Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, unter Leitung von Herrn Lopez, dem Vizepräsidenten des spanischen Abgeordnetenhauses, besuchen in diesen Tagen Parlamentarier der Cortes Berlin. Ich heiße Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen aus
Spanien, im Namen des Deutschen Bundestages herzlich
willkommen.
({0})
Nunmehr erteile ich dem Bundeskanzler Gerhard
Schröder das Wort.
Gerhard Schröder, Bundeskanzler ({1}):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte darum gebeten, endlich einmal nach Michel Glos reden zu
dürfen, und hatte gedacht: Da redet der Hauptredner der
Opposition am heutigen Tag und der wird uns alles entgegenhalten, was man sich nur einfallen lassen kann, um
den Haushalt schlecht zu machen.
({2})
Nun muss ich alle Fragen, die er hätte stellen sollen, mir
selbst stellen und beantworten; denn mehr als ein paar
muntere Bemerkungen, lieber Michel Glos, sind ja nicht
dabei herausgekommen.
({3})
Auf diese kann ich aber noch eben antworten.
({4})
„Leidtragende sind wir alle“, hat er gesagt. Wie wahr
heute Morgen!
({5})
Dann hat er gesagt - das war ja noch das Interessanteste -, man müsse den Trainer auswechseln.
({6})
Das mag ja sein, nur: Man kann nur auswechseln, was
man hat.
({7})
Das müsst ihr doch zugeben: Euer Problem ist, dass ihr
keinen habt.
({8})
Michael Glos
Ohne Trainer kann man auch im Fußball nichts bewegen
und erst recht im Staate nicht. Also ist mein guter Rat:
Macht euch auf den Weg, schafft Klarheit, und dann redet
ihr über Trainer-Auswechseln. Sonst glaubt das keiner.
({9})
Jetzt habe ich gehört, das Ganze solle - so Michel Glos
gestern - um den 3. März geschehen. Nicht gesagt hat er,
in welchem Jahr.
({10})
Darauf warten wir dann noch ein bisschen.
Ich glaube, bevor nicht eine ernsthafte Diskussion über
die wirklich anstehenden Fragen beginnt, haben Sie auch
nicht die Spur einer Chance, irgendetwas zu bewegen, geschweige denn bei den Wahlen im September auch nur
Spuren von Erfolg zu bekommen.
({11})
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat ein interessantes
Gutachten vorgelegt, ein in Teilen kritisches - das wird
man nicht bestreiten können -, aber eines, das die Grundzüge der Finanz- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung unterstützt. Es steht unter dem Motto „Für Stetigkeit - gegen Aktionismus“.
({12})
Exakt das ist die Politik, die der Bundesfinanzminister mit
Unterstützung des gesamten Kabinetts in den letzten drei
Jahren gemacht hat, und exakt das ist die Politik, die für
Deutschland notwendig ist und die deshalb auch weitergeführt werden wird.
({13})
Worin bestehen die Grundzüge dieser Politik?
Zunächst einmal - das ist gestern vom Bundesfinanzminister noch einmal deutlich gemacht worden - mussten
wir den Bundeshaushalt konsolidieren. 1,5 Billionen DM
Schulden haben wir von Ihnen übernommen, 82 Milliarden DM Zinsen zahlen wir jedes Jahr dafür - ohne Tilgung, das sage ich für die Häuslebauer, die in Bayern und
in Franken im Besonderen -: Das war die Eröffnungsbilanz. Das konnte doch nicht so weitergehen.
Wir haben gesagt: Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der
nicht nur in der Ökologie einen hohen Stellenwert verdient. Vielmehr muss Nachhaltigkeit, also die Sorge auch
um künftige Generationen, auch die Finanzpolitik beeinflussen. Wir konsolidieren doch nicht die Haushalte und
wir sparen doch nicht um des Sparens willen, sondern wir
sparen und wir konsolidieren den öffentlichen Haushalt,
weil wir doch nicht das verfrühstücken dürfen, wovon
unsere Kinder und Enkelkinder auch noch etwas haben
wollen.
({14})
Die Politik, die Sie gemacht hatten, durfte nicht so weitergeführt werden, aus Gründen der Nachhaltigkeit, aber
auch aus internationalen Gründen nicht. Ohne den Konsolidierungserfolg von Hans Eichel in einer Größenordnung von 30 Milliarden hätten wir bereits in diesem Jahr
gegen den von Ihnen doch selber in Europa propagierten
und durchgesetzten Stabilitätspakt - das war ja in Ordnung - verstoßen. Wir hätten nämlich ohne diesen Konsolidierungserfolg die Maastricht-Kriterien verfehlt. Das
kann doch wohl nicht ernsthaft Ihre Auffassung sein.
Ich habe in Vorschlägen aus der Union, auch von der
Parteivorsitzenden der Union, gelesen, dass man wegen
der Schwäche der Binnenkonjunktur zeitweise in die Verschuldung gehen müsse, dass man weiter Schulden machen müsse.
({15})
Das wäre doch die Weiterführung einer Politik, die erstens
feindlich gegenüber den Nachkommen und zweitens europaunverträglich ist. Es kann doch nicht Ihr Ernst sein,
das vorzuschlagen.
({16})
In der letzten Zeit hat man ja auch wenig davon gehört.
Also ist der Vorschlag, mehr Schulden zu machen, der
mitten aus der Union kam, angesichts der Widerstände in
der Wissenschaft, in der Öffentlichkeit und in der Wirtschaft zu den Akten gelegt worden - ich würde sagen:
wieder einmal. Anstelle dessen habe ich nichts gehört.
({17})
Ich entnehme dem, dass auch Sie inzwischen der Meinung
sind, dass die Politik der Konsolidierung von Hans Eichel
richtig ist und weitergeführt werden muss. Aber wenn Sie
dieser Meinung sind, dann sagen Sie das doch auch,
meine Damen und Herren.
({18})
Wir haben die Nettoneuverschuldung - sie erhöht den
von Ihnen angerichteten Schuldenberg - kontinuierlich
zurückgeführt. 1997 lag die Nettoneuverschuldung
- noch unter Ihrer Regierung - bei 63,7 Milliarden DM,
1999 bei 51,1 Milliarden DM, 2001 liegt sie bei 43,7 Milliarden DM und 2002 wird sie bei 41,3 Milliarden DM liegen. Wir werden den Abbau der Verschuldung, ungeachtet der gesamtwirtschaftlichen Schwierigkeiten, in denen
wir uns gegenwärtig ohne Frage befinden, kontinuierlich
vorantreiben. Das sollten Sie nicht kritisieren, sondern
unterstützen. Sie sollten aufhören, den Unsinn zu verbreiten, mit einer höheren Verschuldung sei Staat zu machen.
({19})
Die Konsequenz der Finanzpolitik von Hans Eichel ist,
dass die Europäische Zentralbank nur auf diese Weise
eine Zinspolitik gestalten kann, die investitions- und damit wachstumsfreundlich ist. Mit der von Ihnen vorgeschlagenen höheren Verschuldung wären Sie in eine
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Zinsfalle gelaufen. Ich erwarte, dass Sie heute einmal
etwas dazu sagen, meine Damen und Herren von der
Opposition.
({20})
Hier ist ein Vortrag über den Wert des Euro im Vergleich zu dem des Dollar gehalten worden. Das ist interessant. Mit der von Ihnen empfohlenen Politik
({21})
- mehr Schulden, was einen geringeren Zinsspielraum für
die Europäische Zentralbank bedeutet hätte - hätten Sie
den Euro wirklich in den Keller getrieben. Das ist die
Wahrheit. Das muss man sagen, wenn man sich über den
Außenwert des Euro unterhält.
({22})
Zu der Konsolidierungspolitik, die Hans Eichel betrieben hat und die er mit Unterstützung des gesamten Kabinetts sowie der gesamten Koalition fortführen wird, gibt
es keine vernünftige Alternative. Das ist der Kern des
Sachverständigengutachtens. Offenbar sind Sie dazu
übergegangen, immer nur diejenige Zeile ansatzweise zu
lesen, die Ihnen gerade in Ihren Kram passt. Das Gutachten selbst besagt jedoch eindeutig: Nur die Weiterführung
des Konsolidierungskurses schafft die Möglichkeiten,
Deutschland nach Überwindung der weltwirtschaftlichen
Schwierigkeiten auf einen soliden Wachstumspfad
zurückzuführen. Aus diesem Grund wird an diesem Kurs
nicht gedeutelt.
({23})
Wir müssen uns ferner mit der Steuerreform auseinander setzen. Es ist immer wieder gefragt worden: Was
habt ihr denn in den drei Jahren gemacht, um wachstumsfreundliche Politik zu unterstützen?
({24})
- Darauf werde ich gleich zu sprechen kommen. Warten
Sie noch einen Moment. - Wenn wir dieser Frage nachgehen, sollten wir über alle Stufen der Steuerreform, und
zwar die der Jahre 1999 - das erste Steuerentlastungsgesetz sollte man nicht vergessen; ich komme gleich darauf
zurück -, 2001, 2003 und 2005, reden.
Worum ging es? Bei der Anlage der Steuerreform ging
es darum, eine sinnvolle Balance zwischen einer vernünftigen, nachfrageorientierten Steuerpolitik auf der einen
Seite und einer ebenso vernünftigen, angebotsorientierten
Steuerpolitik auf der anderen Seite zu finden und im Gesetz festzuschreiben, damit sie Wirklichkeit wird. All diejenigen, die entweder das eine oder das andere fordern,
befinden sich meiner Meinung nach auf dem Holzweg. Es
geht darum, bei der Angebotspolitik eine Situation zu
schaffen, die die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen, speziell der mittelständischen Unternehmen,
stärkt - auch darauf werde ich gleich noch zu sprechen
kommen -, und auf der Nachfrageseite die Binnenkonjunktur durch Förderung der Nachfrage mithilfe einer
besseren Steuerpolitik zu stabilisieren. Diese beiden
Punkte müssen realisiert werden, wenn man eine Balance
zwischen Angebots- und Nachfrageorientierung herstellen möchte.
Wir müssen schauen, ob das von einem Staat, der auch
dafür sorgen muss, dass er die von den Bürgerinnen und
Bürgern eingeforderten Leistungen erfüllen kann, erreicht
worden ist.
Also schauen wir uns doch einmal die einzelnen Stufen
der Steuerreform unter diesem Aspekt an. Was ist gewesen?
Ich beginne mit der Nachfrageseite. Mit dem ersten
Steuerentlastungsgesetz sind 17,5 Milliarden DM an die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zurückgegeben
worden. In der Stufe 2001, die Anfang dieses Jahres in
Kraft getreten ist, sind es 25 Milliarden DM gewesen,
übrigens einschließlich einer Kindergelderhöhung in einer Größenordnung von 80 DM, nämlich von 220 auf
300 DM - eine gewaltige familienpolitische Leistung.
({25})
Wir haben - sehr konkret gesagt - den Eingangssteuersatz
gesenkt. Wir haben vor allen Dingen diejenigen entlastet,
die über geringere Einkommen verfügen. Wir haben in
dem Maße, in dem das geboten und objektiv möglich ist,
auch beim Spitzensteuersatz etwas gemacht. Das zur
Nachfrageseite.
Was haben wir auf der Angebotsseite gemacht? Wir
haben im ersten Steuerentlastungsgesetz 1999 - das ist
schon wieder vergessen - 4,5 Milliarden DM allein für
den Mittelstand mobilisiert. Damals sind - das hat eine
gewaltiges Geschrei gegeben; auch das ist vergessen worden - die großen Unternehmen, vor allen Dingen die Versicherungen und Energieversorger, mit 12 Milliarden DM
belastet worden, um die Entlastungen auf der Nachfrageseite zu finanzieren.
({26})
Das ist alles längst vergessen. Aber es gehört in eine seriöse Debatte. Wenn Sie dazu etwas sagen wollen, können
Sie das gerne tun.
({27})
Wir haben mit der Stufe 2001 insbesondere den Mittelstand noch einmal mit 20 Milliarden DM entlastet.
({28})
- Wenn Sie es nicht merken, dann vielleicht auch deswegen, weil Sie gar keine Steuern mehr zahlen, weil Sie ein
Steuerkünstler sind. Das kann ja sein. Das will ich gar
nicht bestreiten.
({29})
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Aber diejenigen, die ihre Steuern gezahlt haben, haben
das sehr wohl gemerkt. Wenn Sie eine seriöse Debatte mit
den Unternehmen, auch mit den seriösen Leuten in den
Unternehmensverbänden, führen, dann wird Ihnen das
auch bestätigt.
({30})
Jetzt zu Ihren Einwänden, die ich immer höre. Da wird
gesagt: Ihr habt aber bei der Stufe 2001 das Hauptaugenmerk auf die Großen gelegt und habt den Mittelstand im
Regen stehen lassen. - Das ist ständig Ihre Klage. Diese
Klage wird so beredt vorgebracht, dass es Sinn macht,
sich einmal mit ihr auseinander zu setzen. Was ist denn
Kern der Steuerpolitik auf der Angebotsseite, also der Unternehmensteuerreform, die wir gemacht haben? Wir haben gesagt: Wir wollen wegen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit die Körperschaften auf einen
Steuersatz von 25 Prozent bringen, über die staatlichen
Ebenen hinweg. Das haben wir gemacht. Hinzurechnen
müssen Sie einen durchschnittlichen Gewerbeertragsteuersatz von 12 bis 13 Prozent. Wenn Sie das addieren, kommen Sie auf eine Steuerbelastung der Körperschaften,
also der großen Unternehmen, der Aktiengesellschaften,
von zwischen 35 und 38 Prozent. Da beißt die Maus keinen Faden ab; das ist so.
Das Interessante ist nun, dass diese Körperschaftsbesteuerung das ist, was die Fachleute eine Definitivbesteuerung nennen. Das heißt, die Steuern für diese Unternehmen, jene 35 bis 38 Prozent, werden von der ersten
Mark an fällig, und zwar ohne Begrenzungen. Das ist eine
Definitivbesteuerung; das muss beim Finanzamt abgeliefert werden.
Nun gucken wir uns den Mittelstand an, für den Sie
sich angeblich so stark machen. Das sind Personengesellschaften; das wissen Sie und wir wissen es auch. Die Personengesellschaften werden nach Einkommensteuerrecht
besteuert. Für sie gilt gegenwärtig ein Spitzensteuersatz
von 48 Prozent, wie wir alle wissen. Aber Sie berücksichtigen nie, dass mit der Unternehmensteuerreform, die wir
gemacht haben - das muss man endlich einmal auch der
Öffentlichkeit deutlich sagen -, ein uralter Traum des Mittelstandes realisiert worden ist - was Sie nie geschafft haben -, nämlich dass die Gewerbeertragsteuer - nachdem
wir die Gewerbekapitalsteuer miteinander abgeschafft haben; dafür hatten Sie unsere Zustimmung im Bundesrat
nötig und haben sie auch bekommen - bis zu einem Satz
von 360 Punkten voll auf die Einkommensteuer angerechnet werden kann. Wenn Sie also vernünftig rechnen,
dann müssen Sie von jenen 48 Prozent diese durchschnittliche Gewerbeertragsteuer abziehen. Dann kommen Sie auf ganz andere Steuersätze.
Dann übersehen die Steuerkünstler der Opposition
ständig noch einen Punkt: Bei der Einkommensbesteuerung handelt es sich nicht um Definitivbesteuerung, sondern um Grenzbesteuerung. Das bedeutet, dass der
Höchstsatz eben nicht von der ersten Mark an fällig ist.
Meine Damen und Herren, wenn Sie dies endlich einmal
zur Kenntnis nehmen würden, wenn sich dieses endlich
einmal in der Öffentlichkeit herumsprechen würde und
wenn dies nicht dauernd von einigen von bestimmten Interessen geleiteten Verbänden ins Gegenteil verkehrt
würde, dann hätten Sie keinen Grund mehr, diese Klage
zu führen.
({31})
Von der Opposition, wiederum auch von der Parteivorsitzenden der CDU, hat man in den letzten Wochen den
Hinweis vernommen, man müsse, um die Konjunktur anzukurbeln, die Steuerreform 2005 vorziehen. Damit
hatte man sozusagen das Ei des Kolumbus auf finanzpolitischem Gebiet entdeckt, von wem auch immer es gelegt
worden ist. Dies wird sich aber nur sehr schwer bewerkstelligen lassen. Welche Motive im Übrigen den einen
oder anderen, die in dieser Frage aktiv wurden, auch immer bewogen haben, will ich gar nicht näher untersuchen.
Sie sind ja leise von dieser Forderung weggerobbt.
({32})
Das gilt auch für den bayerischen Löwen; das kann man
in diesem Fall jedenfalls so sagen.
({33})
Ursprünglich war ja das Zwillingspaar, sozusagen das
Traumpaar der deutschen Politik, Stoiber und Merkel, der
Meinung, dass sie gemeinsam das Vorziehen der für 2005
vorgesehenen Steuerreform fordern müssten. Inzwischen
ist keine Rede mehr davon. Warum ist davon keine Rede
mehr? Weil das unbezahlbar ist, wie übrigens viele der
Forderungen, die Sie in Ihrem Antrag für den nächste Woche stattfindenden Parteitag hineingeschrieben haben. Ein
Vorziehen ist deshalb unbezahlbar, weil das etwa 50 Milliarden kosten würde und diese 50 Milliarden weder Kommunen noch Länder noch Bund aufbringen können, es sei
denn, Sie wollen das Land weiter verschulden. Das geht
aber nicht und das werden wir in der Tat nicht zulassen.
({34})
In Ihren finanzpolitischen Vorstellungen ist aber auch
nicht die Spur von Seriosität zu erkennen.
({35})
Weil der Finanzminister Bayerns das seinem Kabinettschef natürlich gesagt hat
({36})
und der das jetzt auch weiß, hat er sich seitwärts in die Büsche geschlagen. Ich bin einmal gespannt, was Sie, Frau
Merkel, zu dieser Forderung heute sagen werden und ob
Sie sich noch hier hinstellen und sagen: Ich, Frau Merkel,
möchte, dass die Steuerreform 2005 vorgezogen wird. Wenn Sie bei dieser Aussage bleiben, möchte ich von Ihnen hören, wie Sie das bezahlen wollen. Wollen Sie mehr
Schulden machen und, wenn ja, in welcher Größenordnung? Wenn Sie darauf die Antwort verweigern, nehmen
sie nicht an einer seriösen Debatte teil.
({37})
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Unsere Steuer- und Finanzpolitik hat, was den Standort Deutschland angeht, positive Folgen gehabt.
({38})
Ich will Ihnen jetzt einmal sagen, wie sich zum Beispiel
die ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland
entwickelt haben, eine Zahl, die Sie uns ja immer vorgehalten haben.
({39})
Da sind Sie doch übers Land gezogen und haben behauptet, der entsprechende Saldo sei negativ.
({40})
- Ja, Schlusslicht in Europa haben Sie gesagt. - Soll ich
Ihnen einmal sagen, wie die Entwicklung der ausländischen Direktinvestitionen in den vergangenen beiden Jahren aussieht? In der Summe haben sie sich bis auf einen
Wert von 400 Milliarden DM in Deutschland vervierfacht. Das nur zu diesem Argument. Sie sollten aufhören,
damit übers Land zu ziehen.
({41})
Wenn Sie übers Land gezogen sind, haben Sie auch immer gesagt, dass die Finanzpolitik, die Hans Eichel macht,
Existenzgründungen verhindere. Das ist interessant.
Setzen wir uns damit einmal näher auseinander. Seit 1999
ist die Zahl der Existenzgründungen in Deutschland um
1,2 Millionen gestiegen.
({42})
Sie sollten dazu einmal etwas sagen. Die entsprechenden
Zahlen stammen alle aus Europa, auf das Sie sich sonst so
gerne beziehen. Aber dabei nehmen Sie nur die Zahlen,
die in Ihre Oppositionsstrategie à la Sonthofen passen, andere überhaupt nicht.
({43})
Im Hinblick auf diese Existenzgründungen ist es so
- das ist sehr interessant für die kommenden Debatten;
dazu möchte ich gerne etwas hören -, dass Deutschland
inzwischen auf einem der wesentlichen Wachstumsmärkte, nämlich auf dem der Biotechnologie, auf Platz
eins, also vor Großbritannien, liegt. Das muss doch damit
zu tun haben, dass wir in den letzten drei Jahren den bestehenden Reformstau aufgelöst haben. Das ist auch so;
ich komme darauf noch zurück.
({44})
Sie haben gesagt, das merke keiner. Ich kann doch nicht
dafür, dass Sie es nicht merken, weil Sie ständig mit einem Brett vor dem Kopf herumlaufen. Dann kann es wirklich keiner merken.
({45})
Wir können uns gerne über einen anderen Wachstumssektor unterhalten, zum Beispiel über den der Informations- und Kommunikationstechnologie. Als wir ins Amt
kamen, war Deutschland in Bezug auf den Anschluss der
Schulen an das Internet in der Tat Schlusslicht in Europa.
Binnen drei Jahren ist jede Schule, die wollte - es waren
etwa 35 000 -, im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und der einschlägigen Industrie kostenlos an das Internet angeschlossen worden. Das
sind Zukunftsinvestitionen. Das sind Arbeitsplätze von
morgen, weil dadurch Menschen qualifiziert ausgebildet
werden.
({46})
Nun möchte ich mich für einen Moment mit der wunderbaren Diskussion über die Wachstumsfrage, die Sie
meinen wahlkampfträchtig ausnutzen zu können, auseinander setzen. Ich finde, man sollte einmal Butter bei die
Fische tun, sodass sich ein Bild ergibt, das, Herr Glos,
annähernd der Wirklichkeit entspricht.
({47})
Denn Ihres war ein verzeichnetes Bild. Ich sage Ihnen
jetzt einmal etwas zu den Wachstumsraten in Deutschland
in den Jahren 1995 bis 2000:
({48})
1995 1,7, dann 0,8, dann 1,4 und 1998 4,4.
({49})
Sie sollten die Wachstumsraten in Deutschland einmal
mit denen in den USA vergleichen. Sie werden feststellen,
dass Deutschland in Europa in der Zeit von 1995 bis 2000
entweder auf dem zweiten oder auf dem letzten Platz lag.
Ich komme gleich dazu, zu erklären, warum das so ist. Im
gleichen Zeitraum, also zu Ihrer Regierungszeit, gab es in
den Vereinigten Staaten von Amerika einen wahrhaften
Boom. Die Wachstumszahlen lagen Jahr um Jahr zwischen 4 und 5 Prozent. Wenn man sich nun klar macht, wie
eng die deutsche Wirtschaft mit der amerikanischen verflochten ist, dann weiß man auch, dass Sie zu Zeiten einer
boomenden amerikanischen Wirtschaft, also zu Ihrer Regierungszeit, Schlusslicht in Bezug auf das Wachstum in
Europa waren. Wir befinden uns seit 2000, in einer Zeit,
in der sich die amerikanische Wirtschaft - das ist offiziell
festgestellt worden - in einer Rezession befindet, in der
gleichen Situation. Das ist der Unterschied.
({50})
- Sie sollten sich diese Zahlen einmal anschauen.
({51})
Sie sollten auch beachten, was dazu der Sachverständigenrat sagt. Er sagt nämlich, dass inzwischen eindeutig
ist, dass wegen der Verflechtung der amerikanischen mit
Bundeskanzler Gerhard Schröder
der deutschen Wirtschaft die Wirtschaftsschwäche heute
nicht mehr nur durch zurückgehende Quoten beim Export
in die Vereinigten Staaten bedingt ist.
({52})
Unser Problem liegt vielmehr auch darin, dass der Umsatz
deutscher Unternehmen und deren Töchter in den Vereinigten Staaten inzwischen sechsmal so hoch ist wie der
Export aus Deutschland in die Vereinigten Staaten. Das
heißt, die Wirtschaft in Deutschland und in den Vereinigten Staaten ist sehr viel mehr miteinander verflochten, als
das jemals der Fall war. Hierin liegt der Grund dafür,
warum sich die Wachstumsschwäche in den Vereinigten
Staaten und auf den Weltmärkten insgesamt sehr viel
deutlicher auf Deutschland niederschlägt, als das bei jedem anderen europäischen Land der Fall ist. Wenn Sie mir
nicht glauben, dann sollten Sie diejenigen im Sachverständigenrat fragen, die zu diesen Feststellungen gekommen sind.
({53})
- Sie können das ja alles richtig stellen. Herr Gerhardt, Sie
können gleich darauf antworten, wenn Sie das dürfen.
({54})
Fest steht erstens, dass es zwischen der Situation in den
Vereinigten Staaten und der in Deutschland eine sehr viel
engere Beziehung als jemals zuvor gibt. Wer das bestreitet, ist entweder böswillig oder hat keine Ahnung. Sie
können sich die Antwort aussuchen.
({55})
- Man muss dies schon einmal deutlich sagen.
({56})
Fest steht zweitens, dass unter Ihrer Regierung niedrige Wachstumsraten während eines Booms in Amerika
zu verzeichnen waren. Das ist bei uns nicht der Fall. Ich
bitte Sie, sich mit diesen beiden Argumenten ernsthaft
auseinander zu setzen.
({57})
Ich komme nun zur Erklärung der Wachstumsschwäche unter Ihrer Regierung im Vergleich zum europäischen Maßstab. Diese Wachstumsschwäche kann man
genauso gut erklären, wie man die heutige erklären kann.
Zunächst einmal muss man sagen, dass es ein großer Unsinn ist, Volkswirtschaften wie die von Irland und Portugal mit der deutschen zu vergleichen. Es ist geradezu erwünscht - die Kohäsions- und Strukturfonds sind extra
dafür geschaffen worden -, dass die wirtschaftlich
schwächeren europäischen Länder über höhere Wachstumsraten an den europäischen Durchschnitt herangeführt
werden. Das ist ausdrücklich erwünscht.
({58})
Dies nicht zu beachten ist der erste Fehler, der gemacht
wird.
Wenn man Deutschland mit den großen europäischen
Ländern vergleicht, die zwar nicht identische, aber doch
ähnliche Volkswirtschaften haben, dann kommt man zu
dem Ergebnis, dass sowohl für die 90er- wie übrigens für
die 80er-Jahre und auch für die jetzige Situation der von
Ihnen vorgetragene Befund richtig ist. Was Sie aber nicht
mitliefern, ist eine Begründung für diesen Befund. Eine
Begründung habe ich bereits genannt.
({59})
Ich will aber noch eine zweite Begründung hinzufügen. Anfang der 90er-Jahre, insbesondere in den Jahren
1990/91, sind aufgrund des Baubooms in der ersten Phase
der Wiedervereinigung Kapazitäten in der Bauwirtschaft im Westen, aber vor allem im Osten entstanden
- gestern hat Hans Eichel etwas dazu gesagt -, die Mitte
der 90er-Jahre, beginnend mit den Jahren 1994/95, massiv abgebaut werden mussten und jetzt immer noch abgebaut werden. Genau dieser Abbau der Baukapazitäten hat
den Deutschen einen Wachstumsverlust von rund 0,6 Prozent jährlich eingebracht. Wenn Sie diese Zahl in unsere
Wachstumsraten einrechnen, dann kann man feststellen,
dass wir uns im Durchschnitt des Wachstums der großen
europäischen Länder befinden.
Ich erwarte von der Opposition gar nicht, dass sie dieses Argument in der öffentlichen Debatte anführt. Aber
ich denke, in einer seriösen finanz- und wirtschaftspolitischen Diskussion im Deutschen Bundestag gehört dies
dazu. Die Begründungen, die damals, zu Ihrer Zeit, gegolten haben, gelten jetzt auch noch.
({60})
Ich komme zum Arbeitsmarkt.
({61})
- Ja, natürlich. - Wer bestreitet denn, dass die Lage am Arbeitsmarkt unbefriedigend ist? Ich werde das nicht tun.
Warum? Die Arbeitslosigkeit ist in der Tat zu hoch. Ich
bestreite auch nicht, dass wir nach allen Prognosen im
letzten Jahr die begründete Erwartung haben konnten,
dass wir bis zum Ende der Legislaturperiode die Arbeitslosigkeit auf unter 3,5 Millionen würden drücken können.
({62})
- Entschuldigung, ich habe doch noch im Ohr, was damals
gesagt worden ist. Soll ich Ihnen Ihre eigenen Debattenbeiträgevorlesen?Siehabenmirdochvorgeworfen,dassdas
Ziel von 3,5 MillionenArbeitslosen zu wenig ehrgeizig sei.
({63})
Bundeskanzler Gerhard Schröder
- Sehen Sie! - Vor einem Jahr haben alle Institute und alle
Wissenschaftler gesagt: Ihr werdet in 2001 und in 2002
Wachstumsraten von um die 3 Prozent, wenn nicht sogar
darüber, haben.
({64})
Sowohl Herr Jagoda als auch andere haben gesagt: Auf
dieser Basis lässt sich die Zahl von 3,5 Millionen im Jahresdurchschnitt unterbieten. Alle waren dieser Auffassung. Sie haben gesagt, dass es Ihnen zu wenig war. Ich
war vorsichtig.
({65})
- Es ist doch gar keine Frage, dass man daran gemessen
wird. - Die Ursachen für diese Entwicklung haben wir gerade diskutiert.
({66})
Dass bei veränderten Wachstumsraten auch die Arbeitsmarktziele nicht zu erreichen sind, hat sich in Deutschland
nun wirklich herumgesprochen. Das werden auch Sie
nicht außer Kraft setzen können.
({67})
Fazit: Wir werden für die Erreichung des Ziels ein bisschen länger brauchen,
({68})
und zwar wegen der Wachstumsschwäche, die wir gehabt
haben. Wir werden diese Zeit auch bekommen; da seien
Sie ganz sicher.
({69})
Gerade vor diesem Hintergrund bitte ich, sich zu erinnern, wie die Situation bei der Jugendarbeitslosigkeit
aussieht. Seit zwei Jahren haben wir einen Tatbestand, den
Sie vorher nie erreicht haben: dass das Angebot und die
Nachfrage bei den Ausbildungsplätzen gesamtwirtschaftlich betrachtet im Gleichgewicht sind;
({70})
mancherorts ist die Nachfrage sogar geringer als das Angebot. Klar, wir haben regionale Probleme, besonders im
Osten. Deswegen sollten Sie auch aufhören, die Programme, die wir aufgelegt haben, zu diffamieren, und sich
stattdessen vor Augen führen, dass sie den Jugendlichen
nutzen.
({71})
Zur „Schlusslichtdiskussion“: Bei der Reduzierung der
Jugendarbeitslosigkeit liegen wir in Europa an der Spitze.
Nach den Zahlen von Eurostat ist die Jugendarbeitslosigkeit im europäischen Durchschnitt doppelt so hoch wie in
Deutschland. Auch zu diesem Tatbestand sollte von Ihnen
hier einmal etwas gesagt werden.
({72})
- Alles, was schlecht ist, hat mit meiner Regierung zu tun,
und alles, was sich gut entwickelt, hat mit Ihnen zu tun.
Das ist wahrscheinlich die Philosophie, nach der Sie leben. Aber so funktioniert das nicht; seien Sie da ganz sicher.
Ich komme jetzt dazu, was uns die Opposition zur
Verbesserung der Situation auf diesem Sektor empfiehlt zum Beispiel in einem Antrag, den Sie in Dresden beschließen können. Hoffentlich kommt es dazu; darauf
freue ich mich schon, weil man sich damit sehr gut auseinander setzen kann. Was steht in diesem Antrag? Da
wird unter anderem das Stichwort Flexibilisierung - wunderbares Stichwort! - erläutert: Das heißt zum Beispiel,
dass man den Kündigungsschutz abschafft.
({73})
Da steht also, dass man den Zustand, dessentwegen Sie
abgewählt worden sind, wieder herstellen soll. Dass das
ein Beitrag zur Wiederwahl sein soll, erschließt sich mir
nicht; aber das ist Ihr Problem.
({74})
Sie sagen also, der Kündigungsschutz solle verringert
werden. Das sagen Sie in einer Situation - dazu will ich
etwas hören -, in der Großbetriebe - wie ich finde: ohne
Not - Massenentlassungen ankündigen.
({75})
In dieser Situation fällt der Opposition nichts anderes ein,
als die Sicherheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiter zu reduzieren. Sie wollen sie zu Abhängigen
machen! Das ist Ihre Strategie.
({76})
- Wenn nicht, dann müssen Sie das sagen.
IndemAntragstehtweiter,SiewollenbefristeteArbeitsverträge für, glaube ich, vier Jahre ermöglichen. Das bedeutet vier Jahre lang alle sechs Monate Unsicherheit.
({77})
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Sie werden sich wundern, wenn Sie mit dieser Art von
Propaganda, mit dieser Art von Vorschlägen bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ankommen; denn
die Leute, die es trifft und betrifft, brauchen wenigstens
ein bisschen Planbarkeit ihres Lebens. Dafür werden wir
sorgen; seien Sie sicher!
({78})
Auf diese Auseinandersetzung freue ich mich wirklich.
Dann werden wir sehen, was dabei herauskommt.
Übrigens betrifft diese Regelung, bei der Sie die Befristung auf vier Jahre verlängern wollen, doch ein Gesetz,
das Sie nicht verstetigt haben.
({79})
Sie hatten doch damals in Ihrer Zeit nicht einmal den Mut,
eine unbefristete Regelung zu schaffen, sondern haben sie
bis zum 31. Dezember 2000 befristet. Diese Tatsache
scheinen Ihre Freunde aus den Wirtschaftsverbänden aus
den Augen verloren zu haben; aber so war es doch.
({80})
Erst wir haben für eine sinnvolle Balance zwischen den
Flexibilitätserfordernissen der Unternehmen auf der einen
Seite und den Sicherheitsbedürfnissen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf der anderen Seite gesorgt,
und zwar auf Dauer.
({81})
So ist das Gesetz zu den befristeten Arbeitsverhältnissen
entstanden.
Sie haben jetzt vor, diese sorgsame Balance zwischen
den Interessen der arbeitenden Menschen und den Interessen der Unternehmen einseitig aufzulösen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Senkel zu stellen.
Das ist der Inhalt Ihrer Politik.
({82})
Wir werden ja Gelegenheit haben, uns im Wahlkampf und
anderswo darüber sehr intensiv auseinander zu setzen.
Ich komme zu dem nächsten Punkt, den Sie vorschlagen, nämlich die Abschaffung des Betriebsverfassungsgesetzes. Das ist sehr interessant.
({83})
- Ja, was denn? Es geht jedenfalls um die Abschaffung des
von uns gemachten Gesetzes. Sie müssen gleich einmal
sagen - darauf bin ich sehr gespannt -, wie Ihres denn aussehen soll.
({84})
Was bedeutet das denn? Das bedeutet nicht nur, dass Sie
die Beschäftigten in ihren Rechten einschränken wollen.
Nein, meine Damen und Herren, das ist auch ökonomisch
unsinnig; denn es gehört zu den unbezweifelbaren
Standortqualitäten Deutschlands, dass wir ein vernünftiges Mitbestimmungsrecht haben.
({85})
In vielen unternehmerischen Krisen haben die Betriebsräte Vorschläge dazu gemacht, wie es wieder aufwärts gehen kann.
({86})
Ich verstehe auch überhaupt nicht, dass Sie vorschlagen, den Rechtsanspruch auf Teilzeit wieder abzuschaffen. Auch hier gibt es eine sinnvolle Balance zwischen
den Betriebsinteressen einerseits und den Interessen insbesondere von Frauen andererseits;
({87})
denn sie sind es, die in einer übergroßen Zahl eine Teilzeitbeschäftigung haben wollen und manchmal auch haben müssen, weil Kinderbetreuungsmöglichkeiten fehlen.
Wir haben gesagt, dass wir diesen Rechtsanspruch
schaffen wollen, damit klar wird, in welche Richtung wir
auf diesem Gebiet wollen und auch müssen. Nur auf diese
Weise lassen sich die Potenziale, vor allen Dingen glänzend ausgebildeter Frauen, im Interesse der Wirtschaft
nutzen und lässt sich garantieren, dass die Betroffenen
ihre Möglichkeiten, was ebenso wichtig ist, auch nutzen
können.
({88})
- Hören Sie doch auf damit!
({89})
Wir haben für den Rechtsanspruch auf Teilzeit gesorgt,
weil wir das Ziel erreichen wollen. Die Betriebe erhalten
- wenn es aus betrieblichen Gründen nicht geht - das
Recht, zu sagen, dass sie das nicht organisieren können.
Das stellt eine sinnvolle Balance zwischen den betrieblichen Interessen einerseits und den Interessen der Beschäftigten sowie der Volkswirtschaft andererseits dar.
({90})
Insofern kann ich nicht erkennen, wie Ihre Forderungen,
wenn sie durchgesetzt werden könnten, erstens eine Besserung auf dem Arbeitsmarkt herbeiführen könnten und
zweitens konkret Beschäftigten auch nur Ansätze von
Hilfe geben könnten.
Ich komme zu einer Frage, die sich mit der Perspektive
für dieses Land beschäftigt.
({91})
Wir haben früher eine große Diskussion über die Frage
geführt, ob wir zu wenig in Forschung und Entwicklung
Bundeskanzler Gerhard Schröder
investieren. In der Tat: Zu der Zeit, als Sie das zu verantworten hatten, war das so.
Eingangs habe ich aus guten Gründen von Konsolidierung geredet. Einen Bereich haben wir von der Konsolidierung ausgenommen - das entsprach auch der Anlage
unserer Politik -: Seit 1999 ist der Haushalt für Forschung
und Entwicklung unter schwierigsten Bedingungen um
15 Prozent gewachsen.
({92})
Er ist gewachsen, ohne dass jene 1,3 Milliarden DM eingerechnet worden wären, die wir deshalb ins BAföG gesteckt haben, weil wir nicht wollen, dass es von Papas
oder Mamas Geldbeutel abhängt, ob jemand zu Deutschlands höchsten Schulen gehen kann oder nicht. Deshalb
haben wir die BAföG-Reform durchgeführt.
({93})
Die kontinuierliche Erhöhung des Forschungs- und
Entwicklungshaushaltes beginnt sich bereits auszuzahlen.
({94})
Ich habe auf die Biotechnologien hingewiesen. Ich könnte
auch auf Edinburgh, die jüngste Konferenz zur Luft- und
Raumfahrt, hinweisen, auf der sich gezeigt hat, dass nicht
zuletzt durch unsere Anstrengungen Deutschland in diesem so wichtigen Bereich inzwischen einen Spitzenplatz
erobert hat.
({95})
- Ich sagte: in der Luft- und Raumfahrttechnologie! Das
ist etwas anderes als der Flugzeugbau. Im Übrigen sieht
Chirac das überhaupt nicht anders. Ich habe gerade mit
ihm darüber gesprochen. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen das aber gerne im Privatissimum erklären.
({96})
Meine Damen und Herren, das, was Sie auf dem Gebiet der Bildung, der Weiterbildung und vor allen Dingen
der Zuwanderung aufführen, ist eines der großen Trauerspiele in unserem Land, weil es nicht auf die Zukunft unseres Landes ausgerichtet ist.
Diejenigen, die um die Situation der Zuwanderung
wissen, sagen: Wir brauchen ein vernünftiges Gesetz zur
Steuerung der Zuwanderung. - Dieses Gesetz muss zwei
Bereiche umfassen. Zum einen geht es um das, was für
uns selbstverständlich ist und bleiben wird - das sehen Sie
vielleicht anders -, nämlich die humanitäre Verpflichtung
gegenüber den Menschen, deren Leib und Leben in ihrem
Heimatland aufgrund von Verfolgung bedroht sind und
die deswegen das Recht auf Asyl haben müssen.
({97})
Natürlich muss man hier manchmal auch über Missbrauch reden. Der Kern der humanitären Verpflichtung
aber wird nicht angetastet.
({98})
- Ich hoffe, dass das niemand tut. Wie Sie wissen, bin ich
immer für Konsens; das wird mir gelegentlich auch vorgeworfen. Aber wenn wir uns da einig sind, können wir
dies ja gemeinsam umsetzen.
Zum anderen brauchen wir ein Gesetz, das die Zuwanderung in einem sinnvollen Maße auch aus wirtschaftlichen Erwägungen ermöglicht. Dazu sind Vorschläge gemacht worden, zunächst von Frau Süssmuth und ihrer
Kommission und dann vom Bundesinnenminister. Diese
liegen Ihnen vor. Dieses Gesetz entspricht den objektiven
Notwendigkeiten der Entwicklung unserer Wirtschaft.
Ich finde es schon merkwürdig, dass das Hin und Her
zwischen Bayern und den übrigen Teilen der beiden
christlichen Parteien dazu geführt hat, dass ein Gesetz,
das die humanitäre Verpflichtung beinhaltet, was Sie ja
abstrakt bejahen, und im Übrigen den objektiven Notwendigkeiten einer zunehmend überalterten Gesellschaft
entspricht, nämlich unserer, durch parteitaktische Winkelzüge bei der Aufstellung der Kandidaten kaputtgemacht wird. Das ist ein Fehler.
({99})
Das darf so nicht weitergehen. Deswegen sage ich an
die Union gerichtet: Beendet dieses unwürdige Schauspiel!
({100})
Es besteht die Notwendigkeit der Einigung und es gibt Einigungsmöglichkeiten. Dazu würde ich jetzt gerne einmal
etwas hören. Das, was Sie jetzt machen, ist nicht gut für
unser Land und die Entwicklung der Wirtschaft in unserem Land.
({101})
Ich möchte noch etwas zu dem sagen, was wir an familienpolitischen Leistungen erbracht haben. Vonseiten
der Union werden ja uferlose Forderungen gestellt; sie belaufen sich auf einen Betrag von Hunderten von Milliarden. Wir erinnern uns - vor allem die Bürgerinnen und
Bürger erinnern sich daran -, dass das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Familienpolitik, die Sie
über 16 Jahre betrieben haben, für verfassungswidrig erklärt hat.
({102})
Das war ein schlichter Satz des höchsten deutschen Gerichts.
Wir haben diesen schlichten, aber wirksamen Satz vor
die Füße gelegt bekommen und mussten Ihre verfassungswidrige Familienpolitik - das haben Sie bescheinigt
Bundeskanzler Gerhard Schröder
bekommen - beenden. Das haben wir getan, und zwar
wiederum unter den schwierigen Bedingungen der Konsolidierung.
Was haben wir gemacht? Die Kindergelderhöhung
habe ich schon angesprochen. Hans Eichel hat gestern
ausgerechnet, dass die Steigerung des Kindergeldes von
220 DM auf 300 DM für eine Verkäuferin realiter das
13. Monatsgehalt bedeutet. Das ist kein Pappenstiel, sondern eine große familienpolitische Leistung.
({103})
Die Ausgaben für die Familie sind in der Zeit, seit wir
regieren, von etwa 70 Milliarden DM auf knapp 100 Milliarden DM gestiegen. Darin ist die Erhöhung des Wohngeldes mit einem Volumen von 8 Milliarden DM, was insbesondere Familien mit Kindern zugute kommt, noch
nicht enthalten.
Das ist die Familienpolitik, die uns aus der von Ihnen
verursachten Falle der Verfassungswidrigkeit herausgeführt hat. Dazu möchte ich gerne etwas hören. Sie aber
stellen nur wohlfeile Forderungen in Höhe von Hunderten
von Milliarden, die niemand finanzieren kann, anstatt zu
sagen, was Sie konkret anders machen wollen. Wenn Sie
den von Ihnen eingeschlagenen Weg weitergehen, nur ungedeckte Schecks auf den Tisch zu legen, dann werden Sie
scheitern. Dessen können Sie sicher sein. Wir werden den
Weg weitergehen, den wir in dieser Frage eingeschlagen
haben.
({104})
Ich möchte abschließend gern noch etwas zur Außenund Europapolitik sagen,
({105})
und zwar insbesondere dazu, was Michael Glos gesagt
hat. Er hatte mir angekündigt, er sei heute relativ freundlich. Das war im Kern auch so. Aber in diesem einem
Punkt muss ich mich ernsthaft mit Ihnen auseinander setzen. Was Sie dazu gesagt haben, ist gefährlich, weil es so
aufgefasst werden könnte, als ob dieses Land nur darauf
warten würde, irgendwo anders in der Welt - ob nötig oder
nicht - militärisch zu intervenieren.
({106})
Ich hoffe, ich habe Sie richtig verstanden, dass Sie das
nicht meinen, wenn Sie über den Irak und über Somalia
reden.
({107})
- Herr Glos, was Sie sagen, nehme ich sehr ernst. Wenn
Sie sagen, dass das so nicht zu verstehen war, ist das umso
besser.
Mir und dem Außenminister geht es darum, dass wir alles tun, damit die Antiterrorkoalition, die in Afghanistan
Erfolg hatte - und an der wir beteiligt sind, und zwar, so
wie wir es versprochen haben und wie es von uns erwartet wird -, aufrechterhalten wird. Wir sollten vorsichtig
sein, auf Kommentare in Magazinen oder Zeitungen, auch
auf Äußerungen des einen oder anderen „Unterstaatssekretärs“ oder von wem auch immer, einzugehen
({108})
- wo auch immer, ob in Deutschland oder anderswo in
der Welt -, die sich jetzt schon mit der Suche nach neuen
Zielen befassen. Insbesondere sollten wir bei einer Diskussion neuer Ziele im Nahen Osten sehr zurückhaltend
sein. Dabei könnte uns mehr um die Ohren fliegen, als jeder von uns zu tragen in der Lage ist.
({109})
Wir werden das Notwendige tun. Wir werden uns aber
auch vorbehalten, über das Notwendige zu entscheiden,
um es dann zu tun. Da muss sich - so glaube ich - niemand in Deutschland über die Geradlinigkeit der deutschen Außenpolitik beklagen. Das tut niemand in
Deutschland und erst recht niemand in den Vereinigten
Staaten; seien Sie dessen sicher. Da müssen Sie sich schon
Stimmen bestellen, wenn Sie kritische Stimmen gegen
uns hören wollten.
({110})
Nun noch eine Bemerkung zur Afghanistan-Konferenz in Bonn. Dazu haben Sie gesagt, dass dafür Geld
ausgegeben wird. Das ist wahr. Für diese Konferenz der
Vereinten Nationen in Deutschland zahlen wir etwa 2 Millionen DM. Meine Damen und Herren, ich glaube, das ist
verdammt gut ausgegebenes Geld.
({111})
Das ist deshalb gut ausgegeben, weil wir glauben, dass
nicht zuletzt durch diese Konferenz - ob sie nun schon
eine abschließende ist oder nicht, wird man sehen - das in
Gang gesetzt wird, was man den Post-Taliban-Prozess
nennt, und dass sie eine Perspektive für dieses so sehr geschundene Land Afghanistan bedeuten könnte. Ich muss
Ihnen sagen: Ich bin froh darüber, dass wir gute Gastgeber für diese Konferenz sein konnten und die Vereinten
Nationen diese nach Deutschland gegeben haben.
({112})
Über die Europapolitik werden wir uns noch vor dem
Gipfel in Laeken unterhalten. Ich denke, das wird eine
Diskussion sein, die von gemeinsamen Grundpositionen
ausgeht - das ist auch in Ordnung so -: Deutschland ist
gleichermaßen an Erweiterung wie an Vertiefung interessiert. Deutschland ist daran interessiert, dass die europäischen Institutionen besser funktionieren, als das in der
Vergangenheit gelegentlich der Fall war. Deutschland
wird, was den Konvent, also den Post-Nizza-Prozess
Bundeskanzler Gerhard Schröder
angeht, sehr darauf achten, dass wir eine starke Kommission behalten bzw. bekommen, dass das Parlament seine
Kontrollrechte überall wirksam ausüben kann und dass
die Kompetenzabgrenzung zwischen den Nationalstaaten
und Europa sinnvoll gestaltet ist. Darüber hinaus wird es
in diesem Prozess um die Frage gehen, wie das Gesicht
Europas - und nicht nur die Gesichter einzelner Nationalstaaten - in Zukunft sichtbar gemacht werden kann, wenn
es um Ereignisse wie die in Afghanistan geht.
Für die deutsche Regierung, für den Außenminister
und mich, kann die Antwort auf die Vorgänge in Afghanistan und die Tatsache, dass die Hilfeleistungen, die Beistandsverpflichtungen, nicht europäisch erbracht werden
konnten, sondern national erbracht werden mussten, weil
wir in Europa noch nicht so weit sind, nur lauten: nicht
weniger, sondern mehr Integration in Europa!
({113})
Lassen Sie mich abschließend sagen: Wer sich ernsthaft mit der Finanz- und Wirtschaftspolitik auseinander
setzt,
({114})
der wird sehen, dass es zum Kurs der Konsolidierung, den
wir vorgeschlagen und durchgesetzt haben und der bis
2005 im Gesetzblatt steht, zum Kurs der Stärkung der Familien, der Investitionen in Forschung und Entwicklung,
in Bildung und Ausbildung, zum Kurs einer vernünftigen,
gesteuerten Zuwanderung, die auch den Interessen der
deutschen Wirtschaft nutzt, keine - ich sollte sagen: keine
vernünftige - Alternative gibt. Wenn Sie eine nennen,
dann sind wir sehr gespannt darauf.
Die Auseinandersetzung jedenfalls, die Sie angekündigt haben und die Sie jetzt führen, indem Sie ungedeckte
Schecks im Land verteilen, ist nicht seriös. Deswegen
wird sie nicht ernst genommen werden. In diesem Sinne:
Wir werden Kurs halten. Und Sie werden Ihre Streitereien
um Ihre Kanzlerkandidatur weiter untereinander auszumachen haben.
({115})
Ich erteile dem Kollegen Guido Westerwelle, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie haben eine Stunde gesprochen. Es war eine
Stunde Defensive.
({0})
Sie haben eine Stunde lang erzählt, warum alles nicht
so schlimm ist. Sie haben berichtet, welche Schwierigkeiten es gibt. Sie haben die Opposition kritisiert. Aber
Sie haben keinen Ton dazu gesagt, was Sie im nächsten
Jahr mit dem Haushalt machen wollen, den wir hier
beschließen, um die Arbeitslosigkeit in Deutschland zu
senken.
({1})
Sie haben auf die Zwischenrufe reagiert, mit zum Teil,
wie ich finde, bemerkenswerten Formulierungen für einen deutschen Bundeskanzler. Einem Zwischenrufer werfen Sie vor, er habe ein Brett vor dem Kopf. Das alles zeigt
in Wahrheit nur: Bei Ihnen liegen die Nerven blank.
({2})
Jetzt nämlich passiert Folgendes: Sie werden an dem gemessen, was Sie 1998 gesagt haben. Sie haben am
21. September 1998, eine Woche vor der Bundestagswahl,
in einem „Spiegel“-Interview wörtlich erklärt:
Wenn wir es nicht schaffen, die Arbeitslosenquote
signifikant zu senken, dann haben wir es weder verdient, wieder gewählt zu werden, noch werden wir
wieder gewählt.
Sie könnten Recht behalten, Herr Bundeskanzler.
({3})
Sie haben am 10. November 1998 in Ihrer Regierungserklärung gesagt:
Die Bundesregierung ist sich völlig im Klaren darüber, dass sie ihre Wahl wesentlich der Erwartung verdankt, die Arbeitslosigkeit wirksam zurückdrängen
zu können.
Wieder wörtlich Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner ersten Regierungserklärung hier im Hause:
Wir wollen uns jederzeit - nicht erst in vier Jahren daran messen lassen, in welchem Maße wir zur
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beitragen.
Herr Bundeskanzler, werfen Sie der Opposition nicht vor,
dass wir Sie an Ihren Worten hier und heute tatsächlich
messen werden.
({4})
Die Zahlen sprechen nun einmal eine eindeutige Sprache. Die Bundesregierung hat gestern - Herr Finanzminister Eichel hat es zum ersten Mal getan - davon gesprochen, dass demnächst möglicherweise 4,3 Millionen
Menschen in Deutschland arbeitslos sind. Die Wirtschaftsentwicklung in Europa ist ein einziges Desaster,
vor allen Dingen weil die Wirtschaftsentwicklung in
Deutschland so schlecht ist und Deutschland nicht mehr
die Lokomotive der europäischen Volkswirtschaft ist.
({5})
Wir haben eben eine Delegation von Parlamentariern aus
Spanien begrüßt. Dort liegt das Wirtschaftswachstum bei
2,4 Prozent. In Irland liegt das Wirtschaftswachstum sogar bei 7 Prozent, in Griechenland bei 3,6 Prozent, in
Großbritannien bei 2,3 Prozent, in Frankreich bei 2,0 ProBundeskanzler Gerhard Schröder
zent, in Österreich bei 1,3 Prozent und in Deutschland bei
0,8 Prozent.
({6})
Es gab zwar auch früher Zeiten schlechten nationalen
Wirtschaftswachstums. Aber Sie haben es geschafft, dass
Deutschland, das früher wenigstens an der Spitze lag,
wenn es international schlecht lief, mittlerweile beim
Wirtschaftswachstum auf den letzten Platz in Europa abgerutscht ist.
({7})
Ein Bundeskanzler, der sich in dieser Debatte mit der Rezession auseinander setzen muss, muss uns sagen, was er
machen will, und nicht, was er machen könnte, wollte und
gerne hätte. Herr Bundeskanzler, Sie sind zum Handeln
gewählt, nicht zum Analysieren. Das ist Ihre Aufgabe.
({8})
Gelegentlich verweisen Sie auf die wirtschaftliche
Lage in anderen Ländern. Das haben Sie auch heute wieder getan. Wir haben uns gemerkt, was Sie dazu gesagt haben. Sie haben gesagt, dass in Deutschland nicht das gelingen könne, was andere Länder geschafft haben, weil
die Wachstumsperspektiven wegen des Niveaus der dortigen Volkswirtschaften anders seien. An anderer Stelle
haben Sie das Wort von der „gesättigten Volkswirtschaft“
gewählt. Das sagt ausgerechnet der Mann, der im Sommer
dieses Jahres eine Reise durch Ostdeutschland gemacht
hat und dabei Regionen durchquert hat, in denen die
Arbeitslosenquoten bei 20, 30 oder sogar 40 Prozent liegen. Wir sind keine gesättigte Volkswirtschaft, wie Ihnen
ein einziger Blick auf das Desaster bei der wirtschaftlichen Entwicklung in Ostdeutschland zeigen müsste,
Herr Bundeskanzler.
({9})
Des Weiteren haben Sie genauso wie Ihr Wirtschaftsminister wieder einmal wortreich erklärt, das mit dem
Wirtschaftswachstum sei gar nicht so schlimm, wenn es
nicht diese böse Bauwirtschaft gebe. Das ist auch eine
interessante Analyse. Den Arbeitslosen ist es eigentlich
relativ egal, welcher Grund in einem volkswirtschaftlichen Seminar dafür angeführt wird, dass sie arbeitslos
sind. Sie suchen einfach Arbeit. Ihre Erklärung, das mit
dem Wirtschaftswachstum in Deutschland sei gar nicht so
schlimm, wenn es nicht diese böse Bauwirtschaft gebe,
erinnert mich an den Satz: Wenn wir keine Arbeitslosenzahlen hätten, dann gäbe es eigentlich Vollbeschäftigung.
({10})
Sie drücken die Realität weg. Das, was Sie heute als „ruhige Hand“ bezeichnen, nannte man früher - bei allem
Respekt, Herr Altbundeskanzler - aussitzen. Dass das bei
Ihnen schon nach drei Jahren losgeht, ist bemerkenswert,
Herr Bundeskanzler.
({11})
Sie haben uns erklärt, dass es für die wirtschaftliche
Lage in Deutschland internationale Gründe gebe. Das
kann ja augenscheinlich nicht stimmen; denn im Zuge
der Globalisierung in der Weltwirtschaft sind alle Länder
in Europa gleichermaßen betroffen. Die Globalisierung
und die schrecklichen Terroranschläge vom 11. September können nicht als Begründung für eine verfehlte nationale Wirtschaftspolitik herhalten. Herr Bundeskanzler,
wenn alle Länder in Europa beim Wirtschaftswachstum
besser dastehen als Deutschland, dann ist das nicht das
Ergebnis irgendeiner internationalen Entwicklung. Das
zeigt vielmehr, dass Sie, Ihre Bundesregierung und Ihre
Koalition mit den Herausforderungen der Weltwirtschaft
schlechter zurechtkommen, als wir damit zurechtkommen müssten. Wir reden also über Ihre verfehlte nationale Politik.
({12})
Herr Bundeskanzler, Sie tun so, als ob es nicht wichtig,
nicht erheblich sei, wenn Frankreich ein Wachstum von
2,0 Prozent und Österreich ein Wachstum von 1,3 Prozent
- um nur zwei Nachbarländer zu nennen - vorzuweisen
haben, als ob es sich dabei um Entwicklungs- oder
Schwellenländer handele, die im Gegensatz zu Deutschland natürlich noch Wachstumsdynamik hätten. Nein, Sie
haben einfach einen völlig falschen Ansatz in Ihrer Wirtschaftspolitik gewählt. Das hängt übrigens damit zusammen, dass es in Ihrer Koalition eine interessante Bündelung von Kräften gibt. In Ihrer Koalition kommt nämlich
Folgendes zusammen: Die SPD-Linke, die auf Staatswirtschaft setzt, wird gewissermaßen noch durch die Grünen verstärkt, die ebenfalls auf Staatswirtschaft setzen.
Das ist der entscheidende Punkt Ihrer Politik.
({13})
- Ach, ihr Grünen, entschuldigt bitte, aber ich muss euch
sagen: Eure Grundsätze passen wirklich in einen Fingerhut. Ihr solltet heute brav sein und schweigen.
({14})
Auch Sie, Herr Bundeskanzler, der Sie sich in dieser
Koalition so wohl fühlen, sollten - bei allem Respekt besser schweigen. Ich habe in der letzten Woche ja auch
genau gehört, dass Herr Kollege Struck lieber mit Frau
Müller und Herrn Schlauch frühstücken möchte. Hat mich
eigentlich jemand gefragt, ob ich schon morgens mit Ihnen frühstücken möchte? Da kann ich mir Schöneres vorstellen.
({15})
Nachdem der Bundeskanzler die Grünen eine Woche
lang hier im Deutschen Bundestag gepiesackt hatte, hat er
sie eine Woche lang auf dem Parteitag der SPD gestreichelt. Herr Bundeskanzler, Sie können diesen grünen
Frosch küssen oder ihn weiter gegen die Wand werfen, es
wird nie ein Prinz daraus. Haken Sie diese Vorstellung ab,
das wird nie passieren.
({16})
Nein, es ist der falsche Ansatz in der Wirtschaftspolitik, der übrigens in Ihren Ausführungen in bemerkenswerter Weise zum Ausdruck kommt. Sie haben die Opposition aufgefordert - allein diese Frage zeugt von
beträchtlicher Hilflosigkeit -, sie solle einmal sagen, was
sie anders machen würde. Wir sagen es Ihnen gern: Wir
möchten, dass die Steuerpolitik bereits zum 1. Januar
nächsten Jahres korrigiert wird, damit es endlich einen
Konjunkturimpuls gibt. Die Steuern müssen gesenkt
und dürfen nicht wie bei der Ökosteuer, der Tabaksteuer
und der Versicherungsteuer durchweg weiter erhöht
werden. Die Behauptung, Steuersenkungspolitik reiße
Haushaltslöcher, wird in allen unseren Nachbarländern
widerlegt. Wer Steuern gesenkt hat, hat heute Haushaltsüberschüsse.
({17})
Unsere Nachbarn streiten sich darüber, wie die Überschüsse verteilt werden sollen, während Sie den Mangel
verwalten.
({18})
Dazu gibt es übrigens auch bemerkenswerte Vorgänge
in der deutschen Geschichte.
({19})
- Dass Sie, Herr Minister Eichel, von der Regierungsbank
aus dem Redner zwischenrufen - das ist übrigens auch ein
bemerkenswerter Vorgang -, zeigt, wie blank Ihre Nerven
sind.
({20})
Wir erleben hier einen „Blanke-Nerven-Hans“. Wenn ein
Finanzminister sogar noch von der Regierungsbank Zwischenrufe an die Adresse des Redners richten muss, dann
ist das ein interessanter Vorgang.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, an diesem Wochenende ist leider der frühere Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg verstorben. Er
wird nach meiner Einschätzung zusammen mit Graf
Lambsdorff in die Finanzgeschichte unseres Landes eingehen,
({21})
weil er wirklich einmal eine Steuersenkungsreform
durchgesetzt hat. Ich lese Ihnen einmal vor, was tatsächlich gemacht wurde, um die Behauptung zu widerlegen,
so etwas rechne sich nicht. Von Otto Graf Lambsdorff und
Gerhard Stoltenberg sind in den Jahren 1986, 1988 und
1990 die Steuern in einem Volumen gesenkt worden, in
dessen Nähe Sie heute gar nicht kommen: um 10,9 Milliarden DM, 13,7 Milliarden DM und 39 Milliarden DM.
Gehen wir nun ganz kurz die Haushaltsentwicklung
durch, die widerlegt, dass Steuersenkungen den Staat
Geld kosteten: Die Gesamteinnahmen aus Steuern betrugen 1986 452 Milliarden DM, 1987 468 Milliarden DM,
1988 488 Milliarden DM, 1989 535 Milliarden DM, 1990
567 Milliarden DM.
In jedem Jahr sind die Steuereinnahmen des Staates
durch die Steuersenkungspolitik gesteigert worden. Dies
hat einen einfachen Grund: Sie müssen den Menschen
wieder Lust auf Leistung machen, indem sie von dem,
was sie sich hart erarbeitet haben, mehr übrig behalten.
Dann hat der Staat auch wieder gesunde Finanzen.
({22})
Das aber wollen Sie nicht wahrhaben.
Sie haben hier regelmäßig auf die Sachverständigen
Bezug genommen. Die Sachverständigen haben Ihnen
nun weiß Gott andere Noten gegeben, als Sie uns hier
glauben machen wollen. Sie haben Ihnen nämlich vorgetragen, dass Sie gerade auf dem Arbeitsmarkt die Strukturreformen nicht vorgenommen haben
({23})
und dass sie von Ihnen erwarten, dass Sie auf dem Arbeitsmarkt strukturelle Maßnahmen ergreifen.
({24})
Das haben Sie nicht getan. Deshalb möchte ich noch einmal wörtlich zitieren, was Ihnen der Sachverständigenrat
aufgeschrieben hat:
Ohne weitergehende Reformen der Arbeitsmarktsordnung wird sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt
nicht nachhaltig bessern, gemessen am Flexibilisierungsbedarf des Arbeitsmarktes ist vonseiten der Politik auch in diesem Jahr zu wenig geschehen.
Das sagt Ihnen der Sachverständigenrat, den Sie die ganze
Zeit über in diese Debatte eingeführt haben. Wenn man
diesen Bericht gelesen hat, so sind die Noten für Sie desaströs und nicht gut, wie Sie uns hier glauben machen
wollen.
({25})
Sie haben sich bei der Arbeitslosigkeit verschätzt, Sie
haben sich bei der Konjunktur verschätzt, Sie haben sich
bei der Steuerschätzung vertan. Herr Bundeskanzler, die
Prognosen Ihrer Regierung sind unzutreffend. Deshalb ist
es notwendig, dass man sich kurz vor Augen führt, wie die
anderen Volkswirtschaften und Gesellschaften auf die
Herausforderungen nach dem 11. September reagiert haben. Damit meine ich nicht den Bereich der inneren Sicherheit und im Übrigen auch nicht die Reaktionen in der
Außenpolitik - dazu werde ich noch etwas sagen -, sondern die ökonomischen Maßnahmen, die aus meiner Sicht
in diesem Zusammenhang angeführt werden müssen. Die
Amerikaner haben unmittelbar nach dem 11. September
genau registriert, dass die weltwirtschaftliche Situation
sehr fragil ist. Obwohl sie ohnehin bei der Steuer- und Abgabenquote deutlich niedriger liegen, als wir es in
Deutschland kennen, haben die Amerikaner die Steuern
weiter gesenkt, und zwar gleich in der ersten Woche, indem der amerikanische Präsident zum Kongress ging und
sich sofort zunächst einmal 40 Milliarden Dollar genehmigen ließ. Das war die Antwort der Amerikaner. Sie haDr. Guido Westerwelle
ben also nach dem 11. September zur Stabilisierung ihrer
Konjunktur und des Mittelstandes zuallererst die Steuern
gesenkt.
Was war die erste Antwort der deutschen Bundesregierung? - Sie erhöhte die Tabaksteuer und die Versicherungsteuer. Sie wollten uns erzählen, dass mit der Ökosteuer die Rente gesichert werden solle. Ich halte diese
Erkenntnis für bemerkenswert, zumal Sie gerade darangehen, sogar noch in die Schwankungsreserve bei den
Renten einzugreifen. Ich stelle mir einmal vor, die alte Regierung wäre an die Schwankungsreserve so herangegangen, wie Sie das jetzt tun. Das hätte zu einem Aufstand auf
der linken Seite dieses Hauses geführt, aber davon wollen
Sie auch nichts mehr wissen.
({26})
Die von Ihnen eingeführte Ökosteuer sollte die Rente
sichern. „Rasen für die Rente“ - das haben wir oft genug
gesagt. Dann kam als zweite Antwort „Rauchen für die Sicherheit“. Herr Bundesfinanzminister, in Anbetracht der
Unterfinanzierung der Bundeswehr warte ich stündlich
auf Ihren Vorschlag „Trinken für die Truppe“.
({27})
Das kommt nämlich auch noch. Sie werden uns auch noch
erzählen, warum wir diese Steuern erhöhen sollten. Sie
werden damit in die Lage versetzt werden wollen, die
Bundeswehr anständig auszustatten. Um es Ihnen klar
zu sagen: Wenn man in einem Haushalt von 500 Milliarden DM nicht einmal mehr in der Lage ist, 3 Milliarden
DM für innere Sicherheit durch Umschichtung zu erwirtschaften, dann gibt man seine Bankrotterklärung im Hinblick auf die Finanzpolitik zu Protokoll.
({28})
Nein, Sie haben in der Wirtschaftspolitik eine falsche
Richtung eingeschlagen.
({29})
Das ist im Übrigen auch der Punkt, warum Sie meiner
Einschätzung nach am Anfang kommenden Jahres Ihr
Programm beschließen werden. Alles das, was die Opposition von Ihnen verlangt - das werden Sie ja sehen -,
werden Sie am Anfang des Jahres realisieren. Schon im
Hinblick auf die Wahl und Ihren Wunsch, wiedergewählt
zu werden, werden Sie den innenpolitischen Druck gar
nicht aushalten.
({30})
Sie werden bei den Steuern das tun, was Ihnen die Opposition vorschlägt, wenn auch vielleicht nicht ganz so weitgehend.
({31})
Sie werden Maßnahmen zum Abbau der Bürokratie vorschlagen, die die FDP und die bürgerliche Opposition
({32})
in diesem Hause immer wieder vorgeschlagen haben.
Sie werden dem Bundestag auch im Hinblick auf den
Arbeitsmarkt flexiblere Instrumente vorschlagen. Selbst
wenn Sie all das umsetzen werden, wird das Problem
sein, dass Sie es dann zu spät in Angriff nehmen werden. Sie werden es machen, weil Sie von dem Verlangen, wiedergewählt zu werden, getrieben werden, nicht
aber aus innerer Überzeugung und mit dem Ziel, dass es
diesem Land wieder besser geht. Deutschland hat eine
bessere Regierung als die von Rot-Grün gestellte verdient. Das zeigt die Arbeitsmarktstatistik mehr als deutlich.
({33})
Die Stichworte sind oft genug genannt worden. Es geht
um die Abschaffung der 630-Mark-Arbeitsverhältnisse
und die Ausweitung der betrieblichen funktionärischen
Mitbestimmung auch noch auf die kleinen und kleinsten
Betriebe. Das von Ihnen beschlossene Gesetz gegen die
Scheinselbstständigkeit war doch nur ein Gesetz gegen
Existenzgründung. Sie haben alle diese Maßnahmen beschlossen.
({34})
- Dass Ihnen das nicht gefällt, wundert mich nicht.
({35})
13 Prozent der Deutschen sind Mitglied einer Gewerkschaft. 85 Prozent der SPD-Bundestagsfraktion sind Mitglied einer Gewerkschaft. Daraus folgt meines Erachtens
eine zu sehr ferngesteuerte Funktionärspolitik und keine
Politik zum Wohle unseres ganzen Landes.
({36})
Übrigens haben Sie immer noch nicht verstanden, dass
die Interessen von Arbeitnehmern und die Interessen von
bestimmten Gewerkschaftsfunktionären nicht übereinstimmen, wie, nebenbei bemerkt, auch die Interessen von
vielen mittelständischen Betrieben beileibe nicht immer
mit den Interessen von Arbeitgeberfunktionären übereinstimmen. Sie müssen sich weniger an den Verbänden orientieren, Sie müssen sich mehr an den Menschen orientieren. Lassen Sie den Menschen von dem, was sie sich
hart erarbeitet haben, mehr und dann haben Sie auch bessere Staatsfinanzen. Es kann nämlich nur der Steuern zahlen, der Arbeit hat. Nichts kommt den Staat so teuer wie
die Verwaltung von Arbeitslosigkeit und Sie machen im
Augenblick nichts anderes als die Verwaltung von Arbeitslosigkeit.
({37})
Was die Bildungspolitik angeht, so stellt sich der Regierungschef hier hin und sagt - das ist schon ein atemberaubender Kunstgriff gewesen; denn er hat früher gesagt, man wolle die Bildungsausgaben verdoppeln -: Das
läuft alles gar nicht so schlecht.
({38})
Das ist übrigens nicht nur eine Frage der Finanzen, das ist
vor allem, Herr Bundeskanzler, eine Frage der Strukturen.
Wir haben zu viel Staatswirtschaft gerade im Bildungssektor. Heute lesen wir in den Zeitungen, dass die
Landesregierung aus CDU und FDP in Baden-Württemberg beschlossen hat, Initiativen zu ergreifen, damit die
zentrale Vergabestelle für Studienplätze abgeschafft wird.
({39})
Es ist die Aufgabe des Staates - das sollten Sie als SPDVorsitzender auch einmal den Landesregierungen, die von
Ihnen geführt werden, vortragen -, dafür zu sorgen, dass
ein junger Mensch einen Studienplatz bekommen kann.
Für Chancengleichheit am Start zu sorgen ist die Aufgabe
des Staates. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, für Ergebnisgleichheit am Ziel zu sorgen. Wo jemand studiert,
sollte nicht durch Studentenlandverschickung via ZVS
entschieden werden.
({40})
Die Studenten sollten sich die Hochschule aussuchen dürfen und die Hochschulen sollten sich ihre Studenten aussuchen dürfen. Das brächte in der verkrusteten Bildungslandschaft den Wettbewerb, den wir brauchen.
({41})
Sie sagen immer, das sei Ländersache.
({42})
So einfach darf man es sich nicht machen. Hier sitzen
keine politischen Eunuchen, sondern hier sitzen Parteivorsitzende, die in ihrer eigenen Partei auch einmal einen Diskussionsprozess voranbringen müssen.
Eine Bildungsministerin,
({43})
die es in Wahrheit bis heute nicht geschafft hat, in der Bildungspolitik geistige Meinungsführerschaft zu übernehmen, eine Bildungsministerin, die zulässt, dass die Kultusminister zehn Jahre lang über die Rechtschreibreform
diskutieren und sich auch jetzt noch erhebend damit beschäftigen,
({44})
eine solche Bildungsministerin hat die Zeichen der Zeit
nicht verstanden. Wir brauchen weniger Kultusministerkonferenz. Das hätte Ihre Initialzündung sein müssen. Wir
brauchen mehr Wettbewerb zwischen den Ländern. Wir
brauchen eine neue Autonomie der Schulen, der Hochschulen und der berufsbildenden Einrichtungen. Das ist
die Strukturantwort auf die wichtigsten Zukunftsfragen
der Deutschen, nämlich Bildung, Wissenschaft, Ausbildung der jungen Generation. Wer daran spart, spart an der
Zukunft, Herr Bundeskanzler.
({45})
Bei der Gesundheitsreform gab es wirklich die absolute Krönung. Da gab es eine Strukturreform im Gesundheitswesen, zu der man diese oder jene Meinung haben
kann. Aber dass Sie sich als Bundesregierung dann in Gesprächen mit den Verbänden Ihre Strukturreform mit einem Scheck von 400 Millionen DM abkaufen lassen, ist
wirklich ein Armutszeugnis für jemanden, der als Demokrat eigentlich sagen sollte: Das Primat der Politik gilt in
diesem Hause und auch draußen bei den Verbänden. Das
überzeugt nicht.
({46})
Die Bilanz, die Sie vorgetragen haben, war aus meiner
Sicht wirklich von großer Nervosität geprägt.
({47})
Außen hui und innen pfui war das, was Sie als Bilanz
rechtfertigen konnten. Gerade im Hinblick auf die Afghanistan-Konferenz - à la bonne heure! - gibt es nichts zu
kritisieren. Wir Freie Demokraten sagen ausdrücklich:
Dass Sie diese Afghanistan-Konferenz nach Deutschland
geholt haben, verdient unseren Respekt und unsere Anerkennung.
({48})
Außenpolitisch haben Sie doch in Wahrheit gar kein Problem mit der Opposition. Außenpolitisch haben Sie ein
Problem mit Ihrer eigenen Koalition. Das ist das eigentliche Thema in diesem Hause, Herr Bundeskanzler und
Herr Bundesaußenminister.
({49})
Wir werden in den Bereichen zusammenarbeiten, in
denen es geht. Wir werden uns selbstverständlich der konstruktiven Zusammenarbeit nicht verschließen, aber wir
werden nicht vergessen, das anzumahnen, was Sie bei Regierungsantritt versprochen haben. Sie haben versprochen, dass Sie die Arbeitslosigkeit senken wollen. Dieses
Ziel haben Sie nun wirklich absolut nicht erreicht. Arbeitslose hoch, Pleiten hoch,
({50})
Wachstumsprognosen nach unten korrigiert, mehr Sozialhilfeempfänger, mehr Bürokratie - das ist die innenpolitische Bilanz dieser rot-grünen Regierungskoalition.
Sie mögen sich jetzt noch auf Parteitagen Bussi, Bussi
geben und sich wieder die Ehe versprechen,
({51})
ich sage Ihnen: Diese Koalition wird im nächsten Jahr abgewählt. Da können Sie ganz sicher sein, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({52})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rezzo Schlauch, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Westerwelle, Sie haben jetzt 20 Minuten lang
({0})
geredet, nicht defensiv, aber desaströs.
({1})
Desaströs, indem Ihnen nichts anderes einfällt, als den
Standort Deutschland - bei allen Problemen, die wir haben - in einem Zerrbild zu zeichnen, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat.
({2})
Wenn Sie daher kommen und sagen, die Amerikaner
hätten die Steuern gesenkt, frage ich: Was denken Sie,
wie gerne wir die Steuern noch weiter gesenkt hätten,
wenn Sie nicht so einen finanzpolitischen Sauladen
hinterlassen hätten, als wir die Regierung übernommen
haben?
({3})
An diesem Punkt möchte ich auch noch einmal an Ihre
eigene Adresse fragen: Warum haben Sie es denn nicht geschafft, innerhalb von 29 oder 28 Jahren FDP-Regierungsbeteiligung - bei allen Lobpreisungen, die Sie Ihrem
Finanzminister oder Wirtschaftsminister haben angedeihen lassen - den Spitzensteuersatz unter 50 Prozent zu
senken, was wir innerhalb von zwei Jahren gemacht
haben?
({4})
Es ist sehr wohl richtig, dass wir uns mit problematischen Rahmenbedingungen, mit problematischen wirtschaftlichen Daten auseinander zu setzen haben. Wir
haben eine problematische Situation durch den weltweiten Konjunktureinbruch, durch eine Rezession in den
USA, was dazu führt, dass die Investitionstätigkeit abnimmt, der Konsum lahmt und die Arbeitslosenzahlen
steigen. Das ist der Preis einer globalisierten Weltwirtschaft. Darum sollten wir überhaupt nicht herumreden,
das ist so.
Die gute Nachricht ist jedoch, dass diese rot-grüne Regierung trotz der problematischen Wirtschafts- und Finanzlage einen Haushalt für das Jahr 2002 verabschiedet,
der kein Jota von dem eingeschlagenen Konsolidierungskurs abweicht. Dieser Konsolidierungskurs ist die
grundlegende Voraussetzung dafür, dass wir aus der konjunkturellen Krise wieder herauskommen. Nur wenn wir
keine weiteren Schulden machen, werden wir auch das
wichtigste Ziel erreichen - deshalb ist Konsolidierung die
Voraussetzung -, nämlich neue und mehr Arbeitsplätze in
Deutschland.
Würden wir auf die sehr widersprüchlichen Vorschläge
der Opposition eingehen, so würde Deutschland - ({5})
- Ich kann aufzählen, warum sie widersprüchlich sind. Ich
weiß nicht, wer die Sendung „Sabine Christiansen“ am
Sonntag gesehen hat. Dort hat mein Freund Fritz Kuhn
begründet, warum ein Vorziehen der Steuerreform Unsinn
ist. Was passierte dann? Herr Stoiber hat ihm plötzlich
Recht gegeben und Frau Merkel ist der Kinnladen heruntergefallen. Sie wissen in Ihrem eigenen Laden nicht, was
Sie vorschlagen.
({6})
Würden wir nämlich auf diesen verhängnisvollen Kurs
einer erhöhten Verschuldung wieder eingehen, dann
würden wir von dem von uns eingeschlagenen Kurs abkommen und so wie Sie an den Klippen des Schuldenberges auflaufen. Das haben wir bei Ihnen zur Genüge
erlebt und wir haben heute noch an diesen Folgen zu
leiden.
({7})
Verantwortungsvolle Politik heißt: Wir senken die
Nettokreditneuaufnahme gegenüber dem Vorjahr wieder um 1,2 Milliarden Euro und verfolgen damit weiterhin das Ziel eines ausgeglichenen Haushaltes bis zum
Jahre 2006. Die Nettoneuverschuldung darf aus vielen
Gründen nicht erhöht werden. Für uns Grüne ist der wichtigste Grund dabei immer gewesen, dass - mit der rot-grünen Regierung hat das Gott sei Dank aufgehört - in
Deutschland Politik nicht mehr auf Kosten der zukünftigen Generationen gemacht wird.
({8})
Konjunkturprogramme oder ein Vorziehen der Steuerreform bringen uns aber auch in Konflikt mit den
Maastricht-Kriterien. Sie wollen doch nicht ernsthaft
von uns verlangen, dass wir wenige Wochen vor Einführung des Euros einer Politik das Wort reden, die auch
nur den Anschein zulässt, dass Deutschland die Kriterien
nicht einhält.
({9})
Wenn ein hochmögendes Mitglied dieses Hauses, der
Möchtegernwirtschaftsminister Brüderle, sagt, das sei alles nicht so wichtig, dann hat er sich damit selbst diskreditiert und soll als Weinminister nach Rheinland-Pfalz
zurückkehren.
({10})
Herr Stoiber hat in den letzten Wochen mehrfach die
Forderung verlauten lassen, den Spitzensteuersatz weiter
zu senken. Dem entgegnen wir: Das machen wir, und zwar
erfolgreich. Eine Senkung über die in der Steuerreform
vorgesehenen 42 Prozent hinaus bringt zwar einigen
wenigen etwas mehr Geld in die Tasche; aber es bringt in
der gegenwärtigen Lage überhaupt nichts für die Wirtschaft. Eine solche Maßnahme erhöht nicht den Konsum
in der Breite und kostet den Haushalt überverhältnismäßig viel Geld. Als isolierte Maßnahme ist das Populismus, der letztendlich nur den Wohlhabenden dient.
Das ist mit den Grünen und der rot-grünen Koalition
nicht zu haben.
Der Titel des Jahresgutachtens - darauf hat der
Kanzler schon verwiesen - heißt: „Für Stetigkeit - gegen
Aktionismus“. Dort kann man lesen - das ist sehr
eindeutig; ich würde Ihnen das gerne ins Stammbuch
schreiben -:
Eine auf kurzfristigen Erfolg ausgerichtete aktivistische Konjunkturpolitik, wie sie beispielsweise zusätzliche staatliche Ausgabenprogramme, jedoch
auch das Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform darstellen, birgt Gefahren in der Zukunft, die
die unmittelbar positiven, aber unsicheren Wirkungen überkompensieren können. Bei dadurch wieder
anschwellenden Haushaltsdefiziten würde die mühsam gewonnene Glaubwürdigkeit der Nachhaltigkeit
in der Finanzpolitik beschädigt.
Dieser Rat ist eindeutig und wir beherzigen ihn. Die Opposition sollte noch einmal überlegen, ob sie an diesem
gewichtigen Rat vorbeigehen kann.
({11})
Die Politik muss Verantwortung tragen. Verantwortung
muss aber auch die Wirtschaft tragen. Ein Beispiel aus den
USA zeigt, wie es gehen kann. Das Management von Sun
Microsystems hat gerade einen Brief an die Aktionäre geschrieben. Darin wirbt die Geschäftsleitung bei den Aktionären um Verständnis dafür, dass sie keine Entlassungen vornimmt, auch wenn dies die Gewinnerwartung und
den Kurs der Aktie drückt; denn sie rechnet mit einer Besserung der konjunkturellen Lage und will die bewährte
Belegschaft, das Know-how der Mitarbeiter und das soziale Gefüge nicht auseinander brechen.
Dieses Beispiel sollte auch bei uns in Deutschland
Schule machen;
({12})
denn es liegt im wohlverstandenen Eigeninteresse der
Wirtschaft, ihrer Verantwortung, die sie auch gegenüber
der Gesellschaft hat, gerecht zu werden. Die Regierung
hat mit der Rentenreform, mit der Steuerreform und mit
der Unternehmensteuerreform Vorleistungen erbracht.
Die Gewerkschaften haben jahrelang moderate Abschlüsse ausgehandelt, nicht zuletzt dank dem Bündnis
für Arbeit. Deshalb fordere ich die Unternehmen auf - das
richtet sich insbesondere an die großen Konzerne -: Nehmen Sie die zahllosen Ankündigungen, Zigtausende von
Mitarbeitern zu entlassen, im eigenen Interesse und im
Interesse des Ganzen zurück.
({13})
Der Sachverständigenrat rechnet ebenfalls für das
nächste Jahr damit,
dass sich die außenwirtschaftliche Lage aufhellt und
vorhandene positive binnenwirtschaftliche Rahmenbedingungen wieder Wirkung entfalten.
Wir haben dabei für meine Begriffe und aus grüner Sicht
noch eine Aufgabe vor uns, nämlich die Reform des Arbeitsmarktes. Das Job-Aqtiv-Gesetz ist ein guter und richtiger Einstieg, um durch gezieltere Betreuung Zeiten von
Arbeitslosigkeit zu vermindern. Ich kann überhaupt nicht
nachvollziehen, was Sie dagegen haben können, meine
Damen und Herren von der Opposition.
({14})
Herr Bundeskanzler, ich glaube, dass wir auf der
Grundlage des von Ihnen zum Kündigungsschutz Gesagten doch noch einige weitere Gedanken ins Auge fassen
sollten. Wir sind darüber in der Koalition im Gespräch.
Erstens. Wir müssen die Teilzeitmauer einreißen. Das
buchstäblich schwarze Beschäftigungsloch oberhalb der
630-DM-Grenze muss verschwinden, sodass sich in diesem Sektor beides lohnt: jemandem Arbeit zu geben, aber
auch diese Arbeit anzunehmen.
({15})
Es ist zum Beispiel vorstellbar, dass die Sozialabgaben
bei Einkommen von 630 bis 1 800 DM linear ansteigen,
sodass nicht ab der 631. Mark der volle Sozialabgabensatz
zuschlägt.
Zweitens. Es ist an der Zeit, ein flächendeckendes Einstiegsgeld einzuführen, sodass ein Arbeitslosenhilfe- oder
Sozialhilfeempfänger befristet einen möglichen Zuverdienst behalten kann, ohne dass dies mit Transferleistungen verrechnet wird, beispielsweise in Höhe von
50 Prozent.
({16})
Drittens. Auch die Entbürokratisierung der 630-DMJobs mit einer einmaligen jährlichen Meldung ist eine
Maßnahme, die für Bewegung auf dem Arbeitsmarkt sorgen kann und die insbesondere bürokratische Hürden für
Klein- und Mittelbetriebe wegräumt.
({17})
Solche Strukturreformen sind der richtige Weg. Wir
können uns auch hier auf die Wirtschaftsweisen stützen,
({18})
die sagen:
... gerade in der derzeitigen labilen wirtschaftlichen Lage stellt das Angehen von notwendigen
Strukturreformen eine Chance dar, die wirtschaftlichen Perspektiven zu stabilisieren.
Ich komme zu einem wichtigen gesellschaftspolitischen und strukturpolitischen Punkt, nämlich der EinRezzo Schlauch
wanderung. Frau Merkel, angesichts der desolaten Lage,
in der sich die Opposition befindet, kann ich gut nachvollziehen, warum Teile der CDU/CSU, allen voran der
Stoßtrupp aus den bayerischen Bergen,
({19})
wenigstens die Einwanderung als Rettungsanker für den
Wahlkampf behalten wollen. Aber ich sage Ihnen: Hören
Sie auf, Ihr parteitaktisches Kalkül über die Zukunft unseres Landes zu stellen!
({20})
Die Wirtschaft braucht qualifizierte Arbeitskräfte. Millionen Menschen, die in unserer Gemeinschaft leben,
brauchen Hilfe und Ansporn zur Integration. Verfolgte
Menschen brauchen die Sicherheit eines demokratischen
Staates, der sie schützt. Sie aber handeln nach dem Motto:
Wer schon keine Antworten auf die drängenden Zukunftsfragen unseres Landes anzubieten hat, der schielt
nach Österreich und nach Dänemark. - Aber bei uns wissen die Leute inzwischen, dass wir immer eine offene Gesellschaft mit Zuwanderung gewesen sind, dass wir das
auch bleiben werden und dass wir dafür allerdings jetzt
die richtigen gesetzlichen Regelungen brauchen. Dies
sieht übrigens auch die Wirtschaft fast unisono so. Beispielsweise sagt BDA-
Wer angesichts dieser Lage eine neue Zuwanderungsregelung blockiert, schadet unserem Land.
Frau Merkel und Herr Merz, passen Sie auf, dass das nicht
auf Sie gemünzt ist!
({0})
Gott sei Dank gibt es auch vernünftige Stimmen in der
CDU. Ich kann nur hoffen, dass sie sich in der Diskussion
durchsetzen. Bisher jedenfalls ist leider nur deutlich
geworden, dass die Forderungen der Union - wie die
Rücknahme der Anerkennung geschlechtsspezifischer
Verfolgung oder nicht staatlicher Verfolgung oder die
Rücknahme einer vernünftigen Familiennachzugsregelung - keine Angebote sind, sondern nur davon ablenken sollen, dass die CDU ihr Verhältnis zur Einwanderung
nicht geklärt hat.
({1})
Möglicherweise gelingt dies ja auf Ihrem kommenden
Parteitag. Dazu wünsche ich Ihnen viel Erfolg. Eine geregelte Einwanderung, die die humanitäre Behandlung von
Flüchtlingen umfasst - unser Modernisierungsprojekt -,
ist unverzichtbar für eine zukunftsfähige Gesellschaft im
21. Jahrhundert. Sie haben immer noch die Wahl, sich in
Ihren ideologischen Spinnweben des letzten Jahrhunderts
zu verfangen oder die Gestaltung der offenen Gesellschaft
mitzutragen.
Meine Damen und Herren, zur Ökologie: Die Verbraucherschutzministerin Renate Künast hat das Ökosiegel vorgestellt; die Agrarwende macht Fortschritte.
({2})
Das Ökosiegel markiert gesetzliche Standards für Produkte, die weit höher liegen als die, die bei konventioneller Herstellung zugrunde gelegt werden. Die Menschen
können sich in Zukunft darauf verlassen, dass das, was
draufsteht, tatsächlich auch drin ist, das Produkt also nach
allen Regeln der Kunst hergestellt wurde. Das ist gut für
die Landwirtschaft, weil sie so wieder Vertrauen für ihre
Produkte erwerben kann.
Herr Glos, dass nicht alles Gold ist, was glänzt, haben
wir in Baden-Württemberg in den letzten Wochen erleben müssen. Ich glaube, dass unserer Verbraucherschutzministerin in Zukunft eine sehr wichtige Rolle zukommt,
um solche Dinge, wie im Bodenseegebiet, im wichtigsten
Anbaugebiet für Obst in Süddeutschland, geschehen, zu
verhindern,
({3})
wo gnadenlos verbotene Pflanzenschutzmittel gespritzt
worden sind und aufgrund eines Schweigekartells zwischen Bauernverband und CDU-Landesregierung die
Verbraucher darüber nicht informiert worden sind.
({4})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Repnik?
Ja,
der Herr Repnik will die Bodenseebauern verteidigen.
({0})
Bitte schön.
Herr Kollege
Schlauch, Sie sprachen soeben von einem Schweigekartell und haben damit den Landwirtschaftsminister von
Baden-Württemberg der Untätigkeit geziehen. Sind Sie
darüber informiert, dass gleich nach der ersten Information über den Sachverhalt die baden-württembergische
Landesregierung und der zuständige Minister reagiert haben, dass den entsprechenden Betrieben sofort die Siegel
aberkannt wurden und diese Produkte vom Markt genommen wurden? Sind Sie darüber informiert? Wenn ja,
warum verbreiten Sie hier die Unwahrheit?
({0})
Meine Kenntnis, Herr Kollege Repnik, stützt sich auf einen völlig anderen Sachverhalt. Meine Kenntnis geht dahin, dass der Landwirtschaftsminister von Baden-Württemberg zwei bis drei Monate über diesen Sachverhalt
informiert war, bevor er die Maßnahmen, von denen Sie
geredet haben, realisiert hat.
({0})
Übrigens kennen wir so etwas schon in Baden-Württemberg. Auch das Umweltministerium schwieg in Sachen
Philippsburg, bis die Dinge nicht mehr zu verschweigen
waren.
({1})
DieAtomrechtsnovelle ist aufdemWeg.MeineDamen
und Herren, Sie wissen aber, dass wir es nicht bei demAusstieg belassen, sondern der Ausstieg geht einher mit dem
Einstieg in das Zeitalter der regenerativen Energien und einer umfassenden Energiewende. Deutschland ist auf
gutem Wege, seine Klimaschutzziele zu erreichen, auf deren Einhaltung es sich inzwischen auch völkerrechtlich
verbindlich verpflichtet hat. Erneuerbare-Energien-Gesetz, Markteinführungsprogramm, für das alle Fraktionen
gemeinsam die Mittel um 100 Millionen Euro aufgestockt
haben,unddiegeplanteKraft-Wärme-Kopplungsregelung
sind notwendige Schritte auf dem richtigen Weg.
Denjenigen, die nach wie vor immer wieder versuchen,
einen Widerspruch zwischen Ökologie und Ökonomie
festzustellen, will ich sagen: Die beschäftigungspolitischen und ökonomischen Effekte einer anspruchsvollen
Klimaschutzpolitik sind beachtlich. Das Basler Forschungsinstitut Prognos kommt in einer wissenschaftlichen Untersuchung zu dem Schluss, dass eine Minderung
der CO2-Emissionen in Deutschland bis zum Jahre 2020
um 40 Prozent nicht nur machbar ist, sondern auch noch
200 000 Arbeitsplätze schafft. Von denen profitieren der
Maschinenbau, das Baugewerbe, der öffentliche Personennahverkehr, die Bahn und die Dienstleister. Dies alles sind Zukunftsbereiche der deutschen Wirtschaft. In
diesem Gutachten wird bekräftigt, dass der Klimaschutz,
der Ausstieg aus der Kernenergie und die beschäftigungspolitischen Ziele keine Gegensätze sind, sondern
sich, im Gegenteil, positiv beeinflussen.
({2})
Im Rahmen der im Antiterrorpaket vorgesehenen
3 Milliarden DM haben wir einen Schwerpunkt auf die zivile Krisenprävention und auf die Entwicklungshilfe gesetzt. So haben wir den Haushalt für die Entwicklungshilfe um 200 Millionen Euro aufgestockt. Nach dem
11. September 2001 kann sich niemand mehr darüber hinwegtäuschen, dass eine internationale Politik, die sich an
Menschenrechten und Gerechtigkeit orientiert, wichtig
ist und im ureigenen Interesse unseres Landes und Europas liegt.
({3})
Ein Schuldenerlass für die ärmsten Länder wurde auf
deutsche Initiative hin auf dem Kölner Gipfel beschlossen. Zu nennen ist auch die internationale Gesundheitspolitik, wie sie der G-8-Gipfel in Bezug auf die
Bekämpfung von Aids beschlossen hat und die von der
Bundesregierung sogleich mit einem namhaften Betrag
unterstützt worden ist. Es gibt Überlegungen für ein internationales Insolvenzrecht und die Schaffung von mehr
Transparenz auf den Finanzmärkten. - Das alles sind Mosaiksteine auf dem Weg zu der einen Welt, die von allen
Staaten und allen Menschen als ihre Welt empfunden werden kann.
Dabei darf es nicht bleiben: Wir Grüne stehen auch für
einen international fairen und freien Handel und dafür,
dass die Chancen der Globalisierung allen und nicht nur
den reichen Industrieländern zugute kommen.
({4})
Das wird mit Sicherheit für manche Branchen ein
schmerzhafter Prozess, wir müssen Handelsbarrieren für
Produkte aus Entwicklungsländern abbauen. Kein Entwicklungshilfeetat der Welt kann die Effekte erzeugen,
die dadurch geschaffen werden können, dass die Länder
Asiens, Afrikas und Lateinamerikas hier zu fairen Bedingungen mit ihren Produkten handeln können.
({5})
In diesen Kontext gehört auch, dass Bundeskanzler
Schröder die Parlamentarische Staatssekretärin Uschi Eid
zur Afrikabeauftragten ernannt hat, mit dem Ziel, einen
Aktionsplan der G-8-Staaten vorzubereiten, der die
„Neue Afrikanische Initiative“ zum wirtschaftlichen Aufbau und zur Überwindung von Armut in Afrika unterstützen soll.
({6})
Ich wünsche der Bundesregierung auf dem kommenden
G-8-Gipfel in diesem Bereich, in dem wir zum ersten Mal
präventiv tätig werden können, einen guten Erfolg.
({7})
In diesem Zusammenhang werden wir in diesem Jahr
zusammen mit der Welthungerhilfe FAO ein Programm
ausarbeiten - hierzu stehen 20 Millionen zur Verfügung -,
das dazu dienen wird, den Menschen in den ländlichen
Räumen der armen Länder Hilfe zur Selbsthilfe zu geben.
Dieses Programm wollen wir im nächsten Haushaltsjahr,
also im übernächsten Jahr, in 2003, entsprechend ausfüllen.
({8})
- Da bleibt der Wunsch Vater des Gedankens, Herr Kollege Repnik.
Seit einigen Tagen tagt die Afghanistan-Konferenz in
Bonn. Ich verstehe nicht, was der Kollege Glos daran zu
kritteln hat.
({9})
Es ist ein großes Verdienst der deutschen Außenpolitik,
dass die UN, die USA und die betroffenen Staaten sowie
Gruppen dieses Vertrauen in Deutschland gesetzt haben.
Ich hoffe, dass wir ein guter Gastgeber sind.
({10})
Dies ist ein direktes Resultat nicht nur der Haltung der
Bundesregierung, sondern auch der Tatsache, dass sich die
EU-Außenminister frühzeitig Gedanken über den Post-TaRezzo Schlauch
liban-Prozess gemacht und ein überzeugendes Gesamtkonzept vorgelegt haben. Dies ist nur e i n Schritt, aber
ein wichtiger, bei der Bewältigung der schwierigen Aufgabe, Afghanistan zu befrieden und als Rückzugsgebiet für
al-Qaida und andere internationale Terroristen ungeeignet
zu machen. Es ist ein eminent wichtiger und ein richtiger
Schritt; denn er bringt das Primat der Politik zurück.
({11})
Die Regierung hat in der Außenpolitik ihre Handlungsfähigkeit bewiesen. Sie hat zweitens ihre große
Kompetenz im Bereich der zivilen und politischen Lösungen gezeigt. Außenpolitik setzt die Rahmenbedingungen dafür, dass wir in der Innenpolitik unsere sozialökologischen Reformen weiterführen können und dass
wir die ökologische und die gesellschaftspolitische Erneuerung dieses Landes, die Sie jahrelang haben schleifen lassen, unvermindert fortsetzen können. Wenn uns
das gelingt - und es wird dieser Koalition und der rotgrünen Regierung gelingen -, dann sind all Ihre Äußerungen, die wir heute gehört haben, nur Träume für die
Zukunft.
Herr Kollege Westerwelle, zum Schluss möchte ich Sie
an dieser Stelle fragen, wie Sie sich eigentlich Ihr widersprüchliches Verhalten erklären. Auf der einen Seite werfen Sie uns vor, dass wir staatsfixiert seien. Auf der anderen Seite wollen Sie diejenigen, die bei uns die
Verantwortung für die Wirtschafts- und Finanzpolitik haben, abwerben. Heißt das etwa, dass Sie staatsfixierte
Finanz- und Wirtschaftspolitiker abwerben wollen? Ich
kann mir das nicht vorstellen.
Ein weiterer Widerspruch liegt darin, dass Sie im Bundestag auf die Koalition einprügeln. Das ist zwar Ihr gutes
Recht, Herr Westerwelle.
({12})
Aber wenn Sie außerhalb dieses Hauses in jedes Mikrofon Bewerbungsreden für die Beteiligung an dieser Regierung halten, dann ist das sehr widersprüchlich. Ich verstehe das nicht.
Wir werden auf jeden Fall unseren Kurs erfolgreich
fortsetzen. Wir werden Sie deshalb bei der Wahl im September nächsten Jahres auf die Plätze verweisen, auf denen Sie jetzt sitzen.
Danke schön.
({13})
Das Wort zu einer
Kurzintervention hat der Kollege Westerwelle.
({0})
Frau Präsidentin!
Weil Herr Kollege Schlauch zu dem interessanten rhetorischen Mittel gegriffen hat, an einen hier Zuhörenden
eine Frage zu richten, möchte ich ihm gerne auf diese
Frage antworten.
Damit kein Missverständnis entsteht, sollen Sie von
mir an dieser Stelle, damit es auch einmal im Protokoll erscheint, hören: Wir gehen in keine Regierung - ob ihr umfallt oder nicht umfallt -, ohne dass es vorher Wahlen gegeben hat. Nach den Wahlen sind wir hoffentlich mit
einem Regierungsauftrag versehen. Das werden wir sehen; das wird der Wähler entscheiden. Aber ohne Wahlen
werden wir nicht in die Regierung gehen.
Ich sage noch eines, damit wir uns auch darüber im
Klaren sind: Die Hoffnung, dass Sie in irgendeinem Punkt
standhaft bleiben könnten, haben wir längst aufgegeben.
({0})
Ihre uneingeschränkte Solidarität mit Ihren Dienstwagen
wird sprichwörtlich in Deutschland.
({1})
Herr Kollege
Schlauch, möchten Sie darauf antworten? - Nein.
Dann hat jetzt der Kollege Roland Claus das Wort für
die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie
haben zu Beginn Ihrer Rede über die Schwäche der Union
in der Politik insgesamt und in diesem Hause gespottet.
Ich bin der Meinung, dass Ihnen eine Menge Anlass dafür
geboten wurde. Allerdings ist eine solche Argumentation
für Sie nicht ungefährlich. Denn: Wenn selbst eine so
schwache konservative Opposition Ihnen in den Umfragen so dicht auf den Fersen ist, dann spricht das nun wirklich nicht für eine starke Bundesregierung. Das müssen
Sie sich schon vorhalten lassen.
({0})
Eine Woche lang werden uns jetzt von der Regierung Statistiken des Erfolgs präsentiert. Das ist für einen gelernten DDR-Bürger wie mich ein ziemlich starkes Stück. Es gibt nämlich erhebliche Zweifel an
diesen Statistiken. Nehmen wir aber einmal an, Ihre
Statistiken stimmen. Dann müssen Sie sich eine Frage
gefallen lassen: Nach welchem Maßstab bewerten Sie
inzwischen die Leistungen Ihrer Politik? Sie werden
feststellen, dass es ein einziger Maßstab ist, mit dem
sich das alles messen lässt: Sie stellen hier fest und beweisen wort- und zahlenreich, es sei alles noch ein bisschen besser als bei Kohl. Dazu müssen wir Ihnen aber
sagen: Dann haben Sie vorsätzlich - wenngleich auch
mit dem Versuch, dies in aller Stille zu tun - die Messlatte verlegt.
({1})
Sie wurden 1998 in Regierungsverantwortung gewählt, damit es in Deutschland gerechter zugeht, damit es
vorwärts geht, und nicht nur, damit es ein bisschen anders
wird als bei Kohl.
({2})
- In der Tat, das müssen Sie sich sagen lassen; denn von
den wirklichen Problemen der Menschen in diesem Lande
sind Sie etwa genauso weit entfernt wie von den eigenen
Wahlversprechen.
({3})
So setzen Sie nunmehr auf das letzte Ihnen verbliebene
Positivimage, nämlich die Schulden zu verringern. Das
ist in der Tat ein wichtiges Ziel, aber als alleiniges Ziel ist
es untauglich; denn wer soziale Strukturen, wer gesellschaftliche Zusammenhänge kaputtspart, der ist nicht modern und nicht zukunftsfähig. Lassen Sie sich das noch
einmal gesagt sein.
({4})
- Ich komme an anderer Stelle auf die Einnahmenbilanz
dieses Landes zurück.
Ich will Ihre Schwierigkeiten nicht kleinreden. Aber eines muss man Ihnen sagen: Sie sind nicht an der eigenen
Courage gescheitert, sondern an dem Mangel an Courage,
die Probleme dieses Landes anzupacken.
Was erwarten Bürgerinnen und Bürger in dieser Situation? Sie erwarten nicht den Vergleich zu Helmut Kohl im
Jahre 1997. Sie wollen, dass man sich ihrem Lebensalltag
zuwendet und dass sich in diesem Lebensalltag etwas ändert. Das trifft sowohl für den Chefarzt zu, der Fragen zur
Gesundheitsreform hat und diese nicht beantwortet bekommt, als auch für die Arbeitslose, die gesicherte Arbeit
will und dazu keine Antwort von Ihnen bekommt.
Es ist hier schon mehrfach zitiert worden: An der Verminderung der Arbeitslosigkeit wollten Sie sich jederzeit
messen lassen. Wenn wir Sie daran messen, müssen wir
sagen: Sie haben versagt.
({5})
Herr Bundeskanzler, Sie haben hier die Prognosen aus
dem vergangenen Jahr bemüht, als wären Prognosen sozusagen Dinge höherer Gewalt, als hätte das nichts mit Ihrer Politik zu tun. So einfach kann man sich das nicht machen. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
Sie haben eine ganze Reihe, wie ich finde, untauglicher
Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eingesetzt.
Sie haben die Gewerkschaften zur Zurückhaltung in der
Tarifpolitik gedrängt. Sie haben auf ABM-Abbau gedrängt und eine unselige Faulenzerdebatte losgetreten.
Sie haben den Einstieg in den Ausstieg aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu verantworten und Sie reden
permanent über Niedriglohnmodelle. Ich sage Ihnen
dazu: Deutschland braucht keine Niedriglohnmodelle; die
Niedriglohnrealität in diesem Lande ist schon zu viel.
({6})
Mir ist vor einigen Tagen in Sachsen ein junger Mann
begegnet, der jetzt als technischer Zeichner ausgelernt hat
und dem sein Chef einen Nettolohn von 1 200 DM angeboten hat.
({7})
Wenn dieser junge Mann unsere Debatten im Bundestag
verfolgt, dann kann er nur den Schluss ziehen: Die sitzen
im falschen Film!
({8})
Es ist bemerkenswert, wie sich die Christdemokraten
in dieser Situation Mut machen. Ich darf Frau Merkel im
Originalton zitieren. Das klingt so: Wir werden Schröder
das Fürchten lernen.
({9})
- Nein, sie hat „lernen“ gesagt, sonst wäre mir das nicht
so aufgefallen.
({10})
Das wird den Kanzler schwer beeindrucken, wird er doch
demnächst Frau Verona F. im Beraterteam der CDU vermuten.
Sie haben gesagt, Herr Bundeskanzler, Sie wollten den
Aufbau in den neuen Bundesländern zur Chefsache erklären; aber Sie haben nichts Glaubwürdiges geleistet. Sie
machen um Thüringen inzwischen einen großen Bogen,
wahrscheinlich wegen der hohen Cousinendichte, die dort
zu vermuten ist.
({11})
Aber auch in Ihrer heutigen Rede haben Sie, mit Ausnahme der schwierigen Situation in der Bauwirtschaft,
nichts, aber auch gar nichts zur Lebenslage in den neuen
Ländern gesagt. Das ist mehr als bedauerlich.
({12})
Ich will hierbei nur auf ein Faktum verweisen: Vor
kurzem führten wir im Bundestag eine Debatte zu Bahnunternehmen. Die große Regierungsbank hier im Bundestag war leer. Die Bundesregierung war in dieser Situation
mit niemandem vertreten. Das ist Ausdruck dafür, wie Sie
mit den Problemen vor allem in den neuen Ländern umgehen.
({13})
Mit dem Regierungsantritt haben Sie versprochen, dass
Sie in diesem Land vernünftig wirtschaften wollen. Es ist
nicht zu erkennen, wie mit diesem Haushalt die Konjunktur und Investitionen gefördert werden sollen. Sie beschwören die kleinen und mittelständischen Unternehmen
regelrecht; für ihre Förderung ist aber wenig enthalten.
({14})
Zahlreiche meiner Kommilitoninnen und Kommilitonen aus dem früheren Studium sind inzwischen Existenzgründer. Sie klagen mir, wie Ihnen gewiss auch, ihre Nöte.
Ähnlich wie in Schweden brauchten wir auch in Deutschland ein Programm für eine zweite Chance für ExistenzRoland Claus
gründer, sodass es nicht bei jeder Existenzgründung um
Hopp oder Topp geht.
({15})
Die Kommunen im Lande sind die Verlierer Ihrer
Steuer- und Finanzpolitik. Sie verlieren ihre Auftragskompetenz mehr und mehr. Deshalb haben wir Ihnen vorgeschlagen, eine kommunale Investitionspauschale einzuführen. Sie sollten sich diesem Vorschlag auch nicht
länger verweigern.
({16})
Nun komme ich zu den wiederholten Vorwürfen an die
PDS, wir würden keine eigenen Vorschläge machen.
({17})
Meine Damen und Herren, wir haben uns in schwierigster
Situation - ich meine die Haushaltslage in Berlin - bereit
erklärt, zur Konsolidierung des Haushaltes in Berlin auch
im Senat, also in Regierungsverantwortung, mitzuwirken.
Sie kommen nicht umhin, unsere anerkannt soliden Vorschläge auch als solche zu akzeptieren.
({18})
In dieser Situation hat der Kanzler aber die Ampel verordnet. Ich finde, dass es in Berlin genug Ampeln gibt.
Wir brauchen sie nicht auch noch im Rathaus. Der einzige
Trost bei der Ampel ist, dass die Gelbphase immer die
kürzeste ist.
({19})
- Das geht auch in Ordnung.
({20})
Meine Damen und Herren der Regierung und der Koalition, der Begriff der sozialen Gerechtigkeit durchzieht
Ihre Programme sehr stark. Ich will dazu einige Fakten
nennen, die eine andere Sprache sprechen:
Eine einzige Versicherung in diesem Land - zugegeben
eine große -, deren Name ich hier nicht nenne, zieht aus
Ihrer Politik eine so genannte Steuerersparnis in Höhe
von 2,2 Milliarden DM. Das nenne ich eine unheilige Allianz von Politik und Geschäft.
({21})
Ein anderer Fakt: Die Körperschaftsteuer, die von
den großen Unternehmen gezahlt wird, macht nur noch
1,5 Prozent des Steueraufkommens aus. Dazu kann ich
nur sagen: Undank ist des Eichels Lohn.
({22})
Die kleinen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haben für
die großen Unternehmen aufzukommen. So war die soziale Marktwirtschaft von Ludwig Erhard doch wohl
nicht angelegt.
({23})
Inzwischen sind die Einnahmen aus der Körperschaftsteuer geringer als die Einnahmen aus der Tabaksteuer. Da traut man sich als bewusster Staatsbürger gar
nicht mehr, darüber nachzudenken, ob man mit dem Rauchen aufhören sollte. Was sind denn das für Zustände?
({24})
Ich komme zu noch einem Fakt: Im Jahre 2000 wurden
infolge von Finanzprüfungen Steuernachzahlungen in
Höhe von 27 Milliarden DM gefordert. Allerdings wurden
die Prüfungen nur in 3 Prozent der Unternehmen durchgeführt. Nun würden Sie es mir hier nicht durchgehen lassen, wenn ich diese 3 Prozent auf 100 Prozent hochrechnen würde.
({25})
Da kämen 900 Milliarden DM heraus. Wir lassen Ihnen
aber auch nicht durchgehen, dass bei den anderen 97 Prozent nichts zu holen gewesen wäre.
({26})
Es muss endlich Schluss damit sein, dass in diesem Land
Steuerhinterziehung ein staatlich geförderter Volkssport
ist und nach dem Motto verfahren wird: Wer Steuern
zahlt, ist selber schuld. Hier brauchen wir eine andere Philosophie.
({27})
Wir empfehlen Ihnen einen Blick nicht nur über den
Kanal, sondern auch zu den französischen Nachbarn. Dort
hat die Nationalversammlung in der vergangenen Woche
die Einführung der Tobinsteuer beschlossen. Das sollte
auch für uns eine Richtschnur sein.
({28})
Insofern ist leider zu bedauern, dass auch unter einer rotgrünen Regierung die Reichen immer reicher und die Armen immer zahlreicher werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir hatten in
letzter Zeit allen Grund, Ihnen gegenüber mehrfach unsere Position zu betonen, dass Krieg die falsche Antwort
auf den Terror ist. Sie haben daraufhin versucht, die PDS
auf „Radikalpazifismus und sonst gar nichts“ zu reduzieren. Das spricht nicht für Souveränität, sondern für Ihre
Unsicherheit. Es ist sehr viel mehr Politik zwischen Pazifismus pur auf der einen Seite und uneingeschränkter Solidarität auf der anderen Seite möglich.
({29})
Die gesellschaftliche Isolation der PDS - das ist es, was
Sie betreiben wollen - wird Ihnen nicht gelingen.
Ich komme zum Schluss. Für einen Finanzminister
mag es kein schlechtes Zeichen sein, wenn er die Ausgabenreduzierung als sein Ziel vorgibt und dabei einiges
vorweisen kann. Für eine Bundesregierung, die gesellschaftsgestaltend zu wirken hat, ist dies zu wenig. Herr
Bundeskanzler, Sie haben bekanntlich Lenin studiert und
sich offensichtlich deshalb gesagt: Vertrauen ist gut,
Vertrauensfrage ist besser. Die wirkliche Vertrauensfrage
aber wird am 22. September des nächsten Jahres gestellt.
Herr Bundeskanzler, Sie sollten sich nicht länger auf die
Schwäche der Union verlassen. Ich denke zwar, dass die
Union in der Opposition gut aufgehoben ist;
({30})
da sollte sie auch bleiben.
({31})
Dazu bedarf es aber einer anderen Regierungspolitik als
der, die Sie mit diesem Haushalt unter Beweis stellen.
({32})
Ich erteile das Wort
dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Dr. Peter Struck.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! In der heutigen Ausgabe der
„SüddeutschenZeitung“findetsicheinArtikelmitderÜberschrift: „Heiner Geißler greift CDU-Fraktionsspitze an“.
({0})
Darin steht, dass der Kollege Geißler sich an diejenigen in
der CDU/CSU-Fraktion wendet, die gegen einen Zuwanderungskompromiss sind. Er sagt, „er wisse nicht, welche Leute wir“ - damit ist die Union gemeint - „auf dem
rechten Rand mit einer solchen Politik noch gewinnen
wollen. Ich weiß aber mit Sicherheit, dass uns die Zustimmung religiös und human denkender Menschen, vor
allem in beiden Kirchen, endgültig verloren geht.“
({1})
Ich möchte Sie, Herr Kollege Merz, und die folgende
Rednerin, Frau Kollegin Merkel, bitten, dazu Stellung zu
nehmen. Das meine ich jetzt nicht polemisch.
({2})
Herr Merz, Sie haben hier am 19. September in einer
Debatte zu den Folgen der terroristischen Anschläge Folgendes gesagt:
Die Umstände dieses Attentats zeigen aus meiner
Sicht einmal mehr, wie dringend wir ein umfassendes Konzept zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung brauchen,
({3})
das auch den Erfordernissen der inneren Sicherheit
gerecht wird und das vor allem die Integration der in
Deutschland lebenden Ausländer fördert.
({4})
Wir wollen noch in dieser Legislaturperiode zu einer
Lösung kommen und bieten Ihnen auch hierzu die
Zusammenarbeit an.
({5})
So weit, so gut. Dann aber möchte ich Sie schon fragen,
wie die Äußerung von Herrn Stoiber in einer Fernsehsendung, an der auch ich teilzunehmen die Ehre hatte, und die
Äußerung von Herrn Beckstein zu verstehen sind. Herr
Beckstein hat gestern angedroht, dass die CDU und die
CSU eine Unterschriftenaktion erwägten. Das steht
doch in krassem Gegensatz zu dem, was Sie bisher zu dem
Thema Zuwanderung gesagt haben.
({6})
Ich stimme Heiner Geißler auch in dem zu, was er in
der „Süddeutschen Zeitung“ vom 6. November gesagt
hat:
Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die Idee,
Ausländer zum Thema des Wahlkampfs zu machen,
in die Psychiatrie gehört.
Das ist - dabei denke ich an München - völlig richtig ausgedrückt, meine Damen und Herren.
({7})
Ich widerspreche auch Ihrer Behauptung, nach der
Zuwanderungsregelung, die vonseiten der Koalition und
der Bundesregierung vorgelegt worden ist, werde es einen
ungebremsten Zuwachs von Zigtausenden oder noch
mehr Ausländern in unserem Land geben. Das ist objektiv falsch. Das ist Panikmache. Unser Gesetz steuert die
Zuwanderung. Wir wissen ganz genau, dass zum Beispiel
die Forderung der Wirtschaft an uns nach einem unbegrenztes Aufmachen von Tür und Tor für Arbeitskräfte
von uns nicht erfüllt werden wird. Wir sind uns darüber
einig - das sage ich hier ganz deutlich -, dass wir eine Zuwanderung aus arbeitsmarktpolitischen Gründen nur für
so genannte High Potentials brauchen. Es wird zu keiner
zusätzlichen Ausländerschwemme kommen, die Herr
Beckstein und Herr Stoiber suggerieren. Es ist unanständig, mit solchen Ängsten zu arbeiten.
({8})
- Herr Kollege Glos, da Sie so einen intelligenten Zwischenruf gemacht haben, möchte ich Ihnen vorlesen, was
heute über Sie und Ihre geistigen Kapazitäten in der „Süddeutschen Zeitung“ steht.
({9})
Es wird über das gefürchtete Frühstück von Herrn Glos
berichtet, jeweils montags oder dienstags. Dann kommt
auf die Frage, wann denn nun diese „K-Frage“ entschieden werden soll,
({10})
Folgendes:
Er wies in Berlin auf die Bedeutung der bayerischen
Kommunalwahl am 3. März für die CSU hin und
fügte dann hinzu: „Frühestens danach oder aber um
diesen Zeitraum herum soll auch über den Kanzlerkandidaten entschieden werden.“
({11})
Auf Nachfragen sagte er dann, er habe sich versprochen und statt „frühestens“ Frühjahr sagen wollen.
({12})
Das ist die Art und Weise, wie Sie mit vernünftigen Daten
und Themen umgehen!
({13})
Herr Glos, Ihre Karnevals- und Büttenreden mögen ja
für Sie interessant sein. Aber die Menschen draußen, die
uns zusehen, werden sich über Ihre geistigen Qualitäten
schon ein eigenes Urteil bilden können.
({14})
Da ich nun gerade bei der K-Frage bin: Der „Stern“ hat
versucht, der Union die Beantwortung dieser Frage abzunehmen. Frau Kollegin Merkel wird sich vielleicht auch
noch dazu äußern.
({15})
- Zu Ihnen komme ich auch noch, Herr Schäuble. Um es
gleich zu sagen: Ich finde es unanständig, Herr Schäuble,
dass Sie auf die Frage, ob Sie vielleicht auch Kanzlerkandidat werden wollen, obwohl Sie wissen, dass Ihre Parteivorsitzende das werden will, nicht klipp und klar Nein
sagen. Wer nicht Nein sagt, sagt Ja, Herr Schäuble. Wie
Sie in dieser Frage mit Frau Merkel umgehen, ist unanständig.
({16})
Wo ich gerade bei der CDU bin: Sie haben einen Parteitag in Essen gehabt und Sie haben bald einen Parteitag
in Dresden.
({17})
Der Bundesparteitag der CDU hat in Essen Folgendes beschlossen:
Der Bundesvorstand wird ermächtigt
({18})
- ich weiß, Sie hören das nicht gerne, Sie müssen es sich
aber trotzdem anhören über die Geltendmachung von Rechtsansprüchen
jeglicher Art gegenüber Personen, Gebietsverbänden
und Sonderorganisationen der CDU, die im Zusammenhang mit Verstößen gegen die einschlägigen Paragraphen des Parteiengesetzes dem CDU-Bundesverband Schaden zugefügt haben, abschließend zu
entscheiden.
Dies ist ein Beschluss des Bundesparteitages der CDU.
({19})
Jetzt möchte ich Sie fragen, Frau Kollegin Merkel
- wenn Sie gleich in Ihrer Rede darauf eingehen würden,
wäre ich Ihnen sehr dankbar -, was Sie eigentlich nach
diesem Beschluss gemacht haben.
({20})
Wen haben Sie eigentlich wegen der Verstöße gegen das
Parteienfinanzierungsgesetz zur Rechenschaft gezogen?
({21})
Was machen Sie dagegen, dass ein Mann wie Helmut
Kohl, der sich nach wie vor weigert, die Herkunft von
Spenden preiszugeben, hier in diesem Parlament sitzt?
Was machen Sie eigentlich dagegen?
({22})
Ich habe vor zwei Jahren in der Haushaltsdebatte im
Zusammenhang mit dem Verkauf von Panzern an SaudiArabien und im Zusammenhang mit dem Verkauf von
Leuna an Elf Aquitaine die Frage gestellt, ob die Politik
von Helmut Kohl käuflich gewesen ist.
({23})
Der Kollege Kohl hat mich dann nach einigen Verwirrungen darüber, wie man eine Zwischenfrage stellen muss,
aufgefordert - ich kann Ihnen das Protokoll vorlesen -,
({24})
als Fraktionsvorsitzender dafür zu sorgen, dass erstens so
schnell wie möglich ein Untersuchungsausschuss installiert wird und zweitens er - wie er damals sagte - noch vor
Weihnachten in diesem Untersuchungsausschuss Rede
und Antwort stehen kann.
Wir haben diesen Untersuchungsausschuss eingerichtet, aber dann haben wir erleben müssen, dass Helmut
Kohl zweimal genau zu den Punkten die Aussage verweigert hat,
({25})
die hätten geklärt werden müssen.
({26})
Es ist unanständig, wie Helmut Kohl nach wie vor die
Aussage über die Herkunft der Spenden verweigert.
({27})
Solange er das tut, gehe ich davon aus, dass er gegen
Recht und Gesetz verstoßen hat.
({28})
Ein weiterer Punkt: Im Zusammenhang mit der Affäre
um Elf Aquitaine und Leuna ist ein Sonderermittler eingesetzt worden. Das war der ehemalige Kollege Burkhard
Hirsch, wie wir alle wissen.
({29})
- Ich komme gleich dazu. Bleiben Sie ganz ruhig. Wenn
wir über Alternativen reden, wer unser Land regieren soll,
dann muss auf den Tisch, was für eine Partei das ist, die
hier regieren will.
({30})
Herr Hirsch hat einen Bericht vorgelegt: Es steht fest,
dass vor der Amtsübergabe von Kohl an Gerhard Schröder
im Kanzleramt Akten vernichtet worden sind. Es steht
fest, dass es Akten im Zusammenhang mit dem Verkauf
von bestimmten Einrichtungen gewesen sind.
({31})
Ich bin froh darüber, dass über zehntausend Leser der
„Zeit“ erreicht haben, dass die Staatsanwaltschaft Bonn
ihre Ermittlungen wieder aufnimmt und nicht einstellt.
Das, was damals passiert ist, war nämlich nicht koscher.
({32})
Ist denn schon vergessen, dass der Kollege Schäuble
im Deutschen Bundestag eine falsche Aussage über seine
Beziehungen zu Herrn Schreiber gemacht hat? Ist eigentlich schon vergessen, dass es Unklarheiten über eine
100 000-DM-Spende von Herrn Schreiber an Herrn
Schäuble gibt?
({33})
- Frau Präsidentin, ich denke, Sie haben den Zwischenruf
des Kollegen gehört.
Weil auch Herr Schäuble als möglicher Kanzlerkandidat der Union zur Verfügung steht, erlaube ich mir, aus der
Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Berlin zu
Herrn Schäuble vorzulesen:
({34})
Im Ergebnis bleibt jedenfalls festzuhalten, dass die
vom Beschuldigten Dr. Schäuble beschriebene
Übergabemodalität
-esgehtumdie100000-DM-SpendevonHerrnSchreiber({35})
auf nicht unerhebliche praktische Schwierigkeiten
stößt,
({36})
- ich lese es noch einmal in aller Ruhe vor, damit es auch
die Bürgerinnen und Bürger draußen hören können ... dass die vom Beschuldigten Dr. Schäuble beschriebene Übergabemodalität auf nicht unerhebliche praktische Schwierigkeiten stößt, während die
von der Beschuldigten Baumeister und dem Zeugen
Schreiber behauptete Geldübergabe in Kaufering
plausibel erscheint.
({37})
So weit zur Glaubwürdigkeit von Ihnen, Herr Kollege
Schäuble.
({38})
Ich glaube schon, Frau Merkel, dass Sie auf Ihrem Parteitag auch zu der Frage Stellung nehmen müssen, wie es
zu erklären ist, dass im Jahre 1982 und im Jahre 1997
Fraktionsmittel von der CDU-Fraktion an die CDU gelangt sind. Das waren 6 bis 7 Millionen DM öffentliche
Gelder aus dem Bundeshaushalt an die Partei.
({39})
Diese Frage ist nach wie vor nicht beantwortet.
Geben Sie mir bitte auch einmal Antwort auf die Frage,
wie Sie sich denn erklären, dass noch jetzt in Deutschland
zehn von 17 Ermittlungsverfahren gegen CDU-Mitglieder im Zusammenhang mit den Spenden anhängig sind,
vier weitere Verfahren laufen im Ausland.
({40})
Dann möchte ich Sie auch fragen: Wie ist es eigentlich
möglich,
({41})
dass 19 Zeugen vorrangig von der CDU im Untersuchungsausschuss nicht ausgesagt haben? Davon stammten aus den inneren Zirkeln der Union zehn. Manche haben zwar ausgesagt, aber einige Zeugen - namentlich
Herr Koch aus Hessen und Herr Kiep - verweigern die Eidesleistung.
({42})
Warum denn wohl? Ich fürchte, dass auch der Kollege
Kohl, wenn er wieder vor dem Untersuchungsausschuss
vernommen wird, bei seiner alten Linie bleibt.
Wenn wir hier eine Generalaussprache über die Alternativen zur Regierungspolitik führen, dann muss klipp
und klar gesagt werden: Eine Oppositionspartei wie die
CDU hat überhaupt nicht die moralische Legitimation,
unser Land zu regieren.
({43})
Noch ein paar Sätze zum Kollegen Westerwelle: Sie
haben sich darüber geärgert, dass ich gesagt habe, ich
frühstücke lieber mit Kerstin Müller und Rezzo Schlauch
als mit Ihnen, Herr Westerwelle. Das hat verschiedene,
vor allem politische Gründe. Ich möchte mit Ihnen, Herr
Westerwelle, nicht regieren. Sie jedenfalls werden nicht in
die Lage kommen zu regieren. Ich bin mit der rot-grünen
Koalition im Großen und Ganzen zufrieden.
({44})
Es könnte zwar manchmal einfacher sein.
({45})
Aber unterschiedliche Parteien haben auch unterschiedliche Positionen.
({46})
Herr Kollege Westerwelle, Sie haben bei Ihren Ausführungen zur Steuerpolitik den inzwischen verstorbenen Kollegen Stoltenberg, den ich sehr geachtet habe, seit
ich mit ihm im Haushaltsausschuss zusammengearbeitet
habe
({47})
- entschuldigen Sie, darf man hier so etwas nicht mehr sagen? -,
({48})
und den Kollegen Graf Lambsdorff bemüht und gesagt
- Herr Solms, ich glaube, Sie sind auch noch auf der
Rednerliste; Sie würden einen solchen Satz sicherlich
nicht sagen -, das Vorziehen der mit der Steuerreform für
2005 vorgesehenen Steuersenkungseffekte - Ihr Vorschlag würde Steuermindereinnahmen in Höhe von zusätzlich etwa 50 Milliarden bedeuten - finanziere sich
von selbst. Das ist, mit Verlaub gesagt, gnadenloser Unsinn.
({49})
Eine Steuerreform mit einem Entlastungsvolumen von
50 Milliarden finanziert sich nicht selbst. Das wird Ihnen
sogar Herr Merz, der auch ein bisschen davon versteht,
bestätigen. Das gibt es nirgendwo. Das ist auch damals bei
Stoltenberg und Lambsdorff nicht so gewesen. Da sind
Sie auf dem falschen Dampfer.
Wenn Sie aber eine solche Steuerreform wirklich vorziehen wollen, dann muss ich Sie darauf hinweisen, dass
Sie eine solche Steuerreform mit den damit verbundenen
Steuerausfällen nur noch finanzieren können, indem Sie
die Nettokreditaufnahme erhöhen. Das ist also das alte
Thema der Verschuldung. Wir gehen nicht wieder in die
Schuldenfalle; denn aus der sind wir gerade herausgekommen. Wir wollen keine Erhöhung der Nettokreditaufnahme.
({50})
Der Bundeskanzler hat der Opposition die Frage gestellt, was sie anders machen würde. Frau Merkel wird sicherlich darauf entsprechend antworten. Ich möchte der
Frage des Bundeskanzlers noch ein paar Fragen hinzufügen. Sie, Frau Merkel, hatten gefordert, dass man die
Ökosteuer ganz abschaffen solle. Daraufhin hat die
CDU/CSU-Fraktion erklärt: Nein, es sollen nur die Stufen
2002 und 2003 entfallen. Die Abschaffung der Ökosteuer
würde Steuerausfälle in Höhe von 82,6 Milliarden DM
bedeuten. Die Forderung der CDU/CSU-Fraktion würde,
wenn man ihr nachkommen würde, 15,7 Milliarden DM
kosten und würde dazu führen, dass der Rentenversicherungsbeitrag nicht bei 19,1 Prozent, sondern bei 20,6 Prozent liegen würde. Es ist unser Erfolg, dass der Rentenversicherungsbeitrag bei 19,1 Prozent und nicht bei über
20 Prozent liegt.
({51})
Dann haben die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und
die Kollegen aus Baden-Württemberg und Hessen gefordert, dass den Ländern und den Kommunen ein Anteil an
den UMTS-Milliarden zustehen solle, und zwar sowohl
an den Verkaufserlösen als auch an den Zinsersparnissen.
Das würde, wenn man dieser Forderung entsprechen
würde, den Bund zusätzlich 60 Milliarden DM kosten.
Des Weiteren fordern die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
und die Kollegen aus Thüringen ein Sonderprogramm
Ost. Dies würde 40 Milliarden DM kosten. Sie stellen
Forderungen zur Rentenreform, die Kosten in Höhe von
39,1 Milliarden DM verursachen würden. Sie wollen den
Bundeswehrhaushalt erhöhen. Das überrascht mich,
weil ich gestern gehört habe, dass Herr Stoiber, Frau
Merkel und Herr Schäuble auf einer Pressekonferenz erklärt haben, sie wollten langfristig die Bundeswehr abschaffen. Wieso dann der Haushalt allerdings noch erhöht
werden soll, müssen Sie mir erst noch erklären.
({52})
Rechnet man alles zusammen, was Sie gefordert haben, kommen Mehrausgaben in Höhe von 433 Milliarden DM zustande.
({53})
- In Worten: vierhundertdreiunddreißig Milliarden DM.
({54})
Das ist unseriös, das kann man mit unserem Land nicht
machen und das werden wir mit unserem Land auch nicht
machen.
({55})
Ich komme zu den Aufgaben, die zur Bewältigung der
schwierigen Arbeitsmarktlage erfüllt werden müssen. Sie
hatten ja darum gebeten, dass ich dazu etwas sage. Erstens. Ihnen scheint die Bedeutung des Job-Aqtiv-Gesetzes noch nicht klar zu sein.
({56})
- Ja, das ist in manchen Beiträgen deutlich geworden. Wenn in den Arbeitsämtern 3 000 zusätzliche Vermittler
eingestellt werden und wenn für jeden einzelnen Arbeitslosen ein Vertrag geschlossen wird, der ihn ganz gezielt
wieder in den ersten Arbeitsmarkt bringen soll, dann wird
dieses Gesetz unter der Überschrift „Fördern und Fordern“ Erfolg haben, meine Damen und Herren.
({57})
Zweitens. Wir werden zu prüfen haben, was wir mit
nicht verbrauchten Mitteln aus dem Bundeshaushalt 2001
tun. Ich bedaure sehr - dies sage ich hier auch noch einmal öffentlich -, dass die Bahn trotz der Bereitstellung
von 2 Milliarden DM
({58})
allein aus den Zinsersparnissen durch die UMTS-Erlöse
nicht in der Lage war, diese Mittel voll zu verbrauchen. Es
hätte mehr Wachstumsimpulse geben können.
({59})
Drittens. Weil hier mehrfach von Konjunkturprogrammen geredet wurde, sage ich Ihnen aber auch: Was ist
denn unser Zukunftsinvestitionsprogramm anderes als
ein Konjunkturimpuls? In den Jahren 2002 und 2003
({60})
und nach meiner Vorstellung auch in den nachfolgenden
Jahren - darüber müssen wir noch entscheiden - geben
wir für Maßnahmen bei der Schiene und bei der Straße
jährlich 1,5 Milliarden Euro aus,
({61})
für Forschung und Bildung 300 Millionen Euro, für die
Altbausanierung 200 Millionen Euro, für Energieforschung 50 Millionen Euro und 0,5 Milliarden Euro zusätzlich im Zusammenhang mit BAföG-Förderung und
Verkehr. Das ist wachstumsfördernd. Ich bin ferner sehr
dafür, dass sich die Länder und Gemeinden in Deutschland darauf einrichten, dass im Jahre 2002 für das Jahr
2003 vorgesehene Investitionen vorgezogen werden
könnten, um insbesondere der Bauindustrie Impulse zu
geben.
Viertens. Wir haben ein Programm „Städtebauförderung Ost“ vorgelegt. In diesem Zusammenhang gehe ich
auf den Kollegen Claus ein: Ich empfinde es schon als
schlimm, wie Sie hier argumentieren. Sie ignorieren völlig, was wir für den Osten in diesem Haushalt zusätzlich
getan haben. Der Aufbau Ost ist nach wie vor Chefsache.
({62})
Ich bin nun auf die Rede meiner Nachfolgerin an diesem Pult, Frau Merkel, sehr gespannt. Ihnen allen, meine
Damen und Herren, möchte ich nur sagen: Wenn man, wie
wir in den letzten Wochen, in einer schwierigen außenpolitischen Situation ist und wenn man in einer schwierigen
wirtschaftlichen Situation ist, die ja niemand bestreitet,
dann kommt es auf Kontinuität und auf Kurshalten an.
Diese Bundesregierung wird unsere volle Unterstützung
finden.
({63})
Ich erteile nun der
Kollegin Dr. Angela Merkel für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren!
({0})
Herr Bundeskanzler, ich habe Ihnen heute Morgen zugehört und habe aufmerksam verfolgt, was Sie gesagt haben,
({1})
und vor allen Dingen, wie Sie es gesagt haben.
Ich kann das nur so zusammenfassen: Was Sie hier vorgetragen haben, war keine Rede, sondern eine einzige
Ausrede.
({2})
Die Rede war eine Ausrede, beleidigend, selbstgerecht,
rechtfertigend und ohne einen einzigen neuen Gedanken
für die vor uns liegenden Jahre.
({3})
Es war ein Offenbarungseid. Das allerschlimmste ist, dass
die Rede über die Köpfe der Menschen hinwegging. Es
war überhaupt keine Rede an die 80 Millionen Menschen
in Deutschland, die von Ihnen Antworten auf die Fragen
verlangen, die sie bewegen.
({4})
Wir werden nicht alles anders, aber vieles besser machen. Daran werden wir uns halten.
({5})
So lautete Ihre Regierungserklärung.
({6})
In der Koalitionsvereinbarung stand dann:
Der Abbau der Arbeitslosigkeit ist das oberste Ziel
der neuen Bundesregierung. Hierin liegt der Schlüssel zur Lösung der wirtschaftlichen, finanziellen und
sozialen Probleme.
Sie haben auf der zentralen Maikundgebung des Jahres
2000 in Hannover das Ziel im Hinblick auf den Abbau
der Arbeitslosigkeit konkretisiert.
({7})
Sie sprachen von 3,5 Millionen Arbeitslosen als Ihrem
Ziel. Diese Aussage war scheinbar ohne jedes Risiko, denn
Sie wussten ja, dass Jahr für Jahr mehr als 200 000 Menschen mehr aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden, als in ihn
hineingehen.
({8})
Da wir im Jahr 1998 3,89 Millionen Arbeitslose hatten, müssten wir heute, im Jahr 2001, 600 000 weniger haben, also 3,29 Millionen Arbeitslose. Darauf haben Sie
gesetzt und gehofft. Das wäre auch vernünftig gewesen,
wenn Sie eine vernünftige Politik gemacht hätten.
Wo stehen wir heute? Wie ist die Realität? - Wir haben
im Oktober 2001 über 3,7 Millionen Arbeitslose. Die Tendenz ist dabei steigend. Der Bundesfinanzminister hat
gestern selbst von über 4 Millionen Arbeitslosen Anfang
des nächsten Jahres gesprochen.
Eines kommt noch hinzu: Ich finde es sehr inhuman,
dass Sie diejenigen, die 58 Jahre alt sind und auf dem Arbeitsamt unterschreiben, dass sie nicht mehr auf Vermittlung hoffen, aus Ihrer Statistik bereits herausgerechnet haben. Sie müssten eigentlich hinzugezählt werden. Damit
wäre die Zahl der Arbeitslosen heute noch höher.
Außerdem haben in diesem Lande am heutigen Tage
15 Prozent der Menschen akute Angst um ihren eigenen Job.
260 000 Stellen im Handwerk werden in diesem und im
nächsten Jahr verloren gehen, die Post entlässt 14 000 Menschen, Siemens 10 000, Opel 6 000, die Banken 15 000.
So könnte diese Liste fortgesetzt werden.
({9})
Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass die Stimmung bei der Wirtschaft und bei den Verbrauchern im Oktober auf einem Achtjahrestief angelangt war.
({10})
Die voraussichtlich 33 000 Insolvenzen in diesem Jahr
stellen einen Rekord dar, wie es ihn in Deutschland niemals gab.
({11})
HerrBundeskanzler, sooftSieesauchversuchenwerden,
wir werden nicht zulassen, dass Sie zu der Erklärung Zufluchtnehmen,diesalles seidasErgebnisdes11.September.
({12})
Der 11. September hat in der Tat die Lage in der Welt verändert. Es war richtig und Sie haben unsere Unterstützung
dafür bekommen, dass wir in uneingeschränkter Solidarität die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen,
weil die Terroranschläge ein Angriff auf unsere eigene Lebensordnung waren.
Meine Damen und Herren, Sie haben dann, als den Solidaritätsbekundungen Taten folgen sollten, gezeigt, in
welche Lage Sie sofort kommen. Als die erste aktive Hilfeleistung für die Vereinigten Staaten von Amerika notwendig wurde, haben Sie dieses Land fast in eine Regierungskrise gestürzt.
({13})
Herr Bundeskanzler, es lag weniger an den Grünen,
dass Sie die Vertrauensfrage stellen mussten, sondern eher
daran, dass Sie kaschieren mussten, dass 18 Mitglieder Ihrer eigenen sozialdemokratischen Fraktion nicht bereit
waren, Ihnen in der Sache zu folgen.
({14})
Man konnte in der folgenden Woche sehr deutlich
spüren, wie Sie Gefallen an dem Gedanken an eine Neuwahl fanden. Ich bin zufrieden, dass die Grünen Ihnen
diesen Gefallen nicht getan haben.
({15})
- Ja, ja. - Ich bin zufrieden, nicht deshalb, weil wir Angst
hatten,
({16})
sondern deshalb, weil wir seit diesem Tag eines wissen
- Herr Struck, da können Sie so viel lachen, wie Sie wollen -: Dieser Bundeskanzler zittert vor dem 22. September 2002. Das ist die Wahrheit.
({17})
Wir haben Ihnen weit vor dem Sommer vorausgesagt,
und zwar zusammen mit vielen Sachverständigen, dass
das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr weit unter den
Prognosen liegen wird. Wir wissen jetzt, dass wir im dritten Quartal zum ersten Mal eine Rezession haben und
dass das Wirtschaftswachstum auf keinen Fall höher als
0,7 Prozent sein wird. Die Prognosen für das nächste Jahr
sehen ähnlich schlecht aus. Das ist - da bitte ich Sie nun
wirklich, auch auf die Sprache zu achten - keine Wachstumspause, sondern ein Schrumpfungsprozess. Dem muss
etwas entgegengesetzt werden.
({18})
Nun erklären Sie uns seit Jahr und Tag, seit Wochen
und Monaten, Sie machten das schon mit ruhiger Hand.
({19})
Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Sie machen für die Bedürfnisse der Menschen in diesem Lande keinen Finger
krumm. Die Menschen erwarten keine starre, ruhige
Hand, sondern sie erwarten von Ihnen zwei Hände, die
kräftig zupacken und die Probleme dieses Landes lösen.
({20})
Wie ist der Befund? Wir haben den letzten Platz in Europa, was das Wirtschaftswachstum angeht.
({21})
Natürlich hängen in einer globalen Wirtschaftsgesellschaft alle Prozesse mit allen zusammen, meine Damen
und Herren,
({22})
aber Sie können niemandem - den Menschen in Deutschland nicht, den Iren, Briten und Franzosen auch nicht - erklären, warum ausgerechnet das größte Land in Europa
den letzten Platz einnimmt.
({23})
Nun ist es richtig, Herr Bundeskanzler, dass wir in einer Zeit großer Veränderungen leben.
({24})
Wir wissen, dass Deutschland am Anfang des 21. Jahrhunderts vor völlig neuen Herausforderungen steht,
({25})
weil die Globalisierung unsere Welt verändert.
({26})
Wir wissen, dass die Informations- und Kommunikationstechnologien die Prozesse schneller und transparenter
gemacht haben.
({27})
Deshalb ist unsere Aufgabe doch die, in der Bundesrepublik Deutschland zu versuchen, das, was wir über Jahrzehnte gehabt haben, nämlich eine gerechte Gesellschaft,
in der die soziale Marktwirtschaft die gesellschaftliche
Ordnung war, auf das 21. Jahrhundert zu übertragen. Das
ist die Aufgabe. An der müssen Sie arbeiten.
({28})
Um das zu schaffen, müssen Sie zunächst einmal einen
Maßstab haben, einen Ordnungsrahmen, eine Vorstellung
davon, in welche Richtung Sie gehen wollen.
({29})
Das hat etwas damit zu tun, welche Vorstellung Sie von
den Menschen haben, ob Sie glauben, dass man die Menschen ewig regulieren, einschränken und drangsalieren
muss, oder ob Sie die Kraft haben, den Menschen in diesem Land etwas zuzutrauen, was unsere Antwort ist.
({30})
Wir trauen den Menschen etwas zu
({31})
und das bestimmt unsere Politik.
({32})
Jetzt schauen wir uns doch mal die Realität an, die Sie
nach drei Regierungsjahren vorzuweisen haben! Sie sagen richtigerweise: Nachhaltigkeit lässt sich nicht auf
Umweltpolitik beschränken; Nachhaltigkeit muss es auch
in der Finanzpolitik geben.
({33})
Das ist keine neue Erkenntnis.
({34})
Diese Erkenntnis stammt aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt für Europa, der unter Finanzminister Theo
Waigel beschlossen worden ist. Das war die Voraussetzung für die Einführung des Euro. Das ist die Wahrheit.
({35})
Dann haben Sie 1998 die Regierung übernommen.
({36})
Jetzt fragen wir doch einmal nach einer Kennziffer, nach
einer wirklich aussagekräftigen Kennziffer, die uns Auskunft darüber gibt, in welchem Umfang wir denn auf Kosten der Kinder und Enkel leben. Da ist, glaube ich, das
Staatsdefizit die Größe, über die wir uns klar werden
müssen. Das Staatsdefizit ist nämlich die Verschuldung
von Bund, Ländern, Gemeinden und sozialen Sicherungssystemen.
Lieber Herr Eichel, Sie haben ein Staatsdefizit von
1,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts übernommen. In
diesem Jahr haben Sie ein Staatsdefizit von 2,5 Prozent,
wenn es gut geht; sonst 2,7 Prozent. Nächstes Jahr geht es
wahrscheinlich an den Wert von 3,0 Prozent heran. Das ist
die Wahrheit. Das ist das Leben auf Kosten der Kinder
und Enkel.
({37})
Sie haben uns gestern mit dem lebensnahen Beispiel
eines Haushalts konfrontiert, der auf Kante genäht sei. Da
ich ab und zu nähe,
({38})
kommt mir da wirklich das kalte Grausen, Herr Eichel.
Ich kann nur sagen: Bei dem Stoff, den Sie verwenden,
und bei Ihrer Qualität wird der Haushalt ausgefranst und
nicht auf Kante genäht bleiben. Das ist die Voraussage.
({39})
Herr Eichel, ich stelle hier nur einmal die Frage in den
Raum:
({40})
Ist Ihre Annahme für den Haushalt im nächsten Jahr,
1,25 Prozent Wachstum, wirklich gerechtfertigt oder haben Sie nicht schon von IWF, OECD und Europäischer
Kommission vielleicht ganz andere Signale, sodass es
wieder auf Optimismus und nicht auf Realitätssinn gestrickt ist?
({41})
Es wird schon recht interessant, wenn man für das Minus von 2,5 Prozent eine Erklärung sucht. Herr Struck hat
neulich in einer öffentlichen Fernsehsendung, von der
heute schon die Rede war, gesagt, das schlechte Wirtschaftswachstum liege an der fehlenden Investitionskraft
der Kommunen.
({42})
Recht hat er. Es liegt in der Tat an der fehlenden Investitionskraft der Kommunen, weil nämlich die Finanzpolitik von Herrn Eichel klassisches sozialdemokratisches
Werk ist: die Zentrale stärken, seinen eigenen Haushalt
schön machen,
({43})
um anschließend alle Lasten auf die Kommunen zu verschieben.
({44})
Das ist die Art und Weise, in der Politik gemacht wird.
({45})
Meine Damen und Herren, es ist schon abenteuerlich.
Es wurde heute schon von den UMTS-Lizenzen gesprochen. Sie haben eben indirekt zugegeben, dass den Kommunen 60 Milliarden zukommen müssten, weil sie die
Steuermindereinnahmen haben.
({46})
Was Herr Eichel und was insgesamt diese Bundesregierung mit der Telekom gemacht hat,
({47})
wird eines Tages noch Gegenstand vieler Betrachtungen
sein. Erst die Aktienkurse hochtreiben und anschließend
durch ein hohes Bietungsverfahren bei den UMTS-Lizenzen die Telekom schädigen, was die Investitionskraft und
die Erneuerungsfähigkeit in einem wichtigen zukunftsträchtigen Gebiet maximal schwächen wird. Ich sage es
Ihnen voraus.
({48})
Sie haben durch die Steuerreform die Kommunen geschwächt, Sie haben sie durch die UMTS-Lizenzen geschwächt, Sie haben sie durch die Kindergelderhöhung
geschwächt, sie haben sie durch zusätzliche Sozialhilfekosten geschwächt.
({49})
- Bleiben Sie doch mal ganz ruhig.
Nun ist ja die neueste Erklärung, es liege alles am Osten.
({50})
Ich erinnere Sie noch einmal an Ihre Koalitionsvereinbarung. Sie haben damals gesagt:
Die neue Bundesregierung will die deutsche Einheit
vollenden. Deshalb werden wir alle Kraft darauf
richten, die soziale und ökonomische Spaltung zwischen Ost und West zu überwinden.
Tatbestand ist, dass die Schere auseinander gegangen ist,
dass das Wirtschaftswachstum in den neuen Bundesländern geringer ist als in den alten Bundesländern. Tatsache
ist, dass Ihre Investitionsquote im Bundeshaushalt die
niedrigste seit Jahren ist und damit Investitionen in den
neuen Bundesländern nicht ausreichend stattfinden.
({51})
Tatsache ist, dass Sie, Herr Bundeskanzler, jetzt insbesondere die Bauindustrie dafür verantwortlich machen,
dass Deutschland den letzten Platz im Wirtschaftswachstum in Europa hat.
({52})
- Er hat gesagt, wir könnten 0,7 Prozent mehr Wachstum
haben, wenn wir nicht die Schwierigkeiten in der Bauindustrie hätten. Wozu eigentlich ist Politik da, wenn sie
nicht dem Anspruch gerecht wird, schwierige Situationen
zu meistern?
({53})
- Ja, Herr Bundeskanzler, jetzt, jetzt. Ich kann Ihnen sagen, was jetzt ist. Sie haben unter großer öffentlicher Begleitung vor vielen Kameras eine Rettungsaktion für
Philipp Holzmann gestartet,
({54})
aber Sie haben sich überhaupt nicht für Tausende von mittelständischen Bauunternehmen interessiert, die insbesondere in den neuen Bundesländern Schwierigkeiten haben.
({55})
Ich fordere Sie nachdrücklich zu einer Politik auf, bei der
Ihnen jeder Bauarbeiter in Deutschland gleich viel wert
ist. Das ist die Aufgabe, die Sie zu lösen haben.
({56})
Außerdem planen Sie - das wird der ostdeutschen Bauwirtschaft den Rest geben - ein Tarifvertragstreuegesetz. So, wie sich das anhört, kann das erst einmal keiner
verstehen. Jeder in Deutschland muss wissen: Ein solches
Gesetz bedeutet, dass kein ostdeutscher Bauunternehmer
mehr Zugang zu einem öffentlichen Auftrag im Westen
bekommen wird,
({57})
weil alle ostdeutschen Bauarbeiter weniger als ihre westdeutschen Kollegen verdienen, da man nach örtlichem Tarif bezahlen muss.
({58})
- Sie können so viel schreien, wie Sie wollen: Das ist das
größte Ausgrenzungsgesetz, das es bezüglich der Bauwirtschaft gibt.
({59})
Sie haben gesagt, dass Sie die Steuern und Abgaben
senken sowie die Lohnnebenkosten - auch das wollen wir
nicht vergessen - unter 40 Prozent drücken wollen.
({60})
In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gab es
mehrere Steuerreformen. Ich bin Gerhard Stoltenberg
noch im Nachhinein dankbar, dass er damals mit ordnungspolitischem Sachverstand eine Steuerreform durchgeführt hat, die große Entlastungen gebracht hat.
({61})
In Ihrer Koalitionsvereinbarung steht, dass Sie die gezielte Förderung von Handwerkern, von kleinen und
mittelständischen Unternehmen und von Existenzgründungen wollen.
({62})
Die von Ihnen durchgeführte Steuerreform hat das glatte
Gegenteil bewirkt:
({63})
die - richtige - gezielte Förderung von Kapitalgesellschaften und die Benachteiligung des Mittelstandes und
der kleinen Unternehmen. Das ist die Realität.
({64})
Ich weiß doch, dass Sie immer wieder mit dem kleinen
Unternehmer kommen, der gar keinen Angestellten hat
und eine Frau, die nicht arbeitet. Sie sprechen von einem
Einkommen in Höhe von 100 000 DM, von Steuerfreibeträgen und verweisen darauf, dass die Entlastung für einen solchen Unternehmer ganz besonders groß sei.
({65})
Das charakterisiert doch nicht den Mittelstand in
Deutschland. Der Mittelstand in Deutschland muss investieren. Das Einkommen der meisten mittelständischen
Unternehmer liegt bei mehr als 100 000 DM und deshalb
sind die meisten benachteiligt und werden nach Ihrem
Modell bestenfalls 2005 vernünftig behandelt. Das ist die
Wahrheit.
({66})
Herr Bundeskanzler, es gibt inzwischen - das ist das
Bedauerliche - eine weitere Antwort der Bundesregierung auf die Schwierigkeiten der Weltwirtschaft. Diese
Antwort heißt Steuererhöhungen. Außer Deutschland
gibt es kein einziges Land, dass auf die schwierige Lage
mit Steuererhöhungen antwortet. Bei uns in Deutschland
gibt es die spannende Quizfrage: Wie viel Steuern werden
zum 1. Januar 2002 erhöht - drei oder vier? Die richtige
Antwort heißt drei; denn die Schwefelsteuer wurde schon
zum 1. November erhöht. Ökosteuer, Tabaksteuer, Versicherungsteuer und zum 1. November die Schwefelsteuer - vier Steuererhöhungen in Deutschland in einer
schwierigen Lage. Das ist genau die falsche Antwort auf
das, was zu tun ist.
({67})
Sie entfernen sich in atemberaubendem Tempo von
dem von Ihnen vorgegebenen Ziel, die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent zu senken. In Ihrer Koalitionsvereinbarung steht zu Recht, dass die Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit der Schlüssel zur Senkung der Lohnnebenkosten ist. Das ist natürlich richtig. Auch deshalb ist
es so dramatisch, dass Ihre gesamte Arbeitsmarktpolitik
als gescheitert angesehen werden muss. Herr Bundeskanzler, das sagen doch nicht nur wir. In von Ihnen bestellten Gutachten - auch Herr Schlauch hat es heute übrigens gesagt - heißt es, dass in kaum einem anderen Land
der Welt der Ertrag, der Aufwand und das Verhältnis zwischen diesen beiden Größen so schlecht wie in der Bundesrepublik Deutschland sind.
({68})
Diese Auffassung ist allgemein gültig und sie wird im
Übrigen auch von den Grünen vertreten.
Was sagen Sie dazu, Herr Bundeskanzler? Sie haben
heute an dieser Stelle gesagt, unsere Vorschläge zur Änderung des Kündigungsschutzes seien wirklich inakzeptabel.
({69})
Was haben wir im Hinblick auf den Kündigungsschutz
vorgeschlagen? Wir haben insbesondere vorgeschlagen,
dass ältere Arbeitnehmer entweder den normalen Kündigungsschutz oder eine Abfindung vereinbaren können.
Wenn ein 54-Jähriger, ein 55-Jähriger oder ein 57-Jähriger fragt: „Ich möchte gerne arbeiten und ich bin bereit,
eine solche Abfindung zu vereinbaren; aber ich darf es
nicht, weil die Sozialdemokraten das für inhuman halten - warum ist das so?“, dann kann ich, wie die meisten
anderen Menschen, keine vernünftige Antwort geben.
({70})
- Das ist nicht absoluter Quatsch.
({71})
Es ist zwar möglich, dass der Bundeskanzler absoluten
Quatsch geredet hat; aber ich nehme nicht an, dass das so
ist.
Auf das, was ich beschrieben habe, kommen Sie
zurück. Sie haben sich immer irgendwann der Realität angepasst. Das Dumme ist nur, dass es Deutschland viel gekostet hat.
({72})
Meine Damen und Herren, wer glaubt, durch einen Appell an die Arbeitgeber würden die Überstunden abgebaut,
und wer gleichzeitig immer mehr Hürden im Bereich des
Kündigungsschutzes und der Zeitarbeitsplätze errichtet,
der wird nicht das erreichen, was wir in Deutschland erreichen könnten, nämlich weniger Arbeitslose und mehr
Menschen in Arbeit. Das ist unser Ziel und das bleibt auch
unser Ziel.
({73})
- Dazu komme ich gleich.
Sie haben ein bürokratisches 630-DM-Gesetz gemacht. Eben hat zu meinem großen Erstaunen und auch
mit meiner Unterstützung Herr Schlauch gesagt, man
müsse im Niedriglohnbereich etwas machen. Jawohl! Wir
haben in Deutschland das Problem, dass nach den
630 DM sofort die volle Lohnnebenkostenbelastung auf
die niedrigen Löhne kommt. Das betrifft nicht wenige
Menschen. 7 Millionen Menschen in Deutschland haben
eine Arbeit, bei der sie unter 1 800 DM verdienen. Es stellt
sich also die Frage, wie wir Beschäftigungsbereiche eröffnen und personenbezogene Dienstleistungen besser anbieten können. Was haben Sie gemacht? Sie haben das so
genannte Dienstmädchenprivileg abgeschafft, was nichts
anderes heißt, als dass haushaltsbezogene Hilfeleistungen
die Familien in Zukunft noch teurer kommen werden. Das
ist die Wahrheit in diesem Bereich.
({74})
Angesichts dessen ist es doch nicht verwunderlich, dass
in Deutschland nur eines wächst: die Schwarzarbeit. Die
Schwarzarbeit wächst dreimal schneller als die Wirtschaft. 658 Milliarden DM gehen in die Schwarzarbeit und
kommen den Sozialkassen nicht zugute. Was sagt Herr
Riester? Wenn Herr Riester kein neues Gesetz macht, sagt
er: Man muss mehr kontrollieren. Dazu kann ich Ihnen aus
meiner 35-jährigen Praxiserfahrung in der früheren DDR
sagen: Sie können hinter jeden, der arbeitet, noch einen
stellen, der kontrolliert; zum Schluss ist derjenige, der arbeitet, den ganzen Tag nur noch damit beschäftigt, den
Kontrolleur auszutricksen. Das ist die Realität.
({75})
Sie müssen Anreize setzen. In diesem Lande muss
durchgesetzt werden, dass der, der arbeitet, mehr hat, als
der, der nicht arbeitet, und dass sich Leistung wieder
lohnt.
({76})
Das ist die Aufgabe.
({77})
Wir haben Konzepte, wie man die Kinder aus der Sozialhilfe bringt. Es ist nicht in Ordnung - darüber sind wir
uns wohl einig -, dass 1 Million Kinder von der Sozialhilfe abhängig sind. Es ist nicht in Ordnung, dass die Entscheidung für Kinder dazu führen kann, dass man in die
Sozialhilfe kommt. Genau deshalb haben wir gesagt, dass
wir ein Familiengeld einführen.
({78})
Dann wird es sich für den Familienvater oder die Familienmutter wieder lohnen, im unteren Lohnbereich jeden
Tag zur Arbeit zu gehen. Heute stellen sie am Monatsende
fest, dass diejenigen, die von Sozialhilfe leben, mehr haben, als die, die erwerbstätig sind. Das darf nicht sein und
das wird mit unserem Familiengeld nicht passieren.
({79})
Wir haben Konzepte entwickelt, um die Behinderten
aus der Sozialhilfe zu holen. Dann haben wir eine Gruppe
von Menschen in der Sozialhilfe, zu denen man sagen
kann: Wer immer arbeiten kann, muss der Arbeit nachgehen; wer das nicht tut, muss bestraft werden. Das ist die
Grundaussage.
({80})
Meine Damen und Herren, in dieser Arbeitsmarktlage erinnere ich Sie noch einmal an Ihre Aussage in der
Koalitionsvereinbarung: Wir wollen
den Staat modernisieren, indem wir die Verwaltung
bürgernäher gestalten und überflüssige Bürokratie
abbauen, ...
Heute schätzen Sachverständige, die mit der CDU/CSU
überhaupt nichts zu tun haben, dass Sie den Betrieben in
Deutschland insgesamt über 60 Milliarden DM Verwaltungskosten aufgebürdet und nichts abgebaut haben. Das
ist die Wahrheit.
({81})
Deshalb sagen wir, Herr Bundeskanzler: Ja, wir werden das Gesetz über die Scheinselbstständigkeit abschaffen. Ja, wir werden bei den 630-Mark-Jobs etwas ändern.
Ja, wir glauben, dass man anders als mit einem Rechtsanspruch Menschen, die Kinder erziehen oder Alte pflegen,
die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit geben muss.
({82})
Denn dieser führt faktisch dazu, dass junge Frauen gar
nicht mehr eingestellt werden, weil Arbeitgeber Angst haben, dass sich dieser Anspruch gegen sie auswirken
könnte. Das ist doch die Realität.
({83})
Wir werden das Betriebsverfassungsgesetz nicht abschaffen - um hier gleich jedem Irrtum vorzubeugen -,
aber wir werden ein Betriebsverfassungsgesetz erstellen,
durch das die betriebliche Ebene und nicht die
gewerkschaftliche Zentrale gestärkt wird,
({84})
weil wir nicht wollen, dass es jedes Mal so ein Affentheater gibt, wenn gute Initiativen, wie die Initiative 5 000 mal
5 000 bei VW, unternommen werden, und die IG Metall
diese über Wochen und Monate verzögern kann. Man
muss rechtlich klarstellen, dass so etwas nicht geht. Das
werden wir im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tun.
({85})
Meine Damen und Herren, die Diskussion um Zuwanderung haben Sie nun in die Gemengelage von
4 Millionen Arbeitslosen auf dem deutschen Arbeitsmarkt hereingebracht. Ich bitte Sie hier wirklich um
ein bisschen Sensibilität. Auch wir wollen ein Konzept
für Zuwanderung und den Wettbewerb um die besten
Köpfe, die von Herrn Struck so genannten „high potentials“. Die Wahrheit ist aber, Herr Struck, dass dieses Gesetz mitnichten - das wird Ihnen der Bundesinnenminister sofort bestätigen - auf den Wettbewerb um die besten
Köpfe beschränkt ist. Es geht hier um Arbeitsmigration in
weiten Bereichen. Der Bundesinnenminister schreibt genau das auf Seite 144 seiner Begründung zu dem Gesetzestext:
dass im Gegensatz zum geltenden Ausländergesetz
nicht länger eine übergeordnete, ausländerpolitisch
einseitige Grundentscheidung der Zuwanderungsbegrenzung bestehen soll.
Das ist Ihre Aussage.
({86})
Deshalb wird dieses Gesetz zwar zu mehr Zuwanderung,
({87})
aber nicht unbedingt zu Zuwanderung führen, die in unserem Interesse ist. Deshalb halten wir die Steuerungsmechanismen nicht für ausreichend. Das ist unser Argument.
({88})
Wir können diese Zuwanderungsregelungen nun wirklich nicht unabhängig von der augenblicklichen Lage auf
dem deutschen Arbeitsmarkt betrachten.
({89})
Ihr Job-Aqtiv-Gesetz ist völlig ineffizient, durch das
Jugendarbeitslosigkeitsprogramm JUMP sind maximal
30 Prozent der Betroffenen in eine Arbeit vermittelt worden. Nirgendwo sonst werden die Gelder so ineffizient
ausgegeben.
(Joachim Poß [SPD]: Sie haben überhaupt
kein Programm gehabt!
Sie aber wollen Arbeitsmigration durch die regionalen Arbeitsämter ermöglichen. Das machen wir nicht mit und
lassen wir nicht zu. Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu
machen.
({90})
Herr Bundeskanzler, geradezu bemerkenswert war ja
nun, dass das Wort Rente und das Wort Gesundheitspolitik während Ihrer 50-minütigen Rede nicht einmal fielen.
({91})
Wissen Sie, wie viele Menschen sich in Deutschland um
die Frage der Renten Gedanken machen? Können Sie
sich noch erinnern, dass Sie im Wahlkampf 1998 gesagt
haben, der demographische Faktor sei unanständig? Damit das klar ist: Sie haben, wo immer Sie konnten, an den
Realitäten vorbeigehetzt.
({92})
Sie wussten, dass die Menschen in Deutschland älter
werden,
({93})
und haben sich einfach dagegen gesträubt, dies anzuerkennen.
({94})
- Wissen Sie, Ihre kleinen Scherze: Sie müssen immer daran denken, dass hier Rentnerinnen und Rentner am Fernsehapparat sitzen. Sie schauen darauf, was aus ihrer Rente
wird.
({95})
- Passen Sie einmal auf: Dass der Bundeskanzler im
Wahlkampf gesagt hat, dass der demographische Faktor
unanständig sei, ist verbrieft und versiegelt und nicht einmal der Bundeskanzler selber wird irgendetwas dagegen
sagen.
({96})
Später hat er dann gesagt, dass er dabei bleiben will,
und ist zur Anpassung entsprechend der Inflationsrate
übergegangen. Die Renten wurden aber nur um 0,6 Prozent erhöht, obwohl die Inflationsrate bei 1,8 Prozent lag.
Dass schließlich Herr Riester nach einem ausgesprochen
instruktiven Kreisungsprozess bei einer mathematischen
Formel angekommen ist, die in etwa dem demographischen Faktor entspricht, aber niemals mit diesem Begriff
bezeichnet werden darf, ist auch wahr und verbrieft und
wurde mit Ihren Stimmen abgesegnet. So verhielt es sich
bei der Rente.
({97})
Herausgekommen ist dabei eine Rentenreform, die einigermaßen erträglich ist für den Eckrentner und den gewerkschaftlich Organisierten, aber völlig unerträglich für
Frauen, für diejenigen, die in Teilzeit arbeiten, und diejenigen, die nicht organisiert sind. Das ist die Wahrheit.
({98})
Damit sind wieder ein Stück weit gerade die Familien,
diejenigen, die Erziehungsleistungen übernehmen, die
Verliererinnen der Rentenreform,
({99})
wie sie überhaupt die Verliererinnen Ihrer Politik sind.
Sie haben von der Kindergelderhöhung gesprochen.
Die Kindergelderhöhung zum 1. Januar 2002, die Sie bedauerlicherweise den dritten, vierten und fünften Kindern
nicht zukommen lassen,
({100})
sondern nur dem ersten und zweiten Kind, wie es das Verfassungsgericht verlangt hat, wird am selben Tag durch die
Erhöhung der Ökosteuer und durch die Abschaffung der
Beihilfen für Haushaltskräfte konterkariert und wird die
Familien zum Schluss nicht besser, sondern eher schlechter stellen, als dies am 31. Dezember 2001 der Fall ist.
({101})
Das trübste Kapitel Ihrer Politik ist die Gesundheitspolitik. Ich glaube, da sind wir uns alle einig.
({102})
Ich gebe zu, dass das ein schwieriges Feld ist. Aber dass
Sie all das, was wir dazugelernt haben, auf dem Rücken
der deutschen Kranken noch einmal falsch gemacht haben, indem Sie Ansprüche der Versicherten, die wir abgeschafft haben, zunächst wieder eingeführt haben, um sie
nun wieder abzuschaffen, das ist schlimm.
({103})
Bis zum heutigen Tag haben Sie überhaupt keinen ordnungspolitischen Grundansatz hinsichtlich der Beantwortung der Frage, wie Sie die Gesundheitsreform bewältigen
wollen. Der Einzige, der einen solchen hat, ist Wirtschaftsminister Müller. - Er hat das Plenum schon verlassen; wahrscheinlich hat er sehr viel Ärger wegen seines
Energieberichts. - Wirtschaftsminister Müller hat nämlich gesagt - das hat uns gefreut -, dass stabile Beiträge
nur dann möglich sind, wenn von jedem Einzelnen die
Kosten für die Vorsorge teilweise übernommen werden.
({104})
Wegen dieser Wahrheit haben Sie uns im Wahlkampf 1998
gejagt. Sie versuchen nun, diese Wahrheit zu umgehen,
und bürden den Menschen höhere Krankenkassenbeiträge
auf. Eine Beitragssteigerung um 0,5 Prozentpunkte
({105})
bedeutet für die Familien pro Monat höhere Belastungen
als die Entlastung durch die Kindergelderhöhung um
30 DM. Das ist die Wahrheit, zu der Sie stehen müssen.
({106})
Herr Bundeskanzler, dass Sie jetzt mit einem der Bereiche im Gesundheitswesen, mit der forschenden pharmazeutischen Industrie, einen Ablasshandel verabredet
haben, um das Loch bei den Krankenkassenausgaben
kurzfristig irgendwie zu stopfen und die Krankenkassenbeiträge zu deckeln, ist ein falsches Signal an einen Industriezweig, der sich heute immer entscheiden kann, ob er
nach England oder nach Amerika geht oder ob er in
Deutschland bleibt. Gerade bei der pharmazeutischen Industrie in Deutschland steht es auf der Kippe, ob sie ihre
Zukunftsinvestitionen hier in Deutschland oder woanders
vornimmt. Deshalb kann ich Ihnen nur raten, diese Industrie nicht auch noch außer Landes zu jagen so wie viele
andere Industriezweige, bei denen Sie dies schon geschafft haben.
({107})
50 Prozent der Menschen in Deutschland leben in ländlichen Räumen. Was Sie mit der Agrarpolitik veranstaltet haben und wie Sie in dieser Legislaturperiode mit den
Bauern umgegangen sind, das spottet jeder Beschreibung.
({108})
Ungefähr jetzt vor einem Jahr gab es den ersten Fall einer
BSE-Erkrankung. Das Erste, was dem Bundeskanzler bezüglich der Bauern, die sich in einer Notlage befanden,
eingefallen ist, war eine Beschimpfung. Er hat von
„Agrarfabriken“ gesprochen. Das hat den Ton für das
ganze kommende Jahr eingeläutet.
({109})
- Darf ich vielleicht weitersprechen? - Das findet seinen
Niederschlag in einer der wirklich markantesten Äußerungen von Frau Künast - wir haben ja schon viele von ihr
gehört -:
In der Landwirtschaft gibt es extrem verknotete Seilschaften, die ich aufdröseln muss. Ich habe aber
schon als Sozialarbeiterin in der Männervollzugsanstalt Berlin-Tegel verkrustete Strukturen kennen gelernt. Da bin ich nicht zu schrecken.
Die Bauern in Deutschland mit der Männerhaftvollzugsanstalt in Berlin-Tegel zu vergleichen, das ist wirklich das Allerdollste.
({110})
Über die Zukunft ist heute wenig gesprochen worden.
Es ist richtig, dass die Biotechnologie in Deutschland
wieder führend ist. Das ist das Ergebnis der rüttgerschen
Förderpolitik.
({111})
Sie haben die Politik des Forschungsministers Rüttgers
im Bereich der Biotechnologie sinnvollerweise fortgesetzt. Daran zweifle ich nicht. Sie haben allerdings die
grüne Gentechnologie so gut wie zum Erliegen gebracht.
Das wird Sie eines Tages reuen. Auch von der Verdopplung der Ausgaben für Bildung und Wissenschaft sind
Sie weit entfernt.
({112})
Wenn jemand auf dem SPD-Bundesparteitag eine
Klatsche gekriegt hat, dann war es die Bildungsministerin,
({113})
die Sie, Herr Bundeskanzler, nicht darin unterstützt haben, mehr Wettbewerb in der deutschen Hochschullandschaft einzuführen. Dazu brauchen wir - zumindest für
Langzeitstudenten und für Studenten mit einem Zweitstudium - Studiengebühren. Das hat die Frau Ministerin
nach einem langen und mühseligen Prozess erkannt. Aber
sie hat für ihre Position keine Mehrheit gefunden. So
wurde wieder eine Chance für die Zukunft in Deutschland
versäumt.
({114})
Es ist natürlich wunderbar, wenn die Bildungsministerin nach Amerika fährt und schaut, wie viele deutsche Forscher dort tätig sind. Der Bundesverkehrsminister fährt
nach China und schaut sich die Grundsteinlegung für die
Transrapidstrecke an. Der Bundeskanzler steht inzwischen auch glücklich an der chinesischen Transrapidstrecke. Auch so kann man in Zeiten der Globalisierung
handeln.
({115})
Ich will aber, dass in Deutschland zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen. Das ist die Aufgabe.
({116})
Weil die Erfolge so rar sind, müssen Sie sich in Gebiete
flüchten, bei denen es einen schauert angesichts der Tatsache, wie sie hier behandelt werden. Herr Struck, ich
kann Ihnen nur sagen: Die Fehler bezüglich der Parteispenden und der Parteifinanzen, die bei uns passiert sind
- dafür stehe ich ganz persönlich -, haben wir aus eigener
Kraft ausgeglichen.
({117})
Wir haben zu diesen Fehlern gestanden.
({118})
- Herr Struck, lassen Sie mich einmal ausreden! Sie wollen doch etwas von mir hören.
Die Wahrheit ist, dass Sie behauptet haben, dass in unserer Politik irgendetwas käuflich gewesen sei und dass
unsere Politik korrumpiert sei.
({119})
Die Wahrheit ist aber: Nichts, aber auch gar nichts in Bezug auf Leuna und auf andere Vorfälle konnte nachgewiesen werden.
({120})
Sie haben die unsäglichsten Behauptungen bezüglich
Leuna aufgestellt.
({121})
Sie schmücken sich heute in Sachsen-Anhalt mit den Direktinvestitionen für Leuna aus dem Ausland. Trotzdem
stellen Sie die tollsten Behauptungen auf. Ich muss das in
aller Schärfe kritisieren. Es hat sich nichts, aber auch gar
nichts als richtig erwiesen.
({122})
Immer wenn es um Herrn Höppner in Sachsen-Anhalt
ging, haben Sie etwas anderes gesagt als dann, wenn es
um Helmut Kohl und seine Regierung ging. Deshalb sage
ich Ihnen ganz klar: Lieber Herr Struck, Sie haben jeden
Antrag über die Untersuchung der SPD-Finanzen im Untersuchungsausschuss zurückgewiesen.
({123})
Der Auftrag dieses Untersuchungsausschusses ist es, die
Parteifinanzen und die Käuflichkeit von Politik zu untersuchen. Es gibt aber noch andere Parteien als die CDU.
Sie haben allen Grund, sich einmal um Ihre Parteifinanzen Gedanken zu machen.
({124})
Wir werden deshalb nach Karlsruhe gehen.
({125})
Ich kann der Frau Verbraucherschutzministerin nur
empfehlen, sich einmal um die SPD-Zeitungen zu kümmern, - damit endlich - so wie bei der Wurst: was drin ist,
muss auch draufstehen - draufsteht, wo die SPD drin ist.
Das wäre ein Beitrag zur Klärung der Lage.
({126})
Herr Bundeskanzler - das gilt für alle Mitglieder Ihrer
Bundesregierung -, Sie verwenden die Hälfte der Redezeit darauf, darzustellen, in welchem schrecklichen Zustand Sie das Land übernommen haben.
({127})
Einmal abgesehen davon, dass das schamlos übertrieben
ist und dass die positiven Aspekte weggelassen wurden,
einmal abgesehen davon, dass im Frühjahr 1998 die Lage
immerhin so gut war, dass sich der Bundeskanzler im
„Spiegel“ schon einmal mit dem Aufschwung schmückte
- damals war es ja „sein“ Aufschwung -, kann ich Ihnen
nur sagen:Wir haben 1998 für eine solche Politik die Quittung bekommen. Wir haben bei 3,89 Millionen Arbeitslosen verloren, weil die Menschen uns nicht die Gestaltung
der Zukunft zugetraut haben.
Ich erinnere Sie noch einmal an Ihre Worte im
Juli 1998: Speziell ich - so der Bundeskanzler - möchte
nach vier Jahren an einer einzigen Frage gemessen werden, an der nämlich, ob es einer neuen Regierung gelungen ist, die Arbeitslosigkeit massiv zu senken. Wenn es
uns nicht gelingt, bereits in den ersten Jahren Durchbrüche zu erzielen, dann haben wir es nicht verdient
weiterzuregieren.
({128})
Da kann ich nur sagen: Wo Sie Recht haben, haben Sie
Recht.
Wir haben diese vier Jahre genutzt nachzudenken,
({129})
neu zu denken, neue Konzepte zu erarbeiten und aus unseren Fehlern zu lernen. Deshalb sage ich Ihnen: Deshalb
werden wir am 22. September die Wahl gewinnen, danach
die Regierung bilden und eine Politik machen, die den
Menschen in diesem Lande in der Form wieder gerecht
wird,
({130})
dass mit ihnen und aus ihnen und für sie wieder das gemacht wird, was in den Menschen dieses Landes steckt.
({131})
Dann können die Menschen nicht nur weiterhin stolz auf
ihre Bundesrepublik Deutschland sein, sondern auch auf
ihre Regierung. Das können sie heute leider nicht.
Herzlichen Dank.
({132})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Oswald Metzger für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau
Merkel, es ist richtig, das Parlament als Ort der argumentativen Auseinandersetzung zu nutzen. Eines sage ich
vorweg, bevor ich viel Kritisches anfüge: Es war in Ordnung - das ist die Aufgabe der Opposition -, den Finger
in Wunden zu legen und Antworten zu verlangen. Aber
wenn Sie die Eröffnungsbilanz aufgrund Ihrer Erblast
nach 16 Jahren an uns delegieren, kann ich Ihnen diese Bilanz nicht ersparen.
({0})
Ich habe das gestern hier formuliert und schreibe es heute
auch der Parteivorsitzenden der Union ins Stammbuch.
Die Übernahmebilanz der Zeit zwischen 1995 und
1999 waren 141,1 Milliarden DM Schulden, in vier Jahren von Ihnen aufgehäuft. Das waren 23 Prozent mehr als
in der Legislaturperiode davor. In unserer Zeit, von 1999
bis 2002, mit dem Etat, den wir am Freitag dieser Woche
beschließen, vergrößern wir den Schuldenstand dieser
Republik gerade einmal um 5,2 Prozent. Das ist ein Fortschritt, der sich in Zahlen bemisst und der vor allem den
Ordnungspolitikern unter Ihnen - Sie haben sich ja eben
als Ordnungspolitikerin geriert - zu denken geben müsste; denn ohne ein stabiles finanzielles Fundament ist in einem Industriestaat keine marktwirtschaftliche Ordnungspolitik zu gestalten. Das ist die banale Wahrheit.
({1})
Frau Merkel, Sie kommen doch aus dem Osten. Sie
stellen sich hier hin und sagen, die Investitionsquote sinke
im Jahr 2002. Warum sinkt sie denn gegenüber dem Regierungsentwurf? Weil wir Ihren ostdeutschen Bundesländern
({2})
auf Wunsch aller 16 Ministerpräsidenten die Investitionsförderung, die bisher auf der Ausgabenseite des Bundes gebucht war, als eigene Steuereinnahmen belassen
und damit die Bilanz des Bundes verkürzen. Die Investitionen werden künftig von den ostdeutschen Ländern
getätigt, nicht mehr vom Bund. Das ist aber keine Verkürzung der Investitionsquote, sondern das war gewünscht und das soll die Länderregierungen in die Lage
versetzen, zielgerichtet das zu tun, was in ihren Ländern
ansteht. Das ist aus meiner Sicht ein Fortschritt und nicht
beklagenswert.
({3})
Ich komme zum Thema Mittelstand. Ich kann es nicht
mehr hören. Der Kanzler hat heute zu Recht dargestellt,
dass die Körperschaftsteuer der Kapitalgesellschaften
eine Definitivsteuer ist und dass die Mittelständler
Einkommensteuer - das ist eine Progressionssteuer - zahlen. Frau Merkel hat davon gesprochen, dass die meisten
Mittelständler einen Jahresgewinn von über 100 000 DM
machen. Wenn Sie sich die Statistiken anschauen, dann
wissen Sie, dass etwa 80 bis 85 Prozent der gesamten Gewerbetreibenden in Deutschland ein zu versteuerndes Jahreseinkommen haben, welches unter diesem Betrag liegt.
Ich setze jetzt einmal einen Punkt drauf: Als lediger
Unternehmer und als Personengesellschafter müssen Sie
mehr als 250 000 DM zu versteuerndes Jahreseinkommen
haben, um im Grenzsteuersatz über dem zu liegen, was
die Kapitalgesellschaften zahlen, nämlich maximal
38 Prozent. Ein lediger Unternehmer muss bereits über
eine viertel Million versteuern, um gegenüber den Körperschaften tatsächlich im Nachteil zu sein. Ist er verheiratet, verdoppelt sich der Satz auf fast eine halbe Million.
Von welcher Welt des Mittelstandes redet die rechte
Seite des Hauses? Sie versucht ständig - verstärkt durch
manche Mittelstandsfunktionäre, die ihr Parteibuch haben -, uns zu Unrecht praktisch als Koalition der
Kapitalgesellschaften zu brandmarken. Das ist absurd.
({4})
Denken Sie an das Spektakel in dieser Republik im
Jahre 1999, als wir die Abschreibungsmöglichkeiten für
Versicherungen und große Energieversorgungsunternehmen abgeschafft haben, was dort zu einer massiven
Steuermehrbelastung geführt hat. Das geschah im Interesse der Gerechtigkeit zwischen den Unternehmensformen und war absolut richtig. So sieht die Wirklichkeit aus;
diese sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.
({5})
Die Parteivorsitzende der CDU hat gesagt, dass sie
während der Oppositionszeit dazugelernt haben.
({6})
Ich sage: Ein Saulus, der zu Paulus wurde, wurde schon
biblisch mehr geachtet als die Gerechten, die schon immer
zu wissen meinten, wo sie stehen.
In unserer Regierungszeit haben wir bei der Reform eines großen sozialen Sicherungssystems einen enormen
Lernprozess durchlaufen. Das war eine historische Leistung der großen Volkspartei SPD, zu der die Volkspartei
Union während ihrer Regierungszeit von 16 Jahren nicht
fähig war, weil sie einen Rentenminister hatte, der immer
davon geredet hat, dass die Rente sicher ist, obwohl die
demographische Entwicklung in Deutschland bereits seit
mindestens 15 Jahren abzusehen war.
(Beifall des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]
Dass wir in der Lage waren, den Einstieg in die Kapitaldeckung während unserer Regierungszeit hinzubekommen, ist eine Leistung, die in den Geschichtsbüchern als
Trendwende des Industriestaates Deutschland bei der Finanzierung seiner Alterssicherungssysteme bezeichnet
werden wird. Dies zeigt, dass wir wissen, wie die Balance
zwischen solidarischer Finanzierung und Eigenverantwortung aussehen muss. Das ist zukunftsfähig und stellt
eine Leistung dar, auf die wir stolz sein können.
({7})
Frau Merkel, Sie reden davon, dass dieses Land anscheinend uninteressant für die Wirtschaft ist. Warum negieren Sie, dass, wie der Kanzler hier ausgeführt hat, die
Direktinvestitionen in Deutschland während der RegieOswald Metzger
rungszeit dieser Koalition in der Tat wieder nach oben gegangen sind? Das hat etwas mit unserer Steuerreform im
Unternehmenssektor zu tun. Tun Sie doch nicht so, als ob
das internationale Kapital einen großen Bogen um
Deutschland macht, weil hier Sozialdemokraten und
Grüne regieren. Das Gegenteil ist der Fall. Dies ist nicht
nur daran zu erkennen, dass Unternehmenskäufe stattfinden, sondern auch daran, dass mit dem Kapital von ausländischen Investoren tatsächlich Arbeitsplätze in
Deutschland geschaffen und gesichert werden. Auch das
ist ein Grund dafür, dass man hier keine Zerrbilder in den
Raum stellen, sondern sich der Realität annähern sollte.
Wir reden nicht darum herum und sagen sogar, dass wir
im nächsten Jahr in der Finanzpolitik Notmaßnahmen
brauchen, weil wir nicht wollen, dass die Verschuldung
steigt. Wir sagen, dass wir die Privatisierungseinnahmen
als Brücke nehmen, um in den Zeiten, in denen wir wirtschaftlich wieder stärker werden, auf den ganz grundsoliden Pfad der Tugend und zu ausgeglichenen Budgets
zurückzukommen.
Die internationale Verwebung der größten europäischen Volkswirtschaft, nämlich Deutschlands, ist so
stark, dass wir die Rezession in den USA und in Japan sowie die Auswirkungen auf andere Wachstumsräume dieses Globusses natürlich viel stärker verspüren als unsere
Partnerländer Frankreich, England oder Italien, drei weitere große Volkswirtschaften in Europa.
Die rote Laterne haben wir von Ihnen nicht in Zeiten
weltwirtschaftlicher Depression übernommen. Vielmehr
bildete Ihre Koalition, die Koalition aus CDU/CSU und
FDP, im europäischen Vergleich jahrelang gemeinsam mit
Italien das Schlusslicht, und das in Zeiten, in denen die
Weltkonjunktur gebrummt hat. Man muss einmal deutlich
darauf hinweisen, dass wir trotz der wirtschaftspolitisch
schwierigen Situation auf dem Pfad sind, für dieses Land
zwar mühsam, aber stetig die notwendigen Strukturmaßnahmen für einen Umbau zu einer wettbewerbsfähigen,
aber trotzdem solidarischen Gesellschaft einzuleiten, in
deren Rahmen sowohl über Gerechtigkeit als auch über
ökologische Fragen diskutiert wird. Daran arbeiten wir.
Es ist aber gar keine Frage, dass dies nun schwieriger ist
als vor einem Jahr, als wir ein reales Wachstum in Höhe
von 3,1 Prozent hatten.
Jetzt komme ich zu den Fragen, die spannend sind, weil
sich die Opposition zugegebenermaßen immer leichter
damit tut, Reformen einzufordern, als die Bundesregierung, weil diese sie umsetzen muss. Zudem ist die Opposition immer in der Versuchung, Reformen, die in Wahlzeiten eingeleitet werden, mit populistischen Argumenten
zu diskreditieren. Ich möchte nun beispielhaft auf einiges
hinweisen, was die von der CDU bzw. CSU regierten
Bundesländer vor zwei Jahren durch ihre Entscheidung
über das Sparpaket der Bundesregierung, einer strukturellen Sparbüchse zugunsten der Länder, im Bundesrat abgeblockt haben.
Ich nenne als Stichwort die Beamtenbesoldung. Im
Sparpaket dieser Regierung war der Vorschlag enthalten,
die Beamtenbesoldung analog zu den Renten nur um die
Inflationsrate zu erhöhen. Das hätte ein Einsparpotenzial
zugunsten der Länder, weil diese wesentlich mehr Beamte
beschäftigen, von 2 Milliarden DM bedeutet. Die von
CDU und CSU regierten Länder aber haben gesagt: Nein,
danke. Diese Sparmaßnahme der Bundesregierung - sie
ist im Bundestag beschlossen worden - nehmen wir nicht
an. Wir schicken dies zurück. - Jetzt kommen die gleichen
schwarzen Ministerpräsidenten der Länder und sagen:
Der Bund überträgt ständig nur Lasten auf die Länder.
Gleichzeitig aber nehmen sie von uns angebotene Sparmaßnahmen struktureller Art, die langfristig wirken und
sich in der Kasse positiv niederschlagen, nicht an. - Das
ist Pharisäertum und verlogen; dies muss kritisiert werden.
({8})
Es ist keine Frage, dass im Bereich des Arbeitsmarktes strukturelle Reformen anstehen. Diese aber können
nicht in Wahljahren angegangen werden. Ich bekenne
mich dazu, dass in diesem Bereich Reformen dringend
notwendig sind, ebenso wie in der Gesundheitspolitik.
Dies wissen viele in unserer Koalition. Wir werden daher
im nächsten Jahr, mit Sicherheit auch im Wahlkampf, über
entsprechende Konzepte streiten. Wer aber glaubt - ich
nenne nur das Stichwort „Steuerreform“ -, dass in Wahljahren die notwendige gesellschaftliche Mehrheit, inklusive der des Bundesrates, für eine wirklich zukunftsfähige
Reform zu bekommen ist, der verkennt die demokratischen Gepflogenheiten eines Landes in Wahljahren komplett.
({9})
- Die Prinzipien werden genannt. Kollege Schlauch, unser Fraktionsvorsitzender, hat heute im Bereich des Arbeitsmarktes, bezogen auf den Niedriglohnsektor, einige
Punkte genannt. Darin stimme ich ihm zu.
({10})
Auch im Bereich der Gesundheitspolitik gibt es
durchaus Gesichtspunkte und Vorschläge, die diskussionsfähig sind. Ich denke zum Beispiel an Wettbewerbsund Transparenzgesichtspunkte auf der Ebene der Leistungserbringer und an Vorschläge zur Übernahme von
Eigenverantwortung und für Anreize zur Vorsorge durch
günstigere Tarife.
Wir fallen aber nicht auf die Opposition herein, die
jetzt Reformen anmahnt, welche unpopulär sind, damit
sie, wenn im Wahljahr Vorschläge dazu auf dem Tisch liegen, zu den Ersten gehören kann, die sagen: Da kommen
die sozialen Räuber dieser Republik. Mit dieser Position
seid ihr nicht mehrheitsfähig. - Wir gehen Ihnen hier nicht
auf den Leim, genauso wie wir vor Monaten nicht auf Ihre
Forderung hereingefallen sind, die Neuverschuldung zu
erhöhen. Sie haben damals vorgeschlagen: Die Konjunktur ist schwach. Macht Schuldenpolitik! - Mit einer solchen Position wären wir von Ihnen doch sofort angegriffen worden als diejenigen, die nicht mit Geld umgehen
können. Sie regt doch nur maßlos auf, dass ein sozialdemokratischer Finanzminister und eine rot-grüne Koalition
Ihnen ausgerechnet in einem Kerngeschäftsbereich den
Anspruch streitig machen, für Solidität zuständig zu sein.
Sie regt doch nur auf, dass wir Ihnen in diesem Bereich
die Butter vom Brot genommen haben und dass wir trotz
der wirtschaftspolitisch schwierigen Situation bei unserer
Position geblieben sind.
({11})
Das verträgt sich nicht mit dem Selbstbewusstsein der
Konservativen und auch nicht mit dem der Liberalen.
Deswegen tun Sie sich so schwer damit, auf diesem Gebiet wirklich Punkte zu machen. Ihr Manöver dabei ist
durchsichtig. Frau Merkel, ich bin damit bei den Lösungsansätzen, die Ihnen beim Diskutieren und Argumentieren über Strukturreformen im Gesundheitswesen
und bei der Arbeitsmarktpolitik so leicht über die Lippen
kommen.
Nehmen wir die Pläne zur Steuerreform, die die Union
und die FDP auf den Markt werfen. Dadurch würden
schlagartig so hohe Steuerausfälle für alle staatlichen
Ebenen entstehen, dass kein Bundesland in dieser Republik mehr - nicht einmal die reichen Südländer - verfassungsgemäße Haushalte beschließen könnte.
({12})
- Von den Kommunen ganz zu schweigen, Kollege Poß.
Das ist ganz richtig.
Wenn Sie glauben, dass mit auf Pump finanzierten
Steuersenkungen volkswirtschaftlich irgendetwas bewirkt werden könnte, dann haben Sie die ökonomischen
Zusammenhänge schlicht negiert.
({13})
Gerade die USA - dies geht an die FDP; Herr
Westerwelle hat es heute wieder angesprochen - zeigen,
dass eine Politik der Steuersenkung, selbst die mit den
berühmten Schecks, also das US-Modell, das Brüderle so
gern kopieren würde, nichts bringt, wenn eine Rezession
vorhanden ist. Statt eines Konsumanstiegs haben die
Amerikaner inzwischen eine Sparquote von 4,7 Prozent.
Deshalb ist die Steuersenkung verpufft.
Die US-Volkswirtschaft konnte sich solche Aktionen
leisten, weil die US-Regierung ihren Haushalt in den letzten zehn Jahren konsolidiert und keine so unsolide
Finanzpolitik betrieben hat wie die konservativ-liberale
Regierung in Deutschland. Die US-Regierung produziert
jedoch bereits jetzt, im ersten Jahr der Rezession, wieder
Haushaltsdefizite und weicht vom Pfad der Tugend ab.
Dies ist ein Alarmzeichen und sollte speziell uns in
Europa mit unserer Sozialkultur und unseren strukturellen
Problemen daran hindern, finanzpolitisch die traditionellen Rezepte der 70er-Jahre mit Konjunkturprogrammen
wie der Steuerfinanzierung auf Pump zu wiederholen.
Dies wird nicht funktionieren und erledigt sich argumentativ von selbst.
Auch wenn Sie sich die Fachdiskussion der letzten vier
Wochen ansehen, werden Sie feststellen, dass sich die
Stimmung gedreht hat. Noch im September, unter dem
Eindruck der Terroranschläge in New York und Washington, haben viele Ökonomen den Pfad der Tugend
verlassen. Inzwischen sagen selbst die konservativen
Ökonomen: Steuersenkung auf Pump funktioniert nicht.
({14})
Die automatischen Stabilisatoren in einer Volkswirtschaft greifen. Bei uns zeigt sich das daran, dass das Defizit - ein Maastricht-Kriterium - auf 2,5 Prozent begrenzt worden ist, obwohl die Länderdefizite - Frau
Merkel, Sie stellen viele Länderministerpräsidenten viermal mehr zur gesamtstaatlichen Defizitquote beitragen als der Bund. Auch das ist die Wahrheit, die in einer wirklich fairen und ehrlichen Auseinandersetzung gesagt werden muss.
({15})
Wenn ich eine Schlussbewertung der heutigen Debatte
vornehmen wollte, würde ich uns als Koalition raten: Wir
brauchen nicht auf Nebenkriegsschauplätze wie die Parteispendenaffäre auszuweichen. Diese Diskussion kann
man an anderer Stelle führen. Anstelle von Frau Merkel
würde ich mich auch davor hüten, mich sozusagen in den
Stand der Unschuld zu reden. Das ist bei Gott nicht so.
Hier hat die Union mehr Fragen zu beantworten, als sie
uns, den Regierungsfraktionen, stellen muss.
({16})
Jedoch hat die Debatte nach meiner Auffassung gezeigt, dass der Generalangriff auf die Regierungspolitik
und die Vorwürfe hinsichtlich Unsolidität, unterlassener
Reformen oder Reformunfähigkeit ins Leere laufen. Das
ist gut so. Wir sollten in den nächsten Wochen und Monaten unsere Position in dieser Richtung vor allem auch den
Bürgerinnen und Bürgern vermitteln; denn diese wissen
manchmal besser als die Opposition hier im Hause, dass
zwei plus zwei vier sind.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat jetzt
Dr. Hermann Otto Solms für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist heute,
zehn Monate vor der Bundestagswahl, die letzte Haushaltsdebatte. So ist dies natürlich der richtige Zeitpunkt,
um schon einmal eine Bilanz der Politik der rot-grünen
Regierung zu ziehen.
Bevor ich in die Sache einsteige, möchte ich dem Kollegen Metzger Dank sagen. Es war vermutlich seine letzte
Haushaltsrede hier vor diesem Hohen Hause.
({0})
Er war ein einsamer Rufer im grünen Meinungsdschungel. Das muss man anerkennen. Ich bedaure, dass ich ihn
hier wohl nicht wiedersehen werde.
({1})
Bilanz ziehen heißt, die Aussagen der Bundesregierung
mit den Tatsachen, den Fakten, den Ergebnissen ihrer
Tätigkeit zu vergleichen. Es ist schon interessant, wie weit
die Darstellung der Bundesregierung und das, was ihre
Politik bewirkt hat, auseinander klaffen. Für ihre Darstellung hat die Bundesregierung eine Eins verdient. Zu den
Ergebnissen kann ich nur sagen: Sie sind jedenfalls in den
Bereichen der Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik auf der ganzen Linie gescheitert. Was Sie
hier vorzulegen haben, ist eine Bankrotterklärung.
({2})
Ich will Ihnen an einem Beispiel darstellen, was sich
daraus für den einfachen Bürger ergibt. Der Bundeskanzler tritt vor jede Fernsehkamera und spricht wie ein
preußischer General, der gerade Schlachten gewonnen hat
oder dabei ist, welche zu gewinnen. Die Bundeswehr
selbst hat jedoch bis jetzt keinen Taliban gesehen und keinen Terroristen gefangen. Das Einzige, was sie getan hat,
ist: Sie hat Decken in die Türkei transportiert. So kann
man die Darstellung als Ersatzhandlung für nicht ausgeführte Taten nutzen.
({3})
Der Bundeskanzler kämpft bis zum letzten Blutstropfen, allerdings dem der Grünen. Die Grünen wissen nichts
Besseres, als nach einer langen Nabelschau auf einem Unterwerfungsparteitag in Rostock Ergebenheitsadressen an
den Bundeskanzler zu schicken, damit sie die Zipfel der
Macht in der Hand behalten. Darüber wird der Wähler das
letzte Wort sprechen.
Schauen Sie sich die Arbeitsmarktpolitik an. Der
Bundeskanzler selbst - das ist heute mehrfach zitiert worden - hat in seiner Regierungserklärung darauf hingewiesen, worauf es ihm ankommt:
Wir müssen dafür sorgen, dass die Arbeitslosigkeit
zurückgedrängt wird, dass bestehende Arbeitsplätze
erhalten bleiben und neue Beschäftigung entsteht.
Was hat die Bundesregierung zur Verbesserung der
Arbeitsmarktsituation getan? - Sie hat ein breites Netz an
Einstellungshemmnissen entwickelt und aufgebaut. Ich
will an einige Dinge erinnern, die heute teilweise schon
genannt worden sind: Rücknahme der Liberalisierungsmöglichkeiten im Arbeitsrecht, Rücknahme der Verbesserung im Kündigungsschutzrecht - das alles hatten wir in
der alten Regierung beschlossen -, Rücknahme der Reform der Lohnfortzahlung, Einführung des Gesetzes gegen die Scheinselbstständigkeit - dies erschwert es den
Menschen, sich selbstständig zu machen und neue
Arbeitsplätze zu schaffen -, Einschränkung bei den
630-DM-Arbeitsverträgen.
Sie wissen gar nicht, was Sie damit bewirkt haben. Es
sind zwar einerseits - das wollten Sie erreichen - gut
1,5 Millionen Menschen in die Arbeits- und Beschäftigungsstatistik hineingekommen. Andererseits hat mehr als
die doppelte Zahl von Menschen ihren Teilzeitjob verloren.
({4})
Sie wollten doch Teilzeitarbeit fördern. Sie haben in diesem Bereich zwei bis drei Millionen Teilzeitarbeitsplätze
vernichtet. Das müssen Sie zugeben.
Sie haben das Recht auf Teilzeitarbeit eingeführt. Das
wird dazu führen, dass junge Frauen nicht mehr eingestellt werden, weil die Arbeitgeber befürchten, dass sie
auf diesem Recht bestehen werden.
({5})
Sie haben die Ausweitung der Mitbestimmung eingeführt,
die dazu führt, dass es mehr Funktionärsmitbestimmung
geben wird. 100 000 Funktionärsstellen mehr nützen niemandem, schaden aber dem Mittelstand.
({6})
Der Bundeskanzler ist mit der Umwerbung der Neuen
Mitte angetreten. Was hat er getan? - Er hat die Neue
Mitte auf der ganzen Linie enttäuscht und verraten; denn
sie ist es, die jetzt die Zeche bezahlen muss. Das ist bei der
Masse an Einstellungshemmnissen und den Erschwernissen der Investitionsbedingungen kein Wunder: Die Abschreibungsbedingungen sind verschlechtert und die Verrechnungsmöglichkeiten eingeschränkt worden. Das hat
zur Folge, dass keine Leute eingestellt werden, dass keine
Arbeitsplätze geschaffen werden und dass nicht investiert
wird.
Darüber hinaus kommt es jetzt zu Massenentlassungen. Was ist Ihre Reaktion darauf? - Bei bis zu einer Million Arbeitslosen mehr stellen Sie 3 000 neue Vermittler
ein! Das ist eine schöne Reaktion. Was sollen sie denn vermitteln, wenn die Arbeitsplätze gar nicht vorhanden sind?
({7})
Sie schaffen mit einem riesigen finanziellen Aufwand
3 000 neue Arbeitsplätze. Das ist aber auch alles. Das ist
keine zielgerichtete Arbeitsmarktpolitik. Damit werden
Sie die Probleme auf dem Arbeitsmarkt nicht lösen.
Kommen wir zum Thema Finanz-, Haushalts- und
Steuerpolitik. Der Bundesfinanzminister ist nicht mehr anwesend. Es ist auch sicherlich besser, wenn er sich meine
Worte nicht anhören muss; denn auch hier stehen Schein
und Wirklichkeit in einem großen Kontrast zueinander.
Herr Wagner, Sie sind der führende Haushaltspolitiker
der SPD. Was sagen Sie denn dazu, dass sich der Bundesfinanzminister im Land als Sparminister rühmt? Auch
Herr Metzger hat dies gerade hervorgehoben. Herr Eichel
hat gar nicht gespart. In diesem Jahr werden 30 Milliarden DM mehr als 1998 ausgegeben. Verstehen Sie das unter Sparen?
({8})
Ich verstehe unter Sparen, weniger auszugeben. Das sind
Ihre, nicht unsere Zahlen.
({9})
Aber was noch schlimmer ist: Die investiven Ausgaben
des Staates gehen zurück und die konsumtiven Ausgaben
steigen.
Das Ergebnis bei der Verschuldung ist das gleiche.
Einschließlich des Jahres 2002 werden die Schulden um
182,7 Milliarden DM steigen und nicht sinken. Sie beschimpfen immer die alte Regierung wegen des hohen
Schuldenstands. Was machen Sie denn? Sie machen es
doch genauso. Von Sparen kann keine Rede sein. Im Gegenteil: Die Schulden steigen. In die Schuldenfalle geraten wir mit Ihnen erst recht. Das ist keine Lösung.
Wie sieht es in der Steuerpolitik aus? Der Bundesfinanzminister rühmt sich der größten Steuerreform aller
Zeiten. Er hat vergessen, dass unter seinem Vorgänger
Lafontaine die steuerliche Belastung zunächst einmal um
40 Milliarden DM angestiegen ist.
({10})
Dazu kommt die zusätzliche Belastung durch die Ökosteuer sowie durch die Erhöhung der Tabak- und der Versicherungsteuer. Die Bundesregierung ist übrigens die
einzige Regierung der Welt, die auf den Terroranschlag
am 11. September mit Steuererhöhungen reagiert hat. Das
ist kein Ruhmesblatt.
({11})
Ergebnis ist, dass die Steuern insgesamt von 341 Milliarden 1998 auf 384 Milliarden 2001, also um über
40 Milliarden, angestiegen sind. Das bedeutet mehr und
nicht weniger Steuern. Das belastet die Steuerpflichtigen
mehr und nicht weniger. Das ist keine Entlastung. Das hat
natürlich auch die entsprechenden Reaktionen zur Folge.
Schauen Sie sich nur die Rentenpolitik an. Herr Riester
rühmt sich seiner großen Rentenreform. Er hat uns
Beitragssatzstabilität versprochen, jedenfalls bis zum Jahr
2011/12. Schon im ersten Jahr des In-Kraft-Tretens der
Rentenreform kann er seine Zusage nicht einhalten.
({12})
Wir haben ihn damals gewarnt und ihn darauf aufmerksam gemacht, dass das so sein wird, dass die Zahlen
nicht stimmen, dass sich das Ganze anders als geplant entwickeln wird. Ohne den schamlosen Griff in die Reservekasse der Rentner würde der Beitragssatz auf 19,4 bzw.
19,5 Prozentpunkte steigen. Es handelt sich hier um eine
Art erneute Schuldenaufnahme zulasten der Rentner, nur
um die Fasson zu wahren, um den Menschen vorzumachen, dass die Beiträge stabil bleiben würden. Diese Rentenreform verdient nicht einmal den Namen, den sie trägt,
weil sie das nicht umsetzen kann, was sie verspricht.
({13})
Über die Gesundheitspolitik will ich gar nicht erst reden. Hier sind zwei nette Kolleginnen verschlissen worden. Die Gesundheitspolitik ist nun einmal eine Schlangengrube. Das weiß jeder. Die Damen waren nicht
geeignet für das Amt der Gesundheitsministerin, konnten
es einfach nicht und hatten auch keinen Rückhalt beim
Bundeskanzler.
Wer keine ordnungspolitische Richtschnur hat, um
schwierige gesellschaftspolitische Probleme zu lösen, der
wird von einer Falle in die andere tappen. Genau das tut
diese Bundesregierung.
({14})
Sie hat kein grundsätzliches Konzept zur Lösung der gesellschaftspolitischen Probleme. Deswegen hat sie die
Berechtigung verloren, in Zukunft weiterhin Verantwortung zu tragen.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat
Dr. Gregor Gysi für die PDS-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht jetzt um den Etat des
Bundeskanzlers und die Generalabrechnung mit der Bundesregierung. Ich stelle fest: Die Bundesregierung ist
verschwunden. Sie interessiert sich nicht für die Bewertung ihrer eigenen Politik durch das Parlament. Man kann
sagen, was man will: Die Abgeordneten aus den ersten
Reihen der Opposition sind vollständig anwesend. Die
Regierungskoalition hat sich dagegen verflüchtigt. Für
diese Art von Hochmut werden Sie eines Tages bezahlen.
({0})
Der Wahlkampf ist von Ihnen mit der Vertrauensfrage
eröffnet worden. Seitdem geht es hier um Bilanzen, Rechenschaft und Ähnliches. Jetzt müssen auch wir Wahlkampf führen. Ich sage Ihnen deshalb: Es ist schon interessant, sich noch einmal das Wahlergebnis von 1998 vor
Augen zu führen. Damals sind CDU/CSU und FDP aus
der Regierungsverantwortung abgewählt worden, und
zwar nicht, damit sie heute verkünden, dass sie das gerne
fortsetzen würden, wobei sie damals unterbrochen worden sind. Es muss vielmehr um einen inhaltlich wirklich
neuen Ansatz gehen, den ich allerdings bei der konservativen Opposition nicht feststellen kann.
({1})
Alles, was Frau Merkel vorgetragen hat, ging in Richtung
Abbau der Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte,
Sozialabbau und Ähnliches. Ich muss deshalb konstatieren: Es kann wirklich noch schlimmer kommen, als es ohnehin schon ist, obwohl es so, wie es ist, schon höchst unbefriedigend ist.
({2})
Denn welche Vorstellungen hatten die Bürgerinnen
und Bürger vornehmlich mit der Wahl der SPD verbunden? Die Grünen - das muss man ehrlicherweise sagen hatten 1998 weniger Stimmen als 1994. Sie sind dann
doch noch in die Regierung gekommen. Das ist in
Deutschland nun einmal so. Die CDU hatte in Hamburg
eines ihrer schlechtesten Wahlergebnisse und stellt jetzt
den Ersten Bürgermeister. Das hängt halt mit der Koalitionsfreiheit zusammen.
Die SPD hatte tatsächlich deutlich zugelegt. Welche
Vorstellungen waren damals damit verbunden? Zunächst
friedenspolitische Vorstellungen, auch Vorstellungen
von einer gerechteren Welt und einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung. Des Weiteren ging es um die
Schließung von Gerechtigkeitslücken, um mehr soziale
Gerechtigkeit, um den Abbau von Arbeitslosigkeit, um
ökologische Nachhaltigkeit und um innere Einheit.
({3})
All das ist im Koalitionsvertrag niedergelegt und stand
auch in den Wahlprogrammen; darauf konzentrierten sich
die Versprechen.
Sehe ich mir heute die Realitäten an, stelle ich fest,
dass in dieser Legislaturperiode erstmals unter Führung
der Sozialdemokratie Deutschland in zwei Kriege einbezogen worden ist, von denen zumindest einer mit Sicherheit völkerrechtswidrig war.
({4})
- Völkerrechtswidrig war der Angriffskrieg gegen Jugoslawien. Das ist doch völlig eindeutig und unbestritten.
({5})
Ich sage Ihnen ein Weiteres, Herr Struck. Sie haben
hier von Prävention gesprochen. Dann erklären Sie doch
einmal, weshalb unter Ihrer Regierung die Entwicklungshilfe in jedem Jahr geringer als im letzten Jahr von Bundeskanzler Kohl ausgefallen ist. Das hat mit Prävention
und einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung nichts zu
tun.
({6})
Was die soziale Gerechtigkeit anbetrifft, so muss man
die Fragen konkret stellen: Können Sie wirklich guten
Gewissens sagen, dass es den Armen in Deutschland
heute besser als vor drei Jahren geht? Geht es den Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern besser,
geht es den Arbeitslosen besser? Es kann gar keine Rede
davon sein. Die Zahl der Arbeitslosen ist auch nicht kleiner geworden. Die Prognosen der Bundesregierung zur
Arbeitslosigkeit besagen, dass wir schon Anfang nächsten
Jahres bei über 4 Millionen liegen werden. Das bekommen Sie nun einmal nicht weg: Der heutige Bundeskanzler hat im Wahlkampf gesagt, er wolle sich an dieser Frage
messen lassen. Das Einzige, was sich geändert hat, ist,
dass er sich daran nicht mehr messen lassen will.
({7})
Jetzt kommen Sie mit internationalen Wirtschaftsschwierigkeiten. Hat er denn als Kanzlerkandidat nicht
gewusst, dass Deutschland in eine internationale Weltwirtschaftsordnung einbezogen ist?
({8})
Wenn er es gewusst hat, wie kann er dann ein solches Versprechen abgeben? Wenn er meint, er sei für die Arbeitslosigkeit nicht zuständig, dann hätte er damals schon sagen müssen, er könne keine Versprechen abgeben, das
hänge von den USA ab.
({9})
Wenn er geäußert hätte, er habe damit nichts zu tun, hätten wir den amerikanischen Präsidenten wählen müssen.
Das hat er aber nicht gesagt.
({10})
Deshalb ist es unredlich, so zu argumentieren. Die andere
Möglichkeit wäre, dass er einräumt, es liege gar nicht am
amerikanischen Präsidenten, sondern doch am deutschen
Bundeskanzler. Dann wäre es sein Verschulden, zu dem er
stehen muss. Beides aber geht so nicht zusammen.
({11})
Jetzt verweist auch die schwarze Koalition auf Frankreich. Frankreich weist tatsächlich beachtliche Zahlen
beim Wirtschaftswachstum auf.
({12})
Wissen Sie, wie dort die Regierung zusammengesetzt ist?
Da würde sich ja Ihr Magen umdrehen.
({13})
Deshalb warne ich vor diesem Beispiel. Ich habe nichts
dagegen, wenn Sie Frankreich landauf, landab als positives Beispiel darstellen, aber ich warne Sie vor den Konsequenzen.
Herr Glos, mit Ihren Äußerungen zur Steuerreform
habe ich auch ein paar Schwierigkeiten. Wir beide haben
diese Steuerreform der Bundesregierung scharf kritisiert.
Nun finden Sie sie aber so gut, dass Sie sie bereits früher
haben wollen. Das ist ja auch ein merkwürdiger Vorgang.
({14})
Wenn die Steuerreform in die falsche Richtung geht, dann
müssten Sie eher wünschen, dass sie nie kommt. Jetzt
wollen Sie, dass sie viel früher kommt. Das stellt eine Art
Lobpreisung der Bundesregierung dar, die ich an dieser
Stelle nicht mitmachen kann.
Das größte Problem ist die geringere Kaufkraft. Wenn
Sie alles zusammennehmen, die Steuern, die Abgaben
- auch die Abgaben, die von Ländern und Kommunen erhoben werden; Sie müssen auch sehen, wie die Abgabenlast der Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen erhöht
worden ist, weil diese immer weniger Geld haben -, die
Teuerungsrate, die Lohnentwicklung und die Ökosteuer,
dann wird deutlich, dass die schwächere Binnenkonjunktur ihre Ursache in der geringeren Nachfrage aufgrund der
geringeren Kaufkraft hat. Das bedeutet nicht mehr, sondern weniger soziale Gerechtigkeit. Das muss sich die Regierung schon sagen lassen.
({15})
Erschreckt hat mich, was Herr Metzger hier zur Gesundheitsreform sagte: Sie könne in dem letzten Jahr vor
der Wahl nicht mehr durchgeführt werden, weil die Opposition Sie dann wegen Sozialabbaus vorführen würde.
Was heißt denn das im Klartext? Was haben wir denn dann
nach der nächsten Wahl zu erwarten?
({16})
Wenn Sie sich die Auseinandersetzung über Ihre Vorstellungen im Wahlkampf nicht zutrauen, kann ja nur
Schlimmstes kommen.
Gleichzeitig geht es nicht an, sich Zahlen einseitig herauszusuchen. - Herr Bundeskanzler, Sie scheinen sich
für die Debatte über Ihren eigenen Haushalt nicht zu interessieren.
({17})
- Er muss etwas mit dem Fraktionsvorsitzenden besprechen; das verstehe ich.
Der Bundeskanzler wies darauf hin, wir hätten so viele
Existenzgründungen wie noch nie. Herr Bundeskanzler,
Sie haben der CDU/CSU zu Recht vorgeworfen, sich immer die Zahlen herauszusuchen, die ihr passen. Aber das
machen Sie doch auch.
({18})
Anderenfalls hätten Sie ehrlicherweise darauf hinweisen
müssen, dass wir in diesem Jahr 17 Prozent mehr Firmenpleiten als im Vorjahr hatten. Das sagt wirklich etwas
über die wirtschaftliche Situation in Deutschland und
über die Chancen der kleinen und mittelständischen Unternehmen aus.
({19})
Sie wissen, wie viele Probleme es in diesem Zusammenhang gibt: die mangelnde Zahlungsmoral, die hohe
Belastung mit Abgaben und Steuern und vieles andere
mehr. Diese Probleme werden Sie nicht loswerden.
Sie haben in Ihrer Steuerreform die Kapitalgesellschaften im Vergleich zu kleinen und mittelständischen
Unternehmen deutlich begünstigt. Sie sind ja weiter gegangen, als die Konzerne es gefordert hatten. Bei den Veräußerungserlösen haben Sie ihnen jegliche Steuer geschenkt, obwohl sie nur eine Herabsetzung wünschten.
Dieser Gehorsam gegenüber den Kapitalgesellschaften
zahlt sich deshalb für Sie nicht aus, weil sie trotzdem keinen Wahlkampf für Sie machen werden. Das ist einfach
nicht deren Stil.
({20})
Mit am meisten hat mich die Tatsache verwundert,
Herr Bundeskanzler, dass Sie über Ihre Chefsache nicht
einen einzigen Satz gesagt haben.
({21})
Sie geben eine einstündige Erklärung zur Situation in
Deutschland ab und erwähnen die Frage der inneren Einheit Deutschlands mit keiner einzigen Silbe. Das sagt etwas über Ihre Beziehung zu dieser Problematik aus.
({22})
Das ist für einen Bundeskanzler, der dies zur Chefsache
erklärt hat, wirklich nicht in Ordnung;
({23})
denn in beiden Teilgesellschaften läuft die mentale, ökonomische und soziale Entwicklung auseinander. Auch die
Löhne und Renten entwickeln sich auseinander. Die wenigen Verbesserungen, die es gab, waren allesamt durch
das Bundesverfassungsgericht erzwungen. Von der Regierungskoalition gab es keine einzige darüber hinausgehende Initiative.
Welche tollen Anträge haben Sie, als Sie noch in der
Opposition waren, im Hinblick auf die Renten in den
neuen Bundesländern gestellt! Nichts davon haben Sie
realisiert. Das Gleiche gilt für die Problematik der Mauergrundstücke. Das bleibt ein ganz trauriges Kapitel in der
Bilanz dieser Bundesregierung.
({24})
Herr Kollege,
denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Die Arbeitslosigkeit ist in den
neuen Bundesländern deutlich höher als in den alten Bundesländern. Wir brauchen die innere Einheit, um in ganz
Deutschland ökonomisch und sozial voranzukommen.
Anderenfalls ziehen die neuen Bundesländer die alten
herunter. Damit wäre niemandem gedient.
({0})
Deshalb mein letzter Satz: Es gibt sehr viel Kritik an
der Bundesregierung und an der Regierungskoalition. Das
ist aber kein Grund, nostalgisch zu werden und CDU/CSU
und FDP zu wählen, denn dann würde es noch schlimmer.
Es ist ein Grund, eine linke Opposition zu wählen, damit
linke Politik - Politik der sozialen Gerechtigkeit und Friedenspolitik - auch für SPD und Grüne wieder attraktiv
wird.
({1})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Hagemann.
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Verehrter Kollege
Gysi, ich gebe Ihnen in zwei Dingen Recht: Sowohl die
linke als auch die rechte Opposition sollen Opposition
bleiben. Dabei stimme ich Ihnen voll und ganz zu.
({0})
Wenn man die zurückliegenden Haushaltsberatungen
verfolgt hat, konnte man folgende Probleme erkennen.
Erstens. Die Rezepte der Opposition laufen darauf hinaus, ausgabenträchtige Anträge zu stellen. Die sich aus
ihnen ergebende Summe wurde vorhin schon dargelegt.
Zweitens. Die Einnahmeseite soll verschlechtert werden; denn man empfiehlt, die nächsten Schritte der Steuerreform vorzuziehen. Ich frage mich nur, wie das die
Länder und die Gemeinden verkraften sollen, die schon
heute ihre Haushalte nicht mehr ausgleichen können. Ich
sehe es in meinem Bundesland; dort liegt das Haushaltsvolumen um einige Millionen über dem verfassungsrechtlich Zulässigen.
({1})
- Sehr geehrter Herr Merz, die von Ihrer Partei gestellten
Politiker in den Ländern und Gemeinden beten ja täglich darum, dass Ihre Vorschläge nicht realisiert werden
mögen.
({2})
Wir stellen eine hohe Mehrfachbelastung des Haushalts
fest. Das ist sicherlich nicht der richtige Weg. Diesen Weg
können wir nicht weiterverfolgen.
Drittens. Es kommt hinzu, meine Damen und Herren
von der Opposition, dass Sie in der Diskussion Ihr eigenes Regierungshandeln in den zurückliegenden Jahren
ausgeblendet haben. Ich frage mich wirklich: Waren die
alten Rezepte, wie Sie sie angewandt haben, so erfolgreich? Hierzu kann man an Fakten Deutliches feststellen.
Stichwort: Arbeitslosigkeit. Zu jener Zeit gab es kein
Gesetz zu den 630-Mark-Jobs, keine Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes, all das nicht, was Sie heute
kritisieren. Trotzdem war die höchste Arbeitslosigkeit zu
verzeichnen, die es in diesem Land je gegeben hat. Herr
Rexrodt musste vor vier Jahren hier ans Pult treten und
sagen, dass er fast 5 Millionen Arbeitslose erwartet. Das
vergessen Sie natürlich immer. Heute liegt die Zahl bei
3,7 Millionen. Das ist immer noch zu viel, liegt aber
deutlich unter dem, was zu Ihrer Zeit war. Wir arbeiten
daran.
({3})
Stichwort: Sozialhilfeempfänger. Auch hierzu ist festzustellen, dass die Zahl nach unten geht und dass die
Kommunen interessante Projekte betreiben, um die Zahl
der Sozialhilfeempfänger weiter zu senken.
Auch bei der Jugendarbeitslosigkeit - darauf möchte
ich noch einmal hinweisen - gibt es eine deutlich positive
Entwicklung nach unten.
Ein anderes Stichwort: Lohnnebenkosten. Heute
wurde schon viel darüber diskutiert. Wie sah die Zahl
denn 1998 aus, als Sie abgetreten sind, sehr geehrte Frau
Merkel? - 42,1 Prozent! Heute ist die Zahl 40,8 Prozent.
({4})
- Sie haben damals die Mehrwertsteuer erhöht. Auch das
kommt hinzu, Herr Repnik. - Hier ist also eine positive
Entwicklung festzustellen und die können auch Sie nicht
wegreden.
({5})
„Arbeitsplätze“ ist das nächste Stichwort. In dieser Zeit
sind 1 Million Arbeitsplätze mehr geschaffen worden.
Das ist die andere Seite der Medaille, die Sie nie darstellen, die hier aber erwähnt werden muss.
Ich darf auch die Steuergesetzgebung ansprechen.
Der Eingangssteuersatz - ich will es nur noch einmal in
Erinnerung rufen - ist deutlich gesenkt worden, eben zugunsten der kleinen Einkommen, Herr Gysi. Sie haben gesagt, es sei nichts für die kleinen Leute getan worden. Gerade hier ist aber Entscheidendes erreicht worden.
({6})
Auch beim steuerfreien Existenzminimum sind deutliche Schritte gemacht worden, was den kleinen Leuten zugute gekommen ist.
Ich kann das Erziehungsgeld erwähnen. Ich kann das
Wohngeld erwähnen. Überall sind zugunsten der kleineren Einkommen die richtigen Schritte unternommen worden.
({7})
- Ach, wenn Sie dazwischenrufen! Zehn Jahre lang ist von
dieser Seite in diesem Bereich nichts getan worden. Jetzt
ist gehandelt worden.
({8})
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gysi?
Bitte.
({0})
Herr Kollege, würden Sie immerhin bestätigen, dass zum Beispiel zwei Kindergelderhöhungen gerade den Ärmsten in der Gesellschaft, nämlich den Sozialhilfe empfangenden Kindern, nicht zugute
kommen, weil die Beträge von der Sozialhilfe abgezogen
werden? Würden Sie bestätigen, dass durch Kürzung der
Beihilfen für die Familien letztlich eine Schlechterstellung erfolgt und dass, weil Sie auf die Wiedereinführung
der Vermögensteuer und damit auf eine Umverteilung
verzichtet haben, die Armen heute nicht besser dastehen
als vor drei Jahren, sondern eher schlechter?
Sie müssen die Gesamtrechnung sehen, sehr geehrter Herr Gysi, und die ist positiv.
({0})
Gerade die Zahl der Kinder, die Sozialhilfe empfangen, ist
deutlich nach unten gegangen. Hier ist gehandelt worden.
Deswegen kann ich das, was Sie gesagt haben, nicht so
stehen lassen.
Was Sie zu den Kindergelderhöhungen gesagt haben,
ist auch nicht ganz korrekt. Zumindest die letzte Erhöhung, nämlich die um 20 DM, ist auch den Familien,
die Sozialhilfe empfangen, zugute gekommen. Das wollte
ich doch noch einmal hervorheben.
({1})
Ein anderes Stichwort: Zukunftsinvestitionen. Hier
wird immer wieder behauptet - auch Herr Solms hat es
vorhin getan -, dass die Investitionsquote zurückgefahren
worden sei. Das ist nicht richtig. Gerade was Straßenbau,
Schienenbau, Ausbau der Deutschen Bahn angeht, ist die
höchste Investitionsquote erreicht worden, die die Bundesrepublik Deutschland je gehabt hat, und das sollten Sie
nicht einfach wegreden.
Wenn ich zu Zukunftsprojekten spreche, dann lassen
Sie mich auch Bildung und Forschung erwähnen. Das ist
sicherlich einer der größten Beiträge zur Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
({2})
Hier haben wir gerade vonseiten der FDP - leider sind nur
noch zwei Kollegen anwesend - eine Flut von Anträgen
erlebt. Wenn ich aber den heutigen Zustand mit 1998 und
mit den Jahren davor vergleiche, sehr geehrter Herr
Solms, stelle ich fest, dass gerade die Mittel für Forschung
und Bildung in der Zeit Ihrer Verantwortung nach unten
gefahren worden sind. Der Bildungshaushalt war Finanzsteinbruch. Da war nichts mit Zukunftsminister Rüttgers,
({3})
er ist eigentlich eher ein Rückwärtsminister gewesen. Gerade hier kann man Anspruch und Wirklichkeit vergleichen. Sie haben das alles mit zu verantworten. Sie haben
es mitgetragen, dass die Mittel für Forschung und Bildung in dieser Zeit nach unten gefahren worden sind, und
wir haben jetzt große Mühe gehabt, diese Mittel wieder
deutlich nach oben zu entwickeln. Ich denke, meine Kollegin Klemmer wird morgen ausführlicher darauf eingehen.
({4})
Hier sprechen Zahlen für sich. Im Jahr 1998 standen
für Forschung und Bildung 14,5 Milliarden DM zur Verfügung und im Jahr 2002 werden es fast 17 Milliarden DM sein. Gott sei Dank gilt die Erhöhung auch für das
BAföG. Hier bekommen mehr Berechtigte wieder mehr
Geld. Auch das ist wichtig.
Natürlich stellt sich für Sie auch die Frage der Glaubwürdigkeit, wenn Sie heute in Oppositionszeiten kräftig
draufpacken und Anträge stellen, aber die Wirklichkeit in
Ihrer Regierungszeit ganz anders aussah.
({5})
Lassen Sie mich in der Generalaussprache auch die Familien- und Jugendpolitik ansprechen. Ich habe gestern
Abend die Debatte zum Einzelplan 17 verfolgt. Es ist
schon interessant, wie viele Kolleginnen und Kollegen die
politische Vergangenheit vergessen haben. Ein Verfassungsgerichtsurteil aus dem Jahre 1998 hat Ihre Familienpolitik beurteilt und benotet, sehr geehrte Frau
Merkel. Man kann es in einem Satz zusammenfassen: Die
Familienförderung der CDU/CSU-FDP-Regierung war
völlig unzureichend.
({6})
Gestern Abend warf uns eine Kollegin noch vor, wir,
also die Koalition, hätten erst aufgrund eines Verfassungsgerichtsurteils gehandelt. Es stellt sich natürlich die
Frage, warum es zu diesem Verfassungsgerichtsurteil gekommen ist. Wir mussten erst einmal Ihre Fehler ausbügeln und hier neue Wege gehen. Das haben wir in der
Steuerpolitik durch die Familienentlastung gemacht. Ich
bin vorhin darauf eingegangen.
Wir haben aber auch beim Kindergeld sehr deutlich
zugelegt und das Kindergeld für das erste und für das
zweite Kind von 220 DM auf 300 DM erhöht. Es wurde
hier schon der Vergleich gebracht - ich möchte es nur
noch einmal unterstreichen -, dass die Verkäuferin dadurch ihr 13. Monatsgehalt bekommt, und das netto. Auch
das sei hier noch einmal erwähnt.
Die Frage der Glaubwürdigkeit ist natürlich auch zu
stellen, wenn Sie jetzt aus der Opposition heraus ein Familiengeld von 1 200 DM im Monat fordern und keine Finanzierungsvorschläge vorlegen. Wir wissen doch, dass
10 DM Kindergelderhöhung uns etwa 1 bis 1,5 Milliarden DM kosten. Es ist eigentlich unvorstellbar, wie Sie
das alles finanzieren wollen. Ich frage Sie deshalb: Ist das,
was Sie hier vortragen, glaubwürdig?
Wenn wir die Glaubwürdigkeit ansprechen, muss auch
erwähnt werden, dass in den süddeutschen Ländern, gerade in Bayern, Kindergartenplätze fehlen.
({7})
- Das ist so. Auch bei der Ganztagsbetreuung liegt man
dort sehr weit zurück.
Die Freiwilligendienste wurden gestern Abend angesprochen. Wir sind auch in der Jugendpolitik nach vorne
gegangen. Wir gehen gerade in der Gesellschaftspolitik
neue Wege. Ich erinnere mich noch an die Ausschussarbeit in der letzten Legislaturperiode, als wir immer mit
Frau Nolte kämpfen mussten, weil die Mittel nach unten
gefahren wurden. Das war der falsche Weg. Wir gehen
den richtigen Weg. Viele Punkte könnten in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden.
Die Frage der Finanzierung des Haushaltes möchte
ich noch ansprechen, insbesondere einen Antrag der
Union mit der Drucksachennummer 14/7582, der gestern
verteilt worden ist. Darin geht es darum, dass ein Subventionsabbau vorgenommen werden soll. In diesem Antrag wird zwar global angemerkt, aber nicht konkret benannt - auch heute hat niemand dazu Stellung bezogen -,
an welchen Stellen - bei der Landwirtschaft, bei der Jugend oder bei den Frauen? - und in welchem Umfang
Subventionsabbau vorgenommen werden soll. Konkrete
Aussagen fehlen; alles bleibt offen. Nur ein pauschaler
Antrag wurde gestellt.
Ich möchte auf die FDP zu sprechen kommen. Herr
Rexrodt hat gestern davon gesprochen, dass Leistungsgesetze kritisch überprüft werden müssten. Er hat jedoch
nicht gesagt, ob er damit den Abbau von Sozialleistungen
für sozial Schwächere oder etwas anderes meint. Nichts
dergleichen wurde vorgetragen.
Bei den Haushaltsberatungen wird immer wieder kritisiert, dass die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit wesentlich zu hoch seien. Auch in den Debatten am gestrigen Abend spielte dieser Punkt eine wichtige Rolle. Ich
habe mir die prozentuale Entwicklung der Ausgaben für
Öffentlichkeitsarbeit der gesamten Bundesregierung im
Verhältnis zum Bundeshaushalt auflisten lassen. Es handelt sich dabei um 0,00-Beträge.
({8})
Dennoch ist besonders die dritte Stelle hinter dem
Komma interessant, Herr von Klaeden. Im Jahre 1990
- das war ein Ausnahmejahr; das gebe ich zu - waren es
immerhin 0,06 Prozent. 1998 - da haben Sie schon gute
Fortschritte gemacht - waren es 0,037 Prozent. Die Bundesregierung wird für ihre Öffentlichkeitsarbeit viel gescholten. Betrachten wir die Zahlen für das Jahr 2000: Es
sind - immerhin wieder ein bisschen weniger - 0,032 Prozent. In diesem Jahr sind es 0,031 Prozent. Die Mär, die
Bundesregierung erhöhe die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit, ist damit widerlegt.
Gestern Abend wurde behauptet, die Regierung mache
eine so schlechte Politik, dass sie immer höhere Ausgaben
für Öffentlichkeitsarbeit brauche. Man kann aber an der
Zahlenentwicklung feststellen, dass die Bundesregierung
eine ordentliche Arbeit macht und weniger Mittel für die
Öffentlichkeitsarbeit braucht.
({9})
Lassen Sie mich noch eines hinzufügen: Frau Merkel,
es ärgert mich schon ein wenig, dass Sie Holzmann angesprochen haben. Vor drei Jahren hat der Bundeskanzler
- Gott sei Dank - eine Rettungsaktion eingefädelt. Ich
kann mich noch gut daran erinnern, dass Herr Koch und
Frau Roth, beide CDU, schön mitgewunken und mitgejubelt haben.
({10})
Auch daran muss an dieser Stelle einmal erinnert werden.
Vergessen Sie nicht, dass Sie sich ebenfalls in diesem Erfolg gesonnt haben. Heute wollen Sie davon nichts mehr
wissen.
Ich komme aus dem Rhein-Main-Gebiet.
({11})
Dort sind viele Mittelständler für diese Aktion dankbar,
weil sie ohne die Aktion Pleite gegangen wären, verehrter
Herr!
({12})
Sonst sähe es in diesem Gebiet inzwischen ganz anders
aus. Fakt ist - das kann man nachweisen -: Frau Roth und
Herr Koch haben mitgewunken und mit davon profitiert.
({13})
- Vielen Dank, Kollege Wagner. Auch der Bundesrechnungshof hat es positiv gesehen.
Ich möchte zum Schluss kommen und Bilanz ziehen.
Ein seriöser Haushalt wurde vorgelegt. Es ist davon auszugehen, dass dieses Jahr punktgenau gelandet wird. Wir
arbeiten uns aus der von der CDU/CSU-FDP-Koalition
geschaffenen Schulden- und Zinsfalle langsam, aber
spürbar heraus. Wir gehen Zukunftsaufgaben an und müssen immer weniger Zinszahlungen leisten. Wir haben uns
am Anfang unserer Regierungszeit zum Ziel gesetzt, die
Zukunftsfähigkeit und die Innovation zu stärken sowie
die Politik der Gerechtigkeit und der Solidarität voranzutreiben. Das wird mit diesem Haushalt getan. Wir werden
deshalb dem Einzelplan 04 zustimmen.
({14})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Günter Nooke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Damen und Herren! Wir reden hier heute über
verfehlte Politik der rot-grünen Bundesregierung.
({0})
Beim Thema „Aufbau Ost“ wird dieses Scheitern besonders deutlich. Da der Bundeskanzler den Aufbau Ost ausdrücklich zur Chefsache erklärt hatte - was immer man
darunter verstehen mag -, muss auch mit dem Nichtstun
beim Thema „Aufbau Ost“ und in den neuen Bundesländern sein ganz persönliches Scheitern verbunden werden.
Deshalb, Herr Kanzler, haben Sie hier nichts zu diesem
Thema gesagt, obwohl Sie fast eine Stunde geredet haben.
Es ist nichts getan worden. Sie hatten nichts zu berichten.
Es wäre nur peinlich gewesen, wenn Sie das Thema überhaupt angesprochen hätten.
Die Zahl der Arbeitslosen in Ostdeutschland, an der Sie
sich messen lassen wollten, ist im Osten trotz Abwanderung 2,3-mal so hoch wie im Westen.
({1})
Entweder sind Ihnen die Menschen egal oder Sie müssten
in den nächsten Monaten wenigstens versuchen, da etwas
zu tun.
Der Aufbau Ost ist unter Ihrer Führung zum Abschwung Ost verkommen.
({2})
Das Wirtschaftswachstum liegt hinter dem in den alten
Bundesländern. Es ist erstmals seit der Wiedervereinigung zurückgegangen. Das Ziel einer selbsttragenden
Wirtschaftsentwicklung ist in weite Ferne gerückt. In den
neuen Bundesländern herrscht trotz positiver Daten in
Sachsen und Thüringen Rezession. Wir stehen nicht am
Rande einer Rezession, wir stehen knietief drin. Die Wirtschaftsdaten sind sogar noch schlechter als die Stimmung.
Das will viel heißen.
Auch der Bundeshaushalt 2002 zeigt in die falsche
Richtung. Denn Sie streichen noch an Stellen, wo es zwingend notwendig wäre, mehr zu machen. Ich will nur einige Punkte ganz kurz ansprechen.
Die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ in den neuen
Bundesländern wurden um 300 Millionen DM gekürzt.
Sie wurden unter Rot-Grün in den letzten Jahren um fast
25 Prozent reduziert. Seit der Wiedervereinigung hatte
sich diese Gemeinschaftsaufgabe aber zu einer tragenden
Säule des wirtschaftlichen Aufschwungs in den neuen
Ländern entwickelt.
Sie hatte aber noch eine andere Bedeutung: Die GAOst-Mittel wurden zur Kofinanzierung von Regionalbeihilfen für die neuen Bundesländer genutzt, die anerkannte
Ziel-1-Fördergebiete der EU sind. Jetzt kann das
Fördervolumen nicht mehr voll ausgeschöpft werden,
weil 250 Millionen Euro GA-Ost-Mittel in den Haushalten fehlen. Die neuen Bundesländer könnten mehr Mittel
der EU abfordern, wenn die Bundesregierung nicht auch
noch bei der Gemeinschaftsaufgabe Ost sparen würde.
({3})
- Der versteht das - glaube ich - nicht.
({4})
- Dass er nicht da ist, ist das Problem Ihrer Koalition,
({5})
wenn Sie sich das bieten lassen.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, als Vertreter
der Opposition will ich nicht bestreiten, dass auch gespart
werden muss. Ich will davon ausdrücklich auch die neuen
Länder nicht ausnehmen. Ich hätte jetzt Herrn Schwanitz
noch gefragt,
({7})
was eigentlich aus seiner Liste geworden ist, die er einmal
versprochen hat. Wenn es um den Aufbau Ost geht, sind
nämlich immer die falschen Zahlen im Umlauf.
({8})
Real haben wir 1998 bei vielleicht 38 bis 40 Milliarden
echten Transferleistungen angefangen. Heute liegen wir
weit unter 35 Milliarden, wahrscheinlich näher bei
30 Milliarden. Aber Herr Schwanitz traut sich nicht mehr,
das zu sagen, weil er dann zugeben müsste, wie viel auch
im Osten gespart wurde.
Dafür redet aber Arbeitsminister Riester Montag früh
im Frühstücksfernsehen immer noch von jährlichen Zahlungen für die neuen Länder von 100 bis 150 Milliarden.
Das kann natürlich so nicht stehen bleiben. Entweder
kennt er die aktuellen Zahlen nicht oder er will bewusst irreführen. Diese Summen erwecken doch den Eindruck,
der Osten sei ein Fass ohne Boden. Sie erzeugen Neid im
Westen und Wut im Osten.
Die Diskussion „Der Osten kostet zu viel“ oder „Die da
im Osten können den Rachen nicht voll genug bekommen“ ist eine Spalterdebatte.
({9})
Was hat eigentlich die deutsche Teilung gekostet und welche Gefahren waren mit der deutschen Teilung verbunden? Welche Chancen sind, verglichen damit, mit der
Wiedervereinigung für uns alle in Ost und West gegeben? Statt diese zu nutzen, passiert nichts.
({10})
Hören Sie endlich auf, mit den Schulden infolge der Wiedervereinigung Ihre verfehlte Haushaltspolitik zu rechtfertigen!
({11})
Wenn Sie schon vom Geldausgeben reden, dann kann
ich Ihnen noch ein Beispiel nennen. Mit der Ökosteuer
nehmen Sie an den Tankstellen im Osten mehr ein, als
die Menschen dort zurückbekommen. Weitere Wege
durch dünnere Besiedlung, längere Fahrzeiten zur Arbeit
- wenn man überhaupt eine findet -, mehr Rentner, weniger Beitragszahler, keine Großindustrie mit Ausnahmeregelungen: Auch das gehört in die Haushaltsdebatte.
({12})
Sehr verehrte Damen und Herren, wie sieht es aber für
diejenigen aus, die ihr Schicksal konkret in die eigenen
Hände nehmen wollen? Ich will dabei nicht nur von Geld
reden, sondern auch sagen, dass die Rahmenbedingungen,
die Sie gesetzt haben - Ausweitung des Betriebsverfassungsgesetzes, Gesetz zur Scheinselbstständigkeit,
Vergabegesetz, Teilzeitanspruch, Neuregelung der
630-Mark-Jobs -, die Situation gerade für die neuen
Bundesländer erheblich verschlechtern. Das, was im WesGünter Nooke
ten schon schwer verträglich ist, bedeutet für viele kleinere und mittlere Unternehmen im Osten den Tod.
({13})
Die fragilen Strukturen in Ostdeutschland halten diese
Belastungen nicht aus. Unter solchen Bedingungen werden auch neue Existenzgründerinitiativen nicht erfolgreich sein; unter diesen Bedingungen hätte übrigens auch
die Wirtschaft in Westdeutschland in den 50er- und 60erJahren nicht aufgebaut werden können. Wir brauchen
mehr Freiheit für eigene Wege, gerade in den neuen Bundesländern.
({14})
Ich bin sogar sicher, dass viele alte Bundesländer diesen
Wegen folgen und sie mitgehen würden.
({15})
Wir brauchen im föderalen System Bundesrepublik
Deutschland mehr Flexibilität, Experimentierklauseln,
Öffnungsklauseln und zum Beispiel auch die Möglichkeit, von Bundesgesetzen bzw. Bundesstandards abzuweichen,
({16})
wenn diese durch der Situation besser angepasste Landesgesetze ersetzt werden können. Das kennen Sie, das
hat auch Ihr Altbundeskanzler Helmut Schmidt im Oktober in der „Zeit“ geschrieben.
({17})
Sie tun aber nichts und fordern nicht einmal Ihre Regierung auf, etwas zu tun.
({18})
Es wird einen weiteren Zuwachs an Arbeitslosigkeit
geben, wenn die Klein- und Kleinstbetriebe in der Bauwirtschaft - oftmals ist man ja nur aus Not Unternehmer,
weil man woanders keine Arbeit gefunden hat, sich dann
in die Selbstständigkeit geflüchtet und einen Betrieb gegründet hat - zum Beispiel durch das Vergabegesetz, das
hier schon angesprochen wurde, gezwungen werden,
ortsübliche Tarife zu zahlen, das heißt also, wenn sie im
Westen arbeiten, die Tarife, die dort gelten. Das hält die
ostdeutsche Bauwirtschaft vom Markt in den alten Bundesländern fern, nicht aber die westdeutschen Baubetriebe vom Markt in den neuen Ländern. Da wäre auch
einmal ein Wort der großen Ostinteressenvertretung PDS
gefragt, aber dort hört man ja inzwischen auch eher auf
Gewerkschaftsfunktionäre als auf die Menschen im
Osten.
({19})
Das Schlimme an dem Ganzen ist doch, dass dann,
wenn künftig auch noch die Kleinunternehmen Pleite gehen, die Schlussfolgerung gezogen wird, Selbstständigkeit lohnt sich nicht. Wir brauchen im Osten einen selbsttragenden Aufschwung. Den gibt es aber nur dann, wenn
sich Leistung und Eigenverantwortung lohnen. Statt jede
noch so kleine Eigeninitiative zu unterstützen und zu pflegen, wirft die von SPD und Grünen gestellte Bundesregierung diesen Menschen Knüppel zwischen die Beine.
So etwas ist hinterfotzig.
({20})
Damit machen Sie das Beste, was wir in den neuen Bundesländern haben, kaputt, nämlich die Einsatzbereitschaft
der Menschen. Das zerstört dann die Zukunftsaussichten
wirklich endgültig. Insofern dürfen Sie nicht mehr lange
regieren.
({21})
Ich habe gehört, dass auf den Fluren des Kanzleramtes
seit längerem
({22})
- so ist mir berichtet worden - der Spruch umgeht, dass
Sie im Osten auf die „passive Sanierung“ setzen.
({23})
- Hören Sie einmal zu, vielleicht kennen Sie das nicht. Sie setzen darauf, dass die arbeitswilligen Menschen aus
den neuen Bundesländern, vor allem junge, schon nach
Süd- oder Westdeutschland gehen und sich dort eine Arbeit suchen. Ihnen ist quasi das Abwandern nicht nur egal,
sondern sogar noch ganz lieb. Spätestens im Jahre 2006,
16 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR, werde der
damit verbundene Geburtenrückgang dafür sorgen, dass
überhaupt nur noch wenige Jugendliche in Ostdeutschland eine Lehrstelle oder einen Arbeitsplatz suchen werden.
({24})
Dann sinke die Arbeitslosenquote und insbesondere auch
die Jugendarbeitslosigkeit in den Statistiken wie von
selbst und die Zahlen der neuen Bundesländer seien dann
genauso wie die der alten. - Aber dann passiert in Ostdeutschland auch nichts mehr; „passiv saniert“ wird Ostdeutschland zum grünen Altenwohnheim. Will die Bundesregierung wirklich diese Zukunft?
Sie, Herr Bundeskanzler, wollten nicht alles anders,
aber vieles besser und nichts schlechter machen. Ich kann
nur sagen, Sie haben vieles schlechter gemacht. In dieser
traurigen Hitliste nimmt das Thema Aufbau Ost unangefochten den Platz eins ein.
Danke.
({25})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Lothar Mark.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wenn einem bei einigen Beiträgen zu Ohren kommt, dass wir zu wenig für Ostdeutschland machen würden, dann, denke ich, liegt das daran,
dass entweder die Haushalte nicht richtig gelesen werden
oder man sich nur auf eine Zahl versteift.
({0})
Ich nenne einfach nur einmal für den Einzelplan 04, für
den ich hier spreche, einige Stichworte zum Bereich Kultur: Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten, Stiftung
Preußischer Kulturbesitz - diese bezieht zwar auch den
Westteil Berlins mit ein, greift aber nach Ostdeutschland
über -, für „Kultur in den neuen Ländern“ stellen wir allein 30 Millionen Euro zur Verfügung; Stiftung Weimarer
Klassik, Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Wartburg-Stiftung, Francke’sche Stiftung, Stiftung Luthergedenkstätten, Bauhaus Dessau und viele andere mehr
zeugen davon, dass intensiv Mittel nach Ostdeutschland
fließen.
({1})
Nach Aussagen des Deutschen Kulturrates vom
25. November 2001 befindet sich die Bundeskulturpolitik
auf der Zielgeraden. Bereits wieder in Vergessenheit geraten sind - weil eben doch schon als selbstverständlich
angesehen - die Einrichtung des Ausschusses für Kultur
und Medien, der eine ausgezeichnete Arbeit leistet, sowie
die Einsetzung eines Staatsministers beim Bundeskanzler
als Beauftragter der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien.
Nun zu einzelnen Themen: Die Reform des Künstlersozialversicherungsgesetzes im Frühjahr dieses Jahres
zeigt, dass wir in der Koalition heiße Eisen anpacken, die
16 Jahre lang einer Lösung harrten. Die Reform des Stiftungssteuerrechts trat bereits im Januar 2000 in Kraft. Die
zweite Stufe der Novellierung des Stiftungsrechtes steht
noch aus. Ohne eine Reform des Stiftungszivilrechts
bliebe diese Stiftungsrechtsreform ein Torso. Kulturstaatsminister Dr. Nida-Rümelin und Justizstaatssekretär
Dr. Eckhart Pick haben deshalb eine Modernisierung des
Stiftungsprivatrechts noch in dieser Legislaturperiode zugesagt.
({2})
Als ein neues Thema wurde in dieser Legislaturperiode
endlich die Reform der beschränkten Steuerpflicht ausländischer Künstlerinnen und Künstler in Angriff genommen. Die so genannte Ausländersteuer hat nach der 1996
durch die alte Regierung vorgenommenen Erhöhung von
15 auf 25 Prozent dazu beigetragen, dass immer weniger
Künstlerinnen und Künstler aus dem Ausland in der Bundesrepublik auftreten. Es wird von einem Rückgang von
über 30 Prozent gesprochen. Konsequenz daraus ist, dass
natürlich auch deutsche Künstlerinnen und Künstler weniger Einladungen ins Ausland erhalten.
Deshalb begrüße ich den Beschluss des Finanzausschusses, die Reform der Ausländersteuer einzuleiten.
Künftig soll eine Freigrenze bestehen: Pro Auftritt sind
bis zu 250 Euro je Künstler steuerfrei. Für höhere Honorare soll eine allmähliche Staffelung bis zu 25 Prozent
eingeführt werden, die aber ab 2003 wiederum auf 20 Prozent reduziert werden soll.
({3})
Ich bin sehr erleichtert, dass die Bundesregierung mit
dem Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern ein weiteres Problem aufgegriffen hat und dies einer
Lösung zuführen wird. Es ist an der Zeit, dass Urheber
und ausübende Künstler einen gesetzlichen Anspruch auf
eine angemessene Vergütung erhalten. Konkretisiert wird
diese Angemessenheit über gemeinsame Vergütungsregeln, die die Verbände von Urhebern gemeinsam mit Verbänden von Werknutzern oder einzelnen Werknutzern
aufstellen. Auf diese Weise bestimmen die Beteiligten in
einem konsensorientierten Verfahren selbst, was in einzelnen Bereichen der Kulturwirtschaft angemessen ist.
Strukturelle Besonderheiten können und sollen hierbei
berücksichtigt werden. Dies ist ein guter und begehbarer
Weg zur Sicherung der Urheberrechte.
In der letzten Zeit hat die Diskussion über die Bundeskulturstiftung die Gemüter sehr intensiv erregt. Es ist
uns gelungen, den Anfang für die Einsetzung einer Bundeskulturstiftung zu schaffen, indem im Bundeshaushalt
25 Millionen DM angesetzt werden.
({4})
Was uns niemand zugetraut hätte, ist, dass wir Verpflichtungsermächtigungen für das nächste Jahr in Höhe von
50 Millionen DM und für das Jahr 2004 in Höhe von
75 Millionen DM eingetragen haben.
({5})
Ein Sabotageversuch der CDU/CSU in diesem Zusammenhang ist gescheitert.
({6})
Der Kulturhaushälter Steffen Kampeter wollte, im Unterschied zum sehr konstruktiven Kultursprecher Dr. Nobert
Lammert, das Projekt torpedieren. Seine Begründung,
Dr. Nida-Rümelin könne nach Gutsherrenart Staatsknete
nach Belieben ausgeben, zeugt von erstaunlicher Unkenntnis.
({7})
Die neu formulierte Zweckbestimmung begrenzt vielmehr den Stiftungszweck - dies besagt auch schon der Titel der Stiftung -: Förderung national und international
bedeutsamer Vorhaben insbesondere zur kulturellen Integration, Kooperation und Innovation über eine nationale
Kulturstiftung.
Nida-Rümelin hat ein überzeugendes Konzept für die
Kulturstiftung vorgelegt.
({8})
Nun liegt der Ball auf dem Spielfeld. Es kommt darauf an,
wie die Länder reagieren, ob sie ihre Zurückhaltung aufgeben oder ob sie bereit sind, sich im Rahmen dieser
großen Lösung einzubringen. Immerhin haben sowohl der
Regierende Bürgermeister Wowereit als auch der CDUMinisterpräsident Koch gegenüber der Kulturpolitischen
Gesellschaft inzwischen konstatiert, dass sie bereit seien,
die Meinungen der Kulturpolitischen Gesellschaft zu traLothar Mark
gen, wonach hier Zukunftsfähigkeit für die Kultur geschaffen werde.
({9})
Am 20. Dezember können die Länder zeigen, wie ernst
sie die Kulturförderung in der Bundesrepublik nehmen
und inwieweit sie zur Kulturkooperation mit dem Bund
bereit sind.
({10})
Der Kulturhaushalt des Jahres 2002 verzeichnet
gemäß seiner besonderen Bedeutung einen deutlichen
Zuwachs im Verhältnis zum Haushalt 2001, und zwar eine
Steigerungsrate von 3,06 Prozent.
({11})
Der Kulturhaushalt wächst somit überproportional im
Vergleich zum Gesamthaushalt. Damit ist es gelungen,
punktuell sinnvolle Erhöhungen der Mittel für wichtige
kulturelle Projekte, wie zum Beispiel die Kulturstiftung,
zu ermöglichen.
Neben den bereits erwähnten werden folgende Positionen verändert. Ich fasse zunächst einige kleine Bereiche
zusammen, die aufzeigen, dass wir bereit sind, uns um
Details zu kümmern. Es geht um die Erhöhung der Mittel
für die Stiftung sorbisches Volk, für das Stasi-Museum
„Runde Ecke“, für das Hermann-Hesse-Jahr in Calw, für
den Seelter Buund und für die Villa Aurora. Größere Veränderungen nehmen wir bei der Förderung der Bundesstadt Bonn vor in Höhe von immerhin 1,023 Millionen
Euro plus eine Modifizierung bis zum Jahre 2010.
Einen kleinen Betrag möchte ich erwähnen, weil er
eine ganz besondere Geschichte hat. Wir haben eine geringfügige Erhöhung der Mittel für die Gedenkstätte
Buchenwald vorgenommen, um die Geschichte der Firma
Topf & Söhne untersuchen zu lassen, die Verbrennungsöfen für die Konzentrationslager hergestellt hat. Ich
denke, dass dies einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung
unserer Geschichte darstellt.
({12})
In Berlin haben wir beim Haus der Kulturen der Welt
und bei den Berliner Festspielen noch einmal ordentlich
aufgestockt, damit beide Einrichtungen, ihrem Sinne entsprechend, in der Bundeshauptstadt Berlin glänzen und
Kultur präsentieren können.
({13})
Ich will noch auf die Gedenkstätte Sachsenhausen hinweisen, die 2 Millionen Euro für zusätzliche Gestaltungsund Umbaumaßnahmen bekommt.
Schließlich verweise ich auf den Auslandskanal der
Deutschen Welle. Wir wollen, dass der deutsche Auslandskanal Kooperationen mit ARD und ZDF eingehen
kann. Damit würde ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung
gehen. Wir waren der Auffassung, dass eine entsprechende Umsetzung der Pläne hinsichtlich des deutschen
Auslandskanals jetzt erfolgen muss.
Wenn man nicht zur Unterschrift käme, wäre das Projekt
in Zukunft wieder verbaut und die ganze Mühe wäre umsonst gewesen.
({14})
Wir haben Verpflichtungsermächtigungen für die
Jahre 2003, 2004 und 2005 festgelegt und liegen somit
pro Jahr bei 5,113 Millionen Euro.
Dieser kleine Auszug aus unserer Kulturbilanz zeigt,
dass wir der Kultur im Land nicht nur einen höheren Stellenwert als die abgewählte Bundesregierung beimessen,
sondern dass wir längst fällige Kulturförderkriterien erarbeitet haben und erarbeiten, Planungssicherheit gewährleisten, die Rahmenbedingungen verbessern und heiße Eisen anpacken. Dabei wird die Kulturhoheit der Länder
voll respektiert; dies ist inzwischen wirklich kein Diskussionsthema mehr.
({15})
Die Kultur ist bei dieser Regierung und den Koalitionsfraktionen in guten Händen. Schon bei den letzten
Haushaltsberatungen kam bei den CDU/CSU-Reden das
Wort „Kultur“ nicht vor. Ist das Programm? - Meine Antwort: Nein, das ist ein Zustand!
({16})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Peter Hintze.
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Es ist eine gute Tradition in diesem Parlament, dass die Außen- und Europapolitik mehr Übereinstimmung aufweist als andere
Politikbereiche. Dennoch denke ich, dass es gut ist, am
Schluss dieser Debatte auch die Außen- und Europapolitik unseres Herrn Bundeskanzlers einmal einer kritischen
Würdigung zu unterziehen. Zwar wissen wir seit kurzem,
es muss nicht immer Kaviar sein, und der „Steiner des Anstoßes“ ist auch weggeräumt;
({0})
dennoch ist die Bilanz dieser Bundesregierung in der Europapolitik ernüchternd.
Deutschland hat drei wertvolle Jahre in und für Europa
verloren:
({1})
eine schwache Agenda 2000, ein trostloses Ergebnis von
Nizza und die rote Laterne des letzten Platzes unter allen
Eurostaaten.
Besonders kritisch aber ist der neue politische Zug, der
in diese Regierung eingekehrt ist und der eine Abkehr von
der europapolitischen Tradition bedeutet, wie sie bei allen
Bundeskanzlern, von Konrad Adenauer über Helmut
Schmidt bis Helmut Kohl, üblich und richtig war, nämlich
dass in Europa kleine und große Staaten fair miteinander
umgehen.
({2})
Diese Regierung hat es fertig gebracht, erst unserem
Nachbarn, Freund und Partner Österreich mithilfe der anderen Staaten in Europa zu drangsalieren und dann das
Missverständnis aufkommen zu lassen, es gebe in den
Fragen der internationalen Politik in Europa Staaten erster und zweiter Klasse; denken Sie an das unselige Vortreffen von Gent.
({3})
Die Integration Deutschlands in Europa hat uns Anerkennung und einen Platz in der Welt gesichert. Wenn wir
diese Idee aufs Spiel setzen, wenn wir versuchen, Minigroßmacht zu spielen, wenn wir versuchen, nationalstaatliche Rückfälle zu üben, dann wird das Deutschland und
Europa schaden. Deswegen fordere ich den Bundeskanzler auf, konzeptionell zu Europa zurückzukehren.
({4})
Viele Kommentatoren haben das Abstimmungsergebnis bei der Vertrauensfrage am 16. November als einen
Pyrrhussieg bezeichnet. Der Preis dieses Erfolges ist die
Auszehrung dieser Regierung. Was wird sein, wenn die
Ankündigung von Staatsminister Zöpel wahr wird und
Deutschland in einem anderen Konflikt gefordert wird?
Man kann diese Koalition nur einmal zusammenpressen.
Wiederholen lässt sich das nicht. Ich sage Ihnen: Rostock
hin, Nürnberg her - mit solchen politischen Kräften ist
kein Staat zu machen.
({5})
FürdieGlaubwürdigkeitdieserKoalitiongibt eseinePrüfungsfrage, die jeder Abgeordnete im Bundestag und jeder
Zuschauer zu Hause nachvollziehen kann. Diese Frage lautet:WiewürdeRot-Grünhandeln,wenndieRollenvertauscht
wären und sie nicht in der Regierung, sondern in der Opposition säßen? Jeder kann sich ausmalen, was hier vor dem
Reichstag los wäre, an der Spitze Heidemarie WieczorekZeul und Joschka Fischer, dahinter die aufgehetzten Massen.
({6})
Sie würden demonstrieren wie damals, als Sie unter
Führung dieses Bundeskanzlers - da war er noch niedersächsischer Ministerpräsident -, auf die Barrikaden gingen, nachdem die Amerikaner dem überfallenen Kuwait
zu Hilfe kamen. Meine Damen und Herren, bündnispolitische Glaubwürdigkeit wird daran deutlich, ob man in der
Opposition dasselbe sagt wie in der Regierung oder ob
man sich so verhält wie diese unglaubwürdige Regierung.
({7})
Die gestern auf dem Petersberg begonnene Afghanistan-Konferenz unter Leitung der Vereinten Nationen ist
ein Schritt in Richtung Frieden und eines politischen Neuanfangs.
({8})
Ich stehe nicht an zu sagen - das ist einer der wenigen
Punkte, in denen ich ausnahmsweise für einen Moment
mit dem Bundeskanzler übereinstimme -, dass es auch für
uns in Deutschland eine wichtige und gute Sache ist, dass
die streitenden Parteien versuchen, hier eine Friedensordnung zu entwickeln.
Ich will der Regierung gleich etwas mit auf den Weg
geben:
({9})
Der Petersberg wurde jetzt als Tagungsort auserkoren. Er
wird auch von allen Vertretern der Regierung gelobt. Ich
hoffe, dass Sie sich auch nach dieser Konferenz daran erinnern und diesem für Deutschland und Europa wichtigen
Tagungszentrum die Bestandsgarantie geben, die sicherstellt, dass der Petersberg der deutschen Außenpolitik erhalten bleibt.
({10})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Bundeskanzler hat heute in seinem - ({11})
- Lieber Herr Schlauch, Sie sollten ausnahmsweise Ihre
Untugend des Zwischenrufens aufgeben und wenigstens
am Schluss der Debatte zuhören!
({12})
Der Bundeskanzler hat uns heute in dieser Debatte
wortreich erklärt, warum die Arbeitslosigkeit in Deutschland so hoch und die Wirtschaftskraft so schwach ist.
({13})
Meine Damen und Herren, Deutschland braucht keinen
Kanzler, der wortreich Fehler begründen kann, und der erklären kann, warum es so viele Fehlleistungen gibt.
Deutschland braucht die Begründung einer neuen Politik,
einer Politik für Wachstum und Arbeitskräfte. Das werden
wir leisten.
({14})
Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über
den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung. Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte alle Kolleginnen
und Kollegen, bei der Stimmabgabe wie immer sorgfältig
darauf zu achten, dass Ihre Stimmkarten Ihren eigenen
Namen und keinen fremden tragen.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses unterbreche ich die Sitzung.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Die Sitzung ist
wieder eröffnet.
Ich gebe Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04, Geschäftsbereich des Bundeskanzler und des Bundeskanzleramtes, bekannt: Abgegebene Stimmen 614. Mit Ja haben gestimmt 323, mit
Nein haben gestimmt 291. Es gab keine Enthaltungen.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 613;
davon
ja: 322
nein: 291
Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({0})
Klaus Barthel ({1})
Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({2})
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann ({3})
Bernhard Brinkmann
({4})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({5})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({6})
Gabriele Fograscher
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({7})
Harald Friese
Anke Fuchs ({8})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({9})
Angelika Graf ({10})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({11})
Hans-Joachim Hacker
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({12})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({13})
Walter Hoffmann
({14})
Iris Hoffmann ({15})
Frank Hofmann ({16})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({17})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({18})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({19})
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({20})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Ulrike Mascher
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({21})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({22})
Jutta Müller ({23})
Christian Müller ({24})
Franz Müntefering
Volker Neumann ({25})
Gerhard Neumann ({26})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel RiemannHanewinckel
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({27})
Birgit Roth ({28})
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({29})
Ulla Schmidt ({30})
Silvia Schmidt ({31})
Dagmar Schmidt ({32})
Wilhelm Schmidt ({33})
Dr. Frank Schmidt
({34})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({35})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({36})
Brigitte Schulte ({37})
Volkmar Schultz ({38})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({39})
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({40})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({41})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
({42})
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({43})
Helmut Wieczorek
({44})
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({45})
Brigitte Wimmer ({46})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({47})
Waltraud Wolff
({48})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Volker Beck ({49})
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({50})
Joseph Fischer ({51})
Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Winfried Hermann
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Reinhard Loske
Kerstin Müller ({52})
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Albert Schmidt ({53})
Werner Schulz ({54})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({55})
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Antje Blumenthal
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Wolfgang Börnsen
({56})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({57})
Hartmut Büttner
({58})
Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens ({59})
Peter H. Carstensen
({60})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({61})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({62})
Axel E. Fischer
({63})
Klaus Francke
Dr. Gerhard Friedrich
({64})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({65})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther ({66})
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({67})
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({68})
Hansgeorg Hauser
({69})
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers
({70})
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({71})
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
({72})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({73})
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({74})
Erwin Marschewski
({75})
Dr. Martin Mayer
({76})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({77})
Elmar Müller ({78})
Bernd Neumann ({79})
Claudia Nolte
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({80})
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Christa Reichard ({81})
Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({82})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Christian Schmidt ({83})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({84})
Andreas Schmidt ({85})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr
von Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({86})
Michael Stübgen
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({87})
Gerald Weiß ({88})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({89})
Hans-Otto Wilhelm ({90})
Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({91})
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
FDP
Ina Albowitz
({92})
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({93})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({94})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({95})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Carl-Ludwig Thiele
PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({96})
Müller ({97}), Manfred
PDS
Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen
worden.
Ich rufe Punkt I. 17 auf:
Einzelplan 05
Auswärtiges Amt
- Drucksachen 14/7305, 14/7321 Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Titze-Stecher
Steffen Kampeter
Dr. Werner Hoyer
Dr. Barbara Höll
Es liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU und der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache
zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist auch so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Steffen Kampeter.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich hätte
an dieser Stelle der Münchner CSU-Abgeordnete Herbert
Frankenhauser sprechen sollen, aber er hat sich einer
Operation unterziehen müssen und befindet sich auf dem
Wege der Besserung. Er schaut wahrscheinlich zu. Ich bin
sicher, ich spreche im Namen des ganzen Hauses, wenn
ich ihm von dieser Stelle aus Genesungswünsche übermittle.
({0})
Ich schließe
mich dem an.
In der Debatte um
den Außenetat stehen aus unserer Sicht drei Aspekte im
Vordergrund:
Erstens. Wo stehen die deutsche Außenpolitik und der
deutsche Außenminister nach Vertrauensfrage und Parteitagen?
Zweitens. Welchen Stellenwert besitzen die deutsche
Außenpolitik und ihre Schwerpunkte im Etat 2002?
Drittens. Begreift die rot-grüne Machterhaltungsgemeinschaft - eine Koalition kann man das kaum noch
nennen - auch die auswärtige Kulturpolitik endlich als
wirkungsvolles Instrument der auswärtigen Politik?
({0})
Nach den vergangenen zwei Wochen bleibt der beschämende Befund, dass die Erhaltung von Macht und
Pfründen alle wesentlichen außenpolitischen Debatten
überlagert hat. Was muss eigentlich die deutsche Öffentlichkeit gedacht haben, als am vorvergangenen Freitag
nach der Abstimmung über den größten Militäreinsatz der
deutschen Nachkriegsgeschichte die rot-grüne Koalition
freudig Applaus spendete? Freudiger Applaus für einen
großen Militäreinsatz? - Nein, der Applaus war wohl eher
dafür, dass diese Koalition gerade noch einmal davon gekommen ist.
WirhabenindenMedienerlebt,dassviele, insbesondere
von Bündnis 90/Die Grünen, kritisiert haben, dass es einen
Verbund der Vertrauensfrage mit dem Einsatz der Bundeswehr gegeben hat. Leider haben wir auch erleben müssen,
dass selbst auf dem Parteitag der Grünen in Rostock genau
dieser Verbund aufrechterhalten wurde. Daran konnte man
erkennen, dass die Klage darüber offensichtlich mehr geheuchelt als ernst gemeint war. Die grüne Partei ist offensichtlich zum Vizekanzlerwahlverein degeneriert.
({1})
Auch der deutsche Bundeskanzler hat in den vergangenen Wochen seine Unglaubwürdigkeit in bündnispolitischen Fragen nachdrücklich belegt. Sein Angebot, militärische Kapazitäten beizusteuern, schließt ausdrücklich
Kampfeinsätze aus. Die Vereinigten Staaten haben längst
gemerkt, dass entsprechende Hilfsangebote der Deutschen keine ernst zu nehmende Hilfe sind, wenn sie an
solch unrealistische Konditionen geknüpft sind.
In den vergangenen Wochen hat der Bundeskanzler in
vielen Bereichen auf europäischer Ebene keine gute Figur
gemacht.
({2})
Das Wort „Europa“ habe ich in der gesamten Debatte um
die Bekämpfung des Terrorismus kaum vernommen. Bilaterale oder trilaterale Treffen schränken die Möglichkeiten für ein gemeinschaftlich orientiertes Handeln ein.
Auch die Behinderung der Washington-Reise der EUTroika durch nationale Eitelkeiten war keine Glanzleistung der deutschen Außenpolitik.
Wir müssen eines bedenken: Durch Fehltritte und
großspuriges Auftreten werden die kleineren Partner in
Europa verärgert. Gerade in den letzten Monaten hat sich
gezeigt, dass die Gefahren des Terrors die Kapazitäten der
Nationalstaaten überschreiten. Wir sind auf europäische
Lösungen angewiesen. Dies wird nach meiner Auffassung
von großem Nutzen sein.
Lassen Sie mich zu den Haushaltsberatungen einiges
im Detail sagen. Außenpolitik ist wesentlich auch Personalpolitik. Die angemessene Ausstattung des auswärtigen Dienstes mit qualifiziertem, motiviertem und leistungsbereitem Personal ist Anliegen aller Fraktionen im
Deutschen Bundestag. Von daher war die Unterstützung
dafür richtig, dass die Flexibilisierung der Stellenpläne
zwischen dem Inland und dem Ausland vorangetrieben
wurde, um in angemessener Weise auf aktuelle Erfordernisse einzugehen. Auch konnte eine Steigerung der Personalreserve des Auswärtigen Amtes auf insgesamt
100 Personen dazu führen, dass wir im Auswärtigen Amt
auf unvorhergesehene Ereignisse flexibel reagieren können. Wir erwarten allerdings auch, dass der Parlamentswille bei diesen Freiräumen nicht missachtet wird, sondern dass diese Freiräume verantwortlich genutzt werden.
Vor dem Hintergrund knapper Kassen in vielen Personal- und Sachbereichen muss allerdings die an feudale ZeiVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
ten erinnernde Personalpolitik des Bundesaußenministers
nachhaltig kritisiert werden. Explosionsartig wird die Zahl
der Stellen im oberen Besoldungsbereich erhöht, zuletzt
unter dem Deckmantel des Antiterrorpakets. So werden
alte Kampfgefährten des Bundesaußenministers in hohe
und höchste Positionen gehievt und von der Zentrale aus
sogar in Botschafterfunktionen gebracht, wie das Beispiel
Chile eindrucksvoll und erschreckend zeigt. PR-Berater
mit hohen und höchsten Gehältern werden aus Mitteln des
Auswärtigen Amtes bezahlt. Ein besonders ärgerliches
Beispiel für die feudale Personalpolitik ist die Besoldung
des Leiters des Planungsstabes des Auswärtigen Amtes,
der nach Zeitungsberichten den Außenminister vorrangig
in Parteigremien des Bündnisses 90/Die Grünen vertritt.
Folgerichtig müssten diese Personalkosten dem Finanzminister anständigerweise von Partei oder Fraktion erstattet
werden.
({3})
Gleiches gilt auch für Herrn Volmer, der vor allen Dingen die parteiinterne Öffentlichkeit ständig mit halbamtlichem Gerede beruhigen will. Ich denke an seine Ankündigung, der Militäreinsatz werde zwar beschlossen, aber
nicht begonnen. Dies war außenpolitisch fahrlässig, mehr
von parteitaktischen Motiven getragen und in der Sache
falsch und irreführend. Die Bekämpfung des Terrors
reicht weit über den nächsten Wahltermin hinaus.
Die deutsche Öffentlichkeit wird auch daran interessiert sein, zu erfahren, welche intelligenten oder weniger
intelligenten, aber in jedem Fall kostenträchtigen Lösungen für den einer breiteren Öffentlichkeit erst durch seine
Sprach- und Esskultur bekannt gewordenen und folgerichtig von seinen Aufgaben entbundenen Kanzlerberater
Steiner gefunden werden. Hier droht ein weiterer politischer Versorgungsfall. Es wäre ein klärendes Wort vonseiten der Bundesregierung geboten, ob die Vermutungen
zutreffen, dass mit einer Aufwertung des Chefs des Bundeskanzleramtes zum Bundesminister zusätzlicher Spielraum geschaffen werden soll, um Spitzenbeamte im Bundeskanzleramt und im Auswärtigen Amt zu besolden.
Die Stellenaufstockung im Rechts- und Konsularbereich wird von uns hingegen unterstützt. Sie ist zwar
knapp ausgefallen, aber in der Sache sehr berechtigt. Sie
hätte angesichts des Bedarfs angemessener sein können,
wenn die Koalition mit Personalausgaben in anderen Bereichen nicht so geaast hätte.
Andere Fragen wie die der baulichen Sicherheit der
Auslandsvertretungen - sie liegen nach den Terroranschlägen eigentlich auf der Hand - bleiben unzureichend
beantwortet. Der Investitionsstau ist erheblich. Er wird
auf weit über 100 Millionen DM geschätzt.
Erfreulich ist die Aufstockung der Mittel für die
Kriegsgräberfürsorge im Etat 2002. Auf Vorschlag der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird im Frühjahr 2002
die Regierung einen Vorschlag unterbreiten, der die
zukünftige Arbeit des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge dauerhaft finanziell und politisch absichert.
({4})
- Herr Kollege Schmidt, da Sie an den Beratungen nicht
teilgenommen haben, möchte ich klarstellen: Dieser Vorschlag kam aus der CDU/CSU-Fraktion und wurde von
der Koalition aufgegriffen.
({5})
Das Anliegen, die Kriegsgräberfürsorge finanziell und
politisch abzusichern, hat insbesondere der Kollege
Frankenhauser mit viel Engagement in den vergangenen
Jahren unterstützt. Deswegen ist es erfreulich, dass es
heute umgesetzt wird.
Weiterhin ist es gelungen, den Umbau der Villa Borsig
am Rande der Hauptstadt unter parlamentarische Kontrolle zu stellen. Eine Nobelsanierung konnte so verhindert werden.
In der Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ von Montag beschreibt der neue Generalsekretär des Goethe-Instituts die in seinen Augen wohl eher trostlosen Perspektiven der auswärtigen Kulturpolitik. Im entsprechenden
Etat haben sich keine wesentlichen Änderungen ergeben.
Der auf Sparflamme betriebene Dialog mit dem Islam ist
zu einer Strichaufzählung verkommen. Aber der dickste
Hund ist beim Goethe-Institut passiert. In einer Nachtund-Nebel-Aktion wurde die Umwidmung von Stellen in
Programmmittel, die in den Fusionsverhandlungen zwischen Goethe-Institut und Inter Nationes zugesichert war,
verhindert, sozusagen einkassiert. Die Initiative dazu ging
vom Finanzminister aus. Dies ist sowohl vom Verfahren
als auch von der Sache her ein völlig inakzeptabler Umgang mit den Mittlern der auswärtigen Kulturpolitik, der
auch wesentlich das Verhältnis zwischen Parlament und
Regierung berührt. Deswegen haben wir einen Änderungsantrag in dieser Sache eingereicht.
({6})
Auch die Ausstattung der politischen Stiftungen hätte
im Hinblick auf den Dialog mit dem Islam erheblich umfangreicher ausfallen können, als es die rot-grüne Koalition zu akzeptieren bereit war. Die Aufstockung beseitigt
lediglich die größte Not, schafft aber kaum Möglichkeit
für Neues. Hier wäre Zusätzliches geboten.
({7})
Als eine erfreuliche Nebenerscheinung - aber leider nur
das - muss da die gemeinsame Initiative aller Fraktionen
des Parlaments gewertet werden, die Mittel für Auslandsstipendien und Auslandsschulen anzuheben. Den Mitberichterstattern sei an dieser Stelle Dank ausgesprochen für
ein kooperatives Miteinander nicht nur in dieser Frage,
sondern auch in manch anderen Fragen über die Fraktionsgrenzen hinweg. Insbesondere der Kollegin TietzeStecher, die sich leider entschlossen hat, nicht wieder zu
kandidieren, sprechen wir unseren Dank aus. Ihr Sachverstand wird der zukünftigen Opposition sicher fehlen.
({8})
Dank auch den Haushältern aus dem Auswärtigen Amt
sowie dem Bundesfinanzministerium. Alles, was sie uns
erfolgreich verschwiegen haben, werden wir bei den
nächsten Haushaltsberatungen herausfinden.
In der Substanz überzeugt dieser Etat nicht. Deswegen
wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ihn ablehnen.
({9})
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Uta Tietze-Stecher.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Am Schluss war es ein echter
Kampeter: Meine Kolleginnen und Kollegen hätten bei
dem Lob für mich gern geklatscht. Das aber wurde ihnen
durch den Nachsatz verwehrt.
({0})
Um den Schluss meiner Ausführungen vorwegzunehmen: Auch ich empfand die Beratungen in meiner Berichterstattergruppe zum Einzelplan 05, Auswärtiges
Amt, als ausgesprochen kollegial. Da man nie weiß, auf
welcher Wegstrecke und in welcher Formation man die
Kolleginnen und Kollegen wieder trifft - so abstrakt
möchte ich das einmal darstellen -, ist es für mich ein demokratisches Erfordernis, mit ihnen kollegial umzugehen. Das heißt auch, gerade bei der außenpolitischen Arbeit im Haushaltsausschuss nach Möglichkeit auf ihre
Wünsche einzugehen. Ein Verfahren des außenpolitischen Ausschusses hat mir immer imponiert: Er fasst
keine haushaltspolitischen Beschlüsse, sondern er debattiert den Haushalt möglichst in Anwesenheit der zuständigen Haushälter und hofft, dass seine Wünsche angemessen berücksichtigt werden. Insofern haben wir uns
alle Mühe gegeben, entlang der politischen Linie, die
natürlich die rot-grüne Bundesregierung vorgibt, einige
Wünsche zu erfüllen.
Der Bundesetat 2002 ist der vierte und damit der letzte
Haushalt in dieser Legislaturperiode, den die rot-grüne
Bundesregierung zur Debatte und zur Abstimmung vorlegt.
({1})
- Herr Kampeter, das überlassen wir den Wählerinnen
und Wählern.
({2})
Wir haben gestern und auch heute eine sachliche,
manchmal auch unsachliche, in jedem Fall aber eine umfangreiche Debatte gehabt. Das ist auch gerechtfertigt;
denn nach vier Haushalten ist ein bilanzierendes Urteil erforderlich. Dies gilt auch für die Entwicklung des Einzelplans 05,AuswärtigesAmt. Hier, Herr Kampeter, muss ich
einige Ihrer Bewertungen strikt zurückweisen. Ihre Abschweifungen zu den Hintergründen und Ergebnissen der
Parteitage von SPD und Grünen kommentiere ich nicht.
({3})
Auf die Personalpolitik der Regierung, speziell des
Auswärtigen Amtes, wird der Minister eingehen. Es
dürfte aber absolut nachvollziehbar sein - Sie waren 16
Jahre lang an der Regierung und müssen das wissen -,
dass sich die politische Leitung mit Personen ihres Vertrauens zu umgeben hat, weil diese die Politik umzusetzen haben. Das kann überhaupt nicht kritisiert werden.
({4})
Zum Personalbestand des Auswärtigen Amtes und
dessen Entwicklung muss ich dem Außenminister und
dem gesamten Amt ein großes Kompliment aussprechen:
Sie haben sich in den vergangenen drei Jahren strikt und
solidarisch an die Sparauflagen gehalten und keine Extrawurst verlangt. Das muss an dieser Stelle einmal festgehalten werden, auch wenn es im Amt hier und da geknirscht hat. Wir haben es gemeinsam geschafft - Herr
Hoyer war hier der Protagonist -, den R- und K-Bereich,
also die Visastellen und das Rechts- und Konsularwesen,
bis heute aus der jährlichen 1,5-prozentigen Kürzung herauszuhalten. Das verdient ein Lob und nicht die Mordskritik, die Sie hier verbreitet haben.
Ich zitiere aus der „Süddeutschen Zeitung“ von gestern, also fast aktuell:
Die rot-grüne Haushaltspolitik mag ihre Schwächen
und Widersprüche haben. Und doch gebührt Genossen und Grünen ein Lob. Die Koalitionäre haben in
der Finanzpolitik eine Wende geschafft ...
So ist es.
({5})
Herr Kollege Metzger von den Grünen hat dies gestern
auf eindrucksvolle Art und Weise dargestellt.
Wie wahr, so wie in Ihren Zeiten Sparpolitik unpopulär
war, Herr Kampeter, weil sie als soziale Kahlschlagpolitik praktiziert wurde, so gilt sie heute als Markenzeichen
rot-grüner Regierungspolitik. Sie gilt als Nachweis für
den soliden Umgang mit Steuergeldern und als sozial gerecht im Hinblick auf die Verantwortung, die wir für künftige Generationen tragen. Das nicht nur unmäßige, sondern auch insbesondere für Arbeitnehmer belastende
Schuldenmachen, so wie Sie es gemacht haben, verurteilt
der Bürger hingegen zu Recht als schlechte Politik.
Der Haushalt 2002 steht insofern voll in der Kontinuität und für Verlässlichkeit der rot-grünen Finanzpolitik. Das gab es früher nicht. Deshalb ist die Opposition
auch ein schlechter Ratgeber in Sachen Finanzen und
Haushaltssanierung. Allein die Forderungen aus Ihren
Reihen ergäben, Ausgaben und Steuermindereinnahmen
zusammengerechnet, ein Summe von 433 Milliarden DM. Sie benötigten den doppelten Umfang des Bundeshaushaltes; der Bürger behielte nichts in der Tasche.
({6})
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den jüngsten Bericht der OECD. Er warnt ausdrücklich vor einer
Lockerung der Haushaltsdiziplin und einer Orientierung
an den amerikanischen Konjunkturprogrammen. Das BeiSteffen Kampeter
spiel Japan zeigt bestens, was das Ergebnis solcher Programme ist: ein immer höherer Schuldensockel. Wir sehen in diesem Punkt genau wie die OECD keinen Anlass
für Konjunkturprogramme oder eine Lockerung der
Maastrichter Kriterien.
Von einem Kaputtsparen kann bei einem Haushaltsvolumen von knapp 500 Milliarden DM, die der Bund im
nächsten Jahr ausgeben will, keine Rede sein. Das Auswärtige Amt hat die von ihm geforderten Einsparungen
dazu erbracht.
Ich erinnere mich noch lebhaft an die Debatte über den
Bundeshaushalt für das laufende Jahr, an die Attacken aus
Ihren Reihen, Herr Kampeter, als Auslandsvertretungen
geschlossen werden mussten, als Ausgaben für politische
Stiftungen und Auslandsschulen gekürzt wurden, ein
neues Konzept für die Beschäftigung der Ortskräfte an
den Auslandsvertretungen entwickelt wurde und - oh
Schreck! - sogar Goethe-Institute schließen mussten. Das
war im Einzelfall nicht alles notwendig. Es lag daran, dass
das Auswärtige Amt - wie übrigens alle Ressorts - in der
Vergangenheit viel zu zögerlich darangegangen ist, Kostenstrukturen unter dem Gesichtspunkt der Effizienz zu
analysieren und zu reformieren. Aber unter einem heilsamen Spardruck scheint das zu gelingen.
Inzwischen arbeitet das Ministerium nämlich mit
Hochdruck an der Reform des auswärtigen Dienstes.
Daraus werden sich garantiert Auswirkungen auf die
haushaltspolitische Situation ergeben. Durch eine Vielzahl von Maßnahmen wird sich der auswärtige Dienst an
gewachsene Erwartungen und neue Herausforderungen
anpassen. So überprüft das Ministerium alle Arbeitsbereiche mit dem Ziel einer Rückführung auf die Kernaufgaben. Allerdings soll es keine Einbußen am Standard des
Services geben.
Als Reaktion auf die Auswirkung von Botschaftsschließungen - der Protest aus unseren Reihen erfolgte
teilweise zu Recht; ich nenne das Stichwort Afrika - soll
in Ländern, in denen wegen der entwicklungspolitischen
Zusammenarbeit ein erhebliches Interesse an unserer Präsenz besteht, allerdings aus Geld- und Personalmangel
keine ausgebaute Botschaft aufrechterhalten werden
kann, die Vertretung als Kleinstvertretung mit ein bis zwei
Entsandten fortgeführt werden. Herr Minister, dieses
Konzept entspricht der von mir anlässlich der ersten
Schließung einer Botschaft erhobenen Forderung nach intelligenten, kreativen Lösungen in Zeiten des Rotstifts.
({7})
Inzwischen wissen wir, dass keine weiteren Schließungen
von Botschaften oder Generalkonsulaten durchgeführt
werden mussten. Auch das ist begrüßenswert.
Auf der Agenda der Reforminitiative des Auswärtigen
Amtes stehen neben Verwaltungsvereinfachung und Aufgabenkritik aber auch die beabsichtigte Stärkung der Autonomie der Auslandsvertretungen durch Budgetierung,
weitere Dezentralisierungsschritte und das Bemühen um
eine verstärkte europäische Zusammenarbeit im Konsularbereich.
Wenn Sie, Herr Minister, alle Vorhaben, die in den Titeln für das Personalmanagement, die Öffnung zur Zivilgesellschaft, die Reorganisation der Strukturen der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik - Berichterstatterin
zu diesem Bereich ist die Kollegin Dr. Elke Leonhard, die
auch auf das spezielle Problem der Goethe-Institute eingehen wird - aufgeführt sind, umsetzen und die Haushälter sowie das Finanzministerium nach Prüfung der Ergebnisse den Eindruck gewinnen, dass sich diese Projekte auf
der richtigen Schiene befinden, dann dürfen Sie sicher
sein, dass wir auch dafür zu gewinnen sind, die von Ihnen
sehnlichst erwünschte Zusammenlegung der Kapitel für
die Zentrale und die Auslandsvertretungen zu beschließen.
Aber zurück zu den Details des Haushalts. Im Kabinettsentwurf umfasste der Einzelplan 05 - Auswärtiges
Amt - ein Gesamtvolumen von rund 4,115 Milliarden DM und lag damit um 0,6 Prozent unter dem Haushalt dieses Jahres. Sein Anteil am Gesamthaushalt sackte
von 0,87 Prozent auf 0,85 Prozent ab.
Nun haben wir im parlamentarischen Verfahren einige
Sparstellschrauben lockern müssen - ich will das auch erklären -, und zwar nicht im Hinblick auf Wahlkampf und
Wahlkampfgeschenke - das verbietet sich bei der Arbeit
des Auswärtigen Amts von selbst -, sondern im Hinblick
auf einige objektive Erfordernisse.
Die Finanzplanung 2000 bis 2003 wurde - völlig realitätsfremd - noch mit einem Dollarkurs von 1,68 DM
aufgestellt und fortgeschrieben.
({8})
Bundesfinanzminister Eichel reagierte sofort und angemessen. Bereits bei der Aufstellung des Kabinettsentwurfs setzte er den Kurs auf 2,10 DM fest. Das wurde in
der Bereinigungssitzung bestätigt. Das ist gerade für das
Auswärtige Amt besonders wichtig, weil dieser Haushalt
einen hohen dollarkursabhängigen Ausgabenanteil im
Ausland hat und somit parallel zum Anstieg des Dollarkurses eine zunehmende Unterdeckung bei den Betriebsausgaben entsteht - mit fatalen Folgen. Der Rückgriff auf
noch vorhandene überjährige Ausgabereste würde speziell Investitionstitel treffen - das würde das verstärken,
was Sie, Herr Kampeter, beklagen; das wollen auch wir
nicht - oder aber es würden Kürzungen im politischen Bereich notwendig, die wir auch nicht wollen.
Ein weiterer Grund für die Aufstockung des Haushalts
ist neben dem gestiegenen Dollarkurs das Ansteigen der
Pflichtbeiträge an internationale Organisationen. Auch
das ist eine Folge des Dollarkurses. Das war schon Thema
bei der letzten Haushaltsdebatte.
Aufgrund von Mehrbedarf durch neue oder auch verlängerte Missionen der VN sind im Regierungsentwurf
zunächst 420 Millionen Euro angesetzt worden. Das
wurde im Parlamentsverfahren auf 458 Millionen Euro
oder 896 Millionen DM, also eine knappe Milliarde DM,
erhöht. Rechnet man alle regulären internationalen
Beiträge zusammen, dann beläuft sich dieser Batzen sogar auf runde 1,1 Milliarden DM, das heißt auf 27 Prozent
des Gesamthaushalts des Auswärtigen Amtes oder auf
immer noch 75 Prozent der Mittel in Kapitel 0502 „Allgemeine Bewilligungen“, in dem die politischen Aufgaben zusammengefasst werden. Das ist eigentlich ein Dilemma. Der auswärtige Etat sieht einigermaßen
passabel aus - etwas über 4 Milliarden DM -, aber
wenn man genau hinguckt, dann stellt man fest, dass ein
knappes Drittel für Pflichtaufgaben benötigt wird. Das
heißt im Umkehrschluss, dass die Manövriermasse für
politische Aufgaben sehr, sehr gering ist und immer geringer wird.
Im Kapitel „Allgemeine Bewiligungen“ haben wir einvernehmlich die Mittel für gesellschaftspolitische Maßnahmen der politischen Stiftungen um 1,5 Millionen DM
erhöht, um nicht nur die Fortführung der von den Stiftungen geleisteten außerordentlich guten politischen Arbeit
zu stabilisieren, sondern um vor allem auch den politischen Aufbauprozess in Mazedonien abzustützen.
({9})
Gerade die Stabilisierung dort im Rahmen einer konfliktpräventiven Strategie ist ein gutes Beispiel dafür, dass die
Konfliktprävention ein Leitprinzip deutscher und internationaler Mazedonien-Politik ist.
({10})
Die am 16. November nach wochenlangem Hin und
Her durch das mazedonische Parlament beschlossenen
Verfassungsänderungen stellen eine wichtige Grundlage
für das künftige friedliche Zusammenleben der slawischen und albanischen Bevölkerungsteile in Mazedonien
dar und sind insofern auch eine Legitimation für das haushälterische Gebaren.
Dieser Erfolg ist nicht ausschließlich der Einsicht der
Betroffenen zu verdanken, sondern vor allem dem entschlossenen internationalen Engagement, nicht zuletzt
aber auch dem Bundeswehreinsatz, der entscheidend zur
Deeskalation beigetragen hat.
({11})
Ich weiß, es ist einigen nicht leicht gefallen, aber die lange
umstrittene Parlamentsentscheidung im Fall Mazedonien
konnte nur erreicht werden, weil der Einsatz der Bundeswehr konfliktbewältigend gewirkt hat. Es bleibt zu hoffen, dass das innerethnische Zusammenleben dank weiterer finanzieller Hilfe weiter unterstützt durch den
Stabilitätspakt sowie das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen der EU gelingt.
Wir wissen nicht erst seit der Bereitstellung von
300 Millionen DM jährlich für den Stabilitätspakt in
Südosteuropa, dass Frieden seinen Preis hat, besonders,
wenn er erst geschaffen werden muss, wie aktuell in
Afghanistan.
({12})
Insofern ist der Bedarf für internationale Maßnahmen auf
dem Gebiet der Krisenprävention, Friedenserhaltung und
Konfliktbewältigung immens und immer höher als das,
was schließlich etatisiert wird. Wir sind bei der Bewältigung der finanziellen Lasten ja auch nicht allein auf
der Welt.
({13})
Trotzdem möchte ich darauf hinweisen, dass die Mittel
für diesen Bereich - dasselbe gilt für den Titel „Humanitäre Maßnahmen“ - im letzten Jahr, also gültig für dieses Jahr, im parlamentarischen Verfahren um jeweils rund
20 Millionen DM erhöht wurden. Das hat der Finanzminister immerhin akzeptiert.
({14})
Er hat die Mittel verstetigt - das muss man wirklich gebührend loben -, wenn auch auf einem um jeweils etwa
5 Millionen DM etwas abgesenkten Niveau.
In Richtung Finanzministerium möchte ich sagen: Für
uns als Parlamentarier ist das nur erträglich, weil im Antiterrorpaket, das über 3 Milliarden DM Finanzmasse
verfügt, Kompensation für das Auswärtige Amt zu erwarten ist. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass
die Krisenentwicklung nach den Terroranschlägen vom
11. September dieses Jahres auch das Auswärtige Amt vor
völlig neue Herausforderungen stellt. Diese Herausforderungen hinterlassen nicht nur im Bundeshaushalt Spuren,
sondern auch im Auswärtigen Amt. Wir als Haushälter
haben diese 3 Milliarden DM im Einzelplan 60, Allgemeine Finanzverwaltung, etatisiert.
({15})
- Das war sachlich richtig, weil wir den Mittelabfluss
beobachten müssen, weil wir sehen müssen, ob mit dem
Geld auch das getan wird, was wir damit verbinden.
50 Prozent sind für militärische Sicherheit vorgesehen.
Das Auswärtige Amt erhält aus dem 3-Milliarden-Paket
225 Millionen DM, wovon es die Hälfte für die Verbesserung des Personen- und Objektschutzes in gefährdeten
Auslandsvertretungen verwendet. Das, was Sie monieren,
wird getan, Herr Kampeter.
({16})
Ihre Kritik geht ins Leere. Ich muss nicht jede Auslandsvertretung sichern, sondern nur die gefährdeten. Die Beobachtungen der Botschafter vor Ort sind wohl authentisch.
Die zweite Hälfte der Mittel aus dem Antiterrorpaket
für das Auswärtige Amt dient der Verstärkung politischer
Maßnahmen, speziell im humanitären Bereich, auf dem
Gebiet der Terrorismusprävention und Terrorismusbekämpfung, zum Aufbau und zur Verbesserung der Beziehungen zur islamischen Welt, Stichwort „Dialog und
Begegnung mit dem Islam“ und auch - das ist ausdrücklich im Maßnahmenpaket angemerkt - zur Anhebung der
Pflichtbeiträge und freiwilligen Leistungen für Missionen
und Projekte der OSZE. Ferner ist die Unterstützung
für internationale Maßnahmen zur Krisenprävention,
Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung genannt.
Ich erwarte daher, dass das Auswärtige Amt aus diesen
Mitteln die Arbeit von international agierenden Organisationen und Einrichtungen wie IKRK, Unicef, UNHCR
und UNRWA, das Flüchtlingswerk für palästinensische
Flüchtlinge unter dem Schirm der UNO, - ich erspare mir
die ganze Latte, Sie kennen die Organisationen - unterstützt, sodass die Maßnahmen dieser Organisationen
durch die politischen Ausgaben des Antiterrorpaketes verbessert werden können.
Wir Berichterstatter für den Einzelplan 05 werden den
Mittelabfluss im Verlauf des Haushaltsvollzugs genauestens beobachten und uns durch regelmäßige Berichte
informieren lassen. Denn eines muss klar sein: Die Mittel
für die militärische Aktion, das heißt für die Bereitstellung
von deutschen Streitkräften bei der Unterstützung der
gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen
die USA, müssen in einem gesellschaftlich akzeptablen
Verhältnis zu den Mitteln stehen, die der Abwendung
humanitärer Katastrophen und dem Wiederaufbau
Afghanistans nach über zwei Jahrzehnten Krieg und
Zerstörung dienen.
({17})
Sonst werden Sie Akzeptanzschwierigkeiten nicht nur in
diesem Land bekommen.
Die militärischen Mittel sind aus unserer Sicht unverzichtbar und die Grundvoraussetzung für einen Erfolg der
humanitären und politischen Bemühungen, Mazedonien
als Modell. Aber sie müssen in einen umfassenden humanitären und politischen Zusammenhang eingebettet werden. Insofern ist es richtig, wie heute die „Süddeutsche
Zeitung“ schreibt - ich zitiere eine Schlagzeile -, „im
Frieden zu planen, während der Krieg tobt“. So viel zur
Konferenz in Bonn.
Im Zusammenhang mit den entsetzlichen Terroranschlägen vom 11. September ist vieles geschrieben und
gesprochen worden, hier im Plenum, in den Medien, auf
Parteitagen, in Amerika. Man mag manche Aussprüche,
Analysen, Schlussfolgerungen und Perspektiven teilen
oder nicht teilen: Eines aber ist allen bewusst geworden:
Wir leben in einer Welt und kein Land ist unverwundbar,
auch nicht der große Sieger des Kalten Krieges. Der internationale Terrorismus ist eine Herausforderung für die
Politik, für das Militär, für die Justiz, nicht zuletzt für die
Kultur, für uns alle.
Die notwendige Bekämpfung weltweit operierender
terroristischer Netzwerke erfordert aber im Gegenzug ein
Netzwerk der internationalen Staatengemeinschaft.
({18})
Daher ist die Stärkung der Vereinten Nationen das Gebot
der Stunde und die eigentliche Schlussfolgerung aus dem,
was sich ereignet hat. Die Vereinten Nationen sind nämlich die einzig legitimierte und akzeptierte Instanz zum
Schutz von Frieden und Sicherheit in der Welt; sie bleiben
für die Lösung der globalen Probleme unverzichtbar.
({19})
Die Vereinten Nationen ersetzen kein Ordnungssystem. Ich hoffe, dass die durch die Selbstverweigerung
der USAbisher entwerteten UN in eine neue Lage versetzt
werden. Die UN könnten mit Unterstützung der USA als
Ort des Ausgleichs und des Kompromisses an Wert, Gewicht und Einfluss zunehmen. Ein Schritt auf diesem Weg
wäre sicherlich die Anerkennung eines Internationalen
Strafgerichtshofs durch die USA.
({20})
Anders als es in den USA vielleicht öffentlich bewusst gemacht worden ist, könnte sich dieser bisher abgelehnte
Gerichtshof zu einem wertvollen Instrument der Terrorismusbekämpfung entwickeln. Das wäre eine Chance, den
internationalen Terrorismus zu ächten.
Ein Wort zur aktuellen Afghanistan-Konferenz. Ich
denke, dass Bonn bewusst als Ort für die AfghanistanKonferenz gewählt worden ist.
({21})
Seitens der Staatengemeinschaft verknüpft sich diese
Wahl möglicherweise mit der Erwartung, dass Deutschland ein ganz besonders engagierter Partner ist, wenn es
darum geht, die in Bonn hoffentlich zustande kommenden
innerafghanischen Vereinbarungen bezüglich der politischen Prozesse abzustützen.
Ich halte es daher für eine gute Entscheidung, dass der
UN-Beauftragte für Afghanistan, Lakhdar Brahimi, ausgerechnet nach Deutschland eingeladen hat. Herr Bundesaußenminister, ich möchte Sie bei dieser Gelegenheit
für Ihr Engagement in dieser Sache - dasselbe gilt für Ihre
Vermittlung im Palästina-Konflikt - ausdrücklich loben
und ich bedanke mich im Namen der Parlamentarier.
({22})
Frau Kollegin,
denken Sie bitte an die Zeit.
Ich sehe es.
Im Moment ist es allerdings mit Blick auf den beginnenden Winter ganz wichtig, die zur Verfügung stehenden
Mittel - es sind genug da - den hungernden und frierenden Flüchtlingen zu bringen. Deshalb hat Deutschland,
das den Vorsitz der Afghanistan Support Group hat, zu
einem neuen Treffen Anfang Dezember in Berlin eingeladen.
Zum Thema „Bekämpfung des Terrorismus in den
Köpfen durch Dialog“ möchte ich Sie, Frau Präsidentin,
zitieren, und zwar ohne dass es mir auf die Redezeit angerechnet wird.
({0})
Präsidentinnen
sind aber in Zeitfragen nicht bestechlich und auch sonst
nicht.
Sie gehen davon aus, dass
die zweite, dritte und vierte Generation der Terroristen besonders gefährlich sind. Auf Deutsch: Der Terrorismus in
den Köpfen - es geht um die Bekämpfung von Feindbildern - muss angegangen werden. Dazu wird die Kollegin Leonhard in ihren Ausführungen detailliert Stellung
nehmen.
Am Schluss - das ist meine letzte Rede zum Etat des
Außenministers - bedanke ich mich bei allen, die dazu
beigetragen haben, dass die Haushaltsberatungen für
uns nicht nur erträglich, sondern ersprießlich waren. Ich
bedanke mich insbesondere bei unseren Mitarbeitern in
den Büros, bei den Mitarbeitern des Haushaltsausschusssekretariats, bei den Verantwortlichen im Auswärtigen
Amt sowie im Bundesfinanzministerium und nicht zuletzt
bei den Kolleginnen und Kollegen für die kooperative
Zusammenarbeit. Ein Extradank geht an den erkrankten
Kollegen Frankenhauser.
Wie ich sehe - ich weiß, was jetzt kommt -, möchte ein
Kollege etwas zum Thema Goethe-Institute sagen. Wir
werden auch für die Probleme auf diesem Gebiet eine
kooperative Lösung finden.
({0})
Ich denke, der Beifall ist gerechtfertigt. Ich bitte um
Zustimmung zum Etat des Außenministers.
({1})
Jetzt kommt die
eben angedeutete Kurzintervention. Das Wort hat der Kollege Lammert, bitte.
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau
Titze-Stecher, ich möchte unseren Dank für die gute Zusammenarbeit, die es in diesem Bereich über viele Jahre
hinweg gegeben hat, mit dem Appell verbinden, bei der
Bewältigung eines Problems mitzuhelfen, woran wir, wie
ich glaube, gemeinsam ein herausragendes Interesse haben müssen.
Es hat in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses - ganz offenkundig weitgehend unbemerkt von
den Berichterstattern, jedenfalls nicht mit ihrer ausdrücklichen Zustimmung - eine Absenkung des Betriebsmittelhaushalts des Goethe-Instituts gegeben, die man bei
freundlicher Interpretation für eine bedauerliche Panne
und bei weniger freundlicher Interpretation für einen
peinlichen Wortbruch halten könnte. Aufgrund der Fusion
eingesparte Personalmittel werden nämlich nicht für eine
Verstärkung der Programmarbeit des Goethe-Instituts bereitgestellt.
Die Erklärung, die auf Bitte von Berichterstattern in
den letzten Tagen vom Finanzministerium zur Verfügung
gestellt worden ist, kann insofern nicht beruhigen und
nicht zufrieden stellen. Wenn Sie, Herr Diller, schreiben,
dass die Absenkung des Betriebsmittelansatzes von
119,8 Millionen Euro auf 119,4 Millionen Euro die Arbeit
des Goethe-Instituts „nicht über Gebühr beeinträchtigen“
werde, dann wird man dem schwerlich widersprechen
können. Nur war es unsere erklärte Absicht, die Arbeit des
Goethe-Instituts nicht nur nicht zu beeinträchtigen, sondern nachhaltig zu fördern.
({0})
Es würde nicht schaden, wenn diese einvernehmliche Absicht des Deutschen Bundestages auch im Finanzministerium mit dem nötigen Respekt zur Kenntnis genommen
würde.
Frau Präsidentin, ich habe sämtliche einschlägigen
Protokolle bei mir. Vom gemeinsamen Kommuniqué von
Goethe-Institut und Inter Nationes vom 11. August 1999
über das Eckdatenpapier, das unter Hilfestellung der
zuständigen Ressorts erstellt worden ist, über die Beschlussvorlagen für die jeweiligen Mitgliederversammlungen, ohne deren Zustimmung eine solche Zusammenlegung gar nicht hätte erfolgen können, über unsere
Nachfragen in den Beratungen des Ausschusses für Kultur und Medien bis hin zu den übereinstimmenden Auskünften der jeweiligen Vertreter der Ministerien haben wir
überall präzise den gleichen Befund. In allen Beschlussvorlagen und Beschlüssen heißt es: Voraussetzung für den
Zusammenschluss dieser beiden Institutionen ist, dass
auf diesem Wege eingesparte Personalmittel für eine
Verstärkung der Programmarbeit zur Verfügung gestellt
werden. Herr Bundesaußenminister, beide betroffenen
Einrichtungen haben dies in ihren Beschlüssen zur
Zustimmung zur Fusion ausdrücklich zur Voraussetzung
ihrer Zustimmung erklärt.
Ich selber habe auf einer der letzten Sitzungen des Kultur- und Medienausschusses in Vorausahnung einer solchen möglichen Panne den Vertreter Ihres Hauses darauf
hingewiesen, dass ihm dann Gott gnädig sein möge, falls
die Bundesregierung an dem erklärten Willen dieses Parlaments vorbei handeln sollte.
({1})
- Ich nehme die Mischung aus Zustimmung und Resignation von der Regierungsbank in der Weise auf, dass
der Bundesaußenminister der Opposition ausdrücklich
dankbar ist, wenn wir ihm helfen,
({2})
ihm und uns eine solche Peinlichkeit zu ersparen.
({3})
- Eben drum. Wir haben hier ja eine gemeinsame Position.
Genau deswegen haben wir einen Änderungsantrag
vorgelegt, mit dem diese Panne - ich bleibe jetzt einmal
bei dieser freundlichen Interpretation - ausgebügelt wird.
Dazu haben wir keine Stellungnahme gehört.
({4})
- Gleichwohl gehen wir, verehrter Kollege Schmidt, so
miteinander um, dass wir uns nicht gegenseitig mit überraschenden Anträgen überziehen.
Herr Kollege
Lammert, alles innerhalb von drei Minuten!
Ja, ganz genau.
Deswegen möchte ich die Kollegin Titze-Stecher, die
sich nicht ausdrücklich zu unserem Antrag geäußert hat,
bitten, uns eine Idee darüber zu vermitteln, ob dieser Antrag mit der Zustimmung auch der Koalition rechnen kann
oder in welcher anderen geeigneten Weise sichergestellt
werden kann, dass der erklärte Wille des Deutschen Bundestages vollzogen wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier geht es nicht nur
um die künftige Programmarbeit des Goethe-Instituts.
Hier geht es auch um die Verlässlichkeit des Deutschen
Bundestages
({0})
und damit um eine der Mindestvoraussetzungen politischer Kultur, für die das Parlament eine besondere Verantwortung hat.
({1})
Frau Kollegin
Titze-Stecher, bitte.
Herr Kollege Lammert,
da ich diesen Antrag eben erst sehen konnte, aber die
Problematik natürlich schon seit gestern kenne, muss ich
sagen:
Erstens. Es ist richtig, dass wir bei der Fusion von
Goethe-Institut und Inter Nationes eine Fusionsrendite
in Höhe von 11 Millionen DM zugesagt haben, was normalerweise nicht gemacht wird; denn von einer Fusion
erwartet man ja gerade eine Effizienz in Bezug auf Wirtschaftlichkeit, also eher Einsparungen. Wir haben das bewusst getan und haben gesagt: Wir lassen euch 11 Millionen DM von den zu erwartenden Einsparungen für
Programmarbeit. Insofern ist es natürlich nicht gerade ein
geschicktes Signal, wenn man bei der jetzt erzielten
Fusionsrendite zugreift.
Zweitens muss ich Ihnen aber sagen, dass schon in diesem Jahr eine Fusionsrendite von 1,5 Millionen DM
erwirtschaftet wird und diese aufgrund eines eigenen
Haushaltsvermerks - auch ein Entgegenkommen des
Bundesfinanzministers - beim Goethe-Institut verbleiben
darf. Wenn man nun von den auch im nächsten Jahr wieder erwarteten 1,5 Millionen DM rund 800 000 DM abzweigt, dann wird das Goethe-Institut bei einem Etat für
Betriebsmittel von 240 Millionen DM nicht Blut und
Wasser schwitzen müssen. Da wir aber im Wort stehen
- insofern treffe ich mich wieder mit Ihnen -, werden wir
Kollegen uns alle gemeinsam um eine Lösung bemühen.
Ich kann mir vorstellen, dass eine Kompensation auch
aus dem politischen Bereich, aus dem 3-Milliarden-Paket,
kommen könnte. - Der Außenminister nickt.
({0})
- Ja, ich weiß. - Es finden sich darin nämlich nach Angabe des Auswärtigen Amtes so schöne Dinge wie „Dialog und Begegnung mit dem Islam“, außerdem Zusammenarbeit von Kulturinstituten, Goethe-Instituten und
Auslandsschulen. Ich denke, in diesem Titel ist eine ganze
Menge Holz enthalten. Wir werden da wahrscheinlich
eine akzeptable Lösung finden.
Herr Fischer ist in dieser Frage von uns, dem Parlament, abhängig. Deswegen kann sein Nicken nur gedeutet werden als „Ich bin erfreut“, aber er kann es nicht entscheiden.
({1})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Werner Hoyer.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Gerne werde ich mich im
Laufe meines Beitrages an diesem nachgeholten Berichterstattergespräch beteiligen, weil auch ich mir bezüglich dieser Frage natürlich Sorgen mache. Ich möchte
trotzdem zunächst einen politischen Einstieg wählen.
Spätestens in den letzten zehn Wochen haben wir gemerkt, dass Außenpolitik wieder Konjunktur hat. Es hat
ja eine ganze Zeit lang so ausgesehen, als wäre die Außenpolitik so eine Art Sonderthema ohne große innenpolitische Relevanz, das in Luxusausschüssen behandelt
würde. Das ist anders geworden: Nie waren die Schnittstellen zwischen Außen- und Innenpolitik, speziell zwischen äußerer und innerer Sicherheit,
({0})
nicht zuletzt auch zwischen Außenpolitik, Außenwirtschaftspolitik und Binnenwirtschaft so deutlich wie zurzeit. Und das ist auch gut so.
Überzogene Erwartungen für eine friedliche Welt - die
haben wir ja alle mehr oder weniger nach 1990 gehabt sind nun brutal korrigiert worden. Die Einschläge kommen näher; das spüren die Bürgerinnen und Bürger. Deswegen hat Vertrauen in außen- und sicherheitspolitische
Handlungsfähigkeit und Kompetenz plötzlich wieder einen hohen Stellenwert. Natürlich - das haben wir heute
Morgen debattiert - heißt das nun keineswegs, dass die
lieben Kolleginnen und Kollegen von der Koalition und
vor allem in der Regierung nicht bald wieder von den Binnenthemen eingeholt würden. Dazu ist die Bilanz auf dem
Gebiet der Arbeitslosigkeit, bei Wachstum und Stabilität
einfach zu katastrophal.
({1})
Aber nach dem 11. September werden Außen- und Sicherheitspolitik und, wie ich hoffe, auch Europa- und Entwicklungspolitik auf der Themenrangliste nicht wieder so
sehr abrutschen, wie es eine Zeit lang gedroht hat. Das soll
der FDP nur recht sein. Seit Walter Scheel, Hans-Dietrich
Genscher und Klaus Kinkel wird außenpolitische Kompetenz auf das Engste mit der FDP verbunden. Das wird
so bleiben und das werden wir nutzen.
({2})
In einer Krisensituation wie nach dem Desaster von
New York und Washington schlägt die Stunde der Exekutive. Sie hat diese genutzt. Abgesehen von der PDS hat die
Opposition, ganz sicher wir Liberalen, sie dabei unterstützt. Wir haben dies aus voller Überzeugung getan: zum
einen, weil der Terroranschlag vom 11. September ein Anschlag auf die Grundwerte der gesamten freien Welt war,
dem man nun auch entschlossen und geschlossen entgegentreten muss; zum anderen, weil dies auch nicht die
Stunde kleinkarierter parteipolitischer Taktiererei war und
ist. Insofern hat der Bundeskanzler zunächst einmal Glück
gehabt. Aber nicht nur die wirtschaftlichen Realitäten
werden ihn einholen, sondern auch die strukturellen Defizite seiner Regierung; denn die sind ja durch das Krisenmanagement der letzten Wochen nicht plötzlich verschwunden, sie sind eher noch deutlicher geworden.
Da ist der Verteidigungsminister, dem in diesem
Sommer sein „sound judgement“, sein gesundes Urteilsvermögen, abhanden gekommen ist. Die Herausforderungen der letzten Wochen haben ihn im wahrsten Sinne des
Wortes zunächst einmal über Wasser gehalten. Aber in einer Phase, in der die Soldaten der Bundeswehr möglicherweise in den gefährlichsten Einsatz ihrer bisherigen
Geschichte geschickt werden, ist der Inhaber der Befehlsund Kommandogewalt nur begrenzt handlungsfähig,
({3})
weil er a) nachhaltig Vertrauen und Autorität verloren
hat - und das nicht nur national und innerparteilich, son-
dern auch international -, weil jetzt b) alle Fehler einer
verfehlten und halbherzigen Bundeswehrreform sichtbar
werden und er c) jetzt auch noch das Pech hat, dass Frau
Fugman-Heesing mit ihrem Abgang als Chefin der unseligen GEBB die Finanzierungsillusion zum Platzen gebracht hat, die Herr Scharping im Hinblick auf seinen katastrophal unterfinanzierten Haushalt möglicherweise
selber noch gehegt hat.
({4})
Als Zweites kommt dem Bundeskanzler dann noch
sein außenpolitischer Berater durch eine Affäre abhanden, deren Peinlichkeit und Armseligkeit den Verdacht
nahe legen, dass hier nur ein Tropfen das Fass zum Überlaufen gebracht hat, das längst randvoll mit Pleiten, Pech
und Pannen war. Armes Deutschland!
({5})
Die dritte internationale Schwächung haben ihm dann
die Grünen beigebracht. Die Welt hat mit Staunen beobachtet, dass die deutsche Handlungsfähigkeit wochenlang
an dem seidenen Faden der Ungewissheit hing, ob es dem
Bundeskanzler mit seiner erpresserischen Verbindung einer Abstimmung über eine Sachfrage mit dem Stellen der
Vertrauensfrage gelingen würde, einer hinreichenden Anzahl grüner Kollegen doch noch das Gewissen abzukaufen.
Das heißt doch, dass alle unsere Partner wissen: Jede
weitere außenpolitische Entscheidung von einiger Tragweite kann diese deutsche Regierung zum Kippen bringen. Oder gilt für den Rest der Legislaturperiode wirklich
schon die Devise von Ministerpräsident Gabriel aus Niedersachsen: „Die Grünen lassen wir jetzt nicht mehr in der
Voliere fliegen; wir gehen zur Käfighaltung über: Ein
bisschen Flattern dürfen sie noch, aber in der Koalition
bleiben müssen sie schon.“
({6})
Herr Fischer hat seine grünen Truppen in Rostock nur
dadurch an der Fahnenflucht hindern können, dass er die
zentrale deutsche Rolle beim politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau Afghanistans in der weltweiten präventiven Entwicklungspolitik in den Vordergrund gestellt
hat. Aber es ist schon erbärmlich, dass von der Bundesluftwaffe - offenbar wieder aus Rücksicht auf grüne Befindlichkeiten - deutsche humanitäre Hilfe und militärisches Material für unsere amerikanischen Freunde von
Ramstein gerade einmal bis in die Türkei geflogen werden. Die Reststrecke überlassen wir dann vorsichtshalber
doch lieber wieder den anderen.
({7})
Lassen Sie mich zu einigen grundsätzlichen Erwägungen kommen, die mir bei der Analyse der Entwicklung der
Außenpolitik der letzten Monate und Jahre aufgefallen
sind:
Erstens. Wir sind uns in diesem Hohen Hause einig,
dass wir uns nicht auf die militärische Dimension der
Konfliktlösung reduzieren dürfen und wollen. Was uns
Liberale und die Mehrheit des Hauses auf der einen Seite
und die PDS und einen Teil der Grünen auf der anderen
Seite trennt, ist, dass wir der Meinung sind, dass man die
Augen vor der Notwendigkeit, auch militärisch handeln
zu können und repressiv vorgehen zu müssen, nicht verschließen darf.
({8})
Aber der transkulturelle Dialog, eine ganz neue Anstrengung, die festgefahrene Rüstungsbegrenzungs-,
Abrüstungs- und Proliferationspolitik wieder flottzumachen - da höre ich übrigens von dieser Bundesregierung
verdammt wenig -,
({9})
und ein sehr viel größeres Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit, das muss zweifellos im Vordergrund stehen.
All dies weist - Kollegin Titze-Stecher hat zu Recht darauf hingewiesen - den Vereinten Nationen eine bedeuDr. Werner Hoyer
tende Rolle zu. Viele haben ja schon geglaubt, die Stunde
des Multilateralismus habe endlich geschlagen. Aus dem
sehr besonnenen amerikanischen Verhalten, aus dem gezielten Streben nach einer globalen Antiterrorkoalition
und einem UN-Sicherheitsratsbeschluss und last, but not
least nach dem Begleichen eines Teils der Beitragsrückstände der USA haben manche den Schluss gezogen, die
Amerikaner hätten ihr Verhältnis zur UNO und zum Multilateralismus geändert. Schön wär’s! Ich warne vor dieser Interpretation.
({10})
Amerika wird sich nach dem tiefsten Schock, der brutalsten Verletzung seines Selbstverständnisses und Selbstbewusstseins seit Pearl Harbor von niemandem abhängig
machen. Das ist für uns umso mehr ein Anlass, an der
Stärkung des Multilateralismus zu arbeiten. Wir haben
hier eine andere Interessenlage.
({11})
Das heißt, wir müssen unsere amerikanischen Freunde davon überzeugen, dass es in unser aller Interesse liegt, sich
den UN nicht nur dann zuzuwenden, wenn einem gerade
ein Sicherheitsratsbeschluss nützlich erscheinen mag.
Zweitens. Was mich noch mehr beunruhigt, ist die
Konsequenz für die nordatlantische Allianz. Die USA
haben nicht einen Moment daran gedacht, in der gegenwärtigen Situation die NATO mit ihren tief integrierten
militärischen Strukturen und mit ihren Potenzialen zu nutzen. Aus Sicht der USA mag das verständlich sein, weil
sie 90 bis 95 Prozent der Leistung erbringen müssen. Sie
haben es deshalb nicht besonders gern, wenn die anderen
in ihrer Umständlichkeit auch noch mitreden wollen.
Für uns Deutsche ist die Interessenlage eine andere.
Wir müssen daran interessiert sein, das wichtigste Bündnis, dem wir je angehört haben und das das erfolgreichste
Bündnis in der gesamten Geschichte ist, zu stärken und zu
erhalten.
({12})
Passen wir auf, dass nach den hoffentlich erfolgreichen
Bemühungen um Afghanistan und gegen den Terrorismus
am Ende das wichtigste und erfolgreichste Militärbündnis
aller Zeiten nicht als Verlierer auf der Strecke bleibt!
({13})
Drittens. Ähnliches gilt für die Europäische Union.
Wo war sie eigentlich in den letzten Wochen und Monaten?
({14})
Natürlich ist die ESVP noch nicht da; das weiß ich auch.
Gemeinsames militärisches Handeln ist also noch nicht
möglich. Aber auch politisch war die EU ein ziemlicher
Ausfall. Die Bundesregierung hat dazu durchaus beigetragen.
({15})
Zum einen holen uns die versäumten Reformen von Nizza ein. Zum anderen - das ist noch gefährlicher - grassieren das Kontaktgruppensyndrom und die Versuchung, zu
klassischer nationalstaatlicher Machtpolitik in Ad-hocKoalitionen zurückzukehren, wie das die so genannten
Großen - Berlin, Paris und London - so gerne betreiben.
Das unterminiert den europäischen Integrationsprozess. Dessen Logik hat immer darin bestanden, die Kleinen mit an Bord zu nehmen, damit sie ihre Interessen bei
Fragen einbringen können, bei denen sie sonst aufgrund
ihrer geringeren Machtfülle keine Rolle spielen würden.
Es gehörte zu den wichtigsten Prinzipien deutscher Europapolitik, dieser Logik immer den notwendigen Stellenwert einzuräumen.
({16})
Das missglückte Dreiertreffen von Gent
({17})
und der misslungene Versuch, ein weiteres Treffen in
London zu organisieren, haben erheblichen Schaden angerichtet. Wir werden zu Laeken und zur Europapolitik in
der nächsten Sitzungswoche noch ausführlich diskutieren. Deshalb möchte ich es bei diesen Bemerkungen belassen.
Ich möchte aber noch einen Punkt anführen. Wir haben
unter Bauchschmerzen Nizza aus zwei Gründen zugestimmt: Erstens wollten wir nicht einen Funken des Verdachts aufkommen lassen, wir würden denjenigen in die
Hände spielen wollen, die mit der Osterweiterung ohnehin nichts im Sinn haben. Zweitens hatten und haben
wir die starke Erwartung, dass von Laeken ein starkes und
sehr konkretes Aufbruchsignal sowohl hinsichtlich der
Reform der Institutionen als auch hinsichtlich der Verfassungsdebatte im Rahmen des Post-Nizza-Prozesses ausgeht.
({18})
Hoffen wir, dass die Bundesregierung alles unternimmt,
damit wir nach Laeken nicht schon wieder vor einem
Scherbenhaufen enttäuschter Erwartungen stehen.
Der Bundeskanzler und auch Sie, Herr Bundesaußenminister, haben doch völlig Recht: Nach dem 11. September ist Europa wichtiger als zuvor. Wir brauchen mehr Europa und nicht weniger. Eine solche Katastrophe wie die
vom 11. September kann auch eine Katalysatorfunktion
haben, indem ein in sich nicht mehr bewegliches System,
das völlig festgefahren ist, plötzlich durch diesen externen
Schock wieder beweglich gemacht werden kann. Nutzen
wir also diesen weiß Gott großen externen Schock!
Vierzehn Minuten erlauben leider keine geschlossene
Tour d’Horizon der Außenpolitik im Rahmen der Haushaltsdebatte. Deswegen will ich mich auf zwei Punkte
konzentrieren.
Der erste Punkt ist die auswärtige Kulturpolitik. Ich
bedanke mich für die Bemerkungen, die hierzu schon gemacht worden sind. Wir haben den Ansatz der Bundesregierung ganz bewusst an zwei Stellen qualitativ verändert.
Wir haben im Konsens der Berichterstatterinnen und
Berichterstatter, für den ich mich insbesondere bei dir,
liebe Uta, bedanken möchte,
({19})
die du dort sehr segensreich gewirkt hast, zwei Akzente
gesetzt. Der erste Akzent liegt auf einer stärkeren Internationalisierung unserer Hochschulen durch eine Stärkung
der Stipendiumprogramme für ausländische Studierende.
Der zweite Akzent bezieht sich auf die Auslandsschulen. Die Auslandsschulen sind ein Juwel in unserer Hand.
({20})
Sie sind von größter bildungspolitischer, kulturpolitischer, aber eben auch von friedenspolitischer, außenpolitischer und außenwirtschaftspolitischer Bedeutung. Manche von ihnen pfeifen aber aus dem letzten Loch.
Deswegen brauchen wir auf diesem Gebiet eine Offensive. Wir haben hier einen ersten Ansatz entwickelt, für
den ich sehr dankbar bin. Wir müssen weiter vorankommen. Wir brauchen in den nächsten Jahren eine große
Initiative zur Stärkung der Auslandsschulen. Sonst werden mehr und mehr Kinder deutscher Diplomaten,
Wirtschaftsvertreter oder Journalisten lieber internationale Schulen besuchen als unsere eigenen und sonst wird
es mit der Anerkennung der Abschlüsse unserer Auslandsschulen noch schwieriger werden.
Zum Goethe-Institut ist eben das Wichtigste gesagt
worden. Das Goethe-Institut hat natürlich kein Monopol
auf auswärtige Kulturpolitik, aber es ist der wichtigste
und der größte Mittler. Eine weitere Schließung von
Goethe-Instituten kommt für uns nicht infrage. Im Gegenteil, gerade da, wo wir gegenwärtig Krisen haben,
brauchen wir mehr und nicht weniger Institute.
Aber die eigentliche Sauerei, die hier passiert ist, ist
das Einkassieren der Fusionsrendite durch den Finanzminister. Ich bin sehr dankbar, dass hier auf den letzten Metern der Versuch gemacht wird - ich hoffe da auf das
Wohlwollen der Koalition -, das noch zu korrigieren. Hier
müssen wir als Parlament unsere Meinung durchsetzen.
({21})
Mit uns ist ohnehin schon im Zusammenhang mit der Fusion von Goethe-Institut und Inter Nationes übel Schlitten
gefahren worden. Ich denke daran, wie mit uns umgegangen worden ist, als es um die Besetzung der Organe der
Aufsichtsgremien des fusionierten Instituts ging.
({22})
Zum Schluss zum Haus selbst. Es ist ein sehr schönes
Haus und es ist verständlich, dass Herr Fischer so sehr um
sein Haus kämpft.
({23})
Dieses Haus verlässt niemand gerne; ich weiß, wovon ich
rede. Aber es wäre viel wichtiger, Herr Minister, Sie würden nicht um Ihr Haus, sondern für Ihr Haus kämpfen. Die
wesentlichen Strukturprobleme, gerade im Personalbereich, lösen Sie nicht, wenn Ihr Hauptansinnen ist, sich als
Musterschüler bei der Konsolidierung des Haushalts zu
gerieren. Es gibt kein Haus, in dem so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - bei denen ich mich für die
Bewältigung ihrer irrsinnig großen Arbeitslast sehr herzlich bedanken möchte ({24})
mit einer so schlechten Stellenstruktur auskommen müssen. Das war immer so, Herr Fischer. Wir haben aber in
jedem Haushalt, wenn auch in kleinen Schritten, Verbesserungen erzielt. Sie verzichten jedoch von vornherein darauf, mit dem Finanzminister zu kämpfen. Das halte ich
für einen großen Fehler.
({25})
Wir haben seitens des Parlaments ein paar Verbesserungen durchgebracht, aber auch im Haushalt muss dem
Stellenwert des Internationalen und der Außenpolitik
mehr Rechnung getragen werden. Sonst haben Sie ein
Glaubwürdigkeitsproblem nicht nur in Ihrer Menschenrechtspolitik und in vielen anderen Politikbereichen, sondern auch im eigenen Hause.
Herzlichen Dank.
({26})
Als
nächster Redner hat der Kollege Helmut Lippelt von
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
habe mich den Vormittag über und noch mehr bei der letzten Rede gefragt, warum die FDP eigentlich so sauer ist.
({0})
Herr Westerwelle stolzierte wie ein Storch hier herum und
sprach von „grünen Fröschen“, die er gern an die Wand
werfen, vielleicht lieber noch fressen wolle.
({1})
- Ich zitiere Westerwelle; von ihm kam dieser Spruch.
({2})
Dann haben Sie, Herr Präsident, über den „Unterwerfungsparteitag“ gesprochen und Sie, Herr Hoyer, haben
von einem seidenen Faden und einem Gewissen, das uns
in Rostock abgekauft worden sei, geredet.
Herr Solms, Sie haben ja unseren Kollegen Oswald
Metzger angesprochen,
({3})
sich bei ihm für die schöne Arbeit bedankt und bedauert,
dass Sie ihn nicht mehr sehen. Ich glaube, Sie werden ihn
noch länger sehen, aber mich nach der nächsten Wahl
nicht mehr. Deshalb kann ich zum Schluss ja einmal sagen, was mich bei dieser allgemeinen Einschätzung immer sehr geärgert hat.
Ich habe vor 20 Jahren den zweiten Parteitag der Grünen geleitet, auf dem wir das Friedensmanifest von 1981
verabschiedet haben.
({4})
- Ihr habt euch nicht weiterentwickelt, deshalb könnt ihr
das jetzt so sagen. - Zentrale Sätze waren: Nicht dem
Osten, nicht dem Westen, sondern untereinander loyal.
- Wir sind loyal nicht zu Regierungen, sondern wir sind
loyal zu Bewegungen. - Dabei dachten wir an Solidarnosc, die wir besucht haben, wo ich selten oder eigentlich
nie einen FDP-Abgeordneten getroffen habe, von den anderen Parteien durchaus. Wir dachten an die Charta 77,
wir dachten an die russischen Dissidenten. Es ist ja kein
Zufall, dass die grünen Kontakte sehr stark waren.
Warum? Weil wir von einer Situation ausgingen, in der
zwei Militärblöcke, mit hundertfachem Overkill gerüstet,
einander gegenüberstanden, und weil wir wussten, dass
die Raketen, die hier stationiert werden sollten, das, was
sie vorgaben, nicht leisten konnten, nämlich das Land und
die Bevölkerung zu schützen. Denn in dem Moment, in
dem man sie wirklich hätte einsetzen müssen, wären Land
und Volk draufgegangen.
Nun will ich nicht vergangene Streitigkeiten noch einmal führen. Ich will nicht den Streit führen, den Sie vor
20 Jahren mit Vorgängern von mir geführt haben. Eines
will ich Ihnen aber sagen: Sie sollten sehr vorsichtig sein
und, bezogen auf die Grünen, nicht immer sagen, dass
sich bei denen jemand verbiegt und an seinem Sessel
klebt. Nein, wir sind einen sehr konkret nachzuzeichnenden Weg von einer Friedensbewegung hin zu einer Friedenspolitik gegangen, wie sie heute hier von den Grünen
vertreten wird und wie sie in dem Hause, welchem Sie so
sehr nachtrauern, hoffentlich noch sehr lange vertreten
werden wird.
({5})
- Ja, das musste gerade Ihnen gesagt werden.
({6})
- Mit großem Vergnügen könnte ich dazu etwas sagen;
weshalb denn nicht? Wissen Sie - - Naja, gut.
({7})
- Ich sage es einmal so: Ich bin gerne in der SPD gewesen und wäre nie in die FDP, die Partei der Besserverdienenden, gegangen.
({8})
Ich war gerne in der SPD, habe aber auch sehr gerne die
Grünen mitbegründet.
Im vorigen Jahr hat der Kollege Lamers hier bemerkt,
dass der Haushalt 05 leider nur die Hälfte dessen umfasst,
was die Engländer oder die Franzosen für ihre Außenpolitik ausgeben. In Deutschland sind es 0,77 Prozent des Gesamtvolumens. Anderorts sind es 1,35 Prozent und
1,31 Prozent. Das ist richtig. Er hat aber vergessen hinzuzufügen, dass dieser Haushalt vor zehn Jahren ein Volumen in Höhe von 1 Prozent im Verhältnis zum Gesamtvolumen aufwies. Es ist bis zum Eintritt der rot-grünen
Regierung auf genau diesen bedauerlichen Wert gesunken.
Ich habe nun nachgerechnet und festgestellt, dass wir
von den 0,77 Prozent jetzt bei 0,87 Prozent angekommen
sind. Wenn ich das umrechne, erkenne ich, dass das einem
Anstieg von 13 Prozent entspricht. Ich bin trotzdem der
Meinung von Herrn Lamers, dass das immer noch zu wenig ist. Ich bin auch der Meinung, dass die Außenpolitik
dieses Deutschlands vergleichbar ausgestattet sein muss
wie die Außenpolitik Englands und Frankreichs.
({9})
In diesem Jahr wurde ein wesentlicher Anfang gemacht.
Wir hoffen auf die Regierung, die Opposition und unsere
eigenen Fraktionen, damit dieser Anteil in den nächsten
Jahren sukzessive weiter gesteigert wird.
({10})
Die Anhebung, die wir in diesem Jahr erreicht haben,
geht nur in geringem Umfang auf die Zusatzmittel nach
dem 11. September zurück. Ihre Erhöhung entspricht
mehr den Erwartungen, dass sich Deutschland verstärkt
international engagiert. Der deutsche Außenminister und
die deutsche Diplomatie zeigten sich solchen Erwartungen gewachsen: Ich erinnere an den Fischer-Plan zur Beendigung des Kosovo-Kriegs, an den von Deutschland
initiierten Stabilitätspakt, an die vom Außenminister nicht
gesuchte, dann aber entschieden aufgenommene Vermittlungstätigkeit im Nahost-Konflikt und an die intensive
Beteiligung Deutschlands bei der Suche nach einer PostTaliban-Lösung, die nun dazu geführt hat, dass Deutschland Gastgeber der ersten Konferenz der verschiedenen
afghanischen Gruppierungen auf dem Petersberg ist.
({11})
Ich denke, es ist gut, dass Deutschland in der Lage war,
in diesem Jahr mit knapp 100 Millionen DM für die humanitäre Hilfe in Afghanistan ein Viertel der Gesamtmittel, die in der EU aufgebracht worden sind, zur Verfügung zu stellen. Ich finde es auch gut, dass der deutsche
Außenminister auf dem Petersberg jetzt 160 Millionen
DM als deutschen Anteil an einer zukünftigen Wiederaufbauhilfe für Afghanistan in Aussicht stellen konnte. Dies
alles ist gut und richtig. Wir müssen der Außenpolitik einen größeren Handlungsspielraum geben; denn wir wissen, dass eine gute Außenpolitik zugleich eine gute Prävention bedeutet und eine gute Prävention zugleich eine
gute Friedenspolitik ist.
({12})
Deshalb sollten wir uns alle einig sein, den Etat in Zukunft
weiter aufzubessern, und zwar über das Niveau dieses
Jahres hinaus.
Ich möchte jetzt noch drei Bemerkungen anschließen:
Erstens. Wir erleben gegenwärtig einen tief greifenden
Umbruch derAllianzen. Seit dem Jahr der Gründung der
UN selbst waren sich deren Mitglieder im Sicherheitsrat
noch nie so einig wie jetzt, wo es um die Bekämpfung des
internationalen Terrorismus geht. Deshalb erleben wir unter diesem Stichwort jetzt auch eine Phase entschiedener
Setzung internationalen Rechts. Das sage ich gerne in
Richtung PDS; denn daraus müsste für deren Verhalten eigentlich auch etwas folgen.
Dabei ist die neue Bestimmung der Position Russlands, seine Öffnung zum und seine bewusste Verankerung im Westen, politisch besonders wichtig. Dies ist von
uns allen in der Rede Putins vor dem Plenum des Bundestages besonders deutlich wahrgenommen worden.
Dennoch werden wir weiter verlangen müssen, dass
Russland den Krieg in Tschetschenien beendet, und zwar
politisch,
({13})
und ihn nicht dem Stichwort „Bekämpfung des Terrorismus“ subsumiert. Der Weg dahin ist jetzt endlich eingeschlagen worden durch ein erstes Gespräch zwischen dem
Bevollmächtigten Putins und einem Bevollmächtigten des
gewählten tschetschenischen Präsidenten Maschadow.
Wir werden auch darauf bestehen müssen, dass es weiter Pressefreiheit für regimekritische Journalisten gibt.
({14})
Es darf nicht sein, dass nach der Zerschlagung des Senders NTV nun auch noch der letzte regimekritische Sender TV-6, bei dem eine Reihe jener kritischen Journalisten
Unterschlupf gefunden hat, zur Schließung gezwungen
wird.
({15})
Ich komme zum zweiten Punkt. Wenn die Suche nach
den Hauptverantwortlichen für die Mega-Attentate in
Washington und New York beendet ist, was, wie wir alle
hoffen, bald der Fall sein wird, und die Zerschlagung der
Terrororganisation al-Qaida gelungen ist, wird in den
USA die Diskussion über die Komplizenschaft des irakischen Diktators immer lauter werden. Wer die in der
Presse zutage tretenden Indizien nicht überliest, wird unschwer feststellen können, dass sich die Beweise dafür
häufen. Da aber zugleich die politischen Bedenken gegen
eine militärische Intervention im Irak nicht geringer werden, muss jetzt umso intensiver nach einer politischen Lösung gesucht werden, und zwar - dies mit der gebotenen
Vertraulichkeit - über alle zur Verfügung stehenden arabischen und russischen Kanäle.
({16})
Während sich nämlich der Iran in die Antiterrorkoalition
einbringt und Libyen den Weg aus früherer Verstrickung
in die Förderung terroristischer Aktivitäten zu neuer internationaler Verbindlichkeit und Glaubwürdigkeit sucht,
hat Saddam Hussein erneut Inspektionen bei Aufhebung
der gegen sein Land verhängten Sanktionen abgelehnt.
Ich denke, im Rahmen der deutschen und auch der europäischen Diplomatie müssen alle Kanäle genutzt werden, bevor wir vor der Frage stehen, ob wir auch hier Waffentreue zeigen müssen; dies hat Herr Glos heute früh
bereits gefolgert. Ich denke, da liegt der Unterschied zwischen uns und Ihnen: Sie wissen, dass in den USA über
Somalia und den Irak diskutiert wird, und Ihre erste Frage
ist: Sind wir im weltweiten militärischen Kampf gegen
den Terrorismus auch dabei? Wir hingegen werden intensiv nach politischen Lösungen suchen. Wir wollen nicht
den militärischen Weg einschlagen.
({17})
Ich denke aber, dies ist ein Problem, das innerhalb der
Koalition gelöst werden muss. Sie sind immer schnell darauf bedacht, mit Ja zu stimmen, und ärgern sich, wenn
wir Ihnen aus bestimmten Gründen Schwierigkeiten machen, dort zuzustimmen, wo Sie gerne zugestimmt hätten.
Sie sollten hier vielleicht etwas umdenken und eine
größere Nachdenklichkeit über die Art der Mittel, die hier
einzusetzen sind, an den Tag legen.
Meine abschließende Bemerkung möchte ich zu Laeken
machen, wo in zwei Wochen der Europäische Rat zusammentritt. Ich bin Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. Ich finde es bedauerlich, dass auf der
Agenda für den Konvent und später für die Regierungskonferenz zwar die Anhebung der Grundrechte-Charta auf
eine verbindliche Form steht, dass aber nicht der Beitritt der
EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention ansteht.
Ich glaube aber, dass dies zusammen behandelt werden
sollte. Das ist sehr wichtig, damit das Europa der 800 Millionen, das Europa des Europarats, nicht zu einer anderen
Entität wird als das EU-Europa.
({18})
Herzlichen Dank.
({19})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Wolfgang Gehrcke von der PDSFraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion der PDS wird
den Haushalt des Auswärtigen ablehnen, weil wir weder
mit dem Haushalt selbst noch mit der Grundrichtung der
Außenpolitik einverstanden sind.
({0})
Sofern meine Zeit reicht, werde ich dies im Einzelnen begründen.
Vorweg möchte ich was zur Afghanistan-Konferenz
bei Bonn sagen. Ich hoffe sehr, dass die Afghanistan-Konferenz ein Erfolg wird. Ich hoffe sehr, dass endlich die
Waffen schweigen, dass mehr Überlebenshilfe in Afghanistan ankommt, dass die Grundlagen für einen berechenbaren Staat entstehen und dass die Menschen in Afghanistan, insbesondere die afghanischen Frauen, eine neue
Chance bekommen.
({1})
Ich sage dies, gerade weil ich weiß, dass ein Erfolg der
Konferenz als Argument gegen meine Kritik an dem
Krieg benutzt werden wird - wie ich finde, fälschlicherweise -:
({2})
für friedliche Lösungen alles, für kriegerische Lösungen
nichts.
Ich verbinde dies mit der Forderung an die Bundesregierung, dafür einzutreten, dass nicht die Bilder vom
Krieg gegen Afghanistan - noch immer wird Krieg geführt - durch neue Kriegsbilder aus dem Irak, aus Somalia oder aus anderen Ländern ersetzt werden. Ich würde
sehr gern den Bundeskanzler heute Vormittag so verstanden haben, dass er weitere militärische Aktionen - auch
gegen den Irak oder Somalia - ausschließt. Zurückhaltend
waren seine Bemerkungen; ausgeschlossen hat er es nicht.
({3})
Ich möchte, dass die Regierung hier klipp und klar erklärt,
dass sie weitere kriegerische Aktionen und die Teilhabe
der Bundeswehr an solchen Aktionen ausschließt.
({4})
Ich meine, dass kann man von einer außenpolitischen Debatte erwarten.
({5})
Außenminister Fischer - jetzt lassen Sie uns über
Grundrichtungen reden - sprach auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen davon, dass die Weltpolitik neu ausgerichtet würde. Er sprach von einer Ordnungspolitik für das 21. Jahrhundert und von der
Notwendigkeit einer Weltinnenpolitik. Wenn es stimmt,
dass es um eine Neuausrichtung der Weltpolitik geht - daran habe ich keinen Zweifel -, muss man doch wohl hier
im Bundestag darüber reden und diskutieren, in welche
Richtung die Neuordnung der Welt gehen soll und welches der spezifisch deutsche Beitrag dazu ist.
({6})
Soll es in die Richtung der Vorherrschaft des Politischen vor dem Militärischen gehen? Dann bin ich einverstanden. Soll es in die Richtung des Ausgleiches, der Kooperation, der sozialen Gerechtigkeit gehen? Das wäre
eine europäische Handschrift nach dem Willen der PDS.
({7})
Oder sollen nach wie vor militärische Lösungen vor politischen Lösungen stehen? Soll nach wie vor das Recht des
Stärkeren über der Stärke des Rechts stehen?
({8})
Ich glaube, dass diese Fragen hier beantwortet werden
müssen.
Dass es nur die eine Welt gibt, ist eine Binsenweisheit.
Aus meiner Sicht ist aber fraglich, ob diese Welt immer
näher zusammengerückt ist. Mir scheint, dass die Klüfte
in dieser einen Welt tiefer, schroffer und unversöhnlicher
geworden sind.
Die These von der Weltinnenpolitik halte ich für ganz
gefährlich. Wenn man dieser These einer Weltinnenpolitik unter den heutigen Bedingungen folgen würde, würden militärische Aktionen zu Polizeiaktionen. Dann
würde die Frage aufzuwerfen sein, welches die Ordnungsmächte dieser Welt sind. Die Ordnungsmächte sind
nach der Realität die großen wirtschaftlichen und militärischen Mächte, man könnte auch sagen, die G 8 und
insbesondere die USA, die dann sozusagen die Weltregierung bilden. Ich glaube, wer heute die These der Weltinnenpolitik aufstellt, verbaut den Weg für kooperative Lösungen.
({9})
In diesem Zusammenhang muss man sich auch mit
dem auseinander setzen, was Bundeskanzler Schröder in
seiner Regierungserklärung vom 11. Oktober 2001 ausgeführt hat. Er sprach von einem neuen Selbstverständnis
der deutschen Außenpolitik. Das passt zusammen: neue
Weltordnung, neue deutsche Außenpolitik. Schröders Gedankenfolge war: Die Nachkriegsgeschichte ist abgeschlossen. Damit sind auch alle Deutschland betreffenden
Selbstbeschränkungen hinfällig. Jetzt wird von Deutschland mehr als sekundäre Hilfsleistung erwartet, nämlich
weltweite direkte Beteiligung an militärischen Aktionen.
Die Rolle Deutschlands in der Nachkriegsgeschichte
hat Franz Josef Strauß einmal so beschrieben: ökonomisch ein Riese, militärisch ein Zwerg. Weil der Bundeskanzler die neue Rolle Deutschlands in der Welt - er
spricht von Deutschland als großer Macht, dann könnte
man wohl auch sagen: Deutschland als Großmacht - an
den militärischen Fähigkeiten zum weltweiten Engagement festmacht, ist das Militärische eben nicht das lästige
Beiwerk, sondern ein zentraler Punkt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, was
wäre, wenn Strauß dies noch hätte erleben können? Diese
neue Rolle Deutschlands in der Welt, ökonomisch und militärisch ein Riese, kann aus meiner Sicht nicht die
Grundlinie deutscher Außenpolitik sein.
({10})
Strauß allerdings hat diesen Satz nationalstaatlich gemeint. Schröder hat dies mit Vorherrschaft und Stärke in
Europa, in internationalen Organisationen übersetzt. Das
ist ein bedeutsamer Unterschied. Dieser darf nicht
verkleistert werden. Deswegen gab es die Zustimmung
zur neuen NATO-Strategie und zum Konzept der weltweiten Intervention. Deswegen gab es diese Reform der
Bundeswehr. Darüber wird noch zu streiten sein. Deswegen gab es diesen Begriff der uneingeschränkten Solidarität mit den USA.
Wir sollten nicht weiter über Absichten, sondern über
Interessen reden. Ich finde Interessen konkreter. Die USA
brauchen militärisch das Engagement Deutschlands nicht.
Wir haben wenig, was die USA nicht haben. Sie wollten
dieses Engagement, um Deutschland politisch in diesen
Prozess einzubinden. Es wäre umgekehrt die Frage zu
stellen, warum sich Deutschland so leicht hat einbinden
lassen. Wenn man Einfluss daran festmacht, dass man militärisch mitmacht und glaubt, darüber Einfluss nehmen
zu können, wenn man das als die neue Rolle in der Weltpolitik sieht, dann muss man sich an solchen Aktionen beteiligen, um sich weltweit engagieren zu können und mit
den Großen der Welt mitzuspielen. Das ist die Konsequenz der außenpolitischen Linie, wie die Bundesregierung sie entwickelt hat.
Also sind es keine Differenzen in einzelnen Fragen zu
diesem oder jenem Problem, obwohl diese gewichtig genug sind, sondern es sind politisch ganz unterschiedliche
Grundrichtungen. Nicht die Frage, ob Deutschland eine
große Macht ist, ist entscheidend. Aus meiner Sicht ist
Deutschland natürlich eine Großmacht. Wichtig wäre für
mich, in welcher Richtung Deutschland seine Stärke in
diesen weltweiten Auseinandersetzungen einsetzt. Ich bin
dafür, dass dort mit einer europäischen Handschrift geschrieben wird.
({11})
Europa ist mehr sozialer Ausgleich und nicht Neoliberalisierung. Europa muss wiederAbrüstung und das Primat
des Zivilen sein. Europa muss insbesondere eine Kooperation mit den benachteiligten Teilen der Welt, mit Ländern, die weitestgehend abgeschrieben sind, betreiben.
({12})
Das ist etwas anderes als die Grundlinie der Außenpolitik
der USA. Wenn man sich mit dem Versprechen der uneingeschränkten Solidarität an die USA kettet, dann bleibt
man angebunden.
Lassen Sie mich abschließend ein paar Bemerkungen
zum Haushalt selber machen. Den Haushalt des Auswärtigen Amtes kritisiere ich, weil er wiederum gekürzt worden ist. Mehr Bedeutung für Außenpolitik, aber weniger
Geld ist schon eine seltsame Logik. Das muss man erst
einmal zusammenbringen. Das wird auch manche
Schwierigkeiten bereiten.
Die Ausgaben für nicht militärische Ausstattungshilfe,
Minenräumung, Krisenprävention, humanitäre Hilfe,
freiwillige Beiträge für internationale Organisationen stagnieren auf dem ohnehin schon niedrigen Vorjahresniveau. Das ist aus meiner Sicht nicht akzeptabel. Nicht akzeptabel sind auch die Kürzungen im Personalbereich.
({13})
Wer gute Arbeit will, muss gutes Geld zahlen und genügend Personal zur Verfügung stellen, sonst bekommt man
das nicht. Das sagen Ihnen die Beschäftigten, die Betriebsräte und übrigens auch die deutschen Botschafter im
Ausland.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang, Herr
Kampeter, sagen, was mir an Ihrer Rede nicht gefallen
hat. Sie hat mir insgesamt gar nicht gefallen, aber ein Satz
hat mich besonders gestört. Hier wende ich mich auch an
den Kollegen Hoyer. Man kann über Herrn Steiner im
Auswärtigen Amt sehr unterschiedlicher Auffassung sein.
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich in den drei Jahren,
in denen ich ihn kenne, mit ihm in irgendeiner Frage einmal einer Meinung war. Aber in dieser Art nachtreten,
wenn jemand am Boden liegt, ist menschlich unkorrekt.
Das sollten wir lassen. Das gehört sich nicht. Das ist keine
politische Auseinandersetzung.
({14})
Zusammenfassend: Sie haben einen Haushalt der Stagnation vorgelegt. Wenn es sich nur um eine Stagnation
des Geldes handeln würde, wäre es schlimm genug. Aber
Ihr Haushalt ist ein Haushalt der geistigen Stagnation. Das
werden Sie zu verantworten haben.
({15})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Volkmar
Schultz von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Nichts wird
mehr so sein, wie es vorher war.“ Kein anderer Satz ist seit
dem 11. September öfter zitiert worden. Es stellt sich aber
die Frage: Stimmt dieser Satz? Stimmt er für die deutsche
Außenpolitik? Basiert nicht die deutsche Außenpolitik
nach wie vor auf zwei zentralen Säulen, nämlich erstens
auf der Idee der Vertiefung und der Ausweitung der europäischen Integration und zweitens auf einer festen, unverbrüchlichen transatlantischen Gemeinschaft mit den
USA und Kanada? Das ist wohl so. An diesen Grundkoordinaten hat sich nichts geändert.
({0})
Und doch, etwas hat sich schon verändert. Für uns
Deutsche ist mit dem 11. September - Herr Gehrcke hat
darauf nebenbei hingewiesen - die Nachkriegszeit - das
ist deutlich erkennbar - endgültig zu Ende gegangen. Ich
werde in diesen Monaten immer wieder an einen Kinderreim erinnert - Herr Hoyer kennt ihn -: „Wie war in Köln
es doch vordem mit Heinzelmännchen so bequem“. Nein,
es gibt in Deutschland keine Heinzelmännchen mehr, die
uns vor den Risiken der Weltentwicklung beschützen und
uns einzig Chancen und Segnungen bescheren. Deutschland kann nur gemeinsam mit den anderen europäischen
Ländern Werte verteidigen und Interessen wahrnehmen.
Wir können es nur gemeinsam mit den amerikanischen
Partnern.
Die Herausforderungen und die Anforderungen an die
transatlantische Gemeinschaft sind globaler Natur. Ich
meine nicht nur den Terrorismus, sondern auch die Armut,
die Überbevölkerung, den Hunger, die Krankheiten, die
Umweltprobleme, die Rechtsstaatlichkeit und globale,
kaum noch zu kontrollierende Wirtschaftsmacht. Es kann
keine wirksamen nationalen Antworten auf globale Fragen geben. Weder Europa noch die USA noch Russland
oder andere große Länder der Erde sind dazu in der Lage.
Der 11. September hat dies deutlich gemacht.
Die Opposition hat in der Vergangenheit häufig versucht, uns je nach Situation vorzuwerfen, wir würden
das deutsch-französische, das deutsch-englische und
ganz besonders - das haben Sie uns immer wieder vorgeworfen, Herr Rühe - das deutsch-amerikanische Verhältnis gefährden. Alle Ihre Unkenrufe erweisen sich als
falsch.
({1})
Nie zuvor ist uns Deutschen in den USA eine solche Welle
der Sympathie entgegengeschlagen. Nie zuvor - eine
Ausnahme mag der Zeitraum von 1989 bis 1990 gewesen
sein - ist auch in der politischen Klasse der USA so
anerkennend über die deutsche Außenpolitik und ihre Akteure - das sind vor allem der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister - gesprochen worden.
({2})
Das bezieht sich keineswegs nur auf den AfghanistanEinsatz. Unsere Rolle bei der Erweiterung der europäischen Friedens- und Prosperitätszone, unser Engagement auf dem Balkan, unsere Rolle im Verhältnis zu
Russland sowie viele andere Aspekte der deutschen Diplomatie und der deutschen Entwicklungspolitik finden
zunehmend Beachtung. Wir sind nicht mehr nur die Pfeffersäcke, die ihren Pflichten ausschließlich mit dem
Scheckbuch nachkommen.
Ich kann all diejenigen beruhigen, die glauben, dass die
innerparteilichen Diskussionen in den Koalitionsparteien
unserem Ansehen etwa in den USA geschadet hätten. Die
USA durchlaufen in ihrer Politik - das gilt für alle politischen Strömungen - eine außerordentlich schwierige und
diskussionsreiche Phase. Man hat sehr wohl großes Verständnis dafür, dass auch die Deutschen vor einer entscheidenden neuen Situation in ihrer Politik stehen.
({3})
Häufig wird das politische Verhältnis zwischen Europa
und Amerika über die Begriffe unilateral und multilateral
definiert. Dahinter stehen unterschiedliche Erfahrungen
im Laufe der letzten 100 Jahre. Auch der 11. September
verändert diese historischen Erfahrungen nicht von heute
auf morgen. Daher warne ich ebenso wie Herr Hoyer vor
der etwas blauäugigen Erwartung, die USA würden seit
dem 12. September eine ausschließlich multilateral ausgerichtete Außenpolitik betreiben. Beide Strömungen ringen in Amerika traditionell miteinander. Durch unser Engagement haben wir aber die Chance, unsere eigene
europäische Erfahrung, also die Vorteile multilateraler
Politikansätze, den Kritikern auch in Amerika vor Augen
zu führen.
({4})
Vor kurzem hat Chuck Hagel, ein relativ bekannter republikanischer Senator aus dem Auswärtigen Ausschuss,
in einer öffentlichen Rede erklärt - hören Sie gut zu -,
dass die amerikanische Politik mit einer interdependenten
Welt zu wenig vernetzt sei. Die einseitige Sanktionspolitik der USA gegenüber Problemstaaten sei perspektivlos
und falsch gewesen.
Wir sollten aufhorchen und zur Kenntnis nehmen, dass
sich auch im amerikanischen Senat ein Generationswechsel abzeichnet. Hinter solchen Einsichten steht die Erkenntnis, dass auch das stärkste Land der Erde die Welt
nicht allein regieren kann. Auch die Weltmacht wird sich
einem internationalen Regelwerk unterwerfen müssen.
({5})
Ich unterstütze Uta Titze-Stecher, wenn sie sagt, dies gelte
insbesondere für den Internationalen Strafgerichtshof.
({6})
Auch auf anderen Politikfeldern hört man ähnliche
Stimmen. Wir Europäer wären mit dem Klammerbeutel
gepudert, wollten wir diese Stimmen überhören, nur um
unsere ach so einfachen und gelegentlich einfältigen Vorurteile weiter pflegen zu können.
({7})
- Man spricht im Parlament. Wer auch immer zuhören
möchte, darf gern zuhören.
({8})
Meine Damen und Herren, die deutsche Außenpolitik
gewinnt an Gewicht und an Stellenwert. Wir müssen uns
- das ist hier schon mehrfach gesagt worden - in Zukunft
mehr um sie kümmern, um es ganz einfach auszudrücken.
Damit meine ich nicht nur das Parlament und den Auswärtigen Ausschuss - Letzterer tut es ja -, sondern auch
die Gesellschaft und die Parteien, das, was man mit dem
Begriff „draußen im Lande“ benennt. Das mag in einem
Parlament und in einer Gesellschaft, die sich traditionell
sehr stark mit innenpolitischen, sozialen und gesellschaftlichen Fragen beschäftigt, schwer zu begreifen
sein. Die internationalen Beziehungen haben aber zunehmend sichtbare Auswirkungen auf die Innenpolitik aller
Staaten.
In diesen haushaltspolitisch schwierigen Jahren können wir keine opulenten finanziellen Verbesserungen versprechen. Aber wir Parlamentarier, die häufig in der Welt
unterwegs sind, können den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern in Botschaften, Generalkonsulaten und
Volkmar Schultz ({9})
Konsulaten - wo immer sie uns behilflich sind - ein herzliches Wort des Dankes sagen.
Vielen Dank.
({10})
Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeskanzler betont angesichts der Afghanistan-Krise gebetsmühlenartig die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der
Bundesregierung. Für die Öffentlichkeit und unsere
Bündnispartner offenbart sich diese Berechenbarkeit wie
folgt: Am Dienstag erklärt die Vizepräsidentin dieses Hohen Hauses, Frau Antje Vollmer:
Dem Bundeskanzler kann man in dieser Frage nicht
vertrauen. Er macht den Afghanistan-Einsatz nur, um
von einer katastrophalen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik abzulenken.
({0})
Am Mittwoch kommt Herr Schröder in die Fraktionssitzung der Grünen und Frau Vollmer sagt artig: „Herr
Bundeskanzler, ich vertraue Ihnen.“ Am Donnerstag
spricht sich Frau Vollmer im „Stern“ aus Gewissensgründen gegen einen Militäreinsatz in Afghanistan aus. Am
Freitag stimmt Frau Vollmer für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Am Samstag lesen wir von Frau
Vollmer in den Zeitungen:
Dieses Ja war eigentlich ein Nein. Manche Entscheidungen kann man nur mit Humor und Ironie treffen.
Frau Vollmer, die Entsendung deutscher Soldaten verlangt Verantwortung und nicht Ironie.
({1})
Sie haben diese Fragen nicht mit Humor, sondern mit
blankem Zynismus beantwortet.
Wiederum im „Stern“ stand unter der Überschrift „Sie
war gegen den Militäreinsatz und stimmte dann doch
dafür“:
Frau Vollmer, Sie waren vehement gegen die deutsche Beteiligung am Afghanistan-Einsatz, haben
aber unter dem Druck des Kanzlers dann doch zugestimmt. Sind Sie eine Umfallerin?
Antwort:
Es ist viel gesiegt worden in den letzten Tagen, aber
die Grünen sind irgendwie nicht dabei, ich auch
nicht.
({2})
Ich weiß nicht, wer aus Frau Vollmers Sicht gesiegt haben
soll, aber in einem hat sie Recht: Die Grünen haben endgültig verloren. Sie haben jede Glaubwürdigkeit verloren,
sie haben ihren selbst erhobenen Anspruch einer höheren
Moral verloren.
({3})
Die erklärten Kriegsgegner in den Reihen der Grünen
haben nach dem bekannten Spielchen „Sie liebt mich, sie
liebt mich nicht“ durchgezählt, wer für die Gesinnung
sein darf und wer für den Machterhalt sein muss. Auf dem
Parteitag der Grünen in Rostock haben sie nach elfstündigem Selbsterfahrungsritual beschlossen: Wir wollen die
rot-grüne Regierung fortsetzen. Dafür nehmen sie unter
Zurückstellung aller pazifistischen Grundsätze sogar in
Kauf, dass die Bundeswehr Wolldecken von der Pfalz in
die Türkei fliegt.
({4})
Der Bundeskanzler nennt das uneingeschränkte Solidarität im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
Aber mit dieser Regierung ist Deutschland kein verlässlicher Partner in der Allianz gegen den Terror. Während
sich die Vereinigten Staaten und ihre Bündnispartner politisch, diplomatisch und militärisch darauf vorbereiten,
weltweit gegen das Netzwerk des Terrorismus vorzugehen, beschließen die Grünen: Wir wollen nicht, dass der
Krieg in Afghanistan auf andere Länder ausgedehnt wird.
Herr Außenminister, ist das uneingeschränkte Solidarität? Ihre Parteifreundin Vollmer macht doch unmissverständlich klar, wie handlungsfähig Sie sind. Auf die Frage
des „Stern“
Wann wäre Schluss? Wenn die Amerikaner in anderen Ländern weitermachen?
antwortet sie:
So verstehe ich die Selbstbindung in der Protokollnotiz.
Herr Außenminister, da helfen alle Sprüche nichts. Mit
dieser Koalition sind Sie außenpolitisch beschränkt einsatzfähig.
({5})
Die Amerikaner trauen Ihnen noch zu, die Wolldecken
bis in die Türkei zu bringen, aber wenn es darum geht,
Hilfsgüter unmittelbar nach Afghanistan zu schaffen, verlassen sie sich schon nicht mehr auf die rot-grüne Bundesregierung. Das machen sie sicherheitshalber selbst.
Warum bringt die Bundeswehr die Überlebenshilfe denn
nicht direkt zu der Not leidenden Bevölkerung? Die Sicherung der Grundversorgung der Menschen in Afghanistan ist jetzt der entscheidende Test für die Glaubwürdigkeit der westlichen Politik.
Auch bei der humanitären Hilfe tragen die USA die
Hauptlast. Herr Außenminister, lassen Sie einmal alle
Rhetorik zum Beispiel im Hinblick darauf, was jetzt getan werden muss und wie der Post-Taliban-Prozess aussehen könnte, weg und sagen Sie uns einmal ganz einfach:
Was hat die Bundesregierung denn bisher in Afghanistan
Volkmar Schultz ({6})
geleistet? Ich nehme Ihnen Ihre guten Absichten ab. Aber
jetzt kommt der Schnee; wenn nicht schnell gehandelt
wird, kommen wir zu spät.
Stattdessen reden Sie in den letzten Tagen - zu Recht ausführlich über die Afghanistan-Konferenz in Bonn. Sie
sehen darin eine neue Wertschätzung der deutschen Politik. Herr Außenminister, Sie verschweigen, dass damit vor
allem die Erwartung verknüpft ist, die Bundeswehr werde
sich an einer Friedenstruppe in Afghanistan beteiligen.
({7})
Sie sagen zwar, eine solche Sicherungstruppe solle
hauptsächlich von muslimischen Staaten gestellt werden.
Sie wissen aber genau, dass diese, auf sich allein gestellt,
weder militärisch noch logistisch dazu in der Lage sind.
Von den Teilnehmern der Petersberg-Konferenz haben
zwei, nämlich die Königsgruppe und die Nordallianz, bereits öffentlich erklärt, deutsche Truppen seien bei einem
robusten Friedensmandat in Afghanistan willkommen.
Herr Außenminister, wir wollen heute von Ihnen wissen, ob die Bundesregierung einem solchen Ansinnen
nachkommt. Wir wollen im Rahmen der Haushaltsberatungen auch wissen, welche Mittel die Bundesregierung
dafür vorgesehen hat.
({8})
Um Deutschland aus der außenpolitischen Sonderrolle
herauszuführen, benötigt diese Koalition einen tragfähigen Konsens und auch die geeigneten Instrumente. Diesen Konsens hat sie nicht. Wie weit Worte und Taten auseinander liegen, konnten wir einmal mehr am letzten
Wochenende beim deutsch-französischen Gipfel in
Nantes erleben. Der Bundeskanzler hat sich gegenüber
den Briten und den Franzosen wiederholt verpflichtet, gemeinsam das militärische Transportflugzeug A 400 M zu
entwickeln und zu beschaffen. Er hat unsere Partner immer wieder mit leeren Worten vertröstet. Deren Geduld ist
am Ende. Sie drohen jetzt damit, amerikanische Transportflugzeuge zu kaufen - und die Bundeswehr fliegt mit
über 30 Jahre alten Transall Wolldecken. Ist das die enge
europäische Kooperation in der Außen- und Sicherheitspolitik, die der Bundeskanzler heute Morgen wieder einmal proklamiert hat? Wann wollen Sie denn mit dieser europäischen Zusammenarbeit beginnen, wenn Sie es nicht
jetzt, angesichts der akuten gemeinsamen Bedrohung
durch den islamistischen Terrorismus, tun?
Demnächst werden wir in diesem Hause den Vertrag
von Nizza zu ratifizieren haben. Darin haben die Regierungschefs die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik noch nicht einmal in den Themenkatalog für
die nächste EU-Reform 2004 aufgenommen. Die EU
braucht eine gemeinsame Außen-, Sicherheits- und
Verteidigungspolitik aber dringender denn je. Wo, Herr
Außenminister, sind Ihre Initiativen dafür? Sie haben in
der Humboldt-Universität eine viel beachtete Rede gehalten.
({9})
Was haben Sie seither unternommen, um Ihre Ideen umzusetzen?
Es gibt immer noch viel zu wenig Europa. In der Afghanistan-Krise gibt es überhaupt kein Europa.
({10})
Die Vereinigten Staaten organisieren die Allianz der
Freunde bilateral. Die EU ist für die Amerikaner in dieser
Krise kein relevanter Partner.
({11})
Auf dem bevorstehenden Gipfel in Laeken steht wiederum eine Debatte über die Zukunft Europas an, die dann
2004 in einer großen europäischen Verfassungskonferenz
münden soll. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenige
Tage zuvor treffen sich der französische Staatspräsident
und der deutsche Bundeskanzler und man hört von überhaupt keinen gemeinsamen Ideen dazu! In Europa hat es
keinen einzigen Integrationsfortschritt gegeben ohne eine
vorherige gemeinsame deutsch-französische Initiative.
Ohne eine solche Initiative gäbe es nicht in wenigen Wochen den Euro. Ohne eine solche Initiative gäbe es keinen
Stabilitätspakt in Europa.
({12})
Wo, Herr Außenminister, ist die deutsch-französische
Initiative zu einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik?
Die CDU und die CSU haben für einen europäischen
Verfassungsvertrag vorgestern umfassende Vorschläge
vorgelegt.
({13})
Wir plädieren für mehr Integration in derAußen- und Sicherheitspolitik. Die wichtigste Aufgabe der EU in diesem Bereich istes,umgehenddie füreineerfolgreicheeigenständige
KrisenbewältigungerforderlichenmilitärischenFähigkeiten
aufzubauen. Dazu gehören insbesondere ausreichende eigene Transportkapazitäten sowie Führungs-, Kommunikations- und satellitengestützte Aufklärungskapazitäten. Dazu
gibt es in diesem Bundeshaushalt kein einziges Signal.
({14})
Wenn wir schon nicht in der Lage sind, das alles selbst
zu finanzieren, dann müssen wir doch unsere Ressourcen
in Europa poolen und dann brauchen wir eine gemeinsame Beschaffungspolitik. Wir fordern die Bundesregierung auf, initiativ zu werden - für eine gemeinsame
Rüstungspolitik der EU und für eine gemeinsame Sicherheitspolitik der EU. Wenn Sie, Herr Bundesaußenminister
und Herr Bundeskanzler, demnächst nach Laeken fahren,
müssen Sie endlich handeln. Der Worte sind genug gewechselt; lasst uns nun endlich Taten sehen.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort
hat jetzt der Bundesminister Joseph Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die deutsche
Außenpolitik ist auch nach dem 11. September Grundsätzen verpflichtet, die es wert sind, in dieser sich rasch verändernden Welt nochmals unterstrichen zu werden. Es
sind Grundsätze, die sich im Konsens entwickelt haben.
Dieser Konsens war oft das Ergebnis heftigster parteipolitischer Auseinandersetzungen, wurde also erstritten. Es
ist eine Politik der Selbstbeschränkung. Sie ist westintegriert. Sie ist europäisch. Sie ist multilateral angelegt. Sie
ist dem Existenzrecht Israels verpflichtet.
({0})
Auf dieser Grundlage betreiben wir eine kooperative
Verantwortungspolitik als Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, bei der wir darum wissen, dass diese
Welt eine unfriedliche ist, die wir friedlicher und sicherer
gestalten wollen, und bei der wir dem Gedanken der Konfliktprävention, das heißt der Verhütung von Konflikten
oder gar von Kriegen, den Vorrang vor Repression geben.
Nur, wir wissen auch, dass man in einer unfriedlichen
Welt mit teilweise sehr brutalen Herrschern, mit Diktatoren und durchaus auch kriminell zu nennenden Interessen
an der Repression nicht vorbei kommt.
({1})
Das ist ein Faktum, das haben wir des Öfteren mit unserer Politik bewiesen. Aber Repression ist weder in der Innenpolitik noch in der Außenpolitik tatsächlich eine Antwort auf die Konflikte oder gar eine Lösung der Konflikte.
Es ist Ultima Ratio und muss immer Ultima Ratio bleiben,
({2})
letztes Mittel und nicht vorletztes Mittel oder ein Mittel,
das in der Politik am Ende Vorrang haben soll.
Deswegen, meine Damen und Herren von der Union,
lassen Sie mich den Punkt ganz offen ansprechen - Herr
Kollege Rühe, Sie werden nach mir sprechen; deswegen
will ich es hier gleich sagen -: Sie haben es damals beim
Kosovo-Krieg in der Endphase der Bundestagswahl versucht - ich habe mir das sehr gut gemerkt -, Sie haben es
dann nach den Bundestagswahlen in der Zuspitzung des
Kosovo-Krieges, als wir - Kollege Scharping in direkter
Verantwortung, aber wir als Bundesregierung - Bundeswehreinheiten in Tetovo stationiert hatten, versucht - Sie
sind durch die Redaktionsstuben gezogen und haben versucht, gegen den damaligen Ministerkollegen Scharping
Stimmung zu machen.
({3})
Sie haben gesagt, es sei unverantwortlich, die Truppen in
der Nähe der serbischen Artillerie zu halten. Sie haben immer wieder versucht, den Einsatz der Bundeswehr - und
das nehme ich Ihnen als ehemaligem Verteidigungsminister nun wirklich übel - innenpolitisch für Ihre parteipolitischen Zwecke zu missbrauchen, und das versuchen
Sie jetzt wieder.
({4})
Sie haben es beim Mazedonien-Einsatz gemacht, wo
Sie sich als großer Stratege erwiesen haben. Nichts von
dem, was Sie damals formuliert haben - ich habe es Ihnen
hinten sitzend im persönlichen Gespräch schon prophezeit -, ist eingetreten. Die Strategie ist nicht aufgegangen.
Sie konnten uns nicht vorführen. In der Sache hatten Sie
von A bis Z nicht Recht. Das zeigt schlicht und einfach die
Empirie.
({5})
Ich sage Ihnen auch jetzt, wenn Sie meinen, Sie könnten uns Bündnisunzuverlässigkeit und Ähnliches vorwerfen: Das glauben Sie nicht einmal selbst.
({6})
- Da brauche ich gar nicht abzuwarten, sondern das kann
ich Ihnen schon jetzt sagen.
({7})
Deswegen sage ich Ihnen: Für uns ist ein Maßstab völlig klar. Wenn wir sagen, wir sind westintegriert, dann
heißt das für uns auch, dass wir zu unseren Bündnisloyalitäten und zu unseren Bündnisverpflichtungen stehen.
({8})
Bündnisverpflichtungen zwischen Demokratien heißt
aber nie Gefolgschaft, sondern das heißt immer,
({9})
dass die gemeinsame Strategie diskutiert wird und dass
auf der Grundlage dieser Diskussion dann die Entscheidungen getroffen werden.
({10})
- Wir haben nie das Lied „Tausend rote Panzerschützen“
vor Kabul gesungen, wir nicht.
({11})
Das muss ich Ihnen wirklich sagen.
({12})
- Der Kollege Schulz hat mir das heute gesagt. Ich kannte
es nicht; ich will es aber kennen lernen. Das ist für mich
eine neue Erfahrung; das gebe ich offen zu. Ich möchte
das jetzt aber nicht vertiefen.
Meine Damen und Herren, für uns ist ganz entscheidend, dass mit dem 11. September ein Angriff auf die
Menschen in New York City, auf die Bevölkerung der
USA und auf die Regierung der USA stattgefunden hat.
Für uns ist ganz entscheidend, dass hier zum wirklich letzten Mittel gegriffen wurde, weil andere versuchte und
tatsächliche Terroranschläge, die es schon gegeben hat,
polizeilich verfolgt wurden und diejenigen, die Verantwortung trugen, vor ein Gericht gestellt wurden. Das hat
aber nicht dazu geführt, den Tätern letztendlich das Handwerk zu legen und Sicherheit zu garantieren.
Ich habe während der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York, als es zu einem beklagenswerten - technisch bedingten - weiteren Flugzeugabsturz
gekommen ist, selbst erlebt, wie die Menschen in New
York reagieren. Die USA werden nicht bereit sein, dieses
Risiko dauerhaft zu akzeptieren, und insofern werden sie
sich dagegen wehren.
Dieser Bundestag hat mit sehr großer Mehrheit entschieden - auch wenn sich bei der Vertrauensfrage die
Dinge anders dargestellt haben, in der Sache war es eine
sehr große Mehrheit -, dass wir auf der Grundlage des
Selbstverteidigungsrechts, wie es in der Charta der Vereinten Nationen steht, und auf der Grundlage des Beschlusses im NATO-Bündnis tatsächlich an der Seite unseres Bündnispartners stehen. Das ist das Verbindende.
({13})
Dazu gehört der Beschluss des Bundestages, den Sie inhaltlich akzeptiert haben. Diesen Beschluss setzen wir
jetzt um.
Ich halte allerdings überhaupt nichts davon, aus innenpolitischen Gründen - das ist typisch Rühe - neue Ziele
zu suchen.
({14})
- Nein, ich ärgere mich nicht darüber. Ich finde es schlicht
und einfach verantwortungslos, bei der Entscheidung
über die außenpolitische Orientierung neue Ziele zu suchen. Wir wissen doch, dass zum Beispiel über den Irak
in Europa völlig anders als in Washington - dort findet
übrigens eine kontroverse Debatte statt - diskutiert wird.
({15})
Die Europäer sind sich völlig einig, dass wir, um es einmal ganz diplomatisch zu formulieren, eine Ausdehnung
auf den Irak mit äußerster Skepsis betrachten.
({16})
Wir sollten versuchen - ich unterstreiche das, was der
Bundeskanzler heute Morgen gesagt hat -, die Regionalkonflikte im Nahen Osten politisch zu lösen. Bedenken
wir, dass wir unmittelbarer Nachbar sind. Wenn die Regionalkonflikte gelöst sind, wird es immer noch sehr
schwer sein, die inneren Entwicklungsprobleme der betroffenen Länder in der Region zu lösen, da diese dadurch
nicht behoben sein werden.
Das Modernisierungsproblem und das Demokratisierungsproblem bleiben ebenso wie die Menschenrechtsund Gleichstellungsprobleme, etwa im Zusammenhang
mit der Diskriminierung von Frauen, bestehen. Auch deshalb sind die Regionalkonflikte vor allen Dingen politisch
zu lösen. Wir Europäer haben daran ein Interesse. Das haben wir unseren Partnern in den USA auch sehr ausführlich und in großer Präzision dargestellt.
({17})
Wenn man sich die Entwicklung anschaut, dann sollte
man zu erkennen versuchen, was der Hauptgrund für
diese Situation ist. Ich erinnere mich an die Debatte über
den Kosovo. Damals vertraten die so genannten außenpolitischen Realisten, beispielsweise Kissinger, die Auffassung, dass es sich um einen Krieg entlang der Grundsätze
von Wilson, also eher um einen Krieg der Linken handele,
bei dem es nicht um harte Interessen, sondern um Menschenrechte und um Fragen, die nicht unmittelbar mit der
klassischen, interessenorientierten Politik zu tun haben,
gehe. Heute müssen wir feststellen, dass der Rückzug
- das heißt nicht militärischer, sondern politischer Rückzug - entlang dieser Linien aus den Konflikten der Welt,
die aus der Zeit des Kalten Krieges zurückgelassen wurden - Afghanistan ist dafür ein klassischer Fall -, falsch
war.
Zu meinen, man könne Friedensdividenden einnehmen, war unser allergrößter Fehler. Wir haben nicht gesehen, dass Friedensinvestitionen notwendig waren.
({18})
Dieser Rückzug hat eine Gefahr für den Weltfrieden entstehen lassen. Daraus müssen wir im Sinne einer kooperativen und präventiven Verantwortungspolitik Konsequenzen ziehen. Es geht nicht um die Weltpolizei. Es geht
vielmehr darum, regionale Ansätze zu stärken, damit die
zusammengebrochenen Strukturen - Europa hat von seiner eigenen Geschichte insofern etwas sehr Positives zu
vermitteln - wieder hergestellt werden. Ich erlebe das
zum Beispiel im südlichen Afrika, wo der Regionalansatz,
aber auch die Frage, ob die Afrikaner gemeinsam repressive Mittel einsetzen müssen, dahin gehend geprüft werden, ob sie tauglich sind, einen dramatischen Konflikt, der
alle gefährdet, zu bewältigen. Stichwort Kongo. In Westafrika gibt es einen ähnlichen Ansatz. Daran kann man
doch erkennen, was wir Europäer der Welt im 21. Jahrhundert an positiven Erfahrungen tatsächlich zu vermitteln haben.
Ich sage nochmals: Ich schließe die Ultima Ratio nicht
aus. Ich möchte aber verhindern, dass wir in einen Zustand geraten, in dem sie notwendig wird. Dass das notwendig sein kann, hat der Balkan gezeigt. All diejenigen,
die ernsthaft mit sich gerungen haben und keine taktischen Argumente vorgebracht haben - ich habe deren
Argumente sehr ernst genommen -, müssen heute sagen,
dass wir uns den Hauptvorwurf machen müssen, dass wir
nicht 1991/1992 das gemacht haben, was wir 2001 gemacht haben.
({19})
Das sage ich unabhängig davon, wo wir damals politisch
standen.
({20})
- Ich gehörte nicht zu denen, die der Meinung waren, dass
die damalige Anerkennung der friedlichen Scheidung
ohne Bedingungen mehr als eine Eskalation des Konflikts
bringen werde. Ich war damals der Meinung, man hätte es
so nicht machen sollen. Ich war damals allerdings
Nichtinterventionist. Insofern sollten diejenigen, die die
Anerkennung forciert haben, den damaligen Nichtinterventionisten nicht ihre Position vorwerfen, sondern die
Dinge ebenso selbstkritisch sehen, wie zum Beispiel ich
sie bei der Betrachtung meiner damaligen Situation sehe.
({21})
Es gab andere in meiner Partei, die waren damals
schon Interventionisten. Ich sage ganz bewusst - ob das
Marieluise Beck ist, ob das mein Freund Daniel CohnBendit ist -: Sie hatten Recht. Sie waren aber keine Anerkennungsbefürworter; auch das füge ich in diesem Zusammenhang hinzu.
Was wir daraus lernen können, ist doch, dass wir, wenn
die Ultima Ratio wirklich eingesetzt werden muss, gleichzeitig alle Möglichkeiten zur Prävention und zur Friedensgestaltung nutzen müssen. Der Stabilitätspakt und
der Weg nach Europa haben es möglich gemacht, dass es
jetzt in Mazedonien - auch wenn wir dort noch nicht über
dem Berg sind - zum ersten Mal gelungen ist, eine dieser
weiteren blutigen Runden zu verhindern. Das muss man
doch einmal sehen.
({22})
Der Krieg in Afghanistan dauert schon 23 Jahre an. Er
wurde durch den Putsch der damaligen kommunistischen
Partei ausgelöst, die sich dann nicht halten konnte. Dieser
Putsch führte zur Intervention der damaligen Sowjetunion. Dann gab es diese Tragödie, die bis zum heutigen
Tag angehalten hat, bis hin zu Osama Bin Laden, al-Qaida
und der Gefahr für den Weltfrieden sowie dem Terrorregiment der Taliban. Wenn es der internationalen Staatengemeinschaft jetzt vor dem Hintergrund des Einsatzes
der Ultima Ratio, dieses Krieges, gelingt, endlich einen
Frieden zwischen den wichtigsten ethnischen Gruppen
und Völkern Afghanistans hinzubekommen, dann haben
wir auch etwas geschafft.
({23})
Dann müssen wir allerdings die Konsequenz ziehen und
nicht wieder warten, bis die Ultima Ratio notwendig ist,
wenn es weitere Konflikte gibt, die dringend gelöst werden müssen, und zwar mit politischen, mit ökonomischen,
mit humanitären Mitteln.
Für diese Politik steht die Bundesregierung. Ich kann
Ihnen versichern: In den drei Jahren, in denen wir die
Verantwortung getragen haben, gab es nicht einen Fall nicht einen -, bei dem wir auf die Koalition und auf die
Schwierigkeiten, die unsere Parteien damit haben, dergestalt Rücksicht genommen hätten, dass wir eine Entscheidung zur Erfüllung einer Bündnisverpflichtung,
aber auch der Grundsätze, für die wir stehen, nicht getroffen hätten.
Gerade die Härte der demokratischen Auseinandersetzung beweist meine Worte. Die Union sollte nicht so tun,
als wenn sie das nicht kennen würde. Ich darf Sie nur daran erinnern - ich bin ja mittlerweile alt genug -, wie
schwer sich ein Teil von Ihnen bei der Frage des „Superversailles“, des Atomwaffensperrvertrages, und den Ostverträgen - das ging ja noch bis zur deutschen Einheit und
der Anerkennung der polnischen Westgrenze - getan hat.
Ich möchte jetzt gar nicht Häme darüber ausschütten. Ich
sage nur: Das ist normal in einem demokratischen Prozess. So war es auch bei uns und so ist es auch in anderen
Parteien; so wird es immer sein.
Wer eine Antwort auf all dies will, der muss Europa
schaffen. Da liegt der große Irrtum: Es geht nicht nur um
die deutsche Rolle. Es geht vielmehr um den Beitrag
Deutschlands zu einer europäischen Rolle. Machen wir
uns doch nichts vor: All das, was uns trennt und auch verbindet, wird in der Welt des 21. Jahrhunderts nur ein integriertes Europa schaffen können. Der Vorwurf, wir
hätten in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik nichts getan, ist natürlich völlig unsinnig.
Wenn es einen dynamischen Faktor gegeben hat - gerade
seit In-Kraft-Treten des Amsterdamer Vertrages und der
Benennung von Solana -, dann ist es die Europäische
Union. Sie ist aber für diese Fragen des Kriegs und Friedens noch nicht ausgerüstet. Das ist ein Faktum.
Da schließt sich im Übrigen die Frage nach der Zukunft
der NATO an: Bündnisse sind Bündnisse auf Zeit. Andere
Lagen schaffen andere Bündnisse. Das gilt auch und gerade für militärische Bündnisse. Meine These ist, dass die
Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit der NATO - hier
haben wir hochinteressante Diskussionen mit Russland,
die jetzt beginnen - die beschleunigte und intensivierte
europäische Integration ist. Im Klartext möchte ich formulieren: Bleiben die Europäer getrennt, wird die NATO
in der Tat in eine sehr schwierige Zukunft blicken. Gelingt
es, die europäische Säule zu integrieren - das hängt an der
ESVP -, dann wird das transatlantische Bündnis meines
Erachtens - das liegt in unserem Interesse - eine sehr gute
Zukunft haben.
({24})
Insofern möchte ich - es gäbe noch vieles zu sagen nur noch ganz kurz den Antrag zum Goethe-Institut ansprechen. Wir werden versuchen - das sage ich hier nicht
einfach nur, um der Opposition den Antrag wegzunehBundesminister Joseph Fischer
men -, eine Lösung im Rahmen unserer finanziellen
Möglichkeiten zu finden. Das sage ich Ihnen hier als
Minister zu.
({25})
Ich würde mich selbstverständlich freuen, wenn der Antrag angenommen würde. Aber auch Sie wissen, dass das
so nicht geht.
({26})
Ich möchte zum Schluss noch Folgendes sagen: Ich
stimme denen nicht zu, die uns wegen der Personalstruktur kritisieren, und schon gar nicht dem Kollegen Hoyer,
den ich sonst sehr schätze. Ich weiß, dass er es sagen
muss; aber das lasse ich nicht bei mir abladen.
({27})
Dass 50-Jährige bei uns immer noch als Nachwuchskräfte
gelten, das liegt wirklich nicht an den drei Jahren, die
Fischer die Verantwortung im Auswärtigen Amt trägt.
({28})
Es gibt ja den bitteren und ironischen Spruch: Komm in
den auswärtigen Dienst, da bist du mit 50 noch Nachwuchskraft! Wo kann man das in der heutigen Wirtschaft
noch sagen?
Die Entscheidungen, die hierzu geführt haben, sind
lange vor meiner Zeit gefällt worden.
({29})
- Was heißt hier „nein, nein“? Sie wissen doch, wie sich
Stellenkegel aufbauen. Vieles geht gleich und jetzt; aber
Stellenkegel nach dem deutschen Beamtenrecht lassen
sich nicht gleich und jetzt umstrukturieren. Diese entstehen nicht über Nacht und auch nicht in drei Jahren. Wir
versuchen, Kollege Hoyer, das Schritt für Schritt abzubauen. Das werden wir auch hinbekommen. Dass wir es
geschafft haben, etwa die RK-Stellen von den Kürzungen
auszunehmen, ist doch eine hervorragende Sache.
({30})
Mit der Einrichtung des Krisenreaktionszentrums ist
uns eine neue Aufgabe zugewachsen, die wir, wie ich
finde, mit den Bediensteten in der Zentrale und auch
außerhalb in den Botschaften hervorragend gemeistert haben. Wir haben die größte Reform des auswärtigen Dienstes seit seinem Bestehen angepackt. Das war dringend
notwendig. Es kommen ja noch mehr Aufgaben auf uns
zu, da gerade in einem zusammenwachsenden Europa die
Bedeutung der nationalen auswärtigen Dienste nicht abnehmen, sondern aufgrund der Zuarbeit für die gemeinsame europäische Außenpolitik eher noch zunehmen
wird. Ich hoffe, dass in den kommenden Haushalten diesem Punkt Priorität eingeräumt wird und wir eine bessere
Finanzausstattung bekommen, da ich Ihnen ja zustimme,
wenn Sie sagen, dass wir unterfinanziert sind.
({31})
Ich sage aber mit allem Stolz: Was wir als unterfinanziertes Haus in den drei Jahren geleistet haben, kann sich sehen lassen.
({32})
Ich würde mich freuen, wenn die Finanzierung in den
zukünftigen Haushalten dem endlich einmal so nachkäme, dass auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für
sich gute Perspektiven sähen.
Ich möchte mich bei allen bedanken, vor allen Dingen
bei den Berichterstattern. Recht herzlichen Dank.
({33})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Volker Rühe von der CDU/CSUFraktion.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident! Herr Außenminister, vielen Dank, dass ich doch
noch sprechen darf, und zwar so, wie ich mir das vorgenommen habe.
Ich möchte mit den Gemeinsamkeiten beginnen. Diese
finden sich zum Beispiel in der Nahostpolitik. Wir alle
haben früher Zweifel gehabt, ob Deutschland in dieser
Region überhaupt einen Handlungsspielraum hat. Wir haben immer gedacht, er sei geringer als der von anderen.
Ich stimme Ihnen zur, dass wir wahrscheinlich gerade
deswegen, weil es keinerlei Zweifel daran gibt, dass sich
Deutschland für das Existenzrecht Israels einsetzt, einen
größeren Spielraum als andere haben. Den nutzen Sie; dabei haben Sie unsere Unterstützung.
({0})
Deutschland ist ein guter Ort für die AfghanistanKonferenz. Es ist gut, dass es gelungen ist, diese Konferenz nach Deutschland zu holen. Wir übernehmen damit
aber auch Verantwortung. Wer Verantwortung für den
Konferenztisch übernimmt, kann jedenfalls nicht
grundsätzlich Verantwortung vor Ort ausschließen.
Herr Bundesaußenminister, wir sind nicht auf der Suche nach neuen Zielen.
({1})
- Warten Sie einmal ab; das ist schon eine ziemlich üble
Unterstellung. - Ich habe Sie im Ausschuss gefragt, welche Position die Bundesregierung in der Diskussion um
eine mögliche Friedenstruppe zur Stabilisierung der politischen Situation dort einnimmt. Sie haben das auch heute
nicht beantwortet. Ich muss Ihnen sagen, dass sowohl Sie
auf Ihrem Parteitag als auch der Bundeskanzler auf dem
SPD-Parteitag nicht präzise berichtet haben. Er hat dort so
getan, als ob Herr Brahimi den Einsatz von Friedenstruppen ausgeschlossen hätte. Richtig ist, dass er drei
Beispiele angesprochen und gesagt hat, die Priorität liege
bei afghanischen Kräften. Den Einsatz von Blauhelmen
hat er ausgeschlossen. Der Einsatz von afghanischen
Kräften sei nicht möglich. Deswegen müsse es eine internationale Friedenstruppe geben. - Das wäre die richtige
Darstellung gewesen. Dass Sie das nicht so dargestellt haben, werfe ich Ihnen vor.
An andere Mitglieder der Bundesregierung gerichtet
sage ich, dass sie in diesem Zusammenhang gezielt Unklarheiten verbreiten. Sie haben es auch jetzt wieder vermieden, über die Meinungsbildung der Bundesregierung
in dieser wichtigen Frage zu berichten. Sie können das
Engagement Deutschlands nicht auf Konferenzen beschränken und grundsätzlich ausschließen, dass wir uns
an der Stabilisierung vor Ort beteiligen. Darum geht es.
({2})
Nachdem sich der Pulverdampf der Parteitage verzogen hat, ist zu fragen: Was geschieht eigentlich im Augenblick? Das, was die Bundeswehr tatsächlich macht, ist
sehr begrenzt, und zwar umgekehrt proportional zu dem
innenpolitischen Getöse, das es bei diesem Thema gegeben hat. Ich beklage das nicht; denn die Situation kann
sich ganz anders entwickeln.
Eine gezielte Verbreitung von Unklarheiten werfe ich
Ihnen dahin gehend vor, dass Sie sagen, Sie seien auf der
Suche nach Zielen. In Wirklichkeit sieht das Kräftedispositiv der Bundeswehr so aus, dass diese Suche nur Sinn
macht vor dem Hintergrund, dass es weitere Konflikte
und Auseinandersetzungen fernab von Afghanistan gibt.
({3})
Deswegen sage ich Ihnen: Über Geheimoperationen
muss man schweigen. Aber Sie sagen der deutschen Öffentlichkeit und auch Ihren Mitgliedern auf den Parteitagen bis zum heutigen Tage nicht klipp und klar - in den
zuständigen Ausschüssen hat es Andeutungen gegeben -,
wo deutsche Soldaten zum Beispiel gegen ABC-Waffen
eingesetzt werden sollen. Da gibt es natürlich ganz konkrete Vorstellungen. Das kann nur direkt oder indirekt im
Zusammenhang mit anderen Schauplätzen geschehen.
Wir schulden es den Soldaten, dass hier Klarheit bezüglich eines möglichen Einsatzes geschaffen wird. Darum
geht es.
({4})
Um ein weiteres Beispiel zu nennen: Ein Mitglied der
Bundesregierung, Herr Trittin - das ist von vielen noch
viel zu wenig gewürdigt worden -, hat, um seine Leute zu
beruhigen - das ist das, was ich Ihnen vorwerfe; Sie schildern die Lage nicht real -, in einer Sonntagssendung vor
vielen Millionen Fernsehzuschauern gesagt, das, was die
Bundesregierung jetzt durchführe, liege unterhalb der
Ebene des Kosovo-Einsatzes.
Herr Bundesaußenminister, nehmen Sie dazu bitte
Stellung! Das ist eine völlig falsche Darstellung. Hier
handelt es sich um einen Bündnisfall nach Art. 5 des
NATO-Vertrages. Stellen Sie sich einmal vor, der Bündnisfall wäre in Europa eingetreten, wir wären angegriffen
worden, die Amerikaner wären der Beistandsverpflichtung nachgekommen und in Washington hätte dann
ein Minister gesagt: Wir beteiligen uns unterhalb der
Ebene des Einsatzes im Kosovo.
Das zeigt, was Sie machen: Auf Ihren eigenen Parteitagen spielen Sie den Umfang der Beistandspflicht herunter, der in dieser Situation notwendig ist und der möglicherweise auch auf unsere Soldaten zukommt.
({5})
Hierbei handelt es sich mit Sicherheit um mehr als das,
was im Kosovo geleistet wurde. Dies ist eine Situation
nach Art. 5 des NATO-Vertrages. Das muss in aller Deutlichkeit gesagt werden. Das verlange ich auch von Ihnen.
({6})
Der Bundeskanzler hat heute Morgen gesagt, er warne
vor Leuten, die auf der Suche nach neuen Zielen seien. In
den Nachrichtenagenturen wurde verbreitet, er habe damit einen Staatsminister seiner eigenen Regierung gemeint. Ich hatte zeitweilig den Eindruck, er hätte einen
wichtigen Verbündeten gemeint. Ich muss Ihnen sagen:
Es ist eine Unterstellung, wenn man sagt, dass jemand auf
der Suche nach neuen Zielen sei, die man gegenüber niemandem im Bündnis, weder innenpolitisch noch außenpolitisch, machen sollte.
Ich denke, wir sind uns mit den Amerikanern einig,
dass der Kampf gegen den internationalen Terrorismus
konsequent durchgeführt werden muss. Statt Ablenkungsmanöver von Ihnen zu hören, würde ich von Ihnen zum
Beispiel gerne wissen: Wie stehen Sie zur Forderung des
amerikanischen Präsidenten, dass der Irak wieder UNWaffeninspekteure zulässt, damit kontrolliert werden
kann, ob dort „weapons of mass destruction“ hergestellt
werden oder nicht?
({7})
Was ist die Position der Bundesregierung zu dieser Frage?
({8})
Nachdem Sie mich vorhin persönlich angesprochen
haben, hier nun eine ganz begrenzte Gegenreaktion, Herr
Bundesaußenminister - ich freue mich, dass auch der Verteidigungsminister hier ist -: Ich finde, der Joschka
Fischer auf Parteitagen versucht, die Bündnisfähigkeit
Deutschlands zu retten; das ist richtig. Aber was macht er
eigentlich im Hinblick auf die Bundeswehr?
Ich muss Ihnen sagen: In der alten Bundesregierung hat
sich Bundesaußenminister Kinkel in jeder Situation, in
der wir darum kämpfen mussten, Mittel für die Bundeswehr zu gewinnen, von seinem Selbstverständnis als
Außenminister her vor die Bundeswehr gestellt und zusätzliche Mittel für die Bundeswehr gefordert.
Ein Bundesaußenminister Fischer, der für seine internationale Tätigkeit den Einsatz der Bundeswehr braucht,
muss sich auch innenpolitisch vor die Bundeswehr stellen
und für eine ausreichende Finanzierung der Bundeswehr
eintreten. Schluss mit der Demontage und der Unterfinanzierung der Bundeswehr!
({9})
Angesichts der Defizite der Bundeswehr können Sie
die Soldaten doch nicht noch verstärkt einsetzen. Das
treibt die Soldaten zu Demonstrationen auf die Straße, wie
beispielsweise in Berlin. Ich sage Ihnen ganz persönlich,
Herr Fischer: Es ist nicht damit getan, dass Sie auf Parteitagen versuchen, irgendeine Kompromisslinie zu finden.
Ein glaubwürdiger Außenminister muss auch innenpolitisch dafür werben, dass unsere Soldaten die entsprechenden Mittel bekommen, damit sie die Einsätze mit
größtmöglicher Sicherheit für Leib und Leben durchführen können. Das erwarten wir von Ihnen. Das haben
Sie bisher aber noch nie gemacht.
({10})
Es ist gar keine Frage, dass sich nach dem 11. September ein Prozess verstärken wird, der von uns Europäern
mehr verlangt als in der Vergangenheit. Wenn es eine
Schieflage in der Diskussion gegeben hat, dann war es
die, dass wir unseren Einsatz fast ausschließlich mit Solidarität und Dankbarkeit gegenüber den Amerikanern begründet haben. Das spielt zwar auch eine Rolle. Aber ich
muss fragen: Warum bringt es diese Bundesregierung
nicht fertig, zu sagen, dass es das ureigene Interesse der
Bundesrepublik Deutschland, deren Sicherheit tief verwundbar ist, erfordert, diesen Kampf gegen den Terrorismus zu führen?
({11})
Warum haben Sie immer so getan, als ob Sie auf Forderungen der Amerikaner warten würden, anstatt dass wir
als Deutsche und Europäer selbst entscheiden, was richtig
ist, um diese Auseinandersetzung zu führen?
Ich sage Ihnen ganz konkret - darauf müssen Sie antworten -, was notwendig ist: Wir müssen die Amerikaner
in Europa militärisch entlasten. Das geht aber nur, indem
wir die entsprechenden Fähigkeiten, „capabilities“, schaffen. Was nur auf dem Papier steht, zählt nicht. Wenn ich
mir die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik anschaue, die nicht zuletzt von Ihnen, Herr Bundesaußenminister, verantwortet wird, dann muss ich sagen,
dass vieles nur auf dem Papier steht: von den Transportflugzeugen bis zu der im Aufbau befindlichen Eingreiftruppe von 60 000 Mann.
Wir müssen über die herkömmlichen Einsatzszenarien
hinaus denken. Im Augenblick hat es sozusagen einen
Schönheitswettbewerb zwischen einigen europäischen
Ländern gegeben, was den Einsatz von Spezialkräften
angeht. Es wäre doch viel besser, wenn wir die Spezialkräfte europäisch einbetten würden. Sie müssen zwar militärisch national geführt werden. Aber Europäer, Engländer, Franzosen, Deutsche und andere, könnten gemeinsam
Spezialkräfte in einer Stärke von 5 000 Mann aufbauen.
Aber es gibt keinen Beitrag der Bundesregierung, um sich
auf eine solche Situation einzustellen.
({12})
Ein weiterer Punkt. Wir werden die Amerikaner auf
dem Balkan entlasten müssen. Darüber haben Sie nicht
gesprochen. Sie haben nur über alte Schlachten gesprochen. Sie wissen doch ganz genau, welche Schwierigkeiten wir noch Mitte der 90er-Jahre hatten. Ich habe Schiffe
in die Adria geschickt, die kaum ein Maschinengewehr an
Bord hatten. Sie haben uns dafür vor das Verfassungsgericht zitiert.
({13})
Es war damals sehr schwer, die notwendigen Einsätze
durchzuführen, um die Massaker dort zu stoppen. Das
wissen Sie ganz genau. Deswegen kann es diesbezüglich
auch keine Vorwürfe geben.
Wir müssen die Amerikaner auf dem Balkan entlasten.
Anstatt entsprechende Schritte der Amerikaner passiv zu
erleiden, sollten wir sie von uns aus anbieten. Ich habe Ihnen das schon zusammen mit meinem früheren französischen Kollegen François Léotard vor einem Jahr gesagt.
Denn die Friedensmissionen nicht nur in Mazedonien,
sondern auch in Bosnien und mittelfristig im Kosovo in
europäischer Hauptverantwortung durchzuführen und uns
heute bereits darauf einzustellen erfordert natürlich bestimmte Investitionen für die Bundeswehr.
Ebenso wenig ist auszuschließen - da werden Sie aufschreien, weil Sie außenpolitisch nur das machen, was innenpolitisch von Rot-Grün gerade noch getragen wird -,
dass Amerika bei der Überwachung der Flugverbotszonen
im Norden und im Süden Iraks, „northern and southern
watch“ - diese wurde zunächst gemeinsam mit zwei europäischen Nationen, nämlich England und Frankreich,
durchgeführt; zuletzt nur mit England -, einen stärkeren
europäischen Beitrag fordern wird. Ich wie auch der Verteidigungsminister wissen ganz genau, dass die Bundesluftwaffe das leisten kann. Meine Frage ist: Ist es unangemessen, sich darauf einzustellen, dass wir die
Amerikaner bei dieser Aufgabe entlasten? Sie machen es
nicht - obwohl die Luftwaffe mit ihren Kräften sehr wohl
dazu in der Lage wäre -, weil dies von Rot-Grün innenpolitisch nicht getragen wird.
({14})
Das ist eine Schwäche in der Außenpolitik, wenn Sie nur
das machen, was auf Ihren Parteitagen möglich ist.
Sagen Sie mir einmal, warum es nicht möglich ist, die
Amerikaner bei dieser Aufgabe, die von den UN gefordert
wird, zu entlasten. Weil Sie dafür keine Mehrheit auf dem
Parteitag haben.
({15})
An Ihrer Nervosität merke ich, dass genau das der Punkt
ist.
({16})
Das ist eine außenpolitische Schwäche. Die Bundeswehr
kann das und ich finde, das ist angemessen. Deswegen
sollten wir das in unsere Diskussion mit einbeziehen.
({17})
Ich will jetzt wegen der begrenzten Zeit nicht weiter
über die Weltordnungspolitik sprechen. Wir werden einen
Antrag einbringen, in dem ganz klar gemacht wird, dass
wir ökonomische und entwicklungspolitische, aber auch
außenpolitische Maßnahmen anstreben, um dafür zu sorgen, dass die schwarzen Löcher in der internationalen Politik, die Zonen der Ordnungslosigkeit, verschwinden. Ich
glaube, dass es in dieser Frage auch gar keinen Streit gibt.
Aber eines muss man ebenso immer wieder mit aller
Klarheit sagen: Der internationale Terrorismus ist keine
Folge des globalen Wohlstandsgefälles. Diese Terroristen
kommen weder aus den Slums orientalischer Großstädte,
auch nicht aus palästinensischen Flüchtlingslagern, noch
kämpfen sie für die sozialen Rechte der Unterdrückten.
Sie bedienen sich allerdings einer entsprechenden Rhetorik, um ihr mörderisches Handeln im Nachhinein zu legitimieren. Sie sollten Ihren Parteifreunden, die versuchen,
einen Zusammenhang mit der Nahostpolitik, mit Angriffen auf die Politik Israels herzustellen, gelegentlich auch
sagen, dass Mohammed Atta und andere Hamburg-Harburg in dem Moment verlassen haben, um sich in Amerika
auf die Anschläge vorzubereiten, als der ehemalige israelische Ministerpräsident Barak die weitreichendsten Friedensvorschläge für Jerusalem und für ein Miteinander unterbreitet hat. Deswegen ist es fahrlässig, so zu tun, als ob
die Anschläge in New York und Washington etwas mit der
jetzt zugespitzten und schwierigen Lage im Nahen Osten
zu tun hätten. Darauf sollten wir nicht hereinfallen.
({18})
Zu Europa kann ich nur noch sehr kurz sagen: So wie
Frankreich und Deutschland sehr viel für die Stabilisierung
Europas getan haben, müssen Amerika und Europa etwas
für die Stabilität in der Welt tun. Die Öffnung - das will ich
jetzt nur mit einem Schlagwort sagen; ich denke, da sind
wir uns auch weitgehend einig - der Europäischen Union,
aber auch die Öffnung der NATO mit ihrem Stabilitätsexport ist vielleicht der wichtigste Beitrag von uns Europäern
zur Stabilisierung der Welt. Wir verlangen von Ihnen,
dass die Bundesregierung hier endlich eine präzise Politik
entwickelt. Wir glauben, dass es wichtig ist, neben einem
Stabilitätsexport in die baltischen Staaten - die Gott sei
Dank auf einem ganz sicheren Wege in den Westen sind; sie
werden in diesem Jahrzehnt Mitglied der Europäischen
Union und auch der NATO - einen Stabilitätsexport in
Richtung Südosten - nach Bulgarien und, wenn es geht,
auch nach Rumänien - zu betreiben, gerade in die Länder,
die nicht kurzfristig Mitglied der Europäischen Union werden können, selbst wenn sie alles richtig machen.
Deswegen brauchen wir deutsche Vorschläge, um die
NATO-Öffnung auch in diese Richtung zu entwickeln.
Aber Fehlanzeige - die Bundesregierung entwickelt keine
Politik in diese Richtung. Das werfen wir Ihnen vor, Herr
Bundesaußenminister. Sie haben sicherlich Fähigkeiten
im Ausgleich, auch im Kompromiss; aber an der Entwicklung präziser politischer Handlungsmaximen mangelt es. Das sehen wir bei der Frage der Öffnung der Europäischen Union und auch der Öffnung der NATO.
Der letzte Punkt innerhalb einer halben Minute. Wir
haben neue Chancen im Verhältnis zu Russland.
({19})
Auch mich hätte - statt dieser Versuche, gleich wieder
Unfrieden zu säen - in dieser Debatte mehr interessiert, zu
erfahren, was Sie von der Chance halten, mit Russland zusammen zu 20 in der NATO zu tagen, 19 NATO-Mitglieder und Russland
({20})
- ja, dann sagen Sie doch mal was dazu! -, gleichberechtigt zu sprechen und zu entscheiden, wenn auch nicht in
allen Fragen, zum Beispiel nicht in Fragen, die Art. 5 betreffen oder die das Innerste der NATO berühren, aber
doch in wichtigen Fragen der Terrorismusbekämpfung,
internationaler humanitärer Einsätze, „missile defense“.
Das ist von Ihnen verschlafen worden.
Sie haben auch die Raketenabwehrfrage falsch eingeschätzt. Russen und Amerikaner sind inzwischen viel
weiter, als Sie es in den letzten Jahren im Deutschen Bundestag waren.
Deswegen sage ich Ihnen nach dem Lob und der Unterstützung zu den ersten beiden Punkten: Die deutsche
Außenpolitik darf nicht nur die Funktion der Innenpolitik
und dessen, was Rot-Grün möglich ist, haben, sondern sie
muss die Interessen unseres gesamten Landes wahrnehmen.
Im Übrigen würde ich Ihnen empfehlen, es in Zukunft
so zu halten, dass Sie erst einmal auf das hören, was die
Opposition hier sagt, und dann vielleicht etwas Präzises
zu den Punkten und den Fragen sagen, die wir hier ansprechen.
Vielen Dank, vor allen Dingen für das Verständnis des
Präsidenten.
({21})
Zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Joseph Fischer
das Wort.
Herr Präsident! Der Kollege Rühe hat mich
mehrmals angesprochen. Erstens. Ich verkneife es mir, etwas zum Verhältnis zwischen Außen- und Verteidigungsminister der Vorgängerregierung zu sagen. Das
wäre ein weites Feld; ich kann mich noch gut daran erinnern. Zweitens zu „missile defense“: Kollege Rühe, wir
wollten von Anfang an ein Klima der Kooperation zwischen den beiden Großen herstellen. Dazu habe ich
damals im Vorfeld der Diskussion die Moskau-Reise
gemacht. Sie hatten da bereits Hurra gerufen. Ich sehe
mich darin voll bestätigt.
Nun komme ich zu den konkreten Punkten. Was ich Ihnen nicht durchgehen lasse, ist die These, wir würden hier
irgendetwas im Unklaren lassen. Die Sicherheitskomponente in Afghanistan hat für den Fall, dass es dort tatsächlich zu einer politischen Lösung kommt, zwei Voraussetzungen: Die erste ist eine Sicherheitsratsresolution, die
zweite ist die Zustimmung der Afghanen. Dann stellt sich
aber immer noch die Frage, ob es zu einer externen Lösung kommen wird - und wenn ja, wie sie aussehen
muss -, oder ob es eine interne Lösung der Afghanen gibt.
Das ist zur Stunde völlig unentschieden. Die aus rein innenpolitischen Gründen gemachte Behauptung, dass irgendetwas zurückgehalten werde, ist wirklich böswillig.
Das ist das, was ich Ihnen vorwerfe. Ich will Ihnen sagen:
Großbritannien hat jetzt - gerade heute kam die Meldung - 6 000 Mann, die angekündigt waren, wegen der
Unklarheit in diesen Fragen zurückgezogen.
Eine zweite Bemerkung in diesem Zusammenhang:
Wir halten uns an das Bundestagsmandat. Das Bundestagsmandat ist in seiner Gänze das, woran sich die Bundesregierung hält. Dieses findet die volle Zustimmung
nicht nur unseres Partners, sondern auch der USA.
Sie behaupten, die Bundesregierung habe ihr Interesse
nicht klar formuliert. Ich formuliere es nachdrücklich und
stimme Ihnen auch zu, dass - so, wie Sie es sagen - unser
Interesse auf dem Balkan uns in der Tat einer interessengeleiteten Politik und einer Schwerpunktsetzung nahe
bringt. Wir haben jedes Interesse, unserem Bündnispartner, den USA, nach diesen furchtbaren Angriffen im
Bündnis beizustehen. Wir haben auch ein starkes VN-politisches Interesse. Wir haben aber - sozusagen weit weg
von Europas Grenzen - kein direktes Interesse. Das wissen Sie so gut wie ich.
Insofern kann ich Ihnen nur sagen: Wenn ich die Interessengrundlage noch hinzunehme und weiß, womit wir
es im Nahen Osten zu tun haben, dann finde ich es geradezu interessenvergessen, was Sie über den Irak oder eine
mögliche deutsche Beteiligung gesagt haben.
({0})
- Natürlich hat er über Flugverbotszonen und Ähnliches
geredet. - Alle Europäer sind der Meinung, dass wir aufgrund unserer direkten Nachbarschaft mit dem Nahen
Osten
({1})
eine politische Lösung herbeiführen müssen.
Ich komme zum letzten Punkt, den Sie angesprochen
haben: Die Frage, wie wir zu der Kontrolle und der Umsetzung der einschlägigen Sicherheitsratsresolution stehen, ist rhetorisch. Die Bundesregierung steht selbstverständlich zur Umsetzung der einschlägigen Sicherheitsratsresolution. Es muss eine Überwachung des Irak
geben. Wir haben bisher alle Initiativen in diese Richtung
unterstützt.
({2})
Herr Kollege Rühe möchte erwidern. Bitte schön.
Herr Bundesaußenminister, jeder hat doch gemerkt, dass ich im Zusammenhang
mit dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus
nicht über die aktuelle Situation des Irak gesprochen habe,
sondern über die Frage, nachdem Engländer und Franzosen die Amerikaner bei „northern watch“ und „southern
watch“ unterstützt haben, ob nicht auch sie der Meinung
sind, dass es im Prinzip eine europäische Aufgabe ist, die
Amerikaner zu entlasten, und dass man, wenn Deutschland das kann, darüber auch ohne Tabu muss sprechen
können. Darum geht es; das sollten Sie in diesem Zusammenhang auch nicht verdrehen.
({0})
Ich komme zum zweiten Punkt: Ein bisschen verstehe
ich noch von dem Kräftedispositiv der Bundeswehr. Deswegen habe ich, als unter der Überschrift „Einsatz in Afghanistan“ davon gesprochen wurde, von Anfang an gesagt, dass die meisten dieser Kräfte gar nicht in
Afghanistan eingesetzt werden können. Das fängt mit den
Schiffen an. Direkt oder indirekt können sie aber sehr
wohl eine Rolle spielen, nämlich dort, wo sie stationiert
werden. Auch darüber würde ich gerne offiziell einmal etwas hören. Man liest vieles. Wenn sie auslaufen, ist das
kein geheimer Einsatz. Sagen Sie also einmal, worum es
geht. Werden sie in diesem Teil von Ostafrika und der
arabischen Halbinsel direkt oder indirekt eine Rolle
spielen? Das gilt noch mehr für die 800 ABC-Soldaten.
Sagen Sie als Außenminister, für welche Situation diese
Kräfte vorbereitet sind. Welche Rolle sollen sie dort spielen?
Ich betone noch einmal: Wenn es um Geheimhaltung
geht, also um geheime Operationen, bin ich sofort an Ihrer Seite. Jetzt versuchen Sie, sich zu verständigen. Sie
schulden der deutschen Öffentlichkeit aber Aufklärung
darüber, wo die Bundeswehr eingesetzt wird. Das sollten
Sie auch endlich nachholen.
({1})
- Nein, auch der Außenminister hat dort eine ganz zentrale Verantwortung, zumal er uns unterstellt, wir seien
auf der Suche nach neuen Zielen.
Ich komme zum letzten Punkt: Ein Einsatz mit einer
multilateralen Truppe in Afghanistan wäre sehr schwierig; das ist gar keine Frage. Ich habe Ihnen aber im Ausschuss gesagt, dass es ganz eindeutige Signale aus Amerika gibt. Die Deutschen sind in der ersten Phase nicht
dabei. Wir sehen ja, welche Kämpfe dort stattfinden,
währenddessen wir von Kaiserslautern nach Ankara fliegen. Deswegen sind sie eigentlich besonders gut geeignet,
in einer späteren Phase zusammen mit Soldaten aus islamischen Staaten und anderen, die sich nicht an diesen
Kämpfen beteiligt haben, eingesetzt zu werden.
Eine solche Diskussion tabuisieren Sie aus innerparteilichen Gründen. Niemand drängt zu einem Einsatz; ich
weiß, wie schwierig das ist. Aber bei Ihnen hat die Außenpolitik die Funktion der Innenpolitik.
Eine letzte Bemerkung: Natürlich bestehen zwischen
Klaus Kinkel und mir unterschiedliche Auffassungen
- das haben Sie wahrscheinlich gemeint - auch hinsichtlich des Weltsicherheitsrates. Darüber müssen wir noch
einmal reden. Er hat sich aber immer vor die Bundeswehr
gestellt und stets mehr Mittel dafür gefordert. Sie könnten
sich jetzt an das Mikrofon stellen, Herr BundesauJoseph Fischer ({2})
ßenminister - es wäre schön, wenn Sie sich noch einmal
meldeten -,
({3})
und das erste Mal in drei Jahren für mehr Mittel für die
Bundeswehr werben. Darüber würde sich, so glaube ich,
auch der Kollege Scharping sehr freuen. Wir alle wären
überrascht, wenn der Außenminister hier einmal nicht als
Taktiker aufträte, sondern sagen würde: Ich setze deutsche Soldaten ein. Deswegen schulde ich ihnen auch zu
Hause die entsprechende Unterstützung. - Das wäre ein
neuer Joschka Fischer.
({4})
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Gert Weisskirchen
von der SPD-Fraktion.
Es sprach der
ehemalige Verteidigungsminister, für den die Außenpolitik eine Funktion der Verteidigungspolitik ist.
({0})
Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen, mein lieber Kollege Rühe. Wenn Sie Fragen stellen wollen, dann
tun Sie dies, wenn der Haushalt von Rudolf Scharping behandelt wird.
Im Übrigen - das wissen Sie genauso gut wie ich; darüber haben wir auch im Auswärtigen Ausschuss debattiert - hält sich die Bundesregierung strikt an das Mandat
und setzt es so um, wie es der Beschluss des Bundestages
vorsieht. Daran wird nichts geändert; das Mandat wird
nicht ausgeweitet. Es wird strikt an dem festgehalten, was
der Deutsche Bundestag beschlossen hat. Letztlich wird
jede Maßnahme im Bereich der Verteidigungspolitik
durch das Parlament gebilligt und verbleibt unter der Regie des Parlaments und seiner Steuerung. Daran wird sich
nichts ändern, selbst wenn Sie das möglicherweise gerne
anders hätten, lieber Herr Kollege Rühe.
({1})
Bei Ihnen war es doch genauso wie bei Herrn
Schockenhoff. Wer von Ihnen hat denn hier über die Veränderungen in der Außenpolitik gesprochen? Herr
Schockenhoff hat sich fast ausschließlich über das Militär
ausgebreitet, ebenso der ehemalige Verteidigungsminister. Über die Wende, über die wirklich dramatischen Veränderungen in der Außenpolitik aber haben Sie nicht ein
einziges Wort verloren. Daran können Sie selbst sehen,
dass Sie unfähig sind, die Außenpolitik mitzubestimmen.
Sie sind in diesem Punkt noch nicht einmal politikfähig.
Das muss ich Ihnen, liebe Kollegen von der CDU/CSU,
sagen.
({2})
Worauf kommt es wirklich an? Vielleicht, lieber Herr
Kollege Rühe, könnten Sie sich einmal anschauen,
worum es bei der Afghanistan-Konferenz in Königswinter tatsächlich geht. Entscheidend ist doch, dass diejenigen, die dort verhandeln, für ihr eigenes Land den Weg
in eine neue Zukunft suchen wollen. Dass dies möglich
ist, liegt auch daran, dass sich die Bundesrepublik
Deutschland als konstruktives Mitglied in der internationalen Allianz gegen den Terrorismus profiliert hat. Dies
hat diese Bundesregierung vorangetrieben und der Bundestag hat es gebilligt.
Als wir damals darüber gestritten und eine Entscheidung getroffen haben, haben Sie dies, obwohl Sie in der
Sache dafür waren, aus innenpolitischen Gründen abgelehnt. Das ist mindestens genauso zu kritisieren, wie Sie
das Verhalten anderer kritisieren. Wir haben in unseren
Parteien, sowohl die Grünen als auch wir, heftig darüber
debattiert - ich finde, das war gut so -, alle Schattierungen
dieses Mandates ausgeleuchtet und sind dann zu der
festen Überzeugung gekommen, dass es aus Gründen der
Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland notwendig ist, diesem Mandat zuzustimmen.
Wenn es jetzt darum geht, den Frieden in Afghanistan
zu ermöglichen, dann sollten wir uns auch einmal die
Frage stellen, was wir in den letzten 23 Jahren versäumt
haben. Haben wir nicht Afghanistan seinem Schicksal
überlassen? Unterschiedliche Warlords haben in diesem
Land eine Kette von Gewalt, eine Kette von Unterdrückung ausgelöst. Die Frauen, die Kinder und die Jugendlichen sind die Opfer jener Schreckensherrschaften
gewesen. Leider war es notwendig, dass im Rahmen der
politischen Strategie, die entwickelt worden ist, auch das
Militär eine Rolle spielt, damit endlich die Freiheit des
Landes durchgesetzt werden kann. Das war der zentrale
Punkt unserer Auseinandersetzungen. Die ist notwendig
und das wird künftig eine entscheidende Rolle in der deutschen Außenpolitik spielen.
Ich hoffe, dass ich im Namen von uns allen sprechen
kann, wenn ich die Teilnehmer der Afghanistan-Konferenz grüße und sie darum bitte, die Chance, die sie
jetzt haben, auch wirklich zu nutzen. Beenden Sie den
Leidensweg der letzten Jahre, der bis zum Rand voll
mit Blut gewesen ist! Geben Sie allen Menschen in Afghanistan, die guten Willens sind, die Möglichkeit, sich
am Aufbau ihres Landes zu beteiligen! Helfen Sie mit,
dass Frauen und Mädchen und besonders die Jugendlichen eine friedliche Zukunft für sich und ihr Land gewinnen.
An der Tatsache, dass der Chefunterhändler der Nordallianz, Junus Kanuni, davon, dass Afghanistan jetzt eine
neue Ära vor sich hat, und vom Ende der Machtmonopole
spricht, sieht man, dass in Afghanistan genau die richtige
Lehre gezogen wird, eine Lehre, die eine friedliche Zukunft dieser Region möglich macht. Hier kommt unser
deutscher Beitrag künftig noch sehr viel plastischer zum
Ausdruck.
Es geht nicht nur um die Frage, lieber Kollege Rühe,
auf die Ihnen der Außenminister eben eine deutliche Antwort gegeben hat, nämlich ob wir am Ende, wenn die
UNO es in die Hand genommen hat, nicht doch noch bereit sein könnten, Teil einer internationalen Friedenstruppe zu werden. Dies ist an Bedingungen geknüpft, die
zunächst einmal die UNO allein zu stellen hat. Es ist auch
daran gebunden, dass Afghanistan einen solchen Wunsch
überhaupt erst einmal vorträgt. Dann können wir darüber
reden. Ich glaube, dass dann die Bundesregierung einen
vernünftigen Vorschlag unterbreiten wird.
Stabilität wird es in der Gesamtregion aber erst geben,
wenn Afghanistan entmilitarisiert sein wird, wenn das
Vertrauen zwischen den Gruppen, den Stämmen und den
Regionen einen festen Grund gefunden hat. Dabei darf
keine Stimme überhört werden. Allen muss die Möglichkeit gegeben werden, sich an diesem Prozess zu beteiligen. Genau dies ist das Kennzeichen dieser Bundesregierung, nämlich dafür zu sorgen, dass einer friedlichen
Konfliktvorbeugung Raum gegeben wird.
Wir haben den zivilen Friedensdienst durchgesetzt.
Wir haben uns neuer Instrumente bedient. Auch Sie hätten dazu Zeit gehabt, haben diese Zeit aber verstreichen
lassen. Wir haben es durchgesetzt und dies bleibt das Markenzeichen dieser Bundesregierung.
({3})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Christian Schmidt von der
CDU/CSU-Fraktion.
Meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident!
Man hat den Eindruck, dass die Rede des Kollegen
Weisskirchen der Versuch sein sollte, Dinge aufzuzeigen,
die mit der Realität so nicht übereinstimmen, nämlich
dass wir, die CDU/CSU und die FDP, zu Zeiten, als wir
Regierungsverantwortung trugen, keine entscheidenden
Schritte bei der Frage der Übernahme internationaler Verantwortung durch Deutschland unternommen hätten.
Ich glaube, ich habe Sie missverstanden; denn in diesen Fragen bauen Sie auf dem auf, was Klaus Kinkel,
Helmut Kohl und Volker Rühe entwickelt haben. Genauso
bauen Sie, Herr Bundesaußenminister, bei dem von uns
allen begrüßten Israel-Engagement auf dem auf, was in
den 90er-Jahren von der damaligen Bundesregierung, insbesondere durch Bundeskanzler Kohl, entwickelt worden
ist.
Es ist schade und schlimm, dass Yitzhak Rabin nicht
mehr da ist. Er hätte darauf angemessen reagiert,
({0})
wie er es bereits 1995 getan hat.
Wir müssen auch über die Erkenntnis reden, dass dies
für uns nicht zum Nulltarif möglich ist, wir uns also da
und dort beteiligen müssen.
Deshalb stellt sich bei der Afghanistan-Konferenz
schon die Frage: Wird man aus den Erfahrungen der letzten 20 Jahre heraus den afghanischen Parteien, wie wohlmeinend auch immer sie sind, die Zukunft ihres Landes
sehr schnell in die Hände geben können, wo sie eigentlich
auch hingehört? Oder wird die internationale Gemeinschaft darüber nachdenken müssen, ob sie konkrete Unterstützung leistet?
({1})
All das, was Präsident Wilson 1918/19 und den Amerikanern insgesamt vorgeworfen worden ist - sie meinten,
mit Vertragswerken ein Europa zu schaffen, dass man sich
selbst überlassen könne, was dann in einer Katastrophe
endete -, sind historische Überlegungen, die uns bei der
Afghanistan-Konferenz bewegen müssen. Deswegen ist
die Frage, die Volker Rühe angesprochen hat, berechtigt
und nicht nur hypothetisch: Wie steht es mit der Bereitschaft, sich einzubringen, wenn es zu ungewollten, aber
möglicherweise unabwendbaren Ereignissen kommt?
Das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass jemand ungeduldig mit den Hufen scharrt und auf seinen Einsatz wartet. Nein, es geht darum, Verantwortung umzusetzen.
Wir erwarten Informationen. Zur Personalpolitik des
Auswärtigen Amtes haben schon die Haushaltsberichterstatter und einige andere gesprochen. Aber, Herr Bundesaußenminister, ich darf eine Bitte äußern. Ich spreche
nur für mich persönlich, weil ich natürlich nicht für den
gesamten Auswärtigen Ausschuss sprechen kann: Entweder Sie schicken Ihren Staatsminister Volmer mit Informationen in den Auswärtigen Ausschuss oder Sie betrauen ihn mit Büroarbeit im Ministerium.
({2})
Die Art und Weise, wie zum Teil kokettiert und geplaudert wird, ist nicht mehr akzeptabel. Sie ist mit Ihrem
Verfassungsauftrag, das Parlament ständig über die Dinge
zu informieren, die mit Bundestagsentscheidungen zusammenhängen, überhaupt nicht zu vereinbaren. Das
muss im Plenum einmal deutlich gesagt werden: Wenn
das so weitergeht, wird es Ärger geben.
({3})
Zum Thema Bundeswehr. Frau Kollegin Leonhard,
wenn ich das richtig gehört habe, haben auch Sie dazu einen Beitrag. Ich wollte fast schon eine Überleitung zum
Einzelplan 14 machen, möchte Ihnen aber nichts wegnehmen. Natürlich ist die Bundeswehr ein Instrument der
Außenpolitik. Nichts anderes ist diskutiert worden. Je
mehr sie sich international einbringt, desto mehr muss sie
ihren Verpflichtungen gerecht werden können.
Deswegen müssen wir - jetzt sind wir wieder bei der
Außen- und Europapolitik - darauf hinweisen, dass wir in
Bezug auf die Headline Goals von Helsinki, die Schaffung
einer europäischen Eingreiftruppe - das ergab sich aus den
Erfahrungen der Europäer im Kosovo-Krieg und ihren Unzulänglichkeiten und das haben wir begrüßt -, nicht erlahmen dürfen. Wir stellen fest, dass der Anspruch Europas,
einen Pfeiler darzustellen, und die Wirklichkeit, Beiträge
leisten zu können, immer mehr auseinander klaffen.
Das hat mit Geld zu tun. Das hat damit zu tun, dass zum
Beispiel die Frage des gemeinsamen Transportflugzeuges
nicht geklärt ist.
({4})
Gert Weisskirchen ({5})
Ich weiß nicht genau, ob sich Gerhard Schröder oder
Volker Kröning durchsetzt. Wir werden das verfolgen.
Aber es gibt zwischen 40 und 72 Transportflugzeugen
nicht nur einen zahlenmäßigen, sondern auch einen qualitativen Unterschied. Es geht um die Fähigkeit, sich an
weit reichenden Einsätzen zu beteiligen. Die Frage ist,
wie die europäische Integration beispielsweise auf der
Ebene der gemeinsamen Spezialkräfte, die genannt worden sind, stattfindet. Wir müssen hier kreativ denken, unsere Ideen weiterentwickeln und unsere Ressourcen bündeln. Davon merke ich nichts.
Das Nebeneinander zwischen Außen- und Sicherheitsund Verteidigungspolitik hat gegenwärtig ein Ausmaß angenommen, das den deutschen Interessen schadet. Deswegen muss beim Einzelplan 14 - ich will keinem meiner
Kollegen vorgreifen, die sich zum Verteidigungsetat
äußern wollen - darauf hingewiesen werden, dass er auch
eine Funktion derAußenpolitik ist und nicht nur eine Funktion der Ideologie. Mancher Grüne ist immer noch der Meinung, die Bundeswehr gehöre sowieso abgeschafft.
({6})
Ich möchte eine Verbindung zur Reform des öffentlichen Dienstes herstellen. Es ist immer wieder zu beobachten, dass ehemalige Hamburger Regierungschefs für
Funktionen genannt werden. Manchmal schätzt man diese
Vorschläge. Manchmal fragt man sich, welches Signal es
sein soll, wenn zum Beispiel Herr Runde als Nachfolger
für die abgewirtschaftete Frau Fugmann-Heesing genannt
wird, bei der sich die Gelehrten, die Aufsichtsratsvorsitzenden und die Minister streiten, ob sie selbst gegangen
ist oder ob sie gegangen worden ist. Ich frage: Soll das
Konzept der GEBB ohne weiteres fortgesetzt werden?
Ich bedanke mich dafür, dass bisher niemand auf den
Gedanken gekommen ist, alles im Bereich des Auswärtigen Dienstes zu privatisieren. Ich habe den Eindruck,
dass wir auch in anderen Bereichen einschließlich des
Einzelplans 14 an Grenzen stoßen.
Ich habe in einer heftigen Debatte, die wir im Verteidigungsausschuss geführt haben, den Herrn Bundesverteidigungsminister als Oberamtsrat tituliert. Das ist keine Beleidigung, ganz im Gegenteil! Nur, der Minister ist
natürlich kein Oberamtsrat. Er muss politische Vorgaben
machen. Aber ich befürchte, dass es allmählich zu wenige
Oberamtsräte in unserer Bundeswehrverwaltung und auch
in anderen Bereichen gibt. Bedenken Sie: Nicht alles, was
von Unternehmensberatern vorgegeben und vorgeschlagen wird, ist auf die Dauer wirklich billiger, als es gegenwärtig rechnerisch dargestellt wird. Wir müssen deswegen
bei der Frage der Bündelung der Mittel im Haushalt darauf
achten, dass sie nicht nur effizient eingesetzt werden, sondern dass auch ein politisches Zusammenspiel in der
Außen- und Sicherheitspolitik gewährleistet werden kann.
Wir hoffen, dass das Treffen in Laeken und die nächsten
Beratungen über die GASP, die Gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik, dazu führen, dass wir wirklich ein europäisches Standbein in der Sicherheitspolitik bekommen.
Herr
Schmidt, kommen Sie bitte zum Schluss.
Gegenwärtig ist das nicht der Fall.
Ich bedanke mich.
({0})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Dr. Elke Leonhard von der SPDFraktion.
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in der auswärtigen Kulturpolitik Zeichen gesetzt. Wir haben sie im
Haushalt in Zusammenarbeit mit den Fachpolitikern setzen können. Wir haben sie, egal, ob es sich um Vertreter
der Oppositionsfraktionen oder der regierungstragenden
Fraktionen gehandelt hat, gemeinsam gewollt. So wurden
im letzten Jahr 21 Millionen DM für Stipendienprogramme in den Haushalt eingestellt. Es ist uns in diesem Jahr gelungen, die Summe zu verstetigen und die
Mittel sogar um weitere 5 Millionen DM aufzustocken.
({0})
Des Weiteren: Herr Kollege Hoyer, Sie haben Recht,
wenn Sie die Auslandsschulen als Perlen, als ein Pfund
bezeichnen, mit dem wir wuchern müssten und sollten.
Wir haben auch hier 5 Millionen DM - wir hätten lieber
5 Millionen Euro gehabt - aufsetzen können.
Dies alles zeigt, dass die Reform der auswärtigen Kulturpolitik in den letzten Jahren effizient und mit einem hohen Maß an Übereinstimmung der beteiligten Mittler
- das hat sehr viel Sensibilität gekostet - unter Einbeziehung externer Gutachten systematisch und unaufgeregt
vorangebracht wurde. Und: Der Prozess ist unumkehrbar!
Die neuen Strukturen zeichnen sich bereits ab. Die Fusionierung von Goethe-Institut und Inter Nationes, die
heute sehr oft erwähnt wurde und zu der auch ein Änderungsantrag vorliegt, zeigt, dass wir ergebnisorientiert die
institutionelle Förderung heruntergefahren haben und
dass dadurch eine qualitative Verbesserung - darauf
kommt es an - der Programmarbeit erreicht werden
konnte. Dieser Prozess geht weiter.
({1})
Wir werden selbstverständlich auch im Jahre 2002
genügend Mittel haben. Als dienstälteste Politikerin für
auswärtige Kulturpolitik möchte ich einige Beispiele für
Verbesserungen nennen, deren Durchsetzung mir im
Haushaltsausschuss gelungen sind. Es ist im Rahmen des
Haushaltsvollzugs dieses Jahres gelungen, die Projektausgaben durch Einsparungen bei den Betriebsmitteln in
Höhe von circa 1,5 Millionen DM zu erhöhen. Dies ist nur
- das ist das erste Mal - durch einen Haushaltsvermerk im
Jahre 2001 gelungen.
Wer sich auskennt, weiß natürlich auch, dass Einrichtungen wie das Goethe-Institut Steuern zahlen. Nachdem mich
das Haus in London darauf aufmerksam gemacht hat, ist es
mir gelungen, dass die zurückfließenden Steuererstattungen
Christian Schmidt ({2})
- es handelt sich hier um Millionenbeträge - zu 30 Prozent
für die Programmarbeit verwendet werden können.
({3})
Zählen wir all dies zusammen, verehrter Herr Kollege
Lammert, dann kommen wir zu der Frage, was eigentlich
die so genannte Fusionsrendite ist. Uns geht es darum,
die Bürokratie ergebnisorientiert herunterzufahren und
peu à peu eine qualitative Verbesserung der Programmarbeit zu erreichen. Des Weiteren ist es gelungen, an vier
unterschiedlichen Standorten - hinsichtlich dieser Modelle stehen wir mit dem Auswärtigen Amt und den Mittlern in Verbindung - eine drastische Reduzierung der
Bürokratie bei gleichzeitiger Steigerung der Effizienz zu
erreichen. An dieser Stelle verweise ich auf das Modell
Peking. In wochenlangen Gesprächen mit den Mittlern,
mit dem Auswärtigen Amt und mit den Botschaftern ist
es uns gelungen, eine Konzeption zu erarbeiten. Diese
Konzeption ist tragfähig, weil sie praxisorientiert ist.
Die mehrjährige Evaluierung der einzelnen Mittler beweist, dass die von uns gewählte Schwerpunktsetzung,
die Internationalisierung der Hochschulen, zu einer
qualitativen Verbesserung der auswärtigen Kulturpolitik
geführt und sich gleichzeitig als Motor der Reform der
auswärtigen Kulturpolitik erwiesen hat. Neben der Intensivierung der europäischen auswärtigen Kulturpolitik
bleibt uns die Internationalisierung unserer Hochschulen
als Schwerpunktsetzung für die kommenden Jahre. Parallel dazu, verehrte Kolleginnen und Kollegen, müssen wir
endlich mit unseren französischen, britischen und italienischen Partnern eine permanente Kooperation zur Vertiefung der europäischen auswärtigen Kulturpolitik erreichen; denn die internationalen Herausforderungen
verlangen dies. Dabei wird selbstverständlich das von mir
sehr geachtete Goethe-Institut eine zentrale Rolle spielen.
Aber es geht nur in Kooperation.
Der Bundesregierung ist es gelungen, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im Hinblick auf begabte
wissenschaftlich-technische Nachwuchskräfte zu stärken.
Wir verfolgen damit zwei Ziele: Wir wollen den Anteil
ausländischer Studenten in der Bundesrepublik erhöhen
und die Anzahl deutscher Studenten im Ausland binnen
fünf Jahren verdoppeln.
({4})
Wenn wir bedenken, dass jetzt nur jeder zehnte in
Deutschland eingeschriebene Student ein oder zwei Auslandssemester aufweist, dann müssen wir hier zu einer
Steigerung kommen. Besonders wichtig ist dies, wenn wir
es im Vergleich zu den USA, Frankreich oder Großbritannien sehen.
Die Internationalisierung ist somit nicht nur zur Triebfeder einer grundlegenden Studienreform geworden, mit
der neue Rahmenbedingungen geschaffen werden sollen,
sondern darüber hinaus ist auf die wachsende Finanzverantwortung der Hochschulen abgezielt worden. Bemühungen um Modernisierung und Flexibilisierung sind gestartet worden und neue Wege für die Qualifizierung des
wissenschaftlichen Nachwuchses sind entwickelt worden.
Frau Kollegin Leonhard, ich habe Ihre Redezeit schon um zwei
Minuten verlängert. Ich bitte Sie, jetzt zum Schluss zu
kommen.
Alle, die wir uns mit auswärtiger Kulturpolitik beschäftigen, haben eine Enquete
gefordert. Jetzt kommt es darauf an, dass Großbritannien,
Frankreich, Italien und Deutschland in einem Fünf-Jahres-Programm zur Integration der europäischen auswärtigen Kulturpolitik und zur Kooperation auf diesem Gebiet
beitragen.
Ich danke Ihnen für Ihre Geduld, Herr Präsident.
({0})
Ich erteile
dem Kollegen Kampeter das Wort zur Geschäftsordnung.
Herr Präsident!
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat auf Drucksache 14/7644 eine Aufstockung der Mittel für das GoetheInstitut um 410 000 Euro beantragt; Stichwort dazu: Fusionsrendite. In der Debatte haben wir erkannt, dass es
einen gemeinsamen Willen der Berichterstatter gibt, hier
zu einer Lösung zu kommen, und in einer von uns als verbindlich empfundenen Erklärung des Bundesministers
des Auswärtigen gehört, dass unserem Anliegen Rechnung getragen wird. Wir verlassen uns auf die Zusage des
Bundesministers und verzichten auf eine Abstimmung
über diesen Antrag.
({0})
Vielen
Dank. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den
Abstimmungen, und zwar zunächst zur Abstimmung über
den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/7613. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Antrag gegen die Stimmen der Fraktionen der FDP, der
CDU/CSU und der PDS mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05 Auswärtiges Amt - in der Ausschussfassung. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der übrigen Fraktionen angenommen.
Ich rufe Punkt I. 18 auf:
Einzelplan 14
Bundesministerium der Verteidigung
- Drucksachen 14/7313, 14/7321 Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Bartholomäus Kalb
Jürgen Koppelin
Zum Einzelplan 14 liegen ein Änderungsantrag der
Fraktion der CDU/CSU, drei Änderungsanträge der Fraktion der FDP und fünf Änderungsanträge der Fraktion der
PDS vor. Über je einen Änderungsantrag der Fraktionen
der FDP und der PDS werden wir später namentlich abstimmen. Weiterhin liegen je ein Entschließungsantrag
der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vor, über die
wir am Freitag abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Dietrich Austermann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Der in der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses vorgelegte Verteidigungshaushalt ist eine einzige Bankrotterklärung. Mit rund
23,6 Milliarden Euro liegt der im Haushaltsausschuss mit
der Mehrheit der Regierungskoalition beschlossene und
nunmehr zur zweiten Lesung anstehende Plafond des Verteidigungshaushaltes um 330 Millionen Euro unter dem
Soll des Jahres 2001. Die Talfahrt des Verteidigungshaushaltes seit Übernahme der Regierungsverantwortung
durch die rot-grüne Koalition geht also trotz aller gegenteiligen Zusagen weiter.
({0})
Das kann man ganz klar an den Zahlen nachvollziehen
und feststellen: Mit 23,6 Milliarden Euro ist das Haushaltsvolumen um 330 Millionen Euro geringer als in
diesem Jahr. Dies ist aber nur ein kleiner Teil der erschreckenden Wahrheit, die mit ungedeckten Wechseln,
mit Hoffnungen und ungesicherten Erwartungen im Hinblick auf Verwertungs- und Rationalisierungsgewinne aus
der Tätigkeit der GEBB verschleiert werden soll.
Der Bundesverteidigungsminister hat eine Zeit lang
sein eigenes Schicksal mit der Zukunft der GEBB verbunden. Wenn das Konzept des Liegenschaftsmanagements nicht funktioniere, wenn es nicht gelinge, dadurch
zusätzliche Einnahmen zu erzielen, werde er seinen Hut
nehmen. Bisher war es offensichtlich nicht möglich, dass
er seinen Hut nahm, aber auch nicht, diese Erlöse zu erzielen. Wir fragen uns, was noch passieren muss, damit
das von ihm gegebene Wort, die Zusagen und internen
Aussagen auch wieder belastbar sind.
Aber mit dieser Entwicklung bei der GEBB, auf die ich
nochzusprechenkommenwerde, ist esnichtgenug.Esgibt
einige weitere illusionäre Erwartungen auf nicht eintretende Geschäftserfolge. Der Bundesverteidigungsminister
selbst hat in der parlamentarischen Beratung im Haushaltsausschuss deutlich gemacht, dass Ansätze in wichtigen
Ausgabenbereichen zunächst zusammengestrichen werden können, dass aber dann eine ordentliche Ausstattung
erfolgen wird, wenn diese Zuflussvermerke nicht wirksam
werden sollten. Das bedeutet für den Haushalt, dass weder
die Vorhaben zur Informationstechnologie noch wichtige
Bauvorhaben,diezurRealisierungderStruktur imRahmen
der Bundeswehrreform geplant waren,
({1})
noch die Modernisierung der maroden Fahrzeugflotte im
Jahr 2002 möglich sein werden. Der Minister sprach von
Ansatzkürzungen in Höhe von 800 Millionen DM. Wenn
es keine Privatisierungserlöse gibt, fehlen diese 800 Millionen DM bei der Beschaffung; von Materialerhaltung
ganz zu schweigen.
Natürlich haben diese Kürzungen nur zum Teil mit den
erwarteten Einnahmesteigerungen zu tun. Der Betrag war
nötig, um im Bereich der militärischen Beschaffung wenigstens den Anschein einer ausreichenden Finanzausstattung aufrechtzuerhalten.
So ist nach dieser Beschlussfassung im Haushaltsausschuss, nach dem heute vorliegenden Entwurf also, davon
auszugehen, dass die Investitionsquote des Verteidigungsetats ein historisches Tief erreichen dürfte, nämlich
kaum 22 Prozent. Das ist das Ergebnis der Politik von
Minister Scharping, die auch zu dem erschreckenden Faktum führte, dass in diesem Jahr Einnahmen von 1 Milliarde DM im Bereich der militärischen Beschaffung sowie
Forschung und Entwicklung verplant wurden, von denen
aber nur - das stellt man fest, wenn man sich die Erlöse
der GEBB anschaut - ganze 17 Millionen DM eingegangen sind; diese 17 Millionen DM auch nur deshalb, weil
der Bundesfinanzminister einen Vorschuss auf mögliche
Erlöse gewährt hat.
Mit anderen Worten: Frau Fugmann-Heesing, die bis
vor kurzem im Amt war, hat es nicht einmal geschafft, ihr
eigenes Gehalt von rund 1 Million DM durch die Tätigkeit dieser Gesellschaft zur Beratung der Bundeswehr
einzuspielen. Das ist, meine ich, ein deutlicher Beweis
dafür, dass das Konzept des Verteidigungsministers gescheitert ist.
Von 36 Beschaffungsprojekten konnten bisher nur
zehn in Auftrag gegeben werden. Wenn wir in der nächsten Sitzungswoche noch das eine oder andere beschließen, das vor den rot-grünen Augen bestehen konnte,
wird immer noch die Hälfte aller großen Beschaffungsprojekte in diesem Jahr nicht realisiert werden können.
Der Verteidigungshaushalt schiebt in den Bereichen
der militärischen Beschaffung sowie der Forschung und
Entwicklung, das heißt bei der Entwicklung von Projekten für Aufgaben für die Zukunft, eine Bugwelle von nicht
realisierten Vorhaben in Höhe von 900 Millionen DM vor
sich her und somit in den Haushalt 2002. Damit verschärft
sich die Situation bei weiter sinkendem Etat im kommenden Jahr um weitere 900 Millionen DM.
Wie beratungsresistent Minister Scharping ist, beweist
der vorgelegte Haushaltsentwurf auch selbst. Im nächsten
Haushalt kommt nach seinem und dem Willen der Bundesregierung oder der sie tragenden Koalitionsfraktionen
ein weiterer Vorhabenbetrag hinzu, der in Höhe von
1,2 Milliarden DM mit erhofften Einnahmen finanziert
werden soll.
({2})
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Auch dies ist nach unserer Einschätzung offensichtlich
ein Trugbild, da kein Anhaltspunkt dafür zu erkennen ist,
dass diese Einnahmen auch realisiert werden.
({3})
Die GEBB sitzt seit mehr als einem Jahr auf Grundstücken im Wert von weit über 600 Millionen DM und war
nicht in der Lage, ein einziges Grundstück zu verkaufen.
Dass bei dieser Situation die Geschäftsführung der GEBB
vorsorglich das Handtuch geworfen hat, ist verständlich.
Ebenso verständlich ist, dass die Kollegen der Regierungskoalition im Haushaltsausschuss angesichts dieser
Lage das kalte Grauen gepackt hat. Nur so erklären sich
folgende Beschlüsse:
Für den Fall, dass es diese Privatisierungserlöse, auf
denen der ganze Haushalt basiert, nicht gibt, ist beschlossen worden, die dann bankrotten Ausgabenbereiche wie
Informationstechnik und Infrastruktur mit Verstärkungsvermerken zu versehen. Das ist angesichts dieser Situation vernünftig, aber nur deshalb notwendig, weil man
selbst nicht glaubt, was man auf dem Papier geschrieben
hat.
Außerdem ist beschlossen worden, alle GEBB-Aktivitäten mit Haushaltsrelevanz qualifiziert zu sperren. Das
beinhaltet den geheimen Vorbehalt der Koalitionsabgeordneten gegenüber dieser Gesellschaft. Ich kann mich an
das Berichterstattergespräch erinnern, in dem der eine
oder andere rot-olivgrüne Kollege gesagt hat: Wir werden
das Ende des Jahres abwarten, um zu wissen, ob es bei
der GEBB ein Ende mit Schrecken oder ein Schrecken
mit Ende gibt, ob man nicht wirklich die vorzeitige Auflösung der Gesellschaft veranlassen soll. - Das fordern
wir ja.
Schließlich hat man von der Koalition vorgeschlagen,
selbst international verbindliche Erklärungen des Bundeskanzlers zur Beschaffung des Großraumtransportflugzeugs im Haushalt zu konterkarieren. Wir alle erinnern uns daran: Der Bundeskanzler hat vor kurzem beim
deutsch-französischen Gipfel sein Interesse daran deutlich gemacht, dass das Großraumflugzeug beschafft wird.
Es soll ja auch wichtige strategische Fähigkeiten im Lufttransport der Bundeswehr ermöglichen. Wenn man bei
den Plänen bleibt - Beschaffung von 73 Flugzeugen -, ist
es notwendig, einen Betrag von 16 Milliarden DM oder
rund 8 Milliarden Euro bereitzustellen.
Im Haushalt dieses Jahres war eine Verpflichtungsermächtigung in der Größenordnung von 5 Milliarden Euro
eingestellt. Die konnte bisher nicht abgearbeitet werden,
weil es dem Minister innerhalb dieses Jahres nicht möglich war, den Vertrag über die 73 neuen Großflugzeuge
tatsächlich abzuschließen. Man ist sich mit der Industrie
nicht einig geworden. Zunächst hat man sich in Le Bourget getroffen, aber man musste auseinander gehen ohne
wesentliche Unterschrift, weil es keine Zustimmung des
Parlaments und keine verhandlungsreifen Verträge gab.
Jetzt ist man nicht ein Stückchen weiter, aber der Bundeskanzler sagt, der Haushaltsausschuss habe ihm das
Geld nicht bewilligt.
({4})
Ich glaube, es ist ziemlich eindeutig, dass Regierung
und Koalition in dieser Frage nicht mehr richtig miteinander reden. Sonst wäre dieses Problem am besten und
schnellsten dadurch zu lösen, dass Sie unserem Antrag,
den wir heute stellen, folgen.
({5})
Meine Damen und Herren, den besten Sparbeitrag
könnte die Koalition leisten, wenn sie die GEBB; die seit
ihrer Gründung sage und schreibe 65 Millionen DM aus
dem Bundeshaushalt erhalten hat, abschafft. In der
Zeitung ist heute zu lesen, dass die Staatsanwaltschaft
Bonn ermittelt, weil diese Bundesgesellschaft, Herrn
Scharpings Lieblingskind, Geld, das sie vom Bund als
Darlehen erhalten hat, für den Kauf von Aktien benutzt
und damit ein mieses Geschäft gemacht hat. Die Staatsanwaltschaft in Bonn ermittelt. Vielleicht ist das der
Grund dafür, dass Frau Fugmann-Heesing aus dem Verkehr gezogen wurde bzw. zurückgetreten ist.
({6})
Der Verteidigungsminister hat gesagt, seine ganze
Konzeption einschließlich der Bundeswehrreform basiere
auf dem Vier-Säulen-Modell, nämlich auf der veränderten Situation bei der Fahrzeugflotte - man hat mit der
Bundesbahn verhandelt, die sämtliche Fahrzeuge der
Bundeswehr übernehmen sollte; das kam nicht zustande,
weil die Provisionsforderung von Frau Fugmann-Heesing
mit 50 Millionen DM zu hoch war -, außerdem Bekleidungsmanagement, IT-Management und Liegenschaftsmanagement über alle diese Bereiche hat man verhandelt;
ich habe davon gesprochen. Liegenschaftsmanagement
etwa bedeutet, dass die Bundeswehr alle Kasernen an eine
Gesellschaft verkauft, an der der Bund beteiligt ist, und
der Verteidigungsminister sie wieder anmietet. Dazu hat
der Finanzminister gestern endgültig erklärt, das wäre ein
Schattenhaushalt und mit ihm nicht zu machen. Was ist
nun mit dem Rücktritt des Ministers, der gesagt hat, wenn
dieses Vier-Säulen-Modell nicht funktioniert, nehme er
seinen Hut?
Ich glaube, es ist ziemlich klar, dass mit diesem Verteidigungsetat aufgrund der finanziellen Unterdeckung - in
diesem Jahr fehlt weit über 1 Milliarde und im kommenden Jahr dürfte ein Betrag von rund 3 Milliarden fehlen kein Staat zu machen ist, dass er einer Bankrotterklärung
gleichkommt.
({7})
Die Maßnahmen der Regierungskoalition im Haushaltsentwurf bezeugen die Handlungsunfähigkeit dieser Bundesregierung auf dem Gebiet der Haushaltswirtschaft,
eben auch in der Außen- und Verteidigungspolitik. Sie
werden auch nicht besser durch die Zuweisung weiterer
1,5 Milliarden DM aus dem Antiterrorpaket. Diese Mittel
sind zweckgebunden für den neuen, bislang im Haushalt
nicht abgebildeten Bedarf und lindern in keiner Weise die
Not des Einzelplans. Wenn man davon ausgeht, dass aus
diesen Mitteln auch noch die Kosten der Beteiligung der
Bundeswehr an der Operation Enduring Freedom bestritten werden müssen, zeigt sich vollends, dass auch mit
dieser Maßnahme nur von der Wirklichkeit abgelenkt
werden soll.
Meine Damen und Herren, auf die Reaktion unseres
Landes, die als „uneingeschränkte Solidarität“ bei der
Bekämpfung des Terrors weltweit angekündigt war, ist
in der vorangegangenen Debatte eingegangen worden. Es
ist aber festzustellen: Wenn für das Liefern von Decken in
die Türkei die Vertrauensfrage gestellt werden muss und
die Olivgrünen erst einen Tag vor der Friedenskonferenz
zur Zustimmung kommen,
({8})
ist das für die Bundeswehr kein Ruhmesblatt und für die
Bundesregierung blamabel.
({9})
Dabei ist ziemlich klar, dass unsere Kritik überhaupt nicht
an die Bundeswehr und ihre tüchtigen zivilen und soldatischen Mitarbeiter gerichtet ist, sondern an die Führung,
die sie dieser Blamage ausgesetzt hat.
Ich möchte einen weiteren Punkt anführen, der vor
dem Grünen-Parteitag, den ich eben angesprochen habe,
eine Rolle gespielt hat. Die Roten und die Olivgrünen tun
ja alles, um sich gegenseitig zu helfen. Vor dem GrünenParteitag hat Außenminister Fischer mit großem Tamtam
verkünden dürfen, er habe einen rüstungspolitischen
Katalog gestoppt, in dem ausgemusterte Waffen zum Verkauf angeboten werden. Überall, sei es im Kabinett oder
bei den Haushaltsberatungen, stimmen die Grünen
diesem normalen Geschäft zu. Im Haushalt sind Veräußerungserlöse aus dem Verkauf von Waffen an
NATO-Partner, aber auch an befreundete Nationen eingeplant. Vor Parteitagen macht es sich für grüne Seelen jedoch gut, wenn es heißt, wie die „Welt“ kürzlich schrieb:
„Fischer, der Friedensfürst, stoppt Scharping, den Waffenhändler.“ Mit verantwortungsvoller Politik hat das
nichts zu tun.
({10})
Man stelle sich einmal vor: Man ist dagegen, dass an
die Türkei Waffen geliefert werden, und sagt, mit denen
wolle man, was Waffenlieferungen angeht, nichts zu tun
haben. Gleichzeitig ist man jetzt im Rahmen dieser Unterstützungsaktion darauf angewiesen, für die Transporte
der Decken einen Flugplatz im Lande des Partners Türkei
anzufliegen. - Das passt doch hinten und vorne nicht.
Es passt auch nicht zusammen, dass sich der Verteidigungsminister intern damit schmückt, bei Rüstungsexporten sei 1999 ein Rekord erzielt worden, wenn gleichzeitig der Eindruck vermittelt werden soll, man habe mit
diesen Exporten nichts zu tun.
Der rot-grüne Streit ist nicht nur auf diesem Gebiet evident. Bei Herrn Fischer habe ich allerdings den Eindruck,
dass seine Haltung mehr äußerlich ist. Klammheimlich,
also hinter dem Rücken, macht er genau das, was ihm
nachgesagt wird: Auf dem Parteitag verstellt er sich bloß.
({11})
Direkt nach dem Grünen-Parteitag hat Scharping widersprochen, als er gesagt hat, die Verkäufe gingen weiter,
und auf einen entsprechenden Kabinettsbeschluss vom
Juli 2001 hinwies. Diese Arbeitsteilung mag für den
krampfhaften Zusammenhalt von Rot-Grün Kitt sein und
koalitionsintern zur Beruhigung beitragen. Für unser
Land und natürlich auch für die Industrie ist das schlecht.
Ich möchte zusammenfassen: Im Haushaltsentwurf 2002 wurden dem Einzelplan 14 durch bewusste
Mittelabsenkungen rund 800 Millionen DM entzogen.
Die Ausgaben für militärische Beschaffungen, Forschung
und Entwicklung sind mit mindestens 1,2 Milliarden DM
unterfinanziert. Die Bugwelle nicht realisierter Vorhaben
des Jahres 2001 in Höhe von 900 Millionen DM tritt
hinzu. Damit liegt die bewusste Unterdeckung des Verteidigungshaushalts bei 3 Milliarden DM. Wir haben Anträge in entsprechender Höhe gestellt. Wer es mit der Sicherheitspolitik und der Verteidigung unseres Landes und
mit dem Bündnis ernst meint, der muss diesen Anträgen
zustimmen. Haushaltsrisiken, für die keine Vorsorge mehr
getroffen werden kann, treten hinzu.
Ihre rot-grüne Politik ist unverantwortlich und nicht
zukunftsorientiert. Eine solche Firmenbilanz würde jeden
Geschäftsführer eines Unternehmens dem Vorwurf der
Erfüllung von Straftatbeständen aussetzen. Die von
Minister Scharping angestrebte Bundeswehrreform ist
mit diesem Finanzrahmen nicht zu machen.
Herr Minister Scharping, Sie haben das Vertrauen verloren: Die Soldaten haben kein Vertrauen mehr zu Ihnen,
die Bevölkerung hat kein Vertrauen mehr zu Ihnen und
Ihre eigene Partei hat, wie das mickrige Wahlergebnis auf
dem Nürnberger Parteitag deutlich gemacht hat, kein Vertrauen mehr zu Ihnen. Der Generalinspekteur, Ihr dritter
in Ihrer Dienstzeit, hat kein Vertrauen mehr. Frau
Fugmann-Heesing verlässt fluchtartig das sinkende
Schiff, die GEBB. Ich nehme an, Ortwin Runde oder
Oswald Metzger haben noch Vertrauen zu Ihnen; schließlich werden sie als Kandidaten für das Amt des Geschäftsführers der GEBB genannt. Möglicherweise glauben sie, mit Ihnen im Amt werde die GEBB fortbestehen.
Wer sonst hat überhaupt noch Vertrauen in diesen Bundesverteidigungsminister?
({12})
Es scheint, dass einzig und allein der Kanzler ihn noch
hält, wahrscheinlich nur deswegen, weil er bereits sieben
Minister und viele Staatssekretäre entlassen hat. Herr
Minister, Sie sollten die Kraft haben, der Bundeswehr zu
dienen und einem Besseren Platz zu machen.
({13})
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Volker Kröning für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Der Verteidigungshaushalt 2002, den die Koalition vorlegt, bildet einen AusDietrich Austermann
gleich zwischen finanz- und sicherheitspolitischen Erfordernissen und verbindet die Anforderungen an die Bundeswehrreform und an die aktuellen Einsätze der Bundeswehr mit den Anforderungen an die Sanierung des
Bundeshaushalts.
Erinnern wir uns an die Strecke, die wir zwischen dem
Haushaltsentwurf 2000 und dem Finanzplan 2003 sowie
dem Haushaltsentwurf 2002 und dem Finanzplan 2005
auf dem Politikfeld der Verteidigung zurückgelegt haben.
Die Linie der Sollentwicklung lautete damals: 45,3 Milliarden DM für das Jahr 2000 und für die Folgejahre
44,8 Milliarden DM, 44,5 Milliarden DM und 43,7 Milliarden DM.
Mit dem Einsatz der Bundeswehr im Kosovo, der als
erster Auslandseinsatz nicht aus dem Verteidigungshaushalt erwirtschaftet werden musste, wurde das Budget
zunächst, im Jahre 1999, um 441 Millionen DM verstärkt.
Sodann, im Jahre 2000, wurde es aus dem Einzelplan 60
um 2 Milliarden DM verstärkt. Seit 2001 stehen diese
Mittel dem Einzelplan 14 unbefristet zur Verfügung.
Mehr als 800 Millionen DM davon sind zur gezielten Modernisierung der Bundeswehr vorgesehen.
Im Jahre 2001 sind zwei weitere Korrekturen erfolgt,
die das Budget mittel- und langfristig stabilisieren. Ich
meine zunächst Südosteuropa. Im Vorfeld der Einsätze in
Mazedonien ist die Finanzlinie des Einzelplans bis 2006
verlängert und um jährlich 500 Millionen DM erweitert
worden. Der 11. September hat ein Übriges getan und zu
einer Aufstockung um weitere 1,5 Milliarden DM pro Jahr
geführt.
({0})
Dabei sollte sich jeder erinnern, dass man sich in der
Theorie der Terrorismusbekämpfung einig gewesen
sein mag, in der Praxis aber erst jetzt zu einer kurz- wie
mittelfristig angelegten Antwort findet; das ist übrigens
im Ausland nicht anders als bei uns. Diese Antwort erschöpft sich keineswegs in dem militärischen Beitrag zur
Terrorismusbekämpfung, sondern ist komplex, wie die
vorige Debatte deutlich herausgearbeitet hat.
Im Soll hat sich damit der Verteidigungshaushalt von
2000 bis 2002 von 45,3 auf 46,2 Milliarden DM erhöht.
Mit den Mitteln aus dem Einzelplan 60 wird das Budget
sogar von 47,3 auf 47,7 Milliarden DM ansteigen. Von
2003 an wird die Linie des Einzelplans stetig bei 47,7 Milliarden DM liegen.
({1})
- Um das allen verständlich zu machen und um besser mit
den Vorjahren vergleichen zu können, habe ich, lieber
Herr Kollege Rossmanith, noch DM-Beträge und nicht
Euro-Beträge verwandt.
Der Anteil des Verteidigungshaushaltes am Gesamthaushalt liegt damit - ohne die weiteren Ausgaben nach
NATO-Kriterien - konstant bei knapp 10 Prozent des Gesamthaushaltes. Mit den Ausgaben nach NATO-Kriterien,
wie etwa Versorgungslasten oder Stationierungslasten,
sind das weitaus mehr als 10 Prozent. Diese Linie lässt
sich - das sage ich ganz klar - auf absehbare Zeit nicht
nach unten korrigieren.
Fairerweise muss man fragen: Wäre man, wie die
CDU/CSU glauben machen möchte - deshalb will ich
mich damit auseinander setzen -, ohne die ursprünglich
geplanten Kürzungen des Verteidigungshaushaltes besser
gefahren? Die Antwort lautet klar: Nein; denn das hätte
nur die alte Praxis fortgesetzt, die jeweils erforderlichen
Beträge aus dem Einzelplan zu erwirtschaften. Ich erinnere an die Linie der Ist-Ergebnisse der 90er-Jahre, die
ebenso den damaligen Auslandseinsätzen wie der Sparpolitik geschuldet war, an der sich vor Hans Eichel schon
Theo Waigel versucht hat.
Ist also die im Jahr 2000 beschlossene, auf das
Jahr 2006 zielende und in der schrittweisen Umsetzung
begriffene Bundeswehrreform hinreichend finanziert
- diese Frage stellt sich durchaus - oder ist sie unterfinanziert, wie vom rechten Teil dieses Hauses unaufhörlich verbreitet wird? Die Antwort darauf darf sich nicht in
der These erschöpfen, dass die Reform den sicherheitspolitischen Möglichkeiten und den finanzpolitischen Notwendigkeiten genügen muss. Das bleibt eine Floskel. Es
genügt auch nicht, auf die reduzierte Rolle der klassischen
Landes- und Bündnisverteidigung zu verweisen. Instabilitäten in und um Europa und neue Gefahren wie der internationale Terrorismus sowie die Herstellung und Proliferation von Massenvernichtungsmitteln fordern auf neue
und umfassende Weise das Recht und die Pflicht zur
Selbstverteidigung und zur Sicherheitsvorsorge heraus.
({2})
Dies hat uns die Realität schockartig und böse vor Augen
geführt.
Nein, die Antwort lautet: Die Bundeswehrreform ist
notwendiger und dringlicher denn je. Ich hätte es sogar
vorgezogen, sie früher einzuleiten. Doch es ist ein Gebot
der Wahrhaftigkeit, daran zu erinnern, dass der Verteidigungshaushalt von vornherein gegenüber anderen Haushalten bevorzugt worden ist. Ich nenne über die genannten Verstärkungen hinaus vor allem den beinahe
vollständigen Selbstbehalt der Effizienzrendite und den
Selbstbehalt der Veräußerungserlöse, den die Ressortvereinbarungen von 2000 und 2001 nicht einmal erfunden,
sondern nur ausgeweitet haben.
Die GEBB bleibt für uns eine verwaltungs- und haushaltstechnische Innovation, die sich auszahlen wird.
({3})
Das Regelwerk, das inzwischen feststeht, eröffnet der
GEBB - völlig unabhängig von Personalien - einen realistischen Entwicklungspfad und ist parlamentarisch zu
verantworten. Wer vor diesem Hintergrund immer noch
von Unterfinanzierung der Bundeswehr redet, hat jeden
Maßstab verloren.
({4})
Oder an die Adresse des leider an diesem Punkt nicht
mehr beteiligten Herrn Rühe gesagt: Wer von Demontage
redet, macht Parteipolitik auf dem Rücken unserer Soldaten.
({5})
Nun die in die Zukunft weisenden Eckpunkte des Entwurfs 2002:
({6})
Mit dem für die vor uns liegenden Jahre beschlossenen
Personalbudget wird das Attraktivitätsprogramm verwirklicht, das zentraler Bestandteil der Bundeswehrreform und Ausfluss des Neuausrichtungsgesetzes und
des Besoldungsänderungsgesetzes ist, die vom Haus bereits beschlossen worden sind. Das Programm eröffnet allein im militärischen Bereich 2002
({7})
- hören Sie gut zu, Sie Zwischenrufer - fast 42 000 Beförderungsmöglichkeiten, davon für Offiziere 5 500, für
Unteroffiziere 1 850 und für Mannschaftsdienstgrade
34 500. Darüber hinaus kann und wird die vom Verteidigungsausschuss einstimmig beschlossene Erhöhung des
Mobilitätszuschlages finanziell dargestellt werden, sobald § 8 d des Wehrsoldgesetzes geändert ist.
Im Sachhaushalt lassen sich die Investitionen, also die
Ansätze für Forschung und Entwicklung und für Beschaffungen, die im Plafond nur 23 Prozent betragen,
durch die gesicherten Verstärkungsmittel wesentlich erhöhen; in absoluten Zahlen: zu den 5,2 Milliarden Euro
kommen - vorsichtig gerechnet - 0,6 Milliarden Euro zusätzlich. Vergleichen wir - jetzt passen Sie gut auf - die
Ist-Entwicklung der Investitionen über ein Jahrzehnt und
nehmen wir sie zum Maßstab der Richtung und des Tempos der Modernisierung der Bundeswehr. Wenn man diesen Maßstab anlegt, stellt man von 1994 über 1998 bis
2000 - um nur die Daten am Ende der letzten zwei Wahlperioden und nach den ersten zwei Jahren dieser Wahlperiode zu vergleichen - folgende Linie fest: 21,1 Prozent
1994, 23,7 Prozent 1998 und 24,3 Prozent im Jahre 2000,
oder in absoluten Zahlen gesagt: 9,9 Milliarden, 11,1 Milliarden und 11,6 Milliarden DM.
({8})
Sieht man sich alleine die Beschaffungen an, so stellt
man folgende Ausgabenkurve fest: 5,5, 6,5 und 7,2 Milliarden DM. Von einem historischen Tief, Herr Kollege
Austermann, kann also überhaupt keine Rede sein.
({9})
Die große Zahl der Beschaffungsentscheidungen, die
der Haushaltsausschuss - zugegebenermaßen nicht mit
der Begleitmusik, mit der Sie das zu tun pflegten und leider meist in Form von halbwahren Informationen immer
noch tun - in dieser Legislaturperiode getroffen hat und
die er noch vor sich hat, ist ein eindeutiger Beleg. Ich
nenne als aktuelles Beispiel nur die Division Spezielle
Operationen, die möglicherweise die Hauptlast bei einem
Ernstfall zu tragen hätte. Die DSO ist rechtzeitig aufgestellt worden, mehr als zwei Drittel ihrer Ausrüstung sind
beschafft, der Rest hat 2002 und 2003 Priorität.
Zum A 400 M nur die Bemerkung, Herr Austermann,
dass die Koalition auf Bitten des Bundesministers der
Verteidigung die VE, die bereits in diesem Jahr im Haushalt stand, auf das nächste Jahr übertragen hat, weil - so
das Ministerium - die Zeit für die Beschaffungsvorlage
noch nicht reif sei.
Ein Wort noch aus besonderem Anlass zur Materialerhaltung: Sie fällt nicht unter die Investitionsausgaben,
sondern unter die konsumtiven Ausgaben und zeigt ein
noch krasseres Bild als die Entwicklung der Investitionen,
wenn man von der Gegenwart in die Vergangenheit
zurückschaut. Diese Ausgaben haben sich nämlich in den
drei Abschnitten von 1994 über 1998 bis 2000 von zunächst 4,3 Milliarden DM auf 4 Milliarden DM verringert
und sind - wohlgemerkt, im Ist - unter unserer Regierung
auf 4,5 Milliarden DM erhöht worden. Sie steigen im Soll
im nächsten Jahr noch einmal auf 4,7 Milliarden DM an.
Dabei wünschte ich mir, dass das Verhältnis zwischen
Materialbeschaffung und Materialerhaltung bald günstiger wird. Dies hängt neben einem klaren, von einem Controlling begleiteten Erhaltungskonzept, dessen Erarbeitung vom Haushaltsausschuss in Auftrag gegeben worden
ist, auch von einem entschiedenen Aussortierungskonzept
ab, das eine schrittweise Umsteuerung der Investitionen,
von Alt zu Neu also, einschließt.
Zusammengefasst: Die Fakten sind eindeutig. Die interessierten Kreise - sei es aus der Bundeswehr, sei es aus
der Industrie - sollten bei den Fakten bleiben und ihre Kritik mäßigen. Überhaupt tun alle Verantwortlichen gut daran, das Geleistete herauszuarbeiten und nicht Illusionen
hinterherzujagen.
({10})
Ich gebe zu, dass das Verhältnis von Personal- und
Sachquote im Verteidigungshaushalt noch immer zu denken gibt und in den nächsten Jahren korrigiert werden
sollte. Allein auf die Effekte der GEBB, sobald und soweit
sie hinzutreten, sollte man nicht setzen.
Doch hört man sich jenseits des politischen und publizistischen Getümmels bei all denjenigen, die sachlich
bleiben, um, so findet man bestätigt: Die Richtung der Reform stimmt. Man sollte über sie positiv und nicht negativ sprechen, nicht zuletzt auch deshalb, um den Arbeitsplatz Bundeswehr materiell und ideell attraktiv zu
erhalten.
({11})
Ich appelliere an alle Fraktionen, die Bundeswehr, ihre
Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft aus dem
parteipolitischen Streit herauszunehmen. Tun wir es nicht,
laufen wir Gefahr, dass andere die Bundeswehr ständig in
den Dreck ziehen. Darunter leiden die Einsatzkräfte, an
die wir in diesem Moment denken sollten, und alle anderen Soldaten und Zivilisten, die für sie da sind. Ich wünsche mir - ich drücke das bewusst nicht im Konjunktiv,
sondern im Indikativ aus - einen Konsens über die äußere
wie die innere Sicherheit.
Vielen Dank.
({12})
Für die
FDP-Fraktion spricht der Kollege Günther Nolting.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kröning, niemand von der Opposition will die Bundeswehr in den
Dreck ziehen. Ich glaube, auch wir aus den Reihen der
Opposition sind uns unserer gemeinsamen Verantwortung
bewusst.
Ich will am heutigen Tage vielmehr daran erinnern,
dass sich in diesem Moment mehr als 7 500 Angehörige
der Bundeswehr im Einsatz auf dem Balkan und in
Georgien befinden. Fast 4 000 halten sich für die Teilnahme am Kampf gegen den internationalen Terrorismus
bereit. Sie alle, aber auch die Angehörigen der Bundeswehr hier vor Ort leisten eine hervorragende Arbeit. Sie
garantieren die äußere Sicherheit unseres Staates und sie
erhalten und schaffen an den verschiedensten Orten dieser Erde Frieden.
({0})
Sie tun dies unter dem Einsatz von Leib und Leben. Wir
alle sind ihnen dafür zu Dank verpflichtet.
({1})
Die Bundeswehr hatte vor rund zehn Wochen ihren ersten gefallenen Soldaten zu beklagen. Von der Öffentlichkeit fast nicht wahrgenommen, kam Oberstabsarzt Dieter
Eissing im Einsatz für den Frieden durch den Abschuss eines Hubschraubers in Georgien ums Leben. Der Dienst in
der Bundeswehr ist nicht ohne Risiko. Ich bin mir dessen
immer bewusst gewesen. Der Beruf des Soldaten ist von
besonderer Qualität. Für mich stand das immer außer
Zweifel.
Die Angehörigen der Bundeswehr - ob nun in Uniform
oder in Zivil - bedürfen der speziellen Anerkennung und
sie bedürfen der notwendigen Mittel zur Erfüllung ihres
gefahrvollen Auftrages. Es ist die Aufgabe des Verteidigungsministers, dafür zu sorgen, dass die Soldatinnen
und Soldaten optimal ausgebildet werden, dass ihnen modernste Ausrüstung und Bewaffnung zur Verfügung steht
und dass die Soldaten und die zivilen Mitarbeiter angemessen bezahlt werden. Herr Scharping, Sie erfüllen
keine dieser Aufgaben.
({2})
Sie übernahmen 1998 einen Verteidigungshaushalt in
Höhe von 46,8 Milliarden DM. Der Verteidigungshaushalt betrug 10,1 Prozent des Bundeshaushaltes. Ich will
eingestehen, dass das wenig genug war. Herr Minister, Sie
hatten auch Recht mit Ihrer Feststellung, dass eine Investitionslücke von rund 20 Milliarden DM bestehe. Später
haben Sie im Zahlenrausch eine Lücke von 30 Milliarden DM genannt.
Was kam dann? Nichts, rein gar nichts!
({3})
Ihr Haushalt wurde Jahr für Jahr zusammengestrichen.
Der Kollege Kröning hat das für die SPD gerade noch einmal bestätigt. Heute haben Sie nominal rund 3 Milliarden DM weniger. Der Anteil des Verteidigungshaushaltes am Bundeshaushalt beträgt nur noch 9,1 Prozent.
Das ist der Tiefststand in der Geschichte der Bundeswehr.
Herr Kollege Kröning, das ist die Wahrheit.
({4})
Die Bundeswehr geht sprichwörtlich baden - wenn
auch ohne Fotostory, möchte man fast sagen, wenn es
nicht so unendlich traurig wäre.
({5})
Sie, Herr Minister, tragen die alleinige Verantwortung
dafür, Sie ganz allein.
({6})
Sie sind zu einem Führer grenzenlos enttäuschter Truppen
geworden. Zugleich sind Sie ohne Rückhalt im Kabinett.
Die Parteitagsdelegierten sprachen Ihnen in Nürnberg das
Misstrauen aus. In Ihrer Fraktion läuft für alle sichtbar die
offene Rebellion. Wie anders ist die Forderung des Kollegen Opel, immerhin ein ausgewiesener Verteidigungsexperte der SPD, zu verstehen, dass Sie, Herr Minister,
den Oberbefehl über die Bundeswehr an den Kanzler abgeben sollen? Ich teile allerdings die Auffassung des Verfassungsrechtlers Wieland, der die aktuelle Dominanz des
Kanzlers in Fragen des Bundeswehreinsatzes analysiert als „ein Anzeichen für die politische Schwäche
Scharpings, aber nicht für eine Lücke im Grundgesetz“.
So ist das. Der Mann hat Recht.
({7})
Die Bilanz der jetzt dreijährigen Amtszeit des Verteidigungsministers ist ebenso ernüchternd wie katastrophal.
Letztes Beispiel - das ist hier schon angesprochen worden - ist die Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung
und Betrieb, kurz GEBB. Diese Gesellschaft ist nicht nur
ein Megaflop, sie ist auch - so die „Bild“-Zeitung von
heute - ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten, die seit
zwei Monaten wegen des Verdachts der Untreue ermittelt.
Der Kollege Austermann hat schon darauf hingewiesen.
Die Kündigung von Frau Fugmann-Heesing, immerhin
bislang hoch gelobte
({8})
und noch höher bezahlte Geschäftsführerin dieses ominösen Konstruktes, täuscht nicht über den wahren Verantwortlichen hinweg. Der heißt Rudolf Scharping. Die
GEBB ist am Ende. Sie sollte wegen Erfolglosigkeit aufgelöst werden, um der Verschwendung von Steuergeldern
ein Ende zu bereiten.
({9})
Einen entsprechenden Änderungsantrag hat die FDPBundestagsfraktion eingebracht. Ich bitte hier um Zustimmung.
({10})
Herr Minister Scharping, für Sie bedeutet die erneute
Niederlage jedoch mehr. Ihr ohnehin schon brüchiges Finanzgebäude steht endgültig vor dem Einsturz. Die von
Ihnen vollmundig proklamierte größte Militärreform
seit Scharnhorst, in Wirklichkeit wohl eher ein Reförmchen, bricht in sich zusammen - zulasten der internationalen Reputation Deutschlands und zulasten der Angehörigen der Bundeswehr, deren oberster Dienstherr Sie
doch sind.
Herr Minister, in Ihrer Haushaltsrede des letzten Jahres
versprachen Sie unter anderem, den strukturellen Überhang von 8 000 Unteroffizieren und Offizieren und den
Beförderungsstau innerhalb von zwei Jahren abbauen zu
wollen. Das sind Ihre Worte, Herr Minister Scharping.
Was sind Ihre Taten? Gerade einmal 3 000 Dienstposteninhaber können innerhalb der kommenden fünf Jahre die
Bundeswehr vorzeitig verlassen. So bleibt auch das Versprechen an die Soldaten, den Beförderungsstau schnellstens aufzulösen, eine Chimäre. So erzielt man keine Attraktivität des Soldatenberufes. So verspielt man auch das
letzte Vertrauen der Untergebenen.
({11})
Die Defizite bei der Attraktivität lassen sich benennen:
die zu lange Stehzeit bei den Auslandseinsätzen, die zu
niedrige Eingangsbesoldung, die ungleiche Ost-West-Besoldung, die nicht ausreichende Bezahlung vieler ziviler
Mitarbeiter und mangelhafte Beförderungsmöglichkeiten. Die Liste ließe sich endlos weiterführen.
Nicht mehr, sondern immer weniger bekommen die
Menschen, die die äußere Sicherheit unseres Landes garantieren sollen und die ihre Köpfe für den Weltfrieden
hinhalten.
Die Bundeswehr, das Armenhaus der Nation, und
Rudolf Scharping hat sie dazu gebracht. Das ist die Wahrheit.
({12})
Ein Verteidigungsminister, der sich durch die bewusste
Veröffentlichung peinlicher Badefotos der Lächerlichkeit
preisgibt,
({13})
der nicht in der Lage war und ist, nachvollziehbare Begründungen für die Nutzung der Flugbereitschaft für
Mallorca-Trips zu geben, der geheime Militärplanungen
vor laufenden Kameras ausplaudert, der unsere britischen
Freunde öffentlich brüskiert, der den Bündnisfall zum
falschen Zeitpunkt ankündigt, dessen Haushalt drastisch
unterfinanziert ist und der im Kabinett jegliche Durchsetzungsfähigkeit verloren hat, ist eine Belastung für die
Bundeswehr und für das internationale Ansehen Deutschlands. Deshalb ist der Rücktritt von Minister Scharping
längst überfällig.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Ich gebe das
Wort der Kollegin Angelika Beer für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr
Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte versuchen, die Debatte jetzt wieder etwas sachlicher zu gestalten;
({0})
denn ich bin überzeugt, dass wir hier nicht Schaumschlägerei betreiben sollten, Herr Kollege Nolting, sondern uns
auch die Zeit nehmen sollten, eine Debatte über die Zukunft deutscher Außen- und Sicherheitspolitik zu führen.
({1})
Eine solche Debatte eignet sich nicht zu Schnellschüssen,
vor allen Dingen nicht zu solchen, wie die CDU/CSU sie
eben vorgetragen hat, nämlich 3 Milliarden Euro mehr für
das Großraumflugzeug zu beantragen.
({2})
Sie betreiben hier, etwas hilflos, einen vorgezogenen
Wahlkampf. Es bleibt dabei, dass Ihnen nichts Substanzielles einfällt.
({3})
Ich bin der Ansicht, dass wir neu über Sicherheitspolitik diskutieren müssen, über die Folgen des 11. September nachdenken müssen. Dies muss aber in einer breiten
Öffentlichkeit und vor allen Dingen im Parlament qualitativ möglich sein.
({4})
Ich hätte mir gewünscht, dass das heute geschieht.
Wir Grünen haben diese Diskussion ernsthaft geführt
und wir werden sie weiter führen. Wir wollen die öffentliche Auseinandersetzung. Wir wollen über die Konzepte
reden, weil sie nicht nur die Soldaten betreffen, die wir in
den Einsatz schicken, sondern auch unsere Gesellschaft,
die Rolle Deutschlands in der internationalen Politik.
Deswegen muss man auch in dieser Haushaltsdebatte
noch einmal festhalten, dass der 11. September vieles in
unseren Köpfen verändert hat.
({5})
Das ist wichtig. Ich sage das so, weil wir alle, gerade wir
Fachpolitiker, wissen, dass der internationale Terrorismus selber keine neue Erscheinung ist. Aber aufgrund der
Art der zynischen und Menschen verachtenden Anschläge
wie im September wissen wir, dass dieser Gegner keine
Rücksicht auf Zivilisten, auf Unschuldige nimmt.
Wir wissen, dass wir darauf nicht mit herkömmlichen
militärischen Mitteln allein reagieren können. Es sind ungleiche Feinde. Wir sind noch nicht ganz sicher, wie wir
uns gegen diesen Angriff verteidigen sollen. Gerade deshalb ist abseits der Zahlenspielereien und Verdrehungen,
die Sie eben vorgenommen haben, zu definieren, welche
Rolle das Militär im Kontext der Terrorismusbekämpfung
spielen kann und welche es spielen soll.
Ich glaube, dass diese Rolle nur begrenzt sein kann, da
der Gegner kein militärischer, kein staatlicher Gegner ist,
sondern mit terroristischen, kriminellen Methoden vorgeht. Das Militär kann nur punktuell darauf reagieren. Zudem besteht die Gefahr einer Eskalation - wir alle wissen
das -, wenn das Militär nicht begrenzt eingesetzt wird.
Wir werden dazu noch zahlreiche Diskussionen führen,
({6})
da jeder Militäreinsatz, Herr Kollege Rossmanith - das
sage ich auch zu einigen Kollegen in der SPD -, nach unserer Überzeugung erneut breit und verantwortungsbewusst diskutiert und entschieden werden muss,
und zwar mit hoffentlich breiter Mehrheit.
({7})
Das ist aus unserer Sicht allein aus verfassungsrechtlichen
Gründen notwendig, und es entspricht der demokratischen Kultur unseres Landes, den Parlamentsvorbehalt
aufrechtzuerhalten.
Neben den militärischen Mitteln, die zugegebenermaßen durch die Parlamentsddebatten sehr viel mehr diskutiert werden als die ganzen anderen nicht militärischen
Maßnahmen, die wir gegen den Terrorismus veranlassen,
ist es notwendig, auch über den erweiterten Sicherheitsbegriff zu reden und eine Risikoanalyse - nicht nur für
uns in Deutschland, sondern auch für uns als Mitglied im
Bündnis und der internationalen Staatengemeinschaft durchzuführen, um dann die Ursachen in einer qualitativen Form bekämpfen zu können.
Dazu möchte ich auch sagen:
({8})
Dieser vorhin kritisierte und angeblich unklare Auftrag,
den wir hier für die Soldaten, die sich am Kampf gegen
den internationalen Terrorismus beteiligen werden, verabschiedet haben, war der Erfolg der rot-grünen Koalition. Das Gleiche gilt dafür, dass eine Klarstellung per
Protokollnotiz erfolgt ist. Es war auch ein Erfolg für die
Soldaten, weil ihnen die Unklarheit über die Fragen wohin, wie lange und wann genommen worden ist, wenngleich wir eine andere Situation haben als im Kosovo oder
in Mazedonien. Wir können heute nicht punktgenau bestimmen, wen wir bereitstellen. Es war ein Bereitstellungsbeschluss und kein konkreter Einsatzbeschluss.
({9})
Ich möchte den Gedanken der Prävention, der von der
rot-grünen Koalition in der Außenpolitik stark betont
wird, hier noch einmal erwähnen, weil er in Bezug auf die
Bekämpfung des internationalen Terrorismus sowohl eine
kurzfristige Komponente hat, nämlich die Gefahrenabwehr, als auch eine langfristige, die Ursachenbekämpfung. Die Fragen, was und wie viel wir sicherheitspolitisch leisten wollen und welche Rolle Deutschland dabei
spielen kann, wurden immer noch nicht beantwortet. Dies
müssen wir tun - zumindest ist das mein Anspruch an den
Deutschen Bundestag.
({10})
Aus meiner Sicht geht unsere Politik in die richtige
Richtung; denn die Leitgedanken der rot-grünen Außenund Sicherheitspolitik sind Prävention, die Verhinderung
von Gewalt und eine zivile, das heißt konstruktive
Konfliktbearbeitung.
({11})
Ich unterstreiche das hier, weil wir die Diskussion natürlich auch über Mazedonien geführt haben. An dieser
Stelle möchte ich auch noch einmal unterstreichen, dass
der Einsatz unserer Soldaten in Mazedonien - selbst in der
Rolle als „lead nation“ - der erste wirklich präventive
Bundeswehreinsatz ist,
({12})
der es bis heute - ich will nicht zu optimistisch sein - geschafft hat, dass kein neuer Bürgerkrieg auf dem Balkan
ausgebrochen ist.
Das ist eine neue Qualität der Politik und diese wollen
wir fortsetzen.
({13})
Frau Kollegin Beer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Koppelin?
Nein,
danke. Ich möchte noch einmal auf die militärische Sicherheit
eingehen.
({0})
Die militärische Sicherheit hat ihren Stellenwert - wir
wissen es -, weil es bei Einsätzen Gefahren für das Leben
unserer Soldaten gibt.
({1})
Es besteht aber auch die Gefahr einer eskalationsträchtigen Konfliktdynamik. Ich nenne das hier nach der Erwähnung des Einzelfalls ganz bewusst. Mir gefallen die
Spekulationen über den militärischen Automatismus
nicht, die es seit gestern bezogen auf den Irak gibt.
({2})
Gerade jetzt, da die wichtige Konferenz in Bonn durchgeführt wird, versuchen interessierte politische Kräfte
schon wieder, uns zu jagen, und fragen uns, mit wie vielen Blauhelmen Deutschland an einem UN-Einsatz in Afghanistan beteiligt sein wird.
({3})
Das ist eine kurzsichtige und schlagzeilenträchtige Politik, die nichts mit Verantwortung zu tun hat. Deswegen
möchte ich das an dieser Stelle zurückweisen.
({4})
Ich weise es zurück, weil wir von dieser Bauchnabeldiskussion, die Sie hier gerade vorgeführt haben, weg
müssen. Wenn sich die Spekulationen auf die internationale Sicherheit beziehen, dann muss es unser Interesse
sein, eine Eskalation zum Beispiel der Luftschläge gegen
den Irak zu verhindern,
({5})
weil wir wissen, dass ansonsten die internationale Antiterrorismuskoalition bricht. Wir wissen auch, dass ansonsten
die Gefahr der Angriffe des Iraks gegen Israel steigt, und
wir wissen, dass wir ansonsten in eine Situation kommen,
die nicht mehr beherrschbar zu sein droht. Deswegen sollten wir diese Diskussion sachlich führen und nicht so, wie
Sie das eben getan haben.
({6})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zur Sachlichkeit
gehört für mich genauso, dass wir uns als diejenigen, die
sich für die Einhaltung des internationalen Völkerrechts
engagieren, das Recht herausnehmen, den Einsatz von
Streubomben ganz klar zu verurteilen. Wir wollen uns
mit aller Kraft dafür einsetzen, dass alle Arten von Landminen international geächtet werden und dass das Kriegsvölkerrecht geachtet wird. Wir wissen, dass es nicht nur
die Zivilisten sein werden, sondern möglicherweise auch
unsere Soldaten, die eines Tages, wenn sie den Frieden bewahren und den Aufbau in Afghanistan unterstützen helfen, durch ebendiese Waffen bedroht sind.
Noch ein Wort zur Prävention. Zu einer präventiven
Außen- und Sicherheitspolitik gehört - dafür haben wir
uns eingesetzt und dies haben wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner beschlossen -, die Richtlinien für
die Rüstungsexporte zu überarbeiten. Dazu gehört aber
auch, das Kriterium der Menschenrechte in den Empfängerstaaten voranzustellen. Es ist richtig, dass zwischen
dem BMVg und dem Finanzministerium die Vereinbarung getroffen worden ist, dass die Erlöse aus dem Verkauf von Waffen in den Einzelplan 14 zurückfließen. Aber
dies geschieht natürlich auf der Grundlage der
Rüstungsexportrichtlinien.
({7})
Vor diesem Hintergrund möchte ich noch einmal betonen, wie wichtig es mir ist, die Bundeswehr nicht mit Militär im traditionellen Sinne gleichzusetzen.
({8})
Unsere Bundeswehr ist eine moderne Armee, die die Vorund Nachteile unserer Gesellschaft widerspiegelt und
auch widerspiegeln muss, da sie Teil unserer Gesellschaft
ist.
Ich weiß, dass die Soldaten jene sind, die von der Reform, die wir vor drei Jahren eingeleitet haben, besonders
betroffen sind, und ich weiß, dass eine Reform nicht ohne
Haken und Ösen ist und reibungslos vonstatten geht, sondern immer wieder neue Probleme auftreten. Ich denke
daher, es ist an der Zeit, unseren Soldaten an dieser Stelle
dafür zu danken, dass sie sich nicht auf Ihr Gehetze einlassen, sondern diesen Reformprozess aus eigener Kraft
mit voranbringen.
({9})
Ich komme noch einmal auf die Rolle der Bundeswehr, die ich nicht mit der des Militärs im traditionellen
Sinne verbinde, zurück. Wenn wir mit unseren Soldaten
sprechen, egal, wo sie eingesetzt sind, dann wird uns immer wieder klar, dass ihr Selbstverständnis sehr viel breiter angelegt ist. Sie haben in Bosnien, im Kosovo und
auch in Mazedonien mit ihren eigenen Initiativen Grundfesten gelegt, um den Frieden zu sichern und zum Aufbau
beizutragen.
({10})
Unsere Soldaten verstehen sich nicht als Soldaten in Uniform mit der Waffe in der Hand. Sie leisten vielmehr eine
wichtige in die Zukunft gerichtete Arbeit.
({11})
Gleichwohl möchte ich an dieser Stelle sagen, dass wir
bereit sind, die Bundeswehrreform da, wo es nötig ist,
weiter voranzubringen.
Ich glaube - damit komme ich auf das zurück, was ich
anfangs schon angesprochen habe -, die Notwendigkeit
eines erweiterten Sicherheitsbegriffs und eine Risikoanalyse, wie sie zum Beispiel von der von Weizsäcker geleiteteten Zukunftskommission vorgezeichnet worden ist,
geben im Groben den weiteren Weg vor. Es ist nicht neu,
aber ich möchte es hier noch einmal unterstreichen: Wir
bauen, was das Engagement unserer Soldaten für
Deutschland und im Rahmen der internationalen Solidarität angeht, nach wie vor auf das Prinzip der Freiwilligkeit.
({12})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es wird immer
wieder unterstellt, unsere Bundeswehr sei nicht einsatzund nicht bündnisfähig. Ich glaube, die Art der Zusammenarbeit bei der Internationalisierung der Sicherheitspolitik allein auf dem Balkan hat gezeigt, dass unsere Bundeswehr im multilateralen Kontext sehr gut in der Lage
ist, die ihr gestellten Aufgaben zu bewältigen.
({13})
Wir sehen die Herausforderungen im Rahmen der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und wir
wissen auch, dass wir aufgrund der internationalen Entwicklung, der Krisen in den Regionen, der Bedrohung
nicht zuletzt durch den internationalen Terrorismus auf
unserem Weg konsequent voranschreiten müssen, egal,
wie oft dieser von Ihnen infrage gestellt werden mag.
Ich möchte zum Schluss noch einmal betonen, dass es
keinen Reformprozess ohne Reibungsverluste gibt. Der
Haushaltsansatz ist angestiegen, und zwar in dem notwendigen Maße, um die internationalen Einsätze zu
finanzieren und unsere Soldaten bestmöglich auszustatten, sodass sie bei ihren Einsätzen im Rahmen der NATO
oder auch der Vereinten Nationen die Stabilität des Friedens mit tragen oder auch dazu beitragen können. Dieser
Haushaltsansatz zeigt, dass wir flexibel auf die enormen
neuen Herausforderungen reagiert haben, die auch mit
dem 11. September auf uns zugekommen sind.
Die Reform der Bundeswehr, ihre Neuausrichtung an
den neuen Aufgaben im multilateralen Kontext wird mit
unserer Politik in einen ebenso multilateralen Kontext gestellt und vertieft. Das geschieht bereits seit drei Jahren.
In den 16 Jahren davor ist - mit Verlaub - eine präventive
Außen- und Sicherheitspolitik leider versäumt worden.
Vielen Dank.
({14})
Zu einer
Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Jürgen Koppelin
das Wort.
Als ich hier die Rede der
Kollegin Beer gehört habe, die mehr von Weltschmerz
und Lyrik als von sachlichen Inhalten geprägt war, wollte
ich die Kollegin insbesondere angesichts dessen, wie sie
sich für den Frieden in der Welt quält, fragen - leider hat
sie die Frage nicht zugelassen, das ist ihr gutes Recht -,
ob das, was ich in den Medien lese, richtig ist, dass nämlich die rot-grüne Koalition - man glaubt es kaum - mehr
Rüstungsexport als wir zu Zeiten unserer Koalition betreibt.
({0})
Dies hätte ich gern gewußt, Kollegin Beer. Sie aber haben
die Frage nicht zugelassen.
Ich möchte hier noch etwas anderes feststellen. Was
Sie hier vortragen, ist schon sehr merkwürdig. Ich erinnere mich noch daran - das ist alles noch nicht lange
her -, wie Sie selbst, als wir im ehemaligen Jugoslawien
aktiv werden mussten und Sie in der Opposition waren,
vor kopfschüttelnden Sozialdemokraten den Einsatz im
ehemaligen Jugoslawien mit dem Einmarsch Hitlers in
Polen verglichen haben. Sie können Ihre Rede im Protokoll nachlesen. Sie haben hier im Parlament solche Vergleiche gezogen. Heute dagegen halten Sie eine Rede
wie die, die wir gerade gehört haben. Das ist unglaubwürdig.
Da wir in den Haushaltsberatungen sind: Ich habe noch
all Ihre Anträge auf Streichung sämtlicher Gelder für Betriebsmittel und Munition der Bundeswehr im Büro - falls
Sie sie nicht mehr haben. Waren Sie es nicht, die gefordert
hat: raus aus der NATO, Bundeswehr frei?
Kollegin Beer, insbesondere nach dem, was ich heute
in der schleswig-holsteinischen Presse lese, muss ich Ihnen sagen: Angesichts solcher Reden wundert es mich
nicht, dass sich nach dem Parteitag in Rostock die Kreisverbände der Grünen in Schleswig-Holstein auflösen und
Kreistagsfraktionen auseinander fliegen.
({1})
Zur Erwiderung die Kollegin Beer.
Herr
Kollege Koppelin, das Erste: Ihre merkwürdige Einlassung hat gezeigt, dass Sie meine Rede in der Tat nicht verstanden haben.
({0})
Das Zweite ist: Dieses Defizit beim Verstehen mit
falschen Unterstellungen untermauern zu wollen ist ein
Versuch, der scheitern muss. Dazu nenne ich Ihnen nur
zwei Beispiele. Wir haben es geschafft, im neu veröffentlichten Rüstungsexportbericht nachzuweisen, dass die
Ausfuhr von Kriegswaffen um 53 Prozent zurückgegangen ist.
({1})
Dies ist ein Erfolg der rot-grünen Regierung. Dass Sie das
nie geschafft haben, ist mir völlig klar. Aber hier im Parlament falsche Unterstellungen zu unterbreiten macht es
nicht einfacher.
({2})
Als Letztes, Herr Kollege Koppelin, sollten Sie nicht
Aussagen, die Sie von mir nie gehört haben, aus der
Hilflosigkeit heraus zitieren, eine Debatte über Außenund Sicherheitspolitik, die präventiv orientiert ist, hier
nicht verstanden zu haben.
({3})
Das Wort
hat der Kollege Uwe-Jens Rössel. Er spricht für die PDSFraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die PDS-Fraktion hat entschieden, den Bundeswehretat 2002 abzulehnen.
({0})
Wir wollen, Kollegin Beer, Zukunftssicherung durch
Abrüstung und nicht durch qualitative Aufrüstung, wie sie
im Haushalt verankert ist, einem Haushalt übrigens, dem
Sie persönlich zustimmen werden. Der Entwicklung und
nachhaltigen Ausgestaltung der Bundeswehr als weltweit
agierende Interventionsarmee wird die PDS daher ebenfalls entschieden widersprechen.
({1})
Durch den Beschluss des Bundestages vom 16. November 2001 über die Bereitstellung von Truppenkontingenten im Umfang von 3 900 Personen für die
Bekämpfung des Terrorismus kommen auf die Bundeswehr neue, bedeutende Anforderungen zu. Die PDS lehnt
diesen Einsatz ab.
({2})
Der internationale Terrorismus muss wirksam bekämpft
werden. Der Krieg in Afghanistan ist dafür aber untauglich. Er muss sofort beendet und seine Ausdehnung auf
den Nahen Osten verhindert werden.
({3})
Zum ersten Mal seit Anfang der 90er-Jahre, Kollegin
Beer, wird der Rüstungsetat im nächsten Jahr wieder real,
also inflationsbereinigt, anwachsen. Entsprechend wurde
auch die mittelfristige Finanzplanung auf 47,4 Milliarden DM jährlich angehoben. Ob dies nach oben bereits
das letzte Wort ist, muss aber arg bezweifelt werden.
({4})
So ist das neue Transportflugzeug A 400 M nur teilweise im Haushalt etatisiert, Kollege Opel. Die in das
Budget bisher eingestellten langfristigen Finanzierungsverpflichtungen ab 2003 in Höhe von sage und schreibe
10 Milliarden DM - ich wiederhole: 10 Milliarden DM werden nur für etwa die Hälfte der von der Bundesregierung geplanten insgesamt 73 Maschinen ausreichen.
({5})
Diese 10 Milliarden DM sind im Vergleich das Achtfache
des Umweltbundeshaushaltes 2002. Das ist gerade für
eine rot-grüne Bundesregierung ein untragbarer Zustand.
({6})
Zum Problemfall GEBB: Auch die PDS-Fraktion verlangt, dass die Gesellschaft ihre Tätigkeit sofort einstellt.
Der Bundestag darf nicht eine müde Mark mehr für dieses Gremium zur Beschaffung zusätzlicher Investitionsmittel aus dem Hause Scharping bewilligen. In diesem
Jahr waren von der Hardthöhe selbst Erlöse in Höhe von
1,1 Milliarden DM eingeplant. Tatsächlich erreicht wurden aber lediglich 17 Millionen DM. Dabei ist die Anschubfinanzierung des Bundes - sprich: der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler - noch weit höher als die
gesamten 17 Millionen DM.
({7})
Wir Bundestagsabgeordnete dürfen nicht zulassen, dass
das Geld der Steuerzahler so schlecht angelegt wird.
Die Geschäftsführung der GEBB ist überdies zu einem
Eldorado für abgewählte Politikerinnen und Politiker geworden.
Die PDS-Fraktion setzt mit ihren heute vorliegenden
Änderungsanträgen zum Wehretat andere Akzente, als
es die rot-grüne Regierung tut. Wir wollen in den Etat
eine so genannte globale Minderausgabe von 1,2 Milliarden DM einstellen. Diese soll aus Streichungen bei den
großen Beschaffungsprojekten erwirtschaftet werden.
({8})
Frei werdende Projekte sollen je zur Hälfte für ein aufzulegendes Bundeskonversionsprogramm bzw. die dringend notwendige Aufstockung des Etats für die Entwicklungszusammenarbeit eingesetzt werden.
({9})
Durch die Nichtbeteiligung der Bundeswehr an Out-ofArea-Einsätzen könnten weitere 2 Milliarden DM eingespart werden: ein erhebliches Potenzial für andere Aufgaben.
Jetzt zum Einwurf des Kollegen Opel. Wir beantragen
natürlich auch einige Etaterhöhungen. Wir verlangen die
sofortige Besoldungseinheit zwischen Ost- und Westdeutschland für Zeit- und Berufssoldaten sowie für
Zivilbeschäftigte. Hier ist dringender Handlungsbedarf
geboten.
({10})
Wenn 220 Millionen DM etatisiert werden, ist all das
möglich.
({11})
Die PDS-Fraktion hat Vorschläge zur Einsparung in Höhe
von insgesamt 5 Milliarden DM im Verteidigungsetat gemacht, Kollege Nolting.
Zum anderen fordert die PDS-Fraktion in einem Antrag, über den heute namentlich abgestimmt wird, dass die
in der Vergangenheit durch ihre berufliche Tätigkeit als
Radartechniker gesundheitlich schwer geschädigten
Soldaten und Zivilbeschäftigten der Bundeswehr sowie
der Nationalen Volksarmee bzw. die Angehörigen der an
den Krebserkrankungen bereits Verstorbenen rasch und
unverzüglich entschädigt werden.
({12})
Dazu gehört die Aufstockung des Etats für Fürsorgeleistungen. Einbezogen gehört aber auch die Zahlung von
Schadensersatz und Schmerzensgeld. Die hier geschätzte
Summe von 200 Millionen DM mag hoch erscheinen.
Aber durch den Verzicht auf nur einen einzigen Eurofighter
wäre dieser Beitrag schon eingespielt.
Herr Kollege Rössel, Sie müssen jetzt leider zum Schluss kommen.
Der letzte Satz. - Die
Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland würde durch
diesen Verzicht nicht gefährdet. Aber vielen Menschen
könnte schnell geholfen werden. Stimmen Sie daher bitte
in der namentlichen Abstimmung für den vorliegenden
Änderungsantrag der PDS-Fraktion.
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Das Wort
hat nun Herr Breuer für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die zweite Lesung des
Haushalts für das laufende Jahr fand ziemlich genau vor
einem Jahr statt, nämlich am 29. November 2000. In der
damaligen Sitzung hatten wir eine Auseinandersetzung
darüber, ob der Haushaltsansatz für den Verteidigungsetat
realistisch sei. Es ging insbesondere um die Frage, ob
denn die heute mehrfach angeführte Gesellschaft für
Entwicklung, Beschaffung und Betrieb funktionsfähig
sei und ob sie die 1 Milliarde DM, die Herr Scharping
angekündigt hatte, als Erlös aus dem Verkauf der Liegenschaften der Bundeswehr tatsächlich erwirtschaften
könne.
Ich habe mir deshalb den Stenographischen Bericht
über die damalige Debatte genau angeschaut und habe dabei ein bemerkenswertes Zitat des Ministers Scharping
gefunden. Damals sagten Sie, Herr Kollege Scharping:
Ich bin einmal gespannt, ob Sie die Souveränität aufbringen werden, am Ende des Haushaltsjahres 2001
an das Pult des Deutschen Bundestages zu treten und
zu sagen: Wir müssen uns ja nicht unbedingt entschuldigen, aber unsere Befürchtungen sind nicht
eingetreten.
Tatsächlich sind die Entwicklungen für die Bundeswehr sinnvoll und gut. So sehen es die Angehörigen
der Streitkräfte, so sehen es unsere Partner in der
NATO und der Europäischen Union. Die Einzigen,
die das aus parteipolitischen Erwägungen so nicht
sehen dürfen, sind die Mitglieder der Opposition.
({0})
Sie bleiben alleine; sie sind isoliert. Ob sie sich dabei
wohl fühlen, mögen sie selbst entscheiden.
Ich frage Sie, Herr Minister Scharping, heute, ob Sie sich
in Ihrer Einsamkeit noch wohl fühlen können.
({1})
Ich frage mich, ob Sie, Herr Minister Scharping, die Souveränität besitzen, an das Pult des Deutschen Bundestages
zu treten und zu sagen: Ich habe mich getäuscht und entschuldige mich. Die Isolation, in der Sie sich befinden, ist
überhaupt nicht mehr zu übersehen. Sie sind überall isoliert, auch in der SPD, ausweislich des Ergebnisses Ihrer
Wahl zum stellvertretenden Parteivorsitzenden auf dem
Nürnberger Parteitag.
({2})
- Lieber Schorsch, da ich gewusst habe, dass es derartige
Zurufe geben wird, möchte ich aus einem Artikel des „Tagesspiegel“ vom 23. November dieses Jahres zitieren, in
dem Stephan-Andreas Casdorff über Gespräche berichtet,
die er auf dem Nürnberger Parteitag mit Verteidigungspolitikern der SPD - ich weiß nicht, wer es war - geführt
hat. Er schreibt Folgendes:
Wie sie klagen: Er
- gemeint ist Scharping rede nicht mit ihnen oder behandle sie von oben
herab. Er nehme keinen Rat an. Außerdem ist die
Skepsis, ob die Planungen für die Strukturreform zu
einem guten Ende führen, sowieso längst groß.
Das, was Sie heute hier machen, ist reine Fassade. Hinsichtlich der Einschätzung der tatsächlichen Leistung von
Herrn Scharping stimmen wir - das nehme ich an - mehr
überein, als Sie in dieser Debatte zuzugeben bereit sind.
({3})
Um die Situation von Herrn Scharping noch besser zu
charakterisieren, zitiere ich Christoph Schwennicke, der
am 24. November unter der Überschrift „Es wird einsam
um Scharping“ geschrieben hat:
Kujat weg, Fugmann-Heesing weg - die beiden zentralen Figuren der Bundeswehrreform und ihrer
({4})Finanzierung nehmen Reißaus. Die zweifache Flucht aus der Nähe des taumelnden Ministers
macht den Ernst der Lage klar: Scharping ist mit seiner Reform gescheitert, er hat sich zum Gespött der
Truppe gemacht, und er hat den Rückhalt in seiner
Partei verloren.
Alles, was ihn noch hält, ist der seidene Faden, den
ihm Gerhard Schröder auf dem SPD-Parteitag in die
Hand gegeben hat.
Meine Damen und Herren, ich empfand es als bemerkenswert, dass der Streit, der sich hier - übrigens in einer
gemeinsamen Bewertung quer durch den deutschen Blätterwald - offenbart, von Ihnen, Herr Kröning, so dargestellt wird, als stünde die Bundeswehr im Streit. Nicht die
Bundeswehr steht im Streit, sondern eine Politik, die absolut versagt.
({5})
Im Streit steht die Politik für eine Bundeswehr, die zunehmend Verantwortung für Deutschland übernehmen
muss. Das ist eine sehr ernste Angelegenheit.
Herr Kollege Kröning, ich kann Ihnen berichten - das
werden Ihnen Ihre Kollegen auch berichten können -,
dass wir gestern anlässlich des Besuches einer Delegation
der französischen Nationalversammlung über die
Frage der Möglichkeiten des deutschen Beitrages zu internationalen Einsätzen und zur Terrorismusbekämpfung
gesprochen haben. Dabei stellte sich heraus, dass das
Misstrauen der französischen Kollegen - im Übrigen
auch der Sozialisten - hinsichtlich der Zukunft des Transportflugzeuges A 400 M immens groß ist.
({6})
Es ist doch vollkommen klar, Herr Kollege Kröning,
dass dann, wenn Sie Spekulationen darüber anstellen, ob
die Zahl der für Deutschland bestimmten Transportflugzeuge nicht reduziert werden müsse - das haben Sie ja getan -, in Frankreich die heute feststellbaren Folgen auftreten mussten.
({7})
In Frankreich existiert quer durch alle politischen Lager bis hin zu Ihren Genossen aus der Fraktion der Sozialisten in der französischen Nationalversammlung ein tiefes Misstrauen über die Verlässlichkeit Deutschlands in
der europäischen Verteidigungspolitik.
({8})
Das gilt auch für weitere Projekte. Sie verstehen nicht
- das hat vor allen Dingen Dan Coats im Vorfeld seiner
Berufung zum Botschafter der Vereinigten Staaten von
Amerika in Deutschland deutlich gemacht -, dass es nicht
reicht, hier Bekundungen abzugeben und bei der Defense
Capabilities Initiative in der NATO oder bei den European
Headline Goals zu unterschreiben. Es muss gehandelt
werden. Dan Coats hat noch vor seinem Dienstantritt hier
in Berlin gesagt, dass Deutschland mehr als Rhetorik bieten müsse, wenn es weiter eine zentrale Rolle in der
NATO spielen wolle.
({9})
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Meine Damen und Herren, wie sieht denn die wahre
Lage der Bundeswehr im Hinblick auf internationale
Beiträge im Ansehen unserer Bevölkerung aus? Laut einer Umfrage des Allensbach-Insituts ist zwar die Akzeptanz der Bundeswehr und der NATO
({10})
- hören Sie zu - in der deutschen Bevölkerung so hoch
wie nie zuvor. Zugleich war aber die Besorgnis über die
Ausstattung der Bundeswehr noch nie so groß wie heute.
Die Zustimmung in der deutschen Bevölkerung zur Bundeswehr und zur NATO ist so groß wie nie zuvor, aber die
Besorgnis, dass sie zu schlecht ausgestattet ist, ist ebenfalls so groß wie nie zuvor. Dies hat eine Politik zu verantworten, die illusionär war und glaubte, es werde schon
nicht schief gehen, wenn man die Ausstattung der Streitkräfte nicht so ernst nähme. Das Ergebnis ist, dass jetzt
der deutsche Beitrag im internationalen Umfeld leider
nicht mehr ernst genommen wird.
({11})
Die Situation der deutschen wehrtechnischen Industrie - dabei geht es nicht um irgendetwas, sondern um
Technologiefähigkeit - muss hier ebenfalls angesprochen
werden. Dr. Thomas Enders hat für die wehrtechnische Industrie am 7. November in Berlin festgestellt:
Anspruch und Realität stehen nicht mehr im Einklang miteinander. Die Industrie ist finanziell und
personell in weiten Teilen ausgeblutet. Die anhaltende Reduzierung der F- und E-Mittel in Deutschland wirkt sich unmittelbar auf den Erhalt und den
Ausbau der Kompetenzen aus.
Herr Kollege Kröning, ich bin erstaunt, wie Sie die
Zahlen interpretieren, die hier zur Debatte stehen. Bei
Forschung und Entwicklung wird im Haushalt 2002 ein
Anteil von nahezu 9 Prozent gestrichen.
({12})
Der Betrag geht um 8,6 Prozent zurück. Versuchen Sie
doch nicht, darüber hinwegzutäuschen, dass Sie bei Forschung und Entwicklung meinen sparen zu können. Damit versieben Sie die Zukunft der Bundeswehr.
({13})
Herr Kollege Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kröning?
Bitte schön.
Herr Kollege Breuer, sind Sie
bereit einzuräumen, dass bei dieser Betrachtung die zusätzlichen Beträge, die im Jahr 2002 zunächst in den
Einzelplan 60 eingestellt werden, hinzuzurechnen sind
und Sie dies ebenso wie schon Kollege Nolting notorisch
nicht tun und damit vor der Öffentlichkeit ein falsches
Bild erzeugt wird?
({0})
Sind Sie außerdem bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
dass Ihnen im Verteidigungsausschuss genauso wie uns
im Haushaltsausschuss eine Unterlage des Verteidigungsressorts vorliegt, die sehr deutlich macht, dass diese
zusätzlichen Mittel bis auf geringfügige konsumtive Ausgaben zur Verstärkung der Investitionen dienen sollen?
({1})
Herr Kollege Kröning, ich
erachte das als eine hochinteressante Frage.
Zunächst einmal stelle ich fest, dass der Haushalt in der
Fassung, in der er vom Finanzminister in den Deutschen
Bundestag eingebracht worden ist, eine Kürzung der
F- und E-Mittel in der von mir genannten Höhe vorsah.
({0})
Ich stelle deswegen erneut fest, dass Sie zum damaligen Zeitpunkt die Notwendigkeit einer Vorsorge in dem
Sinne, wie ich es angesprochen habe, nicht sahen.
({1})
Wenn Sie jetzt die 1,5 Milliarden DM anführen, die im so
genannten Antiterrorprogramm vorgesehen, aber noch
nicht dem Einzelplan 14 zugewiesen sind,
({2})
dann sage ich Ihnen: Es ist schon schlimm genug, dass es
der Anschläge in New York und Washington bedurfte, um
Sie daran zu erinnern, dass an diesem Punkt Vorsorge geboten ist.
({3})
Ich wüsste gern - alle anderen Kollegen dieses Hauses
sicher auch, nicht nur diejenigen der Opposition -, was
Sie, Herr Kollege Kröning, denn mit diesen 1,5 Milliarden DM wirklich vorhaben. Obwohl es mehrmals von
Herrn Scharping versprochen wurde, ist es bis zum heutigen Tage nicht möglich gewesen - das sind wir von ihm
gewohnt -, deutlich zu machen, für welchen Verwendungszweck diese 1,5 Milliarden DM vorgesehen sind.
({4})
Herr Kollege Breuer, der Kollege Kröning möchte noch eine
zweite Frage stellen.
Herr Präsident, wenn das
nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, kann Herr
Kollege Kröning noch mehrere Fragen stellen.
Ich frage Sie, Herr Breuer:
Haben Sie die Ausschussdrucksache zur Kenntnis genommen, in der über die Aufteilung der 1,5 Milliarden DM
Rechenschaft gegeben wird? Kennen Sie die
Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses auf
Drucksache 14/7320 in der zum Kap. 6002 ganz ausdrücklich die Verstärkung der Mittel des Einzelplans 14
um 766 938 000 Euro festgehalten ist? Haben Sie außerdem zur Kenntnis genommen, dass der Haushaltsausschuss die Auflage ausgesprochen hat, dass bis zum InKraft-Treten des Haushalts 2002 eine Schichtung und
eine Zuordnung dieser Verstärkungsmittel zu den
Geheimen Erläuterungen vorzulegen ist?
({0})
Herr Kollege Kröning, ich
kann Ihnen ganz klar antworten. Zu dem Zeitpunkt, als im
Verteidigungsausschuss über den Etat für das Jahr 2002
entschieden wurde - das wird niemand bestreiten können -, gab es keinerlei Unterlage, die uns Einsicht
gewährte, was mit diesen Mitteln geplant ist. Bis zum
heutigen Tage ist dies den Kollegen hier im Hause unklar.
({0})
Sie werden an einem nicht vorbeikommen: Man wird
Ihnen den Vorwurf machen, dass ganz speziell Sie, Herr
Kollege Kröning, zusätzlich zu den schon beklagenswerten Fehlleistungen des Ministers Scharping weitere Erschwernisse eingebaut haben.
({1})
Es ist gut, dass Sie in einer solchen Debatte wie jetzt einmal dabei sind. Sie sind doch derjenige, der Herrn Finanzminister Eichel in einer Art und Weise Assistenz dabei angeboten hat, den Verteidigungshaushalt bis zur
Handlungsunfähigkeit zusammenzustreichen, wie es in
der Geschichte dieses Parlaments noch kein einziger Berichterstatter für den Verteidigungshaushalt getan hat.
({2})
Es ist erschreckend, Herr Kollege, dass Sie nach wie vor
nicht dazu bereit sind, das hier zuzugeben.
({3})
Die Einschätzung von Minister Scharping zur Situation innerhalb der Bundeswehr wurde für mich neulich
beim Besuch des Kongresses des Verbandes der Beamten der Bundeswehr deutlich. Herr Kollege Scharping,
Sie hatten Ihre Teilnahme an diesem Kongress zugesagt.
Ich bin darüber informiert, dass die Organisatoren des
Kongresses, der Verband, den Zeitpunkt sogar auf Ihren
Terminkalender abgestimmt hatten.
({4})
Das führte dazu, dass zum Beispiel auch wir Terminverlegungen vornehmen mussten. Sie sind dann aber nicht
anwesend gewesen. Die offizielle Begründung, die dort
gegeben wurde, war, Sie hätten am gleichen Tag eine
Veranstaltung mit der Wirtschaft. Ich gehe auf diese Veranstaltung gleich noch ein.
({5})
Ich weiß allerdings eines: Ich weiß, dass Sie sich zum
Zeitpunkt des Kongresses in Koblenz in Ihrem Büro in
Bonn „verbunkert“ hatten. Sie hätten da sein können.
({6})
- Es mag auch Berlin gewesen sein. Ich weiß es nicht. Sie
waren jedenfalls im Büro. - Sie haben sich also nicht getraut, mit den zivilen Bediensteten der Bundeswehr in ein
Gespräch zu kommen.
Ich und die Kollegen, die dort waren, haben eine solche Stimmung auf einem solchen Kongress noch niemals
vorher erlebt. Das ist einmalig in der Geschichte der Bundeswehr.
({7})
Das zeigt sehr deutlich, dass Sie nicht bereit sind, zur
Kenntnis zu nehmen, wie innerhalb der Bundeswehr - das
gilt für Soldaten und zivile Bedienstete - das Klima des
Miteinanders ist, weil man nicht in der Lage ist, Perspektiven zu geben.
({8})
Sie bauen sich eine schöne heile Welt auf, die mit der Realität in der Bundeswehr nichts, aber auch gar nichts mehr
zu tun hat.
Die fehlenden Perspektiven sind es, meine Damen und
Herren Kollegen, die dazu führen, dass die Nachwuchszahlen der Bundeswehr erschreckend sind.
({9})
Ich will zugeben, dass ich Schwierigkeiten dabei habe,
das hier so zu sagen, weil man, wenn man so etwas sagt,
immer ein Stück weit die Befürchtung hat - für mich gilt
das jedenfalls -, damit eine schlechte Werbung für die
Bundeswehr zu betreiben. Aber es kann doch wohl nicht
sein, dass man gute Werbung für die Bundeswehr nur
dann machen kann, wenn man die Verhältnisse schönredet.
Die Nachwuchszahlen in der Bundeswehr sind
({10})
ganz tief im Keller. Wenn wir nichts dafür tun, tatsächlich
Attraktivität zu bewirken, das heißt, Perspektiven für die
Bundeswehr aufzuzeigen - es ist ja anders, als es hier gesagt wird -, dann wird alles, was wir in der Vergangenheit
für die Bundeswehr getan haben, leider scheitern; die
Zahlen weisen es eindeutig aus.
({11})
Herr Kollege Scharping, Sie brüsten sich in der Frage
der Kostensenkung zum Beispiel damit, dass Sie Personalkosten einsparen, weil Sie nicht dazu in der Lage sind,
die Stellen zu besetzen.
({12})
- Schauen Sie sich doch die Zahlen an! - Sie sind nicht
dazu in der Lage, zum Beispiel die Zahl von Wehrpflichtigen einzuziehen, die Sie in der Planung für das Jahr 2001
vorgesehen haben. Minus 7 000! Sie sind nicht dazu in der
Lage, die Zahl von Zeitsoldaten weiter zu verpflichten,
die Sie geplant haben. Ich sage Ihnen: Das Ziel, 200 000
Zeit- und Berufssoldaten für die Bundeswehr zu bekommen - wir liegen jetzt bei knapp über 180 000 -, wird in
der Art und Weise, wie Sie es versuchen, leider nie erreicht werden. Das liegt daran, dass Sie es nicht geschafft
haben, die deutsche Öffentlichkeit von der Notwendigkeit, der Dynamik und der Zielgerichtetheit Ihrer Bundeswehrreform zu überzeugen. Das ist Ihnen in Ihrer Koalition bei Rot und Grün nicht gelungen, das ist Ihnen in
der deutschen Öffentlichkeit leider auch misslungen.
({13})
Deshalb sage ich sehr deutlich: Wenn Sie nicht bereit
sind, diese Reform, deren grundsätzliche Ziele wir unterstützen, auf den Prüfstand zu stellen, ein Programmgesetz
aufzustellen und die klare Finanzierbarkeit der Modernisierung und der einzelnen Personalschritte dort deutlich
zu machen, um den Soldaten eine Perspektive zu geben,
wird es mit der Bundeswehr immer schwieriger werden.
({14})
Herr Kollege Opel, ich weiß und darf das hier sagen,
dass Sie im Kern genauso darüber denken,
({15})
aber die Realität ist anders. Um Ihnen das deutlich zu machen, will ich ein Beispiel dafür geben: Die 100 Soldaten
des Kommandos Spezialkräfte, die im deutschen Kontingent, insgesamt 3 900, potenziell sicher die schwierigsten und gefährlichsten Aufträge auszuführen hätten, bekommen eine Zulage in Höhe von etwa 150 DM netto.
({16})
Wir haben im Verteidigungsausschuss den Vorschlag gemacht, den Bruttobetrag auf 1 000 DM zu erhöhen. Sie haben das schnöde abgelehnt. Das heißt für mich: Sie haben
nicht verstanden, worin bei der Attraktivierung die
Herausforderung liegt.
({17})
Lassen Sie mich am Ende noch eine Feststellung zu einem heute vorliegenden Antrag der PDS machen, der sich
auf die Strahlenopfer bezieht. Wir werden diesem Antrag
nicht zustimmen, weil wir der Meinung sind, dass die Erhöhung der Gelder, die Sie dort vorsehen, nicht das Kernproblem ist. Das Kernproblem ist
({18})
- das sage ich einmal kritisch in Richtung Bundeswehrverwaltung -, dass die Zusage des Ministers Scharping,
großherzig mit den Strahlenopfern umzugehen, leider
nicht erfüllt wird. Herr Minister, kümmern Sie sich daPaul Breuer
rum, dass Ihre Zusage, großzügig und großherzig zu sein,
auch in Ihrer Verwaltung befolgt wird. Leider sind wir
dort weit davon entfernt. Das richtet mehr Schaden an, als
Sie zu glauben bereit sind.
Ich bedanke mich fürs Zuhören.
({19})
Ich erteile
dem Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping,
das Wort.
Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidigung
({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von mehreren Rednern
in der Debatte ist etwas zu den Angehörigen der Bundeswehr gesagt worden. Ich denke, das sollte auch am
Anfang meines Beitrags in dieser Aussprache stehen.
Die Bundeswehr leistet mit ihren Soldatinnen und Soldaten und auch mit ihren zivilen Beschäftigten Enormes.
({1})
Sie leistet Enormes für die Sicherheit unseres Landes, sie
leistet Enormes in ihrem Engagement auf dem Balkan, in
Bosnien, im Kosovo, in Mazedonien sowie in ihrem Engagement in Georgien und sie leistet Enormes in der Bekämpfung des internationalen Terrorismus.
({2})
Wenn man aber, wie es die Koalition und die Opposition tun, sagt, sie leiste Enormes, und das mit Dank, Respekt und Anerkennung an die Soldatinnen und Soldaten,
übrigens auch an ihre Familien, verbindet, dann kann man
nicht gleichzeitig sagen: Die können nichts.
({3})
Das passt nicht sehr gut zusammen.
({4})
Der Mangel an Seriosität, um nichts Schlimmeres zu
sagen, in der Argumentation aus den Reihen der Opposition wird schon an wenigen Beispielen deutlich.
({5})
Der Kollege Breuer sagt, es gebe eine erhebliche Verunsicherung und die Nachwuchslage stimme nicht, und
nennt Zahlen. Das tut er, obwohl er im Verteidigungsausschuss einen Bericht darüber bekommen hat und eigentlich wissen müsste,
({6})
dass er hier die Öffentlichkeit und das Parlament falsch
informiert. Das ist eine Tatsache.
({7})
Sie wissen so gut wie ich, Herr Kollege Breuer, dass in allen Nachwuchsbereichen der Bundeswehr - das spricht
für ihre Attraktivität, das spricht für die Akzeptanz der Reform, das spricht für die Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr - die Bewerberzahlen über dem Soll liegen, mit einer einzigen Ausnahme, das ist der Sanitätsdienst. Da
liegen die Bewerberzahlen um etwas mehr als 20 Prozent
unter dem angestrebten Soll.
Der ganze Mangel der Seriosität der Argumentation
wird deutlich, wenn Sie von knapp 180 000 Zeit- und Berufssoldaten sprechen. Wenn Sie so präzise mit allen Zahlen umgehen, dann wird mir manches klar. In Wirklichkeit
sind es genau 188 000 Zeit- und Berufssoldaten. Was Ihren
Umgang mit Begrifflichkeiten angeht, lerne ich etwas.
({8})
Mangelnde Konsistenz praktizieren Sie auch in anderen Bereichen. Herr Kollege Nolting, Sie haben darüber
gesprochen, was die „Bild“-Zeitung über die GEBB geschrieben hat. Ich will keine Spekulationen darüber anstellen, wie Sie der „Bild“-Zeitung geholfen haben, zu der
heutigen Meldung zu kommen.
({9})
Schauen Sie einmal: Der CDU-Kollege Feibel hat im August eine Anzeige erstattet, über die kurioserweise am Tag
vor dieser Debatte in der „Bild“-Zeitung berichtet worden
ist.
({10})
Korrekterweise hätten Sie wenigstens heute im Parlament
die dpa zitieren können:
Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen dürfte
die Sache auf eine Einstellung des Verfahrens hinauslaufen, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft am Mittwoch. Bei dem Fall handelt es sich um
einen so genannten Altfall, der seit Monaten geprüft
wird. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte, die
Prüfungen hätten ergeben, dass die Verlustzahlen
nicht zutreffend seien.
({11})
Zu dieserArt des Umgangs miteinander kann ich nur sagen: Sie können gegen mich als Minister, gegen mich als
Politiker gerne vorbringen, was immer Sie wollen; aber
Sie sollten sich doch davor hüten, mit Ihrer Kritik einen
Eindruck zu erzeugen, den die Bundeswehr, dieAngehörigen der Bundeswehr und die Familien derAngehörigen der
Bundeswehr - bei aller Notwendigkeit des parteipolitischen Streits - in keiner Weise verdient haben. Die Leistung dieser Menschen ist ein schlichtes Dementi des Eindrucks, den Sie hier ständig zu erwecken versuchen.
({12})
In Zeiten grundlegender Erneuerung kommt es auf eine
feste Orientierung an. Ich bin sehr erstaunt, dass in all den
Diskussionen eines keine Rolle spielt: dass die Bundeswehr durch die innere Führung und durch das Leitbild des
Staatsbürgers in Uniform eine feste Verankerung in der
Verfassung hat und behalten wird. Es kommt gerade unter den Bedingungen einer wachsenden Anzahl der
Einsätze der Bundeswehr sehr darauf an, an diesen, in der
Demokratie, im Rechtsstaat und in der Verpflichtung auf
Freiheit und Würde des einzelnen Menschen fußenden
Grundlagen der Bundeswehr festzuhalten und bei Gelegenheit an sie zu erinnern, damit sie angesichts mancher
aufgeregten Diskussionen über das, was die Bundeswehr
noch zu leisten hat, nicht in Vergessenheit geraten.
({13})
Ich nehme dankbar zur Kenntnis, dass der Kollege
Breuer sagt: Die Reform an sich ist in ihren Zielen akzeptiert und vernünftig. Ich weiß zwar nicht, weshalb sie
dann auf den Prüfstand gehört; aber nun gut, man muss
den Kollegen Breuer nicht immer verstehen.
({14})
Die Reform ist, was ihre Grundlagen und ihre Konzeption
angeht, akzeptiert. Sie wissen so gut wie ich: Sie ist in der
NATO akzeptiert und wird dort ausdrücklich begrüßt; sie
ist in der Europäischen Union akzeptiert und wird dort
ausdrücklich begrüßt. Mittlerweile gilt das auch für den
Deutschen Bundestag. Wenn wir uns in dieser Frage also
einig sind, dann können wir uns anderen Fragen - auf einer offenbar gemeinsamen Grundlage - zuwenden. Dafür
bin ich sehr. Das will ich jetzt mit wenigen Worten erläutern.
({15})
Zunächst möchte ich etwas dazu sagen, was die internationale Lage und den Beitrag der Bundeswehr zur Gewährleistung internationaler Stabilität und einer friedlichen Entwicklung auf unserem kleinen gemeinsamen
Globus angeht. Wir haben ein Afghanistan-Mandat beschlossen, das fünf militärische Fähigkeiten beinhaltet.
Sie sind vernünftig und klug ausgewählt. Das gilt selbst
dann, wenn sich nach ersten Fortschritten in Afghanistan,
insbesondere auf der Afghanistan-Konferenz und danach,
weitere Fortschritte ergeben sollten.
Genauso bleibt es dabei, dass der Kampf gegen den
internationalen Terrorismus und solche Staaten, die ihn
unterstützen, Terroristen beherbergen oder in anderer
Weise zu fördern versuchen, auf mehreren Ebenen geführt
werden muss. Finanztransaktionen, die Zusammenarbeit
der Geheimdienste und der Polizeiinstitutionen spielen
eine Rolle. Wie auch im Hinblick auf Afghanistan ist die
langfristige politische Perspektive nicht zu vergessen, an
der die Bundesregierung einen gewissen - wie ich finde,
sehr sichtbaren und sehr klugen - Anteil hat.
Genauso deutlich sollte bleiben, dass der Kampf gegen
den internationalen Terrorismus nicht allein auf einer
Ebene zu führen sein wird. In einer durchaus akzeptablen
Vermischung der außen- und sicherheitspolitischen Debatte hat der Kollege Rühe - er ist leider nicht mehr da einiges zu den Punkten gesagt, die im Zusammenhang mit
Afghanistan als Fragen in den Raum gestellt werden
könnten, auch wenn ein früherer Verteidigungsminister
das in dieser Form besser nicht tun sollte, weil ihm die innenpolitischen Motive für eine solche Erörterung auf die
Stirn geschrieben stehen.
({16})
Sie haben mir eben gesagt, ich hätte mich gewissermaßen vor dem Kongress der Zivilbeschäftigten versteckt. Ich habe das einmal nachprüfen lassen: Ich bin
tatsächlich infolge des 11. September durch eine Reihe
von Gesprächen auch internationaler Art verhindert gewesen, dann allerdings am Abend um circa 19 Uhr dort
eingetroffen - wenn ich mich richtig erinnere - und dann
nach Leipzig in Sachsen geflogen. Das ist schon richtig.
Ihre Behauptung, ich hätte mich in einem Büro - ob in
Bonn oder in Berlin - verkrochen, um mich vor den zivilen Beschäftigten zu verstecken, ist schon angesichts der
Vielzahl der Besuche, die ich dort normalerweise mache,
an Lächerlichkeit nicht mehr zu überbieten, Herr Kollege
Breuer.
({17})
Ich wollte aber eigentlich etwas zu Afghanistan sagen.
Das ist nun wirklich wichtiger als die Szenarien, die Kollege Breuer hier zu konstruieren versucht.
({18})
Herr Kollege Rühe - den muss man in diesen Diskussionen ernster nehmen - hat dann eine - übrigens erstaunliche - Serie von Fragen gestellt. Ich würde insbesondere
Sie aus den Reihen der CDU/CSU bitten, einmal für ein
gewisses Minimum an intellektueller Klarheit untereinander zu sorgen; das wäre hilfreich.
({19})
Es passt doch nicht zusammen, wenn man behauptet, die
Bundeswehr sei schlecht ausgerüstet, ihr fehlten die nötigen Fähigkeiten und der Minister versage, dann aber Herr
Rühe kommt und fragt: Wollt ihr jetzt das Ausfallen des
amerikanischen Engagements auf dem Balkan ersetzen,
wollt ihr in Afghanistan - mit welchen Truppen auch immer - eine stabilisierende friedliche Entwicklung mit garantieren, seid ihr bereit, dort die Funktion der „lead nation“ zu übernehmen? Um dem Ganzen die Krone
aufzusetzen, schlägt er dann noch vor, die Bundeswehr
könnte auch noch - wie hat er es gesagt? - „southern
watch“ und „northern watch“, also die Luftüberwachung
über dem Irak, übernehmen. Sie können doch nicht auf
der einen Seite sagen, die Bundeswehr sei nicht mehr in
Bundesminister Rudolf Scharping
der Lage, ihren Auftrag zu erfüllen, sei völlig überfordert
und es fehlten ihr die nötigen Fähigkeiten, wenn auf der
anderen Seite der frühere Verteidigungsminister in einer
außenpolitischen Debatte sagt: Im Übrigen könnte die
Bundeswehr das, das und das noch machen. Das ist intellektuell nicht sehr sauber.
({20})
- Er hat doch nicht gefragt, er hat Vorschläge gemacht.
Wenn er hier im Deutschen Bundestag solche Vorschläge
macht, will er andere nicht nur ermuntern, kommentierend auf die Vorschläge einzugehen, sondern will Dritte
womöglich auch noch ermuntern, die Vorschläge selber
zu machen. Diese Funktion kennen wir doch alle.
Vor diesem Hintergrund will ich Ihnen, was die internationale Entwicklung angeht, sagen: Der Außenminister,
der Verteidigungsminister, der Bundeskanzler und die
ganze Regierung sind der Auffassung: Wir haben keine
unmittelbaren deutschen Interessen in Afghanistan. Wir
haben ein unmittelbares deutsches Interesse an der
Bekämpfung des internationalen Terrorismus; das ist
wohl wahr.
({21})
Wir haben ein mittelbares deutsches Interesse im Zusammenhang mit der Stärkung der Vereinten Nationen. Deshalb haben wir auch den Versuch gemacht, bei dem zu helfen, was jetzt in Bonn - hoffentlich langfristig - politisch
auf den Weg gebracht wird.
({22})
Ich will deshalb sehr deutlich sagen: Abseits all der
Diskussionen, die stattfinden, beginnt es mich - vielleicht
verstehen Sie diese persönliche Bemerkung - zunehmend
zu stören und auch in einem gewissen Umfang zu ärgern,
wie man sich immer wieder an immer neuen militärischen
Szenarien berauschen will, ohne die politisch langfristige
Entwicklung und die Einordnung des Militärs in die
außen- und sicherheitspolitischen Entwicklungsstrategien
im Auge zu behalten.
({23})
Es ist im Übrigen auch unmittelbar gegen die Familien der Soldaten und gegen die Soldaten selbst gerichtet, wenn man die Soldaten sozusagen zu beliebig einsetzbaren Instrumenten von irgendetwas erklären
wollte. Das sind sie nicht und in einer solchen Weise
werden sie auch nicht eingesetzt. Ich sage das in aller
Deutlichkeit zum Beispiel im Zusammenhang mit den
Bemerkungen des Kollegen Rühe, was den Irak betrifft.
Die Opposition stellt hier Forderungen oder fragende
Forderungen, obwohl heute - auch das können Sie den
Agenturmeldungen entnehmen - zum Beispiel Vertreter
der Nordallianz in Bonn sagen: Wir haben nicht das Gefühl, dass wir eine ausländische Truppe brauchen, es
gibt hinreichende Sicherheit; wir wollen auch nicht,
dass ausländische Truppen kommen. Wie kommen Sie
auf die Idee, von uns im Deutschen Bundestag eine Antwort auf die Frage der Absicherung und Entwicklung in
Afghanistan zu verlangen, wenn noch nicht einmal die
Konfliktparteien in Afghanistan ein Einverständnis darüber haben, wie die Zukunft des Landes aussehen soll
und ob überhaupt ausländische Truppen eine Rolle dabei spielen können? Ich finde, das innenpolitische Bedürfnis, im Zweifel die Absicht, noch einmal etwas Salz
in gerade hoffentlich verheilende Wunden dieser Koalition zu streuen, steht dieser Forderung so auf die Stirn
geschrieben, dass ich dazu nur sagen kann: So darf man
mit Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik und den
Interessen der Bundeswehr nicht umgehen, wie Sie das
tun. Das verbietet sich aus Gründen der Fürsorge wie
aus politischen Gründen.
({24})
Sie sollten auch unseren amerikanischen Freunden und
Partnern nicht unterstellen, sie wollten sich aus dem Balkan zurückziehen. Sie sollten auch nicht der närrischen
Überlegung folgen, dass man immer zuerst an militärische Kategorien oder Fähigkeiten denkt, wenn man von
humanitärer Versorgung redet. Auch das ist falsch.
Zunächst ist zu prüfen, was die Vereinten Nationen wollen und leisten können, was die Nichtregierungsorganisationen leisten können und was zum Aufbau der in Afghanistan durch die Taliban leider zerstörten Hilfsstrukturen
und für den ökonomischen Fortschritt getan werden kann.
Ich sage deutlich - ich wiederhole es ausdrücklich hier im
Deutschen Bundestag -: Die Bundesrepublik Deutschland beweist ihr außenpolitisches Erwachsensein nicht
dadurch, dass sie möglichst viele deutsche Soldaten auf
afghanischem Boden stationiert. Dadurch beweist sie es
nicht.
({25})
Vor diesem Hintergrund kommen wir dann zu der
nächsten Frage, die wir in Europa zu beantworten haben;
dazu hat der Kollege Fischer ja einiges in der anderen Debatte gesagt.
({26})
Es ist richtig, dass die Vereinigten Staaten ökonomisch,
politisch und auch militärisch ungewöhnlich stark sind.
Genauso richtig bleibt, dass diese Stärke auch das Produkt
bestimmter europäischer Schwächen ist. Das gilt auch für
den Bereich von außen- und sicherheitspolitischen Fähigkeiten und für die militärischen Fähigkeiten, die dabei zu
berücksichtigen sind. Insofern wird die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik zur Stärkung der
NATO, der transatlantischen Allianz als der einen Konstante deutscher und europäischer Politik entwickelt. Insofern wird die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik als Motor der Integration in Europa - der
zweiten Konstante - entwickelt. Auf andere Komponenten will ich, weil das den Zusammenhang sprengen
würde, jetzt nicht eingehen.
Wir sollten schon verstehen - damit kommen wir
gleich zu der Frage, wie die Fähigkeiten, die damit
Bundesminister Rudolf Scharping
verbunden sind, definiert werden sollen -, dass das Vorhaben, die ESVP einerseits und mit ihr die NATO andererseits zu stärken, für uns die einzige Chance ist, die Vereinigten Staaten von Amerika - diese Tendenz bzw. dieses
Risiko ist hier und da immer vorhanden - von dem Rückfall in Isolationismus oder Unilateralismus abzuhalten.
Ob diese Chance jemals wahrgenommen werden kann, ist
eine ganz andere Frage. Es gibt aber keine verantwortbare
Alternative hierzu. Vor diesem Hintergrund füge ich hinzu
- diese außen- und sicherheitspolitischen Aspekte sollten,
auch wenn man über den Haushalt streitet, nicht vergessen werden -, dass sehr viel davon abhängt, ob es gelingt,
die NATO zu erweitern. Ich stimme dem Kollegen Rühe
in diesem Fall ausdrücklich zu. Wir werben ja dafür, dass
auf der Grundlage eines breiten Konsenses eine möglichst
breite - neudeutsch könnte man sagen, ein approach Zielsetzung verfolgt wird, übrigens unter Einschluss der
baltischen Staaten. Das setzt allerdings voraus, dass man
in vielen Fragen das Klima und die Substanz der internationalen Zusammenarbeit verstärkt und vertieft. Von daher rührt der Vorschlag, die NATO-Russland-Grundakte
noch einmal durchzuschauen und zu prüfen, ob man
außerhalb der Aufgaben kollektiver Verteidigung, die in
Art. 5 festgeschrieben sind, Russland an anderen Aufgaben viel stärker und institutionell besser abgesichert beteiligen kann.
({27})
Ich denke an Terrorismusbekämpfung, Nonproliferation,
Krisenmanagement und vieles andere. Von daher rührt der
Vorschlag, die Fähigkeiten des gemeinsamen dänischpolnisch-deutschen Korps in Stettin so weiter zu entwickeln, dass sie auf lange Sicht im gesamten baltischen
Raum gemeinsam mit Russland zur Verfügung stehen. Es
muss also geprüft werden, inwieweit Fähigkeiten, die
Nicht-Artikel-5-Aufgaben betreffen, ausgebaut und, wo
immer möglich, entwickelt werden können.
In Zusammenhang mit dem internationalen Rüstungskontroll- und Abrüstungsregime, über das ja leider auch
zu wenig geredet wird, weil Sicherheitspolitik in Deutschland auch Finanzpolitik ist und diese in Deutschland dann
auf Kleinkram verkürzt wird, muss darauf geachtet werden, dass Rüstungskontrolle und Abrüstung nicht von
der internationalen Agenda verschwinden.
({28})
Dann müssen wir noch darauf achten, dass zwar einseitige
Schritte Möglichkeiten beinhalten und Vertrauen gut ist,
dass aber im Interesse nicht nur der Vertragschließenden,
sondern auch aller anderen mittelbar Betroffenen Verträge, die im Zweifel verifizierbar sind, immer die bessere
Lösung sind als einseitige Schritte oder informelle Agreements.
Wenn das der Rahmen ist, dann können wir folgende
Frage stellen: Wie sieht es denn jetzt mit der Entwicklung
innerhalb der Bundeswehr aus und welche Möglichkeiten
haben wir dort? Was bedeutet die Erneuerung der
Bundeswehr in diesem Zusammenhang? Es ist richtig
- Herr Kollege Breuer und andere, ich gehe einmal davon
aus, dass Sie es ernst meinen -: Wir sind uns über die konzeptionellen Grundlagen im Großen und Ganzen einig.
Erstes Beispiel. Die neue Führungsorganisation wird
planmäßig eingenommen. Die Streitkräftebasis hat das
Einsatzführungskommando in Dienst gestellt. Es ist in
Zukunft für den Einsatz aller Kräfte der Bundeswehr verantwortlich. Diese Fähigkeit bauen wir schneller auf als
ursprünglich beabsichtigt. Deswegen konnte ich in der
vergangenen Woche das Einsatzführungskommando vorzeitig mit der Planung und Führung der deutschen Streitkräfte betrauen, die bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus eingesetzt werden sollen.
Zweites Beispiel. Das Material- und Ausrüstungskonzept ist im März dieses Jahres verabschiedet worden.
Wir werden dabei zwar nicht alle Wünsche erfüllen können; das weiß ich sehr wohl. Aber wir sind dabei, zielgerichtet die Fähigkeiten zu erwerben, die wir bei der Aufklärungs- und der Führungsfähigkeit auch über einen
längeren Zeitraum und größere Distanzen sowie beim
strategischen Transport und in manchen anderen Bereichen, insbesondere was den Schutz und die Überlebensfähigkeit von Soldaten bzw. der Truppe angeht, benötigen. Dies ist vom Kollegen Kröning mit einigen Zahlen
untermauert worden. Ich brauche das nicht zu wiederholen, möchte es aber in einen ganz anderen Zusammenhang
stellen:
Zur Führungsfähigkeit: Das Datenfunksystem MIDS
ist vom Haushaltsausschuss, wenn ich es recht in Erinnerung habe, gebilligt worden. Es handelt sich dabei um eine
50-Millionen-Vorlage. Dies konnte übrigens nur gebilligt
werden, weil wir auf der Seite Wirtschaftlichkeit, Effizienz und Veräußerungserlöse die Ergebnisse erzielt haben,
auf die ich gleich noch zu sprechen komme.
Zur Aufklärungsfähigkeit: Das strategische Aufklärungssystem SAR Lupe ist praktisch unter Vertrag und
konnte nur deshalb verwirklicht werden, weil wir auf der
Seite Wirtschaftlichkeit, Betriebskostensenkung, Effizienz und Veräußerungserlöse die Ergebnisse erzielt haben,
über die ich gleich noch sprechen werde.
Das gilt - unbeschadet aktueller Bemerkungen des
Rechnungshofes, über die wir noch diskutieren müssen auch für das taktische Aufklärungssystem Fennek und die
A 400 M. Unverändertes Ziel der Bundesregierung ist es,
möglichst in diesem Jahr zu einer Unterschrift zu kommen, die bestehenden Verpflichtungen in keiner Weise zu
variieren und keine Unsicherheiten zu erzeugen. Das hat
der Bundeskanzler am 23. November 2001 in Nantes in
einem Kommuniqué ebenso wie gegenüber der Öffentlichkeit bekräftigt. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Zur Wirksamkeit im Einsatz: Ich müsste jetzt über die
Luftbetankungsfähigkeit, über den Tiger als Einsatzunterstützungshubschrauber, über die Verbesserungen beim Tornado, über den EF 2000 und die Korvette 130 sprechen.
Dies alles sind Beispiele, insbesondere die Korvette 130,
die nur funktionieren, weil wir auf anderer Ebene mit Wirtschaftlichkeit, Effizienz usw. deutlich vorangekommen
sind. Das gilt übrigens auch für den Lenkflugkörper Meteor, für den dringend benötigten Minenschutz für den Marder oder für die Abstandswaffe Taurus.
Bundesminister Rudolf Scharping
Vor diesem Hintergrund möchte ich darauf aufmerksam machen, dass zur Reform der Streitkräfte nicht nur
eine Verbesserung der Ausrüstung gehört, sondern auch
eine Veränderung im Verfahren bei der Beschaffung und
Entwicklung von Wehrmaterial. Hier kann man übrigens wieder von falschen Zahlen ausgehen und sagen, die
Ansätze seien gekürzt worden. Das stimmt nicht. Aber
noch entscheidender als das Betrachten der Quantität der
Mittel für Forschung und Entwicklung scheint mir zu
sein, dass wir gleichzeitig dafür sorgen, dass die Beschaffungszeiten reduziert werden - sie sind nämlich halbiert
worden - und dass die Industrie bei der Entwicklung der
Ausrüstung der Bundeswehr stärker in die Entwicklungsverantwortung einbezogen wird. Das geschieht auch.
Drittes Beispiel. Qualifizierungs- und Bildungsoffensive für Unteroffiziere und Mannschaften sowie Ausbildungskooperation mit 100 Kammern und 400 Unternehmen. Die Bundeswehr ist das ausbildungsfreundlichste
Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland!
({29})
Viertes Beispiel. Neuausrichtungsgesetz und sechstes
Besoldungsänderungsgesetz. Das sind nun wirklich
Schlüsselelemente für die Umsetzung der Bundeswehrreform. Wir werden im nächsten Jahr deutlich über 40 000,
circa 42 000, Angehörige der Bundeswehr befördern können. Das ist ein Hinweis darauf, dass wir die berufliche
Perspektive in der Bundeswehr verbessern. Aber neben
Besoldung und sozialer Absicherung müssen wir noch
andere Punkte betrachten, die mit der unausgewogenen
Altersstruktur und mit dem Wehrdienst zu tun haben. Sie
haben aber auch damit zu tun, dass wir wegen des hohen
Anteils der Zeitsoldaten verpflichtet sind, nicht nur auf
die Zeit in der Bundeswehr zu schauen, sondern auch die
Perspektiven für zivile berufliche Tätigkeiten nach der
Bundeswehrzeit von Anfang an förderlich im Auge zu behalten.
({30})
Fünftes Beispiel. Tarifvertrag. In meinen Augen ist er
ein bisschen spät zustande gekommen. Aber es gibt ihn
seit dem 18. Juli mit weit reichenden Veränderungen, die
auf sozialverträgliche Weise umgesetzt werden, wie sie
kein einziges Unternehmen in Deutschland kennt.
({31})
Aber Sie, Herr Kollege Breuer, sagen, dass ich mich
der Einsparung von bestimmten Personalkosten rühmen
würde, die aber nur damit zusammenhängt, dass Stellen
nicht besetzt werden.
({32})
Das ist aber schlicht die Unwahrheit. Wenn Sie sagen, es
seien rund 180 000 Zeit- und Berufssoldaten - ich sage
Ihnen, es sind 188 000, sorry -, dann beweist allein ein
Vergleich Ihrer Behauptung mit der Realität, dass es daran nicht liegen kann.
({33})
Allerdings haben wir im zivilen Bereich auf der Grundlage des Tarifvertrages und auf der Grundlage der Erneuerung der Bundeswehr in erheblichem Maße Stellen
abbauen können. Das hat uns im Vollzug des Haushaltes
2001 100 Millionen DM an Personalkosten erspart. Das
ist richtig. Das ist auch ausdrücklich so beabsichtigt gewesen und war von Anfang an in den Beschlüssen der Koalition zur Erneuerung der Bundeswehr festgelegt.
Sechstes Beispiel. Der Rahmenvertrag wurde mittlerweile von 600 Unternehmen unterzeichnet. Er ging von
14 Pilotprojekten aus, die sich mittlerweile in 22 Vertragspaketen manifestiert haben.
Siebtes Beispiel. Das Bundesministerium der Verteidigung hat ein Leitungscontrolling eingerichtet, das eine
durchgängige Verfolgung und Steuerung nicht nur der Reform ermöglicht. Das ist bei einem so vielschichtigen Ansatz auch unbedingt erforderlich.
Ich will nun einmal deutlich machen, was all dieses, in
Zahlen übersetzt, bedeutet. Für den Kollegen Breuer sind
alle diese Zahlen natürlich nicht neu; er hat sie wie andere
Kollegen auch im Verteidigungsausschuss gehört. Aber es
gehört offenbar zu den Gepflogenheiten einer intellektuell hoch stehenden Debatte, die Tatsachen möglichst zu
verschweigen.
({34})
Im Haushaltsentwurf war von Anfang an eine Senkung
der Betriebskosten von 200 Millionen DM eingeplant.
Diese Einsparung werden wir erreichen. Die 100 Millionen DM, die wir an Personalkosten eingespart haben,
habe ich bereits genannt. Die Flugbereitschaft ist ausweislich anderer Bemerkungen des Rechnungshofes so
optimiert worden, dass sie 74 Millionen DM im Jahr weniger kostet. Die Kosten für die Ersatzteilbevorratung
oder die Depotinstandhaltung beim Heer sind um 20 Millionen DM gemindert worden. Die Umstellung der Beschaffung von Ausstattung der Rechenzentren der Bundeswehr auf Leasingverträge hat 38 Millionen DM
erbracht. Es gibt Mieteinnahmen. Das Betreibermodell
des Gefechtsübungszentrums in der Altmark erbringt
insgesamt 16,5 Millionen DM.
Das Heer hat klugerweise durch Neuordnung der Depotinstandsetzung und anderes Infrastrukturmaßnahmen
im Wert von 1,2 Milliarden DM identifiziert, auf die man
verzichten kann. Wir haben für rund 220 Millionen DM
bewegliches wie unbewegliches Vermögen veräußert. Im
Übrigen haben wir mit den Niederlanden eine Vereinbarung über Lufttransportkapazitäten mit einem Volumen
von 90 Millionen DM abgeschlossen.
Ich bleibe bei dem, was ich von Anfang an gesagt habe:
Ich bin nicht dafür, wegen einer schnellen Mark Druck
auszuüben, um schnelle Veräußerungen zu schlechten
Preisen zu erreichen.
({35})
Wenn Sie diese Zahlen einmal zusammenrechnen, dann
werden Sie unschwer erkennen, dass wir auf dieser Seite
der Verbesserung von Wirtschaftlichkeit und Effizienz und der Steigerung von Veräußerungserlösen in die
Bundesminister Rudolf Scharping
Nähe des Zieles kommen - wir werden es nicht ganz erreichen -, das wir uns vorgenommen haben.
({36})
Ich bedanke mich im Übrigen ausdrücklich bei den
Mitgliedern des Verteidigungsausschusses, insbesondere
aber auch bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses
und nicht zuletzt bei dem Kollegen Hans Eichel und seinen Mitarbeitern. Wir haben alle Entscheidungen vorbereitet und werden sie mit diesem Haushalt durchsetzen,
die mit der Gründung der genannten Beteiligungsgesellschaft zu tun haben und die der Bundeswehr
ein zusätzliches Investitionsvolumen in einer Größenordnung erschließen, die hier auch nicht ganz genau beziffert
worden ist. Über die kleine Differenz zwischen 800 Millionen, 820 Millionen und 826 Millionen DM darf man ja
bei Haushaltsberatungen jedenfalls im Sinne der CDU/
CSU hinwegsehen. Wer Mehrforderungen von über
400 Milliarden DM aufstellt,
({37})
erwirbt sich nach seinen eigenen Vorstellungen offenbar
das Recht, über die Bundeswehr zu reden, ohne sich die
Tatsachen genau anzuschauen, und hier und da ein paar
Hundert Millionen oder einige zig Millionen zu vergessen
usw.
Ich hätte Sie - ich sage das ganz deutlich - auf dem
Weg der Erneuerung der Bundeswehr gern dabei. Aber
wenn Sie in der Ecke stehen bleiben wollen, dann bleiben
Sie da stehen. Wir werden die Bundeswehr dennoch
erneuern, gemeinsam mit den Angehörigen der Bundeswehr. Im Interesse der außen- und sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland wird die Erneuerung mit Erfolg durchgeführt
werden, ob Sie das mögen oder nicht. Es darf ja in Ihren
Augen nicht so sein, dass ein Sozialdemokrat erfolgreich
das aufräumt, was Sie ihm hinterlassen haben.
({38})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Blick auf die Rednerliste, auf
die folgenden namentlichen Abstimmungen und auf den
Umstand, dass heute Abend noch zwei Ressorts aufgerufen werden, möchte ich von der Bestimmung des § 27 der
Geschäftsordnung Gebrauch machen und Kurzinterventionen grundsätzlich auf eine Minute beschränken.
({0})
Zu einer solchen Kurzintervention hat der Kollege
Rauber das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister, die Kritik an Ihnen ist keine Kritik an der Bundeswehr und den
Zivilbediensteten in der Bundeswehr.
({0})
Wir stehen zur Bundeswehr und wir erkennen die Leistungen der Soldaten umso mehr an, als sie unter sich verschlechternden Bedingungen erbracht werden müssen.
Sie haben der Bundeswehr gegenüber unseren Planungen
von 2000 bis 2004 18,6 Milliarden DM entzogen. Die
1,5 Milliarden DM sind nur ein Teil der Kompensation.
Der Haushalt hat nicht nur eine Einnahmenseite, sondern
auch eine Ausgabenseite. 1998 standen 2 800 Soldaten auf
dem Balkan. Ein Jahr später waren es durch den KosovoKrieg insgesamt 9 000. Allein das Kosovo-Engagement
verursacht Kosten von 1,3 Milliarden DM.
Wir fordern das ein, was Sie international versprochen
haben. Sie haben entsprechend den Kölner Vorgaben in
Sintra erklärt, dass der investive Anteil des Bruttoinlandsprodukts von 0,3 Prozent auf 0,7 Prozent erhöht werden
muss, was allein ein Mehr von 11 Milliarden DM ausmacht.
Herr Kollege Rauber, das war Ihre Kurzintervention.
Okay.
({0})
Nunmehr
gebe ich dem Kollegen Hildebrecht Braun das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon ein herbes
Schicksal, in einer rot-grünen Regierung Verteidigungsminister sein zu müssen.
({0})
Das allein erklärt aber noch lange nicht, warum dieser
Minister Scharping bei weitem am meisten Rücktrittsforderungen in dieser Haushaltswoche zu hören bekommen
hat. Ein Staatssekretär, zwei Generalinspekteure, eine
Geschäftsführerin - darauf komme ich noch zu sprechen -, Ihr eigener Pressesprecher sowie weiteres Personal aus dem Ihnen unmittelbar zugeordneten Bereich haben kapituliert oder sind entlassen worden. Laut „Welt“
von heute will angeblich auch Staatssekretär Biederbick
seinen Hut nehmen.
({1})
Ihre Rede hat eines trotzdem nicht gezeigt, nämlich die
Fähigkeit zur Selbstkritik.
({2})
Gehört diese nicht zum Anforderungsprofil eines Ministers? Denken Sie an die GEBB, die Sie gegründet haben,
Herr Scharping, um Geld zu sparen. Sie haben eine verdiente Parteifreundin als Geschäftsführerin angestellt - zu
einem Gehalt, mit dem sie sich den Bundeskanzler als leitenden Angestellten hätte leisten können. Jetzt haben Sie
die Dame ins Unterholz geschickt. Ich wüsste ja schon
gerne - meine Zwischenfrage wurde leider nicht zugelasBundesminister Rudolf Scharping
sen -, ob auch eine Abfindung Teil der Vereinbarung ist.
Das interessiert mich speziell deshalb, weil gleichzeitig
unseren Soldaten eine Kürzung ihrer Pensionen angedient
wird. Das ist Fakt.
({3})
Meine Damen und Herren, deutlich weniger Geld für
die Soldaten bei deutlich gestiegenen Aufgaben - diese
Gleichung kann nicht aufgehen. Nur bei steigender Arbeitslosigkeit, wie sie jetzt Minister Eichel angekündigt
hat, hat die Bundeswehr überhaupt noch eine Chance, den
nötigen Nachwuchs zu bekommen. Warum ist das so?
Weil die Eingangsgehälter bei der Bundeswehr immer
noch etwas über dem Sozialhilfeniveau liegen.
({4})
Es ist nicht in Ordnung, dass gerade unsere Feldwebel, die
Wehrpflichtigen oder auch Zeitsoldaten begreiflich machen sollen, dass es sich lohnt, als Berufssoldat bei der
Bundeswehr zu dienen, selbst keine Perspektive haben.
Wer selbst nicht von seiner Tätigkeit überzeugt ist, der
kann auch andere nicht überzeugen.
({5})
Ob das der Beförderungsstau, die langen Stehzeiten im
Ausland, die große Unsicherheit über das Weiterbestehen
von Standorten oder die gehaltsmäßige Schlechterstellung von Soldaten gegenüber den Polizisten ist - solche
Dinge motivieren nicht.
Herr Minister Scharping, Sie sind als Löwe von Rheinland-Pfalz gestartet und als Bettvorleger gelandet.
({6})
Sie haben den Kredit bei der Truppe verspielt. Viele Entscheidungen über Standortverlegungen oder Standortschließungen lassen parteipolitische Erwägungen anstelle von nüchterner Abwägung erkennen. Ein leidvolles
Beispiel dafür ist die Fernmeldeschule des Heeres in
Feldafing. Bisher ist es eines der schönsten und wertvollsten Grundstücke der Bundeswehr in Deutschland; es liegt
am Starnberger See. Wenn Rot-Grün noch länger an der
Regierung bleiben sollte, dann kommt die Verlegung in
einen durchschnittlichen Standort infrage. Ein Juwel wird
in Modeschmuck eingetauscht. Vielleicht gibt es ein paar
Legobausteine dazu. Das wird der Bundeswehr nicht einmal Geld bringen: Die Verlegung kostet 120 Millionen DM mehr, als die Renovierung und Sanierung der bestehenden Gebäude und Einrichtungen in Feldafing selbst
kosten würden.
Ein derartiges Verhalten würde bei jeder Firma nicht
nur zur fristlosen Kündigung des Finanzvorstandes
führen, sondern unmittelbar Schadensersatzklagen in
Höhe von mindestens 120 Millionen DM
({7})
nach sich ziehen. An die Menschen, die für diesen schändlichen Vorgang auch noch ihre gewachsenen Beziehungen
in der Gemeinde und in der Schule - ich denke hier auch
an die Kinder - sowie ihren Job - ich denke an die Ehefrauen - aufgeben sollen, denkt bei Rot-Grün offensichtlich niemand mehr. Herr Scharping, hier überfordern Sie
die Loyalität ihrer Soldaten.
Sanieren Sie die Schule und schauen Sie sich diese erst
einmal an. Das ist ein unglaubliches Ding: Es schaut aus
wie beim Untertagebergbau. 100 Vortragssäle werden
durch jeweils vier Baumstämme gehalten, damit die
Decken nicht einstürzen. Das ist die gegenwärtige Situation. Dort besteht wirklich ein dringender Handlungsbedarf.
Herr Bundesminister, ich stelle fest, dass die Finanzen
der Bundeswehr offensichtlich bereits einen fatalen Zustand erreicht haben. Mir liegt ein Schreiben der Stadtwerke Düsseldorf vom 8. November 2001 an Verteidigungsminister Rudolf Scharping vor. Dort schreibt der
Vorstand der Stadtwerke Düsseldorf:
Institute und Behörden des Bundes und der Länder
schulden den Stadtwerken Düsseldorf entsprechend
einem Stromverbrauch von rund 315 Gigawatt einen
Betrag in Höhe von 2,8 Millionen DM für den Zeitraum vom 1. November 2000 bis zum 31. Oktober 2001.
Die Stadtwerke Düsseldorf bitten Sie, für die Zahlung der offenen Beträge zu sorgen.
Herr Bundesminister Scharping, sollen wir etwa noch
sammeln gehen, damit wir diesen Betrag zusammenbekommen und damit Sie in die Lage versetzt werden, wenigstens den Strom für die Bundeswehr zu bezahlen?
Sonst gehen gar noch vor Weihnachten ihre Lichter aus.
Das kann es doch wohl nicht sein.
Ich danke.
({8})
Das Wort
hat der Kollege Winfried Nachtwei für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte zu zwei Punkten im Hinblick auf die nächsten
Monate Anmerkungen machen. Zunächst einmal ist mir in
den letzten Wochen und Monaten aufgefallen, dass in Teilen der Öffentlichkeit Militäreinsätze und Kriegseinsätze
immer gleichgesetzt worden sind. Ich muss feststellen,
dass diese Art von Gleichsetzung - das war auch beim
Einsatz in Mazedonien sehr deutlich der Fall - die Einsatzrealität der Bundeswehr in keiner Weise trifft.
({0})
Dies möchte ich deutlich machen, indem ich auf einen
kleinen, unauffälligen Haushaltstitel aufmerksam mache,
der allerdings erhebliche sicherheitspolitische Bedeutung
hat, nämlich die Aufwendungen im Rahmen der nationalen Umsetzung des KSE-Vertrages einschließlich des
Hildebrecht Braun ({1})
Vertrages über den offenen Himmel sowie das Chemiewaffenübereinkommen.
({2})
Der Vertrag über den offenen Himmel ist in der allgemeinen Öffentlichkeit vielleicht gar nicht so sehr bekannt. Er wurde 1992 unterzeichnet und hatte eine enorme
Bedeutung, weil nämlich mit diesem Vertrag recht kurzfristig kooperative Beobachtungsflüge in dem gesamten
Raum von Vancouver bis Wladiwostok durchgeführt werden können. Das führt zu einem Ausmaß an Vertrauensbildung, wie es in keinem anderen Bereich in einer so
großen Zone überhaupt gegeben ist. Bei diesem Vertrag
kann man wirklich feststellen, dass er ein enormer Fortschritt für die gemeinsame Sicherheit ist und dass er ein
Beitrag ist, die Abkehr von Denkmustern des Kalten Krieges, die ja noch nicht ganz verschwunden sind, unumkehrbar zu machen.
({3})
Deutschland spielte im Rahmen der Probeimplementierung eine führende Rolle. Dafür - auch das sollte hier
einmal gesagt werden - ist insbesondere dem Zentrum für
Verifikationsaufgaben der Bundeswehr zu danken, das
hierzu eine in der Öffentlichkeit recht wenig beachtete,
aber vorzügliche Arbeit leistet.
({4})
Anfang Januar des nächsten Jahres wird dieser Vertrag
endlich in Kraft treten. Die Bundesrepublik wird ihre bisher vorbildliche Rolle allerdings nur dann weiter so ausfüllen können, wenn ein Mangel, der 1998 eingetreten ist,
möglichst bald behoben wird. Seit 1998 nämlich verfügt
die Bundesrepublik über keine entsprechende Beobachtungsplattform, kein entsprechendes Flugzeug mehr. Hier
ist der Bedarf offenkundig. Es ist notwendig, dass es hier
zu einer Einigung kommt, und zwar zu einer multilateralen Lösung in europäischer Zusammenarbeit mit dem Ziel
einer wirklich modernen Ausstattung. Ich glaube, dass
dieses Anliegen von allen Fraktionen des Hauses deutlich
geteilt wird.
({5})
Der zweite Aspekt. Als Verteidigungspolitiker haben
wir selbstverständlich besonders viel und immer wieder
mit Friedensmissionen zu tun, nämlich bei Entsendeentscheidungen und bei ihrer Begleitung. Angesichts der
Vorgänge in Afghanistan ist aber auch eine gewisse Art
von vorausschauender Diskussion angebracht, allerdings
nicht in dieser völlig verkürzten und deplatzierten Art, in
der sie der Kollege Rühe hier vorgeführt hat.
Die „Stiftung Wissenschaft und Politik“ hat über ihren
Fachmann Winrich Kühne inzwischen eine vorzügliche
und hilfreiche Studie dazu vorgelegt, in der festgestellt
wird, dass, wenn es zu einer Übergangsregierung kommt,
ein begleitender internationaler Friedensprozess von
entscheidender Bedeutung sein kann, um vor allem ein
politisches und ein Sicherheitsvakuum zu überbrücken.
Wenn die Konfliktparteien - dies ist besonders zu betonen
und muss eine Selbstverständlichkeit sein - dies wollen,
dann wäre ein Friedenseinsatz der Vereinten Nationen unter den gegebenen Bedingungen wohl ein besonders
großer und auch besonders schwieriger.
Dabei muss Verschiedenes klar sein: Eine solche Mission könnte sich nur auf Kernaufgaben beschränken. Eine
ganz zentrale Erfahrung der Einsätze auf dem Balkan
müsste sie unbedingt berücksichtigen: eine integrierte
Führungsstruktur zwischen Militär und Zivilen. Selbstverständlich müssten die Hauptbeiträge aus den muslimischen Staaten kommen. Nur bei technologischen und ausbildungsmäßig anspruchsvolleren Komponenten könnten
Beiträge aus dem Westen denkbar sein. Vor allem aber
- das ist vielleicht auch der wichtigste Punkt in unserer
Debatte - würde internationales Fachpersonal benötigt,
zum Beispiel zur Unterstützung des Aufbaus von lokalen
Verwaltungen. Hier gibt es einen enormen Nachholbedarf. Vor allem in den südlichen Ländern gibt es kaum
eine oder gar keine entsprechende Vorbereitung oder Ausbildung dafür.
({6})
Denken wir einmal zurück an den Sommer 1999 im
Kosovo: Truppen waren ziemlich schnell verfügbar, aber
nach Zivilpersonal, nach Polizeikräften musste mühsam
gesucht werden. Damit gingen die entscheidenden ersten
Monate verloren. Damit wurden gleichzeitig ganz empfindliche Langzeitprobleme geschaffen. Deshalb ist eine
rechtzeitige Vorbereitung und Rekrutierung gerade von
solchem Zivilpersonal dringend erforderlich, damit die
fantastischen, zugleich aber äußerst prekären Chancen für
einen Friedensprozess in Afghanistan bestmöglich genutzt werden können. Die Bundesrepublik kann mit ihren
neu aufgebauten Kapazitäten dazu hervorragend beitragen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, entschuldigen Sie,
dass ich mit meinen letzten Ausführungen den Zuständigkeitsbereich des Verteidigungsetats etwas überschritten
habe. Ich hielt es aber für notwendig, weil dieser Aspekt
sonst nicht zur Sprache gekommen wäre.
Danke schön.
({7})
Ich erteile jetzt der
Kollegin Heidi Lippmann für die PDS-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der
verabscheuungswürdige Angriff auf die USA am 11. September 2001, auf die mit Abstand stärkste Militärmacht
der Welt, erfolgte - wie wir alle wissen - nicht mit militärischen Mitteln, sondern mit Tapeziermessern und Zivilflugzeugen. Er hat deutlich gemacht, dass militärische
Hochtechnologie kein Schutz gegen derartige Terrormaßnahmen ist. Würde man diesen Gedanken weiterdenken,
käme man zu der Erkenntnis, dass drastische Kürzungen
im Rüstungsbereich durchaus plausibel wären.
Stattdessen setzt sich wie eh und je in der Menschheitsgeschichte einmal mehr die militärische Denkweise
durch. Statt die Ursachen des Terrorismus zu analysieren
und dann mit zivilen Mitteln in einem zivilisierten Werteverständnis zu bekämpfen, werden stellvertretend für den
mutmaßlichen Verursacher des Terrors ein Staat und ein
ganzes Volk angegriffen. Zudem wird last, not least verstärkt aufgerüstet, was sich im Verteidigungsetat mit zusätzlichen 1,5 Milliarden DM jährlich niederschlagen
wird, insbesondere im investiven Bereich.
Betrachten wir die Entwicklung in der Außen- und Sicherheitspolitik der rot-grünen Bundesregierung seit
1998, wird deutlich, dass die Hemmschwelle zum Einsatz militärischer Mittel Schritt für Schritt gesunken ist.
Wurden bei der Bombardierung Jugoslawiens noch vorwiegend humanitäre Beweggründe zur Legitimation in
den Vordergrund gestellt, wird heute mit dem abstrakten
Begriff der Terrorismusbekämpfung jegliche militärische
Option an jedem Einsatzort denkbar und möglich.
Zwar ist die Bevölkerung noch nicht so weit, dies unwidersprochen zu akzeptieren - wie der Kanzler auf dem
SPD-Parteitag in seinem Schlusswort richtig bemerkt
hat -, doch traue ich beiden Regierungsfraktionen durchaus zu, dass ihnen genügend Argumente einfallen werden,
auch Angriffe auf den Irak, Somalia und andere Staaten
plausibel zu erklären.
Die grünen Interventionisten haben am Wochenende
einmal mehr bewiesen, wie ein Ja zum Krieg als politischer Pazifismus deklariert werden kann. Sie sollten sich
allerdings ernsthaft fragen, ob Sie durch Ihre Politik nicht
eher praktischen Bellizismus betreiben.
({0})
Ob es gelingen wird, die Mehrheit der deutschen Bevölkerung kriegskompatibel zu machen, wage ich zu bezweifeln.
Der Herr Verteidigungsminister hat eben ausgeführt,
dass die Bundesrepublik Deutschland kein eigenes Interesse in Afghanistan hat. Diese Worte stehen ganz klar
im Widerspruch zu dem, was der Bundesaußenminister
vorhin gesagt hat, nämlich dass es unser ureigenes Interesse ist, an einer Stabilität in der Region im Mittleren und
Nahen Osten zu arbeiten. Wenn der Verteidigungsminister pauschal erklärt, es sei kein Interesse Deutschlands
vorhanden, könnte man daraus folgern, dass auch kein humanitäres Interesse vorhanden sei. Angesichts von
500 000 Menschen, denen - so der UNHCR - in diesem
Winter eventuell der Tod durch Verhungern oder Krankheiten bevorsteht, halte ich diese Aussage des Verteidigungsministers für sehr fragwürdig.
Der Kollege Volker Rühe hat den Außenminister vorhin aufgefordert, ein klares Bekenntnis zu mehr Haushaltsmitteln für die Bundeswehr abzugeben. Meine Fraktion unterstützt diese Forderung natürlich nicht. Doch wer
Krieg und den Einsatz militärischer Gewalt als Mittel
außenpolitischer Gestaltungsmacht begreift, der muss
zwangsläufig umfangreiche Interventionsmöglichkeiten
schaffen, der muss in seiner Logik die Rüstung modernisieren, der braucht neue strategische Transportflugzeuge,
maritime Einsatztruppenversorger, neue Jagdbomber und
vieles mehr. In dieser militärischen Logik von Rot-Grün
und Schwarz-Gelb ist es dann nur konsequent, entbehrliches Bundeswehrgerät zu veräußern und die Rüstungsexportpolitik entsprechend zu forcieren. Die PDS
lehnt diese Politik ab.
Ich möchte zum Schluss, stellvertretend für viele Menschen dieser Republik, zwei Organisationen zitieren. Die
eine Organisation ist der Franziskanerorden. Er sagt:
Der Krieg ist kein Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus. Wir sehen im Gegenteil darin eine Förderung
weltweiter Eskalation.
({1})
Die zweite Organisation ist der Arbeitskreis des Darmstädter Signals, in dem über hundert Offiziere und Unteroffiziere zusammengeschlossen sind. Sie fordern, den militärischen Einsatz zur Terrorismusbekämpfung sofort zu
beenden und weitere militärische Optionen abzulehnen.
({2})
Der Arbeitskreis des Darmstädter Signals verlangt, jegliche Waffenexporte, besonders in Krisenregionen, abzulehnen. Er fordert den Verteidigungsminister auf, die geplanten Waffenlieferungen, die den internationalen
Terrorismus stützen, sofort zurückzunehmen.
Dem vorliegenden Antrag meiner Fraktion bitte ich zuzustimmen. Der neue Verteidigungshaushalt ist der erste
Haushalt, über den nach dem 11. September abgestimmt
wird.
Frau Kollegin, jetzt
wird Ihre Rede ein bisschen lang.
Er wird für die Politik in diesem Haus zukunftsweisend sein. Deswegen werden wir
ihm nicht zustimmen.
({0})
Das Wort hat jetzt der
Kollege Manfred Opel für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Wir haben heute sehr viel
über die Zukunft der Bundeswehr gehört. In dieser Haushaltsdebatte kommt es aber darauf an, den Menschen, die
die Bundeswehr tragen, also den Soldaten und Soldatinnen, zivilen Mitarbeitern und ihren Familien, zu vermitteln, dass dieses Parlament mit ihren Problemen seriös
umgeht.
Sie haben fürwahr Probleme. Die Bundeswehr ist
heute eine Armee im Einsatz. Diese Armee trägt eine Einsatzlast wie niemals vorher. Es kann sogar sein, dass diese
Last in Zukunft noch zunehmen wird. Ich stelle fest, dass
unsere Bundeswehr in ihren Einsatzgebieten vorbildlich
zur Bewahrung und Schaffung von Frieden, Demokratie
und Sicherheit beiträgt.
({0})
Wir sind wirklich stolz darauf, dass diese Bundeswehr
von anerkannten Persönlichkeiten wie dem Nobelpreisträger Kofi Annan und dem NATO-Generalsekretär
Lord Robertson gelobt wird, der sich außerordentlich positiv zur Leistungsfähigkeit der Bundeswehr auf dem
Balkan geäußert hat. Die OSZE hat das Engagement dieser Bundeswehr ausdrücklich gelobt. Unsere Partner wie
Polen und Ungarn freuen sich über die Hilfen, die ihnen
die Bundeswehr zur Verfügung stellt. Letztlich hat Präsident Bush dem Kanzler für die Arbeit der Bundeswehr
gedankt.
Wie aber kann es sein, dass eine so gute Bundeswehr
verwaltet und geführt werden kann, wenn sie angeblich
unterfinanziert ist? Das ist doch ein Widerspruch in sich.
({1})
Deswegen bitte ich die Kolleginnen und Kollegen der Opposition, Einkehr zu halten und die Bundeswehr nicht
mies zu machen.
({2})
- Ich bitte nur darum. Ich habe nicht behauptet, dass Sie
das tun werden. Ich habe mich sehr genau ausgedrückt.
Ich hoffe sehr, dass wir nach außen den Eindruck erwecken, dass wir alle hinter der Bundeswehr stehen. Ich
sage Ihnen zu: Vor dem Hintergrund der finanziellen
Möglichkeiten ist die Bundeswehr seriös finanziert und
sie wird es auch in Zukunft sein.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch ein
Wort zum Bundeswehr-Verband, zur Vertretung der Soldaten, sagen. Den Soldaten und den zivilen Mitarbeitern
der Bundeswehr wurden nach jahrelangem Stillstand
zahlreiche Verbesserungen durch diese Koalition gewährt. Ich denke nur an den Mobilitätszuschlag, der der
Bundeswehr wirklich hilft. Ein Vergleich mit der freien
Wirtschaft erlaubt mir zum Beispiel im Hinblick auf den
neuen Tarifvertrag, zu behaupten, dass diese Regierung
der Bundeswehr in ihren strukturellen Nöten beisteht.
Deshalb wäre es nur fair, wenn die Vertreter des Bundeswehr-Verbandes darauf positiv eingehen würden. Stattdessen fordern sie ihre Mitglieder auf, in Uniform gegen
Defizite zu demonstrieren, die niemand beseitigen kann,
weil sie niemandem bekannt sind.
({3})
Deswegen glaube ich, wir sollten gemeinsam - auch das
ist eine Einladung - ein klares Wort zu dieser wirklichen
Perversion des Demonstrationsrechtes finden; denn das
ist nicht in Ordnung.
Ich möchte darüber hinaus auch noch etwas zur Seriosität des Haushalts sagen. Auch 2002 müssen wir über
40 Milliarden Euro - das ist fast das Doppelte des Einzelplans 14 - an Zinsen für Schulden zahlen, die die Vorgängerregierung gemacht hat. Das ist die Wahrheit.
({4})
Wie viele Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahmen und soziale Notwendigkeiten ließen sich mit diesem Geld finanzieren? Dies ist uns verwehrt.
({5})
Es gab einen erheblichen Reformstau. Das wissen wir
alle. Tun Sie jetzt bitte nicht so, als sei vorher alles in Ordnung gewesen!
({6})
Die Weizsäcker-Kommission, die neutral ist, hat dies festgestellt. Unabhängig davon ist auch der Generalinspekteur, der für die Soldaten zuständig ist und der Hauptbetroffener ist, zu diesem Ergebnis gekommen.
Rechnet man einmal - darauf hat unser Minister schon
hingewiesen - die Forderungen und die Mindereinnahmen für den Gesamthaushalt zusammen, dann kommt
man auf 433 Milliarden DM bzw. rund 215 Milliarden
Euro. Ich möchte mich auf den Verteidigungshaushalt beschränken. Die Union fordert, den Verteidigungshaushalt
allein 2002 um zusätzlich 1,53 Milliarden Euro aufzustocken. Zusätzlich wollen Sie den Einzelplan 14 um
jährlich 6 Prozent aufstocken. Das sind im Jahr 5,2 Milliarden Euro. Das sind im Planungszeitraum bis 2006
37,5 Milliarden Euro. Wenn man das alles zusammenrechnet, kommt man auf die gewaltige Summe von
40 Milliarden Euro. Das Schöne ist, dass weder Sie noch
irgendein anderer, der so etwas fordert, sagt, wie er das
finanzieren will. Dies nenne ich einfach unseriös.
({7})
Vor diesem Hintergrund nimmt es sich geradezu bescheiden aus, dass die FDP nur 350 Millionen Euro für die
Anschubfinanzierung - man beachte dieses Wort - eines
Lazarettschiffes fordert.
({8})
- Verehrter Herr Kollege, die militärischen Forderungen
stellt nicht die Weizsäcker-Kommission, sondern der Generalinspekteur als Planungsverantwortlicher für die Bundeswehr auf.
Als „Lichtblick“ bleibt eigentlich nur die Forderung
der PDS, den Soldaten eine moderne Ausrüstung zu verweigern, also in bestehende Verträge einzugreifen. Die
PDS - man höre und staune - fordert des Weiteren, dass
die Bundeswehr in Zukunft bei humanitären Leistungen
nicht mehr unterstützt werden solle.
({9})
- Verehrter Herr Kollege Dr. Rössel, auf solche unseriösen Vorschläge können die Bundeswehr und Deutschland
sehr gut verzichten.
Zum Abschluss möchte ich noch ein Wort zur GEBB
sagen. Das Interessante ist, dass wir die GEBB gemeinsam gefordert haben. Die Union hat immer Privatisierungen gefordert. Die GEBB ist Privatisierung. GEBB heißt
übrigens, Herr Kollege Austermann, Gesellschaft für EntManfred Opel
wicklung, Beschaffung und Betrieb und nicht Gesellschaft zur Beratung der Bundeswehr. Das sollten Sie einmal lernen. Außerdem haben Sie gemeinsam mit uns Rationalisierung gefordert; genau dafür ist die GEBB da. Die
Gründung der GEBB wurde von der Union und der FDP
begrüßt. Das ist doch die Wahrheit.
({10})
Tatsache ist auch, dass Frau Dr. Fugmann-Heesing als
erste Chefin der GEBB gut gearbeitet hat. Das möchte ich
hier einmal feststellen.
({11})
- Sie hat gut gearbeitet. Sie haben doch noch nie persönlich solche Verantwortung getragen. Wie kommen Sie eigentlich zu einem solchen Urteil? Unser Respekt und
Dank gelten Frau Dr. Fugmann-Heesing.
({12})
Die Aufgaben der GEBB sind so gewaltig, dass sich die
Anfangsschwierigkeiten natürlich als massiver herausgestellt haben, als wir alle gehofft hatten. Dennoch war es
richtig, die GEBB zu gründen. Ein bekannter Informationsdienst schrieb sogar: „Wenn es die GEBB nicht gäbe,
müsste man sie erfinden.“
Insgesamt glaube ich, dass dieser Haushalt und die in
ihm veranschlagte Neustrukturierung der Bundeswehr,
aber auch die GEBB die Entwicklung der Bundeswehr
fördern werden.
({13})
Ich hoffe, dass Sie dies unterstützen können, indem Sie
nicht nur die Leistungen für sich in Anspruch nehmen,
sondern gemeinsam mit uns auch die Risiken tragen. Das
hat die Bundeswehr verdient.
Vielen Dank.
({14})
Als letztem Redner in
dieser Debatte erteile ich dem Kollegen Kurt Rossmanith
das Wort.
Ich bitte Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, ihm
kollegial zuzuhören. Das ist für den Redner sehr viel einfacher.
Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Ich bedanke mich,
Frau Präsidentin.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr
Bundesminister Scharping, der Kollege Braun hat Ihnen
vorgeworfen, Sie seien nicht selbstkritisch genug. Ihre
Ausführungen haben das wieder bewiesen. Nur in einem
Punkt waren Sie selbstkritisch: Sie haben nämlich gesagt,
dass Sie uns nicht verstünden. Das stimmt. Ihre Darstellungen in der heutigen Haushaltsdebatte beinhalteten Verdrehungen, Unterstellungen und völlig aus der Luft gegriffene Behauptungen.
({0})
Für meine Fraktion, die CDU/CSU, stelle ich ausdrücklich fest: Niemand aus unserer Fraktion, Herr
Bundesminister Scharping, hat jemals an der Leistungsfähigkeit, an der Motivation und am Wollen unserer Soldatinnen und Soldaten und der zivilen Mitarbeiter der
Bundeswehr Zweifel geäußert oder gar Kritik geübt.
({1})
Wir haben immer dargestellt, dass unsere Soldaten eine
großartige Leistung vollbringen. Für sie war der Frieden
der Ernstfall, bis sich die weltpolitische Situation änderte.
Das begann mit Kambodscha und hat sich über Somalia
und den Balkan bis zur gegenwärtigen Bekämpfung des
Terrors fortgesetzt.
Wir haben Sie immer davor gewarnt, sich dem Diktat
des Finanzministers zu unterwerfen und Sicherheitspolitik nach Kassenlage zu betreiben. Das aber hat Sie nicht
weiter interessiert. Sie haben eine so genannte Bundeswehrreform eingeleitet, die wesentlich vom Generalinspekteur geprägt war, der aber schon damals darauf hinwies, dass eine echte Reform ohne Aufstockung des
Haushalts nicht möglich sei. In diesem Zusammenhang
nannte er einen Betrag von über 3 Milliarden DM. Auch
das haben Sie ignoriert. Dies führte zu dem Ergebnis, dass
eine der wesentlichen Säulen dieser so genannten Bundeswehrreform, der Generalinspekteur, die Flucht nach
Brüssel angetreten hat.
Zur zweiten Säule, der GEBB: Lieber Kollege Opel,
indem Sie gerade die GEBB als einen Privatisierungserfolg gefeiert haben, haben Sie gezeigt, was Sozialisten
und Sozialdemokraten unter Privatisierung verstehen.
Gerade die GEBB ist das beste Beispiel dafür.
({2})
Erst wurde viel Geld hineingesteckt, immerhin 69 Millionen DM; Kollege Breuer war mit den von ihm genannten 35 Millionen DM geradezu bescheiden. Erwirtschaftet wurden bisher maximal 17 Millionen DM. Stellen Sie
das einander gegenüber. Sie erkennen dann, wie erfolgreich dieser Privatisierungsbereich ist.
({3})
Deshalb, Herr Bundesminister Scharping, haben Sie wohl
gar nichts dazu gesagt.
Die GEBB soll die zweite Säule dieser so genannten
Bundeswehrreform sein. Weshalb haben Sie nichts dazu
gesagt, ob denn Frau Fugmann-Heesing von sich aus gegangen ist oder ob Sie ihr den Stuhl vor die Tür gesetzt haben?
({4})
Beides wäre schlimm genug. Entweder durfte sie das, was
sie für erforderlich hielt, nicht tun und ist deshalb von sich
aus gegangen, oder aber sie hat die Leistung nicht erbracht,
weshalb Sie ihr den Stuhl vor die Tür gestellt haben.
({5})
Lieber Herr Bundesminister Scharping, Sie müssen
sich sagen lassen: Ihre so genannte Bundeswehrreform ist
schon heute kläglich gescheitert. Sie flüchten sich in Zahlen; Kollege Kröning unterstützt Sie dabei. Ich schätze ihn
persönlich sehr, aber er hat ein Durcheinander in die Zahlen gebracht und geglaubt, er könne erfolgreich sein, indem er dies und das und jenes vergleiche. Lieber Kollege
Kröning, so geht es nicht.
Was macht der Bundesminister? Er erklärt, 500 Rahmenverträge seien bereits unterschrieben worden. Täglich
drängten sich noch mehr danach zu unterschreiben. Ich
finde niemanden mehr, der sich danach drängen würde,
denn dies ist ein wertloses Stück Papier. 22 Verträge haben Sie bereits erarbeitet. Verehrter Herr Bundesminister
Scharping, in der Papierform sind Sie also sehr stark, aber
wir wollen Fakten sehen.
Unsere Soldaten, die im Einsatz stehen, werden morgen vielleicht in anderen Bereichen eingesetzt. Herr Bundesaußenminister, Herr Abgeordneter Fischer - Sie sitzen
in den Reihen der Abgeordneten -, Sie haben diese
Einsätze vehement verteidigt und auf Ihrem Parteitag für
sie gekämpft. Bis auf Herrn Fischer, den ich jetzt einmal
ausnehmen muss - er trägt Krawatte und Anzug -, haben
alle anderen Grünen nach dem letzten Parteitag wieder
ihre Jeansuniform angezogen,
({6})
damit sie wieder sagen können: Wir sind doch die Grünen,
auch wenn wir in der Zwischenzeit mehrere Kehrtwendungen vorgenommen haben.
Herr Außenminister Fischer, Sie machen sich ja auch
über Ihren Ministerkollegen Scharping lustig.
({7})
Er tritt als Händler von altem Verteidigungsmaterial auf.
Dagegen habe ich überhaupt nichts einzuwenden; das
Verschrotten wäre noch teurer. Weshalb sollte man es
nicht befreundeten Armeen anbieten? Weil es kurz vor
Ihrem Parteitag war, untersagten Sie ihm mit ganz großem
Mediengetöse diese Aktion. Sie haben ihm das regelrecht
untersagt. Das ist eine saubere Bundesregierung, in der
der eine Minister dem anderen etwas untersagen darf. Und
der Bundeskanzler sagt überhaupt nichts dazu, sondern
nimmt das alles nur mit ruhiger Hand hin. Selbst die eigenen Fraktionskollegen, lieber Herr Bundesminister
Scharping, machen sich schon über Sie lustig. Sie sagen,
sie brauchen keinen Verteidigungsminister mehr. Jetzt
soll die Befehl- und Kommandogewalt über die Bundeswehr dem Bundeskanzler übertragen werden. Das heißt,
Sie dürfen vielleicht noch im Büro sitzen und sich darüber freuen, dass Papier produziert wurde. Aber Sie werden überhaupt nichts mehr zu sagen haben. Das ist ja im
Moment auch schon so.
Sie tragen Zahlen vor und sagen: Wir haben Erlöse von
200 Millionen DM erzielt. - Gestrichen! Sie haben das
schlicht und einfach gestrichen. Gehen Sie einmal raus zu
der Truppe! Die werden Ihnen sagen: Wir können die
Hubschrauber nicht mehr fliegen lassen. Wir haben keine
Betriebsstoffe mehr, weil Sie das gestrichen haben. Also,
gehen Sie wieder mal zur Truppe und lieber nicht zu den
Kabinettssitzungen; dort werden Sie sowieso nur noch
weiter demontiert, wenn das überhaupt noch geht.
Jetzt will ich Ihnen noch sagen, weshalb das mit den
Erlösen überhaupt nicht funktionieren kann. Sie haben erklärt - das haben Sie heute noch einmal betont -, Sie wollten mit der so genannten Privatisierung bis zu 1 Milliarde DM Erlöse erzielen. Sie streichen die Bundeswehr
einfach zusammen. Sie schließen Kasernen. Sie lösen das
ABC-Bataillon in Sonthofen auf, wohl wissend, dass wir
ohne diese ausgebildeten Soldaten keine Möglichkeit haben, Prüfungen im Bereich der A-, B- und C-Waffen vorzunehmen. Sie schließen Riesenstandorte, zum Beispiel
in Memmingen,
({8})
und glauben dann auch noch, Geld dafür zu bekommen.
Die Region ist gestraft genug. Die wird wirtschaftlich,
materiell außerordentlich leiden. Da glauben Sie, dass die
Kommunen oder jemand sonst dort in der Lage sein soll,
Ihnen für dieses Gelände auch nur einen Pfennig zu geben? Vielmehr sollten Sie diesen Kommunen helfen; das
wäre notwendig.
({9})
Zum Schluss sage ich noch einmal: Unsere Soldaten
und auch die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erbringen angesichts der Misere, angesichts dessen, was ihnen von dieser Bundeswehrführung zugemutet wird, eine
großartige Leistung. Nur, sie müssen auch weiterhin dazu
imstande sein. Sie müssen entsprechend ausgerüstet werden, sie müssen entsprechend ausgebildet werden, damit
sie diese Leistung auch zukünftig erbringen können.
Deshalb haben wir unsere Anträge gestellt. Es wäre im
Interesse unserer Soldatinnen und Soldaten, meine lieben
Kolleginnen und Kollegen insbesondere von der SPDFraktion - auf die Position der Grünen gebe ich sowieso
nichts; was sie heute sagen, ist morgen schon wieder völlig anders -, wenn Sie unseren Anträgen zustimmten.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Wenn Sie das täten, könnten wir dem Haushalt zustimmen. Wenn Sie das
nicht tun, müssen wir leider - ich betone ausdrücklich:
leider - den Haushalt des Bundesministers der Verteidigung auch in diesem Jahr wieder ablehnen.
({0})
Wir kommen zu den
Abstimmungen, und zwar zunächst zu den Abstimmungen über die Änderungsanträge.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/7589. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Gegen
die Stimmen der CDU/CSU ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/7624. Die Fraktion der FDP verlangt namentliche
Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle
Urnen besetzt? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Ich möchte nur für ein
bisschen Zügigkeit sorgen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Außerdem weise ich Sie darauf hin, dass wir sogleich
eine zweite namentliche Abstimmung haben.
Ist jetzt noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das
seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.
Wir setzen die Abstimmungen fort und kommen
zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 14/7622. Wer stimmt
für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 14/7623? - Wer stimmt dagegen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/7596. Die Fraktion der PDS verlangt namentliche Abstimmung. Sind die Schriftführerinnen und Schriftführer
bereit? Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall.
Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ich darf darauf hinweisen, dass wir gleich weitere Abstimmungen - auch über den gesamten Einzelplan durchführen werden.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit derAuszählung zu beginnen. Das Ergebnis derAbstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.
Wir setzen die Abstimmungen fort.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/7600. Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/7603. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/7605. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/7606. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist
abgelehnt.
Ich weise darauf hin, dass wir noch weitere Abstimmungen durchführen werden. Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen unterbreche
ich die Sitzung.
({0})
Die Sitzung ist wieder
eröffnet. Wir danken den Schriftführerinnen und Schriftführern, dass sie so schnell die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen ermittelt haben.
({0})
- Das ist sicherlich einen Applaus wert.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der FDP auf Drucksache
14/7624 bekannt: Abgegeben Stimmen 572. Mit Ja haben
gestimmt 263, mit Nein haben gestimmt 309.
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 571;
davon
ja: 261
nein: 310
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({2})
Hartmut Büttner
({3})
Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens ({4})
Peter H. Carstensen
({5})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({6})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({7})
Axel E. Fischer ({8})
Klaus Francke
Dr. Gerhard Friedrich
({9})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({10})
Erich G. Fritz
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther ({11})
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({12})
Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser
({13})
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers
({14})
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({15})
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
({16})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({17})
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({18})
Erwin Marschewski
({19})
Dr. Martin Mayer
({20})
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({21})
Claudia Nolte
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({22})
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Thomas Rachel
Hans Raidel
Christa Reichard ({23})
Erika Reinhardt
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch ({24})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({25})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({26})
Andreas Schmidt ({27})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr
von Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Diethard Schütze ({28})
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({29})
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({30})
Gerald Weiß ({31})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({32})
Hans-Otto Wilhelm ({33})
Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({34})
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
FDP
Ina Albowitz
({35})
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Horst Friedrich ({36})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({37})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Ina Lenke
Dirk Niebel
Detlef Parr
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Jürgen Türk
PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Dr. Ruth Fuchs
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Ilja Seifert
Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({38})
Ingrid Becker-Inglau
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({39})
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann ({40})
Bernhard Brinkmann
({41})
Hans-Günter Bruckmann
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({42})
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Gernot Erler
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({43})
Gabriele Fograscher
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({44})
Harald Friese
Anke Fuchs ({45})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({46})
Angelika Graf ({47})
Dieter Grasedieck
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({48})
Hans-Joachim Hacker
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({49})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({50})
Walter Hoffmann
({51})
Iris Hoffmann ({52})
Frank Hofmann ({53})
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({54})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({55})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({56})
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({57})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Ulrike Mascher
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({58})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({59})
Jutta Müller ({60})
Christian Müller ({61})
Volker Neumann ({62})
Gerhard Neumann ({63})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel RiemannHanewinckel
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({64})
Birgit Roth ({65})
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({66})
Ulla Schmidt ({67})
Silvia Schmidt ({68})
Dagmar Schmidt ({69})
Wilhelm Schmidt ({70})
Dr. Frank Schmidt
({71})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({72})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({73})
Brigitte Schulte ({74})
Volkmar Schultz ({75})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({76})
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({77})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({78})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
({79})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({80})
Helmut Wieczorek
({81})
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({82})
Brigitte Wimmer ({83})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({84})
Waltraud Wolff
({85})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Volker Beck ({86})
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({87})
Joseph Fischer ({88})
Katrin Göring-Eckardt
Gerald Häfner
Winfried Hermann
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Ich gebe weiterhin das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 14/7596 bekannt: Abgegebene Stimmen 572. Mit Ja
haben gestimmt 57, mit Nein haben gestimmt 514, eine
Enthaltung.
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Steffi Lemke
Dr. Reinhard Loske
Kerstin Müller ({89})
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Albert Schmidt ({90})
Werner Schulz ({91})
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({92})
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 570;
davon
ja: 56
nein: 513
enthalten: 1
Ja
FDP
Ina Albowitz
({93})
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Horst Friedrich ({94})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({95})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Ina Lenke
Dirk Niebel
Detlef Parr
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Jürgen Türk
PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Roland Claus
Dr. Ruth Fuchs
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Ilja Seifert
Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({96})
Ingrid Becker-Inglau
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({97})
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann ({98})
Bernhard Brinkmann
({99})
Hans-Günter Bruckmann
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({100})
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({101})
Gabriele Fograscher
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({102})
Harald Friese
Anke Fuchs ({103})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({104})
Angelika Graf ({105})
Dieter Grasedieck
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({106})
Hans-Joachim Hacker
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({107})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({108})
Walter Hoffmann
({109})
Iris Hoffmann ({110})
Frank Hofmann ({111})
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({112})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({113})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({114})
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({115})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Ulrike Mascher
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({116})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({117})
Jutta Müller ({118})
Christian Müller ({119})
Volker Neumann ({120})
Gerhard Neumann ({121})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel RiemannHanewinckel
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({122})
Birgit Roth ({123})
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({124})
Ulla Schmidt ({125})
Silvia Schmidt ({126})
Dagmar Schmidt ({127})
Wilhelm Schmidt ({128})
Dr. Frank Schmidt
({129})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({130})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({131})
Brigitte Schulte ({132})
Volkmar Schultz ({133})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({134})
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({135})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({136})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
({137})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({138})
Helmut Wieczorek
({139})
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({140})
Brigitte Wimmer ({141})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({142})
Waltraud Wolff
({143})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Wolfgang Börnsen
({144})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({145})
Hartmut Büttner
({146})
Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens ({147})
Peter H. Carstensen
({148})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({149})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({150})
Axel E. Fischer
({151})
Klaus Francke
Dr. Gerhard Friedrich
({152})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({153})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther ({154})
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({155})
Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser
({156})
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers
({157})
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Werner Lensing
Peter Letzgus
Der Antrag ist hiermit abgelehnt.
Wir kommen nun zum Einzelplan 14 in der Auschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 14 ist angenommen.
Nun rufe ich Punkt I.19 auf:
Einzelplan 23
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
- Drucksachen 14/7317, 14/7321 Berichterstattung:
Abgeordnete Antje Hermenau
Michael von Schmude
Dr. Barbara Höll
Zum Einzelplan 23 liegen zwei Änderungsanträge der
Fraktion der PDS sowie je ein Entschließungsantrag der
Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP vor.
Über die Erschließungsanträge werden wir am Freitag abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Michael von Schmude für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeshaushalt 2002 weist bekanntlich eine Steigerungsrate
von 1,5 Prozent auf. Nahezu alle Einzelpläne werden
deutlich angehoben, bis auf den Haushalt des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, der - aber
das kennen wir ja - einem ständigen Auszehrungsprozess unterlegen ist, und den Einzelplan 23 des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung, der erneut zurückgefahren wird,
diesmal um 2,5 Prozent, also um 98,272 Millionen
Euro. Bemerkenswert ist, dass der Kabinettsentwurf
vom Frühsommer dieses Jahres sogar noch eine Kürzung um 205 Millionen Euro vorsah. Der Bundesfinanzminister schrieb dazu in seinem Schnellbrief vom
8. Juni 2001, ganz am Ende, sozusagen unter „ferner
liefen“:
Die Bundesregierung setzt damit die bisherige
Planungslinie konsequent fort, stellt eine stabile Basis für die Gestaltung der Entwicklungspolitik der
nächsten Jahre sicher.
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Ursula Lietz
Walter Link ({0})
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
({1})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({2})
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({3})
Dr. Martin Mayer
({4})
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({5})
Claudia Nolte
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({6})
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Thomas Rachel
Hans Raidel
Christa Reichard ({7})
Erika Reinhardt
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({8})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({9})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({10})
Andreas Schmidt ({11})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Diethard Schütze ({12})
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({13})
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({14})
Gerald Weiß ({15})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({16})
Hans-Otto Wilhelm ({17})
Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({18})
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Volker Beck ({19})
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({20})
Joseph Fischer ({21})
Katrin Göring-Eckardt
Gerald Häfner
Winfried Hermann
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Reinhard Loske
Kerstin Müller ({22})
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Albert Schmidt ({23})
Werner Schulz ({24})
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Dr. Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({25})
Angesichts dieser Streichpolitik seit 1999 spricht blanker
Zynismus aus diesen Worten.
({26})
Gemäß dem Motto „kräftig reinschneiden, dann wieder
etwas weiße Salbe plus ein Trostpflaster“ - im Haushalt
2002 in Form von 102 Millionen Euro aus dem DEG-Verkauf - hat der Bundesfinanzminister wieder einmal versucht, die Entwicklungshilfe als Steinbruch zu missbrauchen. Ohne den 11. September hätte sich an dieser
Sachlage überhaupt nichts mehr geändert. Sie, Frau Ministerin, profitieren ebenso wie Ihr Kollege Scharping von
den zwischenzeitlich eingetretenen weltweiten Veränderungen. Aus dem Antiterrorprogramm in Höhe von insgesamt 1,472 Milliarden Euro erhalten Sie für Ihr Haus
102 Millionen Euro Barmittel, aber nur Verpflichtungsermächtigungen über 40 Millionen Euro. Man glaubt an einen Schreibfehler. Die Planungssicherheit, die sich hieraus ergibt, kann nur als völlig unzureichend bezeichnet
werden. Zudem weigert sich der Bundesfinanzminister,
dieses Geld im Einzelplan auszuweisen, obwohl eine genaue Aufteilung des Betrages auf alle Einzelpositionen
Ihres Etats vorgenommen wurde. Darin kommt nicht nur
das Misstrauen, sondern auch die Geringschätzung der
Entwicklungshilfepolitik durch jene im Bundesfinanzministerium zum Ausdruck, die die Entwicklungshilfe für
überflüssig, ja für herausgeschmissenes Geld halten.
Rechnet man also die aus der Terrorismusbekämpfung
zur Verfügung gestellten Mittel mit dem Ansatz des Einzelplanes 23 zusammen, so ergibt sich gerade einmal eine
schwarze Null gegenüber dem laufenden Jahr und ein Minus von rund 300 Millionen Euro gegenüber dem Etat von
1998, dem letzten Etat der CDU/CSU-geführten Bundesregierung.
Der Bundeskanzler testet jetzt mit ruhiger Hand die
Belastbarkeit der Rezession, indem der Steuerzahler Steuererhöhungen - ich nenne Versicherung- und Tabaksteuer
sowie Mehrwertsteuer - in Höhe von voraussichtlich
7 Milliarden DM - unbefristet, versteht sich - aufgebürdet werden. Diese Überfinanzierung des Antiterrorprogramms dient in Wahrheit dem Stopfen von Haushaltslöchern.
({27})
Diesen Trick kennen wir bereits durch die Einführung der
Ökosteuer. Das Manöver wird gänzlich durchsichtig,
wenn man sieht, dass das Antiterrorprogramm angeblich
langfristig angelegt sein soll, aber ausreichende
Verpflichtungsermächtigungen verweigert werden.
Angesichts der weltweiten Herausforderungen durch
den Terrorismus ist ein solches Handeln unverantwortlich. Es wird zu einem desaströsen Ergebnis führen, das in
völligem Widerspruch zu den vollmundigen Solidaritätsbekundungen der rot-grünen Bundesregierung steht.
Noch im September 2000 hatte Bundeskanzler Schröder
auf dem Millenniumsgipfel der UN die Halbierung der
weltweiten Armut bis 2015 angekündigt. Dieses Versprechen hat die gleiche Qualität wie das bereits gebrochene
Wort zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit.
({28})
Unter Bundeskanzler Helmut Kohl war es üblich, dass
die Bundesregierung auf den Anteil des BMZ-Haushalts
hinwies, der eine direkte Wirkung auf den deutschen Arbeitsmarkt hatte. Darauf legt die rot-grüne Bundesregierung offensichtlich keinen Wert mehr. Man würde das
Thema Arbeitslosigkeit heute wahrscheinlich am liebsten
totschweigen.
Die Haushaltsberatungen haben gezeigt, dass bedauerlicherweise nicht nur die Regierung, sondern auch die Regierungsfraktionen Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit als überholte Grundsätze betrachten.
({29})
Die Krisenmittelveranschlagung außerhalb des BMZHaushalts nimmt dem Parlament die Möglichkeit einer direkten Zuordnung dieser Gelder und ein Stück parlamentarische Kontrolle. Aber man kann jetzt natürlich die
Zuwendungsempfänger mit dem Hinweis auf die im Einzelplan 60 geparkten Mittel vertrösten und ruhig stellen.
Unsere Anträge im Haushaltsausschuss auf konkrete
Aufteilung wurden abgelehnt, weil dann, wenn unsere
Forderungen umgesetzt worden wären, offenbar geworden wäre, dass die Erwartungen vieler Zuwendungsempfänger eben nicht erfüllt werden.
Ähnlich verhält es sich mit dem neuen Titel „Armutsbekämpfung“ im Einzelplan 23. Da wird in einer Fußnote
darauf hingewiesen, was alles daraus bezahlt werden soll:
UN-Beiträge, die Sozialstruktur, die Stiftung, die Kirchen, die sonstigen Nichtregierungsorganisationen, die
Ernährungssicherheit, die finanzielle Zusammenarbeit
und die technische Zusammenarbeit. Alle genannten Zuwendungsempfänger haben jedoch eigene Haushaltstitel.
Man will also offensichtlich mit diesem Sammeltitel berechtigte Mehrforderungen kurz halten und abblocken.
Diese Mogelpackungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es für den BMZ-Haushalt eben nicht mehr
Geld gibt.
Unsere Erhöhungsforderungen im Haushaltsausschuss
wurden von der Regierungsmehrheit fast ausnahmslos abgelehnt, obwohl Deckungsmöglichkeiten, zum Beispiel
durch Forderungsverkäufe und Umschichtungen, möglich gewesen wären. Es ist geradezu beschämend, ja es
zeugt von sozialer Kälte, dass nicht einmal der Kirchentitel bescheiden aufgestockt werden konnte, obwohl man
bei den parteinahen Stiftungen die Verpflichtungsermächtigungen erheblich angehoben hat.
Die Bundesregierung spricht von einer gestiegenen
ODA-Quote. Ich kann mich noch gut an Folgendes erinnern: Der Regierung Kohl hat 1998 die damalige Opposition eine ODA-Quote von 0,22 Prozent zugestanden.
Inzwischen ist das Bruttosozialprodukt um rund 100 Milliarden Euro gestiegen, der Einzelplan des BMZ jedoch
um 300 Millionen Euro zurückgefallen. Nach Adam Riese
kann da die ODA-Quote nur fallen und nicht steigen.
Wenn Sie die ODA-Quote erhöhen wollen, dann müssen
Sie für die Entwicklungshilfe mehr Geld zur Verfügung
stellen oder aber das Bruttosozialprodukt muss rezessionsbedingt schrumpfen. Vielleicht setzen Sie ja auf eine
solche Entwicklung.
({30})
Zusammenfassend muss leider festgestellt werden:
Erstens. Der Einzelplan 23 nimmt unter der rot-grünen
Bundesregierung wieder nicht an der allgemeinen Haushaltsentwicklung teil und wird den neuen internationalen
Herausforderungen in keiner Weise gerecht.
Zweitens. Die Verpflichtungsermächtigungen sind völlig unzureichend für die Gestaltung einer vernünftigen,
nachhaltigen Entwicklungspolitik.
Drittens. Die mittelfristige Finanzplanung signalisiert
für die Entwicklungshilfe einen langfristigen Abwärtstrend.
Viertens. Die Nichtregierungsorganisationen werden
hingehalten, vertröstet, ja sogar getäuscht.
Fünftens. Die Länder der Dritten Welt werden in dem
Glauben gelassen, dass die ODA-Quote von 0,7 Prozent
ernst gemeint und in absehbarer Zeit realisierbar sei.
Die Bundesregierung beschränkt sich wieder einmal
auf Ankündigungen, haltlose Versprechungen und halbherzige Schritte, statt finanzielle Zeichen zu setzen.
({31})
Es geht wieder ein Stück internationale Glaubwürdigkeit
und Berechenbarkeit der deutschen Entwicklungspolitik
verloren. Die Entwicklungshilfe bleibt damit auch weiterhin ein Stiefkind der rot-grünen Bundesregierung.
({32})
Wir lehnen deshalb diesen Einzelplan ganz entschieden
ab.
Zum Schluss möchte ich mich dennoch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ihres Hauses, Frau Ministerin, dafür bedanken, dass sie versucht haben, aus diesen
unschönen Vorgaben des Herrn Bundesfinanzministers
wenigstens etwas zu machen. Auch möchte ich mich bei
den Mitberichterstattern, insbesondere bei meinem Kollegen Dr. Schnell, für die langjährige und gute Zusammenarbeit bedanken.
Ich gehöre auch zu den Kolleginnen und Kollegen, die
nicht mehr weitermachen werden. Aber ich verabschiede
mich heute nicht für immer; denn wir werden im nächsten
Jahr mit Sicherheit noch einen Nachtragshaushalt
diskutieren.
({33})
Nun erteile ich dem
Kollegen Dr. Emil Schnell das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es tut mir nicht
Leid, Herr Kollege Austermann. Ich komme im Folgenden darauf zu sprechen, warum es mir nicht Leid tut.
Wir haben nun drei Monate lang ausgabewütige Oppositionelle erlebt. Der Schuldenberg, den Sie uns hinterlassen haben, sollte noch weiter aufgetürmt werden,
({0})
nach der Devise: Was gehen mich meine Schulden von
gestern an. Die Maastricht-Kriterien werfen Sie schlicht
über den Haufen.
({1})
Sie wollen nach der Devise „und Tschüss!“ weiter auf
Kosten zukünftiger Generationen leben.
({2})
Die PDS hat mehrfach Scheingegenfinanzierungsvorschläge gebracht und will die Bundeswehr verhökern.
({3})
Mir kommt es so vor, als lebten Sie in einer anderen Welt.
Ich werde noch ansprechen, dass Sie den Eurofighter und
andere Dinge verscheuern wollen. So wird aus der notwendigen Konsolidierung und Nachhaltigkeit unserer Politik nichts.
Wir haben in den letzten Jahren immer wieder betont,
dass die Bedeutung der Entwicklungspolitik nicht unterschätzt werden darf. Besonders nach den Terroranschlägen vom 11. September ist das, so glaube ich, jedem
klar geworden. Im präventiven Bereich ist sie das wichtigste Instrument, eine Friedensinvestition neben den
Möglichkeiten für einen fairen Handel.
Entwicklungspolitische Anstrengungen, die dazu
führen, dass Armutsbekämpfung, Zugang zu Arbeit,
Bildung, Wasser, Ernährung und Gesundheitswesen,
Konfliktprävention, humanitäre Hilfe, gute Regierungsführung und Demokratisierung verbessert werden, sind
wichtiger denn je. Das sind auf jeden Fall Möglichkeiten,
dem Fundamentalismus weltweit den Nährboden zu entziehen. Die Parteitage von SPD und Grünen haben deshalb sehr deutlich herausgearbeitet: Die entwicklungspolitischen Anstrengungen müssen verstärkt und besser
koordiniert werden, auch, wie ich hinzufüge, was die
internationale, insbesondere die europäische Zusammenarbeit angeht.
({4})
Die Regierung hatte den Einzelplan 23 um circa
200 Millionen Euro im Vergleich zu 2001 gekürzt. Die
Ministerin hat erfolgreich gekämpft, sodass wir als Koalitionsfraktionen unmittelbar nach der Einbringung
durch das Kabinett die Zusage gegeben haben, eine entMichael von Schmude
sprechende Aufstockung von 102 Millionen Euro auf den
Weg zu bringen.
({5})
- Ja, das ist erfreulich. - Schließlich wurden daraus
104 Millionen Euro. Der Plafond stieg damit auf 3,7 Milliarden Euro. Die Verpflichtungsermächtigungen stiegen
um 85 Millionen Euro auf 4,23 Milliarden Euro. Insgesamt also kann man sagen: Der Haushalt für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wurde im Laufe
der Haushaltsberatungen für 2002 deutlich aufgewertet.
Aus dem Antiterrorpaket stehen dem Einzelplan 23
noch einmal 102 Millionen Euro zur Verfügung, und zwar
für ein Maßnahmenpaket, das aus drei Teilen besteht: der
kurzfristigen Krisenbewältigung durch bilaterale Kooperationsmaßnahmen, der Krisenprävention und Friedenssicherung durch strukturbildende und -erhaltende bilaterale
Maßnahmen und der Krisenprävention und Friedenssicherung durch Ausbau der Kooperationsfähigkeit von
UN-Entwicklungshilfeorganisationen und internationalen Nichtregierungsorganisationen. Dafür werden immerhin 15 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Was angesichts dieses zusätzlichen Pakets wichtig und
unabdingbar ist, ist, dass das Ministerium insgesamt
18 neue Stellen bekommen wird, um diese Aufgaben bewältigen zu können.
({6})
Ich bin sehr froh, dass die UN-Flüchtlingshilfe,
UNHCR, mit einem neuen Aktionsplan für Afghanistan
ebenfalls unsere Bemühungen eines Wiederaufbaus unterstützt. Bei der Betreuung von Flüchtlingen und deren
Rückkehr werden afghanische Frauen erstmals wieder
Arbeit finden können. Ich möchte dazu sagen, dass ich
glücklich darüber bin, dass dort wieder - ich will es einmal so sagen - gesungen werden kann, dass die Menschen
wieder ins Kino gehen und dass Mädchen wieder in die
Schule gehen können.
({7})
Ebenfalls werden aus dem Antiterrorpaket circa
80 Millionen Euro für einen Stabilitätspakt Afghanistan
und 40 Millionen Euro Verpflichtungsermächtigungen
bereitgestellt. Auch die politischen Stiftungen erhalten
aus dem Antiterrorpaket zusätzlich 2,5 Millionen Euro für
ihre Aktivitäten in Afghanistan.
Damit stehen dem Entwicklungsministerium im nächsten Jahr circa 3,88 Milliarden Euro zur Verfügung, also
deutlich mehr als im Jahr 2001 - das sage ich an meinen
Kollegen Michael von Schmude gerichtet -, auch wenn
der Einzelplan selber als Plafond nicht diese Erhöhung erfahren hat. Ich glaube, es ist wichtiger - wenn man das
Formale einmal beiseite lässt -, zu sehen, in welcher Höhe
Mittel für die Entwicklungspolitik tatsächlich zur Verfügung stehen.
({8})
Wir haben auch damit, dass die Mittel deutlich über denen von 2001 liegen, gezeigt, dass uns die Entwicklungspolitik sehr wichtig ist. Ich denke, das kann sich sehen lassen und wird auch der neuen Lage im Zusammenhang mit
dem internationalen Terrorismus gerecht. Für den Wiederaufbau, für humanitäre Hilfe, Not- und Flüchtlingshilfe sowie Projekte der Entwicklungszusammenarbeit in
Afghanistan ist somit Vorsorge getroffen.
Nun zu einem Punkt, der ebenfalls viel diskutiert
wurde, dem Stabilitätspakt Südosteuropa. Hierzu
möchte ich anmerken, dass die Umsetzung der deutschen
Zusage zum globalen Aids- und Gesundheitsfonds wahrscheinlich Gegenstand der Haushaltsaufstellung 2003 und
der Fortschreibung des Finanzplans bis 2006 sein wird.
Das heißt, wir werden die Versprechen, die von den Koalitionsfraktionen gegeben wurden, im Parlament einlösen, aber zur rechten Zeit; die Mittel werden im nächsten
Jahr in den Haushalt für 2003 eingestellt werden.
({9})
- Wir glauben das nicht nur; das wird passieren, Herr Kollege.
Es gab mehrfach Streit um die Zuordnung der Antiterrormittel. Der Kollege von Schmude hat das angedeutet.
Sie ressortieren jetzt im Einzelplan 60. Aus Sicht von seriösen, verantwortungsbewussten Haushältern ist das so
in Ordnung. Selbst die FDP war damit einverstanden. Nur
die CDU/CSU hat nicht begriffen, was Haushaltskontrolle tatsächlich bedeutet.
({10})
Wenn klar ist, welche Projekte mittel- und langfristig gut
laufen, welche Mittel in welchen Bereichen wirklich notwendig sind, wird im nächsten Jahr für 2003 das Geld in
die entsprechenden Einzelpläne eingestellt. Ich glaube,
das ist eine vernünftige Verfahrensweise, mit der sich die
große Mehrheit des Ausschusses einverstanden erklären
konnte.
Wir haben darüber hinaus - auch das ist vielleicht ein
Argument gegen das, was der Kollege von Schmude hier
angeführt hat - eine Haushaltssperre von jeweils 5 Millionen Euro in den Bereichen Auswärtiges Amt und
Entwicklungspolitik eingeführt. Auch darüber werden die
Kontrolle und die Mitwirkung des Haushaltsausschusses
und damit natürlich des ganzen Parlamentes sichergestellt
werden können. Ich denke, das ist ein hinreichendes Instrument für diese Kontrolle.
An dem Antiterrorpaket werden ebenfalls die Kirchen, die politischen Stiftungen, die NGOs und unsere
Durchführungsorganisationen, also die bewährten Instrumente der Entwicklungspolitik, mit einer erheblichen
Zahl von Projekten beteiligt sein. Es gibt eine Zusage der
politischen Leitung des BMZ, dass dort auf Ausgewogenheit geachtet werden wird. Ich denke, das ist
auch für die angesprochenen Institutionen eine vernünftige Lösung; denn so ist gesichert, dass sie auch im
nächsten Jahr mit den finanziellen Zuwendungen zurechtkommen werden.
({11})
Auch die politische Leitung des Auswärtigen Amtes
hat eine Zusage im Haushaltsausschuss gegeben. Es ging
um eine nicht unwichtige Frage, und zwar die Frage der
Reduzierung der Planstellen der Entwicklungsreferenten in den Botschaften. Die politische Leitung des Auswärtigen Amtes hat uns ganz klar gesagt - das steht auch
im Protokoll -, dass die Referentenstellen nur mit 1,5 Prozent an den Stelleneinsparungen im Hause beteiligt sind.
Es wird also nicht das passieren, was vom Auswärtigen
Amt angedroht worden war, nämlich dass man die Referentenstellen überproportional an den Stellenstreichungen
beteiligt. Das ist vom Tisch. Ich denke, wir haben da eine
gute Lösung erreicht.
({12})
Lassen Sie mich ganz kurz etwas zu einigen einzelnen
Titeln sagen, die wir aufgestockt haben und die von
größerer Bedeutung sind. Ich möchte betonen, dass das in
großer Übereinstimmung mit den Vorschlägen des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und natürlich auch mit unserer Facharbeitsgruppe geschehen ist.
Ich möchte folgende Titel anführen: Es geht zum einen
um die „Förderung der entwicklungspolitischen Bildung“ und hier speziell um das ASA-Programm, das wir
mit gerade einmal 50 000 Euro aufstocken. Da fehlt leider
das Geld, das die Bundesländer nicht mehr geben wollen.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal beklagen, dass
sich die Bundesländer zunehmend aus der Entwicklungspolitik zurückziehen. Einige Länder tun dies vollkommen,
({13})
andere teilweise. Dies ist keine gute Entwicklung. Wir
haben hiermit einen Weg gefunden, für diese Länder einzuspringen. In den nächsten Jahren muss man sehen, wie
die Bundesländer damit klarkommen, diese Dinge zu finanzieren. Es handelt sich um ein Arbeits- und Studienaufenthaltsprogramm für Afrika, Asien und Lateinamerika.
Den Titel „Beiträge an die Vereinten Nationen“ haben wir mit 10 Millionen Euro und die Verpflichtungsermächtigungen dazu mit 3,6 Millionen Euro aufgestockt.
Den Titel „Politische Stiftungen“ - diese Entscheidung
wurde im Haushaltsausschuss parteiübergreifend, also
einvernehmlich, getroffen - haben wir mit einer Verpflichtungsermächtigung von 15 Millionen Euro aufgestockt. Ich glaube, dass mittelfristig eine ausreichende Finanzierung der Stiftungen aus den verschiedenen
Bereichen, das heißt aus dem Aktionsprogramm 2015, aus
dem Antiterrorpaket und aus den anderen beschlossenen
Maßnahmen, gesichert ist.
Daneben gibt es einen wichtigen neuen Titel, und zwar
das „Aktionsprogramm 2015“. Sie wissen, dass sich die
Bundesregierung verpflichtet hat, aktiv an der Halbierung
der Armut bis 2015 mitzuwirken. Dort wurden jetzt
40 Millionen Euro bar eingestellt und immerhin 50 Millionen Euro Verpflichtungsermächtigung. Das ist nicht so
viel, wie der Fachausschuss gerne gehabt hätte. Ich glaube
aber, dass man damit arbeiten und beginnen kann, dort für
die nächsten Jahre vertraglich einzusteigen.
({14})
Ein besonderes Signal haben wir für unsere Nichtregierungsorganisationen gesetzt, denen ich auch hier
noch einmal herzlich für ihre engagierte und gute Arbeit
- man muss sagen: weltweit - danke. Wir haben hier noch
einmal 0,8 Millionen Euro zusätzlich draufgelegt, sodass
es inzwischen 19,7 Millionen Euro sind. Das ist mehr, als
im Einzelplan stand. Ich glaube, dass somit die Arbeit der
NGOs gewährleistet ist. In der bilateralen finanziellen
und der technischen Zusammenarbeit haben wir deutlich
zugelegt. Ich möchte jetzt nicht näher darauf eingehen.
Abschließend möchte ich noch die Erwartung bestärken, dass wir nicht jedes Jahr aufs Neue die Kürzungen
des Entwicklungsetats im Laufe der Haushaltsberatungen
in die Richtung korrigieren müssen, die das Parlament
eindeutig formuliert und artikuliert hat.
({15})
Für die gute Zusammenarbeit im Sinne der Entwicklungspolitik gilt mein Dank den Häusern - dem BMZ,
dem BMF und dem Bundesrechnungshof -, meinen Kolleginnen und Kollegen aus der Facharbeitsgruppe und
natürlich besonders meinen Kollegen aus der Haushaltsarbeitsgruppe. Ich bitte um Zustimmung aller Fraktionen
zu diesem deutlich aufgewerteten Einzelplan 23.
Wir lehnen die vorliegenden Entschließungsanträge
und Anträge ab. Sie haben dort im Wesentlichen Erhöhungen ohne Deckung in folgender Größenordnung gefordert.
Herr Kollege, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.
Sofort, ich bin bei meinem
letzten Satz. - Der Änderungsantrag der PDS enthält
125 Millionen Euro - in diesem Antrag wird der Eurofighter noch einmal verheizt. Im Entschließungsantrag
der FDP sind 800 Millionen Euro enthalten, obwohl sie
das Ministerium eigentlich abschaffen wollte, und auch
die CDU/CSU will erheblich aufstocken - dies alles ist
nicht gegenfinanziert.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
({1})
Nun hat der Kollege
Joachim Günther für die FDP-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Heute sprechen
wir hier eigentlich über den Einzelplan 23. Herr Kollege
Schnell, was Sie alles in diesen Einzelplan integriert haben, ist aus meiner Sicht schon erstaunlich. Denn dieser
Haushaltsplan 23 hat zwei Gesichter. Das eine Gesicht
sind die Sonntagsreden der Ministerin und der Staatssekretärin, die sicher gut gemeint sind, wie auch die Beschlüsse auf den Parteitagen. Die Realität aber ist das, was
schwarzweiß im Einzelplan 23 geschrieben steht. Dies
sieht eben ganz anders aus.
({0})
Herr Kollege Schnell, vielleicht gestatten Sie mir, dass
ich kurz aus Ihrem SPD-Parteitagsbeschluss zitiere:
({1})
Das Ziel, 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts für
die Entwicklungsarbeit zur Verfügung zu stellen,
muss auch im Rahmen des Zukunftsprogramms der
Bundesregierung deutlich werden.
Weiter unten heißt es, Deutschland werde dies stufenweise verbindlich umsetzen.
({2})
Warten wir einmal ab, wie sich dies entwickeln wird.
({3})
Aber noch toller sind in diesem Zusammenhang die
Grünen. Haben Sie Ihren Parteitagsbeschluss noch im
Kopf?
Im Bundeshaushalt 2002 müssen für Maßnahmen
der Entwicklungshilfe und der Konfliktprävention
Mittel in ähnlicher Höhe eingestellt werden, wie für
den Sicherheitspakt II und Bundeswehreinsätze im
Ausland zusammen bereitgestellt werden.
({4})
Sie haben sogar die entsprechende Zahl genannt. Es müssen für das Jahr 2002 Mittel in Höhe von über 500 Millionen DM zusätzlich bereitgestellt werden.
({5})
Warum tun Sie es nicht? Das ist doch in diesem Zusammenhang die eigentliche Frage.
({6})
War es im Endeffekt nicht Joseph Fischer, der auf
Ihrem Parteitag die zentrale Rolle beim politischen und
wirtschaftlichen Aufbau Afghanistans in den Vordergrund
gestellt hat, um damit letztendlich Ihre Truppen bei der
Fahne zu halten? Wir haben uns zwar inzwischen daran
gewöhnt, dass von rot-grüner Rhetorik in der Praxis wenig übrig bleibt. Aber gerade in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit klaffen Anspruch und Wirklichkeit sehr
weit auseinander.
({7})
Frau Ministerin, es könnte auch der Verdacht aufkommen, hinter der von Ihnen in letzter Zeit immer wieder erhobenen Forderung nach der Tobinsteuer verberge sich
die Hoffnung, dass diese weltweite Steuer im Endeffekt
mit dazu eingesetzt werden kann, die Löcher im Haushalt
des BMZ zu stopfen. Anstatt für solche neuen Steuern zu
streiten, sollten Sie sich lieber mit aller Kraft auf die Beseitigung der Schranken im Handel zulasten der Entwicklungsländer einsetzen. Deutschland und die Europäische
Union dürfen nach außen nicht den Eindruck einer
Festung machen.
Wie wichtig ein entschiedenes Eintreten für die Entwicklungschancen in der Welt ist, gerade auch im Hinblick auf die vorzeitige Vermeidung von sozialen Brennpunkten und Spannungen, zeigt sich besonders in diesen
Tagen deutlich. Die beste Entwicklungshilfe sind die Öffnung der europäischen Märkte für die Produkte der Entwicklungsländer und die Mobilisierung auch privaten
Kapitals für diese Länder.
({8})
Die Bundesregierung muss sich daher jetzt dafür einsetzen, dass die eingeläutete Welthandelsrunde den ihr erteilten Arbeitsauftrag auch wirklich erfüllt. Der Fall der
Handelsschranken wird Wohlstandsgewinne für alle,
insbesondere aber für die Entwicklungsländer, bringen:
({9})
Es ist an der Zeit, dass auch die Entwicklungsländer ihren
Anteil an der „Globalisierungsdividende“ haben. Deshalb
dürfen solche Ansprüche im Endeffekt nicht Lippenbekenntnisse bleiben.
({10})
Der weltweite Kampf gegen den Terror hat den hohen
politischen Stellenwert der wirtschaftlichen Zusammenarbeit besonders deutlich gemacht. Das haben wir
alle erkannt. Wir müssen einen Beitrag leisten, um den
terroristischen Umtrieben von vornherein den Boden zu
entziehen. Das bedeutet, dass man sich strategisch neu
ausrichtet, internationale Absprachen trifft und einen
maßgeblichen Beitrag zur Beseitigung von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Missständen leistet. Es
braucht, wenn man dies zusammenfasst, den Einsatz von
mehr Mitteln.
Hier spielt die Effektivität des Mitteleinsatzes eine
Rolle. Nach wie vor - das haben Sie ja gerade dokumentiert - werden bei uns von verschiedenen Ministerien
Mittel für die wirtschaftliche Zusammenarbeit und die
Entwicklungshilfe gegeben. Nach wie vor stehen wir als
FDP auf dem Standpunkt, dass ein Ministerium dafür ausreichen würde. Wenn Sie die Presse verfolgt haben, haben
Sie festgestellt, dass man dies in Dänemark in dieser Woche geändert hat.
Trotz kosmetischer Erhöhungen um 100 Millionen
Euro, die ja im nächsten Haushaltsjahr schon wieder
zurückgenommen werden sollen, und trotz Sonderzuwendungen aus den für den Kampf gegen den internationalen
Terrorismus zusätzlich bereitgestellten Mitteln sind Sie
von dem Ziel von 0,7 Prozent weiter entfernt als jede Bundesregierung zuvor.
({11})
Die FDP-Bundestagsfraktion wird deshalb einen Entschließungsantrag einbringen, mit dem wir diesen Abwärtstrend stoppen und Deutschland mittelfristig wieder
glaubwürdiger erscheinen lassen wollen.
Mit einem Anteil von 0,29 Prozent am Bruttosozialprodukt ist Deutschland inzwischen sogar Schlusslicht
unter den maßgeblichen europäischen Ländern geworden.
({12})
Wir stehen hinter Schweden, den Niederlanden, der
Schweiz, Frankreich und Großbritannien. Das ist die Realität.
({13})
Wir stimmen Ihrer Auffassung, Frau Ministerin, zu:
Wir können nicht weiter zurück. Die Kürzungen beschädigen die Bundesregierung. Ich sage noch etwas anderes:
Die Kürzungen beschädigen nicht nur die Bundesregierung, sondern das Ansehen Deutschlands in der Welt. Das
ist der entscheidende Punkt, den wir in diesem Zusammenhang ändern wollen.
({14})
Weil ich davon ausgehe, dass Sie Ihre auf den Parteitagen gefassten Beschlüsse ernst nehmen,
({15})
erwarte ich, dass Sie am Freitag unserem Entschließungsantrag zustimmen werden.
Herzlichen Dank.
({16})
Ich weise darauf hin,
dass wir über diesen Antrag am Freitag abstimmen. Nun
hat die Kollegin Antje Hermenau für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Herr
Kollege Günther von der FDP meint, wir hätten diesen
Etat im Laufe dieser Haushaltsberatungen nicht erhöht.
Da kann ich Sie - ich will nicht sagen: belehren - doch zumindest aufklären: Im September/Oktober haben wir den
Einzelplan 23 im Rahmen der Haushaltsberatungen um
200 Millionen DM erhöht. Weitere 200 Millionen DM
sind im Rahmen des 3-Milliarden-Pakets für den Einzelplan 60 zur Bewirtschaftung zur Verfügung gestellt worden. Ferner sind bis zu 160 Millionen DM im Einzelplan
60 - ebenfalls zur Bewirtschaftung - zur Verfügung gestellt worden. Das macht summa summarum 560 Millionen DM, die dem Einzelplan 23 im Jahre 2002 mehr zur
Verfügung stehen.
({0})
Dass die nicht alle im Einzelplan 23 stehen, hat gewisse haushaltstechnische Gründe. Hierüber gab es auch
Streit zwischen Opposition und der Koalition. Wir brauchen gar nicht darum herumzureden. Der Herr Kollege
von Schmude ist heute in seiner letzten Haushälterrede
noch einmal darauf eingegangen;
({1})
sachkundig und streitbar wie immer.
Es ist allenklar, dassderHaushalt2002-wiediesderFinanzministeramDienstaggesagthat-aufKantegenäht ist.
Das haben wir auch zugegeben. Dies ist kein Geheimnis.
Wenn man einen Haushalt derart eng fahren will, wie wir
das für das nächste Jahr machen wollen, weil wir die Nettoneuverschuldung nicht weiter erhöhen wollen - wir haben auch begründet, warum; denn man wird auch in Zukunft Geld brauchen und kann nicht den nachfolgenden
Generationen Steuern und Abgaben aufgrund einer Verschuldung aufbürden, die man jetzt macht -, muss man lernen - auch wir mussten dies schmerzhaft lernen; Ihnen
macht es doch deshalb so viel Spaß, uns hier anzugreifen,
weilSiewissen,wiewehunsdas tut-,diesePunktevordem
Hintergrund des Gesamthaushalts genau zu gewichten.
({2})
Die Opposition kennt dieses Glatteis ganz genau. Bis
1998 sind Sie selber darüber geschlittert.
({3})
Herr Kollege von Schmude, als Deckungsvorschlag erwähnen Sie die Forderungsverkäufe, die wir schon 1999
in Betracht gezogen und auch durchgesetzt haben, wissen
als alter Haushälter aber ganz genau, dass die auf die Nettoneuverschuldung durchschlagen. Das muss Ihnen doch
klar sein.
({4})
Deswegen ist Ihr Vorschlag für uns nicht seriös genug und
wir können ihn nicht annehmen.
In einem Punkt gebe ich Ihnen völlig Recht: Wir haben
ein Problem mit den Verpflichtungsermächtigungen.
Joachim Günther ({5})
Das sehe ich genauso. Daraus habe ich nie einen Hehl gemacht. Seit Jahren rede ich davon. Es war trotzdem in der
Gesamtschau des Haushalts nicht möglich, das zu ändern
und durchzusetzen. Damit müssen wir leben.
Kommen wir noch einmal auf die sich andeutende
Wahlkampfdebatte zurück. Ist das eigentlich ein Versprechen vonseiten der Opposition? Ich habe gar nichts dagegen, im nächsten Jahr eine Wahlkampfdebatte zu diesem
Thema zu führen.
({6})
Sie selber werden sich aber in Ihren innenpolitischen Problemen verfangen. Sie von der CDU/CSU werden sich gar
nicht trauen, Entwicklungspolitik zum Wahlkampfthema
zu machen.
({7})
Sie müssen nämlich, obwohl es seit dem 11. September
dieses Jahres in der Bevölkerung eine ganz andere Wahrnehmung dieses Themas gibt, befürchten, dass es ein
großer Teil Ihrer Wählerschaft ablehnen wird, über dieses
Thema zu sprechen. Das wissen Sie ganz genau. Da kann
man hier im Parlament natürlich wohlfeile Reden halten.
Kommen wir zum Stabilitätspakt Afghanistan. Ich
als Haushälterin gehe davon aus, dass es ein vernünftiges
Verhältnis zwischen dem multilateralen und dem bilateralen Mitteleinsatz geben wird. Ich möchte nicht, dass es
nur im multilateralen Bereich einfließt, auch wenn optisch
dieser Mittelabfluss durch die Einzahlungen schneller ist.
Ich bin der Auffassung, dass wir unsere eigenen Mittler
stärken müssen. Ich denke, hierüber besteht in den Koalitionsreihen Einigkeit. Ich halte auch eine Klarheit über die
Entscheidungsfindung wichtig.
Wir als Haushälter haben sehr viel Macht aus der Hand
gegeben - das hat die Opposition zu Recht kritisiert - indem wir es in den Einzelplan 60 eingestellt haben. Alles
wird exekutiv vollzogen. Deswegen soll es im Haushaltsausschuss jedes Vierteljahr einen Bericht geben, damit wir wenigstens nachvollziehen können, wie das läuft.
Ich gehe davon aus - ich denke, das gilt auch für die meisten meiner Kollegen aus dem Haushaltsausschuss -, dass
wir die Mittel, die jetzt für 2002 im Einzelplan 60 etatisiert sind, ab 2003 in den entsprechenden Einzelplänen
wiederfinden werden, das heißt auch im Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
({8})
- Das brauche ich nicht zu glauben, das weiß ich. Der
Punkt ist Folgender: Wenn Sie die Unterlagen aus der Bereinigungssitzung gelesen hätten, Herr Kollege, dann
wüssten Sie, dass das BMZ das einzige Ministerium ist,
das in den Erläuterungen zu den Regelungen im Einzelplan 60 mit einer weiteren Bewirtschaftung von 40 Millionen Euro in der Verpflichtungsermächtigung ausdrücklich erwähnt ist. Kein anderes Ministerium wird dort
ausdrücklich genannt. Das ist eine Selbstverpflichtung
des Haushaltsauschusses.
({9})
Die internationalen Gemeinschaftsaufgaben wollen
wir erweitern. Die Gemeinschaftsaufgabe der Armutsbekämpfung ist gut aufgenommen worden. Dort hat sich
die Koalition, wie ich finde, tapfer nach vorne gearbeitet.
Die deutsche Regierung und die Frau Ministerin haben
- das habe ich letztes Jahr auch in Prag mitverfolgen können - bei der Weltbank und beim Internationalen
Währungsfonds darauf hingewirkt, dieses Problem stärker zu verankern. Es gibt bei den Nehmerländern eine
stärkere Differenzierung, sodass sie bei den Strukturanpassungsprogrammen des IWF anders bedacht werden.
Das ist eine Tendenz, die wir nur verstärken können.
Folgerichtig werden in dieses Armutsbekämpfungsprogramm nächstes Jahr immerhin 40 Millionen Euro
hineingesteckt. Herr Kollege von Schmude, das heißt
nicht, dass damit zum Ausgleich für andere Haushaltslöcher alles Mögliche gefördert wird oder Leute versorgt
werden, sondern das bedeutet, dass all diejenigen, die im
Deckungsvermerk aufgeführt sind, die Möglichkeit haben, mit vernünftigen Konzepten in diesem Armutsbekämpfungsprogramm Anträge zu stellen. So läuft der
Laden.
Da wir gerade bei internationalen Aufgaben sind, will
ich bei der Armutsbekämpfung nicht stehen bleiben, sondern auch vom Klimaschutz sprechen. Der Klimawandel
schafft neue Armut. Wir können natürlich auf der einen
Seite versuchen, mit den klassischen, uns vertrauten Mitteln Armut zu bekämpfen. Auf der anderen Seite werden
wir dann das Rennen wie der Hase mit dem Igel verlieren,
weil aufgrund des Klimawandels große Flächen versteppen und verwüsten und damit die Ernährung in diesen
Ländern nicht mehr sichergestellt werden kann. Ich
denke, dass die Industrieländer in Fragen des Klimaschutzes eine Gesamtverantwortung haben. Wir werden
noch in den nächsten Jahren darüber diskutieren müssen,
ob man das global finanzieren kann. Es gibt Prüfungsanträge zur Tobin Tax und zur Carbon Tax. Das muss man
dann sehen.
Aber der Umweltverbrauch der Industrieländer ist
nicht, wie Bündnis 90/Die Grünen immer betont haben,
eine Frage der nachfolgenden Generationen in den Industrieländern, bei der es darum geht, dass auch die nachfolgenden Generationen eine Umwelt vorfinden, in der sie
leben und arbeiten können. Vielmehr ist es eine Frage derjenigen, die nicht in den Industrieländern leben. Es gibt
also auch ein zeitgleiches und nicht nur ein zeitlich nachgeordnetes Phänomen. Vor diesem Hintergrund können
wir trotz der Ereignisse vom 11. September nicht das
„normale“ Geschäft des Klimaschutzes beispielsweise
vernachlässigen.
({10})
Hier stehen wir hoffentlich an vorderster Front. Alle
Gespräche zeigen mir das. Wir selber haben den Vorschlag eingebracht, dass man auf den Galapagosinseln
dazu übergeht, die Energieerzeugung auf erneuerbare
Energieträger umzustellen, damit es dort wegen der Öllieferungen nicht mehr zu Tankerunglücken kommen
kann. Diese Verseuchungen betreffen nicht nur die bewohnten, sondern auch die unbewohnten Inseln. Sie
selbst wissen, welches Umweltkulturerbe die Galapagosinseln darstellen.
Wir sind der Meinung - deswegen haben wir in der finanziellen Zusammenarbeit dafür Geld zur Verfügung gestellt -, dass man hier eine Lösung suchen muss. Ob man
dies durch eine Verbundfinanzierung oder durch
Kreditzusagen regelt, kann man im Detail noch besprechen. Entscheidend ist, einen zweistelligen Millionenbetrag zur Verfügung zu stellen, um ein abgeschlossenes
System mit einem Pilotprojekt in der Energieerzeugung
umzustellen.
({11})
Da wir schon beim Reformbedarf sind: Als Haushälterin habe ich natürlich eine ganze Reihe von Wünschen, wie man die Entwicklungszusammenarbeit umstrukturieren und vielleicht reformieren soll. Wenn ich
bisher von den globalen Aufgaben gesprochen habe, die
man zunehmend privat finanzieren sollte, die für man aber
vor allen Dingen öffentliche Mittel benötigt, dann sollte
man auch einmal die höhere Ausdifferenzierung der Entwicklungsländer zur Kenntnis nehmen.
Seit Jahr und Tag bin ich diejenige, die in den Debatten zu diesem Etat davon spricht, dass wir unsere Instrumente stärker differenzieren müssen und wir neue Instrumente brauchen, die auch auf privates Kapital abzielen.
Damit habe ich überhaupt kein Problem. Ich glaube, dass
die meisten dieser Debatte nach und nach etwas abgewinnen können, wenn es zum Beispiel um „ethical investments“, also ethische Investitionen, die Bildung von
Fonds und die Schaffung von entwicklungspolitischen
Gütesiegeln für Bankfonds geht. Das alles kann man machen. Das geht weit über PPP und Verbundfinanzierung
hinaus.
Es ist an der Zeit, dass die meisten bei uns mit der
Selbsttäuschung aufhören, die darin besteht zu sagen:
Entwicklungszusammenarbeit hat nur etwas mit Solidarität und Nächstenliebe zu tun. Ich glaube nicht, dass man
es sich so einfach machen kann.
Die rechte Seite des Hauses hat Lernprozesse durchgemacht. Sie hat gelernt, dass bestimmte entwicklungspolitische Standards notwendig sind, damit Entwicklungszusammenarbeit nicht nur ökonomischen Interessen dient.
Die linke Seite des Hauses hat noch zu lernen, dass ökonomische Interessen die Entwicklungszusammenarbeit noch
lange nicht verderben. Ich denke, wir befinden uns auf einem guten Weg. Mir ist es wichtig, in den entsprechenden
Fragen weiter nach vorne zu kommen.
Die Gelegenheit, die wir jetzt haben - unsere Debatte
erfährt erhöhte Aufmerksamkeit von Bevölkerungskreisen, die normalerweise nicht zu den „üblichen Verdächtigen“ gehören, wie zum Beispiel die Kirchenkreise, die
Eine-Welt-Läden und die NGOs; es handelt sich um Menschen, die sich sonst nie mit Entwicklungszusammenarbeit beschäftigen -, müssen wir nutzen. Wir müssen neue
Partner finden. Aber das geht nur mit neuen Ideen und
neuen Instrumenten. Deswegen spreche ich immer wieder
von der Reform der bilateralen Zusammenarbeit, in der
sich der private Sektor - das kann ich mir vorstellen - stärker engagieren soll und in der neue Partner gefunden werden müssen. Sektoren, in denen das geschehen könnte,
sind zum Beispiel die Wasserversorgung, die Abwasserbehandlung oder die Energieerzeugung, wie zum Beispiel
das erwähnte Projekt oder andere Projekte, die mit privatem Kapital gestärkt werden können und nicht alleine
durch öffentliche Zuschüsse finanziert werden müssen.
Ich glaube, dass wir uns diesen Aufgaben widmen müssen. Wir können uns nicht mehr darum herumdrücken;
denn schließlich haben wir ganz andere Aufgaben vor uns.
Die Diskussionen über die Reform der Entwicklungszusammenarbeit werden im nächsten Jahr stattfinden. Das
ist zwei Monate nach dem 11. September gar nicht möglich. Aber das kann, wie ich schon sagte, gerne ein Wahlkampfthema werden.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat nun der
Kollege Carsten Hübner von der PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt
2002 ist der Haushalt, mit dem wir in den kommenden
Bundestagswahlkampf gehen. Das ist bereits erwähnt
worden. Er ist der Beleg dafür, ob die Bundesregierung
tatsächlich das gehalten hat, was sie den Bürgerinnen und
Bürgern vor der letzten Wahl und in der Koalitionsvereinbarung versprochen hat. Des Weiteren ist er Ausdruck
dafür, ob im Kampf gegen den internationalen Terrorismus das Militärische oder, wie wieder und wieder betont
wird, eine verstärkte Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik dominieren soll.
Der Einzelplan 23 ist in der einen wie in der anderen
Hinsicht ein Armutszeugnis. Er wird weder den strukturellen noch den aktuellen Herausforderungen gerecht.
Das muss hier ganz deutlich und schnörkellos gesagt werden. Er liegt finanziell weit unter dem der letzten Kohlregierung. Selbst der niedrige Stand des Ansatzes für die
EZ, über den wir heute diskutieren, ist nur durch Tricks,
nur durch die Verlagerung der Mittel, aber auch der Aufgaben aus dem Stabilitätspakt Südosteuropa und dem
Transform-Programm, den Verkauf der DEG und durch
Mittel aus dem Antiterrorpaket, zustande gekommen.
Ansonsten läge der Ansatz für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit im Einzelplan 23 bereits jetzt unter 7 Milliarden DM.
Die 0,7 Prozent vom Bruttosozialprodukt, wie es vor
inzwischen rund 30 Jahren von den Industrienationen beschlossen worden ist, sind jedenfalls ferner denn je,
ebenso wie ein solider und nachhaltiger Aufwuchs des
Einzelplans. Die Rasenmähermethode, mit der der Kollege Eichel jedes Jahr aufs Neue den Haushalt traktiert,
spottet jedenfalls all den schönen Worten, die wieder und
wieder von der Bundesregierung mit Blick auf die Bedeutung der Entwicklungszusammenarbeit und der zivilen Konfliktprävention zu vernehmen sind.
({0})
Darauf haben ja kürzlich auch Welthungerhilfe und Terre
des hommes in ihrem Bericht über die Wirklichkeit der
deutschen EZ verwiesen. Als gelte es nicht endlich, auch
beim Sparen Prioritäten zu setzen sowie globale
Notwendigkeiten zu erkennen und ihnen auch Rechnung
zu tragen!
Ich frage Sie ernsthaft, liebe Kolleginnen und Kollegen
der Regierungskoalition: Kann man, ja darf man sich in
einer Zeit, in der 1,2 Milliarden Menschen auf der Welt in
extremer Armut leben, in der 1 Milliarde Menschen ohne
Zugang zu sauberem Trinkwasser und weitere 2 Milliarden Menschen ohne sanitäre Anlagen auskommen müssen, in der mehr als 800 Millionen Menschen auf der Welt
dauerhaft an Hunger und seinen Folgeerscheinungen leiden und 60 Millionen Menschen in 33 Ländern laut Welternährungsorganisation FAO akut vom Verhungern bedroht sind, einen Entwicklungshilfeetat leisten, der
gerade noch ein Drittel von dem ausmacht, was international einmal vereinbart worden ist? Wie will die Bundesregierung eigentlich in die internationale Konferenz
zur Entwicklungsfinanzierung im März 2002 gehen,
wenn sie nicht einmal ihre eigenen Hausaufgaben gemacht hat, wenn der Einzelplan 23 schrumpft, während
der Gesamtetat steigt?
Ich frage Sie: Registriert man in der Bundesregierung
und im Finanzministerium nicht, dass Schwarzafrika im
Meer der Aids-Toten zu ertrinken droht, dass derzeit pro
Jahr etwa 700 000 Menschen neu an Lepra und 8 Millionen bis 10 Millionen Menschen neu an Tuberkulose erkranken, während sich unsere Pharmaindustrie nur um
ihren Profit schert? Nimmt man von diesem ganzen Elend
wirklich immer erst dann Notiz, wenn die Elenden aufbegehren oder ihr Elend von Ideologen wie Bin Laden für
Terroranschläge instrumentalisiert wird? Wen wundert es
da noch, wenn man uns in vielen Teilen der Welt für
selbstgerecht und doppelzüngig hält?
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht nicht
nur um die Höhe des Etats, nicht nur um die Quantität.
Auch seine Struktur, seine Qualität hat sich weder der
neuen Lage in Afghanistan noch den ehrgeizigen Plänen
zur Reduzierung der Armut bis 2015 oder den besonderen
Notwendigkeiten der gegenwärtigen Lage in den allermeisten Entwicklungsländern angepasst.
({1})
Jede und jeder hier weiß etwa um die besondere Rolle
der Frauen für Entwicklung. Alle wissen um die Bedeutung des ländlichen Raums und lokaler Märkte zur
Bekämpfung der schlimmsten Formen von Armut. Auch
in Afghanistan ist dies jetzt eines der drängendsten Probleme. Dreiviertel der Armen und Ärmsten auf dieser
Welt leben in ländlichen Regionen.
Gibt es aber ein entsprechendes Förderprogramm, einen gesonderten Haushaltstitel? Fehlanzeige! Auch gibt
es keine deutliche Aufstockung der Mittel für diese Bereiche. Stattdessen gibt es einen gesonderten Haushaltstitel für PPP, für die Integration privater Investoren und damit auch ihrer Profitinteressen in Entwicklungsprojekte.
PPP ist ja inzwischen gewissermaßen zum Zauberwort in
der EZ geworden, obwohl niemand mit Fakten belegen
kann, warum dies eigentlich so ist.
Ich kann Ihnen nur sagen, dass die Bundesrepublik im
Jahr 2000 für weit mehr Geld Rüstungsgüter exportiert
hat, als für die Entwicklungshilfe etatisiert ist. Lieferungen für über 1 Milliarde DM gingen in Länder der so genannten Dritten Welt, in Länder, in die auch EZ und FZ
fließen. Viele der Konzerne, die diese Rüstungsgüter liefern oder auf ihren Patenten im medizinischen Bereich
bestehen oder Profite mit aberwitzigen Großprojekten
machen wollen, sollen nun unser Partner in der Entwicklungszusammenarbeit sein. Man muss nicht in der
PDS sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, um das als absurd zu empfinden.
({2})
Meine Fraktion wird jedenfalls den Haushaltsentwurf
der Bundesregierung entschieden ablehnen. Er ist eine
Kampfansage an die Entwicklungspolitik. Dem Entschließungsantrag der CDU/CSU werden wir zustimmen.
Beim Antrag der FDP werden wir uns enthalten, weil die
Aufstockungen unrealistisch und inhaltlich leider nicht
genügend untersetzt sind.
Vielen Dank.
({3})
Nun hat die Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort.
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Afghanistan besteht die historische Chance - daher sollten wir
unsere Gedanken auch auf die richten, die auf dem Petersberg tagen -, endlich die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in diesem von Bürgerkrieg, Krieg
und Hungersnöten geschundenen Land grundlegend neu
zu ordnen. Jetzt ist die Stunde der Politik. Wir müssen nun
dazu beitragen, dass die demokratische Teilhabe aller Bevölkerungsteile sowie die Verwirklichung der Menschenrechte und der Frauenrechte endlich gesichert werden.
({0})
Diese Aufgabe, die auch eine entwicklungspolitische Aufgabe ist, stellt sich uns.
Eben hat Herr Hübner die Frage angesprochen, was für
Afghanistan eigentlich getan wird. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, wir haben die Voraussetzungen zum Wiederaufbau schon dadurch geschaffen, dass Experten der
Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit - ich habe
mit ihnen vorhin Kontakt gehabt - in Afghanistan sind,
die mit den Beteiligten vor Ort darüber sprechen, was
beim Aufbau des Bildungssystems und der Krankenhäuser sowie bei der Versorgung der Bevölkerung gemacht
werden kann. Wir wollen bei allem helfen, was notwendig ist, damit die Menschen wieder eine Lebenschance haben. Die Leistungen der Menschen, die dort bei solchen
Einsätzen ihre Arbeit leisten, sollten anerkannt werden.
({1})
Die Experten der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit haben uns gesagt, dass Menschen, die ihnen
dort begegnet sind und der deutschen Sprache mächtig
waren, zum Ausdruck gebracht hätten, dass sie sich darüber freuen, dass auch Deutsche bereit sind, diese Hilfe
für sie zu leisten.
Im Übrigen findet zur gleichen Zeit eine Konferenz in
Islamabad statt, bei der die Weltbank, die Asiatische Entwicklungsbank und UNDP mit den Geberländern - also
auch mit uns - über die weiteren Fragen des Wiederaufbaus diskutieren. Die Zahlen, die in diesem Zusammenhang für unseren Haushalt von Bedeutung sind, weisen
aus, dass wir mindestens 80 Millionen Euro für den Wiederaufbau in Afghanistan zur Verfügung stellen. Dieser
Betrag kann aufgestockt werden, wenn es notwendig ist.
Dass es notwendig sein wird, ist, glaube ich, bereits deutlich geworden.
Bei allem, was wir tun, müssen die Rechte und die Beteiligung der Frauen besonders im Blick gehalten werden. Wir müssen alles dafür tun, dass die Stärke der
Frauen in Afghanistan endlich auch für den Wiederaufbau
genutzt werden kann. Afghanistan kann es sich nun wirklich nicht länger leisten, auf die Frauen als Entwicklungsmotor zu verzichten.
({2})
An die Adresse derjenigen Kollegen, die das nicht immer so präsent haben, sage ich:
({3})
In den 80er-Jahren waren etwa 70 Prozent aller Unterrichtenden Frauen. Das zeigt, wie groß das Maß der Entrechtung war und wie wichtig es ist, dass wir diesen Prozess der Befreiung von unserer Seite aus politisch,
humanitär und auch durch den Wiederaufbau angemessen
unterstützen.
Es geht darüber hinaus aber auch darum, dass wir der
gesamten Region ein Angebot unterbreiten. Das haben
wir in Bezug auf Zentralasien getan. Wir wollen unsere
Finanzmittel für diese Region verkoppeln und die regionale Zusammenarbeit, die Förderung von Demokratie und
die soziale Marktwirtschaft gleichermaßen voranbringen.
Ich habe im Rahmen meiner Reise nach Pakistan vereinbart, auf welchen Feldern wir zukünftig zusammenarbeiten werden. Dazu zählt die Bildung. Vor allen Dingen
die Madrassas, die Koranschulen, müssen beiseite geschoben werden,
({4})
damit dieser Form von Gehirnwäsche endlich ein Ende
bereitet wird. Das sind nicht meine Begriffe, sondern die
meiner pakistanischen Gesprächspartner.
Weiter gehört dazu der gesamte Bereich der Förderung demokratischer Prozesse. Im Rahmen einer Schuldenumwandlung für Entwicklungsprojekte können
100 Millionen DM für Maßnahmen zur Armutsbekämpfung freigesetzt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie alle sprachen
heute Abend wahrheitsgemäß an, dass die Entwicklungszusammenarbeit im Zuge der aktuellen Entwicklungen
eine enorme Aufwertung erfahren hat.
({5})
Die Menschen in Deutschland spüren erst jetzt - dieses
Bewusstsein müssen wir zunehmend verankern -, dass
Entwicklungszusammenarbeit nicht nur eine „Sache der
guten Menschen“ ist, wie einige dachten und vielleicht
immer noch denken. Nein, die Entwicklungszusammenarbeit liegt auch in unserem eigenen Interesse.
({6})
Die Menschen haben doch gespürt: Entweder wir bringen
Sicherheit für die Menschen in allen Regionen der Welt
oder die Unsicherheit steht im wahrsten Sinne des Wortes
vor unserer Haustür. Das ist eine grundlegende Veränderung im Denken, die auch Konsequenzen haben muss.
Deswegen sage ich - to whom it my concern -: Die heutigen Haushaltsberatungen können nur der Auftakt für
eine deutliche und dauerhafte Trendwende des Entwicklungshaushalts in den vor uns liegenden Jahren sein.
({7})
Das müssen alle hören und daraus Konsequenzen ziehen.
Wir brauchen ein „Entwicklungsjahr“, in dem es darum gehen muss, greifbare Fortschritte für eine sozial
gerechte und ökologisch tragfähige Gestaltung der Globalisierung zu erzielen. Deshalb geht es darum, die anstehenden Konferenzen zur Entwicklungszusammenarbeit,
zum Beispiel die Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung im März in Monterrey
({8})
und die Konferenz in Johannesburg für nachhaltige Entwicklung - „Rio plus 10“ - zu nutzen, um dieses Bündnis
der globalen Verantwortung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern auch hinsichtlich der Finanzierung der
Entwicklungszusammenarbeit voranzubringen.
Wir alle wissen, dass Entwicklungspolitik als langfristige Friedenspolitik nicht nur in Krisenzeiten und bei akuter Bedrohung durch Terror Konjunktur haben darf, sondern diese dauerhaft haben muss.
({9})
Wenn wir das Ziel erreichen wollen, die Armut zu halbieren, dann heißt das auch, dass wir in den Haushalten, und
zwar auch in denen, die noch vor uns stehen, Konsequenzen ziehen müssen. Ich kämpfe dafür. Jeder weiß, dass ich
unter Einsatz meiner Person auch bei diesem Haushalt
dafür gekämpft habe.
Was wir im Bundestag bei der Debatte zum Einsatz der
Bundeswehr im Zusammenhang mit den terroristischen
Angriffen auf die USA - leider nicht mit Zustimmung der
Oppositionsfraktionen - erreicht haben, ist die Verankerung der Formulierung, dass wir das Ziel „0,7 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes für die Entwicklungszusammenarbeit“ schrittweise und in festgelegten Abschnitten erreichen wollen. Dieses Ziel will ich hier noch einmal ausdrücklich betonen. Die Bundesregierung wird dieses Ziel,
das die Vorgängerregierung völlig aus dem Auge verloren
hatte, schrittweise und nach einem transparenten Zeitplan
umsetzen. Darauf können Sie sich verlassen und darauf
können sich auch die Menschen in den Entwicklungsländern verlassen.
({10})
An die Adresse der CDU darf ich einmal Folgendes sagen: Liebe Kollegen und Kolleginnen, wenn Sie den Antrag, den Sie formuliert haben, doch mit dem verglichen
hätten, was Sie gemacht haben! Sie haben 1992 an dem
Beschluss des Gipfels von Rio mitgewirkt. Da betrugen
die Mittel für die offizielle Entwicklungszusammenarbeit,
„official development aid“, in Deutschland 0,37 Prozent
des Bruttosozialprodukts. Dann ging es Jahr für Jahr abwärts, bis herunter auf 0,26 Prozent im Jahr 1998. Das
heißt: Sie haben das genaue Gegenteil dessen gemacht,
was Sie heute fordern.
({11})
Im Übrigen bin ich es aber leid, dass wir parteipolitisch
dauernd herumstreiten. Lassen Sie uns doch gemeinsam
dafür sorgen, dass die Stimmung und die Erwartung in der
Bevölkerung im Hinblick darauf, dass sich etwas ändern
muss, vorangebracht wird, damit Fortschritte erreichbar
werden, die schließlich den Menschen helfen, für die wir
alle uns engagieren.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch ein
paar Punkte nennen, die wir angepackt haben bzw. die
noch angepackt werden müssen.
Erstens, Armutsbekämpfungsprogramm. Es hieß
hier, es seien zusätzlich 40 Millionen Euro für dieses Programm verankert worden. Aber die Wahrheit ist doch
- das muss jeder dazusagen -: 925 Millionen Euro im gesamten Haushalt der Entwicklungszusammenarbeit sind
auf Armutsbekämpfung orientiert. Wir haben jedenfalls
vonseiten der OECD vor wenigen Tagen ein riesiges Lob
dafür bekommen, dass wir uns auf das Armutsminderungsziel verpflichtet und dieses Armutsbekämpfungsprogramm vorgelegt haben. Das wird verankert und entsprechend umgesetzt.
({13})
Zweiter Punkt, Aidsbekämpfung. 70 Millionen Euro
haben wir schon für die bilaterale Arbeit verankert. Ich bin
aber dagegen, dass wir hier mit Scheuklappen antreten.
Dass wir es geschafft haben, bei der WTO-Konferenz
dafür zu sorgen, dass die Entwicklungsländer billige
Medikamente zur Aidsbekämpfung in ihrem eigenen
Land erzeugen oder in ihr Land einführen können, ist
doch ein größerer entwicklungspolitischer Erfolg, als ihn
ein kleiner Etat mit einem bestimmten Millionenbetrag
vielleicht erreichen kann.
({14})
- Wir reden über Politik und nicht über einzelne Striche
im Kalender. Ich bitte Sie!
({15})
Dieses neue Denken und nicht das Fixieren auf die Uraltkämpfe, die ausgetragen worden sind, bringt uns voran.
Wir finanzieren den globalen Fonds zur Bekämpfung
von Aids, Malaria und Tuberkulose im Umfang von
150 Millionen Euro. Die werden wir nach den Ergebnissen der Verhandlungen über den Fonds schrittweise in den
Haushalt einstellen.
({16})
Dritter Punkt, Handelsliberalisierung. Herr Günther,
was Sie gesagt haben, ist ja alles wunderbar. Aber wer hat
denn die „Everything-but-arms-Initiative“, nämlich die
Möglichkeit der ärmsten Entwicklungsländer, alle Güter
in die EU zu exportieren, durchgesetzt? - Das haben wir
durchgesetzt! Ich weiß, wie die Agrarpolitik der früheren
Regierung ausgesehen hat. Das haben erst wir geändert
dahin gehend, dass die Agrarinteressen zugunsten der
Entwicklungsländer zurückgedrängt worden sind. Das ist
ein Riesenerfolg.
({17})
Der beteiligte frühere Minister weiß genauso wie ich, wovon die Rede ist. Das ist ein großer Erfolg und muss in der
WTO-Runde, die jetzt begonnen hat, seine Fortsetzung
finden. Gleiches gilt für die Reduzierung der Exporterstattungen.
Eines ist auch klar: Wir müssen den ärmsten Entwicklungsländern im Rahmen der technischen Zusammenarbeit mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stellen - und
wir werden das auch tun -, damit sie handelspolitisch von
der Globalisierung profitieren können. Von selbst kommt
das nicht.
({18})
Sie haben zum Teil gar nicht die entsprechenden gesetzlichenVoraussetzungenundbrauchendeshalbUnterstützung.
Sonst werden sie die Globalisierung als Last empfinden.
Viertens. Afrika war und ist nach wie vor eine Schwerpunktregion der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Ich bin froh, dass Frau Kollegin Eid, die Parlamentarische Staatssekretärin in unserem Ministerium, als
persönliche Beauftragte des Bundeskanzlers das Konzept
für den G-8-Gipfel mit vorbereitet.
({19})
Für den gesamten Bereich Afrika stehen in der bilateralen
Entwicklungszusammenarbeit 400 Millionen Euro zur
Verfügung.
Fünftens. Wir haben das Cotonou-Abkommen beschlossen; es ist vor 14 Tagen vom Deutschen Bundestag
ratifiziert worden. Ich finde, es ist eine Schande, dass das
sozusagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschehen
ist. Nach diesem Abkommen werden 13,8 Milliarden Euro über fünf Jahre zur Verfügung gestellt, davon
der zweitgrößte Betrag, 3,2 Milliarden Euro, von der Bundesrepublik Deutschland. Dieses Konzept macht deutlich:
Ja, es geht zwischen Industrie- und Entwicklungsländern.
Ja, ein fairer Interessenausgleich ist möglich. Das haben
wir voran gebracht. Das ist ein Riesenerfolg, zumal für die
afrikanischen Länder.
({20})
Frau Ministerin, Sie
haben die vorgesehene Zeit schon ein wenig überzogen.
Ich
wollte zum Schluss sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Entwicklungszusammenarbeit hat sich verändert, nicht nur nach dem 11. September, sondern auch
schon vorher. Wir brauchen zum Beispiel mehr Akteure.
Herr Hübner, die 500 Unternehmen, mit denen wir in der
Entwicklungszusammenarbeit partnerschaftlich zusammenarbeiten, tun etwas für erneuerbare Energie, für Energieeffizienz, für den Wassersektor. Das ist doch Klasse.
Warum sollen wir das aus öffentlichen Mitteln der
Entwicklungszusammenarbeit bezahlen, wenn der private
Sektor in dem Bereich tätig werden kann?
({0})
Letztlich ergeht mein Appell an Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich kenne solche Situationen, in denen man das Gefühl hat: Jetzt geht es finanziell um viel.
Es geht darum, dass wir den Weg fortsetzen, der zu Konfliktlösungen führt, mit denen wir verhindern, dass erst
dann Mittel zur Verfügung stehen, wenn Katastrophen
eingetreten sind.
({1})
Lassen Sie uns dazu beitragen, dass wir die Mittel vorher
einsetzen, und lassen Sie uns eine Politik betreiben, die
versucht, im Interesse der Menschen Katastrophen zu verhindern. Für diese Politik müssen wir stehen.
Ich bedanke mich sehr herzlich.
({2})
Als Letzter in dieser
Aussprache hat der Kollege Klaus-Jürgen Hedrich für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf zitieren:
Die Entwicklungspolitik muss mit dazu beitragen,
dass im Sinne einer globalen sozialen Marktwirtschaft faire internationale Wettbewerbs- und Wirtschaftsbeziehungen geschaffen werden und der spekulative Kasinokapitalismus verhindert wird.
Um die damit verbundenen Aufgaben und die zentralen Ziele einer nachhaltigen, menschenwürdigen
Entwicklung und Armutsbekämpfung wirksam zu
gestalten, wollen wir in den nächsten Jahren die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit auf 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes erhöhen.
({0})
Nutzen wir den weltpolitischen und vielleicht ja auch
den moralischen Aufbruch der gegenwärtigen Krise,
um die Entwicklungspolitik zu stärken und die
menschliche Entwicklung auf der ganzen Erde zu
fördern.
({1})
Recht hat die Vortragende. Das sagte nämlich die entwicklungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion auf
dem SPD-Parteitag, der gerade stattgefunden hat.
({2})
Es ist bezeichnend, dass nach dem letzten Satz die Formulierung folgt:
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
dürfen nicht wortbrüchig werden.
Diese Formulierung stimmt nicht. Sie hätte sagen müssen:
Wir dürfen nicht weiter wortbrüchig sein, sondern wir
müssen endlich unsere Politik ändern.
({3})
Die Entwicklungspolitik der jetzigen Bundesregierung
ähnelt nach wie vor einem Konzept gebrochener Versprechungen. Was sollte das eigentlich, dass die Entwicklungshilfeministerin dieser Bundesregierung bei dem
letzten EU-Ministerrat gesagt hat - das war durchaus anerkennenswert -:
Die Bundesregierung hat sich dafür eingesetzt, dass
der Göteborger Beschluss zur Erreichung des 0,7Prozent-Ziels bekräftigt und präzisiert wurde.
Die Antwort auf die präzise Frage der Opposition im
Fachausschuss an die Vertreterin der Leitung des Hauses,
was das konkret bedeute, hieß: Die Kommission ist aufgefordert worden, mit den nationalen Regierungen darüber zu reden, dass sie diesem 0,7-Prozent-Ziel näher
kommt. Daraufhin fragten wir: Sehr geehrte Frau StaatsBundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
sekretärin, haben Sie etwas präzise vorgelegt? Diese
Frage wurde verneint. Als Nächstes wurde die Frage gestellt: Gibt es Überlegungen der Bundesregierung, dieses
Ziel in die nächste mittelfristige Finanzplanung konkret
einzubauen? Auch das wurde von der Staatssekretärin
verneint. Ich habe natürlich mit Vergnügen zur Kenntnis
genommen, dass der anwesende Vertreter des Finanzministers, Karl Diller, aufgrund Ihrer Ermahnungen, Frau
Ministerin, sofort mitgeschrieben hat und das jetzt umsetzen wird. Davon gehe ich selbstverständlich aus.
({4})
Daran wird deutlich: Sie machen Ankündigungen und
setzen sie dann nicht um. So rufen Sie Enttäuschung nicht
nur in der, wie man so schön sagt, nationalen Szene, sondern auch in den internationalen Organisationen und insbesondere bei unseren Partnerländern hervor. Sie kündigen etwas an und machen es dann nicht.
({5})
Allerdings ist die Ministerin - das muss man ihr bescheinigen - durchaus lernfähig und nicht beratungsresistent. Sie kündigte bei einer entsprechenden Diskussion
im Fachausschuss an, dass der so genannte Konzentrations- und Schwerpunktsetzungsprozess in Gänze überprüft werde. Wir haben ihr vorher gesagt, dass die Sache
nicht aufgeht; es findet sich eine Widersprüchlichkeit
nach der anderen. Die Ministerin ist nach Äthiopien gefahren und kündigte die Wiederaufnahme der Entwicklungshilfezusammenarbeit mit Äthiopien an, obwohl dieses Land gar nicht im Konzentrationsprozess vorgesehen
ist - und das ohne vorige Konsultation mit dem zuständigen Fachausschuss. Die Zusage, dass bei einer Überprüfung der Konzentrationsliste das Parlament an dem
Entscheidungsprozess beteiligt werde, wurde nicht eingehalten.
Ein anderes Beispiel. Wir haben die Bundesregierung
gefragt: Warum haben Sie von den fünf zentralasiatischen
Ländern drei in die Liste aufgenommen und zwei nicht?
Uns wurde groß und breit erklärt, beispielsweise Tadschikistan erfülle die innenpolitischen, demokratischen und
sicherheitspolitischen Voraussetzungen nicht. Nach den
Geschehnissen des 11. September aber fuhr der Außenminister - nicht die Entwicklungshilfeministerin - nach
Tadschikistan und kündigte die Aufnahme der EZ an.
Natürlich haben sich zwischenzeitlich die Voraussetzungen für die EZ in Tadschikistan in keiner Weise geändert.
Herr Fischer hat dies allerdings auch nicht behauptet.
({6})
Ich kreide es dieser Bundesregierung ein bisschen an
- sofern wir den Anspruch der Moral in diese Debatte einbringen wollen -, dass sie in ihrem Konzept ({7})
korrekterweise müsste man sagen: in ihren Überlegungen - die sich jetzt bietende Chance nicht genutzt hat, mit
den Ländern, die zwar Mitglied der Antiterrorallianz sind,
aber deshalb bei weitem noch keine Demokraten, ein
ernstes Wort zu reden, beispielsweise mit Herrn Karimow
in Usbekistan. Das ist bisher seitens der Bundesregierung - wie übrigens von der gesamten internationalen Gemeinschaft - nicht erfolgt, weil man sagt: Jetzt ist es wichtiger, dass wir die Herrschaft der Taliban in Afghanistan
beenden; übermorgen oder überübermorgen werden wir
mit diesen Ländern einmal über die Verbesserung ihrer innenpolitischen Verhältnisse reden.
Wenn wir das aber nicht schon jetzt machen, dann laufen wir Gefahr, dass in diesen Ländern demokratische Reformen und Verbesserungen der Menschenrechtssituation
nicht erfolgen und wir in den Ländern, von denen ich hier
gerade gesprochen habe, die nächste Generation von Gewalttätern und möglicherweise von Terroristen heranzüchten.
({8})
Wir müssen den Diskussionsprozess jetzt nutzen und mit
diesen Partnerländern ein sehr deutliches Wort reden.
Wenn wir wirklich von Krisenprävention reden wollen,
sind in der mittelfristigen Überlegung eigentlich nur diejenigen in der Antiterrorallianz glaubwürdige Partner, die
das erfüllen, was sie selbst, beispielsweise in der Wiener
Menschenrechtskonvention, zugesagt haben. Wenn wir
diesen Konflikt jetzt beiseite wischen, dann werden wir
auch in Zukunft Probleme haben.
({9})
Mich wundert übrigens auch, dass es inzwischen die
CDU/CSU ist, die hin und wieder ein ernstes Wort mit den
Amerikanern redet. Wir haben unseren amerikanischen
Freunden gesagt: Passt bei der zukünftigen Entwicklung
auf; die Taliban sind ja nicht von ungefähr an die Macht gekommen. Wenn man ökonomische Interessen über die Interessen von Menschen und über die Menschenrechte
stellt, dann ist das eine kritische Situation. Wenn - wofür
wir als Union nachhaltig eintreten - wir für eine „uneingeschränkte Solidarität“ im Bündnis plädieren, dann müssen
wir diese uneingeschränkte Solidarität im Bündnis auch
nutzen. Die Respektierung von Menschenrechten, die Humanität und vielleicht auch der eine oder andere moralische Ansatz sollten in diesem Bündnis Priorität haben.
Im Bereich der bereits angesprochenen Schwerpunktsetzung, Frau Ministerin, sind einige ganz merkwürdige
Sachen aufgetaucht; wir haben jetzt auch versucht, das in
einer Anfrage zu klären. Sie haben eben von der Bedeutung von Bildung gesprochen. In den letzten Verhandlungen auf Regierungsebene aber ist lediglich viermal der
Schwerpunkt Bildung aufgetaucht. Es kann doch, wie Sie
selbst im Fachausschuss eingeräumt haben, nicht im Interesse unserer Politik sein, dass wir plötzlich die Bildung - die Grundbildung und die Weiterbildung, gerade
auch der weiblichen Bevölkerung - zurückstellen. Dies
muss nachhaltig überprüft werden. Deshalb fordern wir
Sie auf, Frau Ministerin, Ihr Konzentrations- und Schwerpunktpapier zu überprüfen und dem Fachausschuss ein
neues vorzulegen.
Ich schließe mit zwei Hinweisen. Wenn Sie hier groß
und breit über Aids reden, Frau Ministerin, dann muss ich
Ihnen sagen: Es war der Bundeskanzler, der 300 Millionen DM für dieses Feld zugesagt hat. Im Haushalt und in
der mittelfristigen Finanzplanung ist von dieser Zusage
weit und breit nichts zu sehen. Da müssen Sie sich doch
wenigstens die Frage gefallen lassen: Was soll denn daraus werden? Auch hier gilt: große Ankündigungen, in der
Umsetzung aber praktisch nichts.
Es geht aber noch weiter: Um Ihre Truppen zusammenzuhalten, haben Sie im Rahmen des Mazedonien-Beschlusses schnell einen Antrag in dieses Haus eingebracht
und verabschiedet, in dem Sie festgelegt haben, dass Sie
eine Strategie für die Entwicklung auf dem Balkan und
insbesondere für Mazedonien vorlegen wollen.
({10})
- Prima! Der Punkt ist aber: Weder im Haushalt noch im
Fachausschuss ist etwas Entsprechendes zu Mazedonien
vorgelegt worden. Wenn Sie, meine sehr verehrten Damen
und Herren von den Koalitionsfraktionen, Anträge vorlegen, die Sie selbst nicht ernst nehmen, wer in der Republik soll sie dann überhaupt ernst nehmen?
Herzlichen Dank.
({11})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar
zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der
Fraktion der PDS auf Drucksache 14/7601. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Änderungsantrag ist abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/7602. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen?
- Wer enthält sich? - Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23
in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Gegen die Stimmen von
PDS, CDU/CSU und FDP ist der Einzelplan 23 angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 16
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
- Drucksachen 14/7315, 14/7321 Berichterstattung:
Abgeordnete Waltraud Lehn
Oswald Metzger
Heidemarie Ehlert
Zum Einzelplan 16 liegen zwei Änderungsanträge der
Fraktion der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Jochen Borchert für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die erfolglose Umweltpolitik der
Regierung Schröder wird mit dem Haushalt 2002 fortgesetzt.
Während der Bundeshaushalt im kommenden Jahr
nach den Beratungen im Haushaltsausschuss um rund
1,5 Prozent steigt, sinkt der Haushalt des Bundesumweltministeriums um 5,7 Prozent. Damit stehen dem Bundesumweltministerium im nächsten Jahr rund 65 Millionen
DM weniger als in diesem Jahr zur Verfügung.
Noch deutlicher wird die kritische Entwicklung, wenn
man den Haushalt 2002 mit dem Haushalt 1998 vergleicht, dem letzten Haushalt der Bundesregierung unter
Helmut Kohl. Seit damals ist der Haushaltsansatz um
11,5 Prozent gesunken oder um 137 Millionen DM zusammengestrichen worden.
({0})
Gleichzeitig werden im Haushalt immer weniger Mittel für Umweltprogramme angesetzt, da immer mehr Mittel für die Verwaltung benötigt werden: Über 50 Prozent,
genau 52 Prozent, werden im nächsten Jahr für die Verwaltung benötigt, das heißt, es stehen immer weniger Mittel für den Umweltschutz zur Verfügung. Das Bundesumweltministerium wird damit zu einer sich hauptsächlich
selbst verwaltenden Organisationseinheit. Die Durchführung von Umweltschutzprogrammen verkommt zum
schmückenden Beiwerk. Die Existenzberechtigung des
Ministeriums kann nur noch mühsam begründet werden.
({1})
Der Bedeutungsverlust des Umweltministeriums zeigt
sich auch daran, dass ein immer größerer Teil der Ausgaben für den Umweltschutz in anderen Einzelplänen etatisiert wird. Insgesamt stehen im Bundeshaushalt über
8 Milliarden DM für den Umweltschutz zur Verfügung,
nur 12,6 Prozent davon im Haushalt des Bundesumweltministers. Die umweltschutzrelevanten Ausgaben in anderen Ressorts liegen zum Teil deutlich höher als die des
Umweltministeriums. Die rot-grüne Koalition entzieht
dem Umweltministerium durch die Kürzungen in einem
steigenden Umfang Finanzmittel in einer solchen Höhe,
dass das Ministerium zu einer ABM-Stelle für umweltengagierte Beamtinnen und Beamte wird.
({2})
- Das liegt aber an Ihnen, das habe ich auch nicht anders
erwartet.
Es verwundert nicht, dass manche Umweltprogramme
des BMU mittlerweile ihren Sinn verloren haben und zu
einer reinen Beschäftigungstherapie geworden sind. Der
Bundesrechnungshof hat dies bei der Überprüfung des
Förderprogramms „Investitionen zur Verminderung
von Umweltbelastungen“ deutlich herausgestellt. Der
Bundesrechnungshof hat festgestellt, dass
das Programm ... seiner Funktion als zentrales
Instrument der Umweltpolitik nicht gerecht wird.
Die geringe Zahl der Förderanfragen und die Bereitschaft
vieler Antragsteller, bereits vor einer erfolgten Förderzusage trotz des Risikos einer möglicherweise ausbleibenden Bewilligung mit dem Vorhaben zu beginnen, sind
untrügliche Anzeichen dafür, dass das Programm seine
umweltpolitische Anreizfunktion verfehlt und in vielen
Fällen lediglich eine Mitnahme von Fördermitteln stattfindet.
({3})
Obwohl dieses Programm auch der Gewinnung von
Entscheidungsgrundlagen für die weitere Aufgabenerfüllung des BMU dienen soll, „bleibt der Erkenntnisgewinn
für das Ressort weit gehend dem Zufall überlassen“. Man
stellt, wenn man danach fragt, fest: Auswertung der Abschlussberichte des so genannten Förderprogramms durch
das Umweltministerium? - Fehlanzeige. Nachvollziehbare und überprüfbare Bearbeitung des Förderprogramms
durch die Verwaltung? Ordnungsgemäße Programmkontrolle? - Fehlanzeige. Abstimmungen zwischen den Einzelressorts? - Fehlanzeige. Überschneidung mit anderen
Programmen oder auch Doppelförderungen sind daher
nicht ausgeschlossen.
({4})
Die Koalition war trotz der Kritik des Bundesrechnungshofes aber nicht bereit, die Mittel qualifiziert zu sperren.
Nur mit einer qualifizierten Sperre hätten wir erreicht,
dass es bereits 2002 zu deutlichen Verbesserungen gekommen wäre.
Ich will einen anderen Punkt des Etats ansprechen.
Vereine und Verbände werden auf dem Gebiet des Umweltschutzes nicht nach der Qualität der Arbeit, sondern
nach politischem Wohlverhalten gefördert.
({5})
Die Mittel für die institutionelle Förderung der Heimatverbände wurden weiter gekürzt; die geringen Korrekturen, die sich bei den Beratungen im Haushaltsausschuss
ergeben haben, ändern daran nichts. Gleichzeitig wird
- das muss man im Zusammenhang sehen - beim Deutschen Naturschutzring politisches Wohlverhalten belohnt
und die institutionelle Förderung um 30 Prozent aufgestockt.
In der Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998
hatte Rot-Grün noch vollmundig propagiert:
Die ökologische Modernisierung ist die große
Chance, um die natürlichen Lebensgrundlagen zu
schützen und mehr Arbeit zu schaffen.
({6})
Mit dem so genannten Atomkonsens, dem Ausstieg aus
der Kernenergie, sollte die Ökowende in der Energiepolitik eingeleitet werden. Der Energiebericht der Bundesregierung, der in diesen Tagen vorgelegt worden ist,
macht aber für alle deutlich: Die Bundesregierung hat
keine energiepolitischen Alternativen; sie hat kein schlüssiges energiepolitisches Konzept. Der Ausstieg aus der
CO2-freien Kernenergie, verbunden mit einem Einstieg in
eine auch auf lange Sicht subventionsbedürftige regenerative Energie und dem Ziel der Verringerung der CO2Emissionen, lässt sich nicht durchsetzen. Diese Rechnung - das zeigt der Energiebericht - ist schon heute gescheitert.
({7})
Das Ergebnis dieses Energieberichts ist: die Gefährdung
des Industriestandortes Deutschland und die Aufgabe der
international vereinbarten Klimaschutzziele.
Ich kann verstehen, dass der Koalition die Aussagen
des Energieberichtes nicht passen. Aber Sie ändern nichts
an dem Ergebnis ihrer Energiepolitik, Sie ändern nichts an
der energiepolitischen Realität. Den Energiebericht als
tendenziös oder als Chaosbericht abzuqualifizieren ändert
nichts an den Fakten dieses Berichtes.
({8})
Ich denke, man muss - es fällt mir nicht leicht - Bundesminister Müller in diesem Zusammenhang gegen die Vorwürfe der Koalitionsfraktionen in Schutz nehmen.
({9})
Wohin Ihre Energiepolitik führt, zeigt die Entwicklung
von 1990 bis heute. Von 1990 bis 1998 konnte die Koalition aus CDU/CSU und FDP die CO2-Emissionen von
987 Millionen Tonnen pro Jahr auf 832 Millionen Tonnen
senken. Das sind über 150 Millionen Tonnen CO2 weniger pro Jahr. Seit dem Beginn der rot-grünen Koalition,
seit Ihrem Amtsantritt, Herr Minister, gingen die CO2Emissionen um sage und schreibe 1 Million Tonnen
zurück.
({10})
- Das Ergebnis ist billig; da gebe ich Ihnen Recht. Es lässt
sich nicht mit den vollmundigen Erklärungen in Deckung
bringen, mit denen Sie gestartet sind. - Ich denke, diese
Zahlen sprechen für sich.
Die Klimaschutzpolitik ist konzeptionslos, sie ist nicht
verlässlich und vor allem nicht nachvollziehbar. Ein weiterer Systemfehler - abgesehen von den grundsätzlichen
Problemen - ist die Belegung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen mit der so genannten Ökosteuer. In
diesem Jahr besteuern Sie Strom aus erneuerbaren Energien mit rund 480 Millionen DM. Darüber hinaus zeigt
die Kritik des europäischen Wettbewerbskommissars
Monti, wie nachhaltig das Fundament Ihrer Ökosteuer gefährdet ist und auf welch wackligen Füßen es steht. Je
nach Ergebnis werden wir bereits in den nächsten Tagen
möglicherweise große Veränderungen vornehmen müssen.
Ich will ein letztes Wort zum Naturschutz sagen. Moderner Naturschutz bedeutet Schutz der Natur vor negativen Einflüssen, aber auch Nutzung der Natur für den
Menschen.
({11})
Die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes, die gegen
die Stimmen der Union verabschiedet worden ist, wird
weit reichende nachteilige Folgen für die Landwirtschaft
und auch für den Umweltschutz haben. Statt den Konsens
mit den Naturschützern zu suchen, wird mit Mitteln des
Ordnungsrechtes Umweltschutz von oben verordnet ohne Rücksicht auf ökonomische Sinnhaftigkeit und ohne
Rücksicht auf die langfristige Erreichbarkeit der gewünschten Umweltschutzziele.
({12})
Gleichzeitig wird der Vertragsnaturschutz immer weiter abgebaut. Alle Anträge auf Erhöhung der Mittel für
den Vertragsnaturschutz werden abgelehnt. Ordnungsrecht tritt an die Stelle des Vertragsnaturschutzes und des
Konsenses innerhalb des Naturschutzes.
({13})
Das Bundesnaturschutzgesetz in seiner Neufassung sorgt
weder dafür, dass eine nachhaltige, umweltgerechte und
Standort angepasste Pflege der Kulturlandschaften gefördert wird, noch sorgt es für ein übergreifendes Konzept
des Landschafts- und damit auch des Umweltschutzes.
Voraussetzung für einen erfolgreichen Umweltschutz
({14})
ist der Dialog zwischen Naturnutzern und Naturschützern. Ich denke, mit der jetzt verabschiedeten Novellierung werden Sie diesem Ziel nicht gerecht.
({15})
Wer wie Sie, Herr Minister, erklärt, Teile des Münsterlandes und Teile der Region Niedersachsen, die dort angrenzen, haben aufgrund einer bestimmten Form der industrialisierten Landwirtschaft mit Natur genauso viel zu
tun wie Schalke, zeigt doch nur, dass er weder die Gartenlandschaft des Münsterlandes noch die bäuerliche
Landwirtschaft kennt, ganz zu schweigen davon, dass er
Schalke nicht kennt.
({16})
Der Gesamthaushalt des BMU beweist, wie wenig
wichtig dieser rot-grünen Regierung der Umweltschutz
ist.
({17})
- Zum Glück muss ich die Beurteilung nicht Ihnen überlassen.
({18})
- Zum Glück nicht.
Meine Damen und Herren, der BMU-Haushalt 2002
dient mittlerweile nur noch der Befriedigung von ideologischen Zielen.
({19})
Von kreativen und innovativen Ideen ist keine Spur. Statt
Fortschritt gibt es nur Rückschritt. Ihre Umweltpolitik ist
und bleibt erfolglos. Wir lehnen daher diesen Haushalt ab.
Vielen Dank.
({20})
Das Wort hat nun die
Kollegin Waltraud Lehn für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Borchert, zum wiederholten Mal muss ich sagen:
Wer den Umweltbereich gestaltet und nicht nur verwaltet,
der kommt an der Einflussnahme auf andere Ressorts
doch überhaupt nicht vorbei.
({0})
Vernetzung anstelle von Ressorteigennutz, Querdenken anstelle von Kästchendenken, weg von der Beschränkung im
Kopf: Das haben wir mit der Verankerung von Umweltausgaben in anderen Einzelplänen hervorragend gemacht.
({1})
Jede Mark, die im Haushalt für Wirtschaft, für Bildung
und Forschung, für Verbraucherschutz oder für Gesundheit ausgegeben wird, ist für den Umweltschutz eine gelungene Investition. Damit steigen die Ausgaben für den
Bereich Umwelt weit überproportional.
Dass Sie das nicht gerne sehen und versuchen, das
schlecht zu machen,
({2})
kann ich ja noch nachvollziehen, aber nicht die plumpen
Mittel, Herr Borchert. Sie sollten sich einmal eine andere
Strategie überlegen, vielleicht macht das mehr Eindruck.
({3})
Der Haushalt 2002 ist ein guter Haushalt für die Umwelt. Gegenüber dem Regierungsentwurf haben die Koalitionsfraktionen das Gesamtvolumen um rund 7,5 Millionen Euro auf 550,1 Millionen Euro erhöht. Wir setzen
fort, was wir mit dem Regierungsantritt von Rot-Grün vor
drei Jahren begonnen haben: Haushaltskonsolidierung
und effektive Umschichtung der Mittel sowie Neues dort,
wo es geboten ist.
({4})
Wir setzen klar Prioritäten: weg von der Kernenergie,
ohne die Sicherheit während des Ausstiegs und danach zu
vernachlässigen,
({5})
hin zu umweltpolitisch wichtigen Vorhaben. Das bedeutet
Kürzungen vor allem im Endlagerbereich, Herr Borchert,
und zwar ebenso gewollt wie sinnvoll.
({6})
Die von Ihnen genannten Einsparungen in der Größenordnung von nahezu 10 Prozent sind ausschließlich Einsparungen im Endlagerbereich. Hierauf sind wir stolz und
das werden wir auch fortsetzen.
({7})
- Ganz sicher lange, Herr Paziorek!
Dem stehen Umschichtungen und Erhöhungen der
Mittel gegenüber: bei der Projektförderung für die Umwelt- und Naturschutzverbände, bei den Erprobungs- und
Entwicklungsvorhaben im Naturschutz, beim BMUBeratungshilfeprogramm für den Umweltschutz in den
Staaten Mittel- und Osteuropas, für die Klimakonferenz
im nächsten Jahr, bei Projekten der Deutschen EnergieAgentur, bei Projekten der bundesweiten Servicestelle für
die lokale Agenda 21, beim Umbau des Alten Hochhauses
in Bonn zur Nutzung von UN-Sekretariaten, beim Vollzug
des novellierten Bundesnaturschutzgesetzes durch
zusätzliche Stellen für das Bundesamt für Naturschutz
und beim nuklearen Notfallschutz durch zusätzliche Stellen beim Ministerium und beim Bundesamt für Strahlenschutz.
({8})
Im Endlagerbereich konnten die Ausgaben aufgrund
der erfolgreich abgeschlossenen Konsensverhandlungen
mit den Energieversorgungsunternehmen über den Atomausstieg deutlich reduziert werden. Sie sinken von
179,7 Millionen Euro im Jahr 2001 auf 137,1 Millionen Euro im nächsten Jahr.
({9})
Das ist eine Absenkung um 23,7 Prozent. Genau da gehört
bei einem Konsolidierungs- und Umschichtungshaushalt
die Einsparung auch hin.
({10})
Die Bundesregierung setzt mit diesem Haushalt ihre
erfolgreiche Umweltpolitik fort. Dies gilt vor allem für
den Klimaschutz. Unser Klimaschutzprogramm zeigt,
dass es eine breite Palette von Handlungsmöglichkeiten
zur Reduzierung der CO2-Emissionen gibt. Es macht auch
deutlich, dass in allen Bereichen, die durch ihren Energieverbrauch CO2-Emissionen erzeugen, erhebliche Einsparungen möglich sind.
Zu den Maßnahmen, die bisher umgesetzt wurden,
gehören die ökologische Steuerreform
({11})
- ich spreche gerade von den Rahmenbedingungen -, das
Erneuerbare-Energien-Gesetz, das Markteinführungsprogramm, das 100 000-Dächer-Programm, das Gesetz zum
Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung und die Energieeinsparverordnung. Im internationalen Vergleich steht
Deutschland mit diesem Programm an der Spitze. Das
mag Ihnen passen oder nicht, aber so ist es.
({12})
Wir haben damit in drei Jahren mehr für den Klimaschutz
getan, als die alte Regierung in 16 Jahren davor.
({13})
- Ich habe selten einen so konstruktiven Beitrag des Sichselber-Auslachens erlebt!
Der Klimaschutz ist heute kein Randthema mehr. Er
steht im Mittelpunkt der Arbeit der Bundesregierung und
auch dieses Parlamentes. Dies wird auch außerhalb des
Umwelthaushaltes deutlich. So wird das erfolgreiche
Marktanreizprogramm zur Förderung erneuerbarer Energien von uns auf hohem Niveau weitergeführt.
({14})
- Das ist keine Frage des Glaubens, sondern eine Frage
des Wissens.
({15})
Wir haben die entsprechenden Mittel für den Haushalt
des Bundeswirtschaftsministers - er ist heute hier beraten
worden - für das kommende Jahr von 100 auf 200 Millionen Euro erhöht.
({16})
Sie müssen nicht unsachlich dazwischenplappern, sondern das einfach einmal zur Kenntnis nehmen, zumal das
etwas ist, was hier schon behandelt wurde.
Wir haben zusätzlich 2,5 Millionen Euro für eine Klimaschutzkampagne, die die Deutsche Energie-Agentur
entwickeln und durchführen wird, in den Haushalt des
BMU aufgenommen. Diese Kampagne soll vor allem in
Privathaushalten für die Akzeptanz des Klimaschutzes
werben; denn erfolgreicher Klimaschutz ist nicht nur eine
Sache von Politik und Industrie. Wenn wir unser Ziel erreichen wollen, müssen alle Teile der Gesellschaft dafür
gewonnen werden mitzumachen.
({17})
Wie sich die Welt nach dem 11. September verändert
hat, zeigt sich in vielen Bereichen immer deutlicher. Der
schreckliche Terrorakt hat auch Auswirkungen auf die
Energiepolitik. Über das Gefahrenpotenzial von Atomanlagen muss neu nachgedacht werden - in der Politik genauso wie bei den Betreibern. Mit dem beschlossenen
Atomausstieg sind wir auf dem richtigen Weg, aber noch
nicht am Ziel.
Wir haben im Haushalt 2002 reagiert und die finanziellen Mittel für acht neue Stellen für den nuklearen Notfallschutz, die beim Bundesamt für Strahlenschutz und
beim BMU eingerichtet werden, zur Verfügung gestellt.
Sanfte Energien wie Sonnenkraft- und Windenergie sind
nicht nur klimafreundlich,
({18})
ihre dezentrale Organisation macht sie auch weniger verwundbar und anfällig für terroristische oder militärische
Angriffe.
({19})
Wir sind mit unserem Klimaschutzprogramm auf dem
richtigen Weg. Der Haushalt 2002 setzt die richtigen Akzente zur Unterstützung dieses Weges.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir verstärken auch und gerade beim Naturschutz
weiterhin unsere Anstrengungen. Das Bundesamt für Naturschutz erhält 2002 acht neue Stellen als zweite Rate der
bereits im Haushalt 2001 beschlossenen Personalverstärkung von insgesamt 20 Stellen.
({20})
Außerdem erhält das Amt fünf neue Dauerstellen und vier
Zeitstellen, um die Aufgaben zu übernehmen,
({21})
die es durch die Umsetzung des neuen Bundesnaturschutzgesetzes erhält. Allein hierfür haben wir außerdem
Sachmittel in Höhe von 1,26 Millionen Euro bereitgestellt.
Das Bundesnaturschutzgesetz ist ein Beleg für unsere
erfolgreiche Umweltpolitik.
({22})
Nach 16 Jahren Stillstand beim Naturschutz erhält dieser
vernachlässigte Politikbereich endlich die Bedeutung, die
ihm zusteht. Durch die grundlegende Novellierung des
Naturschutzrechtes ist der Weg für eine umfassende
Modernisierung und Verbesserung des Naturschutzes in
Deutschland frei geworden.
({23})
Die Bedeutung, die wir dem Naturschutz beimessen, zeigt
sich deutlich in der erneuten Erhöhung der Projektfördermittel für die Umwelt- und Naturschutzverbände. Sie steigen um 17 Prozent. Herr Borchert, im Vergleich zu 1998
ist das eine Steigerung von 60,6 Prozent. Das ist das
Thema und das sind Zahlen, die belegbar sind.
({24})
Dass die Verbände sinnvolle Projekte für Umwelt und
Natur eigenverantwortlich und fachkompetent durchführen können, haben sie bewiesen. Umwelt und Naturschutz ist nicht allein Aufgabe der Politik. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Anliegen und muss einer breiten
Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Wegen des
anhaltenden Bedarfs erhöhen wir den Ansatz für Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben im Naturschutz von
4,4 auf 5,7 Millionen Euro.
({25})
Durch das neue Bundesnaturschutzgesetz werden unter anderem die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass
ein umweltfreundlicher Ausbau der Windenergienutzung auf dem Meer vollzogen werden kann. Da die
Windenergie an Land mangels zusätzlich geeigneter Standorte nicht in ausreichendem Maße ausbaubar ist, muss die
Windenergieerzeugung auf den Meeresbereich in der
AWZ, also in der ausschließlichen Wirtschaftszone, ausgedehnt werden. Eine circa 30 Prozent höhere Windausbeute der Offshore-Standorte gegenüber Standorten an
Land und ein gleichmäßigeres Windaufkommen sprechen
genau für dieses Vorgehen. Nur wenn dieses Potential voll
genutzt wird, können wir unser ehrgeiziges Ziel erreichen,
den Anteil der erneuerbaren Energien bis zum Jahre 2010
zu verdoppeln.
({26})
Nach Berechnungen des BMU sind in der Startphase
bis 2007 circa 500 Megawatt installierter Leistung auf See
möglich. Langfristig sollen 15 Prozent des gesamten
Stromverbrauchs erzeugt werden. Voraussetzung hierfür
sind die Erschließung geeigneter Standorte auf See und
klar definierte Rahmenbedingungen, die sowohl Planern
als auch Investoren Sicherheit geben. Hierzu gehört die
zügige Umsetzung des europäischen Naturschutzrechtes,
und zwar durch Ausweisung von Schutzgebieten nach der
FFH-Richtlinie und unter Beachtung der Vogelschutzrichtlinie.
Diese neue Aufgabe, die auch das Management der
Schutzgebiete einschließt, wird das Bundesamt für Naturschutz übernehmen. Damit stellen wir sicher, dass bei der
Standortwahl neben den Belangen der Schifffahrt sowie
wirtschaftlicher und militärischer Nutzungen auch die
Belange des Natur- und Umweltschutzes angemessen
berücksichtigt werden.
({27})
Wir haben einer Energiepolitik zum Durchbruch verholfen, die auf drei Säulen beruht: einer konsequenten Energieeinsparung, einer Steigerung der Energieeffizienz und
einer Entwicklung alternativer Energien. Durch diese zukunftsweisende Politik werden sowohl die natürliche
Ressourcen geschont als auch Klimaschäden vermindert.
({28})
- Es werden Arbeitsplätze geschaffen. Das ist ohne Frage
richtig. Denn gerade im Bereich der Windenergie zeigt
sich eine deutliche Zunahme. Hier sind wir weltweit Spitzenreiter.
({29})
Zusammenfassend stelle ich fest, dass der Bundeshaushalt 2002 klare Akzente in der Umweltpolitik setzt.
Im Mittelpunkt stehen eine wirksame Klimaschutzpolitik
und ein verbesserter Naturschutz. Der Haushalt ist eine
hervorragende Grundlage, unsere erfolgreiche Umweltpolitik auch im kommenden Jahr und in den Jahren danach fortzusetzen.
({30})
Wie auch in den zurückliegenden drei Jahren folgt sie
damit unserem Grundsatz, nicht nur auf Fehler und Umweltkatastrophen zu reagieren. Wir setzen auf präventive
Maßnahmen und agieren gezielt, um zukünftige Belastungen der Umwelt zu vermeiden.
Zum Schluss möchte ich mich bei meinen Mitberichterstattern Frau Ehlert, Herrn Borchert, Herrn Metzger und
Herrn Koppelin für die gute Zusammenarbeit bedanken.
Dieser Dank richtet sich auch an Herrn Minister Trittin
und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seines Hauses,
insbesondere des Haushaltsreferates, die mich auch in
diesem Jahr auf gewohnt kompetente Weise schnell und
effektiv unterstützt haben.
Vielen Dank.
({31})
Ich erteile nun der
Kollegin Birgit Homburger für die FDP-Fraktion das
Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Borchert von der
CDU/CSU-Fraktion hat hier schon einiges zur Bedeutung
dieses Haushaltes gesagt. Ich kann das nur unterstreichen.
Ich will nicht alles wiederholen. Natürlich ist das Thema
Umwelt eine Querschnittsaufgabe. Insofern anerkennen
wir auch, dass eine Reihe von Mitteln in anderen Haushalten als dem Umwelthaushalt eingestellt ist. Trotzdem,
Herr Minister Trittin, ist dieser Umwelthaushalt, so wie er
uns vorgelegt worden ist, ein Sinnbild für die inhaltliche
Verstümmelung und geistige Verarmung der Umweltpolitik, seit Sie Minister sind.
({0})
Die FDP bietet demgegenüber schlüssige Konzepte für
die Umweltpolitik mit klaren Prioritäten.
({1})
Wir setzen vor allen Dingen auf Glaubwürdigkeit und Zukunftsorientierung. Für uns steht bei der Umweltpolitik
der Mensch im Mittelpunkt. Die FDP versteht Umweltpolitik als Auftrag, auch die Lebensqualität für Bürgerinnen und Bürger zu verbessern.
Dem steht eine lebensabgewandte grüne Verzichtsund Verbotsideologie gegenüber, die Sie nach wie vor betreiben.
({2})
Angesichts Ihrer Politik möchte ich Ihnen sehr deutlich
sagen, dass Umweltschutz eben keinen grünen Oberlehrer
braucht,
({3})
der auf der einen Seite die Bürgerinnen und Bürger mit
Verboten und bürokratischen Vorschriften schikaniert und
sie auf der anderen Seite mit einer unglaubwürdigen und
nicht funktionsfähigen Ökosteuer schamlos abkassiert.
({4})
Wir vonseiten der FDP haben ein klares Konzept für
die Klimapolitik. Wir haben hier mehrfach die Ratifizierung des Kioto-Protokolls beantragt. Wir wollen vor allen
Dingen eines, nämlich dass die flexiblen Instrumente des
Kioto-Protokolls, dass die Emissionszertifikate endlich
auch in Deutschland eingeführt werden, dass moderne Instrumente auch bei uns Verwendung finden.
({5})
Heute habe ich mit großem Interesse in der Zeitung gelesen, dass Sie, Herr Kollege Loske von den Grünen, auch
dafür sind.
({6}): Die ganze Fraktion hat das be-
schlossen!)
Dazu kann ich nur sagen, dass ich das von Ihnen persönlich schon lange weiß. Willkommen im Klub!
Jetzt möchte ich einmal vorlesen, mit was Sie wörtlich
zitiert werden:
„Wenn der Emissionshandel funktioniert, könnten
wir die Ökosteuer langfristig auf dem jetzigen Niveau einfrieren“ ...
({7})
In dem Artikel heißt es weiter:
Der Staat müsse dann nur noch konkrete Reduktionsverpflichtungen vorschreiben und könne es den
Unternehmen überlassen, „wo und wie sie Energie
und Emissionen einsparen.“ Auf diese Weise könne
eine „ausgezeichnete ökologische Lenkungswirkung“ erzielt werden. Die Praxis habe gezeigt, so
Loske, dass die Ökosteuer in der Industrie „nicht optimal zur Wirkung kommt.“
({8})
Herr Kollege Loske, das ist - wenn auch in anderen
Worten - exakt die Argumentation, die die FDP seit Monaten und Jahren hier in diesem Plenum vorträgt.
({9})
Seit Monaten und auch schon seit der gesamten Legislaturperiode haben Sie immer wieder Anträge der FDPBundestagsfraktion, die die gleiche Forderung zum Inhalt
hatten, abgelehnt,
({10})
zuletzt im Juni, als wir kurz vor der Klimakonferenz in
Bonn eben diesen Antrag eingebracht haben. Auf zwei
Anfragen, die wir zu diesem Thema gestellt haben, haben
wir keine befriedigenden Antworten erhalten. Das ist
kennzeichnend dafür, dass Sie immer auf der einen Seite
sagen, dass Sie das machen wollen, auf der anderen Seite
aber keine Verbündeten haben, weder bei Herrn Trittin
noch bei der SPD.
Ich habe mit Interesse Ihren Bundesparteitag verfolgt.
({11})
Dort haben Sie wunderbare Beschlüsse zur Umweltpolitik gefasst. Ich habe alle dabei, unter anderem einen vierseitigen Beschluss zur Energiepolitik. Darin steht aber
nicht ein Wort über die modernen Instrumente, das KiotoProtokoll oder die Emissionszertifikate. Statt dessen geht
es nur um die Ökosteuer. Ihnen fällt nichts anderes sein.
Sie hinken Ihrer Zeit weit hinterher.
({12})
Deswegen wäre es gut, wenn sich auch die SPD einmal
mit diesen Instrumenten beschäftigen würde, wenn man
sie demnächst einführen will. Dies wird kommen, ob Sie
wollen oder nicht. Die EU-Kommission will mit dem
Zertifikatehandel ab dem Jahr 2005 beginnen.
({13})
- Wissen Sie, Frau Ganseforth, im Gegensatz zu Ihnen bin
ich der Meinung, dass die Klimapolitik ein ganz entscheidender, wenn nicht gar der entscheidende Punkt in der
Umweltpolitik ist.
({14})
Deswegen werde ich hier nicht müde, das - auch wenn
Sie es nicht mehr hören können - so oft zu wiederholen,
({15})
bis Sie es machen werden. Herr Loske fordert jetzt dasselbe. Ich freue mich darüber. Irgendwann werden Sie das
tun, was wir schon lange wollen. Dann sind wir am Ziel.
({16})
Wichtig ist an dieser Stelle, dass man die Chancen erkennt, die sich durch den Handel mit Emissionszertifikaten bieten, nicht nur für die Bundesrepublik Deutschland,
sondern auch für Entwicklungs- und Transformationsländer. Hierdurch entsteht eine attraktive Möglichkeit,
aktiv am Welthandel teilzunehmen, dabei gleichzeitig
substanzielle Beiträge zum Klimaschutz zu leisten und
die wirtschaftliche Situation des eigenen Landes zu verbessern. Hier gibt es wirklich viele Möglichkeiten. Wir
wollen, dass bilaterale Zusammenarbeit in Klimaprojekten verstärkt wird und dass Emissionsminderungen, die
auf diesem Weg erzielt worden sind, angerechnet werden
können. Andere Länder tun das längst. Auch wir sollten
das bei uns endlich aufgreifen. Ich bin der Meinung, dass
hier dringend gehandelt werden müsste.
({17})
Es ist in dieser Angelegenheit wirklich bemerkenswert
- das geht noch einmal an Herrn Trittin -, dass Deutschland bei dieser ganzen Geschichte überrollt wird. Auch ist
bemerkenswert, dass es in der Zwischenzeit für die Frage
der bilateralen Zusammenarbeit einen Arbeitsstab gibt,
der im Auswärtigen Amt und nicht im Umweltministerium eingerichtet wurde. Das ist kennzeichnend, weil keiner dem Umweltministerium mehr zutraut, dass es hier
weiterkommt.
({18})
Nichts als altbackene Konzepte und Subventionsmodelle!
({19})
Ich habe den Eindruck, dass zwischenzeitlich auch Minister Ihrer Regierung dem zustimmen. Was sagen Sie zu
dem, was im Augenblick in Düsseldorf passiert? In Düsseldorf weigern sich Bundes- und Landeseinrichtungen,
Zuschläge auf die Stromrechnung zu zahlen, mit denen
die Stadtwerke die Mehrkosten aufgrund des EEG und des
Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes an die Kunden weitergeben.
Mit zu denen, die sich weigern, zu zahlen, gehören Ihre
Minister Scharping und Müller. Zumindest bei Herrn
Scharping bin ich mir ziemlich sicher, dass er noch nicht
aus der SPD ausgetreten ist. Deswegen würde es mich
interessieren, wie Sie dazu stehen. Auf der einen Seite
preisen Sie in Ihrer Haushaltsrede wieder einmal die
großen Errungenschaften, die Sie alle erreicht haben. Auf
der anderen Seite sind Ihre eigenen Leute nicht bereit, die
Mehrkosten zu tragen. Das ist eine Tatsache.
({20})
Vor einer guten Woche wäre die rot-grüne Koalition
um ein Haar an der Außenpolitik zerbrochen.
({21})
Kaum ist dies überwunden, streiten Sie weiter. Dieses Mal
ist es die Energie- und Umweltpolitik. Wirtschaftsminister Müller hat schon vor Monaten einen Energiebericht
geschrieben, der auf Intervention des Kanzlers nachgebessert werden musste. Jetzt wurde der Bericht aus dem
Giftschrank unbequemer Wahrheiten herausgeholt. Er unterstreicht nämlich, dass Klimapolitik mit altbackenen
Subventionsmodellen, bürokratischen Klein-Klein-Maßnahmen und wirkungsloser Ökosteuer die Ziele nicht erreicht und vor allen Dingen unbezahlbar ist.
Was passiert bei Ihnen? Kindisches Wutgeheul - anders kann man das nicht nennen -,
({22})
anstatt den Bericht Ihres eigenen Ministers als Anlass zu
nehmen, über diese Dinge nachzudenken. Fakt ist: Auch
in der Energiepolitik wissen Sie nicht, welchen Weg Sie
gehen sollen. Deshalb erwartet die FDP in der Debatte ein
klares Wort: Stehen Sie hinter der Energiepolitik Ihres Ministers Müller oder hinter der Chaospolitik von Trittin?
({23})
Dasselbe gilt für den Bereich der Abfallpolitik. Auch
hier hat die FDP im Deutschen Bundestag Anträge zur
marktwirtschaftlichen Neuordnung eingebracht. Auch in
der Abfallwirtschaft muss der Weg der Liberalisierung
und Marktorientierung entschlossen beschritten werden.
Umweltminister Trittin hat stattdessen auf Bürokratie und
Gängelung der privaten Wirtschaft gesetzt.
({24})
- Herr Brinkmann, Sie brauchen gar nicht immer dazwischenzurufen. - Die SPD hätte es gerne noch weiter getrieben und an Markt und Wettbewerb sogar das beseitigt,
was in den vergangenen Jahren mühsam erreicht worden
ist.
Wieder rollt ein rot-grüner Zankapfel: Es zieht sich
durch alle Politikbereiche. Sie sind sich in dieser Koalition nicht einig, was Sie machen sollen. Es gab einen Gipfel der Koalitionsfraktionen. Dort wurde der rote Gesetzentwurf schließlich weggeschlossen.
({25})
Zwischenzeitlich hat man sich auf eine Verordnung geeinigt. Jetzt versuchen Sie, bei dieser Verordnung all das
durchzubringen, was Sie in einem Gesetz nicht haben
durchsetzen können.
Bei der Abfallpolitik sind wir von der FDP der Meinung: Es muss endlich zur Kenntnis genommen werden,
dass sich die Zeiten geändert haben. Es gilt, wettbewerbliche Strukturen zu gewährleisten, um Kosten senkende
Markt- und Innovationsprozesse anzuregen, die die Verbraucher bei gleich bleibend hohem Umweltstandard entlasten.
({26})
Eine letzte Bemerkung zum Thema Naturschutz. Wir
fordern ganz klar und deutlich mehr Kooperation mit den
Betroffenen durch freiwillige Maßnahmen und Vertragsnaturschutz statt Dirigismus.
({27})
Im Gegensatz dazu setzen Sie mit dem jetzt beschlossenen Bundesnaturschutzgesetz wieder auf staatliche Auflagen. Sie werden mit diesem Gesetz ebenfalls das Gegenteil dessen erreichen, was Sie erreichen wollen. Es wird
nicht mehr, sondern weniger Naturschutz geben.
Deswegen sage ich Ihnen abschließend: Der Naturschutz braucht kein grün-ideologisches Reservatsdenken
mit Trittin als Aufseher am Zaun.
({28})
Der Naturschutz braucht Sachverstand statt Gängelung.
Die Umweltpolitik braucht Kompetenz statt grünen Dirigismus. Dafür werden wir weiterhin eintreten.
Vielen Dank.
({29})
Das Wort hat nun der
Kollege Dr. Reinhard Loske für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau
Homburger, das immer wieder auftretende Problem ist
- das gilt auch für den Zertifikatehandel -, dass man
zwischen Zielen und Instrumenten unterscheiden muss.
Sie reden nicht über die Ziele. Sie reden nicht über die Effizienzrevolution, die Solarenergie, die Kreislaufwirtschaft und den nachhaltigen Landbau. Bei diesen Zielen
stehen wir alleine. Hier machen Sie nicht mit. Sie reden,
wie gesagt, nur über die Instrumente. Das geht voll am
Ziel vorbei.
({0})
- Die Instrumente sind wichtig. Natürlich spielt auch der
Zertifikatehandel eine gewisse Rolle. Nur, die Kehrseite
der Medaille ist die Festlegung der Ziele; denn handeln
kann man nur mit den Dingen, die wir, der Gesetzgeber,
quantitativ und qualitativ definiert haben. Dazu hört man
von Ihnen überhaupt nichts. Sie huldigen nur dem Instrument des Zertifikatehandels. Das können Sie in jeder Sitzung anbeten. Aber das geht wirklich an der Sache vorbei.
({1})
- Rufen Sie bitte nicht so viel dazwischen. Das, was Sie
hier machen, verstößt gegen die Emissionsschutzverordnung; denn Sie sind wirklich arg laut.
({2})
Ich möchte angesichts der Tatsache, dass heute die
letzte Haushaltsberatung in dieser Legislaturperiode stattfindet, die Gelegenheit nutzen, um den Zeitraum von
1998, als wir an die Regierung gekommen sind, bis heute
ins Visier zu nehmen. Es ist vollkommen klar, dass wir
uns über die Atomenergie nicht einig sind und nie einig
werden, weil Sie für ihren Einsatz sind und sie für harmlos halten
({3})
und wir hingegen der Meinung sind, dass alle Atomreaktoren abgeschaltet werden müssen. Aber darüber möchte
ich gar nicht diskutieren. Ich möchte gerne die Punkte in
den Vordergrund stellen, über die vor 1998 Einigkeit bestand und die in verschiedenen Dokumenten und BerichBirgit Homburger
ten niedergeschrieben sind, und darstellen, wie Sie sich
verhalten haben. Ich werde der Opposition quasi die
Glaubwürdigkeitsfrage stellen - das ist ein sehr beliebtes
Spiel, das Sie sonst zu Recht mit uns spielen; dieses Spiel
spiele ich jetzt mit Ihnen -, ob sich das, was Sie jetzt machen, mit dem deckt, was Sie früher gesagt haben.
({4})
- Mein Gott, dieses ständige Gequake stört unheimlich.
Das ist furchtbar.
({5})
- Lassen Sie mich doch einmal ausreden. Dann können
wir die Argumente austauschen.
Ich möchte die Energiewende, die Landbauwende, die
Verkehrswende und die Wende in der Kreislaufwirtschaft
als Beispiele nehmen. Es hat doch immer Einigkeit darüber geherrscht, dass die Energiewende - die Kollegin
Lehn hat, wie ich finde, zu Recht darauf hingewiesen drei Standbeine hat: die Energieeffizienz, die Energieeinsparung und die erneuerbaren Energien. Darüber
herrschte, wie gesagt, bisher Einvernehmen. Was haben
wir bei der Energieeffizienz gemacht? Wir fördern die
Kraft-Wärme-Kopplung. Wer ist dagegen? - Die Oppositionsparteien!
({6})
Wir fördern die erneuerbaren Energien mit dem 100 000Dächer-Programm, mit dem Marktanreizprogramm und
mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz. Wer ist dagegen? - Die Oppositionsparteien! Wir fördern die Energieeinsparung mit verschiedenen Instrumenten, zum Beispiel mit der Energiesparverordnung. Wer ist dagegen? Die Oppositionsparteien! Wir haben eine ökologische
Steuerreform durchgeführt und haben die Abgabenlast auf
den Faktor Arbeit gesenkt. Wer stimmt dagegen? - Die
Oppositionsparteien! Wir haben für die Altbausanierung
Fördermittel zur Verfügung gestellt, was dazu führen
wird, dass in den nächsten drei bis vier Jahren 10 Milliarden bis 12 Milliarden DM im Bereich der Altbausanierung mobilisiert werden. Wer war dagegen? - Die Oppositionsparteien!
Ich konstatiere: Im Bereich der Energiewende steht
das, was Sie in den letzten drei Jahren im Parlament gemacht haben, in diametralem Widerspruch zu dem, was
Sie früher gemacht haben. Sie sind in dieser Frage total
unglaubwürdig.
({7})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bulling-Schröter
von der PDS? Sie fühlt sich nämlich auf den Schlips
getreten, weil Sie die ganze Opposition angesprochen
haben.
Selbstverständlich.
Bitte sehr, Frau Kollegin.
Herr Kollege Loske,
können Sie bestätigen, dass nur ein Teil der Opposition
dem EEG nicht zugestimmt hat und die Solarenergie nicht
unterstützt und dass es die PDS war, die diesem Gesetz
zugestimmt hat und die Solarenergie unterstützt?
({0})
Das konzediere ich jederzeit. Ich habe außer Acht gelassen, dass die PDS in ihren Forderungen noch weit über
uns hinausgeht.
({0})
Ich fasse diesen Blick zurück zusammen: Bei allen
Projekten im Zusammenhang mit dem Thema Energiewende, über die wir uns früher einig waren und zu denen
in der Enquete-Kommission die Voten immer einstimmig
ausfielen - Effizienz, Einsparung, Erneuerbarkeit -, haben Sie nicht mitgemacht. Insofern wurden Sie Ihrer Verantwortung nicht gerecht. Das halte ich hier fest.
({1})
- Nein, nicht nur bei der Ausgestaltung. Sie sind nicht nur
bei den Instrumenten, sondern auch bei den Zielen generell nicht mitgegangen.
Auch beim Naturschutz gab es früher bestimmte Übereinstimmungen. Das erste Einvernehmen bestand darüber, dass Naturschutz nicht mehr gegen die Landwirtschaft gemacht werden soll,
({2})
sondern dass man versuchen soll, qualitative Regeln zu
entwickeln, wie Landwirtschaft aussehen muss, damit sie
naturverträglich ist. Zweitens bestand Einvernehmen darüber, dass wir im Sinne der Bürgergesellschaft den Menschen, den Verbänden und Organisationen die Mitarbeit
ermöglichen. Drittens wollten wir mehr Transparenz.
({3})
Derjenige, der Produkte aus ökologischem Landbau kaufen will, soll das auch können; dies bedeutet Konsumentenautonomie. Das alles war Teil der Agrarwende.
Ich fasse zusammen, was wir diesbezüglich im Bundesnaturschutzgesetz gemacht haben: Wir haben qualitative
Regeln formuliert, wie eine Landwirtschaft aussieht, die
nachhaltig und naturverträglich ist. Wir machen das nicht
gegen die Bauern,
({4})
sondern wir formulieren Regeln. Derjenige, der sich an
diese Regeln hält, befindet sich in Übereinstimmung mit
dem Gesetz. Wer ist dagegen gewesen? - Die Opposition!
Das heißt, alles, was Sie früher gesagt haben, waren leere
Worthülsen. Als es um die Sache ging, waren Sie wieder
einmal dagegen.
({5})
- Das ist keine Polemik, sondern lediglich eine Beschreibung des Sachverhalts. Auch die Naturschutzverbände sagen, dass Sie gegen die Bürgergesellschaft, die vielbeschworene Zivilgesellschaft sind. Wir haben doch im
Prinzip nur einen Standard geschaffen,
({6})
damit diejenigen in unserer Gesellschaft, die sich für den
Naturschutz einsetzen und denen wir dafür dankbar sein
müssen, mehr Mitsprache- und Teilhaberechte bekommen. Wer war dagegen? - Die Opposition!
So war es auch beim ökologischen Landbau. Es ist
gerade ein Jahr her, dass es den ersten BSE-Fall gab. Jetzt
tun Sie schon wieder so, als hätte es die Agrarkrise nie gegeben und als wäre der ökologische Landbau nur ein randständiges Hirngespinst.
({7})
Das ist Ihr Problem. Der Unterschied zwischen Ihnen von
der CDU/CSU - bei der FDP habe ich es eigentlich schon
aufgegeben - und uns ist folgender: Wir sind wirklich
ernsthaft bemüht, Themen wie erneuerbare Energien, die
sich im Moment im Nischenbereich befinden, oder wie
ökologischer Landbau, der auch nur 2 oder 3 Prozent
ausmacht, aus der Nische herauszuführen, damit sie in
Zukunft nachhaltig wirken können. Diesem Ziel kommen
wir mit dem, was wir in den letzten drei Jahren gemacht
haben, ein ganzes Stück näher. Das möchte ich an dieser
Stelle einmal festhalten.
({8})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Homburger?
Bitte.
({0})
- Ich finde es besser, wenn es geregelt verläuft; das muss
ich schon zugeben.
Ich stimme insofern
zu, als auch ich immer sehr viele Zwischenrufe gemacht
habe. Das ist für den Redner allerdings unangenehm: Es
ist sehr laut. Das darf ich der FDP heute einmal sagen. Frau Kollegin, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage.
Frau Präsidentin, ich danke
Ihnen. Ich kann das nur bestätigen. Mir erging es vorhin
von der anderen Seite auch nicht anders.
Das spricht dafür,
dass wir uns alle ein bisschen zurückhalten.
Herr Kollege Loske, würden Sie mir zustimmen, dass Sie eigentlich ein ganz intelligenter Bursche sind
({0})
und dass Sie deshalb wissen, dass all das, was Sie eben gesagt haben, nicht stimmt, sondern dass wir in den Zielen
übereinstimmen, aber zu allen von Ihnen genannten Punkten andere Konzepte zur Erreichung dieser Ziele vorgelegt haben? Ich weiß, dass Sie es besser wissen. Jetzt können Sie das noch geraderücken.
Ich kann es mir ganz einfach machen:
({0})
Den ersten Teil Ihrer Frage beantworte ich mit einem klaren Ja, den zweiten Teil Ihrer Frage mit einem klaren
Nein.
({1})
Im Hinblick auf Konzepte ist nicht viel von Ihnen gekommen. Es gab nur Extreme: entweder den etatistischen
Ansatz, also den Glauben, man solle alles über den Staat
machen,
({2})
oder es soll alles von selbst laufen. So aber funktioniert es
nicht. Die Politik muss beides machen: Sie muss den Rahmen setzen und die Menschen dazu bewegen, das Ganze
umzusetzen. Das ist unser Konzept, während Sie die
Dinge treiben lassen wollen. Das führt ganz einfach nicht
zum Ziel.
({3})
So viel zur Agrarwende im Naturschutz. Der tragende
Gedanke des Naturschutzgesetzes ist - das können Sie
uns abnehmen -, dass Naturschutz nicht mehr gegen Naturnutzung durchgesetzt werden soll, dass man also um
2 Prozent der Flächen einen großen Zaun zieht und sie von
irgendjemandem bewachen lässt.
({4})
Vielmehr wollen wir erreichen, dass durch die Art der
Landnutzung eine attraktive Kulturlandschaft erhalten
bleibt oder entsteht.
Ich komme zum dritten Thema, zur Verkehrswende.
Das ist das wichtigste Thema, weil in ihr eine derartige
Dynamik steckt, dass sie nur schwer zu steuern ist. Neben
der Erfolgsbilanz - Aufstockung der Mittel für Investitionen bei der Bahn von 6,5 Milliarden auf 9 Milliarden, Einführung schwefelfreier Kraftstoffe - will ich auf die
ökologische Steuerreform eingehen. In diesem Zusammenhang finde ich Ihr Verhalten besonders verantwortungslos.
Die ökologische Steuerreform ist eines der zentralen
Steuerungsinstrumente, um die dem Faktor Arbeit anhaftende Steuerlast zu verringern und sie auf den Ressourcen- und Energieverbrauch zu legen, denn wir sind der
Meinung, dieses knappe Gut muss geschont werden. Sie
war ein ganz wichtiger Beitrag und hat übrigens dazu geführt, dass viele Länder in Europa einen ähnlichen Weg
gehen, sodass eine Harmonisierung, die Sie immer wieder
eingefordert haben, faktisch dadurch stattfindet, dass sich
viele unserem Weg angeschlossen haben. Wir mussten
also nicht den Umweg über die Europäische Kommission
gehen, sondern wir haben ein Wachsen von unten in eine
ökologische Steuerreform. Das ist ein ganz großer Erfolg
dieser Regierung, weil wir als großes Industrieland natürlich auch eine Vorbildrolle haben.
({5})
Was war denn mit der Opposition? Ich kann die Programme einzeln vorlesen. Bei der CDU war es ganz eindeutig. Man hat immer gesagt: Wir wollen eine ökologische Steuerreform, die Abgabenlast auf den Faktor Arbeit
reduzieren und sie auf den Energieverbrauch aufschlagen.
Das war Ihr Programm. Was ist gemacht worden? Als hier
draußen die LKW-Fahrer randalierten, haben sich die
CDU-Abgeordneten mit ihnen gemein gemacht und hier
Randale gemacht.
({6})
Diese Form von Politik kann ich wirklich nicht akzeptieren. Man muss solche Fakten ab und zu auch reflektieren.
({7})
Die Regierung muss ihrer Verantwortung gerecht werden. Ich bin der Allerletzte, der sagt, Rot-Grün habe alles
das durchgesetzt, was wir uns vorgenommen haben. Es
gibt auch Bereiche, in denen unsere Bilanz gar nicht so
glorreich ist. Das gestehe ich jederzeit zu. Aber ich erwarte von der Opposition, dass sie nicht nur populistisch
Stimmungen anheizt, sondern auch Programme vorlegt,
die mit unseren konkurrieren können. Das haben Sie eben
nicht gemacht. Sie haben nicht nur keinen guten Spitzenkandidaten, sondern auch kein gutes Programm. Deswegen werden Sie im nächsten Jahr auch nicht an die Regierung kommen.
({8})
Ein letzter Punkt: Besonders peinlich war das Thema
Kreislaufwirtschaftsgesetz oder ist jetzt das Thema Dosenpfand. Wie war denn das? Sie wollten aus rein populistischen Gründen - weil Sie obstruieren wollten, weil Sie
den Umweltminister gern nach dem Motto „Leg dich
quer, dann bist du wer“ Knüppel zwischen die Beine
werfen
({9})
gegen die Interessen der mittelständischen Brauereiwirtschaft Politik machen. Obstruktion ist Ihre Form von Politik. Das ist unverantwortlich.
({10})
Jetzt komme ich auf das zu sprechen, was die Kollegin
Lehn mehrfach sagte. Es ist tatsächlich so: Umweltschutz,
Ökologie bzw. Nachhaltigkeit ist eine Querschnittsaufgabe. Ich will jetzt nicht die betreffenden Haushaltstitel
aus den anderen Bereichen nennen, sondern abschließend
nur auf ein Beispiel verweisen, was uns von Ihnen unterscheidet.
Die Rentenreform hat anscheinend mit diesem Thema
überhaupt nichts zu tun. Wir haben es geschafft, zweierlei
hinzubekommen.
Erstens. Wir konnten in der öffentlichen Diskussion
ebenso wie in der Haushaltsdebatte klar machen, dass der
Gedanke der Nachhaltigkeit nicht nur auf die Ökologie
beschränkt bleiben darf, sondern auch auf die Haushaltskonsolidierung und auf die Rentenversicherungssysteme
ausgedehnt werden muss.
Zweitens. Wir haben es als Koalitionsfraktion geschafft - das ist unmittelbar ökologisch relevant -, in das
Gesetz zum Aufbau privater Alterssicherung eine Klausel
aufzunehmen, wonach die Investmentgesellschaften in
Zukunft darüber Auskunft geben müssen, nach welchen
ökologischen und ethischen Kriterien sie ihre Anlagen
tätigen. Damit werden wir wahrscheinlich viel mehr grünes Geld in den richtigen Bereich lenken, als dies jemals
über die Haushaltsberatungen geschehen kann. Das ist
unser Ansatz, auf allen Ebenen Nachhaltigkeit zu etablieren, für den wir hoffentlich auch in Zukunft Unterstützung
bekommen werden.
Danke schön.
({11})
Jetzt hat die Kollegin
Eva Bulling-Schröter für die PDS-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Gedanken sind
frei“ - mit diesem Liedchen auf den Lippen schlendert
Minister Müller über die Flure des Wirtschaftsministeriums. Zur selben Zeit springen sein Namensvetter aus der
SPD-Fraktion und Frau Hustedt von den Grünen in der
Lobby des Reichstags im Kreis. Der Wirtschaftsminister
und Eon-Manager im Wartestand hat wieder einmal laut
nachgedacht, diesmal nicht über die Rente, sondern auf
den 114 Seiten des Energieberichts des Wirtschaftsministeriums über die Zukunft der Energieversorgung. Im Ergebnis scheint der Klimaschutz zu teuer; er kostet ArbeitsDr. Reinhard Loske
plätze und Wohlstand. Nach der Lektüre springen Union
und FDP ebenfalls über das Parkett, allerdings feixend
und sich die Hände reibend. Denn wer liefert dem politischen Gegner schon freiwillig so viel Munition im beginnenden Vorwahlkampf?
({0})
Ist es nun Komödie oder Tragödie? Ich denke, eher Letzteres. Die Platzierung und die Interpretation der Studienergebnisse im Energiebericht sind nicht Geistesblitze,
die mal eben als Diskussionsangebot raus müssen; sie
sind Teil einer Politik, die schon seit Beginn der Legislaturperiode gefahren wird. Die strategische Linie des Wirtschaftsministeriums im Energiebereich lässt sich in drei
Worten ausdrücken: bremsen, abschwächen, verhindern.
({1})
Aus dem Atomausstieg wurde eine Verstromungsgarantie für die Energiekonzerne.
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz verzeiht Herr
Müller den Grünen bis heute nicht und rächt sich mit einem nur noch als skandalös zu bezeichnenden Trauerspiel
um die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung, besser gesagt: um die Verhinderung eines Ausbaus der klimafreundlichen KWK.
Das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien
sollte nach dem Willen des Wirtschaftsministeriums drastisch schrumpfen. Es wurde in den Haushaltsberatungen
erst nach massiven Protesten von Verbänden wieder auf
200 Millionen Euro erhöht. - Sehr gut.
({2})
Jetzt wird das langfristige Klimaschutzziel „gegenüber
1990 minus 40 Prozent bis 2020“ infrage gestellt.
Die Widersprüchlichkeit der Bundesregierung in Fragen der Umwelt-, Energie- und Klimapolitik spiegelt sich
auch im Haushalt wider. Die Ausgaben aller Bundesressorts für den Umweltschutz liegen fast eine halbe Milliarde DM niedriger als 1999, dem Jahr nach dem Antritt
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Der Umwelthaushalt selbst sinkt um fast 7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass ein Großteil davon auf Reduzierungen im Endlagerbereich
zurückgeht.
({3})
- Das begrüßen wir natürlich im Grundsatz, lieber Kollege, obgleich wir eine Umwidmung der Mittel, nämlich
zur Sicherung und Schließung von Gorleben und Schacht
Konrad, fordern. Sie können dem ja zustimmen.
({4})
Dennoch geht wiederum ein großer Teil der Einsparungen zulasten der Programmtitel. Jedes Jahr stehe
ich hier und weise darauf hin, dass der Titel „Investitionen zur Verminderung der Umweltbelastungen“ wieder
drastisch gekürzt wird. Er soll im Entwurf des Haushalts
2002 wiederum um mehr als 3 Millionen Euro - das sind
15,5 Prozent - fallen. Seit 1993 schrumpft er damit um
82 Prozent.
Die Verwaltung dieses Titels schreit ebenfalls zum
Himmel. Der Bundesrechnungshof hat mehrfach ein
professionelleres Management dieses Förderungsinstruments angemahnt. Doch was passiert? - Mit der Begründung, die Mittel flössen ja sowieso nicht richtig ab, wird
der Titel zusammengestrichen. Wir meinen aber: Die Erstanwendung neuer Umwelttechnologien in großtechnischem Maßstab muss weiter gefördert werden. Die
Summe sollte über fünf Jahre wieder auf das Niveau von
1993 steigen.
Auch die Zuweisungen für Naturschutzgroßprojekte
sollen fallen, und zwar um 3,6 Millionen Euro, also um
16 Prozent. Doch die Förderung besteht vor allem aus
Mitteln für den Ankauf von Flächen für Großschutzgebiete. Wir meinen: Gerade hier ist auch im Hinblick auf
die FFH-Richtlinie eine deutliche Steigerung der Mittel
notwendig.
Die Zuschüsse für Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben im Naturschutz werden sinken, und zwar um
23 Prozent. Das sind dann 44 Prozent weniger als 1999.
Angesichts des anhaltenden Artensterbens und der weiteren Zerstörung wertvoller Naturflächen ist das für mich
völlig unverständlich. Sie tönen hier ständig, Sie wollten
die Agrarwende einleiten. Das finden wir toll. Aber genau
mit dem Titel wurden insbesondere Erprobungs- und
Entwicklungsvorhaben gefördert, also Vorhaben, die sich
im spannungsgeladenen Verhältnis von Naturschutz und
Landwirtschaft bewegen. Dieses Geld trägt zur Lösung
eines der wichtigsten Problemfelder der nachhaltigen
Entwicklung im ländlichen Raum bei. Ich frage mich: Wie
kann man da eigentlich ständig sparen?
Wie gesagt: Im Endlagerbereich wurden die Mittel
zurückgefahren. Die Bundesregierung ist bisher jedoch
nicht ernsthaft gewillt, Gorleben und Konrad wirklich
aufzugeben, und das trotz der enormen Defizite in den
Auswahlverfahren für beide Standorte.
Zum Haushalt gehört auch die Ökosteuer. Die Fortführung der ökologischen Steuerreform schafft jedoch
keine zusätzliche Finanzierungsgrundlage für den ökologischen Umbau. Wir haben das schon sehr oft angemahnt.
Deswegen haben wir auch dagegengestimmt. Deren Einnahmen werden nämlich nur in geringem Maße dafür eingesetzt. Sie fließen fast vollständig in die Senkung der
Rentenversicherungsbeiträge, die dann übrigens real
trotzdem nicht stattfindet; das muss man hinzufügen, Kollege Loske. Der durch die Reduzierung der Lohnnebenkosten erwartete Effekt für Beschäftigungssicherung bzw.
-aufbau ist ausgeblieben.
({5})
- Schauen wir uns im nächsten Jahr die Statistiken an,
dann werden wir es sehen.
Zudem verzichtet Rot-Grün ja noch auf Einnahmen.
Die Ausnahmen für das produzierende Gewerbe machen
die Ökosteuer für diese Unternehmen zur Gelddruckmaschine. Dass sich dafür nicht nur die PDS, sondern auch
Herr Monti in Brüssel interessieren wird, war ja wohl klar.
Nun will der Kollege Loske den Bergbau, die Chemie
und sogar die Eisen- und Stahlindustrie vollständig von
der Ökosteuer befreien. Der Emissionshandel würde das
schon richten. Leider hat er nicht erklärt, warum er die
Großindustrie ausnehmen will. Schade! Bloß, der Emissionshandel steht noch in den Sternen. Zudem werden
von den Grünen die Stimmen in der EU, nach denen ein
System des Emissionshandels nur für wenige ausgesuchte
Großemittenten möglich sei, einfach ignoriert. Das ist
also noch lange nicht geklärt. Für eine umfassende Lösung, die alle einzelnen Unternehmen umfasst, sehen
viele Experten wenig Chancen. Das sind die Aussagen
von Wissenschaftlern.
Das politische Ergebnis ab März nächsten Jahres
scheint damit klar: Zur Abschaffung der Ausnahmetatbestände für die Industrie wird sich Rot-Grün im Wahljahr
nicht durchringen. Im Gegenteil, die Industrie wird von
der Ökosteuer vollständig entlastet werden. Neben dem
Verkehrs- und Dienstleistungsgewerbe bleibt die Ökosteuer dann nur den privaten Haushalten erhalten, also
ausgerechnet denjenigen, die eher marginale Energiesparpotenziale haben. Das ist unserer Meinung nach ein dreimaliges Versagen: Haushaltspolitisch, umweltpolitisch
und sozialpolitisch.
({6})
Nun hat das Wort der
Bundesminister Jürgen Trittin.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Haushaltsberatungen sind ja immer
auch ein Stück Gelegenheit, Bilanz zu ziehen. Ich habe
mir die Mühe gemacht, einmal zurückzublicken: Wie war
das, als ich 1998 das Amt übernommen habe?
({0})
Damals stockte der Ausbau erneuerbarer Energien, weil
mit dem Stromeinspeisungsgesetz keine Investitionssicherheit herzustellen war.
({1})
Damals war auf Ihre vollmundigen Ankündigungen hinsichtlich des Klimaschutzes keine einzige Tat gefolgt. Mit
der Nichtausweisung von FFH-Gebieten und der mehr als
zehn Jahre lang überfälligen Umsetzung europäischen
Rechts stand Deutschland kurz davor, zu einem Zwangsgeld verurteilt zu werden. Mit anderen Worten: Als wir
den Laden übernommen haben, prägten Stillstand und
Rückschritt die Umweltpolitik.
({2})
Wir haben diesen Stillstand überwunden. Wir haben
das Bundesnaturschutzgesetz novelliert, wir haben ein
stattliches nationales Klimaschutzprogramm aufgelegt
und wir haben das Kioto-Protokoll ratifizierbar gemacht.
({3})
Wir haben die Energiewende in Deutschland eingeleitet.
Damit ist die Bundesrepublik mittlerweile weltweit zum
Schrittmacher geworden.
({4})
Auf eines haben wir dabei allerdings geachtet. Wir haben immer gesagt: Wir müssen die Menschen mitnehmen.
Das muss mit der ganzen Gesellschaft passieren.
({5})
Deshalb haben wir die Beteiligungsmöglichkeiten der
Bevölkerung erweitert, nämlich genau die Rechte, die
Sie den Menschen in diesem Lande immer beschnitten
haben.
({6})
Wir haben das Umweltinformationsgesetz, dem Sie sich
verweigert haben, umgesetzt.
({7})
Wir haben die IVU-Richtlinie und damit die Bürgerbeteiligung umgesetzt. Erst Rot-Grün hat dafür gesorgt, dass
die Menschen auch in der Bundesrepublik Deutschland
endlich die Rechte wahrnehmen können, die alle anderen
Europäer bereits hatten und die Sie ihnen im nationalen
Alleingang verweigert haben. Das nenne ich Menschen
mitnehmen.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der rechten Opposition - ich möchte Frau Bulling-Schröter da nicht zu
nahe treten;
({9})
dies meine ich aus meiner Sicht; wenn ich mich umdrehen
würde, wäre es die linke; nehmen Sie es jetzt nicht so politisch -,
({10})
ich erinnere mich noch gut daran, wie wir Herrn
Schnappauf aus Bayern, Herrn Müller aus Baden-Württemberg und andere zwingen mussten, endlich das zu tun,
wozu sich die Länder selbst vor zehn Jahren verpflichtet
haben, nämlich diejenigen Gebiete ordentlich zu melden,
wo Pflanzen und Viecher ihre Heimat gefunden haben.
({11})
Diese Bundesregierung hat dem Naturschutz in diesem Lande wieder Land, Geld und Recht gegeben.
({12})
Wir haben 100 000 Hektar zur Verfügung gestellt. Wir haben den Ländern und den Verbänden das Tafelsilber der
deutschen Einheit, von dem Klaus Töpfer nur gesprochen
hat, zur Verfügung gestellt.
({13})
Wir haben die Naturschutzverbände in diesem Lande in
den letzten Jahren besser mit Geld ausgestattet. Wir haben
die entsprechenden Ausgaben um 60 Prozent gesteigert.
Das sind mehr als 3 Millionen DM zusätzlich für diejenigen Verbände, in denen sich 6,5 Millionen Menschen in
diesem Lande organisiert haben und ohne deren
ehrenamtliche Arbeit es um die Natur in diesem Lande
sehr viel schlechter bestellt wäre.
({14})
Wir haben dem Naturschutz nicht nur Land und Geld gegeben, sondern wir haben ihm mit der Verbandsklage endlich auch Rechte gegeben. Es gibt jetzt die Möglichkeit
der Beteiligung an den notwendigen Interessenabwägungen.
({15})
Ich muss an dieser Stelle deutlich sagen: Wir haben den
Naturschutz - ich bin überhaupt kein Freund von Zäunen - aus den Reservaten herausgeholt. Naturschutz muss
auf der ganzen Fläche stattfinden.
({16})
Wir haben endlich - an dieser Aufgabe sind Sie gescheitert - Naturschutzkriterien für eine gute fachliche Praxis
der Landwirtschaft im Gesetz festgeschrieben.
({17})
Ein anderes Beispiel: Klimaschutz. Da es diesbezüglich in vielen Fragen einen Konsens gibt, muss ich nicht
agitieren. Ich finde es schon erschreckend, feststellen zu
müssen, dass eine Insel wie Tuvalu einfach im Pazifik versinkt und niemand ihre 11 000 Bewohner aufnehmen will.
({18})
Was für Probleme hätten wir, wenn dasselbe mit Bangladesch, das 180 Millionen Einwohner hat, passierte? Dann
bekämen wir alle ein Gefühl dafür, was es heißt, dass
heutzutage der Umfang der weltweiten Flüchtlingsbewegungen, die ihre Ursache in Umweltkatastrophen haben, inzwischen den Umfang der weltweiten Flüchtlingsbewegungen, die ihre Ursache in Kriegen haben,
übertrifft.
({19})
Klimaschutzpolitik hat bei uns deswegen absolute
Priorität. Es ist gut, dass wir das Kioto-Protokoll verabschiedet haben, das erstmals absolut verbindliche Obergrenzen festsetzt. Was heißt das? Das heißt, dass die
Klimapolitik künftig nicht mehr dem Wirtschaftswachstum hinterherhechelt, da das Ausmaß der Umweltverschmutzung tatsächlich gedeckelt wird.
Außerdem haben wir vorgemacht, dass die Energiewende nicht nur sinnvoll, sondern auch machbar ist. Ich
muss an dieser Stelle in aller Ruhe sagen: Die Energiepolitik dieser Bundesregierung ist in vielen Punkten besser
als so mancher Bericht darüber.
({20})
Wir sollen bis 2010 21 Prozent der Treibhausgase senken.
Manche Prognosen sprechen davon, dass wir nur 16 Prozent erreichen werden.
({21})
Ich muss die Wissenschaftler, die für diese Prognosen verantwortlich sind, leider korrigieren: Die Istzahl dieses
Jahres liegt nicht bei 16 Prozent - sie liegt auch in 2010
nicht bei 16 Prozent -; vielmehr liegt die aktuelle Reduktion bei 18,7 Prozent. Das ist Rekord in Europa. Wir sind
diejenigen, die zwei Drittel der Treibhausgasemissionen
in diesem Lande reduziert haben.
({22})
Da diese Rolle so anerkannt ist, liebe Frau Homburger,
hatten wir auch die Kraft, dieses Verhandlungsergebnis in
Bonn zu erzielen. Zusätzlich zu dieser Politik werden wir
aus der Atomenergie aussteigen, obwohl der Anteil des
Atomstroms an unserer Grundlast beachtlich ist. Und nur
deshalb war es uns möglich, im Clean Development Mechanism zu vereinbaren, dass der Bau von Atomkraftwerken nicht als saubere Entwicklung gilt.
({23})
Diese Entwicklung bei den Treibhausgasen war allerdings nicht mit - ich sage es jetzt nicht auf Schwäbisch;
sonst bekomme ich einen Ordnungsruf - Gerede zu erreichen, sondern man musste etwas für sie tun. Dafür musste
auch Geld in die Hand genommen werden. Ich muss an
dieser Stelle sagen: Das sind keine Kosten, sondern Investitionen, die große ökonomische und ökologische Erlöse
bringen.
({24})
Sie haben sich hier eben über die Ökosteuer gestritten.
Ich will Sie nur auf Folgendes hinweisen: In diesem Jahr
ist der Mineralölverbrauch in diesem Lande erneut um
5 Prozent zurückgegangen. Dank der Ökosteuer sinken
die verkehrsbedingten CO2-Emissionen, die unter Ihrer
Regierung jahrelang gestiegen sind, in diesem Jahr wahrscheinlich zum ersten Mal wieder, und zwar um 2 Prozent.
Wir haben einen beispiellosen Boom an erneuerbaren
Energien mit unserer Politik ausgelöst. Als wir den Laden
übernommen haben, haben Sie 18 Millionen DM für die
Förderung erneuerbarer Energien ausgegeben.
({25})
- 18 Millionen DM, Frau Homburger! - Jetzt sage ich Ihnen, wie viel wir für das Marktanreizprogramm und für
das 100 000-Dächer-Programm in diesem Haushalt ausgeben: 540 Millionen DM! Das ist der Abstand zwischen
Schwarz-Gelb auf der einen und Rot-Grün auf der anderen Seite.
({26})
Ich habe noch nicht einmal die 2,7 Milliarden DM eingerechnet, die über das Erneuerbare-Energien-Gesetz hinzukommen.
({27})
- Nein, Herr Caesar. Sie können zwar dazwischensabbeln; aber Sie können nicht einmal eine Haushaltsvorlage
lesen. Wir haben nicht gekürzt; wir haben die Ausgaben
auf ein Niveau ausgebaut, das es in diesem Lande noch
nie gegeben hat.
Das Ergebnis ist eindeutig: 7 500 Megawatt installierte
Windleistung, mehr als eine Verdoppelung in der Zeit, in
der wir regieren. Jede dritte Menge Strom,
({28})
die auf dieser Erde durch Windkraft produziert wird, wird
in Deutschland produziert. In der Solarthermie haben wir
heute Wachstumsraten von 30 Prozent pro Jahr. In diesem
Jahr wurden zum ersten Mal 1 Million Quadratmeter
neuer Fläche installiert. Gerade wird in Hameln die dritte
neue Photovoltaikfabrik gebaut. Als wir das Ministerium
übernommen haben, ist der letzte Hersteller von Herrn
Rexrodt aus dem Lande getrieben worden, weil er hier
keinen Platz gefunden hat.
({29})
Mit dieser Politik werden wir bis 2010 allein über die
erneuerbaren Energien 80 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Das entspricht - das sage ich für die, die sich da nicht
so gut auskennen - 8 Prozentpunkten. Hinzu kommt eine
Ersparnis von 23 Millionen Tonnen, die wir im Bereich
der Kraft-Wärme-Kopplung - Herr Loske hat darauf hingewiesen - erreichen konnten. Mit dieser Politik sichern
wir die Energieversorgung von morgen.
({30})
Wir reduzieren wie kein anderes Land die Treibhausgase.
Dadurch schaffen wir in beträchtlichem Umfang neue
Arbeitsplätze. Allein im Bereich der Windenergie arbeiten heute 35 000 Menschen. Das sind mehr, als in irgendeiner anderen Energiebranche dieses Landes beschäftigt
sind.
({31})
Ich will das in aller Ruhe sagen: Wenn wir diese Politik fortschreiben und die CO2-Emissionen weiter reduzieren - sagen wir, bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu
1990 - und wenn wir bis dahin gleichzeitig aus der Atomenergie aussteigen - das heißt, bis 2020 alle Kraftwerke
stilllegen -, dann wird dies unter dem Strich, nach Abzug
aller Verluste, netto ein Plus von 200 000 neuen Arbeitsplätzen ergeben. Das nenne ich nachhaltige Energie- und
Klimapolitik.
Das, meine Damen und Herren von der rechten Seite
der Opposition, ist eben der Unterschied zwischen Ihrer
und unserer Politik. Sie haben es hingenommen, dass spätere Generationen Ihre Rechnung bezahlen: für den Verlust der Artenvielfalt, für den Klimawandel und für den
Atommüll. Unsere Umweltpolitik ist ökologisch und ökonomisch ein Gewinn und sie beherzigt den Grundsatz der
Nachhaltigkeit, der da lautet: Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt.
({32})
Nun hat das Wort
Dr. Peter Paziorek.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Herr Minister Trittin, Sie tragen hier eine Bilanz Ihrer Politik vor und - es ist eigentlich gar nicht erstaunlich; wir haben das so erwartet - unterschlagen schamlos, dass die guten Zahlen, zum
Beispiel minus 18 Prozent beim CO2-Ausstoß, in den letzten drei Jahren gar nicht hätten zustande kommen können,
wenn nicht vorher, über zehn Jahre hinweg, eine
CDU/CSU- und FDP-geführte Umweltpolitik die Basis
für die CO2-Reduktion gelegt hätte.
({0})
Wollen Sie denn der Öffentlichkeit weismachen, dass Sie
in drei Jahren minus 18 Prozent zustande bekommen haben? Sie haben es doch nur so dargestellt, weil sich sonst
Frau Ganseforth wieder aufgeregt hätte, wie sie es zu
Herrn Töpfers und Frau Merkels Zeiten getan hat, als wir
sagten: Wir sind bei minus 10 Prozent bzw. bei minus
12 Prozent; wir haben jetzt minus 15 Prozent erreicht. Da haben Sie protestiert und haben gesagt: Das stimmt alles gar nicht. - Jetzt stellen Sie sich hier hin und sagen:
Wir sind bei minus 18 Prozent. - Herr Minister Trittin, bedanken Sie sich bei Herrn Töpfer und Frau Merkel für
diese gute Arbeit. Ohne deren Arbeit würden Sie hier
heute als ein Kaiser ohne Hemd und Reich dastehen.
({1})
Was waren das noch für erfolgreiche Zeiten in der Umweltpolitik, als auf der Regierungsbank Minister wie Professor Töpfer - Sie haben ihn gerade erwähnt; ich war erstaunt, in welch negativem Zusammenhang - die
Umweltpolitik prägten!
({2})
- Ich musste so laut sein, weil Sie gerade über meine
Worte so freudig erregt waren. Ich kann es auch leiser.
Heute haben wir einen Umweltminister, der im Grunde
genommen, auch wenn er gerade eine Bilanz vorgetragen
hat,
({3})
nur an einem Ziel interessiert war, nämlich am so genannten Atomausstieg. Er hat alle wichtigen Bereiche in
der Umweltpolitik - da stimmt es jetzt wohl - links liegen
gelassen.
Im Münsterland haben Sie, Herr Umweltminister, in
den letzten Tagen ganz aktuell Bedeutung aufgrund Ihrer
wirklich haltlosen und übertriebenen Angriffe gegen die
bäuerlichen Familienstrukturen in der münsterländischen
Parklandschaft erlangt. Man müsste sich ja als CDU-Politiker fast noch bei Ihnen bedanken, dass Ihnen dieser
Ausreißer in der letzten Beratung des Umweltausschusses
zum Naturschutz passiert ist. Das Traurige ist - Sie können da mit noch so viel Emphase hier vortragen -: Sie sind
vom parteilosen Wirtschaftsminister in Sachen Klimaschutz- und Energiepolitik ganz gewaltig vorgeführt worden. Das ist das Ergebnis der letzten 24 bzw. 48 Stunden.
Die Kollegin Homburger hatte doch Recht, als sie
sagte, im Grunde genommen sei in den letzten drei Jahren
die geistige Armut in der Umweltpolitik ziemlich deutlich
gewesen.
({4})
Kollege Loske hat einmal in einem Aufsatz geschrieben,
die rot-grüne Umweltpolitik müsste eine Qualitätsdebatte
sein. Man muss aber ganz klar und deutlich sagen, lieber
Kollege Loske - Qualitätsdebatte hin oder her -: Die rotgrüne Umweltpolitik ist einfach nicht mehr in der Lage,
der Bevölkerung sinnvolle langfristige Perspektiven in
der Umweltpolitik zu vermitteln. Die rot-grüne Umweltpolitik ist nicht in der Lage, sich in die Debatten um den
durchaus notwendigen Strukturwandel in unserer Gesellschaft einzubringen und aus sich selbst heraus den Bürgerinnen und Bürgern tatsächlich eine wirklich sinnvolle
und überzeugende Perspektive zu vermitteln. Die jetzige
Regierung hat versagt: Sie hat es nicht geschafft, Umweltpolitik sinnvoll zu gestalten und in einen umfassenden Strukturwandel einzubringen.
({5})
Das kann man an mehreren Beispielen belegen. Fangen wir mit der Abfallpolitik an: Wo bleibt denn eine Konzeption, die tatsächlich dafür sorgt, dass der notwendige
Wandel in der Abfallwirtschaft herbeigeführt wird? Die
Abfallpolitik hat nach dem Umsteuern durch Professor
Töpfer Anfang der 90er-Jahre hin auf die Kreislaufwirtschaft - ich weiß gar nicht, warum Sie so tun, als ob Sie
sie erfunden hätten - eine wirkliche Erfolgsbilanz aufzuweisen.
({6})
Aber heute, im Jahre 2001, stellen sich völlig neue Probleme, nämlich, wie die Erfordernisse der Liberalisierung
des Marktes aufgrund der Wettbewerbspolitik und der
Verbesserung der technischen Standards bzw. deren
Weiterentwicklung mit den Erfordernissen der Kommunen in Einklang gebracht werden können, die in diesem
Bereich in den letzten Jahren investiert haben.
Gesprächspartner aus Ihrem Hause, Herr Minister, sagen, sie hätten das Gefühl, dass bei diesen Problemen alle
auf Tauchstation gingen und man im Bundesumweltministerium so tun würde, als ob es diese Probleme nicht
gebe. Man spürt richtig, dass niemand in Ihrem Hause den
Mut hat, ein geschlossenes Konzept für die Abfallpolitik
in Deutschland vorzulegen. In dieser Frage haben Sie
deutlich versagt. Das spüren die Verbände, das spüren die
in der Abfallwirtschaft tätigen Firmen und das spüren die
Kommunen vor Ort. Das ist das Traurige, meine Damen
und Herren.
({7})
Die Verpackungsverordnung, die von Ihnen angesprochen wurde, ist doch gerade ein Beleg dafür, wie Sie
versuchen, bruchstückhaft irgendwo an einer Stelle zuzupacken und dort eventuell eine Berücksichtigung von
Umweltpolitik zu reklamieren. Im Grunde genommen
wissen Sie aber ganz genau, dass es der falsche Weg ist,
sich irgendwo nur einige Häppchen herauszusuchen. Ich
glaube, dass Sie gar nicht mehr die politische Kraft haben,
um eine Gesamtkonzeption vorzulegen.
Nun zur Klimaschutzpolitik, Kollege Loske: Nicht
die Förderung der erneuerbaren Energien ist an sich bedenklich, sondern die Art, wie Sie mithilfe des EEG
tatsächlich diese Förderung durchführen. Wenn die Bevölkerung heute schon wüsste, wie teuer die Förderung
der erneuerbaren Energien ist - die Entwicklung geht ja
dahin, dass in ein bis zwei Jahren selbst die höchsten Förderungsraten der früheren Kohlesubventionen überschritten sein werden -, würde die Unterstützung der Bevölkerung, auf die Sie sich im Augenblick immer berufen,
wegbrechen und sie würde kein Verständnis mehr dafür
haben, dass Sie in einem solchen Ausmaß erneuerbare
Energien fördern.
({8})
Sie haben ja auch die Arbeitsmarktbilanz angesprochen. Hierzu steht heute im Ticker:
Zu dem Gegenargument,
- da bezieht er sich wohl auf Abgeordnete von Rot-Grün Klimaschutz schaffe Arbeitsplätze und erhöhe
Exportchancen, sagte Müller: „All diese Arbeitsplätze sind mehr oder weniger hoch subventioniert“.
Es gebe noch keinen einzigen Arbeitsplatz bei der
Sonnen- oder Windenergie, der sich im Markt tragen
würde.
({9})
Wir wollen auch, dass das funktioniert. Aber Ihr Weg
bedeutet nichts anderes als eine überzogene Subventionierung. Das ist volkswirtschaftlich falsch.
Frau Lehn, Sie haben gerade die Förderung der KraftWärme-Kopplung durch das neue Gesetz angesprochen.
Es reicht nicht aus, wenn Sie einfach nur aus diesem Gesetz zitieren. Wenn man genauer in dieses Gesetz schaut,
dann stellt man fest, dass Sie nur ein Ziel verfolgen:
Sie wollen die Kommunen beim Bau kommunaler Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen unterstützen. Dabei vernachlässigen Sie völlig, dass bei dieser Förderung
industrielle Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen schon mittelfristig aus dem Markt gedrängt werden.
Ich frage Sie: Was ist an Ihrem Gesetzentwurf sinnvoll?
({10})
Dass Sie irgendwelchen Interessengruppierungen auf der
kommunalen Ebene in dieser Frage nachgeben? Dass Sie
dabei vernachlässigen, dass ein ganz attraktiver Zweig im
Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung wegbricht, nämlich
der der industriellen KWK-Anlagen, und dass Sie dadurch einen wesentlichen Bereich, der für den Klimaschutz interessant ist, langfristig nicht mehr am Markt haben werden? Genau das ist die Gefahr bei Ihrem
Gesetzentwurf. Deshalb halte ich es für völlig falsch, dass
Sie diesen Gesetzentwurf als einen positiven Beitrag zur
Klimaschutzpolitik darstellen.
({11})
- Warten Sie einmal ab. Zu diesem Thema findet ja im
Umweltausschuss noch eine Sondersitzung statt.
Schauen Sie sich einmal Ihre Naturschutzpolitik an.
Herr Kollege Loske, Sie wollen mit den Bauern angeblich
kooperativ zusammenarbeiten. Sehen Sie sich einmal das
Konzept an, das Sie den Bauern tatsächlich vorlegen. Sie
sagen den Bauern, Sie seien durchaus bereit, im Bereich
des Vertragsnaturschutzes mit ihnen zusammenzuarbeiten, hätten dafür aber kein Geld. Abschaffen wollen Sie
den Vertragsnaturschutz aber auch nicht. Sie wollen ihn
nun mit schönen hehren Worten im Naturschutzgesetz
grundsätzlich benennen, die Finanzierung wollen Sie aber
den Länder überlassen. Wir wissen ganz genau: Es gibt
Länder, die finanziell in der Lage sind, etwas in diesem
Bereich zu tun - das sind die schwarz regierten Länder -,
und dann gibt es einige Länder, die bedeutend weniger
tun.
Was ist denn das eigentlich für ein Rahmen, den Sie in
der Landwirtschafts- und Naturschutzpolitik setzen? Sie
sagen, Sie wollten mit den Nutzern, den Bauern, reden.
Wenn die Bauern es aber nicht so machen, wie Sie das
wollen, dann drohen Sie ihnen mit dem Ordnungsrecht.
Wenn sie kooperativ zusammenarbeiten wollen, dann
sagen Sie, Sie hätten kein Geld.
({12})
Das ist Ihr Verständnis von Naturschutzpolitik und Vertragsnaturschutz. Ich sage Ihnen: Sie wollen die Bauern
hinters Licht führen. Dagegen werden wir Stellung beziehen.
({13})
Zur Sanierung des Althausbestandes. Sie haben hier
heute erzählt, das Volumen sei von 100 auf 200 Millionen
aufgestockt worden. Aber eine konkrete Förderung gibt es
nicht; Sie wollen damit nur wieder Forschungsprojekte finanzieren. Das Interessante ist doch die Frage, wer dann
wieder bedient wird. Sie betreiben nämlich, wie auch bei
der Windkraft, eine eiskalte Klientelpolitik.
({14})
- Was stimmt nicht? Am 23. Juli dieses Jahres haben Sie
Knall auf Fall das so genannte Anreizprogramm für Biogasanlagen zusammengestrichen. Auch bei der Solarthermik haben Sie die Förderung reduziert. Sie stellen sich
hier hin und sagen, sie täten mehr für den Bereich der erneuerbaren Energien, tatsächlich kürzen Sie aber bei Biogas, bei Biomasse und bei der Solarthermik. Sie argumentieren mit einer gespaltenen Zunge. Dagegen muss
hier eindeutig wiedersprochen werden.
({15})
Sie sagen, Sie wollten beim Kreditprogramm der KfW
zur Sanierung des Althausbestandes 2 Milliarden DM auflegen. Meinen Sie wirklich, dass Sie es mit einem verbilligten Kreditprogramm, bei dem bei den Kreditausgaben
vielleicht um 1 Prozent gekürzt wird, schaffen, im Baubereich 10 Milliarden DM an Investitionen freizusetzen?
Sie sind gar nicht in der Lage, zur Sanierung des Althausbestandes ein modernes Anreizprogramm, zum Beispiel durch eine Anschubfinanzierung, meinetwegen auch
durch Steuererleichterungen oder auch durch einen verlorenen Zuschuss, zustande zu bringen. Sie haben noch immer nicht erkannt, dass gerade in diesem Bereich die
große Chance besteht, enorme Mengen an CO2 einzusparen. Sie aber kneifen und meinen, mit einem solch verschämten kleinen Programm könnten Sie tatsächlich etwas bewegen. Alles nur Deklamation.
({16})
Zum Schluss möchte ich folgenden Punkt ansprechen:
EU-Kommissar Monti hat die Ausgestaltung der Ökosteuer heute ziemlich deutlich kritisiert. Deshalb wiederhole ich, was wir schon immer gesagt haben: Die Ausgestaltung der Ökosteuer ist falsch. Sie ist kein sinnvolles
Instrument, um die Umweltpolitik in Deutschland
tatsächlich weiterzubringen. Was Herr Monti heute kritisch hinterfragt, ist das, was wir immer schon gegen die
Ökosteuer eingewendet haben
({17})
und was Herr Töpfer kritisch zu Ihrer Ausgestaltung der
Ökosteuer gesagt hat.
Die Bilanz: Ihnen, Herr Minister, ist es eindrucksvoll
gelungen, die Umweltpolitik in Deutschland vor die Wand
zu fahren.
({18})
Die Bevölkerung spürt dies; denn Ihre persönlichen Umfragewerte - Details kann ich wegen der abgelaufenen
Redezeit nicht mehr vortragen; ich wollte sie eigentlich
nennen - sind leider außerordentlich schlecht. Herr
Trittin, Sie stehen sogar noch schlechter da als der Verteidigungsminister Scharping. Das will eine ganze Menge
heißen.
Diese Bilanz ist schlimm für die Umweltpolitik. Aber
ab dem 22. September 2002 wird es mit einer CDU/CSUgeführten Bundesregierung auch in der Umweltpolitik
wieder aufwärts gehen.
({19})
Nun hat die Kollegin
Ulrike Mehl das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Paziorek, um diese Uhrzeit kann
man es sich leisten, solch einen Quatsch zu reden.
({0})
Diese Debatte wird ja nicht weltweit übertragen; hier ist
im Moment sozusagen der geheimste Ort in dieser Republik.
({1})
Auf einen Punkt möchte ich gerne eingehen. Warum
Frau Merkel nicht mehr Ministerin ist, das wissen wir.
Das ist relativ klar. Sie haben Herrn Töpfer einen Glorienschein aufgesetzt und gesagt, wie großartig er gewesen
ist. Ich frage Sie: Warum ist er nicht Umweltminister geblieben?
({2})
Er war plötzlich Bauminister und kurz darauf war er nicht
mehr Mitglied im Kabinett. So toll kann das Verständnis
untereinander nicht gewesen sein.
({3})
Herr Töpfer, den ich sehr schätze, lobt im Übrigen die
Ökosteuer. Es mag zwar sein, dass er einzelne Punkte kritisiert. Aber er kritisiert vor allen Dingen an der
CDU/CSU, dass sie sich in Fragen der Ökosteuer so verhält, wie sie sich verhält.
Zum Thema Abfall möchte ich Ihnen sagen: Die Verpackungsverordnung und all die Regelungen, die daran
hängen, stammen von Herrn Töpfer. Mit diesen Altlasten
müssen wir uns jetzt herumschlagen.
({4})
Ihre Aussagen sind etwas halbseiden. Deswegen brauchen
wir uns nicht näher damit zu beschäftigen.
Wir hatten von Zielen und Instrumenten geredet. Ich
glaube, dass wir uns in den fernen Zielen, die bezüglich
der Umwelt und der Nachhaltigkeit erreicht werden sollen, relativ schnell einig werden. Aber in welcher Geschwindigkeit und mit welchen Instrumenten man diese
Ziele erreicht, darüber gibt es sofort Streit; denn dann geht
es um das Handeln und nicht nur um fromme Sprüche.
Dass wir bisher gehandelt haben und auch zukünftig handeln werden, kann man im Haushaltsplan des Bundesumweltministers deutlich ablesen.
Ich will zu dieser späten Stunde mit einem etwas ungewöhnlichen Bild, das für diese nasse Jahreszeit geeignet ist, die Situation im übertragenen Sinne veranschaulichen: Man stelle sich einen Teller dampfende, nachhaltige
Gemüsesuppe vor.
({5})
- Ja, das wäre jetzt was.
({6})
Die drei Hauptzutaten sind Wirtschafts-Kartoffeln, Umwelt-Lauch und Sozial-Rübchen. Aus jeder der drei Zutaten kann man eine sehr schmackhafte Suppe kochen. Aber
zusammen sind sie besonders lecker und sättigen viel besser. Sie sind eben nachhaltig.
Vor dem Einkauf schauen wir natürlich in den Geldbeutel - damit bin ich beim Haushalt - und beschließen,
dass wir uns dieses Süppchen leisten wollen, leisten können und dass wir es uns leisten müssen, wenn wir nicht
zukünftige Generationen vor schier unlösbare Probleme
stellen wollen. Deswegen sind dies in ganz besonderem
Maße Zukunftsinvestitionen, die nicht nur Geld kosten
- das tun sie natürlich auch -, sondern eben sehr viel einbringen.
Dabei sind drei Dinge besonders zu beachten:
Erstens. Wir dürfen nicht nur unsere eigenen Süppchen
kochen, sondern müssen immer öfter über den Tellerrand
hinausschauen.
({7})
Umweltschutz und Umbau zu nachhaltigkeitsgerechten
Strukturen müssen wir nicht nur in unserem Land ausbauen, sondern wir müssen europaweit und international
für diese Konzepte werben und bei der Umsetzung helfen.
Zweitens. Wir dürfen das Salz in der Suppe nicht vergessen. Das Salz in der Nachhaltigkeit ist das Engagement
in der Gesellschaft. Das sind die Verbände, die Vereine
und die engagierten Bürgerinnen und Bürger, deren Engagement es zu erhalten und auszubauen und deren Input
es vor allen Dingen ernst zu nehmen gilt.
Drittens. Ab und zu ist auch ein Haar in der Suppe. Das
bedeutet aber nicht, dass der Koch schlecht ist.
({8})
Der vorliegende Haushalt zeigt, dass wir diese Prinzipien ernst nehmen. Wir blicken übrigens im Gegensatz
zur CDU/CSU über den Tellerrand hinaus, indem wir zum
einen die Mittel für die internationale Zusammenarbeit
auf dem Umweltgebiet, die Beiträge an internationale
Organisationen auf dem Umweltgebiet und die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Naturschutzes
um insgesamt über 1,5 Millionen Euro erhöhen.
Die CDU/CSU hat dagegen beantragt, die Mittel für
die internationale Zusammenarbeit um 500 000 Euro zu
kürzen;
({9})
die Mittel für die Verminderung der grenzüberschreitenden Umweltbelastung hätte sie gerne um den gleichen Betrag gekürzt.
({10})
Das lässt ja nun wirklich tief blicken. Wer dauernd von
den Chancen der Globalisierung redet, der muss auch
dafür sorgen, dass es Chancen sind.
({11})
Stattdessen haben Sie auf Kosten von wichtigen Zukunftsaufgaben Geld zugunsten eines atomaren Endlagers
in Gorleben zusammengekratzt, wie man feststellt, wenn
man sich Ihre Anträge einmal anschaut. Ich finde, das ist
alles andere als eine glaubwürdige Politik.
({12})
Wir statten zum anderen ein für uns in Deutschland besonders wichtiges Arbeitsfeld finanziell besser aus, nämlich das Beratungsprogramm für Umweltfragen für die
Staaten in Mittel- und Osteuropa. Wir erhöhen die Mittel
um 306 000 Euro auf nunmehr 1,8 Millionen Euro. Das
sind unter anderem Konsequenzen aus den Gesprächen,
die wir auch im Umweltausschuss geführt haben. Wir haben außerdem eine Anhörung dazu gemacht. Dabei ist
sehr deutlich geworden, dass die Umweltsituation in den
Beitrittsstaaten noch weit von unseren Standards entfernt
ist und dass dringender finanzieller wie auch Know-howBeratungsbedarf notwendig ist. Deswegen ist auch dies
eine wirkliche Zukunftsinvestition in Sachen Umweltschutz.
({13})
Auch in einer anderen Himmelsrichtung blicken wir
über unsere Grenzen hinaus. Wir schaffen mit der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes Möglichkeiten,
Schutzgebiete in der Ausschließlichen Wirtschaftszone, also im Meer jenseits des deutschen Hoheitsgebietes, auszuweisen. Dazu ist eben schon einiges gesagt worden. Ich halte es für wirklich gelungen, dass wir diese
Regelung in das Naturschutzgesetz hineingeschrieben haben und uns auch über die Ziele einigen konnten, nämlich
auf der einen Seite regenerative Energien, Windenergie,
voranzubringen und auf der anderen Seite den Naturschutz im Meer zu sichern, auch wenn man es oben nicht
sieht. Dass alle Beteiligten das zu einem befriedigenden
Ergebnis gebracht haben, ist ein wirklicher Erfolg.
({14})
- Ich weiß, dass die späte Stunde eher zum Kabarett geeignet ist, aber wir müssen jetzt über dieses Thema sprechen.
Herr Borchert, Sie haben gesagt, es gehe nur um die
Verwaltung. Aber wie wollen Sie Schutzgebiete in der
AWZ denn ausweisen können? Wie wollen Sie wissenschaftliche Daten bekommen, wenn Sie dafür kein wissenschaftliches Personal haben? Es ist nur konsequent,
dass wir dafür Personal einstellen, damit die Ergebnisse
nicht Pi mal Daumen zustande kommen, sondern das
Ganze eine fundierte Grundlage hat.
({15})
Zum Thema Vertragsnaturschutz. Da muss ich mich
ja nun wirklich wundern. Sie, Herr Borchert, haben damals den Vertragsnaturschutz in der Form in Frau Merkels
Gesetz gezwungen, wie er anschließend enthalten war.
Das Gesetz ist dann maßgeblich an diesem Punkt gescheitert.
({16})
Sie haben immer gesagt, das sei für die Landwirtschaft ein
sehr wichtiger Faktor, deshalb müsse das so sein. Als es
jedoch um die Finanzierungsfrage ging, wollte der Bund
damit plötzlich überhaupt nichts zu tun haben. Das sollten
natürlich die Länder bezahlen.
({17})
Sie haben gesagt: Wer die Musik bestellt, muss auch bezahlen. Eben! Nach dem Grundgesetz sind für den Naturschutz die Länder zuständig und nicht der Bund.
({18})
Deswegen kann der Bund nicht den Ländern vorschreiben, dass sie dem Vertragsnaturschutz Priorität einräumen
müssen. Aus diesem Grunde war das von vornherein
falsch.
Ein weiterer Punkt zu diesem Thema. Wir haben zwei
Jahre intensiv an dem Thema gute fachliche Praxis in
der Landwirtschaft gearbeitet. Wir haben mit den Landwirten viele Gespräche geführt. Ich habe in meinem Land
sehr häufig mit dem Bauernverband darüber diskutiert.
Dabei wurde mir immer Folgendes gesagt: Das, was im
Gesetz zu guter fachlicher Praxis steht, machen wir doch
alles! - Ich habe gefragt: Was haben Sie denn dann für ein
Problem, wenn das im Naturschutzgesetz steht? - Das
wollen wir nicht, dass das da drinsteht!
({19})
Das ist nun keine Argumentation. Wenn in der Landwirtschaft so praktiziert wird, wie es dort steht, und diese Mindeststandards in der Praxis auch tatsächlich angewendet
werden, dann ist doch alles in Butter. Dort, wo sie nicht angewendet werden, ist es an der Zeit, dass sie festgeschrieben werden. Deswegen ist es nach wie vor richtig, dass wir
dies im Bundesnaturschutzgesetz verankert haben.
({20})
Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Meine Redezeit ist abgelaufen.
Ob Ihnen das gefällt oder nicht: Wir gehen mit diesem
und sicher auch mit dem nächsten Haushalt Schritt für
Schritt
({0})
in Richtung der nachhaltigen Entwicklung. Wir werden
auch den nächsten Haushalt, und zwar unseren, beschließen
({1})
und wir werden in Deutschland und auf internationalem
Gebiet weiterhin Nachhaltigkeit praktizieren.
({2})
Jetzt hat der Kollege
Dr. Christian Ruck für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Es ist verzeihlich und auch
keine Überraschung, dass Rot-Grün in der vielleicht letzten Haushaltsdebatte der Legislaturperiode natürlich mit
allen Mitteln versucht, ihre Umweltbilanz schönzureden.
Diesmal können Sie aber wirklich strampeln, so viel Sie
wollen. Es wird Ihnen nicht gelingen; denn dafür ist diese
Bilanz einfach zu schlecht.
({0})
Das gilt trotz Trittins Märchenstunde auch für den
Haushalt. Es ist und bleibt ein Armutszeugnis, wenn der
Gesamthaushalt um 1,5 Prozent steigt und der Umwelthaushalt um 5,7 Prozent sinkt. Herr Trittin, es bleibt auch
ein Armutszeugnis, dass Sie es als Umweltminister hinnnehmen mussten, dass Ihr Umwelthaushalt seit 1998 um
fast 12 Prozent abgenommen hat, während der Gesamthaushalt um 6 Prozent angestiegen ist.
({1})
Sie können reden, so viel Sie wollen. Das ist ein Armutszeugnis.
({2})
Schon allein an diesen Zahlen sieht man, dass Herr
Trittin ein Umweltminister im Sinkflug ist.
Natürlich kann man sagen, dass umgeschichtet worden
ist. Als ob das ein Argument wäre. Sie haben unsere Erhöhungsanträge abgelehnt, aber nicht mit der Begründung, dass umgeschichtet werden muss. Sie können
natürlich auch sagen, dass Quantität nicht alles ist und
dass Sie es mit Qualität machen. Die Qualität Ihrer umweltpolitischen Arbeit ist aber noch schlechter; denn Sie
haben Dinge getan, die Sie besser gelassen hätten,
({3})
und Sie haben Dinge nicht getan, die Sie hätten tun sollen.
({4})
Herr Loske, ich muss noch einmal sagen, dass Sie und
andere sich immer mit fremden Federn schmücken. Zum
Beispiel ist der Boom in der Windenergie durch das
Stromeinspeisungsgesetz entstanden. Sie leben hinsichtlich Ihres Erfolges von dem Stromeinspeisungsgesetz. Sie
können nun wirklich nicht behaupten, dass es Ihre Erfindung war.
({5})
Wenn Sie ganz ehrlich sind, dann müssen Sie auch sagen,
dass die Reduktion der Treibhausgasemissionen nicht,
wie Herr Trittin es hingestellt hat, Ihr Erfolg ist, sondern
dass diese Reduktion - aus welchen Gründen auch immer unter Ihnen zum Stillstand gekommen ist.
Im Naturschutz haben Sie einen Sturm entfacht, aber
nur einen Sturm der Entrüstung. Das ist schade;
({6})
denn die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes wirkt in
einem Bereich, der auch mir sehr am Herzen liegt. In
Wirklichkeit wirft sie den Naturschutz zurück. Es ist in
der Tat so, dass die Novelle mehr Bürokratie und mehr
Gängelung, aber weniger Geld verspricht. Sie haben nämlich den Vertragsnaturschutz in der Tat ausgehöhlt und
streichen den Titel für die Großschutzgebiete zusammen.
Das ist Faktum und wird auch von Ihnen nicht bestritten
werden können.
Jetzt darf ich Sie, weil der Naturschutz auch für uns
wirklich ein zentrales Thema ist, daran erinnern, wer es
denn war, der die milliardenschwere Deutsche Bundesstiftung Umwelt gegen viele Widerstände ins Leben gerufen
hat, und wer es war, der seit langem dafür gekämpft hat,
dass diese Stiftung für Naturschutzzwecke geöffnet wird.
({7})
Das waren nicht nur wir allein. Aber wir waren an verantwortlicher Stelle daran beteiligt. Ich darf auch daran erinnern, welcher Minister der erste war, der einen Truppenübungsplatz zu einem Nationalpark hat umwidmen
lassen. Das war nämlich Theo Waigel.
({8})
Ich darf auch daran erinnern - diese Diskussion halte
ich für ein bisschen scheinheilig -, dass es die rot-grün geführten Bundesländer sehr wohl in der Hand hätten, wesentlich mehr für den eigenen Naturschutz, vor allem für
den Vertragsnaturschutz, zu tun.
({9})
Wenn Sie sich die Zahlen anschauen, stellen Sie fest, dass
das CSU-geführte Bayern 450 Millionen DM pro Jahr
dafür ausgibt, Nordrhein-Westfalen aber nicht einmal ein
Drittel dieses Betrages.
({10})
Das ist scheinheilig.
Der deutsche Wald war für die Grünen immer ein Symbol ihrer Existenzberechtigung. Jeder Waldzustandsbericht verursachte in früheren Zeiten die reinste Empörung.
Seitdem Sie an der Regierung beteiligt sind, hat sich der
Waldzustand nicht gebessert. Aber dafür ist Ihre
Empörung weg. Das finde ich scheinheilig.
Beim Thema Mobilfunk zum Beispiel ist Minister
Trittin nicht in der Lage, unsere Große Anfrage, die wir
im April dieses Jahres gestellt haben, zu beantworten.
Fehlanzeige!
({11})
Aber Sie lassen sowohl die Bürger als auch die Kommunen mit ihren zum Teil unberechtigten Sorgen um den
Mobilfunk im Stich.
({12})
Das 8-Millionen-Programm für fünf Jahre ist wirklich
eine reine Alibi-Veranstaltung im Vergleich zu den
100 Milliarden UMTS-Einnahmen, die Sie für den Mobilfunk bekommen haben.
({13})
Dann war ja auch noch einmal versteckt vom Dosenpfand die Rede. Herr Trittin, beim Dosenpfand haben Sie
sich aus purer Eitelkeit einem Kompromissvorschlag des
Bundesrates
({14})
verweigert und blockieren damit gegen jede Vernunft eine
zeitgemäße, ökologisch begründete Anpassung der Verpackungsverordnung.
({15})
Das KWK-Vorschaltgesetz ist ein kompletter Murks,
({16})
und zwar vor allem wegen seiner kompletten ökologischen Wirkungslosigkeit.
({17})
Jetzt liegt die Nachbesserung von Ihnen wegen schwerer
inhaltlicher Verwerfungen auf Eis. Selbst wenn Sie Ihre
Nachbesserungen noch durchsetzen, werden Ihnen diese
Verwerfungen erhalten bleiben.
Da Sie immer gefragt haben, wo unsere Vorschläge bezüglich KWK seien,
({18})
kann ich Ihnen sagen: Die Vorschläge liegen auf dem
Tisch. Sie haben sie in diesem Hause abgeschmettert.
Aber Sie müssen ja wenigstens das, was Sie abschmettern, kennen.
({19})
Sonst können Sie hier nicht auftreten und sagen, Sie hätten von uns keine konkreten Vorschläge bekommen.
Völlig fehl am Platze finde ich auch Ihren zur Schau
getragenen Stolz über den angeblich bevorstehenden
Atomausstieg. Ihre Gesetzesnovelle ist doch in Wirklichkeit mittel- und langfristig ein Torpedo gegen die nukleare
Sicherheit, und zwar national wie international,
({20})
und gegen den Klimaschutz im eigenen Land. Beim Stichwort Klimaschutz herrscht ja derzeit ein wirklich buntes
Treiben in Ihren Reihen.
({21})
Hier passt die Überschrift vom rot-grünen Chaos wirklich
wie die Faust aufs Auge. Der nüchterne Energiebericht
des Wirtschaftsministers hat die rot-grünen Energieideologen ins Mark getroffen und sogar zu peinlichen Verbalinjurien verleitet. Das ist wirklich ein Trauerspiel.
({22})
- Herr Schmidt, Fakt ist doch, dass sich Ihre entwicklungspolitischen Maßnahmen, die Sie unter dem Stichwort Ökologie und Klimaschutz laufen lassen, bereits
jetzt und in naher Zukunft tatsächlich zu einer gewaltigen
Belastung für die privaten Haushalte und die Wirtschaft in
Deutschland aufschaukeln, und zwar von der Ökosteuer
bis zum Atomausstieg.
({23})
Da hat der Wirtschaftsminister völlig Recht, und zwar
auch mit der von ihm genannten Zahl von bis zu 500 Milliarden DM.
Fakt ist auch - das sage ich Ihnen, Herr Loske, weil Sie
so sehr auf dem Thema Ökosteuer herumgeritten sind -,
dass Sie mit vielen dieser Maßnahmen auch ökologischen
Etikettenschwindel betreiben. Herr Loske, auch mit mir
können Sie jederzeit über eine Ökosteuer, die in der Sache wirklich zielführend ist, diskutieren.
({24})
Wir lehnen die Ökosteuer aber deshalb dezidiert ab, weil
sie die sozialen Sicherungssysteme in keiner Weise stabilisiert
({25})
und weil sie löchrig ist wie Schweizer Käse. Die Ökosteuer in der von Ihnen beschlossenen Ausgestaltung ist
teurer und ökologisch viel zu wenig effizient.
({26})
Dies gilt auch für die sündhaft teure Förderung der
Photovoltaik. Wir können jederzeit darüber diskutieren,
wie wir die regenerativen Energien verdoppeln - dies ist
zum Beispiel auch unser erklärtes Ziel -, aber nicht mit
einer Photovoltaikförderung, die 6 Milliarden kostet und
dann den Anteil an der Stromproduktion von 0,1 auf 0,5
Promille steigert. Das ist doch herausgeschmissenes
Geld.
({27})
Sie schießen mit viel zu teuren Kanonen auf zu viele Spatzen.
Das ist der Grund, warum uns die Vorreiterrolle im Klimaschutz so teuer zu stehen kommt. Der Wirtschaftsminister hat auch Recht, wenn er sagt, dass die klimapolitische Vorreiterrolle in dem Augenblick unsinnig wird, in
dem wir nicht nur ehrgeizige Ziele haben, sondern auch
die einzigen sind, die sie erfüllen.
({28})
- Doch. In Europa bilden zurzeit England, Luxemburg
und wir die einsamen Spitzen. Der Rest läuft unter „ferner
liefen“.
({29})
- Nein.
Fakt ist leider auch, dass der müllersche Energiebericht
zwar schonungslose Analysen enthält, uns aber eines vorenthält: ein schlüssiges tragfähiges Energiekonzept, das
Ökonomie mit Ökologie verbindet, also genau das, was
wir brauchen. Dies allerdings ist bei dieser Koalition und
ihren zutage getretenen zentrifugalen Kräften völlig unmöglich geworden.
Wer aber kein schlüssiges Energie- und Klimaschutzkonzept hat, kann auch international nicht überzeugen:
nicht in Europa und auch nicht gegenüber den Amerikanern. Damit hat ihre Politik in einer Schlüsselfrage unserer Zukunft versagt. Sie, Herr Trittin, werden in die Ahnenreihe der deutschen Umweltminister sicher als derjenige eingehen, der ein Alibiumweltminister geworden ist.
({30})
Als Letzter in dieser
Aussprache hat der Kollege Christoph Matschie für die
SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Da schon viele Argumente ausgetauscht worden sind, habe ich überlegt, ob überhaupt noch
etwas zu sagen ist. Aber nach Ihrer Rede, Herr Ruck, muss
ich auf einige Punkte eingehen.
Auch wenn es vorhin schon erklärt worden ist, ist es bei
Ihnen offensichtlich nicht angekommen:
({0})
Sie haben noch einmal beklagt, dass der Haushalt zurückgeht. Dabei ist Ihnen vorhin schon erklärt worden, dass
dieser Rückgang mit dem Atomausstieg und damit zusammenhängt, dass bestimmte Ausgaben für den Endlagerbereich nicht mehr notwendig sind.
({1})
Der Stammhaushalt steigt sogar um 0,5 Prozent. Das
muss hier noch einmal deutlich gesagt werden.
({2})
Herr Borchert, Sie haben gesagt, dieser Haushalt bedeute mehr Verwaltung und weniger Umweltschutz. Ich
erinnere mich noch gut an die Diskussion vor ein paar Jahren, bei der Sie hier vorne standen. Da hieß es immer: Auf
die Haushaltszahlen kommt es nicht so genau an;
({3})
entscheidend ist vielmehr, dass das Umweltministerium
im Wege der Gesetzgebung Rahmenbedingungen schafft,
damit eine vernünftige Umweltpolitik betrieben werden
kann. - Dazu aber, Herr Borchert, ist auch das notwendige
Personal erforderlich. Wie Sie beides intellektuell zusammenführen wollen, weiß ich nicht.
({4})
- Das ist in den vergangenen Jahren von Kollegen Ihrer
Fraktion an anderer Stelle vorgetragen worden. Da waren
Sie noch nicht für die Umweltpolitik, sondern noch für einen anderen Bereich zuständig. Das gestehe ich Ihnen
gerne zu. Aber weil Sie damals für etwas anderes zuständig waren, haben Sie heute offenbar Probleme mit dem
Umweltschutz, Herr Borchert.
({5})
Wenn man an diesem Punkt noch einmal ansetzt, zeigt
sich, dass es - das tut mir an dieser Debatte manchmal
Leid - auch in Deutschland eigentlich eine große
Kontinuität und eine große gemeinsame Anstrengung in
der Umweltpolitik gibt.
({6})
Allerdings wird an dem, was Sie hier vortragen, auch klar,
dass Sie am Ende Ihrer Regierungszeit auch umweltpolitisch in die Sackgasse geraten sind.
Ich will Ihnen das einmal an ein paar Beispielen deutlich machen. Wir haben vor kurzem ein Naturschutzgesetz verabschiedet. Daran haben Sie zehn Jahre lang laboriert, ohne etwas wirklich Vernünftiges auf die Beine zu
stellen. Sie haben es nicht hinbekommen, wir haben es gemacht.
({7})
Es ist nicht nur so, dass Sie in zehn Jahren nichts hinbekommen haben. Zu dem Gesetz, was wir vorgelegt haben, haben Sie noch nicht einmal vernünftige Änderungsanträge auf den Tisch gebracht.
({8})
Ein dürrer Entschließungsantrag war das Einzige, was Sie
zu diesem Thema beigesteuert haben.
({9})
Deshalb brauchen Sie von geistiger Armut in der Umweltpolitik nicht zu reden. Das richtet sich gegen Sie selber.
({10})
- Herr Borchert, Sie haben sich nicht einmal die Mühe
gemacht, sich mit diesen Fragen inhaltlich wirklich auseinander zu setzen. Deshalb war das Einzige, was von Ihnen gekommen ist, ein dürrer Entschließungsantrag. Das
ist ein Armutszeugnis für Ihre Umweltpolitik.
({11})
Wir reden immer davon, Umweltschutz brauche viele
Mitstreiter. Einige von uns haben sogar gemeint, Umweltschutz brauche die ganze Gesellschaft. Wenn ich aber
höre, was Sie die ganze Zeit erzählen, dann frage ich
mich, ob Sie für den Umweltschutz in Deutschland wirklich noch zu gewinnen sind.
({12})
- Ja, das ist sehr polemisch. Aber Sie haben das hier so zugespitzt.
Ich komme zu dem, was Sie zur Klimapolitik gesagt
haben. Natürlich hat die Klimapolitik nicht mit der rotgrünen Regierung begonnen, sondern vorher. Das ist doch
völlig klar. Das hat in dieser Debatte niemand bestritten.
({13})
Aber genauso klar ist, dass die Klimapolitik in den Anfangsjahren sehr viel einfacher war, als sie heute ist,
({14})
weil die Einsparpotenziale viel einfacher zu erschließen
waren und die Einsparpotenziale sehr viel mit dem Rückgang der Industrie in den neuen Bundesländern zu tun hatten. Das wird Ihnen jeder Wissenschaftler bestätigen.
({15})
Wenn Sie sich dabei auf Herrn Töpfer berufen, dann
wäre ich an Ihrer Stelle ein wenig vorsichtig; denn Herr
Töpfer gehört mittlerweile zu Ihren größten Kritikern.
({16})
Herr Töpfer hat beispielsweise die Ökosteuer unterstützt,
während Sie sie abgelehnt haben.
({17})
Nicht nur das: Sie haben versucht, die Bevölkerung
gegen die Ökosteuer zu mobilisieren. Sie haben versucht,
glauben zu machen, dass die Ökosteuer das falsche
Instrument ist.
({18})
Dabei haben Sie sie in Ihren eigenen Programmen jahrelang stehen gehabt. Sie haben die LKW-Fahrer gegen die
Ökosteuer aufgehetzt.
({19})
Jetzt komme ich zum Ausbau der erneuerbaren
Energien. Herr Ruck, es hat vor dem Erneuerbare-Energien-Gesetz ein Stromeinspeisungsgesetz gegeben. Das
ist richtig. Das haben wir damals gemeinsam beschlossen:
Opposition und Regierungsfraktionen. Aber Sie haben
diesen gemeinsamen Weg verlassen. Als wir über das
EEG diskutiert haben, haben Sie in diesem Hause nicht
zugestimmt.
({20})
- Hören Sie auf mit den Mitnahmeeffekten. Dieses Gesetz hat dafür gesorgt, dass beispielsweise die Windkraft
- 1998 betrug der Stand der Produktion 3 000 Megawatt - innerhalb kürzester Zeit, nämlich im Herbst dieses Jahres, ihre Leistung mehr als verdoppeln konnte.
Heute haben wir 7 000 Megawatt installierte Leistung.
Das ist die Leistung unseres Erneuerbare-Energien-Gesetzes, gegen das Sie in diesem Hause gestimmt haben.
({21})
Herr Ruck, Sie haben die nukleare Sicherheit angesprochen. Ich würde bei diesem Thema ein bisschen vorsichtiger argumentieren - nicht nur weil ich es falsch
finde, in dieser Frage Panik zu erzeugen. Dies muss man
gerade vor dem Hintergrund der Attentate, die wir diskutiert haben, und den neuen Bedrohungen in diesem Bereich sehen. Aber ich wäre schon deshalb vorsichtig, weil
die Probleme, die wir in den letzten Wochen hatten, vor
allem in Baden-Württemberg und Bayern aufgetreten
sind.
({22})
Dort hat es Probleme gegeben. Darüber haben wir im
Umweltausschuss diskutiert. Deshalb wäre ich an dieser
Stelle in dieser Frage ein bisschen vorsichtig.
({23})
- Herr Paziorek, natürlich war ich im Ausschuss dabei.
({24})
Darüber haben wir im Ausschuss diskutiert. Ich sage Ihnen: Die Probleme liegen vor allem bei Ihnen und nicht an
anderer Stelle. Deshalb wäre ich sehr vorsichtig.
({25})
Ich möchte noch einmal auf die Förderung der erneuerbaren Energien durch das Marktanreizprogramm zu
sprechen kommen. Herr Paziorek, Sie haben beklagt, dass
die Förderung zusammengestrichen worden sei. Offensichtlich können Sie den Haushalt nicht lesen. Wir haben
die Mittel für die Förderung auf 200 Millionen Euro aufgestockt.
({26})
Wenn Sie das mit dem vergleichen, was während Ihrer
Regierungszeit eingestellt worden ist, dann werden Sie
feststellen, dass die heutigen Mittel für die Förderung um
ein Vielfaches höher sind. Ganze 18 Millionen Euro
- Herr Trittin hat das bereits vorhin erwähnt - hatten Sie
für diesen Bereich im Haushalt eingestellt. Heute sind es,
wie gesagt, 200 Millionen Euro.
({27})
Trotzdem beklagen Sie sich darüber. Beklatschen sollten
Sie das, Herr Paziorek!
({28})
Mit der Bilanz, die Sie an dieser Stelle vorzuweisen haben, brauchen Sie uns in der heutigen Debatte nicht zu kritisieren.
Dass die Mittel für die Förderung pro Projekt in einzelnen Sektoren verringert worden sind, hat damit zu tun,
dass es so viele Anträge in diesem Bereich gibt. Wir haben einen Boom ausgelöst.
({29})
Das ist ein großer Erfolg der Politik, die wir in diesem Bereich gemacht haben.
({30})
Zum Schluss: Wenn hier behauptet wird, wir seien die
Einzigen, die versuchen würden, die Ziele der Klimapolitik zu erfüllen, dann verweise ich nur darauf: Wir haben
gerade mit einer großen internationalen Kraftanstrengung
die Verpflichtungen des Kioto-Protokolls rechtlich festgeschrieben. Ich hoffe, dass es uns gemeinsam gelingen
wird, auch in diesem Hause die Ratifizierung über die
Bühne zu bringen. Mit der Ratifizierung des Kioto-Protokolls verpflichten sich viele Staaten, Klimaschutzziele zu
erfüllen. Sie malen also ein Gespenst an die Wand, wenn
Sie behaupten, Deutschland nehme eine isolierte Position
in der Klimapolitik ein, weil es versuche, alleine voranzugehen, und deswegen in eine Sackgasse laufe.
({31})
Das ist und bleibt falsch. Wir sind Vorreiter in der Klimapolitik. Das wollen wir auch sein, weil es positive ökologische Effekte hat und Vorteile für unsere Wirtschaft
bringt; denn die Technologien, die wir heute entwickeln,
werden morgen in aller Welt gebraucht.
Sie müssen erst einmal Ihre Gedanken über die Umweltpolitik etwas ordnen und klare Konzepte vorlegen.
Dann können wir weiter diskutieren.
({32})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 16
des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit in der Ausschussfassung. Es liegen
zwei Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor, über
die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 14/7599? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Dann ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 14/7604? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nun über den Einzelplan 16 in der Ausschussfassung ab. Wer stimmt zu? - Wer stimmt dagegen? - Der Einzelplan 16 ist damit angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 29. November 2001,
9 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Restabend.
Die Sitzung ist geschlossen.