Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/12/2001

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Gerhard Schröder (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002078

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht das erste Mal in der Nachkriegsgeschichte, dass die Völker Europas aufgrund schwieriger Entwicklungen in der Welt vor der Frage stehen: Brauchen wir zur Lösung der Probleme weniger oder brauchen wir mehr Europa? 1954 zum Beispiel hatte Jean Monnet, einer der europäischen Gründerväter, angesichts des beginnenden Kalten Krieges die Gründung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft angeregt. Er war davon überzeugt - übrigens darin kräftig unterstützt von den Vereinigten Staaten von Amerika -, dass die neuen Herausforderungen nur mit einem Mehr an Europa bewältigt werden könnten. Wir wissen heute: Damals waren die Zeiten noch nicht danach. Der Plan einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft scheiterte an nationalstaatlichen Befindlichkeiten. Heute, nach mehr als 40 Jahren gelungener europäischer Integration, sind wir erheblich weiter. Die Antwort auf die jüngsten Herausforderungen durch den internationalen Terrorismus, aber auch durch die Entwicklung der Weltkonjunktur war nicht ein isoliertes nationalstaatliches Handeln. Es ist vielmehr vor dem Rat in Laeken Konsens in der Europäischen Union, dass die Antwort auf die Herausforderungen ein Mehr an internationaler, vor allem aber an europäischer Zusammenarbeit sein muss. ({0}) Nach den grausamen Anschlägen vom 11. September hat sich unter dem Dach der Vereinten Nationen eine handlungsfähige Allianz gegen den internationalen Terrorismus gebildet. Dies war nicht zuletzt ein Erfolg europäischer Bemühungen. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten haben durch kluge Koordination ihrer wirtschaftlichen, diplomatischen und militärischen Aktivitäten Wertvolles zum Aufbau und zur Stabilisierung der Antiterrorallianz geleistet. Durch den entschlossenen militärischen Einsatz der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten konnte das menschenverachtende Taliban-Regime gestürzt werden. Die Infrastruktur, über die das Terrornetz von Osama Bin Laden in Afghanistan verfügte, ist weitgehend zerschlagen. Aber da konnte und wollte die Staatengemeinschaft nicht stehen bleiben. Die Vereinten Nationen waren es, die die Vertreter der wichtigsten Bevölkerungsgruppen Afghanistans zu einer Konferenz auf den Bonner Petersberg eingeladen haben. Diese Konferenz ist mit einem wegweisenden Ergebnis zu Ende gegangen. Damit hat das afghanische Volk nach zwei Jahrzehnten Krieg und Bürgerkrieg wieder eine begründete Perspektive auf ein Leben in Würde und Freiheit, auf ein Ende des Hungers und auf wirtschaftlichen Wiederaufbau. ({1}) Diese Perspektive muss jetzt zügig und konsequent verwirklicht werden. Europa und natürlich auch Deutschland werden diesen Prozess nach Kräften unterstützen. Schon das Votum der Vereinten Nationen und der afghanischen Repräsentanten für den Konferenzort Petersberg war nicht nur ein Zeichen der Anerkennung des deutschen und europäischen Engagements - so verstehen wir es -, sondern auch Verpflichtung und Auftrag. Deshalb ist die Bundesregierung bereit, dass sich Deutschland im europäischen Rahmen auf der Grundlage eines klaren Mandats durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an einer multinationalen Friedenstruppe beteiligen wird. Dabei gehört unmittelbar zu unserem politischen Selbstverständnis, dass wir über das zukünftige Engagement in Afghanistan im Rahmen der Europäischen Union Einigkeit erzielen. Ich bin sicher, dass der Gipfel von Laeken dies leisten wird. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters Die Vereinten Nationen - ich denke, das gehört festgestellt - haben im Kampf gegen den Terrorismus in beeindruckender Weise Verantwortung bewiesen und Führung übernommen. Der Friedensnobelpreis, den Kofi Annan am vergangenen Montag für sich und für die Weltorganisation entgegengenommen hat, ist ein großartiger Ausdruck der Wertschätzung und der Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft. Ich denke, alle Mitglieder dieses Hohen Hauses werden sich dem mit Dank und Anerkennung anschließen. ({2}) Die Stärkung der Vereinten Nationen ist ein elementares Interesse der gemeinsamen europäischen Außenpolitik, und zwar nicht nur im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, der noch längst nicht zu Ende ist, sondern auch für die Lösung anderer Konflikte. Wir werden in Laeken unsere große Besorgnis über die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten deutlich machen. Die europäischen Außenminister haben die gemeinsame europäische Position beschlossen: Das Recht Israels, in Frieden und in Sicherheit zu leben, muss ebenso Grundlage jeder Konfliktlösung sein wie das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung und auf Bildung eines eigenen Staates. ({3}) Klar ist für uns Deutsche: Das Existenzrecht Israels ist nicht verhandelbar. Es ist und bleibt unveräußerliche Grundlage deutscher Politik. ({4}) Eine weitere Eskalation der Gewalt im Nahen Osten führt weder zu mehr Sicherheit noch zu größeren Aussichten, zu einer gerechten Lösung dieses Konfliktes zu kommen. Eine Duldung oder auch nur die halbherzige Verfolgung terroristischer Attentäter gefährdet den gesamten Friedensprozess. ({5}) Präsident Arafat und die palästinensische Autonomiebehörde müssen deshalb jetzt nicht nur der Eskalation der Gewalt Einhalt gebieten. Sie müssen vielmehr die Terrorstrukturen, die es dort gibt, vollständig auflösen. Der Gewalt der Kontrahenten werden wir mit noch intensiveren Bemühungen begegnen, um zu einem Ende der Gewalt und der Rückkehr zu einem Prozess des gerechten Verhandlungsfriedens beizutragen. Wir, die Deutschen, tun dies im Rahmen der Europäischen Union. Wir tun dies gemeinsam mit den Vereinigten Staaten von Amerika, aber auch gemeinsam mit anderen internationalen Partnern. So gehört etwa Russland in diese Bemühungen unbedingt einbezogen. In den letzten Wochen ist gelegentlich die Befürchtung geäußert worden, dass wir gerade in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zusehends in eine Konfrontation zwischen großen und kleinen Mitgliedstaaten hineingerieten. ({6}) Sogar die Sorge vor einer Renationalisierung der Außenpolitik ist zum Ausdruck gebracht worden. Ich möchte ganz klar machen: Die Bundesregierung teilt solche Befürchtungen nicht und sie sieht auch keinen Grund für solche Befürchtungen. Gewiss gibt es in der Europäischen Union Unterschiede. So hätten manche die europäische Afghanistanpolitik lieber stärker eingegrenzt und etwa das Militärische als Ultima Ratio ganz ausgegrenzt. Das hat aber nichts mit großen oder kleinen Mitgliedstaaten zu tun, sondern eher mit Gleichzeitigkeit im Ungleichzeitigen. Manchen Mitgliedstaaten fällt es aufgrund ihrer nationalen Traditionen schwerer, Außenpolitik als europäische Außenpolitik auch über Europa hinaus zu denken. Das ist nicht zu kritisieren. Im Gegenteil: Ich halte die Besonnenheit und die Ernsthaftigkeit, mit denen in europäischen Gesellschaften über die Antwort der Staatengemeinschaft auf den internationalen Terrorismus diskutiert worden ist, für ein erfreuliches Zeichen, ein Zeichen zivilisatorischen Fortschritts. ({7}) Tatsache ist, dass wir in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik auch über Defizite reden müssen, die es unbezweifelbar gibt. Aber auch hier heißt die Antwort: nicht weniger, sondern mehr Europa. Seit der Zeitenwende von 1989, deutlich spürbar seit unserem Engagement im Kosovo-Konflikt und wirklich mit Händen zu greifen seit dem 11. September, werden uns Deutschen die veränderten Bedingungen in der Außen- und Sicherheitspolitik und auch unsere gewachsene internationale Verantwortung zunehmend bewusst. Diese gewachsene internationale Verantwortung können und wollen wir nicht aus dem europäischen Kontext herauslösen. Vor allem vor dem Hintergrund der Kriege in Bosnien und im Kosovo hatten wir unter deutscher Präsidentschaft in Köln einen Fahrplan für die Ausgestaltung einer eigenständigen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik verabschiedet. Dabei galt die Devise - sie gilt noch -, dass die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik eben keine Alternative zur NATO darstellt, sondern eine Stärkung und Ergänzung der NATO bedeutet. Auch insofern erfüllen wir in gewisser Weise das bereits zitierte Vermächtnis Jean Monnets. Wir werden in Laeken in der Lage sein - das sollte man ruhig als Erfolg für Europa hervorheben -, die Einsatzfähigkeit dessen, was Europa darstellt, zu konstatieren. Damit haben wir erste, wenn auch noch keineswegs vollständige europäische Fähigkeiten zur Krisenreaktion. Mehr Europa - das heißt nicht allein mehr Quantität, sondern auch mehr Qualität, will sagen: mehr Antriebskraft. Deutschland und Frankreich haben in Nantes am 22. November durch ihre Erklärung zu den europapolitischen Prioritäten gezeigt, dass sich unsere beiden Länder auch weiterhin der Verantwortung stellen, Motor der europäischen Integration, aber eben auch Motor der europäischen Modernisierung zu sein. ({8}) Wir wissen, dass Sicherheit in der heutigen Welt nicht mehr teilbar ist. Auf keinen Fall wird es in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union gelingen, ohne gemeinsames Vorgehen mit den europäischen Partnern innere Sicherheit für seine Bürgerinnen und Bürger herzustellen. Frankreich und Deutschland haben in diesem Sinne Prioritäten gesetzt: die Schaffung einer gemeinsamen Grenzpolizei, die Stärkung von Europol, die Verbesserung der justiziellen Zusammenarbeit, die Einbeziehung der Terrorismusbekämpfung in die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik und die europäische Verfassung als Basis einer demokratischen, effizienten und transparenten Union. Am 21. September haben wir in Brüssel einen umfangreichen Aktionsplan gegen den Terrorismus verabschiedet. Wir werden in Laeken eine eindeutig positive Umsetzungsbilanz liefern können. Die Harmonisierung der Terrorismusstraftatbestände sowie die Richtlinie zum Kampf gegen die Geldwäsche sind nur zwei wichtige Beispiele, die ich nennen will, um zu beschreiben, was erfolgreich auf den Weg gebracht worden ist. Der für die Terrorbekämpfung so wichtige europäische Haftbefehl konnte bisher leider noch nicht beschlossen werden. ({9}) Wir werden ihn in Laeken beschließen. Es sieht so aus, als ob inzwischen auch die italienische Regierung die Notwendigkeit eines solchen europäischen Haftbefehls eingesehen hat. Motor der Integration und der Modernisierung zu sein heißt auch, die Stärken des gemeinsamen Europa im internationalen Wettbewerb zur Geltung zu bringen. Wir haben den weltweit größten Binnenmarkt, dessen Wachstums- und Beschäftigungspotenziale mit der Einführung der gemeinsamen Währung im Jahre 1999 weiter gestiegen sind. Bereits im Vorfeld zur Währungsunion hat der Euro ganz unbezweifelbar zur Schaffung verbesserter gesamtwirtschaftlicher Rahmenbedingungen beigetragen. Zinsen, öffentliche Defizite und staatliche Verschuldung sind gesunken. Das, meine Damen und Herren, sind für jedermann nachvollziehbare Vorteile der Integration. Wir wollen Europa als einen Wirtschaftsraum der Innovation, des Wachstums und der technologischen Revolution entwickeln, ({10}) so wie wir es im vergangenen Jahr in Portugal beschlossen haben. Damit muss es Europa genauso ernst sein wie mit den übrigen Fragen. ({11}) Wir werden diese Vorgaben erfüllen. So stolz wir in Europa darauf sind, kulturell und philosophisch der alte Kontinent zu sein, so ehrgeizig setzen wir auf unsere Kreativität, auf unsere Leistungsfähigkeit und auf unsere Leistungskraft, um gemeinsam das, was man die neueste Welt nennen könnte, zu gestalten. ({12}) Wir haben deshalb nicht nur, aber eben auch aus ökonomischen Gründen daran zu arbeiten, wie sich Europa in der Welt behauptet. Die innere Verfasstheit Europas muss auch das Modell zum Ausdruck bringen, das Europa im Wettbewerb mit anderen Regionen zur Geltung bringen kann. Daher ist es von besonderer Bedeutung, dass wir immer wieder deutlich machen, dass Europa nicht nur ein Markt, sondern auch ein Kultur- und ein Sozialmodell ist: ({13}) ein Modell der Teilhabe und damit der Chancengerechtigkeit und des geteilten Wohlstands. Meine Damen und Herren, wir haben in Tampere beschlossen, Europa zu einem Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts zu machen. Auch hier muss gelten: Sicherheit, Recht und Freiheit bekommen wir nicht durch weniger, sondern nur durch mehr Europa. ({14}) Natürlich muss mehr Europa mehr Transparenz, nicht etwa mehr Bürokratie bedeuten. Aber ich warne ausdrücklich davor, die Idee eines sich weiter einigenden Europas auf einzelne Fehlentscheidungen in Brüssel, die es immer wieder gibt, zu reduzieren. Mit den Berliner Beschlüssen zur Finanzierung der Europäischen Union bis 2006 und mit dem Vertrag von Nizza hat die Europäische Union den Weg für die Erweiterung frei gemacht. Auch hier gilt mehr Europa nicht allein in quantitativer Hinsicht. Die Erweiterung der Europäischen Union ist nicht nur historisch und kulturell ohne Alternative, sie ist vielmehr im unmittelbaren Interesse der Gemeinschaft der 15 und damit auch im unmittelbaren Interesse Deutschlands. Meine Damen und Herren, wir brauchen ein Europa, das für mehr Bürger besser verständlich ist. Die Menschen müssen wissen, wo, wie und warum die Europäische Union ihr tägliches Leben beeinflusst. Vor allem müssen sie bei jedem Schritt überzeugt sein - das bedeutet: überzeugt werden -, dass die europäische Lösung die für sie bessere Lösung ist. Sie wollen - das entspricht klaren demokratischen Grundsätzen - nachvollziehen können, wer für welche Entscheidungen die Verantwortung trägt. Dabei geht es vor allem um mehr Effizienz sowie darum, die Europäische Union auch nach vollzogener Erweiterung politisch führbar zu halten. Es geht um eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen der europäischen Ebene und den Mitgliedstaaten. Was von den Mitgliedstaaten besser, sachgerechter und bürgernäher geleistet werden kann, muss in ihrer Zuständigkeit geleistet werden. Wir müssen also das Verhältnis der Institutionen neu austarieren. Hier wünsche ich mir eine Kommission, die eine starke Exekutive darstellt, und ein Europäisches Parlament, das in seinen Rechten - auch in Haushaltsfragen - deutlich gestärkt wird. ({15}) Die nationalen Parlamente müssen einen herausgehobenen Platz im Gefüge der europäischen Institutionen bekommen, etwa bei der Kontrolle der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Der Rat schließlich sollte, wo er legislativ tätig ist, zu einer zweiten Kammer werden. Wir wollen eine Übernahme der Europäischen Grundrechte-Charta in die europäischen Verträge, was die Rechte der Bürgerinnen und Bürger gegenüber den europäischen Institutionen spürbar stärkte. ({16}) In der Summe machen diese Fragen den Kern einer europäischen Verfassung aus, ob man dies nun so oder vor dem Hintergrund bestimmter nationaler Verfassungstraditionen lieber anders nennt. Auch hier erinnere ich gern noch einmal an Jean Monnet, der bereits in den 50erJahren einen ersten Entwurf einer europäischen Verfassung vorgelegt hat. Wir beharren nicht darauf, dass das Ergebnis den Namen Verfassung trägt, aber wir sind entschlossen, einen Vertrag mit auf den Weg zu bringen, der alle Elemente einer solchen Verfassung enthält. Damit und mit anderem wird sich der Konvent befassen, den wir in Laeken installieren werden. Dieser Konvent hat die Aufgabe, die notwendigen Reformen auszuarbeiten. Dabei werden die Vertreter der Parlamente in neuartiger Weise in den Reformprozess eingebunden. Wichtig und richtig ist, dass die Beitrittsländer im Konvent vertreten sind, denn dort wird auch über ihre Zukunft diskutiert. Meine Damen und Herren, die belgische Präsidentschaft hat sich für den Rat in Laeken ehrgeizige, aber, wie wir glauben, für Europa notwendige Ziele gesetzt. Bei der Umsetzung dieser Ziele kann sich die belgische Präsidentschaft auf die Unterstützung der Bundesregierung voll verlassen. Die Fortentwicklung der europäischen Integration ist ein historisches Projekt. An dessen Ende - dessen bin ich sicher - werden mehr Demokratie, mehr Teilhabe und noch mehr europäische Verständigung stehen. ({17}) Wir sollten es sehr dankbar als einen großen Fortschritt in unserer Geschichte begreifen, dass sich Europa einmal ohne Fanfaren und Trompeten, also vor allem ohne Schlachtenlärm, einigt. ({18}) Aber wir hoffen, dass wir in Laeken auch zum Ausdruck bringen können, dass Europa die Menschen begeistert und dass sie sich aus diesem Grunde für ein einiges Europa einsetzen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({19})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich eröffne die Aussprache. Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. Wolfgang Schäuble das Wort.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeskanzler hat seine mit dem bei ihm üblichen Engagement für europäische Fragen vorgetragene Regierungserklärung ({0}) zum Europäischen Rat in Laeken mit der Frage eingeleitet: Brauchen wir zur Lösung der Probleme weniger oder brauchen wir mehr Europa? Wir stimmen darin überein, Herr Bundeskanzler: Wir brauchen mehr Europa. Wir stimmen aber nicht darin überein, dass wir nach den Erfahrungen des 11. September nun mehr Europa erlebt haben. Wir haben das Gegenteil erlebt. Das beschreibt die Notwendigkeit, ein stärkeres, handlungsfähigeres Europa zu schaffen, aber es beschreibt eben auch, wie weit wir davon entfernt sind. Es ist falsch, wenn man in Regierungserklärungen den Eindruck erweckt, als hätten wir diese Probleme nicht, oder darüber hinwegredet. ({1}) Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen war innerhalb weniger Stunden zu unvergleichlich mehr Klarheit und Entschiedenheit seiner Beschlussfassung in der Lage als die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in Tagen und Wochen. Das ist zwar für die Vereinten Nationen erfreulich, aber für die Europäische Union alles andere als ein Ruhmesblatt. Es zeigt sich, dass das, was mit der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf den Weg gebracht wurde, eben viel zu langsam vonstatten geht. Vor allem zeigt sich, dass hehre Erklärungen bei Europäischen Räten nicht ausreichen, sondern dass das, was dort vereinbart wird, in der nationalen Politik und vor allen Dingen in der nationalen Haushaltspolitik umgesetzt werden muss. Genau dies aber hat bisher nicht stattgefunden. ({2}) Herr Bundeskanzler, ich habe Sie in einem internen Gespräch am Freitag darauf hingewiesen, dass die Europäische Union bei der Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg gar nicht anwesend war, obwohl es genügend Beauftragte für alle möglichen Formen von Außen- und Sicherheitspolitik gibt. Niemand kann wohl im Ernst behaupten: Europäische Gemeinsamkeit hat sich dadurch gezeigt, dass Deutschland Gastgeber war. - Gemessen an dem, was wir brauchen, ist das möglicherweise etwas zu wenig. Es ist wichtig - auch darin stimmen wir überein -, dass die Vereinten Nationen eine größere Rolle spielen. Diese Übereinstimmung gehört zu den erfreulicheren Erfahrungen seit dem 11. September. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung gesagt, es liege im europäischen Interesse, dass sich die weitere Entwicklung in Afghanistan möglichst im Rahmen der Vereinten Nationen vollzieht. Auch das unterstützen wir. ({3}) Wir unterstützen ebenfalls Ihre Position im Hinblick auf den Nahen Osten, auf die Konfliktparteien und auf das Lebensrecht von Israel. Aber ich füge hinzu: Wir sind der Meinung, dass die Verantwortlichen Israels gut beraten wären, stärker auf die Vereinten Nationen zu hören und ihren Resolutionen zu folgen. Wir werden keine Lösung der Probleme im Nahen Osten erzielen, wenn auf die Stimme der Vereinten Nationen - das gilt auch im Hinblick auf die Siedlungspolitik - nicht stärker Rücksicht genommen wird. Zu einem freundschaftlichen Verhältnis gehört es auch zu mahnen. Frieden gibt es nur, wenn beide Seiten - sowohl die Palästinenser als auch die Israelis ihren Beitrag leisten. So wie bisher kann es nicht weitergehen. ({4}) Der Vertreter des Auswärtigen Amtes hat heute Morgen im Auswärtigen Ausschuss gesagt, der wichtigste Punkt beim Europäischen Rat in Laeken sei die Zukunft Europas. Herr Bundeskanzler, dazu haben Sie in Ihrer Regierungserklärung herzlich wenig gesagt. Man kann das nicht mit Leerformeln überdecken. Es hilft auch nichts zu behaupten: Europa ist ein Modell, und zwar nicht nur ein Wirtschaftsmodell, sondern auch ein Sozial- und Kulturmodell. - Das alles ist richtig und notwendig. Aber durch die Entscheidungen, die der Europäische Rat in Laeken auf den Weg bringt, muss die Debatte über eine europäische Verfassung, die in Nizza eingeleitet worden ist, einen kräftigen, der historischen Weichenstellung entsprechenden Schritt vorankommen. Dazu müssen die Beteiligten ihre Vorstellungen auf den Tisch legen, damit es zu einer öffentlichen Debatte kommt. Wir werden die Menschen in Europa für den europäischen Prozess nicht gewinnen, wenn es uns nicht gelingt, Alternativen zu entwickeln und zu erklären, warum wir uns für Lösungsvorstellungen, für Ordnungskonzepte und für Modelle einsetzen, die Nation und Europa in einer richtigen Weise verbinden. ({5}) Im Entwurf einer Erklärung von Laeken der belgischen Präsidentschaft steht als Überschrift: „Europa am Scheideweg“. Das beschreibt die historische Dimension, um die es in den nächsten Tagen und auch dann in dem Konvent, der in Laeken eingesetzt werden soll, wirklich geht, sehr viel realistischer als Ihre Regierungserklärung. Es geht um eine historische Entscheidung. Im Entwurf der belgischen Präsidentschaft ist sehr präzise beschrieben - von Ihrer Regierung hört man das nie in vergleichbarer Klarheit -, dass wir auf der einen Seite mehr Europa brauchen, dass wir in der Außen- und Sicherheitspolitik deutlich zurückliegen und dass wir auf der anderen Seite - ich zitiere aus diesem Dokument - „... eine Kluft zwischen den Bürgern und den europäischen Organen haben. Es ist nicht so, dass der Bürger nicht mehr hinter den großen Zielen der Union steht. Doch er sieht keinen Zusammenhang mehr zwischen diesen Zielen und dem täglichen Erscheinungsbild der Union.“ Dabei geht es nicht nur um die eine oder andere Fehlentscheidung; vielmehr mangelt es an einer grundlegenden Ordnung in den europäischen Strukturen und in den europäischen Entscheidungsprozessen. In dieser Hinsicht Abhilfe zu schaffen, das - nicht mehr und nicht weniger muss jetzt geleistet werden. ({6}) Europa muss demokratischer, transparenter und effizienter werden. Ich zitiere noch einmal aus dem bemerkenswerten Entwurf der belgischen Präsidentschaft - einer Regierung unterstellt man eher als einer Opposition, verantwortlich zu handeln -: Der Bürger verlangt einen deutlichen, transparenten, wirksamen, demokratisch gesteuerten gemeinsamen Ansatz, einen Ansatz, der Europa zu einem Leuchtfeuer wachsen lässt, das für die Zukunft der Welt richtungweisend sein kann. Es steht außer Frage, dass Europa sich dazu gründlich reformieren, regenerieren, sozusagen neu erfinden muss. Ich hätte, Herr Bundeskanzler, in Ihrer Regierungserklärung gerne Worte von ähnlicher Klarheit und Entschiedenheit gehört. ({7}) Ich will einen Punkt hinzufügen. Wir sind in den Debatten über die Frage, wie man die Balance zwischen den Mitgliedstaaten, den Nationalstaaten in Europa, und einer handlungsfähigen, effizienten demokratisch legitimierten Europäischen Union gestalten kann, weiter als es in Ihrer Regierungserklärung zum Ausdruck kommt. Wir haben darüber intensivere Debatten geführt. CDU und CSU haben in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe - wenn ich es richtig sehe, Herr Staatsminister Bocklet, haben wir das gemeinsam in guter Zusammenarbeit gemacht - einen Entwurf erarbeitet, in dem dargestellt wird, wie man das sehr konkret voneinander abgrenzen und miteinander verbinden kann. Wir haben auch in der Familie der Europäischen Volksparteien - das sind alles Parteien der bürgerlichen Mitte, die übrigens im Europäischen Parlament mit großem Abstand die stärkste Fraktion sind - einen gemeinsamen Entwurf vorgelegt, der zeigt, wie man Europa im Sinne des Dokuments der belgischen Präsidentschaft im Rahmen dieser Verfassungsdebatte ein Stück weit neu erfinden kann. Die entscheidende Frage ist letzten Endes - ich will nicht auf die Einzelheiten eingehen, um mich nicht in Details zu verlieren -, ob europäische Entscheidungen auch in Zukunft im Wesentlichen durch nationale Regierungen getroffen werden oder ob wir zu dem Schritt bereit sind, dass europäische Entscheidungen von europäischen Institutionen getroffen werden. Das setzt aber voraus, dass diese europäischen Institutionen eine eigene unmittelbare demokratische Legitimation haben. Die Vermischung, bei der letzten Endes alles von allen irgendwie mit gestaltet wird, führt zu diesem Mischmasch, bei dem die Bürger nicht mehr erkennen, wer in Europa eigentlich welche Entscheidung verantwortet. Wenn nicht mehr erkannt wird, wer etwas verantwortet, ist für jede Bürokratie die Versuchung groß zu sagen: Unangenehme Dinge lassen wir lieber in Brüssel entscheiden, dann tragen wir keine Verantwortung dafür und setzen sie vielleicht auch leichter durch, weil dort der Widerstand geringer ist. - Am Ende verlieren wir so die Unterstützung und die Einsicht der Bürger auf diesem notwendigen europäischen Weg. Deswegen müssen wir diese Entscheidung treffen. Der Außenminister hat gelegentlich vorgetragen, er sei der Auffassung, dass auch in Zukunft die parlamentarische Legitimation durch eine Kombination von Europäischem Parlament und nationalen Parlamenten gewährleistet sein und die Exekutive durch eine Kombination von Europäischer Kommission und nationalen Regierungen erfolgen muss. Unser Konzept ist das Gegenteil. Unser Konzept besagt, dass also wir es trennen müssen, dass gesetzgeberische Entscheidungen auf nationaler Ebene von den nationalen Parlamenten getroffen werden müssen und gesetzgeberische Entscheidungen auf europäischer Ebene vom Europäischen Parlament und einer zweiten Kammer, von der wir glauben, dass hier eine Vertretung der nationalen Regierungen richtiger ist als eine Vertretung der nationalen Parlamente. Aber über das Detail kann man streiten. Auch die Exekutivfunktionen muss man deutlicher trennen. Natürlich wird es etwa in der Außen- und Sicherheitspolitik für eine längere Zeit noch Bereiche geben, in denen die verschiedenen Regierungen gemeinsam handeln. Dafür sind die Mechanismen der intergouvernementalen Zusammenarbeit, die wir in der Außen- und Sicherheitspolitik in weiten Feldern haben, ohnedies geeignet. Dennoch finde ich, dass wir seit dem 11. September intensiver darüber debattieren sollten, ob es nicht richtig wäre, das, was Sie auf dem Gipfel in Helsinki als ein europäisches Element von Sicherheits- und Verteidigungspolitik bezeichnet haben, in mittelfristiger Perspektive im Rahmen der NATO in europäische Zuständigkeit zu überführen. Wir sollten darüber debattieren, ob das nicht sehr viel besser wäre, als wenn wir bei jeder Entscheidung, die wir in Zukunft treffen, die Zustimmung von heute 15 und demnächst 25 Mitgliedstaaten und damit im Zweifel - jedenfalls wenn wir unsere Verfassungslage auf andere Mitgliedstaaten übertragen - auch die von 25 nationalen Parlamenten einholen müssen. Wer integriertes Handeln will, muss auch bereit sein, die Zuständigkeit und die Legitimation von entsprechenden Entscheidungen auf die europäische, auf die integrierte Ebene zu übertragen. ({8}) Aber dies setzt dann notwendig voraus, dass wir in der Abgrenzung der Zuständigkeiten klarere Regelungen treffen. Deswegen ist die Frage der Kompetenzverteilung in Europa kein spezifisches Thema deutscher Perfektionisten. Es ist auch nicht eine beliebige Frage. Diese Frage ist zentral, weil im demokratischen Rechtsstaat die Klärung der Zuständigkeiten die Grundvoraussetzung für jede demokratisch legitimierte Entscheidung ist. Es geht darum, wer was entscheidet. Ehe wir dies nicht regeln, werden wir bei den institutionellen Reformen nicht zu einer wirklichen Veränderung kommen. ({9}) Ich bin jedes Mal ziemlich erschüttert, wenn von manchen, die in Europa sehr engagiert sind - bis hin zu Mitgliedern der Kommission -, gesagt wird: Wir möchten nicht, dass die Kommission von der Mehrheit des Europäischen Parlaments abhängig ist. Sie soll nicht vom Europäischen Parlament gewählt werden; denn wenn das der Fall wäre, wäre sie nicht mehr unabhängig. - Die Vorstellung, dass wir in der Demokratie einer Institution, die nicht demokratisch gewählt wurde, Exekutivbefugnisse übertragen, ist ahistorisch. Vielleicht war das im 18. Jahrhundert ganz effizient. Heutzutage muss man sich aber dem Risiko der Demokratie aussetzen; man muss gewählt werden. Gelegentlich verliert man Wahlen, beim nächsten Mal gewinnt man sie wieder. Das ist die Kernfrage. ({10}) Im Übrigen werden Sie keine starke Kommission zustande bringen, wenn Sie nicht bereit sind, sie von der Mehrheit im Parlament abhängig zu machen, ({11}) es sei denn - das hat der Außenminister vorgeschlagen -, der Kommissionspräsident würde durch eine europäische Volksabstimmung direkt gewählt werden. Dies könnte man tun. ({12}) Das halte ich allerdings für wenig realistisch. Eine nicht demokratisch gewählte Kommission kann nicht das eigentliche Exekutivorgan in Europa sein. Die eigentliche Macht würde dann bei den nationalen Regierungen liegen. Das ist nicht unsere Vorstellung von Europa; sie entspricht nicht der historischen Aufgabenstellung. Ich habe gesagt, dass der Außenminister eine andere Vorstellung hat, über die man vertieft diskutieren muss. Von der SPD kenne ich gar keine Vorstellungen. Ich habe mir die Beschlüsse Ihres Parteitages ziemlich genau durchgelesen. Alles, was gut und schön ist in Europa, steht im europapolitischen Programm. Eine Antwort auf konkrete Fragen wurde aber nicht gegeben. Nach dieser Regierungserklärung weiß ich so wenig wie vorher, welche Konzeption die Regierung hat. ({13}) - Ich habe gut zugehört, ich konnte sogar den schriftlichen Text, an den sich der Bundeskanzler sehr genau gehalten hat - dass mir der Text zur Verfügung gestellt wurde, war sehr liebenswürdig -, mitlesen. Ich gebe Ihnen diesen gerne; Sie können es überprüfen. ({14}) Sie sagen mir dann, welche konkreten Vorstellungen diese Regierung hat. Herr Schmidt, weil Sie diesen Zwischenruf gemacht haben, will ich Ihnen eine zweite Bemerkung nicht ersparen: Die Schwäche der Regierung liegt nicht nur an einem mangelnden Konzept, sondern sie liegt natürlich auch darin, dass sie in Europa keine politische Kraft hat. ({15}) Was Sie zum Motor der deutsch-französischen Zusammenarbeit in Europa gesagt haben, ist in der Sache zwar richtig, aber die Wirklichkeit, die wir erleben, ist das genaue Gegenteil. Vor, während und nach Nizza hat es jeder in Europa genauso empfunden und kritisiert. Das ist die Realität. ({16}) Der andere Punkt ist: Sie werden doch nicht im Ernst glauben, dass die Bundesrepublik Deutschland die ihr zukommende Rolle in dieser schwierigen europäischen Debatte spielen kann, wenn Deutschland gleichzeitig das eigentliche wirtschaftliche Risiko in Europa ist. In der wirtschaftlichen Entwicklung Europas sind wir Schlusslicht. Wir sind nahe dran, von der Kommission einen blauen Brief wegen der Nichteinhaltung der Daten des Stabilitätspaktes zu erhalten. Wenn man eine so verfehlte Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik betreibt, ist man natürlich nicht in der Lage, seiner Verantwortung für den Fortschritt der europäischen Einigung gerecht zu werden. ({17}) Ich will an dieser Stelle einen Punkt noch hinzufügen - morgen werden wir, wenn ich es richtig sehe, über die wirtschaftliche Lage in Deutschland debattieren -: Es geht um die Verfassungsfragen, also auch um die Frage: Was regeln wir europäisch und was regeln wir in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten? Ich glaube, es wäre richtig - das Elend der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland unter der rot-grünen Regierung belegt es von Neuem -, unsere Wirtschaftsordnung möglichst dezentral zu organisieren. Eine Politik, die alles dem Einfluss einer zentralen Bürokratie unterordnet und beispielsweise eine Steuerreform macht, die die großen Kapitalgesellschaften einseitig begünstigt, ({18}) den Mittelstand benachteiligt und die Finanzkraft der Kommunen systematisch aushöhlt, eine Politik also, die auf zentrale Bürokratie anstatt auf die Kräfte einer dynamischen, vielfältigen und auf Selbstständigkeit beruhenden Wettbewerbsordnung setzt, muss schlechte wirtschaftliche Ergebnisse erzielen. ({19}) Wir schlagen deshalb vor, dass wir Europa so organisieren, dass wir einen einheitlichen Markt mit einem funktionierenden Wettbewerb, mit einer starken gemeinsamen Währung und mit einer gemeinsamen Außenvertretung haben. Wir schlagen ferner vor, dass wir eine starke Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik machen und dass wir dort, wo es wegen grenzüberschreitender Probleme notwendig ist - vom Umweltschutz bis zur inneren Sicherheit -, europäisch handeln. Wir müssen aber auch all das, was der gewachsenen Tradition einzelner europäischer Nationen entspricht - kulturell und zivilisatorisch -, in der Regelungszuständigkeit der Mitgliedstaaten belassen. Es darf bei dem Konvent und bei dem jetzt notwendigen Verfassungsgebungsprozess nicht sein, dass der Acquis Communitaire sakrosankt gesetzt wird und überhaupt nicht verändert werden darf. Wenn wir zugleich mehr und weniger Europa brauchen, dann muss auch das jetzige Regelungsgeflecht und Regelungsdickicht überprüft werden und dann muss manches auf die Mitgliedstaaten übertragen werden. Zugleich muss anderes in Europa stärker institutionell verankert werden. Auf andere Weise geht es nicht. Deswegen darf man den heutigen Zustand nicht festschreiben. Damit diese Debatte gelingt, brauchen wir ein starkes Mandat für diesen europäischen Konvent, der in Laeken hoffentlich eingesetzt wird. Die Kollegen aus dem Auswärtigen Ausschuss und aus dem Europa-Ausschuss sind mit den Kollegen aus den entsprechenden Ausschüssen der Französischen Nationalversammlung am Montag dieser Woche zusammengetroffen. Sie haben in einer bemerkenswerten Entschließung - die deutsch-französische Zusammenarbeit funktioniert Gott sei Dank noch einigermaßen auf der parlamentarischen Ebene - klar zum Ausdruck gebracht, dass wir nicht möchten, dass das Mandat des Europäischen Rates für den Konvent so beschränkt wird, dass er vorher schon ein Stück weit entmachtet wird. Es muss die Bereitschaft bestehen, dass wir in dem Prozess, für den der Konvent auf dem Gipfel in Laeken eingesetzt werden soll, das Mandat von Nizza großzügig und nicht etwa restriktiv interpretieren. Es darf nicht sein, dass die Staats- und Regierungschefs dem Konvent schon jetzt vorschreiben, Optionen vorzulegen, damit sich die Staats- und Regierungschefs hinterher heraussuchen können, was ihnen gefällt. Das muss Sache des Konvents sein. ({20}) Wenn der Konvent, an dem alle 15 Regierungen genauso wie die nationalen Parlamente und wie das Europäische Parlament beteiligt sind, zu gemeinsamen Lösungen kommt und gemeinsame Konzeptionen und Vorschläge entwickelt, dann muss er nicht künstlich Alternativen für die Staats- und Regierungschefs auf den Tisch legen. Ich wünsche mir vielmehr, dass der Konvent die Kraft findet, ein europäisches Modell zu entwickeln, in dem Europa und die Nationen in einer vernünftigen Weise verbunden werden ({21}) und das die Menschen in Europa überzeugt. Ich bin ganz sicher, dass die Menschen nicht gegen Europa sind. Aber die Menschen wollen das Wesentliche in Europa nicht mehr in dem Alltagsgewirr mit seinen schwerfälligen Entscheidungsprozessen und seiner bürokratischen Regulierungsdichte sehen. Je besser es gelingt, klar zu unterscheiden, was Europa und Brüssel und was die Nationalstaaten entscheiden, je mehr die Entscheidungen effizient, transparent und demokratisch legitimiert sind, umso mehr werden wir die Zustimmung der Menschen in Europa für diesen europäischen Prozess gewinnen. Je besser wir es schaffen, am Beginn des neuen Jahrhunderts ein starkes und handlungsfähiges Europa zustande zu bringen, umso mehr werden wir den Interessen der Menschen in Europa, der heutigen Generation und den Generationen unserer Kinder und Enkel, gerecht und umso mehr leisten wir einen Beitrag für die Welt, für die ein einiges Europa der Weg zu einer besseren Zukunft sein könnte. ({22})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Roth für die SPD-Fraktion.

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schäuble, Sie mussten schon sehr tief in der Märchenkiste kramen ({0}) und über die Steuerreform sprechen, um endlich einen Punkt zu finden, bei dem Ihre Fraktion auch klatscht. Das Pult ist vielleicht ein bisschen zu hoch. - Okay. ({1}) Wir werden jetzt über einige inhaltliche Punkte streiten können. Ich bin gespannt, wie Sie und wie die nachfolgenden Redner der CDU/CSU-Fraktion darauf reagieren werden. Denn Herr Schäuble hat ja in einem Punkt Recht. Hier stimmen wir alle mit der belgischen Präsidentschaft überein; die Freundinnen und Freunde Europas, von denen es hier im Haus ja relativ viele gibt, sind sicherlich alle einer Meinung: Wir stehen am Scheideweg. Europa braucht neue Strukturen und auch neue Inhalte, um den Menschen eine zukunftsfähigere Politik präsentieren zu können. Klar ist: Europa wird auch ohne Reformen irgendwie weitermachen können - aber eben nur irgendwie und nicht besser. Das aber wünschen wir uns und das erwarten auch die Bürgerinnen und Bürger zu Recht von uns. ({2}) Ich glaube, dass die Probleme in Europa identifiziert sind. Aber jetzt müssen wir auch handeln. Ich bin sehr optimistisch, dass der Gipfel in Laeken einen großen und mutigen Schritt in Richtung tiefgreifender, langfristiger Reformen darstellen wird. Denn wir brauchen in Europa eine Verfassung. Laeken wird dafür den Startschuss geben. Der Konvent ist für uns Parlamentarierinnen und Parlamentarier die große Chance, Europa für die Erweiterung fit zu machen und den Bürgerinnen und Bürgern die europäische Integration wieder näher zu bringen. Sie haben eben von Nizza gesprochen. Aber sind wir doch ehrlich: Wir haben auch schon in Amsterdam das Problem vorgefunden, dass die Regierungen und die Diplomaten es alleine nicht geschafft haben, die zukunftsweisenden Reformen in Gänze zu beschließen. Sonst hätten wir ja in Nizza nicht über die Leftovers von Amsterdam diskutiert. Ich denke, dass es hier schon seit einigen Jahren ein Problem gibt. Jetzt haben wir die Chance, diese Probleme zusammen mit den parlamentarischen Gremien zu lösen. Der Verfassungskonvent wird ein neues Zeitalter des Integrationsprozesses einleiten: den Schritt vom „Europa der Nachkriegszeit“ hin zum „Europa der Zukunft“ ab dem Jahre 2004, wenn auch neue Beitrittsländer in die Europäische Union kommen und wir die Chance haben, die Teilung Europas endlich zu überwinden. Dann werden neue Mitglieder zur EU gehören. Wenn wir den Verfassungsprozess richtig nutzen, wird sich diese EU auch durch eine Verfassung auszeichnen, die sie handlungsfähiger und vor allem demokratischer macht. An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich bei der Bundesregierung bedanken, ({3}) die mit Kanzler Schröder und Außenminister Fischer an der Spitze im Gegensatz zu Ihnen nicht nur Klarheit gefordert hat, sondern auch immer wieder an der Seite des Bundestages gestanden hat, wenn es um den Konvent ging. Hier gab es ein großes Einvernehmen zwischen der Bundesregierung einerseits und dem Bundestag andererseits. Dafür bedanke ich mich herzlich. ({4}) Auch Ihr kleinkariertes Herumkritteln kann überhaupt nichts daran ändern, ({5}) dass die Bundesregierung sehr engagiert mit dem Bundestag für den Konvent gestritten hat. ({6}) Das werden auch Ihre Kolleginnen und Kollegen, die im Europaausschuss sitzen und die mit uns für diese Sache gestritten haben, bestätigen. Wir sollten aber nicht nur über die Chancen reden. ({7}) Ich glaube, dass mit dem Konvent auch Risiken verbunden sind. Denn wir brauchen die konstruktive Mitarbeit nicht nur derjenigen, die zukünftig im Konvent sitzen, sondern wir brauchen die Mitarbeit des gesamten Hauses! Wir brauchen die konstruktive Zusammenarbeit und Mitarbeit aller Parlamentarierinnen und Parlamentarier, weil es nicht nur im engeren Sinne um die Europapolitik, sondern auch um viele andere Aspekte - von der Außen- und Sicherheitspolitik über die Verteidigungspolitik bis zur Umweltpolitik - geht. Bei all diesen Aspekten benötigen wir die Kolleginnen und Kollegen aller Politikbereiche. Wir müssen offen auch darüber sprechen, dass mit dieser Revolution, mit der zum allerersten Mal Parlamentarier an diesem schwierigen verfassungsgebenden Prozess beteiligt werden, nicht automatisch alles besser und einfacher wird. Die Agenda ist groß und schwierig; aber alle Kritiker des Konventes, auch in unseren Partnerländern, müssen wissen, dass ohne eine erfolgreiche Arbeit des Konventes weder die Regierungskonferenz noch die gewünschten Reformvorhaben mit Erfolg durchgeführt werden können. Deswegen müssen wir alle in der Europäischen Union uns einen erfolgreichen Konvent wünschen. ({8}) Es sind eben einige Punkte angesprochen worden, bei denen wir voranschreiten müssen. Ich glaube, dass es da Einvernehmen zwischen uns allen gibt. Ich will aber auf einen Aspekt eingehen, bei dem offensichtlich kein Einvernehmen herrscht: die Entscheidung und das Zögern und Zaudern des italienischen Ministerpräsidenten. Es kann wohl nicht angehen, dass wichtige Entscheidungen zur Bekämpfung des Terrorismus und zu mehr Sicherheit und Freiheit für die Bürgerinnen und Bürger in der EU von Einzelnen verhindert werden, weil diese aus offensichtlich rein persönlichen Interessen einen europäischen Fortschritt ablehnen. Ich finde es schon bedenklich, wie sich der italienische Ministerpräsident Berlusconi da verhalten hat. ({9}) Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion die Bundesregierung dafür kritisiert haben, dass die Gratulationen nicht ganz so lebhaft ausgefallen sind. Ich glaube, dass die Zurückhaltung richtig war. ({10}) Sie scheinen ja sehr gute Beziehungen zu Herrn Berlusconi zu haben. Dann pilgern Sie bitte nach Rom, machen Sie Ihren Einfluss zu Ihrem engen Freund geltend und verhindern Sie zukünftig, dass wichtige europäische Schritte an den persönlichen Animositäten eines Einzelnen scheitern. ({11}) Ich bin jedenfalls sehr auf Ihre „Romerzählung“ gespannt. Der Konvent ist vor allem ein parlamentarisches Gremium. Das muss auch sein Präsidium widerspiegeln. Ein exekutivlastiges Präsidium ist für uns indiskutabel; denn eine exekutiv geprägte Steuerung des Konventes würde diesen ad absurdum führen. Dem Konvent muss ein großer Europäer als Präsident vorsitzen. Wir wünschen uns, dass die sicherlich sehr positive Entscheidung des Gipfels von Laeken vom Konvent nachvollzogen und bestätigt wird. ({12}) Der Konvent muss außerdem eng an die Parlamente angebunden werden. Er muss die Zivilgesellschaft ernsthaft in den Prozess einbeziehen. ({13}) Er muss sich Zeit nehmen für Anhörungen, für öffentliche Debatten. Der Konvent muss mindestens einen Zwischenbericht zur öffentlichen Diskussion vorlegen, damit wir nicht nur hier, sondern auch in der Öffentlichkeit mit allen Interessierten reden können. Ziel des Konventes ist es nicht, ein europäisches Handbuch aller denkbaren Reformoptionen vorzulegen. Vielmehr wollen wir einen möglichst verbindlichen Vorschlag, der dann auch Messlatte für den Erfolg der nächsten Regierungskonferenz im Jahr 2004 sein wird. Der Konvent hätte seine Arbeit sicher verfehlt, wenn wir nur ein Sammelsurium als Ergebnis seiner Arbeit vorfänden. Aber ich bin sehr positiv und sehr optimistisch gestimmt, wenn wir unsere Arbeit als Parlamentarier dort ernst nehmen. Herr Kollege Schäuble hat die Zusammenarbeit der Parlamente, der Assemblée nationale und des Deutschen Bundestages, angesprochen. Das war ein guter Erfolg; aber er knüpft unmittelbar an die Erfolge von Nantes an, wo wichtige Zeichen für den verfassungsgebenden Prozess in der Europäischen Union gesetzt worden sind. ({14}) Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht - ich möchte diesen Punkt noch ansprechen -, wenn Sie unter anderem an die Hochschulen zum Beispiel in Gera, Frankfurt, Hamburg oder Berlin gehen. Überall organisieren sich Zehntausende junger Menschen, so genannter Globalisierungsgegner, zu Anti-Europa-Fahrten nach Laeken und nach Brüssel. Die Erinnerungen an die Ausschreitungen bei Michael Roth ({15}) vergangenen internationalen Gipfeln lassen diese Menschen heute für manche als Krawallmacher erscheinen. Dabei übersehen wir aber leicht, dass es die Menschen sind, mit denen wir ein zukunftsträchtiges Europa gestalten und bauen müssen. Es ist unsere Aufgabe als Parlamentarier, die Menschen davon zu überzeugen, dass Europa eine großartige Aufgabe und unsere demokratische Antwort auf Globalisierungsangst ist. Das müssen wir aber deutlicher werden lassen. ({16}) Wir müssen den Menschen erklären, dass die europäische Integration auf europäischen Werten und nicht allein auf den Gesetzen des Binnenmarktes und des Weltmarktes beruht. Wir müssen doch erklären können, dass wir auf der Basis eines originär europäischen Gesellschaftsmodells, so, wie es uns die Franzosen immer wieder mit auf den Weg geben, in die Institution EU Leben bringen wollen und werden. ({17}) Es muss doch möglich sein, zu vermitteln, dass dieses Gesellschaftsmodell auf Humanität, sozialer Gerechtigkeit und der Teilhabe aller beruht. Das ist unsere Antwort. ({18}) Denn gerade die Idee eines europäischen Gesellschaftsmodells ist es, die einer entfesselten Globalisierung maßgeblich entgegentritt. Das sind doch keine Politikverdrossenen, das sind keine Nationalisten, die uns abwegige Forderungen entgegenbringen. Die Ziele und Wünsche dieser Demonstranten sind doch: mehr Entwicklungshilfe, gemeinsamer Umweltschutz, demokratische Teilhabe an Entscheidungen supranationaler Organisationen. Das ist doch ein Europa, wie wir es uns wünschen. Zumindest die SPD ist immer für ein solches Europa eingestanden. ({19}) Es ist richtig: Wir brauchen mehr Demokratie in der Europäischen Union. Wir brauchen verstärkt Mehrheitsentscheidungen und eine echte Gewaltenteilung. Ich empfehle Ihnen dringend, den Antrag zu lesen, der von Bundeskanzler Gerhard Schröder eingebracht wurde, den Antrag, der in Nürnberg auf unserem Parteitag beschlossen wurde. ({20}) Darin werden Sie viele wichtige, wegweisende Impulse für den verfassungsgebenden Prozess in der Europäischen Union finden. ({21}) Wir müssen aber neben diesen Vorschlägen die Menschen dafür gewinnen, Europa mehr Vertrauen entgegenzubringen. Wir beschreiten nach Laeken, spätestens im März 2002, einen neuen Weg. Vor allem wir Parlamentarier beschreiten diesen Weg, einen Weg, der in Laeken beginnt und hoffentlich mit einem besseren Europa endet. Tun wir gemeinsam alles in unseren Möglichkeiten Stehende, dass uns möglichst viele Menschen auf diesem Weg begleiten; denn Europa ist nur mit den Menschen und nicht gegen die Menschen zu gestalten. Vielen Dank. ({22})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die FDPFraktion spricht der Kollege Dr. Helmut Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist die Frage, Herr Bundeskanzler, inwieweit die Europäer in der Lage waren, sich nach dem 11. September durch mehr europäische Politik zu bewähren. Sie haben in Ihrer ersten Regierungserklärung instinktsicher davon gesprochen - ich unterstütze das -, dass wir nationalstaatlich in uneingeschränkter Solidarität zu den Vereinigten Staaten von Amerika stehen. Dazu stehen wir. Das bedeutet nicht bedingungslose Solidarität, sondern Solidarität dort, wo wir Deutsche - ich hoffe, auch wir Europäer - sie verantworten können. Aber dadurch war natürlich auch klar, dass die erste Antwort doch nationalstaatlich und weniger europäisch war - weniger europäisch vielleicht deshalb, weil wir selbst noch nicht dazu bereit sind, aber auch, weil viele europäische Instrumente der Außen- und Sicherheitspolitik nach wie vor nicht zur Verfügung stehen. Deshalb sagen wir als Opposition heute: Wir unterstützen die Bundesregierung in ihren weiteren Bemühungen, unter dem Dach der Vereinten Nationen eine handlungsfähige Allianz gegen den Terror zusammenzuhalten. Wir akzeptieren und freuen uns auch, dass es der Bundesregierung gelang, bei der Petersberger Konferenz einen sichtbaren Erfolg zu erzielen. Das ist wichtig. Petersberg markiert eine Symbolik deutscher Außenpolitik. Es ist die Symbolik, dass Deutschland nach der Westbindung und nach der Ostpolitik jetzt in der Globalisierung angekommen ist, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch außen- und sicherheitspolitisch. ({0}) Wir wissen aber auch, dass dies bedeutet, mehr globale außen- und sicherheitspolitische Verantwortung zu übernehmen. Darin werden wir Sie immer unterstützen. Heute geht es um zwei Dinge: Erstens geht es um mehr Möglichkeiten der Sicherheitspolitik, um eine Beschleunigung der europäischen Eingreiftruppe, aber auch darum, den Zustand der Bundeswehr schnell und deutlich zu verbessern; denn in der Tat sind wir bei der jetzigen Verfassung der Bundeswehr Michael Roth ({1}) international nicht in der Lage, einen größeren Beitrag zur europäischen Außen- und Sicherheitspolitik zu leisten. Zweitens. Herr Bundeskanzler, der Eindruck einer Renationalisierung bzw. Marginalisierung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik ist keine Erfindung der Opposition. Darin liegt vielmehr - auch für die Bürger - eine große Gefahr für die Rolle Europas. Herr Schäuble hat es zu Recht gesagt: Wer erscheint abends im Fernsehen? Zum Beispiel Herr Blair und Herr Schröder. Das ist schön für deren Umfragewerte. Aber Herr Prodi und Herr Solana spielen überhaupt keine Rolle. Es ist schlecht für das europäische Bewusstsein unserer Bürger, dass Europa keine Rolle spielt. ({2}) Eine weitere Form der Solidarität mit den USA besteht in einer Stärkung der wirtschaftlichen Kompetenz, in einem Beitrag zu mehr Wachstum in der Weltwirtschaft. Inzwischen sind wir nicht nur beim Wachstum Schlusslicht. Die schwache deutsche Reformfähigkeit gefährdet natürlich auch den Außenwert der europäischen Währung. Derzeit - es sind noch 20 Tage bis zur Einführung der europäischen Währung - besteht eine große Gefahr darin, dass die hohe Symbolkraft der europäischen Währung im Hinblick auf ein stärkeres europäisches Bewusstsein und eine größere Rolle im Rahmen der Globalisierung verloren geht, wenn der Euro auf Dauer einen nachhaltig schwachen Außenwert hat und der Bürger mit der faktischen Einführung der europäischen Währung eine hohe strukturelle Arbeitslosigkeit verbindet. Die Reaktion darauf kann nur darin bestehen: mehr strukturelle Reformen im wichtigsten europäischen Land, in Deutschland. Wenn wir das nicht schaffen, werden wir der Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika und der Förderung des Wachstums in der Weltwirtschaft nicht gerecht. ({3}) Herr Bundeskanzler, Sie haben von einem europäischen Gesellschaftsmodell gesprochen; Herr Waigel und ich haben das soeben auf einer Veranstaltung der Europäischen Bewegung gehört. Wenn dieses Modell keine antiamerikanische Haltung, sondern einen eigenen kulturellen, wirtschafts- und ordnungspolitischen Weg verkörpert, halte ich ein solches Anliegen für richtig. Wir Liberale, aber auch die Sozialdemokraten - wir nähern uns dem gleichen Ziel von verschiedenen Richtungen her. Das Ziel muss sein, ein wettbewerbsfähiges, aber gleichzeitig auch sozial stabiles Europa zu schaffen. Aufgrund der Tradition der Sozialdemokraten gehen diese eher von der Verteilung der Lasten, von der Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Stabilität aus. Wir Liberale nähern uns dem gleichen Ziel von der anderen Seite her: von der Mobilität, von der stärkeren Aktivierung von Kreativität und Innovationen. ({4}) Letztendlich muss dieses europäische Gesellschaftsmodell zur Stärkung des europäischen Bewusstseins beitragen. Es darf keine antiamerikanische Haltung verkörpern. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass auch in Asien, nicht zuletzt in China, neue dynamische Regionen entstehen. Das heißt, allein der Vergleich innerhalb Europas ist zu wenig. Wir brauchen ein weltweites Benchmarking, einen Vergleich mit anderen Gesellschaften und anderen Wirtschaftsformen. Angesichts der Tatsache, dass eine Weltfirma wie Siemens Forschung und Entwicklung, also Arbeitsplätze, in Deutschland zukünftig eher abbaut und sie in China verstärkt, wird deutlich, dass die Globalisierung einen weltweiten Wettbewerb im Bereich der Investitionsbedingungen mit sich bringt. In diesem Bereich haben wir in Deutschland einen großen Nachholbedarf. ({5}) Der Bundeskanzler hat sehr viel über Afghanistan und über die Terrorbekämpfung gesprochen, aber relativ wenig über das Hauptthema in Laeken. Wir möchten, dass in Laeken - der Bundesaußenminister wird gleich darüber sprechen; er hat sich dazu verpflichtet - neben der Beantwortung der wichtigen Frage des Verfassungsprozesses auch ein Durchbruch in der Behandlung der Mehrheitsentscheidung angestrebt wird. Es bleibt richtig, dass die Europäische Union nur erweiterungsfähig ist, wenn sie den Übergang zu Mehrheitsentscheidungen schafft. ({6}) Eine Europäische Union mit bald 25 Ländern, von denen jedes ein Vetorecht hat, wird auf Dauer sich selbst blockieren. Deshalb muss es ein Ziel deutscher europäischer Außenpolitik bleiben, andere Länder dafür zu gewinnen, dass wir uns in Laeken unter der belgischen Präsidentschaft dazu verpflichten, parallel zu der Erweiterung der Europäischen Union im Jahre 2004 ein Verfahren zu finden, wie wir bei wesentlichen Fragen dem Prinzip der Mehrheitsentscheidung Geltung verschaffen können. ({7}) Herr Roth, was die Konventidee angeht, so müssen Sie sich hier nicht exponieren. Das geht nicht auf Sie zurück, auch nicht auf uns. In dieser Frage gibt es in Europa große Übereinstimmung, auch in den Programmen unserer Parteien. ({8}) Nur, Sie als Mitglied einer die Bundesregierung tragenden Partei haben die Möglichkeit, das auch durchzusetzen. Wir haben in diesem Zusammenhang drei Erwartungen an Sie - an diesen werden wir Sie auch messen -: Erstens. Wir wollen keine starren Vorgaben und wollen - das ist ganz entscheidend - kein Übergewicht von Regierungsvertretern im Präsidium. ({9}) Zweitens. Wir halten die Grundidee der Besetzung der Präsidentschaft mit einem französischen Europapolitiker aus vielerlei Gründen - psychologisch, auch europapolitisch - für richtig. Wir haben zwar unsere Vorstellungen, aber hoffen, dass es diesem Präsidenten, ähnlich wie Roman Herzog, gelingt, die verschiedenen Grundideen zu einem guten Ergebnis zu führen. Drittens. Die Beitrittskandidaten dürfen beim Konvent nicht nur formal berücksichtigt werden. Vielmehr muss ihnen - da sie ja später diese Verfassung mit ratifizieren müssen - eine wesentliche Rolle im Konvent eingeräumt werden. ({10}) Und schließlich - das war ein Ziel aller Parteien in Europa -: Am Ende des Verfassungsprozesses sollte eine Volksabstimmung der Bürger in Europa stehen. Mit einer solchen Volksabstimmung über eine europäische Verfassung bestände die sehr große Chance, dass sich die Bürgerinnen und Bürger stärker mit Europa identifizieren. Hier schließt sich der Kreis: Wenn wir dies erreichen könnten, wäre dies ein großer Fortschritt für die europäische Idee. Vielen Dank. ({11})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile das Wort dem Bundesaußenminister Joseph Fischer.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mehr als zehn Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges und vor allen Dingen jetzt, nach dem 11. September dieses Jahres, nach den furchtbaren Verbrechen in New York und in Washington, werden langsam die Umrisse der internationalen Ordnung des 21. Jahrhunderts und die Gewichteverteilung sichtbar. Ich erwähne das deswegen zu Beginn meiner Rede, weil klar sein muss, dass in dieser Ordnung die großen europäischen Nationalstaaten nicht eigenständige oder auch nur lose koordinierte Rollen werden spielen können. In dieser Welt des 21. Jahrhunderts wird unser aller Schicksal von der Vollendung der politischen Integration Europas abhängen. Ob einem dieses gefällt oder nicht ist gar nicht mehr die Frage. Wenn man sich die Realitäten anschaut, wird man dies auch so feststellen müssen; diese Erkenntnis hat nicht zuletzt zur Wirtschafts- und Währungsunion und damit jetzt, am 1. Januar, zur Einführung des Euro, der ersten europäischen Gemeinschaftswährung, geführt. Mehr und mehr gilt dies aber auch für die Außen- und Sicherheitspolitik und damit für die Bestimmung der internationalen Politik im 21. Jahrhundert insgesamt: Das Gewicht, das die großen europäischen Nationalstaaten mit sich bringen, ist schlicht und einfach nicht mehr ausreichend. Diese wirtschaftliche Erkenntnis muss in politische Erkenntnis umgesetzt, übertragen werden. Das genau ist eine der Aufgaben, vor denen wir stehen. Wir sehen, dass mit der Herausbildung der Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union - insofern teile ich den Pessimismus, den Sie, Herr Kollege Schäuble, hier dargestellt haben, nicht - uns Europäern zum Beispiel im Nahen Osten eine Rolle zukommt, die über das Bezahlen und über humanitäre Hilfe hinausgeht. Dies verdanken wir unter anderem der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und Javier Solana. Gerade die Bundesregierung war nach dem 11. September immer bemüht, die europäische Rolle in den Vordergrund zu stellen. Es tut mir Leid, aber Ihre Aussage ist nicht richtig: Herr Solana war durch einen Beamten auf dem Petersberg vertreten. Wir hatten die Europäer bzw. Javier Solana auf den Petersberg eingeladen. Er hat einen seiner Mitarbeiter dorthin entsandt, übrigens auf derselben Ebene wie die praktische Arbeit im Zusammenhang mit Mazedonien koordiniert wurde. Insofern ist Ihre Aussage nicht richtig. Auch ist es abwegig, der Bundesregierung vorzuwerfen, dass der Sonderrat nicht vor der Reise des europäischen Repräsentanten nach Washington stattgefunden hat. Das war eine deutsche Initiative von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Sie mögen sich darüber in der sattsam bekannten Wahlkampfpolemik auslassen. Ich habe ein gewisses Verständnis, dass der Bedarf dafür im Moment groß ist. ({0}) - Ich habe viel Erfahrung im Wahlkampf, Herr Glos. Darauf können Sie sich gerne verlassen. Deswegen bekomme ich das ja auch mit. Sie loben und preisen gegenwärtig den Verfassungsprozess. Der erste Schritt des Verfassungsprozesses begann unter der deutschen Präsidentschaft in Köln. Dort wurde die Grundrechte-Charta auf den Weg gebracht. ({1}) Der zweite Schritt war das viel geschmähte Treffen in Nizza. Es war eben nicht eine Erklärung der EVP, die ich sehr schätze, sondern es war wieder eine Initiative dieser Bundesregierung von Bundeskanzler Schröder. Es war alles andere als einfach, durchzusetzen, dass wir, wissend um die Notwendigkeit der Erweiterung der Europäischen Union nach dem Ende des Kalten Krieges und um die Verpflichtung, die wir haben, diesen Prozess, den man ruhig als verfassungsgebenden Prozess bezeichnen kann, für die Zukunft Europas für 2004 auf den Weg gebracht haben. Ohne dies würden wir heute eine völlig andere Situation haben. Wenn Sie hier den ersten Entwurf der belgischen Präsidentschaft zitieren, dann kann ich Ihnen nur sagen: Er findet weitestgehend die Zustimmung Deutschlands. Das hat der Besuch von Herrn Verhofstadt beim Bundeskanzler ergeben. Das Problem ist nur, dass die meisten anderen diese weitestgehende Zustimmung bisher noch nicht signalisiert haben. Das wird das Problem dieses Verfassungsprozesses. Ich habe mit dem, was Sie vorgestellt haben - wenn dieses föderale Modell Wirklichkeit würde, wäre ich ein glücklicher Europäer, Herr Kollege Schäuble -, überhaupt kein Problem. Mein Problem ist eher, dass ich nicht an die Übertragung unserer bundesstaatlichen Vorstellung glaube, einer Vorstellung, die ich teile, damit Sie mich nicht missverstehen. Ich bekomme es doch in der Diskussion mit den Europäern mit. Wir müssen uns hier nicht miteinander streiten, ich versuche vielmehr, Ihnen eine Botschaft zu übermitteln. Der Bundeskanzler und ich werden es jetzt am Freitag und Samstag erleben, ob Herr Aznar und andere konservative, der EVP verpflichtete Europäer diese Position tatsächlich zur Grundlage machen. Ich würde mich - das gebe ich hier ausdrücklich zu Protokoll - darüber sehr freuen, Kollege Schäuble. Der Bundeskanzler und ich nehmen diese Erklärung extra mit, um sie zum geeigneten Zeitpunkt als Referenzgrundlage zur Hand zu haben. Ich wage aber im Lichte der Erfahrung die realistische Prophezeiung, dass sich wichtige Vertreter der Europäischen Volkspartei, die ganz oben ihre Pflichten erfüllen, im entscheidenden Augenblick nicht auf dieses Dokument beziehen. Ich sage: leider.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Bundesaußenminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schäuble?

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Gerne, immer.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesaußenminister, wären Sie erstens bereit, auch das Dokument der Europäischen Volkspartei auf dem Gipfel von Laeken zu verbreiten, damit Sie nicht die Sorge haben, dies sei nur ein deutsches Papier? Würden Sie zweitens nicht vielleicht zustimmen können, dass Sie einen Fehler machen, wenn Sie Überlegungen, die wir in unseren Arbeiten formuliert haben und die Sie eben gelobt haben, in Beziehung zum Modell unseres Grundgesetzes setzen? Ich stelle Ihnen die Frage deswegen, weil ich den deutschen Bundeskanzler gegen die Unterstellungen des französischen Premierministers Jospin in Schutz genommen habe, irgendjemand in Deutschland habe die Vorstellung, man wolle die Bundesrepublik Deutschland oder Frankreich zu etwas Ähnlichem wie die deutschen Bundesländer machen. Das ist absurd. Europa ist etwas ganz Neues. Die Abgrenzung von Zuständigkeiten muss völlig anders als im Grundgesetz sein. ({0})

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Zum Ersten: Gerne nehme ich das von Ihnen angesprochene Dokument mit. Ich verspreche Ihnen, dass wir im entscheidenden Augenblick darauf Bezug nehmen werden. Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei wird, wenn ich es richtig sehe, mit im Saale sein. Ich könnte mir vorstellen, dass wir als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland auf diesen Punkt Bezug nehmen werden. Ich glaube aber nur, es wird im entscheidenden Augenblick wenig helfen. Wir werden Sie aber über unsere Bemühungen unterrichten. Zum Zweiten freut es mich, dass die Opposition Initiativen ergreift. Sie erleben eine Bundesregierung, die Initiativen der Opposition lobt; darin unterscheiden wír uns von der Vorgängerregierung. ({0}) - Das war Ironie. Entschuldigen Sie, ich habe einen Fehler gemacht. Man sollte in einer Debatte nicht auf Ironie zurückgreifen. Zum Dritten: In diesem Punkt, Herr Kollege Schäuble, bin ich anderer Meinung als Sie. Mir geht es nicht um die Ordnung des Grundgesetzes. Ich weiß, dass es auch Ihnen nicht darum geht. Wir haben auf diesem Feld noch echten Diskussionsbedarf. Ich meine, dass die Vorstellungen beider großen Volksparteien letztendlich auf eine bundesstaatliche Ordnung zielen, zumindest so rezipiert werden. Ich könnte mit einer solchen Lösung hervorragend leben; von der Sache her - ich wiederhole mich - habe ich dagegen keinen Einspruch. Die große Frage ist nur, ob eine solche Lösung in Europa mehrheitsfähig ist. Ich will wenigstens die Probleme formulieren: Wir wollen eine Verfassung erreichen. Wir werden eine Union von 25 und mehr Mitgliedern haben; dies ist unabweisbar. Die Tatsache, dass die Erweiterung bis heute noch nicht stattgefunden hat, beruht ein Stück weit auf der Realitätsverweigerung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach 1989/90. Die Probleme, über die wir jetzt diskutieren, dürfen wir nicht bei den Beitretenden abladen. Ich halte die Erweiterung für unverzichtbar. Vorstellungen, wir könnten angesichts der dramatischen Veränderungen seit 1989/90 ein Kleineuropa aufrechterhalten, würden die europäische Einigungsidee zum Scheitern bringen und damit unsere eigenen Interessen berühren. Wir werden eine Union der 25 haben. Sich eine solche Union der 25 vor dem Hintergrund des heutigen institutionellen und finanziellen Gefüges vorzustellen ist sehr schwer. Hinzu käme das Problem, dass sich die Frage der demokratischen Legitimation verstärkt stellen würde. Das sind die wesentlichen Faktoren. ({1}) Der Konvent soll gelingen; das bedeutet, dass am Ende ein Entwurf mit verschiedenen Alternativen steht, der in seinen Grundzügen als Entwurf taugt, die europäische Öffentlichkeit und den Europäischen Rat überzeugt und damit Chancen auf eine Ratifikation durch das Parlament hat. Voraussetzung dafür wäre, dass sozusagen die Eindeutigkeit des Ziels - das zu erreichen wird im Konvent schwer werden -, nämlich die politische Integration der Union, angestrebt wird sowie die Klarheit der Prinzipien gewährleistet ist. In diesem Punkt sehe ich noch Diskussionsbedarf, auch in meiner eigenen Fraktion und Partei. Insofern ist diese Debatte nicht parteipolitisch zu führen. Im Grunde genommen haben wir es mit vier Prinzipien zu tun, nämlich zum einen mit dem Integrationsprinzip - wir wollen dieses Europa und die europäische Integration - und zum zweiten weiterhin mit dem nationalen Prinzip; wir haben es also mit einer Parallelität der beiden Substanzprinzipien zu tun. Hinzu kommen instrumentelle respektive Verfahrensprinzipien, die sehr hochrangig sind - Funktionalität, es muss funktionieren -, und gleichzeitig das Demokratieprinzip. Wir brauchen außerdem eine Kompromissfähigkeit hinsichtlich der verschiedenen Interessen. Dies alles für eine Union der 25 zusammenzuschnüren, wird eine große Leistung sein. Dabei werden Sie die föderale Orientierung der Bundesrepublik Deutschland vor Augen haben, von deren Richtigkeit ich nachdrücklich überzeugt bin; eine andere Struktur der Bundesrepublik kann ich mir nicht vorstellen. Auf der anderen Seite haben wir es mit mächtigen Zentralstaaten zu tun, die aufgrund ihrer Größe oder gewachsenen Traditionen kein Föderalprinzip haben. Sie werden in den Verfassungsentwurf daher eine gewisse Parallelität hineindenken müssen; andernfalls bekommen Sie die Dinge nicht zusammen. Das ist die Botschaft, die ich Ihnen als Bote zu vermitteln habe. Ich könnte mit dem, was Sie oder was andere vorgeschlagen haben, wunderbar leben. Wenn wir aber Erfolg haben wollen - ich will den Erfolg und wir brauchen den Erfolg -, dann müssen wir von vornherein die Differenzen in der Tradition hinzudenken. Ich meine, nur dann kann dabei ein sehr gutes und vernünftiges Ergebnis herauskommen. Aber machen Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen, keine Illusion: Der bevorstehende Konvent wird schwieriger sein als der Grundrechte-Konvent. Es werden dort wesentlich mehr Interessens- und Traditionswidersprüche zutage treten. Dennoch halte ich die Alternative, die Kollege Lamers wiederholt formuliert hat, für richtig. Wenn der Konvent nicht die notwendige politische Autorität hat und mit seinem Entwurf nicht überzeugen kann, dann frage ich mich, wie eine Regierungskonferenz angesichts der Größe der Aufgabe, über die sich alle Redner hier einig waren, dies dann leisten sollte. Wenn der Konvent scheitern sollte, dann wird es, glaube ich, nicht gelingen, auf einer Regierungskonferenz Fortschritte zu erzielen. Es wird sich dann die Frage stellen, wie ab 2006 - das ist auf dem europäischen Kalendarium absehbar - eine neue finanzielle Vorausschau für eine Union der 25 gestaltet werden kann. Die Bereitschaft der Bevölkerung, den im europäischen Staatenverbund erzielten Kompromissen zuzustimmen, wird tendenziell nicht zunehmen, sondern eher abnehmen. Dann wird vor allen Dingen hinter der institutionellen Handlungsfähigkeit einer Union der 25 ein Fragezeichen stehen. Die Frage, ob der Verfassungsprozess nach der Erweiterung der Europäischen Union, die im Zeitraum zwischen 2003 und 2004 beginnt, und schließlich die finanzielle Vorausschau, also die Finanzentscheidungen einer Union der 25, mit den notwendigen Kompromissen bei den Strukturfonds, den Kohäsionsfonds und in der Agrarpolitik, in deren Rahmen es schwer genug werden wird, Kompromisse sowohl in den Sachentscheidungen als auch in der Frage der Finanzierung durchzusetzen, gelingen werden, wird sehr stark vom Erfolg des Konvents und der sich anschließenden Regierungskonferenz abhängen. Den Menschen möchte ich von hier aus klar sagen: Europa wird auch in Zukunft in verstärktem Maße eine außen- und sicherheitspolitische Dimension brauchen. Natürlich haben all diejenigen Recht - das ist ja nicht von der Hand zu weisen -, die sagen: Der 11. September hat klar gemacht, dass die Europäische Union in der Frage von Krieg und Frieden noch nicht oder nicht ausreichend handlungsfähig ist. Ich sage: Ja, das stimmt. Aber daraus den Schluss zu ziehen, Europa habe versagt, ist meines Erachtens falsch, weil die Europäische Union von ihrer Konstruktion her noch nicht in der Lage ist, in der Frage von Krieg und Frieden entsprechend zu entscheiden. Das muss man ehrlicherweise hinzufügen. Es gibt meines Erachtens drei Gründe, die die Europäer zwingen werden, sich zu einigen. Erstens. Wenn Europa nicht zusammenfindet, dann wird Europa - das werden alle in Europa lebenden Menschen an der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und der sozialen Sicherungssysteme merken; von der großen Politik ganz zu schweigen - in der Welt des 21. Jahrhunderts in erheblichem Maße Chancen verlieren. Damit das nicht geschieht, müssen wir die Handlungsfähigkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik entsprechend stärken. In diesem Zusammenhang rate ich Ihnen, die Erklärung von Nantes einmal genau durchzulesen. Diese Erklärung ist ein Beleg dafür, dass Deutschland und Frankreich wirkliche Konsequenzen aus den ersten Erfahrungen gezogen haben. Die Wirtschafts- und Währungsunion wird einen erheblichen Integrationsdruck ausüben. Ich erspare mir die innenpolitische, wirtschaftspolitische und finanzpolitische Polemik. Zweitens. Die Erweiterung wird einen gewaltigen Druck in Richtung institutionelle Veränderungen, also einen verfassungsgebenden Druck, und damit in Richtung mehr Integration ausüben. Der dritte Punkt betrifft die veränderte weltpolitische Situation. Diesen Punkt würde ich mittlerweile an die erste Stelle setzen, wenn ich mir die Erfahrungen, die seit dem 11. September gemacht worden sind, anschaue. ({2}) - Eine große Chance! Ich stimme Ihnen zu. - Denn Europa wächst nur durch Krisen und durch Druck und nicht durch Papiere und auch nicht durch Überzeugungen. Es wächst aufgrund gemeinsamer Interessen bzw. aufgrund der infolge der Interessenabwägung offensichtlich werdenden Erkenntnis, dass die Alternativen zu einem gemeinsamen Europa für die Mitgliedstaaten schlicht und einfach schlechter sind. Das ist die Grundlage, auf der wir in Laeken verhandeln werden. Wir wollen dort ein starkes Mandat haben. Aber dieses Mandat muss gleichzeitig so viel Spielraum bieten, dass der Konvent handeln kann. Wenn der Konvent die entsprechenden Entscheidungen trifft, dann werden alle vier Akteure, sozusagen das institutionelle Viereck, die nationalen Parlamente, das Europäische Parlament, die nationalen Regierungen und die Europäische Kommission, einbezogen sein. Das werden die vier Akteure des Verfassungsprozesses sein. Ich prophezeie, dass sich diese vier Akteure, wenn es gut geht, als handelnde Akteure in der Verfassung - oder wie immer das genannt werden wird - wiederfinden werden. Über die Details möchte ich jetzt nicht streiten. Der Bundeskanzler hat ganz wichtige Initiativen dazu ergriffen. Dass der von uns seit Köln eingeschlagene Weg in Richtung einer europäischen Verfassung und Verfasstheit gegangen wird, ist das, was wir in Laeken erreichen wollen und, wie ich hoffe, mit der Hilfe all unserer Partner auch erreichen werden. Ich bedanke mich. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die PDS-Fraktion spricht der Kollege Uwe Hiksch.

Uwe Hiksch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002677, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Außenminister hat sich bei einer Formulierung entweder versprochen oder aber gerade deutlich machen wollen, dass es zu der Konzeption dessen, was Europa werden soll, zwei völlig unterschiedliche Vorstellungen gibt. Der Außenminister hat nämlich kurz vor Schluss seiner Rede davon gesprochen, dass die Konstruktion Europas noch nicht auf Krieg und Frieden eingestellt sei. Ein Europa, das so konstruiert wird, dass es auf Krieg und Frieden eingestellt ist, unterstützt die PDSFraktion bestimmt nicht. ({0}) Unsere gemeinsame Aufgabe darf nicht darin bestehen, Europa zu militarisieren und darüber zu reden, wie effektive Strukturen geschaffen werden können, die die Möglichkeit eröffnen, Krieg zu führen. Die Perspektive Europas, der Part Europas für die Welt muss gerade darin bestehen, sich als Zivilmacht in der Welt zu entwickeln und sich vorzunehmen, mit einem neu entwickelten Sozialmodell, das hier in Europa geschaffen werden muss, und mit einer verstärkten wirtschaftspolitischen Koordination mit dem Süden und dem Osten, mit Asien genauso wie mit Afrika zu erreichen, dass eine neue Form der Außenpolitik betrieben wird, ({1}) nämlich eine Außenpolitik, die sich zum Ziel setzt, internationaler Partner zu sein und Aufgaben einer internationalen Zivilgesellschaft zu übernehmen. Deshalb sehe ich die Aufgabe der Integration in Europa auch darin - dafür wird die PDS-Fraktion arbeiten -, gerade die verschiedenen Institutionen der UN zu stärken, den OSZE-Prozess weiterzuentwickeln und mittelfristig und schrittweise die NATO zu überwinden. ({2}) Es ist, glaube ich, problematisch, sehr geehrter Herr Kanzler, wenn man den großen Europäer Jean Monnet zitiert und nur einen einzigen Aspekt, den er auch benannt hat, nämlich die Frage der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, als zentrale Aussage mit ihm verbindet. Das, sehr geehrter Herr Schröder, hat Jean Monnet nicht verdient. Er war derjenige, der Europa gerade zivil-integrationistisch beschrieben hat. Sie haben in der letzten Woche beispielsweise davon gesprochen, dass es darum gehen müsse, das Militärische zu enttabuisieren. Zwischenzeitlich liegt das leider in der Tradition der rot-grünen Bundesregierung und Ihrer Partei. Wer von der Enttabuisierung des Militärischen spricht, sehr geehrter Herr Schröder, der widerspricht den Grundsätzen, derentwegen vor 140 Jahren die Sozialdemokratische Partei gegründet wurde. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen ein Europa, das sich integriert. Wir unterstützen die Schaffung des Konvents, weil wir glauben, dass genau mit diesem Konvent eine Grundlage für die Parlamentarisierung Europas gelegt werden kann, sodass nicht mehr die Regierungen, sondern die demokratisch gewählten Parlamentarierinnen und Parlamentarier in Europa bestimmen. Dieser Konvent muss gemeinsam mit den folgenden Präsidentschaften die Aufgabe haben, das Europa der Verträge zu einem Verfassungseuropa weiterzuentwickeln. Die Vertiefung der Europäischen Union in Laeken und in den folgenden Debatten sollte vielleicht auch mit dem folgenden Aspekt verbunden werden - in dieser Richtung sollten wir, denke ich, gemeinsam diskutieren -: Der nächste Integrationsschritt in Europa könnte erreicht werden, wenn wir als deutsche Parlamentarier fordern, dass in Europa eine zweite Staatsbürgerschaft, nämlich neben der nationalen auch eine europäische Staatsbürgerschaft, geschaffen wird. ({4}) Mit dieser europäischen Staatsbürgerschaft, die wir den Bürgerinnen und Bürgern zusätzlich zu ihrer nationalen Staatsbürgerschaft verleihen, können wir die Forderung realisieren, die Grundrechte-Charta als integralen Bestandteil der Verträge zu verankern und damit den einzelnen Menschen individuelle Klagemöglichkeiten auf der Grundlage einer europäischen Verfassung oder zumindest eines europäischen Verfassungsvertrags zu geben. Die Menschen in Europa werden für die europäische Idee nur gewonnen werden können, wenn es nicht bei der Diskussion über Institutionen bleibt, sondern wieder Inhalte in den Mittelpunkt der europäischen Politik gerückt werden. ({5}) Insoweit ist es bezeichnend, dass Gerhard Schröder in seiner Rede nur einen einzigen Halbsatz darauf verwandte, sozialpolitische Fragen zu streifen. Auf allen Veranstaltungen, egal, ob ich in Hamburg, Frankfurt ({6}) oder, wie in dieser Woche, in Neuhaus-Schierschnitz gewesen bin, erlebe ich, dass die Menschen verlangen, dass Europa sozialpolitisch und ökologisch vorangebracht wird. Sie wollen, dass nach der Schaffung einer einheitlichen europäischen Währung Europa als Garant für die Abschaffung der Arbeitslosigkeit auf die Tagesordnung kommt. ({7}) Deshalb werden nach unserer Überzeugung in Laeken die Weichen dahin gehend gestellt müssen, dass das Beschäftigungskapitel im Europäischen Vertrag noch einmal aufgerufen wird, damit neben der wichtigen Koordinierung der nationalen Beschäftigungspolitiken auch auf die Agenda der Europäischen Union gesetzt wird, dass Europa selbst gegen die Massenarbeitslosigkeit und für mehr Beschäftigung aktiv wird. Bei der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit wird man beispielsweise darüber nachdenken müssen, einen Mechanismus zu schaffen, der nationalstaatliches Sozialdumping verhindert. Daher schlagen wir in unserem Antrag unter anderem vor, in Europa darüber nachzudenken, ein Korridormodell zu schaffen, das bestehende Sozialleistungsquoten festschreibt, die europaweit mindestens eingehalten werden müssen, sodass im Rahmen nationalstaatlicher Entscheidungen Sozialstandards nicht unterlaufen und damit einzelne Nationen oder Standorte gegeneinander ausgespielt werden können. ({8}) Eine weitere wichtige Frage, die auf die europäische Tagesordnung gehört, ist die Einführung eines Mindestniveaus der sozialen Grundsicherung, sodass jeder Mensch in Europa aus Armut herausgeholt wird und einen Rechtsanspruch auf ein Mindesteinkommen bekommt. Das wäre eine wichtige, Europa fördernde Maßnahme. Kolleginnen und Kollegen, in den nächsten Monaten wird es auch um die Daseinsvorsorge in Europa gehen. Wir, die PDS, sind der Überzeugung, dass die Daseinsvorsorge - der so genannte dritte Sektor: der ÖPNV, Wasser und Abwasser - mehr als bisher in den Verträgen Beachtung finden muss. Ein Recht auf Arbeit, auf Wohnen und auf Gesundheit muss auch beinhalten, dass die Daseinsvorsorge aus dem Wettbewerbsrecht ausgeschlossen wird. Es muss möglich sein, das spezielle deutsche System zu schützen, für das etwa die Arbeiterwohlfahrt, die Caritas, die Diakonie oder die Volkssolidarität stehen. Daher wird die PDS gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden dafür streiten, dies in den Verträgen zu sichern. Kolleginnen und Kollegen, der europäische Diskussionsprozess in den nächsten Jahren wird darüber entscheiden, ob wir die Menschen in Europa mitnehmen können. Wir können sie aber nur dann mitnehmen, wenn wir ihre Probleme ernst nehmen und Arbeitslosigkeit und Armut wieder in den Mittelpunkt der Politik rücken. Auch in Europa ist darüber zu diskutieren, welche Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit und Armut ergriffen werden können. Eine solche Verfassung, die übrigens durch ein Referendum verabschiedet werden sollte - nur eine Verfassung, über die die Menschen abstimmen konnten, ist eine starke Verfassung -, kann Europa voranbringen. Wenn wir in diesem Sinne gemeinsam arbeiten, wird Europa auch in den Herzen der Menschen ankommen. Danke schön. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile dem Kollegen Dr. Jürgen Meyer für die SPD-Fraktion das Wort.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn der Europäische Rat in Laeken Ende dieser Woche die Einberufung des zweiten Konvents beschließt, dann ist das zwar auch ein Verdienst der Bundesregierung, aber auch etwas, was die Parlamentarier gemeinsam erkämpft haben. ({0}) Das gilt für die Beschlüsse dieses Bundestages, die nach unserer Verfassungslage Grundlage für die Verhandlungen der Bundesregierung geworden sind. Es gilt für die von uns herbeigeführten Beschlüsse der Europaausschüsse der Parlamente der 15 Mitgliedstaaten, der COSAC; es gilt auch für die gemeinsame Entschließung, die wir vorgestern mit etwa 70 Abgeordneten des Deutschen Bundestages und der Assemblée nationale in Paris einstimmig verabschiedet haben - darauf werde ich noch eingehen -, und es gilt nicht zuletzt für die von diesem Parlament mit geprägte Qualität der Arbeit des ersten Konvents. Herr Kollege Schäuble, wenn Sie die Idee des Konvents so sehr betonen, dann fände ich es nur fair, zu sagen, dass sie von dieser Bundesregierung kreiert worden ist. Dafür sollte man die Bundesregierung auch loben. ({1}) Der Konvent ist eine Erfindung der deutschen Präsidentschaft auf dem Kölner Gipfel im Juni 1999. ({2}) Wir alle wissen, dass es danach und nach Nizza wieder das in der Europapolitik übliche Auf und Ab und die altbekannte Verzagtheit auch bei manchen von uns gegeben hat. Das waren die Monate der Bedenkenträger auch aus den Bürokratien. Manche meinten, ein Verfahren wie im ersten Konvent werde es kein zweites Mal geben. Es werde nicht wieder passieren, dass ein Gremium, überwiegend bestehend aus Abgeordneten, den Regierungschefs ein Papier vorlegt, das sie nur noch ohne Änderung akzeptieren können. Manche von uns meinten sogar, man solle den Begriff „Konvent“ vermeiden und stattdessen von einem konventsähnlichen Gremium sprechen, einem Gremium, das gewisse Erfahrungen des Konvents nutzen könne, vielleicht sogar von dem früher so genannten „body“. Ich bin der Auffassung, wir sollten auch bei der zweiten Versammlung, die es hoffentlich geben wird, vom Konvent sprechen. Das ist ein Name, den das erste Gremium, überwiegend besetzt durch Parlamentarier, sich selbst gegeben hat. Diesen Namen Konvent sollten wir nicht verstecken. Ich bin auch der Meinung, dass die Versuche, den neuen Konvent von außen zu steuern, erledigt sind. Das war der Versuch der Einrichtung einer so genannten Steering Commission. Das ist mit selbstbewussten Abgeordneten nicht zu machen. Ich wünsche mir, dass auch der zweite Konvent aus Delegierten besteht, die Zivilcourage haben, die nicht von den Sprechzetteln zum Beispiel der Ministerialbürokratie oder einer so genannten Taskforce leben. Mit Verlaub, die Bundesregierung hat ihren Beauftragten und dieses Parlament hat einen eigenen Delegierten. Das sollte man auch auseinander halten. Das heißt, im neuen Konvent und auch in der Arbeit dieses Konvents gilt für uns Parlamentarier der Satz: „Tua res agitur.“ Es geht um die künftige Rolle der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments. Wir sind ja wohl einig: Ein Zurück zum alten Verfahren, auch wenn einige Regierungen das noch wünschen mögen, wird es nicht geben. Es wird keine Europapolitik hinter verschlossenen Türen mehr geben, keine Europapolitik mit Geheimpapieren, die am Ende doch nicht geheim bleiben, und keine Europapolitik, die in der bekannten Nacht der langen Messer endet, in der die Kondition und manchmal auch die Penetranz eines Regierungschefs, der auf Einstimmigkeit pocht, den Ausschlag gibt. Wir wollen ein offenes, transparentes Verfahren. Wir wollen diesen zweiten Konvent ohne Einschränkung. ({3}) Nun lassen Sie mich noch sagen, warum ich optimistisch bin. ({4}) Als meine Fraktion vor sechseinhalb Jahren eine Charta mit einem Grundrechtskatalog, bestehend aus Menschenund Bürgerrechten, vorschlug, wodurch deutlich werden sollte, dass Europa eben nicht nur eine Währungsunion, nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch eine Wertegemeinschaft ist, da gab es auf der damaligen Regierungsbank in Bonn Stirnrunzeln. ({5}) - Ich spreche von den Personen auf der damaligen Regierungsbank, die sehr kritisch dreinblickten, als ich damals, im Juni 1995, einen Verfassungskonvent vorgeschlagen habe, der maßgeblich durch nationale Abgeordnete und Europaabgeordnete gegründet werden sollte. ({6}) Was haben wir seitdem erlebt? 1999 kam es unter deutscher Präsidentschaft in Köln zum Durchbruch. Das sollte uns gemeinsam optimistisch stimmen, wenn wir in die Zukunft schauen. Wir sollten uns nicht scheuen, den Begriff „Verfassung“ zu verwenden. Herr Kollege Schäuble, ein Verfassungsvertrag versperrt eine Möglichkeit des Inkraftsetzens der schon fertig gestellten Grundrechtecharta, die ich wichtig finde. Dabei geht es um den obersten Gesetzgeber in Europa, nämlich um die Menschen in Europa. Ein Verfassungsvertrag versperrt das Inkraftsetzen der Grundrechte-Charta durch ein EU-weites Referendum. Das Inkraftsetzen der Grundrechte-Charta sollten wir nicht durch die Wahl eines Begriffs wie Verfassungsvertrag ausschließen. Ich setze mich weiterhin für ein Referendum über diese Charta ein. ({7}) Ich will Sie nun auf die bemerkenswerten Beschlüsse von vorgestern in Paris hinweisen. ({8}) Herr Kollege Schäuble, die deutsch-französische Zusammenarbeit muss ein europäischer Motor bleiben; deshalb sollte man die von beiden Regierungen gefasste Entschließung von Nantes durchaus erwähnen. Aber man sollte auch das, was etwa 70 Parlamentarier vorgestern einstimmig verabschiedet haben, würdigen. Ich zitiere aus diesem Beschluss: Wir begrüßen die am 7. und 8. Dezember 2000 in Nizza getroffene Entscheidung der Staats- und Regierungschefs, eine breite und offene Debatte über die Zukunft der Europäischen Union anzuregen. Eine erfolgreiche Erweiterung setzt eine ehrgeizige Reform der Verträge voraus, die der erweiterten Union eine legitimere und für die Bürger transparentere Architektur verleiht und sie mit neuen Instrumenten zur Verfolgung der großen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ziele ausstattet. In einer multipolaren Welt muss sich Europa die Mittel an die Hand geben, sein wirtschaftliches und soziales Modell auf der Grundlage der humanistischen Werte und des Fortschritts zu festigen. Es muss auch den Weg einer stärkeren politischen Integration unter tatsächlicher Achtung der nationalen Identitäten weiter verfolgen und eine Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Dienste des Friedens betreiben. Diese Erklärung, die es wert ist, besonders beachtet zu werden, ist eine wichtige Grundlage für die Verhandlungen der Regierungen in Laeken. Vom Außenminister, der den Europaausschuss nachher weiter informieren wird, haben wir eben gehört, dass es Probleme geben wird. ({9}) Ich bin der Meinung, dass wir in der Bundesregierung einen guten Partner für die Verhandlungen in Laeken haben, der hoffentlich wird durchsetzen können, was wir uns, Herr Kollege Haussmann, etwa im Hinblick auf das Präsidium vorstellen. Im Präsidium dürfen die Regierungsvertreter keine Mehrheit haben. Wenn es schon eine Troikavertretung gibt, dann möge ihr - diesen Vorschlag habe ich von spanischer Seite gehört - nur ein Mitglied des jeweiligen EU-Präsidiums angehören. Dann hätten wir - das alte Modell zugrunde gelegt - vier Regierungsvertreter und zwei Parlamentarier. Das führt logischerweise dazu, dass die Mehrheit des Konvents, nämlich die nationalen Abgeordneten und die Europaabgeordneten, je zwei Vizepräsidenten erhalten. Dadurch könnte auch der Minderheitenschutz im Präsidium beachtet werden. Dafür sollten wir und unsere Unterhändler uns gemeinsam einsetzen. Dieses Präsidium darf kein Oberkonvent werden, ({10}) das die Arbeit des Konvents entwertet. Ich würde gerne noch zu vielen Einzelheiten des Papiers, das Herr Kollege Schäuble und Herr Bocklet ({11}) Dr. Jürgen Meyer ({12}) präsentiert haben, Stellung nehmen. Die Zeit reicht leider nicht aus. In Laeken geht es aber auch darum, den Konvent, also mehr Parlament in Europa, durchzusetzen. Wir stehen nicht vor einer Revolution; aber wir stehen vor einer wichtigen europapolitischen Weichenstellung, die das Leben der Menschen und auch die Arbeit in diesem Parlament prägen wird. Der Europagedanke kann nur durch die Parlamente lebendig gehalten und wieder in die Köpfe und die Herzen der Menschen getragen werden. Das sollten die Regierungschefs bedenken, die noch zögern, das Konventsmodell, wie wir es wollen, zu akzeptieren. Denen sollten wir gemeinsam mit den Parlamentariern aus den 14 anderen Mitgliedstaaten und aus allen Kandidatenländern zurufen: Wir, die Parlamentarier, sind die erste Gewalt in unseren Ländern! Schönen Dank. ({13})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Dr. Theodor Waigel.

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor 2 000 Jahren hat Kaiser Augustus nicht nur den Befehl zur Volkszählung ausgegeben, sondern er hat damals die erste europäische Währung geschaffen, den Aureus. Wenn heute, 2 000 Jahre später, der letzte Akt stattfindet, um eine gemeinsame europäische Währung zu etablieren, ist dies ganz sicher ein großes historisches Ereignis. ({0}) Dr. Franz Thoma, der frühere Leiter der Wirtschaftsabteilung der „Süddeutschen Zeitung“, hat mir 1992 vor der Unterzeichnung des Vertrages von Maastricht ins Stammbuch geschrieben, er hoffe doch wohl, dass mir bei der Unterzeichnung eines solchen Vertrages die Hand zittern werde, weil er dem Projekt skeptisch gegenüber stand. Es ist wahr, die Hand hat mir gezittert, aber weil der Füllfederhalter so groß war. Ich habe ihn mitgenommen, Hans-Dietrich Genscher übrigens auch. ({1}) - Sie können beruhigt sein, es ist erlaubt worden. ({2}) Meine Damen und Herren, obwohl es keine einfachen zehn Jahre waren, würde ich mich in allen Punkten noch einmal genauso entscheiden wie bei der Vertragsunterzeichnung, bei der Ratifikation und beim Eintritt in die dritte Stufe. ({3}) Ich will weniger darüber reden, wie viel Umtauschkosten und Transaktionskosten eingespart werden und was alles besser wird. Ich will anstelle einer Antwort die Frage stellen: Was wäre eigentlich in den letzten Monaten und in den letzten Jahren gewesen, wenn es den Euro nicht gegeben hätte? ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es spricht wenig dafür, dass die D-Mark ohne Währungsunion gegenüber dem Dollar heute höher notieren würde. ({5}) Wenn man am Schluss des Wachstumszuges und am Schluss des Konsolidierungszuges wäre, stünde man wahrscheinlich nicht unter Aufwertungsdruck. Zum Zweiten spricht nichts, aber auch gar nichts dafür, dass Europas Wirtschaft ohne den Euro heute besser dastünde. Aber es spricht vieles - ich meine, alles - dafür, dass wir in den letzten 24 Monaten ohne den Euro innerhalb Europas starke Währungsturbulenzen erlebt hätten mit katastrophalen Ergebnissen auch für die deutsche Volkswirtschaft. ({6}) Ich bin überzeugt, das EWS gäbe es nicht mehr und es hätte eine Achterbahnfahrt der Devisenkurse gegeben mit verhängnisvollen Konsequenzen für unseren Export, für die Fremdenverkehrswirtschaft, für die Landwirtschaft und für viele andere. Die damaligen Währungen haben schon in der Zeit vom 1. Mai 1998 bis zum Jahr 1999, als der Euro noch nicht bestand, aber die Währungen aneinander geknüpft wurden, ihre Feuerprobe bestanden. Es gab im Gegensatz zu den Befürchtungen vieler Notenbanker keinen Druck unter den europäischen Währungen. Der Konvergenzprozess, nämlich eine Währung nicht zu dekretieren, sondern die Währungen mit den Kriterien des Stabilitätspakts zehn Jahre aufeinander zu zu bewegen, hat sich als richtig erwiesen. Meine Damen und Herren, nach den Terroranschlägen am 11. September war nicht zuletzt der Euro mit ein Anker der Stabilität im Weltwährungssystem. Wann wäre früher so etwas möglich gewesen wie am Montag, dem 17. September dieses Jahres, als der Präsident der Federal Reserve, Alan Greenspan, und der Präsident der EZB, Wim Duisenberg, sich kurzschlossen und vor Öffnung der Finanzmärkte und der Börsen miteinander eine Zinssenkung verabredeten, für genügend Liquidität sorgten und damit eine Katastrophe auf den Finanzmärkten verhinderten? Auch das ist ein Erfolg des Euro. ({7}) Es ist ja interessant, dass manche Skeptiker nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland ihre Meinung etwas revidiert haben. ({8}) Ich habe einmal vor ein paar Jahren Alan Greenspan gefragt: Wie hast du vor zehn Jahren über den Euro gedacht, wie hast du vor fünf Jahren über den Euro gedacht und wie denkst du jetzt über den Euro? Da lachte Dr. Jürgen Meyer ({9}) er und sagte: Vor zehn Jahren „zero or below zero“, vor fünf Jahren hielt ich es ebenfalls für aussichtslos und jetzt bin ich froh, dass es neben dem Dollar diese zweite Weltreservewährung zur Stabilisierung des Weltwährungssystems gibt. Auch ein deutsch-amerikanischer Wirtschaftsprofessor, Rudi Dornbusch, hat erst vor wenigen Tagen in der „FAZ“ geschrieben: Die Einführung des Euro ist eine herausragende Erfolgsgeschichte - dies müssen selbst die größten Skeptiker inzwischen anerkennen. ({10}) Im kommenden Jahrzehnt werden wir sehen, wie sich die positive Wirkung der neuen Währung als Motor der Integration und struktureller Reformen voll entfaltet. Eine nicht uninteressante Meinung aus der amerikanischen Volkswirtschaft. ({11}) Dem Literaten Martin Walser nehme ich seine Wehmutsgedanken beim Abschied von der D-Mark ab. Der Helaba-erfahrene Weltökonom Hankel aber hat eine Wehmutskonjunktur für seine Talkshows ausgenützt, ohne in der Substanz etwas dazu beizutragen. ({12}) Heute erleben wir bei Diskussionen hierüber viel Begeisterung bei der Jugend, Nachdenklichkeit bei den Älteren und Sorgen und Ablehnung bei den Alten. Ich kann das verstehen, die D-Mark gehört zur deutschen Identität in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Dahinter stecken Leistung, Stabilität, Anerkennung und Stolz. Die D-Mark gab es 1948, bevor Theodor Heuss zum ersten Bundespräsidenten gewählt wurde. ({13}) - Beim Namen von Theodor Heuss sollten Sie sich, lieber Kollege Haussmann, wirklich auf Ihren Platz begeben. ({14}) Ihre Unaufmerksamkeit während meiner Rede hält mich davon ab, Ihren Beitrag bei dieser Geschichte darzustellen. Außerdem halten Sie den Außenminister davon ab, der Debatte voll zu folgen. Sie sollten auch keine Silberlinge vom Außenminister Joseph Fischer entgegennehmen. ({15}) Das ist in der Bibel schon einmal schlecht ausgegangen. ({16}) Es gab also die D-Mark vor der Wahl des ersten Bundeskanzlers, bevor wir 1952 die erste Goldmedaille mit zwei schweren Männern aus Grainau, Ostler und Nieberl, erlebten und bevor wir 1954 mit einer sehr respektablen Mannschaft Fußballweltmeister wurden. ({17}) Übrigens wurden die ersten D-Mark-Noten nicht in Deutschland gedruckt, sondern sie kamen in 4 000 Kisten aus den Vereinigten Staaten von Amerika, während all das, was jetzt ausgegeben wird, in Deutschland geprägt bzw. gedruckt wurde. ({18}) Meine Damen und Herren, ich gebe ehrlich zu, dass, als ich 1989 das erste Mal den Delors-Bericht las, auch dunkle Gedanken über mich kamen und ich mir überlegte: Nein, lieber später, vielleicht im nächsten Jahrhundert; das werden die anderen doch nicht schaffen und das werden die Deutschen nie akzeptieren. Ich stelle fest, es war ein schwerer Weg dahin - „extra et intra muros“ -, ohne dass ich da ins Detail gehen möchte. ({19}) - Das weiß ich. Das kommt später, Herr Fischer. Ich hoffe, Sie kaufen es dann auch. Der Euro hat Europa jedenfalls verändert. Vor zehn und mehr Jahren gab es Inflationsraten von 5 bis 10 Prozent. Gegenwärtig gibt es wieder eine Inflationsrate von 2 Prozent, nachdem sie im ersten Jahr nach Einführung des Euro bei 1 Prozent lag. Konsolidierung der Staatsfinanzen: Vor zehn bis zwölf Jahren gab es 4, 6 oder 8 Prozent Neuverschuldung. Heute liegt sie überall unter 3 Prozent; allerdings liegen die Deutschen relativ nahe an diesem Wert. Die Zinsen betrugen in manchen Ländern 15 oder 20 Prozent. Heute gibt es in Europa ein Zinsrekordtief, wie es in Europa noch nie da war. Privatisierung und Deregulierung waren früher Fremdwörter. Heute gehören sie zu den Strukturelementen überall in Europa. Der Handel entwickelt sich dynamisch und die Kapitalverflechtungen sind positiv. Die Finanzmärkte wachsen zusammen und die Börsen arbeiten zusammen. Die Wettbewerbsfähigkeit Europas ist gestiegen. Es gibt eine Transparenz der Preise und auch der Anlagemöglichkeiten. ({20}) Man muss sich einmal fragen: Wo stünde Europa heute mit 15 oder 20 verschiedenen Währungen in einer globalisierten Welt? Der Euro ist die Antwort Europas, die gerade noch rechtzeitig gekommen ist, auf eine globalisierte Welt. ({21}) Wir haben damals versprochen, dass der Euro so stabil wie die D-Mark werden wird. Das ist auch der Fall. Entscheidend dafür sind die innere Stabilität und die Kaufkraft, die gewährleistet sind. Ich will aber auch zum Außenwert ein paar Bemerkungen machen, weil das die Diskussion belebt. Der Start war glänzend. Wir könnten jetzt zwar sagen: Helmut Kohl und ich haben bei einem Kurs von 1,18 zum Dollar übergeben und für all das, was sich danach entwickelt hat, sind Sie verantwortlich. ({22}) Eigentlich hätten Sie es verdient, dass man mit Ihnen so umgeht. Aber so einfach will ich es mir trotzdem nicht machen. Der Verlust von etwa 20 Prozent - und zum Teil darüber - gegenüber dem Dollar wirft dennoch Fragen auf, obwohl der gewogene Gesamtverlust - gegenüber allen Währungen in der Welt - weniger als 10 Prozent beträgt. Man muss den Deutschen eines sagen: 1984/85 hat sich niemand darüber aufgeregt, dass man 3,45 DM für einen Dollar bezahlt hat. ({23}) Ich kann mich nicht erinnern, dass mir Lobpreisungen gesungen wurden, als man 1995 nur noch 1,36 DM für einen Dollar aufwenden musste. Trotzdem gilt: Der Außenwert ist Reflex der Volkswirtschaft, der wirtschaftlichen Erwartungen und auch der politischen Erwartungen. Für den gesunkenen Außenwert gibt es eine Reihe von Gründen: die großartige Performance der Volkswirtschaft in den Vereinigten Staaten mit ihrem hohen Wachstum, das Job-Wunder, hohe Zinsen und hohe Gewinne. Aber es liegt auf der anderen Seite ein Glaubwürdigkeitsdefizit vor - dem müssen sich die deutsche Regierung und die deutsche Volkswirtschaft stellen -, das auf den ausbleibenden Strukturreformen ({24}) und auf den Zweifeln am Stabilitätspakt beruht, die nicht jetzt, aber am Anfang Ihrer Regierungszeit geäußert wurden. Es ist schon ein schlimmer Fehler des Bundeskanzlers - er ist nicht anwesend, weil er einen ausländischen Gast hat; das respektiere ich natürlich -, zu sagen, er sei wegen des Exports eher an einer schwächeren als an einer stärkeren Währung interessiert. ({25}) Der Bundeskanzler, der Präsident, der Außenminister und der Finanzminister haben unaufhörlich ihr Interesse an einer starken Währung auszudrücken, ({26}) weil alles andere eine Katastrophe auf den Finanzmärkten auslöst. Frau Staatssekretärin, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihrem Minister, der ebenfalls nicht anwesend sein kann, ein paar Dinge übermitteln würden. Zum Staatsdefizit. Wir hatten 1998 ein Staatsdefizit von 1,8 Prozent, umgerechnet nach der neuen Statistik: von 2,1 Prozent. Wir erwarten heuer ein Staatsdefizit von 2,5 Prozent - möglicherweise mehr - und im Jahre 2002 kann es sein, dass es darüber und nicht darunter liegt. Frau Staatssekretärin, wo bleibt die Konsolidierungsleistung des Staates als Ganzes, wenn Sie heute mit einem Staatsdefizit von 2,5 bis 2,7 Prozent rechnen müssen, damit nahe an die Kriterien von Maastricht herankommen, während wir 1998 unter sehr viel schwierigeren Bedingungen bei 2,0 bis 2,1 Prozent lagen? ({27}) Der Stabilitätspakt verlangt von uns entschiedene Leistungen. Klar war auch, dass man bei 2,0 Prozent nicht stehen bleiben kann. Wenn man auf Ausgleich und auf Überschuss hinarbeiten will, müssen noch weitere gewaltige Konsolidierungsleistungen erbracht werden. Das Prinzip der Nachhaltigkeit würde zum ersten Mal in einen völkerrechtlichen Vertrag einbezogen. Weil ich hier nicht so oft das Wort ergreife, will ich ein paar Bemerkungen zu den Rempeleien meines Nachnachfolgers, Herrn Eichel, machen, was die Konsolidierung anbelangt. ({28}) Herr Eichel hat immer die gleiche Marotte. Dass man eine Zeit lang von der Erblast spricht, ist okay - geschenkt. ({29}) Das haben wir auch gemacht. Aber langsam wird es ein bisschen peinlich. ({30}) - Herr Fischer, das habe ich gerade gesagt. ({31}) - Herr Fischer, jetzt seien Sie aber ruhig. Sie sollen hier überhaupt keine Zurufe machen, sondern ruhig zuhören. ({32}) - Nein, Oberlehrer bin ich nicht. Das war Herr Vogel, aber selbst dem haben Sie es nicht zugerufen. ({33}) Also, nun komme ich zum Thema Nettokreditaufnahme. Wir haben das konjunkturabhängige Defizit von 1990 bis 1998 von 4,5 auf 0,5 Prozent reduziert. Das ist keine Berechnung des damaligen Finanzministeriums, sondern eine der Bundesbank von vor eineinhalb Jahren. Wir haben im Haushalt drei Jahre hintereinander weniger ausgegeben als zuvor. Der Ausgabenanteil des Bundes am BIP lag mit 12 Prozent wesentlich unter dem des Jahres 1982 mit über 15 Prozent. Von 1990 bis 1997 haben wir einen Ausgaben- und Subventionsabbau in der Größenordnung von 125 Milliarden DM durchgeführt. Anders wären die Dinge nicht zu finanzieren gewesen. Nun wedelt Herr Eichel immer mit Statistiken herum. Ich habe zwar nicht so schöne Kurven wie er ({34}) - das können Sie auslegen, wie Sie wollen -, aber ein paar Zahlen habe ich parat. Das Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts von 1989 bis 1998 betrug in Deutschland 2,4 Prozent, in der EU 2,1 Prozent und in der OECD 2,4 Prozent. Auch von 1983 bis 1988 und von 1970 bis 1982 lag es bei 2,4 Prozent. Die Preisstabilität war in Deutschland von 1989 bis 1998 mit 2,5 Prozent etwas höher als von 1983 bis 1988. Damals betrug sie 1,5 Prozent. Das war auch eine großartige Leistung von Gerhard Stoltenberg. Von 1970 bis 1982 betrug sie 5,1 Prozent. Jetzt komme ich zur Beschäftigung. Von 1989 bis 1998 gab es in Deutschland und in der EU einen Zuwachs von 0,2 Prozent. Wir liegen also genau im Schnitt. Von 1983 bis 1988 waren es 0,4 Prozent, in den Jahren 1970 bis 1982 waren es 0,1 Prozent. Nun zu den Investitionen. In den Jahren 1989 bis 1998 betrugen sie in Deutschland 2,2 Prozent und in der EU 2,1 Prozent. Von 1983 bis 1988 waren es 3,8 Prozent, von 1970 bis 1982 0,5 Prozent. ({35}) - Das ist keine Kosmetik. Das sind offizielle Zahlen. Wir liegen damit sehr gut im Schnitt. Nur, meine Damen und Herren, im Gegensatz zu den anderen Ländern haben wir jedes Jahr zwischen 6,2 und 6,7 Prozent des BIP für die deutsche Einheit ausgegeben. ({36}) Von 1990 bis 1998 haben wir dafür 1 500 Milliarden DM aufgewendet, davon 80 Prozent der Bund. Sie können die Schulden ruhig beziffern. Aber ein Gebot des Anstands wäre es, hier oder da zu sagen, warum die Schulden entstanden sind und für welche Investitionen in Deutschland wir sie benutzt haben. ({37}) Übrigens sind dies nicht meine Zahlen, sondern die des RWI, das sie in einer Studie selbst erarbeitet hat. Auch hätte ich nichts dagegen gehabt, wenn sich Hessen damals etwas stärker an den Kosten der Wiedervereinigung beteiligt hätte. Wir wären gern bereit gewesen, bis 1998 noch stärker zu konsolidieren. Aber wir haben im Bundesrat nicht eine Blockade vorgefunden. ({38}) Wir hätten eine Steuerreform mit besserer Berücksichtigung des Mittelstandes schon zum 1. Januar 1998 haben können. ({39}) Im Gegensatz zu allen anderen Ländern, die Strukturreformen durchführten, die den Arbeitsmarkt dereguliert haben, wurden in Deutschland die notwendigen, schwer durchgesetzten Reformen der Regierung Helmut Kohl sogar noch zurückgenommen. Dann haben Sie noch „draufgesetzt“. Das hat kein anderes Land gemacht. Das ist der Grund für die Wachstumsschwäche und für die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland. Das haben Sie mindestens zur Hälfte zu vertreten. Die andere Hälfte - das gebe ich gerne zu - sind die Kosten der Einheit, die Sie auch heute noch tragen müssen. Aber um die eine Hälfte der Verantwortung kommen Sie nicht herum. ({40}) Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, dass der Euro Potenzial hat. Er ist nicht nur eine wichtige Emissionswährung, sondern er wird nach dem Dollar zur Weltreservewährung. Die Akzeptanz auf den Kapitalmärkten, die Transparenz der Produkte und der integrierte Finanzmarkt sind gegeben. Zwei Szenarien sind für die Zukunft vorstellbar: Entweder die Vereinigten Staaten von Amerika knüpfen ganz schnell wieder an ihre unglaubliche Wachstumsstärke Anfang der 90er-Jahre an und kommen bald aus der Rezession heraus, während bei uns nichts passiert - dann wird der Dollar sehr stark sein und der Euro eher schwächer -, oder wir ergreifen unsere Chance, führen Strukturreformen durch, verbessern die Steuerreform und machen mit der Konsolidierung weiter, dann ist der Euro in der Lage, sein Potenzial auszunutzen. ({41}) Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Es ist schön, dass der Internationale Karlspreis zu Aachen an den Euro vergeben wird, an Werteinheit und Wertmaßstab. Aber ohne Menschen wäre diese Erfolgsstory nicht möglich gewesen. ({42}) Ich erinnere mich an folgende Menschen, die man bei einer solchen Preisverleihung auch hätte nennen können: Carlo Ciampi, Pierre Bérégovoy, Jean Arthuis, Dominique Strauss-Kahn, Wim Kok und Gerrit Zalm, Phillipe Maystadt, Jean-Claude Juncker, Nigel Wicks von Großbritannien, der das Ganze ausgezeichnet mit vorbereitet hat, Baron Lamfalussy und - ohne ihn wäre das alles nicht passiert - Helmut Kohl. ({43}) Ich vergesse dabei auch nicht die großartige Arbeit der Bundesbankpräsidenten Karl-Otto Pöhl, Professor Schlesinger und Professor Tietmeyer und das, was ausgezeichnete Staatssekretäre wie Horst Köhler, Gerd Haller, Jürgen Stark und Ministerialdirektor Klaus Regling geleistet haben. ({44}) Lassen Sie mich mit einem Zitat schließen, das mich immer wieder bewegt hat. 1946 hat der Gründer der CSU, Dr. Josef Müller, der wenige Monate zuvor noch im Konzentrationslager in Flossenbürg an der Seite von Canaris und Bonhoeffer - sie sind dem Inferno leider nicht entkommen, aber er hat es geschafft - gewesen war, aus der Erfahrung dieses Lebens gesagt: Länder mit einer gemeinsamen Währung führen nie Krieg gegeneinander. Wir brauchen eine gemeinsame Währung, damit nie mehr Krieg in Europa entsteht. ({45}) - Bestreiten Sie das? ({46})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Aber Sie denken an Ihre Redezeit, Herr Kollege.

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin gleich fertig, Frau Präsidentin. Ich habe daran gedacht, als ich vor ein paar Wochen in Niederbronn den Kriegsgräberfriedhof besucht habe, auf dem 15 000 Deutsche, darunter mein Bruder, liegen. Wäre es früher möglich gewesen, so zu handeln, wie es Dr. Josef Müller und andere vorgeschlagen haben, was wäre Deutschland und einer ganzen Generation erspart geblieben! Darum ist der Euro ein Beitrag zu mehr Wettbewerb, Transparenz, Produktivität für die Finanzmärkte, eine Antwort auf die Globalisierung, aber auch ein Beitrag zum Frieden in Europa. Etwas Besseres an Investitionen können wir für unsere Kinder und für die nächsten Generationen nicht tätigen. Vielen Dank. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zu einem Satz erteile ich das Wort dem Herrn Außenminister, wage aber zugleich die Bemerkung, dass es in der Tat so ist, dass sich die Mitglieder auf der Regierungsbank eigentlich nicht durch irgendwelche Zwischenrufe in die Debatte einschalten sollten. Aber jetzt haben Sie das Wort.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Ich möchte, da der Kollege Waigel zu Recht all diejenigen erwähnt hat, die wesentlich zur Einführung des Euros beigetragen haben, und ihnen gedankt hat, auch ihm ganz persönlich für seine Leistung danken. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich dem Kollegen Christian Sterzing für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Christian Sterzing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002810, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Waigel hat sicherlich Recht, wenn er auch vor Laeken darauf hinweist, dass uns mit der Einführung des Euro Anfang Januar ein entscheidendes Datum des europäischen Integrationsprozesses bevorsteht und dass dies eine der historischen Entwicklungslinien ist, vor der dieser Gipfel in Laeken stattfindet. Aber es gibt noch einige andere historische Linien, die wichtig sind, um Laeken richtig einzuschätzen. Neben der Euro-Einführung ist es auch die Erweiterung. Wir werden in Laeken einen weiteren deutlichen Schritt in Richtung „big bang“, also eines Beitritts von bis zu zehn Staaten, erleben. Dies ist ein weiteres Ereignis, das Europa mittel- und langfristig ganz wesentlich verändern wird. Eine dritte Linie, die für Laeken wichtig ist, ist der 11. September mit seinen politischen Folgen; denn wir alle ahnen zumindest, in welcher umfänglichen Form dieses Datum nicht nur die Kräftekonstellationen in Europa, sondern auf dem ganzen Erdball verändern wird. Die Folgen sind im Einzelnen noch nicht absehbar. Vieles ist noch im Fluss. Aber die Diskussion über die Rolle Europas in der Welt ist nach dem 11. September nötiger denn je. Wir werden sicherlich, sowohl was die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik als auch die gemeinsame Innenund Justizpolitik anbelangt, neue Entwicklungslinien konsequenter und energischer zu verfolgen haben, als das bisher der Fall gewesen ist. Das Vierte ist schließlich ein Stichwort, das auch schon Erwähnung gefunden hat: Globalisierung. Die Kommission wird in Laeken einen Zwischenbericht über die Folgen der Globalisierung für Europa vorlegen. Hier wird auch deutlich, dass sich Europa in dieser neuen, globalen Gemengelage neu definieren, seine Rolle neu finden muss. Vor diesem Hintergrund findet Laeken statt. Insofern besteht meines Erachtens durchaus die Chance, dass dieser Gipfel auch zu einem historischen Gipfel wird. Aus unserer Sicht geht es natürlich sehr stark darum, die Zukunftserklärung von Nizza in konkrete Schritte umzusetzen. Dies ist insbesondere mit dem Stichwort „Konvent“ verbunden. Dabei müssen wir immer deutlich machen, dass wir mit dem Konvent mehr verbinden als nur die Gründung eines neuen Gremiums innerhalb Europas, dass wir mit der Arbeit des Konvents auch mehr verbinden als eine rein institutionelle Debatte. Bei diesem Konvent wird es vor den skizzierten Entwicklungslinien in Europa und in der Welt um die politische Rolle und um die politische Struktur Europas in der Zukunft gehen. Aus vielen Mängeln und Defiziten bisheriger Regierungskonferenzen ziehen wir nun mit der Gründung des Konvents eine Konsequenz. Wir können von dieser Stelle her nur alle Regierungs- und Staatschefs in Laeken ermutigen, entschlossen und konsequent diesen neuen Weg zu gehen; denn der Konvent mit seiner überwiegend parlamentarischen Bedeutung stellt eine neue Qualität in der Fortentwicklung des Integrationsprozesses dar. ({0}) Die wesentlichen Stichworte - sie wurden in den verschiedenen Variationen hier schon von den Kolleginnen und Kollegen angesprochen - sind zum einen Parlamentarisierung, also Demokratisierung des Integrationsprozesses insbesondere durch einen Parlamentarisierungsprozess, aber auch Politisierung und Entnationalisierung der Debatte. Es geht in Laeken selbst noch nicht um die zukünftige Gestalt der Europäischen Union, es geht noch nicht um das institutionelle Design der Gremien und Institutionen in der Europäischen Union. Es geht aber um ein Gremium, das für die Zukunftsdebatte ein ganz entscheidendes Instrument sein muss und in dem sich diese Zukunftsdebatte herauskristallisieren soll. Insofern geht es natürlich auch um ein Gremium, in dem sich - so hoffen wir - ein Stück der Zukunft Europas realisieren wird. Das heißt, das, was wir in den nächsten Jahren mit den Zielen im Rahmen der Diskussion über den Integrationsprozess und über die zukünftige Gestalt Europas verbinden, muss in diesem Konvent wiedererkennbar sein. Nur dann wird er glaubwürdig, nur dann gewinnt er die für die anstehende Zukunftsdebatte notwendige Legitimität. ({1}) Der Konvent kann zu einem großen Erfolg führen, wenn in Laeken die entsprechenden Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Eine Voraussetzung ist ein umfangreiches und starkes Mandat, ohne dass man den Konvent damit überfrachtet. Eine zweite ist, Vertrauen in das Selbstorganisationsrecht dieses Gremiums zu haben, damit dort auf Dauer eine Dynamik gewährleistet wird, die angesichts der globalen Entwicklungen unbedingt notwendig ist, um in dieser Zukunftsdebatte zu konkreten Ergebnissen und zu weiterführenden Schritten zu kommen. Das bedeutet schließlich, dass in Laeken davon abgesehen werden muss, diesen Konvent in irgendeiner Weise zu gängeln, ihn in seinen Verfahren und in seinen Debatten in irgendeiner Weise zu beschränken. Das wären Voraussetzungen, die in den nächsten Monaten und Jahren dazu führen würden, dass die Debatten über die Zukunft Europas nicht nur auf europäischer Ebene, sondern auch auf nationaler Ebene an Intensität und an Breite zunehmen. Wir, die Parteien in der Bundesrepublik, haben unsere Hausaufgaben bereits gemacht. Das Papier von der CDU/CSU, das in dieser Debatte sicherlich eine Rolle spielt, sowie der Leitantrag auf dem Nürnberger Parteitag der SPD wurden schon erwähnt. In aller Bescheidenheit möchte ich darauf hinweisen, dass auch die Grünen in Europa ein gemeinsames, transnationales Papier entwickelt haben, ({2}) in dem die Zukunftsvorstellungen über dieses Europa im Einzelnen und fern von nationalen Verengungen und Sichtweisen dargelegt werden. Das sind erste wichtige Schritte. Eine gute Zukunftsdebatte bleibt aber an die erwähnten Voraussetzungen geknüpft. Zwei Bemerkungen zum Schluss, die uns als deutsches Parlament in besonderer Weise betreffen. Erste Bemerkung: Die Zukunftsdebatte dürfen wir nicht allein dem Konvent überlassen. Sie darf aber auch nicht allein den europäischen Parlamentariern oder den nationalen Parlamenten überlassen bleiben. Vielmehr müssen wir alles daransetzen - dafür müssen wir noch Ideen und Initiativen entwickeln -, breite Teile der Zivilgesellschaft, Organisationen, Verbände und Institutionen, an dieser Debatte zu beteiligen. Insofern ist die Europäisierung der nationalen Debatten eine Aufgabe, die sich uns stellt. Zweite Bemerkung: Nach der Zukunftserklärung in Nizza wird im Konvent die Debatte über die Rolle der nationalen Parlamente in der europäischen Architektur einen der Schwerpunkte bilden. Gerade wir hier im Parlament werden in der nächsten Zeit sehr intensiv über die Rolle der europäischen Politik in unserer nationalen Architektur diskutieren müssen. Denn nur wenn uns dies gelingt, wird diese Debatte auch in der europäischen Öffentlichkeit in Zukunft eine Rolle spielen. Vielen Dank. ({3})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile nun der Kollegin Monika Heubaum für die SPD-Fraktion das Wort.

Monika Heubaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002674, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die gewaltfreie Konfliktregelung ist eine der Grundlagen der europäischen Integrationspolitik. Die Europäische Union verfügt wie kaum ein anderer internationaler Akteur über ein breites Spektrum an Erfahrungen und Instrumenten zur Konfliktprävention. Der Europäische Rat von Göteborg hat ein Europäisches Programm zur Verhütung gewaltsamer Konflikte verabschiedet, das die Politik der EU noch wirksamer an dem Ziel ausrichtet, gewaltfreie Konfliktregelungen zu fördern. Beim Aufbau ziviler Fähigkeiten sind Fortschritte erzielt worden. Die Europäische Union wird so beispielsweise ihr für das Jahr 2003 gesetztes Ziel erreichen, bis zu 5 000 Polizisten für internationale Einsätze bereitstellen zu können. Die Schaffung der permanenten Strukturen der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist ebenfalls auf gutem Wege. Das Politische und Sicherheitspolitische Komitee sowie der EU-Militärausschuss haben ihre Arbeit aufgenommen. Der EU-Militärstab sowie die Einheit zur Planung und Durchführung von Polizeieinsätzen sind eingerichtet worden. Die Arbeiten am militärischen Leitziel sind auf allen Gebieten vorangebracht worden. Damit ist das Ziel erreichbar, bis zum Jahr 2003 bis zu 60 000 Soldaten für Einsätze zur Konfliktprävention und Krisenbewältigung entsenden zu können. Der Europäische Rat in Laeken wird den Zeitpunkt der Einsatzfähigkeit beschließen. Wir erwarten natürlich, dass die parlamentarische Kontrolle der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik durch die nationalen Parlamente der EU-Mitgliedstaaten und durch das Europäische Parlament gewährleistet wird. ({0}) Dass die Außen- und Sicherheitspolitik Gewicht hat und Erfolge bringt, wird an zahlreichen Beispielen deutlich. Die Balkanregion ist ein Schwerpunkt außen- und sicherheitspolitischer Aktivitäten der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten. Die Eröffnung der europäischen Perspektive für die Länder der Region hat FortChristian Sterzing schritte in allen gesellschaftlichen Bereichen bewirkt. Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen der EU konnten bereits mit Kroatien und Mazedonien abgeschlossen werden. Die EU hat aufgrund ihrer Vermittlungstätigkeit wesentlichen Anteil daran, dass das Abkommen von Ohrid zustande gekommen ist, das die Basis der internationalen Friedensmissionen in Mazedonien bildet. ({1}) Der Stabilitätspakt für Südosteuropa hat sich bewährt. Wir unterstützen ausdrücklich die Stabilisierungs- und Assoziierungsziele der Europäischen Union auf dem Balkan und befürworten die Fortsetzung des Stabilitätspaktes. Meine sehr geehrten Damen und Herren, mir ist an dieser Stelle die Feststellung wichtig, dass die Weiterentwicklung und Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik gegen niemanden gerichtet ist und auch niemanden ausschließen soll. Es geht uns nicht um die Schaffung einer Sicherheitsstruktur neben der NATO, sondern um die Stärkung des europäischen Pfeilers innerhalb der NATO. Sicherheitspolitik in Europa wird auch in Zukunft nur gemeinsam mit unseren Verbündeten auf der anderen Seite des Atlantiks möglich sein. Unser Verhältnis zu den USA und Kanada wird durch den Ausbau einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gestärkt. Ein starkes Europa ist ein guter, verlässlicher Partner in der transatlantischen Zusammenarbeit. ({2}) Unsere Anstrengungen und die Politik für ein gemeinsames Sicherheits- und Verteidigungsbündnis richten sich nicht gegen andere Staaten. Um dies zu unterstreichen, werden wir gemeinsame Strategien mit Russland und der Ukraine umsetzen und die strategische Partnerschaft mit Russland vertiefen. Die Einbindung Russlands in die Antiterrorallianz ist auch ein Ergebnis erfolgreicher europäischer Politik. Die Terroranschläge in New York haben uns deutlich gezeigt, dass die westliche Welt vor einer neuen politischen Herausforderung steht. Der europäische Aktionsplan zur Bekämpfung des Terrorismus wird konsequent umgesetzt. Die Europäische Union hat eine umfassende diplomatische Initiative entfaltet, um eine möglichst globale Koalition gegen den Terrorismus voranzubringen. Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt ausdrücklich die Ziele der Europäischen Union für die Zukunft Afghanistans. Afghanistan hat jetzt eine neue Regierung, die dem Terrorismus die Basis entziehen kann und die dem Land humanitäre und wirtschaftliche Entwicklungsperspektiven eröffnet. Die Bundesregierung hat mit der Aufstockung ihrer Hilfsprogramme für Afghanistan die Bereitstellung zusätzlicher Mittel seitens der EU angestoßen. Deutschland und die EU setzen sich im humanitären Bereich verstärkt für die Bevölkerung der an Afghanistan grenzenden Länder sowie für die afghanischen Flüchtlinge ein. All dies bedeutet, dass die Weiterentwicklung der europäischen Integration und die Antworten der Europäischen Union auf die aktuellen internationalen Herausforderungen eine Stärkung der gemeinsamen europäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik dringend notwendig machen. ({3}) Auch in dieser Hinsicht birgt somit der Europäische Rat von Laeken große Herausforderungen, aber auch sehr große Chancen. Ich bin mir sicher, dass bei den Verhandlungspartnern der Bundesregierung diese Problematik in sehr guten Händen ist. Danke. ({4})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat das Wort der Kollege Jörg-Otto Spiller für die SPD-Fraktion.

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Waigel, es war erfrischend, Sie wieder einmal im Plenum zu hören. ({0}) Ich bestätige Ihnen sehr gerne: Sie sind doch immer noch der Alte. ({1}) Das gilt allerdings leider auch für Ihren Umgang mit Zahlen, der immer etwas eigentümlich war. ({2}) Sie haben beispielsweise vorhin gesagt, unter Ihrer Verantwortung seien die Ausgaben des Bundes zeitweilig rückläufig gewesen. ({3}) Dafür gab es einen einzigen Grund. Das Kindergeld ist von einer Sozialleistung, die als Ausgabe verbucht wurde, zu einer Steuermindereinnahme umgestellt worden, zu einer Rückerstattung von Steuern, die als Mindereinnahme bei den Einnahmen verbucht wurde. In der Sache hatte sich gar nichts geändert. ({4}) Dann haben Sie auch so hübsch darauf hingewiesen, es habe doch unter Ihrer Verantwortung am Schluss ein niedrigeres Defizit gegeben. ({5}) Das war allerdings leider wirklich nur das gesamtstaatliche Defizit, ({6}) während das von Ihnen zu verantwortende Defizit des Bundes deutlich höher war. Ich sage Ihnen Folgendes: 1998 betrug das Haushaltsdefizit des Bundes - Sie hatten den Haushalt eingebracht - 56,6 Milliarden DM. In diesem Jahr hatten wir ein Defizit von 43,8 Milliarden DM. Das ist deutlich weniger. ({7}) - Sie allerdings waren für den Bund zuständig. In einem Punkt, Herr Kollege Waigel, haben wir immer mit Ihnen voll übereingestimmt: Das war die Grundhaltung zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Das möchte ich Ihnen noch einmal bestätigen. Auch wir erkennen an, dass Sie hier Ihre Verdienste haben. Die Einführung des Eurobargeldes steht unmittelbar bevor: der letzte Schritt der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Die Zustimmung zum Euro in Deutschland ist zweifellos gestiegen. Aber ich weiß: Vielen Deutschen fällt der Abschied von der D-Mark schwer. Es gibt Währungen mit einer erheblich längeren Geschichte als die Mark. Die Mark kommt, wenn man großzügig rechnet, allenfalls auf 130 Jahre. Wenn man etwas genauer hinschaut, muss man anerkennen: Es hat nach der Reichsgründung mehrere Jahre gedauert, bis dann tatsächlich die Mark zu 100 Pfennigen die alten Währungen der Einzelstaaten ersetzt hatte, zum Beispiel in Preußen den Taler zu 30 Groschen oder in Bayern den Gulden zu 60 Kreuzern. ({8}) Aber für die meisten Deutschen ist die Mark nicht nur einfach die vertraute Währung. Die D-Mark hatte lange Zeit geradezu eine identitätsstiftende Kraft. In den Westzonen war die Währungsreform von 1948 die eigentliche Wegmarke für den Neuanfang und Wiederaufbau nach der deutschen Katastrophe von 1933 bis 1945. Die D-Mark war eher da als die Bundesrepublik. 40 Jahre später, als in Ostdeutschland der Ruf nach Freiheit und gleichen Lebenschancen die SED-Diktatur hinwegfegte, mündete das Aufbegehren in die Formel: „Kommt die D-Mark nicht zu uns, dann kommen wir zur D-Mark.“ ({9}) Bei der Wiedervereinigung ging mit der Währungsunion vom Juli 1990 wiederum die Einführung der D-Mark der Staatswerdung voraus. Woher kommt dieser große Ansehen, dieses große Vertrauen, das sich die D-Mark in Deutschland und außerhalb Deutschlands in den letzten 50 Jahren erwerben konnte? Ich glaube, es gibt einen wesentlichen Grund dafür: der breite Konsens darüber, der in Deutschland über Jahrzehnte vorhanden war, dass eine starke Wirtschaft eine stabile Währung als eine ihrer wesentlichen Grundlagen braucht und dass man eine starke, dynamische Wirtschaft nicht auf eine schwache Währung stützen kann. Diese Stabilitätskultur, die nicht nur dem Geist von ein paar Technokraten in Frankfurt oder in Bonn entsprang, sondern die von breiten Schichten der Bevölkerung getragen worden ist - auch im Konflikt immer wieder durchgehalten und bestätigt wurde -, war eine der wesentlichen Grundlagen für die erfolgreiche Währungsgeschichte der letzten 50 Jahre in Deutschland. Es gab darüber hinaus kluge institutionelle Vorkehrungen, nämlich die Konstruktion der Bundesbank, unabhängig von Parlament und Regierung und versehen mit dem ausdrücklichen Verbot, den Staat durch Kredite zu finanzieren. Genau diese Konstruktion ist geradezu modellhaft bei der Konstruktion der Europäischen Zentralbank im Rahmen der Konstruktion der Europäischen Wirtschaftsund Währungsunion übernommen worden. Unsere Partner in der Union haben - was durchaus nicht selbstverständlich war - diese Grundlagen übernommen. Die Europäische Zentralbank ist sozusagen spiegelbildlich zur Deutschen Bundesbank konstruiert, ({10}) unabhängig von Regierung und Parlament - auch dem Europäischen Parlament - und mit dem ausdrücklichen Verbot versehen, an Mitgliedstaaten oder der Europäischen Union Kredite zu geben, sowie ausdrücklich darauf verpflichtet, das Ziel der inneren Geldwertstabilität als erste Richtschnur der Geldpolitik zu betrachten und zu würdigen. So komme ich zu dem erfreulichen Schluss: Wenn am Ende dieses Jahres die D-Mark aufhört, eine eigene Währung zu sein, dann ist die Geschichte der Währung eigentlich nicht zu Ende. Das Erbe der D-Mark, der Geist und die Konstruktion von Stabilität gehen in die neue Währungsunion und die neue Währung Euro über. Darauf können wir alle bauen. ({11}) Lassen Sie mich gleichwohl eine kritische Bemerkung machen: Sowohl die Europäische Zentralbank als auch die Kreditinstitute in Europa müssen akzeptieren: Ein Markt und eine Währung bedeuten auch, dass man binnenmarktähnliche Verhältnisse braucht. Es kann nicht sein, dass sich der Zahlungsverkehr von einem Land in ein anderes, das auch der Währungsunion angehört, wieder über Briefe, in die man Bargeld steckt, vollzieht. Wir brauchen einen Zahlungsverkehr, der billig und schnell ist und innerhalb der Europäischen Währungsunion genauso funktioniert wie innerhalb eines Landes. ({12})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 14/7788, 14/7789, 14/7790 und 14/7791 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss, den InnenJörg-Otto Spiller ausschuss, den Rechtsausschuss, den Finanzausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung sowie den Verteidigungsausschuss zu überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 14/7781 soll mit Ausnahme des Innenausschusses an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Nun rufe ich den Tagesordnungspunkt 3 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Verkehrsinfrastruktur-Finanzierungs-Gesellschaft zur Finanzierung von Bundesverkehrswegen. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht der Bundesregierung hat der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Herr Bodewig. Bitte sehr.

Kurt Bodewig (Minister:in)

Politiker ID: 11003051

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat heute den Beschluss über ein Verkehrsinfrastruktur-Finanzierungs-Gesetz gefasst. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir die Gründung einer verkehrsträgerübergreifenden Finanzierungsgesellschaft für die Finanzierung von Bundesverkehrswegen auf den parlamentarischen Weg bringen. Ich bin mit dem Bundesminister der Finanzen in der Bewertung einig, dass die bisherige alleinige Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur über den allgemeinen Haushalt an ihre Grenzen stößt. Hier muss umgesteuert und der Einstieg in eine zusätzliche Nutzerfinanzierung gefunden werden. Die Einführung der LKW-Maut ab 2003 bietet eine gute Gelegenheit, die Einführung einer Nutzerfinanzierung der Verkehrswege mit einer neuen Finanzierungsstruktur zu verbinden. Kernelement dabei ist die Gründung einer Finanzierungsgesellschaft des Bundes in der Rechtsform einer GmbH zur Finanzierung von Bundesverkehrswegen bei Schienen, Straßen und Wasserstraßen. Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, das Gebührenaufkommen aus der LKW-Maut weitgehend der Finanzierungsgesellschaft für Zwecke der Verkehrsinfrastruktur zukommen zu lassen. Dadurch entsteht neben dem Haushalt eine zweite Säule der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung. Darüber hinaus erreichen wir ein weiteres politisch wichtiges Ziel: Für den Gebührenzahler übernimmt die Finanzierungsgesellschaft die Garantie, dass das von ihm gezahlte Nutzerentgelt der Verkehrsinfrastruktur wieder zugute kommt. Damit stärken wir die Akzeptanz der LKW-Maut bei der transportierenden wie bei der verladenden Wirtschaft. Außerdem greifen wir mit dem Gesetzentwurf auch einen Vorschlag der Unabhängigen Regierungskommission „Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“, der so genannten Pällmann-Kommission, auf, die im letzten Jahr innovative Strukturen für die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur empfohlen hat. Die Gesellschaft soll zunächst vorrangig die Maßnahmen des Anti-Stau-Programms für die Verkehrsträger Straße, Schiene und Wasserstraße finanzieren. Dies wird im Zeitraum von 2003 bis 2007 zu Investitionen mit einem Gesamtvolumen von rund 7,4 Milliarden DM führen. Eine spätere Erweiterung des Tätigkeitsbereiches der Gesellschaft über das Anti-Stau-Programm hinaus auf die Finanzierung zukünftiger Infrastrukturvorhaben des Bundes ist ebenfalls vorgesehen. Der Gesetzentwurf enthält einen entsprechenden Spielraum und ermöglicht die Durchführung weiterer verkehrsträgerübergreifender Programme aus einem Guss. Neben diesen Finanzierungsaufgaben können der Gesellschaft auch Aufgaben im Zusammenhang mit der Entwicklung und der Betreuung von Betreibermodellen übertragen werden. Damit entsprechen wir übrigens einem seit längerem geäußerten Anliegen der Bauwirtschaft, die ihre Leistungsfähigkeit bei der privatwirtschaftlichen Finanzierung und Erstellung sowie beim Betrieb von Verkehrsinfrastrukturprojekten stärker als bisher unter Beweis stellen will. Ganz besonders wichtig sind mir folgende Aspekte des Gesetzentwurfs: Die Gesellschaft wird von Anfang an schlank organisiert und sich auf wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschränken. Wir schaffen also keine neue Bürokratie, sondern eine effiziente Struktur, die nach privatwirtschaftlichen Prinzipien arbeiten wird. Die Einnahmen und Ausgaben der Gesellschaft sind transparent und unterliegen der Kontrolle der Bundesregierung und des Parlaments. Die Prinzipien von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit bleiben uneingeschränkt gewahrt. Die Gesellschaft wird Ende nächsten Jahres arbeitsfähig sein, das heißt rechtzeitig, bevor die Einnahmen aus der Erhebung der LKW-Maut zu erwarten sind. Die hierzu erforderlichen Schritte sind eingeleitet. Lassen Sie mich zusammenfassend noch einmal die Ziele verdeutlichen, die wir mit dem Gesetz erreichen wollen: Wir schaffen neben dem Haushalt, der zur Finanzierung aber auch zukünftig unentbehrlich bleibt, eine zweite Säule der Finanzierung von Infrastruktur. Wir realisieren innovative Finanzierungsformen. Wir stärken die Infrastrukturinvestitionen. Wir erhöhen die Akzeptanz für die LKW-Maut.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, zunächst Fragen zu diesem Themenbereich zu stellen. Dazu liegt mir zunächst eine Wortmeldung der Kollegin Ostrowski vor. Bitte sehr.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Minister Bodewig, Sie haben gesagt, dass die Gebühren, die Sie einnehmen werden, weitgehend zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur verwendet werden sollen. Abgesehen davon, dass ich hoffe, dass die neu zu gründende Gesellschaft besser arbeiten wird als die Bundesbaugesellschaft, habe ich folgende konkrete Fragen: Mit wie vielen Einnahmen jährlich rechnen Sie? Zu welchen Anteilen wollen Sie diese Einnahmen zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur im Bereich der Straße, im Bereich der Schiene usw. verwenden? Ihnen dürfte ja bekannt sein, dass es da zwei Vizepräsidentin Anke Fuchs Extreme gibt. Die einen sagen, alles müsse in die Straße investiert werden, und die anderen sagen - richtigerweise, denke ich -, es müsse mehr in die Schiene und in die Wasserstraßen investiert werden.

Kurt Bodewig (Minister:in)

Politiker ID: 11003051

Ich beantworte die Fragen gern, obwohl sie nicht direkt im Zusammenhang mit der Verkehrsinfrastruktur-Finanzierungs-Gesellschaft stehen, sondern mehr den Gesetzentwurf zur LKW-Maut betreffen, den wir morgen in zweiter und dritter Beratung behandeln werden. Die Gesellschaft hat das Ziel, das Anti-Stau-Programm umzusetzen. Im Anti-Stau-Programm ist der folgende Schlüssel festgelegt: die Hälfte für den Straßenbau, zwei Sechstel für den Schienenbereich und ein Sechstel für Wasserstraßeninfrastruktur. Das entspricht unserem Grundverständnis von einem integrierten Verkehrskonzept. Aufgrund der darin festgelegten Aufteilung werden sich bestimmte Wirkungen einstellen. Das Aufkommen bestimmt sich durch die Höhe der Maut. Grundlage hierfür ist ein Gutachten, das zwei unabhängige Untersuchungsinstitute erarbeitet haben. Maßgeblich sind die Wegekosten in Höhe von 6,6 Milliarden DM. Davon müssen die pauschale Ablösung der Euro-Vignette und die Kosten des Betriebs und der Kontrolle abgezogen werden. Die verbleibende Mehreinnahme wird dann über die Verkehrsinfrastruktur-Finanzierungs-Gesellschaft den einzelnen Verkehrsprojekten zugeführt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat das Wort zu einer Frage der Kollege Weis, SPD-Fraktion.

Reinhard Weis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002457, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister Bodewig, für den Autobahn- und Bundesstraßenbau gibt es die Auftragsverwaltung der Bundesländer. Besteht in dieser Frage ein Konflikt mit der geplanten Verkehrsinfrastruktur-Finanzierungs-Gesellschaft? Wie ist die Haltung der Bundesländer zu der geplanten Gesellschaft?

Kurt Bodewig (Minister:in)

Politiker ID: 11003051

Die Haltung der Bundesländer ist ausgesprochen positiv. Die Verkehrsinfrastruktur-Finanzierungs-Gesellschaft soll nicht die Auftragsverwaltung der Länder ersetzen. Es gibt in Deutschland ja ohnehin zwei unterschiedliche Systeme. In den alten Bundesländern gibt es die Auftragsverwaltung über die Landesbehörden für Straßenbau oder ähnliche Formen. In den neuen Bundesländern sind es überwiegend VDE-Projekte, die über die DEGES, eine eigene Projektträgergesellschaft, abgewickelt werden. Die Auftragsverwaltung der Länder wird also nicht infrage gestellt; im Gegenteil. Die Gesellschaft wird eine ganz schlanke Konstruktion haben und wird bei der Realisierung in jedem Fall die Auftragsverwaltung der Länder in Anspruch nehmen müssen, sodass deren Tätigkeit gefordert ist, wie das auch in der Vergangenheit der Fall war.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat die Kollegin Blank eine Frage.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, wird es aufgrund des Gesetzentwurfs, der ja eindeutig eine Quersubventionierung vorsieht, Probleme mit den einzelnen Verkehrsträgern geben? Warum betrachten Sie in diesem Gesetzentwurf den LKW-Verkehr eigentlich als Ihren Hauptfeind, obwohl doch 80 Prozent der Güter über die Straße befördert werden?

Kurt Bodewig (Minister:in)

Politiker ID: 11003051

Frau Kollegin Blank, ich denke nicht in Kategorien wie Feindschaft, sondern in verkehrspolitischen Konzepten. Wir haben nun einmal hoch belastete Autobahnen; Sie alle machen täglich die Erfahrung, dass auf der linken Spur ein LKW hinter dem anderen fährt. Wir alle haben ein Interesse daran, dass vor dem Hintergrund des Verkehrszuwachses, der prognostiziert und von mir zu Beginn des Jahres im Verkehrsbericht 2000 beschrieben worden ist - im Vergleich zum Basisjahr 1997 ist allein im Güterverkehr ein Anstieg um 64 Prozent zu erwarten -, alle Maßnahmen ergriffen werden, um jeden Verkehrsträger optimal aufzustellen. Dazu gehören auch die Vermeidung, Verlagerung und Steuerung des Verkehrs. Ein Teil der Verlagerungswirkung wird hiermit erzielt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun fragt der Kollege Schmidt. Bitte sehr.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister Bodewig, würden Sie noch einmal ausführen, worin der Vorteil einer Verkehrsinfrastruktur-Finanzierungs-Gesellschaft gegenüber einer ebenso denkbaren Haushaltsfinanzierung liegt, bei der die LKW-Maut ganz normal in den Bundeshaushalt flösse und von dort aus möglicherweise in die Verkehrsinfrastruktur reinvestiert würde?

Kurt Bodewig (Minister:in)

Politiker ID: 11003051

Wir haben heute schon Haushaltsansätze für die einzelnen Verkehrsträger, die übrigens von dieser Bundesregierung und den sie tragenden Koalitionsfraktionen mit dem „Zukunftsinvestitionsprogramm Schiene und Straße“ deutlich verstärkt wurden. Wir wissen aber, dass dies nicht ausreichen wird, um die zurzeit bei den einzelnen Verkehrsträgern vorhandenen Engpässe zu beseitigen. Insofern handelt es sich hier um On-TopMittel. Um dies deutlich zu machen und um Akzeptanz beim Transportgewerbe zu werben, wollen wir dies in einer eigenen Verkehrsinfrastruktur-Finanzierungs-Gesellschaft dokumentieren. Damit wird sichergestellt, dass es sich um zusätzliche Maßnahmen für bestimmte, definierte Projekte im Rahmen des Anti-Stau-Programms handelt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Es fragt die Kollegin Karin Rehbock-Zureich.

Karin Rehbock-Zureich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002756, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, immer wieder wird der Vorwurf erhoben, hier könne ein Schattenhaushalt entstehen. Ihre Einschätzung?

Kurt Bodewig (Minister:in)

Politiker ID: 11003051

Nein, ein Schattenhaushalt ist definitiv ausgeschlossen. Es war ja Ziel dieser Bundesregierung, die Schattenhaushalte der vergangenen Regierung aufzulösen, was uns erfreulicherweise auch gelungen ist. ({0}) Deswegen wird die Verkehrsinfrastruktur-FinanzierungsGesellschaft aus Mauteinnahmen und anderen Gebühren - das gilt etwa für die Wasserstraßen - gespeist. Es ist keine Kreditfinanzierung vorgesehen. Insofern stellt dieses Instrument das genaue Gegenteil eines Schattenhaushalts dar.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt die Kollegin Blank noch einmal zu Wort.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, Sie haben meine Frage nach der Quersubventionierung nicht beantwortet. Vielleicht können Sie das gleich noch tun. Meine weitere Frage: Die Pällmann-Kommission hat eine größere Finanzierungsgesellschaft mit Managementaufgaben usw. vorgeschlagen, während Ihre Finanzierungsgesellschaft ein bisschen zu kurz springt und sich eigentlich auf eine reine Inkassofunktion beschränkt. Halten Sie es nicht auch für günstiger, wenn diese Finanzierungsgesellschaft analog dem Vorschlag der PällmannKommission mehr Vollmachten hätte?

Kurt Bodewig (Minister:in)

Politiker ID: 11003051

Ihre Einschätzung ist nicht ganz richtig. In der Begründung des Gesetzes sind zwei Funktionen dargestellt: zum einen die Finanzierung von Projekten wie das Anti-Stau-Programm, zum anderen die Realisierung von Betreibermodellen und die entsprechende Finanzierungsfunktion. Das sind schon sehr weitgehende Aufgaben; das ist weit mehr als das, was Sie beschrieben haben. Hierüber werden wir aber bei der Beratung des Gesetzes noch gemeinsam sehr intensiv diskutieren. Sie sprachen von Quersubventionierung. Ich spreche von Querfinanzierung. Es geht darum, dass wir die verkehrspolitischen Herausforderungen insgesamt bewältigen müssen. Das prognostizierte Verkehrswachstum lässt sich nicht allein auf einen Verkehrsträger projizieren. Vielmehr werden Verlagerungen von einem Verkehrsträger auf den anderen erforderlich sein. Dies ist Teil eines integrierten Verkehrskonzepts, wie wir es im Deutschen Bundestag anhand des Verkehrsberichts 2000 diskutiert haben. Insoweit ist es richtig, von Querfinanzierung, nicht aber von Quersubventionierung zu sprechen; denn es geht um die Bewältigung eines enormen Zuwachses an Güterverkehr. Uns allen ist klar, was es bedeutet, wenn innerhalb eines kurzen Zeitraumes von 15 Jahren der heutige Verkehr um zwei Drittel zunimmt. Das heißt, wir brauchen alle Verkehrsträger. Deswegen ist dies Teil eines integrierten Verkehrskonzeptes. Die Pällmann-Kommission hat vorgeschlagen, Finanzierungsgesellschaften für jeden Verkehrsträger zu bilden. Das halten wir für zu aufwendig. Wir wollen eben keine Mammutbürokratie, sondern effiziente Steuerungseinheiten, die dokumentieren sollen, dass diese Mittel in die Verkehrsinfrastruktur zurückfließen, darüber hinaus aber auch die eben genannte Funktion, Betreibermodelle zu finanzieren, umsetzen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun fragt noch einmal der Kollege Schmidt.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, ich möchte das Stichwort der Kollegin Renate Blank, die von der Quersubventionierung sprach, noch einmal aufgreifen. Die Europäische Kommission hat in ihrem am 12. September 2001 - also vor wenigen Wochen - veröffentlichten neuen Weißbuch zur Verkehrspolitik ausdrücklich festgehalten, dass die Wiederverwendung von Wegekosteneinnahmen für mehrere oder alle Verkehrsträger gerade keine Quersubventionierung, sondern einen aus europäischer Sicht nicht nur zulässigen, sondern sogar wünschenswerten Ansatz darstellt. Sehen Sie von daher bei der möglichen Umsetzung bzw. Überführung des Weißbuches in künftige Richtlinien ein Risiko, dass der deutsche Weg hinsichtlich der Kompatibilität mit der europäischen Verkehrspolitik zu Problemen führt, oder entspricht das eher dem, was die Kommission selbst vorschlägt?

Kurt Bodewig (Minister:in)

Politiker ID: 11003051

Die LKW-Maut wie auch die Verkehrsinfrastruktur-Finanzierungs-Gesellschaft sind eine Vorwegnahme der europäischen Idee, die im Weißbuch zur Verkehrspolitik wiedergegeben ist. Das heißt, wir bewegen uns eigentlich schon in einer Richtung, über die in Europa zurzeit diskutiert wird. Die Kommission, aber auch erste Gespräche etwa im informellen Rat haben eine sehr große Akzeptanz auf europäischer Ebene deutlich erkennen lassen. Wir stehen am Beginn eines europäischen Weges und können hier in Deutschland schon einmal testen, ob dieser Weg funktioniert. Ich glaube, dass die Konstruktion, gerade weil sie sich auf ganz wesentliche Funktionen beschränkt, erfolgreich sein wird.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat der Kollege Dirk Niebel eine Frage.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, die rot-grüne Bundesregierung hat mit der GEBB und Frau FugmannHeesing in gewisser Weise bereits Erfahrungen hinsichtlich solcher Gesellschaften gesammelt. Wie hoch veranschlagen Sie die Mittel, die der zukünftige Geschäftsführer dieser Gesellschaft aus den Mauteinnahmen verbrauchen wird, und aus welcher Landesregierung wird er kommen? ({0})

Kurt Bodewig (Minister:in)

Politiker ID: 11003051

Die Gesellschaft erhält jetzt ihre gesetzliche Grundlage. Bewerbungsgespräche werden noch nicht geführt, Herr Niebel. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat Kollege Reinhard Weis eine Frage.

Reinhard Weis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002457, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, die Verkehrsinfrastruktur-Finanzierungs-Gesellschaft soll nicht hoheitliche Aufgaben bei der Vorbereitung und Umsetzung von privatrechtlich finanzierten Verkehrsprojekten übernehmen. Können Sie das bitte näher erläutern?

Kurt Bodewig (Minister:in)

Politiker ID: 11003051

Es gibt unterschiedliche Vorstellungen, etwa nach dem Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz, aber auch Möglichkeiten, die wir mit dem Betreibermodell im Rahmen des Investitionsbeschleunigungsprogramms „Bauen jetzt“ beschrieben haben. Danach ist der sechsspurige Ausbau hoch belasteter Autobahnen vorgesehen, die im vordringlichen Bedarf sind, deren Ausbau also notwendig ist, die aber sonst erst am Ende des Jahrzehnts im Rahmen der Finanzplanung realisiert werden könnten. Dies muss vorbereitet werden. Dieses Betreibermodell sieht nicht nur vor, dass die Finanzierung durch den LKW-Anteil aus der Maut gespeist wird, sondern auch, dass gleichzeitig der Betrieb und der Erhaltungsaufwand im Rahmen eines konzeptionierten zeitlichen Rahmens beschrieben werden. Die hierfür notwendigen Ermittlungsarbeiten können teilweise von dieser Gesellschaft, die wir bilden wollen, mit geleistet werden. Das wäre eine dieser nicht hoheitlichen Aufgaben, die die Gesellschaft erfüllen kann.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat die Kollegin Christine Ostrowski eine Frage.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Minister, Sie sagten vorhin meiner Kollegin Blank, dass es bei den Einnahmen aus der Maut und bei der Verkehrinfrastruktur-Finanzierungs-Gesellschaft, die diese Maut einnimmt und klug wieder ausgeben soll, auch um die Verlagerung von Güterverkehr auf andere Verkehrsträger als die Straße und letzten Endes auch um die Vermeidung von Güterverkehr geht. Daraus ergibt sich meine Frage: Wie hoch prognostizieren Sie den Anteil des Verkehrs, der mithilfe der Verkehrsinfrastruktur-Finanzierungs-Gesellschaft von der Straße auf die Schiene oder auf Wasserstraßen verlagert oder vielleicht auch gänzlich vermieden werden kann? Außerdem möchte ich gerne wissen, woher Sie die Sicherheit nehmen, dass es wirklich so kommen wird.

Kurt Bodewig (Minister:in)

Politiker ID: 11003051

Über Sicherheit kann man immer trefflich streiten; deswegen haben wir Wissenschaftler. Ich versuche, alle Ergebnisse durch wissenschaftliche Gutachten ermitteln zu lassen. Was das Schaffen von Sicherheit angeht, wären wir beide wahrscheinlich überfordert. Diese Gutachten werden nach neuesten Methoden erstellt. Ich will noch einmal darauf hinweisen: Die Festlegung der Wegekosten ist kein „Wünsch dir was!“-Betrag, sondern eine Ermittlung dessen, was an realen Wegekosten durch den Schwerlastverkehr ab 12 Tonnen entsteht. Das ist die Grundlage für die Festlegung der Maut, die dann nach der Anzahl der Achsen und dem Emissionsverhalten der Fahrzeuge ausdifferenziert wird. Unterschiedliche Güter haben unterschiedliche Verlagerungseffekte. Die Gutachter sind aber insgesamt zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die Verlagerung bei einer Durchschnittsgebühr von 15 Cent etwa um 6 bis 7 Prozent zugunsten der Schiene auswirken wird.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt stellt die Kollegin Karin Rehbock-Zureich eine Zusatzfrage.

Karin Rehbock-Zureich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002756, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, wie bewerten betroffene Kreise und Fachverbände die Verabschiedung dieses Gesetzes? Wirkt sich dieses Gesetz auch auf das Preisniveau aus?

Kurt Bodewig (Minister:in)

Politiker ID: 11003051

Nein. Die Finanzierungsgesellschaft hat eine ganz geringe Zahl an Beschäftigten; es geht um etwa 15 bis 20 Stellen. Deren Kosten sind im Rahmen eines Gesamtbetrages von rund 6,6 Milliarden Wegekosten minimal. Wir haben im Haushalt rund 550 000 DM oder 280 000 Euro eingestellt. Der entsprechende Haushaltsposten ist mit einem Sperrvermerk versehen. Durch Entsperrung wird die Arbeit dieser Gesellschaft gewährleistet. Der von mir genannte Betrag ist wahrlich überschaubar. Das könnte sogar ein Beispiel für die private Wirtschaft sein. Die Befürchtung, dass hiermit eine Mammutbürokratie errichtet wird, die Millionen verschlingt, ist nicht gerechtfertigt. Es geht um eine schlanke, effiziente Projektorganisation.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun fragt die Kollegin Ina Lenke nach.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, Ihre Antwort war sehr gut. Ich kann meine Frage daran anschließen: Wie hoch werden die jährlichen Verwaltungskosten dieser Gesellschaft - Sie haben eben von „schlank“ und „effizient“ gesprochen - sein?

Kurt Bodewig (Minister:in)

Politiker ID: 11003051

Ein Anhaltspunkt sind diejenigen Beträge, die auf unserem Vorschlag hin durch den Haushaltsausschuss eingestellt worden sind: 280 000 Euro. Das steht für die Anfangsphase zur Verfügung. Wir werden die Entwicklung abwarten. Ich selbst gehe von einem Personalvolumen zwischen 15 und 20 Mitarbeitern aus. Davon ausgehend kann man entsprechende Hochrechnungen anstellen. Gemessen am Gesamtvolumen der Wegekosten von 6,6 Milliarden werden diese Kosten bei unter 1 Prozent liegen. Da können Sie sicher sein.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun fragt der Kollege Reinhard Weis nach.

Reinhard Weis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002457, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Als Grundlage für die Realisierung von Verkehrsprojekten, für die der Bund verantwortlich ist, gibt es heute den Bundesverkehrswegeplan. Das Parlament besitzt dank des Haushaltsrechts die Hoheit über die Auswahl derjenigen Projekte, die realisiert werden. Diese Hoheit ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass der Auftrag des Grundgesetzes, in ganz Deutschland für eine vergleichbare Erschließung der Infrastruktur zu sorgen, umgesetzt werden kann. Wie sollen Projekte ausgewählt werden, die mithilfe der Verkehrsinfrastruktur-Finanzierungs-Gesellschaft privat finanziert werden? Wird der Bundesverkehrswegeplan auch da die Grundlage sein oder kann es sich um Projekte handeln, die nicht zum Bundesverkehrswegeplan gehören?

Kurt Bodewig (Minister:in)

Politiker ID: 11003051

Voraussetzung für eine solche Entscheidung ist, dass wir den Prozess der Erstellung des neuen Bundesverkehrswegeplans bis 2003 zügig fortsetzen. ({0}) Wir wissen, dass es Verzögerungen in denjenigen Bereichen gegeben hat, die nicht den Straßenbau betreffen. Wie schon beschrieben, werden wir unsere Arbeit zügig fortsetzen. Ich gehe daher davon aus, dass im Jahr 2003 ein neuer Bundesverkehrswegeplan vorhanden ist, der sich vom alten dadurch unterscheidet, dass er realistischer ist. Der Bundesverkehrswegeplan von 1992 war mit rund 100 Milliarden unterfinanziert. Beim Anti-Stau-Programm geht es um die Erfüllung bestimmter Kriterien. Ich erinnere an die Belastung durch 65 000 Kfz im Laufe von 24 Stunden. Das macht deutlich, dass es um hoch belastete Strecken geht. Es geht darum, dass zusätzlich zur Haushaltsfinanzierung ergänzende Nutzerfinanzierungen eingeführt und hier wirklich notwendige On-Top-Mittel für strukturelle Engpässe organisiert werden. Das muss man mit den jeweiligen Programmerstellungen nach den Kriterien des Anti-Stau-Programms, das ein Anhaltspunkt ist, sehr genau definieren. Sie wissen, dass in diesem Programm vordringlicher und weiterer Bedarf enthalten ist.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt die Kollegin Christine Ostrowski.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Minister, nicht direkt zu dieser Gesellschaft mit dem langen Namen, aber damit in engem Zusammenhang stehend und von großem öffentlichen Interesse: Die Firmen, die jetzt eine Maut zahlen müssen, haben dadurch finanzielle Belastungen. Nun hatten Sie einen Ausgleich ins Spiel gebracht und sich öffentlich zum Beispiel zu einer Senkung der KfzSteuer als Gegengewicht geäußert. In der Zwischenzeit ist das wieder etwas zurückgenommen worden. Ich hätte gerne gewusst: Wird denn nun ein Ausgleich kommen? Auf welche Art und Weise wird ein Ausgleich kommen? Was wird mit der Senkung der Kfz-Steuer? Sagen Sie bitte etwas dazu.

Kurt Bodewig (Minister:in)

Politiker ID: 11003051

Sie wissen, dass die europäische Fiskalharmonisierung nicht Gegenstand dieses Gesetzentwurfs ist. Deswegen möchte ich darauf hinweisen, dass darüber eben in einem europäischen Kontext diskutiert werden muss. Ich selber habe immer deutlich gemacht, dass etwa die von mir ins Spiel gebrachte Möglichkeit der Kfz-Steuerreduzierung auf das europäische Mindestniveau der Kfz-Steuer deswegen interessant ist, weil die Kraftfahrzeugsteuer in einem ganz hohen Maße das Emissionsverhalten bewertet. Die LKW-Maut enthält ebenfalls solche Kriterien, nämlich durch bestimmte Schadstoffklassen, die entweder mit einem Bonus oder mit einem Malus versehen werden. Auch hier müssen Sie davon ausgehen, dass je nach Emissionsverhalten der Fahrzeuge jeweils 25 Prozent Minus oder Plus aufgesattelt oder abgesenkt werden können. Damit wird sehr deutlich, dass genau diese Funktion der Kfz-Steuer in einem europäischen Kontext entbehrlich ist. Alle Fragen der Entlastung des Gewerbes müssen EUkompatibel sein. Zu Gesprächen darüber bin ich auch gegenüber dem Gewerbe gerne bereit. Die Entlastung des Gewerbes ist aber nicht Gegenstand des jetzigen Gesetzentwurfs.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun fragt der Kollege Albert Schmidt.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, ich will noch einmal an die Frage des Kollegen Reinhard Weis anknüpfen, der die Aufmerksamkeit auf die Auswahl möglicher Verkehrsprojekte gerichtet hat, die aus den Einnahmen, die bei der Verkehrsinfrastruktur-Finanzierungs-Gesellschaft - ein Wort, das ähnlich lang ist wie Präimplantationsdiagnostik - auflaufen, realisiert werden sollen. Können wir als Parlamentarier davon ausgehen, dass das Parlament die Planungshoheit für das, was prioritär in Deutschland überhaupt an Verkehrsprojekten realisiert wird - sei es aus der normalen Haushaltslinie, sei es aus der LKWMaut über die Verkehrsinfrastruktur-Finanzierungs-Gesellschaft -, behält und dass die Rangreihung, wie sie sich etwa im jeweils gültigen Bundesverkehrswegeplan niederschlägt, die mögliche Auswahl von Projekten eigentlich vorfestlegt?

Kurt Bodewig (Minister:in)

Politiker ID: 11003051

Für jedes ausgewählte Projekt ist eine gesetzliche Grundlage erforderlich. Das heißt, wir können keine Autobahn bauen, für die nicht Baurecht vorliegt oder für die das Planfeststellungsverfahren noch nicht vorhanden ist. Deswegen habe ich zu Beginn in Beantwortung der Frage des Kollegen Weis darauf hingewiesen, dass der Bundesverkehrswegeplan genau dieser Anhaltspunkt ist. Wenn wir davon ausgehen, dass das Anti-Stau-Programm sofort mit Beginn des Jahres 2003 in Angriff genommen werden kann, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder werden Maßnahmen zeitlich vorgezogen, oder aber man wählt für den zu erwartenden Fall, dass über das Anti-Stau-Programm Finanzmittel für Infrastrukturausbau vorhanden sind, zusätzliche Projekte aus. Daran kann man erkennen: Es gibt eine gesetzliche Grundlage. Ich sage gerne vor dem Parlament, dass es in zweifacher Weise beteiligt ist. Zum einen gibt es Haushaltsklarheit und -wahrheit und das Parlament hat die notwendige Transparenz. Auf der anderen Seite ist für die Auswahl der zu realisierenden Projekte im Parlament eine gesetzliche Voraussetzung zu erarbeiten. Insofern denke ich, dass die Interessen des Parlaments mit dieser Konstruktion im optimalen Sinne gewahrt sind.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt die letzte Frage von der Kollegin Renate Blank.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, seien Sie doch bitte so nett und informieren Sie auch das Parlament, nachdem Sie die Öffentlichkeit informiert haben, mit welchen Einnahmen Sie für diese VerkehrsinfrastrukturFinanzierungs-Gesellschaft rechnen.

Kurt Bodewig (Minister:in)

Politiker ID: 11003051

Frau Blank, dies habe ich eben schon getan, indem ich auf das Gutachten hingewiesen habe. Das Gutachten ermittelt reale Wegekosten durch den Schwerlastverkehr von 6,6 Milliarden DM. Ich glaube, damit wurde Ihrem Anliegen entsprochen. Ich will noch auf etwas anderes hinweisen: Es geht mir im Kern darum, auch gegenüber dem Parlament deutlich zu machen, dass es keine politische Festlegung der Maut geben darf, weil dann sofort die Frage der Rechtsbeständigkeit einer solchen Entscheidung thematisiert würde. Es geht um die realen Wegekosten. Hierbei bewegen wir uns im Rahmen der Richtlinie von 1999 und nicht auf der Basis des Weißbuches der EU, wodurch zusätzlich externe Kosten berücksichtigt werden könnten. Damit so etwas möglich wird, muss erst das Weißbuch diskutiert werden, danach müssen in europäischen Richtlinien entsprechende Schlussfolgerungen daraus gezogen und im Anschluss daran diese Richtlinien national umgesetzt werden. Für diese Entwicklung benötigt man viel Zeit, sodass sich hierfür frühestens in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts eine Perspektive ergibt. Insofern haben wir die realen Wegekosten ermitteln lassen. Davon hängen die realen Belastungen ab. Daran, dass ein LKW von 40 Tonnen die 60 000-fache Druckbelastung eines PKW hat, können Sie erkennen, wie dieser die Straßen in Deutschland abnutzt, nämlich 60 000 mal so viel wie ein PKW. Ich glaube, das ist eine beeindruckende Zahl.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Damit sind wir am Ende der mitgeteilten Tagesordnung der Bundesregierung. Wir danken dem Herrn Verkehrsminister für die Beantwortung der Fragen. ({0}) Gibt es weitere Fragen an die Bundesregierung? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich schließe die Befragung. Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf: Fragestunde - Drucksache 14/7750 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich wie vereinbart die Fragen 28 und 29 des Abgeordneten Peter Weiß ({1}) aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Staatsminister Hans Martin Bury zur Verfügung. Ich rufe die Frage 28 auf: Wurden in den Beratungen des Bundeskabinetts oder des Bundessicherheitsrates durch ein Mitglied der Bundesregierung Vorbehalte gegen die Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte im Rahmen der Operation Enduring Freedom geäußert? Herr Staatsminister, bitte sehr.

Not found (Gast)

Frau Präsidentin, ich würde die Fragen des Kollegen Weiß gerne im Zusammenhang beantworten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, sind Sie einverstanden?

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Also nehmen wir die Fragen 28 und 29 zusammen. Ich rufe auch die Frage 29 auf: Wurde in den Beratungen des Bundeskabinetts oder des Bundessicherheitsrates durch ein Mitglied der Bundesregierung eine Unterbrechung des Einsatzes amerikanischer Luftstreitkräfte in Afghanistan ({0}) im Rahmen der Operation Enduring Freedom gefordert bzw. empfohlen? Bitte sehr.

Not found (Gast)

Vielen Dank. - Herr Kollege Weiß, wie Sie wissen, sind die Sitzungen der Bundesregierung vertraulich und die Sitzungen des Bundessicherheitsrates geheim. Das gilt insbesondere für in den Sitzungen geführte Diskussionen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ich habe diese Antwort erwartet. Da aber die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul, nach ihrem Besuch Ende Oktober in Pakistan erklärt hat, dass sie es für bedenkenswert und sogar wünschenswert halten würde, wenn das Bombardement in Afghanistan durch eine Feuerpause während des Fastenmonats Ramadan unterbrochen wird, und da der Staatsminister im Auswärtigen Amt Ludger Volmer sich in gleicher Weise geäußert hat, möchte ich Sie fragen: Haben diese beiden Mitglieder der Bundesregierung das, was sie öffentlich erklärt haben und was in der Zeitung nachzulesen war, in irgendeiner oder in gleich lautender Weise auch bei den Beratungen des Bundeskabinetts und der Bundesregierung vorgetragen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Weiß, wie ich Ihnen eben bereits in der ersten Antwort auf Ihre Fragen gesagt habe, sind die Beratungen des Bundeskabinetts vertraulich. In der Geschäftsordnung der Bundesregierung ist aus gutem Grund geregelt, dass sich diese Vertraulichkeit auch auf die Ausführungen einzelner Bundesminister bezieht. Insoweit habe ich meiner ersten Antwort nichts hinzuzufügen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Sie wollen noch einmal nachbohren. Bitte sehr, Herr Kollege. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, da einerseits die Beschlussfassung der Bundesregierung bekannt ist - diese war im Parlament auch Gegenstand einer Abstimmung - und andererseits die Äußerungen von Mitgliedern der Bundesregierung, die dem entgegenstehen, bekannt sind, nämlich die Forderung nach einer Feuerpause während des Fastenmonats Ramadan, möchte ich Sie fragen: Wie gedenken denn der Bundeskanzler und die Bundesregierung damit umzugehen, dass einzelne Mitglieder der Bundesregierung in der Öffentlichkeit eine andere Auffassung vertreten, als sie offensichtlich der Beschlussfassung der Bundesregierung entspricht?

Not found (Gast)

Herr Kollege Weiß, die notwendigen Beschlüsse sind einvernehmlich getroffen worden und werden von der Bundesregierung geschlossen vertreten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr, Herr Kollege.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, darf ich dann festhalten, dass sowohl die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Frau Heidemarie Wieczorek-Zeul, als auch der Staatsminister im Auswärtigen Amt Ludger Volmer in der Öffentlichkeit Äußerungen vorgetragen haben, die sie in dieser Weise in die Beratungen des Bundeskabinetts offenkundig nicht eingebracht haben?

Not found (Gast)

Herr Kollege Weiß, ich kann Sie nicht daran hindern, über die Beratungen des Bundeskabinetts zu spekulieren. Mit Blick auf die bereits zweimal von mir angesprochene Vertraulichkeit der Beratungen kann ich aber Ihre Spekulation über den Inhalt weder bestätigen noch dementieren.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt die letzte Zusatzfrage, die Ihnen noch zusteht. Bitte sehr, Herr Kollege.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nachdem die entsprechenden Äußerungen, die ich nicht mehr zu zitieren brauche, bekannt sind - insbesondere die Äußerungen der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie WieczorekZeul -, möchte ich fragen: Hat denn der Bundeskanzler in irgendeiner Weise dieses Kabinettsmitglied für seine Äußerungen abgemahnt oder ist er in irgendeiner Weise darauf eingegangen, indem er widersprochen hat? ({0})

Not found (Gast)

Herr Kollege Weiß, es bestand weder Anlass, Kabinettsmitglieder abzumahnen, noch ist das der Stil des Bundeskanzlers. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun will Herr von Klaeden nachfragen. Bitte sehr.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wie findet denn der Herr Bundeskanzler diese Äußerungen, die der Kollege Weiß zitiert hat?

Not found (Gast)

Herr Kollege von Klaeden, es ist bekannt, dass der Bundeskanzler zum Ausdruck gebracht hat, dass sich Forderungen nach einer Einstellung der Luftoperationen als falsch erwiesen haben, da das konsequente Vorgehen der internationalen Allianz gegen den Terror die Voraussetzungen für humanitäre Hilfe und für den Wiederaufbau in Afghanistan entscheidend mit geschaffen hat.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich rufe jetzt die übrigen Fragen in der üblichen Reihenfolge auf. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Ina Lenke auf: Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um junge Männer zu informieren, dass es mit In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Neuausrichtung der Bundeswehr ab 1. Januar 2001 die Möglichkeit geben wird, den Zivildienst in gleicher Weise wie den Wehrdienst in zwei Etappen von 7 ({0}) + 3 Monaten abzuleisten? Frau Parlamentarische Staatssekretärin, bitte. Peter Weiß ({1})

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Frau Präsidentin, die beiden Fragen hängen inhaltlich sehr eng zusammen. Ich möchte sie gerne im Zusammenhang beantworten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Lenke, ich denke, Sie sind mit einer zusammenfassenden Antwort einverstanden.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, wenn ich dann vier Zusatzfragen habe.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Die Spielregeln bleiben, wie sie sind. Ich rufe also auch die Frage 2 der Kollegin Ina Lenke auf: In welcher Weise wirkt die Bundesregierung auf die Informationspolitik der Bundeswehr und des Bundesamtes für den Zivildienst bezüglich der neugeschaffenen 7 ({0}) + 3-Regelung für die Ableistung von Wehr- und Zivildienst ein, um sicherzustellen, dass alle jungen Männer, die ihre Zukunft planen und über den Ablauf ihres Wehr- und Zivildienstes entscheiden müssen, umfassend über die Möglichkeit der etappenweisen Ableistung der Dienstpflicht informiert sind? Bitte sehr, Frau Staatssekretärin.

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Der im Gesetzentwurf zur Neuausrichtung der Bundeswehr ab Anfang 2002 neu vorgesehene abschnittsweise Grundwehrdienst oder Zivildienst wird nicht in zwei, sondern in drei Abschnitten abgeleistet. Seitens des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sind folgende Hinweise vorgesehen: In die Informationsschrift „Wichtige Hinweise für anerkannte Kriegsdienstverweigerer“ wird ebenso wie in die Internetseiten des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und des Bundesamtes für den Zivildienst eine entsprechende Passage eingestellt werden. Weiterhin wird eine Sonderinformation für die Beschäftigungsstellen und für die Verwaltungsstellen auf die Möglichkeiten des abschnittsweisen Zivildienstes hinweisen. Die Wehrersatzbehörden informieren mangels eigener Kenntnis und Zuständigkeit nicht über den Zivildienst und dessen Ausgestaltung. Die Bundeswehr hat seit geraumer Zeit über die Möglichkeit des abschnittsweisen Grundwehrdienstes informiert. Seit dem 1. März 2001 erhalten alle Wehrpflichtigen mit der Ladung zur Musterung oder zur Überprüfungsuntersuchung eine schriftliche Information über die voraussichtlich ab Januar 2002 bestehende Möglichkeit der abschnittsweisen Ableistung des Grundwehrdienstes. Diese Information wird auch an alle anderen ungedienten Wehrpflichtigen aus Anlass eines sonstigen Schreibens des Kreiswehrersatzamtes mit übersandt. Die Information enthält den Hinweis, dass der abschnittsweise Grundwehrdienst in drei Abschnitten abgeleistet wird, von denen der erste Abschnitt sechs Monate, die Abschnitte zwei und drei jeweils anderthalb Monate dauern, und dass für die Ableistung insgesamt ein Zeitraum von grundsätzlich 30 Monaten zur Verfügung steht. In einer Erklärung, die zum Inhalt dieser Information gehört, haben die Wehrpflichtigen unter anderem die Möglichkeit, durch Ankreuzen ihr Interesse am abschnittsweisen Wehrdienst oder am Wehrdienst an einem Stück zu bekunden. Diese Erklärung wird zu den Personalakten genommen und ist Grundlage der späteren Einplanung und Einberufung zum Grundwehrdienst. Die Bundesregierung stellt insgesamt mit den aufgeführten Informationen sicher, dass jeder Wehrpflichtige die erforderlichen Hinweise in Bezug auf den abschnittsweisen Wehrdienst oder Zivildienst rechtzeitig erhält. Es ist nicht vorgesehen, Wehrpflichtige oder Zivildienstpflichtige gegen ihren Willen zum abschnittsweisen Dienst einzuberufen. Im Übrigen ist ein abschnittsweiser Zivildienst nur dann möglich, wenn die Beschäftigungsstellen entsprechende Möglichkeiten eröffnen. Mit den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege sind Gespräche über den abschnittsweisen Zivildienst geführt worden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frage eins.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nach Ihren Ausführungen, dass die Beschäftigungsstellen letztendlich entscheiden, ob ein abschnittsweiser Zivildienst möglich ist, habe ich folgende Frage: Es könnte ja in der Realität so sein, dass die Beschäftigungsstellen das verhindern. Haben Sie Informationen darüber? Meine zweite Frage möchte ich gleich anschließen: Wie viele der Wehrdienstpflichtigen und Zivildienstpflichtigen haben bei den Vorabfragen schon angekreuzt, dass sie einen abschnittsweisen Zivildienst oder Wehrdienst haben wollen?

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Da die Beschäftigungsstellen im Moment noch erkunden, inwieweit und wo in ihren eigenen Bereichen es möglich ist, abschnittsweisen Zivildienst zu leisten, haben wir dementsprechend noch keine Informationen. Wir haben auch noch keine Informationen, ob Zivildienstleistende schon jetzt erklärt haben, abschnittsweisen Zivildienst leisten zu wollen. Das fängt ja auch erst später an.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frage drei.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie haben aber gesagt, dass die Wehrpflichtigen ankreuzen müssen. Sie müssen ja schon die ersten Ergebnisse haben. Die können Sie mir aber nicht vorlegen. - Dies ist jetzt keine Frage, sondern eine Nachfrage. Ich bitte Sie, dass Sie mir diese Information schriftlich zukommen lassen.

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Ja, da ich nicht für die Bundeswehr zuständig bin, werde ich sie Ihnen schriftlich zustellen.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe aus Ihrer Antwort entnommen, dass Sie den jungen Leuten zwar individuell diese Hinweise geben, dass Sie sie aber erst in Zukunft ins Internet stellen und damit an die Öffentlichkeit gehen werden. Warum haben Sie das nicht schon früher getan? Denn es ist ja so, dass man sich schon mit 15 oder 16 Jahren überlegt, wann man sein Studium beginnt. Sie haben immer gesagt, Sie würden diese Inhalte ins Internet stellen und sie den Zeitungen zukommen lassen. Wieso kommt es zu dieser Information der Öffentlichkeit erst jetzt bzw. erst im nächsten Jahr?

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Ja, das ist richtig. Es tritt ja erst nächstes Jahr im Januar in Kraft. Ich weiß allerdings nicht, was ich mit Ihrer Aussage bezüglich der 15 bzw. 16 Jahre anfangen soll. Denn wehrpflichtig ist man erst sehr viel später, nämlich mit 18 bzw. 19 Jahren. Insofern kann sich der 15- oder 16-Jährige gerne Gedanken machen. Aber zeitlich drängt es noch nicht. Ich muss Ihnen sagen, dass der Zivildienst sicherlich in einer anderen Rolle ist und andere Möglichkeiten hat als der Grundwehrdienst. Wir werden schon darauf achten müssen, dass Beschäftigungsstellen auch sinnvollerweise abschnittsweisen Zivildienst anbieten können, sodass wir bei der Vielzahl von Beschäftigungsstellen, anders als beim Grundwehrdienst, sicherlich auch noch über Richtlinien mit den Verwaltungsstellen oder Beschäftigungsstellen klären müssen, was eigentlich gegeben sein muss, damit auch sinnvollerweise ein abschnittsweiser Zivildienst geleistet werden kann.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Sie haben noch eine Frage? - Bitte sehr.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Können Sie mir den Grenzwert angeben, inwieweit Zivildienstleistende eine Art Rechtsanspruch haben, ihren Dienst abschnittsweise abzuleisten?

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Ich glaube, einen Rechtsanspruch auf diesen abschnittsweisen Dienst kann es gar nicht geben, weil der Zivildienst, anders als der Wehrdienst, nicht von einem bestimmten Bedarf ausgehen kann. Wir werden hier schon die Erfahrung machen müssen, ob es überhaupt Zivildienstleistende gibt, die abschnittsweise dienen möchten. Sie wissen doch, dass beim Zivildienst die Zivildienstleistenden vorweg mit ihren - wenn es möglich ist wohnortnahen Beschäftigungsstellen kommunizieren. In dieser Kommunikation wird individuell geklärt werden müssen, ob für die Beschäftigungsstelle, die sich der jeweilige Zivildienstleistende ausgesucht hat, eine abschnittsweise Ableistung des Dienstes möglich ist.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Vielen Dank. Damit sind die Fragen beantwortet. Ich danke der Frau Staatssekretärin. - Sie möchten noch eine Zusatzfrage stellen? Das hatte ich nicht gesehen. Entschuldigung. - Bitte sehr.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Habe ich möglicherweise zwei Zusatzfragen, weil es zwei Fragen waren?

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nein.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Staatssekretärin, jetzt einmal nicht aus der Sicht der Zivildienstleistenden, sondern aus der Sicht der Zivildienststellen gefragt: Haben Sie schon irgendwelche Informationen, Anmerkungen oder Ähnliches, wie die vorgesehenen Maßnahmen von denen aufgenommen werden? Denn ich weiß, dass sich schon jetzt sehr viele Zivildienststellen darüber beklagen, dass der Zivildienst insgesamt kürzer als ein Jahr ist, und dass es große Probleme gibt, zum Beispiel im Bereich der individuellen Schwerbehindertenbetreuung, aber auch bei Mobilitätshilfeleistungen usw., diese Lücke zu füllen. Wie sind da die Rückläufe, die Sie von den Zivildienststellen haben?

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Die beiden Bereiche, die Sie gerade angesprochen haben, kommen für einen abschnittsweisen Dienst sicherlich nicht infrage. Wir haben mit den Wohlfahrtsverbänden erste Informationsgespräche geführt. Aufgrund der Unterjährigkeit des Zivildienstes von zehn Monaten könnte ich mir durchaus vorstellen, dass sich ein Altenheim überlegt, eine Aufteilung von sieben Monaten und dann drei Monaten oder zwei mal anderthalb Monaten anzubieten, um den unterjährigen durch den abschnittsweisen Dienst zu ergänzen. Aber dies muss ich den Beschäftigungsstellen überlassen. Es macht keinen Sinn, das für alle - ganz unterschiedlich gearteten - Zivildienststellen von hier aus zu klären.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frage beantwortet? Danke schön. Das war der Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit werden die Fragen 3 und 4 schriftlich beantwortet. Zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung werden die Fragen 5 und 6 schriftlich beantwortet. Zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts werden die Fragen 7 und 8 schriftlich beantwortet. Zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern werden die Fragen 9 und 10 schriftlich beantwortet. Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Margareta Wolf zur Verfügung. Ich rufe die Frage 11 der Kollegin Cornelia Pieper auf: Wie beurteilt die Bundesregierung, insbesondere nach der Ankündigung des Staatsministers beim Bundeskanzler, Rolf Schwanitz, am 15. November 2001 im Deutschen Bundestag: „Dort, wo wir helfen können, werden wir diese Prüfung” - der Faktenlage und der Argumentationslinien vor Ort - „unterstützen.“ - Plenarprotokoll 14/201, S. 19711 C -, die im Schreiben vom 20. August 2001 durch die IG Metall Halle und den Betriebsrat des Bombardier-Werks Ammendorf dargelegte Situation hinsichtlich der Unterauslastung und den politischen Handlungsbedarf, um Lücken in der Auftragsdecke des Werks zu schließen?

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Frau Kollegin Pieper, ich würde gerne Ihre beiden Fragen zusammen beantworten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Dann rufe ich auch die Frage 12 der Kollegin Cornelia Pieper auf: Welche Aktivitäten hat die Bundesregierung seither entwickelt, um beispielsweise durch Gespräche mit der Deutschen Bahn AG, DB AG, die der Staatsminister beim Bundeskanzler, Rolf Schwanitz, am 15. November 2001 im Deutschen Bundestag ankündigte - Plenarprotokoll 14/201, S. 19711 C -, Fahrzeugaufträge zugunsten des Standorts Ammendorf zu gewinnen?

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Wir möchten Ihnen zunächst nochmals versichern, dass die Bundesregierung größtes Verständnis für die Sorgen der Beschäftigten in Ammendorf und ihre Forderung des Erhalts des traditionsreichen Standortes hat. Von daher sind wir der Oberbürgermeisterin der Stadt Halle ausgesprochen dankbar, dass sie uns einen entsprechenden Brief zugeleitet hat. Bereits im Vorfeld der Fusion von Bombardier und Adtranz hat sich die Bundesregierung - und auch der Bundeskanzler persönlich, wie Sie wissen - in einer Vielzahl von Gesprächen mit dem Vorstand des Bombardier-Konzerns nachhaltig für den Erhalt der deutschen Standorte, insbesondere Ammendorf, eingesetzt. Entsprechende Gespräche gab es auch im Bundeswirtschaftsministerium. Die Bundesregierung unterstützt deshalb nachdrücklich die Initiative des Ministerpräsidenten Reinhard Höppner, der mit dem Präsidenten von Bombardier die Einsetzung einer Arbeitsgruppe von Experten vereinbart hat. Ziel der Arbeitsgruppe ist es, sich mit der Sicherung von Produktion und Arbeitsplätzen am Standort Ammendorf zu beschäftigen und die von Bombardier vorgenommenen Untersuchungen und Analysen zur Produktionsstrategie vor diesem Hintergrund zu beleuchten und zu diskutieren. Die Arbeitsgruppe hat unseres Wissens gestern getagt. Bundes- und Landesregierung werden sich mit den Ergebnissen befassen und die Bemühungen unterstützen, mit marktwirtschaftlichen Instrumenten zur Auslastung der Standorte beizutragen. Das im Zusammenhang mit der Privatisierung stehende Vertragsmanagement der THA/BvS für den Standort Ammendorf ist dabei nach Kenntnis der Bundesregierung jedoch beendet. Auflagen sind deshalb nicht mehr offen. Die Bundesregierung hofft, Frau Pieper, dass es auf dieser gemeinsamen Grundlage gelingt, auch den Standort Ammendorf zu erhalten. Es sollte in den Gesprächen mit Bombardier allerdings auch wahrgenommen werden, dass Bombardier insgesamt an seinen deutschen Standorten das Niveau der Beschäftigung beibehalten und die Zulieferer für den Schienenfahrzeugbau aus der Region weiterhin ungeschmälert einbinden wird. Damit hat das Unternehmen auf die bereits im Vorfeld der Fusion erfolgte Aufforderung durch die Bundesregierung reagiert, die Stärke des Standorts Deutschland in der Kernbranche „Bahnindustrie“ nicht zu beschädigen. Wir sind vor diesem Hintergrund optimistisch und lassen in unserem intensiven Engagement für Ammendorf nicht nach. Aber wir sind uns - wie Sie sich sicherlich auch - einig darin, dass die Möglichkeiten der Politik nicht zuletzt auch angesichts der bestehenden europäischen Rahmenbedingungen begrenzt sind. Ich kann Ihnen jedoch versichern: Wir befinden uns in einem ständigen Kontakt mit Bombardier und sind, wie gesagt, optimistisch.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun haben Sie Zusatzfragen. Nummer eins, bitte sehr.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Wolf, ist Ihnen bekannt, dass der Vertreter von Bombardier gestern in der Arbeitsgruppe und auch im Gespräch mit der Landesregierung erklärt haben soll, dass der Standort des modernsten Waggonbauers in Europa, Halle-Ammendorf, weiterhin auf der Kippe steht?

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Frau Kollegin, das ist mir leider nicht bekannt. Wir sprechen erst Anfang der nächsten Woche mit den Vertretern der Landesregierung. Wenn er das gesagt hat, dann wird das natürlich in unsere weiteren Überlegungen einfließen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frage zwei.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Welche konkreten Gespräche hat der Staatsminister für den Aufbau Ost unter anderem auch mit der Deutschen Bahn AG geführt, um die Auftragslage insbesondere bei den Waggonbauern in den neuen Bundesländern zu verbessern? Gibt es Gespräche, die der Staatsminister dazu geführt hat? Gibt es Gespräche, die der Bundeskanzler in dieser Richtung geführt hat? Mir ist klar, dass Aufträge an Bombardier vergeben werden. Aber wenn der Aufbau Ost Chefsache ist, dann müsste die Bundesregierung großen Wert darauf legen, dass bei Auftragsvergabe durch die Deutsche Bahn AG, bei der der Bund immer noch zu 100 Prozent Anteilseigner ist, die Aufträge dann auch tatsächlich in strukturschwache Regionen in den neuen Bundesländern gehen. Vizepräsidentin Anke Fuchs

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Staatssekretärin.

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Frau Kollegin Pieper, ich kann Ihnen jetzt nicht sagen, welche Gespräche Herr Schwanitz geführt hat. Ich kann Ihnen aber versichern, dass der Bundesverkehrsminister und der Bundeswirtschaftsminister intensive Gespräche mit der Deutschen Bahn AG und mit Bombardier führen, gerade auch im Hinblick auf die Marktmöglichkeiten, die es durch die EU-Osterweiterung für das Unternehmen an dem Standort gibt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frage drei.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, sich beim Schienenfahrzeugbau - ich denke insbesondere an die ICT-Neigetechnik oder auch den neuen ICE-Waggon - darum zu bemühen, dass die Waggonbauer in den neuen Ländern, insbesondere der Waggonbau Ammendorf, auf diese Aufträge hoffen können?

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Das ist Gegenstand unserer Beratungen mit der DB AG, wenngleich ich Ihnen sagen muss: Die Federführung hierfür hat der Verkehrsminister, mit dem wir uns aber über die Ergebnisse der Gespräche im Austausch befinden. Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich hier nicht jedes Detail der Gespräche, die wir mit Bombardier führen, darlegen kann. Wir befinden uns im Prozess und wir teilen ein gemeinsames Interesse, nämlich das, dass der Standort Ammendorf erhalten bleiben soll.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Noch eine Frage? Bitte sehr.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Eine letzte Frage: Was glaubt die Bundesregierung, wann die vielen Gespräche, die sie anscheinend geführt hat, zu einem erfolgreichen Ende kommen?

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Wir haben die Gespräche nicht nur anscheinend geführt, sondern führen sie nach wie vor, Frau Kollegin. - Anfang des nächsten Jahres hoffen wir auf eine Entscheidung. Ich darf in diesem Zusammenhang vielleicht auch noch darauf aufmerksam machen, dass der SPD-Parteitag - das mag Ihnen jetzt nicht besonders relevant erscheinen, bringt aber meines Erachtens zum Ausdruck, dass die Leistungskraft Ostdeutschlands der Bundesregierung wirklich am Herzen liegt- den Initiativantrag „Waggonbaustandorte erhalten, industrielle Leistungskraft Ostdeutschlands stärken“ verabschiedet hat, um der Bundesregierung bei den Verhandlungen mit Bombardier den Rücken zu stärken bei der Position, dass sie ihr Unternehmenskonzept doch noch einmal überdenken sollten. Ich finde so etwas im Zweifelsfall immer hilfreich.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat Herr Kollege Brüderle eine Frage.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, ich fand Ihren Hinweis zur Haltung der Bundesregierung zu den Beschlüssen des SPD-Parteitages bemerkenswert. Mein Verständnis von einer Regierung, von Parteien und dem Parlament ist ein anderes. - Dies wollte ich nur vorab sagen. Zur Sache selbst: In der Tat enthält das europäische Recht - Sie haben darauf hingewiesen - nur wenige Ansatzpunkte, nach denen das Bundeswirtschaftsministerium in diesem Fall Hilfe leisten kann. Ist in Ihre Prüfung zum Beispiel die Möglichkeit von längerfristigen Wartungsrahmenverträgen, die meines Erachtens der Bund als Haupteigentümer der Deutschen Bahn AG im Rahmen des europäischen Ausschreibungsrechts auf den Weg bringen kann, einbezogen worden? - Frau Präsidentin, ich kann, glaube ich, zwei Nachfragen stellen, da zwei Fragen zusammen beantwortet worden sind. - Haben Sie Modellentwicklungen miteinbezogen? Denn das ist ein Bereich, in dem das Wirtschaftsministerium EU-konform etwas tun kann.

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Herr Kollege Brüderle, zu Ihrer Bemerkung bezüglich des SPD-Parteitages: Es ist in diesem Hause nicht unüblich, sich auf Beschlüsse von Parteitagen zu beziehen. Das tun ja auch Sie gerne. Parteitage haben bisweilen auch die Aufgabe, zum Ausdruck zu bringen, ob sie ihre Fraktion im Deutschen Bundestag in der einen oder anderen Sache unterstützen oder ob sie sie nicht unterstützen. In dieser Sache wurden wir unterstützt; dafür sind wir dankbar. Was Ihre Frage bezüglich der Deutschen Bahn AG und der Rolle der Zulieferer angeht: Sie wissen vielleicht, dass es eine Aussage des Bombardier-Werkes gibt, wonach es an den jetzigen Zulieferern für das Werk Ammendorf festhalten will. Dies ist für die Region relevant, befriedigt aber - wenn ich die Fragestellung von Frau Pieper richtig verstanden habe - die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Bombardier am Standort Ammendorf nicht. Was den EU-Aspekt angeht, so möchte ich, um es ordentlich beantworten zu können, darum bitten, dies schriftlich tun zu können. Denn ich war bei diesen Verhandlungen nicht anwesend. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das hat nun eine Frage des Kollegen Singhammer provoziert. - Bitte sehr.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, es ist sehr interessant, dass in die Antworten der Bundesregierung die Beschlüsse der Parteitagsgremien einfließen. In diesem Zusammenhang erlaube ich mir die Nachfrage, ob das nun regelmäßig so sein wird und ob eine gewisse Auswahl stattfindet, ob also nur Parteitagsbeschlüsse der SPD oder auch die der Grünen erwähnt werden. Wie handhaben Sie das? ({0})

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Herr Kollege Singhammer, vielleicht kann ich demnächst auch einmal CSU-Parteitagsbeschlüsse zitieren. ({0}) Herr Kollege, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass ich umfassend darüber berichtet habe, was die Bundesregierung tut, um den Standort Ammendorf zu erhalten. Ich habe auf die Arbeitsgruppe, in der die Landesregierung Sachsen-Anhalt und Bombardier zusammenarbeiten, hingewiesen. Ich habe dargelegt, dass wir die Ergebnisse der ersten Tagung zusammen mit der Landesregierung auszuwerten haben und dass wir uns in ständigen Gesprächen befinden. Sie sollten dieses Thema etwas ernster nehmen und sich, mit Verlaub, nicht auf Petitessen, auf Parteitagsbeschlüsse, die hier angeblich in meine Antworten einfließen, beziehen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt die Kollegin Heyne mit einer Frage. Bitte sehr.

Kristin Heyne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002676, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin, sind Sie mit mir einig - ich bin mir da eigentlich sicher; aber ich frage lieber noch einmal nach -, dass es der Glaubwürdigkeit der Politik durchaus gut tun könnte, wenn Parteitagsbeschlüsse auch etwas mit der realen Politik einer Fraktion bzw. einer Regierung zu tun haben, ({0}) dass man Parteien in unserem Land einen besonderen verfassungsmäßigen Stand eingeräumt hat, um die Meinungsbildung in der Bevölkerung in Bezug auf die Politik zu bündeln, und dass von daher die besondere Bedeutung eines Themas, das viele Menschen bewegt, zum Ausdruck kommt, wenn ein Parteitag dazu einen Beschluss fasst? ({1})

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Frau Kollegin Heyne, ich stimme mit Ihnen absolut überein, zumal wir in der Vergangenheit oft erlebt haben, dass die Arbeit der Fraktionen der vormaligen Regierung mitnichten etwas damit zu tun hatte, was auf Parteitagen beschlossen wurde. Wir haben hier eine gewisse Verzahnung hergestellt, für die ich ausgesprochen dankbar bin. ({0}) - Sie waren nicht auf dem Parteitag in Rostock. Aber Sie sollten wissen, dass dort fast 90 Prozent der Delegierten für die Politik der Bundesregierung gestimmt haben. Das hätten Sie, Herr Kollege, in der Vergangenheit vielleicht auch einmal schaffen sollen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt muss ich doch eine geschäftsleitende Bemerkung machen: Wir sind nicht hier, um Parteitage zu interpretieren, sondern wir sind hier, um Fragen an die Bundesregierung zu stellen. ({0}) Aber natürlich lasse ich weitere Fragen zu. Jetzt die Kollegin Ostrowski.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Aber es ist wirklich so, Frau Präsidentin: Auf Parteitagen wird viel beschlossen, wenn der Tag lang ist. Deshalb stelle ich Ihnen, Frau Staatssekretärin, die einzig relevante Frage: Können Sie mir sagen, ob der von Ihnen angeführte Beschluss des SPD-Parteitags in das konkrete Regierungshandeln der Bundesregierung eingeflossen ist, und, wenn ja, auf welche Art und Weise?

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Frau Kollegin, ich habe versucht, vorhin darzustellen, dass sich die Bundesregierung durch die Beschlüsse des SPD-Parteitages in ihren Verhandlungen mit Bombardier unterstützt fühlt - ich denke, das beantwortet Ihre Frage -; denn der Parteitagsbeschluss der SPD ist identisch mit dem, was die Bundesregierung will. Aber Sie wissen selber: Bombardier ist keine staatliche Firma, sodass Verhandlungen mit der Unternehmensleitung von Bombardier erforderlich sind. Wir sind, wie gesagt, auf einem guten Wege; ich bin optimistisch.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt Herr Dr. Grehn mit einer Frage.

Dr. Klaus Grehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003135, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Staatssekretärin, ich habe keine Frage zum Parteitag, sondern beziehe mich auf Ihre Äußerungen hier. Sie haben mindestens zweimal geäußert, dass Sie sich in dem Gespräch auch um die übrigen Standorte von Bombardier in Deutschland bemühen. Haben Sie konkrete Erkenntnisse, dass Bombardier an anderen Standorten, etwa Vetschau, Ähnliches vorhat wie in Ammendorf, und wie fließen diese Erkenntnisse gegebenenfalls ein?

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Herr Kollege, Sie werden vielleicht verfolgt haben, dass Bombardier seinerseits erklärt hat, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen geben wird und dass man dann, wenn sich Bombardier von Beschäftigten trennen muss, alternative Beschäftigungsangebote unterbreiten wird. Das hat uns Bombardier für alle Standorte zugesichert. Auf dieser Grundlage verhandeln wir auch.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Damit haben wir diesen Geschäftsbereich abgearbeitet. Wir danken der Frau Staatssekretärin für die Beantwortung der Fragen. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Stephan Hilsberg zur Verfügung. Ich rufe die Frage 13 des Kollegen Klaus Hofbauer auf: Welche Auswirkungen auf die Wirtschaftsstruktur und den Verkehr in Ostbayern sieht die Bundesregierung durch die Streichung der Fernbahnverbindungen Euro-City 167/166 „Albert Einstein“ und Interregio 265/264 „Franz Kafka“ zwischen München-Regensburg-Schwandorf-Furth im Wald-Pilsen-Prag durch die DB AG im Zusammenhang damit, dass danach die tschechische Regierung ihren Schienennetzausbauschwerpunkt auf die Strecke Prag-Linz-Wien festgelegt hat, und beabsichtigt die Bundesregierung vor dem Hintergrund des höheren Verkehrsaufkommens durch die Osterweiterung der Europäischen Union in Abstimmung mit der tschechischen Regierung, bahnpolitische Maßnahmen in Bezug auf diesen Streckenbereich zu treffen? Herr Staatssekretär, bitte.

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Die Deutsche Bahn AG hat die vier Fernverkehrsverbindungen pro Tag auf der Strecke München-Regensburg-Schwandorf-Furth im Wald-Pilsen-Prag eingestellt, weil das Verkehrsangebot nicht mehr der Nachfrage entsprochen hat. Insofern werden keine Auswirkungen auf die Wirtschaftsstruktur und den Verkehr in Ostbayern erwartet. Ein Zusammenhang zwischen der Einstellung des Fernverkehrs durch die Deutsche Bahn AG und der Entscheidung der tschechischen Regierung zum Ausbau des tschechischen Teils der Strecke Prag-Linz vor dem der Strecke Prag-Nürnberg besteht nicht. Diese Festlegung wurde im Übrigen bereits 1999 bekannt. Mit der tschechischen Regierung wurde 1995 vereinbart, den Infrastrukturausbau von einem akzeptablen Angebot der Bahnen über den Einsatz von Fahrzeugen mit Neigetechnik abhängig zu machen. Ein solches Angebot liegt nicht vor.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage? - Bitte sehr.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär, nach meinen Informationen ist durch diese Entscheidung der Personenverkehr zwischen München und Prag auf der genannten Strecke rapide zurückgegangen. Beim Grenzübergang Furth im Wald ist die Zahl der Reisenden von 18 000 im November auf 9 000 zurückgegangen - mit fallender Tendenz. Dies kann doch nicht im Sinne der Verkehrspolitik dieser Bundesregierung sein, die immer mehr Menschen und Güter auf die Schiene bringen will. Wenn man eine solche Verbindung einstellt, wird man sicher nicht erreichen, dass mehr Menschen die Bahn benutzen. Sie wissen, dass die Europäische Union diese Strecke, und zwar die gesamte Strecke zwischen SchwandorfPilsen-Prag, als europäische Transversale in das Transeuropäische Netz aufgenommen hat. Die tschechische Regierung und auch die tschechische Bahn haben nach wie vor Interesse, diese Linie zu erhalten. Von deutscher Seite aber, von der DB und damit natürlich auch von der Bundesregierung, wird diese Strecke nicht aufrechterhalten. Weil diese Züge die Grenzregion wirtschaftlich erhalten, wird der Region dadurch ein ganz erheblicher Schaden zugefügt. Wir starten so viele Initiativen, um im Rahmen der Osterweiterung die Verkehrsprobleme zu lösen. Meine ganz konkrete Frage: Wie kann dann eine solche Entscheidung, die für die Osterweiterung kontraproduktiv ist, getroffen werden?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sehr geehrter Herr Hofbauer, ich kann es nur wiederholen: Die Möglichkeit, diese Strecke wirtschaftlich und ökologisch sinnvoll zu betreiben, hat angesichts der Fahrgastzahlen auf dieser Strecke nicht mehr bestanden. Im Übrigen habe ich Ihnen die Verhandlungsposition gegenüber der Tschechischen Republik erläutert. Wir stehen nach wie vor in Erwartung eines Angebotes für den Ausbau der Strecke, damit er mit Neigetechnik bedient werden kann. Das ist durchaus eine Perspektive, die auch Ihrer Region zugute kommen kann.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich noch eine zweite Frage stellen?

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das ist zwar ein bisschen an der Grenze, weil Sie sehr lange gefragt haben, aber Sie haben das Recht, noch eine zweite Frage zu stellen. Bitte sehr.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. Ich möchte noch einmal nachbohren, Herr Staatssekretär. Die Neigetechnik ist nicht für diese Strecke, sondern für die über Marktredwitz vorgesehen. Und Tatsache ist, dass diese direkte und kürzeste Verbindung zwischen München und Prag eingestellt wurde. Der Verkehrsausschuss war vor kurzem in Prag. Von der tschechischen Regierung ist bei dieser Gelegenheit noch einmal nachdrücklich festgestellt worden, dass die Tschechen diese Verbindung wollen. Sie reden immer davon, dass die Menschen die Bahn benutzen und die Gütertransporte auf die Bahn verlagert werden sollen. Ich darf Ihnen ein Beispiel nennen: Auf tschechischer Seite wird der Transport von 60 000 Tonnen Zement von der Schiene auf die Straße verlagert. Es kann doch nicht Ihre Politik sein, eine Region wirtschaftlich abzuhängen. Deswegen frage ich Sie: Wenn Europa diese Strecke aufrüsten will und die tschechische Seite ebenfalls, warum werden dann auf deutscher Seite keine entsprechenden Initiativen ergriffen bzw. warum wird hier ein Schritt zurück gemacht? ({0})

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Herr Hofbauer, ich kann nur noch einmal sagen: Wir machen keineswegs einen Schritt zurück. Auch muss ich Ihre Aussagen zurückweisen, wir würden damit die wirtschaftliche Entwicklung behindern. Es ist wichtig, festzustellen, dass die Möglichkeit, diese Strecke wirtschaftlich zu betreiben, unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht besteht. Im Übrigen sind wir jederzeit bereit, mit der tschechischen Seite Verhandlungen darüber aufzunehmen, dass ein entsprechendes Schienennetz weiter ertüchtigt wird. Ich kann unser Angebot an dieser Stelle weiter bekräftigen. Die entsprechenden Angebote, die wir in Bezug auf die Neigetechnik abgegeben haben, sind bisher aber noch nicht aufgegriffen worden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat Herr Dr. Rose eine Frage. Bitte sehr.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Zustimmung voraussetzen, wenn ich sage, dass ich mich erschrocken habe, als Sie von dem Bedarf gesprochen haben? Sie haben gesagt: Sie haben dort keinen Bedarf. Dann brauchen sie auch nichts. Ich habe mich an die unheilvollen 70er-Jahre erinnert gefühlt, als man den Menschen in den Flächen den Autobahnbau vorenthalten hat - das ist in etwa das Gleiche mit der Bemerkung: Was wollt ihr denn überhaupt? Bei euch gibt es ja kein Bedarf. - Ist das die künftige Politik der Bundesregierung?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sehr geehrter Herr Rose, das geht ein bisschen über die Frage, die Sie gestellt haben, hinaus, aber ich kann ganz kurz die für uns wichtigen Leitlinien ansprechen. Wir setzen vor allen Dingen auf den Ausbau der Infrastruktur. Wir haben für die Schieneninvestitionen einen so hohen finanziellen Etat zur Verfügung gestellt, wie er in den letzten Jahren nicht bestanden hat. Auf diese Art und Weise setzen wir die Bahn in den Stand, ein leistungsfähiges Schienennetz zu erhalten, auf dem dann entsprechende Verkehre wirtschaftlich betrieben werden können. Damit erfüllen wir den grundgesetzlichen Auftrag zur Gewährleistung des Verkehrsangebots. Das ist gegenwärtig die richtige Priorität. Im Übrigen haben wir erfolgreich große Anstrengungen unternommen, um mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Im Zusammenhang mit den Ergebnissen der Taskforce ist die Unabhängigkeit des Schienennetzes besser als bisher gewährleistet. Es ist davon auszugehen, dass im Zuge eines größeren Wettbewerbs mehr Anbieter auftreten werden. Das sind wichtige Rahmenbedingungen. Als Folge der Bahnreform von 1994, der Sie seinerzeit zugestimmt haben, ist eine klare Trennung zwischen den privatrechtlichen, nach wirtschaftlichen Erwägungen vorgenommenen Entscheidungen seitens der Bahn und den hoheitlichen Aufgaben vorgenommen worden: Die Deutsche Bahn ist zuständig und alleinig verantwortlich für das wirtschaftliche Betreiben des Netzes. Wir sind für die entsprechenden Rahmenbedingungen zuständig. - Die einzelnen Entscheidungen können und wollen wir nicht beeinflussen; das ist Folge der Bahnreform. Würden wir dies tun, wäre das ein Schritt zurück.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat die Kollegin Ostrowski eine Frage.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatssekretär, die Frage nach dem Bedarf ist schon wichtig. Sie haben in Ihrer ersten Antwort deutlich gesagt, die Strecken würden gestrichen, weil kein Bedarf dafür vorhanden sei. Deshalb frage ich Sie jetzt: Wonach bemisst sich der Bedarf auf den beiden angesprochenen Strecken - bemisst er sich nach der Anzahl der Fahrgäste pro Tag oder pro Kilometer - und inwieweit sind die Richtgrößen auf diesen beiden Strecken unterschritten worden?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Frau Ostrowski, die Frage der Wirtschaftlichkeit ist das entscheidende Kriterium. Die angesprochene Strecke ist wirtschaftlich nicht zu betreiben gewesen. Nach welchen Kriterien sich das bemisst, kann ich nicht beantworten. Sie müssten sich damit direkt an die Deutsche Bahn wenden. Ich bin gerne bereit, Ihnen die konkreten Zahlen zukommen zu lassen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Hofbauer auf: Welche strukturpolitische Bedeutung misst die Bundesregierung dem Verkehrsträger Schiene im Rahmen der Osterweiterung der Europäischen Union bei und welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung, um den Verkehrsträger Schiene im grenzüberschreitenden Verkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den osteuropäischen Beitrittsstaaten, insbesondere zwischen Bayern und Tschechien, zu stärken? Herr Staatssekretär, bitte.

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sehr geehrter Herr Hofbauer, dem Verkehrsträger Schiene kommt im Rahmen der Osterweiterung der Europäischen Union große Bedeutung zu. Die Bundesregierung hat schon frühzeitig für die Grenzregionen ein Programm zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur gefordert. Die Europäische Kommission hat daraufhin ein Programm für die Grenzregionen vorgeschlagen, aus dem 150 Millionen Euro in die transeuropäischen Netze fließen und mit dessen Hilfe besondere Verkehrsengpässe beseitigt werden sollen. In Deutschland sollen die Schienenverbindungen Berlin-Frankfurt/Oder und Knappenrode-Horka an der Grenze von Deutschland zu Polen gefördert werden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Sie haben eine Zusatzfrage, Herr Kollege?

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich habe zwei Fragen. Erstens. Sind Sie bereit - Sie haben es ja bereits angekündigt -, uns die genaue Wirtschaftlichkeitsberechnung für die eingestellten Zugverbindungen zur Verfügung zu stellen? Wir möchten dies gern anhand konkreter Unterlagen nachprüfen; denn Tatsache ist, dass der Zug von vielen benutzt wurde, und dass nun jeden Monat Tausende von Menschen kein entsprechendes Angebot mehr vorfinden. Sie werden mir doch Recht geben, dass dadurch die Region wirtschaftlich geschädigt wird. Zur zweiten Frage, Herr Staatssekretär. Sie haben das Programm für die Grenzregionen angesprochen. Was wollen wir mit 150 Millionen Euro, die auf 23 Regionen - von Finnland bis Griechenland - verteilt werden sollen, anfangen? Wir alle miteinander können uns doch ausrechnen, wie viel Geld am Ende übrig bleiben wird. Hinzu kommt, dass das Geld vorwiegend für den Straßenbau, der notwendig ist, verwendet werden soll. Meine Frage also: Welcher Anteil der 150 Millionen Euro wird für die Schiene ausgegeben und inwieweit sind die von mir angesprochenen Linien dabei berücksichtigt?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Herr Hofbauer, niemand wird Geld ausschlagen, das er von der Europäischen Union bekommt. Eine andere Frage ist, ob man die Mittel für ausreichend befindet. Nun zu der Frage nach den für uns wichtigen Verkehrsverbindungen und den Schwerpunkten beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Ich kann Ihnen versichern: Die Vorkehrungen, die wir für die Erweiterung der Europäischen Union nach Osten hin treffen, sind keineswegs nur mit dem Geld, das wir von der Europäischen Union dafür bekommen, zu finanzieren. Wir leisten auch erhebliche Eigenanstrengungen, um die notwendigen Vorbereitungen voranzubringen. Die Angaben zur Wirtschaftlichkeit werde ich Ihnen zwecks Überprüfung zukommen lassen. Allerdings kann ich Ihnen nur das zukommen lassen, was uns die Deutsche Bahn AG zur Verfügung stellt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun rufe ich die Frage 15 des Kollegen Dr. Klaus Rose auf: Sieht die Bundesregierung ihr verkehrspolitisches Ziel einer „Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene“ konterkariert durch die Praxis der DB AG, vermehrt Bahnhöfe in der Fläche aus dem Güterumschlagskonzept, zum Beispiel bei Gas- und Kohletransporten, herauszunehmen? Herr Staatssekretär.

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Die Bundesregierung steht zu den mit der Bahnreform verfolgten Zielen, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, die finanzielle Belastung der Steuerzahler durch die Schiene auf ein erträgliches Maß zu begrenzen und die Wirtschaftlichkeit einer unternehmerisch geführten DB AG zu erreichen. Die Entwicklung einer modernen, leistungsfähigen Bahn ist ein Kernelement der integrierten Verkehrspolitik. Die Bundesregierung wird weiterhin mit ordnungs- und investitionspolitischen Maßnahmen ihren Beitrag dazu leisten. Die Deutsche Bahn AG hat dargelegt, dass bei der Inanspruchnahme der Zugangsstellen im Güterverkehr erhebliche Ungleichgewichte bestehen. Die DB Cargo AG hat deshalb für den Einzelwagenverkehr das Sanierungsprogramm Mora C, marktorientiertes Angebot Cargo, für den Güterverkehr vorgelegt. Sie will sich nach eigener Aussage damit natürlich nicht aus der Fläche zurückziehen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage, bitte sehr.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, nachdem Ihre Antwort auf meine erste Frage vor allem vor dem Hintergrund der Liste, die mir von Mora C vorliegt, für mich nicht ganz verständlich ist, möchte ich nach den Kriterien fragen, nach denen über die Schließung von Güterbahnhöfen oder Umschlagstellen entschieden wird. Entsprechend der mir vorliegenden Liste sind 113 Waggons des Güterbahnhofs, der in meiner Heimatregion Pleinting liegt, aber nur ein Waggon in Friedrichshafen betroffen. Auf einen Außenstehenden oder einen Laien wirkt das so, als ob etwas völlig falsch gelaufen sei. Können Sie möglicherweise etwas zur Aufklärung beitragen?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Herr Rose, es ist aufgrund der Aufgabenverteilung nach der Bahnreform - ich sage es noch einmal - nicht unsere Aufgabe, auf einzelne Entscheidungen der DB AG Einfluss zu nehmen. Im Hinblick auf den grundsätzlichen Rahmen ist nach Angaben der DB Cargo AG folgender Sachverhalt festzustellen: Rund 6 650 kleine Einzelkunden tragen nur etwa 5 Prozent zum Umsatz im Güterverkehr bei, während rund 500 mittelgroße Kunden etwa 10 Prozent und 320 Großkunden circa 85 Prozent zum Umsatz beitragen. Die DB Cargo AG bezeichnet sich selbst nach Aussagen ihres Vorstandsvorsitzenden, Herrn Malmström, als Sanierungsfall. Sie verhält sich wie ein Betrieb, der zu sanieren ist: Die Finanzierung der extrem unterfinanzierten Stellen wird auf eine bessere Grundlage gestellt. Wenn Sie Auskünfte über Einzelfallentscheidungen haben möchten, möchte ich Sie bitten, Ihre Fragen in einem direkten Gespräch mit der DB AG zu klären. Ich werde Ihnen bei der Klärung der entsprechenden Punkte gerne behilflich sein.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zweite Zusatzfrage, Herr Dr. Rose.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Habe ich Ihre Antwort, Herr Staatssekretär, richtig verstanden, wenn ich feststelle, dass Sie eigentlich keine Möglichkeiten haben, auf die Geschäftspolitik der Deutschen Bahn AG bzw. ihrer Untergliederungen Einfluss zu nehmen? Um eine Brücke zu Ihrer Vorgängerin zu schlagen: Macht es angesichts Ihrer fehlenden Einflussmöglichkeiten überhaupt noch Sinn, wenn Sie auf Parteitagen von der Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene oder auf das Wasser groß tönen?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Die Voraussetzung dafür, dass ein solches Unternehmen wie die DB Cargo AG expandieren und sich weiterentwickeln kann, ist, dass sie zuerst ihre eigenen Finanzen auf eine tragfähige Grundlage stellt. Wenn sie wettbewerbsfähig sein will, muss die Struktur des Unternehmens gesund sein. Insofern haben wir an dem Bestreben, die DB AG nach unternehmerischen Gesichtspunkten zu führen, gar nichts auszusetzen. Das ist verständlicherweise und richtigerweise Ziel der Bahnreform gewesen. An dieser Stelle muss die Deutsche Bahn AG von uns unterstützt werden. An der Lösung des Problems, ob Güterverkehrsstellen geschlossen werden sollen oder nicht, können auch andere Verkehrsbetriebe beteiligt werden. Die DB AG garantiert, dass alle nicht bundeseigenen Eisenbahnen, die im VDV, dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, organisiert sind, die Möglichkeit erhalten werden, ein entsprechendes Angebot vorzulegen. Erst wenn kein Angebot vorgelegt wird, werden Güterverkehrsstellen endgültig geschlossen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat der Kollege Dr. Grehn eine Frage.

Dr. Klaus Grehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003135, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatssekretär, in welchem Verhältnis sehen Sie Ihre Aussage, dass die Bundesregierung ein Konzept zur Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene hat - wenn es das gibt, dann begrüßen wir das sehr -, zu der Aussage des Bundesministers in der heutigen Befragung der Bundesregierung, dass von den Mauteinnahmen die Hälfte für den Straßenausbau, zwei Sechstel für den Schienenausbau und ein Sechstel für die Wasserwege eingesetzt werden sollen?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Zum einen dienen die bevorstehenden Einnahmen aus der Erhebung der LKW-Maut zu dem Teil, den Sie gerade genannt haben, dem Ausbau des Verkehrsträgers Schiene. Zum anderen trägt die Erhebung der LKW-Maut nicht nur zu größerer Kostengerechtigkeit in Bezug auf den Verkehrsträger Straße bei, sondern verändert auch den gesamten wettbewerblichen Ordnungsrahmen, in dem sich das Verkehrssystem insgesamt befindet, zugunsten der DB AG. Insofern wird dies selbstverständlich auch zu Verlagerungseffekten zugunsten der Schiene führen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat der Kollege Straubinger eine Frage.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin das Mora-C-Programm der DB Cargo angesprochen. Kann es sein, dass die Kriterien dieses Programms zu falschen Weichenstellungen führen, indem nämlich nur die Bahnhöfe besonders gut bewertet werden, bei denen das höchste Gebührenaufkommen erzielt wird, und zu wenig an die Zielbahnhöfe gedacht wird? Wenn man nur die Bahnhöfe im Auge hat, bei denen die meiste Fracht verladen und ein entsprechendes Gebührenaufkommen erwirtschaftet wird, und die Zielbahnhöfe sozusagen hintanstellt, ist damit doch eine Ausdünnung in der Fläche vorprogrammiert. ({0})

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Das Mora-C-Programm, also das Programm „Marktorientiertes Angebot Cargo“, lässt sich von zwei Fragen leiten: Was sind die eigenen Stärken? Was sind die eigenen Schwächen? Die nächste Frage ist dann, wie die Stärken gestärkt werden können und wie man mit den Schwächen umgeht. Wo Güterverkehrsstellen effektiver betrieben werden können, werden die dazu notwendigen Schritte eingeleitet. Insofern ist die grundsätzliche Anlage dieses Konzepts zu begrüßen und zu unterstützen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage der Kollegin Ostrowski.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin gesagt, dass sich die Bundesregierung nicht in Einzelentscheidungen einmischt. Das kann ich nachvollziehen. Wenn viele Einzelentscheidungen, in die Sie sich aus nachvollziehbaren Gründen nicht einmischen, in großem Umfang zur Schließung von Bahnhöfen und Güterumschlagplätzen in der Fläche führen, dann wird das aber zu einem politischen und gesellschaftlichen Problem ersten Ranges. Stimmen Sie meiner Einschätzung zu?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Frau Ostrowski, die Schiene und damit die DB AG ist wie alle Verkehrsträger eine hochpolitische Angelegenheit. Wir haben uns für die Eisenbahn viel vorgenommen und bleiben auch bei unseren verkehrspolitischen Zielen. Es ist wichtig, dass die DB AG in den nächsten 15 Jahren ihre unternehmerischen Ziele erreicht. Das wird von uns unterstützt. Wir haben mehrere Maßnahmen unternommen, damit sie dies erreichen kann. Es wird allerdings nicht ohne gelegentlich auch schmerzhafte Entscheidungen gehen. Dazu gehört beispielsweise, dass sich die DB Cargo AG selbst in den Stand versetzt, dass sie wieder wirtschaftlich arbeiten kann. Alle Lösungen, die das nicht berücksichtigen, werden nicht machbar sein.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Dr. Klaus Rose auf: Legt die Bundesregierung den Art. 87 des Grundgesetzes in Zukunft so aus, dass die DB AG nur mehr nach wirtschaftlichen Kriterien Geschäftspolitik betreibt und nicht nach den Grundsätzen der ausgewogenen Versorgung des gesamten Landes?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Der Art. 87 e Grundgesetz ist die Grundlage für die Strukturreform der Eisenbahnen des Bundes. Ihre wichtigsten Ziele sind, die Eisenbahn leistungs- und damit wettbewerbsfähiger zu machen, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen und den Bundeshaushalt dauerhaft zu entlasten. Deshalb ist in Art. 87 e Abs. 3 Grundgesetz auch gezielt festgelegt, dass die Eisenbahnen des Bundes „als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form“ geführt werden. Diese Zielsetzung war bei der Bahnreform breiter Konsens. Die Ausgestaltung des Angebots im Schienenpersonenfernverkehr und im Schienengüterverkehr der DB AG gehört zu ihrem eigenverantwortlichen Bereich und erfolgt ausschließlich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Hierauf kann das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen keinen Einfluss nehmen. Die DB AG strafft ihr Angebot dort, wo dauerhaft schwach nachgefragte Züge einen kostendeckenden Verkehr nicht ermöglichen. Soweit den Eisenbahnen Leistungen abverlangt werden, die diese aus unternehmerischen Gesichtspunkten nicht erbringen können - dazu gehören Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes und gemeinwirtschaftliche Leistungen -, sind die Mindererlöse oder Mehraufwendungen nach VO-EWG Nr. 1191/69 und nach § 15 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes vom Veranlasser auszugleichen. Der Gewährleistungsauftrag des Bundes nach Art. 87 e Abs. 4 des Grundgesetzes erstreckt sich auf ein dem Wohl der Allgemeinheit dienendes Verkehrsbedürfnis, also auf den Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie auf deren Verkehrsangebote auf diesem Netz. Ausgenommen ist der Schienenpersonennahverkehr - SPNV -, für den als gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistung die Bestimmungen des Regionalisierungsgesetzes gelten. Der Bund nimmt seine Gemeinwohlverpflichtung nach Art. 87 e Abs. 4 des Grundgesetzes grundsätzlich wahr, indem er entsprechend dem Verkehrsbedarf und im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel Investitionen in die Schienenwege der Eisenbahnen des Bundes finanziert.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfrage.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da ich einsehe, dass sich das Bundesministerium offiziell nicht in die Geschäftspolitik der Deutschen Bahn AG einschalten kann und will, frage ich so: Arbeitet die Bundesregierung politisch darauf hin, dass eine möglichst breite Versorgung des Landes gewährleistet ist? Dass nur wenige Magistralen bedient werden, kann nicht Sinn der Verkehrspolitik in Deutschland sein.

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Wir unterstützen den weiteren Ausbau und den Erhalt des Schienennetzes in der Fläche an den verschiedensten Stellen. Dafür sind allein in diesem Jahr zusätzlich 2 Milliarden DM zur Verfügung gestellt worden. Einschließlich derselben Beträge in den beiden darauffolgenden Jahren werden für dieses Programm 6 Milliarden DM zusätzlich zur Verfügung gestellt. Zugleich unterstützen wir den Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes. Wir tun also beides: Wir bauen die Schwachstellen ab und sorgen für den Ausbau eines modernen Schienennetzes. Dies schließt selbstverständlich den Erhalt der Eisenbahn in der Fläche ein.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zweite Zusatzfrage.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, erlauben Sie mir, dass ich Ihre Aufmerksamkeit auf die Region Ostbayern lenke und Sie bitte, das, was Sie in allgemeinen, netten Sätzen gesagt haben, auch dieser Region zugute kommen zu lassen?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Das war nicht unbedingt eine Frage. Gleichwohl gebe ich Ihnen eine weitere Information: Nach dem Regionalisierungsgesetz stellen wir den Ländern Mittel für Bestellerentgelte zur Verfügung. Das hat dazu geführt, dass im Regionalverkehr der Eisenbahn erhebliche Zuwächse zu gewärtigen sind. Nicht alle Mittel, die wir den Ländern zur Verfügung stellen, werden tatsächlich für den Schienenpersonennahverkehr ausgegeben. ({0}) Hinzu kommt, dass im Bundesschienenwegeausbaugesetz festgelegt ist, dass 20 Prozent der Mittel ausschließlich dem Nahverkehr zugute kommen. Die Quote liegt nicht nur bei den gesetzlich festgelegten 20 Prozent, sondern beläuft sich auf fast ein Drittel. Daran erkennen Sie, dass der Bund erhebliche Anstrengungen unternimmt, damit der Eisenbahnverkehr auch in der Fläche weiterhin bestehen kann.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin auf die Leistungen der Bundesregierung beim Streckenausbau und bei der Bereitstellung der dazu erforderlichen Mittel hingewiesen. Aber bei dem, was mein Kollege Dr. Rose gerade angesprochen hat, geht es ja weniger um die Stärkung des Schienennetzes, sondern offensichtlich eher um die Behebung von Organisationsproblemen und um das Angebot der DB AG. Ein schwaches Schienennetz ist ja nicht der Grund dafür, dass sich die Bahn immer weiter aus der Fläche zurückzieht. Der Grund ist vielmehr darin zu sehen, dass sie den Marktteilnehmern kein tragfähiges Angebot unterbreiten kann. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters Müssen hier nicht besondere Anstrengungen unternommen werden?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Hinsichtlich der Marktteilnehmer haben Sie völlig Recht. Es ist notwendig, eine Politik zu betreiben, die mehr Wettbewerb auf der Schiene ermöglicht, damit unterschiedliche Angebote an die Nutzer herangetragen werden können. Eine solche Politik haben wir mit der Taskforce realisiert, die entsprechende Vorschläge vorgelegt hat, die wir umzusetzen im Begriff sind.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Wenn ich mich hier umschaue, habe ich das Gefühl, dass die SPDFraktion und nicht die CDU/CSU-Fraktion heute ein Weihnachtsessen hat. ({0}) - Gut, Sie haben keine Fragen. ({1}) Dann werden wir jetzt den Dialog zwischen Regierung und Opposition fortsetzen. Dazu rufe ich die Frage 17 des Kollegen Straubinger auf: Wie lässt sich das Programm „Projekt Marktorientiertes Angebot Cargo“ - Mora C - der DB AG, welches zu einer Verlagerung von Gefahrguttransporten - zum Beispiel Flüssiggas - von der Schiene auf die Straße führen dürfte, mit dem entgegengesetzten Ziel der Bundesregierung, der Verlagerung auf die Schiene, vereinbaren und was gedenkt die Bundesregierung insoweit im Hinblick auf das oben genannte Programm zu unternehmen?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Die DB Cargo AG hat, um den Einzelwagenverkehr dauerhaft auf eine wirtschaftliche Grundlage zu stellen, das Projekt „Marktorientiertes Angebot Cargo - Mora C - “ erarbeitet; davon war schon mehrfach die Rede. Im Rahmen des Projekts wird die Bedienung unwirtschaftlicher Güterverkehrsstellen durch die DB Cargo AG eingestellt oder durch die Änderung von Produktionsabläufen hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit nachhaltig verbessert. Güterverkehrsstellen, die nicht mehr durch die DB Cargo AG bedient werden können, sollen zukünftig nach Möglichkeit durch andere Eisenbahnverkehrsunternehmen oder im Verbund mit Kombiverkehrsterminals bedient werden; ich schilderte das bereits. Die DB Cargo AG prüft dies zusammen mit den Betroffenen. Die Bundesregierung erwartet insofern keine nachhaltige Verlagerung von Gefahrgutbeförderungen von der Schiene auf die Straße, sondern geht davon aus, dass die beabsichtigte Sanierung der Einzelwagenverkehre trotz einiger Verlagerungen von Gefahrgutverkehren auf die Straße mittelfristig auch für die Gefahrgutbeförderungen auf der Schiene positive Effekte haben wird.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfrage.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, nach Informationen des Deutschen Verbandes Flüssiggas werden 60 bis 70 Umladestationen bzw. Zielbahnhöfe für den Flüssiggastransport, die von dem Programm Mora C betroffen sind, geschlossen bzw. nur noch punktuell angefahren. Dies bedeutet, dass mehrere Zehntausend Tonnen Flüssiggas zukünftig über die Straße befördert werden müssen. Ist dies mit der Gefahrgutverordnung Straße überhaupt in Einklang zu bringen, deren Zielsetzung darin besteht, vor allen Dingen die Gefahrgüter weiterhin auf der Schiene zu transportieren?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Nach der Gefahrgutverordnung dürfen nur jene Güter, deren Transport das Eisenbahnbundesamt ausdrücklich genehmigt hat, nicht auf der Schiene befördert werden. Dies gilt auch weiterhin. Im Übrigen darf ich Ihnen sagen: Das Konzept Mora C zielt weder direkt noch indirekt auf Gefahrguttransporte, sondern behandelt sie im Vergleich zu allen anderen Güterverkehrstransporten als völlig gleichwertig. ({0}) Insofern gilt das Gleiche, was zu den „normalen“ Güterverkehrstransporten zu sagen ist, auch für Gefahrguttransporte. Auch hier gibt es die Möglichkeit, nach alternativen Betreibern Ausschau zu halten und in Verhandlungen mit der DB AG ein entsprechendes alternatives Verkehrsangebot zu erstellen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zweite Zusatzfrage.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie führten gerade aus, dass in dem Programm Mora C keine Unterschiede gemacht, sondern alle Güter gleich bewertet werden. Müssten nicht gerade die Gefahrgüter eine besondere Behandlung erfahren, weil Marktteilnehmer aufgrund ihrer Vorleistungen in der Vergangenheit besonders benachteiligt werden könnten? Sie waren nach der Gefahrgutverordnung Straße gehalten, zuerst eine Ausnahmegenehmigung einzuholen, die sie selten bekommen haben. Sie haben Investitionen an den entsprechenden Bahnhöfen getätigt. Mittlerweile werden diese Bahnhöfe von der DB Cargo nicht mehr angefahren. Damit werden die Marktteilnehmer in der Fläche verdrängt. Ist nicht unter diesem Gesichtspunkt eine unterschiedliche Bewertung gerade bei dem Mora-CProgramm einzufordern?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Herr Straubinger, ich sage es noch einmal: Das Mora-C-Konzept zielt in erster Linie darauf, die DB Cargo AG zu sanieren und sie in den Stand zu versetzen, dass zukünftig deutlich mehr Güterverkehr als bisher auf der Schiene erfolgen kann. Ich gehe davon aus, dass davon selbstverständlich auch die Gefahrguttransporte profitieren können.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage der Kollegin Ostrowski.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatssekretär, Sie sagten soeben, dass in Mora C Aussagen zu Güterbahnhöfen getroffen werden, die aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen werden sollen oder müssen, ebenso zu Güterbahnhöfen, die erhalten bleiben können. Ich frage Sie deshalb: Wie viele der vorhandenen Güterbahnhöfe sollen denn gemäß diesem Konzept aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen werden?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Ich bin gern bereit, Ihnen die Antwort auf diese Frage schriftlich zuzusenden. Es tut mir Leid, dass ich darauf nicht vorbereitet bin. Sie hätten diese Frage vorher anmelden können; dann hätte ich Ihnen die Zahlen hier präsentieren können.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die Frage 18 der Kollegin Blank auf: Aus welchen Haushaltsmitteln wird die Ankündigung des Bundesministers für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Kurt Bodewig, „Die Deutsche Bahn kann in den nächsten zehn Jahren für 8,7 Milliarden DM neue Züge kaufen und einsetzen“, die er in Nürnberg am 21. November 2001 vor den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des ICE-Instandhaltungswerkes getroffen hat, finanziert?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Frau Blank, die Investitionen in Fahrzeuge der Bahn werden nicht mit Haushaltsmitteln des Bundes, sondern grundsätzlich durch Eigenmittel des DB-AG-Konzerns finanziert. Daneben erhält die DB AG insbesondere im Nahverkehr Zuschüsse für die Fahrzeugbeschaffung von Gebietskörperschaften und/oder Dritten.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, das war mir eigentlich bekannt. Wie kommt aber dann Ihr Minister - ich bedauere, dass er nicht mehr anwesend ist dazu, vor den Beschäftigten des Ausbesserungswerkes in Nürnberg diese 8,7 Milliarden DM als Leistung des Bundes darzustellen? Das wurde auf Nachfrage von Journalisten als Leistung des Bundes deklariert. Mir ist bekannt, dass Sie mir darauf jetzt wahrscheinlich keine Antwort geben können.

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Frau Blank, Sie selbst haben in Ihrer Frage den Minister mit der Aussage zitiert: Die Deutsche Bahn kann in den nächsten zehn Jahren für 8,7 Milliarden DM neue Züge kaufen und einsetzen. Es ist nicht die Rede davon, dass diese Mittel vom Bund kommen. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Möchten Sie noch eine Zusatzfrage stellen?

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die Frage 19 der Kollegin Blank auf: Trifft es zu, dass die DB AG in diesem Jahr rund 1,5 Milliarden DM der Investitionsmittel des Bundes nicht verbauen kann, und - wenn ja - welcher Verwendung werden diese Mittel zugeführt?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Im laufenden Jahr wird die DB AG einen Teil der zur Verfügung stehenden Bundesmittel nicht verausgaben können. Die endgültige Höhe dieses Betrages lässt sich gegenwärtig noch nicht präzise abschätzen. Hierbei ist die Bahn vom tatsächlichen Bauablauf bei ihren Vorhaben und von der entsprechenden Rechnungsstellung der beauftragten Unternehmen abhängig.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, vielleicht können Sie das unpräzise abschätzen, ({0}) zumal im Verkehrsausschuss bereits eine Zahl zwischen 1,2 Milliarden DM und 1,6 Milliarden DM genannt wurde. Ist Ihnen bekannt, dass diese Summe wieder in den Bundeshaushalt zurückfließt?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Es ist schon seit einer Weile bekannt, dass die DB AG in diesem Jahr den vollen, von uns zur Verfügung gestellten Betrag für die Schieneninvestitionen leider nicht ausgeben kann. Wir haben dafür Sorge getragen, dass sie trotzdem den vollen Betrag mittelfristig zur Verfügung gestellt be- kommt; denn die 6 Milliarden DM, die zur Ertüchtigung des Bestandsnetzes vorgesehen sind, sind a) bereits ver- traglich gebunden und b) eine notwendige Aufgabe, damit die Bahn ihren Versorgungsauftrag erfüllen kann. Wir haben dies sichergestellt. Was den Mittelabfluss betrifft, können wir für den Dezember keine genauen Aussagen treffen, weil dieser Monat noch nicht zu Ende ist. Am Ende des Haushaltsjahres wird Klarheit bestehen. Beispielsweise sind im November Mittel in Höhe von etwas über 2 Milliarden DM abgerufen worden. Dies ist ein sehr hoher Betrag, der vermuten lässt, dass wir im Dezember einen ähnlich hohen Betrag zu erwarten haben.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zweite Zusatzfrage.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, jetzt treffe ich eine Feststellung: Sie eiern sichtlich herum. Ich habe nicht danach gefragt, was im November und im Dezember abgerufen wurde, sondern danach, welche Mittel in diesem Jahr nicht verbaut werden konnten. Da die Zahlen in Ihrem Hause vorliegen, habe ich erwartet, dass Sie uns eine konkrete Zahl nennen. Herr Staatssekretär, das ist kein ordentlicher Umgang mit dem Parlament. Wir haben das Recht, nach Zahlen zu fragen. Herr Staatssekretär, ich komme auf die 2 Milliarden DM, die Sie vorhin einem Kollegen dargelegt haben, zu sprechen. Mit anderen Worten: Die Deutsche Bahn AG kann in diesem Jahr das Geld, das ihr aus Bundeshaushaltsmitteln zur Verfügung gestellt wird, wiederum nicht verbauen. Ich habe eine konkrete Antwort erwartet. Ich gehe davon aus, dass die nicht verbauten Mittel wieder an den allgemeinen Haushalt zurückfließen. Trifft das zu?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Ich sage es noch einmal: Genaue Aussagen darüber, wie viel Mittel die Bahn in diesem Jahr nicht verausgaben kann, gibt es nicht, liegen nicht vor und sind in unserem Hause nicht bekannt. Dies ist erst nach Ablauf des Haushaltsjahres genau festzustellen. Sie können dann gern neue Fragen stellen. Wir geben Ihnen dann gern die entsprechenden Informationen dazu. ({0}) Selbstverständlich stehen die Mittel, die in diesem Jahr nicht verausgabt wurden, nicht für andere Investitionen in diesem Jahr zur Verfügung. Wir haben dafür Sorge getra- gen, dass sie der DB AG weiterhin zur Verfügung gestellt werden, weil a) die Aufgaben, für die Ausgaben in Höhe von 6 Milliarden DM vorgesehen sind, bereits vertraglich gebunden sind und b) die Aufgaben sinnvoll, notwendig und vernünftig sind. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin Ostrowski hat das Wort zu einer Zusatzfrage.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Das eigentlich Spannende, Herr Staatssekretär, ist ja die Frage: Warum kann die Deutsche Bahn die Mittel nicht verbauen? ({0}) Dazu haben Sie überhaupt nichts gesagt. Ich möchte gerne wissen: Wo liegen die Gründe? Es ist ja keineswegs so, dass die Bahn AG etwa keinen Bedarf an Investitionen hätte. Sie hat sogar einen hohen Investitionsrückstau.

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Frau Ostrowski, der Inhalt Ihrer Frage war nicht Gegenstand der Frage von Frau Blank. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Die Fragen 20 und 21 des Kollegen Thomas Strobl werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zur Frage 22 des Kollegen Johannes Singhammer: Wird die Bundesregierung zusätzliche Finanzmittel in einer Höhe von rund 50 Millionen DM bis zum Jahr 2006 für einen sechsstreifigen Ausbau der Bundesautobahn A 9 zwischen dem Kreuz München/Nord und dem Münchener Ring sowie für die zu ertüchtigende bereits bestehende Anschlussstelle Fröttmaning im Aufgabenbereich der unmittelbaren Baulast des Bundes zur Verfügung stellen, um den termingerechten oben genannten Aus- und Umbau der Bundesautobahn A 9 bis zur Eröffnung des Stadionneubaus in München-Fröttmaning sicherzustellen?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Herr Singhammer, die Bundesregierung ist bereit, den vordringlichen, rund 50 Millionen DM teuren sechsstreifigen Ausbau der Bundesautobahn A 9 im rund 3 Kilometer langen Abschnitt zwischen dem Kreuz München/Nord und dem Münchener Ring einschließlich der bestehenden Anschlussstelle Fröttmaning im Zeitraum bis zur für 2006 vorgesehenen Eröffnung des geplanten Stadionneubaus in München-Fröttmaning innerhalb des auf Bayern entfallenden Anteils an den Bundesfernstraßenmitteln in den Bundeshaushalten der kommenden Jahre zu finanzieren, sofern die baurechtlichen Voraussetzungen dafür zeitgerecht geschaffen werden. Einzelheiten dazu werden zu gegebener Zeit zwischen der Bundesregierung und der Bayerischen Staatsregierung abzustimmen sein.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, die Menschen, die an diesem Autobahnabschnitt leben, sind in Sorge - Sie haben Ihre Antwort ja unter zwei Bedingungen formuliert, zum einen Vorlage der Bauunterlagen und Baufortschritt und zum anderen Finanzierung im Rahmen der zur Verfügung stehenden Mittel, die Bayern zugemessen werden -, dass bis zur Fußballweltmeisterschaft eben nicht die entsprechenden Baumaßnahmen ausgeführt und Lärmschutzanlagen erstellt werden, sondern dass der zusätzliche Verkehr in dem Bereich auf den so genannten Standspuren und ohne Lärmschutz rollt. Deshalb meine Frage: Können Sie, Herr Staatssekretär, für die Bundesregierung ausschließen, dass aufgrund des nicht erfolgten Ausbaus zum Zeitpunkt der Fußballweltmeisterschaft die Standspuren benutzt werden und dass letztendlich eine untragbare Situation, sowohl vom Verkehrsaufkommen als auch von den Lärmemissionen her, eintritt?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Ich sage Ihnen noch einmal: Wir haben zugesichert, dass bis 2006 ein sechsstreifiger Ausbau vorgenommen wird. Voraussetzung ist selbstverständlich, dass wir die Planungsunterlagen dafür bekommen, die gegenwärtig erstellt werden. Dafür ist die Auftragsverwaltung des Freistaats Bayern zuständig, nicht wir. Was den zweiten Teil der Frage betrifft: Der bayerische Anteil an Bundesfernstraßenmitteln gibt den sechsstreifigen Ausbau durchaus her.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine weitere Zusatzfrage.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben mir in Ihrer schriftlichen Antwort vom 26. November mitgeteilt, dass die entsprechenden Unterlagen, die Sie gerade in Ihrer Antwort angesprochen haben, noch nicht vorlägen. Meine Nachfrage beim bayerischen Innenministerium hat ergeben, dass sie nachweislich am 30. Oktober dieses Jahres abgeschickt worden sind. Nun interessiert mich: Sind die Unterlagen mittlerweile bei Ihnen angekommen? Haben Sie Kenntnis davon?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Ich weiß nicht, welche Unterlagen die Bayerische Staatsregierung in ihrer Auskunft Ihnen gegenüber gemeint hat. Die Unterlagen, die in meinem Brief an Sie beschrieben wurden, liegen in der Tat noch nicht vor.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Helmut Heiderich auf: Ist die Bundesregierung bereit, im Rahmen ihres „Betreibermodells für den sechsstreifigen BAB-Ausbau“ auch andere als die von ihr als mögliche Pilotabschnitte vorgeschlagenen Projekte in das Ausbauprogramm der privaten Vorfinanzierung aufzunehmen und auf welchem Weg kann diese zusätzliche Aufnahme erfolgen?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Herr Heiderich, bei dem Betreibermodell für den sechsstreifigen Autobahnausbau, dem so genannten Sechsermodell, handelt es sich nicht um eine private Vorfinanzierung, sondern um eine Projektfinanzierung. Das heißt, der private Betreiber übernimmt im Laufe einer Konzessionszeit nach Abschluss der Bauphase die Aufgaben für Betrieb und Erhaltung sowie die daraus entstehenden Risiken. Die hierdurch entstehenden Kosten sowie der private Anteil der anfänglichen Baukosten werden durch die streckenspezifische Weiterleitung der Einnahmen aus der Autobahngebühr für schwere LKW - das sind solche mit mehr als 12 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht - refinanziert. Bei der privaten Vorfinanzierung übernimmt der Private nur die Bauleistung für das Straßenbauprojekt und dessen Finanzierung auf eigene Rechnung. Der Bund verpflichtet sich, den privat finanzierten Streckenabschnitt gegen ratenweise Zahlung der Refinanzierungssumme zu erwerben. Die gesamten Refinanzierungskosten, das heißt Bau- und Finanzierungskosten, die sich über 15 Jahresraten verteilen, trägt der Bundesfernstraßenhaushalt. Derzeit werden Abstimmungsgespräche mit den Ländern über die mit der Projektliste vorgeschlagenen Maßnahmen nach dem 6er-Modell geführt. Dabei ist es im Grundsatz möglich, Maßnahmen einvernehmlich auszutauschen. Die Anstrengungen des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen hinsichtlich der Erarbeitung von Musterregelungen, unter anderem Konzessionsvertrag und Realisierungsstudien, konzentrieren sich im Interesse einer möglichst frühzeitigen Vergabe auf die in der Projektliste enthaltenen Maßnahmen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfrage?

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Herr Staatssekretär, darf ich zunächst fragen, unter welchen Bedingungen es möglich ist, dass in dieses Programm auch Strecken, die bisher „als grundhafte Erneuerung mit Ausbau von Steigungsstreifen“ klassifiziert sind, aufgenommen werden?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

In dieses Programm werden grundsätzlich Autobahnabschnitte aufgenommen, die von vier Streifen auf sechs Streifen erweitert werden. Wenn dieses gleichzeitig damit einhergeht, dass diese Strecken grundhaft erneuert werden müssen, ist das ja letztlich eine Qualitätsverbesserung, die wir sowieso durchführen müssen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine weitere Zusatzfrage.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich noch weiter fragen, ob bei der Auswahl der Strecken, die Sie hier vorgeschlagen haben, die bisherige Klassifizierung des Bundesverkehrswegeplanes keine entscheidende Rolle spielt, da meines Wissens auch Strecken aufgeführt sind, die bisher im „Weiteren Bedarf“ ausgewiesen waren?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sie haben Recht, es sind auch Streckenabschnitte dabei, die bisher im „Weiteren Bedarf“ mit ausgewiesen wurden. Gleichwohl sind dies Abschnitte, deren sechsstreifige Erweiterung als notwendig angesehen wurde.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Heiderich auf: Wie wird die Bundesregierung die konkrete Höhe der Anschubfinanzierung bzw. des öffentlichen Finanzierungsanteils bei den Betreibermodellen berechnen und wird sie die Reihenfolge der Zuteilung bzw. die Priorität der Maßnahme nach der Höhe des privaten Finanzierungsanteils oder nach anderen Kriterien festlegen?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Für die ersten Projekte nach dem 6er-Modell sind so genannte Realisierungsstudien vorgesehen, mit denen auch die Höhe der erforderlichen Anschubfinanzierung abgeschätzt werden soll. Die tatsächliche Höhe der Anschubfinanzierung ergibt sich erst im Rahmen der Ausschreibung bzw. Vergabe der jeweiligen Maßnahme. Die Anschubfinanzierung für ein 6er-Modell ist aus den Investitionsmitteln des Bundes für die Bundesfernstraßen aufzubringen, die dem jeweiligen Land im Rahmen seines Anteils an den Hauptbautiteln zur Verfügung stehen. Die Priorität der Maßnahmen ist deshalb abhängig von der einvernehmlich zwischen Bund und dem jeweiligen Land abzustimmenden Verwendung dieser Investitionsmittel.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfrage.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung auch bereit, im Vorfeld einer solchen Planung den privaten Unternehmen, die ja nachher den Ausbau vornehmen sollen, die entsprechenden Daten über Verkehrsumfang, Bestandspläne, Streckengestaltung und gegenwärtigen Streckenzustand zur Verfügung zu stellen, damit diese privaten Unternehmen einen entsprechenden Planungsentwurf und eine Kostenplanung bei Ihnen einreichen können?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Herr Heiderich, selbstverständlich ist die Bundesregierung dazu bereit. Dies ist geradezu notwendig; sonst ist es ja für einen Privaten überhaupt nicht möglich, ein Angebot abzugeben.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage der Kollegin Blank.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, nach Ihren Ausführungen drängt sich mir die Frage auf, ob Ihr Betreibermodell nicht ganz genau dem privaten Konzessionsmodell entspricht, das Sie noch vor acht Wochen abgelehnt haben.

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Ich weiß nicht, welches Modell Sie im Auge haben, das wir vor acht Wochen abgelehnt haben sollen. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Heiderich, Sie haben noch eine zweite Zusatzfrage.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie hatten in der Antwort auf meine erste Frage vorhin erwähnt, dass Strecken ausgetauscht werden könnten. Nun meine Frage: Ist es auch möglich, dass zu den von Ihnen vorgeschlagenen Strecken weitere Strecken hinzukommen? Sind Sie gegebenenfalls auch bereit, die gesamte Planungsphase in die Hand eines privaten Betreibers zu legen?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Dies alles sind Fragen, die wir gegenwärtig mit den Ländern erörtern. Wir sind da relativ offen; denn dieses private Betreibermodell erfordert die Zustimmung des Landes. Wir können das nur im Einvernehmen zwischen Land und Bund realisieren.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen Wiese.

Heinz Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003261, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, halten Sie es für denkbar, dass es dadurch Einspareffekte geben könnte, dass beispielsweise ein Autobahnausbau wie der Albaufstieg im gleichen Zeitrahmen wie der Ausbau der ICE-Strecke von Stuttgart Richtung München stattfindet? Dadurch würden sich ja nicht nur aufgrund der parallelen Trassenführung, sondern auch aufgrund der gleichzeitigen Bewältigung erheblicher Höhenunterschiede gewaltige Einspareffekte erzielen lassen.

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Wir halten Einspareffekte aufgrund des privaten Betreibermodells selbstverständlich für möglich. Wir zielen aber nicht darauf ab. Die erwähnte ICE-Hochgeschwindigkeitsstrecke steht nicht im Zusammenhang mit dem nach dem privaten Betreibermodell zu betreibenden Albaufstieg. Es handelt sich vielmehr um eine Strecke, die unmittelbar am Bauabschnitt, der dahinter folgt, liegt.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Die Frage 25 des Kollegen Austermann wird schriftlich beantwortet. Wir sind somit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht Staatssekretär UweKarsten Heye zur Verfügung. Ich rufe die Frage 26 des Kollegen Dr. Christian Ruck auf: Welche tatsächlichen Gründe waren dafür maßgeblich, dass der Bundeskanzler, Gerhard Schröder, laut „Abendzeitung“, München vom 12. September 2000, den damaligen Bundestagskollegen und späteren stellvertretenden Leiter der Inlandsabteilung des Bundespresseamtes, Hans Wallow, „feuern ließ“?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, darf ich mir erlauben, Ihre beiden Fragen im Zusammenhang zu beantworten, weil sie inhaltlich zusammenhängen?

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe also auch noch die Frage 27 des Kollegen Dr. Christian Ruck auf: Hat das Bundeskanzleramt auf das Verfassen des Artikels in der „Abendzeitung“ vom 12. September 2000 Einfluss genommen und, wenn ja, waren im Bundeskanzleramt die tatsächlichen Gründe für die Versetzung des betroffenen Beamten von Berlin an die Außenstelle Bonn bekannt?

Not found (Staatssekretär:in)

Die Darstellung in dem von Ihnen zitierten Zeitungsartikel ist unzutreffend. Mit dieser Personalangelegenheit waren weder der Bundeskanzler noch das Bundeskanzleramt befasst. Falsch ist auch die Behauptung, dass der betroffene Mitarbeiter gefeuert worden sei. Richtig ist vielmehr, dass er auf eigenen Wunsch in den Ruhestand getreten ist. Deswegen kann ich auf Ihre zweite Frage nur mit einem klaren Nein antworten.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Ruck, Sie haben jetzt vier Zusatzfragen.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Erste Nachfrage. Der Bundeskanzler hat also in keiner Weise in den Konflikt zwischen dem Bundespresseamt und dem ehemaligen Fraktionskollegen eingegriffen. Habe ich Sie richtig verstanden?

Not found (Staatssekretär:in)

So ist es.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Weitere Nachfrage: Wie erklären Sie sich Ihre Aussage, Herr Staatssekretär, dass zwischen der Umsetzung des betroffenen Beamten und seiner Tätigkeit als Autor kein Zusammenhang bestünde, obwohl die Anwälte des Bundespresseamtes vor dem Verwaltungsgericht Berlin erklärten, man müsse den Beamten versetzen, da dem Theaterstück in der Presse besondere Aufmerksamkeit gewidmet war?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich kann in diesem Zusammenhang nur sagen: Es ist hier im Interesse der Betroffenen Vertraulichkeit geboten, weil es sich um eine Personalangelegenheit handelt. Deswegen muss ich mich in dieser Frage zurückhalten und bitte dafür um Verständnis.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine letzte Nachfrage: Trifft es zu, dass aus dem Verantwortungsbereich des Beamten besonders zahlreiche Werbeaufträge an eine Werbeagentur in Hannover gingen, die seit Jahren einen besonders guten Kontakt zum Bundeskanzler hat, und dass der betroffene Beamte dies behördenintern moniert hat?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich kann mich an keinen solchen Vorgang erinnern. Deswegen kann ich die Frage im Moment nicht beantworten.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie dem Vorgang nachgehen und uns von Ihren Erkenntnissen berichten?

Not found (Staatssekretär:in)

Das kann ich gerne tun.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke sehr.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Fragen werden von der Parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks beantwortet. Ich rufe die Frage 30 der Kollegin Elke Wülfing auf: Ist es richtig, dass in den Freistellungsbescheinigungen zum Steuerabzug bei Bauleistungen gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz, die die Finanzämter ausstellen, darauf hingewiesen wird, dass der Leistungsempfänger die Freistellungsbescheinigung überprüfen kann, um eine Haftung für den Steuerabzug zu vermeiden?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Wülfing, ja, es trifft zu, dass die von den Finanzämtern der Bundesländer ausgestellten Freistellungsbescheinigungen den Hinweis enthalten, dass der Leistungsempfänger die Freistellungsbescheinigung überprüfen kann, um eine Haftung für den Steuerabzug zu vermeiden.

Elke Wülfing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002567, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Keine Zusatzfrage.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Dann rufe ich die Frage 31 der Kollegin Elke Wülfing auf: Wenn ja, hat dann dieser Hinweis zur Folge, dass der Leistungsempfänger, der nicht nachweisen kann, dass er die Korrektheit der Freistellungsbescheinigung beim Bundesamt für Finanzen überprüft hat, für den Steuerabzug haftet?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Durch das bloße Unterlassen einer Überprüfung der Freistellungsbescheinigung bzw. durch den mangelnden Nachweis einer Überprüfung wird keine Haftung begründet. Nach der für die Haftung maßgeblichen Vorschrift des § 48 a Abs. 3 Einkommensteuergesetz haftet der Leistungsempfänger für den Abzugsbetrag nicht, wenn ihm im Zeitpunkt der Gegenleistung eine Freistellungsbescheinigung vorgelegen hat, deren Rechtmäßigkeit er vertrauen konnte. Im Regelfall wird der Leistungsempfänger nicht haften, wenn die ihm vorgelegte Freistellungsbescheinigung formal den gesetzlichen Anforderungen an eine solche Bescheinigung entspricht. Um zu verhindern, dass der Leistende in Zweifelsfällen einen Steuerabzug vornimmt, um eine vermeintliche Haftung zu vermeiden, kann er sich durch eine Internetanfrage beim Bundesamt für Finanzen oder durch Nachfrage beim zuständigen Finanzamt die Richtigkeit der Gültigkeit der Freistellungsbescheinigung bestätigen lassen. Die Möglichkeit der Internetanfrage dient vorrangig der Effektivität des Freistellungsverfahrens. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut darf der Leistungsempfänger nach § 48 a Abs. 3 Einkommensteuergesetz allerdings insbesondere dann nicht auf eine Freistellungsbescheinigung vertrauen, wenn sie durch unlautere Mittel oder falsche Angaben erwirkt wurde und ihm dies bekannt war oder grob fahrlässig nicht bekannt war.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage?

Elke Wülfing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002567, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Bitte.

Elke Wülfing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002567, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ist es dann nicht richtig, dass die neu geregelte Zentralstelle, die wir ja gemäß dem Steueränderungsgesetz 2001 neu eingerichtet haben, eine Haftungsverschärfung dahin gehend bedeutet, dass der Leistungsempfänger, wenn er nicht per Internet anfragt, automatisch für den Steuerabzug haftet, wenn diese Freistellungsbescheinigung, welche ich hier habe und auf die meine Fragen ja gründen, nicht korrekt ist?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Nein, Frau Kollegin, es ist nicht richtig, dass er dann automatisch haftet. Es ist nur eine Erleichterung. Um sich zu vergewissern, ob die Freistellungsbescheinigung wirklich richtig ist, kann der Leistungsempfänger diese Anfrage per Internet machen, was ja eine sehr einfache Tätigkeit ist, die also keinen Aufwand beinhaltet. Er kann auch beim zuständigen Finanzamt des Leistungserbringers, also der auftragnehmenden Firma, nachfragen. Einfacher ist es aber, dies per Internet zu tun. Aber ich sagte Ihnen ja, dass der ausdrückliche Wortlaut des entsprechenden Paragraphen im Einkommensteuergesetz bedeutet, dass Haftung nur dann entsteht, wenn diese Freistellungsbescheinigung tatsächlich falsch war und derjenige, der diese entgegengenommen hat, dies gewusst hat oder grob fahrlässig nicht gewusst hat. Aber grobe Fahrlässigkeit entsteht nicht dadurch, dass er nicht selber nachfragt.

Elke Wülfing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002567, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Noch einmal nachgefragt: Er muss also nicht nachweisen, dass er die Zentralstelle oder das Finanzamt nicht angerufen hat, um zu beweisen, dass die Freistellungsbescheinigung, die ihm vorgelegen hat, korrekt ist?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Nein, dies muss er nicht nachweisen.

Elke Wülfing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002567, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gut. Vielen Dank.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Die Fragen 32 und 33 des Kollegen Ernst Hinsken und die Frage 34 des Kollegen Hans Michelbach werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 35 des Kollegen Dr. Hans-Peter Friedrich zu den finanziellen Problemen der SchmidtBank in Hof auf: Zu welchem Zeitpunkt hat das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen die Bundesregierung über die finanziellen Probleme der Schmidt-Bank in Hof unterrichtet?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Friedrich, das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen ist zentrale Kontroll- und Überwachungsinstanz im Bereich der Bankenaufsicht und aufgrund seiner organisatorischen Selbstständigkeit in diesem ihm zugewiesenen Fachbereich zum eigenverantwortlichen Handeln nach Maßgabe des Gesetzes über das Kreditwesen, KWG, berechtigt. Im Rahmen der Fachaufsicht des Bundesministeriums der Finanzen über das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen bestehen grundsätzlich keine besonderen Unterrichtungspflichten gegenüber den zuständigen Stellen des Bundesministeriums der Finanzen. Über Schieflagen von Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten in sensibel und bedeutend eingestuften Fällen informiert das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen das Bundesministerium der Finanzen. Im Falle der Schmidt-Bank hat das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen das Bundesministerium der Finanzen schriftlich Bericht über die Lage des Instituts und die geschaffene Auffanglösung erstattet. Dieser Bericht ging dem Bundesministerium der Finanzen rechtzeitig zu.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfragen?

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Bitte.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich habe diese Frage deswegen gestellt, weil der Kollege Ludwig Stiegler von der SPD ausweislich der „Frankenpost“ vom 21. November dieses Jahres gesagt hat, Minister Eichel habe sich, als er von dem Ultimatum des Bundesaufsichtsamtes erfahren habe, sofort um diese Sache gekümmert. Aber es war - so heißt es hier wörtlich - „am Samstag Nachmittag zu spät. Da war nichts mehr aufzuhalten“. Deswegen habe ich die Frage gestellt, wann genau die Bundesregierung von dieser Angelegenheit erfahren hat. Außerdem möchte ich fragen: Ist es schon einmal vorgekommen, dass eine Bank geschlossen wurde, ohne dass die Bundesregierung davon vorher in Kenntnis gesetzt wurde?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Ja, Herr Kollege, das ist schon einmal vorgekommen. Denn dies gehört in der Tat zu den aufsichtsrechtlichen Aufgaben des Bundesamtes für das Kreditwesen. Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesfinanzminister als Person, wird im Vorhinein über so etwas nicht unterrichtet, sondern das fällt in die Zuständigkeit des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen. In sensiblen Bereichen - ich habe Ihnen das eben gesagt; so ist es auch festgelegt - wird das Bundesministerium der Finanzen unterrichtet, das heißt aber das zuständige Referat, darüber hinausgehend vielleicht die zuständige Abteilung. Dann müsste im Ministerium entschieden werden, ob der Fall auch dem Minister vorgelegt wird. Aber nach meinem Kenntnisstand ist das nicht der Fall gewesen, sondern das Bundesministerium der Finanzen ist zunächst telefonisch und mündlich durch das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen unterrichtet worden und hat dann auf Bitte des Bundesministeriums der Finanzen Anfang Dezember, also Anfang dieses Monats, schriftlich Bericht erstattet.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn die Information im Ministerium nicht an den Minister weitergegeben wurde - so habe ich das verstanden -, dann meine nächste Frage. Im Bundesaufsichtsamt wird ja nun nicht geprüft, welche regionalwirtschaftlichen oder strukturpolitischen Konsequenzen die Schließung einer Bank hat. Halten Sie es nicht für notwendig, dass man in diesem Prozess auch das Wirtschaftsministerium und das Finanzministerium stärker einschaltet, um solche wichtigen strukturpolitischen Fragen zu klären?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Friedrich, die Aufgabe des Bundesaufsichtsamtes ist eine, wenn Sie so wollen, Verbraucherschutzaufgabe. Es hat zunächst die Einlagen der Menschen zu sichern, die ihr Geld bei einer Bank angelegt haben. Zur Schließung einer Bank kommt es dann, wenn das Eigenkapital der Bank nicht ausreicht, um die Einlagen, die von den Sparern dort in gutem Glauben hinterlegt worden sind, zu sichern. Das ist die eigentliche Aufgabe des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen; das entspricht seiner gesetzlich vorgeschriebenen Aufgabenstellung. Strukturpolitische Gründe darf das Bundesaufsichtsamt in diesem Zusammenhang letztlich nicht berücksichtigen, weil es tatsächlich um die Einlagensicherung geht. Wenn das Bundesaufsichtsamt im umgekehrten Fall seiner Pflicht nicht nachkommen würde und eine Bank über den Zeitpunkt, der verantwortlich wäre, hinaus wirtschaften würde, dann wären alle Sparer der Region sozusagen „entreichert“. Das muss verhindert werden.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen Koschyk.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, in der öffentlichen Diskussion über das Vorgehen des Bundesaufsichtsamtes ist vor allem die Kürze der Zeit kritisiert worden, in der der Schmidt-Bank Gelegenheit gegeben worden ist, eine Schließung zu verhindern. Entspricht der vorgegebene Zeitraum dem in solchen Fällen üblichen Verfahren?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Ich weiß nicht genau, Herr Kollege, wie lang der Zeitraum war. Aber ich will dazu allgemein einmal Folgendes sagen. Ein langer Zeitraum kann in diesem Zusammenhang niemals sinnvoll sein; denn wenn sich herumsprechen würde, dass es Schwierigkeiten gibt, würden natürlich alle Sparer und Konteninhaber umgehend ihr Geld abziehen und die Bank würde sofort zugrunde gehen. Dann würde eine Auffanglösung nicht mehr gelingen. Deswegen ist es notwendig, dass der Vorgang vertraulich und rasch erfolgt.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine weitere Zusatzfrage, diesmal vom Kollegen Protzner.

Dr. Bernd Protzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001756, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie haben gesagt, dass das Bundesfinanzministerium in als sensibel und bedeutend eingestuften Fällen vom Bundesaufsichtsamt vorab informiert wird. Was hat diese Vorabinformation für einen Sinn, wenn das Bundesfinanzministerium nicht Handlungskonsequenzen daraus ableitet, beispielsweise in Zusammenarbeit mit dem Bundeswirtschaftsministerium? Meine Frage bezieht sich also nicht auf das Handeln des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen, sondern darauf, warum das Bundesfinanzministerium und das Bundeswirtschaftsministerium untätig geblieben sind, obwohl sie vorab informiert worden sind.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Protzner, die Zuständigkeit des Bundeswirtschaftsministeriums ist ohnehin nicht gegeben. Insofern geht Ihr Vorschlag ins Leere. Aber der Vorgang ist so gehandhabt worden, dass das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen zusammen mit den vier bayerischen privaten Großbanken letztlich die Lösung für die Auffanggesellschaft gefunden hat. Das Bundesaufsichtsamt ist also ausgesprochen erfolgreich gewesen, weil die Bank letztlich nicht geschlossen werden musste, sondern eine Auffanggesellschaft gegründet wurde, die in alle Rechte und Pflichten eintreten konnte. Auf diese Weise haben aus diesem Grund weder Sparer ihr Eigentum verloren noch etwa konnten Kredite nicht mehr prolongiert werden. Das war eine ausgesprochen erfolgreiche Tätigkeit des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Wir kommen zur Frage 36 des Kollegen Friedrich: Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen oder gedenkt sie zu unternehmen, um die Schmidt-Bank in ihrer Funktion als Mittelstandsbank für die Zukunft zu erhalten, wie dies offenbar durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau bei der Deutschen Industriebank geschieht, vergleiche „Nordbayerischer Kurier“ vom 26. November 2001?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Die Bundesregierung sieht keine Möglichkeit für einen Beitrag des Bundes zur Erhaltung der Schmidt-Bank. Die Auffanggesellschaft, die nach einem Treffen mit den bayerischen Großbanken und dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen entstanden ist - ich sagte es Ihnen eben schon -, zeigt, dass das deutsche Bankensystem in der Lage ist, eigene Lösungen zu finden. Die Einlagen der Schmidt-Bank sind im Übrigen im Rahmen dieser Auffanglösung über den Einlagensicherungsfonds der privaten Banken gesichert.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfragen?

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wenn ich es richtig weiß, hat am 9. November der Verwaltungsrat der KfW - der Minister ist, so glaube ich, Mitglied oder sogar Vorsitzender dieses Verwaltungsrates - den Beschluss gefasst, einzusteigen und sich an der IKB, Deutsche Industriekreditbank in Düsseldorf, zu beteiligen. Begründet wurde das damit, dass man gesagt hat, es gehe darum, die Mittelstandsorientierung der IKB für die Zukunft zu sichern. Sieht denn die Bundesregierung einen Unterschied zwischen einem Einsteigen der KfW bei der IKB und dem Einsteigen bei der Schmidt-Bank - mit Ausnahme der Tatsache, dass die IKB in Nordrhein-Westfalen liegt und die Schmidt-Bank in Bayern?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Der Unterschied ist der, so hart sich das anhört: Die IKB ist kein Sanierungsfall. Es ist also schon aus diesem Grund keine wettbewerbsschädliche Sanierungsaktion, sondern es ist die Beteiligung eines im Bundesbesitz befindlichen Bankinstituts an einem anderen Bankinstitut, ohne dass damit irgendeine Wettbewerbsverzerrung entsteht.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, dass die Industrie- und Handelskammer von Oberfranken schätzt, dass durch ein individuelles Verschwinden der Schmidt-Bank als Mittelstandsbank in der dortigen Region 18 000 Arbeitsplätze gefährdet sind? Es ist noch nicht das dazugerechnet, was in Sachsen, in Thüringen und in der Oberpfalz möglicherweise gefährdet ist. Das sind ja nun wichtige und eindrucksvolle Zahlen. Ist Ihnen als Bundesregierung bewusst, dass es sich dabei um ein Grenzgebiet handelt, das auch unmittelbar von der EU-Osterweiterung betroffen ist, und dass der Mittelstand dort vor besondere Herausforderungen gestellt ist?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Friedrich, wir müssen natürlich - ich sagte Ihnen das schon - unter Beihilfegesichtspunkten prüfen, was man tun kann, um eine solche Bank zu erhalten. Ich sage Ihnen noch einmal: Es ist ja auf privater Basis etwas geschehen. Die vier großen bayerischen Privatbanken haben die Schmidt-Bank aufgefangen. Die Kredite sind nicht notleidend geworden. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau ist übrigens - ich rede nicht von einer möglichen Beteiligung der Kreditanstalt für Wiederaufbau an der Schmidt-Bank - zur Unterstützung der mittelständischen Wirtschaft in Oberfranken mit einem Kreditvolumen von circa 600 Millionen DM engagiert, also direkt zugunsten des Mittelstandes allein in Oberfranken. Daran wird sich auch nichts ändern. Ich könnte Ihnen jetzt natürlich eine Art volkswirtschaftliches Seminar über die Frage halten,

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Lieber nicht, Frau Staatssekretärin. ({0})

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

- wie sich das im Wettbewerb darstellt. Ich wünsche es niemandem, dass er in Konkurs geht, natürlich auch nicht einer Bank. So bedauerlich das ist: Es wird sich im Wettbewerb eine andere Regelung finden. Die Mittelständler werden ihre Kredite auch anderswo bekommen. Es gibt auch in Oberfranken ein leistungsfähiges Sparkassenwesen und leistungsfähige Volksbanken und Filialen der Großbanken. Ich glaube, dass es nicht die Aufgabe der Bundesregierung ist, einen bestimmten Wettbewerber am Markt zu erhalten. Das kann nicht die Aufgabe der Bundesregierung sein!

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen Protzner.

Dr. Bernd Protzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001756, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie haben das andere Verhalten der Kreditanstalt für Wiederaufbau bei der IKB in Ihrer Antwort damit begründet, dass die IKB kein Sanierungsfall ist, und gesagt: Deswegen hat sich die KfW beteiligt. Darf ich daraus schließen, dass sich die KfW an der Schmidt-Bank beteiligt, wenn sie saniert worden ist?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege, die IKB ist eine Bank, die, wie ihr Name schon sagt, Industriekredite anbietet und die in diesem Bereich eine gewisse Tradition hat. Ihr Hauptsitz liegt in Düsseldorf. Sie ist aber bundesweit tätig, hat also nicht nur regionale Bedeutung. Die KfW ist daran interessiert, die Mittelstandsorientierung dieser Industriekreditbank auch in Zukunft zu erhalten. Dieses Interesse der KfW möchte ich nicht näher beurteilen, weil das eine Entscheidung der KfW ist. Sie ist ja die Förderbank des Bundes und unterstützt insbesondere den Mittelstand in der Bundesrepublik Deutschland. Ich sagte Ihnen ja soeben: Die KfW ist allein in Oberfranken mit Krediten an den Mittelstand in Höhe von 600 Millionen DM engagiert. Es geht ja darum, dass der Mittelstand auch in Zukunft mit Krediten versorgt wird. Ich wiederhole es: Die Schmidt-Bank ist durch private Banken aufgefangen worden. Der Einlagensicherungsfonds der deutschen Privatbanken tritt vollständig ein. Es gehen also keine Einlagen von Sparern bei der SchmidtBank verloren. Wenn die Schmidt-Bank in der Region von Oberfranken eine wirklich so große Bedeutung hat, wie Sie sagen, dann sollte die Bayerische Staatsregierung unter dem Gesichtspunkt der Regionalförderung einmal prüfen, der Schmidt-Bank beizutreten, beispielsweise durch einen Anteilserwerb. Gerade unter dem Gesichtspunkt der regionalen und der Mittelstandsorientierung wäre dies zunächst Aufgabe der Bayerischen Staatsregierung. Ich vermute nur, dass die Bayerische Staatsregierung ebenso, wie das bei der Bundesregierung der Fall wäre, Probleme mit der wettbewerbsrechtlichen Genehmigung aus Brüssel bekommen würde. Deswegen hat nach meinem Kenntnisstand die Bayerische Staatsregierung bisher keinerlei Anstalten gemacht, Anteile der Schmidt-Bank zu erwerben.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine weitere Zusatzfrage vom Kollegen Koschyk.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, bevor ich meine Frage stelle, muss ich Folgendes feststellen: Ich bin sehr erstaunt, dass die Bundesregierung anscheinend nicht weiß, mit welchem Prozentsatz die Bayerische Staatsregierung, die Sparkassenorganisation in Bayern und die Bayerische Landesbank an der für die Schmidt-Bank gefundenen Auffanglösung beteiligt sind. Ich möchte die Frage des Kollegen Protzner aufgreifen: Wenn es in diesem Fall durch das bereits vorhandene Engagement der Bayerischen Staatsregierung und der vier genannten Großbanken gelingt, die Schmidt-Bank einigermaßen zu sanieren, ist dann die Bundesregierung analog zur Beteiligung der KfW an der IKB nicht doch bereit, zu prüfen, ob sie angesichts der Tatsache, dass es hier nicht um ein rein bayerisches Problem geht, sondern um die Erhaltung eines Bankinstituts, das der Wirtschaft in Thüringen und Sachsen - damit hat es also auch für die neuen Länder Bedeutung - als mittelstandsorientiertes Kreditinstitut dient, durch eine dauerhafte Sicherung dieser mittelstandsorientierten Bank in dieser Region zu deren Erhalt beitragen kann?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Selbstverständlich wäre die Bundesregierung bereit, dies zu prüfen. Darüber müsste natürlich die KfW entscheiden, und zwar auch unter dem Gesichtspunkt, ob tatsächlich eine Sanierung gegeben ist. Denn ich sagte Ihnen ja schon: Sanierungsmittel können wir auch über den Weg der KfW nicht geben; das ist EU-rechtlich nicht erlaubt. Sollte eine Sanierung gelingen, wird man diesem Gedanken näher treten können. Allerdings kann ich einerseits selbstverständlich nicht mehr als eine Prüfung zusagen. Andererseits ist es nicht gesagt, ob unsere Unterstützung überhaupt noch nötig ist, wenn eine Sanierung gelungen ist.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Die Frage 37 des Kollegen Austermann wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zur Frage 38 der Kollegin Christine Ostrowski: Wie vereinbart sich der Verkauf der Geschäftsanteile des Bundes von 72,6 von Hundert am Stammkapital der Frankfurter Siedlungsgesellschaft mbH an die Viterra AG - vergleiche auch Drucksache 14/3346 des Hessischen Landtages - unter Nichtberücksichtigung des Kaufangebotes der 350 Mitglieder und 294 Haushalte umfassenden Arbeitsgemeinschaft Mietervereine Bizonale Siedlung Frankfurt am Main-Griesheim e. V. mit der Aussage in der Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998, bei der Privatisierung bundeseigener Wohnungsbestände gehe die Koalition sozialverträgliche Wege wie Genossenschaftsgründungen, Mieterprivatisierungen oder Erhalt einzelner Gesellschaften bei größerer Wirtschaftlichkeit?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Ostrowski, das Angebot der Arbeitsgemeinschaft Mietervereine Bizonale Siedlung lag auch nach einer Nachbesserung deutlich unter dem Wert der betroffenen Wohneinheiten. Der Arbeitsgemeinschaft wurde daher mitgeteilt, dass ihrem Kaufangebot nicht näher getreten werden konnte. Ein großer Teil der Wohneinheiten der Siedlung ist für eine Mieterprivatisierung vorgesehen, sodass in diesem Rahmen Wünsche von Mietern hinsichtlich eines Erwerbs berücksichtigt werden können.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfrage.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Staatssekretärin, meine Frage lautete, inwieweit der Verkauf an Viterra, zu dem Sie sich entschlossen haben, mit der Koalitionsvereinbarung vereinbar ist. Deshalb muss ich jetzt noch einmal nachfragen. In der Koalitionsvereinbarung haben Sie sich auf folgende Formulierung geeinigt: Bei der Privatisierung bundeseigener Wohnungen geht die Koalition sozialverträgliche Wege, wie, jetzt kommt es - es folgt eine Aufzählung -, Genossenschaftsgründungen, Mieterprivatisierungen oder Erhalt einzelner Gesellschaften bei größerer Wirtschaftlichkeit. Ich bemerke: Der Verkauf an Dritte ist dort nicht vermerkt. Davon abgesehen glaube ich auch nicht, dass die Reihenfolge bei der Erarbeitung der Koalitionsvereinbarung zufällig gewählt wurde. Stimmen Sie mir darin zu, dass Sie bei Ihrer Entscheidung nach anderen Kriterien vorgegangen sind, als Sie in Ihrer Koalitionsvereinbarung festgelegt haben, indem Sie sich für das finanziell bessere Kaufangebot von Viterra, das rund 70 000 DM pro Wohneinheit ausmachte, anstatt für das Kaufangebot der sich gründen wollenden Mietergenossenschaft, das rund 55 000 DM pro Wohneinheit ausmachte, entschieden haben?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Ostrowski, ich habe Ihnen in meiner Antwort schon gesagt, dass ein großer Teil der Wohneinheiten der Siedlung für Mieterprivatisierungen vorgesehen ist, sodass diese in einem zweiten Schritt auch erfolgen werden. Allerdings darf ich auch darauf aufmerksam machen, dass die Bundesregierung nach der Bundeshaushaltsordnung dazu verpflichtet ist, marktgerechte Preise zu erzielen und nicht unter Wert zu verkaufen.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich habe eine zweite Nachfrage und komme noch einmal auf die Mieterprivatisierungen zurück, weil mich interessiert, ob alle 666 Wohnungen einbezogen worden sind.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Nein, nur ein Teil. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie groß dieser ist.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Okay, das würde mich aber noch interessieren. - Ich muss aber noch einmal nachhaken: Aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten heraus verstehe ich Sie; damit habe ich auch keine Probleme. Fakt ist aber, dass Sie sich genau das in Ihrer Koalitionsvereinbarung nicht vorgenommen haben. Dort steht nichts von wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Dort steht, dass Sie, wenn Sie privatisieren, in einer bestimmten Reihenfolge vorgehen usw. - nichts anderes.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Ostrowski, selbstverständlich beachten wir das. Man kann aber natürlich durch eine Koalitionsvereinbarung geltendes Recht nicht außer Kraft setzen. Selbstverständlich wird jeder, der eine Koalitionsvereinbarung schließt, dies auf der Grundlage des geltenden Rechts tun. Die Bundeshaushaltsordnung hat vorher gegolten und sie gilt auch nachher.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die Frage 39 der Kollegin Ostrowski auf: Wie vereinbart sich damit gleichzeitig, dass die bundeseigene Treuhandliegenschaftsgesellschaft nahezu zugleich in Lauchhammer/Brandenburg rund 300 Wohnungen zu einem Preis verkauft, der weit unter dem Verkehrswert liegt, obwohl ein Angebot der Stadt über mehr als den dreifachen Betrag des Preises und ein Angebot eines anderen Bewerbers über mehr als den zweieinhalbfachen Betrag des Preises vorgelegen hat?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Der vereinbarte Kaufpreis für die 310 verkauften Wohneinheiten resultiert aus der jetzigen Marktsituation. Bei den Verkaufsverhandlungen, die mit insgesamt 15 Investoren geführt wurden, war für die Wohnungen angesichts der hohen Bewirtschaftungsverluste und einer Leerstandsquote von über 80 Prozent ein höherer Kaufpreis nicht durchsetzbar. Das angesprochene Kaufangebot der Stadt Lauchhammer stammt aus dem Jahre 1996. Ein aktuelles Kaufangebot der Stadt Lauchhammer hat der Treuhandliegenschaftsgesellschaft nicht vorgelegen. Die Stadt hat auch keinerlei Kaufabsichten signalisiert. Sie hat mit Schreiben vom 24. Januar 2000 mitgeteilt, dass sie gegen einen Verkauf der Wohnungsbestände an Dritte keine Einwände habe. An der öffentlichen Ausschreibung der Wohnungsbestände durch die Treuhandliegenschaftsgesellschaft, die am 24. bzw. 25. Juni 2000 erfolgte, hat sich die Stadt nicht beteiligt. Auch das genannte Angebot eines anderen Bewerbers kam für die Treuhandliegenschaftsgesellschaft nicht infrage, da dieses einen gebäudeweisen Ankauf beinhaltete, bei dem erst nach Sanierung und erfolgreicher Vermietung der nächste Gebäudeankauf erfolgen sollte. Dieses Angebot entsprach damit nicht der Zielsetzung der Treuhandliegenschaftsgesellschaft.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfrage.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich habe Zweifel daran, dass Sie, wenn Sie bundeseigene Wohnungen für rund 45 DM pro Quadratmeter verkaufen - das ist nach übereinstimmenden Aussagen des Bürgermeisters und des Landrates deutlich unter dem in Lauchhammer ortsüblichen Wert -, die Haushaltsordnung einhalten. Abgesehen davon wollte ich Sie fragen, ob Ihnen bewusst ist, dass die TLG, indem sie Wohnungen total unter Wert an einen Dritten verkauft, obwohl sie in das Stadtentwicklungskonzept der Stadt Lauchhammer eingebunden ist - Lauchhammer hat einen exorbitant hohen Wohnungsleerstand, die kommunale Gesellschaft befindet sich bereits im Insolvenzverfahren, es herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit etc. -, dem Erwerber dieser Liegenschaften einen wirtschaftlichen Vorteil verschafft. Das ist nämlich unbestritten. Aufgrund dieses wirtschaftlichen Vorteils, wenn er ihn sich nicht direkt als Gewinn einsteckt, ist der Erwerber natürlich in der Lage, die Wohnungen zu einer Dumpingmiete auf den Markt zu werfen. Dies wird die TLG Genossenschaft, die vormals zu einem zehnfach höheren Preis als dem späteren Verkaufspreis ausgegründet wurde und die sowieso schon zwischen Leben und Sterben hängt, mit Sicherheit in den Ruin treiben. Mein Problem ist: Sind Sie sich bewusst, dass Sie die Zielstellungen Ihres Stadtumbauprogramms, die der zuständige Minister vorantreibt, vollkommen konterkarieren und die Möglichkeit, den desolaten Wohnungsmarkt in Lauchhammer in Ordnung zu bringen, nicht genutzt haben?

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Künftig, Frau Kollegin, bitte keine Kurzinterventionen, sondern eine Frage! - Frau Staatssekretärin.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Sehen Sie: Dieser ganze Wohnungskomplex ist mit einem negativen Bewirtschaftungsergebnis von 360 000 DM pro Jahr verbunden. Dafür ist insbesondere ein äußerst ungünstiger Wärmelieferungsvertrag verantwortlich. Dieser Wärmelieferungsvertrag musste vom Käufer der Gesamtliegenschaft zwangsweise übernommen worden und ist noch ziemlich lange, bis 2014, gültig. Er wäre übrigens auch dann weiter gültig, wenn man die Wohnungen abreißen würde. Dies stellt damit eine erhebliche Kostenbelastung von monatlich etwa 100 DM pro Wohneinheit dar. Das muss man dann bei den von Ihnen angenommenen Erträgen gegenrechnen. Für die dadurch entstandene schwierige Vermarktungssituation ist nicht zuletzt die Stadt Lauchhammer verantwortlich, da sie seinerzeit als Gesellschafterin des Unternehmens für den Wärmelieferungsvertrag verantwortlich war. Ich will dies der Stadt Lauchhammer nicht schuldhaft vorwerfen. Es hat Entscheidungen gegeben, die in den Folgejahren tatsächlich zu großen Verwerfungen geführt haben. Es sind auch nicht alle Entscheidungen, weder die damaligen Entscheidungen der Stadt noch heutige Entscheidungen der Bundesregierung bzw. der Treuhand Liegenschaftsgesellschaft, wie man besser sagen muss, dazu geeignet, ein Grundsatzproblem zu lösen, was sich zum Beispiel dadurch kennzeichnet, dass in den Wohnungen 80 Prozent Leerstand herrscht. Das löst man nicht dadurch, dass man sie an jemand anderen verkauft.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ungeachtet der konkreten Dinge wie des Wärmelieferungsvertrages haben Sie am Beispiel Ihrer ehemaligen Bundeswohnungen die Situation fast aller ostdeutschen Wohnungsunternehmen in den Ballungsräumen und Städten sehr treffend beschrieben. - Dies vorausgeschickt, habe ich eine zweite Nachfrage. Ich habe hier eine Antwort des Ministers für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Brandenburg auf eine mündliche Anfrage eines Abgeordneten vor mir liegen. Ich wollte Sie fragen, ob Sie den Aussagen, die ich jetzt zitieren werden, zustimmen. Wenn Sie den Aussagen nicht zustimmen, möchte ich wissen, aus welchen Gründen Sie daran zweifeln bzw. was Sie anzweifeln. Der Minister antwortet einem Landtagsabgeordneten: Über die Wohnungsverkäufe der TLG in Lauchhammer erhielt die Landesregierung lediglich durch Mitteilungen aus der Presse Kenntnis. ... Seit Dezember 1999 wurden unter Leitung des BBU ({0}) Moderationsgespräche zur Entwicklung des Wohnungsbestandes in Lauchhammer jeweils unter Beteiligung der TLG durchgeführt. Der TLG war also bekannt, dass ein Erfolg versprechender Stadtumbauprozess nur unter Einbeziehung ihrer 310 WE ... in eine gemeinsame Planung des Stadtumbaukonzeptes möglich sein wird. Der nunmehr erfolgte Verkauf der Wohnungen an einen zusätzlichen Konkurrenten zu einem Kaufpreis von 1/10 dessen ..., was den Genossenschaften 1995/96 abverlangt wurde, gefährdet den bisher gemeinsam beschrittenen Weg und die Existenz der in Lauchhammer ansässigen Wohnungsunternehmen.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin, ich kann das fachlich nicht beurteilen, was der Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr dort geäußert hat. Ich kenne diesen Brief nicht. Ich kenne natürlich auch den Vorgang im Einzelnen nicht. Ich darf aber darauf hinweisen: Sie haben mir gerade als Preis die Zahl von 45 DM pro Quadratmeter genannt, was in der Tat sehr wenig ist. Wenn dies ein Zehntel dessen ist, was im Jahre 1995 bezahlt worden ist, dann waren das damals 450 DM. Das war auch zu damaliger Zeit niedrig. In der Zwischenzeit sind die Preise weiter gefallen. Deswegen ist der Markt mit dem von vor sechs Jahren leider nicht mehr vergleichbar.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretärin. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Die Fragen werden von der Parlamentarischen Staatssekretärin Ulrike Mascher beantwortet. Ich rufe die Frage 40 des Kollegen Dr. Klaus Grehn auf: Auf welchen Erkenntnissen beruhen angesichts der anders lautenden ersten Evaluierungsergebnisse der CAST-Studie ({0}) die Schlussfolgerungen des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, Walter Riester, dass „die Ausweitung des Mainzer Modells auf ganz Rheinland-Pfalz folgerichtig und sinnvoll“ sei, da angeblich unterschiedliche regionale Rahmenbedingungen einen erheblichen Einfluss auf die Inanspruchnahme und den Erfolg dieses Modells haben?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Herr Kollege Grehn, der erste Zwischenbericht zum arbeitsmarktpolitischen Sonderprogramm „Chancen und Anreize zur Aufnahme sozialversicherungspflichtiger Tätigkeiten“ - abgekürzt CAST - der Bundesregierung kommt zu dem Ergebnis, dass nach einem Jahr Laufzeit die Inanspruchnahme des Sonderprogramms mit bislang 592 Förderfällen hinter den Erwartungen zurückgeblieben sei. Diese Feststellung gelte in besonderem Maße für das Modell der Saar-Gemeinschaftsinitiative, auf das lediglich 13 Prozent aller bis dahin bewilligten CAST-Förderfälle entfielen. Nicht zuletzt deshalb wurden im Einvernehmen mit den Sozialpartnern zum 1. Mai 2001 die Förderkonditionen des Sonderprogramms CAST großzügiger ausgestaltet. Der erste Zwischenbericht bezieht sich auf Daten mit dem Stand von Ende August. Die Änderungen der Förderkonditionen konnten sich daher noch nicht in den Ergebnissen niederschlagen, da derartige Veränderungen erst mit zeitlicher Verzögerung wirken. Das Sonderprogramm CAST ist weitergelaufen. Dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung lagen bei der von Ihnen zitierten Einschätzung bereits Ergebnisse zum Stand Ende Oktober vor. Bis dahin wurden insgesamt 782 Personen gefördert. Davon entfielen auf das Mainzer Modell 654 Förderungen, sodass sich die Zahl der dortigen Förderfälle binnen zwei Monaten um 140 erhöht hat. Mit dieser Entwicklung ist das Mainzer Modell auch im Vergleich mit anderen so genannten Kombilohnmodellen, die in mehreren Bundesländern erprobt werden, bisher am erfolgreichsten umgesetzt worden. Diese Einschätzung teilt in seinem jüngsten Gutachten auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Dass unterschiedliche regionale Rahmenbedingungen einen erheblichen Einfluss auf Inanspruchnahme und Erfolg arbeitsmarktpolitischer Instrumente, wie das Mainzer Modell, haben können, ist schon dem Zwischenbericht zu entnehmen. Aus diesem Grund wird darin auch die unterschiedliche Arbeitsmarktlage in den Förderregionen näher untersucht. Bisher betraf das in Rheinland-Pfalz Koblenz, Mayen, Montabaur und Neuwied. Hierbei zeigt sich, dass verdichtete Arbeitsamtsbezirke mit starker Dienstleistungsorientierung und eher günstiger Arbeitsmarktlage, wie zum Beispiel der Arbeitsamtsbezirk Mainz, bislang fehlten. Die zum Jahresbeginn geplante Ausweitung des Mainzer Modells auf das gesamte Bundesland RheinlandPfalz ist daher folgerichtig und sinnvoll und ermöglicht breitere Erkenntnisse über die Wirkungsweise des Mainzer Modells.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfrage?

Dr. Klaus Grehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003135, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Staatssekretärin, wie bewerten Sie angesichts der Ausweitung des Modells auf das gesamte Land Rheinland-Pfalz die Tatsache, dass von 414 Betrieben, wie sie in dem Zwischenbericht genannt sind, lediglich 46 mehr als eine geförderte Arbeitskraft beschäftigten?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Ich denke, das hat damit zu tun, dass ein solch neues Fördermodell - auch wenn es so erfolgreich wie das Mainzer Modell ist - eine gewisse Zeit braucht, bis es anläuft, bis es bekannt wird und man Vertrauen in ein solches Modell hat.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine weitere Zusatzfrage?

Dr. Klaus Grehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003135, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Staatssekretärin, haben bei Ihren Überlegungen über die Ausdehnung des Mainzer Modells - ich beziehe mich darauf, weil es ja erfolgreich war, wie Sie dargestellt haben - auch die Ergebnisse der Studie eine Rolle gespielt, wonach sich die Verteilung auf die einzelnen Wirtschaftsbereiche auf 0,0 Prozent bis 32,9 Prozent beläuft?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Ich habe Ihnen gesagt, dass wir vor allen Dingen eine Ausweitung in einen verdichteten Arbeitsamtsbezirk mit einer starken Dienstleistungsorientierung ermöglichen wollen, weil gerade eine starke Dienstleistungsorientierung - nach allem, was in verschiedenen Gutachten immer wieder dargestellt wird - ein wichtiger Punkt für die Erweiterung von Beschäftigungsmöglichkeiten ist.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen Brüderle.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist ja in der Tat ein leider nur sehr bescheidener Erfolg, auch wenn die Zahlen im Vergleich zu anderen Ansätzen etwas besser sind. Will die Bundesregierung nicht stattdessen andere Modellversuche auf den Weg bringen, durch die die Grenze, bis zu der eine pauschalierte Besteuerung erfolgt, in der Höhe wesentlich nach oben angepasst wird - 1 200 oder 1 500 DM -, um Bewegung in den Arbeitsmarkt zu bringen? Es ist sehr gut für jeden Einzelnen, der auf dem Arbeitsmarkt unterkommt, aber die Zahlen, die Sie genannt haben, belegen doch, dass das angesichts der Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt wirklich nur ein sehr kleiner Tropfen auf einen heißen Stein ist. Ich glaube, dass man es allein mit der Ausweitung dieses Ansatzes nicht schaffen wird, die arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen zu bewältigen. Sind Sie nicht auch der Meinung, dass man bei der Reform der 630-Mark-Verhältnisse Fehler gemacht hat, dass man nun über seinen eigenen Schatten springen und - das war bislang ein Tabu - anders ansetzen sollte?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Herr Kollege Brüderle, wenn Sie durch die Blume fragen, ob wir eine Änderung der Regelungen zum 630-DM-Gesetz beabsichtigen, dann antworte ich Ihnen, dass wir eine solche Änderung im Moment nicht beabsichtigen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die Frage 41 des Kollegen Dr. Klaus Grehn auf: Wie bewertet die Bundesregierung die vorliegende sehr kritische CAST-Studie zu den Erfolgen des Mainzer Modells und wie sieht die Zwischenbilanz in den brandenburgischen Arbeitsamtsbezirken Eberswalde und Neuruppin aus?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Anders, als die Fragestellung von Herrn Grehn vermuten lässt, bewertet der erste Zwischenbericht zum arbeitsmarktpolitischen Sonderprogramm die Erfolge des Mainzer Modells nicht „sehr kritisch“. Die Autoren kommen vielmehr zu der von mir bereits erwähnten Schlussfolgerung, dass nach einem Jahr Laufzeit die Inanspruchnahme des Sonderprogramms hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Die Bundesregierung teilt im Grundsatz diese Einschätzung. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Bewertung der Fallzahlen auch vom gewählten Maßstab abhängt. Vergleicht man die Fallzahlen mit anderen, derzeit in der Bundesrepublik laufenden Modellversuchen wie etwa dem Einstiegsgeld in Baden-Württemberg, dann stellt man fest, dass sich das Mainzer Modell in RheinlandPfalz durchaus sehen lassen kann. Auch muss bedacht werden, dass innovative Ansätze erst im Bewusstsein der Handelnden in den Unternehmen und in den Verwaltungen verankert werden müssen. Dies braucht Zeit. Als Zwischenbilanz für die beiden brandenburgischen Arbeitsamtsbezirke Eberswalde und Neuruppin lässt sich festhalten, dass das Mainzer Modell in Brandenburg mit bislang 101 Förderfällen schwächer läuft als in Rheinland-Pfalz mit derzeit 553 Förderfällen. Warum dies so ist, kann nicht abschließend beantwortet werden. Tatsache ist, dass in den vier rheinland-pfälzischen Arbeitsamtsbezirken die Arbeitslosenquote im Oktober 2001 zwischen 5,5 Prozent und 6,9 Prozent und damit um ein Vielfaches unter der Arbeitslosenquote in Neuruppin mit 17,4 Prozent und in Eberswalde mit 19,0 Prozent lag. Im Endeffekt ist der Arbeitsmarkt in Rheinland-Pfalz sicherlich aufnahmefähiger als der in Brandenburg. Hier zeigt sich erneut, dass unterschiedliche regionale Rahmenbedingungen einen erheblichen Einfluss auf Inanspruchnahme und Erfolg arbeitsmarktpolitischer Instrumente wie das des Mainzer Modells haben können.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich lasse noch eine Zusatzfrage zu.

Dr. Klaus Grehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003135, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Staatssekretärin, warum haben Sie mit Wirkung vom 1. Mai 2001 die Förderdauer von 18 auf 36 Monate verdoppelt, obwohl die individuelle Förderdauer im Modellversuch laut Zwischenbericht im Durchschnitt nur 13 Monate betragen hat? Erwarten Sie, dass sich dadurch positive Effekte erzielen lassen, vielleicht in Sachsen, wo sich die Zahl der im Rahmen des Mainzer Modells Geförderten - das betrifft den Bereich Chemnitz - um 300 Prozent auf ganze vier erhöht hat?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Die Verbesserung der Konditionen, die Verlängerung der Laufzeit, war das Ergebnis von Beratungen zwischen den Vertretern der Tarifpartner im Bereich der Selbstverwaltung, die darauf hingewiesen haben, dass sich eine Verlängerung der Förderdauer günstig auf die Inanspruchnahme auswirken könnte.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretärin. Die übrigen Fragen werden schriftlich beantwortet. Ich danke insbesondere auch dem Parlamentarischen Staatssekretär Walter Kolbow, der die Stellung gehalten hat, obwohl es aussichtslos zu sein schien, dass noch Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung aufgerufen werden. Wir sind am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 13. Dezember 2001, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.