieren. Das ist in der Liegenschaft, die die Kulturstiftung der Länder jetzt für ihre
Zwecke nutzt, aber auch darüber hinaus vielleicht auch im
Bereich der Verwaltung - das müssen wir noch sehen möglich, sodass Halle Stiftungssitz wird - dort wird auch
die Verwaltung der Kulturstiftung des Bundes sein - wir
aber als Außenstelle die Kulturstiftung der Länder in Berlin haben.
Darf ich noch
eine Zusatzfrage stellen?
Eine Zusatzfrage, bitte schön.
Bei den Verhandlungen mit den Ländern hat insbesondere in der Schlussphase das Interesse der Länder an einer Entflechtung der
Wahrnehmung von Aufgaben im Bereich der Kulturförderung eine große Rolle gespielt. Wenn ich das Ergebnisprotokoll der Besprechung der Ministerpräsidenten vom
genannten Datum richtig verstehe, dann ist dies auch ausdrücklich vereinbart worden. Im Augenblick lasse ich
außen vor, ob sich für einen Ehrgeiz in Bezug auf die Entflechtung von gemeinsam wahrgenommenen Aufgaben
vorrangig der Kulturbereich anbietet oder ob im Interesse
der Förderung von Kunst und Kultur nicht andere Felder
sinnvoller wären, wozu ich persönlich stark neige.
Ich hätte von Ihnen gerne gewusst, ob hinsichtlich der
damals von den Regierungschefs bekundeten Absicht, die
betreffenden Grundsatzbeschlüsse - nämlich ihre eigenen
Positionen, zu denen die Entflechtungsabsicht gehört - in
Verhandlungen mit dem Bund bis zum 8. März dieses Jahres - das ist gewissermaßen übermorgen - zu unterschriftsreifen Vereinbarungen zu konkretisieren, auch anschließend mit der Bundesregierung eine Vereinbarung getroffen
worden ist und, wenn ja, ob aus Ihrer Sicht eine ernsthafte
Aussicht besteht, auch nur in der Nähe dieses Termins zu
einer seriösen Entflechtungskonzeption zu kommen.
Ich bevorzuge - übrigens wohl ganz in Ihrem
Sinne - den Begriff „Systematisierung“ gegenüber dem
der Entflechtung. „Systematisierung“ kann Entflechtung
heißen - im Einzelfall halte ich das auch für sinnvoll; es
gibt Verflechtungen, die man im Sinne einer klareren Verantwortungsteilung auflösen sollte -, aber nach meiner
Auffassung gibt es auch Aufgaben, die nur Länder und
Bund - entweder Sitzland und Bund oder Ländergesamtheit und Bund, zum Beispiel die Stiftung Preußischer Kulturbesitz - angemessen wahrnehmen können.
In der gemeinsamen Besprechung mit dem Bundeskanzler - nur an dem Teil habe ich natürlich teilgenommen - ist von Bundesseite sehr deutlich die Skepsis
formuliert worden, dass man sicherlich nicht bis zum
März bei einer doch starken Divergenz im Grundsätzlichen - es gibt immerhin zwei Papiere bzw. zwei juristische Stellungnahmen dazu, die sehr weit auseinander liegen - zu einem Ergebnis kommen wird. Sonst hätte es in
der Tat nahe gelegen, das noch abzuwarten. In der Sitzung
hat auch niemand ernsthaft der Ansicht widersprochen,
dass es unrealistisch sei, bis zum 8. März eine Einigung
erzielen zu wollen. Ich sehe das nach wie vor sehr skepVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
tisch und meine, wir müssen das sehr viel gründlicher angehen. Sonst finden wir keine tragfähige Basis. Das wird
aber noch dauern.
Als
Nächster hat der Kollege Eckhardt Barthel das Fragerecht.
Herr Staatsminister, ich möchte damit beginnen, Ihnen zunächst einmal
dazu zu gratulieren, dass Sie den Zug, der seit 30 Jahren
auf dem Bahnhof stand, nun auf die Schiene gebracht haben. Das war sicherlich keine leichte Arbeit.
({0})
Ich freue mich, dass Sie diesen Erfolg gehabt haben. Das
war auch wichtig.
Nun wird dies in den Medien nicht von allen so euphorisch, wie ich das tue, begrüßt und als Erfolg gewertet, sondern es geht in den Medien teilweise um die Frage:
Ist das Glas halb voll oder halb leer? - Da wir wohl beide
der Meinung sind, dass dieses Glas nicht nur halb voll ist
- ich würde sagen, dass es zwei Drittel voll ist -, hätte ich
gerne eine Bewertung Ihrerseits zu dieser Auseinandersetzung. Ich möchte mich der Frage meines Vorredners in
Bezug auf die Entflechtungs- oder Systematisierungsdebatte anschließen. Ich betrachte sie eigentlich als eine Belastung für die weitere Entwicklung und das schnelle Vorankommen der Bundeskulturstiftung. Wie sehen Sie das
Verhältnis zwischen der aufgesetzten Entflechtungsdebatte und der Entwicklung der Bundeskulturstiftung?
Nach meiner Überzeugung gibt es eine - ich
möchte es bewusst so nennen - nationale Verantwortung
für die Kulturentwicklung in Deutschland, die die Länder
und Kommunen allein auf sich gestellt nicht wahrnehmen
können. Das gilt selbstverständlich vor allem für die internationale Dimension bzw. den internationalen Kontext.
Der Begriff „Ländergesamtheit“ steht nicht in der Verfassung. Von daher meine ich, dass diejenigen Stellungnahmen von Verfassungsjuristen, die die Meinung vertreten,
es liege in der Natur der Sache, dass der Bund in nationaler Verantwortung eine kulturpolitische Kompetenz hat,
zutreffend sind.
Dieser Punkt ist bis jetzt noch nicht geklärt, mit der
Folge, dass sich die jetzt etablierte Kulturstiftung des
Bundes in diesem Bereich zurückhalten muss, übrigens
entgegen dem, was die Länder vorschlagen. Die Ministerpräsidenten und die Kollegen Kultusminister treten
nämlich des Öfteren an mich heran und machen mich darauf aufmerksam, dass dieses Projekt oder jene Institution
gefördert werden sollte, weil es bzw. sie von nationaler
Bedeutung sei. Hier muss man den Klärungsprozess auf
der Länderseite abwarten, der offensichtlich noch nicht
erfolgt ist. Insofern ist das Glas noch nicht ganz voll. Allerdings sehe ich das deswegen nicht als eine große Behinderung der Kulturstiftung des Bundes in ihrer Anfangsphase an, weil wir insbesondere aufgrund der Entwicklung
seit dem 11. September vor der großen zusätzlichen Herausforderung stehen, den Schwerpunkt im internationalen
Kulturaustausch zu setzen. Hier besteht kein Dissens über
die Kompetenz des Bundes.
Es gibt andere Bereiche - das wird Sie verwundern;
aber ich nehme das sehr ernst -, die schon 1973 angesprochen wurden. Es entsteht in den nächsten Jahren eine
neue Situation durch die Einbeziehung unserer östlichen
Nachbarländer - zuerst als Beitrittskandidaten und dann
als Mitgliedstaaten - in die Europäische Union. Wir müssen einen Prozess in Gang setzen, der nach dem Zweiten
Weltkrieg in Deutschland sehr erfolgreich in Richtung
Westen erfolgt ist, insbesondere in Richtung Frankreich,
wenn ich an den deutsch-französischen Kulturaustausch
denke. Der Prozess in Richtung Polen ist noch lange nicht
so weit. Das betrifft auch das Bewusstsein bei uns im
Land. Wir haben also mit der Kulturstiftung des Bundes
genug zu tun, wenn wir diese Felder vorrangig angehen
wollen. Damit sind wir in der Phase, in der eine Klärung
noch nicht stattgefunden hat, auf der sicheren Seite.
Darf ich eine
zweite Frage anschließen?
Mir liegen noch sehr viele Wortmeldungen von anderen Abgeordneten vor. Diese möchte ich zuerst abarbeiten. Sie können sich danach gern noch einmal zu Wort melden.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Hartmut
Koschyk.
Herr Staatsminister,
in der Kabinettsvorlage nehmen Sie auch zur Geschichte
der Stiftungsidee Stellung und beziehen sich dabei ausdrücklich auf die Regierungserklärung des damaligen
Bundeskanzlers Willy Brandt vom 18. Januar 1973, aus
der Sie die Begründung der Notwendigkeit einer Kulturstiftung des Bundes zitieren, nämlich dass es bei einer solchen Stiftung auch darum gehen müsse, dem Erbe ostdeutscher Kultur eine Heimat zu geben. Da Sie für die
Begründung der Stiftungsidee das eben erwähnte Zitat aus
der Regierungserklärung Willy Brandts verwenden, frage
ich Sie, ob Sie sich vorstellen können, dass sich eine solche Stiftung - dafür gibt es nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes einen klaren gesetzlichen Auftrag - auch
mit dem Erbe der Gebiete der deutschen Heimatvertriebenen beschäftigt. Dieser Teil der Kulturpolitik fällt ja
ausdrücklich in die Zuständigkeit des Bundes.
Sie können die Wahl des Stiftungsortes Halle
auch als ein Signal dafür sehen - so ist es auch gemeint -,
dass in dem deutsch-deutschen Einigungsprozess, der seit
über zehn Jahren andauert, auch eine kulturelle Herausforderung bzw. Dimension enthalten ist. Ich möchte jetzt
nicht mit Ihnen über den Begriff „Ostdeutschland“ diskutieren. Aber natürlich bezieht sich diese Dimension auch
auf den Bereich, der in § 96 des Bundesvertriebenengesetzes, der auch einen kulturellen Auftrag an den Bund beinhaltet, geregelt ist.
Ich bin der Auffassung, dass man die kulturelle Herausforderung, die darin besteht, dass die Gebiete, aus denen die Vertriebenen ursprünglich kommen, zum Teil in
den Mitgliedstaaten der Europäischen Union angesiedelt
sein werden, mit einer entsprechenden kulturellen Schwerpunktsetzung annehmen kann, ohne dass die Thematik
der Nachkommen der Generation im Mittelpunkt stehen
muss, die unmittelbar von den Vertreibungen in der Endphase des Zweiten Weltkriegs und nach dem Zweiten
Weltkrieg betroffen war.
Darin steckt eine Aufgabe der Stiftung. Die Antwort
ist: Ja.
Ich
möchte das Fragerecht gern weitergeben und Sie, Herr
Koschyk, nachher noch einmal aufrufen. Die nächste
Frage stellt der Kollege Hans-Joachim Otto.
Herr Staatsminister, ich möchte auf die Kompetenz- und Föderalismusfrage zurückkommen. Sie haben vorhin eine schöne
Formulierung benutzt. Mit Bezug auf Ihre Gespräche mit
den Ministerpräsidenten sagten Sie: „bei allen Übereinstimmungen im Detail“. Mir geht es jetzt eher um die
Übereinstimmung im Grundsatz.
In Protokollen wird vieles diplomatisch verbrämt.
Können Sie bestreiten, dass Ihr Vorgehen, nämlich den
8. März nicht abzuwarten und diese Stiftung des Bundes
jetzt zu errichten, auf der Länderseite zu einer Verärgerung geführt hat - bei allem Bemühen um Entflechtung
usw. - und dass man an Sie die Bitte herangetragen hat,
dieses jetzt nicht im Alleingang zu tun, sondern zunächst
einmal die Systematisierung - so haben Sie es genannt abzuwarten?
Meine zweite Frage knüpft daran an: Können Sie bestätigen, dass der Rückzug der Länder aus der Finanzierung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der ja weitreichende Folgen hat, einen Zusammenhang mit Ihrem
Vorgehen aufweist?
Herr Otto, da irren Sie sich, und zwar in beiden Punkten. Die Kultusminister der Länder haben den
Wunsch geäußert, dass diese Stiftung ihre Arbeit nur in
Fusion mit der Kulturstiftung der Länder aufnimmt. Entgegen dem, was ich etwa im Mai vorgeschlagen habe, haben sie keine getrennten Verantwortlichkeiten unter einem
gemeinsamen Dach, sondern eine vollständige Integration
gewollt. Mit dem Juli-Konzept, das Sie kennen, bin ich
auch dem entgegengekommen und habe eine Konzeption
für eine vollständig integrierte Stiftung vorgelegt. Wir waren also kurz vor einer Einigung mit der Zusage von Länderseite, dass das bis Juli - so hieß es ursprünglich - bzw.
dann bis Oktober abschließend geklärt ist. Ich bin nach
30 Jahren Vorgeschichte selbstverständlich nicht mehr bereit, diese Thematik auf einen ungewissen Zeitpunkt in
der Zukunft zu verschieben mit der Folge, dass das Vorhaben erneut zerredet wird. Man muss auch im Kulturbereich zeigen, dass stringentes, ergebnisorientiertes Handeln möglich ist. Die KMK weiß, wovon ich rede.
Die Ministerpräsidenten der Länder haben die Angelegenheit dann zu ihrer Sache gemacht und gesagt: Wir wollen auch im Kulturbereich - der Kollege Lammert hat das
zuvor angesprochen - diskutieren, was wir generell anstreben, nämlich eine möglichst vollständige Entflechtung der Zuständigkeiten des Bundes und der Länder. Damit war die Ebene der Kultusminister bei den weiteren
Gesprächen ausgeklammert.
Wenn diese Position die Basis ist, dann kann man sich
selbstverständlich nicht mehr gegen eine Aufgabentrennung auch unter einem gemeinsamen Dach einer angestrebten Stiftung stellen. Das ist auch der Inhalt der Besprechung der Ministerpräsidenten gewesen, in der es
geheißen hat: Die Frage, ob ein gemeinsames Dach errichtet wird, muss man dann klären, aber jedenfalls soll es
eine klare Verantwortungsteilung geben.
Der Appell, doch noch bis März zu warten, ist bei der
entscheidenden Sitzung am 20. Dezember von den Ministerpräsidenten nicht mehr erfolgt. Die Ministerpräsidenten haben vielmehr gesagt: Wir sehen ein, dass der
Bund das jetzt beginnt. Wir wollen ohnehin getrennte Verantwortlichkeiten auch unter einem gemeinsamen Dach. Die Zusicherung vonseiten des Bundes, dass wir nur im
unstrittigen Bereich mit den Förderungen beginnen, war
für diese Einigung zwischen Bund und Ländern allerdings
wesentlich. Wenn man dieser Philosophie folgt, dass auch
für eine zukünftige gemeinsame Stiftung eine getrennte
Verantwortlichkeit fortbestehen muss - das wird natürlich
Thema der Gespräche sein -, dann heißt das, dass wir jetzt
die eine Säule errichten - die andere Säule gibt es schon
in Form der Kulturstiftung der Länder -; wir bereiten damit das gemeinsame Dach vor.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eine persönliche
Einschätzung geben. Es gab Ministerpräsidenten, die eine
Zeit lang der Meinung waren, wir sollten die Entscheidung noch bis zum März aufschieben. Es ist völlig unrealistisch, dass wir bis März zu einer Einigung kommen.
Was passiert wäre, liegt auf der Hand: Man hätte sich im
März wegen unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten erneut vertagt - vielleicht auf Juli. Glauben Sie ernsthaft, dass wir dann in dieser Legislaturperiode noch zu einem Ergebnis gekommen wären? Ich halte das für eine
ganz unrealistische Vorstellung.
Es besteht die Erwartung der Künstlerinnen und Künstler, dass wir etwas tun. Es wäre unverantwortlich gewesen, diese Erwartung jetzt nicht zu erfüllen. Wir mussten
jetzt unseren Beitrag leisten; er soll dann - das ist das fortbestehende Ziel - mit dem zusammenwachsen, was die
Länder mit der Kulturstiftung der Länder etabliert haben.
({0})
Herr Otto,
der Herr Staatsminister kann Ihre Fragen beantworten,
wie er es für richtig hält.
({0})
Es ist richtig: Diese Frage war schon gestellt.
Entschuldigen Sie, das ich sie nicht gleich mitbeantwortet habe. Auf der Basis der Philosophie der vollständigen
Verantwortungsteilung liegt es natürlich nahe, auch die
Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit einzubeziehen.
Mein Eindruck ist - da dürfen Sie allerdings nicht mich
fragen, sondern müssen sich an Vertreter der Länder wenden -, dass der Meinungsbildungsprozess zu dieser spezifischen Frage noch nicht abgeschlossen ist. Alles andere
würde einen Widerspruch darstellen: Im gemeinsamen
Teil dessen, was am 20. Dezember des letzten Jahres besprochen worden ist, heißt es, dass man die Stiftung
Preußischer Kulturbesitz in die Entflechtung mit einzubeziehen habe. Wenn das aber heute schon entschieden
wäre, bräuchte man es gar nicht mehr mit einzubeziehen.
Meine Erwartung ist daher, dass es dazu bei den Ländern
noch eine Klärung gibt. Ich fände es wünschenswert,
wenn Bund und Länder das große nationale kulturelle
Erbe Preußens auch in Zukunft gemeinsam tragen.
Die
nächste Frage hat die Kollegin Monika Griefahn.
Herr Staatsminister,
zunächst auch von mir herzlichen Glückwunsch dazu,
dass es nun endlich geklappt hat.
({0})
Ich glaube, wir können uns darüber freuen, dass im Haushalt bereits für dieses Jahr Mittel veranschlagt sind, die
wir auch gerne ausgeben wollen. Ich denke, die Bürgerinnen und Bürger, die Künstlerinnen und Künstler werden
nun - da die Mittel eingestellt, die Gründung vorgesehen
und der Beschluss gefasst ist - fragen - und das ist auch
meine Frage -, wie die Projekte aussehen sollen und wie
sich der Verfahrensablauf für dieses Jahr darstellt. Sie
sprachen davon, dass internationale Projekte in diesem
Jahr Vorrang haben sollen; Sie sprachen auch davon, dass
Länderminister bereits konkrete Projektvorschläge gemacht haben. Wie soll also das weitere Prozedere aussehen?
Wir sollten vonseiten der Politik nicht der
konkreten Arbeit der Stiftung vorgreifen. Die Politik wird
im Stiftungsrat ja auch vertreten sein; dort können wir unsere Vorstellungen einbringen. Aus meiner Sicht steht
schon heute fest, dass wir eine sorgfältige Trennung zwischen Programmentscheidungen - also Entscheidungen
darüber, welche Schwerpunkte gesetzt werden und welche Mittel für die jeweiligen Schwerpunkte zur Verfügung
stehen; das ist Aufgabe des Stiftungsrates - und Projektentscheidungen - also Entscheidungen über Einzelprojekte, die im Rahmen eines solchen Programmes realisiert
werden; das sollte Sache von Fachgremien und des Vorstandes der Stiftung sein - aufrechterhalten sollten. Aus
dem Letzteren sollte sich die Kulturpolitik - jedenfalls ist
das meine Empfehlung - heraushalten. Damit hätten wir
ein Modell für eine staatsferne Förderung der Kunst. Wir
sollten nicht zulassen, dass sich das mit der Zeit verschiebt. Ich will allerdings nicht ausschließen, dass einzelne größere Projekte von besonderem Gewicht außerhalb von Programmen auch im Stiftungsrat beschlossen
und beraten werden.
Zum Ablauf: Die Stiftung muss genehmigt werden,
und zwar vom Lande Sachsen-Anhalt, weil der Stiftungssitz in Halle ist. Die durchschnittliche Zeit für Stiftungsgenehmigungen in Deutschland beträgt 179 Tage.
({0})
- Das wollen wir alle ändern. Darum hoffe ich, dass wir
diesen Zeitraum nicht abwarten müssen, sondern dass das
sehr viel schneller geht. Ich habe mit dem Ministerpräsidenten dazu auch schon gesprochen; er ist da zuversichtlich.
({1})
Der Stiftungsrat wird dann über die Programme, die
vom Vorstand der Stiftung vorbereitet werden - das ist das
normale Prozedere -, beraten. Dort wird der Schwerpunkt
- da bin ich mir sicher - auf den internationalen Bereich,
den internationalen Kontext der Kunst- und Kulturentwicklung in Deutschland gelegt.
Von daher ist es jetzt zu früh, den Antragstellern zu sagen, nach welchen Regularien sie sich richten sollen und
wo die Schwerpunkte liegen werden. Das entscheidet die
Stiftung, nachdem sie sich etabliert hat.
Die
nächste Frage stellt der Kollege Heinrich Fink.
Herr Staatsminister, es wird
Sie nicht wundern, dass ich mich sehr darüber freue, dass
der Stiftungsort Halle ist. Noch mehr freut es mich natürlich, dass der Name, vielleicht auch der Patron für die Stiftung sein könnte: August Hermann Francke. Vielleicht
sollte man darüber noch einmal nachdenken; denn er ist
einer derer, die Kultur, Wissenschaft und Forschung auf
einen gemeinsamen Nenner gebracht haben.
Meine Frage schließt sich an die von Frau Griefahn an.
In der Konzeption vom Juli 2001 war für die damals
vorgesehene Sektion II der Stiftung ausdrücklich betont
worden, dass die Entscheidungen über die zu fördernden
Projekte frei „von staatlicher oder verbandlicher Einflussnahme über Stiftungsgremien“ sein sollten - das haben Sie
noch einmal betont und das begrüße ich auch sehr - und
stattdessen durch „unabhängige Jurys“ erfolgen sollten.
Ist mein Eindruck richtig, dass die Bundesregierung
davon abgerückt ist? Die Fachbeiräte, die dafür am ehesten infrage kämen, haben nur die Befugnis, Empfehlungen zu geben. Im Übrigen kann ich der Satzung überhaupt
nicht eindeutig entnehmen, wer darüber entscheidet, welche der angebotenen Projekte gefördert werden. Ich kann
nicht eindeutig erkennen, wo die Entscheidung fällt, welche einzelnen Projekte entsprechend den Richtlinien und
Schwerpunkten gefördert werden. Ich denke aber, das
müsste erkennbar gemacht werden.
Die Antwort lautet ganz klar: Im Gegenteil,
genau diese Stiftungsphilosophie ist auch die Basis für
das Konzept der Stiftung. Das heißt, nach wie vor sollen
Jurys - sie werden in der Stiftungssatzung als Fachbeiräte
bezeichnet - die Entscheidungen über Projektförderungen
treffen. Ich werde das gleich noch einmal qualifizieren.
Es ist Praxis - ich kenne sie aus meiner kommunalen
Erfahrung -, dass man die Letztentscheidung nicht bei
den jeweiligen Jurys lässt. Insofern sind es in formalem
Sinne Empfehlungen. In der Kommission in München,
die über Kunst am Bau entschied, gab es eine sehr gut
funktionierende Regelung, die Folgendes besagt: Wenn
der Empfehlung der jeweiligen Jury gefolgt wird, bedarf
es keiner weiteren Befassung des Stadtrates oder, wie hier,
des Stiftungsrates mehr. Auf diese Weise wäre eine staatsferne Kunstförderung garantiert, ohne dass die Jury im juristischen Sinne die Letztverantwortung trägt. Diese trägt
natürlich die Stiftung; denn die Mitglieder der Jurys sind
keine Angestellten, sondern Persönlichkeiten, die das
Ganze ehrenamtlich behandeln. Es gibt also keinerlei Abrücken von dieser Stiftungsphilosophie. Dabei wird es
bleiben.
Was die Schwerpunkte im damaligen Konzept angeht,
möchte ich auf das verweisen, was ich in der Antwort auf
die Frage von Herrn Dr. Lammert gesagt habe: Wir müssen die Schwerpunkte natürlich an die Zusicherungen den
Ländern gegenüber anpassen. Bis zur Klärung der Systematisierungsfrage bewegen wir uns in der konkreten Förderung im unstrittigen Bereich der Bundeskompetenz.
Das gilt auch für das, was von Länderseite für Bundeskompetenz gehalten wird.
Aus Zeitgründen lasse ich nur noch eine Frage zu. Der Kollege
Burgbacher hat das Recht zur Frage.
Herr Staatsminister, Sie
haben zweimal von Projekten von nationaler Bedeutung
gesprochen, die gefördert werden sollen. Man denkt zuallererst an größere Renommierprojekte aus der professionellen Kulturszene. Nun gibt es auch im nicht professionellen Bereich eine Kulturszene, die in Deutschland
eine sehr große Rolle spielt. Wird es Ihrer Einschätzung
nach auch möglich sein, Projekte aus diesem Bereich zu
fördern? Wurde daran von Ihrer Seite gedacht?
Die Antwort ist eindeutig ja, weil wir nicht
nur Kunstförderung - das hätten wir sonst hineingeschrieben -, sondern auch Kulturförderung mit dieser
Stiftung praktizieren wollen. Mich hat das Thema der kulturellen Integration in Deutschland - es spielt auch in dem
ursprünglichen Konzept eine Rolle - sehr beschäftigt.
Dieses Thema sollte ein Schwerpunkt der gemeinsamen
Stiftung sein. Wir müssen uns in diesem Bereich zunächst
zurückhalten, weil er von Länderseite nicht als Kompetenzbereich des Bundes angesehen wird. Wenn wir auf
diesem Gebiet vorankommen wollen, dann kann sich das
nicht nur auf die Ebene der professionellen Kunstförderung beziehen. Das Gleiche gilt für internationale
Austauschprogramme, für Kooperationsprogramme, etwa zwischen unseren östlichen Nachbarländern und
Deutschland; denn auch dort ist die Dimension der
Laienkultur grundsätzlich einzubeziehen. Der Schwerpunkt wird aber sicherlich auf professioneller Kunst
liegen.
Gibt es
außerhalb des Themenbereichs, der eben angesprochen
worden ist, eine Frage an die Bundesregierung? - Das ist
nicht der Fall.
Ich beende die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 14/8016, 14/8023 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziffer 10
der Richtlinien für die Fragestunde die dringliche Frage 1
des Abgeordneten Hartmut Koschyk auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Äußerungen des
tschechischen Ministerpräsidenten Milos Zeman zu den Sudetendeutschen im Hinblick auf die Rechtfertigung der Vertreibung - vergleiche „Profil“ vom 21. Januar 2002; „Süddeutsche
Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Die Welt“ jeweils
vom 22. Januar 2002 - vor dem Hintergrund von Inhalt und Geist
der Deutsch-Tschechischen Erklärung, und wie wird die Bundesregierung auf diese Aussagen reagieren?
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die Äußerungen von Ministerpräsident Zeman sind im
Kontext einer tschechisch-österreichischen Auseinandersetzung gefallen, in deren eigentlichem Mittelpunkt
der von der österreichischen FPÖ in einem Referendum
instrumentalisierte tschechisch-österreichische Zankapfel
Temelin steht. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht,
sich an dieser emotional stark aufgeheizten tschechisch-österreichischen Debatte zu beteiligen.
Die Deutsch-Tschechische Erklärung vom 21. Januar 1997 bleibt für die Bundesregierung Grundlage der
bilateralen Beziehungen mit unserem Nachbarland. Sie
hat keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass die DeutschTschechische Erklärung auch für die tschechische Regierung die feste Basis der deutsch-tschechischen Beziehungen darstellt. Dazu gehört - das will ich sehr deutlich
unterstreichen - auch die Ablehnung kollektiver Schuldzuweisungen.
Dies ist dem Bundesminister des Auswärtigen auch
von seinem tschechischen Kollegen Kavan gestern in einem Telefongespräch ausdrücklich bestätigt worden. In
der Erklärung, auf die ich mich beziehe, bekennt sich die
deutsche Seite ausdrücklich zu ihrer Verantwortung für
die historische Entwicklung, die schließlich auch zur ZerDr. Heinrich Fink
schlagung und Besetzung der tschechoslowakischen Republik führte. Die tschechische Seite ihrerseits bedauerte,
wie der tschechische Ministerpräsident in seinem „Profil“-Interview feststellte, Leid und Unrecht, die unschuldigen Menschen durch die Vertreibung zugefügt wurden.
Dass die Bundesregierung zur Völkerrechtswidrigkeit
der Vertreibung eine andere Rechtsauffassung als die
tschechische Regierung hat, ist bekannt. Beide Seiten sind
sich aber seit 1997 einig, ihre Beziehungen nicht mit diesen aus der Vergangenheit herrührenden politischen und
rechtlichen Fragen zu belasten.
Eine Zusatzfrage, Herr Koschyk.
Herr Staatsminister,
halten Sie es wirklich für dem Vorgang angemessen, dass
sich die Bundesregierung nach derartig herablassenden,
beleidigenden, ehrverletzenden und übrigens auch der geschichtlichen Wahrheit nicht entsprechenden Äußerungen
des tschechischen Ministerpräsidenten - auch gegenüber
Millionen deutscher Mitbürgerinnen und Mitbürger - dahinter verschanzt, dass es sich um eine tschechisch-österreichische Kontroverse handele, in die die Bundesregierung nicht eingreifen wolle? Halten Sie das Vorgehen
auch im Hinblick auf das Presseecho und die Kommentarlage zu diesen Äußerungen von Herrn Zeman für angemessen?
Herr Kollege Koschyk, bei dem Vorgang, nach dem
Sie mich fragen, gehen im Prinzip unterschiedliche, das
Verhältnis Tschechiens zu Europa betreffende Vorgänge
ineinander über. Es macht hauptsächlich Sinn, jeglichen
Schaden in dieser Angelegenheit zu vermeiden.
Eine erste Bemerkung. Wir halten es für eine ungünstige Entwicklung, dass in Österreich ein Volksbegehren
durchgeführt wurde, bei dem die ja nicht zu bezweifelnden Gefährdungen, die von Kernkraftwerken ausgehen können, in einen Zusammenhang mit Möglichkeiten
der Verhinderung des Beitritts Tschechiens zur Europäischen Union gebracht wurden. Die Bundesregierung
möchte alle Umstände vermeiden, unter denen irgendwo
in Europa Entwicklungen oder politische Diskussionen
stattfinden könnten, die diesen Beitritt verhindern könnten. Das ist die eine Seite.
Auf der anderen Seite stehen die Bemerkungen von
Ministerpräsident Zeman gegenüber den Sudetendeutschen, die eindeutig in der Sprache der Kollektivschuld
geäußert wurden. Ich möchte hier ganz ausdrücklich
klarstellen - denn wir müssen uns hinter nichts verschanzen -, dass wir keine Kollektivschuld sehen. Ich füge
eines hinzu: Gerade mein näherer Umgang mit Sprechern
der Sudetendeutschen, den ich als Vorsitzender des
deutsch-tschechischen Koordinierungskreises habe, veranlasst mich, Folgendes zu sagen: Betrachtet man das
Verhältnis Deutschlands zu Tschechien, insbesondere
auch zu den Sudetendeutschen, und das in letzter Zeit festzustellende Verhalten der Repräsentanten der Sudetendeutschen, kommt man zu dem Ergebnis, dass die Äußerung von Herrn Zeman nicht konstruktiv und auf jeden
Fall nicht weise war.
Die Bundesregierung und auch ich persönlich stehen
voll dahinter, dass die Sudetendeutschen in Deutschland
das nicht verdient haben. Wir werden mit ihnen zusammen dafür sorgen, dass es im Rahmen der europäischen
Einigung zu einer Aussöhnung und zu einer weiteren Aufarbeitung nicht gelöster Probleme kommen wird.
Ich möchte noch einmal sagen: Es gibt keinen Grund,
sich zu verschanzen. Das war nicht die Absicht. Wir haben nur die Absicht, kein zusätzliches Feuer zu schüren.
Eine weitere Zusatzfrage? - Kollege Koschyk, bitte.
Herr Staatsminister,
halten Sie es nicht für geboten, da es ja einen sehr intensiven Kontakt zwischen dem Bundeskanzler und seinem
tschechischem Amtskollegen gibt - ich denke nur an die
gemeinsame Sommerreise, die beide im letzten Jahr in das
deutsch-tschechische Grenzgebiet unternommen haben -,
dass der Bundeskanzler seinem tschechischem Amtskollegen, in welcher Form auch immer, deutlich macht, was
er von derartigen Äußerungen hält?
Im Rahmen der Linie, die ich eben skizziert habe,
war der erste notwendige und in diesem Sinn auch erfolgreiche Schritt, dass Bundesaußenminister Fischer, wie ich
es eben gesagt habe, mit seinem tschechischen Kollegen
telefoniert hat, der dabei ausdrücklich darauf hingewiesen
hat, dass er für die tschechische Regierung kein Abweichen
von der 1997 gemeinsam abgegebenen Erklärung sieht.
Ich glaube, am 20. Februar wird Bundesaußenminister
Fischer in Prag sein und mit Herrn Kavan zusammentreffen. Der Bundeskanzler persönlich - das möchte ich gerne
folgendermaßen formulieren - geht davon aus, dass dieses Zusammentreffen der Außenminister die Beziehungen
wieder so weiterentwickelt, dass seine nächste Begegnung mit Herrn Zeman möglich bleibt.
Weitere
Fragen? - Kollege Lamers, bitte.
Herr Staatsminister, in Ihrer ersten Antwort haben Sie gesagt, die Bundesregierung
gehe davon aus, dass die tschechische Regierung die
Deutsch-Tschechische Erklärung nach wie vor als die
Grundlage der Beziehungen ansehe. In Ihrer Antwort auf
die Zusatzfrage des Kollegen Koschyk haben Sie gesagt,
die Äußerungen von Herrn Zeman seien nicht weise
und nicht konstruktiv. Darf ich daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass die Bundesregierung die Äußerung des
tschechischen Ministerpräsidenten als nicht mit dem
Geist und dem Buchstaben der Deutsch-Tschechischen
Erklärung übereinstimmend ansieht?
Das, was ich eben gesagt habe, war wiederholend.
({0})
- Ich bin mir nicht sicher, ob es weise wäre, wenn ich so
antworten würde.
({1})
Die Bundesregierung sieht, dass diese Äußerungen und
die darüber stattfindende Debatte nicht dazu beitragen,
dass sich auf der Grundlage dieser Erklärung, zu der beide
Seiten stehen - davon gehen wir aus -, die weitere Probleme aufarbeitenden deutsch-tschechischen Beziehungen gut entwickeln werden. So sieht es die Bundesregierung. Sie möchte alles tun, dass von den bilateralen
Beziehungen und von möglichen Erklärungen von Vertretern der tschechischen Regierung im Normalfall wieder ein solcher Geist ausgeht, der die Zielsetzung dieser
gemeinsamen Erklärung widerspiegelt. So würde ich das
lieber formulieren, weil ich mir davon mehr verspreche,
als darüber nachzudenken, ob etwas verletzt wird.
({2})
Nein, Sie
haben nur eine Frage.
Eine weitere Frage, Frau Kollegin Reinhardt.
Herr Staatsminister,
welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die
Wirkung der Äußerung bei der tschechischen Bevölkerung? Unterstützt die Regierung die Kräfte in der Tschechoslowakei, die sich um eine Aufarbeitung der Geschichte bemühen?
({0})
Frau Kollegin, zu Ihrer ersten Frage: Redliche Erkenntnisse darüber, wie das in der Öffentlichkeit gewirkt
hat, kann es noch gar nicht geben. Ich möchte es anders
formulieren: Es hat bereits eine Diskussion unter politischen Repräsentanten Tschechiens und anderer Länder
eingesetzt. Die Bundesregierung verspricht sich davon
- ich selber habe nach meinen Erfahrungen den Eindruck,
dass diese nicht besonders zweckmäßigen Äußerungen
dazu führen könnten -, dass es auch in Tschechien zu einer weiterführenden Nachdenklichkeit kommt.
({0})
- Es gibt, soweit wir die Presse auswerten konnten, keine
Hinweise auf eine explizite Unterstützung. Es gibt - ich
wiederhole das - nachdenkliche Äußerungen anderer
politischer Repräsentanten. Wir schätzen, dass vielleicht
sogar eine gute Diskussion darüber, was man besser sagt,
einsetzen könnte. Mehr kann man einen Tag danach sinnvollerweise nicht sagen. Im Nebel stochern sollte keine
Regierung.
Eine weitere Frage, Frau Kollegin Steinbach.
Die Äußerungen des
tschechischen Ministerpräsidenten waren ja ganz offenkundig kein Schnellschuss. Vielmehr fielen sie in einem
schriftlichen, gegengezeichneten Interview, zu dem es bis
heute kein einziges Wort des Bedauerns seitens des tschechischen Ministerpräsidenten gibt.
Wenn der Regierungschef unseres Nachbarlandes, zu
dem wir alle freundschaftliche Beziehungen wollen, eine
solche Tonart anschlägt, meinen Sie dann nicht, dass die
Würde der Opfer, die dadurch in ihrer Befindlichkeit und
in ihrer schlimmen Geschichte massiv verletzt wurden, es
erfordert, dass der deutsche Bundeskanzler, der eine Fürsorgepflicht für die Deutschen hier in Deutschland und
ihre elementaren Anliegen hat, dazu eine Äußerung abgibt
und Kontakte zu seinen Kollegen in der Tschechischen
Republik aufnimmt?
Frau Kollegin, wenn Sie das Interview in Gänze lesen, finden Sie darin auch Bemerkungen, in denen der
tschechische Ministerpräsident Unrecht an Sudetendeutschen nicht leugnet, sondern sogar darauf hinweist, dass
er schon lange auf diesen Tatbestand hingewiesen hat.
Auch das steht in diesem sonst nicht weisen Interview.
Auch dies wertend, glaube ich, dass es den deutsch-tschechischen Beziehungen und vor allem der europäischen Integration Tschechiens besser tut, wenn zunächst die
Außenminister dieses Problem aufzuarbeiten suchen. In
der Folge können konstruktive deutsch-tschechische Begegnungen mit allen Bereichen der tschechischen Regierung fortgesetzt werden, auch auf der Ebene der Regierungschefs.
Eine weitere Frage, Kollege Irmer.
Herr Staatsminister, handelt es
sich nach Einschätzung der Bundesregierung bei den
Äußerungen des tschechischen Ministerpräsidenten
Zeman um einen verunglückten Einzelfall, um eine Einzelmeinung, oder können Sie erkennen, dass es eine
Grundstimmung in dieser Richtung in der Tschechischen
Republik gibt?
Meine Formulierung, dass diese Äußerungen des
tschechischen Premiers nicht weise waren, wähle ich vor
allem auch deshalb, weil es für uns keinerlei Anlass gibt,
aus irgendwelchen Ereignissen zu schließen, dass dies
dem tatsächlichen Verhalten der tschechischen Regierung
im Dialog mit Deutschland entspricht. Das Gegenteil ist
der Fall. Es besteht die Bereitschaft, über bisher nicht bewältigte, zwischen Deutschland und Tschechien strittige
Fragen zu sprechen. Gerade auch aus diesem Grunde sehen wir dies nicht als repräsentativ für die Haltung der
tschechischen Politik in den letzten zwei Jahren. Ich
bleibe bei dieser Formulierung.
Herr Kollege Spranger.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bewusst, dass diese verantwortungslosen
Äußerungen des tschechischen Ministerpräsidenten auch
in Deutschland eine verheerende Wirkung haben, insbesondere was die Zustimmung der Bevölkerung zu dem
weiteren Einigungsprozess in Europa unter Beteiligung
der Tschechischen Republik angeht?
Die Formulierung „verheerende Wirkung“ war Ihre.
Das mag Ihr Eindruck sein; ich teile diesen Eindruck
nicht, weil ich den Stand der Diskussion über die Probleme zwischen Deutschen und Tschechen als besser einschätze, sodass ich diese „verheerende Wirkung“ nicht erwarte, vor allem wenn auf beiden Seiten insbesondere die
sich besonders betroffen Fühlenden daraus eine Konsequenz ziehen, die notwendig ist, nämlich den weiteren
Dialog mit Vorsicht, Zurückhaltung und Weisheit zu
führen. Vielleicht war das Ganze sogar eine Chance, auf
beiden Seiten noch mehr Nachdenklichkeit zu erreichen;
denn nur mit Nachdenklichkeit können Wunden geheilt
werden, die anscheinend noch offen sind, wie ich mich
selber mehrfach überzeugen konnte.
Es gibt
eine weitere Frage, und zwar der Kollegin Rönsch.
Herr
Staatsminister, in den Gesprächen im März 1999 hat der
Herr Bundeskanzler auch angekündigt, dass der Beitritt
zur EU ohne Bedingungen von unserer Seite aus erfolgen
sollte. Könnte nicht eine Bedingung sein, dass man eine
Entschuldigung erwartet?
Herr Präsident, darf ich eine zweite Frage stellen?
Nein.
Der Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union
wird sich überhaupt nur vollziehen können, wenn der Versöhnungsprozess zwischen Tschechen und Deutsch sprechenden Menschen - ich beziehe an dieser Stelle Österreich
mit ein - vorangeht. Da ich sicher bin, dass die Begegnungen der Außenminister, über die ich gesprochen habe, und
hoffentlich bald auch wieder der Regierungschefs stattfinden können, gehe ich davon aus, dass wir in einigen
Wochen feststellen können, dass auch die tschechische
Regierung alles tut, um den Beitritt Tschechiens und die
Versöhnung der Tschechen mit den Deutsch sprechenden
Nachbarn möglich zu machen.
Wir kommen dann zur dringlichen Frage 2 des Kollegen Hartmut
Koschyk:
Wie bewertet die Bundesregierung den unter Frage 1 thematisierten Sachverhalt vor dem Hintergrund der gegenseitigen
Bemühungen im Rahmen des deutsch-tschechischen Gesprächforums, und welche kurzfristigen diplomatischen Maßnahmen wird
die Bundesregierung unternehmen, um Schaden von den im Rahmen des Gesprächforums erzielten Ansätzen zur Verständigung
abzuwenden?
Herr Kollege, die deutsch-tschechischen Beziehungen sind heute eng und gut. Das habe ich darzulegen versucht. Die erreichte Dichte und Qualität der deutschtschechischen Beziehungen basieren im Wesentlichen auf
dem 1997 auf der Grundlage der Deutsch-Tschechischen
Erklärung in einem Aide-Mémoire von beiden Regierungen gegründeten Gesprächsforum. Auch die Arbeit dieses
bilateralen Gremiums hat den deutsch-tschechischen Beziehungen ein belastbares Fundament gegeben, das beiden Seiten seit seiner Gründung einen institutionalisierten
Rahmen für gegenseitiges Kennenlernen, offene Gespräche und die Lösung verbleibender bilateraler Probleme bietet. Die Bundesregierung geht davon aus, dass
im Rahmen des Gesprächsforums unter Einbeziehung der
aus der Vergangenheit herrührenden Fragen auch künftig
ein offener und zukunftsgerichteter Dialog geführt wird.
Lassen Sie mich hinzufügen, dass vor allem das
Wirken meines tschechischen Co-Kollegen, Professor
Pick, dazu beiträgt. Die Alltagspraxis ist so, dass ich bereits gestern um 11 Uhr mit Kollegen Pick über den Vorgang telefoniert habe. Es ist angesichts der Debatte, die
wir heute führen müssen, gut, dass die nächste Veranstaltung des Gesprächsforums am 8. März hier in Berlin stattfinden wird. Es gibt gar keinen Zweifel, dass Herr Pick
und ich, solange wir damit beschäftigt sind, alles tun,
damit auch über Vergangenheitsfragen gesprochen werden
kann. Wir haben dazu im Gesprächsforum der Sudetendeutschen Landsmannschaft soeben die entsprechenden Anregungen von Herrn Kollegen Posselt aufgegriffen.
In der Art und Weise, wie wir dort tätig sind, sehe ich
zwischen Herrn Posselt und mir keine Unterschiede; jedenfalls sind für mich keine erkennbar.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Koschyk.
Herr Staatsminister,
Sie haben jetzt zu Recht das verdienstvolle Wirken Ihres
tschechischen Kollegen im Vorsitz des Forums, des früheren stellvertretenden Außenministers Pick, angesprochen.
Befürchten Sie nicht, dass die ja nicht aus dem hohlen
Bauch, sondern in einem sehr langen Interview gemachten
Äußerungen - wenn man die Interviewpraxis kennt, muss
man schon davon ausgehen, dass der tschechische Premier wusste, welche Äußerungen er tat und dass er sie voll
verantwortet weitergegeben hat - vielleicht ein gewisses
innertschechisches Störmanöver sind, um die zurzeit sehr
hoffnungsvollen Gespräche, auch von Herrn Pick, im
Hinblick auf ein auch aus Sicht der Bundesregierung
wichtiges humanitäres Anliegen in den deutsch-tschechischen Beziehungen zu stören und vielleicht dessen Lösung zu verhindern?
Herr Kollege, meine Kenntnis über den Umgang der
tschechischen Regierung mit der Frage möglicher Schritte
zugunsten eindeutig nicht schuldiger Sudetendeutscher ist
so, dass mir keinerlei Anhaltspunkt bekannt wäre, dass
Ihre Vermutung, die ich verstehe, zutrifft.
Eine weitere Frage von Frau Kollegin Rönsch.
Herr
Staatsminister, mit eine Ursache für das Ganze war ja nun
das Volksbegehren in Österreich. Wie ist denn die Haltung
der Bundesregierung? Stimmt man dem Anschalten oder
Weiterbetreiben des Kernkraftwerks in Temelin vor dem
Hintergrund des Ausstiegswunsches in Deutschland uneingeschränkt zu und gibt es auch hier keine Bedingung,
es vielleicht abzuschalten?
Frau Kollegin, die Frage, wie sicher dieses Kernkraftwerk ist, hat bei den bisherigen Beitrittsverhandlungen eine erhebliche Rolle gespielt und viel Zeit gekostet.
Bei der Behandlung des entsprechenden Kapitels über
Energie ist in den entsprechenden Gruppen in Brüssel die
Frage der Sicherheit intensivst geprüft worden. Die Erkenntnisse der Fachleute sind, dass dieses Kernkraftwerk
verglichen mit Kernkraftwerken, die es in schon bisher
der EU angehörenden Ländern gibt, nicht zurücksteht.
Dennoch gab es noch besondere Bemühungen auf
höchster Ebene der österreichischen und der tschechischen Regierung im so genannten Melker Prozess, eine
Verständigung über zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen
und vor allem über ein besonderes Monitoring zu finden.
Die Ergebnisse dieses Prozesses hat Herr Kommissar
Verheugen mit beiden Regierungen Ende November in
Brüssel abschließend verhandelt und das Einverständnis
über zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen und über ein besonderes Monitoring ist nun Bestandteil des von allen
Staaten akzeptierten und vorläufig abgeschlossenen Kapitels über die Energieversorgung geworden.
Ich füge dem eines hinzu: Wer Sorgen hinsichtlich der
Zuverlässigkeit dieses tschechischen Kernkraftwerks hat,
muss alles tun, damit Tschechien in die Europäische
Union kommt. Nur dort gibt es eine Grundlage dafür, dass
die Sicherheitskontrollen und das Monitoring so sind, wie
es den Standards der Europäischen Union entspricht.
Würde Tschechien außerhalb der Europäischen Union
bleiben, gäbe es wesentlich weniger Möglichkeiten.
({0})
Eine weitere Frage von Frau Kollegin Reinhardt.
Herr Staatsminister,
Sie sagten, die Versöhnung zwischen den Menschen sei
wichtig. Aber hat nicht gerade da eine Bundesregierung
eine Verantwortung? Wie können Sie dann zu dem stehen,
indem Sie sagen, die Äußerung von Herrn Zeman habe
keine verheerende Wirkung, aber es sei keine weise Erklärung oder Aussage gewesen? Halten Sie diese Aussage
vonseiten der Bundesregierung für richtig oder glauben
Sie nicht, dass dies eher zu einer Spaltung der Menschen
als zur Versöhnung beiträgt?
Frau Kollegin, ich habe den Begriff „verheerend“
bewusst nicht übernommen, denn wenn man es sich genau überlegt, beinhaltet er ja die Prognose, dass dort
tatsächlich in Zukunft sehr Schlimmes, wenn auch nur in
den Köpfen von Menschen, passiert. Das möchten wir
nicht.
In Bezug auf den Umgang mit diesen nicht weisen
Äußerungen weise ich darauf hin: Gerade weil sich in
Deutschland und Tschechien sehr viele Betroffene entsprechend verhalten, glauben wir, dass es keine verheerenden Auswirkungen geben wird. Diese Äußerungen
werden den weiteren Versöhnungsprozess und die Aufarbeitung solcher Probleme im Ergebnis nicht behindern.
Das ist die Zielsetzung, von der alle meine Aussagen geprägt sind.
Eine weitere Frage des Kollegen Spranger.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung irgendwelche Anhaltspunkte, dass der Ministerpräsident seine verantwortungslosen Äußerungen zurücknimmt oder sie bedauert?
Herr Kollege, auf die Gefahr, dass ich mich wiederhole, sage ich: Verschiedene Telefonate, Treffen der
Außenminister, das Sich-Vergewissern auf der Ebene der
Außenminister, dass es keine Veränderung in unserer Haltung gibt - also all das, was ich Ihnen geschildert habe -,
tragen dazu bei, dass diese nicht sehr weisen Äußerungen
nicht zu einem Schaden führen und dass wir auf den Weg
zurückkehren, den wir alle gehen wollen. Daran wollen
wir alle arbeiten.
Damit
sind die dringlichen Fragen beantwortet.
Herr Kollege Ramsauer, Sie möchten, soweit ich weiß,
einen Antrag stellen.
Herr Präsident!
Nach Rücksprache mit meinen Kolleginnen und Kollegen
muss ich für meine Fraktion feststellen, dass aus unserer
Sicht die dringlichen Fragen durch die Bundesregierung
unzureichend beantwortet worden sind.
({0})
Ich beantrage daher im Namen meiner Fraktion die
Durchführung einer Aktuellen Stunde zu diesem Fragenkomplex im unmittelbaren Anschluss an die Fragestunde.
({1})
Die
CDU/CSU hat den Antrag auf Durchführung einer Aktuellen Stunde zu diesem Thema gestellt. Dies entspricht
der Nummer 1 b der Richtlinien für Aussprachen zu Themen von allgemeinem aktuellen Interesse. Die Aussprache muss unmittelbar nach Schluss der Fragestunde aufgerufen werden. Damit entfällt die Aktuelle Stunde, die
von der FDP-Fraktion beantragt wurde.
Wir setzen jetzt die Fragestunde fort.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Die Fragen 1 und 2
des Kollegen Ernst Hinsken sollen schriftlich beantwortet
werden.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär WolfMichael Catenhusen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Norbert Hauser
({0}) auf:
Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung in den letzten
Monaten unternommen, um die Gründung der IT-Akademie in
Bonn zu forcieren, und trifft eine Meldung aus dem Bonner „General-Anzeiger“ vom 1./2. Dezember 2001 zu, nach der die Bundesregierung die finanzielle Unterstützung für diese Akademie
mit ihrer Forderung nach einer Übernahme der Trägerschaft für
das Internationale Kongresszentrum Bonn ({1}) durch die Bundesstadt Bonn verknüpfen will?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Lieber
Herr Kollege Hauser, auf ihre Frage 3 möchte ich Ihnen
folgendermaßen antworten: Wie Sie wissen, hat sich die
Arbeitsgruppe des Koordinierungsausschusses im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
am 20. September 2001 auf das Konzept für Bonn-IT verständigt.
Offen geblieben war seinerzeit die Frage, ob für BonnIT eine selbstständige Stiftung errichtet oder ob stattdessen für einen überschaubaren Zeitraum für die laufenden
Kosten Ausgleichsmittel zur Verfügung gestellt werden
sollen. Dazu werden zurzeit zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und der Bundesregierung - hier ist insbesondere das Bundesfinanzministerium beteiligt - Gespräche geführt. Wir gehen davon aus, dass sie bald zu
einem Abschluss gebracht werden können.
Die Arbeitsgruppe des Koordinierungsausschusses hat
sich am 20. September auch auf weitere Ausgleichsmaßnahmen verständigt. Diese stellen in ihrer Gesamtheit einen gewissen konzeptionellen Abschluss der Maßnahmen
der Ausgleichsvereinbarung dar. Im Rahmen dieses Kontextes ist deshalb auch das Projekt Internationales Kongresszentrum Bonn, IKBB, in die weiteren Überlegungen
und Gespräche einbezogen worden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können wir auch im Falle weiterer Verzögerungen im Zusammenhang mit der IT-Akademie - das wäre
ja nicht das erste Mal, woran auch immer es gelegen haben mag; da gab es ja viele Gründe - davon ausgehen,
dass der Fortschritt bei den anderen Projekten nicht behindert wird, dass also nicht abgewartet wird, bis die ITAkademie - sei es in Form einer Stiftung, sei es in einer
anderen Rechtsform - errichtet werden kann, und dass
man nicht alles andere auf die lange Bank schiebt und insofern die anderen Ausgleichsprojekte blockiert werden?
Wir
sind zuversichtlich, dass dies nicht eintritt. Natürlich hat
die Realisierung und genaue Formulierung des Konzepts
der IT-Akademie in Bonn und seiner jetzt noch in der Diskussion befindlichen Rahmenbedingungen eine gute Zeit
gebraucht. Das ist bei innovativen neuen Konzepten nicht
ungewöhnlich, wenn Sie daran denken, dass eine Vielzahl
von Akteuren, sowohl vonseiten der Wissenschaft wie
auch vonseiten der Politik, in dieses Konzept eingebunden werden mussten.
Angesichts des Fortschritts in den Gesprächen sind wir
zuversichtlich, dass wir die noch offenen Fragen, auch
was die Finanzierung angeht, bis zum Sommer beantwortet haben. Ich gehe auf keinen Fall davon aus, dass sich
daraus negative Auswirkungen auf andere in dem Konzept vereinbarte Maßnahmen für Bonn ergeben.
Zusatzfrage.
Ist das ChipDesign-Center, das einmal Teil dieser Akademie - in welcher Form auch immer - sein sollte, noch Bestandteil dieser Überlegungen oder gehört das Chip-Design-Center
nicht mehr dazu?
Es haben sich seit meiner Präsentation des Konzepts für die ITAkademie im Bundestagsausschuss für Forschung und
Technologie keine konzeptionellen Änderungen ergeben.
Das gilt auch für das Thema, das Sie gerade angesprochen
haben.
Gibt es
weitere Fragen? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe Frage 4 des Kollegen Hauser auf:
Wenn ja, welche Gründe kann die Bundesregierung dafür
nennen, eine Verbindung dieser beiden unterschiedlichen Projekte herzuleiten, und warum sind die Verhandlungen zur IT-Akademie in Bonn immer noch nicht zum Abschluss gebracht worden, obwohl dies die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die
Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU ({0}) für das erste Quartal 2001 angekündigt hatte?
Auf
Ihre Frage 4 möchte ich Ihnen, Herr Kollege, antworten,
dass Sie als Bonner Abgeordneter natürlich besser wissen
als ich, dass beide Maßnahmen letztendlich auf das Berlin-Bonn-Gesetz zurückzuführen sind. Ich habe über den
Stand der Gespräche im Ausschuss für Bildung und Forschung in seiner Sitzung am 17. November entsprechend
Bericht erstattet. Wie ich vorhin schon erwähnt habe,
rechne ich mit einem alsbaldigen Abschluss der Gespräche zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und der
Bundesstadt Bonn, sodass ich auch keine Verzögerung für
andere Projekte sehe. Wir gehen auch davon aus, dass die
Gespräche insbesondere zwischen dem Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen und dem Bundesfinanzminister über die von mir genannten offenen Fragen
in einem fortgeschrittenen Stadium sind.
Zusatzfrage, Herr Kollege Hauser.
Muss ich Ihrer
Antwort trotzdem entnehmen, dass in der Zeit, in der die
Verhandlungen und Gespräche über die IT-Akademie
fortgeführt werden, die anderen Projekte so lange geparkt
bleiben, bis hierfür grünes Licht gegeben werden kann?
Falls das so sein sollte: Wo ist der innere sachliche Zusammenhang, die anderen unstrittigen Projekte nicht weiterlaufen zu lassen, um sich auf einen streitigen oder noch
nicht geklärten Teil zu konzentrieren?
Dies in
abstrakter Weise und hypothetisch hier in der Fragestunde
auszubreiten
({0})
ist etwas kompliziert, weil zurzeit noch die Verhandlungen laufen. Ich sehe die von Ihnen beschriebene Gefahr
aufgrund des fortgeschrittenen Stadiums der Gespräche
nicht.
Weitere
Zusatzfragen? - Das ist nicht der Fall. Vielen Dank, Herr
Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Beantwortung der Frage 5 des Abgeordneten Ulrich Irmer wird gemäß Ziffer 11 der Richtlinien für
die Fragestunde auf die nächste Fragestunde verschoben.
Ich höre, Sie seien darüber informiert.
Ich bin aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in den letzten Tagen mehrfach angerufen und gebeten worden, ich möge auf die Beantwortung der Frage
verzichten, weil man nicht die Kapazität hätte, die Antwort vorzubereiten. Mir ist das völlig unverständlich und
ich betrachte es als eine Verkürzung des parlamentarischen Fragerechts, dass ich jetzt so abgespeist werde. Ich
sehe das überhaupt nicht ein. Die Zahlen, die ich hier erbeten habe, sind zum Teil in den Zeitungen veröffentlicht
worden. Ich sehe überhaupt keinen Grund, weshalb eine
große Behörde wie das BMZ sich darauf beruft, sie habe
keine Kapazität, die Beantwortung von solchen Fragen
vorzubereiten. Ich muss hier energisch protestieren und
nehme das nicht ohne weiteres hin. Es drängt sich der Verdacht auf, dass es vielleicht aus politischen Gründen missliebig ist, die Frage zu beantworten.
({0})
Die Frage
bleibt im Raum. Sie wird in der nächsten Fragestunde
wieder aufgerufen. Die Bundesregierung ist verpflichtet,
die Frage nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten.
Ich gebe trotzdem meine
Empörung und meinen Protest zu Protokoll.
Ich bitte
um Verständnis, Herr Kollege Irmer. Das ist die Geschäftsordnungslage.
Ich akzeptiere das. Ich gebe trotzdem meine Missbilligung und meine Kritik an der Bundesregierung zu Protokoll.
Ich bitte
in der nächsten Fragestunde wieder um Präsenz. Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Frage in der nächsten
Woche zu beantworten.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht der Staatssekretär UweKarsten Heye zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 6 der Kollegin Ina Lenke:
Welche Gesamtkosten verursacht die Informationskampagne
„Familie - Deutschland“ bislang und in den weiteren geplanten
Stufen und auf welchen Zeitraum ist die Kampagne ausgelegt?
Sehr verehrte Abgeordnete, ich beantworte Ihre Frage nach den
Kosten der Informationskampagne „Familie - Deutschland“ wie folgt: Bisher sind beim Bundespresseamt Gesamtkosten in Höhe von rund 3,1 Millionen Euro angefallen. Im Rahmen der Endabrechnung kann sich das noch
nach unten verändern, etwa durch Rabattierungen und
Ähnliches. Die Kampagne hat am 22. November 2001 mit
einer Pressekonferenz begonnen. Sie endet im April 2002.
Für die Fortsetzung sind etwa 3,3 Millionen Euro veranschlagt.
Zusatzfrage?
Welche Art von Nachfragen, von
Kritik und Beschwerden wegen der Art der Kampagne,
der hohen Kosten und der unverständlichen Botschaft haben Sie oder das Bundespresseamt bekommen?
Es gibt
durchaus unterschiedliche Reaktionen. Das ergibt sich
aus der Kontur dieser Kampagne. Insgesamt wird sie aber
mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen. So
gibt es Abflüsse bei den Informationsbroschüren in einer Größenordnung von mehr als 100 000. Die gleichen
Informationen haben wir natürlich auch ins Internet eingestellt. Die dort enthaltenen Informationen sind rund
4 000 mal heruntergeladen worden. Wir können also zum
jetzigen Zeitpunkt mit dem Echo sehr zufrieden sein.
Weitere
Zusatzfrage, Frau Kollegin Lenke.
Was sollen die Fotos der Plakatkampagne bewirken? Ich habe Briefe von Bürgern bekommen,
in denen sie darauf hinweisen, dass die Kampagne sie
mehr abstößt als anspricht, und in denen ein ausgewogenes Kosten-Nutzen-Verhältnis in Abrede gestellt wird.
Verehrte
Abgeordnete, ich bin mir nicht ganz sicher, zu welchem
Bereich Sie diese Frage stellen. Eigentlich gehört Ihre Zusatzfrage zu Ihrer zweiten Frage, die ich Ihnen nun gern
aufgrund Ihrer Zusatzfrage beantworten würde, wenn ich
das darf.
({0})
Dann rufe
ich nun die Frage 7 der Kollegin Ina Lenke auf:
Welche Bewusstseins- und Verhaltensänderungen bei den
Bürgerinnen und Bürgern verfolgt die Bundesregierung mit der
Kampagne?
Die Kampagne verfolgt drei Ziele:
Erstens soll sie insbesondere Familien dabei helfen,
sich über ihre Rechte zu informieren und die Möglichkeiten zu nutzen, die ihnen durch die Politik der Bundesregierung neu und zusätzlich gegeben worden sind.
Zweitens soll sie zugleich ein Bewusstsein dafür schaffen, was Familien für die Gesellschaft leisten.
Indem sie über die Ziele und Ergebnisse der Politik der
Bundesregierung informiert, erfüllt sie drittens die ureigenste Aufgabe des Bundespresseamtes, nämlich die Arbeit der Bundesregierung ressortübergreifend darzustellen. Sie verdeutlicht Zusammenhänge, indem sie über das
Gesamtspektrum familienpolitischer Leistungen in den
verschiedenen Politikfeldern informiert.
Mit der Verwirklichung dieser Ziele erfüllt die Bundesregierung konkret Aufgaben, die der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit gemäß dem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1977 obliegen.
Durch die
Zusammenfassung der beiden Fragen haben wir die Frage
des Herrn Dörflinger zunächst übergangen. Sind Sie damit einverstanden, Ihre Frage im Anschluss an die Zusatzfragen von Frau Lenke zu stellen?
({0})
- Bitte, Frau Lenke.
Ich habe tatsächlich noch Zusatzfragen.
In Ihrer Kampagne sprechen Sie über 100 Vorteile, die
den Familien durch Ihre Regierung zugekommen sind.
Sprechen Sie in Ihrer Kampagne, auf der Internetseite und
in Ihren Broschüren auch über Nachteile, zum Beispiel
darüber, dass der Haushaltsfreibetrag für Alleinerziehende gestrichen wird und dass die Kindergelderhöhung
um 30 DM nur für das erste und zweite Kind gilt?
Ich denke,
dass dieser Bundesregierung in der Summe der Urteile des
Bundesverfassungsgerichts aufgegeben war, einen Teil der
Arbeit zu tun, die die Vorgängerregierung nicht hat leisten
können. Wir haben das vorbildlich getan. Insgesamt werden
in dieser Legislaturperiode - bislang jedenfalls - Mittel in
einer Größenordnung von mehr als 10 Milliarden Euro zusätzlich für familienpolitische Leistungen eingesetzt. Damit
werden hierfür insgesamt jetzt rund 50 Milliarden Euro pro
Jahr aufgewendet. Ich denke, das ist eine Leistung, die man
würdigen kann und die auch gewürdigt wird.
Zu Ihrer speziellen Frage bezogen auf die Alleinerziehenden: Hier haben wir dem einschlägigen Urteil des
Bundesverfassungsgerichts zu folgen. Sie wissen, dass
zurzeit im Finanzministerium geprüft wird, ob es noch
eine rechtliche Marge dafür gibt, um bei den Aufwendungen für die Alleinerziehenden eine zusätzliche Verbesserung zu erreichen. Diese Frage wird geprüft und soll noch
in dieser Woche, spätestens in der kommenden, beantwortet werden.
Staatssekretär Uwe-Karsten Heye,
Weitere
Zusatzfrage, Frau Lenke? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, dass das Bundesverfassungsgericht der Regierung
bzw. dem Bundestag nicht auferlegt hat, den Haushaltsfreibetrag für Alleinerziehende zu streichen, sondern nur
die Gleichstellung der Alleinerziehenden mit der Familie
vorgeschrieben hat? Ist Ihnen der Unterschied geläufig
und bekannt?
Der Unterschied ist mir schon bekannt. Insoweit kommen wir
schnell auf einen gemeinsamen Nenner. Dennoch geht es
ja darum, zusätzliche Leistungen für Alleinerziehende,
die - in der Regel jedenfalls - in einer besonders schwierigen Situation leben, zu realisieren oder zu ermöglichen.
Insoweit hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Einfluss auf die Entscheidungen der Bundesregierung gehabt.
Eine weitere Frage des Kollegen Dörflinger.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, dass die infrage stehende Kampagne der Bundesregierung von der Agentur Odeon Zwo
konzipiert worden ist, und können Sie dem Hohen Hause
vor dem Hintergrund der Tatsache, dass ausweislich einer
Drucksache des Niedersächsischen Landtages vom
26. Januar 2001 im Zeitraum zwischen 1990 und 2000
430 Aufträge an die erwähnte Agentur gegangen sind,
bitte mitteilen, wie viele Aufträge - vielleicht auch, in
welcher Höhe - das Presse- und Informationsamt der
Bundesregierung seit 1998 an diese Agentur vergeben
hat?
({0})
Ich kann
Ihnen das im Moment leider nicht sagen, weil ich diese
Zahlen nicht verfügbar habe. Ich werde das aber gerne
nachtragen.
Sie sprechen von der Lead-Agentur des Bundespresseamtes. Die Auftragsvergabe ist in einem Verfahren erfolgt, das jeder Nachprüfung standhält. Von daher bin ich
gerne bereit, Ihnen all diese Fragen zu beantworten und es
nachzutragen. Wir müssten dann darauf zurückkommen.
Ich hoffe, dass ich Ihre Frage befriedigend beantworten
kann.
Eine weitere Frage von Frau Kollegin Erika Reinhardt.
Herr Staatssekretär,
wie kommt es, dass eine Kampagne, die über 3 Millionen Euro kostet, weder in der Vorbereitung noch in der
Durchführung mit dem Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend abgestimmt wurde? Glauben Sie
nicht, dass das sinnvoller gewesen wäre?
Es handelt
sich um eine Kampagne, die Leistungen von insgesamt
etwa neun Ressorts - einschließlich des von Ihnen genannten Ministeriums - mit einbezieht. Wir sind natürlich
mit diesem Hause im Gespräch.
Über ästhetische Fragen kann man immer streiten, verehrte gnädige Frau. Ich denke, dass diese Kampagne das
erreicht hat, was man im werblichen Umfeld, in dem auch
die Bundesregierung ihre Informationstätigkeit zu leisten
hat, erreichen will, nämlich Aufmerksamkeit zu erzielen.
Sicherlich gab es nicht nur positive Reaktionen, aber auch
und vor allem. Insoweit denke ich, dass das Ziel erreicht
ist: Man spricht darüber.
({0})
Nein, Sie
haben nur eine Frage. Entschuldigung! Eine weitere
Frage, Frau Kollegin Dr. Höll.
Herr Staatssekretär, können
Sie gerade vor dem Hintergrund der Kampagne, in der Sie
ja die Verbesserungen für das erste und zweite Kind von
verheirateten Paaren positiv herausstellen, erklären, warum
Sie es so darstellen, als ob das für alle Kinder gilt? Dass
Verbesserungen ab dem 1. Januar dieses Jahres eingetreten sind, gilt nicht für sozialhilfeberechtigte Kinder.
Warum haben Sie gerade vor diesem Hintergrund reale
Verschlechterungen der finanziellen Lage von Kindern
von Alleinerziehenden bewusst politisch in Kauf genommen?
Ich finde es sehr widersprüchlich - ich kann es mir von
der politischen Zielstellung her nicht ganz erklären -, einerseits ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden und
andererseits diesen Tatbestand entweder nicht zu berücksichtigen oder in der Öffentlichkeit fälschlicherweise das
Bild vermitteln zu wollen, dass die Situation für alle Kinder besser geworden sei.
Ich weiß
nicht, woraus Sie diese Schlussfolgerung ziehen. Aus den
Informationsleistungen, die jedem Mann und jeder Frau
zur Verfügung stehen, ist das nicht zu entnehmen. Im Gegenteil: Es wird deutlich gemacht, dass diese Regelungen
für das erste und das zweite Kind gelten.
Eine weitere Frage des Kollegen Heiderich.
Darf ich Sie noch
fragen, wie Sie die Aussage von verschiedenen Werbeagenturen beurteilen, dass trotz ordnungsgemäßer Ausschreibung der jeweilige Auftrag immer der Firma Odeon
erteilt werde, sodass die anderen Werbeagenturen zunehmend gar kein Interesse mehr hätten, sich an den Ausschreibungen zu beteiligen?
Das
kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, Herr Abgeordneter. Die einzelnen Ressorts beschäftigen unterschiedliche Agenturen, sodass dieser Hinweis für mich
nicht nachvollziehbar ist.
Vielen
Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung steht der Herr Staatsminister
Dr. Christoph Zöpel zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 8 des Kollegen Ulrich Irmer:
In welcher Weise hat die Bundesregierung die Zerstörung von
mit deutscher und europäischer Unterstützung durchgeführten Infrastrukturprojekten gegenüber der israelischen Regierung zur
Sprache gebracht und wie hat die israelische Regierung hierauf
reagiert?
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Irmer, es ist selbstverständlich, dass die
Bundesregierung, seit es die von Ihnen angesprochenen
Ereignisse gibt, in bilateralen Gesprächen mit der israelischen Regierung nachdrücklich über die Beeinträchtigung der Projektarbeit sowie die Beschädigung und Zerstörung von Infrastrukturmaßnahmen zu sprechen bemüht
ist. Die Bundesregierung dringt kontinuierlich darauf, die
Projekte internationaler Geber unbedingt zu schützen.
Die letzte Erörterung auf der Ebene der Außenminister
dazu fand am 17. Januar dieses Jahres telefonisch statt, als
der aktuelle Fall der Zerstörung des Flughafens Gaza erfolgt war. Auch anlässlich der bilateralen Regierungskonsultationen im November 2001 in den palästinensischen Gebieten wurde über diese Problematik mit Israel
gesprochen. Am 7. Dezember 2001 wurde ein detailliertes Schreiben an das israelische Außenministerium übergeben, in dem die deutschen Schäden benannt und freier
Zugang zu den Projekten sowie Schadensersatz für Beschädigungen erbeten wurden.
Bei einem Gespräch von Vertretern der deutschen Botschaft Tel Aviv, des Vertretungsbüros Ramallah, der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit und der Kreditanstalt für Wiederaufbau am 8. Januar dieses Jahres
sagte die israelische Seite zum wiederholten Male zu, den
Schadensfällen im Einzelnen nachgehen zu wollen und
über Hergang und Gründe zu informieren. Die Informationen sind - das gehört zu den bedauerlichen Dingen bisher nicht eingegangen. Darüber hinaus wurde versichert, dass es generelle Anweisungen an das israelische
Militär gebe, die Projekte der Entwicklungszusammenarbeit internationaler Geber nicht zu beeinträchtigen.
Neben diesen bilateralen Bemühungen gibt es die
Bemühungen der Europäischen Union, an denen wir entsprechend den Regeln der Europäischen Union teilnehmen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Irmer.
Hat die Bundesregierung die israelische Regierung auf den Widerspruch hingewiesen,
der darin liegt, dass just die israelische Regierung die Europäische Union bzw. die Bundesrepublik Deutschland
und andere Geber händeringend aufgefordert hat, Entwicklungsprojekte in den Autonomiegebieten zu fördern?
Wie verträgt sich das damit, dass diese Zerstörungen jetzt
stattgefunden haben, wobei ich hinter die Zusicherung der
israelischen Regierung ein Fragezeichen setze, man habe
um Schonung dieser Projekte gebeten? Denn ich kann mir
nicht vorstellen, dass Befehle zur Zerstörung eines Flughafens einfach aus Versehen erfolgen.
Herr Kollege, es ist unstreitig, dass ein Großteil dieser von Deutschland wie von anderen Geberländern geförderten Projekte auf Wunsch Israels begonnen und
durchgeführt wurde. Insbesondere der derzeitige Außenminister hat dabei eine besondere Rolle gespielt, wie jeder, der seine Reden verfolgt, weiß. In den Gesprächen,
die der Bundesaußenminister mit Außenminister Peres
geführt hat, ist dies zur Sprache gekommen.
Wir haben noch heute im Kabinett über diesen sehr
speziellen Zusammenhang gesprochen. Sie fragen mich
jetzt Dinge, die weder Sie noch ich wissen können.
({0})
Herr Kollege Irmer, wenn ich das beantworte, werden Sie
mir anschließend Recht geben.
Unstreitig unterstehen das Verteidigungsministerium
und die Armee in Israel der Regierung. Damit kommen
solche Dinge sicherlich nicht zufällig in dem Sinne zustande, dass ein Einzelner einen Fehler begangen hat.
Was die von Ihnen angesprochene Problematik angeht
- das können wir alle nur so analysieren -, gehört es in einen Zusammenhang der derzeitigen Logik Israels, mit
dem, was es als Terrorismus analysiert, so umzugehen. In
solchen Situationen, wenn sie zu intensiven Militäreinsätzen führen, stehen oft selbst sinnvolle Objekte - auch
wenn sie international finanziert sind - nicht mehr im
Wege. Das ist eine analytische Bemerkung. Dies hindert
uns nicht daran, immer wieder das vorzubringen, was ich
Ihnen dargestellt habe. Wir werden auch nicht davon ablassen, weil das Ergebnis für die Zukunft der betroffenen
Region unter keinem Gesichtspunkt als günstig angesehen werden kann.
Herr
Irmer zu einer weiteren Zusatzfrage, bitte.
Hat die Bundesregierung die Absicht, an der Zusage der israelischen Regierung festzuhalten, dass man nach Möglichkeit versuchen wird, solche
Entwicklungsprojekte bei der Antwort auf die Terroranschläge zu schonen? Ist die israelische Regierung gefragt
worden, inwieweit sie vielleicht bereit ist, die jetzt angerichteten Schäden selbst zu beheben?
Ich hatte in meiner ersten Antwort erwähnt, dass es
eine entsprechende Zusage gibt, auf derartige Vorhaltungen der Bundesregierung einzugehen. Die Tatsache des
Auflistens dieser Projekte - dasselbe macht die Europäische Union - ermöglicht es uns zumindest, nicht auszuschließen, dass mit der israelischen Regierung auch darüber geredet werden muss, in welcher Weise dieser
Schaden ausgeglichen werden kann.
Frau Kollegin Lippmann, Sie wollen eine weitere Frage dazu stellen, bitte.
Herr Staatsminister, wie beurteilen Sie Forderungen aus anderen europäischen Staaten, in dem Fall, dass sich Israel nach Ihren Ausführungen
nicht daran halten sollte, international oder von der EU
geförderte Projekte bei ihren Anschlägen zu verschonen,
weitere Projektmittel einzufrieren?
Die Frage, die Sie gestellt haben, muss sich jede
Regierung stellen. Sie ist sicherlich projektabhängig zu
beantworten. Es kann einerseits keinen Sinn machen, Projekte - ob EU-finanziert oder von einzelnen Mitgliedstaaten finanziert - nicht weiter zu fördern, die menschliche Begegnungen unter all diesen tragischen Umständen
des Zusammenlebens fördern und erleichtern. Es macht
andererseits aber offenkundig auch keinen Sinn, derzeit
Baumaßnahmen zu finanzieren, ohne zu wissen, was dort
passiert. Das ist eine Entscheidung, die sich mit der Sicherheitslage von Tag zu Tag ändert und, wie gesagt, vom
Charakter der Projekte abhängen muss.
Damit
kommen wir - Sie können gleich stehen bleiben, Frau
Kollegin Lippmann - zu Ihrer Frage, der Frage 9:
Wie weit ist der Abzug der afghanischen Truppen aus Kabul
entsprechend der Petersberger Vereinbarung fortgeschritten und
wann soll der Abzug und vollständige Austausch durch die UN-Sicherheitstruppe ISAF - International Security Assistance Force gemäß der Vereinbarung erfolgen, auf die sich auch der Beschluss
des Deutschen Bundestages vom 22. Dezember 2001 bezieht?
Herr Staatsminister, bitte.
Herr Präsident! Frau Kollegin, afghanische bewaffnete Kräfte sind teilweise aus Kabul abgezogen worden.
Der Prozess dauert an. Die afghanische Interimsregierung
unterstützt uneingeschränkt die diesbezüglichen Vereinbarungen des Petersberger Abkommens.
Eine exakte Bestimmung der Anzahl von afghanischem Militär in Kabul und Umgebung ist derzeit nicht
möglich, weil im Zuge des Aufbaus der Strukturen der
zukünftigen afghanischen Sicherheitsorgane eine genaue
Abgrenzung zwischen Militär und Polizeikräften zurzeit
noch im Gange ist. Die volle Einsatzbereitschaft der UNSicherheitstruppe ist seitens der britischen Einsatzführung auf Mitte Februar 2002 terminiert.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Lippmann.
Kann die Bundesregierung
einen Artikel aus der „New York Times“ bestätigen, wonach der US-Commander der Truppen in Afghanistan
vorgestern, also am 21. Januar, gesagt haben soll, dass die
alliierten Truppen, die sich im Rahmen des NATO-Einsatzes dort befinden - einschließlich von Spezialkräften
aus der Türkei, Großbritannien und Deutschland -, die
Suche nach Osama bin Laden, Mullah Omar und weiteren
al-Qaida-Kämpfern auf weniger als zwölf Regionen reduziert haben?
Mir persönlich ist dieser Artikel nicht bekannt. Sie
können ja nicht voraussetzen, dass die Bundesregierung
alle Artikel der internationalen Presse jederzeit kennt. Wir
haben nur die Kenntnis, dass die Bemühungen, Talibanund al-Qaida-Kämpfer an der Ausführung terroristischer
Aktionen, wie es sie in der Vergangenheit gegeben hat, zu
hindern, fortgesetzt werden und dass auch ihre Anführer
noch gesucht werden.
Wenn Sie dem von Ihnen erwähnten Artikel in der
„New York Times“ entnommen haben, dass sich die Vereinigten Staaten bei ihren Militäraktionen auf das Notwendige beschränkt haben, dann muss ich Ihnen sagen,
dass das auf vollständige Zustimmung der Bundesregierung trifft, die in sehr starkem Maße für die Verhältnismäßigkeit der militärischen Mittel eintritt.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Lippmann?
Ich habe eine weitere Zusatzfrage zu dem Themenkomplex der Beteiligung deutscher Spezialkräfte an der In-Gewahrsam-Nahme afghanischer al-Qaida-Kämpfer und anderer Afghanen. Kann
die Bundesregierung bestätigen, dass an der Inhaftierung
und der Verbringung der Gefangenen auf den US-amerikanischen Stützpunkt vor Kuba deutsche Spezialeinheiten
beteiligt sind?
Das kann ich nach meinem Wissensstand nicht bestätigen. Das soll keine kritische Bemerkung sein. Aber
das Spektrum dessen, was Sie mich in einer sehr kritischen Angelegenheit fragen, wird jetzt sehr weit. Herr
Präsident, ich erlaube mir diesen Hinweis, weil mir sehr
daran gelegen ist, in dieser Angelegenheit nichts zu sagen,
was nicht stimmt.
Ich kann aber auf Ihre Frage, sofern sie die politische
Einordnung der Angelegenheit betrifft, wie folgt antworten: Die Bundesregierung ist in jeder Hinsicht bemüht,
sich mit den Vereinigten Staaten darüber zu verständigen,
dass gefangen genommene Afghanen, die zur al-QaidaOrganisation oder zum Taliban-Regime gehören, nach
den Prinzipien des Völkerrechts behandelt werden. Solange abschließend noch nicht geklärt ist, welchen völkerrechtlichen Status die Gefangenen haben, sollten sie
als Kriegsgefangene behandelt werden. Das bedeutet
natürlich, dass auch soweit Deutsche in solchen Fällen betroffen sind, nach den Prinzipien des Völkerrechts zu verfahren ist.
Eine Zusatzfrage? - Bitte schön, Herr Kollege Gehrcke.
Herr Staatsminister, ich
möchte auf die Frage meiner Kollegin, Frau Lippmann,
zurückkommen, die auf die Veröffentlichung in der „New
York Times“ zielte. Selbstverständlich gehe auch ich davon aus, dass die Bundesregierung nicht alle Zeitungen
liest. Selbstverständlich bin auch ich daran interessiert,
dass bewaffnete Konflikte so gut wie möglich begrenzt
werden. Aber Sie haben die Brisanz der Frage nicht erkannt
oder Sie haben das, wonach meine Kollegin gefragt hat, sogar indirekt bestätigt. Es wäre mir neu, dass deutsche Krisenreaktionskräfte an militärischen Bodenoperationen in
Afghanistan beteiligt sind. Das war laut „New York Times“
die Aussage des US-amerikanischen Oberbefehlshabers in
Afghanistan. Ich würde es sehr interessant finden, wenn Sie
mir die Beteiligung deutscher Kräfte an Bodenoperationen
in Afghanistan bestätigen würden.
Herr Kollege, jetzt muss ich mich bei Ihnen richtig
bedanken. Wiewohl die Bundesregierung im Zweifelsfall
jeden Zeitungsartikel lesen kann, gehört es zur Normalität
des Zusammenlebens von Menschen in einem politischen
System, dass nicht jeder Befragte, der der Bundesregierung angehört, wissen kann, was alles gelesen wurde.
Meiner Antwort, die auf meiner Auffassung über einen
mir bis dahin nicht bekannten Zusammenhang beruhte,
können Sie in keiner Weise entnehmen, dass ich gesagt
habe, deutsche Bodentruppen seien in Afghanistan militärisch tätig. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie mir Gelegenheit gegeben haben, das klarzustellen. Das war sehr
kollegial.
Vielen
Dank, Herr Staatsminister.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht
die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte zur
Verfügung.
Die Frage 10 des Kollegen Hildebrecht Braun wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe Frage 11 der Abgeordneten Angelika
Volquartz auf:
Plant die Bundesregierung die vollständige Sanierung der Laborabteilung II - Veterinärmedizin - des Zentralen Institutes des
Sanitätsdienstes der Bundeswehr in Kronshagen und, wenn ja,
wann wird voraussichtlich mit der Sanierung begonnen werden?
Sehr geehrte Frau Kollegin, die
Laborabteilung Veterinärmedizin des Zentralen Instituts
des Sanitätsdienstes der Bundeswehr ist in Kiel erst
aufgebaut worden; vorher gab es eine solche Einrichtung
nicht. Durch die Auflösung des Bundeswehrkrankenhauses Kiel-Kronshagen zum 31. März 1997 ergab sich die
Möglichkeit, diese Laborabteilung provisorisch in einem
anderen Gebäude unterzubringen. Erste bauliche Maßnahmen zur Herrichtung dieses Gebäudes wurden bereits
durchgeführt.
Die Frau
Kollegin Volquartz hat eine Zusatzfrage. Bitte schön.
Welchen Betrag
wendet die Bundesregierung jährlich zur Unterhaltung
der Liegenschaft „Sanitätsdienststellen Bundeswehr
Kronshagen“ auf und gibt es eine ausreichende Bewerberzahl für im Sanitätsdienst der Bundeswehr ausgeschriebene Stellen?
Frau Kollegin, Sie müssen das
im Zusammenhang sehen mit der Tatsache, dass wir die
Sicherung der Laborabteilung Veterinärmedizin in Kiel
beibehalten. Das liegt daran, dass dort Liegenschaften
vorhanden sind. Was wir an Geld auszugeben planen,
hätte ich Ihnen in Zusammenhang mit Ihrer zweiten Frage
noch gesagt. Tatsache ist, dass Liegenschaften frei und damit anderweitig nutzbar geworden sind. Was zum Erhalt
der Liegenschaften jeweils notwendig ist, entscheidet sich
danach, welche Nutzung erfolgt.
Herr Präsident, es bietet sich vielleicht an, dass ich an
dieser Stelle gleich die zweite Frage der Kollegin
Volquartz beantworte.
Frau Kollegin Volquartz, sind Sie damit einverstanden?
Einverstanden.
Dann rufe
ich jetzt auch die Frage 12 der Abgeordneten Angelika
Volquartz auf:
In welchem baulichen Zustand befindet sich die Liegenschaft
„Sanitätsdienststellen Bundeswehr Kronshagen“ nach Kenntnis
der Bundesregierung?
Entscheidend ist erstens, dass
die wesentliche Bausubstanz dieser Liegenschaft in einem befriedigenden Zustand ist; sonst hätte man sie auch
gar nicht behalten. Abgesehen davon gab es natürlich den
Wunsch der Kieler, diese Einrichtung dort zu behalten.
Zweitens. Zur Herrichtung für die neue Zweckbestimmung im Rahmen der Umstrukturierung wurde für mehrere große und kleine Baumaßnahmen ein Volumen von
20 Millionen Euro errechnet. Ein Teil dieser Maßnahmen
ist bereits durchgeführt worden. Andere Maßnahmen,
zum Beispiel Bauunterhaltungsmaßnahmen an Dächern
und Fassaden, erfolgen im Rahmen des Notwendigen. Es
gibt also eine feste Summe von 20 Millionen Euro. Dabei
ist zu berücksichtigen, dass die Liegenschaft nicht nur von
dieser Sanitätsdienststelle, sondern auch noch von anderen Einrichtungen genutzt wird. Es ist also ein Bedarf von
20 Millionen Euro für kleine und große Baumaßnahmen
errechnet worden.
Eine weitere Zusatzfrage der Frau Kollegin Volquartz, bitte schön.
Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin.
Ist der Bundesregierung bekannt, dass die Kosten für
eine sachgerechte Unterhaltung der Liegenschaft, also
über diese Maßnahmen hinaus, die Sie genannt haben,
nach Aussagen der zuständigen Standortverwaltung bei
jährlich 1,5 Millionen bis 2 Millionen DM - ich bitte um
Verzeihung, dass ich noch die D-Mark-Beträge nenne; ich
müsste das jetzt schnell umrechnen - liegen?
Das können wir ja schnell
umrechnen. - Ihnen ist aber klar, liebe Frau Kollegin
Volquartz, dass die 20 Millionen Euro, also die rund
40 Millionen DM, nicht nur für dieses Labor - die Herrichtung ist natürlich sehr aufwendig -, sondern auch - so
haben mir das meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
aufgeschrieben - für die notwendige Sanierung von
Dächern und für Maßnahmen an den Fassaden zur Verfügung stehen. Die Gesamtsumme kann ich Ihnen nicht sagen. Ich bin da auch etwas zurückhaltend. Sie wissen, dass
wir das Liegenschaftsmanagement etwas verändern wollen. Ob die Zahlen dann noch zutreffen, betrachte ich aus
heutiger Sicht mit Vorsicht. Ich bin aber gern bereit, Ihnen
das, was wir zurzeit wissen, nachzureichen.
Vielen
Dank.
Dann kommen wir zur Frage 13 der Kollegin Gerda
Hasselfeldt:
Gibt es Pläne der Bundesregierung, ein Bundeswehrgeschwader aus Penzing oder einem anderen Fliegerhorst - möglicherweise im Zusammenhang mit der Anschaffung der neuen Transportflugzeuge - nach Fürstenfeldbruck zu verlegen?
Frau Kollegin Hasselfeldt, die
Frage, ob ein Bundeswehrgeschwader aus Penzing oder
aus einem anderen Fliegerhorst nach Fürstenfeldbruck
verlegt werden soll, beantworte ich mit einem klaren Nein.
Nebenbei gesagt: Das ist eine Frage, die in bestimmten
Abständen immer wieder gestellt wird.
({0})
Also ein klares Nein. Es ist nicht geplant, ein Bundeswehrgeschwader nach Fürstenfeldbruck zu verlegen.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, vor dem Hintergrund Ihrer Antwort frage ich: Sind die
Befürchtungen betreffend mögliche nächtliche Frachtflüge gerechtfertigt?
Ich bin ganz überrascht. Ich
habe in Erinnerung, dass der Kampf in der Vergangenheit
immer gegen die zivile Nutzung dieses Platzes betrieben
wurde.
In einer Zeit erhöhten Flugaufkommens bei der Bundeswehr, die sich ja heute immerhin an internationalen
Einsätzen beteiligt, kann es ohne weiteres dazu kommen,
dass Flughäfen der Bundeswehr - dort kann man ja starten und landen; Sie wissen das sehr gut - auch einmal für
andere Aufgaben genutzt werden müssen. Ich habe aber
keine Erkenntnis darüber, dass es zu einer stärkeren Belastung von Fürstenfeldbruck etwa als Ausweichflughafen zu Penzing kommen wird.
Damit
kommen wir zur Frage 14 des Abgeordneten Werner
Siemann:
Ist die deutsche Finanzierung zur Beschaffung des militärischen Transportflugzeugs A 400 M gesichert und, wenn ja, wie?
Herr Kollege Siemann, die Finanzierung des neuen Transportflugzeuges A 400 M ist
nach Meinung der Bundesregierung gesichert. Sie beabsichtigt, das Vorhaben „Zukünftiges Transportflugzeug“
aus dem Einzelplan 14 zu finanzieren.
Zusatzfrage, Kollege Siemann.
Frau Staatssekretärin,
bisher ist der Vertrag vom Verteidigungsminister als unter
einem Parlamentsvorbehalt stehend unterzeichnet worden. Gehen Sie davon aus, dass dieser Parlamentsvorbehalt für die Finanzierung des Objekts für den Fall, dass ein
Entschließungsantrag der Koalition noch in dieser Woche
beschlossen wird, wegfällt?
Ich bin immer wieder überrascht, dass die Regeln des Parlamentarismus - Kollege
Siemann, das betrifft nicht Sie - nicht jedem bekannt sind.
Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages
muss bei jeder Beschaffungsmaßnahme, die eine Summe
von 25 Millionen Euro - früher 50 Millionen DM - übersteigt, gefragt werden. Übrigens werden Sie im Verteidigungsausschuss auch gefragt; aber die eigentlichen
Geldsäcke sitzen ja woanders.
({0})
- Ich nehme das Wort sofort zurück; aber ich darf es eigentlich sagen, weil ich lange Zeit zu denen gehört habe.
Nochmals: Mit jeder Beschaffungsmaßnahme von über
25 Millionen Euro muss das Parlament befasst werden.
Zurzeit gibt es aber gar keinen Parlamentsvorbehalt. Ich
habe das auch mehrfach gelesen und mich gewundert. Es
gilt nichts anderes, als dass in dem Moment, in dem die
Vorlage mit einem Volumen von mehr als 25 Millionen Euro auf den Tisch kommt, der Verteidigungsausschuss und der Haushaltsausschuss zustimmen müssen.
Das haben wir in der Tat noch nicht geleistet.
Bislang hat der Bundeskanzler international erklärt,
dass wir die 73 Flugzeuge haben wollen; bislang hat der
Verteidigungsminister seine Amtskollegen auf unser
Haushaltsrecht - seine Amtskollegen haben leider kein so
strenges Haushaltsrecht - hingewiesen und gesagt, dass er
sich selbstverständlich die Zustimmung des Haushaltsund Verteidigungsausschusses und damit des Parlamentes
holen wird. Morgen werden wir - das ist mein Kenntnisstand - klar und deutlich als Koalitionsparteien sagen,
dass wir auch gewillt sind, diese 73 Flugzeuge zu finanzieren. Ich habe die große Hoffnung, dass Sie sich dem
anschließen, da ja auch Sie für die Beschaffung sind.
Weitere
Zusatzfrage, Kollege Siemann.
Frau Staatssekretärin,
die Opposition - hier in Form der CDU/CSU-Bundestagsfraktion - hat also Recht, dass am 31. Januar dieses
Jahres, also an dem Datum, an dem unsere Partner eine
rechtsgültige Entscheidung haben wollen, noch keine
rechtsverbindliche, die Bundesrepublik Deutschland verpflichtende Unterschrift von einem Vertreter dieser Bundesregierung - in diesem Fall vom Verteidigungsminister - unter diesen Vertrag gesetzt ist?
Sie haben nicht Recht. Wenn
eine Regierung, die eine Mehrheit im deutschen Parlament
hat, 73 Flugzeuge haben will, wenn die sie tragenden Parteien ihr dabei zustimmen und wenn sie dann auch noch von
Teilen der Opposition, nämlich von der CDU/CSU-Fraktion, die ja bereits im Voraus die Verpflichtungsermächtigung erhöhen wollte, unterstützt wird, dann kann sie morgen klar und deutlich erklären, dass das auch weiterhin gilt.
Das Flugzeug selbst, Kollege Siemann, wird allerdings
leider erst im Jahr 2007 zur Verfügung stehen. Natürlich
könnte man auf dem Markt andere Dinge kaufen. Aber wir
beschließen doch gerade alle gemeinsam, dass die Industrie in Europa das Flugzeug entwickeln soll. Nach all dem
ist es eine schlichte Tatsache, dass wir gemeinsam ein
Flugzeug haben wollen, dass wir in den Haushalts- und
Verteidigungsausschuss kommen und dass das Parlament
morgen Abend erklären wird, dass es dem Erwerb der
73 Flugzeuge zustimmt. Die Herren und Damen in Frankreich, in England und in anderen Ländern sollten sich
- das kann ich Ihnen sagen, weil ich lange die NATOSprecherin der SPD-Fraktion war - einmal ihr eigenes
und unser Haushaltsrecht ansehen.
Im Jahr 2003 wird die Regierung - ich gehe davon aus,
dass wir sie wieder stellen ({0})
- dann werden Sie es tun - die Verpflichtungsermächtigung auf die Summe, die im Vertrag festgelegt wird, ausstellen. Zahlungen in großem Maßstab werden ja erst in
den nächsten Jahren fällig. Deswegen gehe ich davon aus,
dass das rechtmäßig ist. Ich bin auch davon überzeugt,
dass Sie dem zustimmen werden.
Eine weitere Zwischenfrage hat der Kollege Nolting.
Frau Staatssekretärin, wäre es nicht besser - ein Entschließungsantrag ist ja
rechtlich nicht bindend -, einen Nachtragshaushalt aufzulegen, um zu einer sauberen parlamentarischen Lösung zu
kommen und unseren Partnern Rechtssicherheit zu geben?
Wenn eine Regierung, die von
der Bevölkerung gewählt wurde und die Mehrheit im Parlament hat, dem Parlament morgen ausdrücklich erklärt,
dass sie das möchte, dann ist das ein Weg. Mir persönlich
- das habe ich deutlich gesagt - wäre es natürlich lieber
gewesen, wir wären im Herbst des letzten Jahres bereits
mit den Vertragsverhandlungen so weit gewesen, dass wir
eine Verpflichtungsermächtigung für das Jahr 2002 hätten
einsetzen können, die der Summe entsprochen hätte. Zu
diesem Zeitpunkt haben wir mit den Vertretern der Industrie, aber auch mit unseren Kollegen aus den anderen Ländern über die Größenordnung des Auftrags und über die
Kosten eines solchen Flugzeugs verhandelt. Auch das war
in Ihrem Interesse.
Bezüglich des Nachtragshaushalts bin ich aufgrund der
Tatsache, dass das Parlament die Beschaffung ausdrücklich bestätigen wird, ziemlich zuversichtlich, dass wir
später - bei der Aufstellung des Haushalts 2003 - entsprechend der Verpflichtungsermächtigung Korrekturen vornehmen werden.
({0})
- Das weiß ich nicht.
Eine weitere Frage der Kollegin Lippmann.
Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade bestätigt, dass die rot-grüne Koalition, die die
Mehrheit in diesem Parlament hat, durch die morgige Abstimmung eine zusätzliche Verpflichtung über 3,4 Milliarden Euro mit einer sehr langfristigen Bindung eingeht,
({0})
ohne einen Nachtragshaushalt zu erlassen, der über den
22. September dieses Jahres hinausreichen würde. Habe
ich das richtig verstanden?
Die Absicht haben Sie richtig
verstanden. Es kann gut sein - das kann ich nicht beurteilen -, dass es zu einem späteren Zeitpunkt notwendig werden kann, einen Nachtragshaushalt aufzustellen. Aus heutiger Sicht betrachte ich das als eher unwahrscheinlich.
Das wissen wir aber nicht. Das hängt von der konjunkturellen Entwicklung und von möglichen internationalen
Krisen - es kann sein, dass noch ein paar Schwierigkeiten
auf uns zukommen werden - ab. Wir gehen heute davon
aus, dass das rechtlich abgesichert ist.
Es sind übrigens zwei Parteien, die diesen Beschluss
fassen werden, die SPD und die Grünen.
({0})
- Das wollen wir doch erst einmal abwarten. Wichtig ist,
dass wir das Flugzeug bekommen, Herr Kollege.
({1})
Es ist mir immer noch ein Stück zu teuer. Wir haben
5 Milliarden Euro eingesetzt und es kommen jetzt noch
einmal 3,6 Milliarden Euro hinzu. Das ist eine stattliche
Summe. Ich hoffe, dass es dabei bleiben wird und die
Kosten sich nicht wundersam vermehren werden, wie es
schon bei etlichen Projekten passiert ist.
Den Kollegen von der Union kann ich nur sagen: Eigentlich wollten wir das Flugzeug schon in den 90er-Jahren haben, weil es dringend gebraucht wird.
({2})
- Ich war immer dafür. Da haben Sie die Falsche erwischt.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Breuer.
Frau Staatssekretärin, ist es
nicht so, dass das Haushaltsrecht vorschreibt, dass im
Hinblick auf die Einschätzung künftiger Vorbelastungen
von Haushalten durch von der Regierung geschlossene
Verträge die Verpflichtungsermächtigungen die Funktion
haben, diese zu berücksichtigen, und die bisher ausgebrachte Verpflichtungsermächtigung des Deutschen Bundestages nicht ausreicht, um das Gesamtprojekt zu finanzieren, somit also die notwendige haushaltsrechtliche
Vorsorge nicht getroffen worden ist?
Meine Frage ist: Wie wird das weitere Verfahren sein?
Wie stellt sich die Bundesregierung, wenn das, was ich
gesagt habe, stimmt, vor, im Bereich des Bundeshaushaltsrechts und der Bundeshaushaltsordnung weiter zu
verfahren?
Herr Kollege, zunächst einmal:
Der Haushalt enthält für die nächsten Jahre Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 5,1 Milliarden Euro.
Nach unserer Vorstellung werden diese 5,1 Milliarden Euro in ihrer Summe erst nach 2007 gebraucht werden. Ich hoffe mit Ihnen, dass der Betrag von 8,3 Milliarden Euro, den man mittlerweile, wenn wir die
73 Flugzeuge kaufen, errechnet hat, dann wirklich der
Endsumme entspricht. Aufgrund meiner langjährigen Erfahrung, die Sie bestätigen werden, bin ich hinreichend
skeptisch, dass dieser Betrag am Ende ausreichen wird.
Wir haben uns wirklich bemüht - das sage ich hier noch
einmal für die Zuhörer -, mit unseren Partnern zusammen
einen Preis auszuhandeln, der unter diesen Entwicklungen
liegt. Leider haben wir unterschiedliche Vorstellungen, wie
dieses Flugzeug hergestellt wird. Deutschland ist allerdings das einzige Land, das eine angemessene Zahl von
Flugzeugen bestellen will. Die 5,1 Milliarden Euro werden also für die Jahre 2002 und folgende allemal reichen.
Aber für die Gesamtsumme der Ausgaben für 73 Flugzeuge werden sie am Ende ganz bestimmt nicht reichen;
denn die Flugzeuge werden, wie auch ich glaube, nicht
billiger werden.
Im Haushalt 2003 werden wir entsprechende Korrekturen vornehmen. Wenn wir die Beratungen darüber jetzt
abschließen und das Parlament erklärt mehrheitlich, es
wolle das, dann halte ich die Angelegenheit eigentlich für
ziemlich abgesichert. Als Haushälterin hätte ich mir, wie
Sie, natürlich gewünscht - ich sage das noch einmal -, wir
hätten Ende Oktober/Anfang November gewusst, was das
Flugzeug wirklich kostet, um im Haushalt eine entsprechende Summe zu veranschlagen.
({0})
- Ich bin nicht blauäugig gewesen. Ich habe nur die
Summe für zu hoch gehalten.
Als
Nächster hat der Kollege Klaus Rose das Fragerecht.
Frau Staatssekretärin,
Sie haben vorhin dem Kollegen Siemann nicht Recht gegeben. Können Sie wenigstens mir zustimmen, wenn ich
behaupte, dass der Kollege Metzger von der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen das bisherige Verfahren als
sehr zweifelhaft angeprangert hat? Damit hat er zur
Kenntnis gegeben, dass die Zustimmung der beiden Koalitionsfraktionen - Sie haben eine große Zustimmung erwartet - nicht hundertprozentig ist. Damit ist das, was Sie
gerade eben noch beschrieben haben, als eine Hilfskonstruktion anzusehen. Geben Sie mir Recht, wenn ich behaupte, dass alles, unabhängig vom Inhalt, von der haushaltsrechtlichen Seite her etwas sehr seltsam abgelaufen
ist?
Lieber Herr Kollege Dr. Rose,
wir beide sind seit langem Haushälter. Sie werden deswegen die Entstehungsgeschichte der 50-Millionen-Vorlagen in Erinnerung haben. Diese Vorlagen hatten den
Grund, Rüstungskosten in den Griff zu bekommen. Einer
der Gründe, warum ich hier stehe, ist auch die Hoffnung,
dass es uns einmal gelingt, das Explodieren der Preise zu
verhindern.
Die Aussage des Kollegen Metzger verwundert mich
deshalb, weil er den Wunsch hatte, überhaupt nur 40 Flugzeuge zu bestellen. Das wissen Sie sehr genau. Der Rechnungshof hat nämlich eine etwas merkwürdige Darstellung über den Gebrauch der Flugzeuge vorgelegt. Wir
sind inzwischen seit langem davon überzeugt - die internationalen Einsätze zeigen es ja -, dass wir mehr Flugzeuge benötigen, um die entsprechenden Anforderungen
zu bedienen. Das ist auch dem Kollegen Metzger klar.
Als die CDU/CSU-Fraktion im Haushaltsausschuss
die Anhebung der Verpflichtungsermächtigungen auf
8 Milliarden Euro - so viel wollte sie damals haben - beantragt hat, haben wir gesagt: Wir kennen die endgültigen
Kosten noch nicht; wenn wir diese Summe schon von
vornherein einsetzen, dann ist völlig klar, dass die Industrie sie angesichts des jetzigen Preisniveaus auf keinen
Fall - das haben wir bis jetzt noch nie erlebt - unterbieten
wird. Das war der einzige Grund, warum ich als diejenige,
die das Parlament in solchen Fragen meistens begleitet,
gesagt habe: Lasst uns mit den Verpflichtungsermächtigungen warten, bis der richtige Zeitpunkt erreicht ist.
Vor diesem Hintergrund ist es in der Tat eine Hilfslösung - ich halte sie aber für gerechtfertigt -, dass das Parlament nun klar sagt: Wir wollen 73 Flugzeuge - soviel
ich weiß, wollen das auch Sie -; wir wollen die Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern; wir wissen, das
wird entsprechende Kosten mit sich bringen. Wir müssen
uns noch darauf verständigen, unter welchen Modalitäten
wir dieses Flugzeug kaufen wollen: Wollen wir gleich mit
in die Entwicklung hineingehen oder wollen wir durch
„commercial approach“ nicht doch den Großteil später, ab
2007, zahlen? Diese Verständigung zu erzielen, das ist unsere Schwierigkeit. Ich will ausdrücklich nicht bestreiten,
dass die ganze Angelegenheit ein Sonderfall ist.
Eine weitere Frage der Kollegin Höll.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben in einer Antwort erklärt, dass Sie hoffen, dass die
Summe erst ab 2007 fällig wird. Mich würde interessieren, wann Sie wissen, ab wann die Summen fällig werden,
und inwieweit Sie dieses Vorhaben für vereinbar mit Zielen Ihrer Regierung halten, die Nettokreditaufnahme abzusenken und bis zum Jahre 2006 einen ausgeglichenen
Haushalt zu erreichen? Denn dieses Ziel ist nach den bisherigen Berechnungen ja nur ohne die Finanzierung dieses Flugzeugs erreichbar.
Frau Dr. Höll, hier kommen
mehrere Dinge zusammen. Erstens habe ich nicht gesagt,
dass ich hoffen will, dass sie ab 2007 bezahlt werden können. Aber eine der Möglichkeiten kann sein, dass wir erst
so spät bezahlen. Der zweite Aspekt ist der Hinweis darauf, dass wir selbstverständlich die Absicht haben, vor
2007 in der Lage zu sein, die Ausgaben des Bundeshaushalts ohne Nettokreditaufnahme zu bestreiten. Der dritte
Punkt ist die Frage, welche Höhe dann der Verteidigungshaushalt hat. Hier gehöre ich, das wissen Sie ja, nicht zu
denjenigen, die spekulieren und sagen, dass er immer weiter erhöht werden muss.
Dies alles wird sehr davon abhängen, in welcher internationalen Lage wir uns befinden, wie viele Soldaten mit
welcher Ausrüstung wir brauchen. Ich wage als kritische
Haushälterin nur vorsichtig zu sagen: Wir können leider
nicht davon ausgehen, dass der Verteidigungshaushalt in
den nächsten Jahren sinken wird. Er wird eher eine andere
Entwicklung nehmen.
Mein Ziel ist allerdings, dass wir im Verteidigungshaushalt noch besonnener mit dem Geld des Steuerzahlers
umgehen. Ich glaube in der Tat, dass noch weitere Einsparpotenziale bestehen, sodass die entsprechenden Mittel für neue Projekte zur Verfügung gestellt werden können.
Eine weitere Frage des Kollegen Hildebrecht Braun.
Frau Staatssekretärin, unsere europäischen Partner erwarten im Hinblick auf den gemeinsamen Bau der A400M bis zum Monatsende eine bindende Erklärung der Bundesrepublik
Deutschland. Geht die Bundesregierung davon aus, dass
sich der Bundestag bezüglich seines Haushaltsgebarens
durch eine schlichte Entschließung über die Zeit hinaus,
für die die jetzige Regierung im Amt ist, binden kann und
binden wird? In anderen Worten: Gehen Sie davon aus,
dass eine zukünftige Mehrheit, die ja wohl für den Haushalt 2003 verantwortlich sein wird, durch den Beschluss,
den Sie morgen am späten Abend vom Bundestag erhalten wollen, gebunden sein wird?
Ja, davon gehe ich aus. Denn
sonst kann man als Bundesregierung nicht das Parlament
bitten, die Entscheidung der Bundesregierung, 73 Transportflugzeuge zu beschaffen, zu bestätigen. Herr Kollege
Braun, ich sage Ihnen noch einmal - mein Vorteil ist ja,
dass ich jahrelang international tätig gewesen bin -: Wenn
die anderen nur annähernd eine solche Haushaltskontrolle
hätten, wie sie der Deutsche Bundestag besitzt, dann
würde bei diesen Projekten manches leichter sein. Das
muss ich Ihnen wirklich mit aller Klarheit sagen, da ich
mich sehr gewundert habe. Es handelt sich ja nicht um alle
Partner, sondern es waren der belgische und der französische Verteidigungsminister, die den Wunsch äußerten,
dass bis zum 31. Januar dieses Jahres auch eine Erklärung
des Bundestages vorliegen sollte.
({0})
- Das hat nichts mit Misstrauen zu tun.
Entscheidend daran ist, dass wir diese Aussage machen. Aber den Vertrag werden wir erst dann unterzeichnen und dem Parlament endgültig vorlegen, wenn wir
wissen, dass die Kosten - die Entwicklungskosten und
möglicherweise die Vorfinanzierung - auch wirklich genau durchgerechnet worden sind.
Deswegen sage ich zu dem Entschließungsantrag, den
die SPD und das Bündnis 90/Die Grünen einbringen wollen: Wir gehen davon aus, dass diese Frage bis zum
31. März 2002 erledigt ist. Ich mache mir in diesem Zusammenhang keine Sorgen; denn ich kenne die entsprechenden Herrschaften gut genug. Mich plagt vielmehr die
Sorge, wie sich die Kosten entwickeln werden.
Eine weitere Frage des Kollegen Joachim Hörster.
Frau Staatssekretärin,
der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat eine
Bewertung des Beschaffungsverfahrens vorgenommen.
Er kommt dabei zu folgendem Ergebnis:
Ein Vertragsabschluss über die Beschaffung der
73 A400M konnte deshalb ohne Verstoß gegen das
Haushaltsrecht nur unter Parlamentsvorbehalt erfolgen. Der inzwischen abgeschlossene Vertrag bleibt
wegen des vereinbarten Parlamentsvorbehalts bis zur
Erteilung der Zustimmung durch den Haushaltsgesetzgeber schwebend unwirksam und trägt somit der
Wirkung der qualifizierten Sperre der ausgebrachten
VE Rechnung.
Stimmen Sie mir zu, dass das im Ergebnis bedeutet,
dass eine wirksame Vereinbarung mit den anderen Vertragspartnern nicht zustande gekommen ist?
({0})
Es liegt daran, dass Sie wirklich nicht wissen, wie militärische Verträge abgeschlossen
werden. Es ist sehr häufig vorgekommen - übrigens auch
bei Ihrer Regierung -, dass MoUs gezeichnet werden, die
noch nicht die Wirkung eines Vertrages haben und die das
Parlament nachher absegnet. Vor Ihnen steht diejenige,
die solche 50-Millionen-DM-Verträge veranlasst hat. Da
ging es zum Beispiel um den Tornado, weil der sehr teuer
wurde; beim Eurofighter haben wir inzwischen ganz andere Zahlen erreicht als ursprünglich geplant.
Es geht wirklich um die schlichte Tatsache, dass der
Verteidigungsminister und auch der Bundeskanzler gesagt haben: Ja, wir haben die Absicht, 73 Flugzeuge zu beschaffen und damit auch „lead nation“ in diesem Projekt
zu werden. Ihr, Haushaltsausschuss und Parlament, müsst
sagen, ob ihr die 73 Flugzeuge wirklich wollt. Denn dann
müsst ihr natürlich die Haushaltsmittel dafür zur Verfügung stellen.
Darauf, dass wir überhaupt Flugzeuge haben wollen,
weisen der Titel und die Verpflichtungsermächtigungen
hin. Im Haushalt steht ja kein Geld; es stehen dort nur Verpflichtungsermächtigungen. Das korrigieren wir nun. Es
kann sein, dass wir im März zu dem Ergebnis kommen,
dass es doch besser ist, begleitend zu finanzieren. Dann
kann es sogar sein, dass wir noch im Jahr 2002 eine erste
Rate einstellen. Das ist alles noch nicht geklärt.
Ich kann nur wiederholen: Ich hätte mir gewünscht, wir
wären früher fertig gewesen. Dann hätten wir die Verpflichtungsermächtigung richtig einstellen können. Das
waren wir aber nicht.
Die nächste Zusatzfrage kommt von der Kollegin Irmgard Karwatzki.
Frau Kollegin
Schulte, sind Sie mit mir der Meinung, dass es das Beste
wäre, wenn Sie einen Nachtragshaushalt einbringen würden? Dann hätten wir eine vernünftige rechtliche Grundlage.
Das Beste wäre gewesen, das
gleich im Haushalt 2002 zu veranschlagen. Da sind wir
uns einig, nicht wahr?
Niemand bringt gern schon im Januar oder Februar einen Nachtragshaushalt ein. Auch Sie hätten das nicht gern
getan, wenn Sie in dieser Lage gewesen wären, Frau Kollegin. Das geben Sie zu.
({0})
- Hier ist eine klare Aussage: Das Parlament wird morgen
erklären, dass es die 73 Flugzeuge haben will. Nebenbei
gesagt, bin ich davon überzeugt, dass dies die Mehrheit
beschließen wird, die das dann später auch durchführen
wird. Darüber hinaus aber ist es sowohl bei Ihnen wie bei
der FDP unstrittig, dass wir das Flugzeug brauchen und
dass es nach Möglichkeit dieses Modell sein soll.
({1})
- Ich würde sie nie verneinen. Das muss ich Ihnen ausdrücklich sagen. Das ist selbstverständlich eine Alternative. Warum soll man das nicht zugeben?
Jetzt hat sich noch die
Kollegin Blank zu einer Frage gemeldet.
Frau Staatssekretärin,
was hält Sie eigentlich außer der Tatsache, dass es Januar
ist, von einem Nachtragshaushalt ab?
Das habe ich schon ziemlich
ausführlich erklärt. Ich halte es für vernünftig, erst einmal
den endgültigen Vertrag im Haushaltsausschuss und im
Verteidigungsausschuss abzuwarten, damit klar wird, was
das kostet und wie die Zahlungsmodalitäten sind. Das
liegt nicht bis Ende Januar vor.
Jetzt gibt es eine weitere Wortmeldung des Kollegen Jochen Fromme.
Frau Staatssekretärin, wenn es der richtigste Weg gewesen wäre, das
in den Haushalt einzustellen, müssen Sie doch einen politischen Grund gehabt haben, das nicht zu tun. War der
Grund etwa, dass Sie in diesem Falle Ihr Sparimage gefährdet gesehen hätten?
Nein. Ich sage es noch einmal:
Wir hatten zu diesem Zeitpunkt keine Vereinbarung mit
unseren Partnern.
({0})
- Wir haben den Haushalt im November beschlossen. Er
ist, glaube ich, Mitte November in den Gremien abgeschlossen worden. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch
keinen Vertrag, sodass wir uns über die Höhe der Kosten
hätten verständigen können.
Es ging zudem nicht nur um die Höhe der Kosten, sondern auch um die Aufteilung. Sie erinnern sich, dass Italien
noch lange geschwankt hat, ob es mitmachen sollte oder
nicht. Das hatte Einfluss auf die Verteilung der Pakete und
damit darauf, wer welchen Bereich übernimmt und damit
Arbeitsplätze in seinem eigenen Land absichert.
Jetzt rufe ich die
Frage 15 des Kollegen Werner Siemann auf:
Wie hat sich die Zahl der Anträge von Unteroffizieren auf
Übernahme in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten von
1998 bis 2001 entwickelt und wie hat sich im gleichen Zeitraum
die Zahl der widerruflichen Verpflichtungserklärungen von Offiziersanwärtern entwickelt?
Herr Kollege Siemann, in den
Jahren 1998 und 1999 konnte bei einer Bewerberzahl von
etwas mehr als jeweils 8 000 die hinsichtlich der Umwandlung des bestehenden Dienstverhältnisses in das eines Berufsunteroffiziers vorgesehene Quote mit einer
Übernahme von 1 222 Antragstellern in 1998 und von
1 552 Antragstellern in 1999 erfüllt werden.
In den vergangenen beiden Jahren konnten aufgrund
geänderter Ausschreibungsverfahren weniger Bewerber
eine Übernahme beantragen. Bei einem Schnitt von
5500 Anträgen konnten jedoch die festgelegten Übernahmequoten mit 1027 im Jahr 2000 und 1529 im
Jahr 2001 mit qualifizierten Bewerbern erfüllt werden.
Im Zeitraum von 1998 bis 2002 nahmen jährlich durchschnittlich rund 940 der eingestellten Bewerber die Möglichkeit wahr, sich mit widerruflicher Verpflichtungserklärung einstellen zu lassen. Etwa 530 hatten sich sofort
gebunden. Mit Widerruf der Verpflichtungserklärung haben in den letzten Offiziersanwärterjahrgängen von ihrem
Recht auf Rücktritt Gebrauch gemacht: 230 Soldaten
in 1998, 305 Soldaten in 1999, 320 Soldaten in 2000 und
365 Soldaten in 2001.
Herr Kollege Siemann
zu einer ersten Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin,
die Zahl der Widerrufserklärungen hat sich erhöht und ist
bei über 300 stehen geblieben. Was wird die Bundesregierung in der Zukunft tun, um diese Zahl zu reduzieren?
Das kommt darauf an. Wichtig
für die Offiziere ist, dass es genügend Bewerber gibt. Aufgrund der heutigen Lebensplanung von jungen Menschen
werden Sie nicht verhindern können, dass es sich ein Teil
der Leute dann doch noch anders überlegt. Vor allen Dingen dürfen Sie nicht vergessen, dass wir eine erhöhte Zahl
von Soldaten in Auslandsaufenthalten haben. Wir haben
im Moment alle drei Teilstreitkräfte in ständigen Einsätzen, vom Sanitätsdienst ganz zu schweigen. Das spielt
natürlich eine Rolle. Sollte sich herausstellen, dass wir
das Bewerberaufkommen nicht erreichen, das wir benötigen, um genügend Nachwuchs zu erhalten - wir brauchen
mindestens die Zahl der Berufssoldaten -, dann werden
wir uns entweder etwas hinsichtlich der Verlängerung des
Dienstes der Zeitsoldaten einfallen lassen - vielleicht auf
20 Jahre; das wird ja oft überlegt - oder die Attraktivität
erhöhen. Das wird sowieso nötig sein, wie Sie feststellen,
wenn Sie die schwächer werdenden Jahrgänge und die
Konkurrenz betrachten. Das wird bereits in zwei, drei Jahren ein Problem werden.
Kollege Siemann hat
noch eine zweite Nachfrage.
Die Regierung beabsichtigt, die Zahl der Berufs- und Zeitsoldaten in den nächsten Jahren auf 200 000 Soldaten zu erhöhen. Wenn Sie jetzt
sagen, es müsse ein Attraktivitätsprogramm geschaffen
werden: Gibt es da schon irgendwelche konkreten Vorstellungen, gerade vor dem Hintergrund, dass wir vermehrt
Auslandseinsätze haben und auch andere Beeinträchtigungen dazu führen können, dass sich noch weniger melden?
Ich glaube, Sie haben gemeinsam
mit uns dafür gestimmt, Anstrengungen zu unternehmen,
damit alle Kompaniechefs nach A 12 bezahlt werden. Das
war bis dahin nicht der Fall. Die jungen Männer haben
sich mit Altersgenossen im öffentlichen Dienst verglichen, die als Gymnasiallehrer, Realschullehrer und sogar
bereits als Hauptschullehrer andere Größenordnungen erreicht haben. Das ist ein Punkt.
Der zweite Punkt ist: Die Offiziere in der Gesamtheit
sind nicht unser Problem. Allerdings gibt es sehr wohl
Schwierigkeiten bei Sanitätsoffizieren. Zunehmende Probleme gibt es bedauerlicherweise auch bei den Marineangehörigen. Früher gab es dort überhaupt keine Probleme.
Heute spielen die langen Stehzeiten außerhalb Deutschlands eine Rolle. Wir müssen auch abwarten, wie sich die
Situation der Offiziere in den fliegerischen Diensten weiterentwickelt.
Sorgen mache ich mir persönlich am meisten in Bezug
auf die Unteroffiziere und Feldwebel. Da werden wir in
der Tat über die bisher erreichte Attraktivität hinaus gemeinsam noch einiges tun müssen, was die Eingruppierung im Vergleich zu anderen Berufsgruppen des öffentlichen Dienstes betrifft. Ich nenne das Stichwort Polizei.
Über dieses Problem entscheiden wir aber nicht allein; da
reden der Innenminister und die Länder mit.
({0})
- Ja, natürlich, das müssen wir. Ich sehe das sehr wohl als
Notwendigkeit; denn wir stellen gerade bei den Einsätzen
fest, dass wir qualifizierte Leute benötigen.
Ich rufe die Frage 16
des Kollegen Günther Friedrich Nolting auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um
die seit Anfang des Jahres 2001 mehrfach durch den Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping, angekündigte schnellere, streitfreie und großzügige Bearbeitung von Anträgen auf Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung zu gewährleisten, die
von aktivem oder ehemaligem Personal von Radareinrichtungen
der Bundeswehr gestellt wurden?
Herr Kollege Nolting, das
Bundesministerium der Verteidigung hat, nachdem sich
die Zahl der Anträge auf Wehrdienstbeschädigung von
Personal der Bundeswehr bei Radareinrichtungen erhöht
hatte, eine Arbeitsgruppe „Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar“ und eine Arbeitsgruppe „Beschädigtenversorgung Strahleneinwirkung“ eingerichtet. Die
personellen Kapazitäten zur Beschleunigung der versorgungsmedizinischen Begutachtung in diesen Verfahren
wurden erheblich verstärkt. Die Maßnahmen haben dazu
geführt, dass eine große Zahl von Anträgen abschließend
bearbeitet werden konnte.
Herr Kollege Nolting
zu einer ersten Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, der Bundesminister der Verteidigung hat großzügige Regelungen angekündigt. Sind Sie mit mir einer
Meinung, dass wir in den schwebenden Verfahren zu einer Umkehr der Beweislast kommen sollten, um die Position der Betroffenen zu erleichtern?
Für den Kollegen Braun hatte
ich eine ganze Reihe von Antworten auf diese Fragen
schon vorbereitet, weil er nach der ursprünglichen Reihenfolge vor Ihnen war. Ich kann das gerne noch einmal
erklären, weil dies auch draußen immer wieder zu Nachfragen führt:
Nach den bestehenden Gesetzen sind wir gebunden,
den Einzelfall zu prüfen. Das ist klar und richtig in einem
Rechtsstaat. Im Rahmen der Sachverhaltsermittlung werden die Antragsteller befragt, die Personalunterlagen hinsichtlich der Verwendung gesichtet und private bzw.
dienstliche Krankenunterlagen eingeholt. Dies erfolgt in
für Radarangelegenheiten speziell eingerichteten Arbeitsgruppen, die ich Ihnen genannt habe. Die für die Prüfung
der Arbeitsplatzverhältnisse zuständige Arbeitsgruppe
muss feststellen, ob durch das Gerät tatsächlich eine entsprechende extreme Belastung auf den jeweils Erkrankten
zukam. Von den Messergebnissen und den dokumentierten Werten werden nicht nur die Durchschnittswerte, sondern auch plausible Extremwerte als permanente Exposition angenommen. Diese Maximalwerte zeigen, wenn
man bei der Berechnung die gesetzlich vorgeschriebene
individuelle Körperdosis zugrunde legt, dass es nicht
möglich ist nachzuweisen, dass eine Mehrzahl der Leute
aufgrund ihrer Arbeit an den Geräten medizinisch erkrankt ist. Wir haben in jedem Einzelfall, zu dem uns die
entsprechenden Unterlagen vorliegen, mit der Prüfung
begonnen.
Die Einführung der Umkehr der Beweislast würde nur
durch ein Sondergesetz möglich. Dies wäre mit dem
Gleichheitsgrundsatz unvereinbar. Ein Verzicht auf den
generellen und individuellen Kausalkettennachweis
würde Forderungen anderer Personengruppen, nicht nur
im Bereich der Bundeswehr, sondern auch in der übrigen
Arbeitswelt, nach sich ziehen. Deswegen geht es nur auf
dem von uns verfolgten Wege. Das macht es auch so kompliziert, Herr Kollege Nolting.
Immer, wenn ich auf diese Problematik angesprochen
worden bin, habe ich ganz deutlich gesagt: Gebt mir bitte
diesen Fall, wenn ihr das Gefühl habt, er wird nicht
schnell genug bearbeitet. Ich habe bisher nicht von einem
solchen Fall Kenntnis erlangt; das ist eigentlich schon
ganz interessant. Allerdings hat sich, nachdem wir diese
Arbeitsgruppe gebildet hatten, die Zahl der Antragsteller
verfünffacht.
Der Kollege Nolting
hat noch eine zweite Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, sind Sie nicht mit mir der Meinung, dass durch die
Ankündigung des Ministers, es solle großzügige Regelungen geben, bei den Betroffenen der Eindruck erweckt
wurde, dass die Fälle schnell und vor allen Dingen auch
unbürokratisch bearbeitet werden? Wir haben jetzt die Situation, dass die Maßnahmen der Regelung sich sehr lang
hinziehen.
Ich darf Sie noch einmal daran
erinnern, dass das Thema ja nicht neu ist. Zu Beginn des
Jahres 2001 hat eine Universität - ich glaube, es war die
Universität Witten-Herdecke - behauptet, dass solche
Strahlenschäden Krebserkrankungen hervorrufen können. Im weiteren Verlauf hat das dazu geführt, dass man
behauptete, die Zahl der Wehrdienstbeschädigungen sei
gestiegen. Es hat in der Vergangenheit immer schon Fälle
gegeben, in denen geprüft worden ist, und die Prüfungen
haben auch früher schon nur in einem ganz geringen Anteil zum Nachweis einer Berufserkrankung und einer
Wehrdienstbeschädigung geführt.
Weil dieser Vorgang in der Öffentlichkeit eine so große
Rolle gespielt hat, hat der Herr Minister diese Arbeitsgruppe unter Leitung von Herrn Dr. Sommer eingerichtet.
Der Minister hat gesagt: Wenn die Ursache nachgewiesen
ist, werden wir uns großzügig verhalten. Seit dieser Zeit hat
sich der Zahl derjenigen, die sich gemeldet haben
- wir haben noch das spezielle Problem mit der NVA-, verfünffacht. Wir müssen jeden Fall korrekt prüfen. Wir haben
zwar das entsprechende Personal verstärkt. Aber wir können die rechtlichen Grundlagen nicht außer Kraft setzen.
Jetzt gibt es eine
Nachfrage der Kollegin Heidi Lippmann.
Frau Staatssekretärin, Sie
sagten gerade selbst, dass der Vorgang nicht neu sei. Das
ARD-Magazin „Monitor“ hat schon im Jahre 1991 über
die gesundheitlichen Probleme der radargeschädigten
Soldaten ausführlich berichtet.
Sie haben schon ausgeführt, dass zwei Arbeitsgruppen
- die eine unter der Leitung von Herrn Dr. Sommer - eingerichtet wurden. Ist denn mit Datum Ende 2001 bekannt,
wie viele Soldaten oder wie viele ehemalige Soldaten, die
einen solchen Antrag aufgrund ihrer Diensttätigkeit an
den besagten Radargeräten eingereicht haben, seit Einrichtung der beiden Arbeitsgruppen verstorben sind?
Nein. Wir können das natürlich
untersuchen, Frau Kollegin. Ich kann Ihnen sagen - das
gehört zu der Antwort auf die zweite Frage von Herrn
Nolting -, wie viele Fälle wir bislang behandelt haben und
wie viele Fälle entschieden worden sind. Das kann ich
tun. Ich kann Ihnen aber jetzt nicht sagen, wie viele Soldaten inzwischen verstorben sind. Das müsste man im
Rahmen der Antragsprüfung untersuchen.
Man muss sehr sorgfältig untersuchen, Frau Lippmann,
ob es sich überhaupt um Fälle handelt, die ursächlich etwas mit der Bundeswehr zu tun haben. Wir müssen sehr
aufpassen, dass eine spektakuläre Erscheinung nicht
gleich zu der Behauptung führt, dass es so ist. Ich bin davon überzeugt, dass die Mitarbeiter, die sich in unserem
Ministerium oder auch in den Wehrbereichen mit dieser
Frage befassen, sorgfältig vorgehen. Die Bundeswehr ist
ja auch eine verwaltende Armee, sodass von den Soldaten
entsprechende Unterlagen existieren.
Besondere Schwierigkeiten bereitet die Tatsache, dass
die betroffenen Soldaten größtenteils erst nach ihrer beruflichen Tätigkeit erkrankt sind.
Der nächste Fragesteller ist der Kollege Paul Breuer.
Danke, Frau Präsidentin! Frau Staatssekretärin, Minister Scharping hat nicht nur
eine großzügige, sondern auch eine großherzige Lösung
zugesagt. Die Betroffenen, die im Übrigen morgen mit einer Mahnwache beginnen, haben bislang nicht erkennen
können - mir wird es auch nicht deutlich aufgrund dessen,
was Sie hier sagen -, wo die Großherzigkeit im Verfahren
liegt. Vielleicht können Sie dem Hohen Hause einmal sagen, in welcher Art und Weise sich die Großherzigkeit im
Verfahren niederschlägt.
Die Großherzigkeit im Verfahren muss immer im Rahmen der rechtsstaatlichen Bestimmungen erfolgen. Das muss man in aller Deutlichkeit
allen Kolleginnen und Kollegen sagen.
Wir prüfen die einzelnen Systeme, von denen behauptet wird, dass es die schadhaften Systeme seien, zum Beispiel die Systeme Hawk oder Nike. Zum Teil aber sind
diese in der Truppe gar nicht mehr im Einsatz.
Wir beide gehören schon eine Weile dem Bundestag
an. Wir wissen auch, dass sehr schnell behauptet wird,
man habe die Ursache mit den entsprechenden Folgen
entdeckt. Das hat dazu geführt, dass dieser Vorgang in so
spektakulärer Weise dargestellt wurde. Dadurch wurde
der Minister veranlasst, sofort zu sagen: Bitte prüft jeden
Fall sorgfältig und schnell, damit die Erkrankten nicht das
Gefühl haben, dass die Untersuchung erst dann abgeschlossen sein wird, wenn sie verstorben sind.
Tatsache ist - das muss auch der Bundeswehrverband
zugeben -, dass die geprüften Anträge zum großen Teil
abgewiesen werden mussten, weil eine Ursache nicht
nachweisbar war. Dieses Vorgehen kann ich nicht außer
Kraft setzen, Herr Kollege.
Jetzt eine Frage des
Kollegen Hildebrecht Braun.
Frau Staatssekretärin, Sie sagten, eine Umkehr der Beweislast komme
deswegen nicht infrage, weil dies unzulässig und gar
rechtswidrig sei. So habe ich Sie jedenfalls verstanden.
Ich habe bereits vor zehn Monaten im Ausschuss die
Prüfung dieser Frage gefordert, weil im Arzthaftungsrecht
und im Versicherungsrecht, also in zwei nahe gelegenen
Rechtsgebieten, eine gewisse Umkehr der Beweislast
durch die obersten Gerichte längst stattgefunden hat. Das
ist nämlich dann der Fall, wenn der Geschädigte einen
Sachverhalt plausibel vortragen kann, der einen Kausalzusammenhang zwischen seiner früheren Tätigkeit und
der späteren Schädigung nahe legt. Ist es nicht unter dem
Blickwinkel der besonderen Fürsorgepflicht des militärischen Arbeitgebers, die natürlich viel weiter geht als die
des Arztes gegenüber seinen Patienten oder gar die der
Versicherung gegenüber einem Versicherungsnehmer, besonders nahe liegend, dass der Staat, wenn er jemanden in
einer gefährlichen Situation beschäftigt und ihn damit einer besonderen Gefährdung aussetzt, auch bei der Frage
der Beweislastumkehr mehr Entgegenkommen zeigt?
Herr Kollege Braun, ich würde
Ihnen zustimmen, wenn das zuträfe. Unsere Untersuchungen, auch die der Vergangenheit, zeigen aber, dass
man immer gewisse Verhaltensmaßnahmen gekannt hat.
Man wusste immer, dass man sich entsprechend verhalten
musste. Deswegen ist es so schwierig, ohne den Gleichheitsgrundsatz zu verletzen. Es ist nicht so, dass wir sagen
würden, wir hätten kein Verständnis für diese Menschen.
Sie wissen aber, dass es in der Bundeswehr eine ganze
Menge von Arbeitsplätzen gibt. Der eine nimmt seine Arbeit, Gott sei Dank, ohne eine gesundheitliche Schädigung wahr, ein anderer kann aber möglicherweise sagen:
Diese Gesundheitsschädigung kommt von dieser oder jenen Verwendung. Ich brauche das nicht zu vertiefen; wir
haben bis zu 495 000 Soldaten gleichzeitig gehabt. Das
macht die Schwierigkeit aus.
Wir würden also, wenn wir die Beweislastumkehr bei
uns zuließen, eine Fülle von Problemen bekommen. Dann
würde auch die gesamte Industrie, die gesamte Wirtschaft, die gleichen Probleme haben. Das ist eigentlich
der Grund, warum man die Beweislast nicht umkehrt, so
viel Verständnis man in den Einzelfällen auch hat - auch
ich habe das. Deswegen habe ich immer gesagt: Bitte gebt
uns die Einzelfälle. Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass
Sammelklagen im Moment Mode geworden sind. Bei den
Einzelfällen, die wir überprüft haben, hat sich ergeben,
dass wir nur in fünf Fällen eine angemessene Entschädigung geben konnten. Bei allen anderen hat sich gezeigt
- ich bin keine Medizinerin, ich habe mich aber erkundigt -, wie schwierig es ist, die Überschreitung von
Grenzwerten festzustellen. Darauf wage ich, Herr Braun,
vorsichtig hinzuweisen, wenn man die Beweislastumkehr
bei einem so komplizierten Gebilde wie der Bundeswehr
zur rechtlichen Grundlage zulassen will.
({0})
Leider ist ein Dialog
in der Fragestunde nicht möglich. Wir bleiben aber beim
Thema.
Ich rufe jetzt Frage 17 des Kollegen Nolting auf:
Wie viele dieser Anträge sind mit welchem Ausgang bis heute
abschließend bearbeitet worden und wie viele können voraussichtlich noch bis zum Ende der Legislaturperiode positiv beschieden werden?
Herr Kollege Nolting, von den
circa 330 zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Berichts
des Arbeitsstabes Dr. Sommer im Juni 2001 vorliegenden
Anträgen auf Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung waren bis Mitte Januar 2002 290 Fälle entschieden.
Die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung erfolgte
in fünf Fällen.
Bis zum 15. Januar 2002 haben 1 505 ehemalige und
aktive Bundeswehrsoldaten, 117 zivile Mitarbeiter und
879 Angehörige der ehemaligen NVA einen Antrag gestellt. Die Dienststellen des Bundesministeriums der
Verteidigung bemühen sich, dass möglichst im ersten
Halbjahr 2002 in allen laufenden Wehrdienstbeschädigungsverfahren, in denen sie zuständig sind, Entscheidungen getroffen sind. Aufgrund der ersten Ergebnisse
der Arbeitsgruppe „Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar“ zu sechs Radargerätetypen wird deutlich,
dass von einer systematischen Verstrahlung von Radarpersonal durch sämtliche Radargerätetypen keine Rede
sein kann. Eine Prognose über die Zahl der Fälle, in denen eine Wehrdienstbeschädigung festgestellt werden
kann, ist, denke ich, im März dieses Jahres, nach Vorliegen sämtlicher Ergebnisse der Arbeitsgruppe „Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar“, möglich.
Die erste Nachfrage,
bitte.
Frau Staatssekretärin, hat das jetzige Radarpersonal die Möglichkeit, an
kostenlosen Untersuchungen teilzunehmen, um etwaige
Strahlenschäden festzustellen?
Sie wissen, dass es bei der Untersuchung des Personals unterschiedliche Rhythmen
gibt. In solchen Bereichen ist die Sensibilität in den letzten Jahren noch erhöht worden. Ich habe heute Morgen
bei der Vorbereitung die gleiche Frage wie Sie jetzt gestellt. Dabei hat sich dann ergeben, dass es bei der Bundeswehr Ärzte gibt, die häufigere Untersuchungen für
notwendig halten, genauso wie solche, die es nicht für
notwendig halten, dass dem Wunsch von Patienten nach
einer jährlichen Untersuchung in allen Bereichen nachgekommen wird. Ich glaube jedoch, dass in diesem speziellen Bereich die Sensibilität groß genug ist und dies auch
schon in der Vergangenheit überprüft wurde.
Ein Grund für die Schwierigkeiten ist auch, dass Anhaltspunkte für eine Wehrerkrankung zu dem Zeitpunkt,
in dem die Leute im aktiven Dienst sind, noch relativ gering sind. Ich brauche Ihnen auch nicht zu sagen, welche
Ursachen das alles haben kann. Ich wusste auch nicht,
dass das Krankheitsspektrum, das jetzt von denjenigen
angemeldet worden ist, die glauben, durch ihren Wehrdienst beschädigt worden zu sein, so groß ist.
Das sieht nach einer
zweiten Nachfrage aus. Bitte, Herr Kollege Nolting.
Hildebrecht Braun ({0})
Frau Staatssekre-
tärin, werden eigentlich auch Erkrankungen aufgrund von
Hochfrequenzstrahlungen berücksichtigt - und falls
nicht, warum nicht?
Das ist ebenfalls eine wichtige
Frage. Auch darüber haben wir in den letzten Jahren in der
Öffentlichkeit verstärkt diskutiert. Dies betrifft wieder ei-
nen Personenkreis, der sorgfältig kontrolliert wird; das ist
im zivilen Bereich ähnlich. Hier gibt es aber keine erhöh-
ten Auffälligkeiten. Wir haben - das muss man der Bun-
deswehr bescheinigen - einer möglichen Gesundheits-
gefährdung schon immer eine größere Aufmerksamkeit
entgegengebracht als andere. Das Problem besteht darin,
dass sich nicht alle an die Vorschriften halten.
Jetzt kommen wir zur
Frage 18 der Kollegin Heidi Lippmann:
Wie schätzt die Bundesregierung die Gefahren durch ABC-
Waffen im Einsatzraum der Bundeswehr im Rahmen der Teil-
nahme an der Antiterrorkoalition ein und welche Anhaltspunkte
gibt es dafür?1)
Frau Kollegin Lippmann, verlässliche Erkenntnisse über ABC-Waffen im Einsatzgebiet der Antiterrorkoalition werden erst nach Abschluss
der Durchsuchung der Höhlensysteme und anderer Verstecke von Taliban und al-Qaida in Afghanistan erwartet.
Bis dahin tragen die in der Truppe getroffenen Schutzmaßnahmen dem Risiko eines möglichen Einsatzes von
chemischen oder biologischen Kampfstoffen angemessen
Rechnung.
Frau Kollegin
Lippmann, bitte, Ihre erste Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, es gibt
hinreichende Erkenntnisse aus unterschiedlichen Geheimdiensten, die ich hier nicht im Einzelnen benennen
möchte, welche Staaten wahrscheinlich über B- und
C-Waffen, auch über A-Waffenforschung und -entwicklung verfügen. In diesen Tagen rücken Soldaten nach Kuwait aus, um dort - ich weiß, das ist Inhalt der nächsten
Frage, ich muss aber vorgreifen - an einer Katastrophenschutzübung mit B- und C-Waffen unter Einsatz von deutschen ABC-Spürpanzern „Fuchs“ teilzunehmen. Über
diese Katastrophenschutzübung hinaus ist die Herstellung
einer 96-Stunden-Bereitschaft geplant. Wie können Sie
diese begründen, wenn bisher keinerlei Erkenntnisse vorliegen?
Ich habe ganz bewusst von gesicherten Erkenntnissen gesprochen. Auch in der Vergangenheit - ich darf Sie daran erinnern - haben wir in
verschiedenen Teilen der Welt die Erfahrungen machen
müssen, dass diese Länder entweder an ABC-Waffen herumexperimentiert oder versucht haben, sich solche zu
beschaffen.
Unser Wissen bezieht sich zunächst einmal auf
Afghanistan. Neben dem Raum, in dem nach dem Kabinettsbeschluss und dem Beschluss des Deutschen Bundestages der Einsatz vorgesehen ist, kommen aber auch
andere Gebiete - damit komme ich auf die Frage von
Herrn Gehrcke - für einen Einsatz infrage. Diesbezüglich
haben wir als eine Komponente die Bekämpfung von
ABC-Waffen aufgenommen, weil die Bundesrepublik
Deutschland dieses Thema schon in den vergangenen Jahren aufmerksamer betrachtet hat. Mögliche Einsatzgebiete sind über Afghanistan hinaus die arabische Halbinsel, Mittel- und Zentralasien, Nordostafrika sowie die
angrenzenden Seegebiete - auch wenn man in letzteren sicher nicht den „Fuchs“ einsetzen wird. Gesicherte Erkenntnisse wird man aber erst haben, wenn man die Nachweise erbringt.
Jetzt rufe ich die Frage 19 des Kollegen Wolfgang Gehrcke auf:
Treffen Presseberichte über eine bevorstehende Entsendung
von Bundeswehrsoldaten aus ABC-Einheiten nach Kuwait zu
({0}), und
wenn ja, was ist das Ziel eines solchen Einsatzes?
Herr Kollege Gehrcke, die
Presseberichte in der „Süddeutschen Zeitung“ treffen insoweit zu, als es sich hier um ABC-Abwehrkräfte handelt,
deren Entsendung der Deutsche Bundestag am 16. November 2001 zur Unterstützung der Operation „Enduring
Freedom“ zugestimmt hat.
Der Zweck dieses Einsatzes ist die Bereitstellung von
Kräften zum Spüren und Dekontaminieren von ABCKampfstoffen in Regionen, in denen zurzeit ein Risiko für
den Einsatz derartiger Kampfstoffe gesehen wird. Die
Unterstützung durch deutsche ABC-Abwehrsoldaten
kann daher sowohl den Streitkräften betroffener Koalitionspartner, also Enduring-Freedom-Partner, als auch den
Nationen in der Region zugute kommen.
Eine Nachfrage des
Kollege Gehrcke.
Mit Rückblick auf die
Fragen zur Beschaffungsdebatte darf ich mir vielleicht die
Anrede „teure Frau Staatssekretärin“ erlauben.
Sinn meiner Frage war ja, das Ganze in einen politi-
schen Kontext zu stellen: Können Sie nachvollziehen,
wenn ich sage, dass es darüber, dass die USA mögliche
Militärschläge auf den Irak noch nicht verbindlich ausge-
schlossen haben, eine, wie ich finde, nicht sehr vernünf-
tige Debatte mit verschiedenen Äußerungen gibt? Die
Bundesregierung hat zwar wieder einmal deutlich ge-
macht, dass sie das für wenig sinnvoll hält, sie kann es
1) siehe hierzu auch Frage 9
aber nicht ausschließen, weil sie so genau auch nicht
weiß, was die Amerikaner machen.
Stimmen Sie mir zu, dass die Stationierung solcher Militärgeräte in Kuwait - an der Grenze zum Irak - zumindest in der arabischen Welt so verstanden würde, dass
Deutschland in dieser Frage nicht deeskalierend, sondern
eskalierend tätig ist und dass insofern ein falsches politisches Signal davon ausgeht? Wäre die Bundesregierung
nicht gut beraten, diese Stationierung nicht zu vollziehen
bzw. sie auszusetzen?
Deutschland wird seine Streitkräfte ganz bestimmt keinem Land aufdrängen. Davon
können Sie ganz sicher ausgehen.
({0})
Wir besitzen gewisse Kompetenzen und es geht ja
nicht nur um Kuwait. Ohne die Zustimmung von Kuwait
kämen wir überhaupt nicht auf die Idee, dort hinzugehen.
Wenn es Ihnen auch etwas unwahrscheinlich zu sein
scheint, so ist es doch richtig, dass auch die Vereinigten
Staaten - sie sind dort unten und sie sind die „lead nation“
bei Enduring Freedom - in keinem Bereich ausschließen
können, dass es zum Einsatz von ABC-Waffen durch Terroristen kommen kann. Dass man sich auf diesen möglichen Fall vorbereitet und sagt, man wolle gemeinsam wissen, wie damit umzugehen sei, halte ich für legitim. Sonst
würde die Bundesrepublik das auch nicht mitmachen.
Zu den stattgefundenen Spekulationen - nun sitzt der
Außenminister inzwischen vor mir - gibt es eine geschlossene Meinung der Bundesregierung dahin gehend,
dass wir das Terrain, auf dem weitere Konflikte entstehen,
möglichst eingrenzen sollten. Lieber Herr Kollege
Gehrcke, ich kann Ihnen deshalb ausdrücklich nicht zustimmen; denn das, was wir jetzt tun, ist Vorsorge und
nicht die Absicht, dort auch wirklich militärische Einsätze
durchzuführen. Insoweit habe ich damit keine Probleme;
denn ohne eine Zustimmung dieser Länder und ohne die
Bitte der Vereinigten Staaten, die nicht alles selbst machen können, gäbe es das nicht.
Bevor ich jetzt noch
die zweite Zusatzfrage des Kollegen Gehrcke zulasse,
möchte ich darauf verweisen, dass die restlichen Fragen
der Fragestunde - ab Frage 20 - schriftlich beantwortet
werden, weil wir gleich unmittelbar im Anschluss an die
Fragestunde in die Aktuelle Stunde eintreten. Zugelassen
sind aber auch noch die Zusatzfragen des Kollegen
Nolting und der Kollegin Lippmann.
Herr Kollege Gehrcke, bitte.
Frau Präsidentin, jetzt
muss ich erst einmal zurückfragen, weil ich das Verzeichnis der Fragesteller nicht vorliegen habe. Fällt damit
meine zweite Frage weg? Dann würde ich lieber keine Zusatzfrage stellen, sondern meine zweite Frage beantwortet haben, weil damit die Probe aufs Exempel gemacht
wird, wie weit der Respekt vor den anderen Ländern geht.
Okay. Dann machen
wir es ganz fix.
Ich rufe jetzt den Kollegen Nolting zu seiner Zusatzfrage und danach die Kollegin Lippmann auf. Ich bitte
beide und auch die Staatssekretärin um Kürze, sodass
dann noch kurz auf die Frage 20 geantwortet werden
kann.
Frau Staatssekretärin, von wem und wann wurden die ABC-Abwehrkräfte
angefordert? Wenn sie nicht angefordert wurden: Hat die
Bundesregierung diese ABC-Abwehrkräfte angeboten?
Daraus ergibt sich dann natürlich die Frage: wem?
Darf ich Sie noch einmal daran
erinnern, Herr Kollege Nolting, dass dieses Parlament am
16. November 2001 mit großer Mehrheit erklärt hat, dass
wir im Rahmen der Operation Enduring Freedom bestimmte Komponenten an Sicherheit anbieten können. Sie
kennen das.
({0})
Ich habe das vor mir liegen.
Darunter sind circa 800 ABC-Abwehrkräfte. Wir beide
wissen, dass es auch die Soldaten aus Höxter trifft. Ich
wohne noch ein bisschen näher an dieser Stadt; auch Sie
sind nicht allzu weit entfernt. Heute haben wir gehört,
dass sie nicht in Wilhelmshaven - wie die Medien berichten -, sondern natürlich in Cuxhaven verladen werden,
wenn sie dazukommen.
Die Amerikaner, die die Hauptlast dieses Einsatzes tragen, sind in dem Bereich auch durch den UN-Beschluss
- damit kann ich das gleich beantworten - die „lead nation“. Sie sagen: Wir können nicht ausschließen, dass es
zum Einsatz solcher Waffen kommt. Wir möchten in Abstimmung mit Kuwait dafür sorgen, dass wir damit auch
umgehen können.
Seit dem 18. Dezember 2001 befassen sich das Auswärtige Amt und Kuwait mit der Frage der möglichen
Teilnahme von deutschen ABC-Kräften an diesem Training. Auch die USA beteiligen sich an diesem Manöver.
Die Absicht ist, dass wir nach diesem Manöver die Mehrzahl der Truppen wieder zurückholen. Wir haben schon
bei der Bereitstellung der Verbände darauf hingewiesen,
dass diese Kräfte infrage kommen. Wir gehen in kein
Land hinein, in dem man uns nicht haben will.
Eine kurze Zusatzfrage der Kollegin Lippmann, bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie
sagten gerade, dass seit dem 18. Dezember 2001 verhandelt wird. Aber erst seit dem 18. Januar dieses Jahres ist,
wenn ich richtig informiert bin, die Zustimmung Kuwaits
erteilt worden, währenddessen im Vorfeld deutsche Soldaten in Zivil mit etwas eigentümlichen Visa in Kuwait
gewesen sein sollen, um dort vorab zu verhandeln.
Sie haben die Frage des Kollegen Nolting nicht konkret
beantwortet, wann wer wen angefordert hat. Aber wie
lässt sich denn jetzt diese amerikanische Vereinbarung mit
Kuwait mit dem Beschluss, über den hier im Parlament
entschieden wurde, in Einklang bringen, dass speziell für
den Einsatz deutscher Truppen eine Zustimmung des jeweiligen Landes vorhanden sein muss, die natürlich über
die Amerikaner als Verhandlungspartner hinausgeht?
Das ist immer so. Wir haben
ein Statut, wonach wir nie in ein Land gehen, indem wir
einfach nur sagen: Wir wollen dahin. Dass man darüber
verhandelt, ist doch völlig klar. Der Formalismus ist in
Deutschland so ausgeprägt, dass es manche gar nicht
glauben können, wenn wir sie fragen, ob die Soldaten in
Uniform erscheinen können, weil es für sie selbstverständlich ist, dass Soldaten Uniform tragen. Die Hälfte
oder - ich würde sogar sagen - das meiste von dem, was
in den Zeitungen stand, Frau Kollegin Lippmann, muss
man nicht glauben.
Ich rufe jetzt als Letztes die Frage 20 des Kollegen Wolfgang Gehrcke auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, dass es zum Zeitpunkt
der ersten Aussagen des Bundesministers der Verteidigung,
Rudolf Scharping, über einen Einsatz von ABC-Kräften in Kuwait
weder eine offizielle Bitte an die Regierung von Kuwait gab noch
eine Einladung von dieser vorlag?
Ich hatte gedacht, diese Frage
beantwortet zu haben. Aber vielleicht möchte Herr
Gehrcke eine Zusatzfrage stellen.
Herr Gehrcke hat jetzt
sofort die Möglichkeit zu einer Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, ich
will nur einmal die Fakten korrekt festhalten: Am 18. Januar dieses Jahres ist die Einladung des kuwaitischen
Staates an die Bundesrepublik ergangen, die Truppen dort
zu stationieren. Die offizielle schriftliche Anfrage der
Bundesregierung stammt vom 10. Januar. Aber bereits
Ende November 2001 sind die Planungen, wie Sie selber
bestätigt haben, angelaufen. Im Dezember 2001 hat es
auch vom Verteidigungsminister verschiedene Veröffentlichungen über eine mögliche Stationierung gegeben. In
Ausschüssen gab es Informationen.
Können Sie sich nicht vorstellen, dass ein Staat wie Kuwait einen eigenartigen Eindruck erhalten muss, wenn in
Deutschland über Wochen eine Stationierung vorbereitet
und geplant wird, es öffentliche Äußerungen gibt und am
10. Januar als letzter Akt die offizielle Anfrage kommt?
Dass Kuwait dies nicht ablehnen wird, das wissen Sie, das
weiß ich und das weiß der Außenminister noch besser.
Können Sie sich aber vorstellen, dass diese Art und Weise,
mit Staaten umzugehen, Befremden auslösen kann?
Es rührt mich ein bisschen an
- nehmen Sie mir das nicht übel -, wenn Sie sagen, dass
Kuwait möglicherweise von uns ein bisschen genötigt
wurde. Dieser Staat ist augenblicklich in einer ganz anderen Situation. Dort sind amerikanische Streitkräfte stationiert. Er ist immerhin schon einmal Opfer einer Auseinandersetzung gewesen. Ich habe nicht das Gefühl, dass
das, was in den Medien steht und was spekulativ dargestellt wurde, auch nur annähernd mit der Wahrheit zu tun
hatte. Wir haben uns angewöhnt, dass es in einer schwierigen und kritischen Zeit klug ist, nichts oder zumindest
nur begrenzt etwas in der Öffentlichkeit zu sagen.
Ich meine, dass in einem demokratischen Staat in einer Krise in der Öffentlichkeit nicht alles gesagt werden
kann. Man darf aber auf keinen Fall die Leute belügen.
Die Soldaten haben sich in der Tat seit Dezember - nachdem dieser Beschluss gefasst worden war - mit dieser
Frage auseinander gesetzt. Wenn 800 Soldaten mit ihren
Gerätschaften infrage kommen, müssen sie diese auch in
Ordnung bringen. Darüber - im legalen und im illegalen
Bereich - ist die Öffentlichkeit informiert worden. Ich
habe damit keine Probleme und halte das alles für in Ordnung. Ich wünsche auch nicht, dass dieser Konflikt noch
ausgeweitet wird.
({0})
- Nein, nicht alle.
Das war noch eine
sehr kurze Frage mit einer kurzen Antwort.
Die Fragestunde ist damit beendet.
Wir kommen nun zur Aktuellen Stunde, die die
CDU/CSU-Fraktion zu der Antwort der Bundesregierung
auf die dringlichen Fragen 1 und 2 verlangt hat:
Äußerungen des tschechischen Ministerpräsidenten Zeman zu den Sudetendeutschen
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist der Kollege Hartmut Koschyk.
({0})
Frau Präsidentin!
Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir alle sind empört
über Äußerungen des tschechischen Ministerpräsidenten
Zeman in einem österreichischen Magazin. Ich darf für
meine Fraktion feststellen, dass aus unserer Sicht diese
Aussagen des tschechischen Ministerpräsidenten gegenüber den sudetendeutschen Opfern der Vertreibung herablassend, beleidigend und ehrverletzend sind und auch in
keiner Weise der historischen Wahrheit entsprechen.
({0})
Ohne Frage stehen diese Aussagen in einem eklatanten
Gegensatz zu Geist und Buchstaben der Deutsch-Tschechischen Erklärung von 1997,
({1})
insbesondere zu den darin vereinbarten Bemühungen um
eine dauerhafte und zukunftsgerichtete deutsch-tschechische Versöhnung. Sie stehen zudem aber auch in einem
krassen Widerspruch zum Geist des europäischen Einigungsprozesses und auch zu den Bemühungen der Tschechischen Republik, Mitglied der Europäischen Union zu
werden.
Lassen Sie mich Ulrich Glauber aus der „Frankfurter
Rundschau“ vom 21. Januar zitieren, der, wie ich meine,
sehr treffend zu diesen Äußerungen des tschechischen
Ministerpräsidenten Stellung genommen hat:
Zeman zeigt sich zur Versöhnung unfähig, weil er die
kollektive Vertreibung der Sudetendeutschen aus
seinem Land nach dem Zweiten Weltkrieg immer
noch rechtfertigt. Er leugnet mit der Brandmarkung
der früheren Mitbürger als Landesverräter ... den Widerstand auch sudetendeutscher Genossen gegen die
Nazis.
Sicherlich schadet der tschechische Ministerpräsident mit
seinen ausfallenden Äußerungen letztlich seinem Land
selbst und er tut auch sich persönlich keinen Gefallen.
({2})
Auch die Bevölkerung der Tschechischen Republik
wird erkennen, dass eine derartig aggressive und überholte Polemik nicht nur dem Geist des europäischen Einigungsprozesses und einem zukunftsgewandten nachbarschaftlichen Miteinander von Tschechen und Deutschen
widerspricht, sondern dass dies auch der politischen Kultur der Tschechischen Republik und auch eines tschechischen Ministerpräsidenten unwürdig ist.
({3})
Deshalb haben wir diese Aktuelle Stunde beantragt.
Deshalb ist es auch wichtig - wir sind Ihnen dankbar
dafür, Herr Außenminister, dass Sie in dieser Aktuellen
Stunde auch sprechen -, dass die Bundesregierung keinen
Zweifel daran lässt, dass Sie diese unqualifizierten, polemischen und ehrverletzenden Äußerungen des tschechischen Ministerpräsidenten mit aller Deutlichkeit zurückweist. Sie sind inakzeptabel und die Mitbürgerinnen und
Mitbürger sudetendeutscher Herkunft haben auch einen
Anspruch darauf, dass die Bundesregierung sie vor derartigen ungerechtfertigten Angriffen eines ausländischen
Regierungschefs in Schutz nimmt.
({4})
Lassen Sie mich auch sagen, liebe Kolleginnen und
Kollegen, warum diese Aussagen auch in politischer Hinsicht höchst schädlich sind. Denn sie fallen schließlich in
eine Zeit hoffnungsvoller Gespräche, zum Beispiel auf
der Ebene des deutsch-tschechischen Gesprächsforums.
Dabei handelt es sich um konstruktive Gespräche, in denen gerade auch die Repräsentanten der Sudetendeutschen eine wichtige, nach vorne weisende Rolle spielen.
Die Äußerungen des tschechischen Ministerpräsidenten Zeman - das möchte ich zum Schluss noch sagen -, der sich - wenn man seine bisherige Amtsführung
betrachtet, muss man das leider feststellen - nicht als
ein sehr kluger und außenpolitisch einfühlsamer Regierungschef erwiesen hat, sind verhängnisvoll. Das trifft
auch auf das Interview zu, mit dem er die Stimmung in
Österreich angeheizt hat.
({5})
- Herr Bundesaußenminister, der Österreicher, den Herr
Stoiber vielleicht meint, ist ein Politiker, der keine Regierungsverantwortung hat. Zeman ist dagegen ein in Verantwortung stehender Regierungschef. In einer solchen
Position muss man sich schon ein Stück zurückhalten.
Man muss ja nach den Beweggründen fragen. Ich
glaube, dass auch ein tschechischer Ministerpräsident ein
solches Interview nicht leichtfertig gibt, dass er ein solches Interview erst dann zur Veröffentlichung freigibt,
wenn es mit ihm abgestimmt worden ist. Dazu müssten
Sie, Herr Bundesaußenminister, heute Stellung nehmen -:
Besteht nicht die Gefahr, dass der tschechische Ministerpräsident ein Stück weit zündelt sowie hoffnungsvolle
Gesprächsansätze im deutsch-tschechischen Gesprächsforum und die mutige Position, die Herr Pick in dieser
Frage durch öffentliche Einlassungen eingenommen hat,
ein Stück weit hintertreibt, damit es nicht zu einer humanitären Geste gegenüber den Sudetendeutschen kommt?
Darum bemüht man sich zurzeit auf deutsch-tschechischer Ebene für diejenigen, die besonders unter der Vertreibung gelitten haben. Das ist eine Frage, die man sich
in diesem Zusammenhang auch stellen muss.
Herzlichen Dank.
({6})
Für die SPD-Fraktion
spricht der Kollege Gert Weisskirchen.
Lieber Kollege Koschyk, ich bedauere es sehr, dass die Union und
Sie unbedingt im Rahmen einer Aktuellen Stunde über
dieses Thema debattieren wollen.
({0})
Das ist zwar Ihr gutes Recht. Aber das fordert die Frage
heraus, wie Herr Posselt - den kennen wir alle -, der eine
kritische Position gegenüber der Deutsch-Tschechischen
Erklärung, die gerade erst fünf Jahre alt geworden ist - Sie
haben die positive Wirkung dieser Erklärung eben gewürdigt -, einnimmt, in der gestrigen Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ erklären kann, dass sich der neue
Kanzlerkandidat Ihrer Partei kritisch gegenüber dem
deutsch-tschechischen Bemühen verhalten werde. Das
verstehe ich nicht. Das passt nicht zusammen. Herr
Stoiber konterkariert - das hat er wirklich gut gemacht den schwierigen Prozess der Aussöhnung mit der Tschechischen Republik, den die damalige CDU/CSU-FDPRegierung auf den Weg gebracht hat. Er beruft sich dabei
auf eine Vorstandssitzung der CDU/CSU vom Montag,
lieber Kollege Lamers, auf der das Ganze besprochen
worden sei. Auch Herr Posselt beruft sich darauf.
({1})
- Nein, lieber Kollege Lamers, das Wichtigste ist: Wir
dürfen uns - niemand aus diesem Hause darf das - die Erfolge, die wir erreicht haben - vor zehn Jahren wurde der
Freundschafts- und Nachbarschaftsvertrag geschlossen;
vor fünf Jahren wurde die Deutsch-Tschechische Erklärung verabschiedet -, und die konstruktive Arbeit, zu
der Sie selber, Herr Koschyk, innerhalb des deutschtschechischen Gesprächsforums beigetragen haben, nicht
kaputtreden lassen. Niemand - wer immer es auch sei darf das.
({2})
Nationalisten aller Länder vereinigt euch - das ist die
größte Gefahr, die es in dem zusammenwachsenden
Europa gibt. Wir lassen uns die Erfolge von niemandem
kaputtreden.
({3})
Wenn Herr Haider dahinter steckt, dann müssten doch
auch bei Ihnen die Alarmglocken schrillen. Sie dürften
sich nicht an seiner in Österreich inszenierten Kampagne
beteiligen, auch nicht indirekt, lieber Kollege Lamers;
denn das passt, finde ich, nicht zu den Verdiensten, die
sich der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl, der die
deutsch-tschechischen Beziehungen auf eine gute Grundlage gestellt hat, erworben hat.
({4})
- Der Kollege Zeman hat in der Tat etwas gesagt, was ich
- ich sage das in aller Klarheit - nicht teile.
({5})
- Ich muss den Text noch einmal genau nachlesen.
({6})
Wenn ich das richtig interpretiere, steht darin etwas, das
an eine Kollektivschuld erinnert.
({7})
Wenn man die Deutsch-Tschechische Erklärung zur
Grundlage unserer Beziehungen macht, dann kann es eine
Kollektivschuldzuweisung, an wen auch immer, nicht
geben. Das ist der wesentliche Punkt, den wir gemeinsam
verabredet haben.
So interessant das auch immer sein mag - am Aschermittwoch oder bei den Veranstaltungen zu Pfingsten, die
in diesem Jahr noch in Rede stehen -: Ich bitte Sie herzlich darum, lassen wir uns alle gemeinsam in diesem Haus
nicht von irgendwem verrückt machen,
({8})
der irgendwelche Stichworte nutzt, um Populismus oder
Nationalismus zu schüren. Dafür sind die Beziehungen
zwischen Prag und Berlin, zwischen unseren Ländern viel
zu kostbar. Sie dürfen von niemandem zerredet werden.
({9})
Das Wort hat der Kollege Ulrich Irmer für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Im Interesse der guten Weiterentwicklung
der tschechisch-deutschen Beziehungen und im Interesse
der europäischen Integration habe ich an uns alle, an
Beteiligte und Unbeteiligte, eine Bitte: tiefer hängen!
Bitte, bitte tiefer hängen!
({0})
Hintergrund der heutigen Aktuellen Stunde und der
Äußerungen, mit denen wir uns leider befassen müssen,
ist das Volksbegehren, das Herr Haider in Österreich vorgeblich gegen das Atomkraftwerk Temelin angezettelt
hat. Wenn wir hinter die Motive schauen, wird natürlich
ganz klar, dass Haider den Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union nicht möchte. Das steht
eigentlich dahinter.
({1})
Die Reaktionen von Herrn Zeman erkläre ich mir
zunächst einmal mit dem alten Spruch: Auf einen groben
Klotz gehört ein grober Keil. Dass Herr Haider - gelinde
gesagt - ein grober Klotz ist, wissen wir alle. Dass Herr
Zeman ein grober Keil ist, haben wir leider auch schon
des Öfteren schmerzhaft zur Kenntnis nehmen müssen.
Bei dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union geht es darum, dass wir auch die Gespenster der Vergangenheit bannen und dass wir uns in einem
von uns allen gewollten, den Menschenrechten verpflichteten Europa gemeinsam wiederfinden. Da passt es
natürlich nicht ins Bild, wenn irgendjemand - es war leider nicht irgendjemand - sagt, die Sudetendeutschen
seien Kriegsverbrecher gewesen, sie seien die fünfte Kolonne von Hitler gewesen. Was in der Vergangenheit dort
Gert Weisskirchen ({2})
geschehen ist, sagt die Deutsch-Tschechische Erklärung
in sehr schönen Worten. Darin wird das Verbrechen der
Nazis gegenüber dem tschechischen Volk gegeißelt; es
wird aber auch ganz klar und unmissverständlich festgestellt, dass das, was den Sudetendeutschen geschehen ist,
Unrecht war. Wir würden das heute im modernen Sprachgebrauch als ethnische Säuberung und nichts weniger bezeichnen.
({3})
Das darf nicht kleingeredet werden. Dessen muss man
sich bewusst sein.
Es wäre völlig falsch, daraus jetzt politische Forderungen abzuleiten und etwa zu sagen: Weil diese Gespenster
der Vergangenheit offensichtlich nach wie vor wirksam
sind, gibt es Hinderungsgründe für den Beitritt der
Tschechischen Republik zur EU. Das alles dürfen wir uns,
die wir den Beitritt dringend wollen, nicht gefallen lassen;
es widerspräche auch unseren Interessen. Deshalb ist alles, was in die Richtung geht, die Vergangenheit als Hinderungsgrund für eine konstruktive Zukunft aufzubauen,
extrem kontraproduktiv.
({4})
Da darf man bitte auch nicht mit den Benes-Dekreten
kommen. Viele tschechische Politiker haben einleuchtend
erklärt, die Benes-Dekrete entfalteten heute keine Wirksamkeit mehr, sie seien in sich selbst Unrecht. Aber eine
förmliche Aufhebung würde zu Problemen führen, genauso wie eine förmliche Aufhebung des Münchner Abkommens ex tunc für uns einen Rattenschwanz von rechtlichen Fragen nach sich zöge. Ich ziehe diese Parallele
hier ganz bewusst. Wer die förmliche Aufhebung der
Benes-Dekrete verlangt, müsste auch bereit sein, das
Münchner Abkommen ex tunc, das heißt von Anfang an,
für null und nichtig zu erklären.
({5})
Mit guten Gründen haben sich alle Bundesregierungen
dagegen zur Wehr gesetzt, weil nämlich die Folgen, auch
die rechtlichen Folgen für einzelne Personen, unabsehbar
wären. Lassen wir uns doch bitte nicht auf dieses Glatteis
führen! Prüfen wir die Beitrittskriterien, die in der EU für
die Mitgliedschaft weiterer Länder in der Europäischen
Union aufgestellt worden sind! Es wird schwierig genug,
diese Beitrittsvoraussetzungen von allen Seiten zu erfüllen. Auch die Europäische Union hat ja noch Hausaufgaben zu machen: Wir müssen die institutionellen Reformen verwirklichen, damit der Beitritt zusätzlicher Länder
ohne große Schwierigkeiten verkraftet werden kann.
Ein anderes: Gerade die tschechisch-deutsche Geschichte mit der - auch kulturellen - Komponente des jüdischen Elements in der Stadt Prag, das die Nazis mit
ihrem Terror zerschlagen haben, kann uns ein Beispiel
dafür geben, wie wir uns in Zukunft das kulturelle Miteinander und das Miteinander unterschiedlicher Völker in
unserer Europäischen Union vorstellen sollten. Das und
nicht Äußerungen von Leuten, die was für Interessen auch
immer verfolgen, sollte unser Leitbild sein.
Ich traue Herrn Haider nicht über den Weg. Leider
muss ich feststellen, dass auch der tschechische Ministerpräsident - und insofern ist es natürlich richtig, dass es
einen Unterschied macht, ob es sich um einen Privatpolitiker oder um einen Mann mit offizieller Funktion handelt - etwas gesagt hat, was ich zutiefst missbillige. Er hat
sich schwer vergriffen; er sollte sich dafür entschuldigen.
Aber bitte lassen wir auch solche unerträglichen Äußerungen nicht dem im Wege stehen, was wir alle wollen,
nämlich die Vollendung unserer Europäischen Union und
den möglichst baldigen Beitritt Tschechiens zu unserer
Europäischen Union.
({6})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Dr. Antje
Vollmer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Irmer, ich glaube, mit „tiefer hängen“
haben Sie uns allen einen guten und klugen Rat gegeben.
Vielleicht werden wir ja am Ende der Debatte das Rätsel
lösen können, warum wir uns heute Nachmittag die Zeit
damit vertreiben müssen, die Äußerungen eines tschechischen Ministerpräsidenten in einer österreichischen Zeitung zu kommentieren.
({0})
Wolf Biermann hat einmal einen sehr klugen Satz dazu
gesagt, den sich, so meine ich, die CDU/CSU merken
sollte und der lautet: „Ihr macht mich gerade populär damit.“ Genau das machen Sie mit Herrn Zeman und seinem
Interview.
Herr Zeman hat ein Interview gegeben. Ich weiß nicht,
welcher Geist ihn dabei getrieben hat. Es war sicherlich
nicht der Geist der staatsmännischen Klugheit und der Diplomatie. Daran will ich keinen Zweifel lassen.
({1})
Er hat ja selber einen Hinweis gegeben, indem er gesagt
hat, er sei der „meistprovozierende Politiker Europas“.
Das ist auch eine Form von Eitelkeit, der Politiker manchmal anheim fallen können. Die Frage ist jedoch, was wir
im Moment damit zu schaffen haben. Ich glaube, dass die
Tschechische Republik wortgewaltige Politiker hat, die
Herrn Zeman sehr wohl in die Schranken weisen können,
wenn er sich verbal vergriffen hat. Insbesondere Vaclav
Havel pflegt dies regelmäßig zu tun - mindestens drei bis
viermal im Jahr. Die Debatte über die Frage, wie man die
Interessen des Landes vertritt, findet also in der Tschechischen Republik und im tschechischen Parlament statt.
Dort gehört sie meines Erachtens nach hin und dort wird
sie wohl auch geführt werden.
({2})
Es gibt aber noch etwas anderes. Das ist eine Debatte,
an der wir ein ganz großes Interesse haben. Ich meine nicht
nur den politischen Streit, sondern die Klärung der Vergangenheit und der damit zusammenhängenden schwierigen Fragen. Das gilt im Hinblick auf die Tschechische Republik und auf Polen. Gerade ist der polnische Botschafter
bei mir gewesen und hat mir, Frau Steinbach, einen wunderbaren, dicken Band über die Debatte über das Thema
Vertreibung in Polen gegeben. Diese Debatte findet in beiden Ländern statt und sie entwickelt sich erfreulich. Die
Menschen eignen sich damit eine schwierige Geschichte
an. Was diesen Prozess aber immer wieder stört, sind Debatten der Art, wie wir sie heute führen: vom hohen Ross
herab, Rechtfertigung fordernd und zensierend.
({3})
Ich glaube, wir sollten das im Interesse der zukünftigen
Debatten und der Entwicklung dieser Frage sein lassen.
({4})
- Ich will Ihnen, Herr Lamers, erklären, wie ich mir Ihre
Intention zur heutigen Debatte vorstelle: Es gibt die
Deutsch-Tschechische Erklärung, Sie entstand - übrigens
unter starker Beteiligung der Opposition - in einem sehr
schwierigen zweijährigen Prozess und wurde von Helmut
Kohl und auch von Ministerpräsident Stoiber durchgeführt
und unterzeichnet. Das war ein sehr schwieriger Prozess,
und ich erinnere mich daran, wie wir hier damals darüber
diskutiert haben und ich gesagt habe: Respekt, dass diese
Erklärung auch von Bayern unterschrieben worden ist.
Ich werde den Eindruck nicht los, dass diese Art von
Debatten immer wieder Irritationen aufkommen lassen
sollen,
({5})
als wollte man die damalige Unterschrift wieder infrage
stellen.
({6})
- Sie sagen, dass bei uns großes Entsetzen in den Reihen
der Sudetendeutschen entstanden ist, weil Herr Zeman
eine Äußerung gemacht hat. Sie wissen aber genauso,
dass immer und immer wieder in der Tschechischen Republik großes Entsetzen und große Ängste entstanden
sind, wenn es Äußerungen auf den sudetendeutschen Tagen gegeben hat, die nicht Geist und Inhalt der DeutschTschechischen Erklärung ausgedrückt haben. So ist es immer wieder gewesen.
({7})
Die Angst, die dahintersteckt, hat für die Sudetendeutschen letztendlich keine Folgen, während die Tschechen
immer wieder die Angst haben müssen, dass es ein Veto
gegen ihren Beitritt in die EU geben könnte.
({8})
Es wird von Herrn Haider und auch aus dem Kreis der
Vertriebenen mit einem Veto gedroht.
({9})
Es wird gesagt: Wenn das und das nicht passiert, dann
müssen wir uns das noch einmal überlegen. Ich finde, eine
solche Drohung darf von diesem Parlament nicht ausgehen.
({10})
Wir sollten Ihnen auch nicht den Gefallen tun, dass Sie
mittels solcher Debatten - es handelt sich natürlich um
Debatten in einem Wahlkampf, die geführt werden, um
den Kern Ihrer Stammwählerschaft zu befrieden - an
außenpolitischen Verhältnissen zündeln dürfen. Das werden wir nicht mitmachen, das werden wir in aller Ruhe
zurückweisen. Deswegen ist die Frage, warum wir das
heute hier diskutieren müssen, sehr schnell beantwortet:
weil Wahlkampf ist.
({11})
Bevor ich dem nächsten Redner, dem Kollegen Gehrcke, das Wort erteile,
möchte ich den vom Kollegen Christian Schmidt gebrauchten Begriff, den ich absichtlich nicht noch einmal
nenne, mit Entschiedenheit zurückweisen. Er entspricht
nicht dem Stil des Hauses.
({0})
Bitte, Herr Kollege Gehrcke.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich habe zwar nicht gehört,
was der Kollege Schmidt gesagt hat, aber jetzt bin ich
neugierig geworden, was dem Stil entspricht oder nicht.
({0})
Verraten Sie mir das nachher in der Pause.
Zur Sache selbst: Ich bin der festen Überzeugung, dass
die Kollegen von der CDU - zumindest die klügeren unter ihnen -, die hoffentlich noch einmal über die Aktuelle
Stunde nachdenken, relativ rasch begreifen, dass sie sich
mit dieser Aktuellen Stunde einen Bärendienst erwiesen
haben. Ich glaube, das wissen Sie jetzt schon und haben
es schon vorher gewusst. Trotzdem haben Sie die Aktuelle
Stunde durchgezogen.
({1})
Ich will Ihnen erklären, warum ich den Eindruck habe,
dass das so ist: Sie erwecken, ob Sie es wollen oder nicht
- ich unterstelle es Ihnen gar nicht -, den Eindruck, dass
Sie die antitschechische Kampagne von Haider in Österreich von Deutschland aus flankieren. Diesen Eindruck
sollten Sie nicht erwecken.
({2})
Ich glaube, dass Sie hier einen Fehler gemacht haben.
({3})
Für das Protokoll möchte ich festhalten, dass es Haider
natürlich nicht um den Ausstieg aus der Kernenergie geht,
obwohl es immer eine rechte ökologische Politik, eine
Blut-und-Boden-Politik, gegeben hat, sondern dass
Haider versucht, seinen Einfluss in Österreich über eine
Bekämpfung der EU-Mitgliedschaft Tschechiens wieder
auszuweiten. Deswegen finde ich es sehr bedenklich,
wenn zur Begründung der Auseinandersetzung ein Satz
des Kollegen Glos zu lesen war - ich zitiere -: „Mit einem
solchen Geist kann man nicht in die EU eintreten.“ Er
spielt und zündelt mit diesem Satz. Das sollten Sie nicht
machen, das ist eigentlich auch unter Ihrem Niveau.
({4})
Ich komme nun zur zweiten Frage, über die man dann
entscheiden kann. Sicherlich ist das Interview von Zeman
in vielen Fragen nicht besonders durchdacht und nicht besonders solide formuliert, um es milde auszudrücken. Daran kann es überhaupt keinen Zweifel geben. Die eigentliche politische Frage ist aber: Spielt man das jetzt hoch,
um sozusagen eine Schnitte zu machen, oder spielt man es
herunter, weil man politische Vernunft walten lässt?
({5})
Wer dann so dezidiert „draufhaut“ und die Forderung
stellt, dass sich Herr Zeman entschuldigt - was er sicherlich nicht tun wird -, der verwischt damit einfach Grenzen und er verschleiert das, was man als Ursache benennen muss - Zeman hat das gemacht -: den deutschen
Faschismus und alle seine Folgen. Darum kommen Sie
nicht herum.
Ich fand es besonders sympathisch, wie der tschechische Botschafter in Deutschland heute in der „taz“ die
ganze Angelegenheit kommentiert hat - ich möchte Ihnen
diesen einen Satz vortragen -: „Liebe Leute, vergesst eure
Geschichte nicht.“ Dem kann ich mich völlig anschließen - ich sage das nach allen Seiten -: Liebe Leute, vergesst eure Geschichte nicht! Das können wir auch hier
dokumentieren.
Was ich in dem Interview von Herrn Zeman bedenkenswert finde, ist die Warnung vor rechtspopulistischen
Entwicklungen in Europa. Auch diese Warnung kann man
mit Blick auf Österreich, mit Blick auf Italien und mit
Blick auf Dänemark nicht einfach wegwischen. Eines der
Probleme - zumindest mein Problem - ist es, dass es bisher keine überzeugenden Gegenkonzepte gegeben hat.
({6})
Eines will ich Ihnen, Kolleginnen und Kollegen von
der CDU - das ist Ihr Problem und nicht mein Problem -,
sagen: Da Ihr Kollege Stoiber, Ihr Kandidat, ja besonders
in die Mitte drängt, sollten Sie aufpassen, dass Sie mit Aktionen wie mit der Beantragung dieser Aktuellen Stunde
die Mitte nicht wieder konterkarieren und sich auf eine
Ebene stellen, auf die Sie eigentlich nicht wollten.
({7})
Das ist Ihr Problem. Ich bin deshalb der Auffassung, dass
Sie sich hier selbst einen Bärendienst geleistet haben.
({8})
- Das ist wahr: Wo die Mitte ist, bestimme ich nicht. Es
ist aber ganz interessant, darüber einmal nachzudenken.
Schlussendlich: Was kann man uns allen in dieser Situation raten? Erst einmal eine Portion Gelassenheit; die
Sache herunterspielen; bei dem bleiben, was vertraglich
vereinbart ist; den Aussöhnungsprozess fortsetzen und
vor allem keinen Zweifel daran lassen, dass wir für die
Osterweiterung der Europäischen Union einschließlich
Tschechiens zu den allgemeinen Bedingungen und nicht
zu Sonderbedingungen sind.
({9})
Deswegen sollten Sie das Wort von Ihrem Landesgruppenvorsitzenden, Herrn Glos, dass man vor diesem Hintergrund noch einmal nachdenken muss, ob Tschechien
überhaupt reif sei - das meint er damit -, schnell aus der
Welt schaffen. Das richte ich als Appell an Sie. Sie schaden damit sich, Sie schaden unserem Land und Sie schaden den gegenseitigen Beziehungen. Heute wäre Gelassenheit angesagt.
({10})
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Petra Ernstberger für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen Debatte erhält diese Diskussion - so negativ man dazu stehen kann - eine Aufwertung, die sie in diesem Parlament
und damit in der Öffentlichkeit nicht unbedingt hätte erfahren müssen.
({0})
Man kann zu den Äußerungen von Premierminister
Zeman stehen, wie man will: Sie sind, wie Herr Staatsminister Zöpel gesagt hat, nicht gerade weise gewesen. Sie
sind auf einer Ebene angesiedelt, die wir eigentlich überwunden zu haben glaubten;
({1})
denn wenn man sich die Deutsch-Tschechische Erklärung
anschaut, dann erkennt man: Prag hat dort eindeutig erklärt, dass es den kollektiven Charakter von Schuldzuweisungen verurteilt.
Wir sollten an das anknüpfen, was wir bereits die
ganzen Jahre getan haben: Seit zehn Jahren können wir
auf eine ordentliche, zukunftsorientierte Arbeit - auch der
Vertriebenenverbände - zurückblicken. Wir alle sind in
unserer Arbeit von einem gemeinsamen Ziel, nämlich der
Westverlängerung Europas, geeint worden. Wir haben ein
gemeinsames Projekt: ein Friedensprojekt, ein Versöhnungsprojekt und ein Zukunftsprojekt.
Wir bewegen uns dabei in einer historischen und einer
moralischen Dimension. Denn die Osterweiterung bzw.
Westverlängerung ist nichts anderes als die Antwort Europas auf eine historische Entwicklung, nämlich auf den
Ersten und den Zweiten Weltkrieg sowie auf den Faschismus und den Stalinismus, der über Europa hereingebrochen war.
Die Frage, ob eine Osterweiterung stattfindet, stellt
sich eigentlich gar nicht. Vielmehr müssen wir jetzt gemeinsam, auch in den bilateralen Beziehungen zu Tschechien, die Chancen nutzen, um dieses Ereignis aktiv zu
gestalten. Das tun wir auch.
({2})
Wir tun dies in sehr vielen Gremien. Wir tun dies durch
den Zukunftsfonds, in dem 84 Millionen Euro installiert
sind, die zum Beispiel für Verbesserungen der Jugendzusammenarbeit eingesetzt werden können. Es bestehen Institutionen - in Regensburg zum Beispiel „Tandem“ -, die
sich speziell mit dem Austausch von jungen Menschen
befassen.
({3})
Es gibt den Koordinierungsrat, in dem ja auch einige von
uns, zum Beispiel Herr Schmidt, Mitglied sind. In diesem
Koordinierungsrat wird konstruktive Arbeit geleistet, und
zwar auch mit Herrn Posselt und auch mit Herrn Schöpker.
Das muss man eindeutig so sagen.
({4})
Diese positiven Ansätze werden von Herrn Professor
Pick untermauert und begleitet.
({5})
Er versucht, seine Arbeit in Tschechien mit seinen Intentionen zu leisten, was wirklich sehr hoch anzurechnen ist.
({6})
All dies müssen wir doch als eine positive Entwicklung
feststellen.
({7})
Es sind kleine Schritte, die wir tun.
({8})
Manchmal sind sie auch ein bisschen mühsam.
({9})
Aber im Grunde genommen sind die Schritte, die wir machen, erfolgreich.
({10})
In Bezug auf die Äußerungen des Premierministers,
glaube ich, dass ihn die österreichische Situation, die
Frage der Aufstellung der zweisprachigen Ortsschilder
und Ähnliches, provoziert hat. Das aber zeigt uns, dass
wir in einem Prozess, den wir als relativ normal bezeichnen, einsehen müssen, dass dieser Prozess nicht selbstverständlich ist, sondern dass wir immer noch hart an ihm
arbeiten müssen.
Wir dürfen nicht zulassen, dass wir einen Rückschritt
machen. Unsere Aufgabe ist es vielmehr voranzuschreiten. Wir müssen das Verdrängte wieder bewusst machen.
Wir müssen versuchen, dazu beizutragen, dass unsere
Nachbarn, auch in der Öffentlichkeit, wieder wahrgenommen werden. Die deutsche Öffentlichkeit befasst sich
eigentlich viel zu wenig mit Tschechien und seinen Problemen. Auch glaube ich, dass es ganz dringend notwendig ist, nicht nur eine deutsch-tschechische Erklärung abzugeben, sondern dass etwas Derartiges auch zwischen
Tschechien und Österreich geschehen sollte.
Vielen Dank.
({11})
Die nächste Rednerin
ist die Kollegin Erika Steinbach für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hätte es
schon begrüßt, wenn der deutsche Außenminister
während der Diskussion über eine so wichtige europäische Frage nicht streckenweise seine Akten bearbeitet
oder süffisant gelangweilt auf der Regierungsbank gesessen hätte.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als ich am Sonntag
Abend das Interview mit dem tschechischen Ministerpräsidenten in meinen Händen hielt, habe ich es drei Mal
durchgelesen.
({1})
Ich konnte und wollte nicht glauben, dass ein europäischer
Regierungschef, der Ministerpräsident eines Landes, das
Mitglied der Europäischen Union werden möchte, exakt
am fünften Jahrestag der deutsch-tschechischen Erklärung gegenüber der sudetendeutschen Volksgruppe
solche rassistischen Töne anschlägt. Das habe ich für unvorstellbar gehalten.
({2})
Die Äußerungen Zemans sind ganz einfach skandalös.
Sein Name wurde ja von fast keinem der Debattenredner
von der linken Seite dieses Hauses in den Mund genommen. Er wurde umgangen, als ob ein Niemand, ein Nobody, diese Äußerung getan hätte.
({3})
Es war der Regierungchef dieses Landes und keine geringe Größe. Es ist eine Verachtung der Tschechischen
Republik, wenn man so tut, als wäre der Regierungschef
dieses Landes ein Niemand.
({4})
Es war die wichtigste Persönlichkeit dieses Landes, nicht
irgendjemand. Herr Kollege Weisskirchen, auch Sie wissen das. Wenn Sie mit sich zu Rate gehen, werden Sie es
erkennen.
({5})
Diese Äußerungen haben eines plastisch deutlich gemacht: Bis zum heutigen Tage entschuldigt Zeman die
Rassenpolitik Edvard Benes‘ gegenüber den tschechoslowakischen Staatsbürgern deutscher Volkszugehörigkeit; denn das waren die Sudetendeutschen 1945. Er findet kein Wort des Mitleids, des Beileids, kein Wort der
Reue für diese Verbrechen, die damals geschehen sind.
Wer heute, im Jahre 2002, die Vertreibung der Sudetendeutschen - wie Zeman es schriftlich getan hat; er hat
es auch nicht stockbetrunken und nebenbei getan,
({6})
sondern schriftlich abgesegnet - als milde Strafe bezeichnet und die gesamte deutsche Volksgruppe der damaligen
Tschechoslowakei schuldig spricht, der hat von Menschenrechten, der hat vom Wertefundament Europas rein
gar nichts begriffen. Da gibt es große Defizite.
({7})
Es ist gelobt worden, wie konstruktiv die Gespräche
auf anderer Ebene sind. Das weiß ich; die Sudetendeutschen tun massiv das Ihre dazu.
({8})
Sie sind eben sogar namentlich erwähnt worden. Wer das
registriert, der muss aber auch sehen, dass die Aussagen
eines Ministerpräsidenten die besten Versöhnungspapiere
zu Makulatur werden lassen, wenn der Regierungschef
am Ende nicht geistig hinter dieser Versöhnungspolitik
steht. Er konterkariert sie.
({9})
Die historische Verantwortung für die tschechischen
Verbrechen an den deutschen Mitbürgern ab 1945 wird
nicht nur tabuisiert. Vielmehr wird sie durch diesen Regierungschef heutzutage entschuldigt und gerechtfertigt.
Für ein Europa des Friedens, das wir doch brauchen und
das wir wollen, ist eine menschenrechtsbewusste Aufarbeitung dieser Verbrechen aber unerlässlich. Denn
Menschenrechte sind nicht teilbar. Sie gelten für alle
Menschen gleichermaßen. Sie gelten natürlich auch für
die Sudetendeutschen.
({10})
Es ist ein Skandal, dass bis zum heutigen Tage in der
Tschechischen Republik Mörder von Sudetendeutschen
mit Billigung des tschechischen Gesetzgebers frei und ungestraft herumlaufen dürfen. Dass das nach wie vor so ist,
daran gibt es keinen Zweifel, Frau Vollmer. Es ist ein europäischer Skandal, dass die Entrechtungs- und Vertreibungsdekrete Edvard Benes‘, die 3 Millionen Menschen
ihrer Heimat, ihrer Würde oder ihres Lebens beraubt haben, heute immer noch Grundlage von Gerichtsurteilen
sind.
({11})
Das ist mit dem Wertekanon der Europäischen Gemeinschaft nicht zu vereinbaren.
({12})
Es spricht doch Bände, dass die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen die Tschechische Republik verurteilt hat, Entschädigung für Enteignung zu leisten. Diese Verurteilung ist wenige Wochen alt. Sie ist
taufrisch.
Glücklicherweise - darüber bin ich sehr froh - gibt es
in der Tschechischen Republik Intellektuelle, junge Menschen und auch viele Politiker, die das ganz genauso sehen. Sie wissen, dass wir dann ein gutes Miteinander in
Europa haben, wenn wir am Ende konstruktiv miteinander leben.
Frau Kollegin, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.
Ja, danke. - Liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Sozialdemokraten, ich
darf Sie daran erinnern, dass Wenzel Jaksch Sudetendeutscher war. Er musste nach Großbritannien emigrieren.
Das hat ihn nicht davor bewahrt, am Ende aus seiner Heimat vertrieben zu sein, ein Verfemter zu sein und sich als
Revanchist beschimpfen lassen zu müssen.
Das haben die Sudetendeutschen nicht verdient. Sie
hätten mit Sicherheit Worte der Zuwendung verdient. Es
ist Aufgabe des deutschen Bundeskanzlers, für seine
Sudetendeutschen, die beschimpft werden, beim tschechischen Ministerpräsidenten ein Wort einzulegen.
Frau Kollegin
Steinbach, ich bitte Sie! Es ist eine Aktuelle Stunde.
Bei allem Respekt vor
dem Amt des Außenministers: Herr Außenminister
Fischer, wenn ein Ministerpräsident sich äußert, ist ein
Außenminister nicht satisfaktionsfähig. Es ist Aufgabe
des Bundeskanzlers, darauf zu antworten.
({0})
Nächster Redner ist
der Kollege Markus Meckel für die SPD-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir eben hier erlebt haben, war schon hochproblematisch. Zu behaupten,
dass der Außenminister nicht fähig sei, für die Bundesregierung zu sprechen, ist schon ein ziemlich starkes Stück,
({0})
das ich grundsätzlich zurückweisen kann, zumal Ihnen
gesagt werden muss, liebe Kollegin: Was Sie eben hier gemacht haben, ist für das deutsch-tschechische Verhältnis
wahrhaftig in keiner Weise hilfreich.
({1})
Es ist in keiner Weise hilfreich,
({2})
weil es genau das nicht tut, was, wie Ulrich Irmer vorhin
deutlich gemacht hat, notwendig wäre: das Gesagte tief zu
hängen. Auch ich halte für falsch, was Ministerpräsident
Zeman gesagt hat. Ich halte es für falsch, in dieser Weise
kollektiv und allgemein von den Sudetendeutschen zu
sprechen. Dies entspricht auch nicht den historischen Tatsachen, auf die man klar hinweisen muss;
({3})
denn man darf nicht vergessen, dass sich, wie Volkmar
Gabert in einer Presseerklärung deutlich gemacht hat,
80 Prozent der sudetendeutschen Jugend 1937/38 beim
Mobilisierungsbefehl gemeldet haben und bereit waren,
gegen Hitler-Deutschland zu kämpfen. Das ist ein anderes Bild. Dass es unter Henlein auch Sudetendeutsche
gab, die den Einmarsch begrüßt haben, ist überhaupt
keine Frage. Aber lasst uns doch diese Vergangenheit mit
Historikern differenziert besprechen
({4})
und sie nicht zu einem Schlaginstrument der politischen
Auseinandersetzung machen. Dies wäre verfehlt.
({5})
Es ist wichtig, dass wir die Beziehungen im Geiste der
deutsch-tschechischen Aussöhnungserklärung miteinander gestalten. Das ist in diesem Interview so nicht geschehen. Ich bedaure das. Ich bin aber sicher - das zeigt
übrigens gerade die Debatte, die wir in diesen Tagen in der
Tschechischen Republik selbst haben -, dass genau das
passiert, was wir uns wünschen, nämlich dass in einem
Land, das über 40 Jahre nicht die Möglichkeit hatte, sich
offen und frei mit dieser Geschichte auseinander zu setzen, in dem viele noch nicht einmal die nötigen Informationen hatten, in dem die Betroffenen nicht darüber reden
konnten, diese Debatte beginnt.
Das ist ein großer Fortschritt. Auch diese durchaus
nicht glückliche Äußerung von Herrn Zeman befördert
diesen Diskussionsprozess. Ich freue mich, dass der Prozess vorankommt. Ich halte es für wichtig, dass wir ihn
nicht dadurch behindern, dass wir, Frau Steinbach, mit einem groben Klotz reagieren und dazu beitragen, die tschechische Gesellschaft zusammenzuschweißen, weil sie
sich insgesamt bedroht fühlt, und darüber hinaus, wie Sie
es in der Vergangenheit leider gemacht haben, solche Eigentumsfragen als Bedingungen für die Mitgliedschaft in
der Europäischen Union im Erweiterungsprozess stellen.
Hier muss klar sein, was der Bundeskanzler von Anfang an deutlich gesagt hat: Wir werden die Mitgliedschaft und den Erweiterungsprozess der Europäischen
Union nicht mit bilateralen Fragen belasten. Dazu gehört
ganz eindeutig diese Frage. Wir müssen dem Bundeskanzler dankbar dafür sein, dass er das so klar ausgesprochen hat.
({6})
- Es freut mich, Kollege Lamers, dass Sie das gesagt haben. Ich weiß, dass das in Bezug auf Sie stimmt, aber ich
weiß auch, dass das nicht für alle gilt.
({7})
Frau Steinbach wird Ihnen sagen können, wer ihre gegenteilige Position geteilt hat.
Wir sollten wirklich versuchen, den Dialog über die
Geschichte weiter voranzutreiben, und damit deutlich machen, dass die Geschichte uns nicht belasten darf. Das ist
das Wichtigste dieser Erklärung.
Natürlich wäre es hilfreich - auch diesen Gedanken kann
man durchaus aufgreifen -, wenn, wie es der tschechische
Ministerpräsident selber gesagt hat, diese Benes-Dekrete
heute keine wirksamen Rechtsakte mehr begründen dürften.
Genauso hilfreich wäre aber, wenn das tschechische Parlament dies einmal deutlich aussprechen würde.
({8})
Aber ich sage Ihnen gleichzeitig: Solche Fragen sollten
wir auf der angemessenen freundschaftlichen Ebene in
den Gremien, die wir dafür haben, besprechen, statt sie in
Attacken unterzubringen, die sich dann so anhören müssen, als würden wieder alte Instrumente benutzt. Genau
das wollen wir nicht. Wir wollen es in Deutschland nicht
und wir wollen die entsprechenden Geister auch in Österreich nicht bestärken. Das muss man ganz klar sagen und
das ist am Anfang hier ausgesprochen worden. Das, was
Herr Haider mit dem Volksbegehren, auf das Zeman reagiert hat, vorhat, ist der Versuch, den Erweiterungsprozess
und die Mitgliedschaft Tschechiens in der Europäischen
Union zu behindern. Dem müssen wir uns nun wahrhaftig mit aller Kraft und sehr deutlich entgegenstellen.
({9})
Ich kann uns alle nur aufrufen, Herrn Irmer folgend
diese Fragen eben nicht hoch zu hängen, sie nicht zu einem Staatsakt zwischen den Staaten zu machen, sondern
den gesellschaftlichen Dialog zwischen unseren beiden
Gesellschaften voranzutreiben, sodass wir den Aussöhnungsprozess, der zuallererst in der Gesellschaft stattfinden muss, weiter verfolgen können.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aber im Parlament dürfen wir noch darüber reden!
Wir müssen diejenigen, die diesen Prozess in der Tschechischen Republik begonnen haben - die waren die Ersten, denn Vaclav Havel hat begonnen, diese Frage auf der
entsprechenden Ebene zu beantworten -, die Politiker und
die Menschen aller Ebenen, entsprechend unterstützen.
Ich danke Ihnen.
({10})
Die nächste Rednerin
ist die Kollegin Erika Reinhardt für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
- Bei der CDU/CSU gab es einen Rednerinnen- und Rednertausch.
({1})
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war am Ende des
Zweiten Weltkrieges dreizehn Jahre alt. Ich werde die Bilder der Menschen, die vertrieben worden sind, nicht vergessen. Wie Sie wissen, wohnte ich an der Grenze zur
Tschechoslowakei in Österreich. Ich bin gebürtige Österreicherin. Es waren vor allem Frauen und Kinder, die innerhalb von zwei Stunden ihre Häuser und Wohnungen
verlassen mussten. Sie wussten nicht, wohin.
Die Vertreibung der Menschen aus ihrer Heimat, die
Vertreibung der Sudetendeutschen, die bis zu diesem Zeitpunkt mit ihren tschechischen Nachbarn sehr gut zusammengelebt hatten - es gab keine Differenzen, Einzelfälle
ausgenommen -, ist Unrecht und eine Menschenrechtsverletzung.
Trotz des Schmerzes über den Verlust der Heimat und
trotz des Unrechts und der Verbitterung ging von diesen
Menschen ein Signal der Hoffnung, ein Zeichen des Friedens und der Versöhnung aus. In der Charta der Heimatvertriebenen aus dem Jahre 1950 verzichteten die deutschen Vertriebenen ausdrücklich auf Rache und Vergeltung.
Herr Außenminister, man hat das Gefühl, Sie langweilen sich etwas bei dieser Debatte. Ich glaube, wir alle sollten sie etwas ernster nehmen.
({0})
Die Heimatvertriebenen verpflichteten sich zur Schaffung eines vereinten Europas. Sie haben einen der größten Beiträge zum Frieden in Europa geleistet, indem sie
die bestehenden Grenzen trotz der bitteren Erfahrungen
achteten und mittrugen. Mit dieser Haltung haben die
deutschen Heimatvertriebenen dazu beigetragen, dass im
Zusammenwachsen von Europa das Wissen um die geschichtliche Wahrheit zu einer verbindenden Klammer
und nicht zu einer feindlichen Mauer wurde.
Meine Damen und Herren, wenn sich heute der tschechische Ministerpräsident Milos Zeman hinstellt und die
Sudetendeutschen als Landesverräter beschimpft, dann
übt er nicht nur Verrat am europäischen Geist der Versöhnung und der Einigung, sondern stellt Menschen, die aus
ihrer Heimat vertrieben wurden, an den Rand von Verbrechern. Das ist unerhört und zutiefst verletzend.
({1})
Herr Minister, ich habe in der heutigen Fragestunde die
Antwort Ihres Staatsministers, die Äußerung von Herrn
Zeman sei nicht weise, wirklich nicht nachvollziehen
können. Ich finde, sie war unerhört und er müsste eigentlich von Ihrer Seite eine Rüge erteilt bekommen.
({2})
Es ist ja nicht das erste Mal, dass sich der tschechische
Ministerpräsident gegen die Sudetendeutschen in tiefster
Missachtung geäußert hat. Wir haben das schon einmal erlebt. Herr Zeman treibt damit einen Keil in das europäische Versöhnungswerk. Solange solche ehrverletzenden
Äußerungen im Raume stehen, kann es keine Aufnahme
der Tschechischen Republik in die EU geben.
({3})
- Ja, liebe Kollegin, ich bin schon dieser Meinung; denn
beide Seiten müssen aufeinander zugehen. Es kann nicht
sein, dass ein Ministerpräsident die Sudetendeutschen,
die nichts verbrochen haben und die man aus seinem
Lande vertrieben hat, ununterbrochen beleidigt. Ich
glaube, es ist notwendig, dass einmal ein versöhnendes
Wort aus dieser Richtung kommt und auch einmal eine
Entschuldigung zu hören ist.
({4})
Deshalb fordere ich die Regierung auf - ja, Herr
Außenminister, ich fordere Sie auf -, dem Ministerpräsidenten nahe zu legen, dass er sich entschuldigt und dass
er seine Aussage zurücknimmt; denn sie ist mehr als ehrMarkus Meckel
verletzend. Es ist die moralische Pflicht einer deutschen
Regierung, dies zu tun.
Wer gewalttätig aus seiner Heimat vertrieben wurde,
ist kein Landesverräter, sondern Opfer. Vertreibung ist
Unrecht - immer und überall. Vertreibung ist ein Verbrechen und eine Menschenrechtsverletzung.
Anfang Juli 2000 entschuldigte sich der Primas von
Böhmen im Beisein von 20 Bischöfen, des päpstlichen
Nuntius und zahlreicher Würdenträger für die Vertreibung. Die tschechische Jugendorganisation „Jugend für
interkulturelle Verständigung“ hat den Stadtrat der mährischen Stadt Brünn aufgefordert, die ehemaligen deutschen Bewohner der Stadt um Verzeihung zu bitten. Das
sind Zeichen der Versöhnung. Daran sollte sich der Ministerpräsident Milos Zeman messen lassen und daran
sollte er sich ein Beispiel nehmen.
({5})
Frau Kollegin, auch
Sie muss ich an Ihre Redezeit erinnern.
Wer ein einiges Europa
will, muss den Schutz ethnischer, nationaler und sprachlicher Minderheiten garantieren. Die Vertriebenen sind und
bleiben ein wichtiger Partner bei der europäischen Einigung und der Verständigung mit unseren östlichen Nachbarn.
({0})
Jetzt spricht der Bundesaußenminister Joseph Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin, Sie täuschen sich völlig, wenn Sie meinen, dass ich
mich gelangweilt hätte. Im Gegenteil: Als Sie persönliche
Dinge angesprochen haben, habe ich an das Schicksal
meiner eigenen Familie gedacht. Es ist für die Debatte
durchaus relevant. Meine Eltern waren in den Dreißigern,
meine Schwestern waren vier bzw. neun Jahre alt - ich
war noch nicht auf der Welt -, als es 1946 nach 200 Jahren plötzlich hieß, die Heimat in Ungarn zu verlassen und
in eine ungewisse Zukunft aufzubrechen.
Meine Mutter hat mir viel über diese Zeit erzählt. Sie
hat mir über das Unrecht der Vertreibung und über viele
andere schlimme Dinge erzählt. Sie hat mir von den Pfeilkreuzlern, den ungarischen Nazis, erzählt, bei denen viele
Volksdeutsche - aber bei weitem nicht alle - mitgemacht
haben. Sie hat mir von dem Todesmarsch der letzten
Überlebenden des Budapester Gettos, die von der SS
durch ein Dorf am Stadtrand von Budapest Richtung Westen getrieben wurden, erzählt. Sie hat mir also von einer
Tragödie erzählt, einer Tragödie, die sehr viele unschuldige Menschen das Leben gekostet hat.
Sie hat mir auch erzählt, dass die Verbrechen im Rahmen der Vertreibung hauptsächlich Unschuldige getroffen
haben, weil diejenigen, die sich schuldig gemacht haben,
mit der Wehrmacht meistens über alle Berge waren. Viele
von ihnen sind hinterher nicht zur Rechenschaft gezogen
worden. Manche von ihnen sind nach 1945 in den Vertriebenenverbänden wieder aufgetaucht, was nicht heißen
soll, dass in den Vertriebenenverbänden hauptsächlich
ehemalige Nazis waren.
Ich selbst war als Kind oft auf Tagen der Heimatvertriebenen, der Donauschwaben. Ich kann heute sagen,
dass das Verhältnis von Ungarn zu seinen ehemaligen
Bürgerinnen und Bürgern, zu den Donauschwaben, sehr
gut ist -, gründend auf der Versöhnung und wissend um
die Vergangenheit und um die Verantwortung.
Es ist nicht die Vergangenheit, mit der wir es heute zu
tun haben - auch wenn sie für die Gestaltung der Zukunft
wichtig ist -, sondern es ist das gemeinsame Europa. Wenn
diese Debatte einen Sinn macht, dann den, dass sie vergegenwärtigt, was die wirkliche Ursache für die europäische
Integration ist, nämlich nicht, dass wir das Zeitalter der
Nationen überwinden - die werden fortexistieren -, sondern dass wir das Zeitalter des Nationalismus überwinden.
Diese Debatte zeigt, dass nationalistische Kräfte durchaus
auch heute wieder dabei sind, das europäische Einigungswerk zumindest infrage zu stellen. Ich glaube, um es wirklich zu gefährden, sind sie zu schwach.
({0})
Lassen Sie mich ausführlich aus einer Drucksache des
Deutschen Bundestages aus der 13. Wahlperiode zitieren,
nämlich aus der Deutsch-Tschechischen Erklärung über
die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung. Das war noch unter
Die deutsche Seite bekennt sich zur Verantwortung
Deutschlands für seine Rolle in einer historischen
Entwicklung, die zum Münchner Abkommen von
1938, der Flucht und Vertreibung von Menschen aus
dem tschechoslowakischen Grenzgebiet sowie zur
Zerschlagung und Besetzung der Tschechoslowakischen Republik geführt hat.
Sie bedauert das Leid und das Unrecht, das dem
tschechischen Volk durch die nationalsozialistischen
Verbrechen von Deutschen angetan worden ist. Die
deutsche Seite würdigt die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft und diejenigen, die dieser
Gewaltherrschaft Widerstand geleistet haben.
Die deutsche Seite ist sich auch bewusst, dass die nationalsozialistische Gewaltpolitik gegenüber dem
tschechischen Volk dazu beigetragen hat, den Boden
für Flucht, Vertreibung und zwangsweise Aussiedlung nach Kriegsende zu bereiten. ...
Die tschechische Seite bedauert, dass durch die nach
dem Kriegsende erfolgte Vertreibung sowie zwangsweise Aussiedlung der Sudetendeutschen aus der damaligen Tschechoslowakei, die Enteignung und Ausbürgerung unschuldigen Menschen viel Leid und
Unrecht zugefügt wurde, und dies auch angesichts
des kollektiven Charakters der Schuldzuweisung. Sie
bedauert insbesondere die Exzesse, die im WiderErika Reinhardt
spruch zu elementaren humanitären Grundsätzen
und auch den damals geltenden rechtlichen Normen
gestanden haben, und bedauert darüber hinaus, dass
es aufgrund des Gesetzes Nr. 115 vom 8. Mai 1946
ermöglicht wurde, diese Exzesse als nicht widerrechtlich anzusehen, und dass infolge dessen diese
Taten nicht bestraft wurden. ...
Beide Seiten stimmen darin überein, dass das begangene Unrecht der Vergangenheit angehört, und werden daher ihre Beziehungen auf die Zukunft ausrichten. Gerade deshalb, weil sie sich der tragischen
Kapitel ihrer Geschichte bewusst bleiben, sind sie
entschlossen, in der Gestaltung ihrer Beziehungen
weiterhin der Verständigung und dem gegenseitigen
Einvernehmen Vorrang einzuräumen, wobei jede
Seite ihrer Rechtsordnung verpflichtet bleibt und respektiert, dass die andere Seite eine andere Rechtsauffassung hat. Beide Seiten erklären deshalb, dass
sie ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit
herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten werden.
Ende des Zitats.
({0})
Ich möchte an alle appellieren - wenn ich sage, an alle,
dann meine ich auch unsere tschechischen Partner -, dies
zur Grundlage für die gemeinsame Zukunft in einem sich
erweiternden, zusammenwachsenden Europa zu machen.
Auf dieser Grundlage kann die Bundesregierung nicht
den Vorwurf oder die These der Kollektivschuld akzeptieren. Wo es keine Kollektivschuld gibt, kann es auch
keine Kollektivstrafen geben. Vertreibung und Enteignung wurden von uns immer als Unrecht begriffen.
Dennoch, wir wissen um das Umfeld dieser Debatte.
Ich freue mich, dass mein Kollege Jan Kavan, mit dem ich
gestern gesprochen habe, heute ein - wie ich finde - sehr
hilfreiches Interview in einer tschechischen Zeitung gegeben hat, in dem er sich ebenfalls auf die Deutsch-Tschechische Erklärung als die gemeinsame Grundlage der Zukunftsgestaltung bezieht. Insofern möchte ich an alle Seiten,
auch an unsere tschechischen Partner, appellieren, dass
wir uns auf die Zukunft konzentrieren. Die Erweiterung
ist die Zukunft.
Es gibt einen Punkt, den ich nicht akzeptieren kann:
Wir dürfen jetzt keine zusätzlichen Erweiterungshemmnisse aufbauen.
({1})
Das kann und darf es nicht geben. Das sollten wir hier völlig klar machen.
({2})
- Es nützt auch gar nichts, wenn Sie hier permanent den
Namen des tschechischen Ministerpräsidenten wiederholen.
Ich denke, die Reaktion der tschechischen Öffentlichkeit hat völlig klar gemacht, dass auch dort bestimmte
Äußerungen durchaus kritisch gesehen werden. Auch dort
gibt es eine europäische Orientierung. Deswegen ist für
uns völlig klar: Wir wollen die sehr guten Beziehungen
zwischen der Tschechischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland, gründend auf der Deutsch-Tschechischen Erklärung, auf höchstem Niveau fortentwickeln.
Wir arbeiten an der Osterweiterung der Europäischen
Union, weil sie in Europa nicht mehr zulassen wird, dass
aus dem Nationalismus Unheil und schlimme Tragödien
entstehen. Das ist der Grundansatz der europäischen Integration, die nach dem Ende des Kalten Krieges jetzt auch
unsere östlichen Nachbarn umfassen wird.
Wir wollen keine neuen Beitrittshemmnisse. Ich habe
auch bei meinem Besuch in Österreich gesagt,
({3})
dass es keine neuen Beitrittshemmnisse geben darf und
dass auch keine sozusagen ökologisch verbrämten Kampagnen gemacht werden dürfen,
({4})
die in Wirklichkeit nichts anderes bezwecken, als nationalistische Stimmungen gegen Nachbarn zu mobilisieren,
um hier Beitrittshemmnisse aufzubauen. Davor kann ich
nur alle warnen.
In diesem Geiste und auf der klaren Grundlage der
Deutsch-Tschechischen Erklärung und auf der Position,
die ich gerade genannt habe, nämlich dass wir eine Kollektivschuld nicht akzeptieren können, dass sie historisch
nicht begründet ist, dass es auch Sudetendeutsche gab, die
Widerstand gegen Hitler geleistet, die loyal zur damaligen
Tschechoslowakischen Republik gestanden haben - hier
wurden genügend Beispiele angeführt -, sind auch Kollektivstrafen nicht akzeptabel und können schon gar nicht
schwerste Menschenrechtsverletzungen hinterher als
Recht bezeichnet werden. Das ist die gemeinsame Grundlage der Deutsch-Tschechischen Erklärung. Dies gilt hierfür genauso wie für unsere fortwährende Verantwortung
für die Verbrechen Nazideutschlands.
Wenn wir uns dieser gemeinsamen Verantwortung für
die Zukunft bewusst sind, werden wir die anstehenden
Fragen partnerschaftlich lösen. Ich denke, das wird auch
die tschechische Seite so sehen. Mein Besuch anlässlich
des fünften Jahrestages der Verabschiedung der DeutschTschechischen Erklärung im Februar wird hoffentlich die
letzten Irritationen ausräumen. Wir haben ein Interesse an
guter Nachbarschaft und einer möglichst schnellen
Osterweiterung. Unsere tschechischen Freunde sind uns
willkommen.
({5})
Nächster Redner ist
der Kollege Christian Schmidt für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
In Niederbayern, wo der von mir vorhin in meinem Zwischenruf, Frau Präsidentin, gebrauchte süddeutsche Ausdruck einen Bedeutungswandel vom konkret Dinglichen
zum abstrakt Geistigen durchgemacht hat und besagt:
„Das ist unzutreffend“ denken die Grünen allerdings hinsichtlich Temelin etwas deutlicher als Sie, Herr Spitzenkandidat und Außenminister. Es entbehrt nicht einer
gewissen Delikatesse, dass der grüne deutsche Außenminister den Österreichern auszureden versucht, sich gegen Temelin zu äußern.
({0})
Ich will durchaus würdigen, dass sich in Melk eine Lösung angebahnt hat. Aber wenn ich den zum Teil erbitterten Widerstand gegen Temelin - gerade im ostbayerischen
Grenzgebiet auch von Ihrer eigenen Partei - sehe,
({1})
würde ich dieses Thema nicht ohne weiteres nur einem
Menschen zuschreiben, der zugegebenermaßen damit
auch andere Ziele durchzusetzen versucht. Das Thema
muss ernsthaft diskutiert werden.
Allerdings halte ich es für falsch, dass man an diesem
oder an einem anderen Thema die Beitrittsfragen der Europäischen Union in Bezug auf ein einzelnes Land neu
durchdekliniert. Es handelt sich um allgemeine Beitrittsregeln. Diesem Missverständnis unterliegt offensichtlich
auch der jedenfalls nach diesen Äußerungen persönlich
nicht beitrittsfähige Herr Zeman. Gott sei Dank nehmen
wir nur Länder auf und keine Ministerpräsidenten mit
problematischen Äußerungen.
Wie beim europäischen Stabilitätspakt ist es nicht damit getan, zu meinen, man rutsche in die Europäische
Union hinein und alle Fragen seien gelöst, ganz im Gegenteil: Dies wird ein politischer Stabilitätspakt auch in
die Zukunft hinein sein. Das macht es für mich gut begründbar zu sagen: Ich nehme hier keine Position nach
dem Motto „Wenn nicht, dann nicht“ ein. Dies möchte ich
doch noch einmal an die Adresse der Kollegin Vollmer sagen, die hier vollmundig argumentiert hat.
Die Beschlusslage der CDU in diesen Fragen kenne ich
relativ gut, die der CSU sehr gut, weil ich an ihr nicht unbeteiligt bin. Ich kann Ihnen ganz klar sagen, dass man in
sehr abgewogener und differenzierter Form die Fragen
bespricht und sagt:
({2})
Wir werden, wenn Tschechien Mitglied der Europäischen
Union ist - dieses Recht werden wir uns und wird sich die
Europäische Union nehmen -, die Fragen anhand der europäischen Rechtsstandards überprüfen.
Ich habe einen Kronzeugen, den ich gern zitieren
möchte. Diejenigen, die beim Gesprächsforum im Rahmen der deutsch-tschechischen Arbeit dabei sind, werden
sich vielleicht noch daran erinnern, dass, als wir in Brünn
vor, ich glaube, zwei oder drei Jahren
({3})
zusammensaßen - Günter Verheugen war damals gerade
EU-Kommissar geworden und noch Kovorsitzender des
Gesprächsforums -, die tschechischen Partner in Anwesenheit des Präsidenten des tschechischen Verfassungsgerichtes darauf hingewiesen haben, dass die Rechtsstandards, auch was die fortwirkenden Rechtsfolgen der
Benes-Dekrete betrifft - es gibt ja solche nicht nur in
Grundstücks- und Statusfragen -, nach dem Maßstab der
europäischen „Hausordnung“ zu prüfen sind.
Das ist der Punkt, über den nicht ein deutscher, sondern
in der Tat vor allem ein innertschechischer Dialog geführt
werden muss. Es kann doch niemanden in Tschechien unberührt lassen, wenn der UN-Menschenrechtsausschuss
feststellt, dass die tschechische Gesetzgebung zu Rückgabe und Entschädigung konfiszierten Eigentums dem
Pakt über bürgerliche und politische Rechte widerspricht,
also völkerrechtswidrig ist.
Überträgt man diesen Punkt auf die europäische
„Hausordnung“, bedeutet das, dass man sich seiner selbst
bewusst werden muss. Dass wir dazu nur einen beschränkten Beitrag leisten können, weiß auch ich. Die
Diskussion, bei der erfreulicherweise gerade in den letzten beiden Tagen - es gibt nichts Schlechtes, worin nicht
auch ein klein wenig Gutes ist - Töne angeschlagen wurden - in Tschechien selbst, ob in „Mlada Fronta dnes“,
von Herrn Dolezal oder auch vom Außenminister -, die
durchaus im Sinne der Erklärung sind, Herr Minister, die
auch unsere und meine Zustimmung haben - sie sind nicht
ganz unbeeinflusst von unseren Gedanken gewesen -,
bietet eine Basis für die Zukunft.
Wenn es irgendjemand gewesen wäre, hätte man es damit abtun können. Wenn es aber der Ministerpräsident
dieses Landes ist, dann muss er sich schon gefallen lassen,
dass man ihm - ohne dass man sich vorhalten lassen muss,
man würde Ungeziemendes tun - bei diesen Fragen sagt:
Mein Lieber, sehr verehrte Exzellenz, so bist du für Europa nicht reif! Es ist erfreulich, dass es in deinem Land
andere Gedanken gibt, die dein Land für Europa reif machen. So trägst du nicht dazu bei.
({4})
Nächster Redner ist
der Kollege Christoph Zöpel für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns
hier einig: Kollektivschuld gibt es nicht. Das sage ich gegen jeden, der so etwas behauptet, und für jeden, dem so
etwas zugemutet wird. Dieser Einsicht entspricht aber ein
Zweites: Nachfolgende Generationen können sich nie aus
der Geschichte des Staatsvolkes, zu dem sie gehören, freikaufen. Beides gilt. Die Verallgemeinerung dieser beiden
Erkenntnisse ist: Niemals gibt es nur Täter und niemals
gibt es nur Opfer.
({0})
Es gibt eine weitere Erkenntnis; mit ihr sollten wir mit
selbstkritischer Nachsicht umgehen: Es ist einfacher, sich
selbst an seine Opferrolle zu erinnern als an seine Täterrolle. Das gilt auch für nachfolgende Generationen. Es
gibt keinen Zweifel, dass sich viele Tschechen - auch Repräsentanten des politischen Systems Tschechiens - auch
nach 1989 schwer tun, die Täterrolle zu sehen. Aber auch
Deutschland hat lange gebraucht, bis es die Entscheidung
traf, Zwangsarbeiter zu entschädigen. Auf beiden Seiten
gibt es das also.
Ich habe seit zwei Jahren Gelegenheit, mich intensiver
mit dem Verhältnis der Tschechen und der Deutschen zu
beschäftigen. Das Verhältnis der Polen und der Deutschen
kannte ich aus meiner Biografie besser. Ich konnte viel
zuhören und habe viel gelernt. Beispielhaft für Menschen,
von denen ich gelernt habe, nenne ich Otto Pick und
Volkmar Gabert.
Aus dem, was ich von ihnen und anderen gelernt habe,
ziehe ich folgende Konsequenzen: Wenn Tschechen und
Deutsche aus dem immer noch vorhandenen Dilemma mit
dem Verhältnis von Opfer- und Täterrolle nicht zurechtkommen können - gemeinsam und einzeln -, dann macht
es Sinn, dass sie nach den Gründen fragen, wann Staaten
und Völker Opfer und wann sie Täter werden. Wenn wir
darüber nachdenken, kommen wir vielleicht zu anderen
Ansätzen.
Ich habe in manchen Diskussionen einen Gedanken für
tragfähig gehalten, den ich hier wiederholen möchte.
Wenn wir beide sagen, dass es nicht Tschechen und Deutsche waren, die sich teilweise gegenseitig Leid - das es
nie hätte geben sollen - angetan haben, sondern dass es
die Situation war, in der sie durch Faschismus, Kommunismus und irregeleiteten Nationalismus dazu kamen, und
dass es dies aufzuarbeiten gilt, anstatt abwegig in dem
Verhältnis zweier Völker herumzurühren, dann wäre das
ein Fortschritt. Daraus kann man dann die positive Folgerung ziehen: Die Demokratie und vor allem auch die Zusammenarbeit von Demokratien bieten die historische
Form, in der das vermieden wird. Wir versuchen, den Weg
in die Europäische Union in Zukunft zusammen mit den
Tschechen zu gehen.
Im Vorfeld - das ist für mich eine Konsequenz aus der
Debatte, die zu Beginn dieser Woche mit den Äußerungen
des tschechischen Premierministers begonnen hat - sollten wir unsere gemeinsamen Bemühungen beschleunigen
und intensivieren und sollten danach streben, nachdem
Deutschland - den Kontext sehe ich schon - in einem weiteren Schritt, seine Täterrolle aufzuarbeiten, entschieden
hat, Zwangsarbeitern Genugtuung zukommen zu lassen
- in der ganzen Relativität, die da ist - Deutschen, denen
von Tschechen Unrecht angetan wurde, über das Wort hinaus - das Wort ist wichtig - Genugtuung zukommen zu
lassen. Das ist das eine. Das sollten wir intensivieren und
beschleunigen. Das ist für mich die Konsequenz aus dem,
was Zeman gesagt hat.
({1})
Das Zweite ist dann aber: Tschechen und Deutsche
diskutieren bereits im Rahmen europäischer Innenpolitik
miteinander. Auch Tschechen und Österreicher und
Österreicher und Deutsche tun dies. Meine letzten Worte
ergeben sich aus dem Sinn europäischer Innenpolitik.
Regierungen müssen in der derzeitigen Verfassungskonstitution Europas noch zwischen der Rolle der Diplomatie und der Teilnahme am innenpolitischen und innereuropäischen Dialog teilweise hin- und herjonglieren,
was nicht so einfach ist. Aber hier in der Parlamentsdebatte diskutiere ich als Teilnehmer an dem Diskurs europäischer Innenpolitik.
In diesem Zusammenhang sage ich: Das Volksbegehren in Österreich verstößt - aus welchen Motiven auch
immer es angestoßen wurde - gegen das Ziel, die europäische Integration so schnell wie möglich zu schaffen.
({2})
Es wäre gut, wenn es alle Österreicher schaffen würden,
das zu lassen. Die Worte von Zeman verstoßen gegen dieses Ziel. Das sage ich hier sehr deutlich.
({3})
Ich hoffe, dass er dies in der innereuropäischen Diskussion selber sieht und es schafft, daraus einen positiven
Beitrag wachsen zu lassen.
Ich habe die Bitte an alle: Es macht keinen Sinn, auf einen Fehler - aus welchen Motiven auch immer er gemacht
wurde - in der eigenen Rede wieder einen weiteren Fehler folgen zu lassen. Die Debatte, die besagt, dass diese
Worte des tschechischen Premierministers signalisieren
könnten, Tschechien sei nicht bereit und fähig, in die Europäische Union zu kommen, hilft uns nicht weiter. Das
Gegenteil ist der Fall. Solche Situationen, Fehler, Patzer
und Unweisheiten müssen eigentlich eher die Anstrengungen beflügeln, nach der Aussöhnung im deutsch-französischen Verhältnis in den 50er-Jahren jetzt die Vollendung herbeizuführen. Verbundene Demokratien werden
es vermeiden, dass sich Völker, irregeleitet von totalitären
Ideologien, wieder Leid antun. Wenn wir Europäer sind,
dann darf uns davon nichts, kein Haider - aus anderen
Motiven - und kein Zeman, daran hindern.
Herzlichen Dank.
({4})
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Karl Lamers für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dankbar, dass als letzter Redner für die SPD-Fraktion der Kollege Zöpel gesprochen hat. Ihr Beitrag, Herr Kollege Weisskirchen, war
wirklich problematisch.
Ich halte es für völlig unangebracht, denjenigen, die
auf diese unmöglichen Äußerungen von Zeman reagieren,
die Verantwortung für den eingetretenen Schaden zuzuschieben.
({0})
Sie, Herr Zöpel, haben heute in der Fragestunde - ich
bedanke mich dafür - die Reaktion der Sudetendeutschen
auf diese Äußerungen maßvoll genannt und sie begrüßt.
Das stimmt überhaupt nicht mit dem überein, was die
Kollegin Vollmer gesagt hat. Sie ist nicht mehr hier, sonst
würde ich ihr einiges sagen.
Ich habe den Eindruck, dass, nachdem sie seinerzeit
versucht hat, eine Vermittlerrolle zwischen den Vertriebenen und den Tschechen einzunehmen, und sie nicht sofort
auf Händen getragen wurde, sie dies in eine persönliche
Verärgerung versetzt hat - um es ganz zurückhaltend zu
formulieren -, die schädlich ist, weil sie nämlich das beeinträchtigt, worauf es jetzt ankommt. Es kommt doch
jetzt darauf an, dass die wirklich inakzeptablen Äußerungen des tschechischen Ministerpräsidenten nicht dazu
geführt haben, dass in Tschechien eine Solidarisierung
mit ihm erfolgt, sondern ganz im Gegenteil dazu, dass
eine kritische Debatte über ihn geführt wird.
Seine Äußerungen waren für mich ein fataler Rückfall
in eine Denkweise, von der ich den Eindruck hatte, dass
sie allmählich in Tschechien überwunden wird. Dazu haben die Sudetendeutschen viel beigetragen. Denn entgegen der Äußerung von Herrn Zeman bei seinem ersten
Besuch in Bonn - seinem Treffen mit Bundeskanzler
Schröder - werden die Benes-Dekrete dort noch angewandt. Die Sudetendeutschen haben das moniert, aber
keine große Sache daraus gemacht und schon gar nicht
gesagt: Das muss weg, bevor die Tschechische Republik
in die Europäische Union eintritt. - Deswegen sind auch
die Ermahnungen, keine neuen Hindernisse für die Mitgliedschaft Tschechiens in der Europäischen Union aufzubauen, an die verkehrte Adresse gerichtet, Herr Minister.
({1})
Das tut niemand. Ich darf Sie noch einmal daran erinnern, dass wir und der damalige CSU-Vorsitzende und
bayerische Ministerpräsident seinerzeit gesagt haben,
dass das keine Bedingungen für eine Mitgliedschaft
Tschechiens in der Europäischen Union sind. Wir möchten das gerne weghaben, aber es sind keine Bedingungen.
In Wirklichkeit schafft Herr Zeman neue Schwierigkeiten. Es kann doch kein Zweifel bestehen: Wenn er
diese Äußerungen vor dem Volksbegehren in Österreich
gemacht hätte, dann hätte es mindestens doppelt so viele
Stimmen für das Volksbegehren gegeben.
Wer also schafft die Bedingungen? Wer erschwert den
Beitritt Tschechiens?
Herr Minister, Sie haben lange aus der Deutsch-Tschechischen Erklärung zitiert. Ich interpretiere das so, dass
Sie die Äußerungen von Herrn Zeman - gerade was das
Thema Kollektivschuld angeht - als im Widerspruch zu
der Deutsch-Tschechischen Erklärung stehend ansehen.
Ich hoffe, dass Sie das dann deutlicher sagen. Ich verstehe, dass Sie sich als Mitglied der Regierung einer gewissen Zurückhaltung befleißigen müssen. Aber bitte sagen Sie Ihren Kollegen, dass Herr Zeman die Sache
irgendwie in Ordnung bringen muss.
({2})
So kann das nicht stehen bleiben,
({3})
und zwar ganz entscheidend deswegen, weil es nicht nur
im Widerspruch zu der Deutsch-Tschechischen Erklärung
steht, sondern auch zum europäischen Geist.
({4})
Was Herr Zeman betreibt, ist im Grunde schlimmster
Populismus - und zwar nationalistischer, also Rechtspopulismus. Das ist wirklich völlig unvereinbar; denn die
Grundvoraussetzung für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist die Abkehr vom Nationalismus. Insofern stimme ich dem Kollegen Schmidt ausdrücklich
zu. Tschechien - das glaube ich unverändert - ist reif für
die Mitgliedschaft, aber Herr Zeman nicht. Aber leider ist
Herr Zeman Ministerpräsident dieses Landes. Er leistet
seinem Land einen Bärendienst.
Die Diskussion in Tschechien, die zwar noch nicht so
weit ist wie die in Polen, die aber in den letzten zwei Jahren beachtliche Fortschritte gemacht hat, muss dazu
führen - darauf sollten wir hinwirken -, dass solche Äußerungen wie die von Herrn Zeman in Tschechien selbst
nicht mehr akzeptiert werden. Herr Minister, dazu kann
die Bundesregierung Entscheidendes beitragen. Sie muss
klar machen, dass so etwas auch von der deutschen Regierung nicht toleriert wird.
({5})
Dann werden Sie die Diskussion in Tschechien in die richtige Richtung bewegen.
Vielen Dank.
({6})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 24. Januar 2002,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.