Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Der Bundesfinanzminister hat hier am Dienstag durch einen Wust von Papier versucht, seine Position
darzustellen. Dem möchte ich natürlich etwas folgen lassen. Ich habe einmal ein Flugblatt der IG Metall mitgebracht, auf dem zu lesen ist, was vor der Bundestagswahl
verkündet wurde. Hier hat es geheißen: „Am Abbau der
Massenarbeitslosigkeit muss sich eine SPD-Regierung
Präsident Wolfgang Thierse
messen lassen.“ Ich zeige dieses Flugblatt vor allem Bundesminister Riester, weil hier unten steht: „Abgemacht.
IG Metall.“ Wer war damals eigentlich Spitzenfunktionär
der IG Metall? Sie haben diesen Vertrag auf der anderen
Seite quer geschrieben.
({0})
Jetzt weisen Sie hier Daten vor, die Sie nach diesen Abmachungen am heutigen Tag niemals vorweisen
dürften.
({1})
Wenn das Ihr Ernst ist, Herr Minister Riester, was damals
gegolten hat und was wohl nicht nur bei schönem Wetter
gelten kann, haben Sie versagt. Ich glaube, Sie haben gedacht, es ist immer schönes Wetter in Deutschland, wenn
Sie regieren. Dem ist dann doch nicht so gewesen. Nach
den Leistungen, die Sie vorzuweisen haben, müssten Sie
eigentlich so klein mit Hut hier herkommen.
({2})
Sie sind gemessen an dem, was versprochen wurde und
was dann gehalten wurde, der schwächste Minister dieser
Regierung. Und das will bei dieser Regierung etwas
heißen, meine Damen und Herren!
({3})
Wir haben schon sehr frühzeitig, als die ganzen Entwicklungen eingetreten sind, beispielsweise Ihren Staatssekretär Andres gefragt, warum es so gekommen ist. Damals hieß es - man höre und staune -, die BSE-Krise sei
schuld an dieser Entwicklung. In der Zwischenzeit ist es
die Weltwirtschaftskrise.
({4})
Richtig hingegen ist: Erstens. Andere Länder haben
weit reichende Reformen im Steuer- und Sozialbereich
durchgeführt und rechtzeitig die Substanz geschaffen, um
in Krisenzeiten reagieren zu können. Bei Ihnen fehlt die
Substanz, die hier für notwendig wäre.
({5})
- Da brauchen Sie hier gar nicht dazwischenzurufen.
({6})
Erst haben Sie, als Sie damals in der Opposition waren,
alles blockiert; hinterher haben Sie nicht gehandelt.
({7})
Das ist die Wahrheit. Das kann man überhaupt nicht in
Abrede stellen.
({8})
Zweitens. Sie haben sich ausschließlich auf eine
Exportkonjunktur zulasten eines schwachen Euro verlassen. Früher, als Waigel noch der Regierung angehörte,
war der Euro stärker. Damals war es auch viel schwieriger als jetzt, den Export zu gestalten. Nun haben Sie Probleme, weil der starke Export nur durch den schwachen
Euro in diesem Maße möglich war. Wenn Sie damit nicht
mehr zurechtkommen, dann haben Sie überhaupt keinen
Spielraum mehr, um etwas zu tun, damit sich die Konjunktur in dieser Phase verbessert. Das ist die zweite
Wahrheit, die heute Morgen gesagt werden muss.
({9})
Hätten Sie die Binnenkonjunktur so entwickelt, wie es in
anderen Ländern Europas geschehen ist, dann hätten Sie
in der jetzigen Phase auch mehr Wachstum und weniger
Probleme mit den Sozialversicherungssystemen.
Drittens. Sie haben sich in Ihrer wertvollen Regierungszeit in Koalitionsstreitigkeiten verzettelt. Darüber
wird zwar nicht gesprochen; aber es ist doch nicht mehr
normal, welche Diskussion die ganze Zeit über geführt
werden und von welchen Abhängigkeiten all Ihre Entscheidungen geprägt sind. Es ist doch nicht mehr normal,
dass man alles Mögliche so ausgeklügelt zusammenbinden muss, dass man grundsätzlich nur bei Kompromissen
landet, die nichts anderes als Kosmetik sind. Diese Situation ist unbefriedigend, wenn man sich gleichzeitig vor
Augen hält, dass es notwendig gewesen wäre, in dieser
Zeit große Reformen zu beginnen, zum Beispiel die zentrale Reform auf dem Arbeitsmarkt durchzuführen. Das
ist nicht gemacht worden.
({10})
Viertens. Sie hatten eine Chance, die Sie nicht genutzt
haben. Sie heißt Bündnis für Arbeit. Sie haben es zu einer Schaunummer verkommen lassen. Es gab nur große
Ankündigungen. Aber was ist bis zum heutigen Tag herausgekommen?
({11})
Ich sage Ihnen ganz klar: Die entscheidende Schwäche
Ihres Bundeskanzlers besteht darin, dass er eigentlich gar
nicht bündnisfähig ist. Er macht einmal etwas mit der
Großindustrie und dann wieder etwas mit den Gewerkschaften. Er führt diese Initiativen aber nicht zusammen,
wie es einem Bündnis entspräche. Sie haben die Chance
eines Bündnisses schlichtweg versäumt und das Ziel verfehlt. Das ist sehr schade für Deutschland,
({12})
weil es dadurch in Zukunft schwer sein wird, neue Bündnisse dieser Art zu schließen, die dann tatsächlich wirksam werden.
In Deutschland haben sich in den letzten drei Jahren
ganz seltsame Verhältnisse entwickelt.
({13})
Wir sind zum einen das einzige Land der Welt, in dem an
der Tankstelle über die Rentenkasse entschieden wird. Es
muss doch jedem Rentner ins Gesicht schlagen,
({14})
wenn eine ausreichende finanzielle Ausstattung der Rentenkassen davon abhängig ist, wie viel getankt wird.
({15})
- So, wie Sie schreien, ist Ihre Politik: unkultiviert und
konzeptionslos.
({16})
Wir sind zum anderen das einzige Land in der Welt, in
dem bei 4 Millionen Arbeitslosen die Greencard für Pflegeberufe eingeführt werden muss. Bei 4 Millionen Arbeitslosen braucht man die Greencard für Hilfskräfte, für
Dienstleistungskräfte. Herr Minister, das müsste Ihnen
doch zu denken geben. Sie aber haben kein Konzept, um
diese freien Stellen im Land zu besetzen, sondern stellen
nur noch Überlegungen in der Richtung an, dass Sie diese
Löcher auf dem Arbeitsmarkt stopfen wollen, indem Sie
Leute von außerhalb hereinholen. Das ist doch keine Politik zugunsten der Beitragszahler, die darauf warten, dass
sie weniger Beiträge zahlen müssen, keine Politik zugunsten der Arbeitslosen, die hoffen, dass sie wieder Arbeit bekommen. Bemühungen in dieser Hinsicht wären notwendig, nicht aber eine derartige Greencard.
Ich muss einen weiteren Punkt anmerken, der mir in
den Debatten der letzten Tage zu kurz gekommen ist. Es
hieß einmal: Bei uns wird die Entwicklung in Ostdeutschland zur Chefsache erklärt. Aber was stellen wir
fest? Der Chef hat hier nahezu überhaupt nicht Stellung
genommen. Heute darf der Herr Schwanitz einmal in der
zweiten Reihe sitzen und er ist auch tatsächlich da; sonst
spürt man ja gar nichts von ihm. Ich möchte Ihnen den
Herrn einmal vorstellen: Er ist seit drei Jahren Staatsminister.
({17})
Auch die ostdeutschen Kollegen fragen noch nach dem
Namen dieses Ministers. Niemand kennt ihn. Keine Wirkung geht von ihm aus. Er bringt es nicht einmal fertig,
seinen Kanzler an die Stellen in Ostdeutschland zu führen,
an denen es wirklich brennt.
({18})
Der Kanzler kommt nur dorthin, wo Sonnenschein
herrscht, und das auch nur zwei- bis dreimal im Jahr.
Herr Minister Riester, Sie und Herr Schröder haben
Ostdeutschland vernachlässigt. Das kann man nicht länger akzeptieren. Wir brauchen in diesem Bereich ganz
neue Maßnahmen.
({19})
Wir brauchen völlig neue Arbeitsmarktbrücken zwischen
den neuen und den alten Bundesländern. Wir brauchen
eine Vernetzung derArbeitsmarktpolitik und nicht eine
Einbahnstraße. Wir brauchen eine Brücke und Sie organisieren die Einbahnstraße der Abwanderung von Menschen aus Ostdeutschland in die westlichen Bundesländer.
({20})
Das darf so nicht weitergehen. Schon allein das wäre ein
Grund dafür, dass diese Regierung abgelöst werden muss.
({21})
Sie machen zusammen mit Herrn Eichel eine Politik
nach dem Motto: Wir sparen, koste es, was es wolle. Wir
sparen durch Schönfärbung des Bundeshaushalts. - Deswegen hätte ich auch überhaupt keine Sorge, Herr Riester,
dass Sie nach dem Verlust des Ministeramts wieder einen
Job bekommen. Ich bin sicher, Sie kämen als Assistent eines Beraters für Schönfärberei locker auf dem Arbeitsmarkt unter; denn das tun Sie auch in diesem Haushalt.
Sie gehen her und verlagern Aufgaben, die im Haushalt
enthalten waren, in die Bundesanstalt für Arbeit. Täten Sie
das nicht, hätten Sie mehr Spielraum, um in Deutschland
etwas ganz Wichtiges zu erreichen,
({22})
nämlich eine Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, was dringend notwendig wäre.
({23})
Ich fordere nicht Ihren Rücktritt, Herr Riester - ich bin
Haushälter; ich weiß, dass wir dann nach der Nr. 8 auch
noch die Nr. 9 finanzieren müssten -, aber eines muss Ihnen gesagt werden: Wer den Leuten so viel verspricht und
dann so wackelige Gesetze zur Rentenversicherung
macht, der sollte nicht hergehen und einen Katalog von
Ausreden vortragen, sondern der sollte sich erst einmal zu
seinen Fehlern und den Ursachen bekennen.
({24})
Darauf müssen wir bestehen. Wir haben jetzt zwei Tage
lang Ausreden gehört. Wir wollen endlich einmal Konzeptionen hören.
({25})
Die Sozialabgabenquote muss unbedingt auf 40 Prozent gesenkt werden.
({26})
Bei der Rentenversicherung - das wissen wir in der Zwischenzeit - schaffen Sie das auf keinen Fall, bei der Krankenversicherung schon gar nicht und bei der Pflegeversicherung geht es auch nicht. Es muss bei der
Arbeitslosenversicherung gelingen, die Beiträge zu senken, damit wir das Ziel einer Absenkung der Sozialabgabenquote in Deutschland erreichen. Das ist das Ziel, das
wir als CDU/CSU erreichen wollen.
Wie ich schon gesagt habe, betreiben Sie eine Politik
nach dem Motto: Wir sparen, koste es, was es wolle. - In
diesem Haushalt - hier ein Wort als Haushälter - haben Sie
draufpacken und draufpacken müssen. Sie haben die Zahlen geschönt. Die Zahlen, die Ihren Berechnungen jetzt
zugrunde liegen, sind immer noch nicht die Zahlen, die
den Realitäten entsprechen. Das heißt, dass der Sozialhaushalt natürlich die größten Unsicherheiten beinhaltet.
Herr Eichel kann noch so schöne Erklärungen abgeben:
Am Ende des Jahres wird es nicht so gut aussehen. Sie
werden die wesentliche Ursache dafür geschaffen haben.
Sie haben bei der Arbeitslosenhilfe schon im letzten
Jahr falsch gelegen. Sie haben bei den Zuschüssen für
die Bundesanstalt für Arbeit draufsatteln müssen. Sie
werden noch erheblich mehr draufsatteln müssen. Sie gehen einfach nicht her und machen das, was notwendig ist.
Die entscheidenden Reformen auf dem Arbeitsmarkt
fürchten Sie wie der Teufel das Weihwasser. Aus diesem
Grund wird es mit dieser Regierung keine Verbesserung
geben. Die neuesten Prognosen besagen, dass Sie bei der
Arbeitslosenzahl frühestens im Jahr 2005 dort ankommen
werden, wo Sie im Jahr 2002 ankommen wollten. So
lange kann Deutschland nicht warten!
({27})
Ich erteile Kollegin
Konstanze Wegner, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Der Kollege Fuchtel hat für
seine Verhältnisse heute eine außerordentlich maßvolle
Rede gehalten.
({0})
Ich habe genau zugehört. Was hat er eigentlich gesagt?
({1})
Ich frage mich, lieber Kollege Fuchtel, ob Sie sich nicht
lieber statt dem Parlamentarismus Ihrem eigentlichen
Hobby, der Kamelzucht, widmen sollten.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Haushalt des
Jahres 2002 des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung enthält aus der Sicht der Haushalts- und
Sozialpolitiker durchaus Erfreuliches, aber auch Problematisches - das geben wir durchaus zu -, wenngleich keineswegs so viel Problematisches, wie man aufgrund der
Schwarzmalerei, die von der rechten Seite des Hauses betrieben wird, glauben könnte.
In der Tat musste der zunächst mit Null angesetzte Zuschuss für die Bundesanstalt für Arbeit dann doch mit
2 Milliarden Euro festgesetzt werden. Ebenso musste der
Ansatz für die Arbeitslosenhilfe um 1,3 Milliarden Euro
aufgestockt werden. Ursache ist die ungünstige Entwicklung am Arbeitsmarkt, die für 2002 rund 400 000 Arbeitslose mehr bringen wird, als bei der Aufstellung des
Haushalts erwartet wurde.
({3})
Zu den erfreulichen Veränderungen gegenüber dem
Entwurf gehört die Aufstockung der Mittel für Sprachkurse um 10 Millionen Euro. Diese 10 Millionen sind
dazu gedacht, die bisherige Teilnehmerzahl an den
Sprachkursen trotz gestiegener Honorarkosten zu stabilisieren. Außerdem sollen Modellprojekte in diesem Bereich finanziert werden.
({4})
Sprache ist der Schlüssel zur Integration. Insofern sind
diese 10 Millionen Euro, die auch auf Wunsch unserer Sozialpolitiker in den Plan hineingekommen sind, sicher gut
angelegtes Geld.
({5})
Auch die Mittel für den Behindertenbeauftragten
wurden aufgestockt. Er erhält fünf Personalstellen zusätzlich, um seine sehr engagierte und erfolgreiche Arbeit
fortsetzen zu können.
Nun einige Bemerkungen zur Lage am Arbeitsmarkt:
Wer die Bundesregierung so lautstark kritisiert, wie Sie
das hier tun, sollte sich doch daran erinnern, welche Situation am Arbeitsmarkt die Regierung Kohl nach ihrer
16-jährigen segensreichen Tätigkeit hinterlassen hat.
({6})
Im Januar 1998 hatten wir 4,8 Millionen Arbeitslose. Das
war die Erbschaft, die Sie uns hinterlassen haben.
({7})
Mit Beginn der rot-grünen Regierung ist die Arbeitslosigkeit dann 39 Monate lang kontinuierlich zurückgegangen.
Das hat es unter Ihrer Regierung überhaupt nicht gegeben.
({8})
Leider steigt die Arbeitslosigkeit seit Mitte des Jahres
2001 wieder an. Die Hauptursache dafür ist nach übereinstimmender Meinung des Präsidenten der Bundesanstalt
für Arbeit, Jagoda, und des Sachverständigenrats die seit
dem Sommer 2001 zurückgehende Konjunktur, die ihrerseits wieder sehr stark von der negativen wirtschaftlichen Entwicklung in den USA abhängig ist. Zusätzliche
Belastungen entstanden durch die Ölkrise und die BSEKrise.
Meine Damen und Herren, eine Regierung kann jeweils nur Rahmenbedingungen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit schaffen. Die Hauptverantwortung für den
Erhalt der bestehenden Arbeitsplätze und für die Schaffung neuer Arbeitsplätze liegt bei der Wirtschaft und bei
den Tarifparteien.
({9})
Das muss man sich immer wieder vor Augen führen.
Die Regierung Schröder hat in der Tat viele Rahmenbedingungen geschaffen, die zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit notwendig sind. Ich will Ihnen einiges in Erinnerung rufen, auch wenn Sie so etwas nicht gerne hören.
Erstens. Sie hat das Bündnis für Arbeit ins Leben gerufen, das vielleicht nicht alles erreicht hat, was man
zunächst erhofft hatte.
({10})
- Doch eine ganze Menge, Frau Kollegin Schwaetzer. Ich
erinnere an die Schlechtwettergeldregelung, an die Vereinbarung im Bereich Aus- und Weiterbildung
({11})
und an die niedrigen und maßvollen Tarifabschlüsse der
letzten Jahre, die Sie doch immer wieder fordern. Daran
war das Bündnis für Arbeit ganz entscheidend beteiligt.
({12})
Zweitens. Die Regierung hat die aktive Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau verstetigt. Im dritten Jahr der
Regierungszeit dieser Bundesregierung stehen der Bundesanstalt für Arbeit etwa 44 Milliarden DM zur Verfügung. Wir haben mit dem Gießkannenprinzip und dem
Stop-and-go-Prinzip der Regierung Kohl endlich Schluss
gemacht, die nach Wahlkampfgesichtspunkten angewendet wurden.
({13})
Natürlich ist nicht jede ABM, die in diesem Lande
durchgeführt wird, sinnvoll. Wer will das bestreiten? Aber
wer hier sagt, Strukturmaßnahmen und ABM seien überflüssig oder zu teuer und man könne sie einfach einstellen, der muss auch sagen, welche Alternative er vor allem
für den Osten Deutschlands vorschlägt. Dort ist die Alternative die reine Arbeitslosigkeit. Das kann eigentlich niemand, der seine fünf Sinne zusammen hat, wollen.
({14})
Drittens. Die Regierung Schröder hat Modellversuche
zur Beschäftigung von gering Qualifizierten und zur besseren Zusammenarbeit der Arbeits- und Sozialämter auf
den Weg gebracht.
({15})
Diese Modellversuche
({16})
zu verschiedenen Formen des Kombilohns finden bislang leider keine besonders große Akzeptanz. Sie sollen
aber fortgesetzt und ausgeweitet werden,
({17})
weil ein abschließendes Urteil über ihre Wirkung in so
kurzer Zeit nicht möglich ist. Dafür stehen bis 2005 immerhin rund 394 Millionen Euro aus Bundesmitteln und
Mitteln des Europäischen Sozialfonds zur Verfügung.
Viertens. Die Regierung setzt auch in diesem Jahr ihr
erfolgreiches Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit fort.
({18})
Dieses Programm hat in der Zeit von 1999 bis Mitte 2001
über 330 000 jungen Leuten zu einer Lehrstelle verholfen
und ihnen damit eine Lebensperspektive eröffnet.
({19})
Das machen Sie uns erst einmal nach!
Fünftens. Die Regierung hat schließlich gerade das
Job-Aqtiv-Gesetz verabschiedet, mit dem unter anderem
Arbeitsvermittlung und Beratung intensiviert und der
Langzeitarbeitslosigkeit vorgebeugt werden sollen.
Sechstens. Nicht zuletzt hat die Regierung mit ihrer
Unternehmen- und Einkommensteuerreform die Voraussetzung für vermehrte Investitionen und eine bessere
Binnenkonjunktur geschaffen. Man hat allerdings häufig
den Eindruck, dass die Großunternehmen zwar die Vorteile der Steuerreform gerne entgegengenommen haben,
dabei aber weiterhin kontinuierlich Personal abbauen.
Wenn parallel zu dieser Entwicklung die Bezüge der Spitzenmanager deutlich aufgestockt werden, dann schafft
das Verbitterung bei den Arbeitslosen und bei denen, die
noch Arbeit haben. So wird die Basis für moderate Tarifabschlüsse, die viele doch fordern, ruiniert.
({20})
Natürlich - wer würde das bestreiten? - besteht neben
den bisher ergriffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit weiterer Handlungsbedarf. Vorbild kann
in diesem Punkt nach unserer Meinung nicht die USA mit
ihrer Maxime „Streichen wir doch recht viele Leistungen,
dann macht jeder alles“ sein. Wir könnten weit mehr lernen von den Niederlanden und unseren skandinavischen
Nachbarn, die ein Sozial- und Kulturverständnis haben,
das dem unseren wesentlich näher steht.
({21})
In den Niederlanden wird zum Beispiel die private
Arbeitsvermittlung durchaus positiv gesehen. Die private Arbeitsvermittlung - wir konnten uns auf einer Reise
davon überzeugen - arbeitet unbürokratisch und passgenau mit der staatlichen Arbeitsvermittlung zusammen.
({22})
Die Gewerkschaften haben dort etwas erreicht, was bei
uns in dieser Weise noch nicht erreicht wurde: Diejenigen,
die in einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt sind, haben eine
ähnliche soziale Absicherung, wie diejenigen, die in einem normalen Betrieb arbeiten.
({23})
- Nein, das wollen wir nicht. Wir sind für die Idee durchaus offen, den Umfang von Zeitarbeit in vernünftigem
Maße auszudehnen.
({24})
Eine der Hauptursachen für die Stagnation am Arbeitsmarkt - da stimme ich mit dem Kollegen Fuchtel überein ist die Schwarzarbeit. Sie ist für die beteiligten Arbeitnehmer und Arbeitgeber einfach weitaus günstiger als alle
Kombimodelle. Nach Schätzungen arbeiten etwa 5 Millionen Menschen in unserem Land als so genannte Vollschwarzarbeiter und dem Fiskus gehen nach Schätzungen
etwa 300 Milliarden Euro pro Jahr an Steuereinnahmen
verloren.
({25})
Deshalb ist es außerordentlich zu begrüßen, wenn die Regierung jetzt eine entsprechende Initiative ergreift, die
sich vor allem auf den Bereich der Bauwirtschaft erstreckt.
({26})
Was könnte man noch tun, meine Damen und Herren?
Jährlich fallen bei uns 1,8 Milliarden Überstunden an,
von denen ganz gewiss zumindest ein Teil in reguläre Beschäftigung umgewandelt werden könnte.
({27})
3,8 Millionen Arbeitslose und 1,8 Milliarden Überstunden - das passt in der Tat nicht zusammen.
({28})
Was könnte man weiter tun? Das System der Lohnersatzleistungen bei uns ist kompliziert und bürokratisch.
({29})
Wir haben Arbeitslosengeld, wir haben Arbeitslosenhilfe,
wir haben ergänzende Sozialhilfe und wir haben Sozialhilfe.
({30})
- Ganz recht, Herr Niebel.
({31})
Vielfach beraten hier unterschiedliche Institutionen aneinander vorbei den gleichen Personenkreis. Wir werden
nach Möglichkeiten der Vereinfachung suchen.
({32})
- Wir werden das tun. - Allerdings muss man dann dabei
darauf achten, dass auf gar keinen Fall die Kosten der
Langzeitarbeitslosigkeit einseitig den Kommunen aufgedrückt werden.
({33})
Meine Damen und Herren, der Sozialhaushalt des Jahres 2002 enthält durchaus auch Risiken. Niemand vermag
heute zu sagen, ob der jetzt vorgesehene Zuschuss an die
Bundesanstalt für Arbeit und für die Arbeitslosenhilfe
Ende 2002 wirklich ausreichen wird.
({34})
Die Zahlungen des Bundes an die Rentenversicherung
steigen weiter an, auch in der mittelfristigen Finanzplanung. Schon jetzt beträgt der aus dem Bundeshaushalt
finanzierte Teil der Renten über 35 Prozent. Hier liegt in
der Tat - da stimme ich mit dem Kollegen Metzger überein, der ebenfalls darauf hingewiesen hat - ein trotz der
Rentenreform ungelöstes Strukturproblem, das wir nicht
aus den Augen verlieren dürfen.
({35})
Mit einem Volumen von nunmehr rund 92 Milliarden
Euro ist der Sozialhaushalt nach wie vor der bei weitem
größte Einzelhaushalt und umfasst mehr als ein Drittel des
Gesamtetats. Er beschreibt mit aller Deutlichkeit die Probleme, die wir im Bereich der Arbeitslosigkeit und der
Renten haben. Er ist zugleich aber auch ein Dokument der
sozialen Verantwortung dieser Regierung.
({36})
Das können Sie nicht bestreiten: Die SPD wird nun einmal in der Bevölkerung als die Partei mit der größten sozialen Kompetenz betrachtet.
({37})
Das ist gut so. Dass das auch so bleibt, wünsche ich mir
anlässlich meiner letzten Rede zum Sozialhaushalt.
Vielen Dank.
({38})
Ich erteile das Wort
Kollegin Irmgard Schwaetzer, FDP-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn die Mitglieder der Regierungskoalition heute Morgen Zeitung
gelesen haben, dann konnten sie mit den Schlagzeilen so
mancher Zeitungen nicht zufrieden sein.
({0})
Besonders drastisch und deutlich hat „Die Woche“ ihren
Leitartikel überschrieben, nämlich mit „Die Job-Katastrophe“. Die prognostizierte Arbeitslosenzahl zu
Beginn des nächsten Jahres beläuft sich auf 4,2 Millionen
Menschen, die dann nach Arbeit suchen. Die Antwort,
Frau Wegner, die dieser Bundeshaushalt, den Sie gerade
begründet haben, darauf gibt, ist wirklich nicht mehr als
ein Armutszeugnis. Es ist keine Schwarzmalerei der
Oppositionsfraktionen, wenn wir hier mehr Aktivitäten
anmahnen; denn bei der gerade von Ihnen vorgeführten
Analyse handelt es sich um eine dramatische Fehleinschätzung der Auswirkungen Ihrer eigenen Politik.
({1})
Die Begründungen, die Sie dafür liefern, sind genauso
unzureichend. Da war zum einen der Hinweis auf die Vergangenheit; das klingt so, als wären Sie nur Testamentsvollstrecker. Das offenbart aber die gesamte Fantasielosigkeit Ihrer Politik; das ist wohl wahr.
({2})
Da ist zum anderen der immer wiederkehrende Hinweis auf die Weltwirtschaft, als wären wir nicht auch ein
aktiver Teil dieser Weltwirtschaft und könnten sie mit beeinflussen, als bestünde nicht die Notwendigkeit und als
hätten wir nicht auch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, national etwas zu tun.
({3})
Meine Damen und Herren, diese Argumentation, die
Herr Riester sicherlich gleich wieder anbringen wird und
die gestern der Bundeskanzler angebracht hat, ist nicht
nur hilflos, sondern für die Betroffenen auch katastrophal.
Die Betroffenen erwarten keine Hinweise auf die angeblich nicht zu beeinflussende Weltwirtschaft, sondern erwarten, dass die Regierung handelt. Das tun Sie nicht und
das ist eine sträfliche Vernachlässigung Ihrer Aufgaben.
({4})
Obwohl der Bundeskanzler und der eine oder andere in
der SPD-Fraktion vielleicht ahnt, was denn jetzt zu tun
wäre, haben Sie nicht den Mut, das Richtige zu tun.
({5})
Die auch vom Sachverständigenrat angemahnte Flexibilisierung des Arbeitsmarktes lässt sich mit konkreten
Maßnahmen belegen und die FDP hat sie in ihren Anträgen auch vorgeschlagen. Es geht nicht, wie der Bundeskanzler gestern fälschlich behauptet hat, um die Abschaffung des Kündigungsschutzes, sondern um eine
Lockerung für Kleinbetriebe, damit die mehr Menschen
einstellen können und damit weniger Überstunden gemacht werden.
({6})
Es geht nicht um die Abschaffung des Betriebsverfassungsgesetzes, sondern um mehr Mitarbeiter- und weniger gewerkschaftliche Mitbestimmung.
({7})
Es geht in drei Punkten allerdings auch um die Abschaffung von Gesetzen, die Sie eingeführt haben, und
zwar um die Abschaffung des Rechtsanspruchs auf Teilzeitarbeit, weil er die Einstellungschancen von Frauen
mindert,
({8})
um die Abschaffung der Regelung bezüglich der 630Mark-Jobs sowie um die Abschaffung der Behinderung
der Selbstständigkeit in Ihrem Gesetz gegen die Scheinselbstständigkeit.
({9})
Das alles sind Flops, die negative Auswirkungen auf dem
Arbeitsmarkt haben.
Der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und
Sozialordnung steigt 2002 um 5 Prozent. Das heißt, statt
Strukturreformen in den Sozialversicherungssystemen
durchzuführen, wie Sie sie angekündigt haben und wie sie
auch notwendig gewesen wären - auch dazu hat die FDPFraktion konkrete Anträge eingebracht -, flüchten Sie
sich in die Ausweitung der Steuerfinanzierung der Sozialpolitik. Das, meine Damen und Herren, ist genau der
falsche Weg.
({10})
Die sozialpolitischen Maßnahmen machen jetzt
36 Prozent des gesamten Haushalts aus. Das ist keine
soziale Großtat, sondern eine Verletzung des Generationenvertrags. Sie verfrühstücken den finanziellen Spielraum der nächsten Generation, meine Damen und Herren.
({11})
Auch in einem anderen Punkt sind Sie mit Ihren
Ankündigungen zu vollmundig gewesen und haben anschließend nicht den Mut gehabt, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Sie haben angekündigt, die gesamte
Beitragsbelastung in der Sozialversicherung auf unter
40 Prozent zu senken. Am Ende dieses Jahres gibt es eine
Gesamt-Beitragsbelastung von mehr als 41 Prozent, ohne
dass dabei die anstehenden massiven Erhöhungen der
Krankenversicherungsbeiträge und die unausweichliche
Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge im nächsten
Jahr berücksichtigt sind. Das, meine Damen und Herren,
ist das Versagen der Sozialpolitik von Herrn Riester auf
der gesamten Linie.
({12})
- Es geht doch nicht um die Vergangenheit. Die Arbeitslosen interessiert nicht die Vergangenheit, sondern sie interessiert das, was Sie machen, und das ist zu wenig.
Frau Wegner hat noch einmal gesagt, Sie wollten die
Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammenlegen.
Das hat Herr Riester vor drei Jahren in seiner Regierungserklärung angekündigt. Nichts ist passiert. Jetzt
wollen Sie irgendwelche Modellversuche machen. Wozu
denn? Die Regelungen liegen längst auf dem Tisch; Sie
müssen nur unserem Antrag zustimmen.
({13})
Sie haben mit dem Job-Aqtiv-Gesetz neue anspruchsbegründende Maßnahmen eingeführt. Das heißt, Sie haben noch einmal eine zusätzliche Belastung entweder der
Beitragszahler oder der Steuerzahler vorgenommen, und
zwar ebenfalls mit wenig absehbarem Erfolg.
Nehmen Sie nur einmal Ihr JUMP-Programm, das
heute sicherlich von vielen Rednern wieder hoch gelobt
werden wird. Für fast 2 Milliarden DM sind in diesem
Programm 1 000 junge Leute in den ersten Arbeitsmarkt
vermittelt worden. Das, meine Damen und Herren, kann
man wirklich nicht als eine Erfolgsstory bezeichnen.
({14})
- Wenn Sie sagen, das stimme nicht, dann sage ich Ihnen,
dass dies die Zahlen des Arbeitsministeriums sind, die Sie
nur nachlesen müssten.
({15})
Die Bundesregierung wollte den Zuschuss an die
Bundesanstalt für Arbeit in 2002 eigentlich streichen.
Stattdessen sind sowohl für dieses wie auch für das
nächste Jahr deutlich höhere Bundeszuschüsse zu erwarten: für 2001 statt 1,2 Milliarden DM voraussichtlich
3,6 Milliarden DM und für 2002 rund 4 Milliarden DM.
Diese Zahlen gelten aber nur dann, wenn sich Ihre im
Durchschnitt des Jahres berechnete Arbeitslosenzahl von
3,95 Millionen halten lässt. Es gibt inzwischen aber ernst
zu nehmende Prognosen, die aussagen, dass wir im nächsten Jahr eine durchschnittliche Arbeitslosigkeit von über
4 Millionen Menschen erreichen werden. Dann wird der
Zuschuss noch einmal höher sein müssen. Deswegen wiederhole ich: Statt Strukturreformen durchzuführen, flüchten Sie sich in die Steuerfinanzierung. Das ist die falsche
Politik.
({16})
Sie sollten stattdessen alle Leistungen, die jetzt aus
Beitragsmitteln finanziert werden und die eigentlich nicht
in die Arbeitslosenversicherung gehören, wie zum Beispiel die aktive Arbeitsmarktpolitik oder die Strukturanpassungsmaßnahmen, auf ihre Effizienz prüfen und in den
Bundeshaushalt übernehmen. Dann würden Sie schnell
feststellen, dass Sie hier deutlich Mittel einsparen können,
und zwar sowohl auf der Seite der Steuer- wie auf der
Seite der Beitragsmittel.
Wir haben einen Antrag eingebracht, um die versicherungsfremden Leistungen präzise dem Bundeshaushalt
zuzuordnen. Dadurch könnten wir den Beitragssatz in
der Arbeitslosenversicherung zum 1. Januar 2002 von
6,5 Prozent auf 5,5 Prozent senken. Ich bitte Sie: Stimmen
Sie dieser auch ordnungspolitisch richtigen Weichenstellung zu. Damit tun Sie wirklich etwas für die Arbeitslosen. Damit können erstens zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Arbeitnehmer haben dann zweitens
mehr Geld in der Tasche; das wird die Konjunktur natürlich positiv beeinflussen.
({17})
Insgesamt würden den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern dadurch 13 Milliarden DM mehr zur Verfügung stehen. Das ist wahrlich der richtige Weg.
Der Zuschuss zur Rentenversicherung steigt im Jahr
2002 von 135 Milliarden DM auf 141 Milliarden DM.
Noch einmal wollen Sie, statt Strukturreformen anzugehen, die unselige Ökosteuer erhöhen und dieses Geld in
die Rentenversicherung einschleusen. Damit haben Sie
bei der Rentenversicherung in zwei Jahren einen Anstieg
der Steuerfinanzierung um 11 Prozent bewirkt. Trotzdem
gelingt es Ihnen nicht, das einzuhalten, was Sie angekündigt haben, nämlich eine Absenkung des
Rentenversicherungsbeitrages von 19,1 Prozent auf
19,0 Prozent.
Im Gegenteil: Sie müssen zusätzlich Tricks anwenden.
({18})
- Zu diesen Tricks komme ich sofort. - Eine gesetzliche
Absenkung der Schwankungsreserve ist zunächst zwar
kein Trick, aber der falsche Weg. Alle Sachverständigen
haben Ihnen in der Anhörung gesagt, dass eine kurzfristige Unterschreitung der derzeitigen gesetzlich vorgesehenen Rücklage von einer Monatsausgabe zwar zu akzeptieren ist - das hat die alte Bundesregierung ja auch
getan -, dass aber eine dauerhafte Absenkung - diese bewirken Sie mit einem Gesetz, das die Schwankungsreserve dauerhaft auf 80 Prozent festschreibt - der falsche
Weg ist, weil Sie gegen Ende des Jahres immer an der
Zahlungsunfähigkeit der Rentenversicherung entlangschrammen.
({19})
Wenn Sie sich dann auf die Bundesgarantie, die wir
eingeführt haben, berufen, dann bedeutet das nichts anderes als Trickserei, die Sie offensichtlich auch für das
nächste Jahr vorgesehen haben. Ihre noch immer zu
optimistischen Annahmen für den Haushalt, den wir
jetzt verabschieden, werden nämlich dazu führen - das sagen Ihnen alle Sachverständigen -, dass Sie vor dem
22. September nächsten Jahres, also dem Wahltag, den
Rentenversicherungsbeitrag eigentlich um mindestens
0,1 Prozent erhöhen müssten. Das scheuen Sie wie der
Teufel das Weihwasser. Deshalb werden Sie lieber den gesamten Bundeszuschuss vor den Wahltag vorziehen, um
nach dem Wahltag richtig zuzuschlagen.
({20})
Das nenne ich Täuschung und Trickserei. Das ist der Offenbarungseid in der Sozialpolitik dieses Arbeitsministers.
({21})
Der jetzige Haushalt bestätigt wieder einmal die Fixierung von Rot-Grün auf die Einnahmenseite der Sozialversicherungssysteme. In allen Sozialversicherungssystemen gibt es aber auch eine Ausgabenseite. Angesichts
der Tatsache, dass sich die demographischen Strukturen in unserer Gesellschaft ändern, ist es sträflich nachlässig, Strukturreformen in den Sozialversicherungssystemen nicht wirklich anzupacken.
({22})
Sie haben drei Jahre verstreichen lassen. Der Bundeskanzler und der Bundesarbeitsminister haben große
Ankündigungen gemacht, zum Beispiel in der Regierungserklärung nach der Wahl 1998. Die Gewerkschaften
und die gewerkschaftsorientierte SPD-Fraktion haben ihnen aber alles zusammengestrichen. Deswegen gibt es
nichts anderes als Beitragssatzerhöhungen.
({23})
Sie brauchen gar nicht weit in die Vergangenheit zu
schauen. Sie wollten zwar nicht alles anders, aber vieles
besser machen. Sie erhöhen die Beiträge insgesamt auf
ein in dieser Höhe noch nie gekanntes Beitragssatzniveau
bis zum Ende dieser Legislaturperiode,
({24})
weil Sie nicht den Mut gehabt haben, das, was Sie
zunächst als richtig erkannt haben, auch tatsächlich
durchzuführen.
Ihre Politik, Herr Riester, ist auf der ganzen Linie gescheitert. Gut gemeint, schlecht gemacht! Arbeitslose und
Steuerzahler müssen die bittere Zeche zahlen. Wir wollen
und wir werden dies - leider erst in der nächsten Legislaturperiode - ändern.
({25})
Auch darum wird im nächsten Wahljahr gerungen
werden.
Danke schön.
({26})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen.
Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Herr Kollege Fuchtel, Sie haben danach
gefragt, ob wir das eingelöst haben, was wir vor der Wahl
versprochen hatten. Dazu sage ich Ihnen Folgendes: Wir
haben vor der Wahl versprochen, dass wir den gigantischen Reformstau, den Sie uns hinterlassen haben, auflösen werden, und wir haben in den letzten drei Jahren mit
Riesenschritten damit begonnen. Man kann diese letzten
drei Jahre als Jahre der Reformen in den zentralen wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Bereichen
bezeichnen.
({0})
Die Rentenreform - das wurde vorhin schon angesprochen - war nicht nur eine überfällige Reform,
({1})
sondern auch eine Reform, bei der wir als Koalition den
Mut aufgebracht haben, gemeinsam einen Systemwechsel in die deutsche Sozialpolitik einzuführen. Dieser Systemwechsel musste der Tatsache Rechnung tragen, dass
wir in dieser Republik demographische Probleme haben
und dass wir von Ihnen eine Rentenkasse übernommen
haben, bei der für die Zukunft nicht vorgesorgt wurde. Im
Gegenteil: Sie war zulasten der Zukunft ausgelegt. Das ist
der erste Punkt.
({2})
Wir haben in den letzten drei Jahren allein im Bereich
Arbeit und Soziales mehrere große Reformprojekte angepackt: Die Rentenreform - ich erwähnte sie bereits - haben wir im ersten Jahr durchgeführt. Daran schloss die
Reform des Betriebsverfassungsgesetzes an und nun folgt
mit dem Job-Aqtiv-Gesetz - das wollen Sie immer noch
ignorieren; Herr Fuchtel, ich bin wirklich enttäuscht - die
Reform der Arbeitsmarktpolitik.
({3})
- Frau Schwaetzer ruft dazwischen, das bisschen sei doch
keine Reform.
({4})
Frau Schwaetzer, ich erinnere mich an die Diskussion der
letzten Wochen.
({5})
Tatsache ist, dass Ihre Partei Politiker aus unseren Reihen,
die wesentlich für die Reformen verantwortlich waren
- ich nenne beispielsweise die Rentenreform und die
Steuerreform -, abwerben wollte. So schlecht kann unsere
Politik also nicht gewesen sein.
({6})
Ich habe noch nie gehört, dass irgendjemand einen Finanz-, Haushalts- oder Sozialpolitiker der FDP geschenkt
haben möchte.
({7})
Der Grund liegt doch auf der Hand: Sie von der FDP
haben 29 Jahre lang Ihre Gesellenstücke geliefert. Was ist
aber gerade in der Arbeits-, Sozial- und Finanzpolitik daDr. Irmgard Schwaetzer
bei herausgekommen? Es gab eine Steigerung der Sozialversicherungsbeiträge um 13 Prozent und Steuererhöhungen. Sie haben sich in diesen Jahren als Partei der Steigerung der Sozialbeiträge und der Steuererhöhungen
qualifiziert. Trotzdem behaupten Sie, wir würden bei der
Rentenreform und bei anderen Reformen auf Kosten der
Zukunft handeln. Sie haben uns einen gigantischen
Schuldenberg in Höhe von 1,5 Billionen DM - ich weiß
gar nicht, wie viele Nullen die Zahl 1,5 Billionen hat hinterlassen.
({8})
Sie haben auf Kosten der zukünftigen Generationen gelebt. Das ist die Wahrheit.
({9})
Wir haben auf dieser Basis eine Politik der Konsolidierung und der Nachhaltigkeit eingeleitet, und zwar mit
einem sozialen Gesicht. Diese Politik beinhaltet unter anderem die Senkung der Steuersätze, die permanente Erhöhung des Kindergeldes und die Erhöhung des steuerfreien
Existenzminimums, sodass Familien mit zwei Kindern
und einem durchschnittlichen Verdienst im nächsten Jahr
3 000 DM mehr in der Tasche haben. Wir haben auf dieser Basis der Schulden eine Sozialreform eingeleitet, die
gerade den Beziehern von kleinen Einkommen mehr Geld
in die Kasse bringt.
({10})
Herr Fuchtel, Sie haben doch von höchster Stelle, nämlich vom Bundesverfassungsgericht, bescheinigt bekommen, dass Ihre Politik familienfeindlich war. Sie haben
bescheinigt bekommen, dass Sie die Arbeitslosengeldbezieher jahrelang um Zahlungen geprellt haben, die sie eigentlich aufgrund der Beiträge für die Einmalzahlungen
hätten erhalten müssen. Auch diese soziale Ungerechtigkeit haben wir auf der Grundlage der Konsolidierung abgeschafft.
({11})
Natürlich reden wir über die Realität am Arbeitsmarkt. Sie ist ungeheuer schwierig und zurzeit auch unbefriedigend.
({12})
Wir haben - das ist wahr - in diesem Jahr, abweichend
von allen Prognosen, übrigens auch von Ihren eigenen,
ein um etwa 2 Prozent geringeres Wachstum. Das
wirkt sich natürlich auf den Arbeitsmarkt aus. In den Monaten der höchsten Arbeitslosigkeit, Januar und Februar,
werden wir unsere Zielprognose möglicherweise um
300 000 bis 500 000 Arbeitslose überschreiten. Das ist
überhaupt nicht schön. Aber setzen wir das einmal, um
redlich zu bleiben, in Relation zu den gleichen Monaten
zu der Zeit, als wir die Regierung übernommen haben:
({13})
Wir werden im Vergleichszeitraum immer noch
500 000 Arbeitslose weniger haben und wir werden etwa
1 Million, wenn nicht gar mehr, zusätzliche Arbeitsplätze
haben. Auch das muss man sehen.
Wenn man sich die Zahlen genauer anschaut, kann man
feststellen, dass wir auch in der Struktur eine positive Entwicklung hatten.
({14})
- Das will ich Ihnen sagen, Herr Kolb. In den 39 Monaten, in denen sich der Arbeitsmarkt Monat für Monat entspannt hat,
({15})
ist etwas eingetreten, worauf Sie jahrelang gewartet haben: Auch die stille Reserve hat sich verringert; Menschen, vor allen Dingen Frauen, die jahrelang außerhalb
des Arbeitsmarktes waren, haben wieder Mut bekommen.
({16})
Sie haben noch etwas anderes angesprochen. Frau
Schwaetzer, da muss ich mich nicht wundern; denn Sie
wollen das Jugendsoforthilfeprogramm, JUMP, hier nach
wie vor schlechtreden. Sie reden von 1 000 Arbeitsplätzen
im ersten Arbeitsmarkt.
({17})
Wir haben mit dem JUMP-Programm 330 000 junge
Leute erreicht,
({18})
die arbeitsmarktfern waren. Wir haben sie in etwa elf unterschiedliche Maßnahmen gebracht. Wir haben diesen
jungen Leuten, die es in ihrer Zukunft immer schwerer
gehabt hätten, in den Arbeitsmarkt oder in berufliche Qualifikation zu kommen, eine Chance auf dem Arbeitsmarkt
gegeben.
Wir haben in den letzten Jahren - auch das muss man
sehen - 14 000 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen. Wir haben von Ihnen nicht nur einen Berg von Arbeitslosen übernommen, sondern auch ein vermufftes
Arbeitsförderungsrecht, das sich den Realitäten des Arbeitsmarktes, zum Beispiel der Jugendarbeitslosigkeit,
überhaupt nicht gestellt hat. Aktive, aktivierende Arbeitsmarktpolitik war für Sie ein Fremdwort.
({19})
Wir haben mit dem Job-Aqtiv-Gesetz einen Einstieg
in das geschafft, was seit Jahren überfällig war, nämlich
Menschen, die arbeitslos werden, von der ersten Stunde
an ein Hilfsangebot entsprechend ihrer Qualifikation zu
machen.
Frau Schwaetzer, was hat die FDP in dem Zusammenhang vorgeschlagen? Sie haben es nicht nur abgelehnt,
sondern - darüber muss ich mich wundern, obwohl ich
mich bei der FDP eigentlich über fast gar nichts mehr
wundere - Sie haben das Bürokratiemonster der regelmäßigen Meldepflicht wieder einführen wollen, was keinen zusätzlichen Arbeitsplatz bringt und allenfalls die Arbeitsvermittler beschäftigt.
({20})
Wir wollen Arbeitsvermittler, die sich aktiv und direkt mit
den Arbeitslosen auseinander setzen können. Deswegen
werden wir - dagegen können Sie auch nichts mehr unternehmen - zum Beispiel das Instrument der Eingliederungspläne einführen.
In dem Zusammenhang haben wir neue und moderne
Instrumente in der Arbeitsmarktpolitik eingeführt, zum
Beispiel die Jobrotation. Auch diese haben Sie abgelehnt, obwohl Sie gleichzeitig
({21})
das Kunststück vollbracht haben, die Urheberschaft dafür
zu beanspruchen. - Da kommt der Zwischenruf. Herr
Niebel, es ist wahr. - Ich weiß nicht, wodurch Sie die Urheberschaft in der Realität beanspruchen können;
({22})
sicherlich nicht durch Ihre Regierungstätigkeit, vielleicht
durch Ihre Tätigkeit in Ihrem Ortsverein.
({23})
Meine Damen und Herren, es ist wahr, dass der Reformbedarf gerade am Arbeitsmarkt groß ist. Deswegen
plädieren wir für eine Arbeitsmarktpolitik Plus.
({24})
Arbeitsmarktpolitik Plus bedeutet, dass wir mit der Reform und mit dem Job-Aqtiv-Gesetz
({25})
die zentralen Instrumente reformiert haben und - „Plus“ zusätzliche beschäftigungspolitische Schritte gehen
wollen.
({26})
Wir wollen in der nächsten Legislaturperiode, das ist
angesprochen worden,
({27})
die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammenlegen.
({28})
Unsere Zielperspektive, die der Grünen, ist dabei übrigens die Einführung einer Grundsicherung. Im Gegensatz zu Ihnen reden wir nicht nur darüber, sondern haben
bereits mit den Vorarbeiten, und zwar mit Modellprojekten, begonnen. Diese Modellprojekte sind weit über die
Bundesrepublik verstreut. In ihnen werden Erfahrungen
mit der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe unter einem
Dach gewonnen.
({29})
Meine Damen und Herren, darüber hinaus plädieren
wir dafür, dass schwierige Beschäftigungsverhältnisse
und schwierige Bereiche am Arbeitsmarkt neue Chancen
erhalten und neue Brücken gebaut bekommen.
({30})
Warum soll es nicht möglich sein, dass Sozialhilfeempfänger und Langzeitarbeitslose jede zweite Mark, die sie
zeitlich befristet dazuverdienen, behalten können?
({31})
- Herr Niebel, ich freue mich wirklich sehr, dass Sie in
dieser großen Deutlichkeit dazwischenrufen. Meine Damen und Herren von der FDP, ich glaube, Sie haben in den
29 Jahren Ihrer Regierungszeit genug Chancen gehabt,
genau dieses sozialpolitische Anliegen umzusetzen.
({32})
Darüber hinaus will ich noch sagen, dass es notwendig
sein wird, auch etwas gegen die Teilzeitmauer, die bei
Jobs über 630 DM einsetzt, zu unternehmen.
({33})
Es wird sinnvoll sein, die Sozialversicherungsbeiträge
dort so zu subventionieren, dass sie quasi sanft, nicht als
Mauer einsetzen, sodass weitere Anreize für Arbeitslose
gegeben werden, in diesen Bereichen eine Beschäftigung
aufzunehmen.
({34})
Der nächste Punkt ist, dass wir die Entbürokratisierung weitertreiben müssen.
({35})
Das wollen wir auch. Ich glaube, dass wir im Bereich der
630-DM-Jobs durchaus entbürokratisieren und das Meldeverfahren leichter machen können.
({36})
- Frau Lenke, wir wollen aber bestimmt nicht wieder in
den Zustand zurückkehren, den Sie uns hinterlassen haDr. Thea Dückert
ben, dass es nämlich in diesem Bereich Arbeitsverhältnisse gab, die nicht sozialversicherungspflichtig waren.
({37})
In diesem Zusammenhang haben wir viel zu tun.
Der letzte Punkt ist beschäftigungspolitisch zentral,
weswegen ich ihn hier noch kurz anmerken möchte:
({38})
Wir werden und wollen das Ziel der Senkung der Lohnnebenkosten nicht aus den Augen verlieren. Wir werden
weiter dafür streiten, weil es gerade im Zusammenhang
mit der Beschäftigungspolitik ganz zentral ist.
Ich danke Ihnen.
({39})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Heidi Knake-Werner, PDS-Fraktion.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! SPD und Bündnisgrüne
haben in letzter Zeit gerne erklärt, dass sie gemeinsam
diese Republik verändert hätten.
({0})
Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, da mögen Sie wohl
Recht haben.
({1})
Ob allerdings die Menschen außerhalb dieses Hauses über
diese Veränderungen froh sind, wage ich ernsthaft zu bezweifeln.
({2})
Das Ergebnis Ihrer Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ist
jedenfalls keine Erfolgsbilanz, sondern eine Mängelliste,
und das ist einfach zu wenig. Sie werden es nicht einmal
schaffen, Ihre wichtigsten und die Wahl entscheidenden
Versprechungen von 1998 einzulösen. Für mehr soziale
Gerechtigkeit wollten Sie sorgen. Außerdem wollten Sie
Ihre Regierungsfähigkeit an der sinkenden Arbeitslosigkeit messen lassen. Nichts davon haben Sie erreicht. Damit haben Sie die vielen Menschen, die auf Sie gesetzt haben, bitter enttäuscht.
4 Millionen Arbeitslose lassen sich nicht einfach mit
der Weltkonjunktur entschuldigen, zumal Sie dann erklären müssten, warum es eigentlich allen unseren Nachbarländern in Europa besser geht. Nein, 4 Millionen Arbeitslose in der Bundesrepublik sind das Ergebnis falscher
politischer Weichenstellungen und fehlender Initiativen
in der Beschäftigungspolitik.
Im Konsens mit den Gewerkschaften und den Arbeitgebern wollten Sie die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Doch im
Bündnis für Arbeit sind Sie keinen Schritt vorangekommen: keine Vereinbarung, endlich die Milliarden
Überstunden abzubauen, um neue Arbeitsplätze zu schaffen, nichts Verbindliches gegen den Mangel an qualifiziertenAusbildungsplätzen und kein Konzept gegen die besonders dramatische Arbeitsmarktlage in den neuen Ländern.
Stattdessen verabreden Sie Modellversuche im Niedriglohnsektor. Wissen Sie eigentlich, was die Menschen in
Ostdeutschland verdienen? Der durchschnittliche Stundenlohn in Ostdeutschland beträgt 62 Prozent des durchschnittlichen Stundenlohnes, der im Westen gezahlt wird.
({3})
Das ist ein riesiger Niedriglohnsektor, ohne dass es dort
mehr Beschäftigung gäbe. Solche Konzepte sind absolut
untauglich.
({4})
Sie gehören ebenfalls zur Negativbilanz Ihrer Politik.
Auch die Vorleistungen Ihrer unternehmerfreundlichen
Steuerreform haben sich weder beschäftigungs- noch
verteilungspolitisch positiv ausgewirkt. Im Gegenteil, sie
haben die soziale Spaltung in dieser Gesellschaft weiter
verstärkt. Dies geschah unter Ihrer Verantwortung und das
finde ich blamabel. Neben dem Handwerk sind es nämlich gerade die großen Unternehmen, die von Ihrer Politik besonders profitiert haben. Aber Siemens und die
Commerzbank zum Beispiel haben für das kommende
Jahr Massenentlassungen in enormer Größenordnung angekündigt.
In dieser Situation hat der Bundesarbeitsminister eine
Idee: Er verkündet die größte Vermittlungsoffensive aller
Zeiten.
({5})
Wohin soll denn bitte schön vermittelt werden? Wo sind
denn die Unternehmen, die auf diese Ihre Offensive
warten?
({6})
Ich kann sie nicht finden. Wenn ich mir Ostdeutschland
anschaue, dann weiß ich, dass dort Arbeitsplätze fehlen,
und Sie wissen das genauso gut wie ich.
Was wir jetzt brauchen, ist eine arbeitsmarktpolitische
Offensive und eine Qualifizierungsoffensive. Das JobAqtiv-Gesetz - ich glaube, Frau Dückert, dass dies noch
keine „Arbeitsmarktpolitik plus“ ist - könnte da vielleicht
einige Impulse setzen. Warum aber haben Sie dafür im
Haushalt keine müde Mark eingestellt? Meinen Sie es
also wirklich ernst damit? Nein, liebe Kolleginnen und
Kollegen, die PDS will die arbeitsmarktpolitischen
Maßnahmen wirklich ausbauen. Deshalb fordern wir,
den Zuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit um 1 Milliarde Euro zu erhöhen.
({7})
Ein Zweites ist uns in diesem Zusammenhang wichtig:
Man kann über arbeitsmarktpolitische Maßnahmen streiten, aber die Menschen in Ostdeutschland werden noch
auf Dauer auf diese Maßnahmen angewiesen bleiben.
Deshalb ist es einfach falsch, dass Sie wieder keine Sachkostenzuschüsse für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen
einstellen. Wir werden das beantragen.
({8})
Schließlich fordern wir erneut den Einstieg in den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Sie wissen
wie wir, dass viel Arbeit im sozialen, kulturellen und ökologischen Bereich ungetan bleibt, weil sie sich für
gewinnorientierte Unternehmen einfach nicht rechnet.
Diese Arbeit ist aber für die Daseinsvorsorge und die Lebensqualität der Menschen unverzichtbar. Deshalb sagen
wir: Ehe Sie, Herr Minister, Greencards für den Pflegebereich und andere soziale Bereiche ausgeben, tragen Sie
lieber endlich mit dazu bei, dass hier hoch qualifizierte
und vor allen Dingen gut bezahlte Menschen Arbeit finden. Dies sind die notwendigen Zukunftsinvestitionen für
eine immer älter werdende Gesellschaft, mit der wir uns
auf vielen Feldern zu beschäftigen haben.
({9})
Es geht aber nicht nur darum, dass Sie mit Ihrer gescheiterten Beschäftigungspolitik Millionen Arbeitslose
enttäuschen und Millionen Beschäftigte verunsichern.
Das soziale Sicherungssystem in der Bundesrepublik ist
stärker als in vielen anderen Ländern an Löhne und
Gehälter gekoppelt. Deshalb sinken bei Beschäftigungsabbau auch die Einnahmen der Sozialversicherungen.
Deshalb können Sie Ihr zweites wichtiges Wahlversprechen nicht einlösen: Die Sozialversicherungsbeiträge werden bis zum Jahre 2002 nicht unter 40 Prozent sinken. Dies gilt auch für die versprochene Senkung
des Rentenversicherungsbeitrags; und dies trotz der Leistungskürzungen in der Rente und trotz der unsozialen
Teilprivatisierung. Dies halte ich für die größte Blamage.
Es verschafft mir wirklich keine Genugtuung, dass ich
hinsichtlich Ihrer Jahrhundertreform Recht behalten habe,
es ärgert mich aber, wie viel Verunsicherung und Ungerechtigkeit Sie damit geschaffen haben, ohne irgendetwas
zu erreichen. Jetzt ist es sogar so, dass Sie die eigentlich
notwendige Beitragserhöhung nur durch den Griff in die
Rücklage der Rentenversicherung verhindern können.
Von Beitragssenkungen - das sagen Ihnen alle Experten werden Sie in den nächsten Jahrzehnten nicht sprechen
können.
Warum stehen Sie überhaupt vor dieser Entscheidung? Weil Sie Ihre unsoziale Rentenpolitik für alternativlos gehalten haben, weil Sie nicht mehr in Alternativen denken
und Sie keinen Moment darüber nachgedacht haben, ob
man möglicherweise die Gruppe der Beitragszahlerinnen
vergrößern oder die Einnahmen durch die Einbeziehung
anderer Einkommen verbessern könnte. Das ist das Dilemma, in dem Sie jetzt stecken.
Zum Schluss will ich Ihnen sagen: Einzelplan 11 bleibt
ohne Antwort auf die gegenwärtige Krise, ohne Aussicht
auf mehr soziale Gerechtigkeit und vor allen Dingen - das
halte ich für das Schlimmste - ohne Hoffnungsschimmer
für die Menschen in diesem Land, die weder Faulenzer
noch altes Eisen sein wollen. Deshalb werden wir ihn ablehnen.
({10})
Ich erteile dem Kollegen Ewald Schurer, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Im neuen Programm
„Chancen für die Jugend“ der Bundesregierung heißt es
unter anderem: „Erwerbsarbeit sichert die materiellen Lebensgrundlagen und trägt wesentlich zur Zufriedenheit
junger Menschen bei.“ Die Bundesregierung hat daher
den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit zu einem
ihrer Schwerpunkte gemacht.
In der Tat muss man sich fragen, über was wir reden,
meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen. Wir reden über die Integration junger Menschen in diese Gesellschaft. Wir reden über die soziale Einbindung junger
Menschen in Familie und Gesellschaft, über Bildung und
Ausbildung als eine entscheidende Grundlage für die Berufs- und Zukunftschancen der jungen Generation.
({0})
- Herr Kollege, auch Sie sollten sich des Zuhörens befleißigen.
({1})
Bildung und Ausbildung sind wichtig für die Entwicklung der Persönlichkeit junger Menschen. An der
Stelle muss ich einmal ganz klar sagen: Frau Schwaetzer,
so einfach, wie Sie sich das machen, ist es nicht. Ihre Behauptung aus dem Nichts, dass das JUMP-Programm nur
1 000 Jugendliche in betriebliche Ausbildung gebracht
hätte, werde ich im weiteren Verlauf meiner Rede deutlich
widerlegen.
Es geht darum, dass Jugendpolitik eine Querschnittsaufgabe ist. So sieht es auch die Bundesregierung. In Umsetzung dieser Philosophie haben wir eine ganze Menge
getan.
({2})
- Hören Sie doch einmal zu. Sie haben es dringend nötig.
Kollege Schurer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grehn von
der PDS-Fraktion?
Ja.
({0})
Herr Kollege Schurer, ich
habe eine recht einfache Frage. Ist Ihnen bekannt, dass
trotz des JUMP-Programms die Jugendarbeitslosigkeit in
Sachsen noch nie so hoch war wie jetzt und dass das Land
Brandenburg bei der Jugendarbeitslosigkeit ein Wachstum von 16 Prozent hat?
Werter Kollege, ich werde im
Laufe meiner Rede auch darauf eingehen. Dann werde ich
Ihnen den genauen Entwicklungsverlauf erklären.
({0})
Die Bundesregierung hat die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zu einer Gesamtaufgabe gemacht.
Das heißt, wir haben zum Beispiel durch die Familienförderungsgesetze im steuerlichen Bereich etwas getan,
um die Voraussetzungen für Bildung und Ausbildung
auch in den Familien zu verbessern. Es gibt neue Freibeträge für die Betreuung, die Erziehung und - das möchte
ich betonen - die Ausbildung der jungen Menschen. Ab
dem 1. Januar 2002 gibt es pro Kind einen Freibetrag von
insgesamt 11 340 DM für Erziehung und Ausbildung.
Wir haben die BaföG-Leistungen zum 1. April 2001 nach
zehn Jahren Stagnation kräftig erhöht. Es gibt das neue
Gesetz zur Elternzeit und den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit. Es gibt das Aktionsprogramm „Jugend für Demokratie und Toleranz“ und natürlich auch das JUMPProgramm.
({1})
Ich sage noch einmal: Sie müssen sich der Sache schon
seriös - das gilt auch für Sie, Kollege Niebel - annehmen.
Es geht darum, jungen Menschen in schwierigen Zeiten
und bei einer schwächeren Konjunktur Sicherheit und
Chancen für ihre materielle Lebensführung, für ihre soziale Anerkennung und den menschlichen Zusammenhalt
- auch Solidarität genannt - zu geben.
({2})
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mit
den Freunden von Bündnis 90/Die Grünen waren es doch,
die Anfang 1999 mit dem Sofortprogramm JUMP ein
massives Programm aufgelegt haben, um den jungen
Menschen diese Chancen zu ermöglichen.
({3})
Wenn wir zur aktuellen Diskussion kommen, dann
müssen Sie feststellen - ich will jetzt die Frage beantworten -: Im Oktober dieses Jahres sind knapp 17 000 junge
Menschen neu ins Programm gekommen. Das sind für das
Jahr 2001 bislang 123 000 junge Menschen, von denen
sich im Augenblick 93 000 konkret in Fördermaßnahmen
befinden. Die durchschnittliche Dauer solcher Fördermaßnahmen beläuft sich je nach Bestimmung und Art der
Maßnahme im Augenblick auf 240 Tage.
Das Ergebnis der Begleitforschung - jetzt kommen
wir zur Substanz - ist eindeutig: In diesen drei Jahren
wurden als Nebeneffekt durch die Beratungstätigkeit insgesamt 40 000 neue betriebliche Ausbildungsverhältnisse geschaffen. Im Jahr 1999, Kollegin Dückert, waren
es 14 000, im Jahr 2000 17 000 und in diesem Jahr waren
es bislang 9 000 weitere betriebliche Ausbildungsplätze.
Seit dem 1. Januar 1999 bis zum Sommer dieses Jahres
haben insgesamt - das wurde schon gesagt 333 000 junge Menschen an diesem Programm teilgenommen. Von den Jugendlichen, die heuer in diesem Programm sind
({4})
- hören Sie es sich an, damit Sie die Ergebnisse der Begleitforschung mitbekommen -, wurden 33 000 junge
Menschen mit Lohnkostenzuschüssen in den ersten Arbeitsmarkt integriert.
({5})
27 000 Jugendliche traten in Qualifizierungs-AB-Maßnahmen ein. 21 000 junge Menschen starteten Trainingsmaßnahmen. 17 000 Jugendliche nahmen Qualifizierungsmaßnahmen in Anspruch. Für die Frage zu
Ostdeutschland ist noch wichtig: 4 500 junge Menschen
konnten über die Mobilitätshilfen zur auswärtigen Arbeitsaufnahme gebracht werden.
In der Folge der Vereinbarung des Bündnisses für Arbeit haben wir - das habe ich schon gesagt - nicht 1 000,
sondern 40 000 neue betriebliche Ausbildungsplätze geschaffen. Das sollten Sie sich einmal hinter die Ohren
schreiben. Sie reden hier wirklich - ohne Kenntnis der
Fakten - ins Leere. Das, was Sie betreiben, ist unverantwortlich gegenüber den jungen Menschen.
({6})
Ganz entscheidend ist die Tatsache, dass von den
93 000, die sich momentan in konkreten Maßnahmen befinden, 80 Prozent arbeitslos waren. Davon waren 30 Prozent länger als sechs Monate arbeitslos.
({7})
Es geht darum, jungen Menschen, die sich in einer Situation der Chancenlosigkeit befinden, ganz gezielt Perspektiven zu erschließen. Das tun wir im Augenblick und auch
im Osten.
Ich möchte jetzt auf die Finanzen zu sprechen kommen, weil wir uns ja in einer Haushaltsdebatte befinden.
Im Jahr 2000 wurden circa 1,9 Milliarden DM in das
JUMP-Programm investiert. Bis jetzt sind bereits 2,3 Milliarden DM konkret in Maßnahmen gebunden. Ein
Schwerpunkt des Programms - es wäre schön, wenn der
Kollege zuhören würde; denn das, was ich jetzt sage, ist
ein Teil der Antwort auf seine Frage - waren die neuen
Länder. Im letzten Jahr wurden knapp 44 Prozent aller
Mittel des JUMP-Programms in die neuen Bundesländer
investiert. Bis Anfang November des laufenden Jahres
waren sogar knapp 55 Prozent der Mittel des gesamten
Programms in Maßnahmen in den neuen Bundesländern
gebunden.
({8})
Das bestätigen auch die Aussagen der Bundesanstalt für
Arbeit.
Eine wichtige Ergänzung: In Zeiten einer konjunkturellen Abschwächung ist es ganz besonders wichtig, die
Jugendlichen nicht - so, wie Sie es gemacht haben - irgendwo stehen zu lassen, sondern sie - das tun wir mit
dem JUMP-Programm - entsprechend zu qualifizieren.
Auch das ist ein Teil meiner Antwort auf Ihre Frage. Ich
weiß, dass die momentane Situation im Osten im Hinblick
auf die Ausbildungsverhältnisse sehr schwierig ist. Aber
umso mehr ist die Bedeutung des JUMP-Programms anzuerkennen, in dessen Rahmen junge Menschen durch
verschiedene Maßnahmen - betriebliche Ausbildungsplätze gibt es im Osten Deutschlands nämlich zu wenige für eine spätere Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt qualifiziert werden. Lassen Sie sich das, bitte schön, auch noch
einmal von mir im Guten sagen.
({9})
Noch eines zum Schluss: Ein halbes Jahr nach dem
Ausscheiden aus dem Programm - das ist ein wichtiger
Zeitpunkt, weil man dann feststellen kann, wie die Maßnahmen auf die jungen Menschen gewirkt haben - haben
24 Prozent der Geförderten einen ungeförderten Arbeitsplatz - das ist ein wirklich großer Erfolg -, haben rund
13 Prozent einen betrieblichen Ausbildungsplatz, machen
circa 7 Prozent - durch die Maßnahmen animiert - eine
weitere schulische Ausbildung und sind rund 22 Prozent
der jungen Menschen in Fördermaßnahmen. Dass dann
noch immer 25 Prozent der jungen Menschen, die an den
Maßnahmen teilgenommen haben, leider wieder arbeitslos sind, ist nur zu verstehen, wenn man weiß, dass sie zu
einer Klientel gehören, die bisher - mit einer ganzen
Reihe von Handicaps kämpfend - alles andere als privilegiert gewesen ist. Unter diesen Jugendlichen befinden
sich viele, die aus sozial benachteiligten Verhältnissen
kommen und die deswegen im Rahmen der Fördermaßnahmen einer besonderen Fürsorge bedürfen.
({10})
Wichtig ist, dass das JUMP-Programm eine Philosophie
hat - deswegen ist es auch so erfolgreich, was im Widerspruch zu Ihrer partiellen und sehr autistischen Wahrnehmung steht -: Die Jugendlichen werden individuell und
entsprechend ihren persönlichen Bedürfnissen gefördert.
Kollege Schurer, Sie
haben Ihre Redezeit überschritten.
Ich komme zum Ende, Herr
Präsident. - Diese Philosophie ist übrigens die gleiche wie
die im neuen Job-Aqtiv-Gesetz. Es geht darum, den jungen Menschen Perspektiven zu vermitteln, indem man
versucht, mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen ganz
individuell auf ihre Situation einzugehen, sie dort abzuholen, wo sie sich befinden, um sie für ihr späteres Leben
zu qualifizieren, um ihnen eine Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Junge Menschen sind erst dann in
der Gesellschaft integriert, wenn sie qualifiziert und ausgebildet worden sind und somit eine berufliche Grundlage
haben.
Ich bedanke mich bei der Arbeitsverwaltung, bei der
Bundesregierung für das konzertierte und erfolgreiche
JUMP-Programm. Ich wünsche allen jungen Menschen,
die in diesem Programm gefördert wurden und noch gefördert werden, viel Erfolg für ihre berufliche und gesellschaftliche Zukunft.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Horst Seehofer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesarbeitsministers
({0})
ist ein ganz trübes Kapitel. Walter Riester ist der teuerste
Weihnachtsmann, den sich diese Republik jemals geleistet hat.
({1})
Kein einziges Versprechen dieses Arbeitsministers ist
in Erfüllung gegangen. Versprochen war ein kräftiger Abbau der Arbeitslosigkeit; erreicht wurde ein deutlicher
Anstieg. Wir werden nach der Jahreswende deutlich über
4 Millionen Arbeitslose haben. Hinzuzurechnen sind
1,7 Millionen Menschen, die zu den verdeckten Arbeitslosen gehören, die nicht in der Statistik erscheinen, weil
sie sich in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und in
Kurzarbeit befinden.
({2})
Es sind Millionen von Menschen in der Arbeitslosigkeit. Millionen von Menschen in Deutschland fürchten
um ihren Arbeitsplatz, und das bei einer Regierung, die
angetreten ist, mehr soziale Gerechtigkeit in Deutschland
zu realisieren. Drei Jahre Rot-Grün haben gereicht, um
ein hohes Maß an sozialer Ungerechtigkeit in Deutschland zu realisieren.
({3})
Versprochen war die Senkung der Sozialabgaben.
({4})
- Eingetreten ist ein Sozialabgabenniveau wie nie zuvor
in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
({5})
Meine Damen und Herren, wir werden am 1. Januar
deutlich über 41 Prozent Gesamtsozialversicherungsbeitrag haben. Dazu haben Sie die 630-Mark-Jobs sozialversicherungspflichtig gemacht und den Menschen 7 Milliarden DM abgezockt.
({6})
Dazu werden Sie am 1. Januar des nächsten Jahres 28 Milliarden DM Ökosteuer ohne Umsatzsteuer erheben. Das
sind insgesamt 35 Milliarden DM zur Finanzierung der
Sozialhaushalte. Gleichzeitig steigen die Sozialabgaben.
Nie zuvor sind die Menschen zur Finanzierung der Sozialhaushalte so zur Kasse gebeten worden wie unter der
Regierung von Rot-Grün. Da dürfen Sie sich nicht wundern, wenn die Konjunktur zusammenbricht.
({7})
Vor wenigen Tagen erklärte der Sozialverband
Deutschlands, steigende Beitragssätze seien nur dann vertretbar, wenn dafür auch mehr oder bessere Leistungen für
die Versicherten gewährt würden. Bei der rot-grünen Sozialpolitik sei aber bisher das Gegenteil der Fall: Steigende Beiträge und sinkende Sozialleistungen.
Das ist das, was die Menschen in Deutschland ärgert:
Steigende Beiträge und weniger Gesundheitsleistungen,
steigende Beiträge und weniger Pflegeleistungen, steigende Beiträge und weniger Rente, steigende Beiträge
und weniger Leistungen in der Arbeitslosenversicherung.
Das ist Ihre Bilanz.
({8})
Höhere Arbeitslosigkeit, höhere Sozialbeiträge und
sinkende Leistungen - alle denkbaren Übel hat diese Regierung in der Wirtschafts- und Sozialpolitik gleichzeitig
erreicht. Das hat noch keine Regierung in Deutschland geschafft.
({9})
Diese beklemmende Entwicklung ist auf einen Kardinalfehler dieser Regierung zurückzuführen. Sie hat nämlich von Anfang an dem Irrglauben nachgegeben, dass
man alle wirtschaftlichen und sozialen Prozesse in
Deutschland durch zentralistische Planung und bürokratischen Vollzug steuern könnte. Das ist der Kardinalfehler
dieser Regierung.
Man darf sich nicht wundern, wenn man die 630-MarkJobs und die Scheinselbstständigkeit so bürokratisiert,
wie es diese Regierung getan hat, dass man Arbeitsplätze
in Deutschland vernichtet und dass nur ein Bereich Konjunktur hat, nämlich die Schwarzarbeit. Man darf sich
nicht wundern, wenn man den Abschluss von befristeten
Arbeitsverträgen erschwert, dass die Betriebe nicht
Arbeitsplätze schaffen, sondern in Überstunden ausweichen. Die Ursache für die Überstunden haben Sie, Herr
Riester, durch die Bürokratisierung der Arbeitsmarktpolitik geschaffen.
({10})
Man darf sich nicht wundern, wenn man in Deutschland einen unbedingten Rechtsanspruch auf Teilzeit
schafft, dass dann niemand mehr in Deutschland Arbeitsplätze schafft, weil jeder befürchten muss, dass sofort der
Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit realisiert wird.
({11})
Sie haben durch den Irrglauben, alles zentralistisch zu
planen und bürokratisch zu vollziehen, eine gigantische
Bürokratie in Deutschland geschaffen. Sie haben durch
Ihre Politik nicht Arbeitsplätze geschaffen, sondern Sie
haben Arbeitsplätze vernichtet. Die Probleme, die uns
jetzt auf dem Arbeitsmarkt beschäftigen, sind eindeutig
auf Politikversagen von Rot-Grün zurückzuführen.
({12})
Noch keine Regierung hat Gutachter beauftragt - die
sie sich sogar selbst ausgesucht hat, einschließlich der Gewerkschaftler -, die ihr ein solches Zeugnis ausgestellt haben, was die Arbeitsmarktpolitik betrifft. Vor 14 Tagen ist
hier das Job-Aqtiv-Gesetz verabschiedet worden.
({13})
Der Arbeitsminister hat am Rande des SPD-Parteitags erklärt, mit dem neuen Job-Aqtiv-Gesetz gebe es seitens der
Bundesregierung nun eine große Kampagne der ganz
schnellen Vermittlung von Arbeitskräften. Solche ÄußerungenweckendieHoffnung,mitdieserWunderwaffeJobAqtiv-Gesetzkönneesendlichgelingen,dassdie23000arbeitslosen Pflegekräfte in Deutschland in die offenen
Stellen vermittelt werden. Das war die große Hoffnung.
({14})
Am gleichen Tag erklärt derselbe Arbeitsminister, er
werde jetzt Arbeitserlaubnisse für Pflegekräfte aus Osteuropa ausstellen, weil die Pflegearbeitsplätze in Deutschland mit den hier lebenden Arbeitslosen nicht zu besetzen
seien. Herr Riester, das ist eine Bankrotterklärung hinsichtlich der Wirksamkeit Ihres Job-Aqtiv-Gesetzes.
({15})
Sie glauben selbst nicht an die Wirkung Ihres eigenen Gesetzes.
Bei in der Statistik offen ausgewiesenen 4 MillionenArbeitslosen, bei 1,7 Millionen verdeckten Arbeitslosen, die
an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teilnehmen, kümmern Sie sich nicht darum, dass die hier lebenden Arbeitslosen in Arbeit gebracht werden. Sie haben nur Bürokratie
und Paragraphen geschaffen. Deshalb wiederhole ich
heute: Sie haben ein erotisches Verhältnis zu Paragraphen.
({16})
Sie haben aber die Langzeitarbeitslosen völlig aus dem
Blick verloren. In dieser Situation stellt Ihr Bundeskanzler fest, wir bräuchten mehr Innovationen in den Vorstandsetagen der deutschen Wirtschaft.
({17})
Wissen Sie, wo wir mehr Kreativität und Innovationen
brauchen? - In der Chefetage dieser Regierung.
({18})
Sie haben in den letzten drei Jahren jede Chance vertan, den verkrusteten deutschen Arbeitsmarkt kreativ zu
reformieren. Nachdem Sie uns jetzt pausenlos hilflose
Fragen stellen, was wir denn tun würden - es ist ein Armutszeugnis für eine Regierung, wenn jeder Redner der
Regierungskoalition die Opposition fragt, was getan werden soll -,
({19})
antworte ich Ihnen: Sie müssten nur das berücksichtigen,
was wir vorschlagen. Sie haben den ersten Fehler gemacht, indem Sie unsere Reformen nach der Regierungsübernahme 1998 zurückgenommen haben. Der zweite
Fehler besteht darin, dass Sie unsere Vorschläge, die wir
in den letzten zwei Jahren unterbreiteten, nicht aufgegriffen haben.
Es gab noch keine Opposition, die zur Reform des
deutschen Arbeitsmarktes so konkrete Vorschläge gemacht hat, wie sie von CDU/CSU und FDP in den letzten
zwei Jahren vorgelegt wurden.
({20})
Wir wiederholen diese Vorschläge heute: Streichen Sie all
die überflüssigen Paragraphen und bauen Sie Bürokratie
ab. Verwirklichen Sie die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen, um die verkrusteten Strukturen des Arbeitsmarktes aufzulösen.
({21})
Dazu müssten Sie auch alle von Ihnen getroffenen Maßnahmen im Hinblick auf 630-Mark-Jobs und befristete
Arbeitsverträge zurücknehmen.
({22})
Wir haben in Deutschland das große Problem, dass
Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich nicht besetzt werden. Wir haben Millionen Arbeitsplätze mit einem Entgelt
bis zu 630 DM und verhältnismäßig wenig Arbeitsplätze
mit einem Einkommen zwischen 630 DM und 2 500 DM.
Diese Misere werden wir nur überwinden, wenn wir uns
diesem Niedriglohnbereich und den Langzeitarbeitslosen,
also den Menschen, die länger als ein Jahr ohne Arbeit
sind, zuwenden.
Herr Riester, alle Sachverständigen, alle Wirtschaftsinstitute erklären Ihnen genauso wie die Opposition seit
Jahren, dass dies nur mit den so genannten Kombilöhnen
funktioniert. Wenn zu dem erzielten Arbeitseinkommen
ein Zuschuss gewährt wird, wird der Anreiz zur Arbeitsaufnahme für diejenigen Menschen verstärkt, die in dem
von mir angesprochenen Bereich einen Arbeitsplatz bekommen könnten,
(Konrad Gilges [SPD]: Das hätten Sie doch
machen können!
aber nicht einsehen, eine solche Arbeit anzunehmen,
weil die Sozialleistungen etwa in gleicher Höhe gezahlt
werden.
Wir schlagen vor, dass dieser Zuschuss bis zu 20 Prozent betragen soll.
({23})
Die Kombination aus dem Niedriglohn und dem Zuschuss
des Sozial- oder Arbeitsamtes ergäbe ein gegenüber der
puren Sozialleistung höheres Erwerbseinkommen.
({24})
Wie wir von den Sozialämtern wissen, würde es bei
den Kommunen und bei den Arbeitsämtern Geld sparen,
weil es besser ist, statt einer 100-prozentigen Sozial- oder
Arbeitslosenhilfe nur einen Zuschuss von bis zu 20 Prozent zu geben.
({25})
Eine solche Regelung würde die Menschen auch motivieren, Arbeit aufzunehmen. Das schlagen Ihnen alle Sachverständigen vor. Sie wollen diesen Vorschlag aus reiner
Rechthaberei nicht realisieren, obwohl Sie den Bundesländern jetzt ständig anbieten, dafür mehr Geld zur Verfügung zu stellen.
Hören Sie auf mit Ihren Modellen und Versuchen. Die
Arbeitslosen, die heute keine Arbeit haben, und jene, die
um ihren Arbeitsplatz fürchten, haben von diesen Versuchen die Schnauze voll. Sie wollen, dass ihnen im Falle
der Arbeitslosigkeit konkret geholfen wird. Das muss jetzt
geschehen.
Dazu gehört auch, Herr Arbeitsminister: Wenn jemandem ein Arbeitsplatz angeboten wird, wenn jemandem
eine Hilfe in Form des Kombilohns gegeben wird, dann
muss im Fall der Ablehnung der Sozialanspruch entfallen.
Menschen, die Angebote und Hilfe bekommen, diese aber
ablehnen, haben keinen Anspruch auf solidarische Hilfe.
Auch das muss realisiert werden.
({26})
Ein ganz schlimmes Kapitel ist die Rente. Wir erleben
hier eine Welturaufführung. Mit großen Hochämtern ist
die Rentenreform verabschiedet worden. Eine Welturaufführung ist es insofern, als schon vor ihrem In-Kraft-Treten alle zugrunde liegenden Prognosen und Daten überholt sind. Herr Riester, geben Sie zu: Sie haben im
nächsten Jahr, dem ersten Jahr der Rentenreform, in der
Rentenversicherung ein Finanzloch von 10 Milliarden DM. Das liegt daran, dass Sie viel zu optimistische
Wirtschafts- und Einkommensprognosen zugrunde gelegt
haben. 10 Milliarden DM, bevor die Rentenreform überhaupt in Kraft tritt!
({27})
Jetzt macht er einen Trick - wir kennen das aus dem
Jahr 1998 -,
({28})
weil er auf den Wahlmonat sieht.
({29})
Eigentlich müssten Sie die Beiträge im nächsten Jahr um
0,5 Punkte erhöhen. Man muss das einmal in der Summe
sehen: 0,5 Punkte in der Krankenversicherung und
0,5 Punkte in der Rentenversicherung, das ist ein voller
Beitragspunkt. Sie müssten auch die Beiträge zur Pflegeversicherung erhöhen, wenn Sie nicht die Rücklagen in
der Pflegeversicherung angegriffen hätten, die wir Ihnen
1998 übergeben haben. Das ist die Situation!
({30})
Nun macht man ein wahltaktisches Manöver in der
Frage: Wie kommt man über den September des Jahres
2002, über die Bundestagswahl?
({31})
Das macht man dadurch, dass man zunächst einmal in einen Sparstrumpf, nämlich in die Rücklagen der Rentenversicherung, greift.
({32})
Schwankungsreserven hatten auch in unserer Regierungszeit immer eine bestimmte Funktion. Sie sind mal
unter- und mal überschritten worden,
({33})
aber immer mit dem Ziel, sie wieder aufzufüllen.
({34})
Sie aber senken die Schwankungsreserve jetzt durch Gesetz von 100 Prozent auf 80 Prozent. Das ist erstmalig so.
({35})
Durch diesen Griff in den Sparstrumpf hat Herr Riester
6 Milliarden DM. Bleiben aber immer noch 4 Milliarden DM. Diese 4 Milliarden DM - Frau Schwaetzer, da
haben Sie völlig Recht - retten Sie über die Wahl. Der
Sozialbeirat der Bundesregierung - nicht wir - schreibt in
seinem Gutachten: Eine Nachfinanzierung dieses Defizits
durch höhere Beiträge spätestens 2003 hält der Sozialbeirat für unausweichlich.
({36})
Das heißt, meine Damen und Herren: Sie schwindeln
sich über den September und müssten nach der Bundestagswahl - dazu werden Sie aber keine Gelegenheit mehr
haben - die Beiträge noch einmal erhöhen.
10 Milliarden DM Finanzloch in der Rentenversicherung: Diese Wahrheit verschweigen Sie der Öffentlichkeit. Sie wiederholen den Rentenbetrug aus dem Jahr
1998. Das ist Ihre Politik, Herr Riester!
({37})
Jetzt sage ich Ihnen noch, welchen Betrug Sie schon
hinter sich haben. Sie haben vor der Bundestagswahl genau wie der Bundeskanzler erklärt, dass Sie die Renten
unangetastet lassen. Sie haben den Rentnern versprochen,
dass sie einen Kaufkraftausgleich bekommen, das heißt
eine Rentenerhöhung, die mindestens die Preissteigerung
in Deutschland ausgleicht.
({38})
Auch dieses Versprechen haben Sie gebrochen. In den
letzten zwei Jahren, also heuer und im letzten Jahr, betrug
die Preissteigerungsrate in Deutschland zusammengenommen 4,4 Prozent. Die Anhebung der Renten betrug in
diesen beiden Jahren aber nur insgesamt 2,5 Prozent. Das
heißt: Die Renten haben in Ihrer Regierungszeit an Kaufkraft verloren, weil Sie das Versprechen gebrochen haben,
den Rentnern mindestens einen Kaufkraftausgleich zu gewähren.
Jetzt lässt sich Herr Riester für eine Selbstverständlichkeit, die es seit 40 Jahren gibt, feiern. Dass am 1. Juli
eines Jahres die Renten steigen, ist in der Bundesrepublik
Deutschland seit 40 Jahren so. Er verschweigt aber, dass
er vorher, ab 1. Januar, durch die Erhöhung der Ökosteuer
die Rentner wiederum abzockt und dass durch die Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge ein großer Teil
der Rentenerhöhung wieder verloren geht; die Rentner
müssen ja auch ihren Beitrag zur Krankenversicherung
zahlen.
Unter dem Strich werden die Rentner auch im nächsten Jahr unter Walter Riester in der Kombination von
Ökosteuer, Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge
und Inflation wiederum weniger haben. Das ist das Ergebnis Ihrer Rentenpolitik!
({39})
Herr Riester, Ihre Bilanz ist niederschmetternd.
({40})
Was noch schlimmer ist, meine Damen und Herren: Es ist
überhaupt keine Philosophie erkennbar in der Frage, wie
die Regierung aus diesem Dilemma herauskommen
möchte. Es gibt kein Konzept.
Sie haben ein hohes Maß an sozialer Ungerechtigkeit
dadurch geschaffen, dass Sie immer mehr Leute in die Arbeitslosigkeit jagen und immer mehr Menschen in die
Angst versetzen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Jeder
vierte Deutsche hat heute Angst um seinen Arbeitsplatz.
Sie haben die Leute durch höhere Steuern, durch höhere
Abgaben und durch eine Verbürokratisierung der 630DM-Arbeitsverhältnisse abgezockt. Was die Alterssicherung angeht, so glaubt niemand daran, dass die Renten
kurz-, mittel- oder langfristig sicher sind. Sicher ist nur
die nächste Rentenreform, die notwendig wird, weil Sie
die erste vermurkst haben. Herr Riester, Sie sind ein begnadeter Murkser.
({41})
Nun zu einem weiteren Trugschluss: Nachdem Sie drei
Jahre auf mehr Bürokratie und mehr zentralistische Planung gesetzt haben, sagen Sie jetzt in allen Interviews,
dass Sie auf den nächsten Aufschwung warten. Nur,
Deutschland wird das, was jetzt durch Untätigkeit verspielt wird, lange nicht mehr aufholen können.
Herr Riester, Sie und Ihre politischen Bataillone haben
vor der Bundestagswahl, in der Zeit, als Sie die Mehrheit
im Bundesrat hatten, wichtige Maßnahmen zum Wohle
Deutschlands blockiert, insbesondere die Steuerreform.
({42})
Zwei Jahre lang haben Sie über Ihre Mehrheit im Bundesrat blockiert; seitdem Sie die Mehrheit im Deutschen
Bundestag haben, machen Sie falsche Politik.
({43})
Das ist die Bilanz: insgesamt fünf Jahre - zwei Jahre Bundesratmehrheit, drei Jahre Regierung - zum Schaden
Deutschlands!
({44})
Deshalb, Herr Riester, teile ich die Meinung des Kollegen Fuchtel: Wir müssten aus parteipolitischen Gründen
eigentlich ein Interesse daran haben, dass wir Sie bis zum
September behalten. Aber das beste Beschäftigungsprogramm für Deutschland wäre, dieser Arbeitsminister
würde seinen Job verlieren. Verlassen Sie sich darauf,
meine Damen und Herren: In den nächsten Monaten werden wir alles dafür tun, dass Sie Ihren Job verlieren, damit in Deutschland wieder gute Arbeits- und Sozialpolitik
gemacht wird.
({45})
Ich erteile das Wort
Bundesminister Walter Riester.
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ({0}): Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Horst
Seehofer, machen Sie sich mal keine Sorgen um meinen
Job. Wenn Sie meinen, mir ein erotisches Verhältnis zu
Paragraphen vorwerfen zu müssen, so haben Sie gerade
dokumentiert, dass Sie ein erotisches Verhältnis zu Katastrophenberichten haben.
({1})
Ein Deutschland, wie Sie es schildern, möchte ich nicht.
Das erinnert mich an Sonthofen. Wir werden einiges dafür
tun, dass Sie dieses Deutschland nicht so herrichten können, wie Sie es im Moment schildern. Da können Sie ganz
sicher sein.
({2})
Nun komme ich zur Wirklichkeit, zu unserer Haushaltspolitik, zur Arbeitsmarktpolitik, zur Rentenpolitik,
zur Politik für die Menschen in diesem Lande.
({3})
Der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, den wir heute besprechen, ist in der Tat der
größte Einzelplan. Damit zeigt diese Regierung auch,
dass ihr Soziales am meisten am Herzen liegt. 180 Milliarden DM setzen wir für die großen Bereiche Arbeitsmarkt, Politik für behinderte Menschen, Sozialpolitik ein.
Ich werde mit der Situation auf dem Arbeitsmarkt,
der in den Diskussionen der letzten Tage - zu Recht,
denke ich - große Bedeutung beigemessen wurde, beginnen. Zunächst wiederhole ich ein Zitat, das gestern Herr
Westerwelle brachte. Er hat den Kanzler an seine Aussage
im „Spiegel“ und an seine Regierungserklärung erinnert,
aus der ich zitiere:
Wir wollen uns jederzeit - nicht erst in vier Jahren daran messen lassen, in welchem Maße wir zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beitragen.
Sie kennen mich wahrscheinlich als einen Politiker, der
zu den Worten der Regierung steht; deswegen will ich die
Bilanz ziehen, und zwar nicht nebulös, Herr Niebel,
({4})
sondern auf der Basis von Fakten und Zahlen. Woran lassen wir uns messen? Zuerst einmal möchte ich auf Folgendes hinweisen: Wir stehen in Konkurrenz zu einer abgewählten Regierung.
({5})
Betrachten wir, wie sich die Arbeitslosigkeit während der
letzten Legislaturperiode, in der Sie regiert haben, entwickelt hat.
({6})
- Jetzt wird diese Gruppe nervös. ({7})
Wie hat sich die Arbeitslosigkeit entwickelt? 1995 gab es
3,6 Millionen Arbeitslose; das entsprach einer Arbeitslosenquote von 9,4 Prozent. 1998 - das Jahr, in dem Sie abgewählt worden sind - lag die Zahl der Arbeitslosen im
Jahresdurchschnitt bei 4,3 Millionen; das entspricht einer
Arbeitslosenquote von 11,1 Prozent.
({8})
Das mussten wir übernehmen.
({9})
Ich wiederhole: Damals gab es 4,3 Millionen Arbeitslose.
Nun ziehen wir Bilanz:
({10})
- Das hören Sie vielleicht nicht gern, Frau Schwaetzer. Heute haben wir 424 000 Arbeitslose weniger. Die Arbeitslosenquote ist von 11,1 Prozent - diesen Wert haben
wir übernommen - auf jetzt 9,2 Prozent gesunken.
({11})
Das sind die ersten Fakten, auf die ich hinweisen möchte.
Nächster Punkt: Beschäftigung. 1994, also zu Beginn
der letzten Legislaturperiode, in der Sie regiert haben, lag
die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten
bei 28,2 Millionen. 1998 lag diese Zahl bei 27,2 Millionen. Innerhalb einer Legislaturperiode wurde die Zahl
der Arbeitsverhältnisse also um 1 Million abgebaut.
({12})
Diese Hinterlassenschaft haben wir übernommen. Mittlerweile gibt es 660 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse - es geht nicht um 630-Mark-Jobs mehr. Das ist fürwahr eine Bilanz, mit der wir bei der
nächsten Wahl antreten können.
({13})
Jetzt gehe ich auf den Zwischenruf „Schönung“ ein.
({14})
Dass Sie seinerzeit überhaupt etwas zustande gebracht haben, war eine Fälschung. Das war darauf zurückzuführen,
dass Sie den öffentlich geförderten Arbeitsmarkt im
Jahr 1998 über die Finanzierung von ABM durch Milliardenbeträge aufgebläht haben. Die ganze Republik hat von
„Wahlkampf-ABM“ gesprochen.
({15})
Sie haben es in einem Jahr geschafft - mehr haben Sie
nicht zustande gebracht -, den öffentlich geförderten Arbeitsmarkt auf 520 000 Stellen aufzublähen.
({16})
- Das geschah mit Ihrer Hilfe, Frau Schwaetzer. Die FDP
hat dazu die Hand gereicht.
({17})
Wenn die Zahl derartiger Stellen jetzt noch genauso hoch
wäre, dann läge die Anzahl der registrierten Arbeitslosen
schon jetzt bei unter 3,5 Millionen.
({18})
Das ist die Wahrheit.
({19})
- Ja, da dreht sich dem Horst Seehofer der Magen um. Da
bekommt er einen roten Kopf.
({20})
Zur Bilanz Ihrer Politik gehört natürlich auch die Frage
der Finanzierung. Wir sind in einer Haushaltsdebatte. Sie
konnten diesen Schwindel nur finanzieren, weil Sie in den
letzten vier Jahren Ihrer Regierungszeit den Bundeszuschuss für die Bundesanstalt für Arbeit auf, wenn man es
addiert, 38 Milliarden DM angehoben haben, und zwar
trotz einer starken, von den USA gestützten Konjunktur.
({21})
Man bedenke, dass Sie Milliardenbeträge in den Aufbau
Ost gesteckt und riesige Schulden gemacht haben.
Wir haben in vier Jahren - 1999 bis 2002 - den Bundeszuschuss auf insgesamt 16 Milliarden DM begrenzen
können. Zu unserer positiven Bilanz gehört also, dass wir
den Bundeszuschuss um insgesamt 22 Milliarden DM reduziert haben. Das ist wahre Haushaltspolitik!
({22})
Kollege Riester, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grehn von
der PDS-Fraktion?
Entschuldigung, nein. Ich möchte jetzt im
Zusammenhang vortragen.
({0})
Ich komme nun auf das zu sprechen, was wir für diejenigen Menschen tun, die allein aufgrund von Wirtschaftswachstum noch lange keinen Arbeitsplatz bekommen:
({1})
Jugendliche zum Beispiel, die keinen Hauptschulabschluss haben und die vielleicht ein- oder zweimal vergeblich versucht haben, eine Lehrstelle zu bekommen.
Um diese Jugendlichen haben wir uns gekümmert. Frau
Schwaetzer, ich komme nun auf Zahlen - dafür interessieren Sie sich ja - und auf das JUMP-Programm zu sprechen. Wir haben über dieses Programm in zweieinhalb
Jahren 335 000 Jugendliche erreicht. 250 000 davon sind
zwischenzeitlich in Ausbildung, in Weiterbildung oder im
ersten Arbeitsmarkt.
({2})
Frau Schwaetzer, Sie haben hier die Zahl ins Spiel gebracht, dass davon lediglich 1 000 im ersten Arbeitsmarkt
seien, und sich dabei verlogenerweise noch auf das Arbeitsministerium berufen. Nun will ich Ihnen die Zahlen
nennen: Allein in diesem Jahr haben wir 92 840 Teilnehmer am JUMP-Programm. Nun die genaue Aufschlüsselung: 33 526 haben mithilfe von Lohnkostenzuschüssen
eine Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt allein in diesem Jahr erhalten, 38 500 sind in Ausbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen und 20 400, also das kleinere Drittel, ist in Qualifizierungs-ABM, um den Sprung in den
ersten Arbeitsmarkt schaffen zu können. Das ist JUMP.
({3})
Nun zu einer weiteren Gruppe von Menschen, die unserer Unterstützung bedürfen: Langzeitarbeitslose. Bilanz: Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist in den letzten
zweieinhalb Jahren um 300 000 gesunken.
({4})
Wer weiß, wie schwierig es ist, Menschen, die über
12 Monate arbeitslos sind, in eine Beschäftigung zu vermitteln, kann die Leistung, die dahinter steht, einschätzen.
({5})
Eine weitere Gruppe, die allein durch Wachstum nicht
in Arbeit kommt: Schwerbehinderte. Mit unserem Gesetz
zum Abbau der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter haben
wir die klare Zielmarke verbunden, die unerträglich hohe
Zahl arbeitsloser Schwerbehinderter, die wir von Ihnen
übernommen haben - insgesamt 194 400 schwerbehinderte Menschen waren nämlich 1998 arbeitslos -, um
50 000 abzusenken. Die Zwischenbilanz lautet, dass die
Zahl dieser Arbeitslosen auf 163 900, das heißt um
30 500, abgesenkt werden konnte.
({6})
Dafür gilt unser Dank all den Betrieben, die sich hier aktiv einbringen. Der Dank gilt aber auch all denen in den
Arbeitsämtern, die zusätzliche Stunden leisten und sich
der Sache verschreiben. Das sind die eigentlichen
Leistungsträger. Bei denen können wir uns bedanken.
({7})
Es geht weiter: Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz - ja, da haben Sie völlig Recht - legen wir ab dem 1. Januar die bisher größte Vermittlungsoffensive auf.
({8})
Im Moment werden die Leute geschult, die als Vermittler
eingesetzt werden; es handelt sich dabei um 2 000 zusätzliche Vermittler in den Arbeitsämtern und außerhalb der
Arbeitsämter wird noch einmal die Kapazität von 1 000
Vermittlern eingesetzt.
Nun war die Frage der PDS, wohin denn die Menschen
vermittelt werden sollten. Die Arbeitsämter haben in diesem Jahr insgesamt 3,3 Millionen Menschen vermittelt.
Wir haben im Moment noch 440 000 offene Stellen.
({9})
Die Wirtschaft erklärt - ob das stimmt, weiß ich nicht -,
1,5 Millionen Stellen seien offen. Ich kann dazu nur sagen: Es ist die Pflicht der Wirtschaft, diese auch den Arbeitsämtern zu benennen.
({10})
Eine Vermittlungsoffensive wird nämlich nur dort greifen,
wo offene Arbeitsplätze auch gemeldet werden. Das ist allerdings die Bringeschuld der Wirtschaft.
({11})
Wir werden neben der Vermittlungsoffensive eine
Qualifizierungsoffensive starten. Die ist notwendig, damit ältere Menschen ihre Arbeitsplätze behalten. Das
nämlich ist der zweite große Punkt des Job-Aqtiv-Gesetzes: Wir bieten Qualifizierungsmaßnahmen für über
50-Jährige in Betrieben mit bis zu 100 Beschäftigten an.
Sie bekommen dafür auch finanzielle Unterstützung von
der Bundesanstalt für Arbeit. Das ist Mittelstandsförderung in der Arbeitsmarktpolitik. Wir schwätzen nicht nur
darüber, sondern machen konkret etwas.
({12})
- Das war ein schöner Zwischenruf der Frau Schwaetzer.
Sie sagt, das alles sei ihr noch zu wenig. Sie hat vorhin gesagt: „Und das bisschen nennen Sie Reform?“
({13})
Wie Sie das nennen, Frau Schwaetzer, ist mir ziemlich
egal. Ich will Ihnen aber sagen, wie das Volk Ihre Politik
1997 genannt hat. Das Wort des Jahres 1997 war „Reformstau“.
({14})
So hat das Volk Ihre Politik genannt. Dafür sind Sie abgewählt worden.
({15})
Dafür, meine Damen und Herren, dass Sie sich erneut
gegen die Steuerreform, gegen die Rentenreform und gegen die Arbeitsmarktreform stellen, werden Sie nicht
mehr wiedergewählt;
({16})
denn die Menschen wollen Reformen. Sie wollen keine
Opposition, die nur dasitzt und schreit, aber nichts tut.
({17})
Herr Seehofer, angesichts der wirklich katastrophalen
Bilanz, die Sie abgeliefert haben, werden Sie sicherlich
verstehen, dass wir Ihre Vorschläge nicht gerne aufnehmen.
({18})
Ich komme nun zum zweiten wichtigen Politikbereich,
und zwar zur Politik für behinderte Menschen. Ich habe
das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter angeführt. Ich bedanke mich nochmals für
das, was wir damit für die Integration Schwerbehinderter geschafft haben. Insgesamt konnten rund
110 000 Schwerbehinderte in dieser kurzen Zeit vermittelt werden.
({19})
Den großen Bereich der Rehabilitationsmaßnahmen
haben wir über das Sozialgesetzbuch IX für behinderte
Menschen so servicefreundlich geregelt, dass sich der behinderte Mensch nicht mehr wie früher herumstreiten
muss, wer seine Maßnahmen bezahlt, sondern dass die
Maßnahme für ihn konkret organisiert wird. Das ist wahre
Unterstützung für behinderte Menschen. Das Gleichstellungsgesetz, das wir eingebracht haben, wird der dritte
große Wurf einer umfassenden Politik für Menschen mit
Behinderungen.
({20})
Damit, meine Damen und Herren, komme ich zur dritten großen Säule, und zwar zur Rentenversicherung. Ich
erinnere mich noch daran, welche Vorwürfe erhoben wurden, als wir für das zusätzliche Element, die Kapitaldeckung, Mindestvoraussetzungen in das Gesetz schrieben. Jetzt schreit die ganze Truppe: Welche Vorkehrungen
habt ihr denn für den Fall getroffen, dass die Versicherungsunternehmen kommen? Genau deswegen haben wir
die Mindestvoraussetzungen festgeschrieben und im Gesetz festgelegt, dass jedem mindestens seine Einzahlung
gesichert bleibt und dass jeder anschließend eine monatliche Zusatzrente bekommt.
Die Dynamik, die sich jetzt am Markt entwickelt, stellt
sich wie folgt dar: Zwischenzeitlich sind mehr als 70 Tarifverträge für mehr als 10 Millionen Menschen abgeschlossen, die dieses Element aufnehmen. Wir werden
eine Renaissance der betrieblichen Altersvorsorge erleben, wie es sie noch nie gegeben hat. Betriebliche Altersvorsorge war in den 16 Jahren Ihrer Arbeit ein Auslaufmodell. Jetzt wird nicht nur in Großbetrieben, sondern
auch in Tausenden von Kleinbetrieben die Einrichtung betrieblicher Altersvorsorge erfolgen. Wäre man das, was
wir gemacht haben, vor 15 Jahren angegangen, dann würden die Leute ganz anders dastehen, weil sie schon heute
zusätzlich zu ihrer Sozialversicherungsrente eine zweite
Säule hätten.
({21})
Nun komme ich zur Rentenanpassung, zu der Herr
Seehofer Rechnungen angestellt hat, die bloß amüsieren.
({22})
- Herr Seehofer, gehen wir doch einmal die Zahlenreihen
durch und schauen uns die Rentenanhebungen der letzten
vier Jahre, in denen Sie regiert haben, an: 1995 waren es
0,5 Prozent, 1996 0,9 Prozent, 1997 1,6 Prozent und
1998 0,4 Prozent.
({23})
Addiert ist das eine Rentenanhebung von rund 3,5 Prozent in vier Jahren. Nun schauen wir uns an, was Sie kritisiert haben: 1999 waren es 1,3 Prozent, 2000 0,6 Prozent, 2001 1,9 und 2002 höchstwahrscheinlich rund
2 Prozent. Addiert sind das 5,8 Prozent. Herr Seehofer,
jetzt müssen Sie einem Rentner einmal klarmachen, dass
die 5,85 Prozent, um die wir die Renten erhöht haben,
weniger sind als die rund 3,5 Prozent, um die Sie die Renten erhöht haben.
Nun hat uns Herr Seehofer weismachen wollen, die
Sozialversicherungsabgaben seien aufgebläht wie nie zuvor. Übernommen haben wir von diesen feinen Herren
Sozialversicherungsbeiträge von - das möchte ich betonen - 42,1 Prozent. Nun bezeichnet Herr Seehofer die von
uns erreichten 41 Prozent als aufgebläht wie nie zuvor.
Herrlich!
({24})
Nun komme ich zu dem wichtigen Punkt der Schwankungsreserve. Herr Westerwelle hat uns da gestern die
nassforschen Sätze gesagt - ich zitiere ihn -:
Ich stelle mir einmal vor, die alte Regierung wäre an
die Schwankungsreserve so herangegangen, wie Sie
- also wir das jetzt tun. Das hätte zu einem Aufstand auf der linken Seite dieses Hauses geführt, aber davon wollen
Sie auch nichts mehr wissen.
({25})
Sie irren sich; wir wollen davon sehr wohl etwas wissen.
({26})
Deswegen sage ich Ihnen jetzt, wie es mit der Schwankungsreserve war: 1996 haben in der Schwankungsreserve 9,5 Milliarden DM gefehlt, 1997 ebenso und 1998
8,4 Milliarden DM.
({27})
Das bedeutet: Über drei Jahre hinweg haben Sie das Volk
belogen. Das hätte ich Ihnen nicht durchgehen lassen,
wenn ich zu dieser Zeit schon hier gesessen wäre.
({28})
Der Rentenversicherungsbeitrag war künstlich um
0,5 Prozentpunkte heruntergerechnet worden. Ihre Politik
war: tricksen und täuschen, tricksen und täuschen und
noch einmal tricksen und täuschen.
({29})
Das gibt es bei uns nicht! Wir wollen klare Verhältnisse.
({30})
In Abstimmung mit den Rentenversicherungsträgern
werden wir die Schwankungsreserve auf das 0,8-fache einer Monatsausgabe der Rentenversicherung einpendeln.
({31})
Nicht Sie haben die Schwankungsreserve aufgefüllt, sondern wir.
({32})
Wir haben die Rücklagen im Jahre 2000 um 10 Milliarden DM und in diesem Jahr um 9 Milliarden DM aufgefüllt.
({33})
- Herr Seehofer, darauf gehe ich gerne ein: Die Rücklagen liegen jetzt 9 Milliarden DM höher als die, die wir von
Ihnen übernommen haben. Selbst im nächsten Jahr werden wir bzw. die Rentner 6,7 Milliarden DM mehr haben,
als wir von Ihnen übernommen haben. Darüber bin ich
froh.
({34})
Wir machen eine Politik der Solidität und legen einen
soliden Haushalt vor. Dadurch wird endlich aufgezeigt,
dass diejenigen, die uns jetzt ein katastrophales Bild unterstellen,
({35})
eine Katastrophe hinterlassen haben, und wie die Alternative einer ehrlichen Politik ausschaut.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
({36})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Klaus Grehn, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Bundesarbeitsminister,
ich gestatte mir eine Vorbemerkung: Nach meiner Auffassung ist es unangemessen und nicht Aufgabe eines Ministers, eine vor drei Jahren abgewählte Regierung zu
kritisieren, statt auf den Haushalt des Jahres 2002 näher
einzugehen.
({0})
Die Situation ist ernst genug. Das zu erwartende Ergebnis
wird zeigen, dass man sich darauf konzentrieren muss,
darzustellen, was zu tun ist.
Herr Bundesarbeitsminister, meine konkrete Frage: Sie
haben die Mittel für die Bundesanstalt für Arbeit um
4 Milliarden DM aufgestockt. Das entspricht nach Auskunft der Bundesanstalt für Arbeit der Höhe der Mittel,
die für das Arbeitslosengeld und die Arbeitslosenhilfe der
neu hinzukommenden 400 000 Arbeitslosen aufgebracht
werden müssen; für 100 000 Arbeitslose müssen nämlich
1 Milliarde DM angesetzt werden. Sie haben also für diese
zusätzlichen 400 000 Arbeitslosen - wahrscheinlich werden es mehr werden; das ist jetzt schon abzusehen - nicht
eine müde Mark für den Bereich der Arbeitsförderung ich nenne das Job-Aqtiv-Gesetz und die Eingliederungspläne - übrig. Es gibt zwar eine Aufstockung der Stellen
bei der Bundesanstalt für Arbeit aufgrund des Job-AqtivGesetzes. Dabei sind die 400 000 zusätzlichen Arbeitslosen aber nicht berücksichtigt.
Ich frage Sie deshalb: Können Sie erklären, wie diese
Maßnahmen angesichts von 400 000 weiteren Arbeitslosen - wahrscheinlich werden es mehr sein - finanziert
werden sollen?
Herr Minister, Sie haben Gelegenheit zur Antwort.
({0})
Herr Grehn, zunächst eine kurze Bemerkung. Sie müssen schon mir überlassen, ob ich den Maßstab für den Erfolg meiner Politik auch an die Politik der
alten Bundesregierung anlege, die versagt hat und deshalb
abgewählt wurde.
({0})
Das habe ich in meiner Rede zum Haushalt getan. Ich
habe in diesem Zusammenhang aufgezeigt, was wir machen und was wir in Zukunft machen werden.
({1})
Nun komme ich zu Ihrer Frage. Der Bundeszuschuss in
Höhe von 4 Milliarden DM, 2 Milliarden Euro, ist erforderlich geworden, weil wir Mehrausgaben für die zu erwartenden zusätzlichen Arbeitslosen haben, was vor einem Jahr noch nicht unterstellt werden konnte.
({2})
Die Maßnahmen für die aktive Arbeitsmarktpolitik sind
nicht eingeschränkt worden.
Man muss sehen, dass wir das Volumen der Maßnahmen konstant lassen, obwohl wir schon in einem ganz erheblichen Maße die Reduzierung derArbeitslosigkeit, wie
ich aufgezeigt habe, realisiert haben. Der Mitteleinsatz,
den wir erbringen, ist also deutlich gesteigert worden.
({3})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dirk Niebel, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr BundesarbeitsmiBundesminister Walter Riester
nister, mit Tricksereien und Taschenspielertricks werden
Sie nicht davon ablenken können, dass Sie es vermurkst
und verriestert haben und dass Sie im Endeffekt Ihre gesamten Wahlversprechen nicht erreicht haben. Sie haben
im Bereich der Arbeitsmarktpolitik komplett versagt.
({0})
Seit Beginn dieser Legislaturperiode erzählen Sie immer nur, was für eine schlimme Erbschaft Sie übernommen haben. Es hat Sie keiner gezwungen, diese Erbschaft
anzutreten. Sie haben das gewollt. Nun klagen Sie auf hohem Niveau. Sie regieren aber seit über drei Jahren und
müssen sich an Ihren Taten messen lassen, die Sie in Ihrer Regierungszeit nicht zustande gebracht haben.
Sie haben von Anfang an gesagt, das wichtigste Ziel sei
der Abbau der Arbeitslosigkeit. Ich komme nachher noch
auf den Bundeskanzler und sein Interview im „Spiegel“
seinerzeit zurück. Ihre gesamten Gesetzgebungsverfahren
haben nicht dazu beigetragen, Arbeitsplätze zu schaffen
und Arbeitslosigkeit abzubauen. Sie haben hier zwar eine
tolle Statistik vorgetragen. Aber Sie haben vergessen, dass
wir im Saldo 675 000 Abgänge aufgrund der demographischen Entwicklung hatten.
({1})
Jedes Jahr verlassen mehr Menschen den Arbeitsmarkt,
als neu hinzukommen.
({2})
Das verkaufen Sie uns hier als Ihren Erfolg.
Herr Bundesarbeitsminister Riester, Sie haben nicht
berücksichtigt, dass Sie weit über zwei Jahre eine hervorragend brummende Konjunktur gehabt haben,
({3})
die darüber hinweg getäuscht hat, dass Sie in der Arbeitsmarktpolitik kläglich versagt haben.
({4})
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat
am Anfang der Woche zu dem von Ihnen viel gepriesenen
Teilzeitpflichtgesetz eine Umfrage veröffentlicht, wonach
250 000 Arbeitsplätze nicht geschaffen worden sind. Dieses Gesetz führt dazu, dass vor allem wieder Frauen diskriminiert werden;
({5})
denn 87 Prozent aller Teilzeitbeschäftigten sind nun einmal Frauen.
({6})
Wenn jemand, der einen Arbeitsplatz anzubieten hat,
Gefahr läuft, dass ein potenzieller neuer Arbeitnehmer
oder neue Arbeitnehmerin nach sechs Monaten Vollzeitarbeit einen Teilzeitarbeitsplatz gesetzlich durchsetzen
und vor Gericht einklagen kann, dann überlegt man sich
doch zweimal - gerade weil es in vielen Bereichen einen
Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel gibt -, ob man diese
Arbeitnehmer einstellt.
({7})
Dieses vielleicht gut gemeinte Gesetz zum Schutz von
Frauen richtet sich also vor allem wieder gegen diejenigen, die Sie eigentlich schützen wollen. Das zieht sich wie
ein roter Faden durch Ihre gesamten Schutzgesetze.
Sie haben es nicht geschafft, die Sozialversicherungsbeiträge deutlich zu senken. Wir werden im nächsten Jahr
wieder über 41 Prozent liegen. Sie haben auch bei diesem
Wahlversprechen kläglich versagt. Das liegt unter anderem daran, dass Sie die Arbeitslosenversicherung immer
wieder mit gesamtgesellschaftlichen Aufgaben belastet
haben.
({8})
Das so genannte JUMP-Programm, von dem Sie erzählen, dass es der große Renner sei, hat gemäß Ihrem
wissenschaftlichen Begleitbericht nur 1 000 Menschen
in den ersten Arbeitsmarkt gebracht. Die Zahlen, die Sie
hier angeführt haben, sind kurzfristige Maßnahmen von
bis zu einem Jahr, die nicht dauerhaft in den ersten Arbeitsmarkt integrieren. Das ist eine Monstranz, die Sie vor
sich hertragen!
({9})
Ihr Sachverständigenrat hat Ihnen vorgeworfen, dass
ohne weitere Reform und Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt kein positives Ergebnis erzielt werden kann.
Sie haben alles getan, um nicht zu flexibilisieren. Sie haben alles getan, um weitere bürokratische Hemmnisse
aufzubauen. Das ist die funktionärische Mitbestimmung,
die nicht dazu führt, dass die Betriebe tatsächlich in die
Lage versetzt werden, ihre Mitarbeiter zu beteiligen, sondern nur dazu, dass die Wahlkampfunterstützung des
Deutschen Gewerkschaftsbundes von 50 Millionen DM
zurückgezahlt wird.
({10})
Sie haben mit der so genannten Greencard eine Saisonarbeiterlösung für Menschen geschaffen, die nicht
Spargel stechen müssen. Diese Patchworkpolitik setzen
Sie jetzt mit der von Ihnen angekündigten Greencard für
Pflegekräfte fort. Es ist natürlich bemerkenswert, dass wir
diese Stellen bei 22 000 arbeitslos gemeldeten Pflegekräften nicht besetzen können. Aber besonders bemerkenswert ist ein ganz anderer Umstand, Herr Riester: Sie
wollen mit Touristenvisum eingereiste Menschen, die illegal beschäftigt sind, legalisieren; aber diejenigen, die
legal in diesem Land sind, die sich hier aufhalten dürfen,
die Sozialleistungen beziehen müssen, weil sie nicht arbeiten dürfen, wollen Sie nicht legalisieren. Das müssen
Sie erst einmal jemandem erklären.
({11})
Wir haben - damit komme ich auch noch zu den Grünen, die wahrscheinlich ihre letzte Haushaltsberatung als
Regierungsfraktion hier erleben - im Bereich des Niedriglohnsektors und bei den Kombilöhnen keine Fortschritte erzielt.
({12})
Nur, weil Ihr Bundesvorsitzender jetzt durch die Gegend
läuft und das Einstiegsgeld fordert, heißt das noch lange
nicht, dass Sie in diesem Bereich irgendetwas Konstruktives getan hätten.
({13})
Hätten Sie das gewollt, dann hätte er, als er noch im Landtag von Baden-Württemberg saß, die Einführung des Einstiegsgeldes dort unterstützen können. Jetzt läuft er durch
seinen neuen Wahlkreis - zu dem er nur den Bezug hat,
dass seine Frau in Heidelberg studiert hat - und weiß noch
nicht einmal, dass das Einstiegsgeld von Baden-Württemberg in diesem Wahlkreis bereits seit über einem Jahr
erfolgreich erprobt wird, eingeführt von der CDU/FDPRegierung in Baden-Württemberg, ein erfolgreiches Konzept, durch das Menschen aus der Transferleistung in den
Arbeitsmarkt geführt werden und mit der Kombination
von Arbeitseinkommen und eingesparter Sozialversicherungsleistung ein existenzsicherndes Einkommen erreichen.
({14})
Insgesamt muss man angesichts der Bilanz feststellen
- diese letzte Haushaltsberatung ist sozusagen die Bilanz
Ihrer Regierungszeit -, dass Sie das Hauptziel Ihrer Regierung nicht erreicht haben - auch wenn Sie immer so
tun, als wenn Sie gar nicht in der Lage wären zu entscheiden. Sie hätten regieren können, Sie hätten handeln
können und Sie hätten tatsächlich etwas bewegen können,
wenn Sie den Mumm dazu gehabt und sich nicht auf die
alte Linke verlassen hätten, sondern tatsächlich Politik für
die Neue Mitte gemacht hätten.
Der Bundeskanzler hat am 21. September 1998 im
„Spiegel“-Interview gesagt - damit komme ich zum
Schluss -: Wenn wir es nicht schaffen, die Arbeitslosenzahlen signifikant zu senken, dann haben wir es nicht verdient, wiedergewählt zu werden, und dann werden wir
auch nicht wiedergewählt werden. - Ich muss Ihnen sagen: Recht hat er, der Bundeskanzler!
({15})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Katrin Göring-Eckardt
von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Niebel, dann machen wir das doch einmal, dann
lassen wir uns doch einmal an den Taten messen und ziehen eine Bilanz bzw. schauen uns an, was der Sachverständigenrat als Zwischenbilanz dieser Regierung gezogen hat.
Der Sachverständigenrat hat zu Recht gesagt, das
drängendste Problem sei die Situation auf dem Arbeitsmarkt und hierfür müssten vernünftige Rahmenbedingungen geschaffen werden.
({0})
Das sieht diese Regierung genauso.
({1})
Der Sachverständigenrat nennt dafür Bedingungen. Er
sagt, dass das Abschneiden im Standortwettbewerb im internationalen Vergleich für Deutschland das Entscheidende sei.
({2})
Weiter kann man im Gutachten des Sachverständigenrates lesen: Die Weichenstellungen dieser Regierung im
Bereich Steuerreform und im Bereich Rentenreform sind
zukunftsweisend. - Auch das müssen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, wenn Sie sich hier auf solche unabhängigen
Gutachten berufen.
({3})
Der entscheidende Punkt in dieser Frage ist und bleibt
die Beitragssatzentwicklung und die Frage der Lohnnebenkosten. Da sind wir wahrscheinlich nach wie vor einig. Ich höre von Ihnen seit Jahren - seit wir an der Regierung sind - nur eines: Es ist zu wenig. Sie machen
keine eigenen Vorschläge.
({4})
Während Ihrer Regierungszeit habe ich aber nur eines erlebt:
({5})
Sie haben darüber geredet und die Beiträge sind immer
weiter gestiegen. Hier hat die Regierung einen Kurswechsel vorgenommen. Das haben Sie zur Kenntnis zu
nehmen.
({6})
Wenn wir uns das Gutachten des Sachverständigenrats
noch einmal genauer anschauen, dann sehen wir, dass er
die Steuer- und Rentenreform als „effizienzsteigernd“
und „zukunftsweisend“ für den Produktionsstandort
Deutschland bezeichnet. Es geht um eine nachhaltige
Unterstützung des Arbeitsmarktes durch die Senkung der
Lohnnebenkosten. Das ist die Antwort der Bundesregierung auf das, was in dieser Situation konjunkturell notwendig ist.
Der Sachverständigenrat hat zu Recht gesagt, dass
kurzfristige Maßnahmen es nicht bringen werden.
Durch sie können keine weiteren Reformen eingeläutet
werden. Es ist richtig, dass die Bundesregierung nichts
anderes machen kann, als im Bereich des Arbeitsmarkts Rahmenbedingungen zu setzen. Für die Schaffung von Arbeitsplätzen muss nach wie vor die Wirtschaft sorgen.
({7})
Die Bundesregierung ist nicht für Wunder zuständig;
Walter Riester ist nicht Jesus Christus. Auch wenn Sie hier
vom Weihnachtsmann reden, müssen Sie das zur Kenntnis nehmen.
({8})
Es ist deshalb richtig, dass wir mit dem Angreifen der
Schwankungsreserve deutlich gemacht haben, dass die
Senkung der Lohnnebenkosten weiterhin ein zentrales
Anliegen der Regierung ist. Es gibt in der Tat einen Unterschied zu dem, was Sie vor den letzten Wahlen hier veranstaltet haben. Auch Sie haben gesagt, dass Sie an die
Schwankungsreserve herangehen würden. Der Unterschied besteht aber darin, dass wir ohne Trickserei ein
transparentes Gesetz machen.
({9})
Wir machen es für alle Menschen in diesem Land durchschaubar und wir sichern ab.
({10})
Sie haben Wahl-ABM gemacht und Trickserei betrieben.
Wir stellen die Weichen langfristig.
Deswegen haben wir mit den Rentenversicherungen
und allen Sachverständigen darüber geredet, wie wir eine
tatsächlich seriöse Absenkung der Schwankungsreserve
erreichen können, ohne dass die Rentenversicherung in
Liquiditätsschwierigkeiten kommt,
({11})
wie dies während Ihrer Regierungverantwortung, Frau
Schwaetzer, tatsächlich geschehen ist.
({12})
Ich kann Sie gerne daran erinnern: Mit 0,58 Monatsausgaben hat die Schwankungsreserve in den Jahren 1996
und 1997 ihren Tiefstand erreicht. Ich erinnere Sie auch
gerne daran, wie das in den Jahren 1984 und 1985 war.
({13})
Zu dieser Zeit musste ein Kassenverstärkungskredit aufgenommen werden, damit die Liquidität gewährleistet
werden konnte. Auch in den Jahren 1996 und 1997 betrug
die Schwankungsreserve nur 60 Prozent; wenn man nur
die liquiden Mittel nimmt, sogar nur 50 Prozent. Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen. Das haben Sie ohne
eine gesetzliche Regelung gemacht. Sie haben auch nicht
deutlich gemacht, wie hier tatsächlich die Liquidität abgesichert werden kann.
Ich glaube, dass wir mit der Rentenreform nicht nur aktuell, sondern - schauen Sie sich die Situation an! - auch
über viele Jahre hinaus deutlich gemacht haben, welch hohen Stellenwert die Lohnnebenkosten für uns, für die
Wirtschaft und für diese Regierung haben. Deswegen haben wir gesagt, dass die Beitragssatzmarken von 20 Prozent bis zum Jahre 2020 und von 22 Prozent bis zum
Jahre 2030 nicht überschritten werden dürfen.
({14})
- Nein, es ist heute keine Makulatur. - Wir haben hiermit
deutlich gemacht, wo für uns die Grenze liegt, und wir haben es gesetzlich festgelegt. Alle Prognosen - auch die
schlechten, die Sie immer anführen - geben uns hierbei
weiterhin Recht.
({15})
Herr Seehofer, in einem gebe ich Ihnen Recht: Das alles ist nicht das Ende der Reformen. - Man muss, wenn
man sich anschaut, welches Desaster Sie uns hinterlassen
haben, schon sagen, dass man das alles nicht innerhalb
von drei Jahren reparieren kann. Das werden Sie uns zugestehen. Natürlich sind weitere Reformen notwendig; sie
stehen an. Wir haben gute Grundlagen dafür gelegt und
werden die Reformen fortführen.
Es braucht weitere Reformen im Bereich des Arbeitsmarktes, zum Beispiel zur Flexibilisierung. Herr Niebel
ist jetzt leider nicht mehr da. Der Unterschied zwischen
der Flexibilisierung, die die FDP vorgibt, und der, die
diese Bundesregierung vorsieht, besteht darin, dass Sie
gegen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer flexibilisieren wollen, während wir dies für und mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wollen. Das ist der
tatsächliche Unterschied.
({16})
Hinzu kommt natürlich, dass wir weitere Reformen im
Bereich der Steuern und der Rente brauchen. Diese Reformen werden wir angehen, aber nicht mit dem Gerede,
welches Sie nach Ihrer Regierungszeit von 16 Jahren - in
diesen Jahren haben wir steigende Beiträge, die WahlABM und das Gequatsche von der sozialen Hängematte
erlebt - immer wiederholen. Wir werden sie für die Menschen machen und nicht gegen sie. Das ist der Unterschied.
Vielen Dank.
({17})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Pia Maier von der PDSFraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Im Armuts- und Reichtumsbericht hat
die Bundesregierung festgestellt, dass in Deutschland bis
1998 in fast allen Lebenslagen soziale Ausgrenzung zugenommen und Verteilungsgerechtigkeit abgenommen
hat. Wenn Sie daran in den letzten drei Jahren etwas geändert hätten, müsste man das eigentlich an diesem Haushalt
sehen. Die Reden zum Haushalt vonseiten der SPD waren
aber, abgesehen vom Minister, durch die Reden von Haushältern und nicht von Sozialpolitikern und Sozialpolitikerinnen bestimmt. Meine These ist: Dieser Haushalt wird
die soziale Schieflage noch verstärken.
({0})
Die meisten Menschen bekommen Sozialhilfe, weil sie
arbeitslos sind und ein zu geringes Einkommen haben.
Aber auch Menschen, die arbeiten, sind in zunehmendem
Maße auf eine ergänzende Sozialhilfe angewiesen, nämlich jene, die zu wenig verdienen. Dies ist vor allem im
Osten der Fall, und das trotz Vollzeiterwerbsarbeit. Ihre
Antwort darauf ist nicht etwa ein gesetzlicher Mindestlohn. Vor allem die Grünen wollen neue Kombilohnmodelle und den Ausbau des Niedriglohnsektors, anstatt Arbeit zu schaffen, von der die Menschen leben können.
In Ihren Absichtserklärungen sind die Menschen mit
Behinderungen für Sie immer sehr wichtig. Aber auch sie
sind - das ist im Armutsbericht wissenschaftlich nachgewiesen - von Armut betroffen.
Sie haben mehrere Gesetze zur Gleichstellung eingebracht, bei denen aber die Finanzierung ebenso wie beim
Job-Aqtiv-Gesetz offen bleibt. Auch beim neuen Gleichstellungsgesetz ist die Finanzierung nicht geklärt.
Wer hat dann zum Beispiel die Mehrausgaben für die
Herstellung der Barrierefreiheit zu tragen? Das sind, wie
so oft, die Kommunen. Sie finanzieren die Arbeitslosigkeit mit, bekommen immer weniger Einnahmen aus der
Gewerbesteuer, werden zuerst ausgeblutet, wenn die
Steuereinnahmen zurückgehen. Trotzdem bemühen sich
wenigstens die Kommunen darum, einer der am meisten
von Armut und Sozialhilfe betroffenen Gruppe zu helfen:
den allein stehenden Frauen mit Kind. Mittlerweile reden
wir schon vom „Armutsrisiko Kind“; das ist doch wirklich ein Armutszeugnis für diese Gesellschaft.
({1})
Frauen mit Kindern bekommen Kindergeld. Für
Sozialhilfeempfängerinnen ist das aber bereits das Problem. Das Kindergeld wird nämlich als Einkommen gewertet. Von der Kindergelderhöhung, mit der Sie sich so
brüsten, kommt bei diesen Frauen fast nichts an. Für sie
stellt dies keine Veränderung ihrer Einkommenssituation
dar. Es bedeutet nur, dass das Sozialamt jetzt weniger zahlen muss, weil der Bund einen Teil davon übernimmt. Von
der schönen Kindergelderhöhung sind bei den Sozialhilfeempfängern und Sozialhilfeempfängerinnen mit Kindern per Ausnahmeregelung gerade einmal 20 DM im
Monat angekommen. Immerhin wird diese Regelung verlängert. Damit aber flicken Sie nur an einer ungerechten
Regelung, ohne das System wirklich zu verändern.
({2})
Dabei könnten Sie ein existenzsicherndes Kindergeld
einführen. Sie könnten die steuerlich wirksamen Kinderfreibeträge abschaffen, die insbesondere denen zugute
kommen, die viel verdienen. Im Gegenzug könnten Sie
das Kindergeld deutlich erhöhen oder eine Grundsicherung für Kinder einführen. Nichts dergleichen ist passiert.
({3})
Sie selbst haben doch einen Weg eingeschlagen, den
Sie nur weitergehen müssten: Die Grundsicherung kann
funktionieren. Bei der Rentenreform haben Sie eine
Grundsicherung beschlossen, die die Rente in Höhe der
Sozialhilfe sichert, und zwar ohne weitere Amtsgänge und
ohne dass die Kinder im Zweifelsfall zahlen müssen.
Die PDS-Fraktion schlägt vor, eine solche Grundsicherung auch in der Arbeitslosenversicherung einzuführen.
Für alle Arbeitslosen soll gelten, dass sie in die Arbeitslosenversicherung gehören und ihnen Leistungen in Höhe
der Sozialhilfe zustehen. Welcher Topf angezapft werden
soll, das können die Ämter untereinander klären. Dieser
bescheidene Schritt wäre endlich ein Signal an Arbeitslose
und an arbeitslose Sozialhilfeberechtigte, dass ihre Situation wirklich grundsätzlich verändert werden soll.
({4})
Armut und Ausgrenzung sind ohne deutliche Korrekturen in der Sozial- und Finanzpolitik nicht zu bewältigen.
Sie rühmen sich ja damit, dass Sie auch einen Reichtumsbericht vorgelegt haben. Wenn Sie daraus nur endlich
einmal Konsequenzen ziehen würden!
Ich möchte nur ein Beispiel nennen: 10 Prozent der
deutschen Haushalte besitzen 42 Prozent des gesamten
Privatvermögens. Durch die Aussetzung der Vermögensteuer gehen jährlich 9 Milliarden DM Steuereinnahmen
verloren. Die IG Metall hat jüngst sogar ausgerechnet,
dass es bei einer Vermögensteuer von 1 Prozent zu Mehreinnahmen in Höhe von 10 bis 15 Milliarden Euro kommen würde. Ohne diese großen Vermögen heranzuziehen,
wird nie genug für eine Verteilungspolitik von oben nach
unten bleiben.
Genauso haben Sie eine Initiative der Länder ausgeschlagen, die Erbschaftsteuer zu verändern. In den nächsten Jahren werden reichlich große Vermögen vererbt. Sie
könnten die großen Vermögen, insbesondere die großen
Immobilienvermögen, anders besteuern, um dadurch Einnahmen zu erzielen, die Sie dann zur Finanzierung einer
Verteilungspolitik einsetzen könnten. Die Bezieher höherer Einkommen müssen in die Finanzierung der sozialen
Sicherheit einbezogen werden, sonst werden all Ihre Renten- und Arbeitslosenversicherungsreformen Stückwerk
bleiben und das System nicht grundlegend verändern.
Sie wollen hier eine Haushaltskonsolidierung auf Kosten der Ärmsten verabschieden. Unsere Unterstützung erhalten Sie dafür nicht.
({5})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Renate Jäger von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Vorsitzende der CDU-Partei bePia Maier
gann ihre Rede gestern im Bundestag mit dem Vorwurf an
die Regierungsseite, keinen einzigen neuen Gedanken zu
haben. Auch Herr Fuchtel hat unentwegt neue Wege eingefordert.
Ich habe mir erlaubt, einmal in dem Diskussionspapier
der CDU von Ende August, das also recht jung ist, mit
dem Titel „Neue Soziale Marktwirtschaft“ nach neuen
Gedanken im sozial- und arbeitsmarktpolitischen Bereich
zu suchen: In dem Abschnitt „Arbeit für alle ermöglichen“ kommen solche Vorschläge wie: Der Beschäftigte
muss auf dem Arbeitsmarkt Risiken eingehen. Es sollten
die Zehnstundentagesgrenze der Arbeitszeit abgeschafft
und mehr Öffnungsklauseln durch die Tarifpartner vereinbart werden können. Das neue Betriebsverfassungsgesetz soll zurückgenommen und quasi ganz außer Kraft
gesetzt werden. Der Kündigungsschutz wird infrage gestellt und befristete Arbeitsverhältnisse sollen bis auf vier
Jahr ausgedehnt werden können.
Dies sind allesamt Vorhaben, von denen nicht eines den
Beweis erbracht hat, dass dadurch mehr Arbeitsplätze entstehen. Und neu sind diese Vorhaben schon gar nicht. Im
Gegenteil: Das ist ein Zeichen für die alte ungerechte Deregulierungspolitik aus der Zeit vor 1998, die mit uns so
nicht zu machen ist.
({0})
Die Forderung der CDU in ihrem Papier, Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger durch Weiterqualifizierung und effektive Vermittlung wieder in den ersten
Arbeitsmarkt einzugliedern, ist richtig, aber neu ist sie
nicht. Wir haben das längst im Job-Aqtiv-Gesetz mit einer ganzen Reihe von Instrumenten umgesetzt. Ich nenne
nur einige: Jobrotation bei betrieblicher Freistellung für
Weiterbildung, Lohnerstattung für Arbeitgeber, die gering
qualifizierte Arbeitnehmer einstellen und qualifizieren,
Weiterbildung in Teilzeitform, berufliche Weiterbildung
von älteren Arbeitnehmern. Außerdem haben wir das Kinderbetreuungsgeld für Erziehende bei Weiterbildungsmaßnahmen von 250 DM installiert.
Um die Vermittlung effektiver zu gestalten, werden in
den nächsten Jahren 3 000 zusätzliche Vermittler - das
sind 30 Prozent mehr als bisher - ihre Tätigkeit in den Arbeitsämtern aufnehmen.
({1})
Diese Vermittler haben die Aufgabe, nicht nur auf die derzeit gemeldeten 443 000 Stellen zu vermitteln, sondern
auch die geschätzten 1,5 Millionen offenen Stellen zu erschließen und passgenauere Vermittlungen zu ermöglichen. Dies haben Sie trotz Ihres eigenen Wunsches politisch nie möglich gemacht.
Auch die CDU-Forderung, dass sich Arbeitnehmer bei
absehbarer Arbeitslosigkeit sofort zwecks Erarbeitung eines Hilfskonzeptes an das Arbeitsamt wenden sollen, ist
zwar löblich, aber bereits durch die Eingliederungsvereinbarung in unserem Gesetz erfüllt, die den Betroffenen
größtmögliche Beschäftigungschancen bietet.
({2})
Hinsichtlich der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe hat die CDU die banalste Idee: Absenkung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau.
({3})
Ob dies sachgerecht ist, wage ich allerdings zu bezweifeln.
({4})
Wir jedenfalls werden die begonnenen 29 Modellprojekte
ordnungsgemäß zu Ende führen,
({5})
auswerten und danach eine sachgerechte Lösung erarbeiten. Das ist solide Politik.
({6})
Wenn die CDU/CSU Kinder und Behinderte aus der
Sozialhilfe herausführen will, dann kommen Sie auch hier
etwas zu spät; denn die Regierungskoalition ist längst auf
dem Weg dorthin.
({7})
In drei Jahren haben wir das Kindergeld um 80 DM erhöht, die Freibeträge für Familien heraufgesetzt, die Einkommensteuer gesenkt, das Wohngeld verbessert und die
BAföG-Sätze erhöht. All das entlastet Familien mit Kindern.
({8})
Außerdem sollten Sie zur Kenntnis nehmen, dass seit
unserem Regierungsantritt die Zahl der Sozialhilfeempfänger insgesamt deutlich zurückgegangen ist. Im
Jahr 2000 war es bereits ein Rückgang von 8 Prozent. Was
die Behinderten betrifft, so hat unser Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter bereits solche Erfolge gezeigt, dass in zwei bis drei Jahren die Zielgröße von 50 000 zusätzlichen schwerbehinderten
Beschäftigten voraussichtlich überschritten werden wird.
All diese Realisierungen Ihrer eigenen Ziele haben Sie im
Bundestag abgelehnt. Das ist symbolhaft für den Zustand
Ihrer Partei.
({9})
Die CDU spricht auch die regional unterschiedlichen
Beschäftigungschancen an. Diese gibt es tatsächlich. Uns
allen bereitet die besonders hohe Arbeitslosigkeit im
Osten große Sorge. Jedoch Vorschläge für Beschäftigungs- und Infrastrukturentwicklung in den neuen Ländern sind bei ihr nicht zu finden. Es ist bekannt, dass ein
großer Teil der Arbeitslosigkeit des Ostens auf den Abbau
der Überkapazitäten im Bau sowie im öffentlichen Dienst
zurückzuführen ist. Das eine ist ein Erbe der Kohl-Zeit,
das andere immer noch Erbe aus SED-Zeiten. Trotz dieser Erblasten ist es uns gelungen, die Arbeitslosigkeit in
allen neuen Bundesländern seit 1998, wenn auch gering,
zu senken. Zu Ihrer Zeit betrug die Arbeitslosigkeit in allen neuen Ländern zwischen 21 und 24 Prozent.
({10})
Nunmehr beträgt sie in allen neuen Ländern zwischen
15 und maximal 19 Prozent.
({11})
Das konnte nur erreicht werden, weil wir die aktive
Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau verstetigt haben
({12})
und weil wir das Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit mit 50 Prozent im letzten Jahr finanziert haben und mit über 50 Prozent im kommenden Haushalt in den neuen Ländern finanzieren werden. Auch von
dem neuen Instrument der Beschäftigung schaffenden
Infrastrukturförderung werden in Zukunft besonders die
neuen Länder profitieren.
Beschäftigung schaffen wir auch durch solche Fördermaßnahmen wie das Investitionsprogramm Verkehrsinfrastruktur mit einem Volumen von 34,9 Milliarden DM,
das Zukunftsinvestitionsprogramm für Schiene und
Straße von 8,7 Milliarden DM, das Wohnungsmodernisierungsprogramm, das Programm „Stadtumbau Ost“, für
das bis 2009 4,3 Milliarden DM zur Verfügung stehen, sowie die Städtebauförderung mit erhöhtem Budget für den
Osten.
({13})
Frau Kollegin Jäger, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Dr. Luft von der PDS?
Ich möchte gerne meine Rede
zu Ende führen. Ich denke, die Sitzung wird heute lange
genug dauern.
Dann
kommen Sie bitte zum Ende.
({0})
Im innovativen Bereich haben
wir das Programm „Innovative regionale Wachstumskerne“.
({0})
Wir fördern das Programm FUTOUR weiter. Wir haben
das wesentlich umfassendere Inno-Regio-Programm, bei
dem durch neue Verbünde zwischen Forschung, Wirtschaft und Verwaltung die Entwicklung marktfähiger Produkte und Dienstleistungen im Osten gefördert wird. Das
ist ein ganz neues Instrument, von welcher Art ich in
Ihrem Papier nichts gefunden habe.
Frau Kollegin Jäger, kommen Sie bitte zum Schluss.
Sie sehen also:
({0})
In nahezu allen notwendigen Bereichen machen wir Politik für die neuen Länder: nicht mit Stop-and-go, sondern
stetig, solide und zuverlässig.
Vielen Dank.
({1})
Zu einer
Kurzintervention erteile ich der Kollegin Dr. Christa Luft
von der PDS-Fraktion das Wort.
Ich bitte um Entschuldigung.
Ich hätte mich ja auf eine kurze Frage beschränkt. Dann
wäre alles viel fixer gegangen.
Frau Kollegin Jäger, ich habe mich zu meiner Kurzintervention animieren lassen, weil Sie gesagt haben, die
Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern sei in den
letzten Jahren statistisch heruntergegangen. Ich bitte,
keine Legenden zu verbreiten. Es geht nicht nur um Zahlen, sondern auch um deren Interpretation. Sie können
doch nicht außer Acht lassen, dass von 1998 bis heute eine
erhebliche Abwanderung vor allem qualifizierter und mobiler junger Menschen stattgefunden hat, die deshalb die
Arbeitslosenstatistik Ostdeutschlands nicht belasten. Es
sind außerdem sehr viele frühverrentet worden, die ebenfalls aus der Arbeitslosenstatistik herausgefallen sind. Wir
dürfen das, was Sie eben statistisch dargestellt haben,
nicht feiern.
Hinzu kommt, dass es in den neuen Bundesländern einen außerordentlich großen Niedriglohnbereich gibt - die
Zahlen sind schon genannt worden -, in dem das durchschnittliche Verdienstniveau bei 62 Prozent der Bruttolöhne liegt, die in den alten Bundesländern gezahlt werden. Das alles darf man nicht außer Acht lassen. Man darf
die Lage in den neuen Bundesländern nicht schönen. Das,
was dort stattfindet, ist eine absolute Katastrophe.
({0})
Um die dortige Misere zu beheben, braucht man andere
Instrumente als das Job-Aqtiv-Gesetz; denn das reicht
nicht.
Da bisher niemand gefragt hat, weshalb im Haushalt
2002 für die Umsetzung des Job-Aqtiv-Gesetzes nicht
eine müde Mark veranschlagt worden ist, frage ich: Wie
ist das möglich, wenn man bedenkt, dass zusätzlich 2 000
Vermittler - 1 000 weitere sollen durch Umverteilung bei
der Bundesanstalt für Arbeit mobilisiert werden - von
außen gewonnen und eingestellt werden sollen? Man
muss doch wohl unterstellen, dass ein Vermittler im Jahr
zwischen 50 000 und 60 000 DM kostet, wenn man den
Arbeitgeberanteil einrechnet. Das wird Kosten von bis zu
120 Millionen DM verursachen, die offenbar dem Etat der
Bundesanstalt für Arbeit und folglich auch für eine aktive
Arbeitsmarktpolitik verloren gehen.
Außerdem gilt: Man kann niemanden vermitteln, wenn
es keine Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt gibt.
({1})
Frau Kollegin Jäger, wollen Sie erwidern? - Bitte schön.
({0})
Frau Dr. Luft, ich glaube, man
muss es nicht als eine Beschönigung deuten, wenn ich einige Fakten nenne. Ihre Behauptung, ich hätte etwas beschönigt, weise ich zurück. Wir sind uns der Probleme im
Osten wohl bewusst.
Nur, wie sähe die Entwicklung im Osten nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Wirtschaft aus, wenn
wir all diese Maßnahmen nicht durchgeführt hätten? Sie
wissen besser als wir, dass die strukturelle Entwicklung
im Osten durch die sozialistische Wirtschaft verursacht
worden ist. Sie sollten anerkennen, dass wir uns bemühen,
im bildungspolitischen, im wirtschaftspolitischen, im infrastrukturellen sowie im sozial- und arbeitsmarktpolitischen Bereich Schritte zu machen, um die Entwicklung
voranzubringen.
({0})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Karl-Josef Laumann von der CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern fand ich im Ticker eine
dpa-Meldung. Laut dieser wurden auf die Frage, mit wem
aus der aktuellen Regierungsmannschaft Schröder weiterhin zusammenarbeiten sollte, am häufigsten abgelehnt:
Herr Trittin, Herr Scharping und der sozialdemokratische
Arbeitsminister Riester.
({0})
Herr Riester, dass Sie auf dieser Beliebtheitsskala mit
Scharping gleich aufliegen, sollte Ihnen wirklich zu denken geben.
({1})
Wissen Sie, warum das so ist? Das ist deswegen so,
weil es außer Ihrem Politikbereich keinen anderen in
Deutschland gibt, in dem das, was Sie in den letzten drei
Jahren veranstaltet haben, so weit von dem entfernt ist,
was Sie im Wahlkampf 1998 gesagt haben.
({2})
Sie merken das auch - das betrifft Ihre Partei - an einer
anderen Tatsache: Die Arbeitsgemeinschaft der sozialdemokratischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
kommt in Deutschland nicht mehr vor. In der ganzen
Wahlperiode hat der Vorsitzende dieser wichtigen Arbeitsgemeinschaft Ihrer Partei noch in keiner einzigen sozialpolitischen Debatte von Ihrer Fraktion das Wort im
Deutschen Bundestag erhalten,
({3})
weil Sie genau wissen, dass diese Arbeitsgemeinschaft
nicht mehr bereit ist, die Politik, die Sie hier in den letzten Jahren durchgesetzt haben, zu verteidigen, mit zu verantworten und mit zu vertreten. Es ist wirklich ein einzigartiger Vorgang, den es unter den Arbeitnehmergruppierungen im Deutschen Bundestag bis jetzt noch nicht
gegeben hat, dass der Vorsitzende der AfA in der
14. Wahlperiode noch in keiner einzigen sozialpolitischen
Debatte das Wort ergriffen hat.
({4})
Herr Riester, Sie haben eben hier sehr lange geredet.
Als Bundesarbeitsminister haben Sie in Ihrer Rede kein
Wort zum Arbeitsmarkt in Ostdeutschland gesagt.
({5})
Hier geht es um einen Arbeitsmarkt, auf dem wir - bei
knapp 15 Millionen Einwohnern - 1,3 Millionen Arbeitslose haben, auf dem wir heute 200 000 Arbeitslose mehr
haben als 1998. Der Arbeitsminister dieses Landes hält
eine Haushaltsrede und beschäftigt sich mit Dingen aus
dem Jahr 1998, sagt aber zu den Menschen in den neuen
Bundesländern kein Wort darüber, wie es mit ihnen weitergehen soll.
({6})
Ich kann Ihnen auch sagen, warum Sie das nicht getan
haben: Weil in den neuen Ländern die Kurzarbeit gegenüber dem Vorjahr um 50 Prozent gestiegen ist, weil die Arbeitsvermittlung in den neuen Ländern per Oktober 2001
gegenüber dem Vorjahr um 16 Prozent zurückgegangen
ist. Sie haben in Ostdeutschland eine katastrophale Situation auf dem Arbeitsmarkt, und Ihr Bundesarbeitsminister
sagt in dieser wichtigen Debatte kein Wort zu den Menschen in den neuen Ländern. Das ist wirklich eine Bankrotterklärung.
({7})
Herr Riester, Sie haben hier Zahlen mit Rentenerhöhungen aus der Zeit der CDU-Regierung und Ihrer Regierung gebracht. Ich will gar nicht fachsimpeln, aber Sie
wissen ganz genau, dass unter unserer Regierung die Renten so gestiegen sind wie die Nettolöhne und wir die Rentenformel ganz sauber eingehalten haben.
({8})
Sie haben im ersten Regierungsjahr schon die Rentenformel gebrochen, indem Sie die Renten nicht mehr wie
die Nettolöhne erhöht haben, sondern wie die Inflationsrate aus dem Vorjahr.
({9})
Aber die Wahrheit ist: Wenn Sie die Rentenerhöhungen
von 2000 und 2001 zusammennehmen, dann stellen Sie
fest, dass die Menschen 2,5 Prozent Rentenerhöhung bekommen haben, aber wir zur gleichen Zeit in diesem Land
eine Inflationsrate von 4,4 Prozent haben. Das heißt, die
Menschen können sich wegen dieser Differenz von 2 Prozent weniger kaufen als vorher, weil Sie mit Ihrer Rentenerhöhung der Inflationsrate hinterherlaufen.
({10})
Die Zahlen, die Sie hier vorlegen, sind in vielen Bereichen frisiert. Sie sagen: „Es gibt eine Entlastung auf dem
Arbeitsmarkt“, verschweigen dabei aber, dass seit Ihrem
Regierungsantritt aufgrund der demographischen Entwicklung in Deutschland jedes Jahr 200 000 Menschen
mehr in Rente gehen, als aus den Schulen, Lehrwerkstätten und Universitäten auf den Arbeitsmarkt entlassen werden. Bei Ihrer Regierung ist das so: Ein Bundeskanzler,
der sich die Haare färbt, frisiert auch jede Statistik. Das ist
die Wahrheit.
({11})
Jetzt will ich Ihnen etwas zum Job-Aqtiv-Gesetz sagen. Ich habe die Beratungen im Ausschuss, die Anhörung
und die Debatten, die wir dazu geführt haben, alle erlebt.
Die Mitglieder Ihrer Partei konnten nur noch von Quantensprüngen erzählen. Dann wurde das Job-Aqtiv-Gesetz
im Deutschen Bundestag beschlossen.
Aber Ihnen ist völlig entgangen, dass der Wirtschaftsausschuss des Bundesrates die Einberufung des Vermittlungsausschusses zu diesem Gesetz auch mit den SPDStimmen gefordert hat, weil der Wirtschaftsausschuss des
Bundesrates erstens gesagt hat: Wir brauchen für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen eine angemessene Finanzverteilung zwischen dem Bund und der Bundesanstalt für
Arbeit. Das heißt, auch Ihre Leute im Bundesrat haben Sie
dafür geohrfeigt, dass Sie mittlerweile alle Ihre Vorhaben
- Langzeitarbeitslosenprogramm, Strukturanpassung, Arbeitslosengeld - nicht mehr über Steuermittel finanzieren,
sondern nur noch über die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Chefs, nämlich über Beiträge.
({12})
Zweitens. Der Wirtschaftsausschuss des Bundesrates
hat gesagt: Wir brauchen den Vermittlungsausschuss, weil
wir eine Angleichung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sowie die Einführung von Kombilöhnen benötigen.
({13})
Der Wirtschaftsausschuss des Bundesrates hat mit den
Stimmen der SPD genau das gefordert, was CDU, CSU
und FDP immer wieder verlangt haben. Was ihr beim JobAqtiv-Gesetz gemacht habt, war nicht falsch, aber nichts
anderes als eine Verwaltungsreform, nicht aber eine Reform der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland.
({14})
Herr Riester, ich will Ihnen auch sagen, warum das so
ist. Seitdem Sie Minister sind, laufen die Sozialpolitik
und die Arbeitsmarktpolitik folgendermaßen:
({15})
Sie gehen bei Ihren Reformen genau so weit, wie es Ihre
alten Kumpels beim DGB, Herr Zwickel und Herr
Schulte, zulassen.
({16})
Das ist die Wahrheit. Wenn es so weit ist, dass eine sicherlich wichtige gesellschaftliche Gruppe das Tempo der
Reformen in der Sozialpolitik in Deutschland allein bestimmt, dann ist das eine Bankrotterklärung hinsichtlich
des Selbstverständnisses der Politik.
({17})
Wir reden hier über den Bundeshaushalt. Selbst Sie,
Herr Riester, können nicht leugnen, dass wir diese Haushaltsdebatte zu einem Zeitpunkt führen, zu dem sich die
Arbeitsmarktdaten dieses Landes von Stunde zu Stunde
verschlechtern.
Als Sie den Haushalt einbrachten und an diesem Rednerpult begründeten, gingen Sie noch von 2,5 Prozent
Wachstum aus. Der Haushaltsplan, den wir heute beraten,
nimmt diese Wachstumsprognose auf Ihren Vorschlag
hin von 2,5 Prozent auf 1,25 Prozent zurück. Das ist zwar
auch noch geschönt, aber Sie haben im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung über Ihren Staatssekretär selber
erklären lassen, dass Sie von 400 000 Arbeitslosen mehr
als zum Zeitpunkt der Haushaltseinbringung ausgehen.
Das sind 400 000 Schicksale. Ihre Antwort auf diese Herausforderung ist, abgesehen von einigen fiskalischen
Veränderungen, einfach null.
({18})
Es gibt auch nicht das eine Instrument, um diese Problematik in den Griff zu bekommen. Sie brauchen dafür
ein Sammelsurium von verschiedenen Instrumenten unterschiedlicher Politikbereiche. Ich will mich nur auf die
Dinge beschränken, die im Kompetenzbereich der Arbeits- und Sozialpolitiker liegen.
Es ist doch einfach wahr, dass Ihnen die Beamten der
Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit sagen: Wir haben in
Deutschland ungefähr 600 000 Jobs in Bereichen, in denen man zugegebenermaßen wenig Geld verdient, die
aber nicht mit Inländern besetzt werden. Man glaubt sogar, dass die Zahl solcher Arbeitsplätze um ein Vielfaches
stiege, wenn die vorhandenen besetzt werden
könnten. Das ist unter allen Arbeitsmarktwissenschaftlern unstrittig. Was hindert uns also daran?
({19})
Es ist doch unstrittig, dass wir in den unteren Lohngruppenbereichen Brutto und Netto über Kombilöhne
und die degressive Gestaltung von Sozialversicherungsbeiträgen näher zusammenführen müssen. Ich rede gar
nicht von außertariflichen Löhnen. Sie können in meinem
Büro eine Liste von Tarifverträgen, bei denen die Stundenlöhne unter 13 DM liegen, anfordern. Die Liste umfasst eine ganze DIN A4-Seite. Damit wir uns richtig verstehen: Diese Jobs sind in Deutschland nicht besetzt.
Alle Länder um uns herum sind diese Wege gegangen.
Nur ein Land hat dies nicht getan: Deutschland. Das ist so,
weil Herr Zwickel und Herr Schulte Herrn Riester nicht
weiter gehen lassen.
({20})
Dass sich die Grünen, die mit ihren Parteitagsbeschlüssen zu dieser Frage gar nicht weit von der Beschlusslage meiner Partei entfernt sind, in dieser Koalition überhaupt nicht mehr durchsetzen, ist in den letzten
14 Tagen mehr als offenkundig geworden.
({21})
Ich habe sie in der Arbeitsmarktpolitik ebenso abgehakt,
wie man sie auch auf allen anderen Gebieten abhaken
muss.
Was hindert uns eigentlich, Herr Riester, einmal ohne
Ideologie darüber nachzudenken, was wir im Hinblick auf
den Arbeitsmarkt und die Beschäftigung regulieren bzw.
nicht regulieren müssen?
({22})
Ich kann Ihnen nur sagen: Der von Ihnen gesetzlich festgelegte Teilzeitanspruch für alle hat uns nichts gebracht.
({23})
Im Gegenteil, es gab Verstimmung.
({24})
Ich hätte den Teilzeitanspruch auf die Leute beschränkt,
die eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe wie die
Kindererziehung wahrnehmen, ihn aber nicht generell
festgeschrieben.
({25})
Was ist denn das für ein Land, in dem wir auf der einen
Seite über die Einwanderung von Fachkräften und auf der
anderen Seite über Teilzeitarbeit reden? Haben wir eigentlich noch alle Tassen im Schrank?
({26})
Bei einer Reform des Betriebsverfassungsgesetzes
hätte ich auch nicht die Zahl der Betriebsratsmitglieder erhöht. Das wollte niemand - außer der IG Metall, weil sie
mit 8 Millionen DM Wahlkampfunterstützung für die
SPD einige Funktionäre von der Arbeit freistellen wollte.
Sonst wollte es in diesem Lande niemand! So bekommen
Sie keine Stimmung für Einstellungen hin!
({27})
- Ich habe nichts gegen Betriebsräte. Sie müssen nur nicht
größer werden. Wir verkleinern in der nächsten Wahlperiode den Deutschen Bundestag, aber die gleiche Regierung
erhöht die Zahl der Betriebsratsmitglieder. Das ist doch
Irrsinn!
({28})
Wir müssen auch einmal über Fragen reden, die schon
gestern Morgen in der Debatte Schröder/Merkel eine
Rolle gespielt haben: Kündigungsschutz.
({29})
- Regen Sie sich doch nicht so auf! Wenn der Herr
Schreiner noch hier säße, dann hätte ich in ihm einen Ansprechpartner, dann hätte ich in ihm jemanden, mit dem
ich mich über Sozialpolitik unterhalten könnte, aber mittlerweile kommt er ja zu keiner sozialpolitischen Debatte
mehr, weil er Ihr Gefasel nicht mehr ertragen kann, und er
ist immerhin Chef der AfA in Deutschland!
({30})
Gestern Morgen hat in der Debatte im Deutschen Bundestag die Frage der Arbeitnehmerrechte eine Rolle gespielt. Wir von der Union wollen - um das ganz klar zu
sagen -, dass auch die Arbeitnehmer ein planbares Leben
haben und dass das unbefristete Arbeitsverhältnis das Regelarbeitsverhältnis ist. Wir wollen in Deutschland auch
einen bestimmten sozialen Kündigungsschutz behalten.
Aber der bedeutet doch - das ist auch wahr -: Wenn ein
Mensch mit 53 Jahren arbeitslos wird, weil die Firma, bei
der er arbeitet, insolvent wird, dann hat er aufgrund all
dieser Dinge kaum noch eine Einstellungschance.
({31})
Was wäre denn so schlimm daran, wenn wir hier ein
Gesetz verabschieden würden,
({32})
in dem steht, dass für diese Menschen der Kündigungsschutz nicht vereinbart wird, in dem aber auch steht, wie
dann, wenn das Beschäftigungsverhältnis beendet wird,
die Mindestabfindung pro Beschäftigungsjahr aussieht?
Wenn wir uns dabei an das halten, was die Arbeitsgerichte
heute festlegen, nämlich pro Beschäftigungsjahr ein halber Monatslohn,
({33})
dann liegen wir mit einem solchen Gesetz genau auf der
Linie, auf der mittlerweile 99 Prozent aller Arbeitsgerichtsprozesse in Deutschland enden.
({34})
Was würden wir auf der einen Seite an Arbeitnehmerrechten verkaufen, auf der anderen Seite aber an Flexibilität gewinnen, wenn wir das täten, was ich hier vorschlage?
({35})
Aber Sie sind zu gar nichts mehr bereit!
({36})
Deswegen hoffe ich sehr, dass es in wenigen Monaten
so weit ist, dass Sie die Oppositionsrolle wahrnehmen und
wir dann endlich eine schwungvolle Reformpolitik im Arbeitsministerium durchsetzen.
Schönen Dank.
({37})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Franz Thönnes von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Bei all dem Geschrei, das
Sie hier veranstalten,
({0})
wäre es ganz redlich, wenn Sie einmal bei den Zahlen
blieben, die in Ihrer Regierungszeit maßgeblich gewesen
sind, was die Frage angeht, in welchem Maß die Renten
erhöht worden sind und wie die Preissteigerungsraten
waren. Ich will Ihnen das einmal deutlich sagen, damit
hier keine Märchen, die Sie uns ja zu erzählen versuchen,
im Raum bleiben.
1994 war die Preissteigerungsrate 2,7 Prozent und war
die Rentenanpassung 0,5 Prozent.
({1})
Für die nächsten Jahre lauten die Zahlen wie folgt: 1995:
1,8 Prozent und 0,95 Prozent, 1996: 1,4 Prozent und
0,95 Prozent. 1997 haben Sie es hinbekommen, dass die
Rentenanpassung bei 1,65 Prozent lag, obwohl die Preissteigerungsrate 1,4 Prozent betrug. Über Jahre hatten die
Rentnerinnen und Rentner weniger Geld im Portemonnaie, weil die Rentenanpassung unter der Preissteigerungsrate lag. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik gewesen!
Da sollten Sie heute nicht so dicke Backen machen und
behaupten, alles besser regeln zu können!
({2})
Die Menschen wissen auch, dass Sie die Arbeitslosigkeit von 3,7 Millionen auf 4,3 Millionen hochgefahren haben. In Ihrer Regierungszeit ist die Zahl der Sozialhilfeempfänger von 2,2 Millionen auf 2,9 Millionen gestiegen.
({3})
Das ging Monat für Monat so. Jetzt erwecken Sie mit Ihrer Rede den Eindruck, als wären hier ferngesteuerte
Funktionäre aus irgendwelchen Gewerkschaftszentralen.
({4})
Ich will Ihnen ganz deutlich sagen, welche Politik Sie
betreiben. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag fordert, die Einschränkung bei befristeten Arbeitsverhältnissen wieder zu lockern und zurückzunehmen und
den Rechtsanspruch auf Teilzeit ersatzlos zu streichen.
({5})
Was sagt Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender Herr
Rauen in der „Financial Times Deutschland“? Nach einem Wahlsieg im kommenden Jahr würde die Union
Rauen zufolge die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
wieder einschränken und die Schwelle für die Befreiung
vom Kündigungsschutz von derzeit fünf wieder auf zehn
Beschäftigte erhöhen. Außerdem sollen der Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit und die Einschränkung bei der
Befristung von Arbeitsverhältnissen wieder rückgängig
gemacht werden.
Das geht so munter weiter. Herr Hundt fordert, dass die
rückwärts gewandten Änderungen durch die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes umgehend zurückgenommen werden müssen. Was haben Sie zu tun? Von
Ihrer Seite kommt nichts anderes als das, was gestern auch
Frau Merkel hier gesagt hat: Die Änderungen werden
wieder zurückgenommen.
Was fordert die Arbeitgeberseite? Die Arbeitgeberseite
sagt: Mittelfristig muss die Form künstlicher Beschäftigung durch ABM ganz entfallen. Und was sagt Ihr Fraktionsvorsitzender? Er sagt: ABM muss zurückgefahren
werden. An den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wird
Kritik geäußert,
({6})
obwohl Sie, die Koalition von CDU/CSU und FDP, von
Januar 1998 bis September 1998 die Zahl der ABM-Stellen um 160 000 bis 170 000 erhöht haben. Heute tun Sie
so, als sei das alles Teufelszeug. Wir haben die Zahlen
sukzessive den Arbeitsmarktbedingungen angepasst. Ich
denke, das ist auch vernünftig.
({7})
Es geht nicht, dass Sie sich hier hinstellen und eine Politik formulieren, bei der Sie auf der einen Seite sagen, Sie
wollten Arbeitnehmerrechte schrittweise einschränken,
während Ihr Fraktionsvorsitzender auf der anderen Seite
sagt, Sie wollten keine Arbeitnehmerrechte einschränken.
Das wurde besonders in dem Beitrag des Kollegen
Laumann noch einmal deutlich.
Mit fällt in diesem Zusammenhang der Roman „Germinal“ von Emil Zola ein, in dem es um eine Auseinandersetzung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im
lothringischen Bergwerksbereich Ende des 19. Jahrhunderts geht. Darin wird geschildert, dass die Arbeitnehmer
vor den geschlossenen Werkstoren stehen und der Arbeitgeber munter sagt: Macht mir Angebote. Wer bereit ist, zu
den geringsten Löhnen zu arbeiten, den nehme ich. - Daraufhin unterbietet man sich Stück für Stück. Nichts anderes ist das, was Sie gerade noch einmal gefordert haben.
({8})
Der Vorschlag, dass ältere Arbeitslose gegen ein Handgeld bereits im Einstellungsgespräch auf den Kündigungsschutz verzichten sollen, ist ein Rückfall in das 19. Jahrhundert
({9})
und entspricht nicht den Verhältnissen eines Sozialstaats,
wie wir ihn nach dem Krieg hier aufgebaut haben.
({10})
Der Kollege Seehofer sagt, man müsse das Stempeln
auf dem Arbeitsamt wieder einführen. Sie wollen das Arbeitsamt wieder zu einer Stempelbude degradieren. Damit
sind Sie schon in Ihrer Regierungszeit gescheitert. Unsere
Antwort darauf ist
({11})
das Job-Aqtiv-Gesetz mit dem Eingliederungsvertrag, in
dem Rechte und Pflichten auf beiden Seiten festgeschrieben werden. Fördern und Fordern sind gefragt und nicht
eine Diffamierung von Arbeitslosen, wie Sie das machen.
({12})
Der CDA-Vorsitzende hat das im Übrigen begriffen.
Nachdem wir deutlich gemacht haben, dass wir 3 000 zusätzliche Stellen schaffen werden,
({13})
1 000 durch Umschichtung und weitere 2 000 durch die
Übertragung der Vermittlung an Dritte sowie durch zusätzliche Beschäftigung, hatte er nichts Besseres zu tun,
als zu sagen, dafür müssten 12 000 eingestellt werden.
Was haben Sie eigentlich in Ihrer Regierungszeit an dieser Stelle geleistet?
({14})
Sie haben die Zahl der Beschäftigten in der Arbeitsverwaltung abgebaut. Das ist die Realität.
({15})
Weil Frau Luft fragt, woher das Geld kommt, will ich
deutlich machen, dass 44 Milliarden DM für aktive Arbeitsmarktpolitik, ungefähr 27 Milliarden DM im Eingliederungstitel, ausgewiesen sind. Das ist Geld, das für
aktive Beschäftigungspolitik zur Verfügung steht.
An dieser Stelle möchte ich unserer Kollegin
Konstanze Wegner für ihre verantwortungsvolle Arbeit,
die sie in den letzten Jahren im Haushaltsausschuss für
Arbeitsmarktpolitik und für Sozialpolitik geleistet hat,
danken. Dabei handelte es sich immer um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen finanzpolitischer Verantwortung und sozialpolitischer Vernunft.
({16})
Ich will Ihnen sagen, worauf es in den nächsten Wochen ankommt und wo die Verantwortung liegt: Bei den
Arbeitsämtern sind 500 000 offene Arbeitsplätze gemeldet. Die Arbeitgeberseite sagt: Wir brauchen Fachkräfte.
Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, alle offenen
Stellen, nochmals gut 1 Million, zu melden. Wenn es in
Deutschland 1,5 Millionen offene Stellen gibt und wir die
Vermittlungsaktivitäten verstärken, dann gelingt es auch
- da bin ich mir sicher -, die Arbeitslosen mithilfe von
Qualifizierung, Weiterbildung und Trainingsmaßnahmen
passgenau in neue Beschäftigungsverhältnisse zu bringen. Ich bin davon überzeugt, dass das Projekt Job Aqtiv
ein Erfolg wird, wenn der Wille auf beiden Seiten vorhanden ist.
({17})
Ferner darf die Politik nicht nur an die Menschen, die
keine Arbeit haben, Forderungen stellen; sondern sie
muss auch von den Arbeitgebern fordern, endlich ein
Stück weit einen Beitrag dazu zu leisten - man kann von
ihnen nicht alles fordern; das weiß jeder -, dass 1,8 Milliarden Überstunden reduziert werden. Die Überstunden
müssen in Beschäftigung umgesetzt werden. Die Flexibilität von Tarifverträgen muss genutzt werden. Das Einfordern von Flexibilität fällt auf die Arbeitgeber zurück. Sie
müssen die Vereinbarungen, die sie mit den Tarifvertragsparteien, also mit den Betriebsräten und den Gewerkschaften, geschlossen haben, endlich in die Praxis umsetzen.
({18})
Letztendlich bleiben bei aller Kritik und aller Schwierigkeit, der wir bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik gegenüberstehen, folgende Fakten: Wir haben 1,1 Millionen Beschäftigte mehr seit dem Regierungsantritt; die
Zahl der Sozialhilfeempfänger ist um 200 000 gesunken;
das Verhältnis zwischen der Nachfrage nach und dem Angebot an Ausbildungsplätzen ist ausgeglichen; die Lohnnebenkosten sind in diesem Jahr von 42,5 Prozent auf voraussichtlich 41,3 Prozent oder 41,4 Prozent gesunken.
Der wichtigste Punkt ist: Die Zahl der Arbeitslosen - da
können Sie reden, so viel Sie wollen - ist um 400 000 gesunken. Deswegen werden wir an unserem Kurs, mehr
Beschäftigung zu schaffen und für mehr Gerechtigkeit zu
sorgen, festhalten. Das gilt auch angesichts des schwierigen Fahrwassers, in dem wir uns zurzeit befinden.
({19})
Als
nächster Redner hat der Kollege Andreas Storm von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Was kommt heraus, wenn man eine
rentenpolitische Bilanz vor Beginn Ihres letzten Amtsjahres, Herr Minister Riester, zieht - eine einzige Kette gebrochener Versprechen!
({0})
Versprechen Nummer eins: In seiner Aschermittwochsrede im Februar 1999 verkündete der Bundeskanzler, er stehe persönlich dafür ein, dass die Renten auch in
Zukunft so wie die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer
steigen. Fakt ist: Drei Monate später war das Versprechen
des Bundeskanzlers das Papier nicht mehr wert, auf dem
es gedruckt stand. Die Rentenformel wurde kurzerhand
auf dem Altar des Sparpakets geopfert und sollte willkürlich für zwei Jahre ausgesetzt werden.
Versprechen Nummer zwei: Die Rentner sollten - da
haben Sie kalte Füße bekommen - im vergangenen Jahr
wenigstens einen Inflationsausgleich erhalten. Fakt ist:
Tatsächlich wurden die Renten im vergangenen Jahr um
nur 0,6 Prozent erhöht. Die Inflationsrate stieg aber
- nicht zuletzt dank Ihrer Regierungspolitik, Stichwort
„Ökosteuer“ - mehr als dreimal so stark, nämlich auf
1,9 Prozent.
({1})
Von Inflationsausgleich konnte also keine Rede sein. Im
Gegenteil: Die Rentner mussten einen herben Kaufkraftverlust hinnehmen.
({2})
Versprechen Nummer drei: Sie haben angekündigt,
dass mit jeder weiteren Stufe der Ökosteuer die Rentenbeiträge gesenkt werden. Fakt ist: Am 1. Januar des
nächsten Jahres ziehen Sie den Bürgern nochmals 6 Milliarden DM aus der Tasche. Von einer Senkung des Rentenbeitrags ist aber keine Spur mehr zu sehen - im Gegenteil. Fakt ist auch: Die Rentenbeiträge müssen zum
1. Januar sogar massiv angehoben werden, und zwar von
jetzt 19,1 Prozent auf 19,5 Prozent. Das hat Ihnen der Sozialbeirat in diesen Tagen vorgerechnet. Das versteht man
bei Rot-Grün unter Senkung der Lohnnebenkosten!
({3})
Nun greifen Sie tief in die Trickkiste und wollen an die eiserne Reserve der Rentenkassen ran. Trickkiste hin - Manipulation her; das dicke Ende kommt in jedem Fall unmittelbar nach der Bundestagswahl.
({4})
Aus der Senkung der Rentenbeiträge auf deutlich unter
19 Prozent, wie Sie es, Herr Minister, ja noch im Frühjahr
bei der Verabschiedung Ihrer angeblichen Jahrhundertrentenreform versprochen haben, wird nach Ihrem eigenen Rentenversicherungsbericht aus der letzten Woche
bis zum Ende der gesamten nächsten Wahlperiode nichts
mehr. Ich wiederhole: Bis zum Ende der nächsten Wahlperiode sinken die Rentenbeiträge nach Ihrer eigenen Einschätzung nicht. Das nenne ich einen rentenpolitischen
Offenbarungseid.
({5})
Meine Damen und Herren, die Rentenversicherungsträger haben vor zwei Wochen bei der Anhörung zum
Schwankungsreservengesetz deutlich gemacht, dass sie allenfalls eine vorübergehende Senkung der Schwankungsreserve gutheißen können.
({6})
Mittelfristig - da waren sich die Experten unisono einig
gewesen - sollte der Zielwert von einer Monatsausgabe
unbedingt wieder eingehalten werden, um der Gefahr von
Liquiditätsengpässen vorzubeugen.
({7})
Ihr Gesetzentwurf trägt dazu aber überhaupt nichts bei; im
Gegenteil: Sie wollen die Reserven dauerhaft herunterfahren.
Zugleich haben die Rentenversicherungsträger klargestellt, dass angesichts der derzeitigen Unsicherheiten hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung ein sehr vorsichtiger Umgang mit den Annahmen für die Entwicklung
der Rentenfinanzen angesagt ist. Mit anderen Worten: Im
Zweifelsfalle sollte man lieber eine etwas pessimistischere Prognose zugrunde legen. Ihre von Ihnen selbst
spürbar nach unten korrigierten Berechnungen sind aber
immer noch zu optimistisch. Das hat Ihnen der Sozialbeirat in der vergangenen Woche mehr als deutlich gemacht.
Er kommt zu folgendem Befund:
Falls sich die Prognosen des Sachverständigenrates
... hinsichtlich der konjunkturellen Entwicklung im
nächsten Jahr bewahrheiten sollten, wird es zu einem
Abschmelzen der Schwankungsreserve Ende 2002
auf 0,73 Monatsausgaben kommen. Dies wiederum
hätte einen Auffüllbedarf von knapp 0,1 Monatsausgaben in 2003 zur Folge, was einen Beitragssatzanstieg um 0,1 Prozentpunkte in 2003 nach sich ziehen
würde.
So weit der Sozialbeirat.
Damit, meine Damen und Herren, haben Ihnen Ihre eigenen Experten dokumentiert: Auch der jüngste ManipulaFranz Thönnes
tionsversuch wird sich als Mogelpackung erweisen. Ihr
Griff in die Rentenkassen reicht nämlich schlicht und ergreifend nicht aus, um die Beitragsversprechen der Bundesregierung zu erfüllen, die ja mittlerweile schon mehr als
bescheiden geworden sind. Sie haben Ihr Ziel, die Sozialbeiträge unter die 40-Prozent-Marke zu senken, massiv
verfehlt. Im nächsten Jahr erreichen wir einen Beitragssatz
von mindestens 41,4 Prozent. Die Beitragserhöhungswelle
bei den Krankenkassen läuft. Ohne den Griff in die Rücklagen der Rentenversicherung und auch der Pflegeversicherung wären wir im nächsten Jahr bereits wieder bei einem Sozialbeitrag von 42 Prozent. Hinzu kommt, dass die
Ökosteuer, wenn man sie auf die Sozialbeiträge umrechnet,
noch einmal eine Zusatzbelastung von 1,7 Prozentpunkte
mit sich bringt. Das heißt, wir hätten ohne den Griff in die
Reserven mit weit über 43 Prozent Belastung von Arbeitnehmern und Wirtschaft einen historischen Höchststand in
der Geschichte der Bundesrepublik. Das ist die tatsächliche
Bilanz nach drei Jahren Amtszeit von Riester!
({8})
Meine Damen und Herren, das Bundesarbeitsministerium hat ja nun behauptet, es gebe keinen Grund, seine
Prognosen für die Festsetzung des Rentenbeitrags im
nächsten Jahr nach unten zu korrigieren. Sie hören nicht
auf Ihre eigenen Experten. Das muss man sich einmal vergegenwärtigen: Der Bundesarbeitsminister, der innerhalb
eines halben Jahres seine Beitragsprognose für das kommende Jahr um 0,5 Prozentpunkte korrigieren musste - im
Frühjahr haben Sie noch gesagt, nächstes Jahr liege der
Satz bei 19,0 Prozent; im Herbst heißt es nun, ohne Griff
in die Reserve liege er bei 19,5 Prozent -,
({9})
verkündet, man habe alles im Griff, die eigenen Berechnungen für das kommende Jahr seien zuverlässig genug.
Herr Riester, ich weiß nicht, ob Sie sich in letzter Zeit zu
häufig mit Harry Potter beschäftigt haben. Ich glaube aber
kaum, dass Sie plötzlich den Stein der Weisen gefunden
haben, mit dem Sie die finanziellen Probleme einfach
wegzaubern können, wenn es eng wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Art von Ignoranz und Realitätsblindheit ist einfach unerträglich. Zu
der offenkundigen Tatsache, dass der Arbeitsminister wie
mit Scheuklappen durch die Gegend rennt, hat Ihnen der
Kommentator der „Frankfurter Rundschau“ am Montag,
dem 26. November, Folgendes ins Stammbuch geschrieben:
Wozu hält sich die Bundesregierung einen Sachverständigen- und einen Sozialbeirat, wenn sie deren
Prognosen einfach ignoriert? Der Verdacht, das Ministerium habe genau so kalkuliert, dass die Regierung noch bis zur Bundestagswahl durchkommt,
liegt nahe.
So weit die „Frankfurter Rundschau“, und da hat sie
Recht; denn genau darum geht es: Sie wollen einfach nur
noch über die Runden kommen. Nach mir die Sintflut, das
ist das Motto von Rot-Grün.
({10})
Diese Bundesregierung hat abgewirtschaftet. Das rotgrüne Projekt ist gescheitert, auch und gerade in der Rentenpolitik. Um ein Land zu regieren, braucht es eben mehr
als tagespolitisches Flickwerk. Es braucht vor allen Dingen zukunftsweisende Konzepte. Aber die fehlen Ihnen,
Herr Riester, an allen Ecken und Enden. Deshalb ist es
Zeit für einen rentenpolitischen Neubeginn.
({11})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Ekin Deligöz vom Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines hat die
Opposition immer noch nicht begriffen: Einen Haushalt
aufzustellen, der den Zusatz „generationengerecht“ verdient, heißt immer auch, Prioritäten zu setzen, heißt immer auch, Schwerpunkte zu setzen und das Geld nicht
nach dem Gießkannenprinzip auszuschütten.
({0})
Eine Priorität von Rot-Grün liegt eindeutig auf der Unterstützung von Familien. Um dieses Ziel zu erreichen,
sind wir konzentriert vorgegangen. Ich nenne an dieser
Stelle nur einige Beispiele, und zwar das steuerfreie Existenzminimum, die Reform des Bundeserziehungsgeldgesetzes, die Aufwertung von Erziehungsleistungen in der
Rentenversicherung, die immer gerne unter den Tisch fallen gelassen werden, den Betreuungsfreibetrag, den wir
auf 3 024 DM jährlich angesetzt haben, sowie die Erhöhung des Kindergeldes auf 300 DM, eine Erhöhung um
30 Prozent innerhalb von drei Jahren.
({1})
Was bedeutet die Steuerpolitik der Koalition für die Familien in Zahlen? Sie bedeutet, dass eine Durchschnittsfamilie im Jahre 2002 trotz der Ökosteuer, die Sie angreifen, um 3 000 DM entlastet wird.
Sie bedeutet aber auch, dass wir neben dieser materiellen Komponente der Familienentlastung eine weitere,
zentrale Komponente für die Eltern in diesem Lande
berücksichtigt haben: dass Kindererziehung Zeit braucht,
und zwar mehr Zeit, als für sie manchmal offenbar aufgewendet wird. Dafür haben wir jetzt mit der Neuregelung
der Teilzeitarbeit wichtige Signale gesetzt. Die Teilzeitarbeit als einen gesetzlichen Anspruch zu verankern, also
das Recht auf Teilzeit für Eltern, heißt nicht, dass Frauen
diskriminiert werden oder keine Stellen bekommen, wie
Sie immer behaupten. Es heißt auch nicht, dass es zum
Abbau von Stellen geführt hat - das ist Ihre Interpretation,
für die Sie keinen Beweis haben -,
({2})
sondern es heißt, dass die Erziehung von Kindern für
Frauen und Männer in Teilzeit möglich wird, dass Eltern
also schwerpunktmäßig mehr Zeit für ihre Kinder aufbringen können. Teilzeitarbeit ist in diesem Land dringend erforderlich, wie jeder erkennen wird, wenn wir
etwa einen Vergleich mit den Nachbarländern Frankreich
oder Dänemark anstellen.
({3})
Mehrfach ist hier das Einwanderungsgesetz angesprochen worden. In diesem Zusammenhang möchte ich
eines betonen: Wenn wir den Bevölkerungsstand von
Deutschland bis zum Jahre 2050 auf dem derzeitigen Niveau halten wollen, dann müsste derzeit jede gebärfähige
Frau 3,8 Kinder in die Welt setzen.
({4})
Wahlweise müssten 180 Millionen Menschen einwandern. Eine konstante Bevölkerungszahl ist so gesehen unrealistisch. Das heißt aber auch, dass wir für unseren
Arbeitsmarkt und für die Erhaltung unserer Bevölkerungszahl ein Einwanderungsgesetz brauchen.
Wir benötigen zudem Maßnahmen für die Personen in
unserer Gesellschaft, die sich für ein Zusammenleben mit
Kindern entscheiden. Dazu bedarf es in Zukunft mehr Unterstützung von Staat und Gesellschaft. Eine der Kernfragen in der Arbeitsmarkt- und in der Wirtschaftspolitik lautet, wie wir in Zukunft dem Wunsch junger Familien,
einerseits Kinder zu bekommen und andererseits berufstätig zu bleiben und Karriere machen zu können, gerecht
werden können.
({5})
Im Rahmen der reformierten Arbeitsförderung bzw.
des Job-Aqtiv-Gesetzes gelten fortan Zeiten des Mutterschutzes und der Kindererziehung als Beitragszeiten in
der Arbeitslosenversicherung. Zukünftig gibt es zudem
im Sinne des Prinzips des lebenslangen Lernens mehr
Geld im Falle von Weiterbildungs- und Trainingsmaßnahmen für die Kinderbetreuung. Von der Opposition bekommen wir ständig zu hören, wir sollten im Bereich des
lebenslangen Lernens mehr unternehmen. Wir sprechen
nicht nur darüber; für uns ist das keine Theorie geblieben.
Wir setzen dies vielmehr um; wir haben ein entsprechendes Konzept vorgelegt. Anstatt dass Sie sagen, hier werde
etwas umgesetzt, kritisieren Sie uns, wobei Sie diese positiven Punkte schlichtweg ignorieren.
({6})
Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf gehört viel
mehr. Dazu gehört die Zusammenarbeit von Wirtschaft
und Gesellschaft. Dies verlangt beispielsweise, dass betriebliche Kinderbetreuungsmöglichkeiten geschaffen
werden und dass in Deutschland ein kinderfreundliches
Management existiert. Es gibt dafür hervorragende Beispiele in zahlreichen Firmen, die sich in diesem Bereich
mächtig ins Zeug legen. Hier setzt ein weiterer Aspekt an:
In der Arbeitsmarktpolitik sind weitere Anreize für einen
flächendeckenden Wandel im Sinne einer familienfreundlichen Unternehmenskultur zu schaffen. Gerade
hier haben wir wichtige Maßnahmen in Gang gesetzt.
Eines muss man deutlich sagen: Wenn wir tatsächlich
wollen, dass Eltern arbeiten können und dazu die dafür
notwendigen Kinderbetreuungsmöglichkeiten existieren,
müssen wir massiv in entsprechende Betreuungseinrichtungen investieren. Das ist nicht billig und schon gar nicht
umsonst zu haben. Es kostet eine ganze Menge Geld. Ich
wage einmal einen Blick in die Zukunft: Die Reform des
Ehegattensplittings, die zweifelsfrei sinnvoll ist, erfährt
hier im Hause inzwischen einen breiten Konsens.
({7})
- Dies ist ein Blick in die Zukunft; auch das darf man tun.
({8})
Die Reform des Ehegattensplittings wird von der FDP unterstützt, in der SPD debattiert und von den Grünen längst
gefordert.
({9})
Die Weichen für eine kinderfreundliche Gesellschaft,
für eine familienfreundliche Arbeitsmarktpolitik und für
eine zukunftsfähige Gesellschaft haben wir mit diesem
Haushalt gelegt. Jetzt kommt es darauf an, auf diesem
eingeschlagenen Weg gemeinsam weiterzugehen. Wir
sind also auf dem besten Wege und werden diese Politik
nicht nur in dieser Wahlperiode, sondern auch in der kommenden Wahlperiode gemeinsam fortsetzen.
({10})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Klaus Brandner von der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige
Debatte über den Einzelplan 11 hat gezeigt: Die Sozialund Arbeitsmarktpolitik der Koalition ist auf einem guten
Weg.
({0})
Sie von der Opposition auf der rechten Seite dieses Hauses haben in Form von Bierzeltreden die Arbeit der jetzigen Regierungskoalition beklagt.
({1})
Sie haben es aber nicht für nötig gehalten, zur Regierungskoalition zu sprechen. Sie haben sich nur an sich
selbst gewandt. Damit haben Sie sich selbst entlarvt. Das
waren nichts als Wahlkampfreden. Sie haben keine konstruktiven Beiträge geleistet.
({2})
Die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik der Koalition ist
auf einem guten Weg,
({3})
weil wir durch die große Rentenreform, durch die Reform
der Betriebsverfassung, durch die Neuordnung der Behindertenpolitik und nicht zuletzt durch das Job-AqtivGesetz Meilensteine gesetzt haben.
({4})
Ich will Ihnen ganz deutlich sagen: Diese Reformen heben sich kilometerweit von der einseitigen Politik der Vorgängerregierung ab; sie sind erfolgreich.
Ich will in diesem Zusammenhang nur an das Unwort
des Jahres 1997/98 - der Bundesarbeitsminister hat darauf hingewiesen ({5})
erinnern: Reformstau.
({6})
Ein Markenzeichen unserer Koalition ist
({7})
die Reform.
({8})
Wenn die Menschen in der Vergangenheit das Wort Reform gehört haben, dann haben sie ganz schnell die Hände
auf die Taschen gelegt und die Portemonnaies geschlossen, weil sie wussten: Wenn Sie von Reform reden, greifen Sie ihnen in die Tasche; die Menschen verbanden mit
Reform Sozialabbau. Die Menschen hatten daher Angst
vor Reformen.
({9})
Wir haben den Reformstau aufgelöst.
({10})
Unsere sozialpolitische Strategie ist nicht einseitig; sie
verbindet vielmehr die notwendige Flexibilität für die Arbeitgeber mit dem sozialen Schutz der Arbeitnehmer.
Unsere Leitlinie der Reform ist Fördern und Fordern.
Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz bieten wir individuell zugeschnittene Hilfen für Arbeitslose. Gleichzeitig fordern wir
aber auch Arbeitslose auf, für die Überwindung der Arbeitslosigkeit ihren Beitrag zu leisten.
({11})
In der Sozialhilfe haben wir ebenfalls die ersten großen
Erfolge zu verzeichnen; denn bereits 400 000 Sozialhilfeempfänger gehen einer vom Sozialstaat geförderten Beschäftigung nach. Das ist die Hälfte derjenigen, die überhaupt arbeitsfähig sind. Keiner kann sich einfach auf den
Sozialleistungen ausruhen. Unsere Politik greift.
({12})
Die Langzeitarbeitslosigkeit ist in nur drei Jahren gegenüber 1998 um etwa 230 000 - das sind 15 Prozent zurückgegangen.
({13})
Auch die Rehabilitation und die Behindertenpolitik gehen
wir zielgerichtet an.
({14})
Den Weg der Aktivierung treten wir offensiv an.
So weit möglich, wollen wir, dass die Teilhabe am Arbeitsleben gefördert wird. Zu diesem gesellschaftspolitischen Konzept gehört es auch, die Wünsche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit zu berücksichtigen.
Der Trend zur Teilzeitarbeit ist in unserem Land nämlich
ungebrochen. Wer jetzt über den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit klagt, vertritt einseitige Positionen;
({15})
denn der Arbeitgeber kann den Wunsch der Arbeitnehmer
ablehnen, wenn betriebliche Gründe dem entgegenstehen.
({16})
Kleinbetriebe bis 15 Beschäftigte - das wissen Sie - sind
ohnehin ausgenommen. Fördern und Fordern - das sage
ich ausdrücklich - ist nur möglich, wenn auch die Arbeitgeber ihren Beitrag leisten. Dazu fordere ich die Arbeitgeber an dieser Stelle ausdrücklich auf.
({17})
Es steht fest, dass von einer Überforderung bei einem
solch ausgewogenen Gesetz nun wahrlich keine Rede sein
kann. Viele Arbeitgeber nutzen die Angebote der neuen
Gesetze viel zu wenig. Das ist zwischenzeitlich klar geworden. Denn mit dem Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse stehen flexible Instrumente
zur Verfügung, um zum Beispiel Überstunden abzubauen.
Diese Instrumente werden nicht genutzt. Ich appelliere an
die Opposition, die Arbeitgeber nicht beim Klagen und
Jammern zu unterstützen, sondern sie aufzufordern, den
Überstundenabbau endlich ernst zu nehmen und mitzuhelfen, diesen sozialen Skandal zu beenden.
({18})
Im Job-Aqtiv-Gesetz gibt es zahlreiche Elemente, die
geeignet sind, Entlassungen zu vermeiden oder zumindest ihre Zahl zu verringern. Beschäftigungspläne statt
Sozialpläne muss das politische Ziel sein. Statt Entlassungsankündigungen sollten gemeinsame Lösungen
der Tarifvertragsparteien auf der Tagesordnung stehen.
({19})
Vorbildlich waren die Tariffonds zur betrieblichen Altersversorgung. Vorbildlich ist auch der Tarifvertrag bei
VW - 5 000 mal 5 000 -, der jetzt unter Dach und Fach
ist.
({20})
Ich würde es sehr begrüßen, wenn das Bündnis für Arbeit
auf oberster Ebene noch einmal ein positives Signal für
die Beschäftigungsförderung setzen würde. Beschäftigungssicherung und Qualifizierung sind jetzt auch im
Betriebsverfassungsgesetz verankert. Das ist kein Ballast,
meine Damen und Herren von der Opposition, sondern
das ist eine Chance; das ist kein Bremsklotz, sondern ein
guter Standortvorteil in unserem Land.
({21})
Die Wirkungen der Sozialpolitik hängen auch von ihrer Finanzierung ab. Wir haben die beitragsfinanzierten
Leistungen gebremst, um schädliche Rückwirkungen auf
den Arbeitsmarkt zu vermeiden. Wir halten an dem Kurs
fest, die Beiträge so weit wie möglich zu senken.
({22})
Immerhin ist der Beitragssatz zur Rente bei 19,1 Prozent
gehalten worden. Ohne unsere Rentenreform wäre der
Beitragssatz bei fast 22 Prozent geblieben, wie es
während Ihrer Regierunszeit der Fall war.
({23})
Hätten wir Ihre Forderungen umgesetzt - Stichwort Ökosteuer, Stichwort 630-DM-Jobs -, dann lägen wir heute
bei einem Rentenversicherungsbeitrag von 24 Prozent.
({24})
Das ist aus meiner Sicht ein Zeugnis absoluter Regierungsunfähigkeit.
({25})
Sie von der Opposition haben Erfahrungen im Abbruch, wir haben Ideen zum Aufbau. Mit Ihren Rezepten
sind Sie in der Vergangenheit gescheitert. Bei Ihnen ist die
Arbeitslosigkeit drastisch gestiegen. Die Steuern wurden
erhöht, die Sozialkosten allein in den 90er-Jahren um
6,5 Prozent, und das bei einem gleichzeitigen deutlichen
Abbau der Leistungen. Ihre Rezepte sind Gift für die
Menschen in unserem Land.
Deshalb werden sie im Übrigen nicht nur von uns abgelehnt. Norbert Blüm, Ihr langjähriger Sozialpolitiker,
ein erfahrener Sozialpolitiker, hatte Recht, als er auf dem
Mitte des Jahres stattgefundenen CDA-Bundeskongress
von Ihrer Konzeptionslosigkeit sprach und wörtlich sagte:
Die Sozialstaatskommission der CDU dämmert seit
über drei Jahren vor sich hin. Außer ein paar Blähungen ihres Vorsitzenden Christian Wulff habe ich noch
nicht viel Brauchbares gehört.
Dem ist nichts hinzuzufügen!
({26})
Im Übrigen haben Sie, Herr Seehofer, gerade auch in
das Kapitel Blähungen eingestimmt. Sie fordern zum Beispiel, dass Arbeitsverhältnisse bis 2 500 DM durch eine
20-prozentige Zulage gefördert werden sollen. Allein dieses Fördervolumen bedeutet 24 Milliarden zusätzliche
Ausgaben. Bei den Schuldenlasten, die Sie uns hinterlassen haben, sollten Sie solche unqualifizierten Vorschläge
nicht machen.
({27})
Kommen
Sie bitte zum Schluss.
Ja. Zum Schluss: Unsere verantwortungsvolle Haushaltspolitik zeigt sich darin, dass
wir die konjunkturbedingten Mindereinnahmen und
Mehrausgaben am Arbeitsmarkt solide gegenfinanzieren.
Die Bundesanstalt für Arbeit erhält in diesem Jahr wiederum einen Zuschuss von 2 Milliarden Euro, damit sie
ihren Aufgaben auch in schwierigen Zeiten gerecht werden kann. Die Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik
bleiben bei 22,5 Milliarden Euro konstant. Die Arbeitsämter können darüber, wie Sie wissen, weitgehend selbstständig entscheiden. Auf der Basis des Job-Aqtiv-Gesetzes werden Brücken in den ersten Arbeitsmarkt gebaut
werden.
Unsere solide Konsolidierungspolitik werden wir beibehalten und fortsetzen. Eine Verstetigung und Verlässlichkeit der Politik ist das neue Markenzeichen dieser Regierung. Das gilt für die Sozialpolitik und für die Politik
insgesamt. Ich darf unserem Bundesarbeitsminister, unserer Haushälterin Konstanze Wegner - ihr ist bereits gedankt worden - und meiner Fraktion dafür danken, dass
sie diesen Weg des Konsolidierungskurses geschlossen
mitgehen.
Danke schön.
({0})
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über Einzelplan 11,
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, in der
Ausschussfassung. Es liegen drei Änderungsanträge der
Fraktion der PDS vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
14/7670? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Zustimmung der PDS-Fraktion abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
14/7671? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei
Zustimmung der PDS abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
14/7673? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist mit gleichem Stimmenverhältnis
abgelehnt.
Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Einzelplan 11 in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 11 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der übrigen Fraktionen angenommen.
Wir kommen unter Tagesordnungspunkt I Nr. 21 a zur
Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Bestimmung der Schwankungsreserve in der
Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten,
Drucksache 14/7284. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7598, den Gesetzentwurf
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der übrigen Fraktionen angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der übrigen Fraktionen angenommen.
Wir kommen unter Tagesordnungspunkt I Nr. 21 b zur
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/7292 mit dem
Titel: Keine systemwidrigen Eingriffe bei der Schwankungsreserve. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7598, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte I.22 und I.24 auf:
I. 22 Einzelplan 09
Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie
- Drucksachen 14/7309, 14/7321 Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Hampel
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Werner Hoyer
I. 24 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Feststellung des Wirtschaftsplans des
ERP-Sondervermögens für das Jahr 2002 ({0})
- Drucksache 14/7259 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2})
- Drucksache 14/7608 Berichterstattung:
Abgeordnete Dagmar Wöhrl
Zum Einzelplan 09 liegen je zwei Änderungsanträge
der Fraktion der CDU/CSU, der Fraktion der FDP und der
Fraktion der PDS vor. Über einen Änderungsantrag der
Fraktion der CDU/CSU werden wir später namentlich abstimmen. Weiterhin liegt ein Entschließungsantrag der
Fraktion der FDP vor, über den wir am Freitag abstimmen
werden.
Zu Tagesordnungspunkt I.24 liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Dankward Buwitt von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! „Ich mache mir Sorgen um die
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft“ Herr Minister Müller, das ist eine späte Einsicht. Wir sagen das schon länger. Bei dieser Feststellung von Ihnen
sind wir einer Meinung.
Alle Akteure der Volkswirtschaft - die Wirtschafts-,
Steuer-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik - müssen innovativ zusammengreifen, um unsere wichtigste Aufgabe,
die deutliche Senkung der Arbeitslosenzahlen, zu erreichen. - Dies wiederum ist ein Zitat aus der Regierungserklärung des Kanzlers Schröder von vor drei Jahren.
Zwar will ich die Zahl der Übereinstimmungen mit
Minister Müller nicht inflationieren, aber ich bin genau
wie Sie der Meinung, dass die Bundesregierung all diese
Ziele verfehlt hat.
({0})
Sie haben der alten Bundesregierung Reformstau vorgeworfen, den Sie durch den als Wahlkampfgremium benutzten Bundesrat jedoch selbst verursacht haben. Nun,
nach drei Jahren Ihrer Regierungszeit, müssen Sie sich
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
durch das Jahresgutachten 2001/2002 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung völlig zu Recht Ihre verpassten Reformchancen aufzeigen lassen.
Der Bundeskanzler hat dieses Sachverständigengutachten gestern in der Debatte sehr gelobt. Allerdings stelle
ich mir die Frage, ob er es überhaupt richtig gelesen hat.
Pikanterweise ist nämlich eines der zentralen Kapitel in
diesem Gutachten - es umfasst zehn Seiten - mit dem Titel „Verpasste Reformchancen“ versehen. Viel verheerender hätte das Gutachten für die Bundesregierung nicht
ausfallen können.
Das ganze Jahr über - nicht erst seit dem 11. September - haben Sie die Wachstumszahlen korrigiert. Mit einem prognostizierten Wachstum von nur 0,6 Prozent in
diesem und von nur 0,7 Prozent im nächsten Jahr bildet
Deutschland das Schlusslicht in der Europäischen Union.
Es gab unter Helmut Schmidt Zeiten, in denen die Sozialdemokraten das Wort Minuswachstum erfanden. Ich bin
gespannt, welche Wortschöpfung sich die Sozialdemokratie unter Gerhard Schröder für diesen Zustand einfallen lässt.
({1})
Es wurde argumentiert, dass die USA an dem schwachen Wachstum in Deutschland schuld seien,
({2})
dass sie nur wieder schnell auf den alten Wachstumspfad
zurückkehren müssten, damit es auch in Deutschland wieder aufwärts gehe. Diese Argumentation ist falsch. Der
Export ist dank der Euro-Schwäche nach wie vor recht
gut, aber die Binnenkonjunktur lahmt stärker als in allen
anderen europäischen Ländern, und zwar selbstverschuldet. Ich mutmaße allerdings, dass einige derer, die diese
Forderung bezogen auf die USA lautstark erheben, vor
noch gar nicht so langer Zeit „Ami go home“ an die
Wände gesprüht haben.
Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung
bei Übernahme der Regierungsverantwortung gesagt: Wir
machen dieses Land wieder zu einem Bewegungsort. Im
vom Kanzler zu Recht gelobten Sachverständigengutachten steht dazu:
Es war daher bereits ein Fehler, dass die jetzige Bundesregierung das Wenige an Deregulierung des Arbeitsmarktes, das die Vorgängerregierung zustande
gebracht hatte, glaubte rückgängig machen zu müssen. Noch enttäuschender ist, dass dieser Weg hin zu
einer intensiveren Regulierung fortgesetzt wurde:
mittels verschärfter Bedingungen für befristete Beschäftigungsverhältnisse, durch die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Teilzeitarbeit und über eine
deutliche Ausweitung der Arbeitnehmermitbestimmung in Betrieben. Wir
- der Sachverständigenrat hatten aus gesamtwirtschaftlichen Überlegungen heraus davor gewarnt, leider vergeblich.
Besser, als es in diesem Gutachten ausgedrückt worden
ist, kann man die Politik dieser Regierung gar nicht
beschreiben.
({3})
Als neu berufener Wirtschaftsminister hat es sich Herr
Müller gefallen lassen, dass die Grundsatzabteilung des
Wirtschaftsressorts dem Finanzminister zugeordnet blieb.
Die Wirtschaftspolitik hat sich der Fiskal- und Sozialpolitik unterzuordnen. So haben wir einen Wirtschaftsminister, der in dieser wirtschaftlich so schwierigen Zeit am
Kabinettstisch keine Rolle spielt. Die Wirtschaft und damit die arbeitenden und arbeitssuchenden Menschen
brauchen jedoch eine starke Lobby.
({4})
Die Entscheidungen dürfen nicht danach getroffen werden, was gut für die Gewerkschaften ist, sondern danach,
was gut und richtig für die Arbeitnehmer, die Unternehmen und damit für Deutschland ist.
Sie haben die Rahmenbedingungen für die Arbeitsplätze systematisch verschlechtert und sind deshalb auf
die konjunkturell schwache Zeit, die wir im Moment haben, am schlechtesten in Europa vorbereitet. Sie nennen
die eklatanten Verschlechterungen der Rahmenbedingungen ihre sozialen Errungenschaften. Ihnen ist nicht klar
- das ist Ihr alter, grundsätzlicher Fehler -, dass nur das
verteilt werden kann, was erwirtschaftet worden ist. Wenn
Sie nicht endlich begreifen, dass Sie handeln müssen,
dann laufen wir Gefahr, aus der Rezession direkt in die
Depression zu gleiten.
({5})
Anfangs hat Bundeskanzler Schröder den Aufbau Ost
zur Chefsache erklärt. In diesem Sommer hat er eine Reise
durch die neuen Bundesländer gemacht, aber anscheinend
ohne die Probleme dort zu erkennen. Sonst wäre ihm aufgefallen, dass sich die Kluft zwischen Ost und West in
Fragen der Wirtschaftsentwicklung, der Arbeitslosigkeit
sowie bezogen auf die Angleichung der Lebensbedingungen nicht weiter verkleinert hat, sondern wieder größer
geworden ist.
({6})
Es ist verständlich, dass der Aufbau Ost Herrn Schröder
bei seiner Rede kein Wort wert war. Er hätte sonst nämlich erklären müssen, warum zum Beispiel die Unterstützung der neuen Bundesländer durch die GA Ost im Zeitraum von 1998 bis 2002 fast halbiert worden ist.
({7})
Leider haben Sie unsere Minimalforderung, die GA
Ost wenigstens auf dem Vorjahresniveau zu halten, abgeDankward Buwitt
lehnt. Sie können diesen Fehler aber durch Ihre Zustimmung am heutigen Tag korrigieren.
Finanzminister Eichel hat in seiner Rede behauptet,
von der CDU/CSU sei während der Haushaltsberatungen
nicht ein einziger Antrag auf Ausgabenkürzung gestellt
worden. Das ist schlicht und einfach unwahr. Wir haben
zum Beispiel beantragt, die 179 Millionen Euro - immerhin ungefähr 360 Millionen DM - für die zusätzliche
EXPO-Finanzierung, die der ehemalige Ministerpräsident von Niedersachsen dem jetzigen zugeschoben hat, zu
streichen.
Wie ich Ihnen schon vorhin bei meinem Zitat aus der
Regierungserklärung des Bundeskanzlers vor Augen geführt habe, war eine stärkere Beteiligung des Bundes an
den Kosten von Auslandsmessen sogar explizit in der Regierungserklärung erwähntes Ziel der Regierung. Ich
frage mich nur, warum Sie dann diese Beiträge seit Beginn Ihrer Regierungszeit kontinuierlich senken. 1998 belief sich die Ist-Ausgabe noch auf 38 Millionen Euro, umgerechnet ungefähr 76 Millionen DM. In der mittelfristigen Finanzplanung sehen Sie für die nächsten Jahre
nur noch ganze 27 Millionen Euro für die Auslandsmesseförderung vor.
({8})
Dies ist keine Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen für deren Marktauftritt im Ausland!
({9})
Was ist aus der in der Regierungserklärung von vor drei
Jahren als Schwerpunkt Ihrer Wirtschaftspolitik bezeichneten Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovationen im Mittelstandsbereich geworden? Was hatten
Sie nicht alles versprochen! Schwerpunkt sollte sie sein,
die Ausgaben sollten sich verdoppeln und mit 150 Millionen Euro jährlich sollte der Wirtschaftshaushalt von der
Innovationsmilliarde profitieren.
Vergleicht man die Ist-Zahlen von 1998 mit den Ansätzen für 2002 für alle relevanten Titel, dann stellt man fest,
dass nicht 150 Millionen Euro mehr, nicht 100 Millionen Euro mehr und auch nicht 50 Millionen Euro mehr,
sondern 65 Millionen Euro weniger für diese wichtige
Aufgabe zur Verfügung gestellt werden. Dabei ist natürlich zu befürchten, dass angesichts der durch Ihre Verhandlungen während der Haushaltsberatungen vorgenommene Verdopplung der pauschalen Minderausgaben noch
mit weiteren Kürzungen bei der Forschungsförderung zu
rechnen ist. So fördern Sie keine Wirtschaft und so schaffen Sie auch keine Arbeitsplätze.
Was die Wirtschaft in Deutschland - und hier ganz besonders die kleinen und mittleren Betriebe - dringender
als je zuvor braucht, ist:
Erstens. Die Wirtschaftspolitik muss wieder ein Gewicht am Regierungstisch bekommen. Sie darf nicht fiskalischen oder gewerkschaftlichen Gesichtspunkten untergeordnet werden.
Zweitens. Sie braucht eine zeitnahe steuerliche Entlastung und keine Versprechungen für das Jahr 2005.
Drittens. Sie braucht eine sofortige Befreiung von unnötigen bürokratischen Hemmnissen und flexiblere Möglichkeiten der Arbeitszeitgestaltung.
Viertens. Sie braucht eine Erleichterung für kleine Betriebe in Bezug auf Kündigungsmöglichkeiten, weil dies
die Voraussetzung für neue und für mehr Einstellungen
ist.
Fünftens. Sie braucht ein unternehmerfreundliches
Klima für mehr Investitionen und mehr Arbeitsplätze.
({10})
Herr Schlauch hat gestern die Opposition aufgefordert,
Deutschland nicht schlecht zu reden. Meine Damen und
Herren, das Schlechtreden ist nicht das Problem. Unser
wahres Problem ist, dass Deutschland durch Ihre Politik
in einer so schlechten Lage ist. Wir brauchen eine Umkehr
der Politik. Dies wird Rot-Grün zum großen Schaden für
Deutschland leider nicht schaffen.
Recht herzlichen Dank.
({11})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Manfred Hampel von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch die Abschaffung des Kohlepfennigs und die Finanzierung aus dem Bundeshaushalt ist die
Situation für den Einzelplan des Bundeswirtschaftsministers unverändert schwierig. Einerseits muss natürlich
auch dieser Einzelplan seinen Beitrag zur Erreichung des
Konsolidierungsziels eines ausgeglichenen Haushalts bis
zum Jahre 2006 leisten; ich gebe Ihnen Brief und Siegel
darauf, dass wir dieses Ziel erreichen werden. Andererseits ist durch den hohen Anteil der vertraglich vereinbarten Steinkohlezuwendungen - wir stehen ohne Wenn und
Aber zu dieser vertraglichen Vereinbarung, da gibt es kein
Vertun - ein erheblicher Teil des BMWi-Haushalts gebunden und bietet keine Einsparungspotenziale. Trotz
oder - besser gesagt - wegen dieser schwierigen Ausgangslage haben wir im Einzelplan deutliche Verbesserungen vorgenommen, und zwar ohne dafür den Gesamthaushalt auszuweiten.
({0})
Im Gegenteil: Der Etat des Bundes konnte um 300 Millionen Euro gesenkt und die Nettokreditaufnahme von
21,1 Milliarden Euro beibehalten werden. Das ist wieder
ein guter Schritt auf dem Weg zu einem ausgeglichenen
Haushalt im Jahr 2006. Obwohl das Volumen im Haushalt
sinkt, konnten in einigen Ressorts durch den Einsatz von
Zinsersparnissen aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen
wiederum Verbesserungen in den Bereichen Infrastruktur
- Schiene und Straße -, Forschung und Bildung, Energieforschung, Gebäudesanierung und CO2-Minderung erreicht werden.Auch für das Jahr 2003 ist und bleibt die Finanzierung der genannten Vorhaben beschlossene Sache.
Das ist erneut ein wichtiger Beitrag, um deutlich zu
machen, dass Sparen kein Selbstzweck ist, sondern mit
der Rückführung und dem Abbau von Schulden wieder finanzielle Spielräume geschaffen werden, die Handlungsoptionen ermöglichen und damit Gestaltungsspielräume
in einem Haushalt eröffnen.
({1})
Im Haushalt des Bundeswirtschaftsministers haben wir
in den parlamentarischen Beratungen Verbesserungen in
einem Gesamtumfang von 217,6 Millionen Euro erzielen
können. Rechnet man die Erhöhung der globalen Minderausgabe von 21,2 Millionen Euro dagegen, bleibt immer
noch ein Saldo von 196,4 Millionen Euro mehr.
Ein Wort zur globalen Minderausgabe. Mich wundert,
dass der Kollege Buwitt nicht darauf eingegangen ist. Ich
war eigentlich sicher, dass die Opposition darauf herumreiten würde. Auch mir gefällt es nicht, dass sie wegen der
Forderungsausfälle im BTU-Programm auf 41,2 Millionen Euro erhöht werden musste. Sie bleibt aber damit immer noch um rund 5 Millionen Euro niedriger als im letzten Haushalt.
Wenn Sie diese Höhe stören sollte, meine Damen und
Herren von der CDU/CSU- und von der FDP-Opposition,
dann empfehle ich Ihnen, sich die GMA in diesem Haushalt im Vergleich zu den letzten Jahren anzusehen, in denen Sie die Regierungsverantwortung getragen haben.
({2})
Ich möchte ein paar Zahlen nennen, die ich wegen der
Vergleichbarkeit in Eurowerte umgerechnet habe. Noch einmal zur Erinnerung: Bei uns beträgt die globale Minderausgabe im Jahr 2002 41,2 Millionen Euro. Wie sieht es bei Ihnen aus? Im Jahr 1996 betrug sie 63,9 Millionen Euro, das
Eineinhalbfache, 1997: 134,4 Millionen Euro, mehr als das
Dreifache, 1998 - im sicherlich für lange Zeit letzten Jahr
Ihrer Regierungsverantwortung -: 104,6 Millionen Euro,
immer noch das Zweieinhalbfache. Sie sollten also bei diesem Thema ganz ruhig sein.
({3})
Beim Kohlekompromiss ist es der Bundesregierung
gelungen, diesen für die Restlaufzeit des EGKS-Vertrages
abzusichern. Es ist davon auszugehen, dass eine neue EURegelung die Umsetzung des Kohlekompromisses bis
2005 ermöglichen wird. Damit kann und wird die im
Jahre 1997 geschlossene Vereinbarung konsequent umgesetzt. Ich führe dies nur kurz an, weil seitens der
CDU/CSU- und FDP-Opposition in den Diskussionen
dieser Kompromiss immer wieder infrage gestellt wird,
obwohl die Vereinbarung unter Ihrer Regierungsverantwortung geschlossen wurde. Aber so ist es: Kaum sind Sie
in der Opposition, wollen Sie Ihre eigenen Vereinbarungen nicht mehr kennen.
({4})
Auf einige einzelne Veränderungen, die wir im Laufe
der parlamentarischen Beratungen beschlossen haben,
gehe ich im Detail ein. Für die Förderung des Absatzes
ostdeutscher Produkte, auch für die Inlandsmesseförderung, haben wir den Baransatz von 9 auf 10 Millionen Euro erhöht. Wir haben dies für notwendig erachtet,
da ostdeutsche Produkte und Dienstleistungen hinsichtlich ihres Anteils am gesamtdeutschen Absatz noch immer einen erheblichen Nachholbedarf haben. Insofern haben wir für die ostdeutschen Anbieter den wichtigen
Faktor Inlandsmessen gestärkt. Das gilt übrigens auch für
den Bereich Auslandsmesseförderung, den wir um 4 Millionen Euro auf 33,4 Millionen Euro erhöht haben.
({5})
Die Mittel für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben
im Bereich der erneuerbaren Energien haben wir im Umfang von 20 Millionen Euro erhöht.
({6})
Damit ist wiederum ein wichtiger Beitrag zum Ausstieg
aus der Kernenergie und zur stärkeren Nutzung alternativer Energiequellen geleistet worden.
Im gleichen Zusammenhang steht die Erhöhung der
Mittel für das Marktanreizprogramm für regenerative
Energiequellen um 100 Millionen Euro.
({7})
Dieses Programm ist in den vergangenen zwei Jahren so
stark angenommen worden, dass die im Haushaltsentwurf
2002 eingestellten 100 Millionen Euro nie ausgereicht
hätten, um die enorme Nachfrage zu befriedigen. Im Übrigen ist dies wieder ein Beleg dafür, dass sich unsere Programme als zukunftssicher, innovativ und beschäftigungswirksam erweisen.
({8})
Ich hoffe, dass die nunmehr bereitgestellten 200 Millionen Euro ausreichen, die Förderanträge zufrieden stellend zu bedienen. Der Run auf diese Programme zeigt
doch, welches enorme Nachholpotenzial im Bereich der
erneuerbaren Energien steckt. Unter Ihrer Regierung,
meine Damen und Herren von der rechten Seite, wären
dieses Potenzial und die damit verbundenen Arbeitsplätze
nie geschaffen worden.
({9})
Erwähnenswert ist auch, dass wir innerhalb dieses Titels die Gewinnung von Energie aus Biomasse bis zu einer Höhe von 35 Millionen Euro fördern. Sollte sich der
Bedarf als höher erweisen, gehe ich davon aus, dass im
Haushaltsvollzug die entsprechenden Prioritäten gesetzt
werden. Das kann nur ein Appell an den Bundeswirtschaftsminister sein.
({10})
Im Bereich der neuen elektronischen Medien haben
wir die Barmittel um 3 Millionen Euro erhöht, damit die
Fortführung des Programms „Internet für alle“ gesichert
ist. Diese Aktion hat sich im laufenden Haushaltsjahr als
überaus erfolgreich erwiesen. Es sollen auch im kommenden Jahr alle gesellschaftlichen Gruppen bürgernah
und umfassend über die neuen Informations- und
Kommunikationstechniken, insbesondere über den Umgang mit dem Internet, informiert werden können.
({11})
Diese Maßnahmen erfolgen weiterhin unter Einbeziehung
und in enger Abstimmung mit den Aktivitäten der Wirtschaft und anderer gesellschaftlicher Gruppen.
Für die Forschungsförderung haben wir insgesamt
23,3 Millionen Euro zusätzlich bereitgestellt. Davon sind
2 Millionen Euro für die industrielle Gemeinschaftsforschung. 1,5 Millionen Euro sind für die Sicherheitsforschung im Bereich kerntechnischer Anlagen gedacht.
10 Millionen Euro sind für Forschung und Entwicklung in
den neuen Bundesländern. 7 Millionen Euro sind für die
indirekte Förderung der Forschungszusammenarbeit und
der Unternehmensgründungen gedacht. Nicht zuletzt
werden 2,8 Millionen Euro für das neue Programm „Netzwerkmanagement-Ost“, kurz NEMO genannt, bereitgestellt.
({12})
Damit wird die Forschungsförderung auf einem hohen
Niveau insbesondere in den neuen Ländern fortgeführt.
Durch den neuen Förderwettbewerb „Netzwerkmanagement-Ost“ soll in den neuen Bundesländern die Bildung von innovativen Netzwerken durch die Förderung
sachkompetenter technologischer und betriebswirtschaftlicher Managementleistungen unterstützt werden. Es sollen leistungsfähige Netzwerke angestoßen werden, wie
sie bereits in den alten Bundesländern wirksam sind. Solche Netzwerke bieten gerade kleinen und vorwiegend
jungen innovativen Unternehmen die notwendigen Kostenvorteile und Marktchancen für ihre Forschungs- und
Entwicklungsarbeit. Nur im Rahmen solcher Netzwerke
sind sie in der Lage, die zunehmende Nachfrage nach Systemlösungskompetenz zu decken.
Für die Forschung zur Sicherung kerntechnischer Anlagen gegen terroristische Übergriffe sind im Rahmen der
Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung ergriffen worden sind, 5 Millionen Euro
im Einzelplan 60 bereitgestellt.
Das ERP-Sondervermögen hat sich in den letzten
Jahren zum zentralen und erfolgreichen Element der finanziellen Mittelstandsförderung des Bundes entwickelt.
Mit seinem Förderangebot setzt Deutschland vor allem
auch dank der ERP-Förderung Maßstäbe in Europa. Deshalb werden auch im kommenden Jahr die bewährten
ERP-Programme für Existenzgründer sowie die Programme für bestehende und wachsende Unternehmen auf
einem bedarfsgerecht hohen Niveau fortgeführt.
({13})
Im Wirtschaftsplan 2002 des ERP-Sondervermögens
stehen 5 Milliarden Euro für ERP-Kredite und Beteiligungskapital zur Verfügung. Weiterhin enthält der ERPWirtschaftsplan 2002 die Ermächtigung, im Rahmen des
Programms „Beteiligungskapital für kleine Technologieunternehmen“ ein mobilisiertes Eigenkapital von
rund 1 Milliarde Euro bereitzustellen.
Der vorliegende ERP-Wirtschaftsplan 2002 zeigt auch
erneut, dass wir auf die speziellen Finanzierungsprobleme
von Existenzgründern und mittelständischen Unternehmen in den neuen Ländern in besonderem Maße eingehen.
({14})
Knapp die Hälfte der finanziellen Fördermittel aus dem
ERP-Plan von rund 5 Milliarden Euro kann bei Bedarf
von dortigen Unternehmen in Anspruch genommen werden. Die ERP-Förderung bleibt damit ein stabiles und verlässliches Instrument für Gründer und mittelständische
Unternehmen in Deutschland.
Auch die Mittel für die Förderung des A 380 wurden
aus dem Bundeshaushalt in das ERP-Sondervermögen
verlagert. Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden.
Wir hatten jedoch bei der im letzten Haushaltsjahr gefundenen Lösung eines direkten Darlehens aus dem Bundeshaushalt diese Mittel qualifiziert gesperrt, um unseren
parlamentarischen Einfluss darauf zu sichern, wie und in
welchem Umfang Zulieferer aus den alten und den neuen
Bundesländern an diesem Programm partizipieren.
Mit der Verlagerung in das ERP-Vermögen ist dieser
parlamentarische Einfluss dahin. Stattdessen ist nun
die Bundesregierung aufgefordert, diese Aufgabe wahrzunehmen und dem Haushaltsausschuss periodisch über
die erreichten Ergebnisse zu berichten.
({15})
Wir erwarten von diesem Programm eine direkte, nachhaltige Beschäftigungswirkung von 15 000 bis 16 000 Mitarbeitern bei der EADS und den circa 600 Zulieferfirmen.
Wir erwarten aber auch von der EADS, dass sie den Anteil der Zulieferungen aus den neuen Bundesländern weiter erhöht. Ob und wie dies geschieht, muss Inhalt der
künftigen Berichte der Bundesregierung sein.
Für die Werftindustrie haben wir vorsorglich eine
qualifiziert gesperrte Verpflichtungsermächtigung in
Höhe von 24 Millionen Euro eingestellt, da auf EU-Ebene
über eine Wiederaufnahme der Wettbewerbshilfe für
Schiffswerften erst in der kommenden Woche entschieden
wird, also zu einem Zeitpunkt, an dem unsere abschließende Beratung des Haushaltes 2002 bereits stattgefunden hat. Für den Fall einer positiven Entscheidung
ist es ein formaler Akt, die qualifizierte Sperre Anfang
kommenden Jahres aufzuheben.
Den Antrag der CDU/CSU-Fraktion werden wir natürlich ablehnen. Ich sage Ihnen auch gleich, warum.
({16})
Erstens geht er von Beträgen aus, die durch nichts unterlegt sind. Die von uns eingestellte Verpflichtungsermächtigung basiert auf Zahlen, die wir in intensiven Gesprächen mit der Werftindustrie abgestimmt haben.
Zweitens. Sie wollen den Bund-Länder-Anteil wieder
auf 50:50 setzen. Dabei haben Sie selbst den Anteil zugunsten des Bundes verändert, obwohl der Wertschöpfungsanteil schon damals bei mehr als zwei Dritteln im
Bereich der Zulieferindustrie lag.
In Ihrem Antrag sprechen Sie von Bayern und BadenWürttemberg. Haben Sie schon einmal mit Ländern darüber gesprochen? Hierfür sind vorab intensive BundLänder-Gespräche notwendig. Ich gehe davon aus, dass
Sie diese natürlich nicht geführt haben.
Drittens. Wenn Sie es mit dieser Sache wirklich ernst
meinen, dann starten Sie doch über die Länder Bayern und
Baden-Württemberg, die sich bisher nicht an den Lasten
beteiligt haben, gemäß Ihrem Antrag aber vorwiegend
durch die Wertschöpfung von den Küstenländern profitieren, eine Bundesratsinitiative, die deren prozentualen Anteil angemessen berücksichtigt.
({17})
Ich bin sehr neugierig, wie erfolgreich Ihre Bemühungen
sein werden. Sie können aber nicht im Ernst daran glauben, dass wir einen derart unseriösen Antrag unterstützen.
Für die künftigen Jahre ist es notwendig, sich unabhängig von der Entscheidung der EU dazu Gedanken zu
machen, wie die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und
europäischen Werftindustrie gegenüber den Billiganbietern aus Fernost gesichert werden kann.
In den technisch hochwertigen Schiffen aus Europa
steckt ein hohes Maß an Forschungskapazität, welches
von der Werftindustrie fast ohne jede Förderung erbracht
wird. Andere Industriezweige wie die Automobil- oder
die Computerindustrie partizipieren in einem wesentlich
höheren Maße von Forschungsförderung als der Schiffbau, bei dem fast jedes Schiff ein Prototyp ist.
Ich fordere deshalb die Bundesregierung ausdrücklich
auf, tragfähige und einfache Förderkriterien zu definieren,
die einen unkomplizierten und schnellen Zugang auch
dieses Industriezweiges zu den Fördermitteln ermöglichen.
({18})
Da es sich ausschließlich um anwendungsorientierte Forschung handelt, sollte eine Etatisierung im Bereich des
Bundeswirtschaftsministers erwogen werden.
Im Bereich Außenwirtschaftsförderung haben wir
sowohl bei den Auslandmessen als auch bei den Außenhandelskammern den Etat erhöht. Die Auslandmessen
werden damit in einem Umfang gefördert, der ungefähr
dem Ist dieses Jahres entspricht. Bei den Außenhandelskammern ist diese Förderung mit 34 Millionen Euro sogar ein wenig höher als in diesem Jahr.
Für die Erstellung von Projektstudien zur Vorbereitung
des Engagements von kleinen und mittleren Unternehmen
im Ausland sollen 1 Million Euro zielgerichtet eingesetzt
werden. Dabei sind insbesondere solche Projekte förderungswürdig, die ein hohes Potenzial für spätere deutsche
Zulieferungen und Investitionen aufweisen.
Die CDU/CSU-Fraktion hat für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“
einen Antrag auf Erhöhung der Mittel gestellt, den ich unter der Rubrik „Populismus“ ablege und den wir natürlich
ablehnen werden.
({19})
Diese Mittel sind zur Hälfte durch die Länder kofinanziert.
Eine einseitige Erhöhung ohne Abstimmung mit den Ländern, insbesondere mit den neuen Ländern, die mit der Kofinanzierung Probleme haben, macht wirklich keinen Sinn.
({20})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, da ich dem
neuen Bundestag nicht mehr angehören werde, war dieser
Haushalt mein letzter ordentlich beratener Haushalt. An
den Beratungen über den Haushalt des Bundeswirtschaftsministers habe ich in den letzten acht Jahren teilgenommen; wie erfolgreich oder weniger erfolgreich dies
war, müssen letztlich andere beurteilen.
In diesem Jahr können wir mit dem Haushalt des Bundeswirtschaftsministers im Großen und Ganzen zufrieden
sein. Wir konnten in wesentlichen Punkten deutliche Verbesserungen erreichen. Dieser Haushalt ist damit ein Beitrag, die derzeit eher mäßigen Konjunkturaussichten zu
verbessern. In diesem Sinne werbe ich um Zustimmung.
Vielen Dank.
({21})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Rainer Brüderle von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Schrumpfhaushalt des Wirtschaftsministers ist bereits heute Makulatur. Das für das nächste
Jahr prognostizierte Wachstum von 1,25 Prozent, das
auch dem Einzelplan 09 zugrunde liegt, ist Illusion. Das
bestätigen alle nationalen und internationalen Konjunkturforscher. Herr Müller, gehen Sie daher mit Herrn
Eichel noch einmal in Klausur und berücksichtigen Sie
unsere vernünftigen Änderungsanträge.
Wir wollen das Bundeskartellamt stärken, damit der
Wettbewerb ein kräftiges Rückgrat bekommt. Das ist bei
dieser Bundesregierung und bei diesem Minister leider bitter notwendig. Das jüngste Beispiel zeigt, wie wenig der
Bundeswirtschaftsminister mit der Idee des Wettbewerbs
anfangen kann. Noch bevor das Bundeskartellamt die geplante Fusion in der Mineralölwirtschaft überhaupt geprüft
hatte, wedelte er bereits mit einer Ministererlaubnis.
({0})
Der Minister übersieht: Gingen Shell, DEA und
BP/Aral zusammen, dann beherrschten sie über 50 Prozent des deutschen Marktes. Da lohnt es sich im Interesse
des Wettbewerbs schon, genauer hinzusehen. Deshalb
fordere ich Sie auf, Herr Müller, die Marktbereinigung bei
den Tankstellen doch dem Markt zu überlassen. Die
Großen werden mit der Fusion, die sie unbedingt wollen,
vom Wettbewerbsdruck befreit, wenn der Druck auf die
Kleinen verschärft wird.
({1})
Ganz offensichtlich setzt Herr Monopolminister
Müller hier auf eine Flurbereinigung allein zulasten des
Mittelstandes. Das ist ungeheuerlich.
({2})
Deshalb sage ich: Hände weg von dem Holzhammerinstrument Ministererlaubnis! Der Schutz des Wettbewerbs verlangt eine saubere wettbewerbspolitische Prüfung.
({3})
Berücksichtigen sollten Sie auch unseren Vorschlag,
die Grundsatzabteilung vom Finanzministerium wieder
in das Wirtschaftsministerium zurückzugliedern.
({4})
Es wird immer deutlicher: Ihnen fehlt nicht nur die Autorität im Kabinett; Ihnen fehlt auch das Fachwissen aus der
Grundsatzabteilung.
({5})
Ich zitiere den Direktor des Instituts der deutschen
Wirtschaft, Herrn Professor Fels: Wir haben einen Haushaltsminister. Wir haben einen Gewerbeminister. Aber wir
haben keinen, der sich um die Konjunktur kümmert. - Das
ist es!
({6})
Mit anderen Worten. Der Regierung fehlt schlichtweg der
Chefökonom. Niemand kümmert sich um die Wachstumsund Beschäftigungskrise, in die Grün-Rot Deutschland
geführt hat. Das ist eine der Ursachen für die schlechte
wirtschaftspolitische Performance.
Das Kompetenzgerangel zwischen Wirtschafts- und
Finanzministerium der Vergangenheit hat der Politik zusätzlich geschadet. Es fehlt die klare ordnungspolitische
Linie.
({7})
Niemand weiß so recht, wohin die Reise geht. Deshalb
muss das Wirtschaftsministerium wieder das werden, was
es früher war: das ordnungspolitische Gewissen der Regierung.
({8})
Dazu bedarf es des entsprechenden Unterbaus, nämlich
des Sachverstandes.
Die Liste der ordnungspolitischen Sünden ist lang:
Verlängerung des Briefmonopols - kein Beitrag, um den
Wirtschaftsstandort zu stärken -, Vorstoß für nationalen
Energiesockel - nichts anderes als der Versuch, dem
Wettbewerb auszuweichen -, „Pennerprämie“ für die
Stadtwerke im KWK-Vorschaltgesetz, Holzmann-Bürgschaft, Liberalisierungsstau; auf der letzten Meile immer
noch zu 99 Prozent ein Telekom-Monopol. Glücklicherweise ist das Zwangspfand gescheitert. Aber auch in anderen Bereichen sind die bürokratischen Regelungen der
falsche Weg. Deshalb ist die Ordnungspolitik der entscheidende Punkt. In der Wirtschaftspolitik muss es wieder einen Kompass geben.
({9})
Es darf nicht eine Politik nach Gutsherrenart sein, bei
der derjenige, der gerade am Kanzler vorbeigeht, ein Bonbon bekommt.
Interessant war gestern die Vorstellung des Energieberichts der Bundesregierung aus dem Hause Müller. Die
Umstellungskosten zur Erreichung der Klimaziele bezifferte Energiefachmann Müller auf etwa 500 Milliarden DM für die deutsche Volkswirtschaft. Auf diese mutige Äußerung des Ministers folgten natürlich sofort die
Beißreflexe der Grünen. Dabei legen gerade die Grünen
die Axt an die Klimaschutzziele.
({10})
Jährlich lassen sich durch die nukleare Energieerzeugung
100 Millionen Tonnen Kohlendioxid einsparen. Doch genau aus dieser Technologie wollen die Grünen aussteigen.
Stattdessen werden Subventionen in Milliardenhöhe in
die erneuerbaren Energien hineingepumpt.
Die Liberalisierungsgewinne in der Stromwirtschaft
sind durch Grün-Rot in drei Jahren praktisch verspielt.
Aus den gut 15 Milliarden Ersparnissen, primär für die
Kleineren - die Großkonzerne haben nie Tarif gezahlt ist wieder eine Zusatzbelastung von 12 Milliarden geworden. Das ist eben grün-rote Energiepolitik.
Jetzt kommt noch die Kraft-Wärme-Kopplung. Das
KWK-Gesetz hätte ich und hätte auch Walter Hirche
heute gern mit Ihnen leidenschaftlich debattiert. Aber Sie
haben es wieder von der Tagesordnung genommen, weil
Sie sich nicht einigen können, weil Sie keine Linie haben,
weil Sie nicht wissen, was Sie wollen, weil die Eiertänze
weitergehen.
({11})
Der müllersche Entwurf geht insbesondere den Grünen
offenbar nicht weit genug. Mit dem Gesetz wird die kommunalpolitische Kundschaft der SPD bedient. Den Grünen wird es als Klimaschutzprogramm verkauft und die
fallen auch noch darauf herein.
Das Ganze soll nach der Vorstellung von Herrn Müller
bis zum Jahr 2010 9 Milliarden DM kosten. Damit wird
ein weiterer Preistreiber im Energiemarkt auf den Weg
gebracht. Offensichtlich reichen diese Preistreibereffekte
Grün-Rot nicht. Es soll noch draufgesattelt werden. Der
Markt muss noch mehr belastet werden. Offenbar gibt es
noch nicht genügend Entlassungen in diesem Land.
Herr Müller, Sie werden es schwer haben, in der Energiepolitik nur halbwegs kostengünstige Strukturen zu halten. Ihren Energiebericht haben insbesondere die Grünen
Ihnen um die Ohren geschlagen. Herr Loske spricht von
einer Provokation, Frau Hustedt spricht von tendenziösen
Fakten, Herr Kuhn ist sowieso dagegen und der SPDFraktionsvize Müller spricht von einem Chaosbericht
({12})
eines Ministers der eigenen Regierung.
({13})
All das zeigt: Der zuständige Fachminister wird von den
Koalitionsfraktionen nicht mehr ernst genommen. Es
zeigt aber auch: Die grün-rote Energiepolitik ist an die
Wand gefahren worden.
({14})
Insgesamt wird der Etat von Monopolminister Müller
um über 12 Prozent zusammengestrichen. In keinem anderen Ressort wird so viel gekürzt wie bei ihm. Daran
wird sich auch bei Nachverhandlungen nichts mehr ändern. Aber der Wirtschaftsetat ist das Sinnbild für den
Rang der Wirtschaftspolitik bei Grün-Rot; sie ist nämlich
Schlusslicht.
({15})
Wirtschaftspolitik ist hier ein Mauerblümchen, ein lästiger, vernachlässigbarer Restposten, und das in einer Zeit,
in der wir uns auch nach Meinung des Sachverständigenrats in einer Rezession befinden, viele Menschen
Angst um ihren Arbeitsplatz haben und wir auf über 4 Millionen Arbeitslose zusteuern. Wenn Sie die vielen ABMMaßnahmen noch hinzurechnen, haben wir in Wahrheit einen Bedarf von gut 5 Millionen Arbeitsplätzen in
Deutschland. Und vor diesem Hintergrund diese Politik!
Monatelang wurde die prekäre wirtschaftliche Lage
hartnäckig geleugnet. Was wurden wir hier beschimpft als
Schwarzredner, als wir - im Mai schon - gewarnt haben.
Als Herr Eichel noch davon träumte, mit 2,75 Prozent realem Wachstum die Wirtschaft gestalten zu können, haben
wir gesagt: Seien Sie froh, wenn Sie 1 Prozent kriegen. Da
wurden wir heruntergemacht als Opposition, die nur
schlechtredet. Heute liegen Sie unter 1 Prozent. Sie können froh sein, wenn Sie mit 0,6 Prozent, wie es der Sachverständigenrat sagt, davonkommen. Dabei wird immer
nur die positive Variante der Prognose des Sachverständigenrats zitiert. Er hat nämlich zwei Varianten vorgestellt,
eine unter den drei Prämissen, dass der Ölpreis weiter
sinkt, die amerikanische Wirtschaft mindestens 1,3 Prozent Wachstum hat und moderate Lohnabschlüsse vereinbart werden. Zu den Lohnabschlüssen versprechen die
Gewerkschaften schon tönend, das sei nicht möglich. Nur
unter diesen drei Prämissen kann ein Plus von 0,6 Prozent
herauskommen. Die zweite Variante des Sachverständigenrats lautet minus 0,6 Prozent, das verschweigen Sie
völlig. In Wahrheit liegen wir wahrscheinlich dazwischen, ungefähr bei 0 Prozent.
Vor diesem Hintergrund muss etwas getan werden. Sie
stehen vor einem Scherbenhaufen Ihrer Wirtschaftspolitik
und Ihres Nichtstuns.
({16})
Der Bundeskanzler spricht bei bald 4 Millionen Arbeitslosen in Deutschland verniedlichend von einer Delle. Herr
Eichel, der Ratlose, versteckt sich hinter seiner Buchhaltung und will sich mit Steuererhöhungen über die Runden
retten. Das ist eine Art brüninghafter Reflex. Meine Damen und Herren, weniger Investitionen und höhere Steuern, eine solche falsche Politik hat schon einmal die deutsche Volkswirtschaft an die Wand gefahren. Das kann der
Weg nicht sein!
({17})
Jetzt werden Tabaksteuer, Versicherungssteuer, Mineralölsteuer und Stromsteuer erhöht und der Wirtschaftsminister sagt nichts Kritisches dazu, sondern heißt es noch
gut.
({18})
Das ist sein Signal an die Wirtschaft. Das ist das falscheste Signal, das man in der jetzigen Situation geben kann,
({19})
nämlich Steuern zu erhöhen statt einen Weg zu finden,
durch den die Wirtschaft wieder in Schwung kommt. Das
Gegenteil wäre richtig. Sie müssten jetzt die Steuerreform
vorziehen, sie müssten jetzt Gas geben, bevor wir noch
tiefer ins Loch hinein fallen.
Ihren Haushalt können Sie sowieso nicht halten. Die
Steuereinnahmen gehen dramatisch zurück. Die Sachverständigen gehen noch von 32 Millionen Steuerausfall
in diesem und im nächsten Jahr verteilt über die Gebietskörperschaften aus und das ist eher an der unteren Grenze
dessen, was man schätzen kann. Wahrscheinlich werden
es mehr sein. Aber selbst bei dieser Größenordnung halten Sie den Haushalt nicht. Sie rechnen ihn sich schön mit
Wachstumsraten, die völlige Träumerei sind.
Die Soziallasten steigen von Monat zu Monat, weil die
Arbeitslosigkeit in Deutschland seit Januar jeden Monat
steigt. Sie halten die Linie nicht. Statt Ihren Haushalt
durch Nichtstun kaputtzumachen, sollten Sie ihn konsolidieren, indem Sie etwas tun, indem Sie steuerliche Impulse geben.
({20})
Ich wiederhole meinen Vorschlag: Machen Sie den Ansatz
mit Steuerschecks. Das ist kein Geschenk, das sind Abschlagszahlungen auf Steuersenkungen. Statt den Mittelstand zu diskriminieren und schlecht zu behandeln,
sollten Sie die schon beschlossenen Steuersenkungen vorziehen oder eine Abschlagszahlung geben, damit die
Menschen spüren, dass sich in Deutschland etwas ändert,
damit ein Stück Bewegung hineinkommt. Sie können den
Haushalt konsolidieren, indem Sie aktiv etwas tun. Das
Nichtstun gefährdet die Konsolidierung natürlich noch
dramatischer.
({21})
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?
Sehr gern; denn ich bin fast
am Ende meiner Rede. Herr Kollege Hinsken, das ist Solidarität.
Wie ich gerade
sehe, hatten Sie Ihre Redezeit schon überschritten. Ich
bitte Sie, nur noch diese Nachfrage zu beantworten.
Selbstverständlich, und zwar
mit großer Freude, Frau Präsidentin.
Sehr geehrter Herr Kollege Brüderle, Sie beklagen zu Recht die schlechte Steuerpolitik für den Mittelstand. Sie erinnern sich aber sicherlich genauso gut wie ich an den 14. Juli des
Jahres 1999: Damals haben doch Sie den großen Durchbruch verkündet. Sie haben immer wieder gesagt, wir
müssten diese Vorschläge unterstützen, damit die Bundesregierung diese Steuerreform - die Sie jetzt kritisieren umsetzen könne. Das passt doch nicht zusammen.
({0})
Herr Hinsken, für diese
Frage bin ich Ihnen sehr dankbar. Ich werde sie gern in der
gebotenen Klarheit beantworten.
Wir standen vor der Frage, ob Deutschland überhaupt
nichts zustande bringt. Wir waren international schon die
Lachnummer.
({0})
Die ganze Welt sagte: Deutschland kann nichts bewegen.
Die „New York Times“ schrieb in einem Leitartikel: Ein
Land, das 30 Jahre über die Abschaffung des Ladenschlusses diskutiert und das nicht einmal eine Teilreform
zustande bringt, hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden.
Wir haben erreicht, dass zusätzlich 7 Milliarden DM an
Steuererleichterungen hinzukamen. Das war ein entscheidender Punkt; denn es bestand eine zum Himmel
schreiende Ungerechtigkeit für den deutschen Mittelstand: Gerade die kleinen und mittleren Handwerker hatten ihre Lebensplanung darauf ausgerichtet, ihren Betrieb
im Alter oder bei Erwerbsunfähigkeit zum halben Steuersatz verkaufen zu können, um mit den Einnahmen aus diesem Verkauf ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Obwohl Handwerker und Mittelständler jahrzehntelang
ihre Lebensplanung darauf ausgerichtet hatten, hat GrünRot diese Möglichkeit einfach gestrichen.
Diese Ungerechtigkeit zurückzunehmen und für alle
eine zusätzliche Steuerentlastung in Höhe von 7 Milliarden DM zu schaffen, war meines Erachtens ein Ansatz
wenigstens für eine Teillösung.
({1})
Ich habe nie gesagt, dass diese Teillösung befriedigend ist,
Herr Hinsken, aber der andere Weg, gar nichts zu machen,
wäre noch schlimmer gewesen.
({2})
Die politische Konstellation sah leider so aus, dass
Grün-Rot - ich habe die wirklich nicht gewählt; ich bin
unschuldig - eine Mehrheit hat. Unter diesen Umständen
musste man versuchen, wenigstens eine Teillösung zu finden. Mir wäre natürlich eine ganz andere Lösung lieber
gewesen; aber die gefundene Lösung war zumindest ein
Ansatz. Durch die erreichte Verbesserung haben wir uns
wenigstens nicht völlig blamiert.
({3})
Jetzt befinden wir uns in einer neuen Situation. Mittlerweile ist die Konjunktur „abgeschmiert“. Nötig wäre
es, die weiteren Stufen der Steuerreform vorzuziehen.
({4})
Herr Kollege,
Sie überschreiten Ihre Redezeit.
Ich muss die Frage beantworten. Das hätte zwei Effekte: Man würde ein Stück Ungerechtigkeit ausgleichen und - das ist der Kernpunkt man würde ein weiteres „Abschmieren“ der Konjunktur
verhindern. Tatsache ist, dass nun, da sowohl die amerikanische als auch die japanische Wirtschaft in einer Rezession stecken, auch Deutschland in eine Rezession hineinrutscht. Deshalb ist jetzt Handeln geboten.
Herr Kollege,
jetzt fahren Sie aber mit Ihrer normalen Rede fort. Denken Sie an die Zeit, bitte.
Der Respekt vor dem Abgeordneten Hinsken gebietet es natürlich, seine Frage korrekt zu beantworten, Frau Präsidentin.
({0})
Der Abgeordnete Hinsken fühlte sich, glaube ich, schon genug berücksichtigt.
({0})
Nein, Herr Hinsken kann nie
genug von mir hören. Ich weiß das.
({0})
Entscheidend wird sein, den Trend umzukehren. Dafür
können Sie nur sorgen, indem Sie Erwartungen verändern. Dazu gehört Psychologie. Was Grün-Rot perfekt beherrscht, ist, Psychologie zu missachten. Ich weiß nicht,
ob 50 Prozent Psychologie für die Trendwende ausschlaggebend sind; auf jeden Fall braucht es viel Psychologie. Herr Müller, Sie haben noch eine Chance - auch
wenn Sie im Kabinett isoliert sind und von den Grünen in
merkwürdiger Art und Weise beschimpft werden -: Bringen Sie Ihr Gewissen ins Reine! Sagen Sie die Wahrheit!
Korrigieren Sie das, was Sie öffentlich sagen! Wenn Sie
das tun, dann können Sie Ihr Amt eines Tages aufrechten
Ganges verlassen und Ihre berufliche Tätigkeit in der
Energiewirtschaft fortsetzen.
({1})
Das Wort hat die
Abgeordnete Michaele Hustedt.
Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein wesentlicher Bestandteil der Wirtschaftspolitik ist die Energiepolitik. Da uns Grünen die Energiepolitik, weil sie im
Zentrum jeder Nachhaltigkeitsstrategie steht, besonders
am Herzen liegt, möchte ich mich darauf konzentrieren.
Frau Eichstädt-Bohlig wird die anderen wesentlichen
Punkte ansprechen.
Vorweg möchte ich doch noch etwas zu Herrn Brüderle
sagen: Ihre Partei hat 28 Jahre mitregiert. Ich kann wahrlich nicht verstehen, wie Sie sich vor diesem Hintergrund
hier so aufplustern können. Trotz schlechter Weltwirtschaftslage, die uns als Exportnation naturgemäß unverschuldet besonders trifft,
({0})
sind die während unserer drei Jahre Regierungszeit von
uns erzielten Ergebnisse immer noch wesentlich besser
als Ihre Bilanz.
({1})
Wir konsolidieren den Haushalt, wir haben die größte
Steuerreform seit Jahrzehnten umgesetzt. Menschen und
Unternehmen zahlen weniger Steuern als während Ihrer
Regierungszeit. Familien und Kinder werden, seitdem wir
an der Regierung sind, stärker gefördert als zu Ihrer Zeit.
Die Arbeitslosigkeit ist zwar nicht so stark gesunken, wie
wir uns das gewünscht hätten, aber seit dem Regierungswechsel immerhin von 4,3 auf 3,8 Millionen.
({2})
Ich finde, unsere Bilanz kann sich durchaus sehen lassen.
({3})
Zur Energiepolitik: Deutschland ist inzwischen weltweit Spitze bei der Förderung erneuerbarer Energien.
Zurückzuführen ist das natürlich auf das Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien und das Marktanreizprogramm. Die Hälfte des in Europa erzeugten Windkraftstroms wird inzwischen in Deutschland produziert.
({4})
Im Fünfjahresprogramm - das müsste die PDS besonders
freuen - des 100 000-Dächer-Programms liegen wir gut
im Plan, wir werden den Plan sogar übererfüllen. Das gilt
auch für die Förderung von Biomasse. Es wurden zum
Beispiel in diesem Jahr 1 500 Biogasanlagen gebaut; das
ist eine Verdoppelung innerhalb eines Jahres. Das Potenzial ist hier immer noch sehr groß: Auf lange Sicht können wir 10 Prozent unseres Energieverbrauchs inklusive
Wärme und Treibstoffe durch den Einsatz von Biomasse
decken. Darin steckt großes Potenzial. Diesen Pfad haben
wir jetzt geöffnet.
({5})
Ähnlich sieht es bei den solarthermischen Anlagen aus:
In der letzten Zeit wurden etwa 120 000 Solaranlagen mit
950 000 Quadratmetern installiert.
({6})
Dafür wurden 1,5 Milliarden DM investiert. Von daher
war es natürlich ein Schock für die junge Branche, in der
viele neu gegründete Unternehmen ohne Rücklagen tätig
sind, dass die Mittel für das Marktanreizprogramm von
300 Millionen DM auf 180 Millionen DM zusammengestrichen wurden. Wir haben es jetzt wieder auf 400 Millionen DM bzw. 200 Millionen Euro aufgestockt. Für diese
Verbesserung beim Marktanreizprogramm möchte ich
mich ganz ausdrücklich bei den Haushältern Franziska
Eichstädt-Bohlig, Oswald Metzger, Hans Georg Wagner
und auch bei Ihnen, Herr Hampel, bedanken.
({7})
Ich finde, das ist ein hervorragendes Beispiel für unsere
Linie, gleichzeitig zu sparen, aber auch Prioritäten in den
Bereichen zu setzen, wo wir Wirtschaft und Umwelt voranbringen wollen.
({8})
Ich gehe jetzt davon aus, dass nach dieser Aufstockung
auch die Förderbedingungen für solarthermische Anlagen
wieder vorsichtig verbessert werden. Nach der sehr starken
Verschlechterung der Förderbedingungen hat es ja einen
deutlichen Rückgang der Zahl der Anträge gegeben. Ich
gehe davon aus, dass wir jetzt zwar nicht ganz wieder das
frühere Niveau, aber doch eine deutliche Verbesserung der
Förderbedingungen durch Aufstockung der Mittel erreichen. Das Gleiche sollte für dieWärmeversorgung durch
Biomasse, also durch Biogasanlagen und Holzpellets, gelten. Hier sollten wir die Fördermittel deutlich erhöhen.
({9})
Insgesamt wurden die Mittel für das Marktanreizprogramm deutlich aufgestockt. Aber auch der Deutschen
Energie-Agentur wurde eine stabile Grundlage gegeben,
die insbesondere im Bereich Energieeinsparung und
Energieeffizienz tätig sein soll, indem die Mittel für sie
auf insgesamt 15 Millionen DM aufgestockt wurden.
Wie schon gesagt wurde, haben wir die Energieforschung um 40 Millionen DM bzw. 20 Millionen Euro aufgestockt. Das ist gerade für den Forschungsbereich ein
sehr wichtiger Punkt. Nicht unwichtig ist auch, dass wir
die Energieberatung vor Ort von 9 Millionen DM auf
15 Millionen DM aufgestockt haben. All das ist ein beachtliches Zeichen in Richtung umweltfreundliche Energieerzeugung.
({10})
Insgesamt reiht sich dieser Haushalt in eine Energiepolitik ein, die auf den Atomausstieg setzt, die gleichzeitig aber auch zeigt, dass Klimaschutz machbar ist.
Im Bereich erneuerbarer Energien haben wir bereits
120 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Inzwischen arbeiten in dieser Branche mehr Menschen als in der Atomindustrie, weit abgeschlagen mit 40 000, und es sind mehr
als in der Kohleindustrie.
({11})
- Jetzt rufen Sie „Subventionen“ dazwischen. Darauf
habe ich natürlich gewartet. Der Kohlekompromiss ist
von Ihrer Regierung ausgehandelt worden, auch wenn Sie
davon nichts mehr wissen wollen.
({12})
Faktisch ist es so, dass wir in diesem Jahr in Bund und
Land zusammen 8 Milliarden DM für 50 000 Arbeitsplätze ausgeben. Bei den erneuerbaren Energien beträgt
die Umlage in der Tat 1,7 Milliarden DM pro Jahr, und
zwar degressiv für 120 000 Arbeitsplätze. Das ist eine Bilanz, die sich auch unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten durchaus sehen lassen kann.
({13})
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Solms?
Ja.
Frau Kollegin
Hustedt, wo Sie nun die Erfolge der rot-grünen Energiepolitik aufzählen, haben Sie dabei nicht einen besonderen
Erfolg vergessen, nämlich die Garantie für die vorher so
umstrittene Atomenergiewirtschaft, für weitere 30 Jahre
in Deutschland arbeiten zu können?
({0})
Das ist doch ein besonderer Erfolg der rot-grünen Politik.
({1})
Herr Solms, ich finde Ihre Frage, ehrlich gesagt, etwas
peinlich. Inzwischen sollte auch bei Ihnen angekommen
sein, dass es nicht um ein Weiterlaufen für weitere
30 Jahre, sondern um die Gesamtlaufzeiten geht. Dass Sie
das immer noch nicht verstanden haben, zeigt, dass Sie in
diesem Thema nicht besonders bewandert sind.
({0})
Sogar Herr Grill hat schon verstanden, dass es jetzt nur
noch um 20 Jahre geht und dass nach 20 Jahren das letzte
Atomkraftwerk vom Netz gehen wird. In der nächsten Legislaturperiode werden die ersten Atomkraftwerke vom
Netz gehen. Nach knapp zwölf Jahren wird die Hälfte
aller Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz gegangen
sein. Damit ist Deutschland weltweit das Land, das am
schnellsten aus der Atomkraft aussteigt. Ich finde, damit
kann man sich sehen lassen.
({1})
Das Altbausanierungsprogramm bringt nach konservativer Schätzung 125 000 Arbeitsplätze, verteilt auf zehn
Jahre. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag, um der Not leidenden Bauwirtschaft zu helfen.
Die Ökosteuer ist nicht nur ökologisch, sondern wird
nach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung bis 2010 auch bis zu 250 000 neue
Arbeitsplätze schaffen.
Insgesamt setzen wir auch in der Energiepolitik auf
neue Technologien, auf Wind, Biomasse, Photovoltaik,
Solarthermie, Geothermie, Brennstoffzelle, Mikroturbine
und andere hocheffiziente Technologien für fossile
Brennstoffe.
Das Niedrigenergie- und das Nullenergiehaus, ja die
Nullemissionsfabrik, all das sind Zukunftsperspektiven,
ebenso Treibstoff aus Raps, Biodiesel, Erdgasfahrzeuge,
in der Perspektive die Brennstoffzelle mit solarerzeugtem
Wasserstoff. Hier entsteht ein gigantisch wachsender Zukunftsmarkt. Die Vorreiterrolle im Klimaschutz, die wir
weiterhin einnehmen wollen, ist keine Belastung für den
Standort Deutschland, sondern eine Chance, Zukunftsmärkte bzw. Innovationsmärkte zu besetzen.
({2})
Die rot-grüne oder, wenn Sie es so wollen, die grünrote Energiepolitik spricht dabei eine deutliche Sprache.
Die Ökosteuer als ein Anreiz zum Energiesparen funktioniert. Tatsächlich geht der Verbrauch von Benzin und Diesel deutlich zurück. Es gibt das Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien, das 100 000-Dächer-Programm, das
Marktanreizprogramm, die Energieeinsparverordnung,
das Altbausanierungsförderprogramm und jetzt auch noch
perspektivisch das Gesetz zur Förderung der KraftWärme-Koppelung.
Die Bilanz dieser Regierung kann sich in diesem Bereich wahrlich sehen lassen. Der Reformstau ist aufgelöst,
die Modernisierung ist angestoßen, neue Arbeitsplätze
werden geschaffen und der Umwelt- und Klimaschutz
wird vorangebracht. Damit können wir uns sehen lassen.
({3})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rolf Kutzmutz.
Verehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin
Hustedt, Sie haben mich auf den Fünfjahresplan angesprochen. Dazu möchte ich Ihnen sagen: Sie sind vorsichtig geworden. Sie haben sich für fünf Jahre auf eine
einzige Position festgelegt. Würden Sie den gesamten
Haushalt als Fünfjahresplan verabschieden, würden Sie
wahrscheinlich das gleiche Ergebnis ernten, wie wir es
damals geerntet haben, was die Erreichung des damit verbundenen Ziels betrifft.
({0})
Zu Beginn meiner Rede möchte ich aber ein anderes
Problem ansprechen: Ein oft vorgetragener Vorwurf an
die PDS lautet, wir unterbreiteten keine Vorschläge. Aber,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Tatsache ist, dass wir bereits am 11. Oktober dieses Jahres im
Wirtschaftsausschuss Anträge eingebracht haben, die von
Ihnen allesamt abgelehnt wurden.
({1})
Nicht weniger als neun dieser Anträge - Herr Kollege
Heil, Sie haben wieder einmal voreilig geklatscht - werden heute als Empfehlungen der Koalition mit Datum
Mitte November Gesetz. Ich frage Sie: Wo bleibt da Ihre
Ehrlichkeit im Umgang mit den Vorschlägen, die wir unterbreiten?
({2})
Natürlich freue ich mich darüber, dass letztlich auch
durch unsere Anträge der ökologische Umbau notwendige zusätzliche Impulse erhält, dass die Kürzung der für
die Förderung von Innovationen in kleinen Unternehmen
vorgesehenen Mittel weitgehend abgewendet ist und dass
nicht zuletzt eine nachhaltige Schwächung der Hilfen für
Kleinbetriebe in Ostdeutschland verhindert werden kann.
Ein Erfolg ist es ohne Zweifel auch, dass endlich die seit
Jahren diskutierte Förderung des Netzwerkmanagements
NEMO auf den Weg gebracht wird.
({3})
Zur Haushaltsehrlichkeit gehört es aber auch, zu sagen,
dass damit in erster Linie eine Begrenzung von Schäden
erreicht wurde, die von den Ministern Eichel und Müller
im Rahmen ihrer indiskutablen Haushaltsansätze geplant
waren.
Eine Reihe von Problemen bleiben - das wissen auch
Sie -: Ich meine beispielsweise den Umgang des Bundes
mit den regionalpolitischen Folgen der so genannten
Bundeswehrreform. Länder und Kommunen sollen einfach sich selbst überlassen bleiben. Regionen sterben; das
ist nicht übertrieben. Es geht um einige 1 000 Arbeitsplätze bzw. um einige 1 000 Menschen, denen die Zukunftsperspektive genommen wird.
Dabei wäre für die Konversion tatsächlich Geld vorhanden. Ich meine unter anderem - das ist vorhin angesprochen worden - den Nachschlag von 179 Millionen
Euro, den der Kanzler seinem Heimatland für die EXPO
gewähren will. Wie wollen Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Koalition, den Menschen in Osterode,
in Oldenburg oder auch in Eggesin erklären, dass zwar für
EXPO-Bosse, die für Missmanagement, wirtschaftliche
Fehlkalkulation und großzügige Gehälter sowie Abfindungen verantwortlich sind, Geld vorhanden war, dass
aber dann, wenn es um die Sorgen der Menschen in diesem Lande geht, der Geldbeutel leer ist?
({4})
Die mit der EXPO verbundenen positiven strukturellen
Effekte kamen und kommen doch zuallererst dem
Großraum Hannover zugute. Das belegen übrigens auch
die Studien der Landesregierung. Deshalb wäre es viel
sinnvoller, mit dem EXPO-Zuschlag einen Konversionsfonds des Bundes aufzulegen.
Auch die umfassende Rüstungsaltlastensanierung
- Sie wissen, es geht insbesondere um Fundmunition auf
Truppenübungsplätzen oder auch in Städten und Gemeinden - könnte damit in Angriff genommen werden. Das
fordert schließlich auch der Bundesrat in einem vor wenigen Tagen beim Bundestag eingegangenen Gesetzentwurf.
Ich werbe deshalb nachdrücklich um Zustimmung für
unseren zu diesem Thema vorgelegten Änderungsantrag.
Reden Sie nicht nur, sondern handeln Sie auch!
({5})
Lassen Sie uns gemeinsame Freiräume für die Zukunft
schaffen, statt Abenteuer der Vergangenheit zu vergolden,
zumal mit diesem Wirtschaftshaushalt eine Reihe völlig
unkalkulierbarer Abenteuer eingegangen werden. Der
Etat des Wirtschaftsministers soll künftig das AusfallriMichaele Hustedt
siko für Kredite und Zinsen in Höhe von 2 Milliarden Euro des nur bedingt rückzahlbaren Darlehens für die
Entwicklung des Superairbus tragen. Diese Summe entspricht in etwa dem derzeitigen jährlichen Volumen der
aktiven Wirtschaftspolitik des Ministers. Wenn diese
Bürgschaft fällig werden sollte - nach dem 11. September
2001 ist so etwas nicht völlig auszuschließen -, dann wäre
das der Offenbarungseid. Dieses Risiko, wenn es denn
überhaupt übernommen werden soll, kann nur in der Verantwortung des Bundes als Ganzes getragen werden, also
im Einzelplan 32. Das muss auch für den Kredit gelten.
Eine entsprechende Bereitstellung aus dem ERP-Sondervermögen - das sehe ich anders als Sie, Herr Kollege
Hampel - wirft in zweifacher Hinsicht ein bezeichnendes
Licht auf die Politik der Bundesregierung. Es muss schon
verwundern, dass sie einerseits uneingeschränkte Solidarität mit den USA beschwört und andererseits zur selben
Zeit auf die Mittel des einstigen Marshallplans zurückgreift, um das größte deutsche Unternehmen in der
technologischen Auseinandersetzung mit seinem USAKonkurrenten unterstützen zu können.
({6})
Andererseits, liebe Frau Kollegin Skarpelis-Sperk, ist
es bemerkenswerte Mittelstandspolitik, wenn über 1 Milliarde Euro als Kredit an die Tochter von Daimler-Chrysler dem Fonds für Existenzgründer und Mittelstandsförderung entnommen werden. Ich weiß, es handelt sich
dabei nicht um eine ERP-Förderung. Rund ein Drittel der
seit Jahren schrumpfenden Liquidität dieses Sondervermögens wird damit aber langfristig bei einem Unternehmen angelegt, das gewiss mit vielem, aber überhaupt
nichts mit Mittelstand zu tun hat.
({7})
Anders als bei den sonst üblichen Bankguthaben werden die Spielräume des ERP-Sondervermögens so nachhaltig eingeschränkt. Es fehlen damit dringend notwendige Fördermittel, um auf die Steigerung der Nachfrage
bei Existenzgründern und Mittelständlern reagieren zu
können. Statt dass ERP als Schattenhaushalt des Bundes
missbraucht wird, muss über eine Reform dieser Förderkulisse konsequent nachgedacht werden. Gibt es Ihnen,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wirklich nicht zu denken, dass zur Förderung in Ostdeutschland 1994 11 Milliarden DM, im vergangenen
Jahr aber nur noch 3 Milliarden DM ausgereicht wurden?
Kommen Sie mir jetzt nicht mit dem Argument von der
Konjunktur und dass sich die Bedingungen verändert hätten. Die Bedingungen haben sich in vielen Bereichen sehr
wohl verändert. Was die wirtschaftliche Tätigkeit betrifft,
haben sie sich aber eher verschlechtert.
Auch im Westen ist die Entwicklung nicht besser. Ein
Rückgang der Nachfrage um 32,6 Prozent spricht doch
Bände. Die wirtschaftliche Situation ist bekannt: von positiver konjunktureller Entwicklung keine Spur.
Die sinkende Nachfrage signalisiert, dass offensichtlich das Angebot nicht mehr stimmt, weder im
Existenzgründungs- noch im Mittelstands- oder im Umweltbereich. Wenn dann für die Erprobung neuer Förderkonzepte ganze 10 Millionen Euro bei einem Gesamtvolumen der ERP-Förderung von 5 Milliarden Euro mobilisiert werden, ist das für meine Fraktion schlicht nicht
akzeptabel.
({8})
Schließlich muss es heute mehr denn je darum gehen, mit
den beschränkten öffentlichen Mitteln ein Maximum an
Arbeitsplätzen zu schaffen und sichern zu helfen.
Natürlich ist auch der PDS klar, dass die drohende Rezession - wir wollen die Situation nicht schlecht reden;
aber wir müssen die Dinge beim Namen nennen - nicht
vorrangig mit Wirtschaftsförderung zu bekämpfen ist. Ich
meine aber auch, Herr Brüderle, dass alte Rezepte - Sie
haben sie wieder angesprochen - wie das Vorziehen der
Steuerreform, also Steuersenkungen, für die Bekämpfung
der Wirtschafts- und Beschäftigungskrise untauglich sind.
Die Entwicklung in den USA beweist doch: Steuersenkungen sind machtlos gegen Angst und Unsicherheit.
Mehr Geld in der Tasche landet nicht im Konsum oder in
Investitionen, sondern höchstens im Sparschwein oder bei
Spekulationsgeschäften.
Sich nicht an der abenteuerlichen Kriegspolitik der
USA zu beteiligen wäre die beste Konjunkturstütze. Ich
plädiere für den Ausstieg aus hoch riskanten Infrastrukturen. Ich plädiere für einen wirklichen Einstieg in mehr
dezentrales Wirtschaften und damit Stärkung der Regionen. Das würde nicht nur schnell zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Es wäre auch das beste Antiterrorprogramm.
Viele Menschen im Lande erwarten vernünftige Rahmenbedingungen, damit sie ihr Wollen in bezahlte und
existenzsichernde Arbeitsplätze, ja auch in Selbstständigkeit umsetzen können. Dafür tragen wir alle gemeinsam
politische Verantwortung. Dieser Verantwortung wird der
Haushalt 2002 nicht gerecht.
Danke schön.
({9})
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesminister Werner Müller.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Da beißt die Maus keinen Faden ab: Die konjunkturelle
Lage ist unerfreulich. Fragt man sich, was die tieferen
Gründe sind, kann man in jedem Falle zwei feststellen:
({0})
Der erste Grund: Die Investitionstätigkeit der Unternehmen lässt zu wünschen übrig. Woran liegt das? Die Investoren sind verunsichert. Sie haben gewisse Zweifel,
was die Zukunft anbelangt. Es liegt jedenfalls nicht daran,
dass beispielsweise nicht genügend Investitionskapital zu
überaus niedrigen Zinsen zur Verfügung stünde. Wir haben es in den USA erlebt: Sechsmalige Zinssenkungen
hintereinander haben es nicht verhindert, dass das InvesRolf Kutzmutz
titionsklima anhaltend schlecht ist und sich nicht verbessert hat.
Der zweite Grund für die konjunkturelle Schwäche
liegt darin, dass wir insgesamt - und das auch global - zu
wenig Konsumausgaben haben, obwohl die Kaufkraft
der Bürger vorhanden wäre. Insbesondere haben wir das
in den USA erlebt. Dort sind die von Herrn Brüderle favorisierten Steuerschecks im Sommer in die Haushalte
gesandt worden, mit dem Ergebnis, dass das Konsumklima nach jüngsten Umfragen an einem absoluten Tiefpunkt ist. Stattdessen sind die Steuervergütungen auf die
hohe Kante gelegt worden.
Das heißt, die Verschlechterung des Verbraucherklimas hat nichts damit zu tun, dass die Kaufkraft der Leute
generell nicht vorhanden wäre. Der tiefere Grund für die
konjunkturelle Schwäche liegt nicht etwa in einem Mangel an Investitionskapital oder an Kaufkraft der Haushalte, sondern in der allgemeinen Verunsicherung
({1})
und in einem gewissen mangelnden Vertrauen in die
wirtschaftliche Zukunft.
({2})
Das ist seit dem 11. September besonders ausgeprägt und
teilweise durchaus verständlich.
({3})
Ich betone: Es ist ein globales und keineswegs ein isoliertes deutsches Phänomen.
({4})
Nun fragen wir uns und vielleicht auch Sie sich, was
nun eigentlich hilft, wenn die Ursache unserer wirtschaftlichen Schwierigkeiten eine tiefe Verunsicherung von Investoren und Verbrauchern ist.
({5})
Meinen Sie, es hilft unserer konjunkturellen Entwicklung,
wenn Sie die Situation angesichts einer solchen Ausgangslage noch schlechter beschreiben, als sie tatsächlich
ist?
({6})
Hilft es unserer Konjunktur, wenn Sie den Versuch starten, eine Krise herbeizureden
({7})
- ist doch so; ich habe hier ja nun lange genug zugehört -,
({8})
in der Erwartung, dass Sie zum Schluss ein Krisengewinnler wären? Sie werden kein Krisengewinnler sein;
das kann ich Ihnen schon jetzt prognostizieren.
Oder hilft es in dieser Zeit der Verunsicherung, wenn
aus Ihren Reihen seitens der Ministerpräsidenten immer
nur der Vorschlag kommt, die Steuerreform vorzuziehen,
während die Finanzminister derselben Länder veröffentlichen, das dürfe auf keinen Fall gemacht werden?
({9})
Sie tragen in dieser Gesellschaft mit Sicherheit nicht zu
einer größeren Zuversicht in die Zukunft bei, wenn permanent so widersprüchliche Äußerungen kommen. Auch
das will ich Ihnen deutlich sagen.
Herr Minister,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Christa
Luft?
Ja.
Herr Minister, wie erklären
Sie sich, dass der Zuwachs der Zahl der Erwerbstätigen in
der Bundesrepublik Deutschland nach dem Gutachten der
fünf Weisen und auch nach der Statistik, die man nachlesen kann, in diesem Jahr 0,1 Prozent betragen wird,
während es in Frankreich, das unter den gleichen weltwirtschaftlichen Bedingungen lebt, einen Zuwachs der
Zahl der Erwerbstätigen von 1,6 Prozent gibt? Kann das
damit zusammenhängen, dass man in Frankreich ein Gesetz zur Verkürzung der Arbeitszeit eingeführt hat? Kann
das damit zusammenhängen, dass man für Unternehmen,
die arbeitsintensive Dienstleistungen anbieten, den Mehrwertsteuersatz gesenkt hat? Kann es auch an solchen Dingen liegen oder wie erklären Sie sich das? Denn nur an
den Überkapazitäten des Bauwesens im Osten kann es
nicht liegen. Der Bundeskanzler hat gestern gesagt, sie
leisteten einen Beitrag von 0,6 Prozent zum Abschwung.
Wenn man 0,6 Prozent zu 0,1 Prozent addiert, kommt man
immerhin auf 0,7 Prozent, die der Erwerbstätigenzuwachs
bei uns betragen müsste. Wir haben aber gegenüber
Frankreich dann noch immer eine große Lücke.
({0})
Ich will, Frau Professor Luft, nicht in
Abrede stellen, dass man mit dirigistischen Eingriffen in
den Arbeitsmarkt - zum Beispiel dem Verbot von Überstunden, das ja hierzulande manchmal diskutiert wird kurzfristig Arbeitsplätze schafft. Aber man würde die gesamtwirtschaftliche Entwicklung - das werden Sie auch
in Frankreich erleben - weiter abwürgen. Das wollen wir
nicht; denn Arbeitsplätze werden im Grunde nur geschaffen, wenn wir wieder auf einen Wachstumspfad kommen.
({0})
Ich habe gefragt, was es nützt, wenn Sie vor dem Hintergrund des mangelnden Zukunftsvertrauens als eigentliBundesminister Dr. Werner Müller
cher Ursache unserer konjunkturellen Situation mit unausgegorenen Vorschlägen kommen oder die Lage noch
schlechter reden, als sie ist, wie Sie es in Ihren Redebeiträgen hier im Bundestag zurzeit permanent tun. Ich
will Ihnen sagen: Das nützt unterm Strich überhaupt
nichts.
({1})
Was in Zeiten der Verunsicherung und des mangelnden
Vertrauens der Investoren und Konsumenten in die Zukunft wirklich hilft, ist einzig eine Politik der Berechenbarkeit und Planbarkeit. Umso wichtiger ist deshalb die
Botschaft, die die Bundesregierung mit ihrem Haushalt
für das Jahr 2002 Wirtschaft, Bürgern, Investoren und
Konsumenten gibt:
({2})
Die Grundsätze einer soliden Wirtschafts- und Finanzpolitik haben sich nicht verändert. Der Bundeshaushalt 2002
ist solide und er wird solide bleiben.
({3})
Steuerausfälle und konjunkturbedingte Mehrbelastungen werden im Bundeshaushalt verkraftet. Die Nettokreditaufnahme wird planmäßig weiter zurückgeführt. Die
Bundesregierung bleibt also bei ihrer Politik der Konsolidierung; denn nur so lassen sich Freiräume für die Bewältigung zentraler Zukunftsaufgaben schaffen. Sie bleibt
aus Überzeugung bei dieser Politik, weil nur so die
Wachstumskräfte unserer Volkswirtschaft nachhaltig gestärkt werden können. Ich sage noch einmal: Wir bleiben
bei dieser Politik, um ein Signal des Vertrauens zu setzen
und um für Vertrauen zu werben.
({4})
Herr Minister,
darf ich Sie einen Moment unterbrechen? - Mir ist signalisiert worden, dass man Sie schlecht verstehen kann. Können die Herren am Apparat den Ton etwas lauter stellen? - Ansonsten müssten Sie etwas lauter reden.
({0})
Frau Präsidentin, ich habe in den letzten Tagen häufiger erlebt, dass man mich schlecht versteht.
({0})
Eine verlässliche Wirtschafts- und Haushaltspolitik ist
die beste Antwort auf Zukunftszweifel in Wirtschaft und
Gesellschaft. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich
deswegen ganz sachlich einige Punkte zu dem Haushalt
des Bundeswirtschaftsministers vortragen:
Die intensiven Beratungen im Haushaltsausschuss haben zu nicht unerheblichen Veränderungen im Haushalt
geführt. Im Ergebnis steigt der Ihnen vorliegende BMWiHaushalt gegenüber dem Regierungsentwurf um insgesamt 217 Millionen Euro. Davon sind rund 60 Millionen Euro zur Bedienung von Altverpflichtungen aus dem
Beteiligungsprogramm technologischer Unternehmensgründungen vorgesehen. Dieses Programm hat in der Vergangenheit ganz erheblich zur Entwicklung des Beteiligungskapitalmarktes für junge Technologieunternehmen
in Deutschland beigetragen. Als Beitrag zur Gegenfinanzierung dieses BTU-Mehrbedarfs musste allerdings die
globale Minderausgabe verdoppelt werden. Dies belastet
natürlich leider die Haushaltsführung des nächsten Jahres
nicht unerheblich. Daran ist aber wohl nicht zu rütteln.
Worin bestehen nun die weiteren Veränderungen? Ich
komme erstens zum Energiebereich: Mit der Aufstockung
der Mittel für das Marktanreizprogramm für erneuerbare
Energien um rund 100 Millionen Euro stehen nun zur
Förderung regenerativer Energiequellen und der rationellen Energieverwendung insgesamt 200 Millionen Euro
zur Verfügung. Ich will aber deutlich sagen: Ich sehe
keine Möglichkeit, die spezifischen Sätze der Förderung
zu erhöhen; denn wir bekommen auch nach Absenkung
der Fördersätze unverändert an die 2 000 Anträge pro Woche. Ich hoffe, dass wir mit den erhöhten Mitteln alle Anträge werden befriedigen können.
({1})
Im Übrigen muss ich auch deutlich sagen: Wenn bei gesenkten Fördersätzen unverändert viele Nachfrager vorhanden sind, macht es keinen Sinn, die Sätze zu erhöhen.
({2})
Zudem wurde der Bereich der Energieforschung mit
20 Millionen Euro verstärkt. Damit können wir inklusive
der Mittel aus dem Zukunftsinvestitionsprogramm insgesamt 135 Millionen Euro für die Energieforschung ausgeben.
Ich möchte noch etwas in Sachen Energie sagen. Sie
bezeichnen mich ja gerne als Monopolminister. Gestatten
Sie mir, dass ich dem Weinbauminister a. D. kurz etwas
sage:
({3})
Zwischen Mineralöl und Benzin auf der einen und
Wein auf der anderen Seite gibt es Unterschiede.
({4})
Herr Brüderle, der größte Unterschied ist ganz einfach:
Wein haben wir in unserem deutschen Land, Rohöl nicht.
Wenn Sie diesen Sachverhalt einmal intellektuell richtig
verarbeitet haben, werden Sie ferner feststellen, dass zwischen dem Weinvertrieb und dem Benzinvertrieb gewisse
Unterschiede bestehen.
({5})
Der größte Unterschied ist vielleicht der: Benzin brauchen wir alle, Wein - na ja!
({6})
Ich will fortfahren: Zweitens ist erfreulich, dass zur Innovationsförderung für den Mittelstand sowie zur Förderung der Nutzung neuer Medien zusätzlich 25 Millionen
Euro bereitstehen.
Drittens ermöglicht die Aufstockung der Mittel im Bereich der Außenwirtschaft in Höhe von 6 Millionen Euro,
die Förderprogramme für die Außenwirtschaft auf hohem
Niveau fortzuführen und sogar auszubauen.
Darüber hinaus wurde viertens für die Fortsetzung der
Werftenförderung vorsorglich eine zusätzliche Verpflichtungsermächtigung von 24 Millionen Euro eingestellt.
Dies ist notwendig geworden, um dem Kommissionsvorschlag, zusätzlich zu einer WTO-Klage gegen Korea befristet Beihilfen zu gewähren, national folgen zu können.
Schließlich wurden fünftens die notwendigen
Verpflichtungsermächtigungen zur Absicherung der Finanzierung des ERP-Darlehens für die gesamten Entwicklungskosten des A 380 in Höhe von insgesamt rund
2 Milliarden Euro ausgebracht.
Mit diesen Verbesserungen wird in schwieriger konjunktureller Situation seitens der Wirtschafts- und Technologiepolitik ein wirksamer Beitrag geleistet.
Meine Damen und Herren, der überwiegende Teil der
Haushaltsmittel des Einzelplans 09 kommt, rechnet man
die Mittel für den Steinkohlenbergbau nicht hinzu, dem
Mittelstand zugute. Darauf sind die meisten Förderprogramme zugeschnitten.
Gerade die innovativen Unternehmen und die dynamischen kleinen und mittleren Unternehmen, einschließlich
der Start-ups, leisten einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Erholung. Wir unterstützen sie dabei durch
die bewährte Mittelstands- und Existenzförderung über
das ERP-Sondervermögen und die beiden Förderbanken,
die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Deutsche Ausgleichsbank. Aus diesem Grunde ist heute auch über das
ERP-Wirtschaftsplangesetz 2002 zu entscheiden.
Im Wirtschaftsplan 2002 des ERP-Sondervermögens
stehen 5 Milliarden Euro für ERP-Kredite zur Verfügung.
Hinzu kommt noch 1 Milliarde Euro für mobilisiertes Eigenkapital im Rahmen des Programms „Beteiligungskapital für kleine Technologieunternehmen“. Zudem werden die beiden Förderbanken jeweils Kredite von
mindestens noch einmal 5 Milliarden Euro zur Verfügung
stellen. Mit der Annahme des ERP-Wirtschaftsplangesetzes 2002 kann die finanzielle Förderung des Mittelstandes
verlässlich und auf hohem Niveau fortgesetzt werden.
Hier wird immer wieder erwähnt, dass die KfW der
Firma Hochtief einen normal verzinslichen Kredit gegeben hat. Ich will anmerken, dass wir es mit den Mitteln der
KfW und der Deutschen Ausgleichsbank bewerkstelligen
können, das, was wir im Fall Holzmann getan haben, bezogen auf den Mittelstand tagtäglich abertausendmal zu
wiederholen.
({7})
Die Förderung des Mittelstandes ist wichtig. Dies ist
aber nur ein Element unserer Politik für kleine und mittlere Unternehmen. Die Bundesregierung wird sich mit
Nachdruck dafür einsetzen, negative Auswirkungen auf
die Mittelstandsfinanzierung durch die Baseler Eigenkapitalrichtlinie zu vermeiden. Im Laufe der Baseler Konsultationen konnten wir schon deutliche Verbesserungen
durchsetzen. Die Verlängerung dieses Prozesses werden
wir nutzen, um weitere Ziele zu erreichen, zum Beispiel
die Beseitigung der bisherigen Diskriminierung von langfristigen Krediten und die Erhöhung des Kreditvolumens
für das Retail-Portfolio. Zur aktiven Mittelstandspolitik
gehört auch die Möglichkeit der steuerfreien Reinvestitionsrücklage für Personenunternehmer, die Gewinne aus
Veräußerungen von Anteilen an Kapitalgesellschaften erzielen.
Mein Haus hat sich von Anfang an für diese Regelung
und deren mittelstandsfreundliche Ausgestaltung eingesetzt. Ich will allerdings zugestehen, dass es aus meiner
Sicht besser gewesen wäre, wenn man dem einstimmigen
Votum des Wirtschaftsausschusses gefolgt wäre und einen
anderen Plafond hinsichtlich der Höhe der Mittelverwendung vorgeschlagen hätte.
Durch die Erhöhung der Ansätze unseres Haushalts
haben sich die Gewichte positiv verschoben, und zwar in
Richtung moderner Technologien, der Förderung der Innovationskraft und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Die Aufstockung der
Mittel im Innovationsbereich bedeutet ein deutliches Signal. Damit unterstützen wir kleine und mittlere Unternehmen, im globalen technologischen Wettbewerb zu bestehen und neue zukunftsfähige Arbeitsplätze zu
schaffen. Um die innovativen Unternehmen zu stärken,
setzen wir auf Starthilfen für die Gründung von technologieorientierten Unternehmen, auf Forschungskooperationen und die Entwicklung innovativer Netzwerke. Bei
der Mittelverwendung meines Haushalts für diesen Bereich haben die neuen Länder eine ganz besondere Priorität.
({8})
Um dies weiter zu verstärken, bringen wir für den Aufbau von innovativen Unternehmensnetzwerken in den
neuen Ländern ab dem Jahre 2002 ein neues Förderprogramm mit dem Namen „Förderwettbewerb Netzwerkmanagement Ost“ auf den Weg. Dies war auch ein besonderer Wunsch im Haushaltsausschuss.
Auch die Nutzung der neuen Medien, insbesondere
des Internets, durch Mittelstand und Verwaltung werden
wir weiter forcieren. Hierzu dienen strategisch wichtige
Projekte für den Aufbau elektronischer Wirtschafts- und
Verwaltungsstrukturen.
Ein positives Beispiel für den Erfolg unserer Förderpolitik ist die Biotechnologie. Hier gab es in den letzten
Jahren eine äußerst dynamische Entwicklung, vor allem
bei den Unternehmensneugründungen. Auch dank der
Förderpolitik meines Hauses nehmen wir heute bei den
Unternehmensgründungen im Bereich Biotechnologie
eine führende Position in Europa ein.
({9})
Bevor ich schließe, möchte ich den Berichterstattern
für meinen Haushalt und allen voran Ihnen, lieber Herr
Hampel, sehr herzlich danken.
({10})
- Was heißt hier „Oh“? Ich bin von außen zu meinem politischen Amt gekommen und wusste am Anfang gar
nicht, was ein Berichterstatter eigentlich ist. Ich habe es
erstens kennengelernt - manchmal auch kennenlernen
müssen - und zweitens, insbesondere was Sie, Herr
Hampel, anbelangt, auch überaus schätzen gelernt.
({11})
Ich weiß selber noch nicht genau, inwieweit ich persönlich Ihre Arbeit demnächst vermissen werde. Sie haben ja
gesagt, dass Sie hier nicht mehr tätig sein werden. Auf
jeden Fall wünsche ich Ihnen alles Gute. Ohne Ihre permanente Begleitung unseres Hauses wäre vieles nicht so
geregelt worden, wie wir es regeln konnten.
({12})
Ich darf in den Dank auch Sie, Herr Wagner, herzlich
einschließen. Ich jedenfalls habe mich über Ihre Unterstützung sehr gefreut.
({13})
Es ist auch Ihr Verdienst, dass der BMWi-Haushalt
2002 wichtige wirtschaftspolitische Akzente setzt und
gleichzeitig einen großen Beitrag - den größten eines Einzelhaushalts - zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes
leistet. Nur so können wir die Steuerreform finanzieren,
Freiraum für Privatinitiative schaffen und die Zukunftsaufgaben bewältigen.
Die Zukunft dagegen verspielt - das will ich auch einmal sagen -, wer - wie ich das seitens der Opposition erlebt habe - im Haushaltsausschuss Änderungsanträge auf
Änderungsanträge stellt, die alle in eine Richtung gehen:
immer mehr Subventionen für die Wirtschaft. Dies kann
nicht oberste Richtschnur der Wirtschaftspolitik sein.
Deshalb bin ich ganz erfreut, dass viele Ihrer manchmal
überhaupt nicht sinnigen Subventionsforderungen im
Haushaltsausschuss von der Mehrheit abgelehnt worden
sind.
({14})
Der mit dem Zukunftsprogramm 2000 der Bundesregierung eingeschlagene Kurs der Konsolidierung und
des Gestaltens wird mit dem Bundeshaushalt 2002 weiter
fortgesetzt.
Man kann das Sachverständigengutachten so oder so
sehen, darf aber nicht nur die wenigen kritischen Sätze sehen, sondern muss erst einmal die Hauptkapitel und vielleicht freundlicherweise auch die Überschrift dieses Gutachtens lesen. Die Überschrift des Gutachtens erteilt
jedweder aktionistischen Wirtschaftspolitik, irgendwelchen kurzfristigen Hauruck-Konjunkturprogrammen eine
klare Absage. Wenn Sie also das Gutachten des Sachverständigenrates zitieren, seien Sie konsequent und zitieren Sie ehrlich.
({15})
Gleiches gilt übrigens für die OECD. Die OECD hat in
den letzten Tagen die Grundlinien der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik ausdrücklich positiv gewürdigt. Wenn Sie fair argumentieren, sollten Sie das auch so
zitieren.
Es gibt also auch nach Auffassung internationaler und
nationaler Sachverständiger keine Alternative zu einer
Reformpolitik, die auf nachhaltige Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmendaten abzielt.
({16})
Der Entwurf des Bundeshaushalts für das Jahr 2002
einschließlich des Haushaltsentwurfs für den Bundeswirtschaftsminister schafft die notwendige Voraussetzung,
um unsere Reformpolitik konsequent und auch erfolgreich fortzuführen.
Lassen Sie mich abschließend auf meine Eingangsbemerkung zurückkommen. Wir werden für diese Politik
um Vertrauen bei Bürgerinnen und Bürgern werben, und
zwar umso stärker, je mehr Sie Misstrauen säen.
Danke.
({17})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Matthias Wissmann.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man einen Eindruck vom Zustand der Wirtschaftspolitik in Deutschland bekommen
will, von ihrer Stärke, ihrer Durchsetzungskraft, ihrer
Kreativität und ihrer Perspektive, dann hat man Herrn
Müller zuhören müssen.
({0})
Aber uns allen ist nicht nach reiner Polemik zumute,
sondern wir wissen: Wir reden keine Krise herbei; wir
sind mitten in einer Krise.
({1})
Wir haben die Probleme nicht erst seit den Ereignissen vom 11. September, die sicherlich das Vertrauen erschüttert und die Verunsicherung gestärkt haben. Seit
Herbst 2000 gehen die Wachstumszahlen in Deutschland kontinuierlich zurück. Seit Januar 2001 steigt saisonbereinigt die Arbeitslosenzahl.
Die wahre Analyse finden wir in dem Vergleich zu unseren europäischen Partnern. Natürlich waren wir schon
in den 90er-Jahren durch die enormen Folgeprobleme der
Misswirtschaft in der früheren DDR beim Wachstum
nicht an der absoluten Spitze Europas. Wir waren auf einem mittleren Platz. Jetzt sind wir im EU-Vergleich beim
Wachstum auf dem letzten Platz. Damals lagen wir im europäischen Vergleich bei der Preissteigerung auf dem
vierten Platz. Jetzt sind wir auch als Folge von Ökosteuer
und vielen anderen Belastungen, die diese Regierung veranlasst hat, auf den siebten Platz abgerutscht. In Sachen
Arbeitslosigkeit sind wir auf Platz zehn, dem denkbar
schlechtesten Platz für eine große Industrienation wie
Deutschland.
Die „FAZ“ hat den Bericht über die gestrige Debatte
mit dem Satz überschrieben: „Schröder sieht sich machtlos gegenüber wachsender Arbeitslosigkeit“. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb vor wenigen Tagen unter der
Überschrift „Der hilflose Kanzler“:
Wie lange noch soll das so gehen? Wie lange noch
will die Regierung tatenlos zusehen, wie Deutschland die Kräfte schwinden?
Man muss es ganz klar sagen: Neben den internationalen Faktoren, die keiner bestreitet, ist unser Kernproblem,
dass wir keine kreative, eigenständige und starke Wirtschaftspolitik in Deutschland haben, mit der der Krise
entgegengetreten wird.
({2})
Wir besitzen nicht den Mut, die eingefahrenen Gleise zu
verlassen: bei der Deregulierung des Arbeitsmarktes, der
weiteren Liberalisierung der Energiemärkte in Europa,
den gezielten Steuersenkungen, die dazu beitragen könnten, dem Mittelstand, der am meisten leidet, auf die Beine
zu helfen. Eine Insolvenzwelle wie nie zuvor geht durch
unser Land. Die kleinen und mittleren Betriebe haben von
der Steuerreform nichts mitbekommen, im Gegenteil: Sie
sind über zum Teil veränderte Möglichkeiten der Abschreibungen zusätzlich belastet worden.
Das hat mit den handelnden Personen zu tun. Aber es
hat auch mit einer völlig falschen Architektur Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik zu tun. Die Wirtschaftspolitik
ist jetzt endgültig zu einem Wurmfortsatz der Finanzpolitik geworden. Sie hat kein eigenständiges Profil mehr.
({3})
Herr Müller, Ihnen sind die Grundsatzabteilung und die
europäischen Zuständigkeiten genommen worden. Sie und
die Regierung lassen es zu, dass man über eine vergleichsweise zweitrangige Frage wie der nach dem Verwaltungsratsvorsitz bei dem durch Fusion der Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Deutschen Ausgleichsbank
entstehenden Institut - geht er an Sie oder den Finanzminister - monatelang streitet, ohne eine Einigung zu erzielen. Wie will denn jemand, der schon so kleine Probleme
nicht lösen kann, die großen Probleme der Arbeitsmarktund Wirtschaftsentwicklung glaubwürdig angehen?
({4})
Ich richte mich bei diesem Punkt - ich möchte fair sein nicht nur an die Adresse des amtierenden Wirtschaftsministers. Versuchen Sie sich einmal zurückzubesinnen:
Wann hat man in guten Zeiten gute Wirtschaftspolitik gemacht und in schlechten Zeiten rechtzeitig reagiert? - Das
war in der Zeit, als es eine Balance zwischen Finanzund Wirtschaftspolitik gab, als das Wirtschaftsministerium neben dem Finanzministerium ein eigenständiges
Profil und eine Leuchtturmfunktion hatte. Das war in den
50er-Jahren, als Ludwig Erhard und Fritz Schäffer Minister waren, in den 60er-Jahren, als Karl Schiller und Franz
Josef Strauß Minister waren, und während der Regierung
Kohl der Fall, als Gerhard Stoltenberg und Otto Graf
Lambsdorff Minister waren. Heute gibt es weder eine
kraftvolle Finanzpolitik noch eine kreative Wirtschaftspolitik. Das ist unser Dilemma, wenn es um die Zukunft
unseres Landes geht.
({5})
Das hat zur Folge, dass der Wirtschaftsminister zwar
an einigen Stellen durchaus richtige Anmerkungen zur
Wirtschaftspolitik machen darf - ich erinnere an seine
frühen Anmerkungen zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes -, dass er sich aber am Ende nicht
durchsetzen kann. Alle mittelstandspolitischen Folterinstrumente der letzten Jahre - 630-Mark-Gesetz, Gesetz
zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit, das Betriebsverfassungsgesetz und „Zwangsteilzeit“, um nur einige zu nennen - sind verabschiedet worden. Es findet auf
breiter Front eine Reregulierung unserer Volkswirtschaft
statt. Es gibt keine Liberalisierung, keine Freisetzung der
Kräfte, keine Ermutigung des Mittelstands und keine
Stärkung der kleinen und mittleren Betriebe. Ich glaube,
das müssen Sie sich, Herr Müller, leider vorwerfen lassen.
Notwendig wäre eine Entrümpelungsaktion. Sie, Herr
Müller, müssen die novellierten Gesetze, von denen ich
gerade gesprochen habe, rückgängig machen und gleichzeitig auch den Mut besitzen, fragwürdige steuerpolitische Instrumente zu beseitigen. Gestern hat Ihnen die
Europäische Kommission mitteilen lassen, dass die Ökosteuer mit ihren ganzen bürokratischen Feinziselierungen
nicht auf ihre Zustimmung stößt. Schaffen Sie endlich die
Ökosteuer ab oder setzen Sie wenigstens die nächste Stufe
der Ökosteuer aus, die am 1. Januar 2002 in Kraft treten
soll.
({6})
Einen ähnlichen ungelösten Widerspruch verkörpert
Ihre Energiepolitik. Sie haben in diesen Tagen einen
Energiebericht vorgelegt, der letztlich nur eine Botschaft
hat: Die Energiepolitik der Regierung ist gescheitert. Eine
Kehrtwende ist dringend erforderlich. Es war zwar nur ein
Randaspekt dieser Debatte, aber er war bemerkenswert:
Der Wirtschaftsminister der rot-grünen Bundesregierung
hat genau in den zehn Minuten den Saal verlassen, in denen die energiepolitische Sprecherin der Grünen ihre
Konzeption dargelegt hat.
({7})
Herr Müller darf zwar etwas sagen und bei bestimmten
Gelegenheiten Richtiges schreiben. Aber er darf Wirtschaftspolitik nicht durchsetzen. Das spüren wir auch in
der Energiepolitik.
({8})
Wir alle - das gilt parteiübergreifend - wissen, dass die
in den 90er-Jahren durchgesetzte Liberalisierung des
Strom- und Gasmarkts zu deutlichen Strompreissenkungen in Höhe von 20 Milliarden DM geführt hat. Nicht nur
der Industriekunde und nicht nur der mittelständische Betrieb, sondern auch der Normalbürger hat diese Entlastung gespürt. Es sprach alles dafür, diesen Weg weiterzugehen. Inzwischen haben aber die von Rot-Grün
beschlossenen Marktinterventionen, das ErneuerbareEnergien-Gesetz und das KWK-Vorschaltgesetz, den
Verbraucher mit zusätzlich 4 Milliarden DM belastet.
Hinzu kommen die Belastungen aus der Stromsteuer
mit derzeit rund 11 Milliarden DM. Wenn ich die derzeitigen Belastungen eines durchschnittlichen Vier-Personen-Haushaltes durch die Energiepolitik der Bundesregierung zusammenrechne, komme ich für das Jahr 2001
auf eine zusätzliche Belastung in Höhe von 630 DM:
({9})
Stromsteuer, Heizungskosten, Ökosteuer auf Benzin und
vieles andere. Das Gesetz zur Kraft-Wärme-Kopplung,
das eigentlich in dieser Woche verabschiedet werden
sollte, würde den Verbrauchern zusätzlich 8,7 Milliarden DM aus der Tasche ziehen.
Verdeckte Strompreiserhöhungen sind nicht nur den
Verbrauchern nicht mehr zuzumuten, sie sind auch ordnungpolitisch der falsche Weg. Vertrauen Sie in den rotgrünen Reihen stärker auf die Kräfte des Marktes. Seien
Sie mutiger bei der weiteren Liberalisierung von Märkten
und lassen Sie sich nicht bei jeder Gelegenheit eine ideologische Finte einfallen, wie man den Bürger und die Betriebe wieder stärker belasten kann! Das ist der falsche
Weg in unsere Zukunft.
({10})
Meine Damen und Herren, auch in der Steuerpolitik
fällt Ihnen nichts Weiterführendes ein. Sie müssten jetzt
wenigstens einen Teil der Entlastungen für den Mittelstand vorziehen, die für 2003 und 2005 geplant sind. Sie
handeln nicht. Wir sagen noch einmal mit allem Nachdruck: Jetzt wäre es richtig, die Steuerentlastungsstufe
von 2003 auf 2002 vorzuziehen - um ein Signal zu geben!
({11})
Ludwig Erhard hat zu Recht gesagt: Die Hälfte der Wirtschaftspolitik ist Psychologie. - Wenn Sie nicht handeln,
dann verletzen Sie dieses Gesetz. Sie gehen den falschen
Weg, meine Damen und Herren.
({12})
Sie als Bundesregierung tragen auch für den investiven
Bereich eine Verantwortung. Die Investitionsquote im
Haushalt sinkt seit 1998. In den neuen Ländern geben Sie
in jedem Land inzwischen mehr Geld für den zweiten Arbeitsmarkt aus als für Investitionen in unsere Zukunft: Infrastruktur, Hochschulen, Technologie, Stadtsanierung.
Das hat zur Folge, dass seit 1998 das Volumen der Investitionen in den neuen Ländern kontinuierlich sinkt.
Ich habe noch einmal die neun Punkte nachgelesen, in
denen die Sozialdemokraten im letzten Wahlkampf ihre
wichtigsten Versprechungen zusammengefasst hatten.
({13})
Die drei wichtigsten wirtschaftspolitischen Versprechungen will ich Ihnen noch einmal in Erinnerung rufen.
Die erste Versprechung hieß: mehr Arbeitsplätze; Arbeitslosigkeit kann man bekämpfen. Ergebnis: Wir werden in diesem Winter leider 4,2 Millionen Arbeitslose haben. Sie hatten ein ganz anderes Ziel im Auge. Sie haben
Ihr Versprechen nicht gehalten.
({14})
Die zweite wichtige Versprechung: Der Aufbau Ost
wird zur Chefsache und mit einem gebündelten Zukunftsprogramm vorangetrieben.
({15})
Ergebnis: Die Investitionen in die neuen Länder sinken
seit 1998. Sie sind in diesem Jahr wegen eines Streits zwischen Rot und Grün nicht einmal in der Lage, die vorgesehenen Bahninvestitionen für die Infrastrukturerneuerung ordnungsgemäß abfließen zu lassen.
({16})
Versprechung Nummer drei: Deutschland als Ideenfabrik durch Verdoppelung der Investitionen in Bildung,
Forschung und Wissenschaft in fünf Jahren. Herr Müller,
ich stelle fest: In Ihrem Haushalt sind seit 1998 die Forschungsinvestitionen um über 120 Millionen DM gesunken und der Gesamthaushalt ist weit, weit weg von dieser
Versprechung.
Wenn man viel Sinn für Ironie hätte, könnte man in diesen Tagen sagen: Sie halten sich an eine fragwürdige Lebensweisheit. Es wäre ja noch schöner, den Menschen
zweimal eine Freude zu machen: indem man ihnen erst etwas verspricht und dies dann auch noch hält.
({17})
Meine Damen und Herren, es liegt an einer schwachen,
einfallslosen, unkreativen Wirtschaftspolitik, aber auch
an einer falschen Architektur dieser Regierung, die wir
ändern müssen, wenn wir zu den notwendigen Entscheidungen für Arbeitsplätze, für den Mittelstand und für eine
Erneuerung unserer Volkswirtschaft kommen wollen.
({18})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Kollege Wissmann, es ist wirklich fantastisch, wie solche altgedienten Marktwirtschaftler wie Sie hier ständig „mehr Staat, mehr Staat“ rufen.
Jahrelang wollten Sie uns beibringen, die Privaten könnten alles besser, der Staat solle sich heraushalten - möglichst wenig Staat! - oder am liebsten ganz verschwinden.
({0})
Ich habe wirklich das Gefühl, die Keynesianer in Ihren
Reihen sind alle wieder aufgewacht, nachdem sie vorher
das Gegenteil gepredigt haben.
Selbst altgediente und gelernte Marktwirtschaftler reden ständig diese hochentwickelte Wohlstandsökonomie
Deutschlands in Grund und Boden. Herr Buwitt: „Es ist
nicht nur eine Rezession, wir sind schon fast in der Depression.“ Frau Merkel: „Schlusslicht“, „Wir sind in der
Krise.“
({1})
Angesichts dessen frage ich mich, was hier eigentlich
los ist; denn wenn ich den Kudamm entlanggehe, habe ich
keineswegs das Gefühl, ich sei in der Dritten Welt und unser Land breche zusammen.
({2})
Wir sollten sehr ernsthaft über unsere Probleme reden.
Es ist aber unverantwortlich, wenn Sie die Wirtschaft unseres Landes dauernd in dieser Weise schlechtreden; denn
damit tragen Sie dazu bei, dass die Investitionskraft der
Unternehmen geschwächt wird. Es ist wirklich unmöglich!
({3})
Tatsache ist, dass das Wirtschaftswachstum schwächer
als zunächst prognostiziert ausfällt. Aber wir sind weit
entfernt von einer Rezession. Ich weiß nicht, ob Sie diesen kleinen Unterschied überhaupt begriffen haben.
Über ein zweites Problem sollten wir ebenfalls ernsthaft reden. Wir haben Probleme mit der Arbeitsmarktentwicklung, aber das liegt ganz einfach daran - auch das
sollten Sie wissen -, dass in guten Zeiten Arbeitsplätze
abgebaut werden, um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu stärken, während in schlechten Zeiten
Arbeitsplätze wegen der Konjunkturschwäche abgebaut
werden.
({4})
Arbeitsplätze werden nicht nur durch Wachstum geschaffen und deswegen haben wir - hier würde ich auch
Minister Müller ein wenig widersprechen wollen - sehr
wohl die Aufgabe, arbeitsplatzintensive Wirtschaftszweige zu stärken, damit die Wettbewerbsfähigkeit nicht
zulasten von Arbeitsplätzen, sondern mit Arbeitsplätzen
organisiert wird. Zur Erfüllung dieser Aufgabe haben wir
auch einiges getan. So haben wir bereits das Job-AqtivGesetz auf den Weg gebracht. Das ist ein sehr guter und
wichtiger Schritt.
Wir Grünen sagen - auch in Richtung des Koalitionspartners -, wir glauben schon, dass wir weitere Schritte
auf dem Gebiet der Arbeitsmarktpolitik gehen müssen,
dass beim Thema Kündigungsschutz etwas mehr Flexibilität Einzug halten muss und dass im Niedriglohnsektor
eine ergänzende Finanzierung nötig wird, um Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe nicht gegenüber Niedriglöhnen zu
begünstigen.
({5})
Wir sind der Auffassung, dass wir im Bereich der niedrig
entlohnten Jobs, bei denen ein Einkommen zwischen
630 DM und etwa 1 700 bis 1 800 DM erzielt wird, ein
Stück weit abgestufte Sozialversicherungsbeiträge organisieren müssten, um gerade in diesem Bereich mehr Flexibilität zu erreichen.
Wir behaupten also nicht, wir hätten nichts zu tun, aber
wir behaupten andererseits auch nicht, in Zukunft schaffe
der Staat und nicht die reguläre Privatwirtschaft die
Arbeitsplätze.
Lassen Sie mich einen zweiten Punkt nennen. In der
Haushaltsberatung hier höre ich regelmäßig, dass Sie
quasi die Quadratur des Kreises wollen. Sie wollen erstens, dass wir die Steuerreform vorziehen, und haben
noch keinmal gesagt, wie das bezahlt werden soll.
({6})
Frau Merkel hat sich hier gestern enorm darüber beschwert, dass die Kommunen zu wenig Geld haben, dass
die öffentlichen Hände insgesamt zu wenig Geld haben.
Wie wollen Sie da ein Vorziehen der Steuerreform - ob
Sie es „Steuerscheck“ oder „Vorziehen“ nennen, ist egal finanzieren? Sie wollen zweitens, dass wir die Investitionskraft durch öffentliche Konjunkturprogramme steigern. Das haben Sie mehrfach gefordert, ohne zu sagen,
wie es finanziert werden soll. Die dritte Frage ist: Wie sollen wir mit der Nettoneuverschuldung umgehen? Ich verstehe das so, dass Sie die Staatsverschuldung massiv weiter anheben wollen, um kurzfristige Wahlerfolge zu
erreichen.
({7})
Das kann nicht verantwortliche Politik sein. Von daher:
Nehmen Sie es endlich ernst! Sie haben uns diese hohen
Staatsschulden hinterlassen. Wir arbeiten kontinuierlich
am Rückgang der Staatsschulden und das ist auch nötig.
({8})
Erst dann, wenn man wieder ein volles Portemonnaie hat,
kann man über solche Instrumente reden,
({9})
aber nicht dann, wenn man einen solch riesigen Schuldenberg abtragen muss, wie Sie ihn uns hinterlassen haben.
({10})
Lassen Sie mich einen dritten Punkt nennen, nämlich
das berühmte Pingpongspiel: Sozialversicherungsbeiträge versus Ökosteuer. Wir bekommen hier immer
wieder die Empfehlung - eben auch vom Kollegen
Wissmann -, wir mögen doch die Ökosteuer aussetzen
oder abschaffen; einige wollen, dass wir sie rückgängig
machen. Da sind Sie noch nicht einmal solide in Ihrer
Argumentation. Wenn Sie das empfehlen, dann sagen Sie
den Bürgern aber auch endlich, dass Sie den Rentenversicherungsbeitrag eigentlich wieder auf 20,5 Prozent anheben wollen.
({11})
Nur dann stimmt Ihre Rechnung. Sie führen hier eine
falsche Argumentation, weil Sie den Bürgern gegenüber
nicht ehrlich sagen, dass auch Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden müssen.
Von daher bleibt unser Konzept „Energie verteuern,
um Arbeit zu verbilligen“ die richtige Strategie. Darauf
setzen wir. Sie sehen: Die Ölscheichs haben schon nachgegeben und setzen mit ihrer Preispolitik nichts obendrauf.
({12})
Ich sage jetzt nichts mehr zu den Punkten, die sowohl
der Kollege Hampel als auch Herr Minister Müller vorgetragen haben, nämlich dass wir sehr engagiert gerade auch
im parlamentarischen Verfahren die Mittelstandsförderung in vielen Punkten weiter gestärkt und ausgebaut
haben,
({13})
dass wir die ostdeutsche Wirtschaft, ganz besonders wieder in den Bereichen der Mittelstandsförderung und der
Forschung, gestärkt haben. Sie sagen zwar immer wieder,
der Mittelstand breche weg, aber das ist nicht wahr. Wir
tun etwas für den Mittelstand.
({14})
Wir haben sehr sorgfältig Punkt für Punkt daran gearbeitet. Es wäre gut, wenn Sie das einmal zur Kenntnis nähmen. Ich weiß allerdings nicht, ob Sie dazu in der Lage
sind, geschweige denn dazu, das zu honorieren.
Von daher: Bitte nicht ständig schwarz malen, sondern
die Dinge so nehmen, wie sie sind! Wir sind ein selbstbewusstes und wirtschaftsstarkes Land und das wollen wir
auch weiter bleiben. Dafür arbeitet diese Koalition. Sie
wird es auch in den vier Jahren nach der nächsten Wahl
tun. Machen Sie sich da mal keine Sorgen! Sie haben jetzt
genau nachgewiesen, dass Sie überhaupt nichts zu bieten
haben.
({15})
Als Letztes möchte ich den Kollegen Mitberichterstattern ganz herzlich danken. Ich möchte auch dem
Wirtschaftsministerium und dem Herrn Minister für die
gute Zusammenarbeit danken. Insbesondere aber - da
schließe ich mich den Vorrednern an - danke ich dem
Kollegen Hampel für sein Engagement. Es war eine
tolle Zusammenarbeit. Wir haben gemeinsam viel geschafft.
({16})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Dagmar Wöhrl.
Die letzten Redner vor der Abstimmung haben es immer schwer, die letzten Rednerinnen noch ein bisschen
schwerer. Ich bitte die Kollegen daher, den Geräuschpegel ein bisschen zu senken. Das würde sehr helfen.
Frau Wöhrl, Sie haben das Wort. Bitte.
Vielen Dank. - Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, Sie können es noch so schönreden, wie Sie wollen: Ich habe bei Ihren Worten wirklich
das Gefühl, dass Sie in einer Art Fantasiewelt leben.
({0})
Wir von der Union sind draußen vor Ort. Wir reden mit
den Menschen. Wir sind in den Betrieben. Wir sehen, was
los ist:
({1})
Wir haben eine schrumpfende Wirtschaft. Wir haben explodierende Sozialkosten. Wir haben bei den Pleiten
olympische Rekorde.
({2})
Allein in diesem Jahr haben wir 33 000 Pleiten.
({3})
Das ist die höchste Zahl seit Jahrzehnten.
Sie werden es erleben: Demnächst wird in irgendeinem
Arbeitsamt in Deutschland der viermillionste Erwerbslose registriert werden. Ein Werbegeschenk von Herrn
Riester wird er wohl nicht bekommen.
Wo ist denn die ehemals stolze deutsche Wirtschaftsnation? Wo ist denn die ehemals stolze Konjunkturlokomotive Europas? Wir haben uns in Europa blamiert. Unter Ihrer Regierung sind wir Wachstumsschwächling,
Letzter beim Wirtschaftswachstum geworden. Liebe Kollegen von Rot-Grün, es ist wirklich zu dumm, dass Sie
dafür nicht die flaue Weltwirtschaft verantwortlich machen können, auch wenn Sie es immer wieder probieren.
Wieso wächst denn der Export in diesem Jahr um über
5 Prozent?
({4})
Sie nehmen England als Vergleich. England wird meines
Wissens in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von
2,25 Prozent haben,
({5})
obwohl dieses Land einen viel höheren Handelsaustausch
mit Amerika hat als wir. Wir hingegen schaffen gerade
einmal 0,7 Prozent. Ich glaube, mehr Worte bedarf es
nicht, um zu belegen, wer für diese Misere verantwortlich
ist: Das ist nun einmal Rot-Grün.
({6})
Der Kanzler aber bleibt untätig, er ist gleichgültig gegenüber den Problemen in unserem Land.
({7})
Der ist doch inzwischen auf den außenpolitischen Olymp
entrückt. Er merkt doch überhaupt nicht, dass wir unser
Land auf Titanic-Kurs steuern. Das ist ihm doch vollkommen gleichgültig.
({8})
Die Wirtschaftsexperten streiten unterdessen nur noch um
die Frage: Ist es schlimm oder ist es schlimmer, taumeln
wir am Abgrund einer Wirtschaftskrise oder schlittern wir
bereits herein?
({9})
Viel gefährlicher noch als die schlechte Wirtschaftslage ist die Krise des wirtschaftspolitischen Sachverstandes dieser Regierung, ist ihr Abschied von der Wirklichkeit.
({10})
Wir brauchen doch bloß Ihren Bundeshaushalt, der uns
jetzt vorliegt, anzuschauen. Das ist genau die gleiche Fiktion wie der letzte Haushalt - ein Spuk, der auf herbeifantasierten Annahmen basiert: Sie gehen immer noch
von 1,25 Prozent Wirtschaftswachstum aus. Herr Eichel
ist wirklich der Einzige, der an ein Erreichen dieser Zahl
noch glaubt. Sie gehen auch bei diesem Entwurf noch von
Arbeitslosenzahlen aus, von denen Sie genau wissen, dass
sie nicht zu halten sein werden. Hinzu kommen nebulöse
Transaktionen, Luftbuchungen und Zaubertricks. Dieser
Haushaltsplan liest sich wie Harry Potter; bloß den Stein
des Weisen findet man darin nicht.
({11})
Schauen Sie es sich doch an: Wir haben 1,5 Prozent
mehr Ausgaben als im letzten Jahr.
({12})
Ich dachte, Sie wollten sparen!
Frau Kollegin,
Sie sind nur sehr schwer zu verstehen. Vielleicht können
wir die Techniker darum bitten, die Tonanlage etwas lauter zu stellen. - Danke.
Herzlichen Dank, Frau
Präsidentin! Der SPD-Parteitag war ein Beispiel organisierter Ratlosigkeit.
({0})
Wieder einmal ist klar geworden: Diese Regierung hat
keinen Kompass und kein Konzept. Während in Ländern
wie Spanien, Holland, Irland, ganz zu schweigen von
Amerika und Großbritannien, systematisch liberalisiert
und flexibilisiert wird, machen Sie eine Politik der Unterlassungssünden und der gebrochenen Versprechen.
Wo bleibt denn die versprochene Arbeitslosenzahl
von weniger als 3,5 Millionen? Wo bleiben denn Ihre
massiven Steuersenkungen für den Mittelstand? Wo
bleibt denn die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes? Wo
bleibt denn die Senkung der Lohnnebenkosten auf weniger als 40 Prozent? Wo bleibt denn der Abbau von
Bürokratie? Wo bleibt denn eine zupackende Privatisierung?
({1})
Und vor allem: Wo sparen Sie denn?
({2})
Das möchte ich wirklich einmal wissen. Wir haben über
100 Milliarden DM mehr Schulden am Ende dieser Legislaturperiode; ohne UMTS-Erlöse wären es sogar
200 Milliarden DM mehr Schulden. Inzwischen halten
Sie es ja schon für einen Fortschritt, wenn Sie beim Rückwärtsgehen nicht fallen.
({3})
Rückwärts - das ist Ihre Richtung!
Es rächt sich, dass Sie unsere Reformen zurückgenommen haben. Wir werden es nicht mehr schaffen, die Sozialversicherungsbeiträge zu senken. Es rächt sich, dass
Sie die nötige Reform im Gesundheitswesen nicht angehen. Es rächt sich, dass Sie die Rentenreform nicht mutig
angegangen sind. Es rächt sich auch, dass Sie das Aufkommen aus der Arbeitslosenversicherung für alle möglichen kuriosen Programme heranziehen, obwohl diese aus
dem Bundeshaushalt finanziert werden müssten. So ufern
die Sozialversicherungsbeiträge im nächsten Jahr auf
über 41,2 Prozent aus. Das heißt: Die Lohnnebenkosten
steigen, die Arbeit wird teurer, es wird auch wieder zu
mehr Entlassungen kommen.
Sie haben die Bundesanstalt für Arbeit inzwischen als
politische Manövriermasse missbraucht. Der Minister
Riester erzählt, die Bundesregierung habe die Rahmenbedingungen für mehr Jobs geschaffen. Das ist angesichts
der hoffnungslosen „Verriesterung“ des Arbeitsmarktes doch ein Witz. Allein das 630-Mark-Gesetz hat
700 000 Arbeitsplätze gekostet. Der Teilzeitanspruch hat
250 000 Neueinstellungen verhindert. Das neue Betriebsverfassungsgesetz hat unseren kleinen Betrieben noch
mehr Bürokratie und Kosten gebracht. Das sind mittelstandsfeindliche, jobvernichtende Maßnahmen, die Sie
auf den Weg gebracht haben.
({4})
Anstatt das Grundübel zu beseitigen - Ihre Unternehmensteuerreform hat wirklich nicht die mittelständischen
Betriebe und die Familienbetriebe, sondern nur die
großen Kapitalgesellschaften entlastet -, geben Sie mehr
als 41 Milliarden DM für Arbeitsförderung und ABM aus.
Was ist dabei herausgekommen? Das Gebirge hat gekreißt
und nicht einmal eine Maus geboren! Der zweite Arbeitsmarkt wird höchstens künstlich aufgebläht. Dem ersten
Arbeitsmarkt helfen Sie damit nicht.
Sie verantworten eine weitere wirtschaftspolitische
Idiotie: Als einziges Land erhöht Deutschland die Steuern!
({5})
Ab dem 1. Januar 2002 kommen auf uns weitere Steuererhöhungen zu, und zwar in Höhe von mehr als 10 Milliarden DM. Die Ökosteuer wird erneut erhöht. Hinzu
kommen die Erhöhungen von Tabaksteuer und Versicherungsteuer.
({6})
Diese Maßnahmen entziehen die Kaufkraft, die wir jetzt
so dringend brauchen. All dies verdeutlicht das Bild Ihrer
rot-grünen Politik: starke Schultern entlasten und schwache Schultern belasten.
Ist dies das neue Selbstverständnis der Sozialdemokratie? Liebe Kollegen von Rot-Grün, entweder sind Sie damit beschäftigt, den Leuten das Geld aus der Tasche zu
ziehen, oder Sie tun gar nichts. Sie schielen auf Amerika
und hoffen tatenlos auf Konjunkturgenesung von außen.
Sie gedenken, die akute Lage mit den Händen in der Tasche einfach auszusitzen.
Ich prophezeie Ihnen: Sie können die Probleme nicht
aussitzen; Sie werden ihnen erliegen. Nun, dann werden
wir halt die Probleme nach der Wahl anpacken müssen.
({7})
Im Gegensatz zu Ihnen werden wir unsere Zusagen und
Versprechungen halten.
Vielen Dank.
({8})
Ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 09,
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, in
der Ausschussfassung. Hierzu liegen Änderungsanträge
vor, über die wir zuerst abstimmen.
Zunächst kommen wir zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/7572. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung.
Bevor ich die Abstimmung eröffne, möchte ich den
Kolleginnen und Kollegen bekannt geben, dass noch weitere, jedoch nicht namentliche Abstimmungen folgen. Es
sollten also noch einige im Saal bleiben.
Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer,
ihre Plätze an den Urnen einzunehmen. Sind die Urnen
besetzt? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben.
Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort:
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/7584. Wer stimmt
dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP und PDS abgelehnt worden.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 14/7642. Wer stimmt dafür? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der
PDS abgelehnt worden.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 14/7649. Wer stimmt dafür? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
PDS gegen die Stimmen von FDP und CDU/CSU abgelehnt worden.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/7677. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen
des Hauses gegen die Stimmen der PDS, die zugestimmt
hat, abgelehnt worden.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/7678. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS, die zugestimmt hat, abgelehnt worden.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich jetzt die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU bekannt. Abgegebene Stimmen 600. Mit Ja haben gestimmt 282, mit Nein haben gestimmt 318. Es gab
keine Enthaltungen.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 600;
davon
ja: 282
nein: 318
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({0})
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({1})
Hartmut Büttner
({2})
Cajus Caesar
Manfred Carstens ({3})
Peter H. Carstensen
({4})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({5})
Axel E. Fischer
({6})
Klaus Francke
Dr. Gerhard Friedrich
({7})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({8})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther ({9})
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({10})
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({11})
Hansgeorg Hauser
({12})
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Dr. Martina Krogmann
Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
({13})
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Eduard Lintner
({14})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({15})
Julius Louven
Erich Maaß ({16})
Erwin Marschewski
({17})
({18})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({19})
Elmar Müller ({20})
Bernd Neumann ({21})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({22})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({23})
Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({24})
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({25})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({26})
Andreas Schmidt ({27})
Michael von Schmude
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr
von Schorlemer
Gerhard Schulz
Diethard Schütze ({28})
Clemens Schwalbe
Wilhelm Josef Sebastian
Heinz Seiffert
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({29})
Michael Stübgen
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({30})
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Gerald Weiß ({31})
Heinz Wiese ({32})
Hans-Otto Wilhelm ({33})
Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({34})
Werner Wittlich
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
FDP
Ina Albowitz
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({35})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({36})
Cornelia Pieper
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Wolfgang Gehrcke
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Manfred Müller ({37})
Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel
Gustav-Adolf Schur
Dr. Winfried Wolf
Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({38})
Klaus Barthel ({39})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({40})
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann ({41})
Bernhard Brinkmann
({42})
Hans-Günter Bruckmann
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({43})
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Petra Ernstberger
Lothar Fischer ({44})
Gabriele Fograscher
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({45})
Harald Friese
Anke Fuchs ({46})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({47})
Angelika Graf ({48})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({49})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({50})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({51})
Walter Hoffmann
({52})
Iris Hoffmann ({53})
Frank Hofmann ({54})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({55})
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Marianne Klappert
Hans-Ulrich Klose
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({56})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({57})
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({58})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({59})
Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({60})
Jutta Müller ({61})
Christian Müller ({62})
Franz Müntefering
Volker Neumann ({63})
Gerhard Neumann ({64})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel RiemannHanewinckel
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({65})
Birgit Roth ({66})
Marlene Rupprecht
Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt worden.
Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Einzelplan 09 in der
Ausschussfassung insgesamt zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Einzelplan 09 ist damit mit den Stimmen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
CDU/CSU, der FDP und der PDS angenommen worden.
Tagesordnungspunkt I. 24, Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des
ERP-Sondervermögens für das Jahr 2002. Das sind die
Drucksachen 14/7259 und 14/7608. Berichterstattung:
Abgeordnete Dagmar Wöhrl. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen
der PDS angenommen worden.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
dagegen stimmt, der möge sich jetzt erheben. - Der Gesetzentwurf ist damit angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/7655. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS,
die zugestimmt hat, abgelehnt worden.
Ich rufe den Punkt I. 25 auf:
Einzelplan 30
Bundesministerium für Bildung und Forschung
- Drucksachen 14/7318, 14/7321 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Antje Hermenau
Dr. Werner Hoyer
Es liegen vier Änderungsanträge der Fraktion der FDP
und zwei Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Kein Widerspruch? - Dann ist auch so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Kampeter.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Thomas Sauer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({67})
Ulla Schmidt ({68})
Silvia Schmidt ({69})
Dagmar Schmidt ({70})
Wilhelm Schmidt ({71})
Dr. Frank Schmidt
({72})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({73})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({74})
Brigitte Schulte ({75})
Volkmar Schultz ({76})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({77})
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({78})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({79})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({80})
Dr. Ernst Ulrich
von Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({81})
Helmut Wieczorek
({82})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({83})
Brigitte Wimmer ({84})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({85})
Waltraud Wolff
({86})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Volker Beck ({87})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer ({88})
Joseph Fischer ({89})
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Kerstin Müller ({90})
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({91})
Werner Schulz ({92})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({93})
Margareta Wolf ({94})
Fraktionslose
Abgeordnete
Christa Lörcher
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist der
letzte Etat, mit dem die Bundesministerin für Bildung und
Forschung Edelgard Bulmahn die Bildungs- und Forschungspolitik beeinflussen wird.
({0})
Frau Bundesministerin, was Sie vor ein paar Wochen,
als es um die Einbringung dieses Etats ging, vorgetragen
haben, war eine wortreiche Verschleierung der mangelhaften und politisch wirkungslosen Tätigkeit, die Sie in
den vergangenen drei Jahren in diesem Amt ausgeführt
haben.
({1})
Drei Jahre nach der Bundestagswahl sollte der rot-grünen
Koalition mehr einfallen als die Mär, dass erst mit dem
Regierungswechsel die Bildungs- und Forschungspolitik
richtig angefangen hat. Gemessen an den Ausgaben des
Gesamthaushaltes lag der Anteil der Ausgaben für Bildung und Forschung in den Etats von Frau Bulmahn und
Herrn Müller bei 3,3 Prozent, als sie 1998 die Regierung
übernommen haben. Bei 3,3 Prozent liegt der Anteil der
Bildungsausgaben in diesem Jahr und 3,3 Prozent wird
der Anteil der Bildungs- und Forschungsausgaben - zumindest nach Aussagen der bisherigen Bundesregierung am Ende des Finanzplanungszeitraums sein.
({2})
Die Regierung ist mit der Ankündigung angetreten, die
Ausgaben im Bildungs- und Forschungsbereich zu verdoppeln.
({3})
Am Ende der Regierungszeit wird der Anteil der Bildungs- und Forschungsausgaben nicht höher sein als zur
Zeit des Regierungswechsels.
({4})
Das ist ein Zeichen der Stagnation und der politischen
Wirkungslosigkeit.
({5})
Es zeigt, dass wieder einmal ein Wahlversprechen in einem wichtigen Politikbereich gebrochen wird.
({6})
Wie kann man da allen Ernstes in Presseerklärungen behaupten, es handele sich um eine Rekordausgabe? Wenn
man die in den Etats des Wirtschafts- und des Bildungsministeriums angesetzten Forschungsausgaben zusammenzählt - in der letzten Debatte über den Wirtschaftsetat ist
darauf hingewiesen worden -, wird man feststellen, dass
hier in Wahrheit eine Stagnation und in Teilen sogar ein
Rückgang stattfindet. Vom Zukunftsinvestitionsprogramm redet heute kein ernsthafter Politiker mehr.
({7})
Die mit viel Tamtam aus dem gescheiterten UMTS-Privatisierungsdeal finanzierten Programme stellen keinen wesentlichen Impuls dar. Ohne den UMTS-Impuls würden
die Forschungsausgaben real und nominal sogar sinken.
({8})
Angesichts der Trickserei an allen Ecken und Enden dieses Haushaltes ist dies kein Wunder.
Die Programmwut dieses Bildungsministeriums führt
dazu, dass Programme mit einem riesigen Volumen angekündigt werden, ohne dass die dafür notwendigen administrativen Kompetenzen überhaupt vorhanden sind.
Die Programme laufen langsam und schleppend an. Die
Mittel, die die Bundesministerin schon fünfmal in Presseerklärungen angekündigt hat, fließen überhaupt nicht ab
({9})
und werden dem Finanzminister zum Jahresende wieder
gutgeschrieben. Dies ist ein Schaulaufen und keine seriöse Politik. Diese Programmwut zeigt eher die Gedankenlosigkeit und die Konzeptionslosigkeit der Forschungspolitik der Regierung.
({10})
Ein Beispiel, das dies illustriert, ist das Programm
Inno-Regio. Uns wird zwar erzählt, es laufe zögernd an;
das wird gar nicht verschwiegen. Dann wird aber seit Monaten gesagt, nächste Woche würden die entsprechenden
Entscheidungen fallen. Diese Woche verschiebt sich von
Monat zu Monat. Ende Oktober sind Mittel in Höhe von
40 Prozent der für das Jahr 2001 vorgesehenen Gesamtetatsumme abgeflossen. Es muss schon ein richtiges Novemberfieber sein, wenn man diese Mittel noch sinnvoll
ausgeben will. Das sind Luftballons und Worthülsen; das
ist keine realistische Forschungspolitik.
({11})
Dies ist der vierte Haushalt, den die rot-grüne Machterhaltgemeinschaft vorgelegt hat.
({12})
Man kann sich beim vierten Haushalt nur noch schlecht
mit Vergangenheitsvergleichen retten, selbst wenn es
stimmen würde, dass es galt - was wir entschieden bestreiten -, eine Erblast in Bildung und Forschung zu übernehmen. Wir Politikerinnen und Politiker in Deutschland
werden nicht als Testamentsvollstrecker gewählt, sondern
wir werden dafür gewählt, Politik kraftvoll zu gestalten.
({13})
Wenn man Politik kraftvoll gestalten will, dann muss man
eigene Akzente setzen, die wir aber bei dieser Bundesministerin nicht erkennen können.
({14})
Es geht dabei nicht nur um Geld, sondern auch um
praktische Politik. Deswegen will ich einige Beispiele
nennen, die, glauben wir, zeigen, dass Bildung und Forschung eher eine Misserfolgsgeschichte denn eine Erfolgsgeschichte dieser Regierung ist.
Das erste Beispiel, das ich anführen will, ist die Studienfinanzierung, insbesondere das BAföG. Es war die Erwartung geweckt worden, als würde man in dieser Legislaturperiode zu einer umfassenden, tragfähigen und von
allen Parteien getragenen BAföG-Reform kommen. Damit
wäre eine auch von uns nicht verschwiegene Verbesserung
der strukturellen Schwäche der Studienfinanzierung möglich gewesen. Allerdings hat das übliche Vorgehen - nämlich nicht gemeinsam mit der Opposition zu handeln, sondern im politischen Alleingang Dinge durchs Parlament zu
peitschen - dazu geführt, dass selbst in der Bundesregierung die Zustimmung für eine große BAföG-Reform nicht
vorhanden war. Die jetzt auf den Weg gebrachte kleine
BAföG-Reform ist eher ein Misserfolg, zumindest dann,
wenn man sie an den Ankündigungen misst.
({15})
Die Ausgaben im Jahre 2001 sinken gegenüber den
Ankündigungen der Ankündigungsministerin Edelgard
Bulmahn. Die Ausgaben des Jahres 2002 für das BAföG
wurden bereits im Regierungsansatz gegenüber Ihren bisherigen Planungen, Frau Bulmahn, um 100 Millionen DM
nach unten korrigiert. 100 Millionen DM nehmen Sie den
Studierenden weg, weil Ihre Reform auf unzutreffenden
Annahmen aufbaute und weil für weitere notwendige politische Reformen bei der Studienfinanzierung sowohl die
politische Unterstützung des Finanzministers als auch die
Ihres Landsmannes, des Bundeskanzlers, fehlte.
Um der ganzen Sache die Krone aufzusetzen, sind im
Zuge der Haushaltsberatungen aus diesem eh schon geschröpften BAföG-Titel von den Koalitionären noch einmal circa 40 Millionen DM weggenommen worden.
({16})
Da helfen auch keine Ausreden, dass es jetzt angeblich einen Antragsstau gebe. Es wird von 25 Prozent Zuwachs
geredet. Sie selbst aber gehen davon aus, dass der BAföGTitel nicht so schnell wachsen wird und dass eine strukturelle Reform nicht erreicht wird. Die Gefördertenquote
dürfte kaum steigen. In der Frage der Studienfinanzierung
sind Sie auf der ganzen Linie erfolglos.
({17})
Daran ändert im Übrigen die Tatsache auch nichts,
dass Sie eine sehr teure und eine den Öffentlichkeitsetat
nahezu ausschöpfende Werbekampagne für das BAföG
mit Guildo Horn durchgeführt haben. Ich glaube, er ist
ohne die „Orthopädischen Strümpfe“ zur Unterstützung
Ihrer Regierungspolitik angetreten. Diese Kampagne war
sehr teuer. Ich befürchte, dass sie ergebnislos sein wird.
Mit PR-Maßnahmen wird man nämlich Studierende in
Deutschland nicht überzeugen. Da muss man schon eine
anständige Politik machen.
({18})
Ein zweites Beispiel. Ich will darauf hinweisen, dass
Sie die Hochschulbauausgaben nach einem Zwischenhoch im Jahre 2001 im Jahre 2002 gegenüber der Finanzplanung zurücknehmen. Nach diesem Zwischenhoch
gehen Ihnen trotz UMTS-Sonderspritze die Finanzmittel
für Ihre Hochschulbaupolitik aus. Auch die im Übrigen
schon seit Jahren von allen Fraktionen - schon vor dem
Regierungswechsel - angemahnten Überlegungen zur
Strukturreform der Hochschulbaufinanzierung sind noch
nicht weiter vorangekommen. Die Grundüberlegungen
zur Entflechtung scheinen von Ihnen nicht engagiert genug vertreten worden zu sein. Auch beim Hochschulbau
gibt es keine Entwarnung. Dort stehen wir vor großen
Strukturproblemen. Doch die Politik in dieser Legislaturperiode ist zur Lösung dieses Problems ein glatter Ausfall
gewesen.
({19})
Der dritte Ausfall, auf den ich hinweisen möchte, ist die
Dienstrechtsreform. Auch hier hat Ihnen die Opposition
die Hand gereicht, um gemeinsam zwischen Koalition
und Opposition ein tragfähiges Reformwerk vorzubereiten und in das Bundesgesetzblatt zu bringen. Es war Ihnen offensichtlich aber bisher nicht möglich, allein schon
die SPD-regierten Bundesländer von der Notwendigkeit
Ihrer Vorschläge zu überzeugen.
Deswegen kommen Sie in die politisch schwierige Situation, dass nicht sicher ist, ob dieses von Ihnen in der
ersten Lesung als „Jahrhundertwerk“ charakterisierte Reformwerk morgen überhaupt eine Mehrheit im Bundesrat
erhalten wird. Der Vermittlungsausschuss droht und anschließend droht das Diktat der Finanzminister. Dann
kann das, was Sie als Jahrhundertwerk angekündigt haben, leicht zur Jahrhundertpleite für Bildung und Forschung werden.
Es gibt einen vierten Ausfall: Sie haben die Dienstrechtsreform lange angekündigt, aber bis heute haben Sie
offensichtlich noch keine Mehrheit dafür, dass sie ins
Bundesgesetzblatt kommt.
Ich will in diesem Zusammenhang auf ein weiteres Politikfeld hinweisen, bei dem die Union mit großer Sorge
auf die Entwicklung blickt, nämlich die Gen- und Biotechnologie. Wir sind der Auffassung, dass man die Möglichkeiten dieser neuen Technologien für Deutschland
nutzbar machen sollte, ohne die Bedenken von breiten
Teilen der Bevölkerung zu unterschlagen. Dies gilt für die
grüne ebenso wie für die rote Gentechnik. Im Bereich der
grünen Gentechnik blockiert Ihr Koalitionspartner. Angekündigte Entscheidungen stehen an. Im Bereich der roten
Gentechnik wird heute wohl der von Ihnen zwar nicht eingesetzte, aber bezahlte Gentechnikbeirat
({20})
- „Ethikrat“ - eine erste Beschlussempfehlung vorlegen,
die nach Ankündigungen in der Sache ein entschiedenes
Sowohl-als-auch bedeuten wird.
Ich glaube nicht, dass die Verlagerung von politischen
Entscheidungen aus dem Parlament heraus in Expertengremien - Sie haben ja auch weitere Gremien, beispielsweise den Innovationsbeirat - hilfreich ist. Dies ist eine
ungute Entwicklung. Entscheiden muss das Parlament.
({21})
Wir werden mit der notwendigen Sensibilität und im
Übrigen auch mit dem dafür erforderlichen Sachverstand
in allen Fraktionen eine richtige und akzeptable Lösung
finden. Dafür wollen wir Sie gewinnen.
({22})
Allerdings betreiben Sie die außerparlamentarische
Forschungspolitik, glaube ich, mit einer gewissen Zielsetzung. Es gab in den vergangenen Jahren eine ganze
Reihe von Vorhaben, insbesondere im Bereich der
Forschungspolitik, bei denen Sie versucht haben, das Parlament - das betrifft offensichtlich alle Fraktionen - vor
vollendete Tatsachen zu stellen. Ich erwähne die Gründung der Stiftung „Friedensforschung“, über die das Parlament erst informiert worden ist, als die Sache schon unter Dach und Fach war. Ich nenne die Neuordnung der
geisteswissenschaftlichen Forschungsinstitute, von der
das Parlament ebenfalls nur aus der Presse erfahren hat.
Ich nenne die Reform der Großforschungseinrichtungen
oder die Fusion von GMD und Fraunhofer-Gesellschaft.
({23})
In all diesen Fällen kann man fühlen, dass Sie ein Misstrauen nicht nur in die Opposition haben, dass sie nicht all
das bejubelt, was Sie machen, sondern auch in Ihre eigene
Regierungskoalition, die Sie genauso spät informieren.
Ich glaube aber, dass das der Mehrheitstauglichkeit
von solchen Vorhaben wie beispielsweise der Neuordnung der Großforschungseinrichtungen, bei der wir in der
Sache eher zustimmen, aber hinsichtlich des Verfahrens
unsere Bedenken haben, eher schadet als nutzt.
Wir sehen auch an dem Abstimmungsverhalten Ihrer
eigenen Partei, dass dieser von mir mehr als autistisch interpretierte Politikstil der Sache nicht dienlich ist.
({24})
Auf dem Bundesparteitag der Sozialdemokraten sind Sie
in der Frage der Studienfinanzierung nicht nur von den
Delegierten im Regen stehen gelassen worden, sondern
auch von der gesamten SPD-Führung. Das ist eine bittere
Niederlage für Sie
({25})
und ein Zeugnis für den offensichtlich nicht sehr hohen
Stellenwert der Amtsinhaberin im Bereich Bildung und
Forschung.
Übersetzt auf den Bereich des Parlaments heißt dies:
Wenn Sie noch nicht einmal in der Lage sind, die SPDFührung von der Richtigkeit Ihrer politischen Konzepte
zu überzeugen, wie soll es Ihnen dann gelingen, darzustellen, dass Sie eine engagierte Anwältin von Bildung
und Forschung im Parlament und weit darüber hinaus
sind? Das ist unglaubwürdig. Sie sind keine solche Anwältin.
({26})
Entgegen der von mir kritisierten Zusammenarbeit
zwischen Regierung und Parlament hat es innerhalb des
Parlaments eine sehr gute Zusammenarbeit gegeben, insbesondere auf der Berichterstatterebene. Ich begrüße in
diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass es gelungen
ist, ein Forschungsprojekt zum Thema „Hormonersatztherapie bei Frauen nach der Menopause“ unstreitig
über Fraktionsgrenzen hinweg mit einem ausreichenden
Mittelansatz zu versehen. Ebenfalls einvernehmlich unterstützt wird die Neuorientierung der Bereederung unserer Forschungsschiffe sowie in der Sache die Neugliederung der Helmholtz-Gemeinschaft, die auch durch die
kompetente Personalentscheidung an der Spitze auf breite
Zustimmung innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gestoßen ist.
({27})
An dieser Stelle will ich mich ausdrücklich bei der Berichterstatterin der Mehrheitsfraktion, der Kollegin
Klemmer, für die gute Zusammenarbeit bedanken. Ich tue
dies auch vor dem Hintergrund, dass sich die Kollegin
Klemmer aus freien Stücken entschieden hat, den Deutschen Bundestag zu verlassen. Von daher wird es die
letzte gemeinsame Haushaltsberatung sein. Mir hat sie
stets Spaß gemacht, weil sie über alle Parteigrenzen hinweg von gegenseitigem Respekt geprägt war.
({28})
Gleichwohl muss ich in dieser Zusammenarbeit politisch anmerken, dass ich Sorge habe, dass im Forschungsbereich immer stärker Klientelpolitik betrieben
wird. So haben die Grünen durchgesetzt, dass unter dem
Deckmantel der Umweltforschung Gelder in einer Größenordnung von 12 Millionen DM für Öko- und Umweltgruppen eingesetzt worden sind. Weil der eine Koalitionspartner befriedigt werden musste, hat man gleich noch
den vor allem von den Gewerkschaften in Anspruch genommenen Innovationstitel mit zusätzlichen 5 Millionen
ausgestattet. Ich halte dies für eine gefährliche Entwicklung, weil an anderen Stellen, zum Beispiel im Bereich
der Fachhochschulen oder bei der wirtschaftsnahen Forschung, das Geld fehlt. Dass sich gleichzeitig so viel Geld
für die Befriedigung von Klientelinteressen im Haushalt
befindet, kann nicht unsere Zustimmung finden.
({29})
Lassen Sie mich einiges zur beruflichen Bildung sagen. Frau Bundesministerin, auch das ist ein schwieriges
Feld; insbesondere die Situation beim Meister-BAföG.
Vor einigen Jahren ist es Ihnen nicht gelungen, die
Kompetenzen für das Meister-BAföG in Ihrem Haus zu
behalten. Sie haben es an den Wirtschaftsminister abgegeben. Der Wirtschaftsminister ist jetzt finanziell mau geworden. Aus Ihren bisherigen Mitteln haben Sie wieder
Gelder herausnehmen müssen, um dem Wirtschaftsminister auszuhelfen. Wenn das Forschungsministerium zur
Reservekasse des Wirtschaftsministeriums wird, ist das
natürlich kein Ausweis der politischer Stärke, sondern
eher ein Ausweis der politischen Schwäche. So weit sind
wir in Deutschland schon gekommen.
({30})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, viermal haben Sie hier als Rednerinnen und Redner der Koalition auf
die tolle Steigerung der Ausgaben und die tolle Qualität
Ihrer Bildungs- und Forschungspolitik hingewiesen.
({31})
Der Regierungsentwurf und das, was heute verabschiedet wird, unterscheiden sich allerdings um keine Mark
und keinen Pfennig, das heißt, dass wir während der gesamten Haushaltsberatung in diesem Bereich keine materielle Veränderung - zum Beispiel eine zusätzliche Finanzspritze - herbeiführen konnten. Man kann vielleicht
sagen, dass sie eher nutzlos gewesen ist. Allerdings sind
Klientelinteressen befriedigt worden. Eine kraftvolle
Haushaltspolitik oder gar eine Verdoppelung sowie ein
hoher Stellenwert für Bildung und Forschung waren in
diesen und den vorangegangenen Haushaltsberatungen
leider nicht zu erkennen. Von diesen leeren Versprechungen haben wir genug und von dieser Politik schon
lange.
Wir lehnen den Etat ab.
({32})
Das Wort hat
jetzt die eben gelobte Kollegin Klemmer.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Plafond des
Einzelplans 30, den wir jetzt beraten und der einen der politischen und finanziellen Schwerpunkte unserer Politik
darstellt,
({0})
beläuft sich für das Jahr 2002 auf nahezu - ab jetzt reden
wir nur noch von Euro - 8,4 Milliarden Euro. Im nächsten Jahr werden wir für Bildung und Forschung 223 Millionen Euro mehr ausgeben als im laufenden Haushaltsjahr. Gegenüber 1998 haben wir die Mittel um
21,5 Prozent erhöht. Das sind die reinen Zukunftsinvestitionsmittel
({1})
und natürlich nicht die Mittel für Personal, Bürobedarf
usw. Davon war auch nie die Rede.
Daher muss ich die unzutreffenden Äußerungen des
Kollegen Austermann vom Dienstag dieser Woche
zurückweisen.
({2})
Sie sagten, im letzten Jahr der alten Koalition, nämlich
1998, seien die Mittel für Bildung, Forschung und Technologie höher gewesen als heute.
({3})
Selbst wenn ich die von Ihnen genannten Mittel für Technologie einrechne - Sie wissen natürlich, dass die Mittel
für Technologie jetzt im Einzelplan 09 eingestellt sind -,
lagen sie 1998 bei 7,6 Milliarden Euro. Wir geben heute
für Bildung und Forschung - ohne Technologie - knapp
8,4 Milliarden Euro aus.
({4})
Jetzt erklären Sie mir bitte, wie 7,6 mehr sein kann als 8,4.
({5})
Ich will Ihnen einmal sagen, welche Situation wir 1998
nachdergewonnenenBundestagswahlvorgefundenhaben.
({6})
- Natürlich, Herr Westerwelle, Sie mögen es nicht gerne
hören, aber das gehört zur historischen Wahrheit.
Wir haben einen heruntergewirtschafteten Haushalt
mit einer Rekordverschuldung und erdrückend hohe
Zinslasten übernommen.
({7})
- Ich weiß, dass Sie das nicht hören möchten. Es muss
aber immer wieder gesagt werden.
({8})
Wir hatten kaum Gestaltungsspielraum. Das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts zur Familienpolitik hat uns
gezwungen, das, was Sie auf diesem Gebiet versäumt haben, nachzuholen. Die Mittel im Einzelplan 30 betrugen,
wie ich bereits sagte, 7,2 Milliarden Euro. Die Anzahl der
BAföG-Empfänger - darauf gehe ich später näher ein - ist
nach der Wiedervereinigung kontinuierlich auf einen
Stand von 340 000 gesunken. Im Bereich der modernen
Zukunftstechnologien hatten wir unter der Ägide des von
Ihnen zum „Zukunftsminister“ hochstilisierten Herrn
Rüttgers total den Anschluss verloren. - Das war die Bilanz, mit der Sie nach 16 Jahren aus der Regierungsverantwortung verabschiedet worden sind.
({9})
Wir haben die Ärmel hochgekrempelt, den Haushalt in
schwierigsten Zeiten auf einen Konsolidierungskurs gebracht und dennoch unsere Wahlversprechen gehalten,
({10})
indem wir in die Zukunft unseres Landes, in Bildung und
Forschung investiert haben.
Schlimm ist jedoch, dass Sie seitdem offensichtlich gar
nichts dazugelernt haben.
({11})
Was hatte die Opposition in den letzten Haushaltsberatungen zum Einzelplan 30 als Alternative zu bieten? Alle Oppositionsfraktionen wollten - wunderbar - die Mittel des
Einzelplans 30 erhöhen: die PDS um 15,6 Millionen Euro,
({12})
Sie von der Union um knapp 120 Millionen Euro und die
FDP - eine kleine Fraktion, aber doch sehr mutig - um unglaubliche 834 Millionen Euro.
({13})
Zur Wahrheit gehört, dass die PDS als einzige Fraktion
halbwegs akzeptable Vorschläge zur Gegenfinanzierung
gemacht hat.
({14})
Die Union hat gerade in den Bereichen kräftig draufgesattelt, in denen wir bereits 1998 die Mittel enorm aufgestockt haben. Und was macht die FDP? Sie machen es
sich ganz einfach. Sie stellen Änderungsanträge mit einem Volumen von 834 Millionen Euro. Was aber ist mit
Vorschlägen zur Finanzierung? - Fehlanzeige.
({15})
Stattdessen verstecken Sie sich hinter dem Argument,
Ihren angeblich - schon nach drei Jahren; dazu war viel
Zeit - radikalen Kurswechsel im Bereich Bildung und
Forschung durch die Streichung von Subventionen finanzieren zu wollen. Wie ernst dürfen wir diesen Vorschlag
nehmen vor dem Hintergrund, dass Sie die Erhöhung der
Haushaltsmittel durch die Streichung gerade der Subventionen finanzieren wollen, die Ihr damaliger Wirtschaftsminister Rexrodt ausgehandelt hatte?
Die föderale Struktur in Deutschland bringt es mit sich,
dass der Bereich Bildung und Forschung auf Bundes- und
Länderebene gestaltet wird. Gerade im Forschungs- und
Wissenschaftsbereich haben wir es mit einer heterogenen,
nicht einfachen Community mit vielen Partikularinteressen zu tun, die Reformen nicht sofort begeistert durch ihre
Unterstützung folgt. Umso mehr kann ich mit großer Genugtuung und mit Stolz vortragen, welche Leistungen wir
auf dem Gebiet der Bildung und Forschung vorzuweisen
haben.
({16})
- Nein, als seriöse Haushälterin bleibe ich immer unmittelbar bei der Wahrheit. Das wissen Sie doch, Herr Kollege Kampeter.
({17})
Rechtzeitig zum Sommersemester dieses Jahres ist die
BAföG-Reform in Kraft getreten. Dank einer begleitenden erfolgreichen Aufklärungskampagne wissen Jugendliche und ihre Eltern, „dass sich BAföG wieder lohnt“.
Selbstverständlich ist es weiterhin nötig - das merken wir
regelmäßig zum Semesterbeginn -, die jungen Menschen
davon zu überzeugen, ein Studium aufzunehmen.
Während nämlich der Anteil eines Jahrgangs, der ein Studium beginnt, im Jahr 1999 auf 28 Prozent gesunken war,
liegt diese Quote zum Beispiel in den USA bei 44 Prozent,
in Israel bei 49 Prozent und in Finnland bei 58 Prozent.
Diese Entwicklung darf nicht so bleiben. Durch die Reform können wir die Zahl der Geförderten endlich spürbar erhöhen.
({18})
Gab es zu Beginn unserer Regierungsübernahme
340 000 BAföG-Empfänger, so kehrt sich der Trend allmählich um. Im Jahre 2000 gab es bereits 360 000 Geförderte. Zum jetzigen Zeitpunkt können die BAföGÄmter - Ländereinrichtungen - noch keine absoluten
Zahlen für das Jahr 2001 angeben.
({19})
Die Studierenden aber - Sie müssen doch nur wie ich telefonieren, um das abzufragen - rennen den BAföG-Ämtern zum ersten Mal seit Jahrzehnten endlich wieder die
Türen ein.
({20})
Die Ausgabenzuwächse beim BAföG, gemessen an
den Mitteln, die die Länder abrufen, ergeben gegenüber
demselben Vorjahresmonat folgende Zahlen: September
plus 43 Prozent; Oktober plus 48 Prozent, November plus
55 Prozent. Ich lese Ihnen auch gerne vor, was Mitarbeiter von BAföG-Ämtern von unserer Reform halten.
Allein der Bund stellt für 2002 insgesamt 810 Millionen Euro zur Verfügung. Das sind 4 Prozent mehr als im
laufenden Jahr. Ich denke, wir können sagen: Beim
BAföG ist die Wende zum Guten eingeleitet, auch wenn
sie noch nicht geschafft ist.
({21})
Was den Studierenden sowie den Schülerinnen und
Schülern recht ist, soll den Berufstätigen billig sein. Wir
haben das so genannte Meister-BAföG im Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz, welches in der beruflichen
Bildung das Pendant zum herkömmlichen BAföG bildet,
ebenfalls auf gesunde Beine gestellt. Fortbildungswillige
können unabhängig von ihren wirtschaftlichen Verhältnissen ihre Fähigkeiten und Neigungen entfalten. Wir
leisten mit dieser Novelle vor allen Dingen einen Beitrag
zur Förderung des Mittelstandes.
({22})
Dank der gerade im Bundestag verabschiedeten Reform,
die zum 1. Januar kommenden Jahres in Kraft treten wird,
erhöhen wir die Zahl der Geförderten von derzeit 50 000
auf 60 000 bis zum Jahr 2004.
({23})
Zusammen mit dem Anteil des BMWi kommen 850 Millionen Euro zusammen, die jungen Berufstätigen zur Verfügung gestellt werden können.
({24})
Eine andere Reform - lange überfällig und erfolgreich
gestartet - ist die Dienstrechtsreform.
({25})
Wir dürfen getrost von einem Jahrhundertwerk sprechen,
bricht sie doch mit überalterten, unzeitgemäßen Verfahren
aus dem 19. Jahrhundert.
({26})
Anstelle der Habilitation wird es die Juniorprofessur geben, die es jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ermöglicht, in ihren kreativsten Jahren selbstständig zu lehren und zu forschen. Während der zweimal
drei Jahre andauernden Professur können sie als vollwertige Mitglieder des Lehrkörpers
({27})
Drittmittel für eigene Forschungsprojekte einwerben und
sich ohne Abhängigkeit von einem Professor entfalten.
Wir wollen es nicht länger hinnehmen, dass Akademiker
in Deutschland erst mit Anfang 40 eine Professur antreten
können.
({28})
Ein im Zeitalter der wissenschaftlichen Globalisierung
wesentliches Element, das unsere Hochschulen attraktiver und leistungsfähiger macht, ist Internationalität. Wir
wünschen uns einen regeren Austausch zwischen deutschen und ausländischen Studierenden sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Da es gerade beim
Austausch zwischen Deutschland und den mittel- und osteuropäischen Ländern ein starkes Ungleichgewicht von
1:4 gibt, haben wir den Ansatz auf 63,5 Millionen Euro erhöht. Wir hoffen, dass wir unserer zentralen Lage in Europa als wichtiges Bindeglied vor allen Dingen zu den
mittel- und osteuropäischen Ländern und der EU auch auf
diesem Feld nachhaltig gerecht werden können.
({29})
Der Herr Kollege Kampeter hatte es schon erwähnt:
Ein wichtiger und mir besonders am Herzen liegender
Posten im Haushalt wird das neue mittelgroße eisrandfähige Forschungsschiff sein. Es wird 2004 vom Stapel
laufen und dazu beitragen, Deutschlands hervorragendes
internationales Renommee in den Geowissenschaften, in
der Klimaforschung und in der Meeresbiologie zu untermauern.
({30})
- Die Küste ist zufrieden, aber ich denke, nicht nur die.
Der Bund investiert im kommenden Jahr 10,3 Millionen Euro und damit seinen Anteil von 75 Prozent. Die
Küstenländer Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein übernehmen 25 Prozent, sodass bis zum Jahre 2005 42,2 Millionen Euro zur Verfügung stehen werden.
Ich komme zu einem weiteren wichtigen Bereich dieses Haushalts. Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade
auch von der CDU/CSU, trotz vieler Unkenrufe kommen
wir bei der Raumfahrt nicht nur unseren internationalen
Verpflichtungen nach. Im Gegenteil: Wir haben unserer
Ministerin als der neuen Vorsitzenden der EWO-Ministerratskonferenz kräftig den Rücken gestärkt und den
deutschen Beitrag an die Europäische Weltraumorganisation um 30 Millionen Euro auf über 561 Millionen Euro
erhöht.
({31})
Allerdings - das soll an dieser Stelle deutlich betont werden - verknüpfen wir mit unserem Engagement die sehr
konkrete und eindringliche Forderung an die Industrie,
mittelfristig mehr Eigenmittel aufzubringen.
Im Bereich Gesundheitsforschung - wir nennen das
Forschung für den Menschen - stehen im kommenden
Jahr für Forschung zur Gesundheitsvorsorge, die Entwicklung neuer Therapien und Präventionsverfahren bei
den so genannten Volkskrankheiten mehr als 200 Millionen Euro zur Verfügung. Erneut, Herr Kollege
Kampeter - eigentlich wissen Sie es, aber Sie haben hier
etwas anderes behauptet -, haben wir die Mittel für den
Bereich Biotechnologie erhöht.
({32})
Deutschland gehört mittlerweile zu den führenden Nationen in Europa: In keinem anderen Land gibt es mehr Biotechnologieunternehmen als bei uns.
({33})
Für das nächste Jahr sind 115 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt. Für den gesamten Bereich der Lebenswissenschaften geben wir mehr als 320 Millionen Euro
und haben damit nur für dieses Segment seit 1998 die Mittel um fast 60 Prozent erhöht.
({34})
Ein Wort zu den neuen Bundesländern. Neben ihrem
selbstverständlichen Anteil an allen Programmen haben
wir für die neuen Bundesländer zusätzliche Förderinstrumente aufgelegt: Inno-Regio geht in seine entscheidende
Phase.
({35})
- Frau Kollegin Pieper, Sie haben gleich Gelegenheit, sich
dazu positiv zu äußern. - Deshalb haben wir 10 Millionen Euro zusätzlich gegeben. Wir unterfüttern das mit
den innovativen regionalen Wachstumskernen, die aus
dem Zukunftsinvestitionsprogramm finanziert werden.
Hier stehen weitere 25 Millionen Euro bereit, um endlich
schlagkräftige, attraktive regionale Zentren aufzubauen.
({36})
Wir hoffen, dass dadurch moderne, attraktive Arbeitsplätze entstehen. Wir hoffen gleichzeitig, dass dadurch
das Angebot an junge Ostdeutsche verstärkt wird und sie
veranlasst werden, in ihrer Region zu bleiben. Es hilft, die
Abwanderung aufzuhalten.
({37})
Insgesamt fließen aus dem Einzelplan 30 1,5 Milliarden Euro in die neuen Länder.
({38})
Die Vergleiche mit den Daten von 1998 belegen, wie
stark Rot-Grün die Bildungs-, Forschungs- und Wissenschaftslandschaft seit Regierungsantritt verändert hat.
Es sind aber nicht nur finanzielle Aufwüchse, sondern
auch moderne und tragfähige Konzepte, die Verbesserungen bewirken.
Was bei der heutigen Opposition während ihrer Regierungszeit doch meist nur Worthülsen waren, sind bei uns
Projekte und Perspektiven.
({39})
Ich erinnere Sie an Worte wie Zukunftsminister,
({40})
Stärkung der Innovation, Bildung und Forschung als
oberste Priorität. Wir haben diese Vokabeln mit Inhalt gefüllt.
({41})
Sehen Sie sich die Reformen, die wir angepackt haben, an.
Sie müssten bei ehrlicher Betrachtungsweise überzeugt
sein: Bildung und Forschung haben bei Rot-Grün Priorität. Das hatten wir vor der Wahl versprochen. Das haben
wir gehalten.
({42})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, freundlicherweise
hat der Kollege Kampeter schon darauf hingewiesen, dass
dies meine letzte Haushaltsrede ist. Darum will ich mich
ganz herzlich bei dem Haushaltsreferat des BMBF und
ganz besonders bei Herrn Kleine-Arndt bedanken.
({43})
Ich bedanke mich aber auch bei den Mitberichterstatterinnen und Mitberichterstattern der Grünen-Fraktion,
aber auch den anderen, auch wenn wir nicht immer zu
gleichen Ergebnissen gekommen sind und natürlich unterschiedliche Konzepte hatten. Eines will ich den Oppositionskollegen zugestehen: Es war trotz aller Differenzen
eine kollegiale Zusammenarbeit. Ich habe bemerkt, dass
Sie für den Bereich Bildung und Forschung durchaus Engagement zeigen, aber Sie kommen zu den falschen Ergebnissen.
({44})
Es wäre angesichts Ihres Engagements nur konsequent,
wenn Sie es uns gleichtäten und dem Einzelplan 30, diesem Rekordhaushalt, zustimmten.
Ich danke Ihnen.
({45})
Das Wort zu einer
Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kollegen Steffen
Kampeter.
Die von mir persönlich sehr geschätzte Kollegin Klemmer hat eine Behauptung aufgestellt, zu der ich kurz Stellung nehmen möchte.
Sie hat bezweifelt, dass der Zuwachs bei den Etats Wirtschaft und Technologie sowie Bildung und Forschung
sehr groß sei. Ich möchte deswegen noch einmal die Zahlen nennen: Bei der Übernahme der Regierung durch RotGrün im Jahre 1998 sind in den Etats der Einzelpläne 09
und 30 zusammen 31,8 Milliarden DM ausgewiesen
worden. Wenn man heute die beiden Etats zusammenrechnet, dann kommt man auf die Summe von 29,3 Milliarden DM. Damit sind die zusammengerechneten Ansätze
für die Etats Wirtschaft und Technologie sowie Bildung
und Forschung um 2,5 Milliarden DM niedriger als beim
Regierungswechsel. Selbst wenn die Kohlesubventionen
herausgerechnet werden, ergibt sich nicht die von der
Bundesministerin angekündigte Verdoppelung der Investitionen für Bildung und Forschung.
Hinsichtlich der BAföG-Zahlen möchte ich der deutschen Öffentlichkeit zur Kenntnis geben, dass unter dem
Titel „BAföG-Zuschuss an Studierende“ im Etat der Bundesbildungsministerin für das laufende Jahr rund 419 Millionen DM etatisiert sind. Trotz der als Jahrhundertwerk
angekündigten BAföG-Reform verzeichnet dieser Titel
im Jahr 2002 aufgrund der beabsichtigten Senkung, die
auch die Kollegin Klemmer begründet hat, keine wesentliche Steigerung.
Dies alles diente der Klarstellung des Sachverhalts und
musste deswegen gesagt werden.
({0})
Frau Kollegin
Klemmer, bitte zur Erwiderung.
Zuerst zum BAföG: Herr
Kollege Kampeter, die wichigste Zahl ist nicht die, an der
sich der finanzielle Aufwand ablesen lässt, sondern die
der Geförderten. Das wissen Sie eigentlich ganz genau.
({0})
Es gab in der Bundesrepublik Zeiten, in denen die Zahl
der Geförderten mit der Zahl der Studierenden fast
deckungsgleich war. Das hieß natürlich nicht, dass alle ein
hohes BAföG bekommen haben. Es gab damals vielmehr
nur einen relativ kleinen Beitrag als Studienunterhalt. Das
betraf vor allen Dingen den Zeitraum von 1980 bis 1985.
Bedingt durch die Wiedervereinigung - die Zahl der Studierenden stieg und damit auch die der Geförderten - gab
es zwar 1991 einen Aufwuchs. Aber danach ging es bis
1998 deutlich bergab. Die Zahl der Geförderten sank von
605 000 im Jahre 1991 auf 340 000 im Jahre 1998. Dies
stand in gar keinem Verhältnis mehr zu der Entwicklung
der Zahl der Studierenden; denn diese hatte sich nur unwesentlich verändert.
Wir sind jetzt dabei, die Zahl der Geförderten und die
der Studierenden in ein ordentliches Verhältnis zu bringen. Im Jahre 2000 gab es 360 000 Bezieher von BAföG
und ungefähr 1,7 Millionen Studierende.
Ich möchte jetzt auf das eingehen, was - das wissen Sie
als Haushälter ganz genau - in Ihrer Argumentation unseriös ist.
({1})
Sie wissen ganz genau, dass das BAföG auf der einen
Seite ein Leistungsgesetz und auf der anderen Seite ein
Schätztitel ist. Da die Bestimmungen des BAföG durch
die Länder und deren Studentenwerke umgesetzt werden
und somit dem unmittelbaren Zugriff des Bundes entzogen sind, sind wir auf die Zuarbeit der Länder angewiesen. Wir haben es im Vergleich zu Ihnen damals jetzt mit
16 Ländern und mit einer viel größeren Zahl an Studentenwerken zu tun.
Viel wichtiger ist aber die Tatsache, dass seit diesem
Sommer, seit der erfolgreichen Informationskampagne - das haben wir gemerkt -, das Interesse am
BAföG enorm zugenommen hat.
({2})
- Mit wem auch immer! Wenn junge Leute Sympathie für
Guildo Horn haben, dann ist das gut. Es spielt für uns
überhaupt keine Rolle, wenn sie über Guildo Horn zum
BAföG kommen.
Frau Kollegin
Klemmer, jetzt ist Ihre Zeit für die Erwiderung auf die
Kurzintervention leider beendet.
Wir bemerken allerdings
- das ist eine Form von Politikverdrossenheit, zu der Sie
beigetragen haben -,
({0})
wie wenig Vertrauen junge Leute und ihre Eltern noch in
die Leistungsfähigkeit des Staates hatten. Sie sind gar
nicht mehr davon ausgegangen, dass sie überhaupt einen
BAföG-Anspruch haben.
Frau Klemmer, ich
bitte Sie, zum Schluss zu kommen.
Das in ihre Köpfe zu bringen ist unsere momentane Aufgabe. Sie gelingt uns.
({0})
Die nächste Rednerin
in der Debatte ist Kollegin Pieper für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Solange wir in diesem Deutschen
Bundestag solche Diskussionen zur Bildungs- und Forschungspolitik, geführt von Haushaltspolitikern, hören,
die in Zahlenfuchserei enden, werden wir den Investitionsschub für Bildung, Wissenschaft und Forschung, den
wir in Deutschland brauchen, wenn wir im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe bestehen wollen, nie
erreichen. Das ist mir bei dieser Debatte ganz klar geworden.
({0})
- Sie können das sehen, wie Sie wollen.
Ihre Ministerin Bulmahn hat in der Tat zu Anfang ihrer
Regierungszeit angekündigt, sie wolle den Haushalt für
Bildungs- und Forschungsaufgaben verdoppeln.
({1})
Dann hat sie korrigiert, es sollten Zukunftsinvestitionen
verdoppelt werden. Sie hatte zunächst gesagt, sie wolle
den Haushalt verdoppeln. Ich sage deutlich für die
FDP-Bundestagsfraktion: Wir wollen, dass Zukunftsinvestitionen verdoppelt werden. Wir wollen mehr Bildungsausgaben. Wir wollen mehr Investitionen in die
Köpfe.
({2})
Deswegen ist dieses Anliegen Ihrer Ministerin eigentlich
ein ehrenwertes Anliegen. Das muss unterstützt werden.
Aber es muss auch glaubwürdig bleiben.
Schauen wir in Ihren Haushalt hinein: Es ist ein
Täuschungsmanöver. Da können Sie sagen, was Sie wollen. Die Kollegen von der Union haben das hier schon bekräftigt.
({3})
- Herr Tauss, in der ersten Lesung des Haushalts sagten
Sie, dass der Haushalt zum vierten Mal in Folge gestiegen
sei. Sie haben aber im Jahr 2000 ein Absinken des Haushalts um rund 2,4 Prozent beschlossen.
Ich erkenne an, dass es in dieser Legislaturperiode im
Haushalt von Frau Bulmahn eine Aufstockung um 2 Milliarden DM gibt, aber insgesamt kann man weder von einer Verdopplung des Haushalts noch von einer Verdopplung der Zukunftsinvestitionen sprechen. Das ist auf
keinen Fall so, wie Sie es gesagt haben.
({4})
Meine Damen und Herren, sehr geehrte Frau Ministerin Bulmahn, der Finanzminister überlässt Ihnen den
Feldherrenhügel ganz ohne jede Attacke nicht.
({5})
Nein, er hat Ihnen bereits stillschweigend und von vielen
unbemerkt einen Gifttropfen in das BAföG getan.
Während Sie sich über ein erhöhtes Kindergeld und dessen Nichtanrechnung auf das Einkommen bei der BAföGBerechnung freuen, wird der bislang gewährte Ausbildungsfreibetrag von 4 200 DM pro Jahr für außer Haus
wohnende Studierende ab 1. Januar 2002 auf 1 807 DM
abgesenkt.
({6})
Das bedeutet für die Eltern spürbare Mehrbelastungen,
die durch das erhöhte Kindergeld gerade nicht abgefangen
werden.
({7})
Wissen Sie, was das ist? Das ist das Prinzip Ökosteuer:
Wir stecken dem Steuerzahler in die eine Tasche etwas hinein und aus der anderen Tasche ziehen wir ihm das Doppelte wieder heraus. Das ist das Prinzip Ihrer Politik.
({8})
Wenn Sie von den Wohnheimplätzen für ausländische
Studierende reden, Frau Klemmer, vergessen Sie bitte
nicht: Es fehlen insgesamt 21 000 Wohnheimplätze für
ausländische Studierende in Deutschland. Nehmen Sie
sich doch auch einmal dieser Herausforderungen an und
reden Sie nicht alles schön.
({9})
Frau Ministerin, auch die Finanzminister der Länder
missgönnen Ihnen Ihren kleinen Pyrrhussieg bei den diesjährigen Haushaltsberatungen. Die Finanzminister einigten sich auf ihrer letzten Tagung im Oktober auf eine Reduzierung der Bildungsausgaben in den Ländern und
verspielten somit die einmalige Chance, den demographisch bedingten Rückgang der Schülerzahlen für eine
Qualitätsverbesserung der Bildung zu nutzen. Das macht
deutlich: Die Finanzminister haben die Zeichen der Zeit
nicht verstanden. Investitionen in die Köpfe entscheiden
über den wirtschaftlichen Erfolg in Deutschland. Ich kann
nur appellieren, dass wir als Bildungspolitiker uns dieser
großen Herausforderung endlich bewusst werden.
Auch wenn wir uns noch so sehr über die zusätzliche
Milliarde aus den UMTS-Zinsersparnissen im Einzelplan 30 des Bundeshaushalts freuen - es bleibt ein Wermutstropfen. Diese Milliarde steht uns für eine befristete
Zeit zur Verfügung. Über diesen kleinen Zeitkorridor
müssen wir uns heute schon im Klaren sein.
Ich rufe in Erinnerung: Sie müssten nicht Herrn Eichel
einen Dankesbrief dafür schreiben, dass Sie mit Ihrem
Haushalt von diesen Zinsersparnissen profitiert haben,
sondern unserem ehemaligen Bundeswirtschaftsminister
Rexrodt, der die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes überhaupt erst durchgeführt hat.
({10})
Sonst würden Sie gar nicht von diesen Zinsersparnissen
profitieren. Meine Damen und Herren, Sie haben in der
Vergangenheit dagegen gewettert. Daran können wir uns
noch genau erinnern.
Frau Ministerin, der vorliegende Haushalt 2002 zeigt
mir aber auch, dass Sie mit der Steigerung der Bildungsausgaben weder den Anschluss an das internationale Niveau erreichen noch mit dem Ihnen zur Verfügung stehenden Geld wirklich gestalten wollen.
({11})
Es ist unbefriedigend, dass Deutschland mit einer Studierendenquote in Höhe von 28,2 Prozent nach wie vor
nur im unteren Mittelfeld der europäischen Staaten liegt.
Bereits heute nehmen nur noch 41 Prozent der Studierwilligen unmittelbar nach der Hochschulreife ein Studium
auf. Nur 2,6 Prozent der Gesamtbevölkerung Deutschlands studiert.
({12})
Damit liegen wir nicht nur hinsichtlich des Wirtschaftswachstums, sondern auch im Hinblick auf die akademische Ausbildung an letzter Stelle in Europa. Der Anteil der
berufstätigen Bevölkerung mit Hochschulabschluss liegt
mit 13 Prozent nur im internationalen Mittelfeld. In den
USA beträgt dieser Anteil 24 Prozent und in den Niederlanden 21 Prozent.
({13})
Hier erwarten wir Ihre Strukturreformen, die Sie eben
nicht auf den Weg gebracht haben, meine Damen und
Herren von der Koalition. In diesem Zusammenhang kann
ich Ihnen viele Fakten aufzählen. Das Durchschnittsalter
der Hoch- und Fachhochschulabsolventen ist weltweit
noch immer Spitze. Es gibt auch Strukturreformen, die
kein Geld kosten.
Wir haben in Deutschland zu lange Schulzeiten. Das
kann man nicht alles auf die Länder schieben.
({14})
Auch Sie regieren in den Ländern mit. Sie müssen endlich
dafür Sorge tragen, dass das 13. Schuljahr in Deutschland
abgeschafft und in der gesamten Bundesrepublik das Abitur nach dem 12. Schuljahr eingeführt wird.
({15})
Sehr geehrte Frau Kollegin Bulmahn, meine Fraktion
hat mit ihrem Bildungsscheckmodell einen wichtigen
Schritt in Richtung auf Bildungsreformen aufgezeigt. Ihre
Kollegen aus der SPD-Fraktion, aber auch die Grünen haben das Modell im zuständigen Ausschuss grundsätzlich
abgelehnt. Die SPD-Minister in Rheinland-Pfalz und
Nordrhein-Westfalen wollen dieses Modell jedoch nicht
nur einführen, sondern wenden sich damit auch offen gegen das von Ihnen geplante Studiengebührenverbot.
({16})
Die Grünen spitzten ebenfalls den Mund und schlugen ein
Studiengutscheinmodell vor.
Noch haben Sie Zeit, meine Damen und Herren von der
Koalition, auf den fahrenden Zug aufzuspringen,
({17})
denn wir werden dieses Thema in diesem Hause noch einmal behandeln und seine Umsetzung voranbringen. Das
verspreche ich Ihnen. Sie vergessen aufzuspringen. Sie
setzen die Reformen weder in Gang noch setzen Sie sie
um.
({18})
- Herr Tauss, ich weiß, Sie tönen immer sehr laut, aber es
reicht nicht aus, nur schöne Worte zu machen, sondern es
ist erforderlich, sie durch Taten umzusetzen. Diese Taten
sind jetzt gefragt.
({19})
Schneiden Sie endlich einmal diese alten ideologischen
Zöpfe in der Bildung, geboren in der 68er Generation, ab.
({20})
Eine Verlagerung der Prioritätensetzung bedeutet zugleich eine kontinuierliche Mittelbereitstellung. Ihnen ist
doch bekannt, dass die FDP-Fraktion einen Antrag eingebracht hat. Wir wollen staatliche Subventionen insbesondere für den Steinkohlebergbau zurückführen und gerade
diese Mittel für Bildung, Wissenschaft und Forschung
einsetzen. Die Halbierung der Erhaltungssubventionen
bis zum Jahr 2005 würde eingesparte Mittel in Höhe von
7,9 Milliarden Euro für Investitionen in die Bildung, aber
auch in die Mobilität zur Verfügung stellen.
Das ist der richtige Weg. Das haben wir vorgeschlagen.
({21})
- Das ist nicht unseriös.
({22})
Das ist mutig. Wir brauchen mutige Reformen in diesem
Land, um voranzukommen,
({23})
und nicht dieses kleinkarierte Denken, das uns von Ihnen
zum Teil vorgetragen wird, meine Damen und Herren von
der Regierungskoalition.
Wir brauchen auch den Blick für die großen Probleme
im Osten. Die Zustände in den neuen Bundesländern
sind in der Tat beängstigend, auch was die Ausbildungsplatzsituation anbelangt. Ich sage noch einmal: Allein der
Wanderungsverlust von 17 000 Menschen im vergangenen Jahr
({24})
macht deutlich, dass sich junge Frauen und Männer Ausbildungs- und Arbeitsplätze in den alten Ländern suchen
müssen, weil sie in den neuen Ländern keine Zukunft
mehr haben.
({25})
Das ist unter anderem auch Ihrer mittelstandsfeindlichen
Politik zu verdanken. Sie belasten nicht nur die Bürger,
Sie belasten auch die kleinen Unternehmen, ob nun mit
Ökosteuer oder mit der Steuerreform.
({26})
Das geht auch zulasten der Ausbildung junger Menschen.
Nehmen Sie diese Gesetze endlich zurück!
Wir haben einen Antrag gestellt mit dem Ziel, die Zahl
der Ausbildungsstellen aufzustocken. Diesen Antrag haben wir Ihnen vorgelegt. Das Ausbildungsstellenangebot
im Osten Deutschlands ist insgesamt um 6,9 Prozent zurückgegangen. Das ist alarmierend. Das Bund-LänderProgramm hat 16 000 neue Lehrstellen schaffen wollen.
Hierfür wollte die Bundesregierung in den nächsten drei
Jahren zusätzlich rund 108 Millionen Euro bereitstellen.
Das bedeutet einen zusätzlichen Mittelaufwuchs in Höhe
von 36 Millionen Euro pro Jahr. Das ist aber nicht passiert. Unsere Forderung ist, dass das passiert. Wir wollen,
dass junge Menschen eine Zukunft haben, indem sie einen
Ausbildungsplatz finden, und zwar auch da, wo betriebliche Ausbildungsplätze nicht vorhanden sind.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, noch ein Wort zu dem berühmten Inno-Regio-Wettbewerb. In der Tat, die Idee ist gut.
({27})
Dagegen spricht sich auch niemand aus. Aber der vom
BMBF vorgelegte Sachstandsbericht zur Förderung dieser regionalen Innovationsinitiativen ist nicht befriedigend. Er zeigt zwar viele Defizite auf, verschweigt aber
bewusst, wie die Vergabepraxis in Wirklichkeit aussieht.
({28})
Aus meinem Heimatland Sachsen-Anhalt sind mir Bescheide bekannt, in denen dem Antragsteller - es geht um
laufende Forschungsprojekte - entgegen seinem Antrag
auf gleichmäßige Verteilung der Mittel von 2001 bis 2005
für 2001 4 Prozent der Mittel, für 2002 7 Prozent der Mittel, für 2003 keine Mittel, für 2004 keine Mittel und für
2005 89 Prozent der Mittel zugesagt worden sind.
({29})
Das heißt, solche Unternehmen müssen auf Jahre hinaus
vorfinanzieren, haben aber gar kein Eigenkapital. Was Sie
hier machen, ist unglaubwürdig.
Frau Kollegin Pieper,
Sie müssen jetzt auf die Redezeit achten.
Frau Präsidentin, es gibt noch
viel mehr, was an Kritik, auch an konstruktiver Kritik,
vorzutragen wäre.
Ich vermisse bei der rot-grünen Bundesregierung
Glaubwürdigkeit bei der Bildungsreform, aber auch Mut
zu wirklichen Reformen. So kommen wir in den Fragen
zum Standort Deutschland ganz gewiss nicht weiter.
Vielen Dank.
({0})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege HansJosef Fell.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Haushaltsdebatten zum Bildungs- und Forschungsbereich
sind meine Lieblingsdebatten. Hierzu kann Rot-Grün jedes Jahr Zahlen auf den Tisch legen, die die Erfolge unserer Bildungs- und Forschungspolitik eindeutig belegen.
({0})
Die ewig Unzufriedenen in den ehemaligen Regierungsfraktionen von CDU, CSU und FDP
({1})
kann ich nur daran erinnern, welch schauriges Erbe sie
uns hinterlassen haben. 1998, im letzten schwarz-gelben
Haushaltsplan
({2})
- hören Sie zu, Herr Kampeter! -, gab das BMBF 10 Milliarden DM für die Forschung aus. Dies entsprach dem
Betrag von 1993. Stagnation über fünf Jahre unter Ihrer
Regierung!
({3})
Vier Jahre und einen Regierungswechsel später werden
die Forschungsmittel 12 Milliarden DM betragen. Hinzu
kommen die Mittel in Höhe von fast 1 Milliarde DM, die
seit dem Regierungswechsel beim Bundeswirtschaftsministerium veranschlagt sind.
Die Bildungsmittel stiegen im gleichen Zeitraum um
24 Prozent, um fast 5,5 Milliarden DM.
({4})
- Herr Kampeter, wenn Sie diese Zahlen nicht kennen,
dann muss man Ihre Fraktion fragen, ob Sie an der richtigen Stelle sind.
({5})
Ich weiß nicht, ob die Union gut beraten ist, einen Haushälter mit solcher Unkenntnis zu unterstützen.
({6})
Die FDP, Frau Pieper, hat nun einen noch stärkeren
Aufwuchs gefordert. Eigentlich hatten Sie ja 29 Jahre
Zeit, das umzusetzen. Aber ich sage Ihnen auch ganz konkret: Schade, dass Ihr Gegenfinanzierungsvorschlag unseriös ist.
({7})
Sie sagen, Sie wollen die Kohlesubventionen dafür nehmen. Ich erinnere Sie daran, dass Ihr Wirtschaftsminister
Rexrodt die Kohlesubventionen bis 2005 vertraglich festgeschrieben hat.
({8})
Nun verlangen Sie von der Nachfolgeregierung einen Vertragsbruch. Das halte ich schlichtweg für unseriös.
({9})
Darum müssen wir neue Wege gehen.
Ich möchte Sie daran erinnern, dass Sie die Nettoneuverschuldung Jahr für Jahr erhöhten, während die Forschungsausgaben sanken. Bei uns ist es umgekehrt: RotGrün erhöht die Mittel für Bildung und Forschung und
senkt die Nettoneuverschuldung.
({10})
Die Stagnation der früheren Bundesregierung hatte
schwerwiegende Folgen. 1991 lag der Anteil der ForCornelia Pieper
schungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt in Deutschland noch über 2,6 Prozent, 1998 waren es nur noch
2,3 Prozent. Damit rutschte Deutschland auf den siebten
Platz in der OECD ab. Die USA und Japan gaben, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, rund ein Viertel mehr
für Forschung aus, Schweden sogar 70 Prozent mehr.
Die durch die rot-grüne Bundesregierung wieder verstärkten Forschungsanstrengungen führten auch zu höheren Forschungsausgaben in der Wirtschaft. Bereits 1999
stieg der Anteil der Forschungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt wieder auf 2,4 Prozent. Er dürfte mittlerweile - genaue Zahlen liegen noch nicht vor - bei etwa
2,6 Prozent liegen. Das haben wir erreicht. Damit haben
wir das Ziel natürlich noch nicht vollständig erreicht, aber
im Gegensatz zu Ihrer Politik stimmt die Richtung endlich
wieder.
({11})
Meine Damen und Herren, viele sagen, nach dem
11. September sei alles anders. Ich möchte betonen, dass
vieles eigentlich schon seit September 1998 anders ist.
({12})
Hierzu zählt zum Beispiel die Förderung der Friedensforschung. Unter Kohl und den Liberalen wurde der Friedensforschung der Geldhahn zugedreht. Wenn friedenspolitische Meinungen geäußert wurden, die Kohl nicht
passten, haben die schwarzen Forschungsminister die
Mittel radikal gestrichen. Rot-Grün dagegen kann wieder
verstärkt auf Vorschläge zur Friedensforschung und zur
Krisenbewältigung zurückgreifen.
({13})
Gleich nach dem Regierungswechsel haben wir die Friedensforschung wieder ins Leben gerufen. Als nächster
Schritt wurde eine Friedensstiftung eingeführt, für die
auch 2002 wieder 15 Millionen DM eingestellt werden.
({14})
- Sie sollten genau zuhören und Sie sollten uns zu diesem
Schritt gratulieren und angesichts dieser Weltlage auch
danken.
({15})
Wir greifen zum Beispiel mit Blick auf Mazedonien auf
Konzepte der Friedensforschung zurück. Diese Strategie
hat dazu geführt, dass wir bis heute - Gott sei Dank - dort
einen Bürgerkrieg verhindern konnten.
({16})
Kommen wir zur Biotechnologie. Im Haushalt des
BMBF werden bei der menschlichen Stammzellenforschung nur Mittel für die Forschung mit adulten Stammzellen ausgegeben. Forschung an humanen embryonalen
Stammzellen wird nicht unterstützt und wir wollen, dass
das so bleibt.
({17})
Allerdings hat das Europäische Parlament gerade beschlossen, dass im 6. Forschungsrahmenprogramm die
Forschung an embryonalen Stammzellen finanziert werden soll.
({18})
Das Europäische Parlament befürwortet sogar die Forschung an Stammzellen, zu deren Gewinnung Embryonen
erst noch getötet werden müssten.
({19})
Ich möchte unsere Ministerin Frau Edelgard Bulmahn
eindringlich bitten, im Ministerrat gegen eine Finanzierung der embryonalen Stammzellenforschung zu votieren.
({20})
In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass
der Bundestag Anfang nächsten Jahres einen Beschluss
zur Stammzellenforschung fassen wird. Es wäre nicht
nachzuvollziehen, wenn zuvor mit deutscher Zustimmung auf europäischer Ebene schon vollendete Tatsachen
geschaffen würden, die den Empfehlungen der EnqueteKommission des Bundestages zuwider laufen.
({21})
Bündnis 90/Die Grünen sind für die Nutzung der Gentechnik in der Gesundheitsforschung, wenn ethische
Standards eingehalten werden. Daneben haben wir uns
immer für eine Stärkung der gentechnikunabhängigen
Gesundheitsforschung eingesetzt. Es freut mich daher
sehr, dass der Umfang der gentechnikunabhängigen Gesundheitsforschung deutlich zugelegt hat. 2002 werden
wir hierfür 10 Millionen DM mehr als dieses Jahr und
sogar 27 Millionen DM mehr als 1998 zur Verfügung
stellen. Damit können bedeutend mehr Mittel für die
Gesundheitsvorsorgeforschung, für die Pflegeforschung
oder für die Krebsnachsorgeforschung bereitgestellt
werden.
({22})
Wir wollen nicht nur mehr Geld für die Forschung,
sondern wir wollen - im Gegensatz zu einer liberalen Partei - auch, dass die Mittel verantwortlich eingesetzt werden. Daher ist für uns die Technikfolgenabschätzung besonders wichtig. Da wir im Gegensatz zu unseren
Vorgängern nicht nur reden, sondern auch handeln, haben
wir die Mittel für die Technikfolgenabschätzung in den
letzten drei Jahren mehr als verdoppelt.
({23})
Mit besonderer Freude ziehe ich auch die Bilanz im
Hinblick auf die Umweltforschung: Die Mittel für die
Nachhaltigkeitsforschung werden auch 2002 wieder erhöht. 2002 werden wir rund 40 Millionen DM mehr als
1998 ausgeben.
({24})
- Frau Flach, Sie sprechen die Energieforschung zu
Recht an. Sie haben in der ersten Lesung darauf hingewiesen, dass auf diesem Gebiet möglicherweise ein Defizit auftaucht. Nun fordere ich Sie auf, uns zu loben; denn
es gelang uns - wie in den Haushaltsberatungen eines jeden Jahres -, die Mittel für die Energieforschung deutlich
aufzustocken.
({25})
2002 werden 65 Millionen DM mehr für die Forschung im
Bereich erneuerbare Energien und Energieeffizienztechnologien ausgegeben als 1998, als Ihre Parteien regierten.
({26})
Besonders stolz bin ich auch darauf, dass wir im Forschungshaushalt für die Grundlagenforschung im Bereich
erneuerbarer Energien einen Fonds einrichten konnten,
der die Vernetzung zwischen den Forschungseinrichtungen unterstützt. Dies alles sind sehr wichtige Maßnahmen.
Meine Damen und Herren der CDU/CSU und der FDP,
Sie hatten 16 bzw. 29 Jahre Zeit, eine bessere Bildungsund Forschungspolitik zu machen.
({27})
Das ist Ihnen nicht gelungen. Jetzt mäkeln Sie an unserer
rot-grünen Erfolgsbilanz herum,
({28})
von der Sie in den letzten Regierungsjahren nicht einmal
zu träumen gewagt hätten.
Frau Präsidentin, ich danke Ihnen vor allem dafür, dass
Sie die Uhr angehalten haben.
({29})
Das Wort hat die Kollegin Maritta Böttcher von der Fraktion der PDS.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Runter mit dem BAföG, rauf mit der
Weltraumforschung - das, meine Damen und Herren der
Koalition, ist Ihre Kernaussage nach den Änderungen am
Bildungs- und Forschungsetat.
({0})
Während die BAföG-Ausgaben um 20 Millionen Euro
gekürzt werden, steigen die Beiträge und Leistungen an
die Europäische Weltraumorganisation um 30 Millionen Euro. So steht es im Haushaltsgesetz.
Frau Ministerin, als neue Vorsitzende des ESA-Ministerrats haben Sie für eine stärkere Beteiligung der Industrie an den Kosten der Weltraumforschung geworben;
trotzdem sollen die Ausgaben des Bundes im kommenden
Jahr weiter ansteigen. Fast jeden zehnten Euro aus dem
Bildungs- und Forschungshaushalt wollen Sie im Weltraum verpulvern. Das eherne Gesetz der Haushaltskonsolidierung gilt unter dieser Bundesregierung offensichtlich
nur bei Investitionen in die Köpfe. Bei Investitionen in die
Rüstung ist es offenbar außer Kraft gesetzt.
Unter dem Strich wollen SPD und Grüne die
BAföG-Ausgaben jetzt nur noch um 3,9 Prozent steigern.
({1})
Das ist im Ergebnis nicht viel mehr als ein großzügig bemessener Inflationsausgleich. Verkaufen Sie uns das nicht
länger als bildungspolitischen Erfolg!
({2})
„Einfach - besser - mehr“, so soll uns die Werbekampagne das neue BAföG schmackhaft machen. Doch auch
der 2 Millionen DM teure Einsatz von Guildo Horn - er
ist heute schon genannt worden - hat es nicht vermocht,
dafür zu sorgen, dass wirklich alle Anspruchsberechtigten
einen BAföG-Antrag stellen. Längst haben sie den Glauben daran verloren. Ohnehin gilt: Für viele Studierende
springen nur drei oder vier Nussecken mehr im Monat heraus.
({3})
Vier von fünf Studierenden gehen völlig leer aus. Etliche Auszubildende aus Familien mit mehreren BAföGberechtigten Kindern mussten zum 1. April feststellen,
dass ihnen das neue BAföG sogar weniger Geld bringt.
Frau Kollegin
Böttcher, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Tauss?
Aber selbstverständlich.
({0})
Das ist der Unterschied zwischen
Ihnen und Frau Böttcher. Aber bei Frau Böttcher setze ich
immer noch eine gewisse Lernfähigkeit voraus.
Danke, Herr Kollege.
Wir sind ja hier im Bildungsbereich.
Frau Kollegin Böttcher, ich bedauere es ein bisschen,
dass Sie jetzt mit dieser Schärfe zum Thema BAföG Stellung genommen haben. Ich habe gerade eine E-Mail bekommen - ich will jetzt den Namen des Mannes nicht verlesen, das gehört sich bei E-Mails nicht, aber ich kann sie
Ihnen nachher gerne geben -, in der steht: Was das BMBF
tut, ist hervorragend, einmalig. Die Reform zum BAföG
ist gelungen. Ich arbeite seit 22 Jahren im BAföG-Amt
und kann sagen: Nie war das BAföG so wertvoll wie
heute.
Wie wollen Sie denn diese Erfahrungen eines seit über
20 Jahren im BAföG-Amt tätigen Mitarbeiters mit dem in
Übereinstimmung bringen, was Sie uns gerade hier gesagt
haben?
({0})
Ich bin mir nicht sicher, woher Sie diese E-Mail haben; ich könnte Ihnen auch andere
E-Mails zeigen. Das ist aber überhaupt nicht mein Problem. Es handelt sich um Tatsachen, Kollege Tauss - das
wissen Sie auch -, die ich hier vorgetragen habe. Im Übrigen bin ich nicht dafür da, die Regierung für das zu loben,
was möglicherweise gut ist an diesem Haushalt, sondern
ich möchte bitte schön sagen können, welche Reserven es
nach wie vor gibt. Insofern sind wir uns am Ende, wie ich
glaube, wieder einig, wenn ich sage: Die BAföG-Reform
war nicht mehr als ein Reförmchen. Dabei bleibe ich
auch.
({0})
- Das ist dann nun wieder Ihr Problem, Herr Kollege.
Noch einmal zurück: Nicht einfach, besser und mehr,
sondern kompliziert, schlechter und weniger ist das neue
BAföG für viele geworden. Doch damit nicht genug.
({1})
- Hören Sie doch vielleicht einmal zu, dann könnten Sie
die Reserven vielleicht auch erkennen.
Angesichts der anhaltenden Diskussion um Studiengebühren werden es sich viele Abiturientinnen und
Abiturienten, insbesondere aus Familien mit geringen
Elterneinkommen, ganz genau überlegen, ob sie die unkalkulierbaren Risiken eines Hochschulstudiums heute
noch auf sich nehmen. Bemerkenswert ist ja, dass sich die
SPD auf ihrem jüngsten Parteitag der klaren Position der
PDS angeschlossen hat
({2})
- ich freue mich, dass Sie sich darüber so freuen, Herr
Tauss -, nämlich die vor 30 Jahren unter sozialdemokratischer Regierungsverantwortung erreichte Gebührenfreiheit des Studiums zu verteidigen, und zwar ohne Wenn
und Aber.
({3})
Den Worten müssen aber jetzt wirklich Taten folgen.
Es reicht nicht aus, verehrter Kollege Tauss, mit den netten jungen Leuten vom fzs Kaffee zu trinken.
({4})
Sie müssen hier im Deutschen Bundestag endlich das umsetzen, was SPD und Grüne vor drei Jahren versprochen
haben und die PDS schon zweimal vergeblich beantragt
hat, nämlich Studiengebühren gesetzlich auszuschließen.
({5})
Ihren Landesministern Oppermann, Zöllner und Behler
werden Sie beibringen müssen, dass ihre Gebührenträume
Schäume bleiben müssen. Die SPD-Basis hat es so beschlossen. Mit immer neuen Ankündigungen ist den Studierenden also nicht geholfen.
Das gilt auch für die immer wieder versprochene
Absicherung der verfassten Studierendenschaft. Wie
halten Sie es eigentlich mit der Demokratie an deutschen
Schulen und Hochschulen? Auch wenn Sie unsere Kritik
am Afghanistan-Krieg nicht teilen, Bedenken, Kritik und
Widerstand zu artikulieren muss in einer demokratisch
verfassten Gesellschaft möglich sein und möglich bleiben.
({6})
Wir nehmen nicht hin, dass demokratisch gewählte Studierendenvertretungen, die sich kritisch mit den allgemeinpolitischen Themen Krieg und Terrorismus auseinander setzen, einen Maulkorb umgebunden bekommen.
Ebenso wenig dürfen wir akzeptieren, dass Lehrerinnen
und Lehrer, die an ihrer Schule die Politik von USA oder
NATO kritisieren, vom Dienst suspendiert werden. Möchten Sie Duckmäuser oder mündige Bürger?
({7})
Ich möchte die Gelegenheit heute nutzen, von hier aus
den Berliner Hochschullehrern, die vergangene Woche an
der Freien und an der Technischen Universität aus Protest
gegen den Krieg für zwei Wochen den regulären Lehrbetrieb unterbrochen haben, meinen Respekt aussprechen.
({8})
Dem Regierungswechsel von 1998 ist bis heute kein
wirklicher Politikwechsel in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik gefolgt.
({9})
Der Bundeshaushalt trägt immer noch die Handschrift Ihrer Vorgängerregierung. Auch bei der Neuordnung des
Hochschuldienstrechts haben Sie nicht einmal für die
notwendige Absicherung der Dienstrechtsreform im
Bundeshaushalt gesorgt. Das Förderprogramm zur Ausstattung von Juniorprofessuren ist nur eine halbe Sache.
({10})
Es deckt nur die Sachausstattung, nicht aber die Personalkosten der neu einzurichtenden Juniorprofessuren ab. GeJörg Tauss
nau darauf käme es aber an; das wissen Sie auch. Die für
die neuen Stellen infrage kommenden Mittel sind derzeit
nämlich durch die alten Assistentenstellen gebunden.
Auch aus der Ausbildungsplatzmisere insbesondere in
den neuen Ländern hat die Bundesregierung noch keinen
Ausweg gefunden. Dazu der Fakt: Ende September
wurden immer noch über 20 000 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz registriert. Den 7 324 ostdeutschen Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz standen ganze 758 betriebliche Ausbildungsplätze zur Verfügung. Wie man
diese beiden Tatsachen als Erfolg feiern kann, bleibt mir
schleierhaft.
({11})
- Die Zahlen interessieren mich dabei nicht. Im Endeffekt
interessiert mich, dass die Jugendlichen einen Ausbildungsplatz erhalten.
({12})
- Hören Sie mir doch einmal bis zum Ende zu; ich sage es
Ihnen jetzt. Seien Sie doch nicht so aufgeregt. Seien Sie
doch einmal ruhig.
Für viele Jugendliche im Osten ist die Hoffnung längst
gestorben.
({13})
Und da kommen Sie mit einem notdürftigen Trostpflaster,
mit diversen Ersatz- und Sonderprogrammen, um die Bilanz auszugleichen;
({14})
denn - das will ich noch einmal deutlich sagen - mit der
Gleichwertigkeit dieser Erwerbsmaßnahmen ist es nicht
weit her, wenn ich zugrunde lege, wie sich die Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt darstellt.
Wir erwarten daher von der Bundesregierung, dass sie
das duale System endlich zu einem gleichwertigen, pluralen Ausbildungssystem ausbaut, in dem für alle Ausbildungsgänge gemeinsame Grundsätze für Zugang, Qualitätssicherung und Finanzierung gelten.
({15})
Solange die Unternehmen - ich betone: die Unternehmen nicht endlich durch eine Ausbildungsumlage dazu angehalten werden, ihre Verpflichtung zur Ausbildung zu erfüllen,
wird die PDS die vorgesehene Kürzung der Lehrstellenprogramme für die neuen Bundesländer ablehnen.
({16})
Von einer weiteren Aufstockung des Programms um
mehr als ein Drittel, wie die FDP sie vorschlägt, ginge allerdings ein völlig falsches Signal für die Unternehmen
aus. Sie würden sich noch weiter aus ihrer Verantwortung
zurückziehen.
Im Übrigen halte ich es für bemerkenswert, dass uns
die FDP-Fraktion mit immer neuen Anträgen in Richtung
einer zentralstaatlichen Regulierung unseres föderativen
Bildungssystems beschäftigt, gleichzeitig aber dort, wo
sie in Regierungsverantwortung ist oder diese, wie in Berlin, anstrebt, einer hemmungslosen Deregulierung das
Wort redet.
({17})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wenn Sie
wollen, dass Ihre Anträge ernst genommen werden, müssen Sie sich endlich auf eine klare Linie im Bund und in
den Ländern festlegen.
({18})
Was die Weiterbildung betrifft, meine Kolleginnen und
Kollegen, bleibt die PDS bei ihrer Forderung nach einem
Rahmengesetz zur Weiterbildung, das die öffentlichen
Aufgaben bestimmt und für deren Finanzierung der Bund
aufzukommen hat.
Die Koalition ist 1998 mit dem Ziel angetreten, einen
„Aufbruch für Innovation und Qualifikation“ zu unternehmen. Der Entwurf der Bundesregierung für den Bildungs- und Forschungshaushalt 2002 ist weit von ihrem
Wahlversprechen entfernt. Die Partei des Demokratischen
Sozialismus sagt deshalb Nein zu dieser Politik des Stillstands.
({19})
Das Wort hat jetzt die
Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard
Bulmahn.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung ({0}): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Gute
Bildungs- und Forschungseinrichtungen haben ihren
Preis. Wer nicht bereit ist, diesen Preis zu zahlen, wird
später ein Vielfaches dafür zahlen müssen.
({1})
Diese Feststellung ist nicht ganz neu, aber der Unterschied zu Ihnen, meine sehr geehrten Herren und Damen
von der Opposition, ist der, dass die Kolleginnen und Kollegen von der Koalition es ernst nehmen und bereit sind,
mehr Mittel in Bildung und Forschung zu investieren.
({2})
Deshalb erhöhen wir den Haushalt für Bildung und Forschung in diesem Jahr zum vierten Mal.
Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der
Opposition, haben zwar auch darüber geredet, aber Sie
haben in Ihrer Regierungsverantwortung das genaue Gegenteil getan.
({3})
Sie haben in Ihrer Regierungsverantwortung, Herr
Kampeter, den Haushalt für Bildung und Forschung um
rund 700 Millionen DM gekürzt. Das sind die Tatsachen.
({4})
Wir erhöhen also den Haushalt für Bildung und Forschung.
Herr Kampeter, was Sie vorhin gemacht haben, - den
gesamten Wirtschaftshaushalt dem Haushalt für Bildung
und Forschung zuzuschlagen -, ist schlichtweg eine Verdummung der Leute. Ich finde, das sollte man gerade in
einer bildungspolitischen Debatte nicht tun.
({5})
Ich halte es für richtig, dass wir eine neue Weichenstellung durchgeführt haben. Wir haben gesagt: Weg von
den Subventionen, hin zu den Investitionen in Bildung
und Forschung! Wer dagegen ist, der muss das hier offen
benennen. Ich halte diese Weichenstellung für richtig und
stehe für sie ein.
({6})
Herr Kampeter, wenn ich mir anschaue, wie sich der
Anteil des Haushaltes für Bildung und Forschung am
Bundeshaushalt verändert hat, muss ich feststellen: Im
Jahre 1998, im letzten Jahr Ihrer Regierungsverantwortung, hatte der BMBF-Haushalt einen Anteil von
3,11 Prozent.
({7})
Im Jahre 2002 wird er einen Anteil von 3,39 Prozent haben. Wenn ich die reale Vergleichsbasis heranziehe, nämlich den Darlehensanteil des BAföGs einbeziehe - das
müsste ich eigentlich, weil er im Haushalt 1998 noch enthalten war -,
({8})
dann komme ich sogar auf 3,62 Prozent. So sind die Fakten. Ich bitte Sie, diese zur Kenntnis zu nehmen und nicht
an Ihre selbst gestrickten Mythen zu glauben. Das ist nämlich das Allerletzte!
({9})
Worum geht es uns dabei? Wir wollen durch Investitionen in Bildung und Forschung neue zukunftsfähige
Arbeitsplätze schaffen. Wir wollen unsere Wirtschaft
wettbewerbsfähig machen. Vor allen Dingen wollen wir
jungen Leuten in unserem Land die Chance geben, ihr Leben erfolgreich zu gestalten.
({10})
Das ist die Zielsetzung, die wir verfolgen.
Eine gute Ausbildung - auch das lassen Sie mich hier
klar sagen - beginnt nicht erst in der Lehre oder an der
Universität, sondern bereits im Kindergarten und in der
Schule.
({11})
Jahrelanger Stillstand und die bildungspolitischen Grabenkämpfe der letzten Jahrzehnte haben dazu geführt,
dass wir heute in wichtigen Bereichen unseres Bildungswesens nicht mehr in der internationalen Spitzengruppe
sind - wo wir eigentlich hingehören -, sondern uns im
OECD-Mittelmaß bewegen.
({12})
Die Bundesregierung hat diesen Zustand nicht einfach
hingenommen und die Hände in den Schoß gelegt, so wie
das meine Vorgänger über Jahre hinweg getan haben.
({13})
Ich habe zu Beginn meiner Amtszeit das Forum Bildung
ins Leben gerufen.
({14})
Wissenschaftler, Gewerkschaftler, Kultusminister, Wirtschaftsmanager, Vertreter der Kirchen, Eltern und Schüler
wurden dadurch an einen Tisch gebracht.
Gestern habe ich gemeinsam mit meinem Kollegen
Zehetmair,
({15})
der als Vertreter aller Länderminister an dieser Veranstaltung teilgenommen hat, Empfehlungen zur Erneuerung
unseres Bildungswesen vorgestellt.
({16})
Bund und Länder, und zwar unabhängig davon, ob sie zur
A-Seite oder zur B-Seite gehören, das heißt, unabhängig
davon, ob sie CDU- bzw. CSU- oder SPD-regiert sind,
({17})
stimmen darin überein, dass unser gesamtes Bildungssystem, also vom Kindergarten bis zur Hochschule, grundlegend reformiert werden muss.
({18})
Wir stimmen darin überein, dass Kinder schon im Kindergarten und in der Grundschule besser, das heißt stärker
auf ihre individuellen Voraussetzungen eingehend, gefördert werden müssen
({19})
und dass wir, wie in vielen anderen Ländern üblich, schon
in der ersten Klasse mit dem Erlernen einer Fremdsprache
beginnen müssen. Das bezieht sich im Übrigen auch auf
das Erlernen der Mathematik. Die Debatte vorhin hat ja
deutlich gezeigt, dass das dringend notwendig ist.
({20})
Unsere Schulen brauchen mehr Selbstständigkeit, so wie
wir von der Bundesseite das bereits für die Hochschulen
und die Forschungseinrichtungen umgesetzt haben.
Herr Kampeter, wenn Sie nicht begreifen, dass man
eine erfolgreiche Bildungspolitik nicht durchführen kann,
wenn dabei Kindergärten und Schulen ausgeklammert
bleiben, und dass zu einer erfolgreichen Bildungspolitik
ein Miteinander, ein Zusammenwirken zwischen Bund
und Ländern nötig ist, dann haben Sie - es tut mir Leid einen wesentlichen Teil davon, was Bildung bedeutet,
verpasst.
({21})
Unsere Schulen brauchen mehr Selbstständigkeit. Wir
wollen auch erreichen, dass gute Leistungen der Lehrerinnen und Lehrer künftig besser belohnt werden.
({22})
Jugendliche ohne Schul- und Ausbildungsabschluss sollen künftig eine zweite Chance erhalten und, wenn es notwendig ist, auch noch eine dritte.
({23})
Genau das tun wir in der beruflichen Bildung.
({24})
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flach?
Sofort. Ich möchte nur noch diesen Gedanken zu Ende bringen.
Wir wollen durch eine bessere Betreuung der an den
Hochschulen Studierenden sicherstellen, dass wir die hohen Studienabbrecherquoten, die es leider in einer ganzen
Reihe von Fächern gibt - im Übrigen nicht nur in den Naturwissenschaften -, erheblich verringern. Auch das
gehört zu den notwendigen Veränderungen in unserem
Bildungssystem.
({0})
Jetzt kann Frau Kollegin Flach ihre Frage stellen.
Danke schön, Frau Ministerin.
Sie wissen, dass das, was im Forum Bildung vertreten
wird, Allgemeingut unter Deutschlands Bildungspolitikern ist.
({0})
Das ist nicht weiter erstaunlich. Es gab die interessante
Empfehlung, Kindergartenplätze in Zukunft gebührenfrei anzubieten. Ich würde ganz gerne Ihre Meinung dazu
erfahren. Wie verhalten Sie sich zu diesem Vorschlag?
Werden Ihre Länderminister diesen Vorschlag unterstützen? Wie sollen Kindergartenplätze finanziert werden?
({1})
Die Empfehlungen des Forums Bildung
müssen ausführlich geprüft werden.
({0})
Wir sind der Auffassung, dass wir hier zu Veränderungen
kommen müssen.
({1})
Da ich Mitglied des Forums Bildung bin, ist dies auch
meine Auffassung.
({2})
Es ist weiterhin meine Auffassung, dass wir ein erheblich größeres Gewicht gerade auf die frühkindliche Erziehung und Bildung legen müssen und dass die Kindergärten auch einen Bildungsauftrag haben. Das ist nicht in
dem Sinne zu verstehen, dass die Kinder an einem Schultisch sitzen müssen, sondern so, dass sie in spielerischer
Form Sprachen auch im Kindergarten vermittelt bekommen.
({3})
Wir müssen die sprachlichen Defizite, die leider gerade
viele Kinder und Jugendliche aus Emigrantenfamilien haben, früher beheben und nicht erst dann, wenn sie 8, 9
oder 10, 12 Jahre alt sind.
Wir haben in diesen Empfehlungen sehr detaillierte
Vorschläge gemacht. Wir haben damit eine neue Grundlage geschaffen. Ich bin sehr froh, dass uns dies jenseits
der Grabenkämpfe der letzten 20 Jahre und auch jenseits
von Zuständigkeiten gelungen ist. Es ist nämlich eine
wichtige Voraussetzung, dass die Empfehlungen aufgegriffen und umgesetzt werden.
Da wir uns im Frühjahr auch darauf verständigt haben,
dass wir die Umsetzung der Empfehlungen begleiten werden, werden wir die Diskussion auch in den nächsten
Jahren fortsetzen und sicherlich auch häufiger im Bundestag führen. Ich hoffe und wünsche mir, dass ich auch
die Unterstützung der Oppositionsparteien habe, damit
die Empfehlungen in den Ländern auch tatsächlich umgesetzt werden. Ich kann Ihnen zusichern, dass wir in der
SPD dafür Sorge tragen werden, dass dieses geschieht.
({4})
Ich hoffe, dass dieses Vorgehen von der Opposition begleitet wird.
({5})
Frau Ministerin, es
gibt den Wunsch nach einer zweiten Zwischenfrage der
Kollegin Flach. Lassen Sie auch diese zu?
Ja.
Ich bitte um die Beantwortung
der Frage: Werden Sie in dieser Legislaturperiode beim
Thema Kindergartengebühren initiativ, Frau Bulmahn?
({0})
Sie wissen, dass der Bund keine Kindergartengebühren erhebt.
({0})
Deshalb müssen wir in unseren Parteien dafür Sorge tragen, dass diese Richtung auch in der Kommunalpolitik
durchgesetzt wird. Dann können wir erreichen, dass ein
Kindergartenbesuch nicht an finanziellen Hürden scheitert.
({1})
Ich habe vorhin ausdrücklich betont, dass dieses Vorhaben
nur gemeinsam gelingen wird, weil in vielen Ländern und
Gemeinden die CDU die politische Verantwortung trägt.
({2})
Auch die FDP wird dabei eine Rolle spielen. Deshalb
hoffe ich auf Ihre Unterstützung bei diesem Vorhaben.
({3})
Frau Ministerin, es
gibt einen weiteren Wunsch nach einer Zwischenfrage,
diesmal von dem Kollegen Hauser. - Bitte.
Frau Minister,
auch ich möchte Sie fragen: Werden Sie in dieser Richtung aktiv?
(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lächerlich - Zuruf von der SPD: Nun ist
aber gut!
Sie müssen ja nicht als Ministerin handeln, sondern können dies auch als Landesvorsitzende Ihrer Partei tun.
Zweite Frage: Wer soll denn die Kosten übernehmen?
Sie haben blumenreich ausgeführt, wie wichtig der Kindergarten ist. Das hätten Sie uns nicht zu erzählen brauchen; das war auch nicht gefragt. Wer soll die Kosten, die
sich aus diesem Vorhaben ergeben, übernehmen? Welche
Konzepte haben Sie dafür?
({0})
Weil die Empfehlungen des Forums Bildung Empfehlungen des Bundes, aller Länder und der
Sozialpartner sind, werden wir gemeinsam einen
Vorschlag entwickeln müssen, wie wir dieses umsetzen
können. Ich gehe davon aus, dass die Umsetzung Schritt
für Schritt erfolgt.
({0})
Wir stehen zurzeit - das ist für jeden spürbar - in unserem Lande vor einer paradoxen Situation: Auf der einen
Seite gibt es viele Menschen, die einen Arbeitsplatz suchen, auf der anderen Seite klagen rund 10 Prozent der
Unternehmen darüber, dass sie offene Stellen nicht besetzen können. Als wir die Regierung übernommen haben,
haben wir deshalb schnell gehandelt und haben mit dem
JUMP-Programm den Jugendlichen ein Qualifizierungsangebot gemacht,
({1})
was inzwischen über 330 000 Jugendliche genutzt haben.
Für viele dieser Jugendlichen war das der entscheidende
Schritt ins Arbeitsleben.
({2})
Für andere hat sich dadurch der Zugang zu einer beruflichen Ausbildung entscheidend verbessert.
Wir haben ein Zweites geschafft. Erstmals seit 1995
überstieg Ende Dezember 2000 die Zahl der unbesetzten
Ausbildungsstellen die Zahl der noch nicht vermittelten
Bewerber. Auch in diesem Jahr erhält jeder Jugendliche,
der arbeiten kann und arbeiten will, einen Ausbildungsplatz. Das ist ein Erfolg, Frau Böttcher.
({3})
Auch in den neuen Bundesländern wird jeder Jugendliche
und jede Jugendliche, der und die kann und will, einen
Ausbildungsplatz erhalten. Es gibt zurzeit mehr als
1 000 Ausbildungsplätze, die noch nicht besetzt sind.
Ich habe aber in diesem Haus immer auch sehr deutlich
gesagt, dass mir die Entwicklung in den neuen Bundesländern Sorge bereitet, dass ich mit ihr nicht zufrieden bin
und dass wir deshalb durch eine ganze Reihe von konkreten Unterstützungsprogrammen auch Betriebe dazu bringen wollen, mehr Ausbildungsplätze anzubieten. Darüber
gibt es überhaupt keinen Dissens.
({4})
Ich halte es für falsch, bei den Jugendlichen in den
neuen Bundesländern den Eindruck zu erwecken, dass sie
keinen Ausbildungsplatz erhalten würden. Sie haben die
Garantie, dass sie einen Ausbildungsplatz erhalten.
({5})
Wir haben für diese Maßnahmen in den letzten Jahren
insgesamt mehr als 6 Milliarden DM zur Verfügung gestellt und wir werden diese Programme auch in den Jahren 2002 und 2003 fortsetzen.
Frau Ministerin, jetzt
gibt es noch eine Zwischenfrage - ich mache den Vorschlag, dass das die letzte Zwischenfrage im Rahmen dieser Rede ist -,
({0})
und zwar von der Kollegin Böttcher.
Frau Ministerin, über das,
was Sie eben ausgeführt haben, gibt es zwischen uns offenbar keinen Dissens. Den Dissens gibt es an der Stelle
- ich möchte Sie fragen, was Sie in Zukunft dagegen unternehmen wollen -, dass die überbetriebliche Ausbildung
gegenüber der dualen Ausbildung als - ich sage das mal
in Anführungszeichen - zweite und dritte Wahl angesehen
wird, und zwar nicht von uns und nicht von denen, die sie
anbieten, sondern dergestalt, dass Betriebe Jugendliche
mit einer solchen Ausbildung nicht so gerne einstellen wie
Jugendliche, die aus einer dualen Ausbildung kommen.
Es geht um die Gleichwertigkeit der Ausbildungswege.
Diese ist, zumindest im Osten, nicht gegeben.
Der zweite Teil dieser Frage: Wieso, glauben Sie, wandern Jugendliche aus dem Osten für 5 000 DM in den
Westen ab, wenn jeder im Osten einen hochwertigen Ausbildungsplatz erhalten kann?
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Wir haben
das Recht auf freie Berufswahl in unserem Land. Ich plädiere nachdrücklich dafür, es dabei zu belassen,
({0})
weil das die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass jeder
Jugendliche und jede Jugendliche seinen und ihren Beruf
auswählen kann.
Der andere Punkt: Gerade weil wir wollen, dass die
Ausbildung in einer überbetrieblichen Ausbildungsstätte
der dualen Ausbildung gleichwertig ist, gehen wir in den
neuen Bundesländern ganz konsequent den Weg,
Ausbildungsverbünde zu schaffen und den Betrieben
Unterstützung zu geben, damit mehr betriebliche Ausbildungsplätze entstehen. Es gibt heute in allen außerbetrieblichen Ausbildungsstätten sehr hohe Anteile von
Ausbildung in den Betrieben selber. Diesen Weg sind wir
gegangen und wir werden ihn konsequent weitergehen.
Deshalb ist es falsch, wenn Sie sagen, dass die außerbetriebliche Ausbildung in diesen Verbünden, die wir jetzt
geschaffen haben, minderwertig ist. Sie hat einen sehr hohen Qualitätsstand und sie wird von den Betrieben nicht
nur akzeptiert, sondern auch anerkannt und für gut gehalten, weil die Betriebe selber bei dieser Ausbildung mitwirken.
Dass das so ist, zeigt sich schon daran, dass wir bei den
neuen Berufen, zum Beispiel den Informations- und
Kommunikationsberufen, auch in den neuen Bundesländern erhebliche Zuwächse haben. Wir haben in Deutschland insgesamt einen erheblichen Fortschritt erreicht. Sie
wissen, dass die Zahl der Ausbildungsplätze von 14 000
auf 60 000 gestiegen ist.
({1})
Solche Fortschritte gibt es inzwischen auch in den neuen
Bundesländern.
Das ist das Entscheidende: dass wir die Jugendlichen
so ausbilden, dass sie mit ihrer Berufsausbildung anschließend gute Berufschancen haben. Das stellen wir
durch die Form der Ausbildung, wie wir sie jetzt organisiert haben, sicher.
Ein weiterer zentraler Baustein unserer Bildungsoffensive ist das Meister-BAföG, das ich hier nur beispielhaft
für den gesamten Weiterbildungsbereich nennen will. Die
Bundesregierung stellt hierfür bis zum Jahr 2005 mehr als
660 Millionen zur Verfügung. Diese Reform ist nicht nur
ein wichtiger Beitrag zur Qualifizierung. Sie ist auch ein
wichtiger Beitrag zur Mittelstandsförderung und zur
Gründung neuer Unternehmen. Damit schaffen wir wiederum neue Arbeits- und Ausbildungsplätze.
Wir brauchen aber nicht nur mehr qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Fachkräfte in
der beruflichen Bildung, sondern wir brauchen auch
mehr Hochschulabsolventen und Naturwissenschaftler.
Ich weise immer wieder darauf hin, dass wir in Deutschland vor den gleichen Herausforderungen stehen wie
auch andere Länder. Hoch qualifizierte Wissenschaftler
und Studierende werden inzwischen weltweit umworben. Deshalb müssen wir - das machen wir auch die Hochschulen für junge Leute wieder attraktiver
machen.
Alleine im Rahmen der „Zukunftsinitiative Hochschule“ investieren wir bis zum Jahre 2003 1 Milliarde DM zusätzlich für die internationale Ausrichtung unserer Hochschulen, für die Verbesserung des Studiums
und für die Vernetzung und Ausstattung mit den neuen
Medien. Weitere Stichworte wurden schon genannt, zum
Beispiel die BAföG-Reform. Sie kommt hinzu. Für sie allein haben wir insgesamt mehr als 1,3 Milliarden mobilisiert.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich halte es
für verantwortungslos, dass hier so getan wird, als sei
diese BAföG-Reform ein Reförmchen.
({2})
Ich bitte Sie darum, bei der Wahrheit und den Fakten zu
bleiben. Wir erreichen im September eine Steigerung der
Ausgaben um 63 Prozent. Das ist alles andere als ein Reförmchen.
({3})
Das ist ein riesiger Schritt nach vorn.
({4})
Herr Kampeter, Sie wissen, dass das BAföG ein Leistungsgesetz ist. Das heißt, jeder Antragsteller erhält das
BAföG, sofern der Antrag bewilligt wird.
({5})
Das BAföG wird gezahlt. Darüber gibt es überhaupt keine
Diskussion.
({6})
Ein weiteres zentrales Reformprojekt ist die Dienstrechtsreform, die Anfang 2002 in Kraft treten soll.
({7})
Mit dieser Dienstrechtsreform brechen wir verkrustete
Strukturen auf und verbessern die Qualität von Forschung
und Lehre.
({8})
Mit der Juniorprofessur ermöglichen wir jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, in Zukunft durchschnittlich zehn Jahre früher als bisher eigenverantwortlich zu forschen und zu lehren.
Wir sorgen für eine höhere Leistungsgerechtigkeit bei
der Besoldung. Es passt nicht mehr in die heutige Zeit, alleine nach dem Lebensalter zu besolden.
({9})
Ich bedauere es sehr, dass der Opposition in den letzten zwei Jahren der Mut verloren gegangen ist, diese
Dienstrechtsreform mitzutragen.
({10})
Wir haben in der Expertenkommission gemeinsam die
Vorschläge erarbeitet. Sie, Ihre Länder und Ihre Parteien,
waren ein halbes Jahr lang bei der Erarbeitung der Expertenvorschläge dabei.
({11})
Wenn aber eine Entscheidung getroffen werden muss,
verlässt Sie der Mut und Sie stellen sich hinter diejenigen,
die in diesem Land nichts ändern wollen.
({12})
Ich bedauere, dass Sie so wenige Courage in dieser Frage
zeigen. Wir werden ja sehen, wie es weitergeht.
Die Frage, wie wir nach den Terroranschlägen in den
USA der Konjunktur bei uns wieder neue Impulse geben
können, um der Rezession entgegenzuwirken und um
wieder ein Wirtschaftswachstum zu erreichen, steht ganz
oben auf der politischen Tagesordnung.
({13})
In einer globalisierten Weltwirtschaft kann ein einzelnes Land allein nicht Konjunkturlokomotive spielen. Hier
stimme ich meinem Kollegen Hans Eichel ausdrücklich
zu. Das wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein, der sogleich verpuffen sowie unseren finanziellen Spielraum
unnötig einschränken würde. Wir brauchen deshalb auch
keinen Aktionismus, sondern solide Grundlagen.
({14})
Wenn wir auf Dauer wirtschaftlich wettbewerbsfähig
bleiben wollen, dann benötigen wir vor allem effiziente
Strukturen und Innovationen. Deshalb, Herr Kampeter,
habe ich zum Beispiel die HGF, die Großforschungseinrichtungen, reformiert und die Finanzierung sowie die
Rahmenbedingungen völlig verändert. Sie haben zehn
Jahre darüber diskutiert, dass die Großforschungseinrichtungen besser gestaltet und effizienter organisiert
werden müssen. Zehn Jahre lang sind Sie zu keinem Ergebnis gekommen. Wir haben es innerhalb von zwei Jahren geschafft.
({15})
Wir brauchen in unserem Land eine starke Forschung
und eine schnelle Umsetzung von Forschungsergebnissen
in neue Produkte und Dienstleistungen. Das ist für uns lebensnotwendig. Damit neue Forschungsergebnisse nicht
länger in den Schubladen verschwinden, schaffen wir
zum einen durch die Änderung des Hochschullehrerprivilegs und zum anderen durch den Aufbau leistungsfähiger
Patentierungs- und Verwertungsstrukturen bessere Voraussetzungen für die Nutzung von Forschungsergebnissen.
({16})
Bei der Forschungsförderung konzentrieren wir uns
auf die Zukunftsfelder. Die Gesundheitsforschung hat bei
uns erheblich an Gewicht gewonnen. Wir geben damit ein
klares Signal, dass wir ein leistungsfähiges und bezahlbares Gesundheitswesen wollen, sodass Kranke möglichst
optimal behandelt werden können. Das können wir ohne
Forschung und Qualitätsverbesserungen nicht leisten.
Deshalb haben wir hier einen Schwerpunkt gesetzt.
Mit den UMTS-Zinsersparnissen haben wir das nationale Genomforschungsnetz aufgebaut. Die biotechnologische Forschung, die Genomforschung, in Deutschland
ist inzwischen gut vorangekommen. Hier haben wir unsere Position erheblich verbessert.
({17})
Wir liegen an der Spitze, auch was den Arbeitsplatzzuwachs in diesem Bereich angeht. Allein im Jahre 2000
wurden hier 31 Prozent neue Arbeitsplätze geschaffen.
Diese erfolgreiche Entwicklung werden wir weiter unterstützen.
Wir werden auch bezogen auf die Informations- und
Kommunikationstechnologien unsere erfolgreiche Politik der letzten drei Jahre fortsetzen. Wir wissen, dass die
Informations- und Kommunikationstechnologien Schlüsseltechnologien sind. Sie sind in vielen unserer Branchen,
zum Beispiel in der Automobilbranche, der chemischen
Industrie und dem Maschinenbau, entscheidend für deren
Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb haben wir die Mittel
dafür deutlich erhöht.
Außerdem bauen wir einen neuen Forschungsbereich
auf, und zwar die Nanotechnologie, die an der Schwelle
zur Anwendungsreife steht. Durch die öffentlich finanzierte Forschung helfen wir den deutschen Unternehmen,
ihre Startposition auf dem Weltmarkt zu verbessern.
Kurzum: Wir ruhen uns nicht auf den Lorbeeren der
letzten drei Jahre aus, im Gegenteil.
({18})
Wir haben einen langen Atem und noch viele gute Ideen.
Diese werden wir auch umsetzen.
Vielen Dank.
({19})
Der Kollege
Dr. Martin Mayer spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin,
Sie haben fast so lange über Schulen und Kindergärten gesprochen, für die die Länder zuständig sind,
({0})
wie über die Forschung. Das ist doch ein Zeichen für den
niedrigen Stellenwert, den Sie der Forschung zumessen.
({1})
Sie haben bezogen auf die Dienstrechtsreform Punkte
angesprochen, die nicht strittig sind, aber die Punkte, die
strittig sind, schamhaft verschwiegen,
({2})
so zum Beispiel, dass Sie die Habilitation abschaffen
wollen und die Mindestgehälter zu niedrig ansetzen.
({3})
- Bitte beruhigen Sie sich wieder!
Die Beratung über den Haushalt ist natürlich immer Anlass für eine Generalaussprache. Sie möchten aber nicht
gerne hören, dass der Bundeskanzler vor der Wahl eine Verdoppelung der Investitionsmittel im Bildungs- und Forschungsbereich versprochen hat. Gestern hat er nämlich
schon wieder ganz kleine Semmeln gebacken und nur noch
von 15 Prozent gesprochen. Es gibt also einen Unterschied
zwischen Ihren Versprechungen und dem, was Sie halten.
({4})
Seitens der Bundesregierung gibt es offensichtlich eine
Diskrepanz zwischen Ankündigung und Wirklichkeit. Die
Bundesregierung hat bei ihrem Amtsantritt einen Aufbruch
im Bereich Innovation und Bildung angekündigt. Heute
wissen wir: Die Bildungs- und Forschungsministerin hat
gute Initiativen ihres Vorgängers Rüttgers, zum Beispiel
den Bio-Regio-Wettbewerb, weiterentwickelt. Von der
großen Aufbruchstimmung aber ist nichts mehr zu spüren.
({5})
Von der Euphorie der ersten Monate ist wenig übrig geblieben. Der letzte Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands stellt nüchtern fest:
Trotz einer Reihe positiver Entwicklungen steht die
nachhaltige Festigung der Innovationskraft der deutschen Wirtschaft im weltweiten Technologiewettbewerb noch aus.
Der Bericht erinnert an die nach wie vor bestehenden
Schwächen im Bildungswesen, die erhebliche Nachwuchsprobleme mit sich bringen. Diese Nachwuchsprobleme möchte die Bundesregierung neuerdings mehr
und mehr mit Greencards lösen. Der neueste Vorschlag
des Bundesarbeitsministers heißt: Greencard für Pflegekräfte. Das ist meiner Ansicht nach eine Bankrotterklärung für die Arbeitsmarkt- und die Bildungspolitik.
({6})
Mir kann niemand erzählen, dass von den 4 Millionen
Arbeitslosen nicht einige 10 000 bereit sind, in Pflegeberufen zu arbeiten. Diese könnte man entsprechend ausbilden, wenn das Bildungs- und Umschulungssystem mit
einem vernünftigen Mittelansatz bedacht würde.
({7})
- Wieso brauchen Sie dann eine Greencard, wenn das
schon mit dem Job-Aqtiv-Gesetz gemacht wird?
({8})
Wir werden bald eine Greencard für Kabinettsmitglieder
brauchen; denn bei Ihrem Verschleiß werden wir den
Bedarf in Zukunft nicht mehr aus dem Inland decken
können.
({9})
Ich möchte heute in erster Linie über die Forschung
sprechen, und zwar über ein Thema, das viele von uns aufwühlt, nämlich die Forschung an embryonalen Stammzellen. Die Nachricht aus den USA über das Klonen
menschlicher Zellen hat erneut erschreckt. Ich will aber
nicht über das Klonen, sondern über die Stammzellenforschung, über die der Deutsche Bundestag bald eine
Entscheidung treffen muss, sprechen.
Das Europäische Parlament hat mittlerweile mit Mehrheit entschieden, dass die Mittel aus dem 6. Forschungsrahmenprogramm auch für die Forschung an embryonalen Stammzellen des Menschen verwendet werden
dürfen, sofern die Rechtslage der Mitgliedstaaten das
zulässt. Die Fragen, was der Mensch darf und was Forscher dürfen, müssen nun auch in Deutschland gestellt
und beantwortet werden.
Für die CDU/CSU kann ich zu diesem Thema eines
vorwegstellen: Der Schutz der Menschenwürde und des
menschlichen Lebens hat für uns höchsten Stellenwert.
Was die Forscher dürfen, hängt entscheidend davon ab, ob
der frühe Embryo bereits ab der Befruchtung oder erst ab
der Einnistung eine menschliche Person im Sinne von
Art. 1 des Grundgesetzes ist.
({10})
- Ich spreche für mich.
({11})
Wenn ich für meine Fraktion spreche, spreche ich für
meine Fraktion. Wenn ich für mich spreche, mache ich das
deutlich.
Ich neige nach reiflicher Abwägung mehr zur zweiten
Möglichkeit, nämlich zur Einnistung, weil der Mensch
mehr ist als die Summe seiner Gene, weil kein Mensch
oder kein Embryo ohne seine Mutter zum Mensch werden
kann und erst mit der Einnistung des Embryos die Entwicklung zum Menschen unumkehrbar wird.
Die Entscheidung über die Frage, wann der Embryo
eine menschliche Person ist und welche Folgerungen daraus zu ziehen sind, wird jedes Mitglied des Deutschen
Bundestags hier in eigener Abwägung treffen müssen. Bei
dieser Entscheidung spielt für viele auch eine Rolle, welche Haltung die Kirchen einnehmen. Ich habe mich sehr
eingehend mit der Haltung der katholischen Kirche auseinander gesetzt, weil ich selbst dieser Kirche angehöre.
Die katholische Kirche stellt sich auf den Standpunkt, bereits die befruchtete Eizelle sei eine menschliche Person;
ihr müsse deshalb der volle Schutz nach Art. 1 des Grundgesetzes zukommen. Deshalb müsse die Forschung an
embryonalen Stammzellen verboten werden.
Nun hat die Kirche ohne den geringsten Zweifel den
Auftrag und die Verpflichtung, Hilflosen und Schwachen,
zu denen auch die Ungeborenen gehören, zu helfen. Dieser Auftrag ergibt sich aus dem Evangelium. Bei der Frage
jedoch, ob der Embryo bereits ab der Befruchtung oder
erst bei der Einnistung eine Person ist, hat sie nicht die
gleiche Autorität; denn die Antwort hierzu kann nicht aus
dem Evangelium abgeleitet werden. Hier muss die Kirche
mit der Kraft ihrer Argumente überzeugen. Ich kann
meine Kirche nur inständig bitten und beschwören, dass
sie in dieser Frage auch auf die beiden Theologen Professor Gründel und Professor Kummer hört, die eine etwas
andere Auffassung vertreten als die Kirche selbst.
Die Feststellung, wann ein Embryo ein Mensch ist, ist
im Übrigen eine Setzung durch den Menschen. Die jahrhundertelange Diskussion in der katholischen Kirche über
die Beseelung des Menschen ist ein Beweis dafür, dass
diese Setzung von den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen abhängig ist. Im Lichte der neuen biomedizinischen Erkenntnisse muss die Argumentation deshalb dringend überprüft werden. Das gilt übrigens auch für die
Aussagen von Verfassungsjuristen aus den 70er-Jahren
des vergangenen Jahrhunderts.
Die weltweite Forschung an embryonalen Stammzellen - das ist eine wichtige Forschungsfrage - kann in der
biomedizinischen Forschung zu einem Durchbruch führen. So mancher, der uns heute dazu drängt, diese Forschung zu verbieten, wird uns, wenn irgendwo der Durchbruch gelingt, in den USA, in Großbritannien, in Israel, in
Australien, in Indien, in Schweden und vielen anderen
Ländern, wo diese Forschung erlaubt ist, den Vorwurf
machen, dass wir nicht rechtzeitig erkannt haben, was in
dieser Frage an Potenzial steckt.
({12})
Frau Bundesministerin, man kann feststellen, dass die
Bundesregierung in dieser Frage handlungsunfähig ist
- das gilt auch für viele andere Fragen - und keine eigene
Mehrheit hat.
({13})
- Die Bundesregierung muss in dieser Frage die Mehrheit
haben.
Es ist im Übrigen unstrittig - jetzt spreche ich für die
Fraktion -, dass wir in Deutschland eine hervorragende
Forschung haben. Dennoch gibt es viele Alarmsysteme.
Dabei geht es nicht nur ums Geld. Ich zitiere:
Deutschland hat seine Stellung als ehemals weltweit
führender Forschungs- und Entwicklungsstandort für
die pharmazeutische Industrie eingebüßt und liegt
nur noch im Mittelfeld.
So eine Studie der Boston Consulting Group. Das wurde
in dieser Woche veröffentlicht. Die Gründe dafür sind
die Defizite bei der biomedizinischen Grundlagenforschung und bei der klinischen Forschung. Um wieder an die Spitze zu gelangen, müssen die Mittel für die
Grundlagenforschung deutlich aufgestockt werden und
die Verteilung leistungsorientierter geschehen. Letztlich
Dr. Martin Mayer ({14})
müsste eine bessere Ausbildung mit modularen Studiengängen erfolgen.
({15})
Auch eine grüne Gesundheitsministerin hat ihren Beitrag zu dieser Entwicklung in der pharmazeutischen Forschung geleistet. Die negative Haltung der Grünen zieht
sich wie ein roter Faden durch die Forschungspolitik
der Bundesregierung. Auch bei der grünen Gentechnik
herrscht ein frostiges Klima.
({16})
Dabei sind Bio- und Gentechnik für Ernährung, Gesundheit und Umwelt eine der Schlüsseltechnologien des neuen Jahrhunderts.
Die EU-Kommission ergreift neue Initiativen. Positive
Signale kommen aus anderen Regionen dieser Welt. In
Deutschland hingegen herrscht Stillstand. Während die
EU-Kommissare Byrne und Fischler dazu aufgerufen haben, Europa solle weltweit eine führende Rolle in der Diskussion um die Anwendung der Gentechnik übernehmen,
hat der Bundeskanzler seine ursprünglich geplante Initiative, die einen neuen gesellschaftlichen Diskurs auslösen
sollte, im Januar 2001 vorübergehend ausgesetzt. Seither
hat man nichts mehr gehört.
Während die EU-Kommission im September vorigen
Jahres das Konsultationspapier „Eine strategische Vision
für Biowissenschaften und Biotechnologie“ entwickelt
hat, wird in Deutschland das Thema immer mehr
zurückgedrängt. Ich fordere Sie auf, Frau Ministerin
Bulmahn, sich von Ihren grünen Ministerkollegen nicht
stoppen zu lassen, sondern in Zukunft für die grüne Gentechnik viel vehementer einzutreten.
({17})
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Fusionsforschung. Eine der größten Herausforderungen dieses Jahrhunderts ist die Weltenergieversorgung. Neue Energien
müssen durch verantwortungsvolle Vorsorge erschlossen
und entwickelt werden.
({18})
Auch wenn die Energie der Fusionsforschung erst Mitte
dieses Jahrhunderts zur Verfügung stehen kann, ist sie
eine ganz wichtige Option; denn sie hat praktisch keine
Schadstoffe und ein relativ geringes Risiko.
An dieser Kernfusion wird in Deutschland seit vier
Jahrzehnten geforscht. Hier hat Deutschland mit den
Instituten in Greifswald, Jülich, Karlsruhe und Garching
bei München eine führende Stellung in Europa. Die EU
fördert die Fusionsforschung mit einem überproportionalen Anteil. Ich finde es deshalb unglaublich, dass die Grünen in Europa darauf gedrängt haben, dass diese Forschungsmittel, von denen Deutschland in höchstem
Umfang profitiert, gekürzt werden.
({19})
Ich bitte Sie, Frau Ministerin Bulmahn, dass Sie im Europäischen Ministerrat, der in dieser Frage endgültig entscheiden wird, dem Vorschlag des Europäischen Parlaments folgen, das eine Erhöhung der Mittel gefordert hat.
Die Blockadepolitik der Grünen gefährdet auch eine
wichtige Forschungseinrichtung, die erst in diesem Sommer fertig gestellt worden ist, nämlich den Forschungsreaktor in Garching bei München, der als Neutronenquelle für die deutsche und die internationale Forschung
und Entwicklung dienen soll. Die Gemeinschaft, die so
genannte Community, der Wissenschaftler in Deutschland und auf der ganzen Welt bejaht diese Forschungseinrichtung und wartet darauf, dass sie dieses Projekt nutzen kann. Die Neutronenquelle in Garching bei München
ist eine wichtige Voraussetzung für neue Erkenntnisse in
der Materialkunde, in der Physik, insbesondere in der
Nanotechnologie, in der Biologie und in der Medizin.
Die Sicherheitsfragen sind minutiös geprüft worden.
Der Reaktor ist fertig. Er könnte in Betrieb gehen. Wissenschaftler aus Deutschland könnten mit ihren Forschungsarbeiten beginnen - sie könnten, wenn nicht ein
Bundesumweltminister mit ideologischen Scheuklappen
die dritte Teilgenehmigung, die Betriebsgenehmigung,
mit immer neuen Schikanen verzögern würde.
({20})
Das kostet Millionen. Hier wird Geld einfach verpulvert.
Das ist angesichts der knappen Gelder für die Forschung
in Deutschland skandalös.
({21})
Noch viel schlimmer als das Verschleudern von Geld
sind die anderen Folgen. Die jungen Forscher, die sich
darauf eingestellt hatten, dass sie zum Ende dieses bzw.
zu Beginn des nächsten Jahres mit der Forschung in
Garching beginnen können, wandern allmählich ab, weil
sie nur Zeitverträge haben und nicht zu lange warten wollen. Sie werden in andere Länder gehen und werden dort
die schlimme Kunde verbreiten, dass man mittlerweile in
Deutschland wegen eines grünen Ideologen in der Bundesregierung bei den Forschungsinvestitionen unberechenbar geworden sei.
({22})
Herr Kollege Mayer,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fell?
Nein.
({0})
Der Bundesumweltminister fügt dem Forschungsstandort
Deutschland großen Schaden zu. Deshalb muss diese rotgrüne Bundesregierung abgelöst werden.
({1})
Ich erteile dem Kollegen Fell das Wort zu einer Kurzintervention.
Dr. Martin Mayer ({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Herr Kollege Mayer, ist Ihnen eigentlich bekannt, dass
es einen jahrzehntelangen Streit über den Forschungsreaktor in Garching bei München gibt, weil dort kernwaffentaugliches Material eingesetzt werden soll? Seit 1980
haben unter anderem die USA ein Programm zur Verhinderung der Weiterverbreitung von atomwaffentauglichem
Material - das ist hoch angereichertes Uran - aufgelegt.
Genau mit diesem Material soll der Forschungsreaktor in
Garching bei München in Betrieb genommen werden.
Ist es nicht auch aus Ihrer Sicht richtig, dass wir angesichts der Ereignisse vom 11. September dieses Jahres alles tun müssen, um die Weiterverbreitung von atomwaffentauglichem Material zu verhindern und um die USA zu
unterstützen, die genau dies seit über 20 Jahren tun? Bedenken Sie, dass Deutschland das erste Land auf der Welt
wäre, das die erfolgreichen Bemühungen der USA auf
dem Gebiet der Nichtverbreitung torpedieren würde,
wenn der Reaktor in Garching bei München in Betrieb
genommen würde.
Herr Kollege Mayer
zur Erwiderung, bitte.
Ich
kann es relativ kurz machen. Auch Ihnen, Herr Kollege
Fell, ist sicherlich bekannt, dass in Deutschland und in allen internationalen Kontrollkomitees Übereinstimmung
darüber besteht, dass von dem Reaktor in Garching bei
München, der mit HEU betrieben werden soll, wegen der
Überwachung durch internationale Organisationen nicht
die geringste Gefahr der Weiterverbreitung ausgeht und
dass es allenfalls eine symbolische Bedeutung hätte, wenn
man es anders machen würde. Auch in den USA gibt es
noch eine große Anzahl von Forschungsreaktoren, die mit
hochangereichertem Uran, HEU, betrieben werden.
Die Frage des Flugzeugabsturzes und eines terroristischen Anschlags ist jedenfalls bei Kernkraftwerken von
wesentlich größerer Bedeutung oder ist - anders ausgedrückt - bei dem Forschungsreaktor von wesentlich geringerer Bedeutung, weil die radioaktive Masse, die im
Forschungsreaktor verwendet wird, nur ein Bruchteil dessen ist, was in einem Kernkraftwerk verwendet wird.
({0})
Jetzt hat Herr Kollege
Jörg Tauss das Wort, und zwar von hier vorn.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe
Kollegen! Nachdem wir uns die Reden unserer Opposition heute angehört haben, bin ich in der Tat dafür, dass
wir die Greencard ein bisschen ausweiten. Ich würde sagen, wir machen eine Greencard für die Opposition. Vielleicht finden wir im Ausland eine bessere.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will
mich fast abschließend - Kollege Loske kommt noch
nach mir - aus zwei Gründen zu Wort melden, einmal,
um kurz ein paar Dinge zusammenzufassen, auch was
Ihre Zahlen anbelangt, was die Schwarzmalerei anbelangt,
({1})
und zum anderen, um mich an dieser Stelle recht herzlich
zu bedanken.
Siegrun Klemmer, hier war gerade eine etwas voreilige
Entwicklung eingetreten. Der Blumenstrauß, der hereingegeben wurde, war für dich bestimmt. Es war heute
deine Abschiedsvorstellung, deine letzte Rede in einer
Haushaltsdebatte. Du kandidierst nicht mehr für den Bundestag. Ich werde dir den Strauß im Anschluss überreichen, aber ich sage dir schon jetzt: Diesen Strauß Blumen
hast du dir verdient. Du hast dich um Bildung und Forschung in diesem Land verdient gemacht. Ganz herzlichen Dank!
({2})
Wir haben heute auch schon einen Haushälter aus der
Opposition gehört - ich habe zurzeit ein wenig Probleme
mit meiner Ersatzbrille; ich sehe ihn gerade nicht -,
({3})
dem ich keine Blumen überreichen möchte, ich glaube,
auch nicht überreichen könnte. Verdient hätte er sie nicht.
Denn Siegrun Klemmer hat sich ganz im Gegensatz zum
Kollegen Kampeter zu Ihrer Regierungszeit tatsächlich
erfolgreich und nachhaltig für Bildung und Forschung
eingesetzt. Bildung und Forschung leben eben nicht von
schwarz-gelben oder PDS-rosa Blütenträumen, Schaufensteranträgen und Sonntagsreden nach dem Muster
„Man müsste mal, man sollte mal, man könnte mal“, sondern sie leben ganz konkret vom Einsatz der Haushälterinnen und Haushälter, der Ministerin und des Finanzministers. Da brauchen wir uns von Ihnen überhaupt keine
Vorwürfe machen zu lassen. Da sollten Sie still schweigen
und eigentlich auf das neidisch sein, was wir hier erreicht
haben und heute vortragen können.
({4})
Was haben wir erreicht? Wir werden trotz Ihrer Erblast,
einer riesigen Schuldenlast, die zu mehr als 80 Milliarden
DM Zinsbelastung im Jahr führt, in diesem zentralen Bereich erneut - ({5})
- Kollege Lensing, seien Sie nicht so aufgeregt. Sie sind
einer der wenigen hier, die aus der Bildungspolitik kommen. Sie müssten sich doch eigentlich über das freuen,
was wir tun. Wir haben wieder ein großes Stück für Bildung und Forschung und Zukunftsinvestitionen herausgeschnitten. Das ist doch eine Leistung, auf die wir gemeinsam stolz sein können, auch die Opposition.
({6})
Ich kann es Ihnen auch gerne noch einmal in Zahlen
sagen.
Bevor Sie das tun,
frage ich Sie erst einmal, ob Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Pieper zulassen.
Selbstverständlich, liebe Kollegin
Pieper.
Lieber Herr Kollege Tauss,
ich frage Sie, ob es richtig ist, dass die rot-grüne Koalition
vorhat, den Ausbildungsfreibetrag für Studierende zum
1. Januar 2002 von ehemals 4 200 DM auf 1 807 DM zu
senken, und ob Sie das für eine bildungspolitisch freundliche Maßnahme für Studierende in diesem Land halten.
Liebe Frau Kollegin Pieper, ich
bin Ihnen für diese Frage dankbar, denn sie weist darauf
hin, dass wir in dem gesamten Bereich des Familienlastenausgleichs erhebliche Verbesserungen vornehmen
werden. Wir werden das Kindergeld weiter erhöhen. Wir
haben das BAföG erhöht. Es gibt in der Tat in dem einen
oder anderen Bereich Umschichtungen, aber unter dem
Strich werden die Familien und die Studierenden - die
Zahlen haben Sie gehört - wesentlich besser gestellt. Das
ist der Erfolg unserer Politik und den lassen wir uns nicht
kleinreden.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt kommen wir in der Tat zu den Zahlen. Der Haushalt für Bildung und Forschung hat die 16-Milliarden-Grenze überschritten. Er umfasst konkret 16,41 Milliarden DM oder
- gewöhnen wir uns daran - 8,391 Milliarden Euro. Am
Ende Ihrer Regierungszeit - ich will es noch einmal betonen, auch wenn Herr Kampeter es jetzt nicht mehr hören
kann; aber wenn es um Bildung geht, ist er ohnehin nicht
mehr da - waren es 2,2 Milliarden DM weniger. Das war
der kampetersche Erfolg. - Ist er noch da? Dann bitte ich
um Entschuldigung; es hat wohl doch an der Brille gelegen. Herr Kollege Kampeter, dann hören Sie doch zu: Zu
Ihrer Zeit waren es 2,2 Milliarden weniger; in dem von
uns verantworteten Haushalt sind es 2,2 Milliarden mehr.
Man kann das von dieser Stelle aus nicht oft genug sagen.
({1})
Zahlen sind manchmal schwer lesbar. Ich kann es Ihnen auch einmal anhand der Kurve darstellen, die ich Ihnen hier zeige. - Das war Ihre Kurve.
({2})
- Nein, das war Ihre Kurve. Sie geht nach unten. Unsere
Kurve verläuft in der Tat anders herum. Sie geht nach
oben. So sieht es aus!
({3})
Ihre Kurve dümpelte vor sich hin, während unsere Kurve
einen Aufwärtstrend verdeutlicht.
Frau Präsidentin, ich zeige es Ihnen hier hinter mir im
Präsidium auch einmal, damit Sie sich überzeugen können, was hier los war.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch für die
neuen Länder tut sich jede Menge. 3 Milliarden DM werden für den Bereich Bildung und Forschung in den neuen
Bundesländern, für die Innovationskraft, für Fördermaßnahmen zur Verfügung gestellt. Das Stichwort für eine
ganz besondere Form dieser Förderung lautet innovative
Regionen. Der Ansatz dafür wuchs in diesem so genannten Sparhaushalt um 40 Prozent. Wir werden zusätzlich
50 Millionen DM für die regionalen Wachstumskerne aufbringen. Wenn man das alles zusammenrechnet - man
kann es in der Kürze der Zeit gar nicht vortragen; die mir
verbleibende Redezeit beträgt noch zwei Minuten und
43 Sekunden -, so ergibt sich für die Zeit unserer Regierungsverantwortung in diesem Bereich Bildung und Forschung ein Aufwuchs von 21,5 Prozent.
({4})
Also, Leute, hört doch auf, hier herumzumäkeln, das ist
nicht korrekt!
Was will nun die Opposition? Sie fordert ohne Rücksicht auf Verluste. Die FDP hat auch viele Forderungen
gestellt. Herr Brüderle hat bereits Schecks über 1 000 DM
für jeden versprochen, Freibier für das Volk oder wie
auch immer. Meines Erachtens sollten Sie besser seriös
bleiben.
Die Mittel, die für die Förderung der Kohle aufzubringen sind - ein Posten, den Sie, Frau Kollegin Pieper,
in der Art einer tibetanischen Gebetsmühle beklagen -,
können wir nicht kürzen, selbst wenn wir es wollten. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich bin für eine
Energieversorgung auf der Grundlage einheimischer Ressourcen.
({5})
Diese Fördermittel könnten Sie gar nicht in die Bildung
stecken, selbst wenn Sie es wollten, weil der bekanntlich
zu Ihrer Regierungszeit geschlossene Steinkohlevertrag
eben diese Ausgaben vorsieht, die Sie heute streichen
wollen. Das zu erwähnen gehört ebenfalls zur Seriosität.
({6})
Was das BAföG anbelangt, Frau Kollegin Böttcher:
Ich rede hier nicht anders als im Ortsverein, im Ortsverein nicht anders als auf dem Parteitag, auf dem Parteitag
nicht anders als im Parlament. Das ist nicht immer bequem, dafür bekommt man nicht immer Beifall, aber man
bleibt seriös und kann die eigene Linie aufrechterhalten.
Wir haben das BAföG in der Tat allein durch die Darlehensobergrenze von 20 000 DM in verlässlicher Weise
gestaltet. Wer heute BAföG kassiert, wenn er als Studierender an die Hochschule geht, der weiß, dass seine
Schulden nicht höher als 20 000 DM sein werden. Das ist
eine verlässliche Grundlage.
({7})
Zu Ihrer Zeit gingen diese Schulden nach oben. Deswegen hatten wir auch den bekannten Rückgang beim
BAföG.
Herr Kollege Tauss,
jetzt gibt es wieder eine Frage an Sie, und zwar von der
Kollegin Flach.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist wirklich die
letzte Frage in dieser Debatte, denn wir müssen ein bisschen Rücksicht auf die Kolleginnen und Kollegen aus den
anderen Ressorts nehmen. Ich bitte um eine kurze Frage
und eine kurze Antwort.
Da haben Sie Recht, Frau Präsidentin. Ich würde selbstverständlich alle Fragen zulassen.
Die Interessenlage ist
etwas unterschiedlich.
Selbstverständlich. - Bitte, Frau
Kollegin Flach.
Lieber Herr Kollege Tauss, ich
lege großen Wert darauf, dass wir hier mit richtigen Werten arbeiten. Ist auch Ihnen in Baden-Württemberg zu Ohren gekommen, dass nach dem Jahr 2005 selbstverständlich eine hohe Verhandlungsmasse im Hinblick auf die
Kohlesubventionen besteht und der ursprüngliche Vertrag bis zu diesem Zeitpunkt natürlich neu formuliert werden kann?
Sie sind ja noch nicht einmal in der Lage, sich dafür
auszusprechen, die Subventionen nach dem Jahr 2005
herunterzufahren.
({0})
- Da hat Herr Heinrich allerdings Recht.
({1})
Frau Kollegin Flach, wir haben in
Baden-Württemberg stillgelegten Salzbergbau. Trotzdem
verstehe ich ein wenig von Bergbau. Man war auch das
eine oder andere Mal dort.
Selbstverständlich ist mir bekannt - ich habe es doch
hier gesagt -, dass der Vertrag 2005 ausläuft und also neu
verhandelt werden muss.
({0})
Ich bin dennoch dafür, dass nicht alles, was in diesem Bereich angedacht ist, beliebig zu einer Verhandlungsmasse
gemacht wird, sondern dass wir uns gerade unter dem Eindruck der Ereignisse vom 11. September überlegen, welche Strukturen wir im Bereich der einheimischen Energieträger aufrecht erhalten müssen. Die Kohle ist der einzige Energieträger, den wir haben.
Aber Sie haben Recht: Wenn der Vertrag ausläuft, läuft
er aus. Dann wird neu verhandelt. Auch mir wäre es recht,
wenn wir in diesem Land eine Entwicklung hätten, bei der
alles ginge: Kohle und Internet, Bildung und Wissenschaft
und trotzdem eigene und sichere Energieversorgung. Das
wäre die Lösung der Zukunft. Die Haushälterinnen und
Haushälter werden uns dabei hoffentlich helfen.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was Sie zum
Thema Dienstrechtsreform gesagt haben, war schon
richtig putzig. Da gibt es natürlich ein großes Geschiedere
und Gemayere aus Bayern. Ich sage Ihnen: Trotz Ihres
Widerstandes machen wir die Hochschulen für die Zukunft fit. Frau Flach, ich werde die Flasche Spätburgunder auch gewinnen, um die wir miteinander gewettet haben. Ich will es nur noch einmal für das Protokoll
festhalten. Wir werden die Dienstrechtsreform und die
Reform der Hochschulen selbstverständlich durchsetzen.
Liebe Damen und Herren von der CDU/CSU, die Anhörung hat doch deutlich gezeigt: Für unsere Reform waren alle diejenigen, die als junge Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler vor den Verkrustungen und der Bürokratie in Ihrer Zeit ins Ausland geflüchtet sind. Alle haben
gesagt: Da muss sich etwas tun. Nur die, die im Land geblieben sind, die Verbandsfunktionäre sind,
({2})
haben gesagt: Das ist ja ganz entsetzlich und furchtbar. Es
darf sich nichts ändern. - Muff von tausend Jahren unter
den Talaren! Ihnen die Verkrustungen, uns die Zukunft dann werden wir auch in diesem Bereich erfolgreich sein.
({3})
Ganz besonders kurios finde ich noch etwas. Der Kollege Rachel ist ja auch da. Was habt ihr gegen die Reform
im Helmholtz-Bereich polemisiert! Was habt ihr uns vor
Ort Schwierigkeiten gemacht! Was habt ihr in der Lokalpresse herumpolemisiert! Was habt ihr die Leute in Jülich
und anderswo aufgehetzt! Und heute sagt ihr: Das haben
wir mit zum Erfolg gebracht.
Lieber Kollege Rachel, mit der Ministerin und mit mir
werden Sie jetzt in den Helmholtz-Senat eintreten. Willkommen, Herr Senator! Meines Erachtens wäre es aber
korrekt gewesen, an dieser Stelle zu sagen: Wir haben uns
geirrt. Eure Reform war gut. Jetzt machen auch wir mit
und helfen dem Senat, um die Reform weiter zum Erfolg
zu führen.
({4})
Das wäre ehrlicher gewesen als das, was heute vorgetragen worden ist.
Ich bekomme von der Präsidentin schon ein Zeichen,
dass meine Redezeit zu Ende ist. Ich sage jetzt nichts
mehr zu den Innovationen in der Arbeitswelt, zu Gruppenarbeit, zu moderner Arbeit. Alles das haben wir gefördert. Sie waren immer dagegen, Herr Kampeter.
Wir halten fest: Noch nie waren Bildung und Forschung einer Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen so viel wert wie heute. Dabei wird es bleiben.
({5})
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Reinhard Loske für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
({0})
Ich wollte eigentlich eine bildungspolitische Grundsatzrede halten, aber ich gehe jetzt lieber auf die Argumente
ein, die hier gekommen sind. Sie waren zum Teil so
schlecht, dass ich sie so nicht stehen lassen kann.
({1})
Ich beginne
({2})
mit dem Kollegen Kampeter. Wo ist er? - Da oben. Hallo,
Kollege Kampeter! - Sie haben hier ein schönes mathematisches Spielchen gemacht. Sie haben den BMWiHaushalt und den BMBF-Haushalt zusammengezogen
und gesagt: Guckt einmal! 1998 war es so. 2002 ist es
mehr oder minder stabil. - Dabei haben Sie natürlich unterschlagen, dass bei uns die Kohlesubventionen als der
Löwenanteil sehr wohl sinken, die Bildungsinvestitionen
um 21 Prozent und die Forschungsinvestitionen um fast
30 Prozent steigen. Das verhält sich wie ein System kommunizierender Röhren. Wir investieren eben in die Zukunft. Das haben Sie bei Ihrer Rechnung leider übersehen.
({3})
Die FDP war auch ein schönes Beispiel. Sie stellen sich
hier hin, nehmen die Kohle quasi als unendliche Energiequelle für Ihre Zwecke und fordern, die Subventionen zu
streichen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Wir Grüne sind
da gebrannte Kinder. Bei uns war das früher der Jäger 90.
({4})
Es wurde ja schon gesagt, dass Herr Rexrodt als Wirtschaftsminister damals diese Regelung bis 2005 gezeichnet hat. Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Debatte
in diesem Hohen Hause vor eineinhalb Jahren, als es um
die Förderung hoch effizienter Kraftwerke ging. In der
Debatte hat Herr Möllemann eine Rede gehalten wie ein
Bergbauarbeiterführer. Das war wirklich unter aller Kanone!
({5})
Die gleiche FDP stellt sich jetzt hin und nutzt die Kohlesubventionen sozusagen als schier unendliche Finanzierungsquelle für ihre Vorschläge zur Bildungspolitik. Das
nenne ich eine Politik der gespaltenen Zunge.
Frau Pieper, zweitens zu Ihnen, zu den Bildungsgutscheinen. Ich selbst bin schon seit langem, seit Anfang
der 90er-Jahre, ein Anhänger dieses Konzepts der Bildungsgutscheine oder Studienkonten oder wie man es
nennen will. Das ist eine gute Sache. Allerdings müssen
die hinreichend ausgestattet werden, nicht nur im Hinblick auf Regelstudienzeit; es muss auch die Möglichkeit
bestehen, zum Beispiel ein Studium generale zu machen
oder zu wechseln. Das heißt, diese Kontingente müssen
hinreichend sein. Das halte ich für einen ganz vernünftigen Ansatz, das ist überhaupt keine Frage. Die FDP hat
darauf aber kein Patentrecht; denn das haben andere auch
schon gesagt. Bei Ihnen stört mich ein bisschen - genau
wie bei Ihrer Kollegin Homburger in der Umweltpolitik -,
dass Sie gar nicht über die Ziele reden. Sie reden nur über
die Instrumente. Sie müssen über Ziele reden, das ist viel
wichtiger.
({6})
- Das ist eine sehr schöne Antwort. Die Antwort von Frau
Pieper auf den Hinweis, sie müsse über Ziele reden, ist:
mehr Wettbewerb. Meine Güte, ist denn das alles? Bildung ist doch nicht nur Wettbewerb. Es geht doch auch
um gewisse humanistische Ideale!
({7})
Ich weiß, dass Sie eine Priorität für den gut geföhnten,
koffertragenden BWL-Studenten haben, der schon im ersten Semester danach fragt, wie lange denn das Studium
dauert, und der sich ansonsten vor allen Dingen für
Aktienkurse interessiert. Das kann man ja machen, ich
habe überhaupt nichts dagegen, ich bin selber Ökonom.
Ich glaube aber, unser Leitbild von Studierenden sollte so
aussehen, dass die Leute zu Eigenständigkeit erzogen
werden, dass sie auch einmal Nein sagen können, dass sie
sich in die Gesellschaft einmischen und nicht nur auf die
Karriere gucken.
({8})
- Wie die Grünen? Ich bin gern bereit, meine Berufsbiografie mit Ihnen zu besprechen.
Drittens. Frau Böttcher, mich stört wirklich, dass Sie
das BAföG hier so herunterreden. Sie wissen genau, dass
die Grünen weitergehende Vorschläge hatten. Tatsache ist
doch: In den 70er-Jahren wurden die Türen der Universitäten für die Arbeiterkinder weit aufgestoßen - das hatte
auch mit dem BAföG zu tun - und in den 90er-Jahren
wurden diese Türen von den Herrschaften, die damals regierten, systematisch geschlossen.
({9})
Diese Türen wollen wir jetzt wieder öffnen. Das tun wir
mit unserem Gesetz. An einem Punkt haben aber alle
Redner Recht: Die jungen Leute sind systematisch dem
BAföG entwöhnt worden. Sie assoziieren damit nur
Schulden, Bürokratie und anderes mehr. Deshalb dauert
es jetzt natürlich eine Weile, bis wir den Take-off, einen
Anstieg, hinkriegen. Deswegen reden Sie das BAföG
nicht runter, sondern helfen Sie dabei mit, dass es wirksam wird. Ich glaube, das wäre vernünftig.
({10})
Zu den Studiengebühren muss ich ganz ehrlich sagen:
Mit Fundamentalisten - entschuldigt, liebe Genossinnen
und Genossen, hätte ich fast gesagt - wie Peter Glotz kann
ich nichts anfangen. Aber mit einer Position „alles für alle
für immer umsonst“ kann ich auch nichts anfangen.
({11})
Ich kann überhaupt nicht einsehen, dass es umsonst ist,
wenn beispielsweise große Unternehmen ihre Werkstudenten ins öffentliche Bildungssystem schicken und wir
Steuerzahler das bezahlen. Warum soll das umsonst sein?
Dafür gibt es keinen Grund. Das ist nicht plausibel.
({12})
Ich will noch auf zwei Themen der Rede des Kollegen
Mayer eingehen. Sie sehen schon, ich komme nicht zu
meiner grundsatzpolitischen Rede. Sie haben - zwar nur
am Rande - die grüne Gentechnik angesprochen. Sie haben uns wieder als die Fortschrittsverweigerer hingestellt.
Die Realität ist doch ganz anders. In unserer Bevölkerung
gibt es aus nachvollziehbaren Gründen ganz große Vorbehalte gegen die grüne Gentechnik. Selbst diejenigen, die
dieser Technologie zum Durchbruch verhelfen wollen,
sollten einsehen, dass das nur mit Dialog, mit Transparenz
und mit Offenheit möglich ist. Nach dem Motto „mitten
durch die Tür“ oder mit dem Kopf durch die Wand wird
das nicht gehen. Damit kommen Sie nicht durch.
({13})
- Wir sind nicht dialogfähig? Mit Ihnen habe ich darüber
noch nie geredet. Wie wollen Sie wissen, ob ich auf dem
Gebiet dialogfähig bin?
({14})
Ich komme zum letzten Punkt, zur Fusionsforschung.
Seit 40 Jahren gibt es die Fusionsforschung, seit 40 Jahren wird uns erzählt, in 40 Jahren stehe der erste Reaktor.
Ich glaube, wir haben bessere Alternativen. Wir haben die
Energieeffizienz, wir haben die Energieeinsparung, wir
haben die erneuerbaren Energien. Die Brücke ins postfossile Zeitalter ist die solare Brücke und nicht die nukleare
Brücke. Das ist unsere Position.
({15})
Deswegen stellen wir für diese Forschung auch nicht
übermäßig viel Geld ein. Forschungsfreiheit ist ein hohes
Gut, das man nicht ideologisch überfrachten soll. Das ist
gar keine Frage. Aber man muss auch fragen: Was hat
Aussicht auf Erfolg? Was hat Aussicht auf Realisierung?
Was hat Aussicht darauf, einen Beitrag zur Lösung von
gesellschaftlichen Problemen zu leisten? Danach - das
gestehe ich gerne ein - steht die Fusionsenergie nicht ganz
oben auf unserer Liste. Das ist die Realität.
Ich komme zum Schluss, da ich noch genau 0,0 Sekunden zur Verfügung habe; insofern vollziehe ich eine
zielgenaue Landung. Im Bereich Bildung und Forschung
können wir natürlich noch besser werden; das ist überhaupt keine Frage.
({16})
Dieser Bereich zeigt jedoch in ganz besonderer Weise,
dass wir in Richtung Ausbau der Zukunftsfähigkeit gehen.
Diesen Kurs werden wir auch in Zukunft verfolgen.
Danke schön.
({17})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 30,
Bundesministerium für Bildung und Forschung, in der
Ausschussfassung. Hierzu liegen Änderungsanträge vor,
über die wir zuerst abstimmen werden.
Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/7645: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion und gegen die Stimmen
der FDP abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/7653: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen
die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion abgelehnt. Die PDS-Fraktion hat sich enthalten.
Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/7654: Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der PDS-Fraktion
abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/7656: Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der
CDU/CSU-Fraktion und der PDS-Fraktion abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/7669: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen
die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/7672: Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dieser Antrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.
Abstimmung über den Einzelplan 30 in der Ausschussfassung: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Einzelplan 30 ist gegen die Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion, der FDP-Fraktion und der
PDS-Fraktion angenommen.
({0})
Ich rufe Punkt I. 26 auf:
Einzelplan 10
Bundesministerium für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft
- Drucksachen 14/7310, 14/7321 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Uwe-Jens Rössel
Iris Hoffmann ({1})
Franziska Eichstädt-Bohlig
Jürgen Koppelin
Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der
CDU/CSU, vier Änderungsanträge der Fraktion der FDP
und ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor. Über
einen Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU werden wir später namentlich abstimmen. Die Fraktion der
FDP hat einen Entschließungsantrag eingebracht, über
den morgen nach der Schlussabstimmung abgestimmt
wird.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kollege Josef Hollerith für die Fraktion der CDU/CSU.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus der Sicht
eines Haushälters empfinde ich den Ablauf der Haushaltsberatungen zum Einzelplan 10 als gänzlich unparlamentarisch. Die Kolleginnen und Kollegen von SPD und
Grünen haben die Vorlagen der Bundesregierung praktisch kritiklos abgenickt. Sie haben weder Gestaltungswillen noch Gestaltungskraft erkennen lassen.
({0})
Ich bedaure dies. Ich empfinde die Drohung des
SPD-Generalsekretärs Müntefering, wer nicht pariere, der
laufe Gefahr, einen schlechteren oder sogar gar keinen
Listenplatz zu erhalten, als schweren Anschlag auf das
Selbstverständnis der Parlamentarier und als höchst problematisch. Ich weise ein solches Verständnis, das der
SPD-Generalsekretär öffentlich äußerte, als mit dem
Grundgesetz und mit dem Selbstverständnis des Parlamentarismus unvereinbar nachdrücklich zurück.
({1})
Die Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen
sind auch beim Thema regenerative Energien und Biomasse über den Tisch gezogen worden.
({2})
War ursprünglich vereinbart, dass von dem Ansatz in
Höhe von 200 Millionen Euro beim Bundeswirtschaftsminister 35 Prozent für Biomasse zu verwenden sind - das
hätte 70 Millionen Euro entsprochen -, so hat Rot-Grün
jetzt den falschen Entschluss gefasst, dass nur noch
35 Millionen Euro für die Biomasse zur Verfügung gestellt werden. Dies ist ein schwerer Schlag gegen die
Landwirte, die sich mithilfe von Biogasanlagen ein weiteres Standbein schaffen wollten. Dies ist ein schwerer
Schlag gegen mittelständische Betriebe, die in diesen
Markt im Vertrauen auf die Zusage, dass Subventionen in
Höhe von 35 Prozent von 200 Millionen Euro in diesem
Bereich gewährt werden, eingestiegen sind.
({3})
Es ist auch volkswirtschaftlich Unsinn, denn von
100 DM, die in Biomasseanlagen investiert werden, bekommt der Finanzminister vorneweg bereits 16 DM aufgrund der Mehrwertsteuer, erst im Nachgang erhalten
dann die Investoren etwa 12 DM pro investierten 100 DM
an Förderung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir unterstützen die Entscheidung, dass der Verbraucherschutz in
das Landwirtschaftsressort eingegliedert worden ist.
({4})
Wir unterstützen ausdrücklich die Gründung des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit
und der Zentralstelle für Risikobewertung. Allerdings
sind wir im Gegensatz zu Rot-Grün der Auffassung, dass
die dafür benötigten Stellen aus dem nachgelagerten Bereich der Anstalten und der Forschungseinrichtungen des
Bundeslandwirtschaftsministeriums hätten erwirtschaftet
werden können. Immerhin gibt es in diesem Bereich rund
3 700 Stellen, sodass es aus meiner Sicht möglich gewesen wäre, diese Stellen durch Umschichtungen zu erwirtschaften, statt den Personalkegel, wie es Rot-Grün beschlossen hat, weiter aufzublähen.
Rot-Grün hat seit 1998 die Landwirtschaft stranguliert
und den Strukturwandel in der Landwirtschaft dramatisch beschleunigt.
({5})
Vizepräsidentin Petra Bläss
Ich erinnere an die Belastungen durch die Ökosteuer
- 1 Milliarde DM -, an die Absenkung der Gasölbeihilfe
im Zuge der Steuerreform - eine weitere Milliarde DM Belastung -, an die negativen Auswirkungen der schlechten
Beschlüsse im Rahmen der Agenda 2000, die die Landwirtschaft mit 1 Milliarde DM belasten, an die jüngst beschlossene Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes, die
auf dem Rücken der Landwirte umgesetzt wurde, und an
die noch im Vermittlungsausschuss anhängige Entscheidung - ich hoffe, dass hier noch eine Korrektur erfolgt über die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes auf Futtermittelzusatzstoffe, die, wenn sie denn umgesetzt würde,
die ohnehin schon strangulierte Landwirtschaft noch einmal mit 100 Millionen DM belasten würde. Das trifft hier
vor allem die bäuerliche Landwirtschaft, weil diese
dafür optiert hat, die Mehrwertsteuer pauschal abzuführen,
während größere Betriebe so optieren konnten, dass sie die
Mehrwertsteuer auf Futtermittelzusatzstoffe über die Vorsteuer zurückerhalten. Hier werden wiederum die bäuerlichen Betriebe in unserem Land einseitig belastet.
({6})
Zu diesen Belastungen kommt der Ökowahn der neuen
Bundeslandwirtschaftsministerin Frau Künast. Ich empfinde es als unseriös und sachlich falsch,
({7})
dass praktisch zwischen den angeblich guten Betrieben,
nämlich den Ökobetrieben, und den angeblich schlechten Betrieben, nämlich den konventionell wirtschaftenden Betrieben, unterschieden wird. Die konventionell
wirtschaftenden Betriebe haben bewiesen, dass sie Lebensmittel höchster Qualität für den Verbraucher erzeugen.
({8})
Es ist schlicht unseriös, zu unterstellen, dass sie schlechte
Nahrungsmittel erzeugten. Es ist auch ungerecht, eine
Spaltung des bäuerlichen Berufsstandes auf diese Art zu
versuchen.
Ich zitiere in diesem Zusammenhang den Landwirt
Jürgen Donhauser aus dem Landkreis Amberg-Sulzbach,
der über seine Erfahrungen als Ökobauer Folgendes veröffentlicht hat. Er schreibt - ich zitiere auszugsweise -:
Bei der Zuchtsauenhaltung dagegen stellt sich die
ökologische Wirtschaftsweise als absoluter Irrweg
dar. Durch unsere eigenen Erfahrungen können wir
heute sagen, die Öko-Sauenhaltung ist weder gesünder noch artgerechter. Im Gegenteil, die Anzahl der
verkauften Ferkel pro Sau ist um 30 Prozent gesunken und die Tierarztkosten haben sich verdoppelt.
Weiter schreibt er:
Die zugekaufte Futtergerste
- Öko-Gerste wies so hohe Schimmelpilzgehalte auf, dass sie für
uns nicht mehr als Futter verwertbar war und entsorgt
werden musste.
Abschließend schreibt er:
Der Pilztoxingehalt konnte sogar im Blut der Sauen
nachgewiesen werden und führte zur allgemeinen
Immunschwäche. Die Sauen waren nicht mehr in der
Lage, kleine Infektionen abzuwehren, und erkrankten wegen jeder Kleinigkeit.
({9})
- Wo bleibt der Tierschutz? Das ist die Realität, beschrieben von dem Landwirt und Ökobauern Jürgen Donhauser
zum Thema Ökolandwirtschaft bei der Sauenhaltung.
({10})
Wie wir aufgrund der Praxis erkennen, ist das ein Ökowahn, der offiziell aus dem Ministerium auf die Bauern
niedergeht. Dies äußert sich im Haushalt durch die Senkung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe um 70 Millionen Euro und durch eine globale Minderausgabe in
Höhe von 21 Millionen Euro. Damit finanzieren praktisch
90 Prozent der bäuerlichen, konventionell wirtschaftenden Betriebe fragwürdige Ökoprogramme der Ministerin
Künast, und zwar für den Ökolandbau 35 Millionen Euro
und für die Modellregionen 26 Millionen Euro mit
Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 50 Millionen Euro.
Wie fragwürdig diese Programme sind, zeigt ein Blick
auf die zu finanzierenden Maßnahmen aus dem so genannten Modellregionen-Programm. Darin ist zu lesen,
dass damit die Betreuung verhaltensauffälliger Kinder auf
Bauernhöfen finanziert werden soll. Nun ist das sicherlich
ein ehrenwertes Ziel, aber es ist zu hinterfragen, ob eine
solche Aufgabe aus dem Etat der Bundeslandwirtschaftsministerin zu finanzieren ist.
({11})
Darin steht, dass aus dem Etat der Agrarministerin
Schulbauernhöfe finanziert werden sollen. Schulbauernhöfe sind sicherlich wünschenswert, aber die Finanzierung kann doch nicht die Aufgabe des Bundes sein.
({12})
Es ist allenfalls eine Länderaufgabe oder eine kommunale
Aufgabe.
Weiterhin ist zu lesen, dass eine Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und Garten- und Landschaftsbau zu
finanzieren ist. Als ob dies nicht schon so erfolgte! Einer
weiteren Finanzierung bedarf es nicht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die falsche,
einseitige Ausrichtung in Richtung Öko jetzt zulasten
von 90 Prozent der Betriebe, ohne dass ein Gewinn an
Nahrungsmittelqualität und Verbrauchersicherheit
erzielt wird, im Gegenteil: Es ist eine Belastung, weil
etwa das Verbot von Futterzusatzstoffen und Fettersatzstoffen von Frau Ministerin Künast europaweit nicht
durchgesetzt werden konnte. Dass die Nahrungsmittel,
die von solchen Tieren stammen, weiterhin im Binnenmarkt exportiert werden dürfen und auch auf dem Tisch
der deutschen Verbraucher landen, ist eigentlich der
Skandal. Es wäre Aufgabe desjenigen, der das ernst
meint, dieses zu verhindern und mit dem Verbraucherschutz wirklich Ernst zu machen.
({13})
Dem wird dadurch noch die Krone aufgesetzt, dass der
Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft geschlossen zurückgetreten ist.
({14})
- Das ist ein Signal. Das hat es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie gegeben, dass ein Gremium geschlossen zurückgetreten ist, weil dieses Gremium es satt hatte, die Bevormundung der Ministerin zu
erdulden.
({15})
Deswegen wäre es an der Zeit, dass Frau Ministerin
Künast wieder zu dem zurückkehrt, von dem sie etwas
versteht, und von ihrem Amt als Ministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zurücktritt.
({16})
Nächste Rednerin in
der Debatte ist die Kollegin Iris Hoffmann für die SPDFraktion.
Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Damen und Herren! Über Verbraucherschutz
und Landwirtschaft ist im zurückliegenden Jahr nicht nur
viel geredet und geschrieben worden, sondern in diesem
Bereich hat sich in nur einem Jahr Grundsätzliches getan.
Seit im letzten Jahr der erste BSE-Fall in Deutschland auftrat, war es das politische Gebot der Stunde, die Verknüpfung von Verbraucherschutz und Landwirtschaft neu zu
definieren.
({0})
Alle Seiten waren hier in der Verantwortung: zum einen
die Futtermittelhersteller und die Landwirte selbst, zum
anderen setzte auch bei den Verbrauchern ein Umdenken
ein.
Uns ist es durch die auf nationaler und europäischer
Ebene zur Verbesserung der Lebensmittelsicherheit eingeleiteten Maßnahmen gelungen, dass die Verbraucher
langsam wieder Vertrauen zu Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen gefasst haben.
({1})
Ziel rot-grüner Politik durch die herbeigeführte Agrarwende ist es, den Verbraucherschutz zu stärken und den
ökologischen Landbau zu fördern, aber auch der konventionellen Landwirtschaft Raum zu lassen. Dem haben wir
mit dem vorliegenden Haushalt Rechnung getragen. Im
Agrarhaushalt wurden bereits im Regierungsentwurf
150 Millionen DM für die Agrarwende zur Verfügung gestellt.
({2})
Im Jahre 2003 sind dies noch einmal 180 Millionen DM.
Im parlamentarischen Verfahren haben wir erreicht, dass
durch Umschichtungen innerhalb dieses Einzelplanes in
diesem Jahr fast 50 Millionen DM zur Durchsetzung der
Agrarwende eingesetzt werden konnten.
Die Mittel für die Verbraucherpolitik haben wir im Vergleich zu 2001 um 55 Prozent auf insgesamt 33,2 Millionen Euro aufgestockt. Davon profitieren insbesondere
der Bundesverband der Verbraucherzentralen und die Verbraucherverbände im Rahmen der institutionellen Förderung. Aber auch die Stiftung Warentest erhält einen Zuschuss. Insbesondere wurden zur Unterrichtung der
Verbraucher außerhalb des Ernährungsbereiches fast
2,3 Millionen Euro mehr eingesetzt.
({3})
Allein für die objektive Verbraucherinformation über das
Ökosiegel stellen wir 7,7 Millionen Euro zur Verfügung.
Darüber hinaus werden Informationskampagnen zur Bekanntmachung neuer Qualitätssiegel in der Öffentlichkeit
und zur Information über deren Inhalte möglich.
Diese Aufzählung mitsamt den Anstrengungen auf EUEbene zur Weiterentwicklung der Ökoverordnung ließe
sich fortführen, würde aber den Rahmen der Debatte hier
sprengen. Es ist wohl unbestritten, dass wir als Koalition
deutliche Zeichen für die Neuausrichtung der Verbraucherpolitik gesetzt haben.
({4})
Der Bundeskanzler selbst hat die Präsidentin des
Bundesrechnungshofes, Frau Dr. von Wedel, gebeten, ein
Gutachten zur Organisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes zu erarbeiten. Die Ergebnisse dieses
Gutachtens haben wir sehr ernst genommen. Diese Erkenntnisse einschließlich der Vorarbeiten des Ministeriums haben wir bereits in den Haushalt 2002 einfließen
lassen.
Die Schwachstellenbeseitigung liegt klar im Interesse
des Gemeinwohls; dem sind wir alle verpflichtet. Denn es
geht um Gefahrenprävention und Gefahrenabwehr. Dies
muss auch organisatorisch und institutionell durch die
Einrichtung effizienter und schlagkräftiger Behörden erfolgen. So wird ein Bundesinstitut für Risikobewertung
aufgebaut. Es wird entsprechend seiner Aufgabenstellung
angemessen personell ausgestattet werden. Um die notwendige Unabhängigkeit zu gewährleisten, wird es einen
hohen Grad an Selbstständigkeit und Weisungsunabhängigkeit haben. Das Bundesinstitut wird eine
breite Öffentlichkeitsarbeit leisten und in einen offensiven Dialog mit den Verbrauchern treten, um frühzeitig
über mögliche gesundheitliche Risiken zu informieren.
Zu seinem Start stellen wir im Haushalt 2002 etwa
600 000 Euro als Grundausstattung bereit.
In Umsetzung des Gutachtens von Frau Dr. von Wedel
wird zum 1. Januar 2002 die Bundesanstalt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit errichtet. Hier
stellen wir mehr als 1,7 Millionen Euro zur Verfügung. Es
wird als selbstständige Bundesoberbehörde hoheitliche
Aufgaben im Bereich des Risikomanagements als Zulassungsstelle für Stoffe, die gesundheitliche Risiken in sich
bergen und in einem engen Zusammenhang mit der Lebensmittelsicherheit stehen, wahrnehmen. Mittelfristig
muss der Aufbau dieser Einrichtung abgeschlossen sein.
Ich denke, es liegt klar auf der Hand: Wir als rot-grüne
Koalition haben die Umstrukturierung des Verbraucherschutzes und bei der Lebensmittelsicherheit auf den Weg
gebracht und werden die Verbraucherschutzpolitik weiter
stärken.
({5})
Auch in der Agrarpolitik zeigen wir deutlich, dass die
Wende einen hohen Stellenwert hat. Die Mittel für die
Modell- und Demonstrationsvorhaben wurden gegenüber dem Vorjahr um fast 18 Millionen Euro aufgestockt.
Sie sollen unter dem Motto „Regionen aktiv - Land gestaltet Zukunft“ zum Tragen kommen, um beispielhaft in
ausgewählten Regionen die neuen Politikansätze regionaler Entwicklung zu demonstrieren.
Die Zielrichtung dieser Projektförderung ist vorrangig,
die Verwirklichung einer verbraucherorientierten nachhaltigen Produktion und die Vermarktung gesunder,
hochwertiger Nahrungsmittel sichtbar zu machen. Dem
Aufbau regionaler Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu,
aber auch der Einbeziehung von Nachhaltigkeitsaspekten
in den Angeboten von Bildung, Weiterbildung und Beratung. Dies ist lediglich eine Auswahl des umfangreichen
Programms und seiner Wirkung, belegt aber deutlich,
dass Rot-Grün nicht nur von einer Agrarwende redet, sondern sie auch in die Tat umsetzt,
({6})
dies kurzfristig und dennoch zukunftsorientiert. Die hohe
Zahl von über 200 Bewerbungen ist ein deutliches Zeichen für das Interesse an diesem Projekt.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an den
ökologischen Landbau, der durch die rot-grüne Koalition gestärkt und ausgedehnt wurde.
({7})
Er ist eine tragende Säule unserer neuen Agrarpolitik. Darüber hinaus ist der ökologische Landbau nachhaltig,
umweltgerecht und bietet den Agrarbetrieben sowie den
ländlichen Regionen auch langfristig neue Einkommenschancen und eine Existenzgrundlage.
({8})
Wir verfolgen das Ziel, den ökologischen Landbau in
zehn Jahren von jetzt 3,2 Prozent auf 20 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche auszudehnen.
({9})
Wir legen ein Bundesprogramm ökologischer Landbau
mit 35 Millionen Euro im Jahre 2002 auf.
({10})
Dieses Programm soll entscheidende Impulse für den
Durchbruch des ökologischen Landbaus geben. Hierzu
sind vornehmlich Investitionen im Kopf notwendig, um
Barrieren abzubauen und den Blick für neue Chancen zu
eröffnen.
({11})
Deswegen gibt es Informations- und Beratungsangebote
im Internet, auf Messen, bei Multiplikatoren und in Seminaren, kurzum: auf breiter Front.
({12})
Daneben gilt es, Forschungslücken zu schließen, um die
Wettbewerbsfähigkeit als entscheidenden Faktor für Erfolg auf den Märkten zu stärken.
Andere EU-Mitgliedsstaaten haben bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass mit einem gut abgestimmten Aktionsprogramm eine deutliche und effiziente Verbreiterung des Marktanteils ökologischer Produkte erreicht
werden kann. Darum wollen wir dieses Bundesprogramm
auch 2003 fortführen.
All das Genannte ist ein Beleg dafür, dass Rot-Grün auf
dem richtigen Kurs ist. Diesen werden wir halten.
({13})
Von der Opposition war hier wenig oder gar nichts
zu hören. Kurt Tucholsky sagte einmal sinngemäß: Alles
ist richtig, auch das Gegenteil. Nur dieWorte „zwar ..., aber
...“ sind immer falsch. - Meine Damen und Herren von der
CDU/CSU-Fraktion, diese Worte sind Spiegelbild Ihres
Handelns. Sie haben weder Konzepte noch Alternativen,
um eine Agrarwende zu gestalten. Darum sind Agrar- und
Verbraucherpolitik bei uns auch in guten Händen.
({14})
Da ist es schon mehr oder weniger peinlich, dass Sie
hier einen Antrag zur namentlichen Abstimmung stellen,
in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, rund
300 Millionen DM für ein Hilfsprogramm für BSEFolgekosten aufzulegen. Der CDU-Politiker Manfred
Rommel sagte einmal: Halb richtig ist meistens ganz
falsch. - Recht hat der Mann. Sie wollen nämlich mit
Ihrem zwielichtigen Antrag der Öffentlichkeit suggerieren, dass der Bund hier vorrangig in der Pflicht stünde.
Dies lassen wir Ihnen so nicht durchgehen.
({15})
Iris Hoffmann ({16})
Ich will Ihrem Gedächtnis gerne auf die Sprünge helfen: Richtig ist nämlich, dass der Bund im Frühjahr über
900 Millionen DM zusätzlich für BSE-Kosten bereitgestellt hat. Die Länder, die zunächst orakelten, es werde
eine unübersehbare Kostenexplosion geben, mussten ihre
Kostenschätzungen im Laufe der Zeit immer weiter nach
unten korrigieren und lagen zum Schluss weit unter den
Ausgaben, die der Bund übernommen hat.
Es ist eine klare, verfassungsrechtlich zugewiesene
Aufgabe der Länder, über weitere Hilfsprogramme
entsprechend ihren finanziellen Spielräumen nachzudenken. Dies hat man offensichtlich in Bayern auch
getan. Ich erinnere an das zu Beginn des Jahres angekündigte 600-Millionen-DM-Programm „Verbraucherinitiative Bayern für sichere Lebensmittel und gesunde
Landwirtschaft“. Dies war ohnehin weitgehend eine
Mogelpackung oder vielleicht auch der Versuch der Beseitigung von Sünden der Vergangenheit. Dieses Programm wurde nunmehr einer Haushaltssperre unterzogen, um die noch freien Mittel zur Stärkung der inneren
Sicherheit einzusetzen.
Ich kann sehr gut verstehen, wenn man sich bei der
Abwägung gegen das Interesse einzelner Gruppen, der
Bauern, und für das Gemeinwohl entscheidet. Dann
aber hier scheinheilig einen aussichtslosen Antrag auf Bereitstellung von Bundesmitteln für ein Notprogramm
zur namentlichen Abstimmung zu stellen ist schon
ein dreistes Stück aus dem bayerischen Komödiantenstadl.
({17})
Ein Wort zur Gemeinschaftsaufgabe. Die Mittel für
die Gemeinschaftsaufgabe wurden mit 13 Millionen Euro
veranschlagt. Sie konnten gegenüber dem Regierungsentwurf um fast 31 Millionen Euro abgesenkt werden, weil
sich die Einführung der so genannten Modulation nach
den Verhandlungen mit den Bundesländern um ein Jahr
verzögert und nunmehr 2003 beginnen soll.
Gleichzeitig musste bei der Gemeinschaftsaufgabe
eine globale Minderausgabe von knapp 1 Millionen Euro
ausgebracht werden. Dies war notwendig geworden,
nachdem einige Bundesländer bei ihren Finanzbedarfsanmeldungen nicht in der Lage waren, einen ihrem Schlüssel entsprechenden Betrag anzumelden, um die bereitstehenden Bundesmittel abzurufen.
({18})
- Gut gemerkt.
({19})
Nun möchte ich Ihren Blick auf die landwirtschaftliche Unfallversicherung lenken. Auch hier möchte
die CDU/CSU-Fraktion den Mittelansatz um 100 Millionen Euro anheben. Das zeigt doch deutlich, dass Sie konzeptionslos sind und überhaupt keine Antworten auf die
Fragen der Zeit haben. Martin Buber sagte einmal: Echte
Verantwortung gibt es nur da, wo es wirkliche Antworten
gibt. - Diese hat die rot-grüne Politik, aber nicht die
CDU/CSU.
({20})
Zu Ihrer Regierungszeit haben Sie sich gerade bei der
landwirtschaftlichen Unfallversicherung stets in der
Flachwasserzone, im Nichtschwimmerbereich, bewegt.
Sie haben hier keine Reform, keine strukturelle Veränderung, nein, rein gar nichts zuwege gebracht.
({21})
Wissen Sie, in der Realität ist es so, dass das Fahrwasser
mit roten und grünen Tonnen markiert ist, genauso wie
wir unsere Politik markieren. Aber schwarze und gelbe
Tonnen markieren gefährliche Untiefen, womit Sie sich
wieder in der Flachwasserzone bewegen. Sie haben das
Schwimmen nie gelernt.
({22})
Die landwirtschaftliche Unfallversicherung lässt sich
nämlich nicht durch unseriöse Mittelaufstockung strukturell reformieren. In der nächsten Zeit erwarten wir das
versicherungsmathematische Gutachten, das uns zeigen
wird, in welcher Form und mit welchem finanziellen Aufwand die landwirtschaftliche Unfallversicherung modifiziert fortgeführt werden kann.
Das ist solide Haushaltspolitik. Deshalb machen wir
Ihren Populismus nicht mit und lehnen Ihren Antrag
hierzu ab.
({23})
Rot-grüne Verbraucher- und Agrarpolitik hat gerade in
den diesjährigen Haushaltsberatungen deutlich gezeigt,
dass sie Verbraucher und Landwirte zusammenführt, zukunftsorientiert investiert und die Agrarwende als einen
festen Bestandteil ihrer Politik sieht.
Vielen Dank.
({24})
Das Wort hat
jetzt der Herr Kollege Heinrich.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gerade gehört,
in welcher Form und welchem Umfang die Umschichtungen im Haushalt erfolgen sollen. Offensichtlich wird hier
einseitig Politik gemacht. Man versucht, im Haushalt einseitig den ökologischen Bereich in den Vordergrund zu
stellen.
Verehrte Frau Ministerin, wenn Sie schon keine Lust
haben, sich mit 97 Prozent der deutschen Landwirtschaft
auseinander zu setzen, dann hätte man wenigstens
Iris Hoffmann ({0})
erwarten können, dass Sie sich als Verbraucherministerin
positiv betätigen. Aber auch da sind Sie eine Enttäuschung.
({1})
Sie sind eine Enttäuschung für die Verbraucherin und den
Verbraucher, weil der Verbraucherschutz keineswegs besser geworden ist. Ihre Informationspolitik, die Sie als Verbraucherministerin machen müssen, ist nicht so, wie man
es zu erwarten müsste. In wichtigen Bereichen der Verbraucherinformation findet schlichtweg nichts statt,
({2})
weder Verbraucherinformation zur Euroumstellung noch
Informationen zu den wichtigen Sozialgesetzen oder zum
Datenschutz. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind
enttäuscht.
Glauben Sie nicht, dass der Fleischskandal, der erst
letzte Woche öffentlich geworden ist, in Zusammenhang
mit 2 500 fehlenden Lebensmittelkontrolleuren zu bringen ist?
({3})
Ich sage Ihnen: Nicht nur die Verbraucherinnen und
Verbraucher sind enttäuscht, sondern auch die Verbraucherverbände, Stiftung Warentest zum Beispiel. Deren
Mittel kürzen Sie um 1,5 Millionen.
({4})
Wir wollten ein Aufstocken der Mittel für die Stiftung Warentest, sodass die Stiftung unabhängig von der Politik
entscheiden kann, was mit den eigenen Einnahmen geschehen soll. So verstehen wir Verbraucherpolitik. Sie
sollte nicht am Tropf der Politik hängen und darum betteln müssen, dass Geld kommt. Das ist Ihr Versäumnis.
({5})
Ihr Verbraucherinformationsgesetz - es ist noch kein
Gesetz, Sie haben nur Eckwerte vorgelegt - ist eine reine
PR-Nummer.
({6})
Sie arbeiten jetzt ein halbes Jahr daran und sind in der
Lage, nur Eckwerte vorzulegen. Sie planen, im nächsten
Frühjahr einen Gesetzentwurf vorzulegen, und bilden sich
ein, dass Sie das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode
verabschieden können. Der Bundesrat muss zustimmen.
Sie wissen ganz genau, dass Sie das nicht in der letzten
Sitzungswoche vor der Sommerpause hinbekommen.
({7})
Das ist eine Enttäuschung der hohen Erwartungen, die Sie
geweckt haben.
({8})
Die Auswirkungen dieser Politik und der Umstrukturierungen im Ministerium sind der Bevölkerung bisher
verborgen geblieben. Wir wissen nicht, was der entsprechende Ansatz ist und wo Verbesserungen stattfinden
sollen.
Frau Künast, neben den Verbrauchern haben Sie auch
die Landwirte enttäuscht. Die Vernachlässigung und
Benachteiligung der konventionellen Landwirtschaft, die
international wettbewerbsfähig sein muss, ist offensichtlich. Sie führen einen ideologischen Stellungskrieg mit
der Begründung, dass eine Agrarwende notwendig sei.
Ihre Betrachtungsweise können wir nicht nachvollziehen;
denn die Marktanteile, die wir im Wettbewerb innerhalb
Europas verlieren, können wir nicht mehr zurückholen.
Das führt zur Existenzvernichtung. Frau Künast, Sie sind
nicht nur blind.
({9})
- Sie sehen mich.
Sie sind nicht nur blauäugig, sondern auch grünäugig.
({10})
Die so genannte Agrarwende hat bis jetzt zu 50 Prozent
aus der Ökokennzeichnung - das haben wir in den Diskussionen hören können - und zu 50 Prozent aus der Legehennenhaltungsverordnung bestanden. Mehr wurde
bisher nicht erreicht. Das Ökosiegel bleibt bezüglich des
Qualitätsstandards, der Dokumentationspflicht sowie der
Verbrauchersicherheit weit hinter dem Qualitätssicherungszeichen zurück, das die Wirtschaft jetzt einführen
will. Sie orientieren sich an alten Instrumenten, die man
vor zehn Jahren diskutiert und eingeführt hat. Die modernen Möglichkeiten der Datenerfassung und der Datenbanken werden hier nicht genutzt. Die Weitergabe der
wichtigen Dokumentation zum Zwecke der Verbrauchersicherheit findet nicht statt.
Frau Künast, Sie schmücken sich mit dem Ökosiegel,
als wäre das ein Verdienst Ihrer Politik.
({11})
Ich sage Ihnen: 1994 ist auf europäischer Ebene entschieden worden, eine entsprechende Richtlinie für Pflanzen
einzuführen; 1999 geschah das für Fleisch. Sie wurde nur
in nationales Recht umgesetzt. Das einzige Verdienst von
Ihnen ist, dass Sie die Richtlinie umgesetzt haben.
({12})
Inhaltlich haben Sie nichts dazu beigetragen.
Mit der Legehennenhaltungsverordnung, dem zweiten Aushängeschild der Agrarwende, haben Sie einen Pyrrhussieg errungen. Ich kann Ihnen sagen: Keine einzige
Henne wird aus den zu engen Käfigen befreit werden. Die
Produktion geht ins Ausland und die Eier werden importiert. So wird hier Politik gemacht: Arbeitsplätze werden
exportiert und Nahrungsmittel importiert.
({13})
Ihre Aufgabe wäre es gewesen, sich sachlich zu informieren und Gesamtbilanzen aufzustellen. Man darf nicht
nur einseitig die Henne im Käfig betrachten, sondern es
sind weitere Faktoren zu berücksichtigen. Dies ist auf europäischer Ebene auch geschehen. Dadurch kam man zu
dem Schluss, dass eine Weiterentwicklung des Käfigs erforderlich ist. Auch wir wollen nicht, dass es in Zukunft
noch enge Käfige gibt. Für die Maßnahmen auf europäischer Ebene hat man als Enddatum das Jahr 2012 genannt; das war vernünftig und richtig. Parallel dazu soll
eine Alternative entwickelt werden.
Sehen Sie sich doch einmal in den Hennenhaltungsbetrieben um! Sie werden feststellen, dass diese Betriebe
entweder aufhören oder ins Ausland gehen. Das ist die
einzige Alternative, die ihnen bleibt. Im Übrigen erfüllen
Sie mit den Hennen, die in der von Ihnen propagierten alternativen Form gehalten werden, den Anspruch, den Sie
reklamieren, überhaupt nicht.
Frau Künast hatte einmal einen Traum. Sie wollte die
Königin von Hennen werden. Diesen Traum hat sie sich
wohl erfüllt.
({14})
Ich sage Ihnen aber: Die deutsche Landwirtschaft hat einen Albtraum. Sie hat den Albtraum, dass Sie in Deutschland eine ökologische Museumslandwirtschaft einführen
wollen, dass der technische Fortschritt nicht genutzt werden kann, was an vielen Stellen zu beweisen ist, und dass
sie in ihrer Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu den Unternehmen sowohl in den außereuropäischen als auch in
den innereuropäischen Staaten extrem benachteiligt wird.
({15})
Frau Künast, Ihre Agrarwende bedeutet für 3 Prozent
der Landwirte eine Begünstigung, zum Schaden der übrigen 97 Prozent. Die Umschichtungen haben dies deutlich
gemacht. Diese 3 Prozent der Landwirte wollen Ihre
Vergünstigungen aber noch nicht einmal, weil sie wissen,
dass Sie ihnen durch Ihr politisches Dazwischenpfuschen
in einem Markt, den sie sich selber geschaffen haben, die
Existenz erschweren und ihre Situation noch verschärfen.
({16})
Die geplanten Verordnungen zur Tierhaltung zum
Wohl der Tiere treiben die Landwirte in den Ruin. Die
Verschärfung der Bauvorschriften - das konnten wir
heute in der „Süddeutschen Zeitung“ lesen - wird ebenfalls dazu beitragen. Ich möchte Sie wirklich fragen:
Reicht Ihnen der Maßstab „GV pro Hektar“ eigentlich
nicht? Müssen Sie jetzt auch noch andere Maßstäbe heranziehen? - Damit zerstören Sie weite Teile unserer auf
Veredelung angewiesenen Regionen und damit haben Sie
sich eigentlich überflüssig gemacht.
({17})
Schauen Sie sich einmal angesichts der Problematik
bei Rindfleisch die Preisentwicklung für das Fleisch von
Jungbullen an. Von 1998 bis 2000 - Stichwort: BSE - gingen die Erzeugerpreise steil um 1,50 DM nach unten, erholten sich dann wieder etwas und stiegen um 50 Pfennig
an. Die Preise liegen jetzt auf einem niedrigeren Niveau,
meine Damen und Herren von der SPD, während die Verbraucherpreise gleichzeitig angestiegen sind. Das ist die
Situation, mit der unsere Bauern zu kämpfen haben. Dann
sollen sie auch noch mit einer zusätzlichen einseitigen
Verschärfung bezogen auf die Tierhaltung und die Produktionsmethoden belastet werden.
Natürlich ist mit dem Artikelgesetz einiges verschlechtert worden. Ferner bringen die Änderungen im Baurecht
weitere Verschlechterungen. Tatsache ist weiterhin: Tierfette dürfen im Ausland eingesetzt werden, in Deutschland nicht.
({18})
Wenn dann die Produkte importiert werden, weiß der Verbraucher nicht, wie das Tier gefüttert worden ist. Das
Gleiche gilt für Pflanzenschutzmittel. Es gibt eine lange
Liste mit einseitigen Erschwernissen, die die deutsche
Landwirtschaft hinnehmen muss und die es ihr im Wettbewerb unmöglich machen, den Herausforderungen des
Marktes in der Zukunft überhaupt noch gerecht werden zu
können.
Wir haben gerade auch vonseiten der SPD und den
Grünen von dem Abschluss der WTO-Ministerkonferenz in Doha gehört. Sie wissen ganz genau, was dort
beschlossen worden ist, nämlich der Abbau der Exportsubventionen, eine Reduzierung des Außenschutzes
und eine Reduzierung der internen Stützungsmaßnahmen auf die so genannte Greenbox. Sie wissen ganz genau, dass dies in der nächsten Verhandlungsrunde, das
heißt, in den nächsten drei Jahren, in Angriff genommen wird.
Wenn Sie die deutsche Landwirtschaft diesen verschärften Bedingungen ausssetzen, wird sie im Wettbewerb nicht bestehen können.
({19})
Frau Künast, mit Ihrer Politik fahren Sie die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft gegen die
Wand.
({20})
Das sage ich nicht, weil ich als Oppositioneller eine Haushaltsrede halte, sondern weil ich jeden Tag bei den Landwirten bin und diese mir sagen: Wir wissen nicht mehr,
wohin die Reise geht.
({21})
Gehen Sie raus! Beschweren Sie sich jetzt über meine
Aussagen! Werden Sie bitte jetzt laut! Das hilft mir im
Wahlkampf, denn das zeigt, dass Sie von der Landwirtschaft keine Ahnung haben.
({22})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Uli Höfken.
Sehr
geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Merkel hat neulich bei einer CDU-Versammlung in Rheinland-Pfalz etwas Richtiges gesagt:
({0})
Wer die Eier haben will, muss das Gegacker der Hennen
ertragen. - Von dem Kreischen der Hähne in der Opposition hat sie allerdings nichts gesagt.
({1})
Was der Kollege Heinrich vorträgt, ist nichts anderes,
als eine Schlamm- und Abwehrschlacht gegen neue
Marktentwicklungen.
({2})
Ich persönlich bedauere es sehr, dass die ökologischen
Produkte - Qualitätsprodukte, Spezialprodukte, die auf
dem deutschen Markt wirklich Chancen haben -, durch
die sich Einkommenschancen für die deutsche Landwirtschaft bieten, Zug um Zug in einer jetzt schon Wochen andauernden Schlammschlacht schlecht gemacht
werden. Dabei ist zu verzeichnen, dass gerade diejenigen,
die in ihrer eigenen Regierungszeit von Salmonellenbekämpfung und Lebensmittelsicherheit nur wenig hören
wollten,
({3})
plötzlich im Zusammenhang mit ökologischen Lebensmitteln von Mykotoxinen und von unhygienischen Lebensmitteln reden. Auf einmal kommt Ihnen die Erkenntnis, dass dies ganz wesentlicher Bestandteil der
Agrarpolitik sein soll, womit sie jetzt wiederum gegen
den ökologischen Landbau vorgehen.
({4})
Kümmern Sie sich doch zum Beispiel einmal um Mykotoxine im Kaffee oder um all die verfehlten Salmonellenbekämpfungsmaßnahmen, die Sie eben nicht durchgeführt haben.
({5})
Ihr Verhalten ist reine Heuchelei!
({6})
Ähnliches gilt für den Beirat. Ich kenne die Wissenschaftler nicht und kann über deren Qualifikation nichts
sagen. Ich denke aber, dass sich sowohl die Wissenschaftler als auch diejenigen, die bisher immer vertreten
haben, Deutschland sei BSE-frei, fragen sollten, ob sie
immer das Richtige getan haben und ob es jetzt, nachdem
sich alles dank der Politik der Bundesregierung wieder ein
bisschen beruhigt hat, angebracht ist, wieder den alten
Weg zu gehen, der vor der Wand endete.
({7})
Diese Bundesregierung hat den Spagat zwischen der
Krisenbewältigung auf der einen und der Beseitigung des
Reformstaus auf der anderen Seite geschafft. Sie hat sich
den neuen Herausforderungen gestellt, die da heißen:
Umstrukturierung des Landwirtschaftsministeriums zu
einem Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung
und Landwirtschaft, Bewältigung der BSE-Krise sowie
Wiederherstellung der Verbrauchersicherheit und des Verbrauchervertrauens. Dies ist Frau Künast tatsächlich gelungen.
({8})
Diese neue Ausrichtung zeigt sich gerade in den Einzelbereichen. Die Mittel für den Verbraucherschutz sind
insgesamt um 60 Prozent erhöht worden. Dies gilt auch
für die Verbraucherzentralen, die sehr zufrieden sind. So
hat es bei der Stiftung Warentest statt der Kürzung die
einmal im Raume stand, eine Erhöhung der Mittel von 5,6
auf 5,8 Millionen Euro gegeben. Im Übrigen ist es doch
nun wirklich egal, ob die Mittelerhöhung für die Stiftung
Warentest auf einer Erhöhung des Stammkapitals oder auf
entsprechend erhöhten Zuschüssen beruht.
({9})
- Nein, es ist reine Traumtänzerei, davon zu sprechen,
130 Millionen oder gar 300 Millionen - Geld, das im Moment im Haushalt nicht vorhanden ist - dort hineinzustecken. An der Qualität und der Unterstützung, der faktischen Versorgung der Stiftung Warentest ändert das nicht
einen Deut.
({10})
Auch der Haushaltstitel für die Verbraucherberatung
ist deutlich aufgestockt worden. Erstmals können die Verbraucherzentralen auf einer guten Grundlage arbeiten, die
ihnen mehr Luft gibt. Ebenso sind die Mittel für die Energieberatung erhöht worden. Damit haben wir die entsprechenden Anforderungen erfüllt.
Ein anderer Punkt ist das Qualitätszeichen. Es ist ein
riesiger Fortschritt, dass man nun mit einem entsprechenden Biosiegel - das ist in den letzten zehn Jahren nicht zustande gekommen - die entsprechende Verbraucherinformation leistet und Bewerbung ermöglichen kann. Das gibt
den richtigen Kick. Genau den wollten Sie nicht haben.
({11})
Auch das Qualitätszeichen für den konventionellen
Bereich steht vor der Vollendung. Hier sind Rückverfolgbarkeit und Transparenz ein wichtiges Anliegen. Letztendlich dienen diese Zeichen dazu, dass wir den Erzeugern, die sich durch Qualitätsproduktion besonders hervortun, die Möglichkeit geben wollen, diese Produkte zu
bewerben, und sie dadurch unterstützen.
({12})
In dem Bereich der Unterstützung der konventionellen
Produktion geht es in erster Linie um die Wettbewerbsfähigkeit. Jeder, der sich einbildet, angesichts einer veränderten Agenda 2000, nämlich der Agenda 2006, angesichts der Osterweiterungen und WTO-Verhandlungen
könne man mit dem bisherigen Fördermodell weiterleben
wie bisher, ist blauäugig.
({13})
Deshalb bereiten wir die Landwirtschaft auf die Veränderungen durch die europäischen und internationalen
Fördervoraussetzungen vor. Wenn man das nicht täte,
würde man die Betriebe in die Situation bringen - in der
sie lange Zeit gewesen sind -, dass sie sich auf neue
Fördervoraussetzungen nicht einstellen können. Diese
neuen Fördervoraussetzungen - das weiß auch die Opposition - sehen nämlich Greenbox-fähige Maßnahmen und
Verordnungen zum ländlichen Raum vor. Darunter fallen
alle gesellschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft:
Umwelt, Naturschutz, Arbeitsplätze und Qualität. Wir
müssen in diese Richtung gehen; sonst werden wir es
nicht schaffen, diese neuen Fördermöglichkeiten in
Deutschland überhaupt wahrzunehmen. Das ist ökonomisch und betriebswirtschaftlich eine elementare Verpflichtung, der sich die Bundesregierung stellt.
({14})
Deswegen hat es die Neuausrichtung der Gemeinschaftsaufgabe gegeben. Sicherlich ist es so, dass sich auch die
Länder entsprechend beteiligen müssen.
({15})
Ich will noch etwas zur Modulation sagen. Das nämlich ist für mich der Gipfel der Heuchelei: Der Bauernverband hat sich zusammen mit CDU/CSU und FDP gegen die Durchführung der Modulation gestellt und damit
die deutsche Landwirtschaft und die ländlichen Räume
um mindestens 100 Millionen in 2003 geprellt.
({16})
Man hätte wahrscheinlich sogar noch mehr Geld herausholen können. Herr Eichel, die Bundesregierung und die
Länder waren bereit, ihren Anteil zu zahlen. Sie haben das
verhindert, weil Sie sich aus verbandsinternen Interessen
einer solchen Qualitätsproduktion nicht unterziehen wollen. Das finde ich eine unglaubliche Frechheit und ein
Vergehen an den landwirtschaftlichen Betrieben, die regelrecht irregeführt worden sind.
({17})
Die Ausführung der Modulation wird so oder so kommen.
Sie wird obligatorisch werden. Es ist totaler Unsinn, sich
jetzt dagegen zu sperren und die ländlichen Räume um
dieses Geld regelrecht zu betrügen.
Ich will noch etwas zu nachwachsenden Rohstoffen
sagen. Immerhin - das haben Sie nicht gelobt, Herr Kollege Hollerith - ist der Ansatz für das Marktanreizprogramm um 100 Millionen erhöht worden.
({18})
Das hätte doch in Ihrer Rede an erster Stelle stehen müssen. Selbstverständlich setzen wir uns dafür ein.
In der Rede von Herrn Hampel ist deutlich geworden,
dass die Landwirtschaft für Biomasse beantragte Gelder
tatsächlich bekommt. Dabei wird es hoffentlich bald zu
den entsprechenden Rahmenbedingungen kommen. Hier
teile ich im Übrigen ausnahmsweise Ihre Einschätzung
- aber wir in der Koalition setzen uns ohnehin dafür ein -:
Im Bereich der Wirtschaftspolitik ist Biomasse ein wunderbares Instrument, Investitionen in die ländlichen
Räume anzuregen und damit Wirtschaftskraft zu schaffen.
({19})
Als Letztes will ich noch etwas sagen, was schon die
Kollegin Hoffmann betont hat: Wir haben es geschafft,
unter den schwierigen Bedingungen von Einsparungen in
diesem Haushalt, zum einen die Mittel zu erhöhen und
zum anderen die Erfüllung der Sozialaufgaben zu gewährleisten.
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegen Hollerith
und Carstensen?
Nein.
({0})
- Sie wissen, welche Freude ich an Auseinandersetzungen
habe, aber jetzt möchte ich weiterreden.
Ich finde, es ist sehr verdienstvoll, dass sich diese Bundesregierung den erhöhten Anforderungen im Sozialbereich stellt. Wir sollten uns gemeinsam an den Reformen,
die in diesem Bereich anstehen, beteiligen, um zu einer
Verbesserung zu kommen. Auf jeden Fall ist es wichtig,
festzustellen, dass die Versorgungsleistungen derjenigen,
die sich jetzt auf das Altenteil zurückziehen und Ansprüche erheben, sicher sind; denn die notwendigen Mittel stehen zur Verfügung.
({1})
Zum Schluss möchte ich noch auf etwas zu sprechen
kommen, was uns mit Verbitterung erfüllt. Wir haben mit
dazu beigetragen, dass die Verbraucher bereit sind, mehr
für landwirtschaftliche Produkte - beispielsweise für
Rindfleisch mehr als 10 Prozent - zu bezahlen.
({2})
Aber es geht nicht an, dass die Erzeuger dennoch rund
20 Prozent weniger bekommen. Das wollen wir nicht mitmachen. Diese unselige Preisspirale muss beendet werden. Die Landwirte und der Bauernverband selbst müssen
sich genau dieser Herausforderung stellen und dafür
kämpfen, dass nicht immer die Landwirte das schwächste
Glied in der Kette sind. Wir werden sie dabei kräftig
unterstützen. Vielleicht sollten auch Sie sich dafür einsetzen, dass die Rindfleisch produzierenden Betriebe von
den für die Modulation vorgesehenen Geldern profitieren
können.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Kersten Naumann.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Lieber Kollege Heinrich, ich hatte
während Ihrer Rede richtig Angst um Sie, weil Sie sich so
aufgeregt haben. Manche Probleme, auf die Sie hingewiesen haben, verstehe ich zwar. Aber ich habe mit den
Konsequenzen, die Sie ziehen, ein paar Probleme.
Wenn ich in meiner Rede zur ersten Lesung den Landwirten noch wünschte, dass jedes Jahr ein Wahljahr sein
sollte, nehme ich das heute schnellstens zurück; denn
wieder einmal wurden die Landwirte von den Haushältern
der Koalition über den Tisch gezogen, weil der Agrarhaushalt mit einer globalen Minderausgabe von 60 Millionen Euro beschnitten werden soll. Während in der ersten
Lesung des Haushalts noch von einer Aufstockung des
Agrarhaushalts die Rede war, haben wir es jetzt mit einer
gravierenden Kürzung zu tun. So knauserig wie beim
Agrarhaushalt ist Hans Eichel freilich nicht, wenn es um
den Verteidigungshaushalt geht. Dort ist nicht Kleckern,
sondern Klotzen angesagt.
({0})
Die Minderausgabe bedeutet für die Landwirte doch
nichts anderes, als dass die Bundesregierung die Zuschüsse bei den Modell- und Demonstrationsvorhaben,
beim Verbraucherschutz und bei der Gemeinschaftsaufgabe wieder wegnimmt, und das gleich mehrfach. Die
Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe liegen unter dem Niveau von 2001. Der finanzielle Spielraum für eine
gestalterische Politik in den Ländern wird somit weiter
begrenzt. Doch damit nicht genug. Wohin die Reise geht,
kann man daran sehen, dass auch noch die Verpflichtungsermächtigungen in der Gemeinschaftsaufgabe um
20 Millionen Euro gekürzt wurden.
Es ist schon eine Meisterleistung der Verbiegung von
Demokratie, wenn der Entwurf des Einzelplans 10 unter
Voraussetzungen behandelt wurde: So stand die globale
Minderausgabe überhaupt noch nicht zur Debatte und
ahnte noch niemand, dass sich die Bundesregierung über
die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses hinwegsetzen wird. Ich frage Sie, Frau Künast: Warum lassen Sie sich das gefallen? Oder halten Sie es lieber mit
Faust, getreu dem Motto: „Im Auslegen seid frisch und
munter, legt ihr’s nicht aus, dann legt was drunter.“
Die Landwirte durften schon 1999 mit einer globalen
Minderausgabe in Höhe von rund 90 Millionen DM
kämpfen. Damals protestierten die Bauern zuerst in Bonn
und später vor dem Brandenburger Tor. Sie werden auch
diesmal wieder enttäuscht sein, wenn die Bundesregierung - notwendigerweise - die Alterssicherung erhöht,
aber gleichzeitig mit der globalen Minderausgabe hintenrum die Hand aufhält. Die PDS fordert, die globale
Minderausgabe rückgängig zu machen.
({1})
Wir fordern in unserem Antrag: Die Zuschüsse zur
landwirtschaftlichen Unfallversicherung sind auf 350 Millionen Euro aufzustocken. Das soll eine Teilentlastung der
Landwirte bei den Beiträgen ermöglichen.
({2})
Damit unterstützen wir das jahrelange gerechtfertigte Verlangen des Bauernverbandes nach gleichwertigen Bedingungen bei der Unfallversicherung, wie sie im Handwerk
und für den Mittelstand üblich sind.
Darüber hinaus beinhaltet unser Antrag die Erhöhung
der Zuschüsse zur Förderung von Modell- und
Demonstrationsvorhaben auf insgesamt 25 Millionen
Euro. Die Vorhaben im Rahmen der „Arbeitsmarktpolitischen Initiative“ des Verbraucherministeriums und die
vorgesehenen Pilotprojekte „Multifunktionale Landwirtschaft und ländliche Entwicklung“ erreichen die
Problemregionen im ländlichen Raum in einem zu geringen Maße. Die zusätzlichen Mittel müssen für eine breit
angelegte Arbeitsmarktpolitik eingesetzt werden, damit
die ländlichen Räume von dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Bündnis für Arbeit profitieren und gewerbliche
Arbeitsplätze für aus der Landwirtschaft Ausscheidende
vor Ort geschaffen werden können.
Was nützen einzelbetriebliche Agrarkreditprogramme,
Investitionsförderprogramme, Modernisierung und Rationalisierung zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit,
wenn nicht gleichzeitig die dadurch freigesetzten Arbeitskräfte über andere Programme im ländlichen Raum abgefangen werden? Ziel der Gemeinschaftsaufgabe muss es
sein, das betriebliche Interesse an der Steigerung der Effektivität mit der Schaffung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum und einer nachhaltigen Produktion zu verbinden.
({3})
Nun steht immer die Frage im Raum: Woher soll das
Geld kommen? Hier die Antwort: Schaut man sich die Berichte des Bundesrechnungshofs zur Steuerverschwendung an, stellt man fest, dass offenbar genug Geld da ist so viel, wie die Landwirte in ihrem bescheidenen Dasein
gar nicht würden beanspruchen wollen.
({4})
Aber das Geld ist in den falschen Händen und in den
falschen Kanälen.
Dann sind da noch die nicht ausgeschöpften und rückfließenden Mittel aus Brüssel, sowohl die aus dem EUAgrarbudget als auch die unverbrauchten Mittel zur Bewältigung der BSE-Krise. Es sollten Möglichkeiten
gefunden werden, den Landwirten diese Mittel wieder zur
Verfügung zu stellen. Selbstverständlich sollte auch die
staatliche Unterstützung der durch BSE geschädigten Betriebe sein.
({5})
Denn sie wurden durch eine unverantwortliche Politik geschädigt, deren Drahtzieher, Lobbyisten und Vertuscher
keine Verantwortung übernehmen.
Das Herauskaufprogramm muss wohl als gescheitert
angesehen werden, weil den Bauern damit nicht wirklich
geholfen werden konnte. Höhere Verbraucherpreise für
Rindfleisch und Milchprodukte, vom Verbraucher honoriert und angenommen, kommen beim Landwirt nicht an.
Nur der Handel profitiert von der Krise und knebelt die
Bauern. Bauern und Verbraucher haben die Last der zusätzlichen Kosten für Tests und für die Tiermehlentsorgung zu tragen.
Meine Damen und Herren, bei allen guten Ansätzen für
eine Agrarwende bleibt die Tatsache: Die Landwirtschaft
wird weiter liberalisiert, die Weltmärkte werden weiter
geöffnet, die Direktzahlungen werden weiter gekürzt, die
Alternativen im ländlichen Raum sind eher schmalbrüstig
und die Programme der Bundesregierung werden diesen
Prozess nicht aufhalten.
Mit ihrem Papier „Vertrauen durch Veränderung - Arbeitsplan nachhaltige Landwirtschaft“ betreibt die Bundesregierung wieder einmal Augenwischerei, wenn sie
schreibt: „Das Höfesterben und die schwindende Attraktivität der Hofübernahme sollen teilweise aufgefangen
werden.“ Seit Jahren und Jahrzehnten haben wir es statt
einer Belebung der ländlichen Räume eher mit Höfesterben und dem Ausbluten der ländlichen Räume zu tun. Die
Menschen im ländlichen Raum werden zunehmend abhängig von Modell- und Pilotprojekten, von Arbeitsbeschaffungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen und von
EU-Fördertöpfen.
Die Bundesregierung tut sich leider schwer, Titel einzustellen, die dauerhaft und grundsätzlich den Akteuren
im ländlichen Raum zur Verfügung stehen. Sie wären aber
dringend notwendig für ein breites Spektrum an Arbeitsplatzinitiativen, im Bereich der Finanzierung von
Umweltmaßnahmen, für die Förderung von Junglandwirten, - und zwar ohne dass hohe bürokratische Hürden genommen werden müssen.
({6})
Meine Damen und Herren, der multifunktionale Charakter der Landwirtschaft wird in Papieren des Bundes
und der EU immer gern betont. Ein bisschen Urlaub auf
dem Bauernhof, ein bisschen Ausgleichszulage, ein bisschen Dorferneuerung und ein paar Modellprojekte machen aber noch nicht das Gleichgewicht zwischen ökonomischem, ökologischem und sozialem Anspruch aus.
Doch ländliche Entwicklung erfolgt nicht durch vorrangige Förderung der Wettbewerbsfähigkeit.
Wo ist denn die gesellschaftliche Honorierung der vielen externen Leistungen der Bauern, wie für Klima, Boden, Landschaftspflege und Kulturtradition? Was wir
brauchen, ist eine Landwirtschaft, die auch künftig Einkommen erwirtschaftet, und keine, an der einige wenige
Konzerne verdienen,
({7})
und zwar Einkommen vorrangig aus den Produkten, die
die Landwirtschaft erwirtschaftet. Endlich müssen die
Verarbeitungsindustrie und der Handel mit ins Boot, wenn
es um agrarpolitische Maßnahmen geht.
Der Verbraucher ist gewillt - das besagen Studien -, gesellschaftlich relevante und von ihm gewollte sichtbare und
transparente Leistungen der Landwirte auch gesellschaftlich zu honorieren. Dazu muss allerdings die Agrar- und
Verbraucherschutzpolitik die Voraussetzungen schaffen.
Werte Frau Ministerin Künast, machen Sie sich mit Ihrer Politik die Landwirte endlich zu Ihren Partnern statt
wie bisher zu Ihren Gegnern! Dieser Haushalt ist jedoch
der falsche Weg.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Jella Teuchner.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Die Definition von Verbraucherschutz, wie sie in Art. 153 des Amsterdamer Vertrages niedergeschrieben ist, lautet:
Zur Förderung der Interessen der Verbraucher und
zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus leistet die Gemeinschaft einen Beitrag zum Schutz der
Gesundheit, der Sicherheit und der wirtschaftlichen
Interessen der Verbraucher sowie zur Förderung ihres Rechts auf Information, Erziehung und Bildung
von Vereinigungen zur Wahrung ihrer Interessen.
Diese Definition spiegelt sich im Haushalt 2002 wider.
Sie spiegelt sich auch in den für den Rest der Legislaturperiode geplanten Initiativen wider. Leider findet sie sich
nicht in dem wieder, was die FDP uns hier vorgelegt hat.
Ziel der Schaffung des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft war es
nicht, ein Ministerium für gesundheitlichen Verbraucherschutz zu schaffen; Ziel war es, dem gesamten Spektrum
des Verbraucherschutzes eine stärkere Position zu geben.
({0})
Dazu wurden auch die Zuständigkeiten des Wirtschaftsministeriums für den Verbraucherschutz auf das Ministerium für Verbraucherschutz übertragen.
Wenn man, wie dies die FDP in der letzten Woche getan hat, wirtschaftlichen Verbraucherschutz lediglich
als Kostenfaktor für die Wirtschaft betrachtet,
({1})
dann wundert es mich allerdings nicht, wenn Sie ein wesentliches Aufgabengebiet des Verbraucherschutzes einfach unter den Tisch fallen lassen.
({2})
Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind am Markt
tendenziell in einer schlechteren Position als die Anbieter.
Dies müssen wir ausgleichen, wenn wir uns der sozialen
Marktwirtschaft verpflichtet fühlen. Das heißt zum einen,
dass wir Mindeststandards für die Produktqualität über
Haftungs- und Gewährleistungspflichten sicherstellen
müssen.
Mit der Schuldrechtsmodernisierung, mit der die Gewährleistungsfristen verlängert wurden, haben wir den
Verbraucherinnen und Verbrauchern die Möglichkeit gegeben, ihr Recht auf mangelfreie Produkte besser durchzusetzen. Ich hoffe, Sie sehen den Anspruch auf mangelfreie
Produkte nicht wieder als einen reinen Kostenfaktor an.
Wirtschaftlicher Verbraucherschutz heißt zum anderen, den Verbraucherinnen und Verbrauchern die Information zu geben, die sie für bewusste Kaufentscheidungen brauchen, um ihnen die notwendigen Mittel an die
Hand zu geben, ihre Rechte auch durchzusetzen.
({3})
Mit dem Haushalt 2002 setzen wir hierfür wichtige Impulse. Die Mittel für die Verbraucherpolitik steigen von
21,4 Millionen Euro auf 33,2 Millionen Euro. Das entspricht einem Anstieg um 55 Prozent.
({4})
Der Mittelansatz für die Verbraucherinformation im Einzelplan 10 steigt von 9,3 Millionen Euro auf 11,6 Millionen Euro.
({5})
- Das haben Sie so nicht richtig verstanden.
Im Einzelplan 09 stehen damit ausreichend Mittel für
die Energieberatung der Verbraucherzentralen bereit.
({6})
Der Informationsbedarf der Verbraucherinnen und
Verbraucher wird auch in Zukunft steigen. Der elektronische Handel bringt genauso wie die private Altersvorsorge neuen Beratungsbedarf. Dem begegnen wir, indem
wir die Verbraucherberatung stärken und sie zu einem
wirksamen Gegengewicht zur Werbung der Anbieter machen. Unabhängige Informationen versetzen die Verbraucherinnen und Verbraucher in die Lage, bewusste Kaufentscheidungen zu treffen.
({7})
Wir stärken gleichzeitig die Verbraucherverbände, damit
sie eine wirksame Interessenvertretung für die Verbraucherinnen und Verbraucher gewährleisten können.
Die Bundesministerin für Verbraucherschutz, Renate
Künast, hat letzte Woche Eckpunkte für ein Verbraucherinformationsgesetz vorgestellt.
({8})
Ich begrüße diese Initiative.
({9})
Warum sollen verbraucherrelevante Informationen, die
bei Behörden vorliegen, nicht zugänglich sein? Warum
sollen Allergiker Inhaltsstoffe nicht erfahren dürfen?
({10})
Wollen Sie denn nicht auch wissen, ob Sie mit hydrolisierter Gelatine gestreckten Schinken gegessen haben?
Wir wollen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher
ihre Kaufentscheidungen bewusst treffen können.
({11})
Das heißt, dass sie Zugang zu den dafür notwendigen Informationen brauchen.
({12})
- Sie haben es in Ihrer Rede vorhin aber bemängelt. - Mit
dem Verbraucherinformationsgesetz schaffen wir die Voraussetzungen dafür.
Wenn wir eine Schlichtungsinstanz schaffen, die bei
Streitigkeiten um die Informationspflichten vermittelt,
dann werden die Interessen von Anbietern und Konsumenten ausgewogen berücksichtigt werden.
Verbraucherschutz ist aber mehr als der Schutz der Gesundheit der Verbraucherinnen und Verbraucher. Ich kann
daher nicht nachvollziehen, warum man - wie im Antrag
auf Drucksache 14/7684 gefordert - die Bündelung der
Kompetenzen für den Verbraucherschutz wieder zurücknehmen soll. Im Gegenteil: Das Bundesministerium für
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft wird
in der Bundesregierung weiterhin - in Zukunft noch verstärkt - die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher bündeln.
({13})
Um dies zu erreichen, sollten wir die Einführung eines
jährlichen Berichtes zur Verbraucherpolitik prüfen. Ressortübergreifend sollten die Probleme der Verbraucherinnen und Verbraucher beschrieben und sollten vor allem
auch Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Auch
eine Stärkung des Verbraucherschutzes in der Geschäftsordnung der Bundesregierung wäre denkbar: ein Initiativrecht für das Verbraucherschutzministerium bei
Angelegenheiten anderer Ressorts, wenn sie Verbraucherfragen betreffen, oder die Verpflichtung, bei Gesetzentwürfen in der Begründung die Auswirkungen auf den
Verbraucherschutz darzulegen.
Der Verbraucherschutz ist im letzten Jahr deutlich gestärkt worden. Die dafür bereitgestellten Mittel steigen
um 55 Prozent. Damit leisten wir einen Beitrag dazu, dass
Anbieter und Konsumenten auf gleicher Augenhöhe
miteinander handeln. Mit dem Verbraucherschutzministerium, das für den gesundheitlichen und den wirtschaftlichen Verbraucherschutz zuständig ist, leisten wir einen
weiteren Beitrag. Dies ist notwendig. Vor allem wird dies
auch in der Zukunft notwendig sein.
({14})
Das Wort hat
jetzt der Herr Abgeordnete Ronsöhr.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor
einem Jahr hat man in der Bundesrepublik Deutschland
den ersten BSE-Fall - so muss man ja formulieren - entdeckt. Wir haben daraus einige Konsequenzen gezogen,
aus meiner Sicht sehr richtige Konsequenzen, die noch
unter der früheren Gesundheitsministerin, Frau Fischer,
({0})
und unter dem früheren Landwirtschaftsminister, Herrn
Funke,
({1})
eingeleitet wurden. Seitdem ist es um das Ziehen von
Konsequenzen aus den BSE-Fällen in Deutschland sehr
ruhig geworden.
({2})
Ich war neulich in einem Institut, das BSE-Tests am lebenden Tier entwickelt. Ich habe mich in dem Institut, einem sehr renommierten deutschen Institut, danach erkundigt, ob man dort die notwendige politische Unterstützung
hat. Das haben die Wissenschaftler eindeutig verneint.
({3})
Diese Unterstützung gibt es nicht, obwohl doch der BSETest am lebenden Tier ein gewaltiger Fortschritt für den
Verbraucher und für den Landwirt in der Bundesrepublik
Deutschland wäre.
({4})
Wir haben im Zusammenhang mit den gesetzlichen
Maßnahmen zur Bekämpfung von BSE eine Verordnung
erlassen,
({5})
mit der man den „Tiermehltourismus“ nach Deutschland
untersagen könnte. Bis heute hat die Bundesministerin für
Verbraucherschutz noch nicht gehandelt,
({6})
obwohl die Grünen mehrmals angekündigt haben, dass
man handeln will. Ich kann ja einmal die Protokolle aus
dem Ausschuss zur Verfügung stellen.
Meine Damen und Herren, so geht es doch weiter. Seit
diesem Zeitpunkt sind praktisch keine Konsequenzen
mehr gezogen worden. Offensichtlich ist es so, dass die
Grünen Krisen instrumentalisieren, aber nichts zur Lösung der Krisen beitragen.
({7})
Die Sozialdemokraten begleiten das mit einer Politik der
ruhigen Hand. Das tun sie nicht nur hier. Wenn wir über
Verbraucherschutz reden, messen wir den Verbraucherschutz bitte immer mit dem, was wir konkret tun. Verbraucherschutz, der nicht konkret und unbequem ist, ist keiner.
Es geht auch bei der Landwirtschaft so. Aus der BSEKrise heraus wird jetzt immer wieder etwas entwickelt.
Neulich hat ein nordrhein-westfälischer Abgeordneter der
SPD einmal etwas sehr Interessantes gesagt. Er hat gefordert, man möge die westfälische Landwirtschaft retten.
Vor wem eigentlich? - Vor Frau Höhn und Herrn Clement,
vor Frau Künast und Herrn Schröder, vor niemand anders,
meine Damen und Herren.
({8})
Ich finde es schon eigenartig, dass man erst die nordrheinwestfälische Landwirtschaft in einen Abgrund stößt und
sich dann als Sanitäter bezeichnet.
Es ist wichtig, dass wir endlich wieder zur Verlässlichkeit der Rahmenbedingungen in der Landwirtschaft beitragen und vernünftige Rahmenbedingungen entwickeln.
Dann muss der Abgeordnete Scholz von der SPD die
Landwirtschaft in Westfalen vor niemandem retten, weil
sie sich selbst entwickeln wird. Das ist das Entscheidende
und hierauf setzen die Landwirte.
({9})
Die Landwirte wollen, dass ein Dialog mit ihnen begonnen wird, aber die Ministerin verweigert den Dialog
mit der Landwirtschaft.
({10})
Man stelle sich einmal vor, in der Wirtschaft würde jemand den Dialog mit den Unternehmen und mit den Gewerkschaften verweigern und dann über die Gestaltung
von Wirtschaftspolitik reden. Wir würden den alle nicht
ernst nehmen. Leider muss man Frau Künast ernst nehmen, weil sie die Rahmenbedingungen für die deutsche
Landwirtschaft ständig verschlechtert.
({11})
Frau Künast ist eine große Agrarlobbyistin, aber leider für
die ausländische Agrarproduktion.
({12})
Das ist doch selbst beim Ökolandbau der Fall. Zwar
werden die Subventionen für den Ökolandbau dramatisch
und drastisch erhöht - das ist richtig -, aber auf der anderen Seite begünstigt Frau Künast eine Politik des Preisdumpings bei den Ökoprodukten. Damit nimmt sie den
Ökobauern das wieder weg, was sie ihnen auf der Subventionsseite gibt.
({13})
Das ist eine Tatsache, mit der wir uns auseinander zu setzen haben. Das halte ich für wichtig.
Die Agrarpolitik von Frau Künast, der SPD und den
Grünen trägt dazu bei, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland ständig zusätzlich geschwächt wird.
Die ländlichen Räume können sich mit dieser agrarpolitischen Konzeption nicht so entwickeln, wie sie sich aufgrund der Voraussetzungen, die Landwirte in Deutschland
bieten, eigentlich entwickeln müssten.
({14})
- Natürlich ist das so. - Ihnen als Sozialdemokraten will
ich wenigstens Folgendes sagen: Herr Müntefering hat in
der „Stuttgarter Zeitung“ gefordert, dass die Sozialdemokraten sich von der Agrarpolitik von Frau Künast abkehren. Das hat er natürlich getan, damit die Bauern in dieser
Republik es lesen, aber die Sozialdemokraten bleiben hinter der Forderung von Herrn Müntefering zurück. Das ist
die Wahrheit.
({15})
Handeln Sie doch einmal so, wie Sie es ankündigen! Würden Sie so handeln, wäre die Agrarpolitik besser gestellt.
Die Landwirte in dieser Nation empfinden Frau Künast
inzwischen als die eigentliche Belastung in der Agrarpolitik.
({16})
Es geht manchmal gar nicht mehr
({17})
um Haushaltsansätze. Es geht vielmehr darum, dass Frau
Künast eine grundsätzlich verkehrte Entwicklungskonzeption für die ländlichen Räume und für die Agrarpolitik
in Deutschland hat. Damit ist ein ganz schmerzlicher Prozess verbunden.
Jetzt sagen Sie, wir sollten die 300 Millionen für die
Rinder mästenden Landwirte nicht beantragen. Die Preise
sind hier aber nach wie vor am Boden.
({18})
- Ich möchte einmal eines sagen: Frau Höfken hat in
ihrer Rede eben zum wiederholten Male gesagt, die Grünen und die SPD trügen im Grunde genommen dazu bei,
dass die zweite Säule in der Agrarpolitik ausgebaut
wird. Nur, wenn Sie sich anschauen, wer die zweite Säule
in der Agrarpolitik zurzeit finanziert, dann werden Sie
feststellen, dass es sich um Baden-Württemberg, um Bayern, um Thüringen und um Sachsen handelt. Das sind alles unionsregierte Länder.
({19})
Anstatt hier immer wieder von uns zu fordern, dazu
beizutragen, die zweite Säule in der Agrarpolitik auszubauen, sollten Sie in rot-grün und rot regierten Ländern
Ihre Schularbeiten machen. Wenn Sie das getan haben,
werden Sie glaubwürdig und wir sprechen gemeinsam
über den Ausbau der zweiten Säule.
({20})
Sie haben die Agrarumweltprogramme zunichte gemacht.
Sie haben bisher keine Agrarumweltprogramme entwickelt. Belehren Sie uns nicht, wenn Sie sich selbst belehren müssen, Frau Höfken. Diese Wahrheit muss auch
in diesem Hause einmal ausgesprochen werden.
({21})
Nehmen Sie sich an Bayern, an Baden-Württemberg und
an anderen ein Beispiel!
Ich will noch etwas zu den 300 Millionen sagen. Ich
finde es ganz schlimm, dass man für Holzmann 300 Millionen zur Verfügung gestellt hat, sich aber bei der Landwirtschaft ständig auf einen Holzweg begibt und ihr diejenigen Hilfen verweigert, die man anderen zu geben
bereit ist. Die Rindermäster stehen nach wie vor mit dem
Rücken zur Wand. Sie hätten es verdient, dass die Politik
handelt. Übrigens, alle SPD-regierten Bundesländer stimmen mit uns in dieser Frage überein. Auch sie sind der
Auffassung: Frau Künast und die Bundesregierung sollten
endlich handeln.
Der Bundeskanzler hat einmal davon gesprochen, dass
es kein Recht auf Faulheit gibt. Wenn dem so ist, dann befleißigen Sie sich bitte auch, was die Hilfen für die Rindermäster in der Bundesrepublik Deutschland angeht. Ich
finde es schmählich, die Rindermäster im Regen stehen zu
lassen und die Bauern auch noch zu beschimpfen, wie das
teilweise bei Herrn Schröder und manchmal bei Frau
Künast der Fall ist. Dieser ungerechten Politik von Ihnen
sagen wir den Kampf an.
({22})
Das Wort hat
jetzt die Bundesministerin Renate Künast.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich vorab auf
zwei vorherige Redebeiträge eingehen.
Herr Ronsöhr, Sie haben in Ihrem Redebeitrag gesagt:
Ein Verbraucherschutz, der nicht unbequem ist, ist keiner.
Ihrem Redebeitrag habe ich entnommen: Ich bin unbeHeinrich-Wilhelm Ronsöhr
quem. Anders ist das Engagement, das Sie in Ihrer Rede
an den Tag gelegt haben, nicht zu erklären.
({0})
- Was ich Ihnen sage, müssen Sie schon annehmen. Irgendwo schließt sich der Kreis Ihrer Argumentation.
({1})
Ich möchte etwas zu dem Teil Ihres Redebeitrags, Herr
Ronsöhr, sagen, in dem Sie auf Tiermehl und Tourismus
eingegangen sind. Wir haben innerhalb der EU die höchsten Vernichtungskapazitäten, um das Tiermehl unschädlich zu machen. Möchten Sie, dass wir aufhören, Tiermehl
aufzukaufen, um es hier zu vernichten? Möchten Sie, dass
das alte Tiermehl im EU-Binnenmarkt herumgefahren
wird, sodass man nicht weiß, ob es vielleicht verfüttert
wird? Ich glaube, die Antwort ist Nein.
({2})
Herr Hollerith, sind Sie nunmehr zu einem Unterstützer der Ökosteuer mutiert? Sie können nicht für die weitere Finanzierung von Biomasse eintreten, ohne gleichzeitig zu sagen - in Ihrem Redebeitrag haben Sie dieses
Thema getrennt behandelt -, dass Sie sämtliche Aktivitäten im Bereich Biomasse, die durch die Einnahmen aus
der Ökosteuer finanziert werden, ebenfalls gutheißen. Nur
eines von beiden geht, Herr Hollerith. Sie haben es vorher
nicht verstanden, dort entsprechend zu fördern.
({3})
Sie haben nette Ausführungen zu den von mir vorgenommenen Änderungen beim Wissenschaftlichen Beirat gemacht. Wissen Sie, um Sie auch damit zu erfreuen:
Der alte Beirat ist 1996 von einem meiner Vorgänger
handverlesen installiert worden und bestand nur aus
Agrarökonomen. Das habe ich bis heute nicht verstanden.
Ich habe versucht, einen Teil des Gremiums neu zu besetzen; alle bis auf einen aus diesem Wissenschaftlichen Beirat haben gesagt: Wir räumen unseren Posten; besetzen
Sie neu. Der Einzige, der sich öffentlich beschwert hat,
war Professor Schmitz von der Universität Gießen. Ich
kann Ihnen nicht ersparen, über ihn eine nette Anekdote
zu erzählen. Er hat vor einer Woche ein Gutachten dazu
vorgestellt, wie negativ der Einfluss wäre, wenn die deutsche Landwirtschaft von heute auf morgen 75 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel einsetzen würde. Einige Journalisten, die zugehört hatten und dann im Detail
nachfragten, waren sehr verwundert, weil Professor
Schmitz, nachdem er lange beschrieben hatte, wie
schwierig alles für die Landwirtschaft werden würde, auf
die Frage: „Will das denn jemand?“ antwortete: Nein. So viel zum Thema Wissenschaftlicher Beirat.
({4})
- Nein, das ist keine schwache Argumentation, das ist nur
der Versuch, Ihnen etwas Humor beizubringen. Manches
wird nicht so heiß gegessen, wie es von einigen gekocht
wird. Eigentlich dachte ich, dass zumindest der Ausschussvorsitzende über viel Humor verfügt.
({5})
- Jetzt übernehmen Sie nicht die Witze vom SPD-Minister a. D. Funke. Den mit dem Eisbein haben Sie gerade
funktionalisiert. Übrigens kenne ich den auch schon.
Wenn wir uns anschauen, meine Damen und Herren,
was in diesem Haushalt vorliegt, müssen wir zu dem
Schluss kommen, dass entscheidende Weichen für den
Verbraucherschutz neu gestellt wurden. Wir sind den
Anforderungen der Verbraucher nachgekommen, Klarheit
und Sicherheit in die Lebensmittelproduktion hereinzubringen, indem wir sie auf neue Füße gestellt haben.
({6})
Das heißt: Wir bringen die Landwirtschaft besser mit Umwelt-, Natur- und Tierschutz in Einklang und eröffnen damit neue Perspektiven für die Landwirte und die ländlichen Räume. Schade, dass das nicht schon früher
passiert ist.
({7})
Wir richten die Landwirtschaft neu an den globalen
Rahmenbedingungen aus, die uns in Form von Globalisierung, WTO-Runden und Erweiterung der Europäischen Union gegenübertreten. Der Sachverständigenrat
zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, von dem Sie gerne ein Lob für Ihre Ideen hätten, hat
- das ist insbesondere für die FDP interessant; da wird sie
wieder zittern und sich darüber ärgern - unserer Politik
ein gutes Zeugnis ausgestellt. Die so genannten fünf Weisen haben gesagt, dass wir mit der neuen Verbraucherund Agrarpolitik auf dem richtigen Weg sind. Sie haben
gesagt, unsere Maßnahmen seien prinzipiell geeignet,
verloren gegangenes Vertrauen in Landwirtschaft und
Agrarpolitik wieder herzustellen.
({8})
Ich bin stolz auf diesen Satz, Herr Ronsöhr und Herr
Heinrich, und zwar darum, weil es das erste Mal ist - Sie
können die ganzen letzten Jahrzehnte durchgehen -, dass
in einem Papier, basierend auf der Wirtschaftskompetenz
der fünf Weisen, die Agrar- und Verbraucherschutzpolitik
gelobt wird. Das haben Sie während Ihrer Regierungszeit
nie erreicht. Dass Sie da nervös werden, verstehe ich.
({9})
Wir holen nun die Defizite der alten Agrarpolitik auf,
die jahrzehntelang in die falsche Richtung gegangen ist.
Wir sorgen für Qualität und dafür, dass auch die deutsche
Landwirtschaft von dem weltweit boomenden Ökomarkt
profitiert und nicht, wie in den vergangenen Jahrzehnten,
dieses den Dänen und den Niederländern überlassen wird.
Selbst das Fleischerhandwerk - mit dem sprach ich heute
früh - macht jetzt eine große Kampagne für Bioprodukte.
Man sagte mir dort, dass man daran bereits verdiene.
({10})
Wir rühren nicht, anders als Herr Ronsöhr, konzeptionslos in der Politik herum, sondern stellen sie so ein, dass
sie durch Expansion die Absatzmöglichkeiten auf dem
Weltmarkt nutzen kann.
({11})
Wir denken dabei insbesondere daran, dass die Steuerzahler Verbraucher-, Tier- und Umweltschutz sehen wollen und nicht, wie ihre hart erarbeiteten Steuergelder im
Nachhinein für die Beseitigung von Umweltfolgen verwendet werden müssen. Der Haushaltsentwurf für das
nächste Jahr trägt deshalb
({12})
- nein, Herr Heinrich, lasse ich nicht zu, ich habe zu wenig Zeit - die Handschrift „Weg in die Zukunft“.
Aufgrund einer jahrzehntelang falschen Politik kam auf
uns die BSE-Problematik zu; nun wird neu organisiert.
Sie selbst haben in einigen Redebeiträgen schon gesagt,
was dazugehört, und zwar das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit.
({13})
Dazu werden wir ab Anfang des Jahres mit dem Aufbau
beginnen. Wir richten außerdem ein Bundesinstitut für Risikobewertung ein, in dem Wissenschaftler wirklich unabhängig arbeiten können.
({14})
- Ach, wissen Sie, wir leben im Föderalismus. Darauf
sind die Bayern immer stolz und sind beinhart, wenn ihnen irgendjemand Kompetenzen wegnehmen will. Zum
Föderalismus gehört auch die andere Seite, dass man
nämlich aus seinem Landeshaushalt auch einmal Geld zur
Verfügung stellt, und das ist gut so.
({15})
Das werden Sie wohl nicht kritisieren wollen.
Wir meinen, es gehört mehr dazu. Dazu gehört auch,
dass Verbraucher nicht nur passiv vom Staat geschützt
werden, sondern dass sie selber Werkzeuge bzw. Instrumente in die Hand bekommen. Deshalb bringen wir ein
Verbraucherinformationsgesetz auf den Weg.
Nun werden Sie sicherlich verstehen, dass ich nicht das
Gesetz, sondern nur Eckpunkte des Gesetzes vorstelle.
Der Gesetzentwurf ist aber fertig, Herr Heinrich. Auch insofern kann ich Sie beruhigen. Normalerweise geht man
damit in die Abstimmung und nicht vor die Bundespressekonferenz. Das läuft und bewegt sich also. Ich verstehe
allerdings, dass sich die FDP, die früher einmal für Bürger- und Menschenrechte eintrat, darüber ärgert, dass sie
die Verbraucher als Rechtsträger und als Faktor in der
Wirtschaftspolitik nicht erkannt hat. Sonst hätten wir ein
solches Gesetz schon seit Jahrzehnten.
({16})
Nun kommt es aber: Wir statten den Bundesverband
Verbraucherzentrale in diesem Bereich mit mehr Geld
aus. An institutioneller Förderung werden 8,75 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Ich weiß gar nicht, was
Sie immer erzählen. Das Gespräch mit Edda Müller vor
einigen Tagen hat dazu geführt, dass wir gemeinsame Projekte planen. Dissens habe ich wenig gesehen.
Wir wollen auch über das Stichwort Verbraucherschutz
etwas für die Landwirtschaft tun. Produktion hat keinen
Selbstzweck, sondern Produktion hat immer den Zweck,
dass das betreffende Produkt von jemandem konsumiert
wird. Deshalb müssen wir auf den Verbraucher abstellen.
Daher wird auch ein respektvoller, verantwortungsvoller
Umgang mit Blick auf die Verbraucher das sein, was Zukunftsperspektiven für die Landwirtschaft schafft. Dazu
gehört aus unserer Sicht auch der respektvolle Umgang
mit Nutztieren. Dies haben wir als Erstes bei der Hennenhaltungsverordnung wahr gemacht.
Herr Heinrich, Sie tun so, als gäbe es eine Art Standortpflicht für die Legehenne. Als Sie geredet haben, haben
Sie sich irgendwie im Thema vertan. Sie hatten jahrzehntelang die Möglichkeit, mit Ihren ungeheuren wirtschaftlichen Kompetenzen dafür Sorge zu tragen, dass die
großen, zum Teil Millionen von Legehennen haltenden
Betriebe nicht abwandern. Es war zu Ihrer Zeit, als die
großen Unternehmer nach Tschechien gegangen sind, wo
sie kurz hinter der Grenze Betriebe mit bis zu 1,8 Millionen Hennen gegründet haben. Es war zu Ihrer Zeit, als
man es nicht geschafft hat, die Wirtschaft dazu zu bringen,
statt mit „Billig, billig“ für Qualität „Made in Germany“
zu werben.
({17})
In diesem Bereich steuern wir jetzt systematisch um.
Deshalb sorgen wir dafür, dass der Umgang mit den Legehennen in dieser Art und Weise ein Ende findet. Ich
weiß nicht, wie es Ihnen geht. Ich bin christlich erzogen.
({18})
Deshalb gibt es für mich einen Punkt, an dem ich sage: Da
hört es auf! Da ist ein Umgang mit dem Mitgeschöpf Tier
nicht mehr zu verantworten.
({19})
Diese Umgestaltung verbinden wir mit einer finanziellen
Absicherung. Deshalb haben wir das „Bundesprogramm
tiergerechte Haltungsverfahren“ aufgelegt, mit dem wir
über die Landwirtschaftliche Rentenbank günstige Kredite installieren. Selbst der Deutsche Bauernverband hat
erkannt, dass darin für die bäuerliche Landwirtschaft ungeheure Chancen liegen.
Im Bereich Qualitätssicherung über das Prüfsiegel
„QS“ oder auch im Bereich Biosiegel haben wir es endlich
geschafft, die Landwirtschaft mit der verarbeitenden Industrie und mit dem Lebensmitteleinzelhandel zu verbinden.
({20})
Wir haben geschafft, was viele vorher nicht geschafft haben, dass sich nämlich der gesamte Lebensmitteleinzelhandel und die Lebensmittelindustrie an den Biosiegeln
beteiligen.
({21})
Wir werden es auch schaffen das Niveau der EG-ÖkoVerordnung weiter zu erhöhen. Das Memorandum dazu
ist längst auf dem Weg nach Brüssel -,
Ich habe mich gefragt, warum dieses Ministerium, das
eigentlich für Ernährung zuständig ist, es über Jahrzehnte
hinweg nicht geschafft hat, die Wirtschaft im Ernährungsbereich mit den Produzenten, also mit den Landwirten,
zusammenzubringen. Als ich das erfuhr, war ich wirklich
fassungslos. Wir haben sie zusammengebracht.
({22})
Es wird zu beiderseitigem Nutzen sein, und zwar für Jobs
in der Landwirtschaft und für Arbeitsplätze in der Lebensmittel verarbeitenden Industrie, sodass sich am Ende
auch die Gewerkschaften darüber freuen können.
Für diejenigen, die den internationalen Zusammenhang noch nicht erkannt haben, werde ich erklären,
warum das Prüfsiegel „QS“ im konventionellen Bereich
kein staatliches, sondern ein privates sein wird. Ich weiß
nicht, ob Sie sich in diesem Zusammenhang schon einmal
mit der WTO und mit dem Problem der Handelsbarrieren
beschäftigt haben.
({23})
Ein staatliches Siegel wäre an dieser Stelle nicht WTOkonform und innerhalb kürzester Zeit hinfällig. Wir haben
im Rahmen des magischen Sechsecks alle Beteiligten zusammengebracht. Wir diskutieren noch über die Kriterien; gerade heute fand dazu eine Debatte statt.
({24})
Das Ergebnis unserer Arbeit ist: Wir haben endlich alle,
und zwar vom Stall bis zur Ladentheke, zusammengebracht. Wir haben die Zukunft für die Landwirtschaft gesichert und Arbeitsplätze im verarbeitenden Bereich geschaffen.
({25})
Wir werden den ländlichen Raum so stärken, dass alle auf
dem Land eine Zukunft haben.
Man kann eines sagen: Die neue Verbraucher- und
Agrarpolitik findet zwischen den Polen WTO-Verhandlungen, EU-Erweiterung und Verbraucherinteressen statt.
Dabei geht es darum, den Tierschutz, den Umweltschutz
und die Chancen der ärmeren Länder, die der Entwicklungsländer, zu verbessern. Damit schaffen wir eines: Wir
organisieren die Zukunft der Landwirtschaft unter Wahrung der Verbraucherinteressen. Genau das finden Sie im
Haushaltsentwurf 2002 wieder.
({26})
Zu einer Kurzintervention erhält zunächst der Kollege Heinrich und
dann der Kollege Hollerith das Wort. Bitte.
Verehrte Frau Ministerin, eigentlich wollte ich nur eine Zwischenfrage stellen. Die
haben Sie aber leider nicht zugelassen.
Sie haben den Eindruck erweckt, als wären wir gegen
Möglichkeiten, Ökoprodukte zusätzlich auf den Markt zu
bringen. Genau das Gegenteil ist der Fall: Wir sind selbstverständlich dafür, so viel wie möglich zu tun. Wir halten
es nur für einen gravierenden Fehler, dass Sie Ihre Politik
ausschließlich an den Ökobetrieben ausrichten und alle
anderen Betriebe, die im internationalen Wettbewerb bestehen müssen, in einer Art und Weise benachteiligen,
dass sie im Wettbewerb nicht mehr bestehen können.
({0})
Lassen Sie mich noch etwas zum Verbraucherinformationsgesetz sagen. Wenn der Gesetzentwurf wirklich fertig ist, warum haben Sie ihn dann nicht vorgelegt? Es ist
Ihnen doch freigestellt, einen fertigen Gesetzentwurf
vorzulegen, sodass wir darüber ordnungsgemäß diskutieren können. Sie haben stattdessen nur ganz vage Eckpunkte benannt, ohne Inhalte anzusprechen, und lassen
alles andere beiseite, in der Hoffnung, dass der Gesetzentwurf, wenn Sie ihn erst im nächsten Frühjahr vorlegen,
nicht mehr verabschiedet wird, weil er dann nicht mehr
die parlamentarischen Hürden des Bundestages und des
Bundesrates nimmt.
({1})
Nun zur Bedarfsdeckung bei den Eiern. Mit dem von
Ihnen Gesagten haben Sie gezeigt, dass Sie die Konsequenzen Ihres Handelns überhaupt noch nicht begriffen
haben. Denn mit dem, was Sie unternommen haben, wird
es zu verfassungsrechtlichen Urteilen dahin gehend kommen, dass Sie dies so, wie von Ihnen geplant, nicht umsetzen können. Darauf können Sie sich gefasst machen.
Den Vertrauensschutz, den jeder Unternehmer, der investiert, haben muss, missbrauchen Sie. Sie werden eine entsprechende Klage vor dem Verfassungsgericht verlieren
und werden eine entsprechende Entschädigung an die Betroffenen zahlen müssen. Das ist so sicher wie das Amen
in der Kirche. Für Betriebe, die 1999, 2000 und auch noch
in diesem Jahr investiert haben und denen jetzt die Möglichkeit genommen wird, auch nach 2006 noch mit diesen
Einrichtungen produzieren zu dürfen, bedeutet das einen
Eingriff in ihr Eigentum. Da wird es in Ihrem Hause noch
gewaltig rumpeln.
Herzlichen Dank.
({2})
Insgesamt
möchte ich auf Folgendes hinweisen: Kurzinterventionen
sind nicht dazu da, dass die Kollegen, die schon eine Rede
gehalten haben, in derselben Debatte einen weiteren
Redebeitrag leisten. Das im Rahmen der Kurzintervention
Gesagte muss sich schon konkret auf die Vorredner beziehen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Hollerith.
Frau Präsidentin, ich
nehme dies zur Kenntnis. Ich möchte jedoch der Ministerin antworten, nachdem sie in ihrer Rede im Zusammenhang mit der Ökosteuer meinen Namen genannt hat.
Ich stelle fest, dass die rot-grüne Mehrheit bzw. die Bundesregierung die Ökosteuer auch auf regenerative Energien
erhebt und damit pro Jahr rund 600 Millionen DM einnimmt. Jetzt ist sie dabei, von diesen Einnahmen aus der
auf regenerative Energien erhobenen Steuer 400 Millionen DM für die Förderung dieser Maßnahmen wieder
zur Verfügung zu stellen. Dies ist einer der vielen Grundwidersprüche dieser rot-grünen Mehrheit.
({0})
Jetzt bekommt
die Ministerin Gelegenheit, auf beide Kurzinterventionen
zu antworten.
Herr Hollerith,
der Unterschied in der Förderung regenerativer Energien liegt darin, dass die alte Regierung 18 Millionen DM
und die neue Regierung 540 Millionen DM dafür ausgegeben hat. Das ist ein beachtlicher Unterschied.
Ich nehme meine Behauptung, Sie würden die Ökosteuer komplett unterstützen, zurück. Ich stelle fest, dass
Sie die Ökosteuer nur insoweit unterstützen, als dass wir
sie bei der Förderung von regenerativen Energien einsetzen. Das ist aber schon etwas. Damit robben wir uns langsam an eine Komplettzustimmung heran.
({0})
Herrn Heinrich muss ich sagen: Es ist immer schön,
wenn mir jemand unterstellt, ich würde mich nur um
„Öko“ kümmern. Mittlerweile muss ich aber zum Thema
ökologischer Landbau nichts mehr sagen, weil sich alle
anderen an diesem Thema festgebissen haben.
Weiterhin sage ich: Ich bin für 100 Prozent der Landwirtschaft zuständig. Wir kümmern uns auch um die Zukunft der gesamten Landwirtschaft. Natürlich will ich die
Gewichtungen verändern. Ich erlebe, dass bis in den
Deutschen Bauernverband hinein viele auf die Umstellungsmöglichkeit „Öko“ aufspringen. In so mancher
Landwirtschaftskammer, wo es früher 20 Umstellungsberatungen gab, können wir erleben, dass dort jetzt 200 bis
300 Beratungen für die Umstellung auf den ökologischen
Landbau für konventionelle Bauern stattfinden.
({1})
Wir haben einen viel versprechenden Marktbereich entdeckt und entwickelt.
({2})
Ich merke, dass die Landjugend rechnet und erkennt, dass
es ein guter Absatzmarkt ist.
Bezüglich der Legehennen muss ich Sie kurz auf zwei
Punkte hinweisen. Die Geschichte des Verbraucherinformationsgesetzes wird genauso verlaufen wie die der Hennenhaltungsverordnung: Es hat niemand daran geglaubt,
dass sie kommt; dann kam sie doch. Ich darf Ihnen hinsichtlich des Themas Hennenhaltungsverordnung weiterhin sagen, dass wir diese auch extern verfassungsrechtlich
geprüft haben. Die Verordnung ist gemäß dieser Prüfung
nicht zu beanstanden. Ich nehme allerdings aufgrund Ihrer langen Ausführungen mit Interesse zur Kenntnis, Herr
Heinrich, dass Sie lieber Legehennen in Käfigen sehen.
({3})
Das Wort hat
jetzt der Herr Abgeordnete Lippold.
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine generelle Vorbemerkung. Aus meiner Sicht geht die Bedeutung der Landwirtschaft weit über die volkswirtschaftlichen Kennzahlen hinaus:
({0})
500 000 gut wirtschaftende Betriebe und 1 Million Beschäftigte. Wenn man die Beschäftigten in der Ernährungswirtschaft mit hinzu nimmt, die auf der Basis dieser
Landwirtschaft in Deutschland arbeiten, sind das 4 Millionen Beschäftigte.
({1})
Lassen Sie mich hinzufügen: Im Bereich des Umweltschutzes, in dem wir viel gearbeitet haben, ist diese deutsche Landwirtschaft generell wesentlich weiter als alle
Landwirtschaften in Europa und erst recht weltweit. Was
diese deutsche Landwirtschaft im Bereich Umweltschutz
tut, mag nicht hundertprozentig perfekt sein. Aber wir liegen weit vor allen anderen. Wir haben daher wesentlich
höhere Kosten, was uns wettbewerbsmäßig ungeheuer
stark beeinträchtigt, weil die anderen diese Kosten des
Umweltschutzes, die die deutsche Landwirtschaft trägt,
nicht zu tragen haben.
({2})
Ich sage das, um der Legendenbildung in diesem Fall
vorzubeugen. Denn, Frau Ministerin: So, wie Sie es im
Greenpeace-Interview getan haben, kann man mit dem
Bauern nicht umgehen. Dort haben Sie gesagt, das die
Bauern für den Umweltschutz Geld bekommen, aber immer weiter zu viel Gülle auf das Feld kippen und Pestizide
spritzen. Also weiter im Trippelschritt. Wörtlich sagten
Sie:
In Deutschland stecken wir jährlich 27 Milliarden DM an Steuern in die Landwirtschaft. Und dafür
belasten viele Bauern die Böden und das Grundwasser durch Pestizide und die Gülle aus der Intensivtierhaltung. Sie füttern ihr Vieh mit Soja aus Brasilien, wo dafür der Urwald abgeholzt wird.
({3})
Wer die Situation so einseitig darstellt, Frau Ministerin
Künast, verwirkt ganz einfach das Recht, zu sagen, er vertrete 100 Prozent der Landwirtschaft. Sie nicht!
({4})
Ich sage ganz deutlich: Die Agrarwende, die Sie eingeleitet haben wollen, ist ein Weg in die falsche Richtung.
Wir haben Aussagen von Wissenschaftlern, die deutlich
machen, dass BSE-Krise und Lebensmittelverschmutzung nichts mit der Form der konventionellen, umweltorientierten Landwirtschaft zu tun haben und keine Frage
der Betriebsgröße sind. Das alles ignorieren Sie ganz souverän. Das kann nicht angehen, Frau Ministerin.
Erstaunlich ist doch - das müssen wir hier einmal aufarbeiten -, dass Ihre sozialdemokratischen Freunde und
Kollegen ein Jahr vor der Wahl entdecken, dass das offensichtlich nicht opportun ist, und dass Landwirtschaftsminister der SPD unter Federführung des SPD-Generalsekretärs erkennen, dass diese Ökowende falsch ist
({5})
und man sich von ihr sowie von dieser Ministerin distanzieren muss, damit man nicht nur von 3 Prozent, sondern
von 97 Prozent der Landwirte gewählt wird.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei einem Teil Ihrer
Wortbeiträge ist heute deutlich geworden, dass Sie nicht
einmal mitbekommen haben, dass Ihre Vorturner schon
eine Rückwende in die alte Agrarpolitik vorgenommen
haben, während Sie noch die Wende in die neue Agrarpolitik befürworten. Machen Sie sich doch erst einmal kundig, was Ihre Wahlkampfopportunisten betreiben, bevor
Sie uns glauben machen, noch auf der richtigen Seite zu
sein. So geht es doch nicht!
({7})
In diesem Zusammenhang spreche ich natürlich ganz
offen den Verdacht aus, dass Sie das nicht aus Überzeugung tun, sondern deswegen, weil Sie in der Vergangenheit festgestellt haben, dass die klare, durch nichts beeinträchtigte Haltung der Union eine andere Wirkung zeitigt.
Um noch auf den fahrenden Zug zu springen, laufen Sie
uns jetzt hinterher - nicht aus Überzeugung, sondern aus
reinem Wahlkampfopportunismus.
Erstaunlich ist ebenfalls, dass Ihre Landwirtschaftsminister auf einmal den Begriff der Agrarfabrik als
„Kampfvokabel“ bezeichnen. Wer hat eigentlich in diesem Hause diese Kampfvokabel eingeführt? Das war Ihr
Bundeskanzler. Jetzt aber erklären seine Minister, sie
könnten diese Kampfvokabel nicht gebrauchen, sie werde
der Landwirtschaft und den in ihr arbeitenden Menschen
nicht gerecht und habe mit der BSE-Krise nichts zu tun.
Nein, so geht es wirklich nicht! Nehmen Sie hier und
heute das Wort von den Agrarfabriken zurück und sagen
Sie, dass sich der Kanzler - wie so oft - geirrt habe. Dann
ist es gut. Sonst aber können wir das nicht so im Raume
stehen lassen.
Früher haben Sie nationale Alleingänge gemacht.
Nachdem ich Sie darauf hingewiesen habe, dass sie nicht
sinnvoll seien, weil sie die Wettbewerbsfähigkeit der
deutschen Landwirtschaft beeinträchtigten, haben Sie mir
vorgeworfen, ich verstünde die neue Wende nicht und
ließe mich nicht genug auf Umweltschutz ein. Was sagen
Ihre Agrarminister jetzt? Man könne das alles nur machen, wenn die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Landwirtschaft erhalten bleibe. Recht haben sie; aber es
ist Heuchelei und Wahlkampfopportunismus, während es
bei uns eine ganz klare Linie war, die wir über lange Zeit
vertreten haben.
({8})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie
nun im Leitantrag der SPD zur grünen Gentechnik davon sprechen, dass man einen großflächigen Anbau von
gentechnisch veränderten Pflanzen wolle, dann wundere
ich mich schon.
({9})
Dr. Klaus W. Lippold ({10})
Das haben wir hier schon anders gehört. Auch hier kommt
jetzt zum Ausdruck, dass Sie sich von Ihrer alten Haltung
distanzieren.
Frau Künast, ich muss auch folgenden Sachverhalt hier
noch einmal festhalten: Sie sind ja mit viel Scheinelan in
Ihr Amt gestartet. In jeder Veranstaltung haben Sie markige Worte für das gefunden, was Sie alles verändern wollen. Geblieben ist davon, Frau Ministerin, nichts. Bei
Tiermehl und Tierfetten wollten Sie gegen die EU anrennen. Die EU ist stehen geblieben und Sie sind mit einer
Beule zurückgekommen. Das hat natürlich dazu geführt,
dass die Glaubwürdigkeit Ihrer Politik in diesem Land
unendlich gelitten hat. Wir haben keine vernünftige und
stetige Verbraucherschutzpolitik und auch keine vernünftige und stetige Landwirtschaftspolitik gehabt, weil Sie
mit Ankündigungen und nicht mit Inhalten gearbeitet
haben.
({11})
Das letzte Beispiel haben Sie gerade eben geliefert. Ich
habe nie eine schwächere Ausrede als das gehört, was Sie
zu den Eckpunkten des Informationsgesetzes gesagt haben. Verehrte Frau Ministerin, wer das Gesetz fertig in der
Schublade hat, stellt das Gesetz und nicht ein paar
schwächliche Eckpunkte vor und hätte zumindest die Abstimmung mit den anderen Ressorts hinter sich gebracht.
All dies ist ganz offensichtlich nicht erfolgt. Sie haben
praktisch zugegeben, dass Sie über neun Monate lang
nichts gemacht haben und wollen jetzt eine Aktivität vortäuschen. Aber der Kollege Heinrich und ich lassen Ihnen
das nicht durchgehen. Hier wird nichts vorgetäuscht. Entweder wird konkret gehandelt oder wir sagen Ihnen, dass
Sie Handlungen nur vortäuschen. Das hilft uns aber nicht
weiter.
({12})
Ich will in aller Deutlichkeit hinzufügen: Mit diesem
Informationsgesetz werfen sie gleich wieder eine Fülle
von Fragen auf. Sie werden sicherlich mit Herrn Müller
noch diskutieren müssen, ob Sie - gegenüber wirtschaftenden Betrieben tun Sie dies - einfach Verdächtigungen
in den Raum stellen und die Verdachtsschwelle absenken
können. Das möchte ich mit Fug und Recht infrage stellen. Sie können natürlich davon ausgehen, dass der Kollege Müller als Wirtschaftsminister nichts mehr zu sagen
hat. Er wird also kritisieren, diese Kritik aber nicht durchsetzen können. Darauf können Sie sich unter Umständen
verlassen. Trotzdem wird dieser Nachteil für die Wirtschaft und die wirtschaftenden Betriebe natürlich bestehen bleiben. Das müssen wir ganz deutlich ansprechen.
Früher haben Sie davon gesprochen, dass Sie die Aufgaben, die sich unter anderem aus Ihren Kompetenzen der
Verbraucherschutzgesetzgebung ergeben, in Ihrem
Hause bündeln wollen. Ich entnehme der Presse, dass Sie
davon Abstand genommen haben. Weitestgehende Bereiche bleiben in anderen Ministerien. Wie das koordiniert
werden soll, lassen Sie offen.
({13})
Jedenfalls kann aufgrund der bisherigen Vorlagen nicht
angenommen werden, dass Sie zu einer in sich geschlossenen Konzeption finden oder eine solche vorstellen werden. Ich sage das so deutlich, weil das bedauerlich ist. In
diesem Bereich haben wir wesentlich mehr von Ihnen erwartet.
Frau Ministerin, ein ganz wesentlicher Punkt ist, dass
Sie beim Gesundheitsschutz genauso wenig geleistet haben. Bereits zu Anfang habe ich erwähnt, dass Sie sich in
der EU entgegen Ihren Ankündigungen nicht durchgesetzt haben. Nach wie vor können verunreinigte Lebensmittel in der Bundesrepublik Deutschland auf den Markt
kommen, weil es in der EU keine einheitliche Regelung
gibt. Deshalb sind die Verbraucher in der Bundesrepublik
nicht so geschützt, wie wir es aufgrund unserer Vorstellung von vorbeugendem Gesundheitsschutz gern hätten.
({14})
Sie haben eine Fehlinformation gegeben; denn Sie haben
diesen Schutz nicht herbeigeführt. Frau Ministerin, es
nützt nichts, dass Sie sagen, dass in der Bundesrepublik
Deutschland etwas gemacht wird, während dies gleichzeitig in Europa nicht der Fall ist. Früher gab es im Gegensatz zu heute keinen Binnenmarkt. Unsere Verbraucher sind nicht in dem Maße gesundheitlich geschützt,
wie Sie es gesagt haben, wenn es möglich ist, dass Produkte, die unseren Anforderungen nicht entsprechen, aufgrund des Binnenmarkts nach Deutschland kommen.
({15})
Es gibt eigentlich nur einen Punkt, auf den man deutlich zu sprechen kommen muss: Neben der Tatsache, dass
Sie Handlungen angekündigt, aber nicht durchgesetzt haben, muss auch erwähnt werden, dass Sie die Kriterien,
nach denen Sie urteilen, einfach herabsetzen, wenn Sie erkennen, dass das eine oder andere eben nicht durchgesetzt
werden kann.
Ein Beispiel dafür ist das Ökosiegel. Erst haben Sie
große Töne gespuckt. Dann haben Sie festgestellt, dass
Sie das nicht durchsetzen können. Danach wurden die
Kriterien dieses Ökosiegels deutlich abgesenkt. Es stellt
jetzt keine höheren Anforderungen mehr als das Siegel,
das es in der EU bereits gibt. Natürlich können Sie alle
Produkte zu Ökoprodukten machen, wenn Sie die Kriterien entsprechend absenken. Dadurch erreichen Sie sogar
über 20 Prozent. Frau Ministerin, inhaltlich ändert das
aber überhaupt nichts.
Deshalb bin ich dafür, dass wir von dieser Sprechblasenpolitik wegkommen. Ich bin auch dafür, dass sich die
SPD offen und ehrlich inhaltlich von Ihnen trennt. Das
würde natürlich auch bedeuten, dass ein anderer auf Ihrem
Stuhl Platz nimmt. Der Letzte, der Landwirtschaftspolitik
in diesem Hause gemacht hat, ist so davongeschlagen
worden, dass die Funken nur so gestoben haben. Das ist
doch der Punkt.
({16})
Dr. Klaus W. Lippold ({17})
Er hat damals gesagt, dass die Anforderungen niedrig
gehalten werden sollen. Danach ist er abgemeiert worden.
Dann kamen Sie mit den flotten Sprüchen. Jetzt ist es an
der Zeit, dass die flotten Sprüche gehen und die soliden
Leute, die aus diesem Ministerium wirklich etwas machen, kommen. Der Verbraucher in der Bundesrepublik
hat es verdient.
Herzlichen Dank.
({18})
Bevor ich den
nächsten Redner aufrufe, möchte ich Ihnen - vielleicht
haben das einige nicht mitbekommen - nur noch einmal
sagen, dass statt der ursprünglich angekündigten namentlichen Abstimmung eine einfache Abstimmung durchgeführt wird.
Als letzter Redner vor der Abstimmung hat jetzt der
Abgeordnete Heino Wiese das Wort.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zunächst einmal
möchte ich ein paar Dinge richtig stellen. Eine ganze
Reihe dessen, was Herr Lippold eben erzählt hat, ist zu
korrigieren.
Erstens. Wenn Sie den Beschluss des Parteitages der
SPD richtig gelesen hätten, hätten Sie das Wort
„großflächiger Anbau“ nicht gefunden. So, wie Sie es darstellen, ist es einfach falsch. Es steht nicht in unserem Beschluss.
({0})
Zweitens. Sie erzählen - ich gehöre zufällig der Kommission an, die dieses Programm mit entwickelt hat -,
Herr Müntefering habe gesagt, wir kritisierten die Politik
der Regierung und brauchten ein eigenes Programm. Das
ist falsch. Ich will einmal sagen, wie das bei Ihnen aussieht: Sie haben zwei Lager; in dem einen Lager sind diejenigen, die Frau Merkel folgen, in dem anderen Lager
diejenigen, die Herrn Stoiber folgen. Sie wollen doch
auch eigene Profile in allen Bereichen der Partei entwickeln. So wollen wir in der Regierung auch eigene Profile entwickeln.
({1})
Wir wollen ein sozialdemokratisches Profil in die Agrarpolitik der Regierung einbringen.
({2})
Wenn ich höre, dass Sie etwas gegen die Agrarwende
haben, dann ist das für mich ganz normal. Wenn Sie nichts
dagegen hätten, dann würden wir irgendetwas falsch machen; dann würden wir nämlich das weitermachen, was
Sie vorher gemacht haben.
({3})
Sie sagten eben im Zusammenhang mit dem Risikomaterial, wir würden nicht genügend beim vorsorgenden Verbraucherschutz tun. Vor einem halben Jahr sind wir hier
noch verprügelt worden, weil wir bei den Risikomaterialien
überreagieren würden. Heute sagen Sie, wir täten zu wenig.
Für irgendetwas müssen Sie sich schon entscheiden.
({4})
- Es tut mir sehr Leid, Herr Carstensen. Wenn Ihre Fraktion Sie nicht als Redner für den heutigen Tag aufgestellt
hat, dann werde auch ich Ihnen jetzt nicht eine Plattform
bieten.
({5})
Jeder Haushalt steht unter zwei Prämissen: das, was
man will, und das, was man kann.
({6})
- So ähnlich ist es. - Die Opposition hat es da leicht: Sie
muss nur sagen, was sie will. Für das, was man kann, sind
wir schließlich da.
({7})
Wenn aber von der Opposition gesagt wird, wir täten
nicht genügend für die Landwirtschaft, so kann ich dem
nur entgegenhalten: In Ihrer Regierungszeit wurden in
den Jahren von 1994 bis 1998 die Ausgaben im Einzelplan 10 um 13,4 Prozent gesenkt. Wir haben für 2002
- wenn man die fehlenden Einnahmen aus dem Agrardiesel einrechnet - die gleiche Summe zur Verfügung, die Sie
1998 in den Haushalt eingestellt haben,
({8})
und das trotz unserer Sparmaßnahmen. Warum wir eine
solche Sparpolitik machen müssen, das wissen Sie alle
auch: Wir haben nämlich 1,5 Billionen DM Schulden geerbt. Jetzt müssen wir dagegenhalten und einen Sparhaushalt fahren. Trotzdem haben wir die Gesamtausgaben
im Vergleich zu 1998 real nicht gesenkt.
Wenn man die EU-Marktordnungsausgaben dazurechnet, dann kommt man auf einen Betrag von rund 24 Milliarden DM, der 2002 in die deutsche Landwirtschaft
fließt.
({9})
- Das ist nicht wahr? Warum? Sind es etwa 27 Milliarden DM?
Dr. Klaus W. Lippold ({10})
({11})
- Natürlich stimmt das. Es fließen also 24 Milliarden DM
in die deutsche Landwirtschaft. Ich finde, das ist ein stolzer Betrag. Darin sind die Ausgaben der Bundesländer
noch gar nicht eingerechnet.
Von Ihnen in der Opposition wird immer behauptet
- das haben Sie auch schon zu Zeiten von Karl-Heinz
Funke gesagt -, durch unsere Politik würde das große Höfesterben in Deutschland verursacht. In der Zeit der Regierung Kohl gab es 1984 in der damaligen Bundesrepublik noch 436 000 Haupterwerbslandwirte. 1997 waren es
noch 210 000. Allerdings waren inzwischen einige tausend Betriebe durch die Wiedervereinigung hinzugekommen. Das heißt, in 13 Jahren Ihrer Regierung hat sich die
Zahl der Landwirte mehr als halbiert, und das, obwohl Sie
immer die Wahrung der bäuerlichen Landwirtschaft im
Munde führen. Sie sollten diesbezüglich keine große
Lippe mehr riskieren, finde ich.
({12})
Insgesamt gibt es in Deutschland inklusive der Nebenerwerbslandwirte 440 000 Höfe. Wenn ich jetzt einfach
die 24 Milliarden DM auf die 440 000 Höfe verteilen
würde, dann bedeutete das durchschnittlich rund
55 000 DM an öffentlichen Geldern pro Hof, und zwar
egal, ob groß oder klein. Verteilt auf die Haupterwerbsbetriebe wären das über 100 000 DM pro Betrieb. Wenn wir
also so viel an Steuergeldern für die Landwirtschaft ausgeben und es den Landwirten noch immer schlecht geht,
muss es einen Systemfehler geben.
({13})
Allein aus diesen Gründen war die Agrarwende notwendig.
({14})
Erlauben Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Carstensen?
Nein. - Es ist idiotisch, eine Prämie für Futtermais zu zahlen, diesen dann
in der Bullenmast zu verfüttern, um dann wieder Prämien
zu zahlen, damit das Rindfleisch in einem so genannten
Marktentlastungsprogramm vernichtet wird. Dafür sind
Steuergelder zu schade.
({0})
Es ist eben ein Irrweg, durch Zuschüsse immer intensiver
zu produzieren, um dann die Produkte mit Steuergeldern
zu vernichten. Ich kann aber jeden Bauern verstehen, der
aus betriebswirtschaftlichen Gründen bei diesem System
mitmacht.
({1})
Aber Steuergelder sollen dazu dienen, zu steuern, und
nicht dazu, Ressourcen zu vernichten.
({2})
Was heißt in diesem Zusammenhang Agrarwende?
Mir ist es wichtiger, aus der zweiten Säule der Agrarpolitik Gelder für die Erhaltung eines Dorfladens auszugeben,
als die Überproduktion in der Landwirtschaft zu finanzieren. Mir ist es wichtiger, Gelder für den Vertragsnaturschutz auszugeben, als noch größere Produktivität zu subventionieren.
({3})
- Ich habe es schon einmal gesagt: Wenn Sie sich so ärgern, müssen wir etwas richtig machen.
({4})
In diesem Zusammenhang ist der Einstieg in die Modulation wichtig. Wir sollten das Geld viel stärker für
eine Verbesserung der Infrastruktur im ländlichen Raum
und für den Schutz der Kulturlandschaften ausgeben. Der
ländliche Raum muss lebenswert bleiben. Die landwirtschaftliche Produktion muss sich künftig viel stärker über
den Markt regeln. Ich glaube auch, dass das geht. Viele
junge, gut ausgebildete und engagierte Landwirte würden
gern auf die Zuschüsse verzichten, wenn sie dadurch nicht
Wettbewerbsnachteilen ausgesetzt wären.
({5})
Ich glaube, dass wir im Hinblick auf die Agenda 2007
noch sehr viel darüber nachdenken müssen, wie wir unsere Landwirtschaft zukunftssicher machen und das Leben auf dem Land attraktiver gestalten können.
({6})
Dafür wäre es sehr hilfreich, wenn die Verbände, insbesondere der Bauernverband, nicht nur Blockadepolitik
und Besitzstandswahrung propagierten, sondern ihren
Sachverstand konstruktiv in eine Zukunftsplanung einbringen würden.
({7})
Ein wichtiges Instrument, um neue Ideen zu sammeln
und in der Praxis zu erproben, sind die für das nächste Jahr
geplanten Modellregionen. Die 25 Millionen Euro, die
im Haushalt dafür vorgesehen sind, sind gut angelegt. Wie
wir feststellen, ist das Angebot sehr gut angenommen
worden. Die große Zahl von Bewerbungen lässt darauf
hoffen, dass wir viele neue Ansätze zur Entwicklung der
ländlichen Räume erwarten können.
Wir werden all diese Erfahrungen nutzen müssen, um
die Agrarwende im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher und im Sinne der Menschen im ländlichen Raum
umzusetzen. Wer aber glaubt, dies ließe sich in ein paar
Monaten bewerkstelligen, der irrt sich. Als Willy Brandt
Heino Wiese ({8})
1961 sagte, er wolle dafür arbeiten, dass der Himmel über
der Ruhr wieder blau werden solle, haben ihn die Verbände und die anderen Parteien für verrückt erklärt.
Heute, 40 Jahre später, wissen wir alle: Es ist gelungen.
({9})
Es hat aber viel Energie und Geld gekostet. Vor einer
ähnlich großen Herausforderung stehen wir auch heute.
Mit dem Haushalt 2002 haben wir den ersten kleinen
Schritt gemacht.
Danke schön.
({10})
Ich danke auch
und schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen zu Einzelplan 10,
und zwar zunächst zu den Änderungsanträgen. Wie gesagt: Statt der angekündigten namentliche Abstimmung
gibt es eine ganz normale Abstimmung.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/7585. Wer stimmt
dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der gesamten Opposition abgelehnt
worden.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/7586. Wer stimmt
dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition abgelehnt worden.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 14/7658. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP
abgelehnt worden.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der FDP, Drucksache 14/7659. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS
gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der
CDU/CSU abgelehnt worden.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 14/7660. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP
abgelehnt worden.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 14/7661. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der PDS gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung
der CDU/CSU abgelehnt worden.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/7674. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die
PDS, die zugestimmt hat, abgelehnt worden.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Einzelplan 10 in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Der
Einzelplan 10 ist mit den Stimmen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU, FDP und PDS angenommen worden.
({0})
Ich rufe den Punkt I. 27 auf:
Einzelplan 15
Bundesministerium für Gesundheit
- Drucksachen 14/7314, 14/7321 Berichterstattung:
Abgeordnete Walter Schöler
Franziska Eichstädt-Bohlig
Jürgen Koppelin
Dr. Barbara Höll
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Michael Luther.
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor einem Jahr
haben wir den Haushalt 2001 der damaligen Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer beraten. Sie musste
gehen. Sie ist über die BSE-Krise gestolpert. Ich glaube
aber, dass dem Kanzler dieser Anlass ganz recht war; denn
eigentlich ging es um etwas anderes: Frau Fischer ist an
ihrer Gesundheitspolitik gescheitert.
({0})
Sie steuerte das deutsche Gesundheitssystem in ein
Chaos. Ärzte, Patienten, Krankenhäuser standen deutschlandweit Kopf. Das passte unserem Medienkanzler natürlich nicht. Festzustellen ist: Frau Fischer führte das deutsche Gesundheitssystem an den Rand des Abgrunds.
Heute sind wir einen Schritt weiter.
({1})
Seit knapp einem Jahr heißt die Gesundheitsministerin
Ulla Schmidt. Was ist anders? Was ist besser geworden?
Eines ist sicher: Über den gesundheitlichen Verbraucherschutz kann sie nicht mehr stolpern; denn dieses Ressort
ist ausgelagert worden. Frau Schmidt hat in Anbetracht
der Ursache der Aufregung gehandelt. Sie hat nämlich
Heino Wiese ({2})
zuerst versucht, Ärzte und Patienten zu beruhigen. Das ist
ihr zum Beispiel mit der Aufhebung des Arznei- und
Heilmittelbudgets ein Stück weit gelungen. Das ist aber
eine reine Beruhigungsmaßnahme, mit der das Ziel verfolgt wird, über die Bundestagswahl 2002 zu kommen.
Die Folgen dieser Politik sind schon heute zu spüren:
Es gibt eine Kostenexplosion und die Beitragssätze in der
gesetzlichen Krankenversicherung steigen. Die angestrebte kurzfristige Frontberuhigung schafft nachhaltige
Probleme für das Gesundheitssystem. Defizite sind die
Folge. Es besteht die Gefahr einer Zweiklassenmedizin.
Das Schlimmste ist: Damit ist die Chance, die eigentlich
hätte genutzt werden sollen, verpasst worden, eine Gesundheitsreform durchzuführen, die ihren Namen auch
verdient.
Wir brauchen im Interesse von Ärzten, Patienten, Arbeitnehmern und Arbeitgebern sowie im Sinne der Sicherung unseres Gesundheitswesens und für die soziale
Marktwirtschaft eine wirkliche Gesundheitsreform.
Eine solche Reform hat uns Ulla Schmidt bislang verweigert.
({3})
Vielleicht - ich möchte das nicht unterstellen - kann sie
es auch nicht. Einen Beleg für das Versagen der Ministerin habe ich im Bundeshaushalt gefunden, und zwar bei
dem Ansatz für die Öffentlichkeitsarbeit. Er hat einen
Aufwuchs um 4 Prozent erfahren. Die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit dienen im Allgemeinen dazu, dass man
etwas Neues bekannt macht. Aber wenn man keine Gesundheitsreform durchführt, dann braucht man auch keine
Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit. Ich kann Herrn Eichel
also vorschlagen: Hier können Sie einsparen. Denn - ich
sage das ganz klar - Stillstand muss man nicht öffentlich
vermitteln.
({4})
Um eventuellen Fehlentwicklungen vorzubeugen,
sollte man vielleicht den Bundesrechnungshof auffordern, aufzupassen, dass nicht etwa der Wahlkampf über
den Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums finanziert wird. Der Wahlkampf muss nämlich von den Parteien finanziert werden.
Lassen Sie mich zu den Eckdaten des Haushaltes
des Bundesgesundheitsministeriums kommen. 2001 umfasste der Haushalt ein Volumen von 907 Millionen Euro.
2002 sind es 1 389 Millionen Euro. Dieser Zuwachs lässt
sich allerdings allein durch den Zuschuss an die Pflegekassen - es handelt sich um 562 Millionen Euro - begründen, der schon seit langem vereinbart ist. Wenn man
das berücksichtigt, dann stellt man fest, dass es einen
Rückgang von 9 Prozent gibt. Ich habe mir die Frage gestellt, wie sich diese minus 9 Prozent im Haushalt auswirken. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen: Bei den Programmausgaben, also dort, wo die Ministerin gestalten
kann - das betrifft zum Beispiel die Mittel für die Drogenaufklärung sowie für die Behandlung von Aids- und
Krebskranken, chronisch Kranken, Behinderten, Pflegebedürftigen und psychisch Kranken -, geht der Haushalt
insgesamt um 12 Prozent zurück, während er bei den
Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit, wie gesagt, ein
Plus von 4 Prozent aufweist.
Ich habe im Finanzbericht 2002 insbesondere das gelesen, was dort über die Ausgaben des Bundes und das
Gesundheitswesen steht. Es werden in diesem Bericht
- richtigerweise - zwei Themen in den Vordergrund gestellt. Das erste Thema, dem der meiste Platz eingeräumt
wird, ist das Thema Aids. Festgestellt wird, dass Aids
nach wie vor nicht heilbar ist. Momentan sind nur lebensverlängernde Maßnahmen für Aidskranke möglich. Das
Robert-Koch-Institut attestiert, dass es jährlich etwa
2 000 HIV-Neuinfektionen gibt. Deshalb - das wird auch
in dem Finanzbericht festgestellt - muss dieses Thema
Schwerpunkt bleiben, und zwar sowohl bei der Forschung
als auch bei der Aufklärung. Wir, die Union, haben versucht, hier einen Schwerpunkt zu setzen. Sie haben das
letztendlich abgelehnt. So muss ich feststellen: Für die
Bundesgesundheitsministerin ist dieses Thema offensichtlich kein Schwerpunkt.
Das zweite Thema des Finanzberichts ist das Thema
Infektionskrankheiten. Es wird festgestellt: Infektionskrankheiten sind weltweit die häufigste Krankheits- und
Todesursache. Zu diesen Krankheiten gehören auch wieder Diphtherie und Tuberkulose, die man schon für ausgerottet gehalten hatte. Es gibt aber auch Krankheiten wie
zum Beispiel die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit - das ist
infolge der BSE-Krise deutlich geworden - oder neue Varianten der Hepatitis-C-Infektion, die nicht in ausreichendem Maße erforscht sind.
Bei dem, was wir nach dem 11. September erlebt haben, müssen wir im Sinne der Antiterrorbekämpfung wissen, dass es die Möglichkeiten biologischer Kampfstoffe
gibt, zum Beispiel Milzbrand, Marburg-, Ebola-, Lassaviren, Pocken. Bei Pocken haben Sie etwas getan. Sie haben Pockenimpfstoff angekauft. Ich finde das an dieser
Stelle auch richtig. Aber wenn man dieses Feld insgesamt
betrachtet, sieht man auf der einen Seite die Aussage des
Finanzberichts, dass ein großer Forschungsbedarf besteht, und auf der anderen Seite im Haushalt ein Plus von
51 000 Euro. Toll!
({5})
Zum Bereich Drogen: „Cannabis und Designerdrogen
werden bei Jugendlichen in Deutschland immer beliebter.“ Der Konsum illegaler Substanzen gewinne an gesellschaftlicher Akzeptanz - so kürzlich der Vorsitzende
des Fachverbandes Drogen und Rauschmittel, Thomas
Bader, zum Auftakt des 24. Bundesdrogenkongresses in
Leipzig.
Die Folgerung daraus: Eigentlich müsste die Gesundheitsministerin hier auch einen Schwerpunkt setzen, nämlich gerade im Bereich der Aufklärung. Wer mit Jugendlichen zu tun hat, wer mit ihnen redet, wird erschreckt
feststellen, wie locker man mit diesem Thema umgeht:
Mir wird schon nichts passieren; in der Disco ist es ja kein
Problem. - Das heißt, das Thema und die Gefährlichkeit
werden nicht ernst genug genommen. Das Thema müsste
von uns, vom Deutschen Bundestag, von der Regierung
ernster genommen werden. Aber die entsprechenden Programmansätze im Bundeshaushalt sind nicht zu finden.
Das finde ich schade.
({6})
Lassen Sie eine
Zwischenfrage Ihrer Kollegin zu?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege, sind Sie
bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Drogenbeauftragte der Bundesregierung bei dem Kongress in Leipzig
anwesend war, dass wir gemeinsam diskutiert haben und
dass wir vor allen Dingen neue Schwerpunkte gemeinsam
erarbeitet haben?
({0})
Sind Sie weiterhin bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
dass gerade in diesem Bereich neue Personalstellen geschaffen wurden, weil wir den uralten Rauschgiftbekämpfungsplan der alten Regierung zu einem modernen Aktionsplan „Drogen und Sucht“ überarbeiten?
({1})
Das ist mir sehr
wohl bekannt. Sie haben einen entsprechenden Titel im
Bundeshaushalt bekommen. Ich würde mir auch wünschen, dass diese Aufgabe ernst genommen wird. Ich habe
mir einmal den Tätigkeitsbericht der Drogenbeauftragten
vom letzten Jahr angesehen. Man kann an zwei Händen
abzählen, welche Aktivitäten öffentlich bekannt geworden sind. Sie waren meistens in Berlin. Darum meine ich,
dass hier viel mehr geleistet werden muss. Aber eines ist
sicher - über mehr habe ich überhaupt nicht geredet -: Die
Titel, die Sie benötigen, um entsprechend Aufklärungsarbeit zu betreiben, sind nicht ausreichend im Haushalt zu
finden. Nur darüber habe ich geredet.
({0})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch zu einem weiteren Thema kommen. In der „Leipziger Volkszeitung“ stand vor nicht allzu langer Zeit: „Dem Freistaat
gehen die Landärzte aus.“ Das ist ein schwieriges Thema
in den neuen Bundesländern, nicht nur in Sachsen. Was ist
die Ursache dafür? Viele Allgemeinärzte haben sich nach
der Wende niedergelassen. Sie waren damals 40, 45,
50 Jahre alt. Zehn, 15, 20 Jahre später gehen sie in Rente.
Das beginnt jetzt. Sie finden keine Nachfolger. Warum?
Weil die Bedingungen für die Mediziner und die Honorarsituation schlecht sind. Auch in den alten Bundesländern fehlen mittlerweile Allgemeinärzte.
Die jungen Ärzte im Osten nehmen natürlich das bessere Angebot wahr und wandern in den Westen, mit der
Folge, dass wir in den neuen Bundesländern strukturelle
Probleme bekommen. Hier muss dringend gehandelt werden. Ich meine, dass hier seitens des Bundesgesundheitsministeriums zu wenig getan wird. Es gibt zwar das
Wohnortprinzip, das letztendlich die Finanzierung der
Kassenärztlichen Vereinigungen verbessert, aber das ist in
keiner Weise ausreichend. Deshalb fordere ich uns alle
auf, gerade an dieser Stelle mehr zu tun. Wir müssen dieses Problem unbedingt ernst nehmen.
({1})
Ich will zu einem letzten Problem im Haushalt kommen, nämlich dem Personal. Durch das Antiterrorpaket
wurde auch das Bundesministerium für Gesundheit besser
ausgestattet. 61 Stellen sind hier vorgesehen worden. In
der ersten Planung war vorgesehen, dass diese 61 Stellen
in den nachgeordneten Einrichtungen platziert werden.
Fünf Stellen sollten im Paul-Ehrlich-Institut angesiedelt
werden, das unter anderem die Aufgabe hat, die Koordination von Maßnahmen zur Risikovorsorge und Gefahrenabwehr sicherzustellen. 56 Stellen waren ursprünglich
beim Robert-Koch-Institut geplant. Ihnen waren Aufgaben wie die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten und
epidemiologische Untersuchungen zugeordnet. Ich halte
das für eine richtige Maßnahme, denn nach dem 11. September müssen wir diese Gefahren ernst nehmen. Wir
müssen die Institute, die die Aufgabe haben, Vorsorge sowie Aussagen zu Gefährdungen zu treffen, entsprechend
stärken. Da es hierbei im Wesentlichen um Aufgaben der
wissenschaftlichen Forschung geht, müssen diese Institute
insbesondere personell gestärkt werden.
Zu meiner Überraschung wurde in der Bereinigungssitzung eine andere Planung vorgelegt. Es waren immer
noch 61 Stellen vorgesehen, aber nicht mehr 56 Stellen
beim Robert-Koch-Institut. Dafür waren nur noch 45 Stellen ausgewiesen. 11 Stellen sind jetzt plötzlich beim Ministerium direkt gelandet. Dazu fällt mir folgender Satz
ein: Wer eine Krise nicht nutzt, um sein Personalbudget
aufzustocken, ist selbst daran schuld. Ich halte das allerdings für unredlich, weil man diese Personalkapazitäten
genau denjenigen Institutionen wegnimmt, die sie unbedingt brauchen.
Ich füge noch eines hinzu. Für die 45 Stellen im
Robert-Koch-Institut sind im Personalplan 345 000 Euro
eingestellt. Rechne ich das auf 12 Monate und die Beschäftigten um, ergibt sich ein Wert von 694 Euro. Für die
11 Stellen im Bundesministerium sind 937 000 Euro eingestellt. Rechne ich diesen Betrag in gleicher Weise um,
ergibt sich ein Betrag von 7 098 Euro. Was heißt das? Die Stellen im Bundesministerium können im Januar besetzt werden, während die Stellen beim Robert-Koch-Institut frühestens ab September besetzt werden können.
Das zeigt ganz deutlich, dass diese Politik darauf abzielt,
erst einmal den eigenen Bauch zu füllen, statt die Vorsorge
zu treffen, die in den nachgeordneten Instituten unbedingt
notwendig ist. Ich halte das schlicht für eine verfehlte
Politik.
({2})
Meine Damen und Herren, ich will meine Rede mit folgender resümierenden Bemerkung schließen: Im letzten
Jahr hatten wir eine grüne Ministerin, die gescheitert ist.
In diesem Jahr erleben wir eine rote Ministerin, die gescheitert ist.
({3})
Es wird Zeit, dass wir wieder einen schwarzen Minister
bekommen.
({4})
Ich empfehle an dieser Stelle: Herr Seehofer, übernehmen
Sie!
({5})
Ich erteile dem Kollegen Walter Schöler, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte dem Kollegen Luther eingangs meiner Rede ein Lob für seine hervorragende, sachliche Rede aussprechen wollen.
({0})
Dann erging er sich plötzlich in farbigen Bildern und
sprach von schwarzen Ministern. Daraufhin musste ich
mir das anders überlegen.
Lieber Kollege Luther, anscheinend wolltest du darstellen, dass es zu Zeiten eurer Gesundheitsminister Blüm
und Seehofer in Deutschland eine heile Welt gab. Ich
habe, nachdem du schon etliche Jahr im Parlament bist,
den Eindruck, dass du einen harten Verdrängungsprozess
im Hinblick auf eure Regierungszeit hinter dir hast; denn
ihr kanntet nur Steigerungen bei den Versicherungsbeiträgen auf der einen Seite und Kürzungen von Leistungen
sowie Zuzahlungen durch die Versicherten auf der anderen Seite. Damals waren wir auf dem besten Weg in die
Zweiklassenmedizin, von der der Kollege Luther gerade
sprach. Wir wollen das nicht und werden es auch in den
nächsten Jahren zu verhindern wissen.
({1})
Wo sind denn jetzt die Alternativen zu unserer Politik?
({2})
Das, was von der Opposition vorgeschlagen wird, läuft
immer auf dasselbe hinaus. Sie wollen das Solidaritätsprinzip aushöhlen.
({3})
- Das, was von der Opposition auf dem rechten Flügel
kommt, liebe Barbara Höll. Die Opposition will wirklich
das Solidaritätsprinzip aushöhlen.
Die Opposition sollte endlich damit aufhören, die Bevölkerung zu verunsichern, denn auch Sie wissen ganz genau: Die Leistungsfähigkeit und Qualität unseres Gesundheitssystems sind unverändert hoch. Uns geht es
darum, dass diese hohe Qualität der Versorgung allen zugute kommt, egal ob gesetzlich, freiwillig oder privat versichert. Dafür werden wir uns einsetzen.
({4})
Wir haben in den letzten drei Jahren eine Fülle gesetzgeberischer Maßnahmen eingeleitet. Große Teile davon
sind schon in Kraft.
({5})
- Gucken Sie ins Bundesgesetzblatt! Da kann man das
nachlesen. - Die Grundsätze unserer Gesundheitspolitik
ziehen sich wie ein roter Faden durch die Reformmaßnahmen. Aus jedem dieser Gesetze wird deutlich: Im
Mittelpunkt unseres Denkens und Handelns stehen die
Kranken und Pflegebedürftigen.
({6})
Erst unter unserer Regierung ist die Gesundheitspolitik
patientenorientiert geworden.
({7})
Wir setzen mit unseren Maßnahmen dort an, wo die Ursachen liegen. Die Zeiten, in denen man, wie unter der
früheren Regierung, den einfachen Weg einer ständig
steigenden Selbstbeteiligung der Patienten gegangen ist,
sind bei uns vorbei.
({8})
Wir halten am solidarisch finanzierten Gesundheitswesen
fest. Ihr Weg hätte zu einer Grundversorgung geführt. Das
wäre der Weg in die Zweiklassenmedizin; denn die Wahlleistungen wären teuer zu bezahlen und das können sich
viele Menschen - das wissen Sie ganz genau - überhaupt
nicht leisten. Auch die von der FDP vorgeschlagene Festschreibung des Arbeitgeberanteils kann nicht der richtige
und erst recht nicht unser Weg sein.
({9})
Einig sind wir uns darin, Herr Parr: Weitere Strukturreformen im Gesundheitswesen sind sicherlich notwendig.
({10})
Dazu gehört zum Beispiel die Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven. Auch da hat die frühere Regierung sträflich versagt. Sie haben sich - das tun Sie heute
noch - an dem Gerangel von Ärzten, Kliniken und Pharmaindustrie um das größte Stück am Beitragsaufkommen
orientiert. Das war Ihre Politik! Wir hingegen haben die
Gesundheitspolitik jetzt auf den richtigen Weg gebracht.
({11})
Die hausärztliche Versorgung wurde gestärkt. Die Versorgungsqualität haben wir erhöht.
({12})
Die Transparenz wurde verbessert. Die Verzahnung des
ambulanten und des stationären Sektors ist ein wichtiger
Ansatz zur Lösung der Probleme. Prävention wurde wieder zu einem herausragenden Thema der Gesundheitspolitik.
({13})
Nicht zuletzt haben wir auch erreicht, dass Ost und West
nicht - wie bei Ihnen noch geschehen - weiter auseinander wachsen, sondern schneller zusammenkommen.
({14})
- Meine Damen und Herren, Sie können so viel dazwischenrufen, wie Sie wollen! - Sie müssen wissen: Gesundheitspolitik bedeutet Verantwortung. Die Menschen
haben ein Recht auf optimale Versorgung und Pflege nach
dem modernsten Stand der Medizin.
({15})
Ich will jetzt auf einige Schwerpunkte des Gesundheitsetats eingehen. Zwar hat sich der Kollege Luther schon
darum bemüht, aber offensichtlich hat er einen anderen
Entwurf gelesen bzw. sein Wissen aus der „Leipziger
Volkszeitung“ bezogen, in der unser Entwurf bisher nicht
steht.
Der Einzelplan 15 hat im Jahr 2002 ein Ausgabevolumen von rund 1,39 Milliarden Euro. Das erscheint auf den
ersten Blick etwas bescheiden, zumindest gemessen an
den mehr als 500 Milliarden DM, die die Menschen jährlich für ihre Gesundheit aufwenden und von denen rund
die Hälfte aus Beiträgen der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert wird.
Im Vergleich zum laufenden Jahr steigt der Gesundheitsetat um 50 Prozent - dazu haben bei mir sehr viele
aufgeregt nachgefragt, wie das denn sein könne; bei anderen Ministerien sei das nicht so -, und zwar von
907 Millionen Euro auf 1,39 Milliarden Euro. Das hängt
mit der im Jahr 2002 fällig werdenden Rückzahlung eines
Vorschusses - nicht eines Zuschusses, Herr Kollege
Luther - in Höhe von 562 Millionen Euro zusammen.
({16})
Diesen Betrag hatte die frühere Regierung im Jahre 1995
bei den Pflegekassen gepumpt. Den hat sie sich einfach
auf Pump zinslos genommen, allerdings für einen guten
Zweck, nämlich zur Anschubfinanzierung von Investitionen in den neuen Bundesländern. Dieser Betrag ist im
nächsten Jahr fällig und deshalb in den Haushalt eingestellt.
({17})
Wenn man diesen Betrag unberücksichtigt lässt, dann
kann man feststellen: Der Einzelplan 15 leistet auch im
Jahr 2002 seinen Beitrag zur Konsolidierung des Gesamthaushalts. Bei allen notwendigen Sparbemühungen stellt
er die Finanzierung wichtiger gesundheitspolitischer
Maßnahmen sicher.
Das mit den 9 Prozent - das haben Sie eben bei den
Kürzungen angesprochen - hängt unter anderem damit
zusammen, dass der Verbraucherschutz in das Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ausgelagert worden ist. Da muss man also richtig
rechnen. Im Übrigen ist auch nicht richtig, dass der gesundheitliche Verbraucherschutz ausgelagert worden ist,
wie Sie, Herr Kollege Luther, gesagt haben. Dieser Teil
bleibt beim Ministerium. Dafür richten wir sogar ein eigenes Referat ein. Das ist im Haushalt nachzulesen.
({18})
Bemerkenswert ist auch die Erhöhung des Ansatzes für
gesundheitliche Aufklärung um fast 25 Prozent gegenüber dem laufenden Jahr. Diese Steigerung der Mittel für
die Aufklärung zeigt die große Bedeutung, die gesundheitliche Prävention für uns hat.
({19})
Für Sie, Herr Seehofer, kann gesundheitliche Prävention
trotz aller gegenteiligen Beteuerungen diese Bedeutung
nicht gehabt haben, denn Sie haben die Mittel seit der damaligen Ausgründung des Gesundheitsministeriums um
nahezu ein Drittel gekürzt. Sie haben am Etat des Gesundheitsministeriums fortwährend Kürzungsoperationen vorgenommen und etliche Bereiche über das vertretbare Maß hinaus beschnitten.
({20})
Bei diesen Haushaltsoperationen zulasten der Menschen
waren Sie gemeinsam mit Ihrem Finanzminister offensichtlich stets sehr begnadete Chirurgen.
Wir haben Ihren falschen Kurs umgekehrt. Die Mittel
für gesundheitliche Aufklärung werden gegenüber dem
laufenden Jahr um 1 Million Euro gesteigert. Für Maßnahmen zur gesundheitlichen Aufklärung sind 5 Millionen Euro eingesetzt. Die Ausgaben für die Aidsaufklärung mit 9 Millionen Euro sowie für die Aufklärung
gegen Drogenmissbrauch mit 6 Millionen Euro haben wir
auf hohem Niveau verstetigt.
Meine Damen und Herren, in der Sucht- und Drogenpolitik setzen wir unsere Reformpolitik ebenfalls fort. Bei
der Drogenpolitik der alten Regierung hatte man häufig
den Eindruck, dass die Drogensüchtigen selbst bekämpft
wurden und nicht die Drogensucht.
({21})
Dabei ist Sucht anerkanntermaßen Krankheit und Suchtkranke brauchen deshalb in erster Linie Hilfe, Herr
Lohmann.
({22})
Unsere Sucht- und Drogenpolitik umfasst gleichermaßen die notwendigen Säulen Prävention, Therapie,
Überlebenshilfe, Schadensminderung und Repression.
Unter Federführung der Drogenbeauftragten der Bundesregierung wird im nächsten Jahr ein „Aktionsplan Sucht
und Drogen“ erarbeitet. Für uns sind dabei folgende Prinzipien wichtig: Die einseitige Gewichtung von Problemen
mit illegalen Drogen muss endlich aufgebrochen werden.
Die Probleme durch Tabak und Alkohol sowie Medikamentenabhängigkeit müssen viel stärker in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt werden.
({23})
Im Übrigen muss die Suchtpolitik die europäische Ebene
einbeziehen, weil die Problematik nur europaweit gelöst
werden kann.
({24})
Prävention muss gestärkt werden, denn Hilfen erreichen die Betroffenen oft erst viel zu spät. Dafür stellen wir
die notwendigen Haushaltsmittel bereit. Wir greifen so
ein für viele Menschen aus leidvoller Erfahrung bedrückendes Thema auf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
BfArM, zu dem ich im letzten Jahr hier schon eingehend
Stellung bezogen habe. Das Institut war ins öffentliche
Gerede gekommen; das konnte man nicht hinnehmen. Wir
haben hier gehandelt; denn die Zulassung von Arzneimitteln ist nicht nur eine bedeutende Aufgabe, sondern sie ist
für Patienten oft lebenswichtig. Auf zugelassene Patienten muss man sich verlassen können.
Anträge auf Nachzulassungen waren aber in erheblichem Umfang nicht bearbeitet, gehörten schließlich zu
dem Erbe, das Sie uns hinterlassen hatten. Warum war das
so? - Herr Seehofer, Sie hatten es zugelassen, dass beim
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
Personalmangel herrschte. Viele Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter wurden nur mit Zeitverträgen eingestellt. Sie
wussten ganz genau - haben es aber nie offen gesagt -,
dass neben einem Berg von unerledigten Anträgen auf
Nachzulassung auch die gesetzlich vorgeschriebene Wiederzulassung der Arzneimittel nach jeweils fünf Jahren im
Argen lag. Da lief gar nichts mehr.
Wir haben in unserer Regierungszeit nicht nur zusätzliches Personal zur Verfügung gestellt, wir haben mit dem
Haushalt 2002 auch 110 der insgesamt 245 Stellen mit kwVermerk in zeitlich unbefristete Stellen umgewandelt. Das
dient dem Abbau einer überdurchschnittlichen Personalfluktuation, die man sich in diesem Institut nicht erlauben
kann, und der nachhaltigen Gewinnung von qualifiziertem
Personal. Es gibt im Übrigen den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern auch eine langfristige Berufsperspektive.
Wir knüpfen an diese Maßnahmen natürlich auch die
Erwartung, dass die Rückstände jetzt zügig bearbeitet
werden und dass es eine ordnungsmäßige Sachbearbeitung gibt, insbesondere bei der Zulassung und Wiederzulassung von Arzneimitteln. Das gilt auch für die Beobachtung von Arzneimittelrisiken. Deshalb haben wir
- wie ich eben schon sagte - auch die Personalsituation
beim gesundheitlichen Verbraucherschutz in diesem Zusammenhang verbessert.
Schon lange vor den Bioterroranschlägen in den USA
war für jeden erkennbar: Das Jahrzehnte alte Bundesseuchengesetz entsprach nicht mehr modernen Anforderungen. Was haben Sie während Ihrer Regierungszeit dagegen unternommen? - Nichts, schlichtweg nichts.
Wir haben im letzten Jahr das Seuchenrecht reformiert
und das Infektionsschutzgesetz in Kraft gesetzt.
({25})
Der Etat sieht dafür im Übrigen, Herr Kollege Luther,
14 zusätzliche Stellen vor. Als zu befürchten war, dass es
auch in der Bundesrepublik Anschläge mit Anthrax oder
ähnlichen Bakterien bzw. Viren geben könnte, haben wir
sofort gehandelt. Das können Sie in der Antwort der Bundesregierung auf Ihre Kleine Anfrage nachlesen.
Aus dem Antiterrorpaket fließen dem BMG 12 Millionen Euro zu. Davon erhalten das Bundesministerium,
das Paul-Ehrlich-Institut und das Robert-Koch-Institut
5 Millionen Euro für 61 neue Stellen in den Bereichen Katastrophenschutz, Zulassung und Entwicklung von Impfstoffen sowie Gefahrenabwehr bei terroristischen Angriffen mit biologischen Waffen.
({26})
Weil wir wissen, dass die Bevölkerung in Sorge ist, haben wir eine Informationsstelle Bioterrorismus am RKI
eingerichtet. Zum Ausbau eines Hochsicherheitslabors
zur Untersuchung hochinfektiöser Krankheitserreger
werden im kommenden Jahr 7 Millionen Euro als Investitionsmittel bereitgestellt. In den nächsten drei Jahren
werden wir nochmals 18 Millionen Euro, die als Verpflichtungsermächtigung veranschlagt werden, zur Verfügung stellen.
Ich möchte der Berichterstatterrunde, die sich in mehreren Sitzungen mit dem Haushalt befasst hat, für die kollegiale Zusammenarbeit herzlich danken. Für die Vorbereitung und Begleitung bei den Beratungen gilt auch
Ihnen, Frau Ministerin Schmidt, und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ihres Hauses mein herzlicher Dank.
Noch ein Wort an Sie, meine Damen und Herren von
der Opposition auf der rechten Seite - damit Frau Höll
nicht wieder mit mir schimpft; das gilt aber auch für die
PDS -:
({27})
Als Opposition ist es sicherlich eine Ihrer wichtigsten
Aufgaben, die Regierung zu kritisieren. Gleichwohl sollten Sie dabei eines nicht aus den Augen verlieren: Es
stünde Ihnen gut an, Alternativen zu unserer Politik aufzuzeigen. Dies sind Sie auch bei den diesjährigen Haushaltsberatungen schuldig geblieben.
({28})
In unserer Regierungszeit, besonders im laufenden
Jahr, ist vieles von der Bundesregierung auf den Weg gebracht und einiges sogar schon zu Ende geführt worden.
Unserer Politik lagen dabei ganz bestimmte Handlungsmaximen zugrunde.
({29})
Ich fasse kurz zusammen: Stärkung der Patientenorientierung, qualitative Verbesserung der Versorgung von Patienten und Pflegebedürftigen sowie die Erhaltung des solidarischen Krankenversicherungssystems bis hin zur
Ausschöpfung der Wirtschaftlichkeitsreserven, was eine
noch größere Aufgabe darstellt.
({30})
Mein Fazit: Wir haben viel für die Menschen erreicht.
({31})
Die Bilanz unserer bisherigen drei Regierungsjahre ist positiv. Sie können sicher sein: Wir werden unsere erfolgreiche Politik auch nach dem Jahr 2002 fortsetzen.
({32})
Herzlichen Dank für Ihre Geduld.
({33})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Detlef Parr, FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Herr Kollege Schöler, ich habe mich heute Morgen vor meinem Kleiderschrank anscheinend richtig entschieden, als ich den schwarzen Anzug gewählt habe,
denn diese Gesundheitspolitik wird immer mehr zu einem
Trauerfall.
({0})
Dass der Patient jetzt auch noch einer Zulassung bedarf, übertrifft wohl jedes Maß an Regulierung, Herr Kollege Schöler.
({1})
ABAG folgt AABG und der RSA mit DMP. Wer soll da
noch durchschauen?
Die Bundesregierung stolpert von einer Fußangel in
die nächste,
({2})
Herr Kirschner. Sie kuriert in immer kürzeren Zeitabständen hektisch an Symptomen. Jeder spürt immer deutlicher: Es wird nichts nützen.
Seit der Änderung des letzten Neuordnungsgesetzes,
Herr Kollege Seehofer, haben wir drei Jahre lang die
Chance auf Reformen leichtfertig vertan.
({3})
Nach dem Willen des Kanzlers soll es auch im verbleibenden Jahr keine Reform mehr geben.
({4})
- Frau Schmidt-Zadel, wie eine Monstranz haben Sie die
Beitragssatzstabilität vor sich hergetragen und für Millionen aufrechte Beitragszahler steigen die Beiträge auf
breiter Front. Das ist das schmerzliche Ergebnis. Wachstum haben wir uns anders vorgestellt.
({5})
„Arbeit, Arbeit, Arbeit“ - so hieß es 1998 auf den
Wahlplakaten der SPD. Jetzt laufen Ihnen die Lohnzusatzkosten aus dem Ruder. Arbeit wird immer teurer. Die
Arbeitslosigkeit wächst. Wachstum haben wir uns anders
vorgestellt.
Diese Entwicklung hat nichts, rein gar nichts mit dem
11. September und der weltweiten Konjunkturschwäche
zu tun. Sie ist allein Ergebnis des Missmanagements und
des fehlenden Reformmutes dieser Regierung.
Die Beitragssätze laufen davon, weil die Regierung
unfähig war, die anderen sozialen Sicherungssysteme zu
reformieren und ein Gleichgewicht herzustellen. Sie hat
deshalb einen unverantwortlichen Verschiebebahnhof zulasten der GKV konstruiert. Zur Erinnerung: Der schamlose Griff in die Taschen der GKV-Beitragszahler beläuft
sich auf jährlich über 8 Milliarden DM, von der Absenkung der Krankenversicherungsbeiträge für Arbeitslosenhilfeempfänger über Mehrausgaben beim Krankengeld bis
hin zu geringeren Beitragseinnahmen, weil die Bundesregierung das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Beitragserhebung bei freiwillig versicherten Rentnern einfach
aussitzt. Diese Reihe könnte noch fortgesetzt werden.
Der Gesetzgeber legt in der Renten- und Arbeitslosenversicherung die Beitragssätze fest. Das ist in der Krankenversicherung anders. Da obliegt diese Aufgabe der
einzelnen Krankenkasse. Was liegt da näher, als eine verfehlte Sozialpolitik auf diese Ebene zu verlagern? Sie hoffen wohl, dass sich der Volkszorn über den Griff ins Portemonnaie dort und nicht bei denjenigen entlädt, die
eigentlich die Verantwortung dafür tragen.
Man sollte erwarten, dass, wenn schon die Beitragssätze nicht stabil bleiben, zumindest die Leistungen ausreichen.
({6})
Aber auch hier gilt: Weit gefehlt. Budgeturlaub nimmt zu,
immer mehr Praxen werden zeitweise geschlossen, Rationierung ist im Gesundheitswesen kein Fremdwort mehr,
sondern Realität. Das neue Motto lautet wohl: mehr Geld
im System bei weniger Leistungen für den Versicherten.
Das ist eine seltsame Gleichung.
({7})
Ich bin davon überzeugt - daran kann auch ein runder
Tisch mit hinhaltenden Konsensgesprächen nichts ändern -: Die Stunde der Wahrheit ist in diesem Jahr gekommen.
({8})
Wir müssen der Bevölkerung jetzt offen sagen, dass mit
begrenzten Mitteln nicht unbegrenzt medizinische Leistungen in Anspruch genommen werden können.
({9})
- Herr Kirschner, als wir heute Morgen beim „Handelsblatt“ gesessen haben, hätte ich schon ganz gerne eine
Antwort von Ihnen auf die Frage gehört, wie Sie das
zukünftig lösen wollen. Wir leben nicht in einem Land
- so kommt es Ihnen ja offensichtlich vor -, in dem Milch
und Honig fließen.
Allzu lange hat die Bundesregierung, wie ich denke,
dem Irrglauben gefrönt, sie könne ohne schmerzhafte
Konsequenzen immer neue Wohltaten verteilen: reduzierte Zuzahlungen, Zuzahlungsbefreiung für jeden chronisch Kranken unabhängig vom Einkommen, Soziotherapie, Wiedereinführung von Leistungen für den Zahnersatz
bei Jugendlichen,
({10})
Rücknahme packungsgrößenbezogener Zuzahlungen bei
Arzneimitteln - das hatte ja entsprechende Folgen -, Unterstützung von Verbraucherberatungsstellen und Selbsthilfegruppen sowie medizinische Fußpflege - die wurde
von Ihnen auch noch in die Liste aufgenommen.
({11})
Wer findet solche Maßnahmen eigentlich nicht gut und
hilfreich, Herr Kirschner? Wenn das aber bedeutet, dass
dafür medizinisch Notwendiges nicht zu bekommen ist
oder nur nach längeren Wartezeiten oder dass die Beitragssätze auf breiter Front steigen, wie wir es jetzt erleben, und damit zwangsläufig das verfügbare Einkommen
sinkt, darf wohl die Frage erlaubt sein: Wer gibt uns Politikern eigentlich das Recht, so zu handeln und damit die
Entscheidungsfreiheit des Einzelnen immer mehr einzuengen?
({12})
So kommen wir nicht weiter; dass wir uns hier in einem Teufelskreis befinden, wissen auch Sie. Ihre kurzfristige hektische Politik führt zu Atemlosigkeit.
({13})
Ihnen geht offensichtlich auf der Zielgerade die Puste aus.
Sie haben nicht mehr die Kraft, das Notwendige zu tun.
Nun kommt sicherlich die Frage, die wir auch vom
Herrn Bundeskanzler gestern Morgen mehrfach und in
selten spürbarer Hilflosigkeit - so habe ich es jedenfalls
empfunden - gestellt bekommen haben: Welches Konzept
haben Sie denn? Was würden Sie denn konkret tun?
Fangen wir bei den Arbeitgeberbeiträgen an, Herr
Kirschner. Wir müssen die Arbeitgeberbeiträge auszahlen, um damit dem einzelnen Versicherten mehr Möglichkeiten zu geben, eigenverantwortlich zu handeln.
({14})
Die Koppelung von GKV-Ausgaben und Lohnkosten ist
ein Fluch, wenn es um den Erhalt oder die Schaffung von
Arbeitsplätzen geht. Das wissen Sie wie ich. Schreiben
Sie den Menschen nicht in immer mehr Bereichen vor,
was sie zu wollen haben. Geben Sie ihnen mehr Freiheiten, ihren Versicherungsschutz nach eigenen Vorstellungen zu gestalten.
({15})
Auch die Krankenkassen warten darauf, ihren Pflichtleistungskatalog um eigene Angebotspaletten zu erweitern
und damit in einen wirklichen Wettbewerb einzutreten.
({16})
Schaffen Sie Transparenz im Gesundheitssystem! Sie
legen Friedhöfe für Datensammlungen an, Sie installieren
gigantische Kontroll- und Überwachungssysteme und
stärken den MDK. Viel wichtiger wäre es, die Position
von Patient und Arzt zu stärken, indem beide im Rahmen
der Kostenerstattung erfahren, wie hoch die Festpreise für
medizinische Leistungen liegen. Nur derjenige kann sich
kostenbewusst verhalten, der weiß, wie teuer diese Leistungen sind. Auch das fällt unter das Stichwort Eigenverantwortung, nicht nur die Frage der Zuzahlungen.
({17})
Das Krankenkassenwahlrecht ist ein Recht für alle.
Fahren Sie eine Informationskampagne, um den Menschen nahe zu bringen, dass sie sich alle eine preisgünstige Krankenkasse aussuchen können, ohne negative
Konsequenzen für die benötigten Gesundheitsleistungen
befürchten zu müssen, und zwar auch dann, wenn sie alt,
krank oder behindert sind! Wir haben vom Wettlauf um
Gesunde gesprochen. Im Zusammenhang mit dem DMP
sprechen wir vom Wettlauf um Kranke. Wir denken aber
nie daran, dass es keine Einbahnstraße ist, sondern dass es
auch darum geht, dass die Menschen ihre Chancen im
Hinblick auf die Nutzung ihres Krankenkassenwahlrechts
ergreifen.
Schaffen Sie endlich die Budgetierung ab und überlassen Sie es den Verhandlungspartnern, den gesetzlich
vorzugebenden Rahmen für ein leistungsgerechtes System der Finanzierung miteinander zu vereinbaren. Warum
glauben Sie eigentlich trotz aller gegenteiligen Erfahrungen immer noch, dass wir Politiker besser wüssten, welcher Mitteleinsatz bundesweit für eine gute Versorgung
der Bevölkerung erforderlich ist, als diejenigen, die im
Gesundheitswesen arbeiten?
Führen Sie ein Benchmarking bei den Verwaltungsausgaben der Krankenkassen ein! Hohe Verwaltungsausgaben gehen leider nicht mit einer besonders guten Versorgung von Versicherten und Patienten einher. Herr
Schöler, Sie haben von Wirtschaftlichkeitsreserven gesprochen. Das ist ein Bereich, den wir auch in dieser Hinsicht angehen müssten.
({18})
Nutzen Sie auch den Wettbewerb als Mittel, um eine
größtmögliche Effizienz zu erreichen! Fördern Sie die
Kreativität der Marktteilnehmer, anstatt den Markt durch
immer neue Spielarten bürokratischer Reglementierungen zu ersticken.
Herr Kirschner, Sie haben die gleiche Einladung bekommen wie ich, nämlich die Einladung des Bundeswirtschaftsministers und der Bundesgesundheitsministerin zu
einem „Zukunftsmarkt Gesundheit“ am 6. Dezember.
({19})
Das ist wirklich eine angenehme Nikolausüberraschung.
Eines aber ist verwunderlich: Wenn wir fordern, mehr
marktwirtschaftliche Elemente in unser Gesundheitssystem einzubauen, dann schreien Sie auf und beschwören
die Solidargemeinschaft. In dieser Einladung ist plötzlich
die Rede vom Gesundheitswesen als Wirtschaftsfaktor
ersten Ranges.
({20})
Da werden mehr als 500 Milliarden DM Umsatz bei
3,5 Millionen Beschäftigten genannt. Da werden die Bio-,
die Gen-, die Informations- und die Medizintechnologie
als Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts aufgeführt.
({21})
Da wird die Befürchtung geäußert, dass die Belastungen
für die Versicherten und Unternehmer ansteigen werden.
Welch fundamentale Erkenntnisse!
Am tollsten ist aber die Frage, die sich der Bundeswirtschaftsminister und die Bundesgesundheitsministerin
sozusagen Arm in Arm stellen:
Welche Möglichkeiten gibt es, diese Belastungen zu
begrenzen, ohne die im Wachstumsmarkt Gesundheit liegenden Chancen zu vergeben?
Das ist wirklich die Kernfrage, liebe Kolleginnen und
Kollegen. Sie stellen sie jetzt - mit großer Verspätung.
Die FDP hat sie längst beantwortet und in ihr Zukunftskonzept eingearbeitet. Weniger Bismarck und mehr Graf
Lambsdorff - oder mehr Ludwig Erhard, wie Sie sagen
würden - ist die Parole.
({22})
Wir erwarten durch dieses Symposium mehr und mehr
Rückenwind für unsere Vorschläge, letztlich vielleicht
auch durch Wirtschaftsminister Müller.
Frau Ministerin, ich gönne es Ihnen ja nicht, aber ich
habe mich an ein Zitat Goethes in „Der Fischer“ erinnert,
das ich jetzt im Hinblick auf das Verhältnis zwischen
Herrn Müller und Ihnen leicht verfremden will: Halb zog
er sie, halb sank sie hin und ward nicht mehr gesehen.
({23})
Eine letzte Bemerkung zur Pflegeversicherung. Auch
dort häufen sich die Probleme. Ich glaube, wir tragen gemeinsam viele Problemlösungen vor und wollen auch gemeinsam agieren, aber wir müssen auch die Fragen stellen, die wichtig sind und deshalb gestellt werden müssen.
So möchten wir in diesem Bereich gerne über die zweite
Säule der kapitalgedeckten Absicherung und eine stärkere
Ausrichtung an Bedürftigkeitskriterien diskutieren und
darüber nachdenken, wie der Pflegenotstand in den nächsten Jahren verhindert bzw. abgebaut werden kann, und
zwar nicht nur durch Greencard-Aktionen, sondern auch
durch die beiden Anträge. Frau Schmidt-Zadel, Sie haben
dazu im Ausschuss genickt.
({24})
Sie mussten es aus fiskalischen Gründen ablehnen,
eine Imagekampagne für Pflegeberufe ins Leben zu rufen,
damit die jungen Menschen diesen Beruf wieder ergreifen
und möglichst lange in diesem Beruf verweilen. Unser
Wunsch war weiterhin, die Mittel für die Erprobung neuer
Versorgungsformen bei Pflegebedürftigen aufzustocken.
Diesen unseren Wünschen konnten Sie nicht zustimmen.
Ich glaube, dass wir in diesem Bereich in der Sache doch
eine gemeinsame Grundlage finden können.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
({25})
Ich erteile der Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Herr Parr, aus meiner Erfahrung mit der koalitionsinternen Arbeitsweise kann ich Ihnen sagen: Frau
Schmidt-Zadel nickt sehr oft, da sie freundlich ist. Das
heißt nicht immer, dass sie dem zustimmt, was die andere
Seite möchte.
({0})
Eine zweite Bemerkung: Sie haben lange über die Tatsache referiert, dass sich Wirtschaftsminister und Gesundheitsministerin mit dem Arbeitsmarkt auf dem Gebiet der Gesundheit beschäftigen. Ich persönlich halte das
für einen sehr guten Ansatz; Sie hoffentlich auch. Das
Problem ist: Sie gönnen es uns offensichtlich nicht, dass
wir auf diesem Gebiet etwas tun. Freuen Sie sich darüber
und arbeiten Sie auf diesem Feld mit! Sorgen Sie auf der
einen Seite dafür, dass wir diese Zusammenarbeit von Gesundheitssektor und Wirtschaft dazu nutzen, mehr
Arbeitsplätze auch in diesem Bereich zu schaffen!
({1})
Sorgen Sie auf der anderen Seite mit uns gemeinsam
dafür, dass die Ausweitungen an den Stellen stattfinden,
an denen sie tatsächlich notwendig sind!
({2})
Eine dritte Bemerkung: Herr Parr, nachdem wir hier
Ihre Vorschläge zu den Reformen im Gesundheitswesen
gehört haben, finde ich: Als Patienten kann man Sie zulassen, als Therapeuten lieber nicht.
({3})
Ich möchte im Rahmen des Haushaltsplanes auf zwei
Dinge eingehen. Erstens. Wir wollen in der Gesundheitspolitik einiges voranbringen. Herr Schöler hat die entsprechenden Zahlen genannt. Ich will noch einmal die
Stichworte nennen: Das eine sind die Mittelaufwächse bei
der gesundheitlichen Aufklärung. Ich glaube, hier wird
sehr deutlich, dass es uns einerseits um Information und
andererseits um Prävention geht. Beides ist in Ihrer Regierungszeit in der Tat vernachlässigt worden.
Wir haben nicht nur im Gesundheitssystem selbst, sondern auch im Haushaltsplan tatsächlich eine Umsteuerung
erreicht, die in den zuständigen staatlichen Institutionen
dafür sorgt, dass Information und Prävention vorangetrieben werden. Wenn Sie sich beispielsweise Veröffentlichungen der Zentrale für gesundheitliche Aufklärung anschauen und das in der Bevölkerung hinterfragen, dann
werden Sie wahrscheinlich feststellen, dass wir uns hier
der Erfüllung des Informations- und Vorsorgebedürfnisses der Bevölkerung sehr stark annähern. Ich finde, das ist
eine wirklich gute Sache.
({4})
Zweitens. Ich möchte die Mittel- und Stellenaufwächse
gerade im Bereich dessen, was wir als Krisenbekämpfung bezeichnen, nennen. Hier gibt es natürlich ein
großes Bedürfnis der Bevölkerung und auch eine Notwendigkeit der staatlichen Fürsorge. Hier sind Stellen
eingerichtet worden, übrigens auch im Ministerium. Herr
Luther, ich finde es völlig richtig, dass es im Ministerium
zusätzliche Stellen gibt, weil dort Handlungsoptionen
vorbereitet werden müssen. Sie wären wahrscheinlich
dann, wenn das Ministerium nicht rechtzeitig auf das reagiert, was notwendig ist, der Erste, der Zeter und Mordio
schreien würde, weil die Bevölkerung nicht rechtzeitig
gewarnt worden ist oder weil Maßnahmen nicht rechtzeitig ergriffen worden sind. Also, stimmen Sie bitte gerade
diesen Aufwächsen, was die Mittel und die neuen Stellen,
auch die im Ministerium, angeht, zu!
({5})
- Das werden sie dann vielleicht auch hier tun. Darauf
können wir uns sicher verständigen.
Damit bin ich bei den Dingen, die uns im Gesundheitssystem gemeinsam beschäftigen. Hier nehmen wir
heute zur Kenntnis - und das nicht erst seit heute -, dass
es in der Tat im System aufwachsende Beiträge gibt.
({6})
Sie wissen, dass wir die Frage der Beitragssatzstabilität
in unserer Regierungszeit nicht nur im Gesundheitssystem, sondern auch in den anderen Sozialversicherungssystemen zur zentralen Aufgabe gemacht haben.
({7})
Ich stehe weiterhin dazu, dass das notwendig ist.
Wir haben eine ganze Reihe von Reformen, die in diesem Bereich notwendig gewesen sind, auf den Weg gebracht. Ich nenne beispielhaft die Themen „Hausärzte“
und „integrierte Versorgung“. Wir müssen zur Kenntnis
nehmen, dass die Reformen, die wir hier unternommen
haben, aus unterschiedlichen Gründen - da will ich nicht
nur in die Richtung der Opposition schauen - noch nicht
ausgereicht haben. Ich finde, man sollte nicht darum herumreden, sondern es an dieser Stelle deutlich sagen.
Wir haben auf der einen Seite die Reform im Krankenhausbereich nicht so voranbringen können, wie wir es
wollten. Sie wissen, dass die Länder bei der Gesundheitsreform eine Blockadehaltung eingenommen hatten. Wir
haben auf der anderen Seite in diesem Jahr eine Reihe von
kleineren Schritten mit einer Fülle von Gesetzen unternommen,
({8})
um für eine Ausgabenbegrenzung zu sorgen. Aber wir
sind noch nicht so weit, wie wir bei anderen Reformen der
Bundesregierung gekommen sind. Wir haben heute Morgen über das Rentensystem, über die Steuerreform und
über die Zukunftsfähigkeit der Haushaltspolitik dieser
Regierung diskutiert.
Im Gesundheitssystem - Herr Seehofer weiß das wie
kein anderer ({9})
sind zum einen die Reformen selber schwieriger als woanders, zum anderen ist auch ihre Umsetzung nicht so einfach wie in anderen Bereichen, weil zu viele Interessen
aufeinander prallen und weil mitunter auch die Selbstverwaltung zum Teil nicht bereit ist - manchmal ist sie auch
nicht in der Lage -, das umzusetzen, was auf den Weg gebracht worden ist. Das haben wir insbesondere bei der
Gesundheitsreform 2000 gemerkt. Es wird deswegen notwendig sein, auch über das hinaus, was wir getan haben
und was ich für einen richtigen Kurswechsel halte - daran
will ich überhaupt keinen Zweifel aufkommen lassen -,
weitere Schritte einzuleiten.
({10})
Der Kurswechsel, den ich meine, besteht vor allem in
einem Punkt. Herr Parr, Ihre Vorschläge bezogen sich ja
vor allen Dingen darauf, wie man den Markt stärken kann
und wie man dafür sorgen kann, dass bestimmte Teile dieses Marktes - beispielsweise die Pharmaindustrie und die
Ärzteschaft - mehr Geld im Portemonnaie haben. Alle unsere Reformen haben sich insbesondere und zuallererst
darauf bezogen, die Patientinnen und Patienten in den
Mittelpunkt zu stellen.
({11})
Das ist der richtige Weg und diesen richtigen Weg werden
wir auch weiter beschreiten.
Natürlich haben wir begrenzte Mittel. Diese begrenzten Mittel müssen sinnvoll verteilt werden. Wir brauchen
weiterhin mehr Patientenorientierung und Eigenverantwortung. Ich stimme mit Ihnen überein, dass mehr
Transparenz ins System Einzug halten muss.
({12})
Ich persönlich halte dafür die Patientenquittungen und
eine ganze Reihe von anderen Maßnahmen, die zur Datentransparenz beitragen, für einen richtigen Weg. Sie
wissen, dass wir dabei sind, entsprechende Regelungen
auszuarbeiten und umzusetzen.
Dazu gehört auch, dass die Versicherten mehr Eigenverantwortung übernehmen müssen. Aber Eigenverantwortung heißt eben nicht Zuzahlung. Eigenverantwortung
heißt vor allen Dingen Wahlfreiheit. Dafür müssen wir
sorgen.
({13})
Wir müssen auch dafür sorgen, dass der Leistungskatalog
immer daraufhin überprüft wird, was hinein gehört und
was nicht.
({14})
Besonders dann, wenn etwas Neues hineinkommt, muss
man alte Posten überprüfen.
({15})
Wir müssen weiterhin dafür sorgen, dass es für die Patientinnen und Patienten durchschaubar ist, was in diesem
System passiert. Dafür brauchen wir die Verantwortung
der Politik und die Verantwortung der Selbstverwaltung.
Diese müssen wir als Politik auch einfordern.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat nun die
Kollegin Ruth Fuchs, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Kollegin Göring-Eckardt, Sie müssen mir irgendwann einmal erklären, seit wann Eigenverantwortung in dem Falle etwas mit Wahlfreiheit zu tun hat.
({0})
- Darüber werden wir uns noch unterhalten.
Ich komme nun zum Haushalt. Im Ansatz des Einzelplans 15 sollten sich die Gesamtausgaben von knapp über
900 Millionen Euro in 2001 auf circa 1,3 Milliarden Euro
im Jahre 2002 erhöhen. Die Ursache für diesen Anstieg
liegt in der Rückzahlung von circa 550 Millionen Euro,
die die Pflegekassen 1995 für das Pflegeinvestitionsprogramm zur Verfügung gestellt hatten. Weitere 72 Millionen Euro mussten im Ergebnis der Ressortverlagerung in
den Verbraucherschutzetat umgesetzt werden. Bezieht
man beides ein, zeigt sich die tatsächliche Entwicklung.
Auch 2002 setzt sich die langjährige Tendenz der Kürzung der im Bundeshaushalt für gesundheitliche und Pflegezwecke zur Verfügung gestellten Mittel fort.
({1})
Aus gesundheitspolitischer Sicht liegt das Hauptproblem
des Bundeshaushaltes jedoch nicht im Einzelplan 15. Es
besteht darin, dass zugunsten des Bundeshaushaltes der
GKV in den zurückliegenden Jahren immer mehr Beitragseinnahmen entzogen wurden. Ich nenne hier nur das
Wort Verschiebebahnhöfe. Allein seit 1996 werden der
GKV dadurch jährlich über 6 Milliarden DM entzogen.
Die neue Koalition hat diese Politik leider fortgesetzt.
Ihr erster Zugriff kam in Form einer weiteren gesetzlichen
Begrenzung der Beiträge aus der Arbeitslosenhilfe. Seitdem fehlen der gesetzlichen Krankenversicherung jährlich weitere 1,2 Milliarden DM. Wie hoch die neuen Belastungen aus der Rentenreform sein werden, darüber
streiten sich noch die Fachleute. Dass Belastungen kommen werden, steht aber außer Frage.
Meine Damen und Herren, diese Politikentscheidungen haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die Bundesregierung im Gesundheitswesen erneut in Schwierigkeiten gekommen ist. Hatten schon die Gesundheitsreform 2000 und die vorschnelle Ankündigung der Streichung des Arzneimittelbudgets mehr Probleme geschaffen als gelöst, hat es die Regierung jetzt mit massiven Beitragserhöhungen zu tun. Das kann niemanden freuen,
denn es belastet die Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen. Dass diese Entwicklung von der Arbeitgeberseite aber dazu benutzt wird, das Solidarsystem radikal infrage zu stellen, ist schlimm.
Wenn CDU/CSU und FDP jetzt wegen der Beitragserhöhungen den Untergang des Wirtschaftsstandortes
Deutschland an die Wand malen, dann ist das, gelinde gesagt, unredlich.
({2})
- Frau Merkel hat genau das gesagt.
Erstens. Die heutige desolate Lage ist nicht allein in der
letzten Zeit entstanden; sie ist das Ergebnis einer seit vielen Jahren verfehlten Gesundheitspolitik. Gerade in Ihrer
Regierungsverantwortung sind die größten Verschiebebahnhöfe eröffnet worden.
({3})
Ist nicht der Kassenwettbewerb um Mitglieder, dessen
unsolidarische Folgen heute auch die großen Ersatzkassen und viele Ortskrankenkassen zu Beitragserhöhungen
zwingen, durch Herrn Seehofer - wenn auch in großer
Koalition mit der SPD - in Gang gesetzt worden?
Zweitens. Meine Damen und Herren von der Union
und der FDP, was Sie heute anzubieten haben, ist nichts
anderes als die alten Rezepte aus Ihrer Regierungszeit vor
1998. Damals haben die Menschen wohl verstanden, was
sich hinter Ihren Formeln von wachsender Eigenverantwortung, Regel- und Wahlleistungen und mehr Wettbewerb verbirgt. Die Erfahrung zeigt: Mit einer Gesundheitsreform kann man keine Wahl gewinnen.
({4})
Man kann sie aber verlieren. Ihr Kollege Geißler hat dazu
ein wunderbares Buch geschrieben, das ich Ihnen zur
Lektüre empfehle; denn das, was Sie heute fordern, bedeutet auch nichts anderes, als die Menschen stärker zur
Kasse zu bitten, und zwar nicht paritätisch, sondern ganz
individuell und privat.
Meine Damen und Herren, eine Gesundheitspolitik zulasten der Kranken und Pflegebedürftigen sollte in diesem
Hause keine Mehrheit finden.
({5})
Gebraucht wird eine allen Menschen zugängliche, sozial
gerechte und humane Gesundheitsversorgung. Diese ist
bei entsprechendem politischen Willen nach wie vor möglich. Erforderlich bleiben strukturelle Reformen, Reformen, die diesen Namen auch verdienen und endlich an
den bekannten Systemmängeln und Fehlsteuerungen ansetzen. Um die solidarische Vollversicherung zu erhalten,
müssen auch die Finanzgrundlagen der GKV konsolidiert
werden, allerdings nicht durch Zuzahlungen oder Wahlleistungen,
({6})
sondern strikt am Solidargedanken orientiert. Dazu liegen
Vorschläge von vielen Seiten, auch von uns, vor. Aus meiner Sicht bedarf es nur politischen Mutes, sie auch umzusetzen. Genau diesen Mut wünsche ich Ihnen, Frau Ministerin.
Danke.
({7})
Ich erteile Bundesministerin Ulla Schmidt das Wort.
Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit ({0}): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu Anfang den
Mitgliedern des Haushaltsausschusses dafür danken, dass
sie dafür gesorgt haben, dass wir die Stellenaufstockung
im Geschäftsbereich des Bundesgesundheitsministeriums
vornehmen können. Herr Kollege Luther, Sie können
ganz unbesorgt sein: Alle Stellen können ab Anfang Januar besetzt werden.
Weil ich als Ministerin auch gleichzeitig Leiterin des
Hauses und sozusagen oberste Dienstherrin bin, will ich
noch eines sagen: Wenn Sie glauben, wir hätten die Krise
genutzt, um elf neue Stellen im Ministerium zu schaffen,
die eigentlich nicht gebraucht werden, dann haben Sie offensichtlich überhaupt keine Vorstellung davon, wie viel
meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den letzten
Wochen und Monaten gearbeitet haben,
({1})
und zwar rund um die Uhr. Sie haben dafür gesorgt - gerade auch im Krisenstab -, dass wir für alle Eventualitäten gerüstet sind. Wir alle hoffen, dass wir nicht benötigen
werden, was wir derzeit einrichten und wofür wir Geld
ausgeben. Als Beispiele nenne ich die Beschaffung von
Impfstoffen und Antibiotika, die Investitionen in Laborkapazitäten. In diesem Rahmen haben wir auch dafür gesorgt, dass es Menschen gibt, die das bedienen können.
Sie sollen dafür sorgen, dass die Menschen in diesem
Lande sicher sein können, in einer Krise den Gesundheitsschutz zu erhalten, den sie benötigen. Wir hoffen
natürlich, dass wir niemals in die Situation kommen, dies
einsetzen zu müssen.
Dafür hat diese Regierung die finanziellen Grundlagen
geschaffen. Ich bin auch im Interesse meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür dankbar, dass die Stellen aufgestockt wurden; denn auch das hat etwas mit humanen
Arbeitsbedingungen zu tun. Und dafür setze ich mich ein.
({2})
Kollege Luther, ich komme zu meinem nächsten
Punkt. Sie haben so schön gesagt: Grün gescheitert, Rot
gescheitert - wir brauchen endlich wieder Schwarz. Dabei haben Sie an Ihren Kollegen aus der Schwesterpartei
gedacht.
({3})
Wir beide sind lange genug im Deutschen Bundestag.
Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Nach Ihren Analysen
hätte Ihr Kollege aus der Schwesterpartei nicht einmal
sein erstes Jahr überstanden; denn von 1991 bis 1998 sind
die Beitragssätze von 12,3 Prozent auf 13,6 Prozent gestiegen.
({4})
In den Jahren 1992, 1995 und 1996 - auch nach den Reformen Ihres Parteikollegen - wies die gesetzliche Krankenkasse Defizite in Höhe von 9,4 Milliarden DM,
7,2 Milliarden DM und 7 Milliarden DM auf.
({5})
Dies zeigt, dass trotz aller Reformen, die damals gemacht
wurden - auch die große Reform -, die Beiträge erhöht
werden mussten. All das, womit wir heute im Bereich der
Gesundheit konfrontiert werden - nicht nur die demographische Entwicklung, sondern auch der medizinische
Fortschritt, der dazu führt, dass unheilbare Krankheiten
chronisch werden -, erfordert immer wieder Reformen.
Das ist also nicht so einfach, Herr Kollege Luther.
Für diese Bundesregierung sage ich: Wir wollen nicht
den Weg gehen, den Sie gegangen sind, weil sich gezeigt
hat, dass diese Rezepte nichts bringen.
({6})
Sie haben während Ihrer Amtszeit Leistungen ausgeschlossen und die Zuzahlungen erhöht. Sie haben damit
nicht die Versicherten, sondern die Kranken mit über
4 Milliarden DM belastet. Trotzdem haben Sie keine Beitragsstabilität erreicht. Deshalb müssen wir uns darüber
unterhalten, welche anderen Wege zu gehen sind. Dazu
sind wir bereit.
({7})
Herr Kollege Parr, es geht nicht darum, die begrenzten
Mittel für unbegrenzte Leistungen einzusetzen; niemand
von uns will das.
({8})
Vielmehr müssen wir in der Gesundheitspolitik versuchen, die vorhandenen Mittel gerecht zu verteilen. Dabei
gilt es immer, zwei widerstreitende Interessen auszugleichen: zum einen das Interesse der Versicherten daran, dass
die Beiträge bezahlbar sind, zum anderen das Interesse
derjenigen, die krank sind, daran, eine Gesundheitsversorgung zu erhalten, die ihnen dabei hilft, gesund zu werden bzw. die Schmerzen zu bekämpfen. Beides können
wir nur dann zusammenbringen, wenn wir die Qualität der
medizinischen Versorgung verbessern. Wir brauchen
mehr wirtschaftliches Handeln im Gesundheitsbereich.
Selbstverständlich müssen wir uns auch über die Frage
der Reformen der Selbstverwaltung und der Vertragsgestaltung unterhalten. Das ist, glaube ich, unbestritten.
({9})
Wir brauchen mehr Patientenorientierung;
({10})
denn nur die Patienten und Patientinnen, die aktiv mit in
das Gesundheitsgeschehen eingreifen und daran teilnehmen, sind auch in der Lage, Eigenverantwortung zu
übernehmen.
({11})
Eigenverantwortung, Herr Kollege Parr, hat doch nicht
nur etwas mit dem Portemonnaie zu tun.
({12})
Die Menschen zahlen doch Beiträge entsprechend ihrem
Leistungsvermögen.
({13})
Wenn wir von Eigenverantwortung reden, dann ist damit genau das gemeint, was diese Regierung macht und
was sie fördert. Wir sagen: Die Menschen müssen lernen,
mehr Eigenverantwortung für die eigene Gesundheit zu
übernehmen.
({14})
- Ich sage das schon allen. - Wir müssen dafür sorgen,
dass in diesem Land der Grundsatz gilt: Für deine Gesundheit bist du zuallererst selber verantwortlich;
({15})
wenn du aber krank wirst, dann steht die Solidargemeinschaft ohne Einschränkungen für dich ein.
({16})
Das ist der Unterschied, Herr Kollege Parr, zwischen
dem, was wir machen, und dem, was Sie wollen.
({17})
Das ist auch einer der Gründe dafür, dass wir das Prinzip der solidarischen Versicherung beibehalten.
({18})
Herr Kollege Parr, die solidarische Versicherung, wie wir
sie haben, die jedem Menschen - unabhängig von seinem
Einkommen, Geschlecht und Alter -, der Mitglied in einer gesetzlichen Krankenversicherung ist, das gleiche Angebot an Leistungen zur Verfügung stellt, ist nämlich mit
eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Menschen diese
Eigenverantwortung überhaupt wahrnehmen können.
({19})
Eine gute Gesundheitsvorsorge ist die Voraussetzung für
Chancengleichheit. Inwieweit ein Mensch am gesellschaftlichen und politischen Leben teilhaben kann, ist
Bundesministerin Ulla Schmidt
immer mit davon abhängig, wie er gesundheitlich dazu in
der Lage ist.
({20})
Wir geben das Prinzip der solidarischen Versicherung
nicht auf.
({21})
Wir sagen ganz klar: Eine Steigerung der Qualität der Versorgung, mehr wirtschaftliches Handeln - also auch das
Erschließen von Wirtschaftlichkeitsreserven - und Beitragsstabilität
({22})
gehören ganz eng zusammen. Das ist auch der Grund für
die Reformen und die Zielsetzung der Reformen, die wir
bisher auf den Weg gebracht haben.
Wir haben die Prävention wieder gestärkt, nachdem
Ihr damaliger Minister geglaubt hat,
({23})
unter Hinweis auf Bauchtanzkurse können man gleich die
Primärprävention insgesamt als Kassenleistung streichen
und man brauche keine betriebliche Prävention. Ich
glaube, dass das der falsche Ansatz ist; denn in einer älter
werdenden Gesellschaft ist es nicht so entscheidend, ob
man mit 60, 70, 80 oder auch mit 40 Jahren krank wird; es
ist immer teuer. Entscheidend wird vielmehr sein, wie es
uns gelingt, die Menschen so lange wie möglich - auch
durch Angebote, die ihnen eine gesunde Lebensweise ermöglichen - gesund zu halten.
Wenn es, wie der Sachverständigenrat sagt, stimmt,
dass ein Herausschieben einer chronischen Erkrankung
um zwei Jahre einen Beitragssatzpunkt ausmacht, dann ist
es richtig, was wir mit dem Risikostrukturausgleich auf
den Weg gebracht haben. Wir sagen: Wir brauchen eine
bessere Versorgung chronisch kranker Menschen unter
aktiver Einbeziehung der Patienten und der Patientinnen
in diese Programme und auch die Wahrnehmung von Eigenverantwortung.
({24})
Wenn das stimmt, dann ist es auch richtig, dass wir das
Projekt „gesundheitsziele.de“ mit Haushaltsmitteln des
BMG fördern.
({25})
Wir wollen, dass sich die Versorgung künftig an allgemein
gültigen Qualitätsstandards ausrichtet.
({26})
Mein Ziel ist, künftig die Finanzierung sehr eng an die
Qualität der Leistung zu binden. Darin stimme ich mit Ihnen überein. Ich bin froh, dass eines der ersten Ziele, die
ausgearbeitet werden, die qualitätsgestützte Verbesserung
der Vorsorge und Versorgung bei Brustkrebs ist; denn ich
glaube, dass die Frauen in diesem Lande darauf schon viel
zu lange haben warten müssen. Dafür sollten wir uns gemeinsam einsetzen.
({27})
Wenn es stimmt, dass wir nur durch Qualitätssteigerungen Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen können,
ist unser Gesetz zur Einführung der Fallpauschalen in den
Krankenhäusern der richtige Weg. Ein Grund ist, dass wir
durch die leistungsbezogene Vergütung davon wegkommen, das Vorhalten von Bettgestellen zu finanzieren. Der
wichtigere Grund ist aber, dass ein Krankenhaus, das vollständig nach Fallpauschalen abrechnet, ganz anderen
Qualitätsansprüchen genügen muss; denn ein an Fallpauschalen orientiertes Krankenhaus muss interdisziplinär
zusammenarbeiten, wenn es wettbewerbsfähig sein will.
({28})
Damit steigt die Qualität der Versorgung. Wir wissen ja,
dass Qualitätsmängel zum großen Teil auf einer nicht abgestimmten Parallelbehandlung beruhen.
Wenn ein Krankenhaus nach Fallpauschalen arbeitet,
kann es auf Dauer nicht wettbewerbsfähig sein, wenn in
diesem Krankenhaus kein Arbeitszeit- und Personalmanagement stattfindet. Dies hat nicht nur etwas mit
Geld zu tun, sondern dient auch dazu, dass der Pflege- und
der Arztberuf für junge Menschen wieder attraktiver wird.
Die momentanen Arbeitszeitbedingungen erinnern teilweise an die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, sie passen
nicht in eine Gesellschaft des 21. Jahrhunderts.
({29})
Unser Weg hin zu mehr Versorgungsqualität und mehr
Zusammenarbeit ist richtig. Auch die Modellprojekte, die
mit diesem Haushalt gefördert werden, gehen in diese
Richtung.
Ich kann Ihnen zum Schluss noch sagen, dass ein ganz
elementarer Bestandteil dieser Neuorientierung der Einzug der Telematik in das Gesundheitswesen sein wird,
({30})
damit wir Prozessabläufe optimieren können und dadurch
mehr Zusammenarbeit und mehr Transparenz für die
Leistungserbringer sowie die Versicherten und Patienten
schaffen können. Dafür sollten wir gemeinsam alles tun.
Dann können wir wirklich gute medizinische Leistungen
zu bezahlbaren Preisen anbieten.
({31})
Bundesministerin Ulla Schmidt
Auch morgen soll in Deutschland noch der Satz gelten:
Krankenkasse ist nicht zweite Klasse. - Darauf vertrauen
die Menschen in diesem Land und dafür treten wir an.
Vielen Dank.
({32})
Nun hat Kollege
Horst Seehofer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kollegin Schmidt, manchmal
ist es schon eine Folter, wenn man Ihnen zuhören muss.
({0})
Das ganze deutsche Gesundheitswesen ist außer Rand
und Band und wir hören hier Ausführungen, die - wie
mein Kollege Faust, ausgebildeter Arzt, gerade sagte eher zum ersten Herbstzeugnis als hierhin gehören, das
allerdings nicht zum Vorrücken berechtigt, Frau Schmidt.
Sie haben völlig am Thema vorbeigesprochen.
({1})
Sie haben hier die wesentlichen Punkte mit Allgemeinplätzen besetzt. Dazu braucht man keine Gesundheitsministerin und dazu braucht man auch keine Haushaltsberatung hier im Parlament.
Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, einen Auszug
aus den Agenturmeldungen der letzten zwei Tage dazu zu
erstellen, was diejenigen von dem Gesundheitswesen in
Deutschland halten, die davon betroffen sind, also diejenigen, die täglich Dienst an den Menschen leisten, und
diejenigen, die diesen Dienst brauchen, nämlich die Krankenversicherten. Wenn Sie das lesen, werden Sie sehr
schnell erkennen, dass das deutsche Gesundheitswesen
aufgrund Ihrer Politik, Frau Schmidt, außer Rand und
Band geraten ist.
({2})
Sie haben heute wieder zwei Ziele formuliert: eine qualitativ hohe Versorgung und stabile Krankenversicherungsbeiträge. Dazu schrieb die Deutsche Gesellschaft für
Versicherte und Patienten, also diejenigen, für die das Gesundheitswesen installiert ist, am 28. November 2001:
An diesem Anspruch ist die Gesundheitspolitik von
Rot-Grün nun gescheitert.
Sie haben keines der beiden Ziele erreicht.
({3})
Sie bekommen steigende, galoppierende Beiträge und
eine Versorgung, die schlechter ist, als wir sie jemals in
der Bundesrepublik Deutschland hatten.
({4})
28. November 2001: Klinikärzte beginnen mit Computerstreik. Die Ärzte wollen gegen die überlangen Arbeitszeiten, fehlende Personalstellen und überbordende
Bürotätigkeiten demonstrieren. Sie wollen, dass endlich
das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Oktober 2000 umgesetzt wird. 15 000 Stellen sind in den deutschen Krankenhäusern notwendig. Die Ärzte leiden unter
diesem Problem. Sie sagen zu diesem Thema keinen einzigen Satz.
({5})
Verweisen Sie jetzt nicht auf unsere Regierungszeit.
Wir haben in unserer Regierungszeit zwischen 1992 und
1997 für die Pflegekräfte in den deutschen Krankenhäusern 25 000 zusätzliche Stellen geschaffen und damit den
Pflegenotstand in Deutschland behoben. Wir haben das
auch finanziert. Jetzt sind Sie an der Reihe, den Ärzten mit
15 000 Stellen zu helfen.
({6})
Ich will nun den „praktizierenden Bundesgesundheitsminister“ Florian Gerster zitieren. Wer Florian Gerster
nicht kennt, dem sei gesagt: Das ist der Sozialminister in
Rheinland-Pfalz und der eigene Kopf der deutschen SPDGesundheitspolitik. Frau Schmidt, an den werden Sie sich
noch erinnern.
({7})
Ich zitiere ihn vom 29. November 2001 - das ist
heute -:
Aber inzwischen sehen auch viele - auch im Bundeskanzleramt und in der Spitze der Regierung -,
dass wir mit den jetzigen Instrumenten nicht weiterkommen. ...
Gerster kritisierte, dass Schmidt die Budgetdeckelung
vor der Entwicklung neuer Instrumente zur Kostenminderung im Gesundheitswesen aufgehoben hat: Frau
Schmidt, es war einer Ihrer zentralen Fehler, dass Sie die
Budgets aufgehoben und nicht gleichzeitig eine Strukturreform des deutschen Gesundheitswesens durchgeführt
haben.
({8})
Der „amtierende Bundesgesundheitsminister“ wird
weiter zitiert:
Auch der Tauschhandel mit der Pharmaindustrie sei
irritierend.
({9})
- Das ist der Ablass mit 400 Millionen DM. Das ist einer der unappetitlichsten Vorgänge in der deutschen Politik der jüngeren deutschen Geschichte.
({10})
Der Deutsche Bundestag - das hätten wir einmal machen sollen! - bekommt ein Gesetz mit dem Inhalt zugeleitet, dass die Pharmahersteller einen Solidarbeitrag zu
Bundesministerin Ulla Schmidt
erbringen haben. Das gefällt den Pharmaherstellern nicht.
Dafür habe ich Verständnis, das ist ihr Recht. Danach haben Sie nichts mehr zu sagen gehabt, Frau Schmidt. Sie
sind dann direkt zum Kanzler gegangen. Der Kanzler hat
diesen Ablasshandel vereinbart.
Das ist ein in hohem Maße unappetitlicher Vorgang:
Die großen Konzerne sanieren sich zulasten der Patienten und der kleinen und mittelständischen Betriebe. Sie
als Parlamentarier lassen sich dieses Gesetz aus der Hand
nehmen. Sie sind dazu überhaupt nicht mehr gefragt
worden.
Die Spitze und Absurdität dieses ganzen Vorgangs ist,
dass die Hauptzeche dieses Prozesses die Steuerzahler bezahlen, weil dieser Beitrag natürlich als Betriebsausgabe
von der Steuer absetzbar ist, Frau Schmidt. Das ist Ihr Solidarbeitrag für die Pharmaindustrie. Ihn zahlen die
Steuerzahler und nicht die Pharmahersteller.
({11})
Nun zitiere ich den Prüfungsbericht 2000 des Bundesversicherungsamtes:
Zur Deckung ihrer laufenden Ausgaben greifen
Krankenkassen immer wieder auf Mittel der Pflegekasse zurück. Die der Pflegekasse entgangenen Zinserträge haben die Krankenkassen oftmals nicht erstattet.
({12})
Wir haben die Kassen
- so das Bundesversicherungsamt angehalten, die der Pflegekasse zustehenden Zinsen
für die Vergangenheit zu erstatten und bei künftigen
Krediten der Pflegekasse die Zinsen zu erstatten.
Das muss man sich einmal vorstellen: Die Pflegekassen leben im Moment von den Rücklagen, die wir 1998 an
diese Regierung übergeben haben. Die Pflegekassen haben erhebliche strukturelle Probleme. Die Pflegesätze
sind im ambulanten Bereich nicht mehr angehoben worden. Sie haben in Wahrheit das Problem mit den Demenzkranken nicht gelöst. In einer solchen Situation lassen Sie zu, dass sich die Krankenkassen aus den
Rücklagen der Pflegekassen bedienen und dafür den Pflegekassen nicht einmal die Zinsen bezahlen.
Frau Schmidt, es wäre heute an der Zeit gewesen,
dass Sie vor dem deutschen Parlament einmal sagen,
was Sie dagegen unternommen haben, dass sich die
Krankenkassen bei den Pflegekassen bedienen. Das ist
eine Plünderung der Pflegekassen. Wir brauchen das
Geld für die Kranken und Pflegebedürftigen: es darf
nicht zur Sanierung Ihrer verfehlten Politik verwendet
werden.
({13})
Ich habe heute viele neue Begriffe gelernt. Es gibt
künftig einen „zugelassenen Patienten“.
({14})
Das verrät die ganze Denkrichtung, Herr Schöler. Ich
werde Ihnen - wenn es nicht zu teuer ist; ich muss mich
erst erkundigen - das Werk „Der Arzt wider Willen“ von
Molière zu Weihnachten schenken; denn in diesem schönen Werk kommt Ihre Denkrichtung zum Ausdruck.
Molière kommt in diesem Werk zu dem Ergebnis, dass
zwar eigentlich alles perfekt geregelt sei, dass er aber
gerne noch die Regelung haben möchte, dass ein Patient
erst dann sterben darf, wenn es der Arzt ausdrücklich verordnet hat.
({15})
Daran hat mich Ihr Begriff „zugelassener Patient“ erinnert.
Frau Göring-Eckardt, Sie haben - das ist die zweite
neue Wortschöpfung - von „Aufwächsen bei den Beiträgen“ gesprochen. Ich weiß zwar nicht genau, was das ist;
aber wahrscheinlich haben Sie steigende Beiträge gemeint. Das war wirklich eine schöne Wortschöpfung.
Aber obwohl Sie von Gesundheitspolitik so viel verstehen wie niemand sonst bei den Grünen, muss ich Sie
mit Herrn Metzger von Ihrer Fraktion konfrontieren. Jeder mischt sich ein, weil die zuständige Ministerin ein Vakuum hinterlässt. Sie hat auch heute nicht zu erkennen gegeben, wohin ihre Gesundheitspolitik eigentlich führen
soll, was sie gegen Beitragssatzerhöhungen und gegen die
Verschlechterung der Versorgungsqualität tun möchte.
Man darf sich deshalb nicht wundern, wenn sich jeder,
wie zum Beispiel Rheinland-Pfalz, zu Wort meldet.
Jetzt hat sich also auch Herr Metzger geäußert, den ich
übrigens sehr schätze. Er sagt laut einer Pressemitteilung
vom 29. November - das ist sozusagen taufrisch - genau
das, was wir Ihnen schon seit Jahren sagen und was wir,
als wir Verantwortung getragen haben, auch befolgt haben: Es gibt nur Transparenz, Wettbewerb und mehr
Selbstbestimmung im Gesundheitswesen. Genau diese
drei Parameter sind die Lösung für ein modernes, sozialverträgliches Gesundheitswesen.
({16})
Herr Metzger macht sogar den Vorschlag - ich denke,
dass das meine Fraktion auch so sieht; wir haben nicht darüber gesprochen -: Derjenige, der regelmäßig zu Vorsorgeuntersuchungen geht, hat eine geringere Selbstbeteiligung als derjenige, der das nicht tut. Das ist ein ganz
vernünftiger Ansatz von Eigenverantwortung. Das ist
etwas anderes als das, was Sie immer behaupten, um sich
selbst zu behaupten. Wir wollen mehr Prävention und
Vorsorge mit mehr Selbstbestimmung und Eigenverantwortung verbinden. Deshalb hat Herr Metzger zu Recht
gesagt: Dass Herr Seehofer den Bonus bei der Zahnheilkunde eingeführt hat - wer regelmäßig zum Zahnarzt
geht, bekommt einen höheren Zuschuss als derjenige, der
nicht regelmäßig zum Zahnarzt geht -, war wunderbar. So
etwas ließe sich im gesamten Gesundheitswesen realisieren: Wer häufiger zu Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen - eine Steigerung der Zahl solcher UnHorst Seehofer
tersuchungen ist in der Tat notwendig - geht, muss weniger bezahlen, während derjenige, der das nicht tut, durch
eine höhere Selbstbeteiligung mehr zur Solidargemeinschaft beitragen muss.
Ich weiß nicht - da Herr Metzger nicht da ist, kann ich
ihn nicht fragen -, ob alle Grünen diese Meinung teilen.
Aber selbst wenn es so wäre, ist ja noch lange nicht gesagt, dass sie ihr Gewissen so vergewaltigen dürfen, dass
sie ihre Meinung gegenüber der SPD durchsetzen können.
Herr Schöler und Frau Ministerin, Sie beide haben wieder von der Vergangenheit gesprochen.
({17})
Das ist der rote Faden, der sich durch die ganze Haushaltsdebatte zieht. Mich wundert, dass Sie nicht bis in die
Gründungsjahre der Republik zurückgehen. Frau
Schmidt, Ihre Partei - wahrscheinlich waren Sie auch
schon damals Mitglied des Bundestages - hat schon einmal Verantwortung getragen. Zwischen 1970 und 1982 ist
der Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung
von 8,2 auf 12 Prozent, also um 3,8 Prozentpunkte, gestiegen.
({18})
Dafür war Ihre Partei verantwortlich. Unter Helmut
Schmidt wurde dann ein Gesetz eingebracht, das höhere
Zuzahlungen vorsah. Unter anderem darüber ist Helmut
Schmidt - ich erinnere mich daran noch gut, weil es mein
erster Wahlkampf war - gestürzt. Während der 13 Jahre,
in denen die sozialliberale Koalition regierte, ist der Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung also
um fast 4 Prozentpunkte gestiegen.
({19})
In den 16 Jahren, in denen wir Verantwortung getragen
haben, ist der Beitragssatz von 12 auf 13,6 Prozent gestiegen. Er ist also in 16 Jahren um 1,6 Prozentpunkte gestiegen! In den 90er-Jahren, als es einen großen Beitragssatzsprung gab, haben wir das Geld für einen guten Zweck
ausgegeben, nämlich für eine bessere gesundheitliche
Versorgung in den neuen Ländern. Das Geld war gut angelegt.
({20})
Der von uns durchgeführte Umbau des Gesundheitswesens in den neuen Ländern war eine der größten Leistungen in der deutschen Sozialgeschichte. Deswegen war
es gerechtfertigt, einen etwas höheren Beitragssatz in
Kauf zu nehmen.
({21})
Frau Ministerin, das ist der entscheidende Unterschied
zwischen Ihrer und unserer Politik. Die Beitragssatzerhöhungen, die Ihnen jetzt bevorstehen, die im Moment
laufen und die dazu führen, dass wir einen Rekordbeitragssatz erreichen, den wir in der deutschen Geschichte
in der gesetzlichen Krankenversicherung noch nie hatten,
werden für Dinge ausgegeben, bei denen man sehr hinterfragen kann, ob sie unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit und der Effizienz angezeigt sind. Unsere Beitragssatzerhöhungen hingegen wurden für einen sehr
notwendigen und guten Zweck ausgegeben, nämlich für
den Umbau des deutschen Gesundheitswesens in den
neuen Ländern. Das ist der entscheidende Unterschied.
Frau Schmidt, ich kann Ihnen nur raten: Erholen Sie
sich über die Weihnachtsfeiertage gut. Lassen Sie sich
warme Kleidung schenken; denn Ihnen stehen im nächsten Jahr sehr anstrengende, sehr unterhaltsame, aber auch
frostige Monate bevor. Das kann ich Ihnen ankündigen.
({22})
Ich erteile Kollegin
Monika Knoche, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Seehofer, Sie haben eine umfangreiche Zitatensammlung vorgelegt. Das war ein bisschen patchworkmäßig nach Lumpensammlerart, aber eine große, starke
Rede war das nicht. Ich glaube, das werden Sie selbst auch
nicht so sehen.
({0})
Gut wäre es natürlich gewesen, Herr Seehofer, wenn
man all die Umbruchsherausforderungen im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung seriöserweise steuerfinanziert und nicht den gesetzlichen Krankenkassen aufgebürdet hätte.
({1})
Dann hätten wir heute über eine ganz andere Beitragshöhe
zu reden und die geringen Entwicklungen, die heute zu
verzeichnen sind, würden sich relativieren.
({2})
Ich muss mich aber auch wundern, mit welcher Leichtigkeit bis nahezu Leichtfertigkeit von den hohen Errungenschaften gesprochen wird, die dieses bewährte System
hervorgebracht hat, in Bezug auf Innovationskraft und
in Bezug auf einen sehr hoch spezialisierten Arbeitsmarkt
und Beschäftigungssektor im Gesundheitsbereich, der
volkswirtschaftlich von eminenter Bedeutung ist
({3})
und dessen Zuwächse insgesamt wie auch die Interessen,
die rein privatwirtschaftlich Agierende im Gesundheitswesen haben, ausschließlich darauf zurückzuführen sind,
dass wir ein paritätisch finanziertes solidarisches
Sachleistungsprinzip haben.
({4})
Nur die Tatsache, dass alle gesetzlich Versicherten
- dies sind über 90 Prozent - diese hohen Leistungen im
Falle der Krankheit bekommen können, hat den Innovationsschub befördert und enorme Wirtschaftlichkeiten, die
dieses System bereithält, nutzen lassen. Wir brauchen uns
doch nur umzuschauen, um zu sehen, dass es niemals der
Leistungskatalog als solcher ist, der die Leistung auslöst,
sondern dass das immer die medizinische Indikation ist.
({5})
Damit sind wir im Zentrum der Frage: Wer kann sich
seine Krankheit aussuchen? Wer kann durch die Wahl des
Leistungskataloges entscheiden, welche medizinische
Versorgung er oder sie braucht? Das ist doch gänzlicher
Unfug und Humbug!
({6})
Klar ist doch: Wenn ich den Leistungskatalog einschmelze, wird die GKV-Last, die Beitragslast, immer
größer, weil die großen Risiken von immer weniger Menschen in der Solidargemeinschaft finanziert werden müssen. Es ist barer volkswirtschaftlicher Unfug, aus dem
Sachleistungsprinzip aussteigen zu wollen.
({7})
Es kommt noch etwas Interessantes dazu; das sprechen
Sie nicht so deutlich aus. Wenn man den Leistungskatalog
ausdünnt, eröffnet man in der Tat einen neuen großen,
ökonomisch verwertbaren Dienstleistungssektor, nämlich
den Sektor der ärztlichen Dienstleistung, die privat bar bezahlt werden muss. Wie kann man eine medizinische
Leistung, die nicht medizinisch indiziert ist, auch
medizinethisch vertreten? Man kann ein System wie unseres nicht zu einem Wirtschaftsfaktor ausbauen und noch
die Illusion nähren, dass man darin evidenzbasierte medizinische Versorgungsansprüche realisieren könnte.
({8})
Die große Aufgabe, die es auch in der Zukunft gerade
in Bezug auf die demographische Entwicklung zu meistern gilt, muss zwingend auf dem solidarischen Sachleistungssystem basieren.
({9})
Deshalb ist es für mich völlig unverständlich, wie man ein
so hochleistungsfähiges System in solchem Maße diskreditieren kann.
({10})
Rein demokratiepolitisch und vom Staatsverständnis
her ist es für mich ein Phänomen: Wer heute den Systemwechsel propagiert, hat vor der Aufgabe der Reformpolitik bereits kapituliert. Warum? - Wenn man ein System
verlassen will, muss man zwingend nachweisen, dass es
nicht reformierbar ist. Genau das können Sie nicht nachweisen. Sie haben keine Legitimation, zu behaupten, dass
dieses System die Herausforderungen der Zukunft nicht
meistern kann.
({11})
Dazu braucht man allerdings eine Politik, die es sich nicht
aus der Hand nehmen lässt, regulierend und reregulierend
zu wirken.
({12})
Es hat mich doch sehr verwundert, wie neue Leistungsbereiche, die wir in die GKV aufgenommen haben,
in den Debattenbeiträgen denunziert wurden. Was bedeutet in diesem Bereich die medizinische Fußpflege? Es ist
ein zwingendes Erfordernis, Menschen mit diabetischen
Erkrankungen eine bessere Versorgung zu sichern
({13})
und sie als chronisch Kranke möglichst lange frei von vermeidbaren Beschwerden zu halten. Das ist ein unverzichtbarer Leistungsbereich.
({14})
Ein weiteres Beispiel ist die Soziotherapie. Wie kommt
man dazu, in Abrede zu stellen, dass Menschen mit
schweren chronischen psychiatrischen Krankheitsbildern
diese Leistungen brauchen? Das ist für mich der Inbegriff
von Gleichheit, die durch die GKV hergestellt werden
kann. Das werde ich jederzeit verteidigen.
Wenn Sie einzelne Leistungsbereiche herausnehmen
wollen, drücken Sie damit zugleich aus, dass Sie die Ungleichheit der Erkrankten verstärken wollen.
({15})
Man muss sicherstellen, dass - egal, um welche Krankheit
es sich handelt - alle an den neuen medizinischen Erkenntnissen partizipieren können.
({16})
Deshalb ist dieses System so souverän.
({17})
Neue Herausforderungen stehen an. Sie werden von
uns gemeistert werden. Ich nenne nur das von keinem Ihrer Redner angesprochene Thema der großen Herausforderung der neuen Bio- und Gentechnologie sowohl in
der Forschung als auch in der Diagnostik.
Ein Gentestgesetz wird von uns erarbeitet werden, um
sicherzustellen, dass Gendiagnostik - ein hochsensibles
Gebiet - nur im Bereich des ärztlichen Behandlungsauftrages erfolgen kann, damit niemand mit diesen Tests zusätzlich Geld verdient und große Verunsicherung bei den
Menschen verursacht und ihnen individuell riesige Risiken auflädt.
Wir beschäftigen uns ebenso damit, welche immensen
Tabubrüche die embryonale Stammzellforschung darstellt, gerade in Bezug auf die Ummünzung der Unfruchtbarkeitsbehandlung zur Gewinnung von Ressourcen für
die medizinische Forschung. Das sind herausragende
Themen, denen wir uns stellen.
Ich bin froh, dass ich in dieser Legislaturperiode an der
Arbeit der Regierungskoalition teilnehmen kann. Ich
würde niemals erwarten, dass Sie mit einer solchen Offenheit und Klarheit sowie einer solchen ethischen Orientierung an diese Zukunftsfragen herangingen.
({18})
Ich erteile dem Kollegen Dr. Ilja Seifert, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine liebe
Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir noch einige
Bemerkungen zur Pflegeversicherung. Es gäbe dazu eigentlich sehr viel zu sagen.
Frau Ministerin, anhand zweier Punkte möchte ich belegen, dass man einiges, was Sie in diesem Bereich machen, nicht akzeptieren kann.
({0})
Sie nehmen sich vor, über die Pflegeversicherung Modellprojekte für ein persönliches Budget und für neue
Wohnformen von Pflegebedürftigen zu bezahlen. Selbst
wenn das funktionieren würde, könnten Sie diese Modellprojekte keinesfalls in die Praxis überführen; denn
bundesweit flächendeckend kann man aus der Pflegeversicherung weder persönliche Budgets, die den Zweck
einigermaßen erfüllen, noch Wohnformen finanzieren;
das muss steuerfinanziert sein.
Gleichzeitig - das ist das eigentlich Schlimme - senken Sie die Haushaltsmittel für diesen Zweck um den
Betrag, den Sie in der Pflegeversicherung für Modellprojekte zur Verfügung stellen. Das ist ein Verschiebebahnhof im klassischen Sinne. Das kann man nicht akzeptieren.
({1})
- Lesen Sie das doch einmal nach!
({2})
- Eben!
Dann lassen Sie uns einmal über die Greencard-Variante reden. Auch das ist so ein tolles Ding. Wenn wir Pflegeassistenz, Hilfe, Begleitung - und was da sonst noch alles genannt werden kann - wirklich ernst nehmen und ein
bisschen verbessern wollen, dann müssen wir wissen,
dass die Menschen, die diese Pflegeassistenz, diese Hilfe,
diese Begleitung benötigen, unter anderem Ansprache
und das Reden miteinander brauchen.
({3})
Ich möchte einmal wissen, wie ein pflegebedürftiger
Mensch mit einem Thai-Mädchen reden soll. Ich habe
nichts gegen Thai-Mädchen, aber in diesem Bereich geht
es um etwas anderes. Es geht darum, dass man miteinander reden kann, und dazu gehören unter anderem Sprachkenntnisse, und zwar auch Kenntnisse der Dialekte, die
die Menschen sprechen. Jemand, der in einem bayerischen Dorf pflegebedürftig ist, spricht bayerisch. Das ist
nicht das Deutsch, das ein aus dem Ausland eingereister
Mensch vielleicht ein bisschen lernt.
Ich weiß genau, dass diese Greencard-Variante auch in
den Kreisen derjenigen, die den Pflegenotstand immer
wieder und mit Recht anprangern, zwar begrüßt wird,
aber nur als eine Notvariante gesehen wird. Das heißt
doch, dass die Not so groß ist, dass man anders überhaupt
nicht weiterkommen kann. Ihre Aufgabe und unsere Aufgabe wäre es aber, den Menschen, die diese Arbeit leisten
möchten - sonst würden sie den Beruf ja nicht erlernen -,
eine Chance zu geben, diesen Beruf so auszuüben, wie sie
ihn ausüben wollen, eben nicht nach dem Motto: satt, sauber, trocken und ansonsten Bude zu und viel Papier beschrieben.
({4})
Darum geht es eben nicht. Es geht darum, sich den Menschen zuwenden zu können. Dazu gehört auch, dass man
miteinander reden kann, dass man Zeit füreinander hat,
dass man da ist, statt Papier zu beschreiben.
Ich hätte dazu noch sehr viel zu sagen, aber leider ist
meine Redezeit zu Ende.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und bitte Sie,
das zu bedenken.
({5})
Ich erteile dem Kollegen Klaus Kirschner, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Kollege Seehofer
- oder soll ich sagen „lieber Herr Kollege Seehofer“? -,
({0})
nachdem ich Ihnen zugehört habe, kann ich nur ein Resümee ziehen: Sie tragen Ihre simple Kritik gebetsmühlenhaft in Plattitüden vor, ohne - das habe ich bei Ihnen vermisst - konkrete Antworten auf die Zukunftsfragen der
Gesundheitspolitik zu geben.
({1})
Das lässt darauf schließen, dass Sie - das gilt für die
gesamte Opposition auf der rechten Seite des Hauses Ihre Absichten vor den Wählern verschleiern wollen.
({2})
Dafür habe ich sogar Verständnis, da Sie schon bei der
letzten Bundestagswahl von den Wählerinnen und
Wählern für Ihre Politik der immer höheren Zuzahlungen - lieber Herr Kollege Seehofer, das haben Sie eben
verschwiegen - und des Schritts in die Zweiklassenmedizin - die Abschaffung der Erstattung für Zahnersatz für
jüngere Menschen war der Schritt in die Zweiklassenmedizin - abgewatscht worden sind.
({3})
Sie tun so, als ob Ihre Welt der Gesundheitspolitik,
Herr Kollege Seehofer, heil gewesen wäre. Nichts war
heil und nichts war Ihnen heilig. Bei Ihnen sind sowohl
die Beitragssätze gestiegen
({4})
als auch die zusätzlichen Belastungen für die Patientinnen
und Patienten. Denken Sie doch nur an die Zuzahlungen
bei Arzneimitteln, die Sie erhöht haben, an die Zuzahlungen bei Reha und an die Koppelung, dass die Beitragssätze gestiegen sind und die Zuzahlungen erhöht wurden.
({5})
Mit diesen Rezepten von gestern und vorgestern wollen
Sie doch im Grunde weitermachen. Sie wollen den Patienten in die Tasche greifen.
({6})
Da Sie das verschleiern wollen, lasse ich Ihnen die gesundheitspolitische Hose runter.
({7})
Ich will einmal versuchen, das an dem CDU-Papier
„Neue soziale Marktwirtschaft - für einen neuen Vertrag
zwischen Politik und Bürger“ - das ist eine schöne Überschrift - klar zu machen. Dort heißt es unter anderem:
Auch die gesetzlichen Krankenkassen sollen
Zusatzversicherungen anbieten können.
Unter „Stärkung der Wahlrechte der Versicherten“ heißt es:
Diese sollen sich für oder gegen bestimmte, über die
Kernleistungen hinausgehende Zusatzleistungen entscheiden können.
({8})
Im Klartext: Sie wollen Grund- und Wahlleistungen
und nichts anderes.
({9})
Nicht mehr der Patient und seine berechtigten medizinischen Bedürfnisse stehen im Mittelpunkt, sondern der Zugriff auf den Geldbeutel.
({10})
Davon soll seine Behandlung abhängig gemacht werden.
Das ist, auch wenn Sie es anders nennen und verschleiern
wollen, die Zwei-Klassen-Medizin. Das wissen Sie ganz
genau.
({11})
Nun zur CSU. Ich gebe ja gern zu: Die CSU ist im Zünden von Nebelkerzen cleverer als ihre Schwester- oder
Bruderpartei CDU. In ihrem Papier „Gesundheitspolitik
für das neue Jahrhundert“ heißt es zwar:
Die Einführung einer Grundsicherung bzw. die Einführung eines Regel- und Wahlleistungskatalogs ist
abzulehnen, da niemand in der Lage ist, einen Grundleistungskatalog aufzustellen.
Da kann ich nur sagen: Richtig! Ich frage allerdings:
Wieso haben Sie denn vorher geklatscht?
({12})
- Sie haben doch vorher geklatscht.
Weiter steht dort:
Der Versicherte soll jedoch zukünftig wählen können, welche Leistungen er in der gesetzlichen
Krankenversicherung beanspruchen will.
({13})
Zwar sollen Krankenhausbehandlung, Arzneimittel und
ärztliche Behandlung sowie Krankengeld auch weiterhin
zum Pflichtleistungskatalog gehören, jedoch sollen die
übrigen Leistungen - so steht es in Ihrem Papier -, das
sind etwa 16 Prozent der Leistungsausgaben, immerhin
rund 40 Milliarden DM, vom Versicherten insgesamt oder
teilweise abgewählt werden können. Das heißt beispielsweise - das müssen Sie den Menschen sagen -:
Heilmittel, Hilfsmittel, Zahnersatz, häusliche Krankenpflege, Krankenfahrten, beispielsweise zur Dialyse, stellen Sie zur Disposition.
({14})
Beantworten Sie doch einmal folgende Frage: Wenn
ein 20- oder 30-jähriger Patient oder Versicherter, der in
diesem Alter logischerweise in der Regel nicht an chronische Krankheiten denkt, solche Leistungen abwählt, mit
60 Jahren aber beispielsweise einen Schlaganfall erleidet
- davor ist niemand gefeit - und dringend auf Krankengymnastik, Logopädie oder häusliche Krankenpflege
angewiesen ist, was wird dann aus seiner Behandlung?
Diese Fragen müssen Sie doch beantworten, wenn Sie
diese Leistungen aus dem Pflichtleistungskatalog herausnehmen.
Welchen Stellenwert hat denn die Reha in der Gesundheitsversorgung à la CSU, wenn Krankengymnastik und
Sprachheilkunde nicht mehr zum Pflichtleistungskatalog
der gesetzlichen Krankenversicherung gehören sollen?
Was ist mit dem Rollstuhl als Hilfsmittel, wenn er den
abgewählt hat? Der gehört nach Ihrer Version der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr zum Pflichtleistungskatalog. Was ist, wenn nach einer Brustkrebsoperation die Lymphdrainage nicht mehr von der GKV
gewährt wird, weil sie nicht mehr zu den Pflichtleistungen
gehört
({15})
und die Patientin als Versicherte das in jungen Jahren abgewählt hat?
Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Sind Sie sich
eigentlich bewusst, dass Sie die Behandlungskette von der
Prävention über die Akutbehandlung zur Reha kippen?
Sind Sie sich bewusst, dass Sie Heil- und Hilfsmittelversorgung einerseits zu Luxusgütern machen, indem
Sie sie aus der gesetzlichen Krankenversicherung ausgliedern, während anderseits den Sozialhilfeempfängern
diese Leistungen zustehen? Was Sie in Ihr Papier
hineingeschrieben haben, ist verfassungswidrig.
({16})
Meine Damen und Herren, in enger Verbundenheit
- das gilt auch für die FDP, lieber Herr Kollege Parr - mit
den Lobbyisten der Leistungserbringer begründen Sie
dies unisono damit, dass angeblich das Geld nicht mehr
reicht für eine ausreichende und qualitätsgesicherte Vollversorgung.
Der Kollege Seehofer hat in einer Debatte im Deutschen Bundestag am 26. September gesagt, dass durch die
Budgetierung Millionen kranke Menschen in Deutschland die notwendige Versorgung nicht mehr bekommen.
Angesichts Ihrer Absichten - sie sind im CSU-Papier dargelegt -, die Heil- und Hilfsmittelversorgung und die
häusliche Krankenpflege von Schwerkranken zu streichen, ist dies pure Heuchelei.
({17})
An die Adresse der FDP möchte ich Folgendes sagen:
Herr Kollege Parr, Sie reden ständig von mehr Wettbewerb. Wo bleibt die Forderung nach mehr Wettbewerb
zum Beispiel bei der Arzneimitteldistribution? Fordern
Sie die Freigabe des Versandhandels für Medikamente?
Wollen Sie mehr Wettbewerb bei den Zahnärzten und
Ärzten? Stellen Sie die KVen und die KZVen auf den
Prüfstand? Was Sie in Wirklichkeit wollen, ist ein Wettbewerb zugunsten der Besitzstandswahrer und zulasten
der Versicherten und Patienten.
({18})
Ihre Wege, den Kranken mehr Geld abzupressen, sind
in höchstem Maße unsozial. Es ist doch vielmehr zutreffend - ich zitiere ({19})
- warten Sie einmal ab! -,
dass wir in der Bundesrepublik Deutschland zu viele
Krankenhausbetten haben, dass wir im Krankenhaus
ein hohes Maß an Fehlbelegungen haben, dass wir in
Deutschland viel zu viel stationäre und viel zu wenig
ambulante Behandlung durchführen. Niemand wird
ernstlich infrage stellen können, dass wir in der teuren Apparatemedizin z. B. einen Anteil von 30 %
überflüssigen Röntgen- oder Laborleistungen haben.
Jeder kennt doch die Probleme mit den Mehrfachuntersuchungen, mit den großen Arzneimittelpackungen. Hier liegen große Wirtschaftlichkeitsreserven
für das Einsparen.
Dieser Sachstandsbeschreibung kann ich nur zustimmen. Sie liegt zwar neun Jahre zurück, hat aber nichts von
ihrer Aktualität verloren. Wissen Sie, von wem diese Analyse stammt? Von unserem lieben, verehrten Kollegen
Seehofer - damals noch Bundesgesundheitsminister -,
hier am 11. September 1992 vorgetragen!
({20})
Wie man aus einer solchen Analyse die Schlussfolgerung
ziehen kann, dass es einer höheren Selbstbeteiligung und
der Kürzung medizinischer Leistungen bedarf, das bleibt
Ihr Geheimnis.
({21})
Zielführend ist: höhere Effizienz, mehr Effektivität
und Qualität, so wie es das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 vorsieht. Das haben wir in das Gesetz hineingeschrieben. Ich gebe zu: Wir sind mit der Umsetzung leider nicht so vorangekommen, wie ich es erhofft habe.
({22})
Beispielsweise wurden bis zur Konstituierung des Koordinierungsausschusses mehr als eineinhalb Jahre gebraucht. Wir werden uns diese Blockade genau anschauen. Es darf in Zukunft nicht mehr so sein, dass das,
was der Gesetzgeber beschließt, blockiert wird.
Ebenso sind die vollmundigen Versprechungen der
KBV - ich weise darauf hin, weil es ebenfalls sehr viel mit
den steigenden Arzneimittelausgaben zu tun hat -, das
Problem der Arzneimittelausgaben selbst in den Griff zu
bekommen, ins Gegenteil verkehrt worden. Auch deshalb
müssen wir jetzt die Gesetze ändern.
Beitragssatzstabilität ist erreichbar, wenn - davon bin
ich überzeugt - die beschlossenen Strukturreformen endlich Realität werden. Da Sie immer wieder nach unseren
Konzepten fragen: Was ist Ihre Alternative zur integrierten Behandlung in Versorgungsnetzen, zu den Fallpauschalen im Krankenhaus, zum Katalog stationsersetzender Leistungen, zur Stärkung des Hausarztes?
({23})
Sind Sie gegen evidenzbasierte Behandlungsleitlinien,
die durch den Koordinierungsausschuss festzulegen sind?
Wenn Sie dagegen sind, dann sagen Sie es! Aus meiner
Sicht gibt es keine verantwortbare Alternative, wenn der
Patient - nicht egoistische Partikularinteressen - im Mittelpunkt stehen soll. Darum dreht sich die ganze Auseinandersetzung, die wir hier zu führen haben.
Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und von
der FDP, ich rate Ihnen: Werfen Sie Ihren Ballast verstaubter,
({24})
strukturkonservativer Vorstellungen ab!
({25})
Ich sage ehrlich: Es geht darum, ob wir entweder eine medizinisch-qualitätsgesicherte Vollversorgung, wie wir sie
wollen, oder ein System von Grund- und Wahlleistungen,
wie es Ihrem Konzept entspricht, bekommen. Wir
scheuen die politische Auseinandersetzung darüber nicht.
Ich verspreche Ihnen: Wir werden diese Auseinandersetzung auch im Wahlkampf führen.
({26})
Wenn Sie den Patienten wirklich in den Mittelpunkt
stellen wollen, dann rate ich Ihnen: Springen Sie endlich
auf den Zug echter Strukturreformen und geben Sie Ihr
Vorhaben einer Zweiklassenmedizin - es handelt sich um
ein soziales Abstellgleis - auf!
({27})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Annette Widmann-Mauz, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Kollege
Kirschner, Ihre gerade hier vorgetragene Rede war ein
reines Ablenkungsmanöver. Wir können doch stolz sein,
dass die CDU/CSU wenigstens ein Konzept hat. Sie haben nämlich keines.
({0})
Auf dem SPD-Parteitag in Nürnberg wurde nicht ein Wort
über konkrete Zukunftsperspektiven für das Gesundheitswesen verloren.
Ehe Sie hier die Grund- und Wahlleistungen so diffamieren, sollten Sie sich einmal mit den Aussagen Ihrer eigenen Parteifreunde beschäftigen. Florian Gerster aus
Rheinland-Pfalz sagt, daran führe gar kein Weg vorbei.
Hören Sie sich einmal in Ihrem eigenen Ministerium um.
Der Abteilungsleiter Smigielski spricht ja schon über
höhere Zuzahlungen und Selbstbeteiligungen, allerdings
erst für die Zeit nach der Wahl. Warum wollen Sie eigentlich den Menschen hier im Land etwas vormachen? Die
Menschen glauben es Ihnen nicht.
({1})
Wenn es noch eines Hinweises bedurft hätte, hat spätestens die heutige Debatte gezeigt: Frau Schmidt, Sie sind
die zweite Ministerin in Folge, die den Anforderungen des
Amtes nicht gewachsen ist. Nie waren Sie so schwach wie
heute. Ihnen gleitet alles aus der Hand.
({2})
Horst Seehofer hat in seiner Rede deutlich die Explosion der Kassenbeiträge aufgezeigt.
({3})
Die fünf Wirtschaftsweisen haben es ebenfalls in der ihnen eigenen Nüchternheit gesagt - ich zitiere -: „Der Gesundheitspolitik fehlt eine klare Konzeption.“ Deutlicher
geht es wohl nicht mehr.
({4})
Frau Schmidt, Sie fahren das Gesundheitssystem souverän, wie Sie es nennen, an die Wand. Die Leidtragenden
sind zuallererst wieder einmal die kleinen Leute im Land.
({5})
Wo ist denn das angeblich so große Herz der SPD für die
kleinen Leute nach drei Jahren geblieben?
({6})
Auch Ihr Kanzler hat mittlerweile erkannt, dass Sie die
Zügel nicht mehr in den Händen halten, und hat jetzt, wo
Ihnen das Wasser bis zum Halse steht, selbst das Ruder
übernommen. Gesundheitspolitik ist zur Chefsache geworden. Damit wird aber das Ganze nicht besser.
Schröder ist der Dritte im Bunde, der keine Ahnung von
Gesundheitspolitik hat.
({7})
- Warten Sie einmal ab. - Aus dem, was Schröder mit seinem Pharmadeal uns Parlamentariern - das müsste doch
Sie als Geschäftsführerin wirklich ins Mark treffen ({8})
und mehr noch den Patienten, den Versicherten, den Menschen in diesem Land zumutet, spricht wirklich die kalte
Arroganz der Macht.
({9})
Ich weiß nicht, was es ist: Ahnungslosigkeit oder Kaltblütigkeit. Ich vermute, es ist von beidem etwas. Schröder
nimmt das Geld des kleinen Mannes und verteilt Weihnachtsgeschenke an die milliardenschwere Pharmaindustrie.
Der Kanzlerdeal ist verfassungspolitisch so anrüchig
und unanständig, dass wir den Menschen schon mit aller
Deutlichkeit sagen müssen, was in diesem Lande vor sich
geht.
({10})
Das sollte auch Sie beschäftigen. Ich sage es noch einmal
zum Mitschreiben: Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bringen in den Bundestag einen Gesetzentwurf mit dem Ziel ein, die Arzneimittelausgaben
zu senken, für deren Erhöhung sie selbst verantwortlich
sind. Die Argumente der Betroffenen werden in der Anhörung gar nicht wahrgenommen; die Anhörung zu Ihrem
Gesetz verlief doch niederschmetternd.
({11})
Jetzt drohen für die Beschäftigten und für die wirtschaftliche Entwicklung und für unser Land große Schwierigkeiten.
Was passiert? Siehe da, die Industrie winkt mit dem
Geldbeutel und Schröder öffnet - zumindest für die beKlaus Kirschner
sonders zahlungskräftigen forschenden Pharmaunternehmen - die Pforten des Kanzleramtes.
({12})
Man raucht Zigarren und trinkt schweren Rotwein. Dann
lässt man sich 400 Millionen DM in einem Koffer anbieten und verspricht dafür, dass ein Passus aus dem Gesetz
verschwindet.
({13})
Dieser Passus sah für 2002 und 2003 einen gesetzlich verordneten Preisabschlag von 4 Prozent bei verschreibungspflichtigen und nicht festbetragsgeregelten Medikamenten vor. Dabei handelt es sich um 390 Millionen DM
pro Jahr, insgesamt also 780 Millionen DM ({14})
- hören Sie gut zu; ich weiß, dass Sie das nicht gerne
hören, aber das können Sie sich ruhig einmal auf der
Zunge zergehen lassen -, die die Pharmaindustrie weniger verdient hätte. Jetzt kommt Schröder und sagt: Okay,
gebt mir einmalig 400 Millionen DM und die Sache ist
vom Tisch. - Dieses Geschenk, das 380 Millionen DM
kostet, haben die Versicherten in diesem Land zu bezahlen. Dass dieser Deal jetzt auch noch von der Steuer absetzbar sein soll, haben wir schon gehört. Deshalb ist die
Pharmaindustrie an dieser Stelle kaum noch betroffen.
Durch das Absetzen als Betriebsausgabe reduzieren sich
die verbliebenen 400 Millionen DM etwa auf die Hälfte
und zahlen darf es der kleine Steuerzahler.
({15})
Die Verteilung dieser mageren 400 Millionen DM auf
die 620 Krankenkassen im Land wird auch noch einmal
Geld verschlingen. Was kommt denn am Schluss überhaupt noch bei den Beitragszahlern an?
({16})
Ich kann nur sagen: Schöne Weihnachten, zumindest
für die großen Pharmakonzerne! Eine Branche kauft sich
von gesetzlichen Regelungen frei. Die Großen lässt man
laufen und die Kleinen beißen die Hunde. So sieht rotgrüne Reformpolitik aus!
({17})
Nach drei Jahren rot-grüner Politik sind wir in einer
Bananenrepublik angekommen.
({18})
Der Kanzler geriert sich wie ein Monarch, das Parlament
wird zum Abnicken degradiert - das ist ja nicht das erste
Mal - und bezahlt wird diese monarchistische Schau vom
kleinen Mann. Es ist kein Wunder, wenn er das Vertrauen
in den Rechtsstaat und in das System der gesetzlichen
Krankenversicherung verliert.
Meine Damen, meine Herren von Rot-Grün, als Kollegin und auch als Bürgerin finde ich dieses Gebaren des
Bundeskanzlers, das Sie nicht im Mindesten in Zweifel
ziehen - Frau Schmidt-Zadel, Sie sagten wörtlich, der
Kanzler habe gut verhandelt; es fragt sich nur, für wen -,
nicht nur verfassungspolitisch skandalös, sondern auch
unter rechtlichen Aspekten höchst bedenklich.
Jetzt können Sie noch etwas lernen. § 31 SGB I enthält
einen Gesetzesvorbehalt, in dem verankert ist, dass Zuwendungen an die gesetzliche Krankenversicherung nur
aufgrund gesetzlicher Grundlagen möglich sind.
({19})
Aber unsere Gesundheitsvirtuosen Schröder und Schmidt
bewegen sich im gesetzwidrigen Raum. Wenn gesetzliche
Krankenkassen das Geld bekommen sollen, dann muss
das durch ein Gesetz geregelt werden.
({20})
Daran kommen Sie nicht vorbei, aber vorgelegt haben Sie
noch nichts. Es ist auch völlig unklar, wie die Bundesregierung sicherstellen will, dass die Mitgliedsunternehmen
des VFA die Zahlungen tatsächlich leisten.
Es ist ganz interessant, wenn Sie in den Ticker schauen
und in einer dpa-Meldung lesen, was wir morgen zum Beispiel in der „Frankfurter Rundschau“ lesen werden. Wir
werden nämlich lesen, dass es gar nicht sicher ist; die
Pharmaindustrie will diese 400 Millionen DM wohl gar
nicht bezahlen. In der dpa-Meldung heißt es - ich zitiere -:
Vielmehr sollten die 38 Mitgliedsfirmen jeweils Teilbeträge an die von der Regierung zu benennende Instanz überweisen.
Das heißt, wenn nicht gezahlt wird, haben die Kassen als
öffentlich-rechtliche Körperschaft noch nicht einmal die
Rechtsgrundlage dafür, um dieses Geld einzufordern.
Ohne gesetzliche Regelung setzt sich neben der Regierung auch noch die gesetzliche Krankenversicherung dem
Vorwurf der Käuflichkeit aus.
({21})
Ist denn überhaupt geklärt, ob die Krankenkassen dieses
Schmiergeld annehmen wollen?
Auch in diesem Zusammenhang ist es wieder interessant, zu lesen, was in der deutschen Öffentlichkeit gesagt
wird - ich zitiere aus derselben Meldung -:
Weder das Bundesversicherungsamt noch die Spitzenverbände der Krankenkassen seien zu der Mittelverteilung bereit, heißt es in dem Zeitungsbericht.
Frau Schmidt, bei dem, was Sie machen, handelt es sich
um einen Systembruch, mehr noch: Es ist ein weiterer
Sündenfall. Im Unterschied zur Rentenversicherung lebt
die gesetzliche Krankenversicherung bisher nicht von Zuschüssen, sondern ausschließlich vom Beitragsaufkommen. Mit diesem Ablasshandel schaffen Sie eine völlig
neue Finanzierungsquelle für die gesetzliche Krankenversicherung. Ich frage Sie, ob Sie jetzt auch noch die
Krankenversicherung von der Spendenbereitschaft der
Pharmaindustrie abhängig machen wollen.
({22})
Man könnte die Behandlung dieser rechtlichen Fragen
bis in alle Ewigkeit fortsetzen. Es ist wirklich schlimm,
aber eines kann ich Ihnen zum Abschluss wirklich nicht
ersparen. Sie haben uns immer das Bild von der Zweiklassengesellschaft an die Wand gemalt.
({23})
Ich erinnere mich gut daran, dass Sie auf Wahlplakaten
zum Beispiel den Zahnersatz für Kinder instrumentalisiert haben. Sie haben es wieder getan, Kollege Kirschner.
Damals hieß es, unsere Kinder sollten auch in Zukunft
lächeln können, obwohl Sie genau wussten, dass die Kinder von dieser Regelung so gut wie gar nicht betroffen gewesen wären. Dies war eine infame Kampagne.
({24})
Ich kann Ihnen nur sagen, dass Sie sich heute doch selbst
übertreffen. Den Kindern in diesem Land ist das Lachen
nämlich mittlerweile vergangen. Sie haben einer Richtlinie des „Bundesausschusses Zahnärzte und Krankenkassen“ zugestimmt, nach der die Kassen von Januar an für
die Korrektur von Zahnfehlstellungen nur noch in Ausnahmefällen die Kosten erstatten. Künftig werden also die
Eltern die Zahnspange für ihre Kinder selbst finanzieren
müssen. Bei Kosten von 1 500 bis 7 000 DM ist das wirklich kein Pappenstiel.
({25})
Glauben Sie denn allen Ernstes, dass Ihren Sonntagsreden von Stärkung der Prävention und Ablehnung einer
Grundversorgung in der Bevölkerung überhaupt noch jemand glaubt?
Frau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit überschritten. Sie müssen bitte zum
Ende kommen.
({0})
Ich komme
zum Schluss.
Wer die Grundversorgung durch die Hintertür einführt,
der hat jeglichen Anspruch verloren, sich abfällig über
Kern- und Wahlleistungen auszulassen. Künftig wird man
in diesem Land am Lächeln erkennen, ob jemand zur Zeit
von Rot-Grün groß geworden ist.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 15,
Bundesministerium für Gesundheit, in der Ausschussfas-
sung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Ent-
haltungen? - Der Einzelplan 15 ist mit den Stimmen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen des
übrigen Hauses angenommen.
Wir kommen jetzt zu Überweisungen im vereinfachten
Verfahren ohne Debatte.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte V a bis V f sowie Zu-
satzpunkt 1 auf:
Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuordnung der Statistik im produzierenden Gewerbe und zur Änderung des Gesetzes über Kostenstrukturstatistik
- Drucksache 14/7556 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern
- Drucksache 14/7564 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Kultur und Medien
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von
Elektrizität
- Drucksache 14/7261 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit ({2})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Forstvermehrungsgutgesetzes ({3})
- Drucksache 14/7384 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Protokoll vom 27. Februar 2001 zur Er-
gänzung des Abkommens vom 5. April 1993
zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und der Republik Lettland über den Luft-
verkehr
- Drucksache 14/7419 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Deutscher Wissenschaftspreis
- Drucksache 14/3811 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({4})
Finanzausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 1 Weitere Überweisung im vereinfachten
Verfahren
({5})
Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Sofort- und Wiederaufbauhilfe für Kuba nach
dem Wirbelsturm „Michelle“
- Drucksache 14/7597 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({6})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen jetzt zu Beschlussfassungen zu Vorlagen,
zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe Tagesordnungspunkt VI a auf:
Abschließende Beratungen ohne Aussprache
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes
- Drucksachen 14/7207, 14/7418 ({7})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({8})
- Drucksache: 14/7595 Berichterstattung:
Abgeordnete Margot von Renesse
Joachim Stünker
Dr. Susanne Tiemann
Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler
Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/7595,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist vom ganzen Haus angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt VI b auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Aufhebung des Gesetzes zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau
- Drucksache 14/7238 ({9})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({10})
- Drucksache 14/7607 Berichterstattung:
Abgeordneter Kurt-Dieter Grill
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt auf Drucksache 14/7607, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt VI c auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 11. März
1996 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Demokratischen Volksrepublik
Algerien über die gegenseitige Förderung und
den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 14/7042 ({11})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({12})
- Drucksache 14/7482 Berichterstattung:
Abgeordneter Friedhelm Ost
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt auf Drucksache 14/7482, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich
zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung der PDS mit den
Stimmen des übrigen Hauses angenommen.
Präsident Wolfgang Thierse
Ich rufe Tagesordnungspunkt VI d auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 23. Mai 2000
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
der Republik Botsuana über die Förderung und
den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 14/7043 ({13})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({14})
- Drucksache 14/7525 Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt auf Drucksache 14/7525, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich
zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des Hauses bei
Enthaltung der PDS angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt VI e auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 7. Februar 2000 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Demokratischen Sozialistischen Republik Sri Lanka über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 14/7036 ({15})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({16})
- Drucksache 14/7526 Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Fischer ({17})
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt
auf Drucksache 14/7526, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des
Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen.
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten VI f
bis VI k, zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Ich rufe Tagesordnungspunkt VI f auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18})
Sammelübersicht 317 zu Petitionen
- Drucksache 14/7494 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 317 ist mit den Stimmen des
Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt VI g auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19})
Sammelübersicht 318 zu Petitionen
- Drucksache 14/7495 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 318 ist mit den Stimmen des
Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt VI h auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20})
Sammelübersicht 319 zu Petitionen
- Drucksache 14/7496 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 319 ist mit den Stimmen des
Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt VI i auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21})
Sammelübersicht 320 zu Petitionen
- Drucksache 14/7497 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 320 ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt VI j auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22})
Sammelübersicht 321 zu Petitionen
- Drucksache 14/7498 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 321 ist mit den Stimmen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
anderen Fraktionen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt VI k auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({23})
Sammelübersicht 322 zu Petitionen
- Drucksache 14/7499 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 322 ist mit den Stimmen von
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 a auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Bereinigung des als Bundesrecht fortgeltenden Rechts der Deutschen Demokratischen Republik
- Drucksache 14/6811 Präsident Wolfgang Thierse
({24})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({25})
- Drucksache 14/7570 Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Hacker
Andrea Voßhoff
Hans-Christian Ströbele
Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler
Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache
14/7570, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 b auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Markenrechtsvertrag vom
27. Oktober 1994
- Drucksache 14/7044 ({26})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({27})
- Drucksache 14/7574 Berichterstattung:
Abgeordnete Dirk Manzewski
Dr. Norbert Röttgen
Volker Beck ({28})
Rainer Funke
Sabine Jünger
Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache
14/7574 den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu
erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Damit sind wir am Ende dieser Abstimmungsprozedur.
Ich rufe nun auf:
Einzelplan 12
Bundesministerium für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen
- Drucksachen 14/7312, 14/7321 Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Gerhard Rübenkönig
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel
Es liegen sechs Änderungsanträge der Fraktion der
CDU/CSU, drei Änderungsanträge der Fraktion der FDP
und vier Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor.
Weiterhin liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor, über den wir am Freitag abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Bartholomäus Kalb von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
({29})
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den gymnastischen Übungen nun zum Verkehrsetat. Der Verkehrsetat ist unter die Räder gekommen. Es war nicht gut, dass
die Beratungen im Haushaltsausschuss von den Spannungen, die sich im Vorfeld der Vertrauensfrage des Bundeskanzlers aufgetan haben, gekennzeichnet waren.
({0})
Es hat sich überhaupt nichts mehr bewegt, weil sich die
Koalition praktisch gegenseitig blockiert hat.
Jede wichtige Frage wurde sofort zur Grundsatzfrage
hochstilisiert, aus jeder Frage wurde ein Koalitionsfrage
gemacht. Ich weiß, dass es in den Reihen des größeren
Koalitionspartners, der SPD, durchaus sehr vernünftige
Überlegungen gegeben hatte, auf bestimmte Veränderungen flexibel zu reagieren. Das ist dann aber nicht zugelassen worden.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, insbesondere
in den Bereichen der Straßenbauinvestitionen und der
neuen Technologien wie dem Transrapid hat sich die Ideologie gegen die Vernunft durchgesetzt. Wir alle wissen
und beklagen, dass die Mittel für die Schieneninvestitionen in diesem und im nächsten Jahr nicht abfließen
werden. Deshalb haben wir vorgeschlagen, einen
Deckungsverbund zwischen Schienen- und Fernstraßeninvestitionen herzustellen.
({2})
Was würde es denn der Schiene schaden, wenn die Mittel,
die dort nicht abfließen, an anderer Stelle in Verkehrsinvestitionen gesteckt würden? - Überhaupt nichts!
({3})
Es ist geradezu ein Drama, wenn man feststellen muss,
dass bis November des laufenden Jahres in wesentlichen
Investitionsbereichen erst etwa 45 Prozent der Ausgaben
nicht getätigt werden konnten. Auch wenn man berücksichtigt, dass zum Jahresabschluss der Mittelabfluss
Präsident Wolfgang Thierse
natürlich höher sein wird, ist das eine viel zu niedrige
Quote.
({4})
Die Bauwirtschaft gerät immer tiefer in die Krise.
Viele Unternehmen stehen am Rande ihrer Existenz. Laut
Statistischem Bundesamt ist der Auftragseingang allein
im September um 8,1 Prozent eingebrochen.
({5})
Die Zahl der Beschäftigten ist seit März um 10,8 Prozent
bzw. um 115 000 Personen gesunken und der Umsatz ist
um 11,2 Prozent zurückgegangen. Viele Unternehmen
warten dringend auf Aufträge und auf Zahlungen für bereits erbrachte Leistungen. Hier hakt es vor allem bei der
Bahn.
({6})
Aber das rührt hier offenbar niemanden. 1,8 Milliarden DM wollen Sie in diesem und im nächsten Jahr der
DB AG für die zinslose Zwischenfinanzierung von Mehrkosten bei Großprojekten zuschieben. Damit wird aber
kein einziger Kilometer zusätzliche Strecke gebaut und
auch kein einziger neuer Arbeitsplatz in der Baubranche
gesichert.
({7})
Es dient allenfalls dazu, das Betriebsergebnis der DB AG
zu verbessern, Herr Aufsichtsratsmitglied.
({8})
- Zu Ihrem Zwischenruf kann ich sofort etwas sagen, Herr
Kollege Schmidt: Wenn ich mir die Verpflichtungsermächtigungen für die Haushaltsjahre 2003 und folgende,
insbesondere aber die für das Haushaltsjahr 2003, anschaue, dann zeichnet sich jetzt schon ab, dass im nächsten Jahr eine ganze Reihe von werbeträchtigen Spatenstichen stattfinden wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin weit
davon entfernt, für den mangelnden Mittelabfluss allein
die Bahn verantwortlich zu machen. Dort gibt es zwar
Mängel, die wir kritisieren. Es gibt aber auch objektive
Schwierigkeiten, die nicht ohne weiteres zu beheben waren und zu beheben sind. Zudem gibt es Probleme, die von
der Regierung zu verantworten sind, etwa die zögerlichen
Verfahren bei Finanzierungsvereinbarungen oder die unstete Mittelbereitstellung.
({9})
Es ist kein Beitrag zur Verbesserung der Planungssicherheit und der Verstetigung von Investitionen, wenn
im November 2000 der Bahn für die Jahre 2001, 2002 und
2003 zusätzliche Mittel aus dem so genannten ZIP-Programm in Aussicht gestellt werden, diese Mittel aber zugleich mit einem kw-Vermerk versehen werden, was eine
strikte Befristung bis zum Jahre 2003 bedeutet.
({10})
Die Koalition rühmt sich der nominalen Erhöhung des
Verkehrsetats um 1,5 Milliarden Euro. In Wirklichkeit
sinkt er aber um 900 Millionen Euro,
({11})
weil Sie mittlerweile rund 2,4 Milliarden Euro über den
Haushalt finanzieren müssen, die Sie noch im Vorjahr
durch Privatisierungserlöse dem Eisenbahnvermögen zuführen konnten.
Der von der Bundesregierung selbst vorgelegte Verkehrsbericht 2000 prognostiziert bis zum Jahre 2015 einen drastischen Verkehrszuwachs. Der Güterverkehr wird
insgesamt - so der Bericht - einen Zuwachs um 64 Prozent verzeichnen, der Straßengüterfernverkehr gar um
70,8 Prozent zunehmen. Und das ist nur der Durchschnitt!
In Wirklichkeit bedeutet das, dass der Straßengüterfernverkehr in einigen Korridoren, insbesondere in den
Ost-West-Relationen, um bis zu 800 Prozent zunehmen
wird, und zwar nicht zuletzt aufgrund der von uns allen
begrüßten EU-Osterweiterung, die natürlich mit einem
Verkehrswachstum verbunden ist. Wenn gewollt ist, dass
die Europäische Union möglichst bald erweitert wird,
dann müssen dafür auch die Voraussetzungen geschaffen
werden. Dies gilt insbesondere auch für den Verkehrswegeausbau.
({12})
Ähnlich wie nach der Wiedervereinigung - damals haben
wir die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ aufgelegt -,
brauchen wir jetzt ein Programm Verkehrsprojekte „Europäische Einigung“.
({13})
Die zu erwartende Verkehrsnachfrage und -belastung
wird es uns in der Zukunft nicht mehr erlauben, ideologische Spielchen zu betreiben. Wenn wir nicht im Verkehr
ersticken wollen, wird es notwendig sein, alle Verkehrsträger so schnell wie möglich zu optimieren und sie noch
besser miteinander zu verzahnen und zu vernetzen. Wir
müssen ihre jeweiligen Vorzüge und Stärken voll zur Geltung bringen und sie optimal nutzen. Mit Ideologie,
Wunschdenken und Gesundbeten sind die Probleme der
Zukunft jedenfalls nicht zu lösen. Wir müssen der Entwicklung ins Auge sehen und entsprechend handeln.
Innerhalb von drei Jahren gibt es bereits den dritten
Minister an der Spitze dieses Hauses. Innerhalb von zwei
Jahren wurden vier Programme angekündigt, die angeblich eine wesentliche Verstärkung von Verkehrsinvestitionen zur Folge haben sollten. Ich erinnere nur an das so genannte Investitionsprogramm im September 1999 und an
das Anti-Stau-Programm im Februar 2000, das aufgelegt
wurde, weil das erste nicht ausreichte. Letzteres sollte mit
Geld, dass man noch gar nicht hatte, finanziert werden. Im
Oktober und November des letzten Jahres schließlich gab
es dann das so genannte ZIP-Programm.
Im Oktober dieses Jahres lese ich nun zu meiner Überraschung: „Neue Milliarden für den Autobahnausbau.“
({14})
Die „Passauer Neue Presse“
({15})
und viele andere schrieben:
Verkehrsminister Kurt Bodewig ({16}) kündigte gestern an, dass von der Bahn nicht verbrauchte Mittel
für den schnelleren Ausbau von Autobahnen verwendet werden. 500 km Autobahnen sollten schneller als geplant sechsspurig ausgebaut werden.
Vorgesehen war, dass nicht abfließende Mittel bei der
Bahn dafür eingesetzt werden, dass die Vorfinanzierung
gleichzeitig durch Zugeständnisse bei der Bemautung gewährleistet wird. Dies alles ist dann aber nicht geschehen.
Im Rahmen der Haushaltsberatungen habe ich von diesem
Autobahnrandstreifenprogramm auch nichts mehr gehört.
({17})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, entgegen allen Ankündigungen wurden insbesondere die Mittel für
den eigentlichen Fernstraßenbau nicht erhöht, sondern
sind drastisch zurückgegangen.
({18})
Leider ist auch ein anderes Thema, das sehr ideologiebehaftet ist, strittig diskutiert worden. Streit bestand dabei
weniger zwischen der SPD und uns, sondern vielmehr
zwischen den Grünen und der SPD. Es geht um das
Thema Transrapid. Wir waren uns eigentlich einig - das
sah auch der Herr Kollege Rübenkönig, der heute nicht
hier sein kann -, sodass wir es für dringend erforderlich
halten, dass diese in Deutschland entwickelte Hochtechnologie auch hier zum Einsatz kommt.
({19})
Wir konnten uns in den Vereinigten Staaten davon
überzeugen, welches Tempo dort vorgelegt wird, welches
Interesse die USA daran haben. Gemeinsam mit Ihnen,
Herr Minister, konnten wir uns auch in China davon überzeugen, mit welch geradezu atemberaubender Geschwindigkeit die Chinesen auf der Strecke zwischen PudongFlughafen und Shanghai darangehen, diese Technologie
zur Anwendung zu bringen. Wir brauchen die Nutzung
dieser Technologie auch in Deutschland. Mit den beiden
Maßnahmen in Nordrhein-Westfalen und Bayern, für die
jetzt die Machbarkeitsstudien erstellt werden, liegen zwei
absolut interessante Projekte vor, die dringend in die Tat
umgesetzt werden müssen.
In den Erläuterungen zu Titelgruppe 03, Kap. 1202
steht:
Der Bund ist jedoch unverändert bereit, sich mit bis
zu 3,1 Milliarden Euro an der Zukunft der
Magnetschwebebahntechnik zu beteiligen.
Weiter heißt es:
Der Bund beteiligt sich an der Planung und Realisierung von Anwendungsstrecken für die Magnetschwebebahntechnik. Dafür werden gemeinsam mit
interessierten Bundesländern Alternativstrecken untersucht.
Ich weiß mich mit dem Kollegen Rübenkönig und mit
vielen anderen Kollegen aus der SPD einig: Wir legen auf
diese Erläuterung allergrößten Wert und sehen sie auch als
politisch verbindlich an.
({20})
- Der Kollege Rübenkönig, der hier Berichterstatter für
die SPD-Fraktion ist, kann heute nicht da sein. Er hat
es aber verdient, gerade in dieser Sache hier erwähnt zu
werden.
({21})
Es ist zwar abgelehnt worden, Verpflichtungsermächtigungen, die wir für notwendig gehalten haben, auszubringen, aber wir müssen festhalten, dass die genannten
Vorkehrungen zur Anwendung der Magnetschwebebahntechnologie auch in Deutschland getroffen sind.
Die beiden großen Fraktionen haben erst kürzlich Anträge mit dem Ziel eingebracht, die Binnenschifffahrt zu
stärken. Wenn man die Stärkung der Binnenschifffahrt
will, heißt das aber auch, dass man nicht gleichzeitig gegen alle in diesem Bereich geplanten Projekte zu Felde
ziehen kann, wie es immer wieder - gerade von der Seite
der Grünen - getan wird.
({22})
Die Sprache des Kollegen Albert Schmidt, der in Deggendorf erklärt hat, wenn die Donau ausgebaut werde,
dann gebe es an der Donau Krieg,
({23})
ist mehr als verräterisch. Diese militante Sprache sollte einem Grünen eigentlich gar nicht erst über die Lippen gehen.
({24})
„Krieg“ an der Donau haben wir genug; wir brauchen ihn
jetzt nicht auch noch in Deggendorf.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrter
Herr Minister, mir wäre zwar eine klare Entscheidung über
eine auszubauende Variante lieber gewesen. Wenn es jetzt
aber nicht möglich ist, eine solche Entscheidung zu treffen, dann halte ich es für sachdienlich, dass man zumindest
den von Ihnen und von Bayern wohl gemeinsam angedachten Weg beschreitet, mit drei verschiedenen Varianten
in das Raumordnungsverfahren zu gehen. Dann ergibt sich
auch die Möglichkeit, die noch offenen Fragen wirklich im
Detail zu klären. Vor allen Dingen würde dann kein weiterer zeitlicher Verzug eintreten. Ich würde es jedenfalls sehr
begrüßen, wenn dieser Weg beschritten werden könnte.
({25})
- Ich kann das ohne weiteres sagen. Ich habe mich immer
klar für einen Donauausbau, der vernünftig ist
({26})
und der eine Verbesserung der Verkehrsverhältnisse
bringt, ausgesprochen. Ich habe da keine Probleme. Ich
habe das vor Ort immer klipp und klar gesagt.
({27})
Das ist im Übrigen auch in den Protokollen des Bundestages nachzulesen.
Herr Kollege Kalb,
ich muss jetzt klipp und klar sagen, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Ich würde noch
gerne etwas zu den Bereichen Städtebauförderung und
Aufbau Ost sagen.
Angesichts der Zeit
eher nicht.
Der Bundeskanzler hat ja eine Sommerreise in die neuen Bundesländer unternommen, bei der er große Ankündigungen und Versprechungen gemacht hat, die aber nicht eingehalten
wurden. Wir haben dann im Haushaltsausschuss die entsprechenden Anträge gestellt. Diese wurden von der Koalition abgelehnt, weil sie dem Bundeskanzler nicht folgen wollte.
({0})
Das ist der Unterschied zwischen Ankündigungen und
Taten. Wir sind dafür, dass das, was angekündigt wird,
auch in die Tat umgesetzt wird und dass den Menschen
geholfen wird. Dieser Verkehrsetat gibt leider keine Antworten auf die drängenden Fragen. Deswegen können wir
ihm auch nicht zustimmen.
({1})
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Annette Faße.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wäre nun mein Kollege
Gerd Rübenkönig als zuständiger Berichterstatter im
Haushaltsausschuss an der Reihe. Von dieser Stelle aus
wünsche ich ihm alle Gesundheit. Dieses Signal, denke
ich, sollten wir gemeinsam geben.
({0})
Es fällt mir natürlich überhaupt nicht schwer, heute
zum Verkehrshaushalt Stellung zu nehmen; denn das ist
ein Verkehrshaushalt, der sich wirklich sehen lassen kann.
Der Verkehrshaushalt ist mit seinen 26,37 Milliarden
Euro der drittgrößte Einzelhaushalt und zugleich der
größte Investitionshaushalt des Bundes.
({1})
Mit 13,5 Milliarden Euro liegen die Investitionen auf
Rekordniveau.
({2})
Damit sind knapp die Hälfte aller Investitionen des Bundes Investitionen im Verkehrs- und Baubereich.
({3})
Diese Zahlen machen deutlich, welchen Stellenwert
die Verwirklichung einer effizienten und umweltgerechten Verkehrspolitik für uns hat. Darüber hinaus leisten
diese Investitionen einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, zum Beispiel in der Bauwirtschaft, und zur wirtschaftlichen Entwicklung.
({4})
Der Kollege Kalb hat die prognostizierten Zahlen für
den Personen- und Güterverkehr genannt. Wir stellen uns
der damit verbundenen großen Herausforderung, hier verantwortungsvoll handeln zu müssen.
Ich sage ganz deutlich, meine lieben Kolleginnen und
Kollegen der Opposition: Die Schlaglöcher Ihrer Politik
bekommen wir täglich zu spüren. Tausende von Langsamfahrstellen auf Straße und Schiene sind die Folge Ihrer jahrelangen ungenügenden Investitionspolitik.
({5})
Ihre fehlende Voraussicht ist jüngst in einer Studie des
Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung bestätigt
worden, meine Herren. Nach einer Berechnung des DIW
- also eines neutralen Instituts - beträgt die Investitionslücke für zwischen 1991 und 1998 begonnene Projekte
mindestens 5 Milliarden DM.
Statt in der Vergangenheit die notwendigen Ersatzinvestitionen zu tätigen, gab es lediglich haufenweise
Spatenstiche von Herrn Wissmann. Eine solche Politik
lehnen wir ab. Danach nämlich klaffte eine große Lücke
und kamen große Probleme, denen wir jetzt gegenüberstehen.
Wir stehen für eine ganz klare, verlässliche Haushaltspolitik. Dies gilt auch für den Verkehrsbereich.
({6})
Das heißt für uns, dass wir den Bundesverkehrswegeplan - ich weiß, bei diesem Wort bekommen gleich alle
lange Ohren und die Haare stehen zu Berge -,
({7})
der mit circa 100 Milliarden DM unterfinanziert ist, in
Ordnung bringen.
({8})
Das geht nicht von einem Tag auf den anderen. Dafür ist
ein vernünftiger zeitlicher Ablauf erforderlich. Hier lassen wir uns auch nicht drängen. 1 700 Maßnahmen adäquat zu untersuchen und zu bewerten dauert seine Zeit.
Hier ist Qualität gefragt und die werden wir liefern.
({9})
Damit wir aber weiter handlungsfähig sind - jetzt
komme ich zu den vom Kollegen Kalb angesprochenen
vielen Programmen -, haben wir mehrere Programme
aufgelegt. Die vielen Programme sind doch super. Das
erste Programm, das Investitionsprogramm 1999 bis
2003, ist dazu da, Klarheit, Verlässlichkeit und Planungssicherheit zu schaffen sowie den Einsatz der Haushaltsmittel adäquat zu regeln. Was haben Sie gegen ein IP? Das
ist für mich überhaupt nicht zu verstehen.
({10})
Das zweite Programm - Zukunftsinvestitionsprogramm - ist ebenfalls eine tolle Geschichte. Mit diesem
ist es gelungen, für den Baubereich zusätzliche Gelder
locker zu machen.
({11})
In Ihrem Entschließungsantrag fordern Sie, alle Möglichkeiten zu nutzen. Statt anzuerkennen, dass das hier gelungen ist, stöhnen Sie: noch ein Programm! Es ist doch toll,
dass wir dieses Programm haben.
({12})
Es hilft vielen Menschen, die schon lange auf eine Ortsumgehung warten.
({13})
Das Dritte - ich sage an dieser Stelle klar und deutlich,
dass das völlig in Ordnung ist - ist das Anti-Stau-Programm. Wenn Sie sagen, das sei eine Investition in die Zukunft, muss ich Ihnen zustimmen. Wir aber wollen die
Zukunft gestalten. Darum begeben wir uns ganz konsequent auf diesen Weg.
({14})
Dieses Programm hängt mit der Einführung der LKWMaut zusammen. Wir gehen zum ersten Mal einen ganz
neuen Weg, wir machen nämlich den Schritt weg von der
Haushaltsfinanzierung hin zur Nutzerfinanzierung.
({15})
Durch die streckenbezogene Autobahnmaut werden alle
schweren LKWs gleichermaßen und gerecht an den Wegekosten in Deutschland beteiligt. Die Maut ist eine wettbewerbsneutrale Abgabeform. Die Spediteure haben die
Einführung begrüßt. Der Verkehrsminister hat gesagt, er
werde weiterhin konsequent für eine europäische Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen einstehen;
({16})
dies habe Vorrang vor allen anderen Hilfen.
Das Anti-Stau-Programm - das betone ich noch einmal
deutlich - läuft, das ist korrekt, nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt. Unser Interesse als Verkehrspolitiker
ist es, eine Fortführung - genau wie bei dem unter Einsatz
der UMTS-Mittel finanzierten ZIP-Programm - zu erreichen. Das ist vollkommen klar. Darüber können Sie sich
nicht beklagen.
({17})
Wir machen noch etwas, was auch Sie in Ihrem Entschließungsantrag fordern - zumindest diesen Teil können Sie wieder streichen -, wenn auch nicht über Vorfinanzierungsmaßnahmen, wie das in Ihrem Antrag steht:
Wir wollen die Mauteinnahmen zusätzlich sinnvoll einsetzen. Darum wollen wir ein Betreibermodell mit der Beteiligung privater Investoren für den Ausbau einer fünften und sechsten Spur bei Autobahnen. Was ist daran
eigentlich schlimm, Herr Kalb? Das ist eine wunderbare
Idee, mit der wir schneller etwas initiieren können, als
wenn wir uns alleine auf Haushaltsmittel verlassen würden.
({18})
Wir geben der DB AG ganz bewusst Geld, weil wir die
Schere zwischen Straßen- und Schieneninvestitionen
schließen wollen. Es ist richtig: Es ist ein Ärgernis, wenn
es nicht gelingt, die zur Verfügung gestellten Gelder auszugeben. Wir geben darum dieses Jahr das erste Mal diese
Investitionsmittel frei, um die Gelder zur Intensivierung
von Planungen einzusetzen. Aber wer ist eigentlich daran
schuld, dass die Planungskapazitäten derart zurückgefahren wurden, meine Damen und Herren der Opposition? Das gilt es, einmal zu fragen.
({19})
Ich sehe die Strukturen der Entscheidungsfindung im
Planungsbereich sehr kritisch. Wir müssen hier gemeinsam versuchen, mit der DB AG und den zuständigen Stellen, also dem Ministerium und dem EBA, herauszufinden,
wo es Möglichkeiten gibt, Planungen zu beschleunigen.
Hier Druck zu machen, halte ich für eine ganz vernünftige
und korrekte Sache.
({20})
Wir werden die DB AG in die Pflicht nehmen. Das sage
ich ganz deutlich. Auch uns ist daran gelegen, dass die
Mittel, die für Schieneninvestitionen bereitgestellt
werden, auch in dem entsprechenden Bereich verbraucht
werden.
({21})
Wir werden dieses Jahr sehr kritische Begleiter der
DB AG sein - das waren wir schon und das bleiben wir
auch. Wir werden das, was Herr Mehdorn zugesagt hat,
ganz konsequent einfordern.
({22})
Auch die Bundeswasserstraßen - das sage ich ganz
deutlich - werden mit 1,5 Milliarden Euro bedacht. Ein
Teil davon entfällt auf Investitionen.
Jetzt mag man immer sagen, dass dies alles für die
Straße - die Anträge haben Sie gestellt -, für die Schiene
und für die Wasserstraßen zu wenig ist. Aber es gibt von
Ihnen nicht einen Vorschlag zur Gegenfinanzierung. Ich
habe es noch einmal nachgelesen: Die von Ihnen geforderten Summen ergeben addiert 65 Milliarden DM, die
Sie zur Verfügung stellen wollen.
({23})
Es gab nicht einen konsequenten Vorschlag, wo Sie dieses
Geld hernehmen wollen. Das halte ich für unglaubwürdig.
({24})
In den Haushaltsberatungen - auf diese Punkte möchte
ich gerne noch eingehen - haben wir als Parlament teilweise gemeinsam einige Veränderungen vorgenommen,
die uns als Abgeordnete sehr wichtig waren. Wir haben
die Mittel für den kombinierten Verkehr auf 150 Millionen DM erhöht. Es ist für uns weiterhin ein sehr wichtiges Zeichen, den kombinierten Verkehr nicht nur in Sonntagsreden zu loben, sondern in diesem Bereich aktiv zu
werden. Ich finde es sehr gut, dass wir dadurch private
Gelder locker machen können; denn nur gemeinsam können wir hier aktiv werden.
({25})
Ich möchte auch noch darauf hinweisen, dass wir das
erste Mal eine Beihilfe für die Seeschifffahrt im Haushalt haben, die über die Ausbildungshilfe hinausgeht.
Nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass das schwedische Parlament vor einigen Tagen eine hundertprozentige
Lohnsteuererstattung für die Reeder beschlossen hat, war
es wichtig, hier ein Zeichen für die Arbeitsplätze an der
Küste zu setzen. Wir haben in den Beratungen gemeinsam
eine Aufstockung erreicht. Dies ist für unsere Arbeitnehmer an der Küste und auch für die Reeder ein ganz wichtiger Punkt. Ich gehe davon aus, dass wir damit die anstehenden Ausflaggungen der Fähren auf der Ostsee
verhindern können. Ich hoffe, dass dieses Zeichen so verstanden wird.
({26})
Auch für die Schiffssicherheit gibt es in diesem Haushalt ein deutliches Signal. Ich möchte das an einem Punkt
festmachen, nämlich an der Bereitstellung von 9,4 Millionen Euro für 2002, um ein neues Mehrzweckschiff für
die Ostsee in Auftrag zu geben und zu bauen. Das ist die
erste Marge; das andere geht in den Bereich Verpflichtungsermächtigung. Wir haben damit etwas gemacht, was
es bisher noch nicht gab: Es gibt jetzt ein Sicherheitskonzept sowohl für die Nordsee als auch für die Ostsee. Wir
stehen auch finanziell dazu, das heißt, wir finanzieren ein
Mehrzweckschiff für die Ostsee. Damit haben wir ein
deutliches Zeichen im Haushalt 2002 gesetzt. Das sollten
wir alle begrüßen.
({27})
Zum Etat des Bundesverkehrsministers gehören auch
die 100 Millionen Euro, die wir zur Förderung des Radverkehrs eingestellt haben. Dazu hatten wir bereits im
Sommer einen Antrag eingebracht. Damit bekommt der
Radverkehr unter Rot-Grün eine neue Wertigkeit. Ich
halte es für richtig und wichtig, dass wir nicht nur Anträge
verabschiedet haben, sondern dass wir auch dafür gesorgt
haben, dass sich die neue Wertigkeit des Radverkehrs im
Haushalt wiederfindet. Wir haben im Bereich des Radwegebaus ein Zeichen gesetzt.
({28})
Ich möchte meine heutige Rede mit dem Thema beenden, mit dem der Kollege Gerhard Rübenkönig immer
seine Reden beendet, nämlich mit dem Transrapid. Wir
stehen zum Transrapid.
({29})
Es gibt keinerlei Einschränkungen in finanzieller Hinsicht. Wir werden die Machbarkeitsstudien in Ruhe abwarten. Ich betone: Der Transrapid ist uns lieb und teuer.
({30})
Wir können auf den vorliegenden Haushalt des Bundesverkehrsministers stolz sein. Er erfüllt - das ist klar zwar nicht alle Wünsche. Aber er ist machbar, konkret und
konsequent.
Danke schön.
({31})
Für die FDP-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Horst Friedrich.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen
und Kollegen! Gestatten Sie auch mir eine Vorbemerkung: Nachdem dem Kollegen Rübenkönig alles Gute
und eine hoffentlich dauerhafte Gesundheit gewünscht
worden ist, möchte ich von dieser Stelle aus dem Kollegen Dirk Fischer zu seinem heutigen Geburtstag gratulieren. So viel Zeit sollte sein.
({0})
Jetzt zum Ernst der Sachlage: Es ist bemerkenswert,
dass die Beratungen über den größten Investitionshaushalt des Bundes spät in der Nacht und unter Ausschluss
der Öffentlichkeit stattfinden,
({1})
offensichtlich deswegen, weil Minister Bodewig allen
Grund hat, ein Jahr nach seinem Amtsantritt nicht großartig an die Öffentlichkeit zu treten. Die Sprechblasen sind
nämlich geplatzt. Die Ankündigungen sind zurückgenommen. Die Investitionen des Bundes sind real gesunken. Die Abgabenbelastung des Verkehrs ist gestiegen
und die Reformen stecken im Stau. Der vorliegende Haushalt ist ein erschütterndes Dokument gescheiterter Verkehrspolitik.
({2})
Er ist ein erneutes negatives Signal in Richtung Bauwirtschaft und Baugewerbe; denn der Bund fällt im nächsten
Jahr als öffentlicher Auftraggeber aus, wenn es um neue
Impulse und Investitionen geht.
Das am 18. Oktober von Kurt Bodewig mit großem
Getöse der Öffentlichkeit vorgestellte Investitionsbeschleunigungsprogramm ist nicht haushaltsrelevant. Das
hat der verkehrspolitische Sprecher der SPD, Reinhard
Weis, im Ausschuss gesagt. Er hat deswegen unseren Antrag auf Aufsetzung des Programms auf die Tagesordnung
der nächsten Ausschusssitzung abgelehnt.
({3})
Die angekündigte Umschichtung von mindestens
800 Millionen DM an Schienenmitteln, die die Bahn AG
auch in diesem Jahr nicht verbauen kann, findet nicht
statt. Finanzminister Eichel wird sich freuen. Arbeitsminister Riester muss sich allerdings mit dem Problem
herumschlagen, dass aufgrund fast 1 Milliarde DM an
nicht getätigten Investitionen schätzungsweise rund
10 000 Arbeitsplätze gefährdet sind. Nicht einmal Peter
Struck hat Ihnen geholfen, Herr Minister, die nicht verbauten Investitionsmittel der Bahn AG zugunsten der
Straße umzuschichten; denn Ihr grüner Koalitionspartner
setzt seine indische Verkehrspolitik fort: Heilige Kühe
dürfen nicht geschlachtet werden, koste es, was es wolle!
({4})
Ein weiteres Trauerspiel ist die Schienenverkehrspolitik des Bundes. Minister Bodewig hat den Machtkampf
gegen den inzwischen zum faktischen Eisenbahnminister
aufgestiegenen Hartmut Mehdorn verloren. Von seinen
großen Ankündigungen auf dem Stuttgarter Parteitag der
Grünen ist nichts, aber auch gar nichts übrig geblieben. Er
ist noch nicht einmal in der Lage, das Wenige, was ihm die
Task Force vorgegeben hat, gesetzesmäßig auf den Weg
zu bringen. Er hat ja bereits angekündigt, dass er das nicht
mehr schafft. Wo bleiben die Ergebnisse? Die Bahn AG
kann so ein weiteres Jahr ihr Monopol pflegen. Die privaten Mitbewerber werden sich zum wiederholten Male
überlegen, ob sie in die Schiene investieren.
Ein weiterer Skandal Ihrer Verkehrspolitik, sehr verehrter Herr Minister, spielt sich im Bereich des Straßenverkehrs ab. Unter dem Deckmantel der Umstellung der
Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur auf der Straße haben Sie unter dem Begriff der stärkeren Nutzerbezogenheit rücksichtslos das Abkassiermodell aufgefahren. Die
Autofahrer rasen bereits für die Rente, die LKW brummen für Ihr Haushaltsloch. Sie haben mit Ihrem LKWMaut-Gesetz weder eine dauerhafte echte Zweckbindung
der Einnahmen erreicht, noch den versprochenen Ausgleich für das mittelständische deutsche Verkehrsgewerbe
durchgesetzt.
({5})
Nur ein kleiner Anteil der LKW-Maut, die mindestens
8 Milliarden DM in die Kasse spült, soll - zugegebenermaßen erst nach der Wahl - befristet wieder in den
Straßenbau zurückfließen. Dann stellt sich dieser Minister hin und erklärt öffentlich, dass mit Umstellung dieser
Finanzierungsform als Kompensation die LKW-Vignette
wegfalle. Das ist eigentlich eine politische Unverschämtheit, Herr Minister, und grenzt an eine Kampfansage an
das deutsche Verkehrsgewerbe.
Das hat, wenn ich das „Handelsblatt“ richtig gelesen
habe, Ihre eigene Fraktion auch schon erkannt, die Sie
aufgefordert hat, endlich Butter bei die Fische zu geben
und nachzuweisen, wie Sie tatsächlich Ihre Zusage der
größtmöglichen Harmonisierung auf europäischem Niveau umsetzen wollen.
({6})
Da sind Sie bisher alle Antworten nachhaltig schuldig geblieben. Das Einzige, was Sie am 18. Oktober beim BGLJahrestag zugesagt haben, ist, die Kfz-Steuer auf europäisches Niveau zu senken. Das ist ein erster richtiger
Schritt, aber Sie leisten damit eine Finanzierung zulasten
Dritter. Die Kfz-Steuer - das wissen Sie - gehört den Ländern. Da müssen Sie über die Ausgleichsmechanismen
zumindest einmal nachdenken und deutlich sagen, wie Sie
es den Ländern erklären wollen.
Zum Zweiten reicht das natürlich erkennbar nicht aus,
vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass die Niederländer bereits angekündigt haben, die Maut ebenfalls einzuführen und in diesem Zusammenhang sofort die Mineralölsteuer um 15 Prozent zu senken. Aber wo bleibt die
Antwort des deutschen Verkehrsministers auf diese Problematik? Er schweigt stille, weil er es offensichtlich
nicht besser weiß oder weil er es nicht sagen darf oder
auch nicht sagen kann. Alles zusammen ist dies relativ
schlecht.
Es fehlt die Zeit, alle Defizite dieser Regierung ausführlich zu würdigen.
({7})
Es gäbe im Bereich des Luftverkehrs nicht nur im Zusammenhang mit dem 11. September eine Menge zu tun.
Ich verweise nur auf die Problematik der Flugsicherung
und den entsprechenden Haushalten.
Die Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung
haben Sie aus wahltaktischen Gründen auf die lange Bank
geschoben.
Horst Friedrich ({8})
Bei der Seeunfalluntersuchung - Stichwort „Pallas“ will die Bundesregierung zukünftig offensichtlich hinter
verschlossenen Türen kungeln, statt das bewährte öffentliche Verfahren zu stärken und die Verfahrensrechte aller
Beteiligten zu sichern.
({9})
Defizite über Defizite und keine Chance, mit dem
Haushalt 2002 daran etwas zu ändern. Herr Minister, Ihre
Verkehrpolitik ist gescheitert. Das Scheitern hat einen Namen. Es heißt Kurt Bodewig. Der einzige Lichtblick ist:
Es ist offensichtlich der letzte Haushalt, den Sie in diesem
Haus verantwortlich zu vertreten haben. Der nächste wird
von anderen gestaltet.
Danke sehr.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau
Präsidentin! Bevor wir auf das große Wortgetöse eingehen, möchte ich zunächst einmal nicht nur dem Kollegen
Fischer, sondern vor allem auch der Kollegin RehbockZureich ganz herzlich zum Geburtstag gratulieren.
({0})
- Ach, Frau Rita Streb-Hesse hat auch Geburtstag. He,
Frauen vor! Das finde ich ja ganz toll. Super! Gratuliere!
Ich hatte Sie nicht in der Liste. Das tut mir echt Leid. Doppelt hält besser.
({1})
Ich muss schon sagen: Von diesem kleinen, bescheidenen Block hier kommen wirklich große Wortgetöse: Die
Koalition hat sich blockiert. Kollege Kalb, Sie müssen in
Gesprächen gewesen sein, die wir nicht mitbekommen
haben. Das kann ja sein. Außerdem haben Sie gesagt: Die
Reformen stecken im Stau. Also wirklich, das ist eine
Nummer zu groß gegriffen.
Ich glaube, wir müssen noch einmal ganz deutlich sagen: Hinterlassen haben Sie uns einen Bundesverkehrswegeplan mit 100 Milliarden DM Unterfinanzierung.
Jetzt wollen Sie hier ständig die Backen aufblasen, dass
wir das Geld praktisch vom Himmel herunterregnen lassen sollen.
Die rot-grüne Bundesregierung hat - das ist wirklich die
Hauptleistung - überhaupt erst einmal Klarheit in die
Bundesverkehrswegestruktur gebracht, auch wenn wir den
detaillierten Bundesverkehrswegeplan in seiner überarbeiteten Form in dieser Legislaturperiode nicht mehr vorlegen können, weil das sorgfältige Kleinarbeit erfordert.
({2})
Wir haben erst einmal neue Ehrlichkeit in der Finanzplanung erreicht. Wir haben vor allem - das haben Sie nie
geschafft und auch nie gewollt - die Angleichung der Verkehrsträger Straße und Schiene realisiert, indem wir die
Investitionen in die Schiene schrittweise nach oben gefahren haben, weswegen jetzt Waffengleichheit zwischen
Straße und Schiene besteht. Dafür war es allerhöchste
Zeit.
Man kann sich nicht ständig darüber beschweren, dass
bei der Bahn alle möglichen Probleme, Verspätungen usw.
auftreten, wenn nicht schrittweise von hier aus die dringend nötige Unterstützung kommt. Das haben Sie versäumt.
({3})
Sie haben die Investitionen in die Bahn 1998 auf 6,14 Milliarden DM heruntergefahren. Angesichts dessen sollten
Sie sich jetzt nicht beschweren, dass wir einen großen
Kraftakt brauchen, um Schritt für Schritt das auszubessern, wofür Sie die Mittel abgesenkt hatten.
({4})
Angesichts dessen verstehe ich die Beschwerden über die
verschiedenen Programme überhaupt nicht. Sie sollten
froh sein, dass wir Zug um Zug wieder Boden unter die
Füße bekommen und den Problembereich Verkehrspolitik
wirklich solide anpacken.
({5})
Auch die LKW-Maut haben wir nach vielen Diskussionen im Vorfeld auf den Weg gebracht.
({6})
Bisher konnten Sie daran noch keine substanzielle Kritik
äußern. Sie sind froh über das Anti-Stau-Programm.
({7})
Wir sind sehr froh, dass das Anti-Stau-Programm ein
Fifty-fifty-Programm und eben kein reines Straßenbauprogramm ist, sondern auch die Schiene und die Wasserstraßen im wahrsten Sinne des Wortes mit ins Boot holt.
({8})
- Ich glaube, da liegt jetzt wirklich ein Irrtum vor. Ihr Gesetz musste wirklich abgelehnt werden. Die Form, in der
wir es jetzt auf den Weg bringen, ist solide und korrekt.
Wir werden es mit dem jetzigen Anti-Stau-Gesetz bzw.
Maut-Gesetz schaffen, dass für die LKWs je nach Gewicht und Schadstoffklasse zwischen 27 und 37 Pfennig
endlich und zum ersten Mal wirklich je gefahrenem Kilometer gezahlt werden müssen. Das ist zwanzigmal mehr
Horst Friedrich ({9})
als die Jahresgebühr, die Sie mit der Vignette auf den Weg
gebracht hatten.
({10})
Das wird den Güterverkehr endlich schrittweise auf die
Schiene verlagern.
({11})
Sie wissen sehr wohl, wie nötig das ist, denn auch der Verkehrsbericht 2000 hat in erschreckender Weise klar gemacht, wie groß diese Aufgabe in den nächsten Jahren
sein wird.
Lassen Sie mich noch eines sagen: Die viel geschmähte
Ökosteuer zeigt endlich auch ökologische Lenkungswirkung. Ich sage das gerade in diesem Kreis, denn das immer wieder zu hörende Gerede, wir sollten die Ökosteuer
abschaffen, ist wirklich falsch. Sie hat verkehrspolitische
Lenkungswirkung.
({12})
Der Straßenverkehr entwickelt sich schrittweise in verantwortlicherer Weise. Wir haben in diesem Jahr eine
5-prozentige Absenkung des Benzinverbrauchs erreicht.
({13})
Es wird weniger und sparsamer Auto gefahren. Die
Schiene profitiert schrittweise davon. Der Bahnverkehr
wächst jährlich um rund 3 Prozent. Der Güterverkehr hat
in 2000 sogar um 13 Prozent zugenommen.
Das alles beweist, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Es ist ein sehr mühseliger und langwieriger Prozess, die
Verkehrswende peu à peu in die richtige Richtung zu vollziehen, aber wir tun es. Wir werden den Stau auf der
Straße - anders, als Sie gesagt haben - schrittweise auflösen, nicht dadurch, dass wir ständig mehr Straßen bauen,
sondern dadurch, dass wir die Verlagerung des Verkehrs
auf die Schiene und teilweise auf die Wasserstraße wirklich organisieren.
({14})
Annette Faße hat es bereits gesagt: Mit dem Radwegeprogramm, mit der Stärkung des kombinierten Verkehrs
haben wir eine Reihe von Bausteinen in Angriff genommen, die tatsächlich helfen, gerade die Schnittstellen der
unterschiedlichen Verkehrsträger aktiv auszugestalten,
statt uns immer nur darauf zu verlassen, dass die Straße
alle Probleme löst.
Ich möchte eines noch zu der immer wieder vorgebrachten Beschwerde sagen, die Mittel für Investitionen
in die Schiene flössen nicht ab. Es ist richtig: In diesem
Jahr hatte und hat die Bahn große Probleme, die Mittel abfließen zu lassen - darum soll man nicht herumreden -,
aber wir haben das Thema in der Koalition sehr solidarisch diskutiert und mit dem Ministerium wichtige Maßnahmen getroffen. Ein Schritt dabei ist, dass mithilfe eines Sonderimpulses im Umfang von 460 Millionen DM
die Planungskapazitäten und die Beschleunigung der Planung endlich auf den Weg gebracht worden sind. Das
Zweite war die trilaterale Vereinigung. Herr Kollege
Kalb, da sollten Sie sich an die eigene Nase fassen. Wenn
Sie solche Großprojekte wie den Berliner Knoten oder die
Strecke Köln-Frankfurt oder das Projekt Ingolstadt so
falsch kalkulieren, dass nachher ein riesiger Mehrbedarf
entsteht - das ist diese typische Art, Großprojekte schönzurechnen -,
({15})
dann führt das eben dazu, dass im Endeffekt die Sachzwänge geschaffen sind und der Steuerzahler nachfinanzieren muss. Sie haben so unsolide gearbeitet und wir bessern das wieder aus.
({16})
Die Bahn hat jetzt ihre Hausaufgaben intensiv gemacht
und das vorbereitet. Sie hat Projekte im Gegenwert von
8 Milliarden DM in die Investitionsphase gebracht, hat
Projekte im Gegenwert von 20 Milliarden DM in der Planung und wird das Geld Anfang nächsten Jahres abfließen
lassen. Wir alle sollten froh sein, dass es bei der Bahn abfließt, erstens, weil wir dann bald zufriedene Bahnkunden
bekommen, und zweitens, weil bei Maßnahmen im Bahnbereich mehr Bauarbeitsplätze geschaffen werden; Bahninvestitionen sind arbeitsplatzintensiver.
({17})
Lassen Sie mich noch etwas zum Bauetat sagen. Da
haben wir besonders effektiv gearbeitet. Ich bin wirklich
stolz auf das, was wir im parlamentarischen Verfahren
zuzulegen geschafft haben. Wir haben es geschafft, die
Städtebauförderung - die Diskussion dazu gab es lange
genug; da hatten wir eigentlich auch die Unterstützung
der Opposition - entsprechend dem, was wir schon im
letzten Jahr erreicht hatten, um 100 Millionen DM aufzustocken. Wir haben den Verpflichtungsrahmen für eine
Anschluss-finanzierung im Umfang von 50 Millionen
Euro, also von 100 Millionen DM, stabilisiert, sodass die
Städtebauförderung West sehr solide in die Zukunft planen kann.
Genauso haben wir es bei dem Programm Soziale
Stadt gemacht. Auch da haben wir im parlamentarischen
Verfahren wieder 50 Millionen DM draufgepackt. Dafür
möchte ich mich bei den Kolleginnen und Kollegen sehr
herzlich bedanken.
Obwohl es schon sehr schwierig war, weil die Konjunkturdaten ja nicht ganz so rosig sind, haben wir auch
beim sozialen Wohnungsbau ein Stück weit draufgesattelt, nämlich 70 Millionen Euro.
({18})
Es war sehr schwierig, das dem Finanzministerium positiv zu vermitteln. Ich halte das für einen sehr wichtigen
Schritt, weil wir gerade in diesem Jahr das Gesetz reformiert haben.
({19})
Es ist eben nicht mehr nur ein Gesetz für den Neubau; die
Bestandserneuerung ist ebenso wie der Erwerb von Belegrechten ein sehr wichtiger Baustein. Das wird zunehmend wichtig.
({20})
Weil das Programm Soziale Stadt sehr viel in alten Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus der 50er- und 60erJahre stattfindet, braucht es als Kofinanzierung dringend
den Baustein der Bestandserneuerung in alten Sozialwohnungen, und zwar mit gemischter Belegung, damit das nicht
länger soziale Problemfelder sind. Das ist richtig und wichtig und ergänzt die Städtebauförderung, die überwiegend in
Altbauquartieren stattfindet, in einer sehr guten Form.
({21})
Dann gibt es das Programm Stadtumbau Ost. Das ist sehr
wichtig und sollte insbesondere auch von der PDS nicht immer so kritisiert und niedergemacht werden. Da haben wir
einen ganz wichtigen Impuls gesetzt, der im Osten auch
längst angekommen ist, leider noch nicht bei der PDS. Die
wartet immer noch und sagt: Erst dann, wenn es mehr und
mehr und mehr Geld gibt, soll der Stadtumbau Ost stattfinden. - Ich finde es sehr schade, dass die Kollegen noch nicht
begriffen haben, was vor Ort inzwischen schon passiert.
Mit dem Wettbewerb, der gerade begonnen hat, sind
praktisch alle größeren Städte aufgefordert,
({22})
ihre Stadtentwicklungspläne, die in der damaligen Zeit
völlig euphorisch und auf viel zu viel Bevölkerungszuwachs hin kalkuliert waren, jetzt solide auf die real abschätzbare Entwicklung hin neu auszurichten. Das ist ein
ganz wichtiger Schritt. Da muss dann eben der erforderliche Rückbau erfolgen.
Dafür haben wir wirklich ein Programm aufgelegt, das
für die nächsten acht Jahre Planungssicherheit schafft.
({23})
- Es sind genau 153 Millionen Euro als Verpflichtungsrahmen.
({24})
Das wird dann entsprechend aufwachsen.
({25})
- Ich habe die Barmittelzahl jetzt nicht. Die Barmittel sind
aber auch nicht so sehr das Problem, sondern der Verpflichtungsrahmen, damit Klarheit besteht.
({26})
- Herr Kollege, wir beginnen jetzt mit der Planung!
({27})
Ich habe gerade gesagt, dass der Wettbewerb um die
Stadtentwicklungskonzepte, die die Grundlage für den
Städtebau in den einzelnen Stadtteilen sind, auf den Weg
gebracht ist. Er wird im ersten Halbjahr des nächsten Jahres erfolgen. Insofern sage ich Ihnen: Reißen Sie die
Bäume doch nicht aus, bevor Sie überlegt haben, wie der
Park gestaltet werden soll, sondern fangen Sie mit der Arbeit von vorne und nicht von hinten an.
({28})
Ich bin ziemlich sicher, dass diese Gelder sehr gut ankommen. Die Länder haben inzwischen ihre Kofinanzierung gesichert. Von daher wird der Stadtumbau ein sehr
wichtiger Impuls sein, auch noch einmal für die lokale
Bauwirtschaft. So absurd es klingt, es ist sehr wichtig.
Wir haben für etwas ganz Entscheidendes gesorgt: Es
geht eben nicht nur um Abriss und Rückbau, sondern
fifty-fifty, Rückbau plus 50 Prozent Aufwertung plus Eigentumsförderung in den Innenstädten plus Investitionszulage für den Altbau. Das ist ein sehr sinnvolles Konzept
zur Stärkung der Städte und zum Rückbau in einer sehr
achtsamen Form.
Ich bekomme aus den Diskussionen in den einzelnen
Städten mit, dass die Projekte sehr konstruktiv angegangen werden. Ich werbe sehr dafür, dass die Wohnungswirtschaft das Thema ernst nimmt und sie sich einigt. Es
ist natürlich ein sehr schwieriger Prozess zu entscheiden,
welches Unternehmen wie viel abreißen muss.
Lassen Sie mich noch zwei Punkte sagen.
({29})
- Doch, die sage ich schon noch, Kollege Kansy.
Das geht von der Zeit
her eigentlich nicht mehr.
Ich will sie nur ganz kurz erwähnen.
({0})
Wir haben im experimentellen Wohnungs- und Städtebau
West für den Leerstand West, der auch mehr und mehr auf
uns zukommt, zum ersten Mal Pilotprojekte mit 15 Millionen Euro auf den Weg gebracht und wir haben für die
Initiative „Architektur und Baukultur“ mit 143 Millionen Euro im Jahr 2002 und 102 Millionen Euro im Jahr
2003 ganz bescheiden die nötigen Mittel eingestellt. Das
sind sehr wichtige Punkte, um mit der Baukultur über die
Legislaturperiode hinaus in den nächsten Jahren wirklich
voran zu kommen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Christine Ostrowski für die PDS-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Als ich die aktuellen Beschlüsse des
Haushaltsausschusses las, habe ich mich gefragt: Ja, ist
denn heut‘ schon Weihnachten? Ich war wirklich überrascht.
({0})
Es ist Tatsache, dass der Verpflichtungsrahmen für wichtige Programme gegenüber dem Entwurf des Haushalts
deutlich aufgestockt worden ist. Das betrifft den dritten
Förderweg sozialer Wohnungsbau alte Bundesländer, die
Städtebauförderung West, den sozialen Wohnungsbau Ost
- da ist es weniger deutlich - und die Soziale Stadt. Selbstverständlich freut mich das; denn jede Mark mehr für den
sozialen Wohnungsbau ist wichtig, auch jede für die
Städtebauförderung und jede für die Soziale Stadt.
Weil ich in der Vorweihnachtszeit immer besonders
freundlich gestimmt bin,
({1})
will ich allen Kämpfern an der Haushaltsfront ein Lob
aussprechen. Frau Eichstädt-Bohlig, Herr Spanier und
alle, die da gekämpft haben, bekommen jetzt also ein Lob,
natürlich auch Herr Großmann. Das meine ich auch wirklich ehrlich.
Aber Sie kennen mich und wissen, dass ich bei diesem
Lob allein natürlich nicht stehen bleiben kann, denn der
Vorgang macht mich doch ein wenig stutzig. Herr
Dr. Kansy, Herr Spanier und wir alle haben miterlebt, dass
hier monatelang beispielsweise über die Reform des sozialen Wohnungsbaus diskutiert wurde. Wir und auch
die CDU/CSU und die FDP haben immer wieder angemahnt, dass die Mindestausstattung, die man vorgesehen
hatte, nämlich 230 Millionen Euro, hinten und vorn nicht
langen könne, wenn es denn eine Reform werden solle.
Wir haben insbesondere von Ihnen, Frau EichstädtBohlig, die gleichen Argumente gehört, die Sie uns auch
gerade wieder um die Ohren gehauen haben:
({2})
„Die Mindestausstattung reicht für die Zielgruppe, die wir
in Zukunft fördern wollen.“ „Wir müssen überhaupt mehr
an den Bestand gehen.“ „Sie von der PDS können ja nur
die Hand aufhalten und Geld fordern.“
({3})
Diese Argumente kamen immer und immer wieder im
Brustton tiefster Überzeugung und mit dem Hinweis, Sie
müssten den Haushalt konsolidieren.
Deshalb darf ich mich schon ein bisschen wundern,
dass Sie von diesem Standpunkt, den Sie so lange konsequent und hartnäckig vertreten haben, nun ganz plötzlich
abgegangen sind. Da stellt sich mir - vielleicht bin ich ja
etwas verwirrt - doch die Frage: Haben Sie uns in den
letzten Monaten belogen und haben Ihre damaligen Argumente nicht gestimmt
({4})
oder sind Ihre Argumente von heute, wenn Sie die Ansätze
erhöhen, richtig? Was auch immer stimmt, so kann man
eigentlich nicht miteinander umgehen. Sie können nicht
in der Öffentlichkeit Argumente vertreten, die sie dann
plötzlich ändern, um schließlich so zu tun, als wäre das alles normal.
({5})
- Ja, die können das. Das stimmt. Sie können das manchmal vielleicht geschickter, als es die alte Koalition konnte.
Das muss ich ebenfalls sagen.
({6})
Stutzig wird man natürlich auch, wenn man feststellt,
dass Sie das Geld so plötzlich finden. Wenn wir oder eine
der anderen Oppositionsfraktionen Anträge einbringen,
dann entgegnen Sie mit den immer gleichen Argumenten:
„Es gibt überhaupt keinen Spielraum mehr.“ Nicht nur in
dieser Debatte, sondern auch in anderen Zusammenhängen - ich strapaziere jetzt nicht den Verteidigungshaushalt - fällt mir auf, dass Sie dort, wo es Ihnen wichtig ist,
immer in der Lage sind, Geld bereitzustellen. Wenn es darauf ankommt, dann tun Sie das sogar in allerletzter Minute.
({7})
Warum ist Ihnen das besonders wichtig? Ich gehe nicht
auf Argumente wie diejenigen ein, die sich auf die Betroffenen oder den sozialen Wohnungsbau beziehen, und
schaue mir einfach ganz nüchtern die Zahlen an. Ich stelle
fest, dass ein zusätzlicher Verpflichtungsrahmen allein für
den sozialen Wohnungsbau und für die Förderung des
Städtebaus in den Westländern in Höhe von rund
170 Millionen Euro geschaffen wurde. Merken Sie sich
diese Zahl! Für den sozialen Wohnungsbau im Osten
werden demgegenüber nur rund 14 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt.
({8})
- Ich komme gleich zu der Menge. - Die Masse der von
Ihnen zusätzlich zur Verfügung gestellten Gelder fließt in
die alten Bundesländer. Auch wenn ich ihnen jede Mark
gönne, darf ich einmal daran erinnern, dass die große
Mehrzahl Ihrer Wähler im Westen wohnt.
({9})
Man könnte den Verdacht haben, dass Sie an die nächsten
Wahlen denken.
({10})
Ich darf daran erinnern, dass sich die Wohnungswirtschaft im Osten und nicht die Wohnungswirtschaft im
Westen in einer existenziellen Krise befindet.
({11})
Ich komme zum Programm Stadtumbau Ost.
({12})
Um den Verpflichtungsrahmen in Höhe von 150 Millionen Euro, den Sie für das nächste Jahr bereitstellen, zu
finanzieren, stehlen Sie ein Drittel bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ und ein weiteres Drittel bei der klassischen Städtebauförderung Ost. Nur das letzte Drittel, das
heißt nur 50 Millionen Euro, kommt aus allgemeinen
Haushaltsmitteln.
({13})
Das ist die Wahrheit. An Barmitteln stellen Sie schlappe
15 Millionen Euro bereit. Wenn man die Gelder für den
Osten mit denen, die Sie zusätzlich für den Westen zur
Verfügung stellen, vergleicht, dann werden die wahren
Verhältnisse sichtbar.
Alle Mittel, die für die anderen Bestandteile des Programms bereitgestellt werden, erschließen Sie ebenfalls
nicht zusätzlich; vielmehr werden sie dadurch bereitgestellt, dass andere Programme liquidiert werden. Liebe
Frau Eichstädt-Bohlig, das Wohneigentumsprogramm
wird schlicht und ergreifend durch die Abschaffung der
Investitionszulage für die Selbstnutzer finanziert. Die erhöhte innerstädtische Investitionszulage wird durch den
erhöhten Selbstbehalt der krisengeschüttelten ostdeutschen Wohnungsunternehmen finanziert. Das von Ihnen
bereitgestellte Darlehensprogramm wird im nächsten Jahr
über ein KfW-Modernisierungsprogramm finanziert.
({14})
Ab 2003 - das ist wohl das Allerschärfste - soll das Darlehensprogramm aus dem Zuschussprogramm finanziert
werden. Dazu kann ich nur sagen: Wenn das wirklich alles ist, was der Bund im nächsten Jahr an zusätzlichem
Geld bereitstellt, nämlich 50 Millionen Euro als Teil des
Verpflichtungsrahmens, dann ist das zu wenig.
Ich möchte etwas zum Gesamtfinanzrahmen sagen: Es
ist unglaublich, welcher Eindruck erweckt wird. Ich habe
Herrn Bodewig das letzte Mal öffentlich reden gehört, als
er bei einem SPD-Forum die Einführungsrede hielt.
Sie sagen gewöhnlich - aus Ihrem Munde ist das sehr
eindrucksvoll -: Für das Programm Stadtumbau Ost
stehen insgesamt 5 Milliarden DM bereit. Jeder normale
Mensch, der sich nicht auskennt, muss glauben, dass diese
5 Milliarden DM vom Bund kommen; schließlich äußern
Sie sich dazu nie konkret. Ich betone: 2 Milliarden DM
kommen vom Bund für acht Jahre, 2 Milliarden DM von
den Ländern und 1 Milliarde DM von den - ich frage
mich, woher sie es nehmen sollen; denn gerade diejenigen, die den höchsten Leerstand haben, sind am finanzschwächsten - ostdeutschen Kommunen.
({15})
Zum Vergleich, meine Damen und Herren, besonders
die von der Koalition: Die Expertenkommission Wohnungsleerstand hat im Hinblick auf den Leerstand des
Jahres 1998 festgestellt, dass damals bei den ostdeutschen
Wohnungsunternehmen Belastungen in Höhe von 4 Milliarden DM aufgelaufen sind, nämlich 2 Milliarden DM
Einnahmeverluste und 2 Milliarden DM Kostenbelastungen. Demzufolge kamen 1999 noch einmal 4 Milliarden
DM hinzu; damit sind wir bei 8 Milliarden DM Belastung.
Im Jahr 2000 kommen wieder 4 Milliarden DM hinzu;
damit sind wir bei 12 Milliarden DM Belastung. 2001
sind es dann 16 Milliarden DM. Und so geht das dann
weiter.
({16})
Ein Vergleich dieser Summe, durch die die ostdeutschen
Unternehmen belastet werden, mit den 2 Milliarden DM
Förderung, die Sie über acht Jahre vorgesehen haben,
zeigt deutlich, dass die Verhältnismäßigkeit der Mittel
überhaupt nicht gewahrt ist.
({17})
Sie aber erwecken in der Öffentlichkeit absichtlich einen
anderen Eindruck.
In diesem Zusammenhang möchte ich zu Ihnen, Herr
Hilsberg, noch ein Wort sagen: Ich bin vor drei oder vier
Tagen zu einem ungefähr zweistündigen, sehr interessanten Gespräch mit dem Bürgermeister von Großräschen,
SPD, zusammengekommen.
({18})
Auch in seiner Gemeinde gibt es einen hohen Leerstand.
Im Übrigen ist das dortige Stadtentwicklungskonzept fast
fertig gestellt; es stimmt nicht, dass die jetzt erst anfangen
müssen. Dieser SPD-Bürgermeister sagte mir: „Nun ja,
Frau Ostrowski, jetzt ist ja alles geregelt. Es werden im
nächsten Jahr ja 5 Milliarden DM zur Verfügung gestellt.“
Ich musste ihm sagen, wie es sich wirklich verhält und
dass im nächsten Jahr keine 5 Milliarden DM fließen werden. Er aber hatte diesen Eindruck, obwohl er einer der
besser informierten Politiker ist, da er immer wieder bei
Beratungen im brandenburgischen Innenministerium zugegen ist. Ich weiß, Herr Hilsberg, dass Sie diesen Wahlkreis erobern wollen.
({19})
Ich kann Ihnen da nur empfehlen: Kümmern Sie sich bitte
darum, dass, auch wenn Sie nicht mehr Geld zur Verfügung stellen, wenigstens ganz schnell Geld fließt. Es kann
nicht sein, dass Sie den Wohnungsleerstand wie einen
Berg vor sich herschieben.
Frau Ostrowski, Sie
müssen sich jetzt um das Ende Ihrer Rede bemühen.
Ich komme zum
Schluss. - Wir haben drei Anträge gestellt, für die nicht
mehr Geld eingestellt werden muss.
Im ersten Antrag wird gefordert, die gesamte Ostförderung in einem Topf zu bündeln und die Kommunen entscheiden zu lassen, was sie mithilfe dieses Geldes aufbauen oder abreißen wollen.
Der zweite Antrag fordert, die Mittel für bedrohte Existenzen im Rahmen der Härtefallverordnung früher bereitzustellen.
Der dritte Antrag fordert, die Städtebauförderung Ost
wieder auf den Ansatz anzuheben, der bisher dafür zur
Verfügung stand,
({0})
und nicht die Mittel, die Sie für Abrisse einsetzen wollen,
aus diesem Topf zu nehmen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Bundesminister Kurt Bodewig.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Erst einmal auch von meiner Seite einen
Genesungsgruß an Gerd Rübenkönig und einen Geburtstagsgruß an Dirk Fischer sowie Rita Streb-Hesse und
Karin Rehbock-Zureich. Dabei fällt mir auf, dass der Kollege Fischer feiert, während die Damen sogar an ihrem
Geburtstag arbeiten. Herzlichen Glückwunsch!
Ich werde sehr gerne und mit Vergnügen auf all Ihre
Beiträge eingehen. Ihr Lamento rührt ja wahrscheinlich
daher, dass Sie sich einen derartigen Haushalt überhaupt
nicht vorstellen konnten. Während Ihrer Regierungszeit
war die Entwicklung dieses Haushaltes rückläufig. Mittel
wurden verlagert und es gab riesige Löcher, wie die, die
Sie uns bei den Schienenprojekten hinterlassen haben.
({0})
Ich nenne hier einmal die Neubaustrecken. So waren für
die Neubaustrecke Köln-Frankfurt 7 Milliarden DM einkalkuliert, 10 Milliarden DM kostet sie. Das fällt in Ihre
Verantwortung.
({1})
Ich glaube, da handelt diese Koalition viel verantwortlicher, indem sie auch die Mittel bereitstellt, um Infrastruktur auszubauen. Damit wird Verkehrspolitik überhaupt
erst realisierbar.
({2})
- Sie haben aber die Entscheidungen zu verantworten,
Herr Friedrich. Aus dieser Verantwortung werde ich Sie
nicht entlassen. - Ihr Beitrag erinnerte mich übrigens an
einen schönen Film, den ich gesehen habe: „Die fabelhafte Welt der Amélie“. Das kann man auf Sie übertragen,
denn in Ihrem freudschen Versprecher drückten Sie es
richtig aus: Dieser Haushalt steigt, und zwar sinnvoll und
zielgenau. Deshalb enthält Ihr Versprecher eine richtige
Aussage; diese greifen wir gerne auf.
({3})
Lassen Sie mich noch einmal deutlich machen, über
was wir heute reden und was wir in der dritten Lesung beschließen werden.
({4})
Wir stimmen über einen Haushalt ab, der ein ungeheures
Maß an Investitionen aufweist, der sich positiv auf die
Beschäftigung auswirken wird und damit die richtigen
Akzente setzt. Auch hier liegt ein Unterschied zur Vergangenheit. Das ist auch ein Grund, warum wir sagen
können: Mit diesem Haushalt können wir hervorragend
leben.
({5})
Dies war trotz der notwendigen Konsolidierung möglich.
Auch hier möchte ich noch einmal ein wenig den Blick
in die Vergangenheit richten: Was haben wir denn 1998
übernommen? 1,5 Billionen DM Bundesschulden. Das ist
eine Verschuldung, die die staatliche Handlungsfähigkeit
absolut unzulässig einengt.
({6})
Diese Schulden bauen wir in einem großen Kraftakt ab.
Deswegen steigt nicht der Gesamthaushalt, sondern es
steigt der Haushalt für Verkehr, Bau und Wohnungswesen, der der größte Investitionshaushalt des Bundes ist.
Damit wird der richtige Akzent gesetzt.
({7})
Ich glaube, auch das sollten wir noch einmal sehr deutlich
machen, denn wir haben Verantwortung für Beschäftigung. Ich meine, dass es sich sehen lassen kann, dass dieser Haushalt im Vergleich zum Vorjahreshaushalt um
1,5 Milliarden Euro steigt.
({8})
Wir haben das erarbeitet. Ich nenne nur das Stichwort
BEV. Hier stellen wir sicher, dass wir den sozialen Verpflichtungen, die sich aus der Bahnreform ergeben, überhaupt nachkommen können.
In diesem Haushalt sind neue Akzente erarbeitet worden, auf die ich im Einzelnen noch eingehen werde. Ich
glaube, dass es richtig war, dass wir das, was Sie in der
Vergangenheit praktiziert haben, indem Sie den Schienenetat systematisch heruntergefahren haben - 1995 9 Milliarden DM und 1998 6,5 Milliarden DM -, deutlich korrigiert haben.
({9})
Jetzt sind wir wieder bei rund 9 Milliarden DM. Ich
glaube, dass es richtig ist, in einem integrierten Verkehrssystem alle Verkehrsträger gleichermaßen auszubauen.
Das führt dann auch dazu, dass wir einen Bundesfernstraßenhaushalt mit 10,8 Milliarden DM haben. Das ist
ein Rekord, und zwar schon im zweiten Jahr. Wir kündigen Programme nicht nur an, sondern wir realisieren sie
auch.
({10})
Die Durchführung des Zukunftsinvestitionsprogramms bedeutet, dass 125 Ortsumgehungen in drei Jahren zu realisieren sind. Das heißt, 125 Mal, verteilt auf
Deutschland, Verbesserung der Lebensqualität. Sie wären
froh gewesen, wenn Sie so etwas in Ihrer Amtszeit hätten
realisieren dürfen. Es war Ihnen nicht gegeben - wir machen es. Das ist der qualitative Unterschied.
({11})
Nun komme ich zum Wohnungsbau. Ich bin der Meinung, dass sich auch der Wohnungsbauhaushalt als Teil
des Einzelplans 12 sehen lassen kann und dass wir ungeheuer viel erreicht haben.
Sie haben Recht, Frau Ostrowski; Sie können immer
mehr fordern. Das ist eine Qualität, die ich bei Ihnen bewundern darf. Die Realität sieht aber so aus, dass wir Probleme lösen und dass wir die Mittel dafür zielgenau einsetzen.
({12})
Ich bin der Meinung, dass sich 2 Milliarden DM Bundesmittel für das „Stadtumbauprogramm Ost“ mit den anderen Programmteilen in Höhe von 2,2 Milliarden DM
durchaus sehen lassen können; das können Sie doch nicht
klein reden.
({13})
Dabei geht es um Steuergelder. Wir haben die Verantwortung, sorgsam mit diesen Steuergeldern umzugehen, und
das tun wir.
Ich glaube, dass das „Stadtumbauprogramm Ost“
wichtig ist, weil es dort ansetzt, wo wir Probleme haben.
In den neuen Bundesländern stehen 1 Million Wohnungen
leer. Etliche Wohnungsgesellschaften sind an der Grenze
ihrer Belastbarkeit. Mit § 6 a Altschuldenhilfe-Gesetz helfen wir ihnen.
({14})
Wir helfen ihnen auch dadurch, dass wir einen Wettbewerb starten. 31 Millionen DM haben eine Wirkung. Allein schon die Beteiligung am Wettbewerb ist für alle
Städte, die sich beteiligen, ein Gewinn. Wir haben das
Programm von 100 auf 200 Städte erweitert und werden
damit ebenfalls Stadtentwicklungskonzepte unterstützen,
die notwendig sind. Das heißt, auch dieser Prozess hat
eine Qualität. Deswegen ist das Stadtumbauprogramm ein
intelligentes Programm.
({15})
Weiterhin haben wir das Programm Soziale Stadt aufgelegt. Ich möchte allen Beteiligten meinen Dank
aussprechen. Die Impuls-Kongresse machen die hohe
Beteiligung deutlich. Die Menschen brauchen dieses Programm, weil es bewirkt, dass sie in den Quartieren aus eigener Kraft dafür sorgen können, die Lebensumwelt neu
zu gestalten, Qualität wiederherzustellen und Stadtteile,
die auf der Kippe stehen, wieder zu stabilisieren. Ich
glaube, dass wir dieses Programm zu Recht europaweit
vorzeigen können.
Erstmalig stehen für die Förderung als Zukunft unserer
Städte fast 1,1 Milliarden DM zur Verfügung. Die letzte
Zahl, die Sie hinterlassen haben, waren 600 Millionen DM für den Städtebau. Wir haben fast das Doppelte
erreicht. Ich meine, das kann sich sehen lassen, und das
unterscheidet uns dann wieder.
({16})
Ich komme noch zum sozialen Wohnungsbau, in dem
wir ebenfalls neue Akzente gesetzt haben. Sie alle kennen
unser Gesetz zur sozialen Wohnraumförderung, das zu
einer Flexibilisierung führt. Ein Aspekt wurde von Fachleuten immer wieder thematisiert - ich war kürzlich noch
bei Christian Ude in München - Ballungsräume. Für diese
Ballungsräume haben wir zusätzlich 70 Millionen Euro
mobilisiert, um über diesen Weg der Wohnraumförderung
ganz gezielt gerade in den Ballungszentren, in denen ein
hoher Wohnbedarf vorhanden ist, tätig werden zu können.
Es gibt in Deutschland unterschiedliche Wohnungsmärkte; das ist eine Tatsache. Wir können jetzt in diesem
Bereich ganz gezielt arbeiten. Das ist der richtige Weg.
Allen, die daran beteiligt waren, sage ich herzlichen
Dank.
({17})
Ich freue mich übrigens auch darüber, dass wir die Initiative „Architektur und Baukultur“ fortsetzen. Dies ist
eine sehr wichtige Initiative. Denn Baukultur hat etwas
mit Menschen zu tun,
({18})
und zwar deswegen, weil sie die Menschen prägt. Ich
kann mir vorstellen, dass die für diese Initiative vorgesehenen Mittel weiterhin angesetzt werden und dass es vielleicht einmal eine Stiftung „Architektur und Baukultur“
geben wird, mit der wir dauerhaft Impulse für den Städtebau, aber auch für die architektonische Stadtentwicklung
setzen können.
({19})
- Über Zustimmung freue ich mich natürlich sehr, Herr
Kansy. Sie können das im Anschluss eindrucksvoll bestätigen. Unterstützung nehme ich immer gern entgegen.
({20})
Auch im Verkehrsbereich gab es gerade in der Schlussphase der Haushaltsberatungen eine Reihe neuer Akzente:
zum Beispiel einen eigenständigen Etattitel für den Ausbau
von Radwegen.
({21})
Das sind Lückenschlussprogramme. Hier ist mit 100 Millionen Euro eine Verdoppelung des Ansatzes ermöglicht
worden. Auch das lässt sich sehen. Das zeigt doch, dass
wir das, was wir ankündigen, in diesem Haushalt verankern und vorantreiben. Im kommenden Sommer werden
wir sehen, dass in diesen Bereich richtig Bewegung hineinkommt.
({22})
Lassen Sie mich zum System Schiene kommen. Auch
hier zeigen wir unsere ganz besondere Verantwortung.
Rund 4,5 Milliarden Euro setzen wir für Investitionen in
Schienenwege an. Die Finanzlöcher, die Sie uns hinterlassen haben - ich habe sie soeben beschrieben -, plagen
uns natürlich an der einen oder anderen Stelle. Die müssen wir in der Übernahme der Verantwortung für Sie stopfen. Wir haben einen hohen investiven Mittelansatz und
wir werden alles dafür tun, dass diese Investitionen auch
umgesetzt werden.
Der von uns vorgenommene Aufbau der Planungskapazität in Höhe von 460 Millionen DM ist eine Folge Ihrer Politik. Wir handeln hier und schaffen die Voraussetzungen, dass Schieneninvestitionen in Höhe von 2 bis
2,5 Milliarden DM vorzeitig realisiert werden können.
Das kann sich sehen lassen. Wir tun etwas.
({23})
Ich möchte auf andere Dinge zu sprechen kommen. Für
den prognostizierten Verkehrszuwachs brauchen wir die
Schiene. Wir brauchen sie auch, um die Straße leistungsfähig zu halten.
({24})
- Wir bauen ja auch; das wissen Sie doch, Herr Otto. Herr
Otto, wir sind hier doch nicht in der Nordkurve.
Ich wiederhole: Wir planen, wir bauen und wir arbeiten intensiv an der Erstellung des Bundesverkehrswegeplanes. Denn das, was Sie uns hinterlassen haben, wollen
wir nicht: eine Unterfinanzierung von 100 Milliarden DM
und Hoffnungen vor Ort, die wir nicht erfüllen können.
Wir werden also den Bundesverkehrswegeplan sehr zielgenau entwickeln.
({25})
Dabei ist es unser Ziel, einen integrierten Bundesverkehrswegeplan zu erarbeiten. Das heißt, er wird die
Straße, die Schiene und die Wasserstraße umfassen.
({26})
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Herr
Friedrich, die Taskforce-Ergebnisse werden im schnellstmöglichen Zeitplan systematisch umgesetzt. Ich versichere Ihnen: Wir werden das erste Land sein, das die entsprechende EU-Richtlinie pünktlich zum 15. März 2003
umsetzen wird. Wir arbeiten daran unter Hochdruck.
Lassen Sie mich auf die Bundesfernstraßen eingehen.
Hier gibt es Zukunftsinvestitionsprogramme, die, wie ich
soeben gesagt habe, sehr wirkungsvoll sind. Das AntiStau-Programm wird Engpässe beseitigen, und zwar überall. Auch will ich herausstellen: Wir setzen auf ein integriertes System. Das Denken der Vergangenheit, immer
nur den einzelnen Verkehrsträger zu betrachten bzw. die
unterschiedlichen Verkehrsträger gegeneinander auszuspielen, muss ein Ende haben.
({27})
Das, was bei Ihnen der Fall war, werden wir nicht tun.
Deswegen wird es eine integrierte Verwendung der Einnahmen aus der LKW-Maut geben. Das macht Sinn.
({28})
Vor einem möchte ich Sie warnen: Wenn man im Zusammenhang mit der LKW-Maut von Kompensationen
spricht, dann ist dies das sicherste Mittel, solche zu verhindern. Sie wissen, dass dies europarechtlich überhaupt
nicht zulässig ist.
({29})
Natürlich wäre es eine Entlastung für dieses Gewerbe,
wenn die Euro-Vignette wegfallen würde. Natürlich wäre
es eine Entlastung, wenn zum Beispiel die Kfz-Steuer gesenkt würde, weil der Ausstoß von Emissionen in der
LKW-Maut berücksichtigt wird.
({30})
Darüber hinaus geht es natürlich um den Grundsatz:
Wenn die Beihilfetatbestände in den Niederlanden, in Italien und Frankreich nicht auslaufen, dann müssen sie bei
uns anlaufen.
({31})
Denn wir wollen keine Wettbewerbsverzerrungen und wir
müssen die Steuern auf europäischer Ebene harmonisieren. Das ist uns allen klar. Das ist übrigens der einzige
gangbare Weg.
({32})
- Ich könnte Ihnen vieles aufzählen, was wir für das Speditionsgewerbe gemacht haben. Wir haben zum Beispiel
das zentrale Problem der illegalen Beschäftigung endlich
angepackt.
({33})
Sie haben darüber nur geschwafelt. Bei Ihnen ist doch nie
etwas passiert. Wir tun etwas. Dazu kann ich nur sagen:
Erkennen Sie es doch an!
({34})
Auch das Hinzulernen, Frau Blank, ist etwas, was man
sich selbst zugestehen kann.
({35})
Ich will deutlich machen, dass das Verkehrssystem der
Zukunft als ein integriertes Verkehrssystem geplant werden muss. Integriert heißt: kombinierter Verkehr. Wir
stocken um ein Fünftel auf. Das kann sich sehen lassen.
Das ist auch wichtig, weil wir auf diese Weise Verkehre
bewältigen können.
Herr Kalb, ich kann Ihnen sagen: Die Vereinbarung
zwischen Bund, Bahn und der Industrie hinsichtlich des
Transrapid vom Jahre 2000 gilt nach wie vor. Davon
werden wir nicht abweichen. Ich denke, das ist richtig und
sinnvoll.
Lassen Sie mich deutlich machen: Wasserstraßen und
Binnenschifffahrt haben eindeutig Priorität. Wir machen
die Ostsee sicher, weil wir das „shortsea shipping“ vorantreiben wollen. AIS bauen wir auf, um eine große
Sicherheitsqualität zu erreichen. Auf der zweiten maritimen Konferenz in Rostock haben alle Beteiligten - seien
es Reeder, Vertreter der Wirtschaft, der Häfen und der Gewerkschaften - deutlich gemacht, dass das der richtige
Schritt ist. Die Aufstockung der Finanzbeiträge für die
Seeschifffahrt ist ein ganz entscheidender Punkt, um hier
weiterzukommen.
({36})
Bevor ich eine Bilanz ziehe, möchte ich noch einen
Dank sagen. Ich bedanke mich bei den Berichterstattern
im Haushaltsausschuss. Ich habe Ihre harte Arbeit kennen
gelernt. Ich bedanke mich natürlich auch bei den Koalitionsfraktionen; denn sie haben dafür gesorgt, dass der Gewinner dieser Haushaltsberatungen der Einzelplan 12 ist.
An ganz vielen Punkten ist aufgestockt worden. Ich
denke, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Ich bin jedenfalls der Meinung, dass man diesen Haushaltsplan mit
Stolz vertreten kann.
({37})
Für die Opposition ist es natürlich etwas schwierig. Ich
kann verstehen, dass bei Ihnen ein bisschen Neid durchschimmert, weil Sie das nicht hinbekommen haben.
({38})
Umso schöner ist es, dass es uns gelungen ist. Wir werden
lange genug an der Regierung bleiben, damit uns das Jahr
für Jahr gelingt.
Ich danke auch dem Bundesfinanzminister. Es waren
nicht immer einfache Verhandlungen. Aber ihr Ergebnis
ist gelungen. Es gab Investitionen in die Infrastruktur, die
der Verantwortung für die Beschäftigung und für die Mobilität in dieser Gesellschaft Rechnung tragen. Nicht zuletzt stehen wir in der Verantwortung, einen Verkehrszuwachs von 64 Prozent in 15 Jahren bewältigen zu können.
Nach Ihrer Tatenlosigkeit werden jetzt die Weichen in
die richtige Richtung gestellt. Schauen Sie doch einmal
die Aussagen des Sachverständigenrates an. Die Investitionen in die Infrastruktur
({39})
haben sich bereits 2001 beim Straßenbau positiv ausgewirkt. Das Programm „Stadtumbau Ost“ zeigt bereits jetzt
positive Wirkungen auf die Investitionen für 2002.
Ich will noch einen Punkt aufklären. Herr Kalb, das Betreibermodell ist ein innovatives Modell im Investitionsbeschleunigungsprogramm „Bauen jetzt“. Es gab immer
den Ruf nach zusätzlichen Milliardenbeträgen. Wir sind
etwas intelligenter vorgegangen. Wir haben dafür gesorgt,
dass die 26 Milliarden DM beschleunigt ausgegeben werden können. Wir haben Finanzvereinbarungen zwischen
Ländern und dem Bund getroffen. Was früher ein Dreivierteljahr dauerte, werden wir auf ein Vierteljahr beschleunigen. Das heißt, investive Tätigkeiten können ein
halbes Jahr früher begonnen werden. Das ist Ihnen nie
eingefallen. Es geht also.
Das Betreibermodell bedeutet, in einer intelligenten
Kombination aus Mitfinanzierung, Betrieb und Erhaltungsaufwand in einem Konzessionsvertrag mit einer beBundesminister Kurt Bodewig
stimmten Dauer zusätzlich 3,5 Milliarden DM privates
Kapital zu mobilisieren.
({40})
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir auf der Basis des
LKW-Maut-Gesetzes, das jetzt kommt, eine entsprechende
Refinanzierung schaffen. Wir können die insgesamt 10
Projekte schon jetzt pilotieren und - das ist ein Angebot an
die Länder -, beginnend ab dem Jahr 2003, realisieren. Die
A 5 und auch der letzte Lückenschluss auf der A 2 sind
dringend notwendig. Das werden wir anpacken. Es ist ein
intelligentes Programm, das sich sehen lassen kann.
Ich habe abschließend eine Bitte an die Damen und
Herren der Opposition. Mark Twain hat einmal gesagt:
Der beste Weg, sich selbst eine Freude zu machen, ist, zu
versuchen, einem anderen eine Freude zu machen. Lernen
Sie dazu! Dann machen Sie uns allen eine Freude.
Herzlichen Dank.
({41})
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt der Kollegin Christine Ostrowski
das Wort.
({0})
Es tut mir Leid, meine
Damen und Herren; aber es muss sein. - Herr Minister, ich
möchte zu zwei Punkten, die Sie in Ihrer Rede angeführt
haben, meinen Standpunkt äußern.
Sie hatten erstens gesagt, dass § 6 a AltschuldenhilfeGesetz der Wohnungswirtschaft geholfen hat. Ich stelle
dazu fest, dass dem bisher real nicht so ist. Es ist von diesen Mitteln, die Sie dafür bereitgestellt haben, noch nichts
abgeflossen. Es liegen meines Wissens aktuell erst sieben
oder acht Anträge aus der Wohnungswirtschaft vor. Die
Situation ist so, dass bisher real noch keine Hilfe erfolgen
konnte, weil die Kriterien, die Sie vor die Antragstellung
gestellt haben, durch Sie so hoch gesetzt worden sind
- ich sage nur die Stichworte „Banken“ und „Verzicht auf
die Vorfälligkeitsentschädigung“ -, dass existenzbedrohte
Wohnungsunternehmen bisher nicht in den Genuss der
Mittel kommen konnten.
Zweitens möchte ich mich noch einmal zu Ihrer Bemerkung äußern, 2 Milliarden DM vom Bund könnten
sich sehen lassen. Dazu stelle ich fest, dass man das so
nicht sagen kann, und zwar aus folgenden Gründen:
Erstens. Wenn man bedenkt, dass mindestens seit dem
Jahre 1998 nach Aussage und Beweisführung der Expertenkommission „Wohnungsleerstand“ bei den ostdeutschen Wohnungsvermietern 16 Milliarden DM an finanziellen Belastungen aufgelaufen sein müssen, dann sind
diese 2 Milliarden DM - noch dazu über acht Jahre verteilt - ein Beitrag, der inakzeptabel ist.
Zweitens.
({0})
- Der zweite Grund für die 2 Milliarden DM, Herr
Dr. Kansy. - Diese 2 Milliarden DM werden zu zwei Dritteln aus anderen Programmen finanziert. Nur ein Drittel
erschließt der Bund aus allgemeinen Haushaltsmitteln.
Ich halte auch das nicht für angemessen,
({1})
weil diese anderen Programme, aus denen das Stadtumbauprogramm finanziert wird, für den Osten gerade deshalb nötig sind, weil die Städte belebt und die Menschen
in den Städten gehalten werden müssen. Daher darf man
diese Programme nicht kürzen, zumal mit den Mitteln
Wohnungen abgerissen werden sollen. Das ist nicht in
Ordnung und das musste gesagt werden.
Vielen Dank.
({2})
Herr Minister, bevor
ich Ihnen das Wort zur Erwiderung erteile, schlage ich
vor, dass die zweite angemeldete Kurzintervention des
Kollegen Oswald sofort erfolgt.
({0})
- Ich bedanke mich für die Kulanz.
({1})
Trotzdem hat der Herr Minister die Möglichkeit zu erwidern. - Bitte.
Sie kennen die Problematik des § 6 a
AHG und wissen, dass als Voraussetzung für den Antrag
ein betriebswirtschaftliches Konzept vorhanden sein
muss. Acht solcher Konzepte sind bereits entwickelt worden; insgesamt erwarten wir 20. Das braucht seine Zeit.
Dieses Programm läuft an; dass es diese Anträge gibt, beweist, dass das Programm schon Wirkung zeigt. Deshalb
halte ich Ihre Kritik nicht für berechtigt.
({0})
Zu Ihrem zweiten Punkt: Ich kann ja verstehen, dass
Sie als Oppositionsabgeordnete das Programm „Stadtumbau Ost“ kritisch bewerten müssen. Dass Sie es auch negativ darstellen müssen, ist vielleicht Ihr Verständnis von
Oppositionsarbeit. Alle anderen aber, sowohl Vertreter der
Wohnungswirtschaft als auch diejenigen, die in den neuen
Bundesländern in kommunaler Verantwortung sind, sagen, das Programm sei hervorragend. Der GdW-Präsident
Freitag hat sich absolut erfreut geäußert, weil man der
Wohnungswirtschaft mehr Geld anbietet, als sie überhaupt gefordert hat. Das zeigt, welche Voraussetzungen
wir hier schaffen, um die Krise der Wohnungswirtschaft in den neuen Bundesländern real und nicht nur in
theoretischen Erklärungen anpacken zu können, Frau
Ostrowski.
({1})
Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Dr. Dietmar Kansy.
({0})
Sie sind auch
in dieser Frage inkompetent. Die Größe der Räume ist
vom Deutschen Bundestag beschlossen worden, Herr
Kollege.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Minister hat seine Rede mit dem Wunsch abgeschlossen,
Bilanz zu ziehen. Ich stimme dem zu; es ist Zeit, Bilanz
zu ziehen.
Erstens. Wir beraten heute einen Einzelplan für den
Bundeshaushalt 2002, bei dem in rot-grünen Regierungszeiten erstmals ein und derselbe Bundesminister die
Haushaltsaufstellung begonnen und auch abgeschlossen
hat.
({1})
Er ist übrigens schon ein Jahr und eine Woche im Amt.
({2})
Bei den bekannten Halbwertzeiten von Ministern dieser
Koalition - ich meine Müntefering und Klimmt - ist das
eigentlich eine erfreuliche Angelegenheit.
({3})
Zweitens. Wenig erfreulich ist, dass die Wohnungswirtschaft und die interessierte Öffentlichkeit von Salzgitter bis Garbsen, Herr Kollege Schmidt, in diesen Jahren kaum etwas von einem Wohnungsminister
mitbekommen hat, der sich am Kabinettstisch durchsetzt,
wenn es um Fragen des Wohnungsbaus geht. Das ist kein
Wunder, Herr Minister, haben Sie doch bei verhängnisvollen Fehlentscheidungen dieser Bundesregierung zulasten der Wohnungsbauinvestitionen - sei es im Steuerrecht, sei es im Mietrecht, sei es beim Kahlschlag des
sozialen Wohnungsbaus - geschwiegen und zugestimmt.
Das ist die Bilanz, die wir Ihnen heute vorhalten.
({4})
Herr Minister, dass Sie sich auch bei der Städtebauförderung West, die Sie eben so gelobt haben, und dem Programm Soziale Stadt gegenüber dem Ansatz von 2001
zunächst einmal widerspruchslos dem Finanzminister
gebeugt haben und bei der sozialen Wohnungsbauförderung die Demontagepolitik Ihrer beiden SPD-Vorgänger
Müntefering und Klimmt fortzusetzen bereit waren - Sie
müssen jetzt erst durch das Parlament korrigiert werden -,
hindert Sie offensichtlich nicht, sich schon wieder - das
ist ein PR-Gag - als großer King in dieser ganzen Wohnungs- und Städtebaupolitik zu fühlen.
Herr Minister, Sie haben trotz der notdürftigen Nachbesserungen im Haushaltsausschuss einen Haushalt vorgelegt, der in keiner Weise den Erfordernissen der Wohnungs- und Städtebaupolitik Rechnung getragen hat,
sodass Sie - übrigens vom ganzen Parlament - korrigiert
werden mussten.
({5})
Ich nenne nur ein Beispiel: Minister Bodewig hat im
letzten Jahr im Kabinett die Ausgrenzung der Wohnimmobilien aus der privaten Altersvorsorge abgenickt. Das
Gleiche geschah beim ersten Formelkompromiss. Das
war doch wohl so. Diesen hat er noch Mitte Januar auf einer Pressekonferenz kommentiert, indem er sagte, dass er
sehr zufrieden sei. Nach massivem Druck der Wohnungswirtschaftsverbände sowie der B-Länder im Bundesrat
hat erst der Vermittlungsausschuss mit dem Zwischenentnahmemodell wenigstens einen minimalen Einstieg in
diese Angelegenheit geschafft. Anfang November präsentierte sich der Minister in einem Pressegespräch als Promotor der Einbeziehung des selbst genutzten Wohneigentums in der Rentenreform.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe vereinzelte Zuschauer auf der Zuschauertribüne, sehr verehrter Herr Kameramann,
({6})
in Ihrem Zeugnis, Herr Minister, steht: PR gut - das gebe
ich zu -, Wohnungspolitik ungenügend.
({7})
Die Folgen der verfehlten Wohnungsbaupolitik der Regierung Schröder - von der Finanzierung der Wohngelderhöhung, übrigens auf dem Rücken der Häuslebauer, nach
einem von der Union im Bundesrat gestoppten Versuch,
dies zulasten der Länder und Gemeinden zu tun, daran darf
ich bei dieser Gelegenheit auch einmal erinnern, Frau Kollegin, über die investitionsfeindliche Steuerpolitik bis hin
zur Mietrechtsreform und der Demontage des sozialen
Wohnungsbaus - haben zwar bereits zu ersten Mangelerscheinungen geführt - ich freue mich, dass das jetzt sogar
anerkannt wird; bei der letzten Debatte wurde das noch
zurückgewiesen -, aber erst in den nächsten Jahren werden
die Folgen dieser ganzen verhängnisvollen Fehlentscheidungen in der Wohnungspolitik sichtbar werden.
Das einzige, was man heute bereits sieht, sind die
Arbeitslosen im Baugewerbe. Seit 1998 sind über
200 000 Arbeitsplätze auf dem Bau verloren gegangen.
({8})
Die wissen schon, woher das gekommen ist. Ich darf einmal daran erinnern, dass während der Regierungszeit von
Helmut Kohl bis zu 600 000 Fertigstellungen im Jahr erreicht wurden.
({9})
Herr Kollege Schmidt, wir hatten den niedrigsten Anstieg
des Mietenindexes. Er betrug 1,1 Prozent. Nach Ihrem
Ausstieg aus der Wohnungspolitik versuchen Sie jetzt
plötzlich, sich wenigstens über das Wahljahr 2002 hinwegzuretten und stark sinkende Fertigstellungen und wieder ansteigende Mieten zu verschleiern.
Meine Damen und Herren, wir werden Ihnen einige
unangenehme Fragen nicht ersparen. Zum Beispiel:
Meine verehrten Kollegen aus dem Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Herr Minister, warum
hat der Beschluss des Ausschusses - er wurde mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gefasst -, die soziale
Wohnraumförderung in Verdichtungsräumen durch den
Bund mit zusätzlich 170 Millionen Euro zu intensivieren
- das hat der Minister auf manchen Verbandstagen anschließend als großen Erfolg gefeiert -, nur eine Halbwertzeit von wenigen Tagen gehabt, bevor er von dieser
Regierung wieder kassiert wurde?
Wenn ich daran erinnere, dass Sie bei der letzten Bundestagswahl noch 2 Milliarden DM, also rund 1 Milliarde Euro, für den sozialen Wohnungsbau gefordert haben, kann ich nur dringend darum bitten, vielleicht tun Sie
ja sogar dem Minister einen Gefallen - ich sage bewusst
„vielleicht“ -, dass Sie morgen unserem Antrag in der
zweiten Lesung des Bundeshaushaltes zustimmen, damit
die Mittel für den sozialen Wohnungsbau wieder auf
400 Millionen Euro erhöht werden. Der Schwerpunkt
liegt dabei auf den Ballungsräumen.
({10})
Dort sind wieder erste Anzeichen von Wohnungsproblemen sichtbar geworden.
Mit welchen neuen Rahmenbedingungen, Herr
Minister, wollen Sie übrigens sicherstellen, dass der
vom Bundesamt für Bauwesen und Raumwesen brandneu prognostizierte Wohnungsneubaubedarf von rund
340 000 Wohnungen auch erfüllt wird, nachdem die Zahl
der Fertigstellungen und erst recht die Zahl der Baugenehmigungen bereits heute deutlich dieses mittelfristige Ziel
unterschreiten? Die DIW-Prognose - das letzte Mal konnte
man sie vor zwei Stunden auf dem parlamentarischen
Abend gegenüber hören - besagt: dieses Jahr keine 300 000
mehr, nächstes Jahr eher 250 000 Fertigstellungen im Neubau. Das ist ein eklatanter Absturz, den wir in diesem Umfang - so ist es dort eben auch formuliert worden - in der
Nachkriegszeit in Deutschland noch nie gehabt haben.
Was haben Sie eigentlich mit der Eigenheimzulage
vor, Herr Minister, die im rot-grünen Lager, angeblich unter raumordnungs- und umweltpolitischen Gesichtspunkten, zunehmend diffamiert wird? Die bisherigen Kürzungen durch Wegfall der Vorkostenpauschale, durch Wegfall
der steuermindernden Erhaltungsaufwendungen beim
Zweiterwerb und durch die Reduzierung der Einkommensgrenzen haben auch hier - und zwar erstmalig - zu
einem massiven Rückgang der Zahl der Baugenehmigungen und der Fertigstellungen geführt. Bei den Grünen
- Frau Eichstädt-Bohlig, wir sitzen ja jede zweite Woche
auf gemeinsamem Podium - wird sogar schon über die
Abschaffung der Eigenheimzulage geredet.
({11})
Die SPD versucht sich in dieser Angelegenheit über die
Wahl hinwegzuschweigen. Hier, Herr Minister, ist sogar PR
mangelhaft; die Wohnungspolitik ist sowieso ungenügend.
({12})
Welche Belastung für den Immobilienmarkt haben Sie,
Herr Minister, eigentlich bei den Neuregelungen der Erbschaft- und Grundsteuer vor? Hier setzt der Kanzler
ebenfalls auf Vernebeln und Wiedervorlage nach den
Wahlen. Das einzig Positive ist, dass Sie dazu nicht mehr
in der Lage sein werden. Hier gebe ich Ihnen die beste PRNote des heutigen Abends: Sonderpreis für hervorragendes Nebelwerfen.Aber: Wohnungspolitik ungenügend.
Warum, Herr Minister, reden Sie ständig von der stärkeren Gewichtung der Bestandsförderung, tun aber genau das Gegenteil: Wegfall des Vorkostenabzugs, Wegfall
der Verteilung des Erhaltungsaufwandes, Wegfall der Investitionszulage für die Modernisierung selbst genutzter
Wohnungen? Das alles geschieht bei gleichzeitiger unzureichender Finanzausstattung der sozialen Wohnraumförderung. Dadurch wird überhaupt keine ausreichende Bestandsförderung mehr ermöglicht, selbst wenn man sie
machen wollte. PR: ausreichend, Wohnungspolitik: wieder ungenügend.
Ein letztes Wort zu dem angekündigten Stadtumbauprogramm Ost. Ich fürchte, ihm droht dasselbe FlopSchicksal wie der vollmundig erklärten und eben schon
angesprochenen überfrachteten Altschuldenhärtefallregelung, wo in diesem Jahr noch keine zehn Fälle abgearbeitet wurden. Von dem 5-Milliarden-Programm bzw.
- wenn wir einmal ehrlich sind - 2-Milliarden-Programm
des Bundes ist schon geredet worden. Kassenmäßig haben
Sie für das ganze nächste Jahr 15,3 Millionen Euro für die
Umsetzung des Stadtumbaus Ost vorgesehen.
({13})
- Das ist einfach wahr. - Sie verkaufen den Stadtumbau
Ost aber ausgerechnet im Programm „Bauen jetzt - Investitionen beschleunigen“ auch als Bauinvestitionsprogramm. Das ist einfach eine Lachnummer.
({14})
Deswegen fordere ich Sie auf: Stimmen Sie unserem
weiteren Antrag der Erhöhung der Barmittel sowohl bei
der Städtebauförderung West als auch beim Stadtumbau
Ost morgen zu, damit Ihr Programm „Bauen jetzt“ überhaupt einen Sinn bekommt und die Mittel nicht erst in den
Jahren 2004 bis 2008 bereitstehen.
Kurzum: Herr Minister, auch in diesem Politikbereich
steht Ihren Ankündigungen ein spärliches Ergebnis gegenüber, das nicht nur viele Bürgerinnen und Bürger enttäuschen wird, sondern das auch den Erfordernissen der
Städte- und Wohnungsbaupolitik nicht gerecht wird. Deswegen werden wir dem Etatteil, der die Wohnungs- und
Städtebaupolitik betrifft, beim besten Willen nicht zustimmen können.
Vielen Dank.
({15})
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Wolfgang Spanier.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Dr. Kansy, auch wenn
Sie noch zwanzigmal Ihre Standardrede wiederholen, sie
wird in keinem Punkt richtiger.
({0})
Heute haben Sie aber noch einen draufgesetzt. Dass Sie
nun behauptet haben, in einer der Podiumsdiskussionen,
an denen auch ich teilgenommen habe, sei gefordert worden, die Eigenheimzulage ganz abzuschaffen, ist - mit
Verlaub, Frau Präsidentin - wirklich Quatsch.
({1})
Das ist nie gesagt worden, das wissen Sie auch. Eigentlich
haben Sie es gar nicht nötig, solche Dinge hier zu unterstellen, um als Opposition irgendwelche Pluspunkte zu
sammeln.
({2})
Ich möchte eine Anmerkung zu einem Hinweis von
Frau Ostrowski machen.
({3})
Ich sage dies mit allem Ernst und Nachdruck: Ich halte es
für einen miesen politischen Stil, zu unterstellen, wir würden, weil sich unsere Anträge auf die alten Länder beziehen, der Masse unserer Wähler folgen.
({4})
Welche Schlussfolgerungen soll ich denn dann daraus
ziehen, dass sich Ihre Anträge ausschließlich auf die
neuen Bundesländer beziehen? Ich finde, wir sollten uns
alle gemeinsam davor hüten, in solcher Weise Ost-WestAntistimmung zu schüren.
({5})
Das mag zwar hier und da populistische Vorteile bringen,
aber ich glaube, dass das für uns alle schlicht und einfach
nicht angemessen ist. Ich halte das - das sage ich mit aller
Deutlichkeit - für einen miesen politischen Stil.
({6})
Dass wir die Städtebau- und Wohnungspolitik der letzten Jahre völlig anders einschätzen als die Opposition, ist
selbstverständlich. Die wichtigsten innovativen neuen
Ansätze sind: das Stadtumbauprogramm Ost inklusive der
Härtefallregelung in § 6 a, die Städtebauförderung - endlich für die alten Länder wieder auf ein halbwegs angemessenes Niveau gebracht -, das Programm Soziale
Stadt, die Reform der sozialen Wohnraumförderung und
die zusätzlichen Anstrengungen bei der Modernisierung
des Wohnungsbestandes.
Ich habe in den dreieinhalb Jahren keine wirkliche inhaltliche Alternative aus den Reihen der Opposition
gehört.
({7})
Es gab einige wenige Ausnahmen, so etwa beim Mietrecht
seitens der FDP, die ihre alten Vorstellungen wieder aus
der Schublade gekramt hat.
Ihre Kritik beschränkt sich im Wesentlichen und auch
heute wieder darauf, dass Sie an der Höhe der Ansätze
herummäkeln. Das ist schlicht und einfach zu wenig.
Wenn Sie sich dann in persönliche Angriffe auf den
Minister versteigen - Herr Dr. Kansy, ich muss Ihnen das
einfach sagen, denn wir haben sonst fachlich einen guten
Umgang miteinander -,
({8})
ist das ein Zeichen von fachlicher, inhaltlicher Armut;
nichts anderes.
({9})
Lassen Sie mich zusammenfassen, welche Veränderungen wir am Haushalt vornehmen: Zunächst einmal
werden die Mittel für das Programm Soziale Stadt wieder
auf die Höhe von 2001, also auf 150 Millionen, gebracht.
Das ist auch gut so. Die Mittel für die Städtebauförderung
werden in einem ersten Schritt auf die Höhe von 2001 gebracht und noch zusätzlich um 100 Millionen - also zusammen um 200 Millionen - aufgestockt. Ich drücke mich
jetzt noch in D-Mark aus.
Die Mittel für Forschung und Weiterentwicklung des
Wohnungs- und Städtebaus - eine wichtige Maßnahme werden um 30 Millionen aufgestockt. Ich werde darauf
gleich noch etwas genauer eingehen. Die Mittel für die soziale Wohnraumförderung werden um 140 Millionen aufgestockt. Insgesamt - jetzt in Euro, denn wir alle müssen
uns langsam daran gewöhnen - ist das eine Anhebung da rechne ich die Rücknahme der ursprünglich vorgesehenen Kürzungen bei dem Programm Soziale Stadt und
der Städtebauförderung West nicht mit - gegenüber 2001
um sage und schreibe 135 Millionen Euro.
({10})
Ich denke, dass sich das angesichts unserer finanziellen
Rahmenbedingungen sehen lassen kann. Das sind zum einen die notwendige Haushaltskonsolidierung und zum
anderen natürlich die Mehrbelastungen durch unseren
Beitrag zum internationalen Kampf gegen den Terrorismus.
Ich glaube, hinsichtlich der Zielrichtung gibt es in den
Anträgen fast keine nennenswerten Unterschiede, lediglich in den Beträgen: Die PDS hat zusätzliche 442 Millionen beantragt, die CDU/CSU - etwas bescheidener - zusätzliche 862 Millionen. Morgen soll aber noch etwas
kommen. Die FDP ist, was Zahlen angeht - dabei denke
ich an die 18 Prozent -, etwas im Größenrausch. Sie hat
zusätzliche 1 600 Millionen nur für Städtebau- und Wohnungspolitik beantragt.
({11})
Dabei stellt sie noch immer gebetsmühlenartig die Forderung nach umfassenden Steuersenkungen. Das wird auf
immer Ihr Geheimnis bleiben. Herr Westerwelle mag sich
noch so sehr an unseren Kanzler anschmiegen: Wenn
Sie nicht ein ganzes Stück seriöser werden, dann sind
Sie nicht regierungsfähig. Das will ich Ihnen deutlich
sagen.
({12})
Zur Opposition. Wir machen eine gute Politik; das ist
klar. Aber Sie machen keine schlechte Opposition, indem
Sie uns stützen und stärken. Deswegen werden Sie diese
für uns dankenswerte Rolle auch in den kommenden vier
Jahren in diesem Haus weiterhin ausüben können. Da bin
ich sicher. Dafür noch einmal herzlichen Dank.
({13})
Innovation und Neuorientierung - das sind die Stichworte, unter denen unsere Städtebau- und Wohnungspolitik steht. Das Stadtumbauprogramm Ost ist heute schon
mehrfach angesprochen worden. Ich will es noch einmal
auch in Richtung PDS sagen: Für die Jahre 2002 bis
2009 - das müssen Sie dem Bürgermeister mitteilen;
wenn Sie mir den Namen nennen, will ich mit dem Mann
gerne telefonieren - werden vom Bund 2 Milliarden, von
den Ländern 2 Milliarden und 1 Milliarde von den Kommunen bereitgestellt. Das macht summa summarum
5 Milliarden. Das ist eine gewaltige Kraftanstrengung:
2 Milliarden für den Rückbau, 3 Milliarden für die Aufwertung.
({14})
Reden Sie diese Anstrengungen doch nicht herunter!
Die Gemeinden sind schon längst am Werk. Gestern Abend
habe ich in einer Gesprächsrunde erfahren, welche konkreten Projekte für den Ostteil dieser Stadt bereits vorbereitet
sind. Es geht im nächsten Jahr los. Warum reden Sie das
herunter? Warum unterstützen Sie die Umsetzung nicht? Es
kommt darauf an, dass endlich etwas passiert.
({15})
Ganz wichtig in diesem Zusammenhang: Wir werden
mit dem Umbauprogramm Ost auch Erfahrungen für die
alten Länder sammeln. Deswegen haben wir das verzahnt.
Das ist im Zusammenhang mit den 30 Millionen mehr für
Forschung und zur Weiterentwicklung des Wohnungsund Städtebaus zu sehen. Dabei geht es um die Unterstützung von Pilotprojekten zum Stadtumbau auch in den alten Ländern.
({16})
Das halten wir für richtig und zukunftsorientiert. Deswegen haben wir dieses Geld zusätzlich bereitgestellt.
({17})
Ich darf an das Programm Soziale Stadt erinnern. Ich
bin froh, dass wir auch im nächsten Jahr die Höhe von
2001 mit 150 Millionen halten können. Seit 1999 - das ist
kein langer Zeitraum - wurden 249 Maßnahmen in
184 Gemeinden durchgeführt. Das ist doch ein Erfolg.
Das geht quer durch die gesamte Republik.
({18})
- Erkundigen Sie sich einmal in Ihren Ländern. Fragen
Sie einmal bei Ihren Bürgermeistern nach, wie erfolgreich
das läuft. Ich weiß gar nicht, ob Sie überhaupt wissen, wovon ich gerade rede.
({19})
Die Weiterführung ist gesichert. Die Chance für Neuaufnahmen ist gewährleistet. Ich habe in den letzten Wochen und Monaten so manche Presseerklärung gelesen.
Das ist alles kalter Kaffee. Wir werden in bewährter Weise
so weitermachen wie bisher.
({20})
- Das gehört nicht zu meinem Repertoire.
Soziale Wohnraumförderung: Ich will dazu noch
einmal die Zahlen nennen. 2001 hat der Bund lediglich
- das gebe ich gerne zu - 450 Millionen bereitgestellt. Die
Länder haben 5 Milliarden hinzugefügt. Durch die Wohnungsprogrammen der Länder sind zusammengenommen
fast 100 000 Wohnungen gefördert worden. Das ist doch
etwas. Das kann sich doch sehen lassen.
({21})
Wenn es uns jetzt gelingt, die Mittel aufzustocken,
dann können wir darüber nur froh sein. Ich hoffe und wünsche, dass die Länder nicht von der Möglichkeit der Übergangsfrist Gebrauch machen. Einige werden wohl
tatsächlich erst 2003 einsteigen. Achten wir alle gemeinsam darauf, dass die Umsetzung des Gesetzes in den Ländern wirklich zügig erfolgt. Wir sind auf die Mitwirkung
der Länder angewiesen.
Bei der Gelegenheit möchte ich eine kleine Bemerkung
machen. Es sind immer die Einkommensgrenzen kritisiert
worden. Es wurde stets das Beispiel einer allein lebenden
Person, ledig, mit einem Einkommen von 28 000 DM genannt. Dann höre ich oft: Das sind die Bedürftigen. Jetzt
haben Sie Ihre Kritik an uns auf die Zielgruppe der Bedürftigen reduziert. Unterhalten Sie sich einmal mit Studenten, Volontären und Referendaren. Das alles sind
Menschen, die nach wie vor Anrecht auf einen Wohnberechtigungsschein haben. Diese sollte man aber nicht in
die Kategorie „Bedürftige“ einordnen.
({22})
So, wie es jetzt gestaltet ist, ist es ein deutlicher Fortschritt. Inhaltlich, verehrter Herr Dr. Kansy, stimmen wir
bei der sozialen Wohnraumförderung völlig überein.
Städtebauförderung West: Ich darf daran erinnern,
dass sie seit 1994 nur 80 Millionen DM betrug. Wir haben
diesen Betrag auf 180 Millionen DM aufgestockt und
stocken ihn jetzt noch einmal auf. Ich denke, die große
Nachfrage der Städte und Gemeinden in West und Ost ist
für uns der Beleg dafür, dass diese Aufstockung berechtigt ist. Wir tragen zur Stärkung der Attraktivität unserer
Städte bei.
({23})
Lassen Sie mich zum Schluss auf die Modernisierung
des Bestandes eingehen. Im Rahmen des 1996 aufgelegten CO2-Minderungsprogramms, das Sie mitzuverantworten haben, wurden 360 000 Wohneinheiten mit Investitionsmitteln in Höhe von 24 Milliarden gefördert. Im
Rahmen des 2001 aufgelegten CO2-Gebäudesanierungsprogramms, das ein Fördervolumen von 1,163 Milliarden DM hat, wurden 27 000 Wohnungen gefördert. Bis
Oktober gab es 10 000 neue Anträge. In 8 000 Fällen
konnte bereits eine Zusage erteilt werden.
Wenn Frau Ostrowski die Zahl der geförderten Wohnungen in das Verhältnis zur Gesamtzahl der Wohnungen
in Deutschland setzt, dann muss ich sagen, dass das - ich
will ja nicht frauenfeindlich sein - eine Milchbubenrechnung ist; denn man muss das in das Verhältnis zu den
Wohnungsbeständen der 50er- und 60er-Jahre setzen.
Schließlich kommen nur die für eine Modernisierung infrage. Wenn Sie zu den 50 000 Wohnungen, die im sozialen Wohnungsbau modernsiert worden sind, die Zahl der
im Rahmen des CO2-Minderungsprogramms, des CO2Gebäudesanierungsprogramms und des Wohnraummodernisierungsprogramms Ost geförderten Wohnungen
hinzuzählen, dann werden Sie feststellen, dass die jährliche Zahl der zum alten Wohnungsbestand gehörenden
Wohnungen, für deren Modernisierung wir gesorgt haben,
beachtenswert ist.
({24})
Apropos Zahlen: Die
Uhrzeit zeigt, dass Sie Ihre Redezeit schon überschritten
haben.
Frau Präsidentin, ich habe
schon auf den Hinweis, den Sie mir vor mehreren Sekunden gegeben haben, entsprechend reagiert.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Jetzt spricht der Kollege Hans-Michael Goldmann für die FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin
von dem, was Herr Bodewig gesagt hat, enttäuscht;
({0})
denn wir versuchen sonst immer, gewisse Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Ich habe aber festgestellt, dass
der vorliegende Haushalt mit einem Volumen von 26 Milliarden Euro gerade einmal eine Steigerung von 27 Millionen Euro aufweist. Das ist ein Promille. Deswegen kann
ich überhaupt nicht verstehen, wie Sie, Herr Bodewig, der
Meinung sein können, dass dieser nach Ihrer Aussage ungeheuer investive Haushalt auch nur andeutungsweise
- ich betone: andeutungsweise - Antworten auf das geben
soll, was uns bedrängt.
({1})
Ich bin bitter enttäuscht - ich habe gelesen, dass Sie aus
dem Gewerksachaftsbereich kommen -, dass Sie nicht ein
einziges Wort zu den dramatischen Problemen am Arbeitsmarkt - Herr Weis, hören Sie gut zu - und zu den dramatischen Problemen von Hunderttausenden von Menschen,
die sich um ihre Zukunft Sorgen machen, gesagt haben.
({2})
Frau Eichstädt-Bohlig, Sie sind auch nicht besonders
effektiv. Frau Ostrowski hat Ihnen das - das muss ich in
diesem Fall wirklich sagen - bewundernswert deutlich
gemacht. Sie sind plakativ, aber nicht effektiv und konstruktiv.
({3})
Wenn Sie erklären, alleine ein Wettbewerb helfe den Städten in den neuen Ländern, den Anschluss an den Markt,
den Wettbewerb und den Wohnungsbau zu gewinnen,
kann ich Sie nur fragen: Sind Sie niemals in Ostdeutschland gewesen?
({4})
Glauben Sie wirklich, dass die Probleme über den Wettbewerb gelöst werden können? Frau Eichstädt-Bohlig,
das, was Sie dazu gesagt haben, war trostlos.
Ich möchte Ihnen auch sagen, warum ich das, was sie
vorhin gesagt haben, als Sie Ihre Miniinvestitionen gelobt
haben, für so ungeheuer gefährlich halte. Sie haben doch
vorher die Investitionen aus dem Markt gepustet. Sie haben doch ein Gesetz nach dem anderen unter dem Neidaspekt auf den Weg gebracht. Bloß keine privaten Investitionen mehr in diesem Bereich!
({5})
Soll ich Ihnen einmal alles auflisten, wofür Sie verantwortlich sind? Ich tue es: der Fallenstellerparagraph; die
eingeschränkte Verlustverrechnung; die Spekulationsfrist
rückwirkend verändert; den Vorkostenabzug gestrichen;
die Riester-Rente, die kein Mensch versteht, auf den Weg
gebracht; das Mietrecht einseitig verändert; die Bauabzugsteuer. Sie haben einen fiskalischen und bürokratischen Moloch auf den Weg gebracht. Sie haben alles
unternommen, damit kein Mensch auch nur andeutungsweise bereit ist, in den Markt der Wohnungs- und der Bauwirtschaft zu investieren.
Nun haben wir das Ergebnis: Es gab noch nie so
schlechte Fertigstellungszahlen. Das gilt für alle Bereiche, egal ob es sich um den Bereich der Mehrfamilienhäuser oder um den gewerblichen Bereich handelt. Der
Markt ist in einem katastrophalen Zustand. Aber Sie, Herr
Bodewig, lächeln nur freundlich und erklären: Was bin
ich doch für ein toller Ker, ich habe meinen Haushalt um
ein Promille erhöht!
({6})
Ich will Ihnen noch etwas sagen - was ich den Gipfel
der Unverschämtheit finde - zu dem, was Ihr Ministerkollege Herr Eichel in seiner Haushaltsrede gesagt hat.
Ich habe das gar nicht geglaubt, als ich das hörte. Ich
dachte, du musst dich verhören. Aber ich habe ihn vor
zwei Tagen beim Verband der privaten Bausparkassen
noch einmal erlebt und da hat er es wieder gesagt, nämlich dass nicht die Bundesregierung an dem Desaster auf
dem Baumarkt Schuld hat, sondern dass die Bauwirtschaft das selbst verursacht habe. Sie ist im Grunde
schuld an den schlechten Wachstumszahlen. Sie ist schuld
daran, dass wir in die wirtschaftliche Rezession abgleiten,
weil die Bauwirtschaft nicht mehr in dem Maße zum
volkswirtschaftlichen Wohlergehen beiträgt, wie man das
von ihr zu erwarten hätte.
Nein, Herr Kollege Bodewig, wer den Haushalt nur so
minimal anhebt, wer die Weichen so am Markt vorbei
stellt, wer die privaten Investoren aus dem Markt herauspustet, der muss sich wirklich nicht darüber wundern,
dass er als Bauminister im Grunde genommen überhaupt
nicht wahrgenommen wird. Da helfen auch irgendwelche
blumigen Beiträge hier nichts.
({7})
Herr Spanier, ich mag Sie gerne leiden, aber es ist wirklich nicht in Ordnung, dass Sie hier behaupten, die FDP
habe nicht zu allen Punkten Änderungsanträge gestellt.
Wir haben ein Gesetz zum Altschuldenhilfe-Gesetz eingebracht. Das war besser als das, was Sie auf den Weg gebracht haben.
({8})
Wir wollten schon vor zwei Jahren 1 Milliarde DM für
den Stadtumbau Ost. Das haben Sie abgelehnt. Wir haben
ein eigenes Mietrechtsgesetz eingebracht. Wir haben eigene Vorstellungen zum sozialen Wohnungsbau eingebracht. Wir haben zu der Eigenheimzulage, die Sie - wie
war Ihre Formulierung? - nicht ganz streichen wollen,
aber doch wohl ziemlich streichen wollen, eigene Vorstellungen eingebracht, die viel besser und viel wirksamer
wären. Da erklären Sie hier, wir hätten nichts zum Gelingen einer vernünftigen Situation in der Bauwirtschaft beigetragen! Herr Kollege Spanier, das war nicht in Ordnung.
Eine letzte Bemerkung zu Ihrem Konzept der Sozialen
Stadt: Haben Sie noch nicht gemerkt, dass es viel zu eng
angelegt ist? Es ist viel zu eng angelegt, um den Herausforderungen in unseren Städten gerecht zu werden. Sie
müssen nicht die Soziale Stadt machen, sondern Sie müssen eine Bürgerstadt machen. Sie müssen alle gewinnen,
die bereit sind, in Eigentum zu investieren. Dafür müssen
Sie keine Milieupflege betreiben, sondern Sie müssen
eine ganzheitliche Pflege vorantreiben. Dazu werden wir
demnächst Anträge stellen.
Ich kann Ihnen jetzt nur empfehlen: Lesen Sie sich
noch einmal durch, was wir an Anträgen in die Beratungen einbringen. Das sind genau die richtigen Antworten,
auf die Herausforderungen eines vernünftigen Stadtumbaukonzepts. Dann seien Sie auch einmal so offen, wie
Sie es von uns hier einfordern. Dann stimmen Sie einmal
Anträgen der FDP zu, mit denen zum Beispiel das Altschuldenhilfe-Gesetz verbessert werden kann. Jawohl,
Herr Spanier, so ist es. Stimmen Sie der Städtbausanierung auch in den alten Ländern zu. Auch dort gibt es nämlich an der einen oder anderen Stelle schon Probleme.
Stimmen Sie unserer Komplementärfinanzierung für die
neuen Länder zu.
Sie wissen ganz genau: Ihre Luftblase mit 8 oder
20 Milliarden DM, die Sie für die neuen Länder aufblasen, ist den neuen Ländern völlig schnuppe. Da sie keine
müde Mark in ihrer Kasse haben, können sie sich an
Ihrem Programm überhaupt nicht beteiligen. Das ist Betrug an den Menschen in den neuen Ländern. Das ist Betrug an der Situation in den Städten in den neuen Ländern.
({9})
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich finde es für Sozialdemokraten beschämend, was Sie hier machen.
({10})
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Dr. Hermann Kues.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass ich
als letzter Redner einer fast 14-stündigen Debatte den
Sack zubinden darf. Ich bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, die noch da sind.
({0})
Man fragt sich natürlich bei Haushaltsdebatten ohnehin, welche Bedeutung die Argumentation der Opposition hat. Sie können das mit einer gewissen Gelassenheit
angehen. Sie haben auch heute Abend eine knappe Mehrheit hier.
Herr Minister Bodewig, ich sage Ihnen, ab wann die
Argumentation der Opposition bedeutend wird. Sie wird
dann bedeutend, wenn sie von maßgeblichen Stellen in
der Öffentlichkeit übernommen wird. An diesem Punkt
sind wir angelangt.
Ich zitiere einmal eine Zeitung von heute; ich könnte
jede beliebige herausgreifen. Um den dort angesprochenen Sachverhalt geht es im Kern auch beim Bau- und Verkehrshaushalt, weil dies der größte Investitionshaushalt
des Bundes ist.
Fast die Hälfte der investiven Mittel wird hier verausgabt;
das ist aber nichts Neues.
Beispielsweise schreibt die „Süddeutsche Zeitung“
von heute:
Die Regierung wird in den von ihr als zentral erachteten Feldern der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik ihre selbst gesteckten Ziele rundum verfehlen.
Kanzler Schröder hat die Latte mit 3,5 Millionen Arbeitslosen als Ziel vermeintlich niedrig aufgelegt,
um sicher darüber zu springen. Jetzt muss er sich verrenken und in Limbo-Manier vor aller Augen drunter durchtanzen.
({1})
Damit ist beschrieben, worum es geht.
Wenn der Verkehrshaushalt im Zentrum der Investitionen steht und die Investitionen heruntergefahren
({2})
und die Konsumausgaben angezogen werden, dann zeigt
dies eine strukturelle Schieflage. Das zeigt, was Sie selbst
mit Ihrem Verkehrs- und Bauhaushalt zu dieser Misere
beitragen.
({3})
Es ist zum Beispiel symptomatisch, dass ausgerechnet
in dieser Woche, da wir über den Verkehrshaushalt beraten, im Bundesgesetzblatt die endgültige Beerdigung des
Transrapid auf der Strecke Hamburg-Berlin veröffentlicht wird. Das ist ein Symbol. Ein zukunftsträchtiger Investitionsbereich wird aus ideologischen Gründen
blockiert; die Minister dieser Regierung fahren nach
China, um sich dort erklären zu lassen, wie Zukunftschancen kraftvoll genutzt werden können.
({4})
Innovationen und technisches Know-how entstehen
dadurch, dass mittelständische Firmen bei dessen Anwendung und Umsetzung tätig werden können. Nicht nur dieses Know-how, sondern auch Arbeitsplätze entstehen in
Verbindung mit dem Transrapid-Projekt in China. Gleichzeitig fordert der Bundeskanzler mehr Innovation in den
Vorstandsetagen der deutschen Wirtschaft. Dies passt
nicht zusammen, sondern strotzt vor Widersprüchen.
({5})
Wenn ich mir die prosaischen Namen Ihrer verkehrspolitischen Ersatzprogramme anschaue, so dominiert
zwar der Begriff „Zukunft“, in Wahrheit aber verdienen
sie das Attribut „nebulös und zukunftsverbauend“.
({6})
Ich weiß nicht, wie lange sich die Öffentlichkeit die ausschließlich auf Propaganda ausgerichtete Strategie des
Verkehrsministers gefallen lassen wird. Ich weiß nur, dass
mit einer Vielzahl von kaum nachvollziehbaren Programmen, die immer wieder mit großem Bohei angekündigt
werden, der dringend notwendige zügige Ausbau von
Straße und Schiene zur Erhaltung unserer Mobilität mit
Sicherheit nicht erreicht wird.
({7})
Das absolute Paradebeispiel war die Veröffentlichung des
Konzeptes „Bauen jetzt - Investitionen beschleunigen“
am 7. November 2001. Dort wurde zum Beispiel angekündigt, dass dreistellige Millionensummen bis zum
Ende des Jahres verbraten werden sollen, obwohl man
nicht einmal die dafür notwendige Planungskapazität hat.
In knapp vier Wochen wird Weihnachten sein. Dann wird
sich erweisen, Herr Minister, dass auch dies wieder lediglich eine leere Ankündigung war.
({8})
Sie hatten in Ihrem Koalitionsvertrag und Ihrer Regierungserklärung einen neuen Bundesverkehrswegeplan
noch für diese Legislaturperiode zugesagt. Wenn ich die
Presse von heute und die Veröffentlichungen Ihres Hauses
vergleiche, so ergeben sich allein heute zwei unterschiedliche Zahlen. Aus der Antwort auf die Große Anfrage der
CDU/CSU, die gestern veröffentlicht wurde, geht hervor,
dass Sie davon ausgehen, dass der Entwurf voraussichtlich im Jahr 2003 vorgelegt werden wird. Die Staatssekretärin im Verkehrsministerium war gestern im Emsland,
in meiner Heimatregion. Dort hat sie ausweislich der
Presse gesagt, der Bundesverkehrswegeplan werde 2004
vorgelegt werden.
({9})
Wenn Sie diese Zahlen miteinander vergleichen, dann
wird auch klar, was Sie wollen: Sie wollen den Menschen
keinen reinen Wein einschenken.
({10})
Sie wollen ihnen nicht sagen, dass sie auf ihre Ortsumgehungen verzichten müssen. Sie wollen ihnen nicht sagen,
dass sie auf Lärmschutzmaßnahmen und auf Lückenschlüsse verzichten müssen. Sie haben Vorgehen und
Zeitraster zu häufig geändert, als dass wir Ihnen das so
noch abnehmen könnten.
Wenn Sie sich den Haushalt im Einzelnen ansehen
- ich habe eben schon gesagt: Es ist derjenige Haushalt
des Bundes mit dem größten Volumen an Investitionsmitteln -, dann können Sie beim Einzelplan 12 feststellen,
dass die Steigerungsrate in erster Linie auf die Erhöhung
des Beitrages für das Bundeseisenbahnvermögen zurückzuführen ist. Mit 6,64 Milliarden Euro schluckt dieser
Titel ziemlich genau ein Viertel der Gesamtausgaben des
Einzelplans 12.
Über den Verkehrs- und Bauhaushalt brauchen wir
aber mehr als nur Impulse. Wir brauchen eine Infrastrukturoffensive, um der Bau- und Verkehrswirtschaft, einem
Standbein unserer Wirtschaft überhaupt, wieder mehr Leben einzuhauchen. Dazu gehört der beschleunigte Ausbau
der Schienenwege, der Autobahnen und der Bundesstraßen. An verschiedenen Gesetzen lässt sich festmaDr. Hermann Kues
chen, dass Sie mit einer falschen Politik dazu beitragen,
dass die Konjunktur zusätzlich abgewürgt wird. Dass
Deutschland beim Wirtschaftswachstum inzwischen
Schlusslicht ist, spricht Bände und ist ein Armutszeugnis
für diese Regierung.
({11})
- Das kann man nicht häufig genug wiederholen, Herr
Schmidt.
Die strukturelle Schieflage dieses Haushalts wird dadurch deutlich, dass unter Ihrer Ägide zugunsten der konsumtiven Ausgaben die Investitionen kontinuierlich sinken. Nach der Finanzplanung wird der Anteil der
Investitionen im Jahr 2005 nur noch 10,5 Prozent betragen. In diesem Jahr waren es noch 12 Prozent. Beim Einzelplan 12 geht es in die gleiche Richtung, nämlich nach
unten. Nach einem Investitionsanteil von 56 Prozent im
Jahr 2001 werden es im Jahr 2002 nur noch 51 Prozent
sein. In der Finanzplanung für 2005 stehen 4,3 Milliarden
Euro weniger als noch im Haushalt 1998, als Sie die
Amtsgeschäfte übernahmen. Diese Negativbilanz bieten
Sie uns trotz der UMTS-Milliarden und der zu erwartenden Mehreinnahmen durch streckenbezogene Maut.
({12})
Ich habe den Eindruck, dass Sie generell mehr Wert auf
Schein als auf Sein legen. Mediengerechte Namen für
zweifelhafte Projekte ersetzen keine handfeste Investitionspolitik.
({13})
Ich denke da zum Beispiel an den Begriff Zukunftsinvestitionsprogramm.
({14})
Wenn nicht für die Zukunft, wofür wird sonst eigentlich
investiert?
Ich komme noch einmal auf den Transrapid zurück.
({15})
Bei dem Titel „Zukunftssicherung der deutschen Magnetschwebebahntechnik“ gestalten Sie in diesem Haushalt
nicht deren Zukunft. Die Zukunft sitzt dieser innovativen
Technik ständig im Nacken. Frau Mertens hat im Emsland
stolz verkündet, die Transrapidversuchsanlage sei bis
Mitte 2002 - nicht länger - gesichert. Dieser Haushalt gilt
immerhin bis zum 31. Dezember 2002. Hier tut sich bereits eine Lücke auf.
In Nordrhein-Westfalen wird das anders dargestellt.
Der dortige Wirtschaftsminister Schwanhold, der ja lange
Zeit zu unseren Kollegen zählte, erweckt den Eindruck,
als sei der Metrorapid ökonomisch und ökologisch sinnvoll und bedeute einen Quantensprung. Man kann nur
nicht erkennen, dass auf Bundesebene oder auf Landesebene Haushaltsmittel eingestellt werden, um eine solche
Anwendungsstrecke in Deutschland überhaupt zu realisieren. Stattdessen werden dreistellige Millionensummen
nach China gegeben, ohne dass bei uns auch nur ein einziger Kilometer in Angriff genommen wird. Das ist der
falsche Ansatz.
({16})
Wir haben Mittel für die Lärmsanierung an Schienenwegen gefordert. Sie haben die Mittel zugunsten des Radwegebaus um 100 Millionen Euro gekürzt. Das ist eindeutig Klientelpolitik. Ich nehme an, dass die Radwege
dann mit grünem Belag versehen werden.
Ich fasse zusammen: Die Verkehrs- und Baupolitik ist
zu einer großen Schau verkommen. Propaganda statt konkreter Investitionen. Zukunftsprojekte werden aus ideologischen Gründen blockiert. Sie werden verstehen, dass
wir den Einzelplan 12 deswegen aus tiefer Überzeugung
ablehnen müssen.
({17})
Ich schließe die Aussprache und kündige ein kleines Abstimmungsmarathon
an.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 12,
Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, in der Ausschussfassung. Hierzu liegen Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/7587 auf. Wer stimmt für
diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU- und FDP-Fraktion bei Enthaltung der PDS
abgelehnt.
Jetzt kommen wir zum Änderungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/7591. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen von CDU/CSU- und
FDP-Fraktion bei Enthaltung der PDS abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/7662 auf. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der CDU/CSU und
der FDP bei einer Gegenstimme der PDS-Fraktion und bei
einer Enthaltung aus der PDS-Fraktion abgelehnt.
({0})
- Auch bei zwei Leuten kann man noch differenzieren.
Ich rufe jetzt den Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/7664 auf. Wer stimmt für
diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS-Fraktion abgelehnt.
Jetzt kommen wir zum Änderungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/7665. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser
Änderungsantrag ist gegen die Stimmen von CDU/CSU
und FDP abgelehnt.
Jetzt kommen wir zum Änderungsantrag der
CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 14/7667. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Dieser Änderungsantrag ist nur gegen die Stimmen der
CDU/CSU-Fraktion abgelehnt.
Zur Abwechslung kommen jetzt Änderungsanträge einer anderen Fraktion. Ich rufe den Änderungsantrag der
FDP-Fraktion auf Drucksache 14/7676 auf. Wer stimmt
für diesen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Dieser Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der FDPFraktion bei Enthaltung von CDU/CSU und PDS abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 14/7680? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist gegen die Stimmen
von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS-Fraktion
abgelehnt.
Jetzt rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 14/7682 auf. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei
Enthaltung der PDS-Fraktion abgelehnt.
Jetzt kommen noch die Änderungsanträge der PDSFraktion. Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache 14/7641 auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen
die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.
Jetzt kommen wir zum Änderungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/7666. Wer stimmt für diesen
Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Auch dieser Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der
PDS-Fraktion abgelehnt.
Jetzt rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/7668 auf. Wer stimmt für diesen
Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Auch dieser Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der
PDS-Fraktion abgelehnt.
Schließlich und endlich rufe ich den Änderungsantrag
der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/7675 auf. Wer
stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Auch dieser Änderungsantrag ist gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.
Nun kommen wir zur Abstimmung über den Einzelplan 12 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für den Einzelplan? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Einzelplan 12 ist gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP
und PDS angenommen.
Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, rufe ich Punkt
I. 30 auf:
Haushaltsgesetz 2002
- Drucksachen 14/7322, 14/7323 Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Michael von Schmude
Hans Georg Wagner
Dr. Elke Leonhard
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen
deshalb gleich zur Abstimmung, und zwar zunächst über
zwei Änderungsanträge.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 14/7683? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der
PDS-Fraktion abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf
Drucksache 14/7643? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen
der PDS-Fraktion abgelehnt.
Nun bitte ich diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung „Finanzplan des
Bundes 2001 bis 2005“, Drucksachen 14/6801, 14/7324
und 14/7538. Der Ausschuss empfiehlt Kenntnisnahme.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung von CDU/CSU,
PDS und FDP angenommen.
Ich möchte mich insbesondere bei den beiden Jubilarinnen des heutigen Tages, denen ich auf diese Weise recht
herzlich zum Geburtstag gratulieren möchte, dafür bedanken, dass sie ihren Geburtstagsabend mit uns bei dieser Diskussion verbracht haben.
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Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 30. November 2001, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.