Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen. Die Sitzung ist eröffnet.
Ich bin soeben gebeten worden, die Sitzung sofort
wieder zu unterbrechen. Minister Schily ist offensichtlich verhindert.
({0})
Die Sitzung ist unterbrochen.
({1})
Die Sitzung ist wieder eröffnet. Der Minister ist eingetroffen.
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung zu den gewalttätigen Aktionen aus Anlaß der
Verhaftung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan zu
erweitern. Sind Sie mit dieser Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so
beschlossen.
Damit rufe ich den Zusatzpunkt 1 auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
zu den gewalttätigen Aktionen aus Anlaß der
Verhaftung des PKK-Vorsitzenden Abdullah
Öcalan
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung
eine Stunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden?
- Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister des Innern, Otto Schily.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie zunächst
um Entschuldigung für die Verspätung. Es ist mir etwas
passiert, was vielleicht auch einigen anderen schon einmal passiert ist: Ich bin in einen Stau auf der Autobahn
gekommen. Das kann der eine oder andere mir vielleicht
nachsehen.
Angesichts der mit äußerster Brutalität ausgeführten gewalttätigen Aktionen fanatisierter Anhänger der
kurdischen Arbeiterpartei PKK in den letzten Tagen
appelliert die Bundesregierung an alle in Deutschland
lebenden Kurden: Tragen Sie Ihre Konflikte nicht in
Deutschland aus!
({0})
Wie alle rund zwei Millionen türkischen Staatsbürger, die in Deutschland leben, sind auch die mehreren hunderttausend Kurden unter ihnen willkommene Gäste und Mitbürger in Deutschland, die
unserer Fürsorge sicher sein können. Es gilt aber
selbstverständlich auch, was in jedem Land der
Erde zu den Grundregeln der Gastfreundschaft gehört: Wer sie in Anspruch nimmt, hat Recht und
Ordnung des Gastlandes zu respektieren. Gesetzesverletzungen und Gewalt in Deutschland, gleichgültig, von welcher Seite und wie auch immer
motiviert, wird die Bundesregierung nicht hinnehmen.
({1})
Sosehr wir uns weltweit für den Schutz von Menschen- und Minderheitenrechten einsetzen, genauso
entschieden lehnen wir die gewalttätige Auseinandersetzung hierüber in unserem Lande ab. Wer das
Gastrecht in Deutschland mißbraucht und straffällig
wird, muß mit der vollen Härte unserer Gesetze,
mit einem Strafverfahren und mit Ausweisung und
Abschiebung rechnen. Dabei wird selbstverständlich in jedem Einzelfall geprüft werden, ob dem
Betroffenen Todesstrafe, Folter oder sonstige
rechtsstaatswidrige Behandlung drohen. Deutschland ist und bleibt ein Rechtsstaat. Darauf sind wir
stolz.
({2})
- Diese Sätze haben seinerzeit in der Debatte des Deutschen Bundestages am 13. April 1994 den Beifall des
ganzen Hauses gefunden.
({3})
Sie sind wortgleich der Rede des damaligen Bundesaußenministers Klaus Kinkel entnommen.
({4})
Ihre Gültigkeit haben sie bis heute nicht verloren. Ich
finde es eigentlich bedauerlich, daß die CDU/CSU dieser Aussage heute nicht Beifall gezollt hat.
({5})
Daß diese Sätze heute wiederholt werden müssen, beweist, daß die Gewaltbereitschaft der straff organisierten
terroristischen PKK nach wie vor ein großes Bedrohungspotential für Deutschland wie für viele andere
Mitgliedsländer der Europäischen Union darstellt.
Die Ereignisse der jüngsten Tage sind vergleichbar
mit den Gewalttaten in den Jahren 1993 und 1994. Im
November 1993 bilanzierte der damalige Innenminister
Kanther die Vorfälle wie folgt:
Mit den Anschlägen am 4. November sind 25 Banken, 17 Reisebüros, 5 Konsulate und 12 weitere
türkische Objekte getroffen worden. An den überfallartigen Angriffen von kurdischen Kommandos
waren vielfältig bewaffnete Personen beteiligt. Büroeinrichtungen sind demoliert, Brandsätze geworfen, Gebäude beschädigt worden. Viele Menschen
sind zu Schaden gekommen, und ein Mensch ist
getötet worden. Dies steht in einer Reihe mit Anschlägen, die in München im Juni schon einmal
einen schlimmen und bis dahin ungewohnten Gipfel erreicht haben. Es ist kein Zweifel, daß die Auseinandersetzungen, die Kurden, geführt von der
PKK, gegen Türken in unserem Lande betreiben,
an Brutalität und Gewalttätigkeit zugenommen
haben.
Die Bilanz dieser Tage fällt ähnlich aus: Am 16. Februar kam es zu insgesamt 10 Aktionen gegen diplomatische Vertretungen Griechenlands und Kenias. Bei der
Erstürmung des israelischen Generalkonsulats in Berlin am 17. Februar wurden drei Kurden getötet. 27 Polizeibeamte wurden bei dem Versuch, die PKK-Anhänger
aufzuhalten, verletzt. Insgesamt gab es in Deutschland
46 Demonstrationen. 40 Veranstaltungen verliefen erfreulicherweise friedlich. Es kam zu Besetzungen von
Parteibüros und Geiselnahmen. Die Polizei nahm in den
vergangenen Tagen zirka 2 300 Gewalttäter vorläufig in
Gewahrsam. Gegen 135 Personen wurden Haftbefehle
erlassen. Im gleichen Zeitraum kam es auch in einer
Reihe anderer europäischer Staaten zu gewaltsamen
Aktionen.
Die deutsche Justiz hat rasch gehandelt. In Stuttgart
wurde ein Gewalttäter zu einer Freiheitsstrafe von acht
Monaten ohne Bewährung verurteilt. Weitere Verfahren
stehen bevor. Das zeigt, daß die Härte des Gesetzes, die
in einer solchen Situation allen deutlich bewußt werden
muß, keine leeren Worte sind.
Inzwischen hat sich die Lage zwar beruhigt. Gleichwohl bleibt ein Gefährdungspotential bestehen, das
schwer zu kalkulieren ist. Die Länderinnenminister und
der Bundesinnenminister wissen sich jedenfalls darin
einig, daß nach wie vor Wachsamkeit geboten ist.
Die generalstabsmäßig ausgeführten Gewalttaten der
kurdischen Organisation PKK sind für die Bundesregierung der unwiderlegliche Beweis dafür, daß das von der
früheren Bundesregierung verhängte Verbot der PKK
richtig war und daß die Entscheidung der neuen Bundesregierung, das PKK-Verbot aufrechtzuerhalten, ebenfalls richtig ist.
({6})
Ein Organisationsverbot löst nicht das Problem von
Gewaltbereitschaft konspirativ arbeitender Gruppen, noch dazu von sehr engem Zusammenschluß.
Wir wollen deshalb auch unseren Mitbürgern nichts
vormachen. Niemand kann ausschließen, daß diese
Gruppe oder andere wieder zu Mitteln der Gewalt
greifen, um in unserem Land ihre Auseinandersetzungen auszutragen. Aber wir werden nicht zögern,
alles zu tun, was rechtlich möglich ist, um diesem
Unwesen ein Ende zu bereiten.
Diese Sätze stammen aus einer Rede des Bundesinnenministers Kanther vom 10. November 1993 vor dem
Deutschen Bundestag. Sie sind nach wie vor richtig.
Nach meiner Überzeugung müssen wir allerdings unsere Bemühungen verstärken, die Logistik der PKK zu
zerschlagen und die Voraufklärung zu verbessern, damit
wir nicht, wie in den Jahren 1993 und 1994, jetzt wieder,
im Jahre 1999, von den Ereignissen überrascht werden.
Insbesondere gilt es, die Informationsgewinnung und
-verwertung im internationalen Rahmen auszuweiten,
zu intensivieren und zu optimieren. Ich habe eine genaue
und sorgfältige Prüfung in diese Richtung angeordnet.
Entgegen manchem vorschnellen Urteil hat jedoch
die Zusammenarbeit zwischen den Innenministerien der
Länder und dem Bundesministerium des Innern gut
funktioniert. Ich habe Anlaß, meinen Innenministerkollegen aus den Ländern für die gute Zusammenarbeit zu
danken. In diesen Dank schließe ich ausdrücklich die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums und die der ihm zugeordneten Bundesbehörden
für ihren sehr engagierten Einsatz ein.
({7})
Die aktuellen Ereignisse sind im übrigen ein Beleg
dafür, daß die Entscheidung der Bundesregierung, im
vergangenen Jahr nicht die Auslieferung Öcalans nach
Deutschland zu verlangen, richtig war.
({8})
Wir sind uns bewußt, daß es sich um eine heikle Entscheidung gehandelt hat. Nach Abwägung aller rechtBundesminister Otto Schily
lichen, politischen und moralischen Aspekte hat sich die
Bundesregierung zwischen dem Anspruch auf Strafverfolgung einerseits und den übergeordneten Interessen
des Rechtsfriedens der Bürgerinnen und Bürger unseres
Staates andererseits dafür entschieden, keinen Auslieferungsantrag an Italien zu stellen.
Eingedenk der jüngsten Ereignisse kann sich jeder
vorstellen, mit welcher Eskalation der Gewalt wir zu
rechnen hätten, wenn ein jahrelanger Prozeß gegen
Öcalan auf deutschem Boden stattfinden würde. Wir haben allerdings gleichzeitig sehr intensive Verhandlungen
aufgenommen, um Öcalan aus internationaler Verantwortung in einem dafür geeigneten Land vor Gericht zu
stellen.
({9})
Dieses Vorhaben ist jetzt in der Tat obsolet geworden.
Die Entscheidung, die Auslieferung Öcalans nicht zu
verlangen, wurde von - ich betone - sachkundigen Vertretern aus den Reihen der CDU/CSU ausdrücklich unterstützt.
({10})
Der bayerische Innenminister Günther Beckstein hat das
in diesen Tagen fairerweise wieder bestätigt.
Ich erinnere aber auch an die Äußerungen des außenpolitischen Sprechers der CDU/CSU-Fraktion, Karl
Lamers, der für sein abgewogenes Urteil bekannt ist.
({11})
Er verneinte ausdrücklich die Frage, ob er dafür sei, daß
Bonn die Auslieferung Öcalans nach Deutschland offensiv betreibe und erklärte dazu:
Man muß in dieser Frage den Nutzen einer Strafverfolgung gründlich mit dem Schaden abwägen,
der damit verbunden wäre. Dieser Schaden bestünde in einer Gefährdung der inneren Sicherheit in
unserem Lande, in dem Aufkommen neuer Straftaten, die in Deutschland in der Konsequenz eine
Strafverfolgung aller Voraussicht nach erfolgen
würden.
Herr Lamers hatte recht.
({12})
Wir können selbstverständlich, obwohl sich die Situation vorläufig beruhigt zu haben scheint, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wir müssen gemeinsam prüfen, welche Konsequenzen notwendig sind. Ich
schließe keine Frage aus der Prüfung aus. Selbstverständlich ist es nicht nur erlaubt, sondern sogar erforderlich, darüber nachzudenken, ob eine Straffung im
Ausländerrecht dem Staat eine bessere Möglichkeit
verleiht, Gewalttäter außer Landes zu bringen.
Ich warne aber davor, sich in dieser Hinsicht illusionären Erwartungen hinzugeben. Nach meinem Eindruck
besteht die Schwierigkeit nicht darin, Ausweisungsverfügungen zu erlassen, sondern im Vollzug, das heißt im
Bereich der Abschiebung. Bei der Abschiebung haben
wir als Rechtsstaat bestimmte Grenzen, die uns die Europäische Menschenrechtskonvention und unsere Verfassung setzen, zu respektieren. Wir dürfen daher nicht
und - ich betone - wir wollen auch nicht, Menschen in
ein Land abschieben, in dem ihnen Folter und die Todesstrafe drohen. Alles andere wäre eines Rechtsstaates
nicht würdig.
({13})
Ich werde jedoch sehr sorgfältig untersuchen lassen,
ob in Anknüpfung an den Briefwechsel, den seinerzeit
mein Amtsvorgänger Kanther mit der Türkei geführt
hat, durch ein bilaterales Abkommen ein sicheres Verfahren vereinbart werden kann, das die Einhaltung des
Folterverbots und anderer rechtsstaatlicher Garantien in
dem Land, in das abgeschoben wird, sicherstellt. Die Erfahrungen, die auf der Grundlage des soeben erwähnten
Schriftwechsels zwischen dem türkischen Innenminister
und dem damaligen Innenminister Kanther gemacht
worden sind, begründen jedoch nicht allzu große Erwartungen, daß wir auf diesem Wege weiterkommen.
Man muß sich nur einmal die Zahl der Abschiebungen
anschauen, die auf Grund dieses Briefwechsels vorgenommen worden sind.
Alle Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, werden Thema der Konferenz der Innen- und Justizminister der Länder und des Bundes am kommenden Donnerstag sein. Ich hoffe sehr, daß wir zu einvernehmlichen Lösungen kommen können. In Zeiten, in
denen die Sicherheit bedroht wird, ist es angebracht, daß
wir zu gemeinsamen Lösungen kommen und auch Möglichkeiten zu verbesserter Informationsgewinnung und
Beratung schaffen.
Natürlich sind diese Fragen nicht nur im nationalen
Rahmen zu lösen, sondern es kommt auch darauf an, daß
wir die Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen
Union und auch mit Nachbarländern der Europäischen
Union verbessern. Deshalb habe ich für diesen Tag die
zuständigen Minister aus Ländern der Europäischen
Union, die hauptsächlich von diesen Vorgängen betroffen sind, zu einer informellen Konferenz eingeladen, bei
der wir uns über eine verbesserte Zusammenarbeit unterhalten und die Fragen einer verbesserten Kooperation
klären werden.
Meine Damen und Herren, im Deutschen Bundestag
bestand stets Einigkeit darüber, daß wir gewalttätigen
Aktionen von PKK-Anhängern mit aller Entschlossenheit entgegentreten, gleichzeitig aber den friedliebenden
Kurden die Unterstützung ihrer legitimen Interessen zusichern.
({14})
Die Bundesregierung begrüßt daher nachhaltig die gestern einstimmig verabschiedete Erklärung des Europäischen Rates. Ich darf daraus zitieren:
Die Europäische Union bekräftigt ihre Verurteilung
jeder Art von Terrorismus. Der legitime Kampf gegen den Terrorismus muß in vollem Respekt für
Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und demoBundesminister Otto Schily
kratischen Normen geführt werden. Legitime Interessen müssen auf politische Weise und nicht mit
Gewalt durchgesetzt werden. Die Europäische Union bedauert ausdrücklich, daß die Verhaftung von
Abdullah Öcalan massive Unruhen und Gewalttaten
ausgelöst hat, die zu Tod, Geiselnahme, Einschüchterung und umfangreichen Zerstörungen geführt
haben. Sie bekräftigt ihre Haltung, daß derartige
Gewalttaten inakzeptabel und unter keinen Umständen hinnehmbar sind.
Die EU nimmt die Zusicherung der türkischen Regierung zur Kenntnis, daß Abdullah Öcalan einen
fairen Prozeß haben wird. Sie erwartet, daß dies eine faire und korrekte Behandlung sowie einen öffentlichen Prozeß, Rechtsstaatlichkeit, ein unabhängiges Gericht mit Zugang zu Rechtsbeistand
seiner Wahl und zum Prozeß zugelassenen internationalen Beobachtern bedeutet.
({15})
Sie unterstreicht nochmals ihre strikte Ablehnung
der Todesstrafe. Die Europäische Union hält in
vollem Umfang an der territorialen Integrität der
Türkei fest. Gleichzeitig erwartet sie von der Türkei, daß diese ihr Problem mit politischen Mitteln
löst - unter voller Respektierung der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und weiterer Grundsätze.
({16})
Soweit Auszüge aus der Erklärung des Europäischen
Rates.
Wir sollten alle gemeinsam dafür eintreten, daß der
Weg zu einer friedlichen Lösung der Kurdenfrage unter
Berücksichtigung aller kulturellen, wirtschaftlichen und
sozialen Aspekte gefunden wird, ohne daß - ich wiederhole diesen Teil aus der Erklärung des Europäischen
Rates - die Integrität des türkischen Staates angetastet
wird. Die Türkei sollte sich als Mitglied der NATO und
der europäischen Familie ihrer Verantwortung stärker
bewußt werden, als das bisher der Fall zu sein scheint.
Abschließend will ich noch auf folgendes hinweisen.
Die neuerlichen Ausschreitungen kurdischer Extremisten werden von einigen in einen Zusammenhang mit
der von der Bundesregierung geplanten Reform des
Staatsangehörigkeitsrechtes gebracht.
({17})
Wer einen solchen Zusammenhang herstellt oder auch
nur andeutet, handelt infam und verantwortungslos.
({18})
Er bringt die Hunderttausende türkischer Staatsangehöriger, die bei uns auf Dauer leben und unter denen Hunderttausende kurdischer Abstammung sind, in einen Generalverdacht und stempelt sie zu potentiellen Gewaltverbrechern. Dieses Vorgehen ist eines zivilisierten
Landes nicht würdig.
({19})
Wer so handelt und spricht, vergiftet den sozialen Frieden und schadet der inneren Sicherheit. Wer behauptet,
ein neues Staatsbürgerschaftsrecht importiere Gewalttäter, versucht, in demagogischer Absicht die Öffentlichkeit irrezuführen.
({20})
Jedermann weiß, daß es ein solches Gewaltpotential
leider seit Jahren und unter Geltung des veralteten
Staatsangehörigkeitsrechtes in Deutschland gibt. Das
von uns geplante Staatsbürgerschaftsrecht verschärft die
Bedingungen für den Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft
({21})
und verhindert, daß Extremisten und Gewalttäter deutsche Staatsbürger werden können.
({22})
Was aber noch viel wichtiger ist: Das neue Staatsbürgerschaftsrecht, zu dessen Gestaltung ich Sie alle ausdrücklich einlade, beendet eine Situation, in der Hunderttausende friedliebender Menschen, die zu unserem
wirtschaftlichen Wohlstand beitragen, die Steuern und
Sozialversicherungsbeiträge zahlen und die als Unternehmer Arbeitsplätze schaffen, als Außenseiter behandelt werden. Wir wollen sie aber zu gleichberechtigten
Bürgerinnen und Bürgern machen. Damit dienen wir
dem inneren Frieden.
({23})
Ich hoffe sehr, daß sich die Debatte um dieses wichtige Vorhaben versachlicht. Ich bedanke mich ausdrücklich bei der F.D.P. und auch bei anderen, die ungeachtet
der Meinungsunterschiede in der Lage sind, eine sachliche Debatte zu führen.
({24})
Es gibt durchaus Abgeordnete in den Reihen der
CDU/CSU-Fraktion, die zu einer sachlichen Debatte fähig sind. Auch Sie lade ich sehr herzlich zu dieser Debatte ein. Entziehen Sie sich ihr nicht! Diese Debatte
wird verdeutlichen, daß die Abwehr von Extremisten
und Gewalttätern eine Bewährungsprobe für den Zusammenhalt der Demokraten ist. Zu diesem Zusammenhalt rufe ich ausdrücklich auf.
({25})
Ich halte es zum Abschluß meiner Rede für geboten,
allen Polizeibeamten der Länder und des Bundes, einschließlich der Angehörigen des Bundesgrenzschutzes,
für ihren besonnenen, tatkräftigen und schweren Einsatz
in diesen Tagen sehr herzlich zu danken.
({26})
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Erwin Marschewski.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Wer unser
Gastrecht mißbraucht, für den gibt es nur eins: Er muß
raus, und zwar schnell.“
({0})
Sie von der Koalition müssen klatschen, denn das hat
der Bundeskanzler vor der Bundestagswahl gesagt. Ich
hoffe, daß Sie mir zumindest jetzt Beifall spenden.
Denn sonst sind meine Sorgen berechtigt. Es darf
nicht so sein wie in der Vergangenheit. Da hat Herr
Scharping ähnliches gesagt, damals noch in höheren
Würden. Er hat damals gesagt, wir müßten die Gesetze
verschärfen. Als die Union dies wollte, nach den Krawallen in Dortmund, als wir gesagt haben, wir wollen
Leute ausweisen, die zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt werden, und wir wollen Leute ausweisen, die
Landfriedensbruch begangen haben, wenn der Sachverhalt klar ist, auch ohne Strafurteil, da sind Sie, meine
Damen und Herren von der SPD und insbesondere Sie
von den Grünen, diesen Weg gar nicht oder nur sehr begrenzt mitgegangen.
({1})
Herr Kollege Schily, ich sage dies nicht demagogisch, sondern ganz in Ruhe: Wenn wir jetzt keinen
Stopp für den Doppelpaß erreicht hätten, wenn Sie Ihre
Pläne zur Einführung der generellen doppelten Staatsbürgerschaft durchgesetzt hätten, was durch unsere
Aktion zum Glück verhindert worden ist, wäre eine Abschiebung von Straftätern der PKK offensichtlich nicht
möglich, weil sie Deutsche wären und weil das Ausländerrecht keine Anwendung fände.
({2})
Dabei ist die Haltung der Union klar. Der Rechtsbruch, auch der zur Erreichung eines anderen Zieles,
fordert die Demokratie und den Staat, der sie schützt,
zentral heraus. Wenn der demokratische Staat, dem Verfassung und Gesetze das Gewaltmonopol in die Hand
gegeben haben, Gewalt gegen ihn hinnimmt, verliert er
einen Teil seiner Legitimation.
Deswegen müssen wir diejenigen bestrafen, die Menschen verletzen und die Sachen beschädigen, die Geiseln
nehmen und die Gewalt gegen Polizeibeamte ausüben.
Wir müssen sie abschieben, auch im Interesse der
500 000 hier friedlich lebenden Kurden.
Kollege Marschewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wiefelspütz?
Ich möchte zu
Ende reden; vielleicht später, Herr Kollege Wiefelspütz.
Deswegen verstehe ich zum Beispiel, die Ausländerbeauftragte Frau Kollegin Beck nicht. Sie haben gesagt,
die Union betreibe Panikmache und es sei besser, zu
sprechen und zu deeskalieren. Das ist wahr, wir müssen
miteinander reden. Wir haben in der Vergangenheit
- Herr Schmidbauer ist Zeuge; ich kenne das aus der
PKK - sehr oft miteinander geredet. Das müssen wir
auch, meine Damen und Herren. Aber eines ist auch
klar, Frau Kollegin Beck: Wir sind hier nicht in einem
Streichelzoo. Wir haben es mit Gewalttätern zu tun und,
was die Anführer betrifft, mit Leuten, die Totschlag begehen, die Mord begehen, die Anschläge verüben, die
gewaltsam erpressen, um an Spendengelder zu kommen.
Das sind unsere Gegner.
({0})
Da helfen die Maßnahmen, die die Union durchgesetzt hat. Wir haben 1993 die PKK verboten, weil deren
Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderläuft, weil sie sich
gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten. Da haben wir, Herr Kollege Schily, nicht immer die Zustimmung der SPD gefunden. Die Grünen wollten noch vor
ein paar Wochen das Verbot der PKK aufheben.
Wir haben zweitens trotz Ihres Widerstandes Gesetze
beschlossen, die man jetzt verschärfen muß. Es ist wahr,
daß nach geltendem Recht jemand, der wegen schweren
Landfriedensbruchs verurteilt worden ist, auszuweisen
ist. Es ist wahr, daß jemand auszuweisen ist, der wegen
Landfriedensbruchs im Rahmen einer verbotenen Versammlung verurteilt wird. Dies ist sogar ohne Urteil
möglich, wenn schwerwiegende Gründe zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung es gebieten. Ich meine, das ist hier gegeben. Diese Gesetze
muß man natürlich anwenden.
Ich weiß aber auch seit Jahren, daß dies nicht immer
ausreicht. Deswegen fordern wir: Wenn jemand zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt wird, ist er zwingend
auszuweisen.
({1})
Wir fordern: Wenn jemand Landfriedensbruch begeht
und die Rechts- und Sachlage eindeutig sind, dann ist er
ebenfalls auszuweisen. Das ist vonnöten.
({2})
Ich meine, wir müssen auch über eine Ausweisungspflicht für den Fall nachdenken, daß jemand Mitglied in
einer verbotenen Organisation ist.
Meine Damen und Herren, ich zitiere noch einmal:
Wer hier in Deutschland Randale macht oder unterstützt, den werden wir auffordern, unser Land zu
verlassen.
Sie können wieder Beifall klatschen, weil dies der Bundeskanzler noch vor ein paar Tagen gesagt hat.
({3})
Herr Bundeskanzler und Herr Bundesinnenminister,
an Ihren Taten und nicht an diesen großen Worten werden wir Sie - und nicht nur Sie - messen.
({4})
Kollege Marschewski, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen
Graf?
Bitte schön, Herr
Kollege Graf.
Herr Kollege Marschewski, würden Sie bitte dem Hohen Haus erklären,
wie Sie es mit der Menschenrechtscharta und der
Europäischen Menschenrechtskonvention halten, die
eine Abschiebung in Länder, in denen Todesstrafe und
Folter drohen, ablehnen? Das müssen Sie ergänzend
sagen, wenn Sie so starke Worte finden.
Herzlichen Dank,
Herr Kollege. Ich werde dies gleich im Zuge der Ausführungen tun. Eines ist jedoch klar: Die ChristlichDemokratische Union, die die Menschenrechte auf ihre
Fahnen geschrieben hat, die gegen Kommunisten und
Nazis gekämpft und sich für Recht und Freiheit eingesetzt hat,
({0})
hat es nicht nötig, hier erneut einen solchen Beweis zu
erbringen.
({1})
Herr Bundeskanzler, Herr Bundesinnenminister, an
Ihren Taten werden wir Sie, aber auch die SPD messen.
Deswegen fordere ich Sie auf, den Vorschlägen der
Union zuzustimmen. Sie gewährleisten den inneren
Frieden und die innere Sicherheit.
Ich weiß, Herr Kollege Graf, daß bei konkreter Gefahr der Folterung und der Todesstrafe keine Abschiebung möglich ist. Das ist auch richtig, das ist Inhalt unseres Ausländerrechts, und das ist zu Recht internationales Recht. Das ist klar. Sie wissen aber genausogut
wie ich, daß wir die Zusicherung der türkischen Regierung haben, in der es ganz klar heißt, daß jederzeit ein
Rechtsanwalt nach freier Wahl aufgesucht werden und
dieser den Betreffenden besuchen kann und daß es jederzeit möglich ist, einen Arzt zu konsultieren. Sie wissen auch, daß dies von der türkischen Regierung bisher
eingehalten worden ist.
({2})
Eines aber ist völlig richtig: Hier sind beträchtliche
Verbesserungen vonnöten. Hier ist ein völkerrechtlicher
Vertrag oder eine ähnliche Abmachung nötig. Wir müssen Zusicherungen bekommen, das ist richtig. Die Zusicherungen müssen so eindeutig ausgestaltet sein, daß jeder Zweifel darüber ausgeräumt wird, man könnte sich
nicht daran halten. Die Zusicherungen müssen gerichtsfest sein, das ist richtig.
Es muß eindeutig festgehalten werden, was nach
rechtsstaatlichen Grundsätzen mit abgeschobenen Personen zu tun erlaubt ist und was nicht. Wir müssen
vielleicht erreichen, daß Verfahrensbeobachter eingesetzt werden. Das sind Möglichkeiten der Verbesserung.
Aber diese zu erlangen, meine Damen und Herren von
der SPD, ist Aufgabe des Bundesaußenministers und des
Bundeskanzlers.
Was Herr Fischer getan hat - er hat an die Kurden
appelliert, gewaltfrei zu bleiben -, ist gut. Ich meine
aber, das reicht nicht aus. Auch Ihre sehr starken Worte
in diesem Bereich, Herr Bundeskanzler und Herr Bundesinnenminister, reichen nicht aus. Was nötig ist, sind
der Wille zum Handeln und die ständige Wachsamkeit
gegen den Terrorismus. Sonst - ich zitiere die Presse „ . . . klingt das volltönige Versprechen Schilys,
Gewalttäter müßten die volle Härte des Gesetzes
spüren, wie ein schlechter Witz.“
Wachsamkeit, Herr Kollege Schily, stets und immer!
Deswegen verstehe ich nicht, daß Sie erst beim Frühstück über die Festnahme Herrn Öcalans informiert werden, wenn ein kurdischer Sender das bereits um 2 Uhr
morgens meldet.
Dies hat Folgen: Die Polizei in den Ländern ist zu
spät unterrichtet worden. Sie war zum Teil nicht gut
vorbereitet. Trotzdem, meine Damen und Herren, danke
auch ich wie Sie, Herr Kollege Schily, den Polizeibeamten für ihren hervorragenden Einsatz. Der Dank des
Hauses ist der Polizei gewiß.
({3})
Aber die Folgen dieser oft mangelnden Vorbereitung
waren Tote, waren Verletzte und erheblicher Sachschaden. Ich zitiere den „Tagesspiegel“, Herr Schily: Das
Büro wollte den Minister nicht wecken. Das ist doch
wohl ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland. Lassen Sie mich dies einfach so sagen.
({4})
Die „Süddeutsche Zeitung“, die uns ja nicht immer
gewogen ist, schreibt: Unerträgliche Leichtigkeit am
Rhein. Ja, Herr Kollege Schily, eine schlimme Leichtigkeit, muß ich sagen. Dann kommt Herr Hombach und
sagt: Ich gebe Pannen zu; wir werden Konsequenzen
ziehen. Er sagt weiter - ich zitiere nur die Zeitung, Herr
Hombach -, es würde eine offene, schonungslose
Schwachstellenanalyse geben.
Das ist richtig. Sie, Herr Hombach und Herr Schily,
müssen Konsequenzen ziehen. Aber die Konsequenzen können nicht darin liegen, einen Sekretär oder eine
Sekretärin zu entlassen. Sie tragen, meine Herren, die
Verantwortung. Und wer Verantwortung trägt, handelt
auch wie jemand, der Verantwortung trägt. Er sollte es
zumindest! Besonders nach solchen Fehlleistungen und
besonders, wenn Sie beide die entsprechenden Schwachstellen waren.
Meine Damen und Herren, es war keine gute Woche
für unser Land. Die CDU/CSU hat die Voraussetzungen
für einen erfolgreichen Einsatz gegen die terroristische
PKK geschaffen. Wir haben die PKK verboten. Wir haben konsequente Gesetze verabschiedet. Darauf muß
aufgebaut werden. Wenn Sie uns anbieten, mit uns zusammenzuarbeiten, Herr Kollege Schily, nehme ich dies
an. Aber Sie müssen zunächst die andere Hälfte Ihrer
Fraktion überzeugen und dann mit den Grünen reden,
um dies zu erreichen. Wir jedenfalls sind zum gemeinsamen Handeln bereit.
Wir müssen allen PKK-Aktivisten deutlich machen,
daß ihr Kampf für mehr Rechte der Kurden in der Türkei keine Gewaltexzesse in Deutschland rechtfertigt.
Wir müssen Gewalttäter abschieben, wir müssen sie bestrafen. Denn nur so läßt sich der innere Frieden in
Deutschland wiederherstellen. Wer sich hier verweigert,
wer hier nur an Koalitionsräson denkt, ist mitverantwortlich, wenn PKK-Terrorwellen zu einer festen Einrichtung in Deutschland werden. Denn sonst ist es bittere Wahrheit, was die Presse schreibt:
Die Regierung Schröder hinterläßt auch auf dem so
wichtigen Feld der inneren Sicherheit, des inneren
Friedens, einen politischen Scherbenhaufen. Und
dies bereits nach etwas mehr als einhundert Tagen.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort für die
SPD-Fraktion hat Kollege Ludwig Stiegler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Marschewski hat in bewährter, alter, übler Manier wieder versucht, ein innenpolitisches Problem zu einem Kampfinstrument zu
schmieden, statt zur Lösung der Probleme beizutragen.
({0})
Herr Marschewski, was wir im Zusammenhang mit
der PKK geerbt haben, ist die Schlußbilanz Ihrer angeblich großartigen Politik. Was haben Sie alles gemacht!
Und was ist daraus geworden? Was haben Sie verboten,
was haben Sie verfolgt, was haben Sie an Gesetzesverschärfungen gemacht! Wie schaut die Realität des Tages aus? Sie haben einen Augiasstall hinterlassen und
führen sich jetzt wie der Herkules auf. Dabei sind Sie
nur ein kleiner Stallknecht.
({1})
Es wird versucht, mit üblen Verdrehungen Stimmung
zu machen. So stellt sich der Herr Marschewski hierher
und verbreitet den Eindruck, als könne ein PKKKämpfer durch das neue Einbürgerungsrecht Deutscher
werden. Entweder, Herr Marschewski, Sie können die
Gesetzentwürfe nicht lesen, oder Sie haben hier vor dem
deutschen Volke die Unwahrheit gesagt. Sie sollten sich
für diese Art von politischer Auseinandersetzung entschuldigen.
({2})
Meine Damen und Herren, gerade angesichts der Erfahrung, die wir alle miteinander gemacht haben, kann man
nur davor warnen, solche Probleme für den innenpolitischen Kampf zu instrumentalisieren. Das hilft weder zur
Lösung des Problems noch den Menschen, noch dient es
dem inneren Frieden.
({3})
Gerade weil Sie so kurzfristig mit Ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert werden, müssen Sie hier zur
Sachlichkeit zurückkehren. Gehen Sie zu Herrn
Schmidbauer, fragen Sie ihn nach den Verabredungen,
die er getroffen hat, und fragen Sie ihn auch nach den
Ergebnissen. Dann wissen Sie, daß Sie den Mund nicht
so voll nehmen können.
({4})
Ich danke dem Bundesinnenminister für seinen sachlichen und ausgewogenen Bericht. Ich danke ihm für
das, was er zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen in den vergangenen Wochen und Tagen getan hat.
An den Anfang aber stelle ich den Dank an die jungen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, die für uns
alle vor Ort die Hauptlast der Auseinandersetzung zu
tragen haben.
({5})
Für sie hätte ich mir gewünscht, daß unsere Dienste früher, schneller und korrekter gemeldet hätten, damit zum
Beispiel in Berlin nicht eine kleine Schar von Polizisten
zu einer solchen Übermacht geschickt worden wäre und
dafür leiden mußte. Das ist doch die Situation. Diese
Dienste aber haben wir von Ihnen übernommen.
Schauen wir uns doch einmal an, was uns der ehemalige Bundeskanzler übergeben hat! - Sie brauchen gar
nicht den Kopf zu schütteln.
({6})
Diese Dienste sind unter Ihrer Verantwortung entstanden. Sich jetzt hier hinzustellen und nach wenigen Wochen schon der neuen Regierung zu sagen: „Die sind
schuld, daß wir nicht rechtzeitig informiert worden
sind!“, ist eine Frechheit, meine Damen und Herren.
({7})
- Sie als einer der Brandstifter, die Sie sich immer als
Biedermänner gebärden, müssen das gerade sagen.
Wir danken der kurdischen Bevölkerung, die sich
nicht hat anstiften lassen, die sich nicht hat mitreißen
lassen. Diese müssen wir davor schützen, daß sie von
Ihnen in den falschen Verdacht gestellt wird. Das ist
eine Notwendigkeit. Wer nämlich diese Menschen alle
in einen Topf wirft, der wird die Terroristen nicht von
den anständigen Bürgern mit politischen Anliegen trennen, sondern wird die Solidarisierung vorantreiben. Das
ist Gift für die künftige Auseinandersetzung, das Sie hier
einträufeln.
({8})
Wir danken vor allem dem israelischen Botschafter,
der das Gespräch gesucht hat, der gezeigt hat, wie man
mit dieser Situation umgeht. Solche Gesten der Versöhnung und der Zusammenarbeit brauchen wir auch in Zukunft.
({9})
Ich danke allen, die sich an vielen Stellen an der Deeskalation beteiligt haben und dadurch unter schwere
Kritik von Ihnen geraten sind.
In Deutschland haben wir weiß Gott genügend Erfahrungen mit dem Terrorismus gemacht. Wir wissen, daß
nur Ruhe und Besonnenheit die Dinge wieder in Ordnung bringen, daß nicht Aufgeregtheit und innenpolitische Instrumentalisierung dazu dienen, mit den Problemen fertig zu werden.
Ich möchte an die Zeit der RAF erinnern und daran,
wie sehr wir alle miteinander gekämpft haben, die Sympathisantenszene auszutrocknen und den harten Kern
von den Unterstützern zu trennen, auch daran, wie es am
Ende gelungen ist, das Problem zu lösen. Das ist der
richtige Weg. Alle Ihre Sprüche in der Vergangenheit
haben zur Lösung des Problems bisher nicht beigetragen.
({10})
Meine Damen und Herren, mit den Problemen umzugehen heißt auch, mit den Ursachen der Probleme umzugehen. Wir können uns in Deutschland nicht hinstellen und sagen: O Gott, was geht uns an, was in der Welt
passiert! In einer offenen Gesellschaft - wir sind wirtschaftlich in den Ländern vertreten - müssen wir auch
die Frage stellen, woher das kommt. Es kommt nicht
immer vom Schicksal - wie es der alte Kanzler sagte,
um der Frage, wo es herkommt, auszuweichen. Ähnlich
hat Max Frisch geschrieben: Sie nennen es Schicksal,
damit niemand fragt, wo es herkommt. - Wir müssen
vielmehr fragen: Woher kommt das? Welche Ursachen
gibt es in der Türkei?
Seit ich 1967 in Bonn zu studieren begonnen habe,
kenne ich das Kurdenproblem. Europa hat aus wirtschaftlichen, aus militärstrategischen Gründen heraus
zugesehen, wie hier eine Bevölkerung unterdrückt und
bekämpft worden ist. Man hat in Europa zugesehen, nur
weil man seine eigenen Interessen durchsetzen wollte.
Die Folgen haben wir hier miteinander auszubaden. Man
muß sich selber an die Nase fassen und das Problem betrachten.
({11})
- Wer hat denn die Waffen geliefert, mit denen sie dort
beschossen worden sind? Das waren doch Sie!
({12})
Es kommt darauf an, daß die europäische Gesellschaft - wir haben es mit einem europäischen Problem
zu tun - sich fragt: Was haben wir dort unten unterlassen, versäumt oder aktiv getan, damit dieser dauerhafte
Unfriede entstehen konnte, der auch uns jetzt in unseren
Palästen erreicht? So ist die Lage. Mit dieser Einstellung
müssen wir an die Probleme herangehen.
Deshalb kommt es jetzt zunächst einmal darauf an,
daß wir von der Türkei verlangen, daß sie einen fairen
Prozeß unter internationaler Beteiligung durchführt.
Wenn die Türkei zum Westen gehören will, dann muß
sie mit den Grundsätzen des Rechtsstaats, die hier entwickelt worden sind, an das Problem herangehen und
darf das nicht nur einäugig und mit dem Gefühl der
Rache und der Absicht, andere weiter unterdrücken zu
wollen, tun.
({13})
Das heißt: Es muß internationale Beobachter geben.
Das heißt auch, daß sich die europäische Politik - es
zeigt sich, daß ein Problem in der Türkei auch ein Problem der europäischen Innenpolitik ist - mit dem Problem auseinandersetzen muß. Jeder weiß, daß, nachdem
die Dinge so lange schiefgelaufen sind, nicht über Nacht
eine Lösung kommen wird. Aber wenn Millionen Menschen keine Hoffnung schöpfen können, wird immer ein
Teil von ihnen in die Radikalität abgleiten; das hat uns
die Geschichte immer wieder gezeigt. Wir haben es mit
in der Hand, Hoffnung zu geben, damit diejenigen, die
einen friedlichen Weg gehen wollen, in ihrem Vertrauen
darauf, daß die Probleme gelöst werden, gestärkt werden.
({14})
Wir müssen mit der Türkei reden; wir müssen auch
die parlamentarischen Möglichkeiten nutzen. Aber wir
müssen auch die vielfach entstandene Sprachlosigkeit
gegenüber der kurdischen Bevölkerung und der türkischen Bevölkerung im Inland überwinden. Ihre unsägliche Unterschriftenaktion war ja geradezu der Beweis
dafür, daß Sie nicht reden wollen, sondern daß Sie diffamieren und andere Menschen ausgrenzen wollen.
({15})
Meine Damen und Herren, schwierige Probleme stehen vor uns. Aber der Rechtsstaat bewährt sich in der
Krise. Man kann nicht wie der Kollege Marschewski
hier starke Worte von sich geben und dann, wenn man
auf die Konsequenzen verwiesen wird, sagen: Wir, Mitglieder der späteren CDU, haben gegen die Nazis
gekämpft. - Dazu kann ich nur sagen: Lesen Sie die entsprechende Stelle im Protokoll nach!
({16})
Darüber könnte man viele Worte verlieren. Ich will nur
sagen: Sie erwecken den Eindruck, als wollten Sie Menschen in Folter und Unterdrückung schicken. Wenn Sie
das nicht wollen, dann wählen Sie gefälligst andere
Worte,
({17})
und hören Sie auf, den Eindruck zu erwecken, Sie
könnten die Leute quasi über Nacht vogelfrei und
rechtlos machen.
Nein, meine Damen und Herren, nur ein besonnener,
fester, konsequenter Rechtsstaat, der auch seine Grenzen
beachtet, wird sich auf die Dauer durchsetzen und wird
dafür sorgen können, daß Frieden und Gerechtigkeit zusammen bestehen können.
Vielen Dank.
({18})
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat Kollege Guido Westerwelle.
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die gewalttätigen Ausschreitungen von PKK-Aktivisten in den vergangenen Wochen haben - das ist mehr als verständlich zu Recht Emotionen in unserem Lande ausgelöst, nicht
nur bei den betroffenen Menschen, sondern auch bei der
Öffentlichkeit und bei denen, die durch ihr Amt oder
durch ihren Beruf damit zu tun hatten. Deswegen ist es
mir ein Bedürfnis, für die F.D.P.-Bundestagsfraktion zuallererst zwei Feststellungen zu machen.
Erstens. Wir als Freie Demokraten danken den Sicherheitskräften, danken den Beamten. Ich möchte an
Sie alle appellieren, daß diese Beamten jetzt nicht zu
Prügelknaben für politische Auseinandersetzungen werden. Die halten für uns den Kopf hin; das sollten wir
hier noch einmal erwähnen.
({0})
Die zweite Feststellung, die ich treffen möchte, ist
mir nicht weniger wichtig. Es handelt sich bei diesen
Gewalttätern nach Schätzungen um etwa 2 000 Persönlichkeiten.
({1})
- Das ist genau der Punkt, um den es geht:
({2})
Ich befürchte, daß wir diese Debatte nicht nutzen, um
unser Land voranzubringen. Die Menschen wollen vom
Deutschen Bundestag und den Regierungen Antworten
darauf, wie derartige Gewalttätigkeiten vermieden werden, und keine irgendwie gearteten parteipolitischen
Dusseligkeiten hier im Parlament.
({3})
- Wir haben die Debatte ja auch beantragt.
Es handelt sich bei diesen 2 000 Betroffenen um Gewalttäter einer Minderheit. Wir appellieren an alle, daß
nicht die große Mehrheit der in Deutschland friedlich
lebenden Ausländerinnen und Ausländer quasi in gesamtschuldnerische Haftung für kriminelle Terroristen
gezogen werden. Wer so handelt, nutzt unserer Gesellschaft nicht.
({4})
Die PKK hat in Deutschland gut 10 000 Aktivisten. Diese können, so sagen Sicherheitsexperten, derzeit etwa
50 000 Anhänger mobilisieren. Um die geht es, und auf
die will ich mich beziehen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist aus
unserer Sicht begrüßenswert - deswegen will ich das
ausdrücklich anerkennend erwähnen -, daß der Bundesinnenminister am Verbot der PKK festhält und
diesbezüglich die Politik der letzten Bundesregierung
fortsetzen will. Wir begrüßen dies ausdrücklich, und wir
appellieren an alle Kräfte in diesem Hause, sich dem anzuschließen.
({5})
Das gilt insbesondere für die kleinere Regierungsfraktion. Wenn Ihre verteidigungspolitische Sprecherin, Frau
Beer, noch im Dezember 1998 erklärt hat, daß das Verbot der kurdischen Arbeiterpartei PKK in Deutschland
aufgehoben werden müsse - mit der wörtlichen Begründung: „Die Kriminalisierung von Kurden muß beendet
werden.“ -, dann ist das aus unserer Sicht eine unerträgliche Verfälschung der Tatsachen. Nicht die Kurden
werden kriminalisiert, indem die PKK verboten wird,
sondern die PKK kriminalisiert sich selbst, indem sie
terroristischen Gewalttaten Vorschub leistet und sie ihre
Anhänger dazu anstiftet, bürgerkriegsähnliche Zustände
auf deutsche Straßen zu bringen.
({6})
Wir sind ein wehrhafter Rechtsstaat. Das muß auch
so bleiben. Zu einem wehrhaften Rechtsstaat gehört, daß
diejenigen, die meinen, sie könnten hier in Deutschland
derartige Gewalttaten verüben, mit einem Strafverfahren verfolgt werden. Das setzt voraus, daß man zunächst
einmal ihrer Personalien habhaft wird. Wenn man feststellt, daß es Besetzungen von Konsulaten, Geiselnahmen, Sachbeschädigungen, Körperverletzungen gibt,
dann ist es ein Armutszeugnis für den Rechtsstaat, wenn
anschließend grüne Europaabgeordnete daherkommen,
zwischen diesen kurdischen Gewalttätern und deutschen
Sicherheitskräften vermitteln und ein Kuhhandel zustande kommt dahin gehend, daß diese ohne Feststellung der
Personalien die Räumlichkeiten verlassen können. Wir
müssen solche Täter konsequent verfolgen.
({7})
Das hat nichts mit Deeskalation zu tun. Mit dem
neumodischen Wort „Deeskalation“ wird in Deutschland
offensichtlich eine Art von Kapitulation erklärt. Deeskalation heißt natürlich auch, mäßigend auf Beteiligte
einzuwirken. Es heißt aber nicht wegsehen. Wenn jemand Geiseln nimmt, sei es die PKK, sei es ein
Bankräuber, dann muß er wissen: Er kommt nicht mit
einem Kuhhandel durch politische Vermittlung davon.
({8})
Deswegen sagen wir als Freie Demokraten: Wir
wollen, daß derartige Täter belangt werden. Dies heißt:
Die Personalien müssen festgestellt und die Täter müssen vor Gericht gestellt werden.
Es ist in der derzeitigen Debatte eine Diskussion darüber entbrannt, ob es notwendig ist, die Gesetze an dieser Stelle zu verschärfen. Ich will mich auf diese Diskussion heute nicht einlassen, weil der Bundesinnenminister und die Landesinnenminister erst einmal selbst
vortragen müssen, wo sie konkret entsprechende Veränderungen der Gesetzeslage für notwendig halten.
Für mich stellt sich das Problem derzeit anders dar.
Wir erleben zur Zeit weniger ein Gesetzesdefizit als
vielmehr ein Vollzugsdefizit; das ist das eigentliche
Problem. Jede dieser Taten ist strafbar. Wenn man die
Täter nicht verfolgt, kann man sie auch nicht vor Gericht
stellen. Wir als Rechtsstaatspartei sagen: Die Täter müssen dingfest gemacht, in beschleunigten Verfahren vor
Gericht gestellt und anschließend ausgewiesen werden.
Wenn in Gesprächen mit der Türkei eine den Menschenrechten entsprechende Verhandlung sichergestellt wird,
werden die Täter selbstverständlich auch abgeschoben.
Wer hier kriminell wird, kann nicht darauf hoffen, einer
Ausweisung und Abschiebung zu entgehen.
({9})
Die Täter sollten in einem beschleunigten Verfahren
vor Gericht gestellt werden. Die Abschiebung sollte zügig erfolgen. Die Strafe muß der Tat auf dem Fuße folgen. Wenn Sie sagen, Herr Kollege, das sei neu
({10})
- das sei neu bei der F.D.P. -, dann will ich Sie darauf
aufmerksam machen, daß der liberale Justizminister in
Baden-Württemberg, Herr Goll, von den Möglichkeiten
der Strafprozeßordnung konsequenten Gebrauch gemacht hat. Dort gibt es das beschleunigte Verfahren.
({11})
Wir appellieren an die Staatsanwaltschaften der anderen
Länder, die Möglichkeiten des beschleunigten Verfahrens zu nutzen; denn es macht keinen Sinn, daß man die
Täter erst einmal wieder freiläßt, daß sie untertauchen,
daß sie erst Jahre oder Monate später vor Gericht gestellt
werden, wenn niemand mehr den Zusammenhang rekonstruieren kann. Wir brauchen deshalb beschleunigte
Verfahren, Hauptverhandlungshaft. Die Strafe muß der
Tat auf dem Fuße folgen.
({12})
Wir als F.D.P. appellieren daher an die Bundesregierung, an Bundesaußenminister Joschka Fischer und an
Sie, Herr Bundesinnenminister, Ihre Möglichkeiten im
Rahmen der EU-Präsidentschaft jetzt auch zu nutzen.
Treten Sie in Gespräche mit der türkischen Regierung
ein! Sorgen Sie dafür, daß beide Regierungen für kurdische Straftäter nach ihrer Abschiebung ein rechtsstaatliches Verfahren in der Türkei sicherstellen! Niemand wird in Folter oder Tod abgeschoben.
({13})
Das können Sie durch entsprechende Vereinbarungen
sicherstellen.
Reisen Sie gemeinsam mit Herrn Fischer nach Ankara! Verhandeln Sie, wie das vor Ihnen Bundesinnenminister Kanther und Bundesaußenminister Kinkel getan
haben! Stellen Sie durch eine völkerrechtsverbindliche
Vereinbarung zwischen beiden Ländern sicher, daß in
der Türkei ein rechtsstaatliches Verfahren möglich wird!
Dann kann bei Einhaltung sämtlicher Menschenrechte
abgeschoben werden. Wir appellieren an Sie, Ihre Möglichkeiten im Rahmen der EU-Präsidentschaft jetzt auch
zu nutzen.
({14})
Es zeigt sich aber, daß Sie in diesem Zusammenhang
noch einige Dinge klarzustellen haben. Es macht keinen
Sinn, wenn in Deutschland der Eindruck entsteht, als
würden diese Taten nicht wirklich verfolgt.
Herr Bundesinnenminister, Sie sind auch für den Verfassungsschutz zuständig. Es ist traurig genug, daß Sie
erst nach der PKK erfahren haben, daß Herr Öcalan verhaftet wurde. Das können Sie nicht damit abtun, daß Sie
sagen, Sie hätten die Dienste übernommen. Die Wecker
haben jedenfalls zu unserer Regierungszeit funktioniert.
Ich möchte Ihnen aber noch etwas anderes sagen.
Daß in der letzten Woche in Bonn eine Pressekonferenz
stattfinden konnte, zu der auch die PKK - eine verbotene Organisation - einlädt, ist ein Skandal. Das kann
nicht hingenommen werden.
({15})
Ich frage Sie, Herr Bundesinnenminister, ich frage die
Bundesregierung: Was tun Sie dafür, daß so etwas nicht
möglich ist, was tun Sie dafür, daß die PKK auch entsprechend verfolgt wird und ihrer verbotenen Tätigkeit
in Deutschland nicht nachgehen kann? Darauf kommt es
an. Es reicht nicht aus, ein paar Zitate vom früheren
Bundesinnenminister und vom früheren Bundesaußenminister vorzutragen. Sie müssen konkret sagen, was Sie
tun, damit die PKK ihr unseliges Wirken in Deutschland
nicht fortsetzen kann.
({16})
Das ist eine Pflicht, die Sie gegenüber dem Hause haben. Sie tragen Verantwortung. Also müssen Sie sich
vor diesem Hause auch verantworten. Ihre Regierungserklärung war diesbezüglich außerordentlich unbefriedigend und unzureichend. Den Ansprüchen, wie sie ein
selbstbewußtes Parlament erheben sollte, ist diese Regierungserklärung jedenfalls nicht gerecht geworden.
({17})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Um es gleich
vorweg zu sagen: Auch meine Fraktion verurteilt die
Gewalt, die im In- wie im Ausland von der PKK ausging, in aller Schärfe und in jeder Deutlichkeit. Sie ist
durch nichts zu entschuldigen, und sie hat gerade der
Sache des kurdischen Volkes wie überhaupt dem Zusammenleben von Deutschen und Nichtdeutschen in
dieser Republik immensen Schaden zugefügt.
({0})
Wenn ich mir diese Debatte heute anhöre, dann werde ich das Gefühl nicht los, daß wir in innenpolitischen
Stellungskriegen verharren, anstatt uns um die Ursachenbekämpfung zu kümmern. Die Ursachenbekämpfung kann nur in der Türkei, in Ankara stattfinden. Dort
muß dieses Problem mit zivilen und rechtsstaatlichen
Mitteln gelöst werden, damit wir Ruhe auf Deutschlands
Straßen und Ruhe in Europa haben.
({1})
Ich habe das Gefühl, daß nicht die deutsche Innenpolitik versagt hat, sondern die europäische Außenpolitik, denn eine solche gibt es gegenwärtig noch nicht. Das
muß die Lehre aus diesen Tagen und Wochen sein: Wir
brauchen endlich eine europäische Außenpolitik, abgestimmt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, die
eine klare Position bezieht: Was wollen wir mit der Türkei? Wohin gehört die Türkei? Wie stellen wir uns die
Lösung der Probleme in und mit der Türkei vor?
Um auch dies klarzumachen: Die territorale Integrität
der Türkei - auch darauf wurde von Bundesinnenminister Schily hingewiesen - kann und darf von niemandem in Frage gestellt werden. Jede Lösung muß in
und mit der Türkei und mit der Mehrheit der Bevölkerung in der Türkei gefunden werden. Wir sagen, es kann
eine solche Lösung geben. Wir - auch das muß man dazu sagen - sind bereit, unseren Teil dazu beizutragen,
damit es zu einer solchen friedlichen politischen Lösung
kommt.
Lassen Sie mich zum außenpolitischen Teil noch soviel sagen: Die neue Bundesregierung hat - darüber bin
ich, darüber sind wir sehr froh - gleich zu Beginn gesagt: In einem Punkt gibt es in der Außenpolitik Diskontinuität, und das ist die Türkeipolitik. Wir müssen
der Türkei eine ehrlich gemeinte Perspektive für eine
Mitgliedschaft in der Europäischen Union geben.
({2})
Gerade das ist unsere Chance, Verbesserungen in der
Kurdenpolitik, in der Menschenrechtspolitik und allen
damit zusammenhängenden Fragen zu erzielen.
({3})
Lassen Sie mich zum innenpolitischen Teil noch einiges sagen. Es wurde bereits darauf hingewiesen: Wer
im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Es
war die alte Bundesregierung, die die Verhandlungen
damals in Syrien in der Bekaa-Ebene führte, es waren
Herr Lummer, Herr Schmidbauer und andere, die Kontakte gehalten haben. Ich will dies gar nicht mit einer
falschen Überheblichkeit sagen. Wahrscheinlich hätten
wir damals das gleiche gemacht, weil es aus innenpolitischen Gründen möglicherweise sinnvoll war, Kontakt zu
haben, um Eskalation zu verhindern. Aber uns heute
vorzuwerfen, daß wir versuchen, Eskalation zu verhindern, ist doch ein starkes Stück. Das sollten Sie wirklich
nicht machen.
({4})
Dieses Thema ist zu ernst, als daß man es für die Innenpolitik mißbraucht.
Lassen Sie mich zum zweiten Punkt etwas sagen, den
Herr Westerwelle und andere angesprochen haben, die
jetzt eine Lösung darin sehen, mit der Türkei eine Sondervereinbarung zu treffen. Es gibt diese Vereinbarung
bereits; das wurde schon gesagt. Es waren damals der
Innenminister Mentes aus der Türkei und Herr Kanther
- beide nicht mehr in Amt und Würden -, die diese Vereinbarung getroffen haben. Sie konnte nicht umgesetzt
werden, weil sie nicht realisiert werden kann. Was ist
das Erbe dieser Vereinbarung? Wenn es in der Türkei
keine Menschenrechtsverletzungen gibt, wenn die Kurden nicht bedroht werden, wofür brauchen wir dann eine
Sondervereinbarung? Wenn allerdings die Menschenrechte verletzt werden, wenn Foltergefahr droht, wer
gibt uns dann die Garantie, daß eine Sondervereinbarung
für Kurden, die aus Deutschland in die Türkei abgeschoben werden, dazu führt, daß sie gerade nicht gefoltert werden, während andere - die vielleicht aus anderen
Ländern abgeschoben werden - gefoltert werden? Das
hat mit Logik nichts zu tun; das ist nachgerade absurd.
Sie wissen, daß in dem Abkommen ausdrücklich gesagt
wurde, daß die Zuständigkeit gerade für Staatssicherheitsgerichte - um die geht es ja - nicht gilt. Ich frage
Sie: Was ist ein solches Abkommen wert? Ich appelliere
an etwas mehr Seriosität im Umgang mit diesem Thema.
({5})
Lassen Sie mich, weil meine Redezeit fast abgelaufen
ist, noch etwas zur Integrationspolitik sagen. Die Lehre
aus diesen Tagen kann doch nicht weniger Integration
sein. Sie muß gerade heißen: Wir brauchen mehr und
bessere Integrationspolitik, damit wir die Überidentifikation von Jugendlichen verhindern.
({6})
Sie haben doch die Bilder von den drei Jugendlichen gesehen, die vor dem israelischen Konsulat umgekommen
sind. Das sind junge Leute! Die gehören doch nicht
dorthin, sondern in die Schule und in diese Gesellschaft.
Sie müssen mit einem inländischen Bewußtsein aufwachsen. Wenn wir deren Überidentifikation mit Konflikten im Herkunftsland verhindern wollen, dann brauchen wir eine bessere Integrationspolitik - zum Beispiel
ein neues Staatsangehörigkeitsrecht - und nicht das Gegenteil.
({7})
Eine letzte Bemerkung. Das alles hat sehr viel mit unseren Möglichkeiten zu tun. Wir haben heute versucht,
uns darüber zu unterhalten, was wir an konkreten Möglichkeiten haben. Wir haben gesehen, daß wir zum Teil
sehr hilflos sind. Aber eine Möglichkeit haben wir; und
das ist eine Sache, die wir über alle Fraktionsgrenzen
hinweg angehen sollten: Hetzerische Berichterstattung
von türkischen oder von kurdischen Tageszeitungen, die
in Deutschland hergestellt werden und in denen Politiker
dieses Hauses und diese Republik angegriffen werden,
darf nicht länger hingenommen werden.
({8})
Wir müssen der „Hürriyet“, wir müssen der „Sabah“,
wir müssen der „Politika“ und auch - sofern das möglich ist - den Fernsehkanälen deutlich machen: Das geht
nicht. Der Bundeskanzler wurde noch vor einigen Jahren
in der „Hürriyet“ mit den Worten „Dieser Mann ist unser Feind!“ angegangen. Über andere wird so etwas auch
gesagt. Das geht nicht. Wir müssen unsere Möglichkeiten nutzen, damit diesen Zeitungen klargemacht wird:
Die Mehrheit - 90 Prozent - der Türken und Kurden, die
hier leben und die nichts mit Gewalt am Hut haben, gehört zu uns; diesen Menschen stärken wir den Rücken.
Die Fanatiker müssen wissen, daß es so nicht weitergehen kann.
({9})
Das Wort für die
PDS-Fraktion hat Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich wäre sehr froh, wenn man in
diesem Haus feststellen könnte, daß alle einhellig für
eine gewaltfreie Politik in bezug auf die Probleme der
Kurdinnen und Kurden eintreten wollen. Angesichts von
inzwischen Zehntausenden Toten, 3 Millionen Vertriebenen und unzähligen zerstörten Ortschaften war ich
sehr froh, als ich in der vergangenen Woche gerade von
kurdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern meiner
Heimatstadt Berlin hörte, daß nicht Haß und daß nicht
Gewalt sie umtreibt. Aber - und darüber kann man nicht
froh sein - sie drückten angesichts der eingetretenen
Situation auch sehr viel Verzweiflung und Hilflosigkeit
aus. Diese Verzweiflung und Hilflosigkeit bezog sich
sowohl auf die Situation in der Türkei als auch auf die
Situation, die angesichts dieser Auseinandersetzungen in
der Bundesrepublik, welche viele inzwischen als ihre
Heimat betrachten, entstanden ist. Denn sie fühlten sich
mit kriminalisiert und aus dieser Gesellschaft ausgeschlossen.
Was ist denn nun ihr Ausweg? Für sie lautete immer
die Frage, wer denn nun ihr Anwalt ist und wo sie sich
selbst einmischen können oder ob sie Opfer der unterschiedlichen Interessen werden. In dieser Situation wiederholt heute der Bundesinnenminister, daß Deutschland
nicht das Feld politischer Auseinandersetzungen werden
solle, die nicht nach Deutschland gehörten. Er appellierte heute erneut, diese Konflikte nicht in Deutschland
auszutragen. Ihm ist auch in den vergangenen Tagen
nichts anderes eingefallen, als reflexartig die Forderungen und Ansichten seines Amtsvorgängers zu wiederholen. Wir brauchen etwas anderes: Wir brauchen das
Gespräch, wir brauchen Besonnenheit, und wir brauchen
den langen Atem einer europäischen Initiative.
({0})
Kollege Marschewski, in diesem Zusammenhang
muß ich sagen: Ich war tief erschrocken - nicht über Ihre Worthülsen, die aus dem Innenausschuß genauso wie
aus dem Plenum sattsam bekannt sind. Sie aber sprechen
angesichts dieser Situation von einem Streichelzoo. Wir
reden hier über Menschen in einer verzweifelten Situation, Menschen, die in dieser Gesellschaft leben, und
nicht über irgend jemanden, der irgendwo gehalten wird
und auf unser Wohlwollen angewiesen ist.
({1})
Der Bundesinnenminister muß genauso wie wir alle
begreifen: Die Bundesrepublik ist schon lange Partei in
diesem Konflikt. Es werden - darüber wurde heute
schon gesprochen - und es wurden Waffen in die Türkei
geliefert. Wozu diese angewandt werden, ist doch kein
Geheimnis. Ich stelle die Frage: Wie geht die neue Bundesregierung mit Waffenlieferungen um? Wie will sie
sich in Zukunft zu diesem Thema verhalten? Hier wäre
Konsequenz gefragt.
Ähnliches gilt für die inzwischen schon traditionelle
polizeiliche und auch geheimdienstliche Zusammenarbeit. Dazu gehört nicht nur die Nichtgewährung von politischem Asyl im November 1998, in welchem europäischen Land auch immer, sondern auch, daß die angekündigte europäische Friedensinitiative des Bundesinnenministers und des italienischen Amtskollegen sich
einfach in Nebel aufgelöst hat. Auch das trägt zur
beschriebenen Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit
bei.
({2})
Wer Gewaltfreiheit will, muß endlich Politik gegen
jede Form von Gewalt machen. Da reicht nicht der Appell an die Kurdinnen und Kurden, verbunden mit der
Drohung, Gesetze zu verschärfen. Natürlich gehört dazu
auch die konsequente Anwendung von Gesetzen, und
zwar - das sage ich sehr deutlich - gegenüber Bürgerinnen und Bürgern mit unterschiedlichem Status in diesem
Land, und nicht das Abschieben von Menschen und
Problemen in die Türkei.
Dazu gehört für mich auch ein Blick über die Grenze,
über den Gartenzaun: Wie gehen europäische Nachbarn
mit diesem Problem um? Warum entscheiden sich andere Regierungen dafür, Menschen mit ihrer politischen
Meinungsäußerung nicht in die Illegalität zu drängen?
Warum entscheidet man sich dort bewußt für die Zulassung von politischer Meinungsäußerung auch aus den
Reihen der PKK? Ich denke, auch darüber gilt es nachzudenken. Wenn Sie in der nächsten Woche in den
Austausch mit Ihren Ministerkollegen treten, sollten Sie
vielleicht nicht nur über die Verschärfung von Gesetzen
und Umsetzung von Gesetzen sprechen, sondern auch
über diese politischen Erfahrungen.
Abschließend: Die Bundesregierung muß die EUPräsidentschaft tatsächlich auch außenpolitisch zur
Umsetzung ihres Mottos „Außenpolitik ist Friedenspolitik“ nutzen. Dies schließt die Forderung nach einem
rechtsstaatlichen Verfahren gegen Öcalan ebenso ein
wie die Würdigung der Gesamtumstände dieses Krieges
und des Anteils der europäischen Staaten an den Auseinandersetzungen.
({3})
Das Wort für die
SPD-Fraktion hat Kollegin Uta Zapf.
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Ich würde mir wirklich wünschen, daß wir in
dieser sehr komplizierten innen- und außenpolitischen
Konfliktlage zu einer Besonnenheit zurückfänden, wie
wir sie in den Jahren 1993, 1994 und 1996 gemeinsam
aufgebracht haben. Ich bedaure ausdrücklich, daß der
Konsens, der damals in gemeinsamen Entschließungen
zu demselben Problem, wie es sich uns heute darstellt,
möglich war, offensichtlich zerbrochen ist.
Wir haben damals gemeinsam gegen die Gewaltanwendung von allen Seiten protestiert. Wir haben gemeinsam die PKK und ihre gewalttätigen Aktionen verurteilt. Wir haben gemeinsam an alle Kurden appelliert,
zur Gewaltlosigkeit zurückzufinden. Wir haben uns
gemeinsam darüber gefreut - das könnten wir auch
heute wieder einmal tun -, daß die demokratischen, gewaltfreien Kurdenorganisationen hier in der Bundesrepublik ausdrücklich zu Gewaltfreiheit aufgerufen haben.
Wir haben an die Türkei appelliert, ihrerseits eine
gewaltsame Bekämpfung unter dem Siegel der reinen
Terrorismusbekämpfung nicht als einziges Mittel zur
Lösung dieses Problems zu betrachten. Wir haben ausdrücklich gesagt, daß es keine militärische Lösung geben kann, sondern daß es eine politische Lösung des
Problems geben muß. Ich finde, wir sollten uns die Anträge, die wir damals gemeinsam beschlossen haben,
noch einmal genauer anschauen, um vielleicht doch
noch gemeinsam zu einer Position zurückzukehren, die
besser als die derzeitige Diskussion, wie sie Herr Marschewski hier geführt hat, geeignet ist, das Problem bei
uns, aber auch generell zu lösen. Es ist ein innen- und
ein außenpolitisches Problem zugleich. Das macht es so
unendlich kompliziert.
Ich finde die Kritik an der jetzigen Bundesregierung,
die - unter der Güterabwägung, was am besten für den
Frieden und für die innere Sicherheit dieses Staates ist keine Auslieferung von Öcalan in die Bundesrepublik
Deutschland beantragt hat, schlicht und ergreifend verlogen, weil ich ganz sicher bin, daß Sie, wenn Sie noch
auf der Regierungsbank säßen, genauso gehandelt hätten
wie diese Regierung.
({0})
Sie haben sich nämlich in der Vergangenheit - es ist
schade, daß ich den Kollegen Schmidbauer nicht mehr
sehe - genauso verhalten. Die Besonneneren unter Ihnen
- auch im Auswärtigen Ausschuß - haben diese Politik
unterstützt; denn es ist eine Güterabwägung, ob man
sich die Auseinandersetzungen hier auf die Straße holt
und damit noch eine Eskalationsstufe durch die eigene
Politik provoziert.
Ich möchte noch einmal auf das hinweisen, was hier
schon von zwei Kollegen gesagt worden ist: Die vorherige Bundesregierung hat eine ausdrückliche, wenn auch
stillschweigende Politik der Deeskalation gegen die
PKK betrieben. Wir haben das gebilligt, wenn auch
ebenfalls stillschweigend; denn es war in der Tat klug auch unter innenpolitischen Gesichtspunkten -, eine
Deeskalationspolitik zu betreiben. Ich will jetzt nicht
weiter darüber reden, wer nun alles nach Damaskus oder
in die Bekaa-Ebene gewallfahrt ist. Ich appelliere aber
an Sie, die Verlogenheit in diesem Punkte bitte nicht
weiterzuführen.
({1})
Unter außenpolitischen Gesichtspunkten können wir
kein Interesse an einer tiefgreifenden Störung der
deutsch-türkischen oder der europäisch-türkischen Beziehungen haben. Wir müssen im Gegenteil großes Interesse daran haben, daß die Türkei in die europäische
Politik integriert wird - nicht nur, weil sie NATOPartner ist, nicht nur, weil wir einen großen Anteil an
türkischen Mitbürgern und Mitbürgerinnen in unserer
Bevölkerung haben, sondern auch, weil es unser eigenes
Interesse ist, Stabilität in dem betreffenden geographischen Raum zu unterstützen.
Dabei sind, wie ich denke, zwei Dinge ausschlaggebend. Auf der einen Seite die Frage: Wie können wir
helfen, zur Demokratisierung, zum Aufbau der Menschenrechte in der Türkei und zur politischen Lösung
dieses auch die Türkei enorm belastenden Problems beizutragen? Das ist uns bisher, auch wenn es Vorschläge
aller Art gegeben hat, nur sehr mangelhaft gelungen.
Das liegt zum Beispiel daran, daß die Türkei immer geleugnet hat, daß es ein solches Problem gibt. Sie hat
immer gesagt, es gebe kein Kurdenproblem, sondern es
gebe ein Terrorproblem. Alles könne erst dann geregelt
werden, wenn der Terror besiegt sei. Daß sich dies als
falsch erwiesen hat, wissen wir doch mittlerweile. Daß
es eine politische Lösung geben muß, die auch von den
europäischen Staaten unterstützt wird, ist uns allen klar.
Wir sollten uns hier zusammentun und wirklich ernsthaft
beraten, was wir zu einer solchen politischen Lösung in
unserem eigenen Interesse beitragen können.
({2})
Ich stimme dem Kollegen Cem Özdemir ausdrücklich zu, wenn er sagt, daß hier in der Vergangenheit in
der Tat grobe Fehler in der europäischen Politik gegenüber der Türkei gemacht worden sind. Es ist auch
eine ganz schwierige Situation, weil wir auf der einen
Seite mit Recht eine mangelhafte Menschenrechtslage
und eine mangelhafte Demokratie in der Türkei beklagen. Darüber hinaus beklagen wir zu Recht, daß dort
fortlaufend gefoltert wird, Menschen verschwinden
und massive Menschenrechtsverletzungen zu registrieren sind.
Auf der anderen Seite haben wir den möglichen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union nicht konsequent an Kriterien geknüpft wie bei den anderen Beitrittsländern; vielmehr haben wir der Türkei von vornherein erklärt: Das wird sowieso nichts mit euch. - Damit wirken wir extrem emotionalisierend. Emotionalisierung ist im Moment ein Kennzeichen der gesamten Diskussion, nicht nur bei uns. Wir sollten nicht zusätzlich
dazu beitragen, indem wir die Debatte innenpolitisch in
einer Art hochpuschen, die nicht adäquat ist, insbesondere nicht angesichts der Tatsache, daß in der Türkei im
April dieses Jahres Wahlen stattfinden sollen. Deshalb
glaube ich, daß im Moment keine sehr günstige Atmosphäre herrscht; aber eine solche wird gebraucht, um den
existierenden Konflikt politisch zu lösen.
Andererseits gibt es - das sollten wir in der Tat massiv unterstützen - auch in der türkischen Gesellschaft
einen Diskurs, in dessen Rahmen durchaus anerkannt
wird, daß das Terrorproblem nicht notwendigerweise
militärisch gelöst werden kann, sondern daß es eine
politische Lösung geben muß, um die Ursachen des
Konflikts zu bekämpfen. Wir sind gut beraten, wenn wir
mit viel Fingerspitzengefühl auch internationale Hilfe
anbieten, um diesen Konflikt politisch zu lösen. Aber es
muß in der Tat mit Fingerspitzengefühl gemacht werden
und nicht mit dem Holzhammer.
Es ist positiv zu beurteilen, daß die EU in der Erklärung, die Innenminister Schily hier fast in Gänze vorgelesen hat, ihre finanzielle Hilfe angeboten hat. Aber es
wird nicht ausreichen, zu argumentieren, daß die ökonomischen und sozialen Verhältnisse gerade in Südostanatolien verbessert werden müßten, weil sich damit das
ganze Problem lösen lasse, wenn man gleichzeitig überhaupt nicht bereit ist, zum Beispiel auf die Frage der
kulturellen Rechte der Kurden einzugehen. Die Respektierung dieser Rechte - bitte erinnern Sie sich - haben wir in der Vergangenheit gemeinsam gefordert. Ich
empfehle an dieser Stelle die Lektüre unserer gemeinsamen Erklärungen.
Ich finde es positiv, wenn die türkische Regierung im
Moment überlegt, den PKK-Kämpfern eine Art Amnestie - ich weiß nicht, ob dieses Angebot, das im Augenblick im türkischen Parlament verhandelt wird, wirklich
Amnestie und Straffreiheit bedeutet - und ein Ausbildungsprogramm anzubieten, um sie wieder in die türkische Gesellschaft zu integrieren. Wenn ein solches
Angebot erfolgte, wäre das schon ein Stückchen Ursachenbekämpfung. Aber ich weiß nicht, ob das Vertrauen
in ein solches Angebot tatsächlich so groß ist, daß es dazu führen kann, der Gewalt abzuschwören.
Deshalb möchte ich auch von hier aus ganz ausdrücklich an die Führung der PKK appellieren, endlich
einen ernsthaften Gewaltverzicht anzubieten und zur
Realisierung der Behauptung beizutragen, daß es eine
politische Lösung des Problems geben muß. Das wird
nicht gehen, wenn man der Türkei Krieg androht. Das
wird nicht gehen, wenn man in Europa den Krieg auf
den Straßen vorantreibt. Dies wird nicht dazu führen,
daß die kurdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die
hier für ihre kulturellen Rechte und für die Respektierung der Menschenrechte gekämpft haben, weiterhin
Sympathien bekommen; vielmehr wird es dazu führen,
daß hier Sympathien verspielt werden. Deshalb ist es besonders wichtig, daß wir einen Prozeß unterstützen, der
mit Hilfe von Deeskalation - das sage ich ganz ausdrücklich - eine politische und friedliche Lösung des
Konflikts mit der Türkei ermöglicht.
Ich glaube, daß wir bis dahin durchaus noch einen
langen Weg vor uns haben. Es ist ganz sicher nicht
nützlich, wenn wir jetzt unsererseits, da wir von der
Türkei verlangen, die Menschenrechte besser einzuhalten, hier Menschenrechtskonventionen außer Kraft setzen wollen. So vorzugehen wäre eine widersprüchliche
Handlungsweise.
({3})
Wir dürfen uns das im Sinne einer Befriedung dieses
Konflikts im Inneren, aber auch im Äußeren nicht leisten.
({4})
Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Ruprecht Polenz, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Bundesinnenminister,
Sie haben in Ihrer Regierungserklärung mit einem
Rückblick und vielen Zitaten früherer Minister und
anderer Kollegen begonnen und sind dann ganz schnell
zu den Ereignissen der letzten Tage gekommen. Sie haben weniger darüber gesprochen, was seit dem 12. November 1998 geschehen ist, als Öcalan in Rom aufgetaucht war und auf Grund eines deutschen Haftbefehls
festgenommen wurde.
Ich habe mir bei der ganzen Debatte überlegt: Wie
hätten Sie wohl die frühere Bundesregierung angegriffen, wenn sie seit dem 12. November 1998 wie Bundeskanzler Schröder gehandelt hätte? Ich glaube, Sie hätten
nur Hohn und Spott für diese Bundesregierung übrig gehabt.
({0})
Erst verzichtet man aus Sorge um den Rechtsfrieden
und die innere Sicherheit bei uns auf die Auslieferung
Öcalans an Deutschland.
({1})
Jetzt ist aber der Rechtsfrieden trotzdem massiv gestört,
und die innere Sicherheit wird durch gewaltsame Aktionen von PKK-Anhängern gefährdet, auch ohne daß
Öcalan in Deutschland vor Gericht steht. Gleichzeitig
verbittet sich die türkische Regierung Belehrungen - etwa von unserer Bundesregierung - darüber, wie ein
rechtsstaatliches Verfahren auszusehen hätte. Sie tut dies
mit dem schlichten Hinweis: Regierungen wie die der
Bundesrepublik Deutschland, die es selber in der Hand
gehabt hätten, ein rechtsstaatliches Verfahren durchzuführen, sind die allerletzten, die der Türkei Belehrungen
erteilen dürften, wie ein Verfahren gegen Öcalan durchzuführen sei.
Sie, meine Damen und Herren von der Regierung,
haben es seit dem 12. November 1998 fertiggebracht,
sich zwischen wirklich alle Stühle zu setzen.
({2})
Es ist verständlich, daß Sie versuchen, die Opposition
dafür mitverantwortlich zu machen. Herr Schily, Sie haben wiederholt auf Herrn Beckstein und Herrn Lamers
verwiesen und damit den Eindruck erweckt, die Opposition habe Ihre Entscheidung mitgetragen, auf einen
Auslieferungsantrag zu verzichten. Herr Minister, das
ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Das entscheidende
Datum in diesem Zusammenhang ist der 27. November
1998, als sich Bundeskanzler Schröder mit dem italienischen Ministerpräsidenten D'Alema in Bonn getroffen
hat. An diesem Freitag hat der Bundeskanzler dem italienischen Ministerpräsidenten mitgeteilt: Die Bundesregierung hat entschieden, auf ein Auslieferungsersuchen zu verzichten.
Zugegebenermaßen war zum damaligen Zeitpunkt die
Entscheidung über einen Auslieferungsantrag schwierig.
Die Entscheidung, Öcalan wegen der besonderen Sicherheitsprobleme - bei uns leben 2,2 Millionen Türken,
davon sind 500 000 Kurden - nicht in Deutschland vor
Gericht zu stellen, war insoweit vertretbar. Nur dazu haben sich der bayerische Innenminister und auch mein
Kollege Lamers geäußert. Herr Bundesinnenminister,
beide sind aber selbstverständlich davon ausgegangen,
es werde sichergestellt, daß Öcalan vor ein Gericht
kommt. Das ist doch der Punkt.
({3})
Der Punkt ist nicht, daß man ihn einfach laufenläßt.
Für eine solche Strategie der Bundesregierung können
Sie keinen Oppositionspolitiker in Anspruch nehmen.
Auch die Justizministerin hat in der „Süddeutschen
Zeitung“ vom 30. November 1998 festgestellt - sie hatte
in dem Verfahren eine verfassungsrechtlich besondere
Stellung -: „Uns in Deutschland gebietet die Rechtsstaatlichkeit, ihn vor Gericht zu stellen. Dieses muß aber
nicht in Deutschland geschehen.“ Die Sachlage ist also,
auch juristisch, ganz klar.
In der Debatte vom 3. Dezember 1998 wurde noch
einmal über die Art und Weise debattiert, wie die Bundesregierung die Opposition seinerzeit informiert hatte.
Am Vorabend des 27. November 1998 war der Informationsstand folgender: Die Regierung wolle die Entscheidung über den Auslieferungsantrag vorläufig offenlassen und wolle sich gleichzeitig bemühen, daß
Öcalan beispielsweise vor einen internationalen Gerichtshof kommt. In dem Zusammenhang gestatten Sie
mir den Hinweis, daß ich das für ein vertretbares Vorgehen halte.
Einen Tag bzw. zwölf Stunden später hat der Bundeskanzler offensichtlich auch diese Angelegenheit wie
die 630-Mark-Jobs zur Chefsache erklärt und gesagt, auf
ein Auslieferungsgesuch werde endgültig verzichtet, das
sei nun definitiv entschieden.
({4})
Hier stelle ich die Frage: War es rechtlich überhaupt
möglich, in dieser Weise aus dem Legalitätsprinzip abzuleitende Ansprüche einfach aufzugeben?
({5})
Zweitens. Schröder hat mit D'Alema auch darüber gesprochen, daß Öcalan vor ein internationales Gericht
gestellt werden sollte. Ich frage mich und insbesondere
auch Sie: Wann war Ihnen klar, daß das mit dem internationalen Gerichtshof nicht klappen würde? Warum
haben Sie dann nicht den Auslieferungsantrag gestellt?
Warum haben Sie dann in Kauf genommen, daß Öcalan
auf einmal aus Italien verschwindet?
Ein Drittes: Der Bundeskanzler und der italienische
Ministerpräsident haben an diesem 27. November 1998
eine europäische Initiative angekündigt, um eine politische Lösung für die Streitigkeiten zwischen der Türkei
und den Kurden zu finden. Wenn diesen Worten damals
erkennbare Taten gefolgt wären, dann wären diese in der
jetzigen Situation sicherlich außerordentlich hilfreich
und auch ein Beitrag zur Entspannung der innenpolitischen Lage in Deutschland gewesen.
Ich frage die Bundesregierung, Herr Staatsminister:
Was ist aus der Ankündigung der Bundesregierung vom
27. November 1998, eine europäische Initiative zu ergreifen, geworden? Hat der Bundeskanzler wenigstens
seit der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft eine
Initiative ergriffen, mit der die EU die Türkei zu einer
Lösung des Kurdenproblems bewegen könnte? Sind
die Amerikaner in eine solche Initiative eingebunden
worden? Es ist doch auch klar, daß ohne eine Konsultation mit den USA in dieser Frage auf die Türkei
überhaupt kein Einfluß genommen werden kann. Ich
denke, Sie werden gleich etwas dazu sagen, Herr
Staatsminister.
Ich habe noch eine Frage an Sie: Was haben Sie politisch unternommen, um die Fixierung vieler Kurden in
der Bundesrepublik Deutschland auf die PKK ein Stück
weit dadurch aufzulockern, daß Sie mit den Vertretern
der Kurden, der kurdischen Gemeinden usw. sprechen,
die ihre Ziele gewaltfrei und demokratisch zu erreichen
versuchen und keinen selbständigen Kurdenstaat anstreben? Das wären wichtige politische Initiativen gewesen.
Ich habe nichts davon mitbekommen, daß die Bundesregierung solche Gespräche geführt hat. Wenn ich nichts
davon mitbekomme, dann bekommen die Kurden in unserem Land davon auch nichts mit. Der Effekt, durch
solche Gespräche auch eine Aufwertung gemäßigter
kurdischer Politiker zu erreichen, ist dann natürlich nicht
zu erzielen.
Es ist ja noch einmal darauf hingewiesen worden,
Frau Zapf, daß überall Kontinuität herrsche, die Bundesregierung es aber in der Türkei-Politik wirklich besser
machen wolle. Sie haben den Mund in Sachen TürkeiPolitik außerordentlich voll genommen. Wir werden Sie
an Ihren Taten messen.
({6})
Das Wort hat nun
Staatsminister Ludger Volmer, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die gerade von Herrn Polenz geäußerten Vorwürfe muß ich im
Namen der Bundesregierung zurückweisen.
({0})
Wir haben uns ständig in Abstimmung mit unseren Partnern bemüht, im internationalen Bereich eine juristische
Lösung zu finden. Auch heute halten diese Anstrengungen noch an. Ihr Erfolg ist aber nicht einzig und allein
von uns abhängig.
Ich möchte aber darauf hinweisen, daß dieser Konflikt nicht nur eine innenpolitische Dimension hat, sondern insbesondere auch eine außenpolitische.
({1})
In den letzten Wochen hat sich ein Problem zugespitzt
und ist eruptiv hervorgetreten, das leider jahrelang verdrängt worden ist. Für diese jahrelange Verdrängung
trägt nicht die jetzige Bundesregierung, sondern - wenn
überhaupt - die vorherige Bundesregierung die Verantwortung.
({2})
Notwendig ist es, endlich anzuerkennen, daß es eine
kurdische Frage gibt, die noch nicht gelöst ist.
({3})
Man kann dieser Frage nicht ständig dadurch ausweichen wollen, daß man sie innenpolitisch eingrenzt. Jeder, der sagt, man müsse mit der türkischen Regierung
in einen Dialog über dieses Problem eintreten, hat völlig
recht. Genau diesen Weg wird die Bundesregierung einschlagen.
Wie die Europäische Gemeinschaft und die gesamte
internationale Gemeinschaft werden wir uns beim Dialog mit der Türkei von den Menschenrechten und Minderheitenrechten leiten lassen.
({4})
Wir sagen aber auch, daß das Problem der Kurden nicht
hier, sondern letztendlich nur in der Türkei selbst gelöst
werden kann.
({5})
Wir erleben am Beispiel eines anderen Regionalkonflikts, um dessen friedliche Lösung zur Stunde in Rambouillet noch gerungen wird, daß es zu Kriegen und
Bürgerkriegen kommen kann und fast zwangsläufig
kommen wird, wenn überzogene Ansprüche aufeinanderprallen.
({6})
Wir sind der Meinung: Jedes Volk und jede Ethnie hat
ein Recht auf kulturelle Eigenständigkeit und auf zumindest teilweise Selbstverwaltung in diesem Bereich.
Dieses Recht muß aber ganz klar vom Recht auf staatliche Unabhängigkeit, woraus sich der Separatismus ergibt, unterschieden werden.
({7})
Diese Unterscheidung wird in Rambouillet eingeführt.
Sie scheint uns ein Schlüssel dafür zu sein, wie man
auch andere Regionalkonflikte lösen kann.
Wir hoffen, daß die türkische Regierung die Chance
ergreift, die in der Festnahme von Öcalan besteht, und
daß sie den Unterschied zwischen staatlicher Separation
und kultureller Eigenständigkeit sieht. Man kann auch
völkerrechtlich argumentieren: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker beinhaltet nicht automatisch das Staatenbildungsrecht. Aber umgekehrt dürfen Minderheitenrechte, zum Beispiel das Recht auf kulturelle Eigenständigkeit, nicht nur deswegen zurückgewiesen und unterdrückt werden, weil eine berechtigte oder unberechtigte
Furcht vor Separatismus besteht.
Wir hoffen, daß wir mit der Türkei in einen Dialog
eintreten können, aus dem fruchtbare Konsequenzen abgeleitet werden können. Wir fühlen uns dabei durch
einige ermutigende Äußerungen aus der Türkei selbst
bestärkt. So hat sich beispielsweise Staatspräsident
Demirel dafür ausgesprochen, daß es eine Amnestie für
PKK-Kämpfer geben könnte. Ministerpräsident Ecevit
hat sich gegen die Todesstrafe ausgesprochen. Das türkische Parlament hat einen Gesetzentwurf eingebracht,
wonach eine gewisse Regionalisierung in der Türkei
vorgesehen ist. Dies sind ermutigende Zeichen, an die
wir gerne anknüpfen, um sowohl für den türkischen
Staat als auch für die kurdische Minderheit zu einem
tragfähigen Ergebnis zu kommen.
({8})
Wir sagen ganz eindeutig: Die Türkei hat ein sehr berechtigtes Interesse daran, daß die staatliche Integrität
bestehenbleibt. Dabei werden wir sie unterstützen. Auf
der anderen Seite haben die Kurden ein absolut legitimes Interesse daran, daß sich ihre kulturelle Eigenständigkeit entfalten kann. Auch diese Position unterstützen
wir. Es wird Zeit, daß dieser berechtigte Anspruch von
der Europäischen Gemeinschaft anerkannt wird.
Die Bundesregierung wird demnächst eine entsprechende Delegationsreise unternehmen; die EU wird eine
Troika entsenden.
({9})
Wir werden mit der türkischen Regierung über die offenen Fragen reden. Die Voraussetzungen für einen Dialog sind besser als in der Vergangenheit, denn die jetzige Bundesregierung war es, die der Türkei in Aussicht
gestellt hat, daß sie in absehbarer Zeit Vollmitglied der
Europäischen Union werden könnte, wenn sie sich an
all die Standards hält, die in Kopenhagen für alle Beitrittsaspiranten der EU festgelegt worden sind. Dabei
handelt es sich insbesondere um Standards im Bereich
der Demokratisierung und der Menschenrechte.
Wir sind der Meinung, daß die Europäische Union
keine christliche Religionsgemeinschaft, sondern eine
Wertegemeinschaft ist. Zu dieser Wertegemeinschaft
gehören auch Personen islamischen Glaubens.
({10})
In diese Wertegemeinschaft können daher auch Staaten
aufgenommen werden, deren grundsätzliche Orientierung eher in Richtung Islam geht, solange sie sich an die
allgemeinen Standards von Demokratie und Menschenrechten halten.
Kollege Volmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?
Nein, Herr Westerwelle, es tut mir leid. Ich habe
nur noch wenig Redezeit und will deshalb zum Schluß
kommen.
Auch die Diskussionen über eine Verbesserung des
Staatsangehörigkeitsrechtes in Deutschland haben dazu
geführt, daß sich die Dialogbeziehungen mit der Türkei
erheblich verbessert haben. Wenn man der Meinung ist,
die Probleme von Flüchtlingen und Asylbewerbern
müßten dort gelöst werden, wo Fluchtursachen entstehen, dann gehört es zu den wichtigsten Vorbedingungen,
daß die Dialogbeziehungen zur Türkei verbessert werden. In diesem Zusammenhang hat unsere Staatsangehörigkeitspolitik eine sehr wichtige Funktion.
Ich hoffe, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition, daß Sie diesen Zusammenhang begreifen.
Wir hoffen, daß die Türkei die Chance wahrnimmt, die
in der jetzigen Situation liegt, und sich dadurch, daß sie
die Kurdenproblematik auf der Basis der Demokratie,
der Menschen- und Minderheitenrechte löst, Europa einen Schritt näherbringt.
Ich danke Ihnen.
({0})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich schließe die Aussprache und unterbreche die Sitzung vereinbarungsgemäß bis 11 Uhr, also
bis zum Beginn der Haushaltsdebatte.
({0})
Meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die
Sitzung fort.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1a und 1b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 1999
({0})
- Drucksache 14/300 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über den Stand und die voraussichtliche Entwicklung der Finanzwirtschaft
- Drucksache 14/350 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß ({1})
Finanzausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die heutige Aussprache im Anschluß an die Einbringung
des Haushalts fünfeinhalb Stunden, für morgen neun
Stunden, für Donnerstag acht Stunden und für Freitag
zwei Stunden vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Das Wort zur Einbringung des Haushalts hat der
Bundesminister der Finanzen, Oskar Lafontaine.
Herr Bundesminister, bitte schön.
({2})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wichtiges Ziel der Bundesregierung ist es, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und für mehr soziale Gerechtigkeit in Deutschland zu sorgen. Der Bundeshaushalt 1999
entspricht diesen Zielsetzungen.
Der Bundeshaushalt enthält zentrale Elemente dieser
Politik für Arbeit, Innovationen und Gerechtigkeit:
Erstens. Arbeitnehmer und Familien werden von
Steuern entlastet. Darauf haben sie lange gewartet.
Zweitens. Das Kindergeld wird erhöht.
Drittens. Die Zukunftsinvestitionen für Forschung,
Bildung und Wissenschaft werden gestärkt.
Viertens. Der Mittelstand wird entlastet.
({0})
Ich weise darauf hin, daß das Ifo-Institut kürzlich errechnet hat, daß in unserem Steueränderungsgesetz für
den Mittelstand eine Entlastung in Höhe von dreieinhalb
Milliarden DM vorgesehen ist. Wenn Sie dies schon der
Bundesregierung aus Verblendung nicht glauben, dann
glauben Sie wenigstens einem Institut, das dies wissenschaftlich errechnet hat.
({1})
Fünftens. Die ökologische Steuer- und Abgabenreform wird auf den Weg gebracht.
Sechstens. Die Lohnnebenkosten werden gesenkt.
Siebtens - das ist ein ganz wichtiger Punkt und ein
Markenzeichen dieser Bundesregierung -: Wir starten
ein Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, weil wir die Jugend nicht allein lassen wollen in
ihrem Bemühen, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren
und Ausbildung und Beschäftigung zu finden.
({2})
Achtens. Der Aufbau Ost wird verstärkt.
Neuntens. Die unsozialen Kürzungen im Renten- und
im Gesundheitsbereich werden zurückgenommen. Das
haben die Wählerinnen und Wähler so gewollt, und wir
haben entsprechend entschieden.
({3})
Wichtig war uns, daß die Versprechungen, die wir
vor der Bundestagswahl abgegeben haben, direkt nach
der Bundestagswahl umgesetzt worden sind. Allzulange
hat sich bei den Wählerinnen und Wählern das Vorurteil
verfestigt, daß vor Wahlen Versprechungen gemacht
werden, die dann nach den Wahlen nicht eingehalten
werden. Wir sind stolz darauf, daß dieser Haushalt mit
der Überschrift „Versprochen und gehalten“ charakterisiert werden kann. So muß das in einer Demokratie sein.
({4})
Meine Damen und Herren, ich habe auch heute wieder gelesen, daß einzelne Wirtschaftsverbände sagen:
Die ganze Richtung stimmt nicht. - Ich wiederhole: Arbeitnehmer und Familien werden entlastet, und der Mittelstand wird nach Berechnungen des Ifo-Instituts um
dreieinhalb Milliarden DM entlastet. Ich stelle fest: Die
ganze Richtung stimmt; denn es war falsch - wie das in
den letzten Jahren geschehen ist -, immer nur die
Großindustrie zu unterstützen.
({5})
Die heutigen Beratungen finden vor dem Hintergrund
einer schwierigen Situation in der Weltwirtschaft statt.
Die Krisenregionen in Südostasien erholen sich nur
langsam. Die Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft
sind stärker, als von dem einen oder anderen erwartet.
Die wirtschaftliche Entwicklung in Brasilien und Südamerika insgesamt kommt hinzu. Auch hier können negative Auswirkungen für die Weltwirtschaft und damit
auch für unsere Volkswirtschaft nicht ausgeschlossen
werden. Die instabile wirtschaftliche Lage in Rußland
ist auch für unsere Wirtschaft von Bedeutung. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten dort erfassen zunehmend
auch die mittel- und osteuropäischen Reformstaaten.
Auch das beeinflußt die ökonomische Entwicklung in
Deutschland in diesem Jahr.
Die amerikanische Wirtschaft verzeichnet erfreulicherweise weiterhin einen klaren Aufwärtstrend. Auf der
Basis der Zahlen des letzten Quartals errechnet sich für
1998 ein Wachstum von 5,8 Prozent. Aber auch Alan
Greenspan weist zu Recht immer wieder darauf hin, daß
es Risiken gibt: erstens die sicherlich überzogenen Preise auf dem amerikanischen Aktienmarkt, zweitens die
einmalig negative Sparquote, die, wenn sie in Europa
vorherrschte, ein gigantisches Nachfrageprogramm nach
sich ziehen würde, und drittens Handelsbilanzdefizite,
die wieder Rekordmarken erreichen. Das sind drei
Gründe, die Veranlassung geben, darüber nachzudenken, wie lange die amerikanische Konjunktur allein zu
einem solch starken Wachstumstrend in der Weltwirtschaft führen kann.
Insbesondere die Exportentwicklung ist gedämpft
worden. Zugleich aber zeigen sich die Vorteile in Europa: die Vorteile einer gemeinsamen Währung und fester
Wechselkurse bzw. Währungsbänder, die Staaten der
Europäischen Union, die nicht den Euro-11-Staaten angehören, eingeführt haben. Allerdings ist auch in Europa
das Wachstum deutlich abgeschwächt. Auf der anderen
Seite, monetär betrachtet, ist die Euro-Zone im Vergleich zu anderen Regionen ein Stabilitätsanker und hat
daher die Voraussetzungen, wieder zu verstärktem
Wachstum zu finden.
Die Auswirkungen der Weltwirtschaftslage auf die
deutsche Wirtschaft werden wir 1999 deutlicher spüren
als 1998. Die Wechselkursentwicklungen insbesondere
in Südostasien haben die Konkurrenz für deutsche Güter, wie jeder weiß, verschärft. Der deutsche Export das ist nicht mehr zu bestreiten - hat es schwerer.
Gleichzeitig aber profitiert die deutsche Wirtschaft von
gesunkenen Erzeugerpreisen auf Grund billigerer Rohstoffe; die Importpreise fallen.
Wenn der Export als Wachstumsmotor an Bedeutung
verliert, muß die Binnennachfrage mehr Verantwortung für ein ausreichendes Wachstum übernehmen. Deshalb begrüße ich es, daß sich die Finanzminister der G7
am Samstag völlig einig darin waren, daß jetzt eine binnenwirtschaftlich gestützte Wachstumsstrategie, die zu
einer ausgewogeneren Entwicklung der Länder beitragen würde, erfolgen muß. Die Bundesregierung hat dies
immer wieder verlangt; die Finanzminister der G7 haben
diese Wirtschaftspolitik am Wochenende bestätigt.
({6})
Die Investitionsneigung darf nicht weiter sinken. Die
Nachfrage nach Investitionsgütern ist Bestandteil der
gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Wir verbessern die
Angebotsbedingungen durch Strukturreformen. Eine
stärkere Nachfrage sichert den Absatz neuer Güter.
Für das Jahr 1999 rechnet die Bundesregierung mit
einem Rückgang der Zahl der Arbeitslosen um 150 000
bis 200 000. Nach dieser Schätzung wird die Arbeitslosenquote auf 10,5 Prozent sinken. Voraussetzung ist das will ich in aller Klarheit hinzufügen -, daß das
Wachstum in der zweiten Hälfte dieses Jahres anzieht
und daß es wieder Beschäftigungsimpulse gibt.
Die Arbeitslosigkeit ist noch immer viel zu hoch; ihre
Reduzierung bleibt wichtigstes Ziel der Bundesregierung. Um dieses Ziel zu erreichen, versuchen wir einen
neuen Politikansatz: Wir setzen auf einen international
abgestimmten kurz-, mittel- und langfristigen Policymix. Wir wollen eine ausgewogene Mischung von Angebots- und Nachfragepolitik.
({7})
Dazu ist nicht nur in Deutschland, sondern zumindest
auf europäischer Ebene, wenn nicht sogar darüber hinaus eine gesamtwirtschaftliche Koordinierung notwendig. Finanz-, Lohn- und Geldpolitik sollen konfliktfrei
zusammenwirken. Es darf nicht wieder dazu kommen wie im Jahre 1992 -, daß überzogenes Ausgabeverhalten
des Staates, über der Produktivität liegende Lohnabschlüsse und eine Geldpolitik, bei der sich die kurzfristigen Zinsen bei 10 Prozent bewegten, auf Wachstum und
Beschäftigung wirken und damit die Grundlage für
einen weiteren Aufbau der Arbeitslosigkeit legen. Dies
müssen wir in Zukunft vermeiden.
({8})
Die Finanzpolitik der Bundesregierung wird Wachstum und Beschäftigung neue Impulse geben. Die jetzige
Wirtschaftslage erfordert die Stärkung der Binnennachfrage. Dies soll die Finanzpolitik, soweit sie es kann,
unterstützen. Gleichzeitig müssen die Staatsfinanzen saniert werden. Solide Staatsfinanzen sind Voraussetzung
für gute Angebotsbedingungen und für eine stabile
Nachfrage.
Im deutschen Stabilitätsprogramm, das wir vor wenigen Wochen der Europäischen Kommission vorgelegt
haben, planen wir für die Zukunft sinkende Defizite sowie eine sinkende Schulden- und Staatsquote. Voraussetzung für das Erreichen dieser Ziele ist aber zum einen
der erfolgreiche Abbau der Arbeitslosigkeit. Zum anderen darf es nicht zu einer dauernden Wachstumsschwäche kommen. Dazu müssen in den nächsten Monaten die
notwendigen Anstrengungen unternommen werden; dazu muß auch die Lohnpolitik einen Beitrag leisten. Das
läßt sich am besten erreichen, wenn sich die Lohnzuwächse am mittelfristigen Produktivitätsfortschritt und
am Preisstabilitätsziel der Europäischen Zentralbank
orientieren.
({9})
- Sie müßten aus den Fehlern der letzten 16 Jahre doch
allmählich gelernt haben.
Wer weiterhin nur auf stetig sinkende Lohnstückkosten in Deutschland setzt, hat die Lehren der Vergangenheit nicht begriffen und hat nicht begriffen, warum
sich die Arbeitslosigkeit in Deutschland systematisch
aufbauen konnte.
({10})
Auch in den vergangenen drei Jahren, meine Damen und
Herren - schauen Sie in die internationalen Statistiken -,
gab es sinkende Lohnstückkosten in Deutschland. Dies
war aber offensichtlich kein Patentrezept zum Abbau der
Arbeitslosigkeit. Der Anteil der Löhne am Bruttosozialprodukt ist in Deutschland 1998 so niedrig wie nie zuvor
gewesen. Das ist schlicht und einfach eine Tatsache.
Daher darf man nicht immer nur auf die Lohnseite
schauen, wenn die Frage gestellt wird: Wer kann denn im Sinne von Zurückhaltung - einen Beitrag für
Wachstum und Beschäftigung leisten?
Die realen Nettolöhne sind mit der Ausnahme des
Jahres 1996 seit Jahren rückläufig. Die Daten der Industrieländer, die uns oft als Vorbild vorgehalten werden,
zum Beispiel die Vereinigten Staaten, zeigen hingegen
steigende Reallöhne. Ich wiederhole: Im Gegensatz zur
Entwicklung bei uns zeigt die Entwicklung in den Vereinigten Staaten, daß steigende Reallöhne Grundlage
auch von Wachstum und Beschäftigung sind. In den
Vereinigten Staaten - auch wenn das Vorurteilen widerspricht, aber es sind Tatsachen - gibt es keine sinkenden
Lohnstückkosten, sondern es gibt statt dessen eine stabile Konsumentennachfrage. Sie ist offensichtlich auch
eine wichtige Voraussetzung für eine stabile Investitionstätigkeit.
Meine Damen und Herren, da das offensichtlich ein
Streitpunkt ist, will ich ihn mit einigen Sätzen noch eingehender behandeln. Wer ständig auf sinkende Lohnstückkosten setzt, kann dies vielleicht in einer kleinen
Volkswirtschaft tun, wo etwa, wie in Nachbarländern,
der Exportanteil bei weit über 50 Prozent liegt. Solche
Staaten in der Europäischen Gemeinschaft können vielleicht noch auf eine solche Strategie setzen. Wer aber
wie wir eine Relation von 75 Prozent Binnennachfrage
und 25 Prozent Export hat, der kann nicht auf ständig
sinkende Lohnstückkosten setzen, weil er damit zwar
etwas für den Export gewinnt, aber das, was er in bezug
auf den Export gewinnt, in bezug auf die BinnenBundesminister Oskar Lafontaine
nachfrage und besonders hinsichtlich von Wachstum
und Beschäftigung verliert. Diesen Zusammenhang haben Sie lange Jahre ignoriert; Sie müssen ihn endlich zur
Kenntnis nehmen, wenn wir zu einem fruchtbaren Dialog in der Wirtschaftspolitik kommen wollen.
({11})
Es ist eben ein Fehler gewesen, immer wieder darauf
zu setzen, daß man im Export gewinnt. Eine nüchterne
Betrachtung hätte doch jedem die Einsicht erschließen
müssen, daß diese Strategie nicht für alle Staaten aufgehen kann. Nicht alle Staaten können ihre Beschäftigungsprobleme über den Export lösen, insbesondere die
großen Industriestaaten können ihre Beschäftigungsprobleme nicht über den Export lösen. Um das noch deutlicher zu formulieren: Ich wüßte nicht, wo die Weltwirtschaft angelangt wäre, wenn etwa die Vereinigten Staaten der Versuchung erlegen wären, ihre binnenwirtschaftichen Probleme verstärkt über den Export zu lösen. Ich will mir das Szenario überhaupt nicht ausmalen.
Ich möchte zur Lohnpolitik nur eine Bemerkung machen: Wer ständig für sinkende Lohnstückkosten oder anders ausgedrückt - für eine moderate Lohnpolitik plädiert, der muß die Frage beantworten, was am Ende einer solchen Strategie steht. Er kann in diesem Fall steigende Exporterlöse zum Ziel haben. Das kann auch eine
Zeit lang funktionieren. Aber wenn der Export einbricht,
dann schrumpft das Wachstum sofort auf marginale
Werte zusammen und kann die Probleme nicht mehr lösen. Deswegen war die Strategie der letzten Jahre falsch.
Es gibt allerdings eine Kombination, die unbestritten
gilt: Wenn sich die Lohnpolitik moderat verhält - zu
deutsch: hinter dem Produktivitätsfortschritt herhinkt -,
dann muß jemand dagegenhalten. Nach der internationalen Diskussion muß das die Geldpolitik sein. In diesem Fall muß die Geldpolitik, weil die Lohnpolitik nicht
mehr inflationär ist, expansiv sein und für Nachfrage
sorgen. Geschieht das nicht, dann ist das Ergebnis das,
was wir in Europa seit Jahren feststellen können, nämlich eine steigende Arbeitslosigkeit - obwohl wir doch,
wie Sie vorgeben, in den letzten 16 Jahren eine solch erfolgreiche Regierung hatten. Schauen Sie auf die Arbeitslosenzahlen! Die Arbeitslosenzahlen sind letztendlich die Meßlatte für eine richtige oder falsche Wirtschaftspolitik.
({12})
Eine andere gibt es leider nicht.
({13})
- Ja, selbstverständlich: Wiedervorlage. Der Maßstab,
der für Sie gegolten hat, gilt auch für uns. Das ist überhaupt keine Frage.
({14})
Wenn wir ein solches Wachstum der Arbeitslosigkeit zu
verantworten hätten, wie Sie es in Ihrer Regierungszeit
zu verantworten hatten, dann würden wir mit demselben
Recht abgewählt werden, wie das bei Ihnen der Fall war.
Wir lassen für uns die gleichen Maßstäbe gelten.
({15})
Wenn Finanz- und Lohnpolitik für ein stabiles Umfeld sorgen, entsteht Spielraum für die Geldpolitik, auch
ihrerseits Wachstumsimpulse zu geben. Genauso sehen
das der Maastrichter Vertrag und das Statut der Europäischen Zentralbank vor. Dort wird als Ziel zuerst die
Preisstabilität genannt. Der Text fährt aber fort:
Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der
Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB die
allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft,
um zur Verwirklichung der in Artikel 2 dieses Vertrages festgelegten Ziele der Gemeinschaft beizutragen.
Diese Ziele sind - ich zitiere -: „ein beständiges, nicht
inflationäres und umweltverträgliches Wachstum“ und
„ein hohes Beschäftigungsniveau“.
Das, was für Deutschland gilt, gilt für die gesamte
Europäische Union. Wir werden eine Akzeptanz der europäischen Einigung bei den Bürgerinnen und Bürgern
in Europa nur erreichen, wenn es in Gesamteuropa gelingt, Wachstum und Beschäftigung aufzubauen und die
Arbeitslosigkeit zurückzuführen und zu beseitigen.
({16})
- Auf den Zuruf „Sie sind ein Repetitor!“ möchte ich
antworten: Das ist ein ganz bewährtes Instrument, das
Sie beispielsweise hier an der Bonner Universität kennenlernen können. Es wird insbesondere bei Schülern
angewandt, die Lernschwierigkeiten haben.
({17})
Insofern muß ich als Repetitor auftreten. Vielen Dank
für diesen Zuruf; ich erwarte die Fortsetzung.
Wenn Inflationsgefahren bestehen, müssen diese bekämpft werden. Wenn sie nicht bestehen, hat die Geldpolitik Spielräume, das Wachstum zu unterstützen.
Geldpolitik ist, entgegen manchem Urteil, nicht wachstumsneutral. So kann beispielsweise der Zinsmechanismus genutzt werden, um in einem stabilen wirtschaftlichen Rahmen Wachstumsimpulse zu geben. Niedrige
Kurzfristzinsen können positive Effekte auf die Gewinnerwartungen, die Investitionen und die Beschäftigung
haben. Sie regen zu Umschichtungen in längerfristige
Titel an und senken die Finanzierungskosten für Investitionen. Sie stimulieren den Konsum, weil kurzfristige
Anlagen dann unattraktiver werden.
Das Beispiel Japan zeigt allerdings, daß eine funktionierende Geldpolitik eine Voraussetzung hat: daß das
Bankensystem in Ordnung ist. Ohne funktionierende
Bankenaufsicht sind auch die Möglichkeiten der Geldpolitik nicht gegeben. Dazu kommt: Wenn bestimmte
geldpolitische Impulse zu spät gesetzt werden, verpuffen
sie, weil sie von den Verbrauchern und Investoren nicht
mehr angenommen werden.
Dieser wirtschaftspolitische Ansatz mit einer engen
Koordination von Finanz-, Lohn- und Geldpolitik basiert
auf einer stärkeren Beachtung makroökonomischer Zusammenhänge. Er bedeutet nicht, daß wir Strukturreformen aus dem Auge verlieren. Deshalb werden wir
auch die Investitionsbedingungen in Deutschland weiter
verbessern. Wir haben beide Bereiche fest im Blick:
Angebot und Nachfrage. Die empirischen Daten zeigen
allerdings deutlich, daß in Deutschland und Europa derzeit vor allem eines fehlt: eine Stärkung der Binnennachfrage.
({18})
Diesem Ziel dient auch die Steuerpolitik. Der Wechsel
in der Steuer- und Abgabenpolitik ist in den Bundeshaushalt integriert worden. Die Steuerpolitik ist ein
wichtiges Element unseres Politikkonzeptes für Wachstum und Beschäftigung.
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tragen
heute die Hauptlast bei der Finanzierung des Staates. Ich
wiederhole das: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tragen heute die Hauptlast bei der Finanzierung des
Staates. Viele, insbesondere multinationale Unternehmen, aber auch die Bezieher hoher Einkünfte, haben ihre
Steuerzahlungen geschickt reduziert. Sie entziehen sich
ihrer Verantwortung für die Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben. Es ist und bleibt ein ehrgeiziges Ziel
dieser Koalition und dieser Bundesregierung, in
Deutschland wieder Steuergerechtigkeit herzustellen.
({19})
Der Prozeß, der sich über Jahre aufgebaut hat - eine
Entwicklung, die über Jahre nicht gestoppt werden
konnte und damit von Ihnen zu verantworten ist - und
so aussieht, daß die Vermögenden und die Einkommensstarken durch legale Inanspruchnahme des Steuerrechtes ihre Steuerlast praktisch immer mehr gegen
Null führen konnten, während die Arbeitnehmer immer
höhere Abgaben und immer höhere Steuern zahlen
mußten, ist einer der Gründe für die Unzufriedenheit in
der Bevölkerung und einer der Gründe dafür, warum Sie
das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger verloren
haben. Wir brauchen in Deutschland wieder mehr
Steuerehrlichkeit und mehr Steuergerechtigkeit, um das
Vertrauen in unseren Staat und seine Institutionen wiederherstellen zu können.
({20})
Wir sind angetreten - das ist unser Auftrag, wir nehmen ihn ernst -, die in den letzten 16 Jahren entstandene
Gerechtigkeitslücke zu schließen, von der auch einige
aus den Reihen der Opposition gesprochen haben. Ich
denke da an Herrn Geißler und Herrn Rühe. Es ist noch
keine vier Jahre her, daß sie die Gerechtigkeitslücke
festgestellt haben. Wir sind angetreten, diese Gerechtigkeitslücke zu schließen. Schon wenige Wochen nach der
Regierungsübernahme haben wir mit der ersten Stufe
der Einkommensteuerreform einen wichtigen Schritt dazu getan. Wir wollen, daß Arbeitnehmer und Familien
wieder mehr Geld in der Tasche haben. So einfach ist
das.
({21})
Die Konzentration der Steuerentlastung auf Arbeitnehmer und Familien stärkt die Kaufkraft und gibt der
Nachfrage Impulse. Allerdings muß auch die Steuerpolitik das Gebot solider Staatsfinanzen beachten. Deshalb werde ich nicht müde, darauf hinzuweisen, daß
Deutschland die niedrigste Steuerquote in der Europäischen Gemeinschaft hat. Ich wiederhole das: Trotz der
Aufgabe, etwa den Aufbau Ost zu finanzieren - wir
müssen das auf europäischer Ebene immer wieder in
Erinnerung rufen -, haben wir die niedrigste Steuerquote
in der Europäischen Gemeinschaft. Sie betrug 1998 in
der Abgrenzung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung 22,5 Prozent.
Nun wird die eine oder der andere unserer Zuschauerinnen und Zuschauer sagen: Das kann doch nicht wahr
sein, daß wir die niedrigste Steuerquote in der Europäischen Gemeinschaft haben; ich zahle doch soviel
Steuern.- Ich will die Erklärung dafür liefern - die Antwort ist ganz einfach -: Die einen zahlen treu und brav
ihre Steuern, die anderen können sich der Steuer auf der
Grundlage eines Steuerrechtes, das sich völlig verfehlt
entwickelt hat, ganz oder teilweise entziehen. Genau das
muß geändert werden. Wir sind dabei, das zu tun.
({22})
Die Steuerentlastungen müssen daher gezielt erfolgen
und mit den volkswirtschaftlichen Erfordernissen und
den Finanzierungsmöglichkeiten von Bund, Ländern
und Gemeinden im Einklang stehen. Zugunsten der
mittelständischen Wirtschaft haben wir an unserem Gesetzentwurf Korrekturen vorgenommen, die sich in den
Bilanzen dieser Unternehmen mit 6 Milliarden DM und
steuerlich - wie das Ifo-Institut ausgerechnet hat - mit
3,5 Milliarden DM niederschlagen. Deshalb ist die Einkommensteuerreform in den ersten Schritten aufkommensneutral. Trotzdem führt die Einkommensteuerreform - und das ist gewollt - zu einer Entlastung der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen sowie zu einer
Entlastung der Familien mit Kindern; denn der Eingangssteuersatz wurde abgesenkt, das Kindergeld spürbar angehoben. Durch Umschichtungen im Steuersystem, durch Herstellung von mehr Steuergerechtigkeit
läßt sich die Binnennachfrage auch bei Aufkommensneutralität stärken.
Ich sage jetzt noch etwas zum Eingangssteuersatz:
Es ist nicht so, als könnte man das Steuerrecht nur unter
formalen Gesichtspunkten oder nur unter Gesichtspunkten der sozialen Gerechtigkeit betrachten, die im
Widerspruch zu vernünftigen volkswirtschaftlichen Erwägungen stehen. Es wird viel - und oft allein - vom
Eingangssteuersatz geredet. Wir haben in den letzten
Jahren immer wieder moniert, daß er viel zu hoch ist.
Nach meiner Meinung ist er jetzt im ersten Anlauf
eigentlich noch zuwenig gesenkt worden. Es ist aber
notwendig, ihn zu senken, weil ein zu hoher Eingangssteuersatz eben die Schwarzarbeit begünstigt. Dies liegt
auch im Interesse der Staatsfinanzen.
({23})
Für die Unternehmen planen wir eine Steuerreform,
an deren Ende eine rechtsformunabhängige Besteuerung mit einem Steuersatz von höchstens 35 Prozent
steht. In Richtung Mittelstand möchte ich dazu sagen,
daß es sich bei diesen 35 Prozent um einen Höchststeuersatz handelt, nicht um einen Steuersatz, den jeder
entrichten muß. Hier ist es da und dort zu Mißverständnissen gekommen. Für das normale mittelständische
Unternehmen wird der tatsächliche Steuersatz niedriger
sein. Hier gab es einen systematischen Fehler einzelner
Entwürfe - ich sage dies jetzt nicht nur in eine Richtung
-, die in den letzten Jahren vorgelegt worden sind. Man
hat auch bei den Unternehmensteuern allzu stark immer
auf die Höchststeuersätze gestarrt. Das war insbesondere
gegenüber den kleinen und mittleren Betrieben falsch,
die die Höchststeuersätze gar nicht erreichen.
({24})
Deshalb genügt es nicht, immer nur auf die Höchststeuersätze zu starren.
Es ist auch falsch, wenn beispielsweise einzelne
Wirtschaftsverbände bei ihren Debatten immer nur die
Höchststeuersätze nennen. Das ist ein Irrtum auch dieser
Verbandsvertreter. Es geht um die Durchschnittsbelastung der mittelständischen und der kleinen Betriebe.
Die muß heruntergefahren werden. Dies erreicht man
aber nicht über eine Betrachtung allein der Höchststeuersätze.
({25})
Die Bundesregierung hält nach wie vor an dem Ziel
fest, die ökologische Steuer- und Abgabenreform
durchzuführen. Dieses Ziel, das über Jahre unstreitig
war und auf europäischer Ebene inzwischen von der
Mehrheit der Staaten akzeptiert wird, ist Ausdruck vernünftiger Modernisierung, vernünftiger Strukturreformen und vor allen Dingen Ausdruck einer längerfristig
angelegten Politik. Natürlich kann man - in den letzten
Wochen und Monaten haben sich die Beispiele wieder
gehäuft - kurzfristig Punkte machen, indem man da und
dort gegen die Steuerreform polemisiert und sich nur
den Belastungsteil herausgreift.
({26})
Aber es ist keine seriöse Diskussion, nur den Belastungsteil zu nennen und den Entlastungsteil zu verschweigen.
Ich sage an die Verbandsvertreter der Wirtschaft und
an die Einzelunternehmen: Eine faire steuerliche Debatte ist notwendig, um zu guten Ergebnissen zu kommen. Das setzt voraus, daß man bei der Steuer- und Abgabenreform - der ökologischen Steuer- und Abgabenreform - nicht nur den Belastungsteil benennt, sondern
bitte schön auch vorrechnet, was man bei den Lohnnebenkosten an Einsparungen hat. Sonst ist die ganze Debatte nicht seriös und verstimmt im Grunde genommen
auch. So kann man doch nicht vorgehen.
({27})
Wenn ich jetzt sehe - man müßte etwas differenzieren, aber die Zeit läßt es nicht zu -, wie die Oppositionsparteien diskutieren, so stelle ich fest: Das ist wirklich billiger Populismus und im Grunde auch Irreführung der Öffentlichkeit. Ich habe es von dieser Stelle aus
immer wieder begrüßt, daß sich einzelne in ihren Reihen
- einige wollen dies heute scheinbar nicht mehr wissen für die ökologische Steuer- und Abgabenreform eingesetzt haben. Es gab hier vor den Bundestagswahlen eine
Auseinandersetzung zwischen der CDU und der CSU.
Ich verstehe die Beweggründe der Parteivorsitzenden,
ich kenne die Notwendigkeit zusammenzuführen usw.;
das soll man auch tun. Aber so ein bißchen darf man zu
den Überzeugungen, die man einmal vertreten hat, noch
stehen. Die ökologische Steuer- und Abgabenreform ist
ein Projekt der Modernisierung, ist ein Zukunftsprojekt.
Wir dürfen es nicht einfach preisgeben und einem billigen Populismus opfern.
({28})
Ich spreche von Zukunftsorientierung. Oft wird beklagt, daß die Politik nur auf die Schlagzeile des nächsten Tages starrt. Diese Kritik ist sicherlich gerechtfertigt. Jeder von uns
({29})
- jeder von uns, Herr Kollege Schäuble, habe ich gesagt,
sogar Sie - muß sich eine solche Kritik teilweise gefallen lassen und sich die Frage stellen, ob er nicht allzu
leicht solchen Versuchungen entspricht. Wir haben Herausforderungen gegenüber kommenden Generationen.
Ich erinnere daran, weil ich den früheren Bundeskanzler
Kohl hier im Plenum sehe. Wir sind angesichts der
kommenden Generationen gefordert, eine langfristige
Orientierung vorzulegen. Ich erinnere mich noch gut an
Ihre Reden, die Sie vor zwei, drei Jahren im Vorfeld des
Gipfels von Rio und anderer Gipfel, auch in Berlin, gehalten haben, als Sie für stärkere Maßnahmen im Umweltschutz geworben haben. Bleiben wir doch gemeinsam bei dieser Grundüberzeugung! Der Umweltschutz
ist angesichts unserer Verantwortung für Generationen,
die noch gar nicht geboren sind, eine wichtige Aufgabe.
({30})
Im übrigen ist doch in vielen Debatten zuvor - ich
erinnere an die Einführung des Katalysators, ich erinnere an die verstärkten Auflagen bei der Luftreinhaltung - zu Recht darauf hingewiesen worden, daß auf
diesem Sektor Technologien induziert und marktfähig
gemacht worden sind, die auch in Deutschland Beschäftigung gebracht haben. Das ist doch von allen hier immer wieder festgestellt worden, und an diesem Sachverhalt hat sich gar nichts geändert. Nur die Produkte werden die Märkte der Zukunft erobern, die nicht mit zu
starken Belastungen der Umwelt verbunden sind.
({31})
Der Haushalt 1999 ist ein erster Schritt, aber - vielleicht ist es ungewöhnlich, wenn ich als derjenige, der
ihn, zumindest was die Aufstellung angeht, zu verantworten hat, das sage - er ist ein bei weitem noch unzureichender Schritt zur Sanierung der Staatsfinanzen.
({32})
- Herr Kollege Zwischenrufer, wenn Sie bei einer solchen Debatte, in der es um einen sachlichen Ansatz geht,
dann, wenn ich feststelle, daß wir bei weitem noch nicht
genügend Anstrengungen unternommen haben, um das
strukturelle Defizit abzubauen, sagen, das sei der erste
richtige Satz gewesen, so qualifiziert dieser Zwischenruf
Sie selber. Ich lasse ihn so stehen.
({33})
Wir haben bei weitem noch nicht genug Anstrengungen unternommen, um den Staatshaushalt zu sanieren.
Zu rechtfertigen ist das nur, weil ich der Auffassung bin,
die von vielen geteilt wird, daß der Staat in einer Phase
zurückgehender Konjunktur diesen Prozeß nicht noch
durch verstärkte Sparmaßnahmen oder Steuererhöhungen verschärfen soll.
({34})
Man kann sich zu dieser Auffassung bekennen oder
nicht. Ich halte diese Auffassung für richtig. Wenn Gefahren bestehen, daß das Wachstum zu stark zurückgeht,
dann kann der Staat nicht verstärkt Ausgaben kürzen
oder Steuern erhöhen. Zu dieser Auffassung kann man ja
oder nein sagen, aber man sollte an dieser Stelle eine
gewisse Konsequenz entwickeln.
Im Vergleich zum Haushaltsentwurf der alten Bundesregierung haben die Ressorts grundsätzlich einen
Konsolidierungsbeitrag in Höhe von 0,5 Prozent ihres
Ausgabevolumens erbracht. Ich sagte bereits: Das wird
in Zukunft nicht ausreichen. Entsprechend dem Finanzierungsvorbehalt des Koalitionsvertrages mußten die
Ressorts neue Ausgaben durch Einsparungen innerhalb
des eigenen Einzelplanes finanzieren. Durch diese Umschichtung von Mitteln ist es möglich geworden, neue
politische Weichenstellungen vorzunehmen. Bei dem
notwendigen Einstieg in die Sanierung der Staatsfinanzen haben alle Ressorts einen Beitrag zu leisten. Es kann
niemand davon ausgenommen werden. Auch das wollte
ich heute in aller Klarheit noch einmal festgestellt haben.
Die Neuverschuldung wird im Bundeshaushalt 1999
auf 56,2 Milliarden DM zurückgeführt. Sie liegt damit
leicht unter dem Niveau von 1998. Trotz des hohen
Schuldenberges, der zu erheblichen Zinsbelastungen
führt, die niemand bestreiten kann, wird die Nettokreditaufnahme unterhalb der verfassungsrechtlich vorgegebenen Verschuldungsgrenze gehalten. Die Investitionsausgaben liegen um 2 Milliarden höher als die
Nettokreditaufnahme. Mit dieser Begrenzung der Neuverschuldung setzt die Bundesregierung ein Stabilitätssignal - wenn ich auch hinzufüge: Im Hinblick auf die
längerfristige Perspektive ist das noch nicht ausreichend.
Wir haben die durchlaufenden Posten bereinigt. Der
effektive Anstieg der Ausgaben wird auf 1,7 Prozent
begrenzt. Er liegt damit unter dem erwarteten Wachstum
des Bruttosozialproduktes. Das entspricht den Vereinbarungen des Finanzplanungsrates für den Gesamtstaat.
Um auch in den kommenden Jahren die sich aus
Art. 115 des Grundgesetzes ergebende Verschuldungsgrenze einzuhalten, müssen wir die Deckungslücke
schließen, die die Regierung Kohl hinterlassen hat. Es
handelt sich um eine strukturelle Deckungslücke von
30 Milliarden DM. Bisher haben wir immer von nur 20
Milliarden DM gesprochen. Diese Lücke ist bisher
durch Veräußerung von Vermögenswerten geschlossen
worden. Jetzt kommen aber die Folgen des Urteils des
Bundesverfassungsgerichtes zum Tragen: Auf den
Bundeshaushalt kommen weitere 10 Milliarden DM zu,
auf die Länderhaushalte ebenfalls 10 Milliarden.
Meine Damen und Herren, man kann diese Debatte
um Himmels willen nicht so führen - dann würden doch
die Grenzen fairen Umgangs miteinander verletzt -, als
wäre das die Verantwortung der jetzigen Bundesregierung. Der Beschluß des Verfassungsgerichtes ist bitter.
Er bedeutet nämlich, daß Sie den Familien - wie oft
wurde auf Parteitagen der CDU/CSU die Familienpolitik in den Mittelpunkt gestellt? - Jahr für Jahr
20 Milliarden DM vorenthalten haben. Welch vernichtendes Urteil über die Familienpolitik der letzten Jahre!
({35})
Daß dabei oft auch finanzielle Zwänge eine Rolle gespielt haben, wer wollte das in Abrede stellen? Daß dabei Fehleinschätzungen der letzten Jahre, die beträchtliche Ausmaße hatten, eine Rolle gespielt haben, wer
wollte das in Abrede stellen? Aber hier zeigt sich wieder
einmal, daß man die finanziellen Probleme auf Dauer
eben nicht zu Lasten einzelner Gruppen lösen kann.
Auch hier zeigt sich das Problem der Gerechtigkeit.
Wie ich gesagt habe, daß es ungerecht war, die Arbeitnehmer über Gebühr mit Steuern und Abgaben zu belasten, um die Staatsaufgaben zu finanzieren, so sage ich:
Es war eine nicht hinnehmbare Ungerechtigkeit, daß die
Familien in den letzten Jahren so stark benachteiligt
worden sind.
({36})
Ich sage in allem Freimut, daß es keine leichte Aufgabe sein wird, diese Deckungslücke von 30 Milliarden
DM zu schließen. Ich rate dazu, ein Mindestmaß an
intellektueller Redlichkeit walten zu lassen.
({37})
- Da die Opposition erfreulicherweise reagiert, will ich
das etwas deutlicher machen.
({38})
Wer auf der einen Seite weitere Steuersenkungen und
auf der anderen Seite zwar allgemein Ausgabenkürzungen, aber in seinem speziellen Bereich Ausgabenerhöhungen fordert, der macht sich in einer solchen Debatte
völlig unglaubwürdig. Das ist in aller Deutlichkeit zu
sagen.
({39})
Ich kann Ihnen aus langjähriger Erfahrung mit Oppositionen auf anderen Ebenen sagen, daß solche Politik in
der Regel keine Chance hat.
Meine Damen und Herren, nicht nur die Haushaltseckwerte, sondern auch die Struktur des Haushaltes
setzt neue politische Akzente. Mit dem Haushalt 1999
vollziehen wir in wichtigen Bereichen den Neuanfang,
den wir den Bürgerinnen und Bürgern vor der Wahl versprochen haben. Deshalb noch einmal: Das Motto heißt
„Versprochen - gehalten“.
Ich komme zum Aufgabenschwerpunkt Wissenschaft
und Bildung. Der Wohlstand in Deutschland hängt in
großem Umfange von unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ab. Diese Leistungsfähigkeit kann nur
erhalten werden, wenn wir die international führende
Position Deutschlands bei Forschung und Wissenschaft
ausbauen. Das wichtigste Kapital der deutschen Wirtschaft sind der hohe Ausbildungsstand und das Wissen
der Menschen in diesem Land. Im Bundeshaushalt 1999
werden daher die Zukunftsinvestitionen für Forschung,
Bildung und Wissenschaft gegenüber 1998 um 1 Milliarde DM erhöht. Dies ist ein Signal zur Zukunftssicherung und zur Unterstützung von Innovationen.
Es kann jeder berechtigt einwenden, 1 Milliarde DM
sei angesichts der großen Herausforderungen der Zukunft im Grunde genommen noch ein sehr bescheidener
Betrag. Wir hätten hier auch gerne stärkere Signale gesetzt; ich sage das in aller Klarheit. Aber die Lage des
Haushaltes ließ das nicht zu. Jedoch hatten wir den Bürgerinnen und Bürgern und den Menschen, die in diesen
Bereichen arbeiten, vor der Bundestagswahl eine Aufstockung versprochen, und dieses Versprechen wird mit
diesem Bundeshaushalt gehalten.
({40})
Für die kommenden Jahre ist eine weitere Verstärkung
dieser Zukunftsinvestitionen vorgesehen. Der Bund
stockt jetzt endlich wieder die Zukunftsinvestitionen auf.
Wer die Zukunft gewinnen will, der darf nicht bei Forschung, bei Bildung und bei Wissenschaft sparen; so
kann man die Zukunft nicht gewinnen.
({41})
Der Etat enthält Mittelaufstockungen für die Förderung der Forschung kleiner und mittlerer Unternehmen,
für die Förderung moderner Schlüsseltechnologien, für
die Förderung von wissenschaftlichem Nachwuchs und
für ein Sonderprogramm zum Ausbau der Forschungslandschaft in den neuen Ländern. Für den Hochschulbau
werden 200 Millionen DM zusätzlich zur Verfügung gestellt. Auch hier wiederum der Bezug auf die Vergangenheit: Jahrelang haben wir hier im Bundestag kritisiert, daß der Bund zuwenig Mittel für den Hochschulbau zur Verfügung stellt. Hinsichtlich der 200 Millionen
DM kann wieder kritisiert werden, daß dieser Betrag zu
gering sei. Was will man dieser Kritik entgegenhalten?
Aber wir sind stolz darauf, daß wir jetzt einen Anfang
machen und die Raumnot an den Universitäten nicht nur
auf den Lippen führen, sondern einen Akzent zu ihrer
Bekämpfung setzen.
({42})
Die BAföG-Mittel für 1999 werden gegenüber dem
Vorjahr um 6 Prozent erhöht. Die Entwicklung an den
deutschen Hochschulen - über die in den letzten Monaten verstärkt berichtet worden ist -, daß immer weniger
Kinder aus Haushalten mit niedrigem Einkommen eine
Chance haben, ein Hochschulstudium zu absolvieren,
sollte doch uns alle herausfordern. Es ist nicht damit
getan, daß wir einfach irgend jemandem die Schuld zuweisen. Wir müssen das schlicht und einfach ändern.
Das ist einer der Gründe, warum wir sagen: Es ist besser, die finanzielle Situation dieser Familien über
BAföG zu stärken, als noch Studiengebühren draufzusetzen. Wie sollen denn dann die Arbeiterhaushalte das
Studium ihrer Kinder noch finanzieren können? Ich
weiß die Antwort dann nicht mehr.
({43})
Wenn ich schon bei diesem Bereich bin, sage ich
auch an die Adresse der Liberalen einmal ein Wort. Es
ist begrüßenswert, wenn Sie immer wieder sagen: Wir
unterstützen den Ansatz, auf die Zukunft gerichtet Forschung, Wissenschaft, Bildung usw. zu stärken. - Es ist
gut, wenn man an dieser Stelle Übereinstimmung hat.
Wenn man aber gleichzeitig weiß, daß wir jetzt im Bundeshaushalt ein strukturelles Defizit von 30 Milliarden
DM haben, und wenn man gleichzeitig weiß, daß die ursprünglichen Planungen, den Aufbau Ost zu unterstützen, nicht eingehalten werden können - weder im
Zeitrahmen noch in der Höhe der aufzubringenden Mittel -, dann ist es vor diesem Hintergrund nicht glaubwürdig, sich auf die Forderung nach immer weiteren
Steuersenkungen im Saldo zu reduzieren. Das war der
Fehler Ihres Konzeptes vor der Bundestagswahl. Nach
der Bundestagswahl und nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist dieses Konzept völlig in sich
zusammengebrochen. Da muß man doch einfach wahrhaftig und redlich sein.
({44})
Wir setzen auch einen Schwerpunkt auf den Aufbau
Ost, wie wir es bereits vor den Wahlen gesagt haben.
Wir haben versprochen, den Aufbau in den neuen Ländern auf hohem Niveau fortzusetzen. Wir halten dieses
Versprechen. Im Bundeshaushalt werden für Leistungen
in den neuen Ländern Mittel von 100 Milliarden DM zur
Verfügung gestellt. Im Vordergrund steht der Ausbau
der Infrastruktur. Die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit werden zügig fertiggestellt. Damit gewinnt der
Standort neue Länder weiter an Attraktivität.
Im Rahmen der regionalen Wirtschaftsförderung
können in den neuen Ländern 1999 neue Bewilligungen
in einer Größenordnung von 6 Milliarden DM eingegangen werden. Ein besonderer Schwerpunkt des Aufbaus
Ost ist die Förderung von Mittelstand und Handwerk.
Die Sonderprogramme für Forschung und Entwicklung
in den neuen Ländern werden auf 325 Millionen DM erhöht. Für die Nachsorge bei ehemaligen Treuhandunternehmen durch die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben stellen wir in diesem Jahr 500
Millionen DM mehr zur Verfügung. Diese zusätzlichen
Mittel können eingesetzt werden, um Investitionen und
Arbeitsplätze bei den ehemaligen Treuhandunternehmen
zu sichern. Hinzu kommen aus dem Bundeshaushalt
über 1 Milliarde DM für die anderen Treuhandnachfolgeeinrichtungen. Diese Mittel tragen ebenfalls zur Umstrukturierung der ostdeutschen Wirtschaft bei. Sie dienen auch der Sanierung der ostdeutschen Braunkohlereviere.
Die robuste Struktur der deutschen Volkswirtschaft
ist in großen Teilen von einem sehr flexiblen Mittelstand geprägt. Diesen Mittelstand wollen wir erhalten
und fördern. Bei der Schaffung von Arbeitsplätzen setzen wir auf kleine Betriebe, auf den Mittelstand und auf
das Handwerk. Wir haben dem Mittelstand Steuersenkungen versprochen, und wir halten dieses Versprechen. Ich verweise in diesem Zusammenhang noch einmal auf die 3,5 Milliarden DM, die das Ifo-Institut errechnet hat. Die Förderung des Mittelstandes im Einzelplan des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie wird gegenüber dem Entwurf der alten Bundesregierung auf 2,2 Milliarden DM erhöht. Die Forschungsförderung für kleine und mittlere Unternehmen wird gegenüber 1998 um rund 100 Millionen DM aufgestockt.
Mit dem Haushalt 1999 starten wir auch ein neues Programm zur Verbesserung der Innovationsfähigkeit der
kleinen und mittleren Unternehmen.
Gerade der Mittelstand ist nicht in erster Linie und
allein im Export tätig. Er ist abhängig von einer stabilen
Nachfrage. Deshalb ist auch der Mittelstand und sind
auch die kleinen Betriebe in Deutschland, sind vor allen
Dingen auch die Handwerksbetriebe in Deutschland auf
eine stabile Binnennachfrage angewiesen.
Es ist erfreulich, daß seit November im Einzelhandel
wieder höhere Umsätze getätigt werden. Das ist eine erfreuliche Entwicklung, die man jetzt nicht durch irgendwelche Fehlentscheidungen wieder abbrechen oder
belasten darf. Auch vor diesem Hintergrund bitte ich,
die Debatten der letzten Tage zu verstehen. Daher wäre
es auch falsch, wenn wir in einer solch labilen Situation
die Bevölkerung und die Wirtschaft mit ständig neuen
Prognosen über Mehrwertsteuererhöhungen verunsichern. Ich bleibe dabei - ich sage das auch im Auftrag
des Bundeskanzlers -: Die jetzige schwierige ökonomische Situation verträgt sich überhaupt nicht mit wöchentlich wiederkehrenden Steuererhöhungsdebatten.
({45})
Mit unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik wollen
wir vor allem die Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem
ersten Arbeitsmarkt verbessern. Auch das ist unstreitig.
Aber das Bekenntnis zum ersten Arbeitsmarkt löst nicht
die Probleme der vier Millionen Menschen, die keine
Beschäftigung haben, zumindest nicht kurzfristig. Dies
bitte ich zu beachten, wenn immer allzu leichtfertig über
den sogenannten zweiten Arbeitsmarkt gesprochen
wird. Wenn man selbst in der Lage wäre, nämlich daß
man sich als Langzeitarbeitsloser oder als junger
Mensch monatelang - manchmal sogar ein Jahr oder
länger - vergeblich um einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz bemüht, dann würde man begreifen, daß für
diese Menschen auch der zweite Arbeitsmarkt ein Angebot ist, das wir machen müssen, natürlich mit dem
Ziel, sie in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren.
({46})
Es geht hier auch um etwas, was ökonomisch gar
nicht zu quantifizieren ist. Es geht um den Verlust des
Selbstwertgefühls der Menschen und um den Verlust des
Zutrauens in die eigenen Fähigkeiten. Das ist ökonomisch oder in Zahlen gar nicht auszudrücken. Wir sind
aber auch nicht nur dazu da, um auf Zahlen zu starren;
vielmehr müssen wir uns auch konkret klarmachen, was
die Zahlen bedeuten. Angesichts der vielen Menschen,
die Arbeit und Ausbildung suchen, sind verstärkte Anstrengungen der Arbeitsmarktpolitik auf dem sogenannten zweiten Arbeitsmarkt notwendig. Wir haben das versprochen. Wir setzen das jetzt auch mit unserem Bundeshaushalt um.
({47})
Das Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit habe ich bereits genannt. Wir sind stolz
darauf. Das Programm zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit wird fortgesetzt. Für die Jahre 1999 bis
2002 stellen wir weitere Mittel von insgesamt
2,25 Milliarden DM zur Verfügung. Mit diesen Mitteln
finanzieren wir Lohnkostenzuschüsse an Arbeitgeber,
die Langzeitarbeitslose einstellen.
Die Zuschüsse des Bundes an die gesetzliche Rentenversicherung steigen um 18,5 Milliarden DM auf
insgesamt 119 Milliarden DM. Diese Steigerung erlaubt
es, den Beitragssatz ab 1. April 1999 von 20,3 auf 19,5
Prozent abzusenken. Dazu möchte ich eine Bemerkung
an die rechte Seite des Hauses richten: Wir haben, als
der Beitragssatz Ihnen zu entgleiten drohte, zugestimmt,
die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Wir wußten, daß das
keine populäre Entscheidung war. Ich hoffe, daß dies
noch in Erinnerung ist. Ich wünsche mir manchmal, daß
mit ähnlicher Sachlichkeit, mit der wir Ihnen vor einigen
Monaten begegnet sind, auch das Bemühen der jetzigen
Koalition begleitet würde, die Lohnnebenkosten zu
senken und den Beitragssatz der Rentenversicherung in
Grenzen zu halten.
({48})
Ich möchte zu den Angeboten auf dem Arbeitsmarkt eines hinzufügen: Wir können hier von Skandinavien und vielleicht auch von den angelsächsischen
Ländern noch lernen. Das ist meine Überzeugung. Wir
können lernen, daß das Angebot auf dem Arbeitsmarkt
allein nicht ausreichend ist; vielmehr muß es mit Maßnahmen verbunden sein, die dazu führen können, daß
Mitbürgerinnen und Mitbürger, die dieses Angebot nicht
annehmen wollen, mit Kürzungen und Streichungen
bei den sozialen Transferleistungen zu rechnen haben.
Ich meine, daß es nicht nur Rechte, sondern auch
Pflichten in unserem Staat gibt. Dies muß auch in der
Sozialgesetzgebung zum Ausdruck kommen.
({49})
Im neuen Haushalt für Verkehr, Bau und Wohnungswesen sind die Investitionen für die öffentliche Infrastruktur gebündelt. Für den Ausbau der öffentlichen
Infrastruktur stehen insgesamt 25,7 Milliarden DM zur
Verfügung. Dabei handelt es sich vor allem um Investitionen in den Bereichen Schiene, Straße, Wasserwege,
Städtebau und sozialer Wohnungsbau. Für diese Investitionen werden 1999 1,5 Milliarden DM mehr als 1998
zur Verfügung gestellt. Für die Lärmsanierung an bestehenden Schienenwegen werden erstmals 100 Millionen
DM angesetzt. Im Städtebau setzen wir einen neuen Akzent. Unter dem Titel „Die soziale Stadt“ starten wir mit
dem Haushalt 1999 ein neues Programm zur Förderung
von Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf.
Dieses Programm hat einen Verpflichtungsrahmen von
100 Millionen DM. Die Mittel für Wohngeld werden
1999 gegenüber dem Vorjahr um 240 Millionen DM erhöht. Damit beträgt der Bundesanteil an den Wohngeldausgaben 1999 über 4 Milliarden DM.
Ich habe vorhin etwas zur Energiepolitik und zur
ökologischen Steuer- und Abgabenreform gesagt. Wir
haben auch hier einen Akzent gesetzt. Ich meine das
Milliardenprogramm zur Förderung der Solarenergie,
das „100 000-Dächer-Programm“, mit einem Gesamtvolumen von 1,1 Milliarden DM. Auch hiergegen kann
eingewandt werden, wir bräuchten weitaus größere Anstrengungen; dennoch meine ich, daß wir eine Debatte
nach der Maßgabe „Kurzfristig reichen die fossilen
Brennstoffe aus“ nicht führen können. Diese Maßgabe
steht außer Zweifel; das gilt im besonderen für die
Weltkohlevorräte, das gilt aber - mit deutlichen Abschlägen - auch für die Gasvorräte und für die Mineralölvorräte, das gilt mit noch weiteren Abschlägen für die
Vorräte an Uranerzen.
Nur, so kann man nicht arbeiten. Angesichts unseres
Wissensstandes können wir Politik heute nicht mehr
machen, indem wir lediglich etwa in Jahreszeiträumen
planen. Wir müssen vielmehr in längeren Zeiträumen
planen und deshalb jetzt die Chance ergreifen, die sogenannten erneuerbaren Energien auszubauen. Ein wichtiger Akzent in diesem Haushalt ist die Finanzierung des
Programms zum Ausbau der Solarenergie.
({50})
Angesichts der aktuellen Diskussionen im Bereich
der Außenpolitik weise ich darauf hin: Durch den Haushalt 1999 wird sichergestellt, daß die Bundeswehr ihren
Auftrag erfüllen kann. Der Plafond des Verteidigungsetats wird gegenüber dem Vorjahr um rund 400 Millionen DM erhöht. Auf der anderen Seite hat - ebenso wie
die anderen Ressorts - auch der Verteidigungsetat einen
Konsolidierungsbeitrag in Höhe von 0,5 Prozent des
Etatvolumens im Vergleich zum Haushaltsentwurf der
Vorgängerregierung geleistet.
Ich sage aber dazu - jeder in diesem Hause weiß das -,
daß wir auch angesichts der internationalen Herausforderungen den bereits durchgeführten Reformen weitere
Strukturreformen hinzufügen müssen. Gerade in den
letzten Monaten ist deutlich geworden, daß die Herausforderungen dieser Tage andere als die Herausforderungen vor zehn Jahren sind. Dem haben wir Rechnung zu
tragen. Deshalb mahne ich auch im Rahmen dieser
Haushaltsberatungen die notwendigen Strukturreformen
an und bitte, sie zügig in Angriff zu nehmen.
({51})
Ich möchte auch diese Haushaltsdebatte zum Anlaß
nehmen, angesichts der jüngsten Diskussionen an dieser
Stelle den deutschen Soldaten für ihren Dienst zu danken. Dies gilt insbesondere für die Bundeswehrangehörigen, die zur Zeit im ehemaligen Jugoslawien ihren
Dienst tun. Was sie dort tun, ist ein Friedensdienst, der
im Interesse ganz Europas liegt.
({52})
Wir, die wir politische Verantwortung tragen, dürfen
niemals vergessen und müssen uns immer bewußt sein,
daß wir schwierige Entscheidungen treffen, für die andere einzustehen haben, notfalls mit ihrem Leben. Das ist
die Tragweite der Herausforderung, und deshalb sind
wir unseren Soldaten zu großem Dank verpflichtet.
({53})
Ich möchte noch ein Wort zu den Entwicklungsländern Afrikas, Asiens und Südamerikas sagen. Wir beweisen internationale Solidarität. Im Bereich der internationalen Zusammenarbeit enthält der Haushaltsentwurf einen besonderen Akzent. Die Ausgaben für Entwicklungshilfe werden gegenüber dem alten Regierungsentwurf um 124 Millionen DM angehoben. Auf
dem Weltwirtschaftsgipfel im Juni in Köln wird die
Bundesregierung zusammen mit den anderen Ländern
der G7 eine neue Entschuldungsinitiative zugunsten der
ärmsten Entwicklungsländer auf den Weg bringen.
Wir sollten das Thema gar nicht streitig stellen, sondern uns nur über folgenden Sachverhalt im klaren sein.
Wir hatten in den letzten Jahren angesichts der deutschen Einheit, angesichts der Schwierigkeiten in Europa,
insbesondere in Osteuropa, und angesichts der Notwendigkeit, auch Rußland unter die Arme zu greifen, große
Herausforderungen zu bewältigen. Dennoch meine ich,
daß wir darüber nicht vergessen dürfen - so möchte ich
es formulieren -, daß es in anderen Teilen der Welt immer noch große Probleme und große Herausforderungen
gibt und daß Menschen in anderen Teilen der Welt immer noch in großer Not leben und teilweise verhungern.
Deshalb meine ich, daß unser großer Industriestaat trotz
der Herausforderungen, denen er gegenübersteht, die
Menschen in diesen Teilen der Welt nicht vergessen
darf. So rechtfertigt sich unser Mitwirken an der Entschuldungsinitiative, die der Bundeskanzler in Köln mit
den Staats- und Regierungschefs beschließen wird.
({54})
Noch ein kurzes Wort zu den Aufstockungen der
Mittel für Kultur: Wie versprochen, werden die Mittel
für die Kulturförderung für die Hauptstadt Berlin und
für die neuen Länder um 180 Millionen DM erhöht. Das
werden alle begrüßen. Ich füge aber eines hinzu - das
gilt nicht nur für den Bereich, in dem die CSU Verantwortung trägt, die sich an dieser Stelle etwas zu wichtig
nimmt -: Wenn wir Berlin und die neuen Länder zusätzlich aus dem Bundeshaushalt bei der Förderung der
Kultur unterstützen, dann folgt daraus für jeden, der
redlich mit dem Bundeshaushalt umgeht, der Schluß,
daß wir die bisherige Praxis, Ländern, die auf Grund ihrer finanziellen Lage selbst in der Lage sind - es geht
nicht nur um ein Land -, die Kultur zu finanzieren, auch
noch aus dem Bundeshaushalt kulturelle Veranstaltungen in größerem Umfang zu finanzieren, nicht fortsetzen
können. Ich will das hier in aller Klarheit sagen. Ansonsten würde ja die Redlichkeit wirklich im Salto springen.
Ich bitte Sie deshalb, an dieser Stelle zu einer redlichen
Debatte zurückzukehren. Ich weise noch einmal darauf
hin: Das, was ich hier vorgetragen habe, gilt nicht nur
für ein Bundesland, sondern für eine ganze Reihe von
Ländern, die vielleicht darauf hoffen, daß man nicht
weiß, welche Mittel aus dem Bundeshaushalt gewährt
werden. Kulturpolitik ist in erster Linie - das dürfen wir
nicht vergessen - Aufgabe der Länder.
Noch ein Wort zur Technik: Mit dem neuen Haushalt
schaffen wir mehr Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit. Die alte Bundesregierung hat Milliardenschulden in Schattenhaushalte geschoben. Das haben wir
immer kritisiert. Wir werden diese Schuldenlast jetzt im
Bundeshaushalt ausweisen. Im einzelnen geht es um den
Erblastentilgungsfonds, den Verstromungsfonds und das
Bundeseisenbahnvermögen. Eine Entlastung des Bundeshaushalts 1999 ist mit dieser Übertragung der Schattenhaushalte nicht verbunden.
Die Schulden des Erblastentilgungsfonds werden nach
den gleichen Regeln wie vor der Schuldübernahme bedient. Der bei über 7 Milliarden DM liegende Bundesbankgewinn wird unverändert voll und ganz zur Tilgung
des Erblastentilgungsfonds eingesetzt. Zusätzlich werden
wir - das ist das eigentliche Novum gegenüber der Regelung der bisherigen Regierung - die Zahlungen der neuen
Länder für kommunale Altschulden in Höhe von jährlich
300 Millionen DM jetzt nur noch zur Schuldentilgung
verwenden. Der Restbetrag für den Schuldendienst wird
vom Bund wie bisher zur Verfügung gestellt. Ich bitte also, daß Sie Ihre ständig wiederholten öffentlichen Behauptungen korrigieren. Es hat keinen Sinn, immer wieder - vielleicht auf der Grundlage fehlender Informationen - falsche Behauptungen aufzustellen.
({55})
Meine Damen und Herren, wir bitten, dem Bundeshaushalt zuzustimmen. Wir begründen das wie folgt: Mit
diesem Haushalt schaffen wir neue Impulse für mehr
Wachstum und mehr Beschäftigung. Sowohl die Angebots- als auch die Nachfragebedingungen werden durch
die im Bundeshaushalt ergriffenen Maßnahmen verbessert. Die deutsche Volkswirtschaft wird davon profitieren.
Der Etat 1999 ist konjunkturgerecht. Da der Export
schwächer wird, soll der Haushalt dazu beitragen, die
Binnennachfrage als Wachstumspfeiler aufzubauen. Die
Ausgabenpolitik der Bundesregierung setzt klare Akzente
bei Zukunftsinvestitionen, beim Aufbau Ost und bei der
Förderung von Mittelstand und Handwerk.
Der Bundeshaushalt 1999 leistet einen Beitrag, die
Gerechtigkeitslücke in unserer Gesellschaft zu schließen. Dies ist ein Gebot sozialer Verantwortung und auch
ein Gebot der wirtschaftspolitischen Vernunft. Weil wir
versprochen haben, die Gerechtigkeitslücke zu schließen, sind wir von den Wählerinnen und Wählern beauftragt worden, die Regierung zu bilden. Dieser Haushalt
zeigt: Wir halten unser Versprechen. Daher bitten wir
um Zustimmung zu diesem Bundeshaushalt.
({56})
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Friedrich Merz von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man einen
Eindruck vom Zustand der rotgrünen Regierung gewinnen wollte, dann mußte man während der Rede von Oskar Lafontaine nur auf die Regierungsbank schauen.
({0})
In den ersten 30 Minuten Ihrer Rede zur Einbringung Ihres ersten Bundeshaushaltes, Herr Lafontaine, war noch
nicht einmal ein Drittel der Mitglieder des Bundeskabinetts anwesend.
({1})
Diese Tatsache scheint Ihnen völlig gleichgültig zu sein.
Uns ist sie aber nicht gleichgültig, weil Ihr Verhalten
nicht der Achtung vor dem Parlament entspricht.
({2})
Während Ihrer Rede war der Gesichtsausdruck des
Herrn Bundeskanzlers ziemlich gequält, aber jetzt lacht
er wieder.
({3})
Vorher hat er 60 Minuten lang die goldene Regel „Immer lachen“ nicht eingehalten.
({4})
Lassen Sie uns nun auf die wichtigen Punkte des
Bundeshaushaltes zu sprechen kommen. Ich will einige
Stichpunkte aufgreifen, die der Bundesfinanzminister
genannt hat und die für die allgemeine wirtschafts- und
finanzpolitische Ausrichtung der Bundesrepublik
Deutschland langfristig von Bedeutung sind.
Herr Lafontaine, Sie haben erneut das Thema Steuerquote angesprochen. Dieses Thema greifen Sie immer
wieder auf und erwecken damit bewußt den Eindruck,
als ob sich große Teile der Privatpersonen, aber auch
große Teile der Unternehmen in der Bundesrepublik
Deutschland der Steuerpflicht entziehen. Ich will diesem
Eindruck mit Nachdruck widersprechen. Mit einer rein
volkswirtschaftlichen Betrachtung der Steuerquote können Sie nämlich überhaupt keine Aussage darüber treffen, wie denn die tatsächliche Steuerbelastung von Steuersubjekten ist.
({5})
Ich will Ihnen diesen Sachverhalt an einer konkreten
Zahl deutlich machen. Das Bundeswirtschaftsministerium sagt bis zum heutigen Tag - diese Auffassung hat
sich durch den Regierungswechsel nicht geändert -, daß
weniger als die Hälfte der Einnahmen, die in der Bundesrepublik Deutschland erzielt werden, aus Ertragsteuern resultiert. Wenn aber nur ungefähr die Hälfte der
Einnahmen aus Ertragsteuern resultiert, dann ist die
Steuerbelastung hinsichtlich der anderen Hälfte mit real
deutlich über 40 Prozent zwangsläufig zu hoch. Diesen
Gesamtzusammenhang verschweigen Sie in jeder öffentlichen Betrachtung über die Steuerquote.
({6})
Die Aushöhlung der Steuerbasis hat im wesentlichen
zwei Ursachen: Die erste Ursache ist eine von uns gemeinsam gewollte und richtige steuerpolitische Grundentscheidung, nämlich die Steuerfreistellung des Existenzminimums und damit die Steuerfreistellung von
rund einem Drittel der Arbeitnehmereinkommen in der
Bundesrepublik Deutschland. Das ist die ganze steuerpolitische Wahrheit, die Sie erwähnen müssen, wenn Sie
über die Steuerquote sprechen.
Die zweite Ursache für die anhaltende Aushöhlung
der Steuerbasis liegt in der Vielzahl der Möglichkeiten
der steuerlichen Gestaltung im Rahmen der Gewinnermittlungsvorschriften.
({7})
Wenn Sie heute diesen Zustand beklagen, dann muß ich
Ihnen, Herr Lafontaine, sagen, daß schon vor zwei Jahren eine Lösung hätte erreicht werden können; denn
große Teile der Steuerbasis wären wiederhergestellt
worden, wenn es im Jahre 1997 in Deutschland zu der
von uns konzipierten großen Steuerreform gekommen
wäre.
({8})
Ihr ständiger Hinweis auf die Steuerquote ist deswegen irreführend. Wir müssen Ihnen den Vorwurf machen, daß Sie mit der Zahl, die Sie im Zusammenhang
mit der Steuerquote isoliert nennen, ganz bewußt die Öffentlichkeit in Deutschland spalten wollen, um auf diese
Art und Weise Neidkomplexe in die Gesellschaft zu tragen, damit Sie darauf Ihre Umverteilungs- und Steuerpolitik aufbauen können.
({9})
Ich will einen zweiten Punkt ansprechen, den Sie hier
ausformuliert haben, nämlich die Frage der steuerlichen
Behandlung der Familien. Wir sind uns einig, daß da
erheblicher Korrekturbedarf besteht. Nur bitte, erlauben
Sie mir die Feststellung, daß der vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärte Zustand mit
dem, was Sie am 1. Januar 1999 in Kraft gesetzt haben,
nicht beendet worden ist.
({10})
Es ist nicht etwa so, als ob Sie seit dem 1. Januar 1999
den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes gerecht geworden wären. Das ist nicht zutreffend.
({11})
Im übrigen - bevor Sie weitere Zwischenrufe machen ({12})
will ich Sie auf einen Punkt hinweisen, der Ihnen noch
viel Freude machen wird: Wenn Sie dabei bleiben, in einem System der progressiven Steuerbelastung kontinuierlich nur eine lineare Entlastung durchzusetzen, dann
werden Sie mit diesen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes wirklich in ernsthafte Konflikte geraten. Denn wenn Sie einen Umfang von nur rund 10 000
DM für Familien mit zwei Kindern zusätzlich steuerfrei
stellen und diese bei einer gleichzeitigen Grenzsteuerbelastung von 40 oder gar 50 Prozent in Transferleistungen überführen, dann werden Sie mit den von Ihnen
skizzierten 10 Milliarden DM nicht hinkommen. Deswegen sage ich Ihnen von dieser Stelle aus noch einmal:
Die Zeiten, in denen Sie progressiv belasten und nur linear entlasten, sind mit diesen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes vorbei. Da sind wir sehr gespannt, welche Lösungen Sie anbieten. Im übrigen hätte
es der von Ihnen immer wieder zitierten Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit gedient, wenn Sie schon die
notwendige Vorsorge für das Jahr 1999 angesprochen
hätten. Denn Sie werden zumindest bei den KinderFriedrich Merz
freibeträgen rückwirkende Korrekturen der Steuerbescheide bis in das Jahr 1983 vornehmen müssen. Das
wird den Haushalt 1999 möglicherweise belasten, weil
der Bundesfinanzhof Sie aufgefordert hat, bis Ende
März 1999 zu erklären, wie Sie das regeln wollen. Wenn
Sie das nicht öffentlich sagen, dann werden wir Sie
durch eine Anfrage im Parlament veranlassen, wenigstens hier zu sagen, wie Sie dieses Problem lösen wollen, das Sie eben beschrieben haben und bei dem Sie
jede Antwort schuldig geblieben sind.
({13})
Sie haben, Herr Lafontaine, die Steuerreform angesprochen. Ich habe mir das Vergnügen gemacht, Sie mir
spät abends bei einer Fernsehübertragung der Pressekonferenz anzusehen, die Sie nach der sogenannten Klausurtagung des Bundeskabinetts am 10. Februar gegeben
haben, bei der Sie eine Reihe von Korrekturen vorgenommen haben. Ich will zunächst einmal ausdrücklich
begrüßen, daß Sie eine Reihe von Steuererhöhungen zurückgenommen haben, etwa im Umfang von 6,6 Milliarden DM. Sie sind dann allerdings auf dieser Pressekonferenz in geradezu peinlicher Weise jede Antwort
darauf schuldig geblieben, wie Sie denn die Steuererhöhungen von mehr als 8 Milliarden DM, die Sie im Bundeskabinett gleichzeitig beschlossen haben, in das Gesetzgebungsverfahren einbringen wollen. Ich habe bei
dieser Gelegenheit das erste Mal das Gefühl gehabt, daß
Sie auch von der fachlichen Seite her bei dem, was Sie
an Steuerpolitik machen, offensichtlich überfordert sind.
({14})
Das war jedenfalls der Eindruck, der auch in der Bundespressekonferenz allgemein bestand.
Damit das nicht wieder passiert - Herr Bundeskanzler, Sie haben den Bundesfinanzminister gestern offensichtlich aufgefordert, bis übermorgen ein Unternehmensteuerkonzept vorzulegen,
({15})
damit die Bündnisgespräche nicht platzen - und damit
es nicht weitere Probleme gibt, die Sie nicht vorhergesehen haben, will ich Sie nur auf einen Sachzusammenhang hinweisen: Wenn Sie es weiter durchhalten wollen,
ein Betriebsteuerkonzept mit einem einheitlichen Steuersatz von 35 Prozent für sämtliche Unternehmensgewinne, unabhängig von der Rechtsform, zu erstellen,
dann wird es zwei Fragen geben, die Sie beantworten
müssen. Die erste lautet: Beziehen Sie bei diesem Betriebsteuerkonzept die Gewerbesteuer mit ein, ja oder
nein? Wenn Sie die Gewerbesteuer nicht einbeziehen,
dann hat es keinen Sinn, ein solches Konzept zu machen, denn dann wird die Steuerbelastung zu hoch bleiben.
Zweitens - dies ist ein verfahrenstechnischer Hinweis, den ich Ihnen geben will, weil der Kollege Struck,
der gerade nicht da ist, in anderem Zusammenhang etwas hochmütig gesagt hat: Wir brauchen die Opposition
nicht -: Bei diesem Konzept werden Sie die Opposition
brauchen. Denn wenn Sie in Deutschland eine neue
Steuer einführen - die Betriebsteuer ist als Objektsteuer
eine neue Steuerart, die wir in Deutschland bisher nicht
kennen -, dann werden Sie zumindest in die Finanzverfassung des Grundgesetzes eine Zuweisungsnorm aufnehmen müssen, die dem Grunde nach etwas darüber
aussagt, wem das Steueraufkommen aus dieser neuen
Steuerart zusteht. Vielleicht lassen Sie das in Ihrem
Hause vorbereiten,
({16})
damit Sie nach einer Klausurtagung des Bundeskabinetts
in einer Pressekonferenz nicht wieder ratlos dasitzen und
auf die Fragen der Journalisten keine Antwort geben
können.
({17})
Meine Damen und Herren, ich will aus den aktuellen
steuerpolitischen Debatten nur zwei Punkte herausnehmen, die mir wichtig zu sein scheinen, um deutlich zu
machen, daß Sie offensichtlich konzeptionell wieder
einmal nicht verstanden haben, welche Probleme Sie
auslösen: Sie wollen in Zukunft die sogenannten Verlustzuweisungsgesellschaften nicht mehr ermöglichen.
Das ist Teil Ihrer Politik der Mindestbesteuerung.
Nun ist Staatsminister Naumann nicht da. Ich hätte
ihn ansonsten gern darauf hingewiesen, daß es eine Verlustzuweisungsgesellschaft gibt, die einen ganz wesentlichen Teil seiner Politik, nämlich die Förderung der
deutschen Filmwirtschaft, ausmacht. Wenn diese Verlustzuweisungsgesellschaften gestrichen werden - Sie
haben die Kultur angesprochen -, wird zumindest ein
Teil Ihrer Kulturförderungspolitik in Zukunft nicht mehr
möglich sein.
Nun mögen Sie sagen, das ist nur ein kleiner Teil.
Aber was ist mit der Immobilienwirtschaft, mit den gewerblich und privat genutzten Immobilien? Sie erhalten
doch im Augenblick eine Vielzahl von Briefen, in denen
Sie darauf hingewiesen werden, welche nachhaltigen
Probleme es für den Wohnungs- und Immobilienbau in
Deutschland schlechthin geben wird, wenn Sie die Verlustzuweisungsgesellschaften in Zukunft verbieten. Offensichtlich sind Sie nicht in der Lage, in der Kürze der
selbst gesetzten Zeit zu überblicken, welche Konsequenzen Ihre steuerpolitischen Vorschläge haben.
Ich nenne Ihnen den zweiten Punkt: Sie sind auf die
Idee gekommen, das sogenannte Abzinsungsgebot nicht
nur für Rückstellungen auf Geldleistungsverpflichtungen, sondern auch für Sachleistungsverpflichtungen einzuführen. Herr Bundesminister Oskar Lafontaine, damit
stellen Sie Rückstellungen in der deutschen Wirtschaft
in einer Größenordnung von fast 60 Milliarden DM in
Frage, die zum Teil kurzfristig aufgelöst werden müssen, um die Haushaltsprobleme, die Sie durch Ihr Ausgabengebaren ausgelöst haben, zu beseitigen.
Ich will Ihnen Beispiele sagen: Sie werden die Förderung der Braunkohle im Westen mit 2 Milliarden DM
zusätzlich belasten, im Osten mit 1 Milliarde DM. Die
Ruhrkohle AG, darunter auch die saarländische Kohle,
wird Rückstellungen in einer Größenordnung von
2 Milliarden DM - das sind Verpflichtungen beispielsweise für die Rekultivierung oder die Begleichung von
Bergschäden - auflösen müssen. Wie sollen diese Unternehmen in Zukunft noch die Schäden bezahlen können, wenn Sie sie vorher durch Ihre Steuerpolitik gezwungen haben, Rückstellungen aufzulösen?
({18})
- Die Zwischenrufe, Herr Kollege Poß, zeigen mir nur,
daß auch der finanzpolitische Sprecher der SPDBundestagsfraktion nicht verstanden hat, um was es hier
geht.
({19})
Den allergrößten Teil machen die Rückstellungen der
Versicherungswirtschaft aus. Nun kann man ja in bewährter Klassenkampfmanier auf die Versicherungswirtschaft in Deutschland zugehen und sagen: Raus mit
dem Geld! Aber das, was Sie jetzt vorschlagen, bedeutet
für die Versicherungswirtschaft in der Bundesrepublik
Deutschland die Auflösung von Rückstellungen in einer
Größenordnung von 17 Milliarden DM, davon allein
4 Milliarden DM im ersten Jahr. Hierbei handelt es sich
um sogenannte Regulierungskosten, die Sie nicht mehr
als rückstellungsfähig anerkennen wollen.
Was das für die Versicherungsnehmer in der Bundesrepublik Deutschland bedeutet, machen Sie sich offensichtlich nicht klar. Vielleicht ist es Ihnen auch völlig
gleichgültig, was aus den Versicherungsunternehmen
wird, die Ihnen in einem umfangreichen Brief klar und
deutlich gesagt haben, daß Ihr Vorschlag für eine Reihe
von großen und kleinen Versicherungsunternehmen in
der Bundesrepublik Deutschland die Standortfrage
schlechthin ist und daß es im europäischen Ausland in
keinem einzigen Land eine solche Regelung gibt, wie
Sie sie vorschlagen.
Meine Damen und Herren, das ist die Finanz- und
Steuerpolitik von Oskar Lafontaine für mehr Beschäftigung und mehr unternehmerische Tätigkeit in Deutschland. Das Gegenteil wird eintreten, wenn Sie das durchziehen, was Sie vorhaben.
({20})
Mit leichter Hand wird Steuer- und Finanzpolitik gemacht. Gleichzeitig haben Sie großzügig in den Zahlenwerken, die Sie vorgelegt haben, verheimlicht, daß auf
die Ökosteuer - ich werde in anderem Zusammenhang
noch einmal darauf zu sprechen kommen - auch noch
Mehrwertsteuer in Höhe von 16 Prozent zu zahlen ist.
Das ist ein sogenannter Kaskadeneffekt, der durch die
Mehrwertsteuer auf die höheren Mineralölsteuerbelastungen von 1,4 Milliarden DM entsteht und der im
Bundeshaushalt überhaupt nicht ausgewiesen ist. Mit
Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit, Herr Lafontaine, hat das nun wirklich überhaupt nichts mehr zu tun.
({21})
Wir fordern Sie - das gilt für die ganze Bundesregierung - auf: Kehren Sie zu einer sachlich und zeitlich
möglichen, der Sache angemessenen Beratung im Deutschen Bundestag und insbesondere im Finanzauschuß
zurück! Ich darf bei dieser Gelegenheit - Sie mögen
vielleicht darüber lachen - sagen: Wenn gegen die
Stimmen der Opposition eine Sondersitzung des Finanzausschusses erzwungen wird - parallel zum Plenum, zur
Kanzlerdebatte im Deutschen Bundestag und zwar nur,
weil Sie sonst in Zeitdruck geraten -, zeigt das den
Umgang, den Sie mit dem Parlament und insbesondere
mit der Opposition pflegen. Ich kündige an dieser Stelle
an: Wir lassen das einmal durchgehen. Aber ein zweites
Mal werden wir es nicht akzeptieren, daß Sie die Opposition auf diese Art und Weise von der parlamentarischen Mitwirkung an der Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland ausschließen. Das machen wir
nicht ein zweites Mal mit!
({22})
Zweitens. Herr Lafontaine, beenden Sie den völlig
inakzeptablen Druck, den Sie jetzt durch Ihre Partei auf
die hessische Landesregierung ausüben!
({23})
Herr Kollege Merz,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Vom Kollegen Poß, ja.
Kollege Merz, sind Sie erstens
in der Zwischenzeit darüber informiert worden, daß es
zwischen dem Bundesfinanzministerium und der betroffenen Wirtschaft Abklärungsgespräche über die Höhe
der Maßnahmen, die Sie hier zitiert haben, gegeben hat
und daß zum Beispiel der Betrag von 17 Milliarden DM
von der Versicherungswirtschaft nicht mehr aufrechterhalten wird? Sind Sie von Frau Hasselfeldt weiter darüber informiert worden, daß die Sitzung, die wir morgen
durchführen, von den Fraktionen einvernehmlich vereinbart wurde?
Herr Kollege Poß, ich
bin darüber informiert, daß die Versicherungswirtschaft
wie eine Reihe anderer Branchen dem Bundesfinanzminister auf Anforderung einen Brief geschrieben hat, dessen Beantwortung dem Finanzausschuß bis jetzt nicht
vorliegt. Ich kann mich nur auf das beziehen, was bis
gestern abend allgemeiner Sachstand war. Ich räume
aber eines ein: Bei Ihnen ändert sich in kürzester Zeit so
viel,
({0})
daß man selbst während einer solchen Rede ständig
informiert werden müßte, um zu wissen, was sich bei
Ihnen geändert hat.
Wenn es so ist, daß das, was ich hier vorgetragen
habe, nicht mehr zutreffend ist, dann läßt sich über
diesen Sachverhalt sprechen. Nur, ich bin gleichzeitig
darüber informiert worden, daß im Finanzausschuß, an
dessen Sitzungen ich leider nicht mehr so häufig teilnehmen kann, wie ich das in der letzten Legislaturperiode konnte, gegen die Stimmen der Opposition ein
Zeitplan beschlossen worden ist, auf dessen Grundlage
sich eine sachgerechte Beratung all der neuen Dinge, die
in der vorletzten Woche vom Bundeskabinett vorgelegt
worden sind, nicht ermöglichen läßt.
({1})
Das ist der Sachverhalt, den ich kritisiere, Herr Poß.
Sie setzen uns bei der Behandlung dieser Steuerreform
unter einen nicht akzeptablen Zeitdruck. Wenn der
Finanzminister dem Bundeskanzler innerhalb von 48
Stunden ein Konzept vorlegen soll, wie die Unternehmensteuerreform auszusehen hat, dann sage ich Ihnen
schon jetzt: Aus diesem Flickwerk kann nichts werden,
weil Sie keine steuerpolitischen Konzeptionen haben.
({2})
Drittens. Herr Lafontaine, ich möchte Sie bitten, ein
klares Bekenntnis zum Thema Mehrwertsteuer abzugeben. Ich habe genau hingehört, was Sie eben gesagt
haben. Sie haben - ich habe es sinngemäß mitgeschrieben - gesagt: Die jetzige wirtschaftliche Situation in der
Bundesrepublik Deutschland verträgt sich nicht mit wöchentlich wiederkehrenden Diskussionen über Steuererhöhungen. - Das ist wohl wahr! Sie können diese wöchentlich wiederkehrenden Diskussionen über Steuererhöhungen in der Bundesrepublik Deutschland ein für
allemal beenden, indem Sie von dieser Stelle aus - oder
meinetwegen auch an anderer Stelle - öffentlich klarstellen, daß es in dieser Legislaturperiode des Deutschen
Bundestages keine Mehrwertsteuererhöhung geben werde. Das können Sie tun; dann ist die Diskussion beendet.
({3})
Allein Ihre Wortwahl heute morgen zeigt, daß Sie offensichtlich nur die Diskussion vermeiden wollen, daß Sie
aber offensichtlich gleichzeitig dabei sind, eine Mehrwertsteuererhöhung zu planen. Denn mit Ihrer Finanzpolitik werden Sie gar nicht anders über die Runden
kommen.
Jetzt wende ich mich der Ausgabenseite zu. Dazu
wieder eine grundsätzliche Vorbemerkung, weil Sie
auch hier die alte Bundesregierung sehr stark kritisiert
haben: Wenn es nach 1990 eine bemerkenswerte finanzpolitische Entwicklung gegeben hat, dann die, daß in der
Bundesrepublik Deutschland weder die Geldentwertungsrate noch die Defizitquote der öffentlichen Haushalte im Vergleich zu anderen Industrienationen überproportional angestiegen ist. Wenn Sie uns dies als Opposition - wofür ich Verständnis habe - nicht glauben,
dann sollten Sie doch vielleicht dem Leiter der Unterabteilung „Gesamt- und finanzwirtschaftliche Analysen
und Projektionen“ aus Ihrem eigenen Hause, Herrn
Walther Otremba, vertrauen, der in einer Publikation des
HWWA-Instituts in Hamburg im Januar 1999, also vor
wenigen Tagen, folgendes wörtlich veröffentlicht hat:
Insgesamt kann bei nüchterner Analyse der Fakten
von einer extremen Defizitfinanzierung des Wiedervereinigungsprozesses nicht gesprochen werden.
So lag zum Beispiel das durchschnittliche Finanzierungsdefizit Deutschlands im letzten Jahrzehnt mit
... 3,2 Prozent noch um 0,8 Prozentpunkte unter
dem Durchschnitt der EU-Staaten. Die OECDLänder waren bei der Kreditaufnahme mit 2,7 Prozent im Durchschnitt nur geringfügig bescheidener
als das durch die Wiedervereinigung extrem belastete Deutschland.
Das ist eine Publikation eines Unterabteilungsleiters
Ihres Hauses, kenntlich gemacht als private Meinung
des Autors. Es wäre hilfreich, wenn Sie hier hin und
wieder auch einmal solche Stimmen Ihres Hauses wiedergeben, wenn Sie sagen, welche Einschätzungen von
den Fachleuten des Bundesfinanzministeriums publiziert
werden. Wir jedenfalls teilen diese Einschätzung. Das ist
der Erfolg der alten Bundesregierung, meine Damen und
Herren.
({4})
Nun will ich einige Positionen auf der Ausgabenseite
des Bundeshaushaltes aufgreifen. Ich fange einmal mit
einer vergleichsweise bescheidenen Größenordnung an,
nämlich den Ausgaben für die bekannte Zeitungsanzeige kurz vor der hessischen Landtagswahl. Diese Anzeige verstößt in geradezu eklatanter Weise gegen die
Pflicht zur parteipolitischen Neutralität der Tätigkeit des
Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung bei
besonders aktuellen politischen Themen, insbesondere
vor Wahlen. Niemand kann bestreiten, daß in den Tagen
vor der hessischen Landtagswahl dieses Thema besonders aktuell war. Das ist wohl mittlerweile allgemein akzeptiert.
({5})
Nur, Herr Lafontaine, wo kommt eigentlich das Geld
für diese Anzeige her? So eine Anzeige kostet etwa
600 000 bis 700 000 DM. Nun mögen Sie sagen, das sei
nicht besonders viel. Aber weil Sie keinen festgestellten
Bundeshaushalt haben, haben Sie das Nothaushaltsrecht.
Sie müssen also schon erklären, womit das Bundespresse- und -informationsamt eine solche Anzeige finanziert.
Diese Ausgabe verstößt gegen das Nothaushaltsrecht;
denn Sie dürfen in dieser Zeit nur sachlich notwendige
und unaufschiebbare Ausgaben tätigen.
({6})
Sie können doch nicht im Ernst behaupten, daß diese
Anzeige zu den sachlich notwendigen und unaufschiebbaren Ausgaben der Bundesregierung zählt. Um es klar
zu sagen: Wir werden, damit den Anfängen dieses Finanzgebarens gewehrt wird, erstens wegen des Verstoßes gegen das Neutralitätsgebot und zweitens wegen des
Verstoßes gegen das Nothaushaltsrecht das Bundesverfassungsgericht anrufen und zu einer Klärung beitragen.
({7})
Es muß von Anfang an klar sein, daß wir dies nicht akzeptieren.
Im übrigen lassen Sie mich noch zu dem Thema
Bundespresseamt sagen: Sie haben früher aus Ihrer Oppositionsrolle heraus eine Kürzung der Mittel für das
Bundespresse- und -informationsamt um 20 Prozent gefordert. In Wahrheit heben Sie die Mittel jetzt von 167
Millionen auf 171 Millionen DM an. Herr Bundeskanzler, ich kann gut verstehen, daß Sie dieses Geld brauchen.
Lassen Sie uns nun aber einmal über die großen
Blöcke reden. Ich will nicht kritisieren, daß der Bund
auch in Zukunft - das ist ein Auftrag, den das Bundesverfassungsgericht klar formuliert hat - den zwei besonders kleinen und strukturschwachen Bundesländern,
nämlich Saarland und Bremen, Strukturbeihilfen gewährt. Es gab aber überhaupt keinen Grund, dies sozusagen im Eilmarsch zu tun, nämlich ohne die Bundesländer an der Kofinanzierung dieses Aufwandes zu beteiligen. Sie hätten mindestens eine hälftige Mitfinanzierung durch die übrigen Bundesländer anstreben müssen.
Sie aber haben dies schnell und relativ unproblematisch
genehmigt. Daß etwas dahintersteckt, konnte man vor
einigen Tagen in der „Saarbrücker Zeitung“ nachlesen.
Dies geschah nämlich nicht in Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht des Bundes, sondern war eine politisch gewollte - nicht zufällige - Demonstration im Saarland
und in Bremen, wo in diesem Jahr Wahlen stattfinden.
({8})
- Das ist überhaupt nicht unanständig.
Ich lese Ihnen einmal vor, wie Sie an Ort und Stelle
wiedergegeben worden sind. Die „Saarbrücker Zeitung“
zitiert Sie am 25. Januar 1999 aus Ihrem Heimatort
Pachten wie folgt. Es beginnt:
„Am liebschden ben ich dahemm …“
Das ist Ihnen herzlich gegönnt. - Dann geht es weiter:
Nach Bonn habe er gewollt, „um endlich an die
Bundeskasse zu kommen“,
- das ist ein Zitat und das Saarland habe schon davon profitiert.
({9})
- Es wird noch besser. - Es geht weiter:
„An der Saar fehlt uns die ,Kohle‘, und die besorge
ich in Bonn für das Land“, erklärte er unter dem
Beifall der Zuschauer.
Herr Kollege Merz,
es gibt den Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage.
Lassen Sie diese zu?
Ja, gerne.
Herr Kollege Merz, nach
diesen Ausführungen gestatten Sie bitte zwei Fragen.
Die erste Frage ist: Wie erklären Sie sich nach Ihrer
Kritik an dem Finanzierungsweg des Bundesfinanzministers die Lösung, die sein Vorgänger, der Bundesfinanzminister Waigel, im Rahmen des Föderalen Konsolidierungsprogramms 1993 gewählt hat?
Zweitens. Haben Sie schon davon Notiz genommen,
daß in Bremen eine große Koalition regiert, daß der
dortige Finanzsenator, der CDU-Kollege Perschau, allergrößten Wert darauf gelegt hat, daß diese Regelung
gleichzeitig mit dem Haushaltsjahr 1999 - Haushaltsjahre müssen ja auch in den Ländern beachtet werden umgesetzt wird, und daß er dieses Ergebnis, das Minister Lafontaine vorlegt, dort als einen Erfolg des Vorgängers, also Theo Waigels, feiert?
Herr Kröning, zunächst einmal habe ich festgestellt, daß in beiden Bundesländern Wahlen stattfinden; ich habe nicht festgestellt, daß dort rotgrüne Landesregierungen sind. Das ist
nun einmal der zeitliche Ablauf.
Daß die große Koalition in Bremen arbeitet und weiterarbeiten will, ist gar nicht Gegenstand meiner Kritik
gewesen. Vielmehr habe ich nur darauf hingewiesen,
daß durch die Politik des Bundesfinanzministers kurzfristig Geld in diese beiden Länder transferiert wird, obwohl es ausdrücklich die Möglichkeit einer Kofinanzierung durch die übrigen Bundesländer gibt.
({0})
Theo Waigel hat diese 3 Milliarden DM zu Recht als
nicht haushaltsreif erklärt, weil er sich im letzten Jahr
darum bemüht hat, eine Kofinanzierung durch die übrigen Bundesländer hinzubekommen. Ich sage damit gar
nichts gegen die Strukturbeihilfen für Bremen und das
Saarland; ich habe ja ausdrücklich gesagt, daß ich sie
befürworte, zumal es einen entsprechenden Auftrag des
Bundesverfassungsgerichtes gibt. Nur, die Art und Weise, wie Sie das kurzerhand finanziert haben, ist zu kritisieren.
In bezug auf das Saarland haben Sie, Herr Lafontaine,
bei anderer Gelegenheit noch erklärt: Das darf der Deutsche Bundestag jetzt noch absegnen. - Das läßt ja auch
Rückschlüsse auf die Art und Weise zu, wie Sie mit Ihren eigenen Leuten umgehen.
({1})
Das müssen Sie mit Ihren eigenen Leuten ausmachen.
Nur, die Frage der Kofinanzierung ist damit nicht beantwortet. Offensichtlich ist bei dieser Tagung mit Landesfinanzministern von der SPD, die Sie Ende Dezember letzten Jahres veranstaltet haben, irgendeine Absprache in bezug auf eine Verrechnung mit dem, was für das
Kindergeld noch mitfinanziert werden muß, getroffen
worden. Noch einmal: Das hat mit Haushaltsklarheit und
Haushaltswahrheit nichts zu tun.
({2})
- Entschuldigung; ich sage das, weil „Haushaltswahrheit“ und „Haushaltsklarheit“ vom Bundesfinanzminister mehrfach als Überschrift über seinen Haushaltsentwurf 1999 gewählt worden ist. Man wird ihn
wohl noch an diesen Ansprüchen, die er sich selber gesetzt hat, messen dürfen.
({3})
Herr Kollege, es gibt
den Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage.
Nein. Ich finde, es gibt
auch noch andere wichtige Themen.
Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Erblastentilgungsfonds sagen. Hier geht es in der Tat um etwas
andere Größenordnungen. Herr Lafontaine, der Bundeshaushaltsplan, den Sie vorgelegt haben, weist für den
Erblastentilgungsfonds eine Zinszahlung von 18,9 Milliarden DM aus, obwohl eigentlich Zuführungen in Höhe
von 26,3 Milliarden DM notwendig wären, um den
Auftrag, der im Erblastentilgungsfonds-Gesetz formuliert ist, erfüllen zu können, nämlich die Schulden, die
wir von der ehemaligen DDR übernommen haben, in
Deutschland binnen einer Generation zu tilgen. Auf
hartnäckige Nachfragen von dieser Stelle und von anderen Stellen aus haben Sie keine Auskunft darüber erteilt,
ob Sie dabei bleiben wollen, daß innerhalb einer Generation die noch bestehenden Verpflichtungen aus den
Erblastentilgungsfonds in Höhe von rund 300 Milliarden
DM wirklich getilgt werden. Diese Antwort müssen Sie
geben, wenn Sie eine Begründung auch dafür liefern
wollen, warum Sie diesen Betrag in den Bundeshaushalt
einstellen. Ich will Ihnen sagen: Es gibt eine ganz andere
Begründung. Sie brauchen zum einen einen höheren
Finanzierungsspielraum, und Sie brauchen zum anderen
- das klang in Ihrer Rede mehrfach an - langfristig tragfähige Argumente für den relativ hohen Schuldenstand
des Bundeshaushaltes. Indem Sie andere Titel, die zu
Recht außerhalb des Bundeshaushaltes geführt, aber jederzeit mitveröffentlicht worden sind, in den Bundeshaushalt einbeziehen, werden Sie eine höhere Gesamtverschuldung politisch in der Weise darstellen können,
daß der alten Koalition in den nächsten Jahren und Jahrzehnten vorgehalten werden kann: Das sind die Erbschulden der Regierung Kohl. - In Wahrheit ist es, zumindest was die 300 Milliarden angeht, eine Erbschuld
des alten Sozialismus in der DDR. Das ist die Wahrheit!
({0})
Sie verschleiern auf diese Art und Weise langfristig den
öffentlichen Schuldenstand. Wir werden es nicht hinnehmen, daß Sie so vorgehen.
Ich hätte gern noch etwas zum Thema Ökosteuer gesagt, aber dazu wird im Laufe der Woche noch genügend Gelegenheit sein.
Ich will noch etwas zum G-7-Gipfel vom vergangenen Wochenende sagen. Es ist schon ein bemerkenswertes Stück Kühnheit - um das einmal so zu formulieren -, daß Sie sich hier hinstellen und sagen, Sie hätten
am Wochenende von den Partnern der G 7 eine große
Zustimmung zu Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik erfahren.
({1})
Das ist schon ein tolles Stück. Die Überschriften in den
Zeitungen in Deutschland, in Großbritannien, in Frankreich, in Amerika - welches Land Sie auch nehmen lauten doch ganz anders. Sie lauten: „Lektionen für Lafontaine und Co.“, „Amerikas Lehrstunde für Lafontaine“. Sie können doch nicht im Ernst erzählen, daß
das, was Sie gesagt haben, auf Zustimmung gestoßen
sei. Das Gegenteil ist richtig.
Mittlerweile werden Sie und Ihr verehrter Herr
Staatssekretär in der englischsprachigen Presse schon als
die makroökonomischen Clowns dieser Welt karikiert.
({2})
Vor diesem Hintergrund nun noch zu behaupten, Sie
hätten am Wochenende Zustimmung erfahren, das ist
ein Stück der politischen Dreistigkeit, das ich von Ihnen
in dieser Weise bis jetzt nicht erlebt habe. Das Gegenteil
ist richtig.
({3})
Lassen Sie mich noch ein Wort zur relativen Schwäche des Euro sagen, die Sie erneut begrüßt haben.
({4})
- Ich sage Ihnen etwas zur Sache: Sie haben ja darauf
hingewiesen, daß die Schwäche des Euro dem deutschen
Export behilflich sei. Darüber kann man reden. Allerdings möchte ich darauf hinweisen, daß seit der Einführung des Euro fast die Hälfte des deutschen Exports kein
Export im eigentlichen Sinne mehr ist; denn Ausfuhren
in Länder mit derselben Währung sind zumindest währungspolitisch ein neutraler Vorgang. Aber sei es drum!
Nur: Was ist denn die Ursache für die Schwäche des Euro, die ja nun langsam wirklich besorgniserregend ist?
Denn innerhalb von sechs Wochen, vom 4. Januar 1999
bis heute, ist der Euro von 1,18 US-Dollar auf unter 1,10
US-Dollar abgerutscht. Es gibt zwei Gründe für diese
Entwicklung, Herr Lafontaine. Der erste ist die anhaltende Stärke der amerikanischen Volkswirtschaft.
Herr Kollege Merz,
denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ja, ich bin gleich fertig. Lassen Sie mich noch zwei Sätze sagen. - Die anhaltende Stärke der amerikanischen Volkswirtschaft ist
der erste Grund. Der zweite Grund ist, daß Sie dabei
sind, die Stabilität des Euro politisch herunterzureden.
({0})
Sie werden auf diese Art und Weise im Laufe des Jahres
1999 ein erhebliches Problem bekommen. Denn wenn
sich die Geldentwertungstendenz des Euro, die sich gegenwärtig in der Schwächung des Außenwertes dokumentiert, in seinem Innenwert widerspiegelt, dann wird
die Europäische Zentralbank gezwungen sein, die Zinsen in der Euro-Zone wieder anzuheben.
({1})
Dann wird genau das Gegenteil von dem eintreten, was
Sie durch politischen Druck auf die Europäische Zentralbank auslösen wollen. Deswegen ist die Politik, die
Sie machen - auch gegenüber der Zentralbank -, die
Probleme in Deutschland ständig nur über die Geldpolitik zu lösen, von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Sie werden möglicherweise sogar das Gegenteil von
dem erreichen, was Sie erreichen wollen.
({2})
Sie werden nicht darum herumkommen - der Bundeshaushalt, den Sie hier vorgelegt haben, ist leider ein
Dokument ziemlicher Ratlosigkeit in diesen Fragen -, in
der Bundesrepublik Deutschland eine Reihe von strukturellen Veränderungen des Steuersystems und des Sozialsystems anzugehen, wenn Sie die Probleme des deutschen Standortes langfristig lösen wollen. So lösen Sie
sie nicht nur nicht, Sie verschärfen sie mit Ihrer Haushalts- und Finanzpolitik. Sie sind international isoliert
und treffen offensichtlich auf immer größere Widerstände, auch innerhalb des Bundeskabinetts der Bundesrepublik Deutschland.
Dies weiter zu beobachten und kritisch zu begleiten
wird unsere Aufgabe sein. Herr Lafontaine, Sie gehen
einen schweren Weg.
({3})
Für die SPDFraktion spricht jetzt die Kollegin Ingrid MatthäusMaier.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer den
Haushaltsentwurf dieser Bundesregierung unvoreingenommen bewerten will, muß sich über drei Dinge klarwerden: Erstens. Wie war die Bilanz bei der Übernahme
der Regierung vor vier Monaten? Zweitens. Was hat die
Regierung bisher geleistet? Drittens. Wie wird es weitergehen?
Zur Bilanz. In der Finanzpolitik haben wir eine
schwere Hinterlassenschaft übernommen. Allgemein
nennt man das „Erblast“. Ich möchte es aber nicht bei
diesem allgemeinen Wort belassen, sondern an fünf Beispielen konkret zeigen, wie schwierig und schwer die
Hinterlassenschaft ist.
Erstens Hinterlassenschaft Staatsschulden. In diesen
Tagen hat die Bundesbank 1,4 Billionen DM - das sind
1 400 Milliarden DM - Staatsschulden allein beim Bund
und seinen Schattenhaushalten festgestellt.
Zweitens Hinterlassenschaft Zinsen. Fast jede vierte
Steuermark des Bundes wird für Zinsen ausgegeben.
Das schnürt die Handlungsfähigkeit des Bundes massiv
ein. Wir haben die Finanzen in einer Situation übernommen, in der fast 80mal mehr für Zinsen ausgegeben
wird als für den Umweltetat des Bundes. Dieses Prinzip
der Lastenverschiebung in die Zukunft hatte bei Ihnen
Methode: Tilgungsaussetzung, Vorbelastung des Verteidigungshaushaltes mit schweren, auf Jahre hinaus wirkenden Beschaffungsvorhaben, Angriff auf die Postpensionskassen und Verscherbelung des Tafelsilbers.
Drittens Hinterlassenschaft Abgabenlast. In diesem
Lande gab es das vorher nie: eine Belastung mit Sozialabgaben in Höhe von über 42 Prozent. Da darf man sich
nicht wundern, daß das Einstellen von Menschen in diesem Lande so zögerlich geschieht.
({0})
Viertens Hinterlassenschaft Arbeitslosigkeit. Sie ist
nicht nur, wie Oskar Lafontaine zu Recht gesagt hat,
schlimm für die einzelnen Menschen, für ihre Familien.
Sie bedeutet auch eine schlimme finanzielle Erblast;
denn 100 000 Arbeitslose kosten die Sozialversicherungsträger und den Haushalt etwa 4 Milliarden DM. Sie
von der Opposition sind ganz sicher nicht für alle Arbeitslosen verantwortlich. Aber ich bin der festen Überzeugung - und deswegen sind Sie abgewählt worden -:
Durch Fehler in Ihrer Politik, durch die einseitige Betonung der Angebotspolitik und der Entlastung der Wirtschaft, durch die Vernachlässigung der Nachfrageseite
und durch das mutwillige Zerstören eines Bündnisses für
Arbeit haben Sie die Arbeitslosenzahlen sehr viel höher
getrieben, als sie sein dürften.
({1})
Fünftens Hinterlassenschaft verfassungswidrige Besteuerung der Familien mit Kindern. Vor wenigen Wochen hat das Bundesverfassungsgericht praktisch jeden
Tag eine Entscheidung verkündet, durch die Ihre frühere
Familienpolitik für verfassungswidrig erklärt wurde:
Kinderfreibeträge, Kinderbetreuungskosten, Beamtenkinder, Haushaltsfreibetrag. Es bleibt dabei: Sie haben
immer nur gehandelt, wenn Karlsruhe Sie gezwungen
hat. Niemand hat das besser ausgedrückt als meine Kollegin Margot von Renesse. Sie hat hierzu einmal gesagt:
Theo Waigel verhält sich wie ein unterhaltsverpflichteter Vater, der erst dann zahlt, wenn er vollstreckbar verurteilt worden ist. - Das war Ihre Familienpolitik.
({2})
Herr Merz, da Sie in dieser Frage den Bundesfinanzminister, wie ich finde, recht arrogant - das ist Ihnen
manchmal eigen - angesprochen haben,
({3})
darf ich darauf hinweisen: Wenn Ihre Arroganz an irgendeiner Stelle völlig fehl am Platze ist, dann bei Ermahnungen an uns, die Familien mit Kindern besserFriedrich Merz
zustellen. Das haben wir im Unterschied zu Ihnen nämlich getan.
({4})
Wer sich allein diese fünf Hinterlassenschaften, die
massive Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
haben, vor Augen führt, der weiß: Wir sind dabei, diese
Erblast abzutragen. Aber um das zu schaffen, braucht
man mehr als vier Monate.
({5})
Zu dem zweiten Punkt: Was haben wir bisher geleistet? Ich habe mir eine kleine Karte herausgesucht, die
im Wahlkampf von Gerhard Schröder herausgegeben
wurde. Auf der Karte steht: „10 gute Gründe, SPD zu
wählen“. Da steht außerdem: „Bewahren Sie diese Karte
auf, und Sie werden sehen, daß wir halten, was wir versprechen.“
({6})
Ich habe die Karte aufbewahrt und möchte jetzt auf einige Punkte eingehen, die darauf angesprochen werden.
Auf dieser Karte steht: Erhöhung des Kindergeldes für
die ersten beiden Kinder auf 250 DM. - Meine Damen
und Herren, das haben wir im Dezember beschlossen.
Die ersten Familien, die zwei Kinder haben, haben die
Überweisung von 500 DM bereits erhalten.
({7})
Ich darf daran erinnern, weil Sie jetzt darüber
schweigen: Das haben wir nicht mit Ihnen gemacht
- einige haben am Schluß im Dezember mitgestimmt -,
das mußten wir gegen Ihren massiven Widerstand
durchsetzen.
({8})
Jede Mark beim Kindergeld haben wir Ihnen aus der Nase
gezogen. Noch im November und Dezember mußte ich
mich mit Herrn Schäuble und all den klugen Professoren
wie Bareis und von den Forschungsinstituten auseinandersetzen, die gesagt haben: Laßt die Erhöhung des Kindergeldes als Sozialtransfer - daß sie nicht „Sozialklimbim“ gesagt haben, ist schon alles -, senkt statt dessen
besser den Spitzensteuersatz. - Stellen Sie sich einmal
vor, wir hätten das Kindergeld nicht erhöht! Wie ständen
wir angesichts der Entscheidungen von Karlsruhe da?
({9})
Weiterhin steht auf dieser Karte, wir würden das
Rentenniveau, das Sie von 70 auf 64 Prozent abgesenkt
haben, wieder anheben. Im Dezember haben wir genau
das beschlossen.
Außerdem haben wir versprochen, die von Ihnen vorgenommene Verschlechterung des Kündigungsschutzes
wieder rückgängig zu machen. Genau das haben wir im
Dezember beschlossen.
({10})
- Wir haben noch ein paar Karten da, Herr Thiele. Die
können Sie sich bei uns abholen.
({11})
Ferner haben wir versprochen, die Senkung der Lohnfortzahlung auf 80 Prozent rückgängig zu machen und
die Lohnfortzahlung wieder auf 100 Prozent anzuheben.
Genau das haben wir im Dezember beschlossen.
({12})
Weiter haben wir auf dieser Karte versprochen, die
Belastung der chronisch Kranken durch höhere Zuzahlungen rückgängig zu machen. Sie kennen den Spruch
schon, der heißt: Genau dies haben wir im Dezember
beschlossen.
Außerdem steht auf dieser Karte, daß wir versprechen, daß es wieder für junge Leute unter 16 Jahren
Zahnersatz, Brücken und Kronen, gibt, den Sie abgeschafft haben. Genau das haben wir im Dezember beschlossen.
({13})
- Weiterhin haben wir - Ziffer 3 dieser Karte, wenn Sie
es nachsehen wollen - versprochen, den Aufbau Ost zur
Chefsache zu machen und dort mehr zu tun. Genau das
haben wir getan. Erinnern Sie sich? Wir alle sind mit einem kurzen Gedächtnis behaftet.
({14})
- Nicht alle, da haben Sie recht. Aber Sie wollen sicher
nicht gern das hören, was ich jetzt sage. - Sie hatten im
letzten Jahr Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vorgesehen. Aber die meisten sollten nur bis Dezember 1998
laufen und manche nur bis 1. Oktober 1998. Was für ein
seltsames Datum! Es gab eine Kollegin von Ihnen, die
die Wirtschaft aufgefordert hat, genau bis zum 30. September Wahlkampf-ABM zu machen und den Leuten
vorzugaukeln, daß Sie die Arbeitslosigkeit verringern.
Bei uns, meine Damen und Herren, wird die Arbeitsmarktpolitik dagegen verstetigt, und das ist gut so.
({15})
Weiterhin haben wir versprochen, den Mittelstand,
das Handwerk, Existenzgründer zu fördern. Auch dies
findet sich im Haushaltsentwurf von Oskar Lafontaine.
Ich will eines hinzufügen: Ich bin der festen Überzeugung, allein mit Geld werden wir das Thema „Existenzgründungen“ sowohl im Osten als auch im Westen nicht
in den Griff bekommen. Wir werden alle miteinander,
wo immer wir politisch stehen, dafür eintreten müssen,
daß sich auch die Mentalität in diesem Lande ändert. Ich
war vor kurzem in den USA. Man weiß es, aber wenn
man wiederkommt, spürt man es noch einmal: Der
Traum der Amerikaner ist, sich selbständig zu machen,
der Traum des Deutschen ist ein Job im öffentlichen
Dienst. Solange wir das nicht ändern, können wir noch
soviel Geld ausgeben. Wir brauchen mehr Existenzgründungen.
({16})
Dann haben wir auf dieser kleinen Karte unter Ziffer
4 versprochen: „Deutschland als Ideenfabrik durch Verdoppelung der Investitionen in Bildung, Forschung und
Wissenschaft in 5 Jahren“. Der Bundesfinanzminister
hat vorgetragen - Verdoppelung würde 5 Milliarden DM
bedeuten -, daß die erste Milliarde in diesem Haushalt
bereits enthalten ist. Das ist ein erster guter Schritt.
({17})
Ferner haben wir ein Milliardenprogramm zur Förderung der Solarenergie versprochen, das 100 000Dächer-Solarenergie-Programm. Auch dieses ist mit
diesem Haushalt in Gang gesetzt.
Es gibt einiges, was uns handwerklich nicht so gut
gelungen ist. Da muß man schon einmal korrigieren, und
da muß man schon einmal am nächsten Tag etwas zurücknehmen, was man am Tag davor gesagt hat. Aber
wenn eine Regierung in diesen vier Monaten so enorm
viel von dem hält, was sie versprochen hat, dann kommt
es nicht auf die kleinen Holpereien an, sondern auf das,
was sie materiell gemacht hat, und darauf sind wir stolz.
({18})
Drittens zur Frage, wie es jetzt weitergeht.
({19})
Auf dieser Karte steht auch ein Bündnis für Arbeit.
Wir nennen es dort eine „konzertierte Aktion“, wie wir
sie aus den Zeiten von Helmut Schmidt kennen. Sie
können es auch anders nennen. Jedenfalls ist die Grundidee, daß wir die Kräfte in dieser Gesellschaft bündeln
und sie nicht spalten wollen. Wir wollen Kooperation
und nicht Konfrontation. Was wir uns darunter in allen
Bereichen der Gesellschaft vorstellen, mögen Sie daran
ersehen, daß es doch auch dank unserer Hilfe gelungen
ist, einen Arbeitskampf in der Metallindustrie zu verhindern. Ich danke für die SPD-Fraktion ausdrücklich dem
langjährigen früheren Fraktionsvorsitzenden HansJochen Vogel dafür, daß durch seine Vermittlungstätigkeit ein Arbeitskampf verhindert werden konnte.
({20})
Zu einem Bündnis für Arbeit gehört natürlich auch,
daß die Regierung ihren Teil leistet. Arbeitgeber und
Arbeitnehmer müssen das ebenfalls; aber ich spreche
jetzt über das, was unsere Aufgabe ist. Dazu gehört es,
die Lohnzusatzkosten, die - wie gesagt - bei Ihnen auf
über 42 Prozent explodiert sind, abzusenken. Vor der
Wahl haben wir sehr deutlich gesagt: Wir brauchen eine
ökologische Steuerreform. Die Sozialversicherungsbeiträge sind zu hoch, Arbeit wird zu stark belastet und
Energie vergleichsweise zu gering.
Ich lese Ihnen einmal ein Zitat vor:
Unser Steuer- und Abgabensystem macht, wider
alle ökonomische Vernunft, gerade das besonders
teuer, wovon wir gegenwärtig im Überfluß haben:
Arbeit. Dagegen ist das, woran wir sparen müssen,
viel zu billig: Energie- und Rohstoffeinsatz. Der
Einsatz des Faktors Arbeit muß durch eine Senkung
der Lohnzusatzkosten relativ verbilligt werden, der
Energie- und Rohstoffverbrauch durch eine
schrittweise Anpassung der Energiepreise relativ
verteuert werden. Beides muß zu einer aufkommensneutralen Lösung intelligent verbunden werden. So lautet die Aufgabe.
Meine Damen und Herren, genau das tun wir. Nur
stammt dieses Zitat nicht vom Kanzler oder vom Finanzminister; dieses Zitat stammt vom Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, Herrn Wolfgang Schäuble.
Wenn man in dieser Situation so gegen unsere ökologische Steuerreform anrennt, ist man zutiefst unglaubwürdig.
({21})
Wir machen mit der Steuerreform weiter. Das betrifft nicht nur das Kindergeld, das eine steuerliche Entlastung der Familien mit Kindern darstellt. Über 95 Prozent der Familien in Deutschland werden über das Kindergeld entlastet und nicht über Kinderfreibeträge.
Ganz nebenbei, Herr Merz, ist etwas - so habe ich
das Gefühl - ein bißchen untergegangen: Sie haben die
alte Diskussion, von der ich glaubte, sie sei beendet,
wieder hochgezogen. Sie haben nämlich so - freundlich nebenbei - die meisten Leute verstehen das nicht, weil
sie nicht genau wissen, was progressiv und linear ist gesagt, das mit dem Kindergeld, durch das alle Bürgerinnen und Bürger für ihre Kinder in gleicher Höhe entlastet werden, könne man gar nicht durchhalten; man
müsse wieder zu Kinderfreibeträgen zurückkehren. Die
haben aber eine ganz unangenehme Wirkung: Sie führen
dazu, daß die Entlastung der Eltern um so höher ist, je
höher ihr Einkommen ist.
({22})
- Da lachen Sie. Genau das haben Sie vorgetragen.
Wollen Sie bestreiten, daß schon der heutige Kinderfreibetrag dazu führt, daß Eltern mit einem Spitzensteuersatz 305 DM Entlastung je Kind bekommen und nicht
250 DM wie durch das Kindergeld? - Da nickt er! Das
ist das, was Sie in Zukunft offenbar weiterhin machen
wollen. Wir Sozialdemokraten wollen das nicht, meine
Damen und Herren.
({23})
Wir wollen, daß dem Staat auch in Zukunft jedes Kind
gleich lieb und gleich teuer ist. Dafür werden wir weiterhin eintreten.
Wir haben ferner vor - wir sind schon dabei -, die
Gegenfinanzierung der Steuerreform bald zu verabschieden, zum Beispiel um die Senkung des Eingangssteuersatzes - Oskar Lafontaine sagte es bereits -, um
die Senkung des gewerblichen Spitzensteuersatzes von
47 Prozent auf 45 Prozent - sie gilt schon seit dem
1. Januar - und um unser Ziel zu finanzieren, für Betriebe generell einen Höchststeuersatz von 35 Prozent
vorzusehen.
Erstens - Herr Merz, da wundere ich mich über Ihre
Krokodilstränen -: Die allermeisten Gegenfinanzierungsmaßnahmen, mit denen wir Steuerschlupflöcher,
Ausnahmen, Subventionen schließen und streichen,
standen bereits in Ihren Petersberger Beschlüssen.
Darin - das möchten Sie gerne vergessen machen stand sogar noch viel mehr.
({24})
Darin stand, daß Kapitallebensversicherungen besteuert
werden, und zwar im Bestand.
({25})
Das hätte dazu geführt, daß wir den Menschen, denen
wir Politiker über Jahre gesagt haben: „Tut etwas für die
private Vorsorge“ und die dann Kapitallebensversicherungen abgeschlossen haben, tags darauf gesagt hätten:
April, April, jetzt besteuern wir sie. - Das stand in Ihren
Beschlüssen, auch wenn Sie jetzt den Kopf schütteln.
Das weiß jedes Kind.
({26})
Zweitens. Darin stand der Beschluß, die Nacht- und
Feiertagszuschläge zu besteuern.
({27})
Das haben wir nicht von den Petersberger Beschlüssen
übernommen, weil wir dafür eintreten, daß soziale Gerechtigkeit wichtiger ist als Steuersystematik. Darin
stand eine sehr viel höhere Besteuerung der Renten;
Herr Merz, das sollte man hier einmal sagen. Das machen wir nicht. Aber wir passen das Bilanzrecht im steuerlichen Bereich an internationale Standards an.
An dieser Stelle sagt der Kollege Merz von der Opposition immer, das sei schlecht für den Standort. Herr
Merz, dieses Standortgejammere
({28})
erlebe ich seit vielen Jahren. Leider konnte ich im Januar nicht mehr nach Ihnen reden. Aber ich habe Ihre Rede
nachgelesen. Da haben Sie sich bei dem gleichen Thema
hier im Bundestag zu der Behauptung verstiegen, die
Firmen Hoechst und Rôhne-Poulenc, die sich zusammenschließen, wählten aus steuerlichen Gründen, weil
wir so entsetzliche steuerliche Rahmenbedingungen böten, den Standort Straßburg.
Dies stand in der Tat in der Zeitung. Aber der Unterschied zwischen uns beiden ist: Sie haben es im Bundestag einfach nachgeplappert; ich habe den Chef von
Hoechst angeschrieben, und wir haben lange telefoniert.
Herr Dormann hat mir ausdrücklich gesagt, daß die
Wahl von Straßburg als Standort der vereinigten Firmen
Hoechst und Rôhne-Poulenc nichts mit der Steuer zu tun
hat, sondern auf der langjährigen Geschichte von
Rôhne-Poulenc in Frankreich beruht; ein deutscher
Standort hätte der Geschichte und der Größe von RôhnePoulenc in Frankreich nicht entsprochen. Man habe sich
aus allgemeinpolitischen Gründen und wegen der
deutsch-französischen Freundschaft für einen Standort
entschieden, der quasi in der Mitte liege. Als ich ihn gefragt habe, ob ich dies im Deutschen Bundestag verwenden dürfe, hat er ja gesagt.
Herr Merz, wenn Sie es nicht glauben, rufen Sie
Herrn Dormann an, aber lassen Sie dieses dumme
Standortgerede!
({29})
Damit komme ich zu dem letzten Punkt, da Sie ihn
tatsächlich auch heute angesprochen haben, nämlich den
Abschreibungsgesellschaften, den sogenannten Verlustzuweisungsgesellschaften.
({30})
Sie haben uns vorgeworfen, wir würden nicht sparen.
Jetzt frage ich Sie: Wenn wir solche Steuermöglichkeiten schließen und reduzieren, ist das etwa kein Sparen?
Wir sehen in der Tat vor, daß dies zurückgefahren wird.
Ich will Ihnen nicht verhehlen: Die Anzeige, die ich
gestern im „Handelsblatt“ gelesen habe, finde ich absolut unpassend. Dort fordern die Verlustzuweisungsgesellschaften aller Sparten, daß der Finanzausschuß dies
auf keinen Fall tun könne und dürfe usw.
Ich bin daraufhin einmal ins Internet gegangen. In
einer Anzeige im „Handelsblatt“ wird beispielsweise eine Firma HCI genannt; ich weiß nicht, was das heißt.
Was meinen Sie, was Sie im Internet unter HCI finden?
Ich habe mir einmal einen Prospekt ausdrucken lassen:
„HCI - Steuerliche Grundlagen“. Über Seiten hinweg
wird beschrieben, wie man Steuern spart: „Verlustverrechnung bis zu 125 %“, „steuerliche Verluste in der
Investitionsphase“, „Sonderabschreibung“, „degressive
Abschreibung“ usw. So geht das dann noch weiter. Am
Schluß ist dann auch vom § 34 EStG die Rede, den wir
gerade verändern und der ja die „Mutter“ aller Abschreibungsmöglichkeiten ist. Der HCI-Prospekt endet
dann folgendermaßen:
Aufgrund der gewählten Abschreibungsmethode
werden in den ersten zwei Jahren bereits mehr als
50 Prozent der abschreibungsfähigen Anschaffungskosten abgeschrieben und den Gesellschaftern
anteilig als steuerlicher Verlust zugerechnet.
Jetzt kommt der Schlußsatz:
Die jeweils prospektierten steuerlichen Verluste
stellen also zum großen Teil keine unerwünschten
Substanzverluste, sondern lediglich gewünschte
Buchverluste dar.
Das heißt auf deutsch: zum Zwecke der Steuerersparnis
produzierte Buchverluste, die mit der Substanz gar
nichts zu tun haben.
Sie, Herr Merz, haben heute morgen gesagt, die
Sozialdemokraten wollten solche Verlustzuweisungsgesellschaften verbieten. Nein, das wollen wir nicht. Was
wir aber wollen ist, daß Leute mit hohen und höchsten
Einkommen ihr zu versteuerndes Einkommen mit solchen Verlustzuweisungsgesellschaften nicht auf Null
bringen können. Darin unterscheiden wir uns von Ihnen.
({31})
Herr Merz, Sie haben in diesem Zusammenhang tatsächlich noch einmal das Wort „Neidkomplex“ benutzt.
Was hat das mit Neid zu tun? Wir werden der Situation,
daß die einen Vermögen haben und keine Steuern zahlen, während die anderen Steuern zahlen und deswegen
kein Vermögen haben, ein Ende machen.
({32})
Wer das kritisiert, der muß wissen: Das haben wir vor
der Wahl immer wieder versprochen. Das steht nicht auf
diesem kleinen Kärtchen; es hätte aber auch darauf gepaßt. Es war von uns bekannt, daß wir sagen: Steuersätze runter, Entlastung der Familien mit Kindern, Senkung des Eingangssteuersatzes, Verbesserung des Grundfreibetrages und Gegenfinanzierung unter anderem durch
die Beseitigung von Ausnahmen. Es gibt welche, die sagen, das sei Umverteilung von oben nach unten. Dazu
kann ich Ihnen sagen: Nach 16 Jahren Umverteilung von
unten nach oben ist es wirklich gerechtfertigt, wenn wir
das stoppen und ein bißchen korrigieren.
({33})
Frau Kollegin Matthäus-Maier, gestatten Sie ein Zwischenfrage der Kollegin Dr. Luft?
Ja.
Frau Kollegin MatthäusMaier, Sie haben soeben über steuerliche Absetzungsmöglichkeiten und auch über den Schwindel, der damit
passiert, gesprochen. Mit diesem Punkt bin ich völlig
einverstanden. Ich frage Sie: Könnten Sie sich vorstellen, daß die steuerliche Absetzbarkeit der Entschädigungszahlungen von deutschen Konzernen an den geplanten und überfälligen Fonds zur Entschädigung von
NS-Zwangsarbeitern unterbunden wird, so daß man die
Entschädigungszahlungen nicht als Betriebsausgabe
oder gar als Spende absetzen kann? Ich fände es nahezu
einen Skandal, wenn für das, was damals passiert ist,
nun im nachhinein der deutsche Steuerzahler, und die
deutsche Steuerzahlerin noch einmal zu bezahlen hätten.
Frau Luft, ich bin
mit dieser Frage neu konfrontiert, das gebe ich Ihnen
gern zu. Deswegen muß ich aus meiner Kenntnis des
Steuerrechts spontan antworten - ich will es nicht endgültig entscheiden -: Eine Spende ist es natürlich auf
keinen Fall. Aber wenn die deutschen Firmen endlich
ihrer Verpflichtung nachkommen, Entschädigungen für
die ehemaligen NS-Zwangsarbeiter zu zahlen, sehe ich
spontan nicht, warum das nicht eine Betriebsausgabe
sein sollte; denn wenn die Betriebe im Dritten Reich
diese Menschen ordentlich bezahlt hätten, wäre ja auch
das eine Betriebsausgabe gewesen. Deswegen bitte ich,
an dieser Stelle mit dieser Antwort zufrieden zu sein.
Herr Lafontaine selber hat am Schluß gesagt: In diesem Haushalt konnte nicht alles getan werden, was man
vorhat. Er ist nur ein erster Schritt. Die Konsolidierung
ist noch nicht ausreichend. Wie sollte sie auch, nach vier
Monaten? Aber ich sage Ihnen: Das Umsteuern in
Richtung auf eine leistungsfähige Wirtschaft und mehr
Arbeitsplätze, in Richtung auf eine ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft und in Richtung von
mehr sozialer Gerechtigkeit - ich nenne das manchmal
den sozialdemokratischen Dreiklang - hat begonnen.
Auf diesem Weg ist der Bundeshaushalt ein erster richtiger Schritt. Wir werden dem Haushalt zustimmen.
Danke.
({0})
Für die F.D.P.Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Günter Rexrodt.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Der Haushaltsentwurf 1999
ist zu messen an dem, was die neue Koalition an politischen Zielen und Schwerpunkten, an Reformen und
Veränderungen angekündigt hat.
({0})
Herr Kollege Lafontaine, Frau Matthäus-Maier, Sie
stellen in Ihren Beiträgen den Haushalt 1999 so dar, als
ob er quasi eine neue Qualität, einen Quantensprung und
eine Veränderung in eine ganz andere Richtung bedeute.
Wenn man den Haushaltsentwurf an dem mißt, was Sie
an politischer Philosophie und an Zielen verkünden,
dann kommt man zu dem simplen Ergebnis: Es hat selten einen Haushaltsentwurf gegeben, der sich durch so
wenig politische Gestaltungskraft und politischen Gestaltungswillen auszeichnet wie der vorliegende.
({1})
Der Haushalt ist zunächst einmal eine Fortschreibung
der alten Waigelschen Entwürfe. Ich sage nicht, daß die
Waigelschen Entwürfe schlecht waren, ganz im Gegenteil. Aber gemessen an dem, was Sie wollten, ist das
neue Zahlenwerk, abgesehen von Ihrem steuerpolitischen Ausflug, auf den ich noch eingehen werde, nichts
als Kosmetik und weiße Salbe.
Kommen Sie, Frau Matthäus-Maier, in diesem Zusammenhang nicht mit der Ausrede, sie hätten keine Zeit
für eine grundlegende Überarbeitung gehabt. Die Ansätze waren Ihnen immer in jedem Detail bekannt. Ihre
Leute waren im Haushaltsausschuß. Die Papiere lagen
vor. Gemessen an dem, was Ihnen möglich war, ist der
Haushalt 1999 ein Langweiler.
Kommen Sie mir jetzt nicht damit, die mangelnde
Gestaltungskraft liege darin begründet, daß neue Löcher
aufgetaucht seien oder daß es Erblasten gebe. Um diese
Aussagen, Herr Lafontaine, ist es ruhiger geworden.
Wie sollten Sie sich bei einer steuerlichen Mehreinnahme von 10 Milliarden DM 1998 und bei einer daraus
resultierenden Reserve bei den Privatisierungserlösen
von ebenfalls 10 Milliarden DM auch anders als ruhig
verhalten?
Wir wissen auch schon lange, daß der Haushalt eine
strukturelle Deckungslücke von etwa 20 Milliarden
DM hat. Aber wir haben auf diese strukturelle Dekkungslücke auch eine Antwort gehabt. Sie bestand in der
großen Steuerreform mit einer Nettoentlastung von etwa
30 Milliarden DM. Sie war klar und kalkulierbar. Wir
waren überzeugt davon, daß diese Nettoentlastung zu
mehr wirtschaftlicher Aktivität geführt hätte und dadurch die strukturelle Deckungslücke zu schließen gewesen wäre. Das war eine klare und kalkulierbare Antwort. Das konnten wir aber auf Grund Ihrer Blockade
nicht umsetzen. In Ihrem Haushalt weisen Sie außer vagen Versprechungen nichts aus, was in diese Richtung
deutet.
({2})
Nun zu einem anderen Punkt, den Sie angesprochen
haben: Sie klagen über die zu hohe Zinslastquote. Jeder
weiß, daß diese zu hohe Zinslastquote ein Ergebnis der
Investitionen ist, die wir im Zusammenhang mit der
Wiedervereinigung unseres Landes tätigen mußten. Dieses Argument der hohen Zinslastquote wirkt geradezu
widersprüchlich, wenn Sie ein Übermaß an Leistungen
für die neuen Länder beklagen, die in die Versicherungssysteme geflossen sind. Wenn man nicht auch die
Versicherungssysteme bei den Leistungen für die neuen
Länder einbezogen hätte, wäre die von Ihnen beklagte
Zinslastquote noch höher als jetzt. Auch das ist keine
Begründung für Ihre mangelnde Gestaltungskraft in diesem Haushalt.
Daß wir diese Gestaltungskraft vermissen müssen,
liegt schlicht daran, daß Sie mit Ihrer Politik nicht klarkommen. Diese Politik ist unprofessionell, unlogisch
und unkoordiniert.
({3})
Jeder von Ihnen setzt etwas in die Welt, bevor er nachgedacht hat. Danach wird zurückgerudert. Der Bundeskanzler tut so, als ob ihn das zunächst nichts anginge,
und dann entpuppt er sich als Moderator, und die Moderatorenrolle wird immer mehr ein Akt der Hilflosigkeit.
Die Menschen draußen werden das auf Dauer nicht hinnehmen.
Das schaurigste Beispiel in diesem Zusammenhang
ist die Steuerpolitik. Es handelt sich hier wahrlich um
kein Kapitel von nebensächlicher Bedeutung, sondern
um das zentrale Vorhaben dieser Legislaturperiode. Dieses Kapitel entscheidet darüber, ob wir in Deutschland
Arbeitsplätze schaffen können.
Das Kindergeld wird erhöht. Frau Matthäus-Maier
stellt sich mit ihrem Kärtchen hier hin, wo ein höheres
Kindergeld und eine Entlastung im unteren Bereich versprochen werden. Es heißt, das sei im Sinne einer Wirtschaftssteuerung, die nachfrageorientiert ist, erwünscht
und im Sinne sozialer Gerechtigkeit notwendig. Ich bezweifle im übrigen, daß das Geld aus dieser Entlastung
beim Einzelhandel ankommt. Herr Minister Lafontaine,
das bißchen Erhöhung, das wir bei den Einzelhandelsumsätzen zu verzeichnen haben, hat wenig mit dieser
Entlastung zu tun. Ich sage vor allem voraus: Dieses
Geld kommt nicht bei denjenigen Investoren an, die
Arbeitsplätze schaffen. Genau das wäre aber nötig, um
unser gemeinsames politisches Hauptziel, die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, zu erreichen.
Nur, welcher Preis - das ist das Entscheidende - wird
für diese Entlastung und das höhere Kindergeld gezahlt?
Wie soll der Steuerausfall kompensiert werden? Wie
sieht es mit der Gerechtigkeit aus, wenn man das in
Rechnung stellt?
Als erstes stößt man den Mittelstand durch praxisfernes Herumlaborieren an der Teilwertabschreibung und
am Verlustrücktrag vor den Kopf. Als man das merkt,
als das Kind aber schon in den Brunnen gefallen ist, das
heißt die Investitionsbereitschaft drastisch sinkt, läßt
man davon ab und geht gnadenlos an die Besteuerung
der Kapitaleinkünfte.
Zunächst geschieht das in vielen Bereichen wieder
einmal ganz unprofessionell - der Kollege Merz hat darauf schon mit Blick auf die Versicherungswirtschaft
hingewiesen. Dann geschieht das vor allem mit Blick
auf die Kleinen, die man unter der Überschrift „Die
Neue Mitte“ hat gewinnen wollen. Der Sparerfreibetrag bei Zinseinkünften von 6 000 DM bei Ledigen und
von 12 000 DM bei Verheirateten, der dem Fiskus aus
gutem Grund entzogen war, wird zu Beginn des nächsten Jahres halbiert. Damit geht es denjenigen an den
Kragen, die einen kleinen Kapitalstock, die ein kleines
Vermögen in der Größenordnung von 100 000 DM oder
200 000 DM gebildet haben.
Gleichzeitig sollen die Spekulationsfristen für Kursgewinne am Aktienmarkt von sechs Monaten auf zwölf
Monate verdoppelt werden, und Veräußerungsgewinne
aus Immobilien werden nicht mehr nach zwei, sondern
erst nach zehn Jahren steuerlich freigestellt.
Herr Rexrodt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin MatthäusMaier?
Bitte schön.
Herr Rexrodt, darf
ich Sie darauf aufmerksam machen, daß sowohl die von
Ihnen genannte Halbierung des Sparerfreibetrages als
auch die Verlängerung der Spekulationsfrist ausdrücklich zu den Vorschlägen Ihrer Koalition gehörten und
daß es eigentlich nicht ganz seriös ist, sich davon abzusetzen?
({0})
Frau Matthäus-Maier,
unsere Steuerreform, die Vorschläge enthielt, um eine
bestimmte Gegenfinanzierung herbeizuführen - Sie haben das vorhin angesprochen -, war auf eine Nettoentlastung von 30 Milliarden DM ausgerichtet. Vor diesem
Hintergrund konnte man das machen.
({0})
- Netto ist netto! Wir hatten eine Bruttoentlastung von 80
Milliarden DM und bestimmte Gegenfinanzierungsmaßnahmen, zu denen auch die von Ihnen genannten Dinge
gehörten, vorgesehen. Unser Konzept war aber verantwortbar, was Ihres eben nicht ist. Der Mittelstand, die
kleinen und mittleren Betriebe werden in besonderer Weise bestraft. Das gilt auch für die Veränderung der Spekulationsfristen, durch die der Aktienmarkt geschädigt wird.
Außerdem schädigt man den normalen Kleinunternehmer,
der Immobilien besitzt, in besonderer Weise.
({1})
Ich komme auf die Frage der 630-Mark-Jobs. Ich
will hier gar nicht mehr im Detail darüber sprechen, obwohl dieses Kapitel haushaltspolitisch äußerst sensibel
ist, nicht nur in bezug auf den veränderten Buchungsvorgang vom Fiskus an die Bundesanstalt für Arbeit.
Die jetzt vorgesehene Regelung wird am Ende zu noch
mehr Schwarzarbeit führen,
({2})
weil die Versteuerung der Nebenjobs viele Menschen
nun einmal da trifft, wo sie am empfindlichsten sind.
Eine Möglichkeit, um das abzuwenden, bestünde nur
darin, daß man die Unternehmen, die diese Arbeitsplätze
anbieten, zusätzlich mit 270 DM belastet. Das wäre Gift
für den Arbeitsmarkt,
({3})
unprofessionell und eine Politik, die diejenigen, die Arbeitsplätze schaffen wollen, vor den Kopf stößt.
Noch ein Wort zur Ökosteuer, die ja von Ihnen, Herr
Lafontaine und Frau Matthäus-Maier, groß herausgestellt
worden ist: Über eine Ökosteuer, die zu einer Veränderung des Umweltverhaltens durch eine neue Art von Besteuerung führt, kann man reden, nicht aber über das, was
Sie uns hier anbieten. Diese Ökosteuer ist keine Ökosteuer, sondern es handelt sich um eine Mogelpackung. Die
Ökosteuer, so wie Sie sie vorschlagen, wird nicht dazu
führen, daß irgendein Gramm CO2 eingespart wird, weil
der Fiskus die Erhöhung der Energiesteuern nur für seine
Überweisungen an die Rentenversicherung nutzt.
Meine Partei, die F.D.P., hat ein Konzept vorgelegt,
nach dem beispielsweise die Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer umgelegt
({4})
oder die Kilometerpauschale in eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale umgewandelt werden sollen.
({5})
Das sind Maßnahmen, bei denen ökologische Folgewirkungen zu erwarten sind. Das trifft aber nicht auf Ihre
Mogelpackung zu, weil Sie das Geld nur dafür verwenden wollen, die Rentenversicherung entlasten zu können.
Es sind wiederum die kleinen und mittleren Unternehmen, die Ihr Konzept netto belastet. Auch unter Berücksichtigung des geringeren Beitrags zu den Rentenversicherungen führt das, was die Mehrheit der kleinen
und mittleren Betriebe zu zahlen hat, dazu, daß Arbeitsplätze vernichtet werden. Es handelt sich um eine NettoMehrbelastung und keine Entlastung.
Meine Damen und Herren, niemand wird sich von
Ihrer Ankündigung beeindrucken lassen, diese Mehrbelastungen würden für die Investoren dann aus der
Welt geschafft sein, wenn es zu einem Zeitpunkt X zu
einer Unternehmensteuerreform mit einem einheitlichen
Steuersatz von, sagen wir einmal, 35 Prozent kommt.
Wer sich mit dieser Materie und auch mit der ordnungspolitischen Komponente in bezug auf die Haftung und
das Engagement des Unternehmers im Betrieb einmal
befaßt und wer sich etwas intensiver die prinzipiellen
steuerpolitischen Fußangeln anschaut, dem müssen
Zweifel kommen, daß es in absehbarer Zeit zu einem
Befreiungsschlag bei der Besteuerung kleiner und mittlerer Unternehmen kommt.
({6})
Dieser Befreiungsschlag ist für den wirtschaftlichen
Mittelstand dringend erforderlich.
({7})
Seit einem Jahrzehnt wird von Ihnen systematisch der
Eindruck erweckt, als würden die Gewinne in der Wirtschaft überborden und gleichzeitig die Realeinkommen
zurückgehen oder stagnieren. Richtig ist vielmehr, daß
Umsatz und Kapitalrenditen im internationalen Vergleich kaum irgendwo so niedrig sind wie in Deutschland. Es gibt zwar Unternehmen, die hohe Renditen erzielen, aber im Durchschnitt sind die Umsatz- und Kapitalrenditen in unserem Land am geringsten. Die Rendite ist aber für die Standortwahl und damit für die Arbeitsplätze entscheidend.
Es kommt deshalb darauf an, eine Steuerreform
durchzuführen, die eine Senkung der Steuersätze über
den gesamten Tarif vorsieht. Sie haben unsere Steuerreform abgelehnt. Nichts deutet darauf hin - auch nicht
Ihre vage Ankündigung einer Unternehmensteuerreform -,
daß an diesem für die Arbeitsplätze in unserem Land
ganz zentralen Punkt gearbeitet wird.
Es gibt noch ein weiteres Risiko im Haushalt 1999.
Sie sagen, nach einem Wachstum von 2,8 Prozent im
vorigen Jahr bei der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung werden wir im Jahre 1999 eine Wachstumsrate von
2 Prozent haben und gleichzeitig 150 000 bis 200 000
zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Sie werden dieses
Ziel nicht erreichen; denn abgesehen von der sehr viel
schwierigeren Situation im Export brechen Ihnen die
Bruttoinvestitionen trotz der wieder etwas besseren Situation am Bau weg. Warum brechen Ihnen die Bruttoinvestitionen weg? Dies ist das Ergebnis Ihrer dilettantischen und unsteten Politik.
({8})
Die Menschen werden vergrault und wissen nicht, wo
es langgeht. Unsicherheit verhindert Investitionen. Das
sind die Fakten.
Bitte erzählen Sie niemandem, es handele sich um
Anfangsschwierigkeiten. Herr Gottschalk kann vielleicht
von Anfangsschwierigkeiten sprechen, denn er - wie
andere auch - versteht etwas von Entertainment, aber
nichts von Politik. Sie widerlegen die These von den
Anfangsschwierigkeiten selbst, indem Sie jeden Tag
neues Chaos produzieren.
Eine bürokratische und über alle Maßen komplizierte
Regelung zu den Mindeststeuern haben Sie sozusagen
schon in der Pipeline. Dem mit Verve vorgetragenen
Grundgedanken, die Abschreibungskünstler zu treffen,
kann man ja nachgehen. Das Ziel wird man aber nicht
erreichen, Frau Matthäus-Maier, indem man, wie vorgeschlagen, ein Verrechnungsverbot bei den Einkunftsarten einführt. Damit werden die Mittelständler, also jene,
die Arbeitsplätze schaffen, bestraft. Sie schütten das
Kind mit dem Bade aus. Das sind die Fakten.
({9})
Ich sprach schon davon, daß Sie immer neues Chaos
produzieren. Eine neue Runde dieses Chaos hat Herr
Riester mit seinen Äußerungen zur Rentenformel eingeleitet. Die Reformansätze der alten Koalition zur Sanierung des Systems wurden erst einmal beiseite gelegt.
Nun hat man den Salat. Jetzt gibt es die Vorschläge aus
der Wundertüte von Herrn Riester. Um eine Senkung
des Rentenniveaus und/oder eine Verschiebung des
Renteneintrittsalters kommt in diesem Lande auf Grund
der demographischen Situation niemand herum, es sei
denn, die Renten steigen unterschiedlich - orientiert an
der absoluten Höhe; diese von Ihnen ins Gespräch gebrachte Vorstellung ist obskur und würde das Ende des
Systems bedeuten, an dem Sie selbst mitgewirkt haben.
({10})
Man muß Herrn Riester, der jetzt nicht anwesend ist,
sagen: Die Menschen wollen wissen, was Sache ist. Der
Arbeitsminister ist dafür verantwortlich, wenn Gerüchte
über einen Zusammenhang von Rentenanpassung und
Familienlastenausgleich ins Kraut schießen. Auch in
diesem Punkt wird die Regierung an ihrer Formel „Versprochen - gehalten“ gemessen werden. Die Rentner
sind gespannt, und ich bin es auch.
Ich möchte nun mit einigen wenigen Worten auf das
eingehen, was Sie in Ihrem Haushalt als Highlight bezeichnen. Es handelt sich im wesentlichen um die Ausgaben für den Bereich Forschung und Bildung und um
die angeblich so stark gestiegenen Ausgaben für den
Aufbau Ost.
In der Tat gibt es im Bildungshaushalt eine nominelle Steigerung von einer Milliarde DM. Gemessen an
dem Waigelschen Entwurf sind es rund 500 Millionen
DM. In Wirklichkeit sind es aber nur 460 Millionen
DM, weil ein Teil für die BAföG-Zahlungen verwendet
wird. Trotzdem muß man sagen, daß es eine erfreuliche
und gute Entwicklung ist.
Sie müssen sich aber vor dem Hintergrund dieser erfreulichen Entwicklung schon fragen lassen, wie Sie mit
dieser relativ bescheidenen Erhöhung Ihre vollmundige
Ankündigung wahr machen wollen, daß die Investitionen in Forschung und Bildung innerhalb von vier Jahren
verdoppelt werden. 6 Prozent Steigerung, aber Sie wollen in vier Jahren verdoppeln. Das können Sie niemandem weismachen.
({11})
- Das gehört dazu.
Das Kapitel, das ganz groß ins Feld geführt wurde
und mit dem man Punkte machen will, sind die angeblich so gestiegenen Ausgaben für den Aufbau Ost.
Wenn man da genau hinschaut, wird man feststellen,
daß sich im Grunde nichts, aber auch gar nichts geändert
hat. Da kann von Steigerung überhaupt keine Rede sein.
Weder von einer quantitativen noch von einer qualitativen Veränderung der Förderung der neuen Länder ist irgend etwas zu entdecken. Die Reform der Ostförderung
hat die alte Bundesregierung mit dem Übergang von den
Abschreibungsvergünstigungen zur Investitionszulage
gemacht.
({12})
- Mit Ihnen zusammen; wir haben es gemeinsam gemacht.
Was Sie heute machen, Frau Matthäus-Maier, ist
nichts anderes als eine, ich gebe zu: erfreuliche Erhöhung im Bereich Forschung und Entwicklung, vor allem
aber eine formalisierte Übernahme der Ausgaben für den
zweiten Arbeitsmarkt in den Haushalt. Auch wir haben
diese Ausgaben bezahlt. Wir haben sie zum Teil aus anderen Titeln bezahlt. Wir hatten im Haushalt 1999 Vorsorge getroffen, diese Programme weiterzuführen. Diese
Steigerung ist auf nichts anderes zurückzuführen als auf
eine formale Übernahme von Ausgaben, die ohnehin
vorgesehen waren, in den Haushalt.
Herr Schwanitz und Herr Kollege Lafontaine sollten
ganz ruhig sein, statt von einer Steigerung der Ausgaben
für den Aufbau Ost zu sprechen. Wenn man genau hinschaut, ist dort nichts passiert. Auch das ist eine Mogelpackung.
({13})
Damit schließt sich der Kreis. Sie erreichen auf
Grund der verschlechterten konjunkturellen Entwicklung, auf Grund der Tatsache, daß Sie einen unvollständigen wirtschaftspolitischen Ansatz in der Nachfragebetonung suchen, und auf Grund der Tatsache, daß Sie
in der Steuerpolitik die dringend notwendigen Korrekturen nicht herbeiführen, kein Wachstum. Sie werden,
gemessen an dem, was Sie sich selbst vorgenommen
haben, nämlich an der Senkung der Arbeitslosenzahl, Ihr
Waterloo erleben. Sie werden es erleben, weil Sie einen
falschen Ansatz haben, eine falsche Denkrichtung. Was
die Nachfragesteuerung angeht, ist das okay. Niemand
will bestreiten, daß wir einen richtigen Policy-mix zwischen Angebot und Nachfrage haben wollen.
Denken Sie an Ihre
Redezeit, bitte.
Sie ist nur um wenige
Sekunden überschritten; ich komme gleich zum Ende,
Frau Präsidentin.
Es ist fast eine Minute.
Aber es gibt in der europäischen und gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
Phasen, in denen der Aspekt, daß Unternehmen die
Märkte neu abstecken und wettbewerbsfähig sein müssen, daß sie die Kosten senken und die Angebotsbedingungen betonen müssen, ein größeres Gewicht hat als in
einer anderen Phase, in der man auch die Realeinkommen wieder mehr steigern kann. Wir sind in dieser Phase der weltwirtschaftlichen Neuorientierung. Deshalb
war und ist es richtig, Angebotspolitik zu machen. Sie
entlastet die Unternehmen.
Sie haben einen falschen Ansatz in Ihrer Politik. Sie
zeigen uns die gröbsten und größten handwerklichen
Fehler, die man sich vorstellen kann. Auf diese Weise
werden Sie das Vertrauen der Menschen nicht erhalten
können. Es wird in der politischen Landschaft Deutschlands eine Veränderung geben - schneller, als Sie es erwartet haben, und im übrigen schneller, als ich es erwartet habe.
Schönen Dank.
({0})
Das Wort hat der
Kollege Oswald Metzger, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
schon ein merkwürdiges Schauspiel, wenn zwei Vertreter der Opposition sich hier hinstellen und nach vier
Monaten neuer Bundesregierung den Stab über bestimmte Politikfelder brechen, in denen sie 16 Jahre
Verantwortung hatten:
({0})
zum einen der damalige Wirtschaftsminister - in seiner
Zeit sind die Abgaben entgegen der Philosophie der
F.D.P. um mindestens 10 Prozent gestiegen und damit
systematisch Arbeitsplätze vernichtet worden - und zum
anderen der Kollege Merz, heute im CDU/CSUFraktionsvorstand finanzpolitischer Sprecher, der sich
allen Ernstes hier hinstellt und den Eindruck erweckt,
Steuerpolitik hätte mit der alten Koalition begonnen.
Richtig ist: Die alte Koalition hat ihre Regierungsarbeit 1982 aufgenommen und über 14 Jahre hinweg eine
falsche Steuerstruktur hingenommen. Sie hat dann zwei
Jahre lang für eine Steuerreform gekämpft, die sich
heute zunehmend zu einem Alibi ihrer Oppositionszeit
entwickelt, indem Sie allen Ernstes den Eindruck erwecken wollen, eine Nettoentlastung in Höhe von
56 Milliarden DM wäre finanzierbar gewesen. Gleichzeitig stellt sich der Kollege Merz hin und betont Haushaltsrisiken bei der Gegenfinanzierung. Das paßt nicht
zusammen. Mehr intellektuelle Redlichkeit, Kollege
Merz, erwarten wir auch von Ihnen.
({1})
Wenn wir über Finanzpolitik, über den Haushalt 1999
und über strukturelle Voraussetzungen der öffentlichen
Finanzwirtschaft reden, dann sollten wir eine gründliche
Analyse der Situation vornehmen. Es ist in der Tat so,
und es ist erschreckend - das müßte von der PDS bis zur
F.D.P. jedem Parlamentarier die Dramatik der Situation
deutlich machen -, daß wir in dem Haushalt, den wir
heute einbringen und in der ersten Lesung diskutieren,
18 Prozent aller Ausgaben für Zinsen aufwenden und 26
Prozent aller Ausgaben als Zuschüsse an die Rentenversicherungen und für Beamtenpensionen aufbringen. Diese Position ist allein in den letzten vier Jahren Ihrer Regierung um 13 Prozentpunkte explodiert, das sind über
60 Milliarden DM. Das ist ein Jahreswert.
({2})
Dies ist das Ergebnis der Politik der alten Koalition.
Wir müssen diese Erblast schultern, und zwar gemeinsam; denn Sie tragen in einigen Bundesländern die Regierungsverantwortung, und wir haben die bundespolitische Verantwortung. Das gehört aber zu einer schonungslosen und selbstkritischen Eröffnungsbilanz. Den
Schuh haben wir uns alle anzuziehen, weil über Jahrzehnte hinweg in Gesellschaft und Politik so gehandelt
wurde, als ob die öffentlichen Ressourcen beliebig zu
vermehren wären.
({3})
- Ich weiche nicht aus.
Meine Fraktion ist vor 20 Jahren mit einem Grundansatz, der bis heute unsere Programmatik substantiell
prägt, in die politische Arena dieser Republik getreten:
Nachhaltigkeit in der Ökologie. Wir haben unsere Erde
von unseren Enkeln geborgt, haben wir im Hinblick auf
den Ressourcenverbrauch und die natürlichen Lebensgrundlagen betont. Genau diesen ökologischen Grundsatz der Nachhaltigkeit haben die Fiskal-, die Steuerund die Sozialpolitik der alten Koalition trotz aller
Rhetorik in keiner Weise eingelöst.
Lesen Sie nach, was der Sachverständigenrat der
Bundesregierung im vorletzten Jahr ins Stammbuch
geschrieben hat. Er hat das strukturelle Defizit schonungslos aufgedeckt. Er hat Finanzminister Waigel,
nicht dem Kollegen Lafontaine, vorgeworfen, Einmalerlöse einzusetzen, um strukturelle Defizite auszugleichen und Tilgungsaussetzungen vorzunehmen.
Heute, Kollege Merz, stellen Sie sich hin und behaupten, wir hätten mit der Integration des Erblastentilgungsfonds in den Bundeshaushalt des Jahres 1999
gespart. Das ist nicht der Fall. Lesen Sie nach, was die
Bundesbank im Monatsbericht von Februar dazu
schreibt. Theo Waigel hatte für 1999 eine Absenkung
der Annuität an den Erblastentilgungsfonds um 9,5 Milliarden DM auf 16,8 Milliarden DM vorgesehen. Dieser
Betrag hätte nicht einmal ausgereicht, um die Zinsen zu
bedienen. Durch die Integration des Erblastentilgungsfonds in den Bundeshaushalt trägt der Bund 1999 die
Zinslasten von rund 18 Milliarden DM.
Wo ist hier bitte die Einsparung? Wir können mit
Falschinformationen keine Politik machen. Das ist nicht
redlich.
({4})
Sie wissen nur zu gut, daß ich nicht derjenige bin, der
Ihnen im Zweifelsfall nicht recht gibt, wenn Sie den
Finger zu Recht in die Wunde legen. Aber bei der Integration der Schattenhaushalte in den Bundeshaushalt
haben wir bei Gott für Haushaltswahrheit und -klarheit
mehr getan als Sie in den letzten neun Jahren seit der
Wiedervereinigung.
({5})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kalb? Bitte sehr.
Herr Kollege
Metzger, würden Sie mir widersprechen,
({0})
daß Sie im Einzelplan 60 auf Seite 17 in Titel 254 01
Einnahmen aus Abführungen des Erblastentilgungsfonds, veranschlagt in Höhe von 1,717 Milliarden DM,
eingeplant haben?
Das ist in der Tat richtig. Aber die Differenz zwischen
den diesbezüglichen Zinszahlungen und dem, was im
alten Haushaltsentwurf stand, decken wir im Bundeshaushalt ab.
({0})
Wenn Sie eine Saldorechnung durchführen, merken Sie,
daß der Haushalt 1999 nicht mit einer einzigen Million
DM entlastet wird. Wir haben im Saldo - Sie können
selber rechnen: 16,8 bis 18,1 Milliarden DM - für das
Jahr 1999 keine Entlastung.
({1})
- Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich habe dies gerade
eben zitiert. Aber Kollege Kalb will das nicht zur
Kenntnis nehmen; denn Leute, die ideologisch verblendet sind, nehmen Fakten bekanntlich nie zur Kenntnis.
({2})
Unsere erste Aktion ist also eine Integration des Erblastentilgungsfonds und damit die Verwirklichung der
Grundsätze der Haushaltsklarheit und der Haushaltswahrheit. Dies ist keine Sparbüchse für diese Koalition.
Auch ist das Argument des Ausgabenwachstums, das
von der Oppositionsseite immer vorgebracht wird, meines Erachtens nicht nachvollziehbar. Wir bleiben im
Rahmen der Vorgaben des Finanzplanungsrats.
Angesichts der Erblast, die in das strukturelle Defizit
des Bundeshaushalts mündet, müssen wir natürlich auch
andere Gesichtspunkte betrachten, die der Bundesfinanzminister hier beleuchtet hat. Es ist in der Tat so,
daß es in der Vergangenheit ein Nachfrageproblem gab,
weil die Reallöhne in den letzten Jahren - mit einer
Ausnahme, nämlich 1996 - gesunken sind.
Herr Finanzminister, allerdings sollten wir die Verantwortung richtig delegieren: Die Reallöhne sanken
nicht deshalb, weil die Tarifpartner keine Bruttolohnsteigerungen durchgesetzt haben, sondern vor allem
deshalb, weil die Inflationsrate plus die steigende Abgabenlast - höhere Rentenversicherungsbeiträge, höhere
Arbeitslosenversicherungsbeiträge und höhere Krankenversicherungsbeiträge - unter der alten Regierung das
verfügbare Nettoeinkommen geschmälert haben. Dies
sollte man bei der Ursachenforschung beachten, wenn
wir als Regierung die Abgaben wirklich senken wollen.
Wir sollten jedoch keine Wolkenkuckucksheime aufbauen, indem wir sagen: „Das finanzieren wir aus der
Portokasse.“ Wir brauchen vielmehr Einnahmen aus
Verbrauchsteuern dafür, um beispielsweise eine Senkung der Rentenversicherungsbeiträge hinzubekommen.
({3})
Aber wir brauchen auch - das ist der entscheidende
Punkt - als Bringschuld eine Rentenreform.
({4})
Ich hätte mir in den letzten Tagen durchaus gewünscht,
daß mehr politisch Verantwortliche aus der Regierungskoalition nicht sofort in Richtung Riester argumentiert
hätten: „Das mit der Nettolohnbezogenheit hast du wohl
nicht so ernst gemeint“,
({5})
sondern ganz klar und deutlich formuliert hätten: Generationengerechtigkeit im Rentenbereich heißt, daß der
demographische Faktor, den Sie zum 1. Juli dieses Jahres einführen wollten und der derzeit nicht beerdigt,
sondern ausgesetzt ist - wenn von seiten des Gesetzgebers nichts passiert, gilt ab übernächstem Jahr der demographische Faktor wieder -, Grundpfeiler einer Rentenreform auch der rotgrünen Regierungskoalition sein
muß. Wenn man im Interesse der nachwachsenden Generation von Generationengerechtigkeit spricht, dann
fällt der Vorwurf, die Ökosteuer sei eine reine Umfinanzierungsmaßnahme und die Ausgabendynamik in der
Rentenversicherung werde uneingeschränkt belassen, in
sich zusammen. - Da solltet ihr jetzt klatschen; das ist
eine Position der Grünen.
({6})
Wenn wir angesichts der Analyse einer übergroßen
Verschuldung, hoher Zinsbelastungen und eines Ausgabenblocks für die Altersversorgung, der die öffentlichen
Haushalte strangulieren wird, an eine konzeptionelle
Antwort herangehen, dann müssen wir auch klar feststellen: Jede Regierung, auch Rotgrün, braucht ein ordnungspolitisches Fundament. Wir leben in einer Gesellschaft, die sich in bezug auf die Orientierung in der
Wirtschaftspolitik viele Jahrzehnte über soziale Marktwirtschaft definiert hat.
Unser neuer Wirtschaftsminister, Kollege Müller jetzt sollte es Ihnen in den Ohren klingeln; Herr Kollege
Rexrodt ist nicht mehr im Raum, allerdings der Wirtschaftsminister auch nicht -, hat in den letzten vier Monaten mit seinen Aussagen zum Thema Staatsquote und
zu dem Thema Zusammenhang zwischen einer Rückführung von Ansprüchen an das Gemeinwesen und der
langfristig tragfähigen Basis für die Sozialpolitik und die
Finanzpolitik dieses Staates öffentlichkeitswirksam
mehr Sinnvolles gesagt als der alte Wirtschaftsminister
in den letzten vier Jahren, obwohl ihm die Grundsatzabteilung inzwischen in das Finanzministerium weggerutscht ist.
({7})
Daran sieht man also, daß die Vernunft im Wirtschaftsministerium nicht von Grundsatzabteilungen abhängt,
sondern von einer richtigen Positionsbestimmung. Ich
kann nur sagen: Ich bin froh, daß Kollege Müller Wirtschaftsminister dieser Regierung ist.
({8})
Wenn ich von einer ordnungspolitischen Fundamentierung spreche, bedeutet dies, daß wir in der Steuer-, in
der Fiskal-, aber auch in der Sozialpolitik Reformen
brauchen.
Ich komme zunächst zu dem Bereich, der in der tagespolitischen Diskussion eine Riesenrolle spielt, weil
wir derzeit mit dem Einkommensteuerrecht zugange
sind und weil die alte Koalition als heutige Opposition
noch immer den Eindruck erweckt, als wäre ihr Steuerrecht im Bundesrat mehrheitsfähig gewesen, selbst heute. Ich behaupte, daß es nie und nimmer mehrheitsfähig
gewesen wäre,
({9})
weil ein Nettoentlastungsversprechen dieses Ausmaßes
mit den eben von mir beklagten und auch von Ihren
Rednerinnen und Rednern immer wieder betonten
strukturellen Defiziten im öffentlichen Haushalt nicht
kompatibel ist.
({10})
Ein kleiner Nachsatz: Der Regierungswechsel war
dem Überdruß am alten Kanzler und an der sozialen
Kälte, die die alte Koalition ausgestrahlt hat, geschuldet,
schreibt das Allensbacher Institut in der Wahlanalyse
vom September. Das ist ein Alarmzeichen. Die alte Koalition hatte den Ruf, sie kümmere sich überhaupt nicht
um das, was im Volk passiert. Kleine Leute sind ihr
egal, ob im Steuerrecht oder sonstwo.
Wenn wir im Bereich der Steuerpolitik eine andere
Politik verfolgen wollen, müssen zwei Hauptgesichtspunkte als Bewertungsmaßstab herangezogen werden.
Der erste Gesichtspunkt ist die soziale Gerechtigkeit.
Wenn wir also in der steuerpolitischen Debatte die Steuergerechtigkeitskarte ziehen, dann bedeutet das, daß wir
ein Steuerrecht ändern müssen, das durch Steuergestaltungsmöglichkeiten Gutsituierten Privilegien einräumt,
während daraus bei den kleinen Leuten durch den
Abzug vom Lohn eine leistungsfeindliche Besteuerung
resultiert, vor allem in Verbindung mit der hohen Abgabenquote. Das ist ein ganz wichtiger Grundsatz, den
auch ich als Grüner betone; die Sozialdemokratie als
große Koalitionspartei betont diesen Aspekt zu Recht.
Der zweite Gesichtspunkt, der bei den Steuerrechtsänderungen zu beachten ist, ist: Wie gestalte ich das
Steuerrecht so, daß ein ökonomischer Schub in Richtung
Stärkung der Investitionskräfte in unserer Volkswirtschaft erfolgt? Angesichts der Ausgangssituation in
Deutschland haben wir nicht nur ein Problem mit der
Steuergerechtigkeit, sondern auch mit einem Steuerrecht, das, gemessen an der Fortentwicklung des Steuerrechts in unseren wichtigsten Konkurrenzvolkswirtschaften, nach wie vor hinterherhinkt, und zwar gewaltig. Das ist für unsere Gesellschaft ein Riesenproblem;
denn es führt vor allem in der Wirtschaft zu einer Zweiteilung in der Steuerfinanzierung unseres Gemeinwesens: Der Mittelstand, der in Deutschland seinen Standort hat, kann sich dem Zugriff des Fiskus durch Steuergestaltungsmöglichkeiten weniger entziehen als die
Großbetriebe, die ihre Standorte in das Ausland verlagern, wo die Grenzsteuersätze niedriger sind, und so einen deutlich geringeren Anteil zur Finanzierung unseres
Gemeinwesen leisten.
Der Mittelstand ist von der alten Koalition über
16 Jahre hinweg zum Zahlmeister dieses Steuer- und
Abgabensystems gemacht worden. Insofern sitzen Sie
im Glashaus und sollten nach vier Monaten nicht den
Stab über eine Regierung brechen,
({11})
die jetzt eine Reformkommission initiiert hat, überwiegend von Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaft
und der Wissenschaft besetzt, unter einem Vorsitzenden,
den ich für außerordentlich klug halte - das ist der Steuerexperte vom Deutschen Industrie- und Handelstag, Herr
Kühn -, und die über einem Konzeptansatz zur Unternehmenssteuerreform mit einem Grenzsteuersatz von
35 Prozent sitzt und dies auch sauber gegenfinanziert.
Wir versprechen den Leuten nicht Wurst und Wecken.
Wir sagen klar: amerikanisches Steuerbilanzrecht, dafür
niedrige Tarife. Damit fällt das alte Argument, wir hätten ein wettbewerbswidriges Steuerrecht in Deutschland,
in sich zusammen. Das ist vernünftige Steuerpolitik, und
daran werden wir arbeiten.
({12})
Wenn wir in der Steuerpolitik ordnungspolitische
Grundsätze und die internationale Wettbewerbsfähigkeit
ernst nehmen, dann gehört auch der Bereich der Fiskalpolitik untersucht. Ich finde es gut, daß Sie, Herr Finanzminister, heute deutlich gesagt haben: Dieser Haushalt 1999 weist noch keine zureichenden Konsolidierungsschritte auf; es ist ein Übergangshaushalt. Ich und
meine Fraktion halten es für wichtig, das hier zu betonen, weil wir auf Grund der objektiven Ausgangsvoraussetzungen dieses Bundeshaushalts eine Bringschuld
in Richtung auf Konsolidierung haben. Konsolidieren
heißt auf gut schwäbisch „sparen, sparen, sparen“ oder
heißt: zu allen weitergehenden Forderungen an den Staat
vor allem nein zu sagen. In Zeiten, in denen die öffentlichen Gelder so knapp sind wie jetzt, gehört es, - von
den Gemeinden angefangen über die Länder bis zum
Bund - zur Tugend von Politikern, die das Prinzip der
Generationengerechtigkeit ernst nehmen, die nicht nur in
Wahlzyklen denken und ihre Verantwortung für das
volkswirtschaftliche Gesamtwohl ernstnehmen, zu sagen: Weniger ist mehr. Ohne nein zu sagen, wird man
nicht sparen können.
({13})
Dieser Finanzminister wird meines Erachtens zu oft
gescholten,
({14})
weil er in der Sache bei seiner Positionsbestimmung
zum Thema Konsolidierung und Sparen vieles sagt, was
Ihnen deswegen merkwürdig aufstößt, weil es nicht in
das populäre Bild paßt, wonach wir es bei ihm nur mit
einem Nachfragepolitiker zu tun haben, der die Angebotsbedingungen nicht sieht. Wiederholt hat Lafontaine,
auch heute - das kann man nachlesen -, von einem „policy-mix“ gesprochen, davon, daß man Angebotsbedingungen und Nachfragebedingungen verbessern müsse;
daraus wird ein Schuh. Wenn Sie das Stabilitätsprogramm durchlesen, das er im Januar an die EUKommission geschickt hat, dann werden Sie feststellen,
daß es ein absolut ehrgeiziges Ziel für diese Legislaturperiode enthält, nämlich die Senkung der Defizitquote in
Abgrenzung zum betreffenden Maastricht-Kriterium auf
1 Prozent, gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Das
heißt, bei einem hochgerechneten Bruttoinlandsprodukt,
das dann im Jahre 2002 bei 4,5 Billionen DM liegen
dürfte, hätten wir - bei 1 Prozent - 45 Milliarden DM
Defizit, das nach der heutigen Verteilung zwischen
Bund, Ländern und Gemeinden für den Bund bei etwa
zwei Drittel, also bei zirka 30 Milliarden DM, liegen
dürfte. Eine solche Neuverschuldung für den Bund ist
ein absolut ehrgeiziges Ziel. Aber alle wissen - das
müssen wir auch der Öffentlichkeit sagen, weil wir eine
breite öffentliche Debatte über die Begrenztheit der öffentlichen Ressourcen brauchen -: Wir brauchen - wenn
man in größeren Zeiträumen als drei oder vier Jahren,
etwa in der Größenordnung eines Jahrzehnts denkt auch in Deutschland ausgeglichene Haushalte. Das ist
ein Gebot der Vernunft.
({15})
Wenn wir mit den öffentlichen Mitteln nicht schonender umgehen, werden wir dieses Gemeinwesen langfristig nicht finanzierbar halten können.
({16})
Ich bin niemand, der mit der Axt soziale Kahlschläge
durchführen will. Vielmehr müssen wir im Konsens mit
der Bevölkerung das Wort „sparen“ positiv besetzen, indem wir sagen: Wenn wir heute zu Lasten der kommenden Generation leben, sind die Gestaltungsspielräume
dieser Generation so sehr eingeschränkt, daß ihr außer
einem Kahlschlag gar nichts anderes mehr übrigbleibt;
({17})
wenn wir jetzt keine strukturellen Reformen machen,
wird später ein Kahlschlag provoziert.
({18})
- Kollege Hoyer, ich freue mich auf eine Diskussion der
Einzelpläne, die am Ziel der Konsolidierung orientiert
ist. Darauf können Sie sich verlassen.
Übrigens haben sich die Haushälter dieser Koalitionsfraktionen angesichts der Ausgangssituation des Jahres
1999 - es handelt sich um einen Übergangshaushalt und im Bewußtsein der Tatsache, daß das Jahr 2000
höllisch schwierig wird und daß wir im Sommer eine
mittelfristige Finanzplanung vorzulegen haben, zur Aufgabe gemacht, in den Berichterstattergesprächen zusätzlich ein halbes Prozent aus den Einzelplänen heraus zu
kürzen - und zwar bewußt im konsumtiven, nicht im investiven Bereich, weil wir die Spielräume für den Haushalt ausweiten wollen. Das ist eine Absichtserklärung
der Koalitionshaushälter, die sich dem Respekt vor der
Tatsache verdankt, daß das Parlament der Budgetgeber
ist. Jetzt liegt uns ein Regierungsentwurf vor, und im
Parlament können eine weitere Reduzierung, auch eine
Absenkung der Nettoneuverschuldung durchaus durchgesetzt werden. Dieses Konsolidierungssignal der Regierungsfraktionen können wir setzen, damit der Finanzminister auch merkt: Ich kann mich auf meine
Haushaltspolitikerinnen und -politiker verlassen; sie
fallen mir nicht in den Rücken, weil sie eine Lobbypolitik für einzelne Ressorts machen. - Wie das nämlich
funktioniert, haben wir in den vergangenen Jahren bei
der alten Koalition erlebt. Wir konnten erleben, wie die
Haushaltspolitiker regelmäßig zurückgepfiffen wurden,
wenn sie versuchen wollten, etwas einzusparen. Wir
wollen uns zumindest ernsthaft vornehmen, unser Vorhaben durchzusetzen. Von der Sache her können wir uns
der Unterstützung des Finanzministers in diesem Punkt
sicher sein.
({19})
- Zumindest in den Einzelplänen, zu denen bereits jetzt
Berichterstattergespräche gelaufen sind, haben wir diesen Konsolidierungsbeitrag erbracht. So lauten zumindest die Informationen von den Kollegen, mit denen ich
geredet habe.
Aber um nicht die Linie zu verlieren und als Haushälter nicht in die Rolle eines Erbsenzählers zu kommen: Wir haben eine Bringschuld. Ich habe mich festgelegt, Kollege Wagner auch. In zwei oder drei Monaten, bei der Abschlußberatung hier, können Sie ja Bilanz
ziehen und sehen, ob wir den Mund zu voll genommen
haben oder nicht. Ich glaube, wir werden es schaffen.
Aber ich war beim ordnungspolitischen Fundament
der Steuerpolitik für die Fiskalpolitik - wir brauchen eine Reform der sozialen Sicherungssysteme. Stichwort
Rente: Wir werden in der Diskussion mit den Großeltern
derjenigen in dieser Gesellschaft, die in den Beruf eintreten und unter der Last der Abgaben für die Rente leiden, die netto in Relation zu ihrem Einkommen seit
vielen Jahren immer weniger in der Tasche haben, deutlich machen müssen - und das wissen eigentlich alle -:
Diese Form von Rentenfinanzierung, der Nettolohnbezug der gesetzlichen Rente, ist langfristig nicht aufrechtzuerhalten.
({20})
Aber in der Diskussion um die Systemumstellung gibt es
unterschiedliche Ansätze. Es gibt auch in dieser Koalition unterschiedliche Auffassungen. Diese gab es aber in
der alten Koalition auch: Zwischen den CDUSozialausschüssen und der F.D.P. liegen in dieser Frage
Welten.
Auch bei dieser Reformdebatte möchte ich ordnungspolitisch wieder das Steuerrecht bemühen. Wir erwarten
für dieses Jahr noch eine Verfassungsgerichtsentscheidung zur Steuerfreistellung der Altersvorsorgeleistungen
im Hinblick auf die Gleichbehandlung von Pensionen
und Renten. Auch diese Entscheidung wird Geld kosten.
Aber sie wird hoffentlich zu einer Schlußfolgerung in
der Koalition führen, die da lautet: Wenn wir als Meßlatte für die Steigerungsraten bei der gesetzlichen Rente
die steigende Lebenserwartung der Bevölkerung anlegen, dann müssen wir im Steuerrecht Anreizsysteme
schaffen, damit auch der Durchschnittsverdiener netto
mehr in der Tasche hat, um damit private Vorsorge für
das Alter betreiben zu können - und zwar steuerfrei.
Viele Menschen machen das heute aus versteuertem
Einkommen; denn die Vorsorgepauschale im Lohn- und
Einkommensteuerrecht wird durch die Sozialversicherungsbeiträge über die Maßen aufgefressen. Wir müssen
also eine Doppelstrategie fahren: in der Rente eine demographische Komponente und gleichzeitig Anreizsysteme für private Vorsorge.
Der Nebeneffekt einer solchen Konzeption im Steuerrecht wird sein, daß wir in dieser Volkswirtschaft
Wachstumsgewinne provozieren. Alle reden doch immer davon, daß in England und Amerika im Gegensatz
zu Deutschland eine Aktienkultur herrscht. Die Eigenkapitalausstattung unserer Volkswirtschaft ist vergleichsweise gering, weil es in diesem Land keine Aktienkultur gibt, weil breite Kreise der Bevölkerung in den
letzten Jahren die Aktie überhaupt erst entdeckt haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich führe diesen Gedanken gerade noch zu Ende, dann
gerne.
Wenn wir diese Komplexe verzahnen, haben wir die
Angebotsbedingungen verbessert und die Alterseinkommen einer älter werdenden Gesellschaft langfristig
gesichert. Auch wenn die Menschen älter werden, müssen sie im Alter ein verkonsumierbares Einkommen haben. Wir müssen heute die Weichen stellen, damit diese
Gesellschaft, deren Alterspyramide zunehmend ungünstiger wird, auch in 30 und 40 Jahren ein Einkommen
hat, aus dem sich wirtschaftliche Leistung und damit
Arbeit für junge Menschen generieren läßt.
({0})
Diese Generationenverantwortung müssen wir im Interesse der Nachhaltigkeit unserer Gesellschaft jetzt thematisieren. Alle vorschnellen tagespolitischen Entscheidungen, die diesen Grundzusammenhang nicht aufgreifen und der Schimäre Vorschub leisten, daß das alte System aufrechterhalten werden kann, daß wir nur ein Einnahme-, kein Ausgabeproblem haben, gehören angesichts der realen Probleme in den Orkus der Geschichte.
({1})
Herr Kollege, Sie
gestatten eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte? Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Kollege
Metzger, ich begrüße sehr, daß Sie auf die Notwendigkeit einer vernünftigen und klug angelegten Rentenreformpolitik hingewiesen und den demographischen
Faktor als ein unverzichtbares Element für Lösungen
angesprochen haben. Wir haben eine sehr sanfte und von
Ihnen auch für richtig erachtete Kurskorrektur des demographischen Faktors in der Rentenfinanzierung vorgenommen. Leider hat Ihre Koalition diesen Ansatz zurückgenommen und damit drei wichtige Jahre für den
sanften Umbau, den akzeptablen Umbau für unsere
Rentner verloren. Wie wollen Sie diese drei Jahre aufholen? Werden Sie wieder eine demographische Formel
einführen?
Kollege Schauerte, in der Tat ist es richtig: Die neue
Koalition hat etwas ausgesetzt, was die Renten ab
1. Juli dieses Jahres nur um etwa 0,3 Prozent weniger
hätte steigen lassen als die Bruttolohnsteigerung des
Vorjahres. Sie wissen, daß wir als Regierungsfraktion
den demographischen Faktor in unserem Wahlprogramm vorgesehen hatten; das zum Thema „versprochen
und gehalten“. Die Aussetzung bietet der neuen Regierung und auch dem neuen Sozialminister - daß er nachdenkt, das merken Sie an seinen Äußerungen; er denkt
in einer Richtung nach, die ich für begrüßenswert halte die Chance, diese Debatte im Einklang mit dem Koalitionspartner so zu führen, daß eine Begrenzung des
Wachstums der Ausgaben möglich wird. Daraus mache
ich hier keinen Hehl: Es gibt eine Gesamtverantwortung.
Fakten kann man nicht wegdiskutieren. Versicherungsmathematik ist kein Geheimnis. Man braucht nur zwei
und zwei zusammenzuzählen. Aber man muß es auch
politisch fundieren.
Die Rentenreform der alten Koalition hat nämlich
gleichzeitig die Berufs- und die Erwerbsunfähigkeitsrenten bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, was eine
soziale Schieflage bewirkt hat und was wir daher zu
Recht abgelehnt haben. Trotzdem war der demographische Faktor richtig. Sie haben den übrigens auch erst
nach 16 Jahren Regierung eingeführt. Blüm war
schließlich der Rentenminister, der über lange Zeit hinweg betont hat: Die Renten sind sicher. - Daß sie es
nicht waren und sind, merkt die heutige Generation.
({0})
Schauen Sie sich die Absetzbewegungen der jungen
Menschen von der gesetzlichen Rentenversicherung
doch an. Das ist ein Alarmzeichen.
Kollege Schauerte, man sollte das Richtige tun, wenn
man an der Regierung ist, und zwar rechtzeitig. Wir sind
erst vier Monate an der Regierung. Wenn wir die Bringschuld in zwei Jahren noch immer nicht erfüllt haben,
dann lasse ich Ihren Vorwurf uneingeschränkt gelten.
({1})
Wir haben auch in der Krankenversicherung Reformen vorzunehmen. Zum Stichwort „Generationenverantwortung“ berühre ich in der heutigen Debatte ganz
bewußt auch solche Themen, bei denen Selbstlügen unserer Generation über lange Zeit hinweg aufrechterhalten wurden. Auch in der Krankenversicherung gibt es
keine beliebige Geldvermehrung. Selbst wenn die Krankenkassen durch den abzuführenden Sozialversicherungsbeitrag bei den 630-Mark-Jobs mehr Geld bekommen, werden sie unter dem Konsolidierungsdruck leiden.
Meine Kollegin Andrea Fischer als Gesundheitsministerin arbeitet an einem Konzept - auch der Kollege
Dreßler und andere Gesundheitspolitiker der SPD arbeiten daran -, das auf der Seite der Nachfrager nicht
den Eindruck erweckt, man verteile nur Budgets zwischen Zahnärzten, Hausärzten, Krankenkassen, ambulanter und stationärer Versorgung. Man muß auch bei
den Leistungsnachfragern, das heißt den Versicherten,
ansetzen. Eigenverantwortung in einer Gesellschaft ist
nichts Schlechtes.
({2})
Ich habe den Eindruck, wir müssen diesen Gesichtspunkt sozialpolitisch neu diskutieren. Eine Gesellschaft
kann auch Ansprüche an ihre Bürgerinnen und Bürger
stellen. Die Haltung, das sei nur eine Einbahnstraße, ist
nicht richtig.
({3})
- Der Zwischenruf kommt zu früh. Haben Sie gehört,
was der Finanzminister heute früh zu dem Thema „Angebot von Arbeitsplätzen im Bereich des Jugendarbeitslosigkeitsprogramms“ gesagt hat, was Herr Zwickel
von der IG Metall gesagt hat? Leute, die vermeintlich in
Schützengräben sitzen, denken über den Tellerrand hinaus oder fangen zumindest damit an. Der Finanzminister
hat gesagt: Wenn der Staat Qualifizierungsmaßnahmen
und/oder Arbeitsplätze anbietet, kann er dem einzelnen
Betroffenen auch sagen: Falls du diese Tätigkeit nicht
annimmst, wird die Leistung gekürzt. - Das ist geltendes
Gesetz: § 25 Bundessozialhilfegesetz.
({4})
Der Staat kann von seinen Bürgerinnen und Bürgern
unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten etwas verlangen.
Sozialstaat heißt nicht, Sozialpolitik so zu betreiben, daß
Mitnahmeeffekte augenzwinkernd zugelassen werden.
({5})
Vielmehr muß der Staat mit seiner Sozialpolitik Anreize
bieten. Zum einen dürfen Leute, die unverschuldet in
Not geraten, nicht in der Gosse landen. Zum anderen
muß ein Anreiz geschaffen werden, beispielsweise durch
höhere Hinzuverdienstmöglichkeiten, die nicht sofort
mit der Sozialhilfe verrechnet werden, einer Tätigkeit
nachzugehen. Es muß aber auch das Mittel der sanften
Peitsche geben, nämlich mögliche Leistungskürzungen.
Diese Debatte - davon bin ich überzeugt - kann man
sowohl in der gesellschaftspolitischen Linken dieser Republik als auch im konservativen Lager führen. Die meisten Leute haben ein Sensorium dafür entwickelt, daß es
mit einer uneingeschränkten Anspruchshaltung gegenüber dem Staat nicht weiter funktioniert. Sozialstaat der
Zukunft, sozialer Konsens in einer Gesellschaft, ökologische Rücksichtnahme und Nachhaltigkeit verlangen
der Politik eine Verantwortungsethik ab, die sich nicht
mit Beliebigkeitsfloskeln wie „Alles weiter wie bisher“
begnügen kann.
({6})
Diese Diskussion, meine Damen und Herren, liebe
Kolleginnen und Kollegen, müssen wir auch in die Gesellschaft hineintragen. Schauen Sie sich einmal an - ich
sehe bewußt auf die sozialdemokratischen Bänke -, wie
in den Gewerkschaften in den letzten zehn Jahren die
Debatte zum Thema „Sozialstaat“ läuft! Ich weiß es, ich
habe einen Freund, der IG-Metall-Sekretär in Ulm ist. In
seinem Geschäftsbereich haben sich in den letzten Jahren 30 Prozent und mehr der Mitgliedsfirmen aus dem
Tarifverband ausgeklinkt. Betriebsräte, die der IG Metall angehören, haben zum Zwecke der Arbeitsplatzsicherung teilweise über zwei oder drei Jahre Abschläge
beim Weihnachtsgeld, beim Urlaubsgeld hingenommen,
haben lange, bevor Öffnungsklauseln in den Flächentarifverträgen enthalten waren, Flexibilisierungen beschlossen. Die haben eine gesellschaftliche Entwicklung
antizipiert und dazu beigetragen, daß in den Gewerkschaften insgesamt diese Debatte geführt wird. Im Arbeitgeberlager ist es das gleiche. Sehen Sie sich doch
einmal an, wie viele Arbeitgeberfunktionäre tatsächlich
das aussprechen, was ihre Mitgliedsfirmen denken! Es
sind extrem wenige. Wenn wir als Politiker in den
Schützengräben bleiben, einander nicht zuhören, sofort
mit einem pawlowschen Reflex ablehnend auf etwas
reagieren, was von der falschen Seite kommt, dann werden wir die Probleme dieser Gesellschaft nicht lösen
können.
({7})
Wir werden viel Hirnschmalz und auch Überzeugungsarbeit darauf verwenden müssen, diese Vorsätze
umzusetzen. Aber halten Sie diese Regierung nicht für
beratungsresistent. Wenn Ihnen vor zwei Monaten jemand gesagt hätte, daß die Mittelstandskomponenten im
Steuerentlastungsgesetz in der Richtung verändert würden, wie es jetzt gemacht wurde, so hätte das niemand
geglaubt. Es sind bei Gott nicht nur Verschlechterungen,
nach meiner Auffassung gibt es auch Verbesserungen.
({8})
Ich weiß in den Bereichen Teilwertabschreibungen und
Verlustrücktrag, von was ich rede. Auch im Bereich der
Betriebsübergaben hat es im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eindeutig Verbesserungen gegeben.
({9})
Wenn Sie dies als Maßstab für Lernfähigkeit der Regierung nehmen, für Nicht-im-Glashaus-Sitzen, für Zuhörenkönnen, für eine andere Kultur des gesellschaftspolitischen Dialogs, dann ist mir nicht bange, daß die
Regierung auch Wahlen gewinnen wird und Ihre Hoffnung - der Vorredner, Herr Rexrodt, hat es formuliert -,
daß ein Regierungswechsel in diesem Land buchstäblich
vor der Tür steht, nicht trägt. Fragen Sie einmal den
Durchschnittsbürger! Viele sind ganz praktisch veranlagt und sagen: Die anderen waren 16 Jahre dran. - Wir
sind als Demokraten in unserer Gesellschaft so frei und
flexibel, daß wir Regierungen auch abstrafen können.
Das geht absolut in Ordnung.
({10})
Ich bekenne mich als Grüner ausdrücklich dazu, obwohl
wir bei der Hessenwahl eine auf die Mütze bekommen
haben. Niederlage ist Niederlage, und Niederlagen muß
man annehmen. Man muß daraus etwas machen, die Politik praktisch so justieren, daß sie vermittelbar ist. Man
muß Lösungen für die Probleme der jungen Generation
anbieten, damit man weiß, für was in der politischen
Arena gekämpft wird. Aber die Flexibilität der Wählerschaft geht nicht so weit, daß sie einem keine Chance
einräumt, tatsächlich zu lernen und konzeptionell etwas
anders zu machen.
Ich möchte deswegen mit der Aussage, an die Opposition gerichtet, schließen: Rechnen Sie mit uns, und
zwar länger, als Ihnen lieb ist!
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat nun
der Kollege Dr. Rössel, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorgelegte Etatentwurf 1999 ist dem Volumen nach der größte, der je
von einer Bundesregierung vorgelegt wurde. Aber von
der Einlösung rotgrüner Wahlversprechungen oder gar
von einem Politikwechsel kann nur in Ansätzen die
Rede sein. Positiv wird gewertet, daß für die aktive
Arbeitsmarktpolitik etwa 6 Milliarden DM mehr als
von der abgewählten Regierung eingestellt worden sind.
Das ist sicher ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Jawohl, Herr Lafontaine, auch eine aktive Geldpolitik mit weiter fallenden Zinsen wäre ein Beitrag zur
Nachfrageankurbelung und zu mehr Beschäftigung.
Angesichts der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit sind
aber neue Wege zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
einzuschlagen. Vorstellbar wäre beispielsweise ein
öffentlich gefördertes Programm für die Schaffung von
zukunftsfähigen Arbeitsplätzen gerade im sozialen und
im soziokulturellen Bereich - also im Non-profitSektor -, wie es jetzt von der SPD/PDS-Koalitionsregierung in Mecklenburg-Vorpommern eingeleitet
worden ist. Damit könnten in der Tat neue Dauerarbeitsplätze geschaffen werden. Auch für die neuen Bundesländer sollen im Haushalt die Mittel aufgestockt werden.
Es kommt jetzt aber darauf an, diese Mittel so zielgerichtet einzusetzen, daß ein selbsttragender Aufschwung
in Ostdeutschland nicht länger zur bloßen Worthülse
verkommt. Die Menschen zwischen Kap Arkona und
dem Thüringer Wald erwarten das.
Trotz mancher positiver Ansätze ist der vorgelegte
Budgetentwurf in großen Teilen tatsächlich eine FortOswald Metzger
schreibung des noch von Waigel erarbeiteten Haushaltsentwurfs. Schon jetzt zeigt sich immer deutlicher,
daß eine solche Haushaltspolitik in die Sackgasse gerät
und vor allem in den kommenden Jahren erhebliche
Risiken birgt. Viele Einnahmen in 1999 basieren auf
Einmaleffekten - Stichwort Privatisierungserlöse -,
deren Wiederholung in den nächsten Jahren mehr als
fraglich ist, die einfach in das Jahr 1999 verschoben
wurden und die Haushaltsbilanz des Finanzministers
ohne dessen eigenes Zutun aufbessern.
Zudem ging die rotgrüne Bundesregierung bei der
Verabschiedung des 99er Entwurfs im Januar noch von
einer sehr optimistischen Erwartung hinsichtlich des
Wirtschaftswachstums sowie des Steueraufkommens
aus. Seither sind aber neue Unsicherheiten und Probleme aufgetreten, die zur Kenntnis zu nehmen sind. Ich
erinnere nur an die Konsequenzen aus den jüngsten Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zu den Kinderbetreuungskosten sowie zu der Beamtenversorgung.
Alleine die Umsetzung der Urteile zur Familienbesteuerung wird ab 2000 mit jährlich zirka 22,5 Milliarden
DM die öffentlichen Haushalte - darunter den Bundeshaushalt mit 10,2 Milliarden DM - belasten.
Für den Haushalt erweist sich aber auch als belastend,
daß das von der Bundesregierung anvisierte Wirtschaftswachstum von 2 Prozent aller Voraussicht nach
nicht erreichbar ist. Die anhaltenden Wirtschaftsturbulenzen in Rußland, Brasilien und in Teilen von Südostasien haben die Konjunkturaussichten hierzulande weiter eingetrübt. Auch das nach wie vor zügellose Agieren
globaler Hedge-Funds wirkt sich destabilisierend auf die
Weltwirtschaft und das Weltfinanzsystem aus. Der Internationale Währungsfonds hat bei der Abwehr dieser
Krisen und Finanzspekulationen auf der ganzen Linie
versagt. Auch das G-7-Treffen der Finanzminister und
Notenbankchefs am letzten Wochenende in Bonn, an
dem Herr Lafontaine beteiligt war, hat keine greifbaren
Ergebnisse zur Eindämmung der Währungs- und Bankenkrisen gebracht.
Das weiter eingetrübte wirtschaftliche Umfeld veranlaßte sogar das regierungsnahe DIW, seine Wachstumsprognose auf 1,5 Prozent zurückzunehmen. Das
Problem ist, daß jeder halbe Prozentpunkt weniger
Wachstum 8 Milliarden DM weniger Steuereinnahmen,
aber zugleich deutlich höhere Ausgaben zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit bedeutet. All das sind Risiken,
die zu berücksichtigen sind.
Im Wahlkampf war von der rotgrünen Koalition
vollmundig eine umfassende Wohngeldreform versprochen worden. Tatsache ist aber, daß die im Haushaltsentwurf veranschlagten Mittel von 4,02 Milliarden
DM sogar noch um 800 Millionen DM unter dem
Waigelschen Ansatz liegen. Das ist wirklich ein Skandal.
({0})
Leidtragende sind Hunderttausende einkommensschwache Familien sowie letztlich auch die Kommunen,
die nämlich für fehlendes Wohngeld mit ihren Sozialhilfeetats bluten müssen.
Die PDS verlangt daher von der Koalition, daß die
versprochene Wohngeldreform mit dem Haushalt 1999
endlich auf den Weg gebracht wird.
({1})
Wir erwarten ebenfalls, daß die seit Jahren eingefrorenen Mittel für die Städtebauförderung deutlich aufgestockt werden, und zwar gerade deshalb, weil jede
Mark Städtebaugeld bis zu 7 DM an privaten Investitionen nach sich zieht, mit denen Arbeitsplätze geschaffen
werden können. Und das arg gebeutelte Bauwesen
könnte unterstützt werden.
Enttäuschend ist im Haushaltsentwurf auch die Förderung des Schienenverkehrs sowie des öffentlichen
Personennahverkehrs. Während auf der einen Seite die
Bahntarife ständig angehoben werden - in Ostdeutschland am 1. April um sage und schreibe 14 Prozent, was
unerhört ist - und gleichzeitig eine Kahlschlagpolitik im
Hinblick auf das öffentliche Verkehrsnetz betrieben
wird, die bereits von der Vorgängerregierung begonnen
wurde, heute aber nicht gebremst wird, schluckt auf der
anderen Seite das unsägliche Prestigeobjekt Transrapid
Unsummen von Geldern der Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler. Der Transrapid gehört endlich beerdigt,
({2})
ebenso der Eurofighter, der einen politischen Anachronismus ohnegleichen darstellt.
Von Nachhaltigkeit in der Ökologie, Herr Kollege
Metzger, von der Sie sprachen, kann im Haushaltsentwurf leider nicht die Rede sein. Sie selbst haben das gestern im Berichterstattergespräch von mehreren Kollegen erfahren.
Wenn über den Bundeshaushalt diskutiert wird, darf
der Blick auf die Länder- und auf die Kommunalhaushalte nicht ausbleiben. Die Verschuldung der öffentlichen Haushalte betrug Ende September - das sind die
neuesten Zahlen - immerhin 2 218 Milliarden DM. Davon entfallen auf den Bund einschließlich der benannten
Sonder- und Nebenhaushalte 1 437 Milliarden DM eine unvorstellbare Summe. Insgesamt beträgt die ProKopf-Verschuldung der öffentlichen Hand in der Bundesrepublik Deutschland sage und schreibe 27 215 DM;
das ist eine riesige Hypothek für die Zukunft, die den
Finanzminister wie auch uns alle nicht ruhig schlafen
lassen kann.
Die Handlungsfähigkeit der Kommunen wird durch
mangelnde Finanzen immer mehr eingeschränkt. Anstatt
die Rahmenbedingungen für die kommunale Selbstverwaltung so zu verbessern, wie es notwendig ist, will die
Koalition offenkundig jetzt sogar die Gewerbesteuer eine traditionell wichtige Steuereinnahme der Städte und
Gemeinden - abschaffen und damit einer weiteren Auszehrung der Kommunalfinanzen Vorschub leisten. Das
lehnen wir ab.
({3})
Die PDS fordert in Übereinstimmung mit den kommunalen Spitzenverbänden: Hände weg von der Gewerbesteuer! Wer die Gewerbesteuer abschafft, greift nicht
nur eine jahrelang erhobene Forderung der F.D.P. auf,
die die F.D.P. nicht einmal in der Kohl-Regierung
durchsetzen konnte - das wollen wir an dieser Stelle
nicht verschweigen -,
({4})
sondern zerschlägt, Herr Kollege Koppelin, das Band
zwischen ortsansässiger Wirtschaft und den Kommunen.
Die Kommunen brauchen zur Finanzierung ihrer Infrastruktur auch die Gelder der Unternehmen, denn diese
nutzen die Infrastruktur ja auch.
Die PDS verlangt daher eine Reform der Kommunalfinanzierung. Die Städte und Gemeinden brauchen stabile eigene Steuereinnahmen. Eine kommunale Investitionspauschale des Bundes könnte in Ostdeutschland,
aber auch in westdeutschen Regionen, die strukturschwach sind, viel zur Verbesserung der Infrastruktur
beitragen.
Ferner muß mit der Praxis Schluß gemacht werden,
wonach sich zuerst der Bund bzw. die Europäische Union und dann die Länder aus den öffentlichen Geldern
bedienen und nur das wenige, das dann noch übrigbleibt,
in die kommunalen Kassen fließt. Umgekehrt muß ein
Schuh daraus werden.
({5})
All das zeigt, daß diese und weitere Haushaltsprobleme mittel- und langfristig weder durch Kürzungen im
sozialen und ökologischen Bereich noch durch umfassende Privatisierungen gelöst werden können. Notwendig ist die Mobilisierung neuer, stabiler Einnahmequellen gerade durch Verwirklichung des Grundsatzes der
Umverteilung von oben nach unten. Die Wiedereinführung der Vermögensteuer gehört ebenso dazu wie die
konsequente Besteuerung der auswuchernden internationalen Finanztransaktionen.
Ich bedanke mich.
({6})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hans Georg Wagner, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vorhin hat
der Kollege Merz gesprochen - er ist schon seit längerer
Zeit nicht mehr im Saal.
({0})
- Ach, aber jetzt sind Sie wieder da. Herzlich willkommen!
({1})
- Entschuldigung, ich habe Sie gar nicht gesehen.
({2})
- Sie sind von der Figur her nicht zu übersehen, Herr
Kollege Fuchtel. Bei Herrn Merz ist das aber etwas anders.
Herr Merz, ich war über Ihre furchtbare Arroganz und
Ihre Häme erschrocken, mit der Sie zu Beginn über den
Bundesfinanzminister hergezogen sind, was das G-7Treffen angeht. So sollte man nicht miteinander umgehen. Das ist kein guter Umgangston, vor allen Dingen
für einen Politiker, der eigentlich die Auffassung „Liebe
deinen Nächsten wie dich selbst“ vertreten müßte, anstatt mit Häme über die anderen herzuziehen.
({3})
Ich sage Ihnen, Herr Bundesfinanzminister: Wir danken Ihnen ausdrücklich, daß Sie Denkanstöße geben,
wie die internationalen Finanzmärkte endlich geordnet werden müssen. Man sollte nicht mit Häme darüber
herziehen, sondern einverstanden sein, daß der Bundesfinanzminister den Versuch unternimmt, einmal Ordnung in die Finanzmärkte zu bringen. Das gilt sowohl
für die europäische Ebene als auch weltweit.
({4})
Das ist gut so. Und wenn die anderen nicht in Jubel ausbrechen, kann ich dazu nur sagen: Wer gibt schon gern
etwas ab? Das sehen Sie ja bei unserer Haushaltsdebatte.
Man muß also immer wieder bohren, bis eben der
Durchbruch erreicht ist.
Wie haben Sie geschrien, als Herr Lafontaine sagte,
es ist notwendig, eine Zinssenkung vorzunehmen, um
den Arbeitsmarkt anzukurbeln! Die Verantwortlichen
bei den Banken, auch Herr Tietmeyer und die Verantwortlichen auf der europäischen Ebene, haben gesagt:
Das geht nicht! - Drei Tage später haben sie die Zinsen
gesenkt. Das, was Herr Lafontaine damals gesagt hat,
war also richtig.
({5})
- Machen Sie als Unternehmer doch etwas, Herr Kollege. Schaffen Sie Arbeitsplätze! Dann hat sich auf dem
Arbeitsmarkt schnell etwas getan.
Herr Kollege Merz, ich will Ihnen eine Empfehlung
geben. Sie haben hier in zwei Fällen falsche Zahlen vorgetragen. Zum einen ist bei dem, was die Versicherungswirtschaft Ihnen aufgeschrieben hat, schon längst
die Luft raus; der entsprechende Betrag ist auf ein Drittel reduziert worden. Das hätten Sie aber wissen können.
Zum anderen sprachen Sie von Steuermehreinnahmen
in Höhe von 10 Milliarden DM, die Herr Lafontaine erzielt habe. Es sind aber keine 10 Milliarden DM, sondern nur etwas mehr als 7 Milliarden DM. Diese kommen dadurch zustande, daß Sie zum 1. April die Mehrwertsteuer zugunsten der Sozialversicherung erhöht haben. Das haben wir mitgemacht; das will ich auch gar
nicht bestreiten. Nur sollten Sie, Herr Kollege, dann
auch richtig rechnen: Es sind 7 Milliarden DM. Wenn
Sie genau hinschauen, sehen Sie, daß für den Bund 1,8
Milliarden DM an Steuermehreinnahmen durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer entstanden sind. Sie sollten
hier also nicht den Eindruck erwecken, als seien plötzlich 10 Milliarden DM mehr hereingeflossen. Es sind
tatsächlich nur 1,8 Milliarden DM. Und was die 3 Milliarden DM angeht, die den Unterschied zwischen den 7
Milliarden und 10 Milliarden DM ausmachen: Die sind
ganz weggegangen; die kann man nicht als Steuermehreinnahmen rechnen.
Der nächste Punkt ist: Sie haben kritisiert, wir sollten
nicht ständig über die Mehrwertsteuererhöhung reden,
Herr Kollege Merz. Wer hat denn damit angefangen?
Die Frau Kollegin Nolte hat doch damit angefangen und
als erste gesagt: Wir werden die Mehrwertsteuer erhöhen. Da haben Sie gebrüllt und geschrien, und sie ist zurückgepfiffen worden. Sie waren aber auf dem Trip, die
Mehrwertsteuer zu erhöhen.
Der Finanzminister hat heute morgen hier erklärt, es
sei konjunkturpolitisch idiotisch, jetzt die Mehrwertsteuer zu erhöhen, weil das genau das konterkarieren
würde, was wir am 1. Januar gemacht haben: Wir haben
nämlich versucht, über die Erhöhung des Kindergeldes
die Kaufkraft der großen Masse der Bevölkerung anzuregen, damit der Binnenmarkt in Gang kommt.
({6})
Dann haben Sie, Herr Merz, das Saarland und Bremen angesprochen und die Arbeit des Bundesfinanzministers in diesem Zusammenhang gewürdigt. Dafür bin
ich Ihnen sehr dankbar. Jetzt hat auch der letzte Saarländer und der letzte Bremer begriffen: Diese Bundesregierung hilft den Bundesländern, hilft auch dem Saarland
und Bremen, wie das auch das Gerichtsurteil vorsah.
({7})
Herr Kollege Rexrodt ist jetzt leider nicht mehr da.
({8})
- Du bist ein netter Kerl. Sage ihm doch, er solle die
Gesetzentwürfe seiner eigenen Bundesregierung zur
Steuerreform ganz ruhig und gelassen durchlesen und
dann mit den Steuerentlastungsgesetzen der jetzigen
Bundesregierung vergleichen. Dann wird er feststellen,
daß sehr viel von dem, was er heute kritisiert, schon im
Gesetzentwurf der damaligen Regierung stand. Wenn
das alles schon in der alten Legislaturperiode so gesagt
worden ist, braucht er das hier nicht mehr vorzutragen.
Der Herr Minister hat es heute morgen zu Recht gesagt: Die Finanzierung des Staates ist eine Hauptlast für
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für die
mittelständische gewerbliche Wirtschaft. Das muß aufhören. Das muß über Steuerentlastungsgesetze und andere steuerliche Maßnahmen verändert werden. Ein
Kollege hat gesagt, wir würden eine Umverteilung von
oben nach unten betreiben. In der Tat machen wir das.
Nach 16 Jahren Umverteilung von unten nach oben wird
jetzt von oben nach unten verteilt, damit die große Masse der Bevölkerung und der Steuerzahler endlich etwas
davon haben.
({9})
Welche Möglichkeiten in Betracht gezogen werden,
konnte man neulich in der Zeitung lesen: Vier Vorstandsmitglieder von Daimler-Benz haben darüber
nachgedacht, die Steuer auf ihre Millionengehälter in
Amerika zu entrichten, weil der dortige Höchststeuersatz bei 43 Prozent und bei uns bei 53 Prozent liegt. Die
soziale Verpflichtung leuchtet ihnen dabei aus den Augen. Auf der einen Seite fordern diese Leute Lohnzurückhaltung und sagen: Wir können uns keine höheren
Löhne leisten! Auf der anderen Seite wollen dieselben
Leute mit ihren hohen Gehältern, von denen sie nichts
abgezogen haben möchten, nach Amerika gehen, nur
weil sie dort günstiger besteuert werden.
Ich sage dazu: Auch das ist ein Skandal ersten Ranges. Da können wir reden, wie wir wollen. Das muß
deutlich ausgesprochen werden.
({10})
Wir kämpfen für Millionen und Sie für Millionäre. Das
unterscheidet uns ganz erheblich.
({11})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Natürlich, immer.
Bitte sehr, Herr
Kollege.
Kollege Wagner, wäre es
für die Personen, von denen Sie eben gesprochen haben
und die wohl angedeutet haben - ich habe es leider nicht
gelesen -, zukünftig in Amerika ihre Steuern zu zahlen,
nicht viel einfacher, wenn sie in sozialdemokratisch regierte Länder in Europa gingen? Sie würden dort auch
weniger Steuern zahlen.
Zum Teil sind diese
Leute schon an der Cote d‘Azur, Herr Kollege. Mir ist
bekannt, daß sie auch dort ihre Villen haben. Das
stimmt. Sie haben Ihren Ratschlag schon befolgt.
Die wichtigste Aufgabe ist der Abbau des strukturellen Defizits von 30 Milliarden DM im Bundeshaushalt. Das wird ein schwieriges Unterfangen bei der
Haushaltsberatung 2000. Aber schon jetzt wird versucht,
den Abbau voranzubringen. Der Regierungsentwurf geht
genau in diese Richtung, die die Koalition angekündigt
hat. Wenn wir es schaffen, die Neuverschuldung auf
56,2 Milliarden zu halten, wäre das schon gut. Aber die
Koalition möchte von dieser Quote herunter. Wir werden versuchen, das durchzusetzen. Sie, meine Damen
und Herren von der Opposition, sind eingeladen, dabei
mitzumachen.
Nun, Herr Kollege Merz, noch eine Anmerkung zu
Ihnen: Sie haben die 3 Milliarden DM an Entlastungen
für das Saarland und Bremen sowie die Steinkohlenhilfe
in Höhe von 700 Millionen DM angesprochen. Diese
waren im Haushaltsentwurf von Herrn Waigel nicht beHans Georg Wagner
rücksichtigt. Wissen Sie, warum diese Ausgaben - jetzt
sind sie ja berücksichtigt - in diesem Entwurf nicht enthalten waren? - Sie waren deshalb nicht im Haushalt
von Herrn Waigel berücksichtigt, weil damit die Einnahmen aus Krediten die veranschlagten Ausgaben für
Investitionen überschritten hätten und gegen Art. 115
des Grundgesetzes verstoßen worden wäre. Der Haushalt von Herrn Waigel wäre damit verfassungwidrig
gewesen.
Der Ehrgeiz der SPD-Bundestagsfraktion besteht
darin, zusammen mit Bündnis 90/Die Grünen noch mehr
einzusparen, ohne die Investitionen zu verringern. Ihre
Regierung hat im Bereich der Investitionen auch etwas
gemacht. Sie wissen ja, daß man, als die Privatisierung
der Eisenbahnerwohnungen nicht so gelaufen ist, wie
Herr Wissmann das wollte, 1 Milliarde DM aus dem geplanten Investitionsvolumen für die Schienenwege herausgenommen hat. Man hat im Jahre 1998 hier 1 Milliarde DM weniger investiert. Man hat also das gemacht,
was wir alle nicht wollen, nämlich eine Kürzung der Investitionen. Sie haben das gemacht, weil die Verhandlungen nicht erfolgreich gewesen sind. Wenn Sie daran
denken, dürfen Sie heute hier nicht herumtoben und
schreien.
Der effektive Anstieg der Ausgaben soll noch stärker
begrenzt werden.
Jetzt komme ich noch auf die familienpolitischen
Beschlüsse zu sprechen, zu denen die Kollegin Wegner
mehr sagen wird. Das vernichtende Urteil des Bundesverfassungsgerichts über Ihre Familienpolitik innerhalb
von 16 Jahren muß man sich erst einmal in Ruhe anschauen. Sie haben eine Erblast von über 20 Milliarden
DM hinterlassen. Wenn ich mir die Maßnahmen betrachte, die Sie sonst noch geplant hatten - zum Beispiel
wollten Sie die Zahnspangen für Kleinkinder nicht mehr
bezahlen; das war doch Ihr Vorschlag -, dann kann ich
nur dazu sagen: eine schöne Familienpolitik, die Sie betrieben haben! Deshalb ist es gut, daß die Koalition hier
eine Änderung herbeiführt und durch gesetzliche Maßnahmen dafür sorgt, daß alles wieder ins Lot kommt.
({0})
Herr Kollege Koppelin, man muß sich nur anschauen,
was Sie alles noch im Dezember des letzten Jahres abgelehnt haben. Ich will der Kollegin Wegner nicht vorgreifen, deshalb sage ich nur als Stichwort: Sie haben
eine Erhöhung des Kindergeldes abgelehnt. Wenn Sie
das vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts bewerten, müßten Sie sich eigentlich für
Ihre Haltung vom Dezember vergangenen Jahres schämen.
({1})
Die Koalition wird eine solide Beratung durchführen.
Sie lädt Sie von der Opposition ein, dabei mitzumachen.
Wir müssen uns bei allem überlegen, wie es finanziert
werden soll. Ich habe darum gebeten, daß man einmal
alle freiwilligen Leistungen des Bundes zusammenstellt,
Leistungen, die also nicht auf gesetzlicher Grundlage
beruhen, um zu erkennen, ob dieses System so aufrechterhalten werden kann.
Wenn wir uns die Wohnungslandschaft ansehen,
dann kommen wir zu dem Ergebnis, daß darüber nachgedacht werden muß, im Bereich des Wohnungsbaus
eine andere Finanzierungsmöglichkeit zu finden. Das
gilt auch für mehr Zielgenauigkeit beim Wohngeld und
für andere Gebiete. Es handelt sich um Dinge, die wir
im Laufe des nächsten halben Jahres konkret angehen
müssen, um zu einer Neustrukturierung des Bundeshaushaltes zu kommen.
Dabei darf man nicht vergessen, daß der soziale
Wohnungsbau Sache der Länder ist. So steht es im Gesetz. Einige Länder, die herumposaunen, sie seien besonders reich, nehmen ebenfalls die Förderung durch
den Bund in Anspruch. Auch sie könnten einmal Verzicht leisten; das wäre eine gute Idee.
({2})
- Das wollen sie aber nicht.
Stichwort Kulturförderung: Herr Minister, es hat
mich gefreut - im Dezember haben Sie dieselbe Formulierung gebraucht -, daß Sie der Auffassung sind, diejenigen Bundesländer, die besonders gut betucht sind,
sollten in die kulturelle Förderung stärker einsteigen.
Als Sie das damals sagten, gab es den Zwischenruf des
Kollegen Bartholomäus Kalb aus Bayern: „Recht hat
er.“ Herr Minister, Sie sehen, hier kommt eine ganz große Koalition zustande. Das möchte ich öffentlich klarstellen.
Bartholomäus Kalb, ich danke dir besonders herzlich.
Du kannst im Moment nicht reden, weil du ein Bonbon
im Mund hast.
({3})
Herr Kollege, wollen Sie mit vollem Mund eine Zwischenfrage stellen? Nein.
Es ist bemerkenswert,
daß für Berlin und die neuen Länder die Kulturförderung auf 180 Millionen DM erhöht worden ist. Aber
auch die alten Bundesländer werden nicht vernachlässigt. Ich denke, daß man beispielsweise durchaus eine
Bundesförderung der Objekte des Weltkulturerbes in
Deutschland ins Auge fassen kann, weil es sich hier um
eine Aufgabe handelt, die nicht nur auf ein einziges
Bundesland bezogen ist. Wir werden bei der Haushaltsberatung vorschlagen, daß der Bund nur dort einsteigen
sollte, wo es sich wirklich lohnt.
Dies ist ein Haushalt für mehr Beschäftigung und
Wachstum, nach dem Motto „Versprochen und gehalten“. Ich will nicht die ganze Liste dessen herunterbeten,
was herunterzubeten wäre. Das würde Sie langweilen;
denn Sie wollen es gar nicht hören. Sie haben schon
heute morgen versucht, die Debatte hierzu mit einer
Diskussion zu etwas anderem zu überlagern. So groß ist
Ihr Interesse am Haushalt gewesen. Wir werden das
trotzdem nicht durchgehen lassen.
Wichtig ist die Schließung der Gerechtigkeitslücke in
unserer Gesellschaft. Dieser Haushalt ist ein erster
Schritt in diese Richtung. Ich halte eine Veröffentlichung der letzten Tage für einen Skandal, daß der Anteil
der Arbeiterkinder an der Gesamtzahl der an Hochschulen Studierenden bei etwas mehr als 8 Prozent
liegt. Zu Zeiten der sozialliberalen Koalition lag er bei
24 Prozent. Sie haben diesen Anteil in 16 Jahren auf ein
Drittel reduziert. Wir werden den Zustand beenden, daß
automatisch Professorenkinder Professoren und Arbeiterkinder Arbeiter werden. Mit unserer Regierung wird
das aufhören!
({0})
Es muß zur Kenntnis genommen werden: Die Steigerung im Forschungshaushalt ist eine ganz wichtige Sache. Der Minister hat heute morgen angekündigt,
200 Millionen DM in die Hochschulbauförderung zu investieren. Das ist ein erster Schritt, um das von Ihnen
hinterlassene Defizit zu beseitigen. Die Länder, auch das
arme Saarland, haben den Hochschulbau vorfinanziert,
weil Sie in der Finanzierung nicht nachgekommen sind.
Diese Erblast wird jetzt langsam, aber sicher abgetragen.
Es kann nicht wahr sein, daß wir nur die Zucht von
Eliten als vordringliche Aufgabe ansehen. Vielmehr
sollten alle innovationsfähigen Menschen dazu gebracht
werden zu studieren. Es darf nicht mehr der Geldbeutel
darüber entscheiden, wer studiert. Auch das wird durch
die Erhöhung des BAföG um 6 Prozent konterkariert.
Jemand hat den Abbau von Subventionen gefordert.
An erster Stelle wird natürlich immer der Steinkohlenbergbau genannt, obwohl dies der einzige Bereich ist,
bei dem das Subventionsende - im Jahre 2005 - geregelt
ist. Sie haben vergessen, 700 Millionen DM einzustellen. Das ist jetzt wieder passiert.
Ich habe erfreulicherweise eine Stimme aus Ihren
Reihen vernommen, mit der die Position der Bundesregierung eindeutig unterstützt wird:
Die deutsche Steinkohle muß auch nach 2005 ihren
Platz in der Energieversorgung haben. Langfristige
Prognosen über die Zukunft des deutschen Bergbaus seien zum jetzigen Zeitpunkt allerdings nicht
möglich ... Es müßten jedoch alle Optionen offengehalten werden. Es wäre unmoralisch, aus einem
Energieträger auszusteigen.
So zitiert die „Recklinghäuser Zeitung“ den neugewählten Landesvorsitzenden der CDU in NordrheinWestfalen, Jürgen Rüttgers, nach einem Besuch des
Bergwerks Auguste Victoria in Haltern-Lippramsdorf.
Ich unterstütze Jürgen Rüttgers ausdrücklich und
danke dafür, daß der Vorsitzende des größten Landesverbandes der CDU endlich auf eine Energielinie eingeschwenkt ist, die wir alle mittragen können.
({1})
Es gab ja immer die Diskussionen um den Steinkohlenbergbau. Bei dem Kompromiß im März 1997 hat man
gesagt, es sei eigentlich eine regionale Aufgabe und Sache der Länder Saarland und Nordrhein-Westfalen, die
Bergbausubventionen zu regeln. Wenn wir jetzt im Zuge
der Diskussion über die Agenda 2000 zwangsläufig
über Veränderungen im Bereich der Landwirtschaft
nachdenken müssen, dann müssen wir diese Forderung
wieder aufleben lassen und sagen, daß die Länder dafür
zuständig sind, die über sehr viel Landwirtschaft verfügen. Ich darf daran erinnern, daß von den Agrarhilfen,
die nach Deutschland fließen, 46 Prozent nach Bayern
gehen. Somit wären die Bayerische Staatsregierung und
ihr geifernder Harlekin dazu aufgefordert, einen konstruktiven Beitrag zur Finanzierung der Landwirtschaft
zu leisten.
({2})
Ich sage deshalb „geifernder Harlekin“, weil ich, als ich
seine Aschermittwochsrede gehört habe, in der er gesagt
hat, aus Bonn müsse alles weg, gedacht habe, der Ruf,
daß er nach Bonn kommen solle, wird nicht erschallen.
Er ist in der einen Woche, die seitdem vergangen ist,
auch nicht erschallt.
Im übrigen ist es immer unser Ziel gewesen, die kleinen bäuerlichen Familienbetriebe in der Landwirtschaft
zu erhalten. Wir müssen darauf achten, daß in den neuen
Ländern, wo große Strukturen entstanden sind, nichts
wegbricht, was nicht wegbrechen darf. Wir werden deshalb ganz genau hinsehen, was die Agenda 2000 für den
Agrarbereich bringt, wenn sie hier diskutiert wird.
Ein anderes Stichwort sind die Zahlungen an die
Europäische Union. Bei diesem Punkt sagen Herr
Schäuble und Herr Stoiber, Herr Schröder müsse
14 Milliarden DM zurückbringen. Herr Rühe mildert das
dann ab und sagt, es sei unrealistisch, von 14 Milliarden
DM zu reden; wenn es hoch komme, seien es 7 Milliarden DM. - Ich wäre schon froh, wenn es 1 Milliarde
DM wäre.
({3})
Unter der Regelung, die uns dieses eingebrockt hat, steht
die Unterschrift von Theo Waigel. Ich halte es für fatal,
daß gerade aus Ihren Reihen in dieser Frage Kritik an
der jetzigen Bundesregierung geübt wird, da Sie uns diese Erblast doch eingebrockt haben und wir sie nur von
Ihnen übernommen haben. Hätten Sie und Herr Stoiber
1994 so aufgeschrien, wie dies jetzt geschieht, wäre es
wahrscheinlich nicht so weit gekommen.
({4})
Wir sind dem Minister sehr dankbar dafür, daß die
Hilfen für die neuen Länder aufrechterhalten bleiben
bzw. noch gesteigert werden. So besteht Sicherheit, was
die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen angeht. Die vor der
Wahl bestehende Unsicherheit, ob danach die Qual
kommt, ist damit beseitigt. Wir haben vor der Wahl gesagt, wir werden dieses ändern, und die Bundesregierung hat es in ihrem Entwurf auch entsprechend geändert. Wir werden auch über vielfältige Finanzierungsmaßnahmen im Zusammenhang mit den neuen Ländern
nachdenken müssen. Im Einvernehmen müssen wir
zueinanderfinden und darüber sprechen, wie die jetzt bestehende Solidarität zu einer Solidarität etwa der Ostländer mit den Westländern führen kann. Darüber wird man
nachdenken müssen. Ich halte es für eine ganz wichtige
und vernünftige Sache, daß wir auch in diesem Punkt
zusammenwachsen.
Wir bieten der Opposition an, alle freiwilligen Leistungen, alle Einzelpläne und alle Positionen des Bundeshaushaltes punktgenau zu beraten. Wir sind für alle
Vorschläge der Opposition offen. Sie werden nicht erleben, wie es uns immer passiert ist, daß gute Vorschläge
abgelehnt wurden, sondern gute Vorschläge von Ihnen
wurden auch angenommen.
({5})
- Herr Hammerstein, das ist leicht übertrieben. Ich kann
mich entsinnen, mit welch großem Eifer wir ans Werk
gegangen sind und Anträge gestellt haben, die alle gut,
vernünftig und positiv waren, aber immer wieder abgelehnt wurden.
({6})
- Natürlich, alle.
Ich habe vorhin gesagt, das strukturelle Defizit liegt
bei 30 Milliarden DM. Ich hatte ursprünglich immer von
20 Milliarden DM geredet, aber mittlerweile habe ich
mich belehren lassen, daß es noch höher liegt, nämlich
bei 30 Milliarden DM. Das erfordert natürlich ganz erhebliche Einschnitte. Außerdem haben wir noch viele
Aufgaben vor uns: Ich nenne nur den Umweltschutz, die
Weiterentwicklung der mittelständischen Wirtschaft und
das 100 000-Dächer-Programm, das mit 1,1 Milliarden
DM im Haushalt steht. Für den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur sind 25,7 Milliarden DM vorgesehen, also eine ganze Menge Geld und 1,5 Milliarden
DM mehr, als Sie in Ihrem Haushaltsentwurf vorgesehen hatten. Damit werden Arbeitsplätze geschaffen; ich
finde das hervorragend.
Für etwas anderes, was Sie uns jahrzehntelang verweigert haben - der Minister hat es heute morgen angesprochen -, nämlich aktiven Lärmschutz an den bestehenden Schienenwegen, ist eine erste Rate vorgesehen. Noch voriges Jahr haben Sie, Herr Kollege Kalb
und Herr Kollege Koppelin, gesagt, das brauchen wir
nicht, das ist nicht nötig. Jetzt sind die entsprechenden
Ausgaben im Haushalt enthalten, worüber sich die betroffenen Menschen freuen können.
({7})
- Wenn gefragt wird, woher wir das Geld genommen
haben, dann muß ich antworten: Das Geld wird natürlich
aus dem Bundeshaushalt genommen, der über Steuereinnahmen finanziert wird. Der Rest wird über Kredite
finanziert. Auch Ihre Abgeordnetendiät beruht auf einem
Kredit. Sie dürfen bei Ihrer Argumentation nicht vergessen, daß auch Sie sozusagen auf Pump bezahlt werden.
({8})
- Das bestreite ich nicht.
Stadtteile mit einem besonderen Entwicklungsbedarf
sollen beim Einstieg in eine neue Form der Städtebauförderung bedacht werden. Ich finde diese Regelung
sehr vernünftig und richtig. Daher bedanke ich mich,
daß unser altes Anliegen in dem Haushaltsplanentwurf
aufgenommen worden ist.
({9})
- Die Finanzierung ist sichergestellt. Beruhigen Sie
sich!
Ein wichtiger Punkt ist die Haushaltswahrheit und
-klarheit. Es ist richtig, daß 390 Milliarden DM in die
Bundesschulden aufgenommen wurden. Diesen Betrag
hatten Sie immer schamhaft außerhalb der Bundesschulden geführt, um sagen zu können, daß der Schuldenstand des Bundes gar nicht so hoch ist, wie die Opposition immer behauptet. Jetzt bestehen für den Haushalt
Wahrheit und Klarheit. Jeder kann sehen, wie hoch die
tatsächliche Verschuldung ist.
Außerdem werden die Schulden schneller getilgt, als
dies bei Ihnen der Fall war, weil jetzt eine allgemeine
Aussetzung der Tilgung nicht mehr stattfindet. Ich nenne in diesem Zusammenhang den Verstromungsfonds,
das Bundeseisenbahnvermögen und den Erblastentilgungsfonds.
Ich bin sicher, daß die Bundesregierung beim Verkauf der Eisenbahnerwohnungen den Erlös erzielen
wird, der Ihrem Bundeshaushalt zugrunde gelegen hat
und der auch unserem Bundeshaushalt zugrunde liegt, so
daß die Finanzierung nicht mehr über Einsparungen bei
den Schienenwegen sichergestellt werden muß.
Ich bin froh darüber - dieser Punkt ist schon erwähnt
worden -, daß die Bundeswehr so ausgestattet wird,
daß sie die wichtigen und schwierigen Aufgaben nach
dem Willen des Hauses erfüllen kann. Herr Scharping
leistet mit Einsparungen von 235 Millionen DM einen
Beitrag zur Entlastung des Bundeshaushaltes. Aber die
wichtigen Posten sind unverändert im Haushalt enthalten. Wir werden über diesen Bereich des Haushalts mit
Sachverständigen wie Herrn Austermann diskutieren
und darüber nachdenken, wie der eine oder andere Punkt
geregelt werden kann. Ich bin sicher, daß wir uns einigen werden. Ich bin froh darüber, daß die Finanzierung
insgesamt sichergestellt ist.
Der Bundeshaushalt 1999 - er hat zwar den Charakter
eines Übergangshaushaltes, ist aber ein ganz normaler
Haushalt - ist solide finanziert und wird eine gute
Grundlage für die Arbeit im Jahr 1999 darstellen. Wir
sind froh, daß wir jetzt in die Beratungen eintreten können, damit der Haushalt 1999 in Kraft treten kann. Dann
wird die Öffentlichkeit erkennen, welche Politik mit
dem Haushalt im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung gemacht werden kann.
Schönen Dank.
({10})
Das Wort zu einer
Kurzintervention hat der Kollege Kalb. Bitte sehr.
Frau Präsidentin,
ich bitte zunächst um Entschuldigung, daß ich vorhin
etwas indisponiert war.
Ich hätte nicht intervenieren sollen, aber es paßte so gut.
Ich möchte den
Kollegen Wagner bitten, nicht mehr zu behaupten, ich
hätte den von ihm zitierten Zwischenruf gemacht. Es
muß sich wohl um einen Hörfehler handeln, denn dem
Herrn Minister wird eher meine gegenteilige Auffassung
bekannt sein.
Wir haben uns vor dem Sitzungssaal des Haushaltsausschusses kurz unterhalten; Sie hatten im Ausschuß
vorher die Leistungen im Autobahnbereich für Bayern
und Baden-Württemberg angesprochen. Vielleicht können Sie sich daran erinnern, Herr Minister, daß ich gesagt habe, daß wir in Bayern künftig mehr Autobahnen
als im Saarland bauen müssen, weil Bayern etwas größer
ist.
({0})
Darauf haben Sie mit einem Hinweis auf die Kulturförderung geantwortet.
Diesen Punkt wollte ich klarstellen.
Danke schön.
Herr Kollege Wagner, wollen Sie antworten?
Frau Präsidentin, ich
will nur darauf hinweisen, daß der Zwischenruf im Protokoll des Deutschen Bundestages steht. Deshalb gehe
ich davon aus, daß er so gefallen ist.
({0})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Dietrich Austermann, CDU/CSUFraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, nach der Debatte, wie sie bisher gelaufen ist, müssen ein paar Dinge
- auch von dem, was die Kollegin Matthäus-Maier gesagt hat - geradegerückt werden, was die soziale Situation in den letzten Jahren betrifft. Ich komme gleich zum
Haushalt. Aber man muß auch einmal die Fakten beim
Namen nennen, wenn man sich ein Urteil über die Sozialpolitik der letzten 16 Jahre anmaßt.
Wir haben 1982 mit einem Kindergeld von 50 DM
angefangen. Kinderfreibeträge gab es praktisch nicht
mehr. Wir haben die Familienleistungen von 25 Milliarden DM in ihrem Volumen 1982 auf 75 Milliarden DM
erhöht, das heißt um etwa 50 Milliarden DM. Was Sie
hier mit dem Kindergeld machen, bedeutet eine Erhöhung im Familienleistungsbereich um 5,7 Milliarden
DM - bloß, um die Größenordnungen einmal zu nennen.
Jetzt den Eindruck zu erwecken, die Beschlüsse des
Bundesverfassungsgerichts würden uns eine falsche
Politik bescheinigen, ist eindeutig falsch,
({0})
weil gerade Ihre Philosophie, Frau Matthäus-Maier,
immer war: Weg von den Freibeträgen. Diese Philosophie hat durch die Beschlüsse, die getroffen worden
sind, eine Ohrfeige bekommen.
({1})
- Aber selbstverständlich! Kinderfreibeträge gab es
doch gar nicht mehr. Sie haben das Kindergeld für arbeitslose Heranwachsende abgeschafft, es gab keine
Betreuungsbeträge usw. Daß Sie bei dieser Thematik
glauben, anderen Leuten Vorwürfe machen zu müssen,
ist doch voll daneben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin MatthäusMaier? - Bitte sehr, Frau Kollegin.
Herr Kollege Austermann, wollen Sie mir bitte zustimmen, daß erstens Karlsruhe nicht das Kindergeld, sondern die Höhe des Kinderfreibetrages für verfassungswidrig erklärt hat, Dietrich Austermann ({0}): Das habe ich
doch gesagt!
- und zwar des Kinderfreibetrages zu Ihren Zeiten, und daß zweitens die
Frage Kindergeld oder Kinderfreibetrag eine Entscheidung ist, über die man immer gestritten hat? Kinderfreibetrag führt dazu, daß die Eltern mit hohen und höchsten
Einkommen viel mehr Geld bekommen als die kleinen
Leute.
({0})
- Herr Merz, sie bekommen eine steuerliche Entlastung.
({1})
Das ist der Unterschied. Wir sagen, daß jedes Kind dem
Staat gleich wert und gleich lieb sein muß. Sind Sie
nicht bereit, zu sagen: Wir setzen uns zusammen und
schauen, wie wir aus der verfassungswidrigen Situation
unserer Gesetze herauskommen? Denn das ist das, was
im nächsten Jahr im Gesetzblatt stehen muß.
Ich bin sehr
damit einverstanden, daß wir uns zusammensetzen, um
die Probleme zu lösen. Es ist wohltuend, daß die Arroganz von Rotgrün, alles alleine machen zu können, nach
der Wahl in Hessen abgenommen hat
({0})
und daß man jetzt verschiedene Angebote hört, daß man
das gemeinsam machen könne. Aber Sie können darüber
nicht vernebeln, daß Sie immer diejenige gewesen sind,
die gesagt hat: Kindergeld ja, Freibetrag nein. In den
Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts kommt das
Wort Kindergeld überhaupt nicht vor, sondern es geht
einzig und allein um die steuerliche Bedeutung des Existenzminimums. Deswegen liegen Sie voll daneben. Wir
haben die Freibeträge in unserer Regierungszeit von
Null auf kräftig aufgebaut. Das jetzt nachträglich zu kritisieren ist falsch.
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Spiller?
Nein, ich
möchte zum Haushalt reden. Ich wollte bloß erst ein
paar besonders dicke Bolzen aus der bisherigen Debatte
ausräumen.
Wir haben, wie gesagt, mit 50 DM Kindergeld angefangen und sind bei 220 DM für das erste Kind gelandet,
beim dritten Kind bei 350 DM. Da haben Sie noch von
250 DM für alle gesprochen. Lassen Sie das doch bitte.
({0})
- Ich glaube, daß die Entscheidungen, die in den letzten
16 Jahren getroffen worden sind, doch von der Mehrheit
der Fraktionen getroffen worden sind. Es war die christlich-liberale Koalition, die diese Entscheidung getroffen
hat.
Die Haushaltsdebatte entscheidet über Soll und Haben der deutschen Politik. Über 100 Tage nach dem Regierungswechsel ist nach dem vorgelegten Haushaltsentwurf klar: Das Soll überschreitet das Haben bei
weitem. Wären alle Daten, die wir jetzt kennen, am
7. Februar bekannt gewesen, hätte die CDU in Hessen
noch deutlicher gewonnen.
Interessant ist, wenn man sich hier anhören muß, wie
die Haushaltsstruktur tatsächlich beschaffen ist. Von bestimmten Kollegen kommen in regelmäßigen Aufsätzen
im Wirtschaftsteil der Zeitungen ganz konkrete Vorschläge. Die Grünen verbreiten sich darüber, wie nachhaltige Finanzpolitik eigentlich gemacht werden müßte,
wie die Situation sein sollte, wie man mit den Ausgaben
umgehen sollte und wie man bei dem, was man im
Haushalt macht, an die künftige Generation denken
sollte. Nun stellen wir aber fest, daß, wenn er ans Rednerpult kommt, nur noch die Hälfte davon wahr ist. Das
ist noch nicht so schlimm. Aber wenn er in den Haushaltsausschuß kommt, dann bleibt davon nichts mehr
übrig. Alles, was an möglicherweise richtiger Philosophie vertreten wird, wird dann einfach vergessen.
Sie haben vor der Wahl versprochen, Sie wollten
nicht alles anders machen, aber manches besser. Jetzt ist
klar: Was anders ist, ist schlechter. In den Bereichen, in
denen Sie sich nicht an die Koalitionsvereinbarung, die
auch der Kanzler unterschrieben hat - er versucht jetzt
ein wenig, den Eindruck zu erwecken, er hätte mit all
dem, mit dem Atomausstieg und der Wiederaufbereitung
etwa nichts zu tun, das hätten irgendwelche anderen
Leute unterschrieben und beschlossen -, halten, ist es
meist in Ordnung, wenn Sie sich an der Koalitionsvereinbarung orientieren, geht es meistens schief.
Ich komme jetzt auf den Haushalt zu sprechen. Die
Steuereinnahmen explodieren. Es wird immer von
strukturellen Defiziten, Löchern usw. gesprochen. Man
muß den Bürgern doch einmal sagen: Der Finanzminister nimmt in diesem Jahr 31 Milliarden DM mehr an
Steuern ein als sein Vorgänger im letzten Jahr.
({1})
Das heißt, die Steuereinnahmen explodieren, aus welchen Gründen auch immer. Das kann doch jeder nachlesen.
Die Steuereinnahmen explodieren, und die Ausgaben
steigen um fast 7 Prozent. Da macht man einen Stabilitätspakt. Sie, Herr Lafontaine, melden bei der EU für
den Stabilitätspakt eine Ausgabengrenze in Höhe von
2 Prozent an. Sie selber schlagen Mehrausgaben in Höhe
von fast 7 Prozent für das Jahr 1999 vor.
({2})
- Wenn man bestimmte Dinge nicht mitrechnet und sie
statt dessen ausklammert, macht man Schattenhaushalte
und sagt, die Rentenfinanzierung gehört da nicht hinein.
Nein, alles muß hinein. Dann stellt man fest, wir haben
ein Ausgabenwachstum in Höhe von 7 Prozent.
Die Kritik am Haushalt müßte eigentlich beim Verfahren beginnen. Der Kollege Merz hat vom Anzeigengebaren und davon gesprochen, wie Sie mit der Verfassung umgehen. Ich möchte nur die Frage aufnehmen:
Wie halten Sie es mit der Wahrheit?
In offiziellen Broschüren - heute noch frisch auf den
Tisch gekommen -, in der Anzeige zum Jahreswechsel
steht: Wir halten Wort. Daran schließt sich erstens,
zweitens, drittens an. Drittens lautet: Wir haben den
Grundfreibetrag erhöht. Das ist gelogen. Das haben
Sie nicht gemacht. Sie haben den Grundfreibetrag nicht
erhöht.
({3})
Ich sage jedesmal, wenn der Bundeskanzler behauptet, seine Koalition habe den Grundfreibetrag erhöht, ist
er ein Schwindler. Der Grundfreibetrag ist durch eine
Entscheidung aus dem Jahre 1996,
({4})
die wir gemeinsam getroffen haben, beschlossen worden
({5})
und dann am 1. Januar in Kraft getreten. So ist es gewesen.
({6})
Jetzt den Eindruck zu vermitteln, man habe bestimmte
soziale Leistungen erbracht, ist einfach falsch.
({7})
Ich finde schon, daß eine Behörde wie das Bundespresseamt mit der Wahrheit sorgfältig umgehen muß;
denn sonst muß man sagen, daß es eine Propagandaeinrichtung und keine ordentlich funktionierende Verwaltung ist.
({8})
Sie verbreitet wahrheitswidrig falsche Behauptungen.
({9})
Lassen Sie mich zum Thema Sozial- und Rentenpolitik kommen. Es ist darauf hingewiesen worden, daß bei
der Rente nun endlich der richtige Weg beschritten
wird. Den demographischen Faktor haben Sie jetzt erst
einmal ausgeklammert. Worin besteht jetzt, nachdem
Sie die Rentenreform außer Kraft gesetzt haben, die Alternative für die Rentner? Es heißt doch unter dem
Strich: Die Rentner zahlen über die sogenannte Ökosteuer mehr Steuern. Das macht eine ganze Menge Geld
aus, wenn man sich einen normalen Haushalt, der Strom,
Benzin, Gas usw. verbraucht, ansieht.
({10})
- Bei Bus und Bahn zahlen sie selbstverständlich auch
mehr. Das ist doch besonders aberwitzig: Wer öffentliche Personennahverkehrsmittel benutzt, wird durch die
Ökosteuer besonders bestraft.
({11})
Das ist aber nur der eine Teil - die Rentner zahlen
zusätzliche Steuern -, und der zweite Teil kommt noch.
Wie sieht denn der demographische Faktor aus? Herr
Riester erzählt etwas vom Abkoppeln von den Nettolohnbeträgen. Später wollte er es so nicht gesagt haben.
Auf jeden Fall kommt irgend etwas. Das heißt, die
Rentner werden dafür, daß Sie den demographischen
Faktor ausgeklammert haben, zweimal bestraft, zweimal
gebeutelt.
Sie, Herr Finanzminister, haben gesagt, Ihr Ziel sei
es, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Ich würde sagen,
Sie haben das Ziel aus den Augen verloren. Sie wollen
sich am Kampf gegen die Arbeitslosigkeit messen lassen. Früher hieß es, jeder Arbeitslose ist einer zuviel. Ich
könnte jetzt die schöne Schröder-Uhr erwähnen. Seit
dem 27. September 1998 sind über 500 000 Arbeitslose
dazugekommen. Natürlich ist das auch saisonbedingt.
Aber jetzt hört man: Die Regierung kann ja nichts dafür,
das müssen die Tarifpartner machen. Gleichzeitig wird
gesagt: Tarifabschlüsse gehören natürlich nicht in das
Gespräch über das Bündnis für Arbeit hinein.
({12})
- Die Frage ist, wenn sie „natürlich nicht“ hineingehören: Wer trägt dann die Verantwortung für die entsprechenden Entscheidungen?
Jetzt wollen Sie das Problem lösen, indem Sie Milliarden für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur Verfügung stellen. Ich rechne das jetzt einmal aus: Die
5 Milliarden DM, die Sie zur Verfügung stellen, reichen
aus, um 150 000 Arbeitslose in Arbeit, vor allen Dingen
auf dem zweiten Arbeitsmarkt, zu bringen. Das ist exakt
die Zahl, um die die Arbeitslosigkeit im nächsten Jahr
zurückgehen soll: 150 000.
Das heißt, Sie selbst, Herr Finanzminister, erwarten,
daß in diesem Jahr ein Abbau der Arbeitslosigkeit um
150 000 ausschließlich mit zusätzlichen Mitteln für den
zweiten Arbeitsmarkt erkauft wird.
({13})
Wenn man das weiß, dann ist es doch logischer, zu sagen: Wir senken den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung ab, entlasten Arbeitnehmer und Betriebe und stärken den ersten Arbeitsmarkt. Auch das schafft übrigens
eine Erhöhung der Binnennachfrage, wenn es denn unbedingt sein soll. Sie beschreiten hier einen völlig falschen Weg.
Lassen Sie mich kurz ein paar andere Punkte ansprechen. Der Bundeskanzler hat in Vilshofen - offensichtlich nach der dritten Maß Bier ({14})
davon gesprochen, wir hätten das Land versaubeutelt.
({15})
- Als ich sein Gesicht gesehen habe, habe ich mir gedacht: So ganz nüchtern kann er nicht mehr gewesen
sein. Als ich die Zahlen gehört habe, habe ich mir gesagt: Das war völlig falsch.
Wir hatten als Ausgangssituation ein kräftiges Wirtschaftswachstum im letzten Jahr - das höchste seit der
Wiedervereinigung -, eine deutlich sinkende Arbeitslosigkeit im Vorjahresvergleich um netto 400 000 sowie
stabile Bundesfinanzen, und zwar Ausgaben unter dem
Niveau des Jahres 1993. Wir hatten eine sinkende
Staatsquote und ein sinkendes Bundesdefizit. Das war
die Ausgangssituation des Haushaltes 1998.
Die Bürger erwarten Sparsamkeit, Steuersenkungen,
mehr Investitionen, eine Fortführung des Abbaus der
Arbeitslosigkeit, schnelles Regierungshandeln und weniger Bürokratie.
Jetzt schaue ich mir an, wie die Situation zur Zeit ist:
Das Wachstum schrumpft. Daran sind natürlich die anderen schuld. Bei uns hätte dieses Argument nie gegolten, weil es als „hausgemacht“ deklariert worden wäre.
Die Staatsquote klettert wieder nach oben. Die Investitionsquote sinkt. Die Arbeitslosigkeit wird stagnieren, die
Beschäftigung wird sinken. Die Steuerquote steigt.
Das Interessante ist: Es gab noch vor ein paar Tagen
eine Broschüre des Finanzministeriums, in der die
steuerliche Belastung in Deutschland im Vergleich zu
anderen Ländern in Europa dargestellt worden ist.
Staatssekretär Noé hat entschieden, daß die Broschüre
eingestampft wird, weil aus ihr hervorgegangen ist - und
zwar etwas anderes als das, was Sie, Herr Finanzminister, immer sagen -, daß in Deutschland tatsächlich
eine exorbitant hohe Steuer- und Abgabenbelastung besteht. Die Wahrheit wird also verschleiert. Die Wahrheit
ist nicht zumutbar. Ich muß zugeben: Die Kollegin
Hendricks soll interveniert und gesagt haben: Laßt doch
ruhig die Wahrheit stehen. Aber der hauptamtliche
Staatssekretär hat gesagt: Das muß nicht sein; die Bürger brauchen nicht zu wissen, daß die Steuerbelastung in
Deutschland zu hoch ist.
Ich bin der Meinung: Sie sollten den Bürgern auch
hier die ganze Wahrheit sagen. Die Steuerbelastung ist
zu hoch. Sie muß revidiert werden. Sie sollten die Entscheidungen dann treffen, wenn sie getroffen werden
müssen. Es gibt in Deutschland viele Probleme, weil es
am Vollzug fehlt, Investitionen nicht getätigt werden
und das Geld für den Konsum verplempert wird.
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Die Leistungen
für die Rentenversicherung steigen in diesem Jahr auf
25 Prozent aller Bundesausgaben. Oswald Metzger, das
ist die Konsequenz eurer falschen Rentenpolitik von den
Grünen. Nachhaltigkeit beim Haushaltswirtschaften sei
nötig. Inzwischen werden 25 Prozent der Bundesausgaben für die Rentenversicherung verwendet.
({16})
Im letzten Jahr waren es 3 Prozent weniger.
Die höheren Rentenzuschüsse kann man doch nicht
als durchlaufende Ausgaben bezeichnen, wie ihr das
versucht. Es geht hier vielmehr ganz klar darum, daß
sich diese Summe im nächsten Jahr noch erhöhen wird.
Denn jetzt beziehen sich diese Ausgaben nur auf ein
Dreivierteljahr. Im nächsten Jahr müssen Ausgaben für
das ganze Jahr erfolgen. Das heißt, der Bund muß pro
Jahr Zuschüsse an die Rentenversicherung in Höhe von
über 120 Milliarden DM zahlen, weil ihr euch darum
gedrückt habt, die richtigen Entscheidungen, die wir getroffen haben, aufrechtzuerhalten. Das Geld fehlt natürlich bei den Investitionen.
({17})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Metzger?
Ja, gerne.
Bitte sehr, Herr
Kollege Metzger.
Lieber Dietrich Austermann, könntest du bitte zur
Kenntnis nehmen, daß eine Steigerung der Ausgaben für
die Zuschüsse an die Rentenversicherung im Bundeshaushalt nach derzeitigem Rechtsstand ausschließlich
auf der Tatsache basiert, daß von der alten Koalition die
Mehrwertsteuer erhöht wurde und daß auch ihr eine
Form der Umfinanzierung gewählt habt, um den Beitragsanstieg von 20,3 auf 21 Prozent zu verhindern? Wärest du dann, intellektuell redlich, in der Lage, nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen, sondern Gleiches mit
Gleichem? Die Ökosteuer hat im Rahmen der Zuführung
von Zuschüssen an die Rentenversicherung die gleiche
systematische Wirkung wie die Mehrwertsteuer. Zumindest das muß hier der Redlichkeit halber gesagt werden.
Das hat zwar
mit dem Thema, so wie ich es gemeint habe, nichts zu
tun, ist auch nicht ganz falsch. Es ging ja um folgendes:
Wir hatten vor der letzten Wahl Maßnahmen getroffen,
die für manch einen Rentner zugegebenermaßen eine
Zumutung hätten bedeuten können. Das waren relativ
bescheidene Maßnahmen, gültig für eine lange Zeit.
Niemand hätte weniger gehabt, aber der Anstieg wäre
geringer gewesen. Diese Maßnahme habt ihr ausgesetzt.
Das kostet jetzt das Geld, das ihr bei anderer Gelegenheit hereinholen müßt. Dazu kommt der falsche Weg,
eine Beitragsabsenkung über die Ökosteuer zu finanzieren, die den Menschen hinterher das Geld wieder aus
den Taschen nimmt. Das ist doch hinten und vorne nicht
schlüssig.
Du redest dauernd von einer veränderten Struktur,
davon, daß man endlich ein Konzept in die Finanzpolitik
bringen muß, und dann kommen solche unsinnigen Vorstellungen. Vernünftige Maßnahmen zur Beeinflussung
des demographischen Faktors werden für zwei Jahre
ausgesetzt; also passiert drei Jahre nichts. Die Umfinanzierung erfolgt durch eine neue Steuerbelastung. Das
heißt: Auch die Steuerquote geht in die Höhe. Das kann
doch niemand für richtig halten.
({0})
Wollen Sie noch eine Zwischenfrage zulassen? - Bitte sehr, Herr Kollege
Metzger.
Noch einmal ein Appell an die Redlichkeit: Der demographische Faktor der alten Koalition hätte in diesem
Haushaltsjahr 900 Millionen DM an Entlastung gebracht. Es kann doch also nicht allen Ernstes von Ihnen
- jetzt bin ich formell - das Argument angeführt werden, die Zuschüsse an die Rentenversicherung seien dadurch exorbitant hoch und belasteten den Haushalt, weil
der demographische Faktor in diesem Jahr nicht in Kraft
getreten sei. Diese 900 Millionen DM in Relation gestellt zu den 8,5 Milliarden DM an Ökosteueraufkommen entspricht in etwa dem Verhältnis von 1 : 10.
Ich habe gesagt:
der demographische Faktor und weitere Entscheidungen,
die diese Regierung getroffen hat. Dazu gehört beispielsweise die Finanzierung der Absenkung des Rentenversicherungsbeitragssatzes über die sogenannte
Ökosteuer. Das halten wir für eine falsche Entscheidung.
Das heißt, daß hier eine falsche Rentenpolitik gemacht
wird. Wenn wir uns in der Summe einig sind - okay.
Ich möchte etwas dazu sagen, welche Wirkung dieser
Bundeshaushalt für den Arbeitsmarkt hat. Das sollte
schließlich die Meßlatte sein. Der Bundesfinanzminister
hat gesagt, Ziel sei, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.
({0})
Sehen wir uns das Ganze einmal an! Schröders Karneval geht trotz der Fastenzeit weiter. Bei der Steuerreform beträgt das Ausgabevolumen 10 Milliarden DM
und das Einnahmevolumen 10 Milliarden DM. Netto
bleiben etwa 131 Millionen DM in den Taschen der
Bürger. Das kann man in Prozenten, bezogen auf den
Bundeshaushalt, gar nicht ausrechnen.
Nehmen wir nur einmal das Jahr 1999. Die Wirtschaft braucht Impulse. Wenn sich die Mehreinnahmen
und die Mehrausgaben in Höhe von 10 Milliarden DM
nahezu ausgleichen und den Leuten etwas in die Tasche
gegeben wird, heißt das, daß in diesem Jahr für diese
„Steuerreform“ die Betriebe und Bürger gewaltig belastet werden müssen, um die zwei Geschenke zu finanzieren, die Sie versprochen haben: die Erhöhung des
Kindergeldes und die Senkung des Eingangssteuersatzes
um mickrige 2 Prozentpunkte. Im übrigen bringt diese
Senkung des Eingangssteuersatzes für Verheiratete nur
7 DM pro Monat,
({1})
für Ledige 3,50 DM. Das sollten Sie sich überlegen, bevor Sie damit auf die Straßen und, wie es früher hieß,
Plätze gehen.
Unterm Strich belasten Sie mit dem, was Sie an Geschenken austeilen, Wirtschaft und Betriebe. Da Sie einen bestimmten Betrag aufbringen müssen, heißt das,
daß es in diesem Jahr zu einer gewaltigen Belastung des
Mittelstandes kommt.
Herr Finanzminister, Sie haben vorhin gesagt, das
Ifo-Institut habe Ihnen - ich nehme an, für das Jahr 2002
oder 2003 - eine Entlastung des Mittelstandes um
3,5 Milliarden DM bescheinigt. Im Jahr 1999 wird der
Mittelstand nicht um einen Pfennig entlastet, sondern
belastet. Sie können dies ganz leicht nachrechnen; Sie
brauchen sich nur die Schlußbilanz der Steuerreform anzugucken. Sie treten mit Ihrer Steuerreform den Mittelstand in den Hintern und erwarten Dankbarkeit, wenn
der Schmerz nachläßt.
({2})
Und die Dankbarkeit soll darin bestehen, daß man mehr
investiert, obwohl man durch Steuern und Abgaben höher belastet wird.
Jetzt komme ich zu einem besonderen Aspekt des
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002. § 2b soll
neu in das Einkommensteuergesetz eingefügt werden;
der Kollege Merz hat vorhin darauf Bezug genommen.
§ 2b soll die Verlustzuweisungen begrenzen. Das bedeutet - wie die Küstenminister, zumeist Sozialdemokraten, Ihnen heute ins Stammbuch geschrieben haben -,
daß in absehbarer Zeit, in den nächsten 6 Monaten, auf
den Werften 6 000 Menschen mehr keine Arbeit haben.
Sie haben vorhin die Diskussion um steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten und Verlustzuweisungen unter dem Stichwort Neid geführt. Das alles ist ja etwas
Böses. Der Gesetzgeber - da waren Sie ja meistens dabei - hat ja nicht gesagt: Ich mache jetzt einmal eine
Steueränderung, indem ich die Abschreibung zulasse,
damit sich einige das Geld voll in ihre Taschen stecken
können. Vielmehr hat der Gesetzgeber gesagt: Ich muß
den Investitionsfähigen die Möglichkeit geben, Investitionen auch zu leisten; ich muß Investitionen anreizen,
beispielsweise den Bau von Schiffen.
Wenn Sie sich die Situation jetzt anschauen, dann
werden Sie folgendes finden: Ein Auftragsvolumen von
2 Milliarden DM - das sind 6 000 Arbeitsplätze -,
schätzt der Verband Schiffbau und Meerestechnik, wird
im nächsten halben Jahr durch die falschen Entscheidungen in Mitleidenschaft gezogen. Oder lassen Sie es
uns konkret sagen: Der Kanzler aus Norddeutschland
bricht den Werften das Genick. Nichts anderes bedeutet
es, wenn dieser § 2b so verabschiedet wird. Das gleiche
gilt für den Wohnungsbau in den neuen Bundesländern;
das gleiche gilt für Sanierungsmaßnahmen. Das ist
Werftenfinanzierung in Deutschland.
Daß Sie vom Export nichts halten, ist, glaube ich,
klar. Sie haben das ja schon öfter verbreitet. In bezug
auf die asiatischen Krisenländer haben Sie gesagt, wir
müßten ihnen durch stärkere Importe zur Seite stehen.
Der Staatssekretär Flassbeck lehnt einen Wettbewerb
zwischen den Staaten ab. Sie haben vor kurzem gesagt,
die alte Regierung habe krampfhaft versucht, über den
Export zu Lasten anderer Länder mehr Wachstum zu
schaffen. Ich glaube, der Bundestag ist gefordert. Es ist
ein gutes Zeichen, daß die Kollegen vorhin gesagt haben: Wir werden morgen im Haushaltsausschuß nicht
über die Steuerreform beraten. Ich hoffe, daß die Einsicht siegt und daß die Fehler, die Sie dort gemacht haben, wieder revidiert werden, bevor wir uns endgültig
im Bundestag darüber unterhalten.
Zur Ökosteuer. Jeder, der sich in den Betrieben seines Wahlkreises umhört, wird wissen: Es gibt viele Betriebe, die sagen: Netto bedeutet das, was ihr hier vorhabt, eine Mehrbelastung. Die Ökosteuer belastet zum
Beispiel die Hamburger Betriebe mit 200 Millionen DM
nur beim Strom und die Betriebe in Schleswig-Holstein
mit 100 Millionen DM. Das heißt doch wohl nichts anderes, als daß die Leute weniger Geld zum Investieren in
der Hand haben.
Jetzt komme ich zum Thema Deregulierung, wie es
sich aus den vorgelegten Beschlüssen, auch zur Ökosteuer, ergibt. Es gibt ein offizielles Papier des Finanzministeriums aus diesen Tagen, das den zusätzlichen
Personalbedarf auf Grund der Ökosteuer begründet. Da
heißt es: Die Durchführung des Gesetzes zum Einstieg
in die ökologische Steuerreform beinhaltet im wesentlichen neue Aufgaben für die Zollverwaltung.
({3})
Es ist also eine Arbeitsbeschaffung für die Zollverwaltung; das ist ein ganz neuer Gedanke. Ich dachte immer,
es geht darum, die Umwelt zu retten. Nein, es geht um
neue Aufgaben für die Zollverwaltung.
Es ist da von 530 Arbeitskräften im gehobenen und
mittleren Dienst und von weiteren 250 Sachbearbeitern
die Rede. Was haben die zu tun? Sie erheben die Stromsteuer und prüfen die Steueranmeldungen. Aha, man
muß also künftig anmelden, wenn man Strom verbraucht. Weiter heißt es: Erteilung von rund 200 000
Erlaubnissen für das produzierende Gewerbe zum steuerbegünstigten Bezug von Strom. 200 000 Betriebe
müssen jetzt also Anträge des Inhalts stellen, daß sie
produzieren wollen und daß sie Strom verbrauchen. Da
steht: Vergütung der Mineralölsteuer auf Heizöl und
Erdgas für 130 000 Unternehmen des produzierenden
Gewerbes. Es heißt da, daß die Kraft-Wärme-Kopplung
überprüft werden muß. Weiter ist von der Vergütung der
Ökosteuer nach einem Verrechnungsmodell für 30 000
nettobelastete Unternehmen die Rede. So haben wir uns
schon immer eine Steuerreform vorgestellt. Es ist ein
Arbeitsbeschaffungsprogramm für 780 Zöllner.
({4})
- Ja.
Wenn Sie sich das Ganze weiter anschauen, dann
stellen Sie fest: Die Regierung kürzt die Investitionen;
sie macht eine konsumlastige Steuer- und Abgabenpolitik; 1 000 Arbeitsplätze in der Energiewirtschaft werden
in Frage gestellt. Sie machen eine Politik, die sich im
Grunde genommen gegen alles das richtet, was die
Mehrheit der Ökonomen in Deutschland sagt. Oskar gegen den Rest der Welt. Wie der „Spiegel“ gestern richtig
geschrieben hat: Es gibt keine wichtige Sachposition,
bei der Sie auf seiten der Mehrheitsmeinung sind. Sie
vertreten immer eine Position, die eine Minderheit, der
Wirtschaftswissenschaftler und anderer vertritt.
({5})
- Mag schon sein.
Gestatten Sie noch
eine weitere Zwischenfrage, diesmal des Kollegen
Tauss?
Ja, bitte.
Kollege Tauss, bitte.
Nachdem Sie sich gerade so vehement über die Zunahme der Stellen beim Zoll beklagt
haben, will ich Sie doch fragen, weshalb die alte Bundesregierung wegen des hohen zusätzlichen Personalbedarfs beim Zoll für 25 Millionen DM eine neue Bundeszollschule errichten wollte. Die alte Regierung hat ausgeführt, daß die Kapazitäten angesichts des Personalzuwachses, den sie geplant hat, nicht ausreichen.
({0})
Haben Sie nicht auch den Eindruck, daß das, was Sie
jetzt vortragen, vielleicht doch sehr konstruiert ist und
daß wir es hier mit Dingen zu tun haben, die die alte
Bundesregierung viel mehr zu vertreten hat?
({1})
Herr Kollege
Tauss, das, was die bisherige Bundesregierung im Personalbereich will, ergab sich aus dem Haushalt von
Bundesfinanzminister Waigel für 1999. Da waren diese
780 zusätzlichen Stellen nicht drin.
Das, was ich hier vorgetragen habe, ist nicht etwa
eine Kabarettvorlage für die Rede des Bundeskanzlers in
Vilshofen, sondern entstammt einem offiziellen Papier
aus dem BMF, das überschrieben ist mit: BMF III A 1,
12. Februar 1999, Personalbedarf für die Erhebung der
Ökosteuer. - Ich finde es gut, den Menschen einmal zu
sagen, was Sie unter Deregulierung verstehen und was
Sie im Zuge der Steuerreform anrichten: ein Beschäftigungsprogramm für eine Fülle von Beamten.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen.
({0})
- Ich kann mir vorstellen, daß Ihnen das nicht gefällt.
Der Kollege Merz hat ja schon gesagt: Wir haben die
betretenen Gesichter Ihrer Kabinettskollegen und der
Kollegen auf der linken Seite des Hauses gesehen, als
Sie heute morgen vorgetragen haben.
Angesichts des Haushalts und dessen, was jetzt vorgelegt ist, wird es schwerfallen, tatsächlich Verbesserungen vorzunehmen.
({1})
Manch einer fragt ja: Wo ist denn die Alternative der
Opposition? Darauf frage ich immer zurück: Welche
Alternative gibt es zum Chaos? Schauen Sie sich den
Haushalt an - ich habe ein paar Grunddaten genannt -:
Dazu eine Alternative aufzustellen ist doch schon fast
eine Beleidigung für den, dem man das zumutet.
Herr Kollege,
denken Sie an die Redezeit!
Wir werden
konkrete Anträge stellen, um die Neuverschuldung zu
senken, die Sozialausgaben zu bremsen, die Investitionen zu steigern. Die Arbeitsplätze in Deutschland müssen mehr werden. Das erreicht man nicht mit dieser
Haushaltspolitik.
({0})
Dazu muß man eine andere machen. Zu all dem, was
dazu erforderlich ist, tragen wir unseren Teil bei.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Konstanze Wegner.
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach
dem Regierungswechsel hat sich die neue Regierung
zwei wesentliche Aufgaben gesetzt. Das eine ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, das andere die Wiederherstellung der sozialen Gerechtigkeit, die unter der
alten Regierung in vielfacher Hinsicht auf das gröblichste verletzt worden war.
({0})
Es ist vorhin schon angeklungen: Die Menschen haben ein kurzes Gedächtnis. Deshalb möchte ich doch
noch einmal sagen, was Rotgrün in den ersten hundert
Tagen auf diesem Feld geleistet hat, auch wenn das Ihrer
Seite vielleicht nicht angenehm ist.
Zunächst zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit:
Wir haben ein Programm gegen die Jugendarbeitslosigkeit auf den Weg gebracht, das 100 000 Jugendlichen
eine Lehrstelle bzw. einen Arbeitsplatz bringen soll. Es
ist mit einem Volumen von 2 Milliarden DM ausgestattet, angesiedelt im Haushalt der Bundesanstalt für
Arbeit. Immerhin wurden - das ist ja auch viel Arbeit;
das kann man ruhig einmal anerkennen - im ersten
Monat bereits mehr als 500 000 Jugendliche angeschrieben, 63 900 wurden konkrete Angebote gemacht, und
5 800 haben bereits eine solche Lehrstelle bekommen.
({1})
Der Bundesanstalt für Arbeit haben wir durch einen
hohen Bundeszuschuß in Höhe von 11 Milliarden DM
endlich den nötigen Spielraum gegeben, die aktive Arbeitsmarktpolitik des Staates auf hohem Niveau zu
verstetigen.
({2})
Herr Austermann, ich weiß, daß Sie etwas gegen diese
Form von Arbeitsförderung haben. Natürlich sind Arbeitsplätze im ersten Arbeitsmarkt immer vorzuziehen.
Aber in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit kann man auf
Lohnkostenzuschüsse, auf Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, auf Fortbildung und Weiterbildung nun einmal
nicht verzichten. Sie bleiben unverzichtbare arbeitsmarktpolitische Instrumente in einer solchen Krisensituation.
({3})
Wir haben damit die unsinnige Stop-and-go-Politik,
die Ihre Regierung in diesem Bereich betrieben hat, beendet. Die Arbeitsmarktpolitik wird verstetigt, und Träger und Beschäftigte haben wieder, was vorher nicht der
Fall war, Planungssicherheit.
({4})
Wir haben das Kindergeld für das erste und zweite
Kind erhöht, und wir haben die erste Stufe der Steuerreform auf den Weg gebracht, die den Grundfreibetrag
erhöht und den Eingangssteuersatz senkt. Das bringt
nicht nur mehr soziale Gerechtigkeit für Familien, sondern wird auch die Nachfrage erhöhen und damit einen
Impuls zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit geben.
Gewiß hätten wir alle im Hinblick auf die Steuerentlastung gerne sofort größere Schritte getan. Aber angesichts der Tatsache, daß unter der alten Regierung Kohl
die Bundesschuld auf Dauer zum zweitgrößten Haushaltsposten geworden ist, und angesichts der Tatsache,
daß wir heute eine Zins-Steuer-Quote von 23,5 Prozent
haben, sind auf diesem Feld nur kleine Schritte möglich,
die zudem ganz säuberlich gegenfinanziert werden müssen.
({5})
Aber es kommt darauf an, daß die Richtung dieser
Schritte stimmt.
({6})
Wir haben das „Bündnis für Arbeit“ wiederbelebt,
das die alte Regierung hatte verkommen lassen. Wir
haben das Entsendegesetz entfristet. Wir werden durch
einen Einstieg in die ökologische Steuerreform den
Rentenbeitrag absenken, um die Kosten der Arbeit zu
senken und so einen weiteren Impuls zur Bekämpfung
der Massenarbeitslosigkeit zu geben.
Ich mache gar keinen Hehl daraus, daß ich mir bei
dem Einstieg in die ökologische Steuerreform etwas
mehr Mut bei meiner eigenen Regierung gewünscht
hätte,
({7})
konkret: eine deutlichere Erhöhung der Mineralölsteuer
als die vorgesehenen 6 Pfennige. - Sie von der Opposition dürften doch einmal klatschen, wenn ich meine
eigene Regierung kritisiere.
({8})
Zur Wiederherstellung der sozialen Gerechtigkeit
haben wir die volle Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
wiedereingeführt. Dies ist ein Akt der Gerechtigkeit vor
allem gegenüber den weit über 6 Millionen Beschäftigten, die keinen tariflichen Anspruch auf die volle Lohnfortzahlung hatten. Wir haben die Aufweichung des
Kündigungsschutzes rückgängig gemacht. Wir haben
die geplante Absenkung des Rentenniveaus ausgesetzt,
weil, Herr Austermann, diese sogenannte Reform der
Regierung Kohl vor allem zu Lasten von Frauen mit
niedrigen Renten gegangen wäre. Das war nicht zu verantworten. Eine echte Rentenreform, welche die Renten
dauerhaft sichert und die Beiträge stabilisiert, steht auf
der Tagesordnung dieser Regierung. Ich bin ganz sicher:
Da wird alles auf den Tisch kommen; da wird auch über
neue Möglichkeiten nachgedacht werden müssen.
Wir haben schließlich - auch dies gehört in den Bereich Wiederherstellung sozialer Gerechtigkeit - die
überhöhten Zuzahlungen im Gesundheitswesen gesenkt.
Wir haben das in dieser Form unsinnige Krankenhausnotopfer abgeschafft. Wir haben dafür gesorgt, daß auch
den nach 1978 Geborenen wieder Zahnersatz bezahlt
wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist nur eine
Auswahl dessen, was die Regierung im ersten Vierteljahr ihrer Tätigkeit zur Wiederherstellung der sozialen
Gerechtigkeit auf den Weg gebracht hat.
({9})
Ich denke, trotz mancher handwerklicher Fehler, trotz
zugegebenermaßen großer Schwierigkeiten bei der sauberen Gegenfinanzierung ist dies eine Bilanz, die sich
durchaus sehen lassen kann.
Der Haushaltsentwurf 1999 der Bundesregierung im
Bereich Arbeit und Soziales - er umfaßt zumindest ein
Drittel des Haushalts; lassen Sie mich deshalb einige
Worte dazu sagen - setzt inhaltliche Akzente im Sinn
der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Wiederherstellung sozialer Gerechtigkeit.
Ich habe den hohen Bundeszuschuß von 11 Milliarden DM an die Bundesanstalt für Arbeit schon angesprochen, der jene Verstetigung der aktiven Arbeitsmarktpolitik des Staates ermöglicht, die wir in der
Opposition jahrelang vergeblich gefordert haben.
({10})
Das Langzeitarbeitslosenprogramm, das sich sehr
bewährt hat und in diesem Jahr auslaufen sollte, wird
auf hohem Niveau mit einem Volumen von 750 Millionen DM pro Jahr bis 2002 weitergeführt. Das bedeutet,
daß in diesem Zeitraum voraussichtlich 140 000 Langzeitarbeitslose wieder integriert werden können.
Für die sogenannten Strukturanpassungsmaßnahmen - konkret sind das Lohnkostenzuschüsse für Arbeitsverhältnisse in den Bereichen Umwelt, soziale
Dienste, Jugendhilfe, aber auch bei Wirtschaftsunternehmen - stehen im Bundeshaushalt 2 Milliarden DM
zur Verfügung. Dazu kommen noch einmal 3,5 Milliarden DM im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit. Mit
den Mitteln dieses Programms können im Jahresdurchschnitt etwa 200 000 Menschen beschäftigt werden, davon allein 180 000 in den neuen Ländern; da liegt der
Schwerpunkt dieses Programms.
({11})
Der größte Brocken im Haushalt - das ist schon angesprochen und von Ihrer Seite beklagt worden - ist der
Zuschuß des Bundes zur Rentenversicherung. Ich
denke, im Sinne der Haushaltsklarheit und -wahrheit, die
in diesem Hause immer eingefordert werden, ist es gut,
daß zum erstenmal klar ausgegliedert und ausgewiesen
wird, was dort alles zusammenkommt.
Der Kollege Metzger hat schon bei der Höhe, die
immer beklagt wird, eine Sache richtiggestellt. Er hat
gesagt: Jetzt schlägt die Tatsache voll zu Buche, daß wir
den Beitrag durch einen Punkt Mehrwertsteuererhöhung
heruntersubventioniert haben. Das macht etwa 15 Milliarden DM. Das haben wir gemeinschaftlich beschlossen,
weil sonst der Rentenbeitrag auf über 21 Prozent geklettert wäre.
({12})
Aber ein weiterer Punkt ist gar nicht angesprochen:
Der Bund zahlt jetzt echte Beiträge zur Kindererziehungszeit. Das sind allein 13,6 Milliarden DM. Sie sind
hier veranschlagt. Diese Summe ist wesentlich höher als
die vorherigen Pauschbeträge, die der Bund gezahlt hat.
Das waren nämlich nur 4 Milliarden DM.
({13})
Natürlich wird auch der Haushaltsentwurf im Bereich
Arbeit und Soziales im Rahmen der Haushaltsberatungen noch verändert werden: sowohl im Sinne einer weiteren Konsolidierung als auch in dem Sinne, daß noch
andere Akzente gesetzt werden.
Ich weiß, es gibt hier auch Wünsche. Handlungsbedarf sehe ich zum Beispiel im Bereich der Ausländerbeauftragten und beim Behindertenbeauftragten. Beide sagen mit einem gewissen Recht, angesichts der Bedeutung, die der von ihnen betreute Personenkreis hat, brauchen sie mehr Geld. Wir werden darüber reden. Wir
werden versuchen, dem zu entsprechen. Allerdings gilt
auch hier ganz klar, was von unserer Seite gesagt wird:
Alle inhaltlichen Akzentverschiebungen in den Einzelplänen müssen aus dem jeweiligen Einzelplan selbst gegenfinanziert werden.
Ein Haushaltsrisiko - auch das will ich ansprechen sehe ich im Bereich der Arbeitslosenhilfe. Sie ist mit 28
Milliarden DM veranschlagt. Ich fürchte, daß das möglicherweise nicht reichen wird.
Der Haushaltsentwurf 1999 insgesamt ist ein sehr
vernünftiger Entwurf, weil er neue inhaltliche Schwerpunkte mit den - zugegebenermaßen schüchternen - Anfängen einer Konsolidierung verbindet.
({14})
Der Haushalt 2000 wird uns vor ungleich größere
Schwierigkeiten stellen, weil dann neben dem strukturellen Defizit, das uns die alte Regierung hinterlassen
hat, eben auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
berücksichtigt werden muß. Dazu kommen Unwägbarkeiten im Zusammenhang mit den Auswirkungen internationaler Finanzkrisen auf die Gewährleistungen des
Bundes und natürlich Unsicherheiten über die Entwicklung der Konjunktur im allgemeinen.
Es bleibt das Ziel dieser Regierung, die Massenarbeitslosigkeit zurückzuführen, die Staatsfinanzen zu
konsolidieren und darüber hinaus neue inhaltliche Akzente im Sinne der Koalitionsvereinbarung zu setzen.
Das sind zugegebenermaßen ehrgeizige Ziele, die sich
sicher nicht kurzfristig erreichen lassen. Der Haushaltsentwurf 1999 ist ein erster Schritt auf diesem Wege.
Eines sollte allen klar sein: Es ist nicht möglich, innerhalb von vier Monaten, in einem Jahr oder auch in
zwei Jahren all das zu korrigieren und zu verbessern,
was innerhalb von 16 Jahren versäumt und versiebt
worden ist.
({15})
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Gerda Hasselfeldt.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieser Haushalt 1999 ist vom Abkassieren und vom Umschichten
geprägt.
({0})
Er ist nicht davon geprägt, die notwendigen Prioritäten
für Wachstum und Beschäftigung zu setzen, er ist nicht
von Konsolidieren und Sparen geprägt, und er ist nicht
davon geprägt, die Staatsausgaben und die Staatsquote
zu senken. Gerade dies wäre aber notwendig.
({1})
Dabei hatten Sie eine hervorragende Ausgangsposition, als Sie die Regierung übernahmen.
({2})
Als Sie die Regierung übernahmen, hatten wir einen
Rückgang der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen. Als Sie
am Ende des vergangenen Jahres die Regierung übernahmen, hatten wir Privatisierungserlöse in Höhe von 10
Milliarden DM, und die Vorausschätzungen für Steuereinnahmen im Jahr 1999 waren um 30 Milliarden DM
höher als vorgesehen. Meine Damen und Herren, wenn
das keine gute Ausgangsposition ist, dann weiß ich
nicht, was noch positiv ist. Diese gute Ausgangsposition
haben Sie in wenigen Wochen und Monaten leichtfertig
verspielt.
({3})
Die Wachstumsprognosen sind immer schlechter geworden, der Rückgang der Arbeitslosigkeit ist gestoppt,
und - was am schlimmsten ist - die Verunsicherung bei
der Wirtschaft - in den Betrieben, im Handel, im Handwerk, im industriellen Bereich und im Dienstleistungsbereich - ist so groß, daß Investitionen und die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze derzeit ausbleiben.
({4})
Das ist auch kein Wunder bei der Konzeptionslosigkeit und bei der Politik - insbesondere im steuerpolitischen Bereich -, die ohne jeden Rat von Sachverständigen und ohne jeden Sachverstand gemacht wurde. Ich
will das mit einigen Beispielen begründen.
Vorhin wurde es schon angesprochen: Die von uns
vorgenommene Strukturreform in der Rentenversicherung haben Sie zurückgenommen - ohne zu sagen,
wie die demographischen Probleme gelöst werden sollen. Es wäre das mindeste gewesen, zu sagen, wie die
vorhandenen Probleme, die niemand leugnet, angepackt
werden sollen. Sie selbst haben in der Rentenversicherung Löcher geschaffen, und jetzt wollen Sie sie durch
eine zusätzliche Steuererhöhung stopfen. Das Loch, das
Sie geschaffen haben, meine Damen und Herren, ist
selbstverschuldet!
({5})
Es wird davon gesprochen, mit der Ökosteuer mache
man etwas ganz Soziales. Mittlerweile reden die Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungsfraktionen bei
diesem Vorhaben von der „ökologisch-sozialen Reform“. Ich frage Sie, was an dem Ganzen „ökologisch“
ist. Was hat das mit Umwelt zu tun?
({6})
Der Finanzminister hat heute vormittag in diesem Zusammenhang das Beispiel der Einführung des Katalysators gebracht. Ja, Herr Lafontaine, damals haben wir
echte Umweltpolitik gemacht. Damals haben wir mit der
Einführung und Förderung des Katalysators tatsächlich
zu einer Verbesserung der Umweltsituation beigetragen.
Was Sie aber „Umwelt“ und „Öko“ nennen, ist nichts
anderes als eine Erhöhung der Mineralölsteuer, eine Erhöhung der Heizölsteuer, eine Erhöhung der Erdgassteuer und die Neueinführung einer Stromsteuer. Das ist
nichts anderes als ein Abkassieren; das hat nichts mit
einer ökologischen Lenkungswirkung zu tun!
({7})
Mit „sozial“ hat das Ganze auch nichts zu tun. Was
sagen Sie denn den Rentnern? Was sagen Sie denn den
Arbeitslosen? Was sagen Sie denn den Studenten? Was
sagen Sie denn den Leuten, die wenig verdienen und
deshalb auch wenig Beiträge in die Sozialversicherung
zahlen? Die haben von der Senkung der Rentenversicherungsbeiträge keinen Vorteil. Sie haben nur Nachteile,
und zwar bei all dem, bei dem sie sich nicht wehren
können, weil auch sie warme Wohnungen brauchen,
weil auch sie Strom brauchen und weil auch sie in der
Regel aufs Auto angewiesen sind. Es liegt auf der Hand,
daß das nichts mit „sozial“ und nichts mit „ökologisch“
zu tun hat.
({8})
Bei dieser Gelegenheit noch eines: Der Sachverständigenrat hat bei diesem Gesetz, wie im übrigen auch bei
dem anderen Steuergesetz, überhaupt keine Rolle gespielt. Wir hatten am vergangenen Donnerstag eine Anhörung im Finanzausschuß dazu. Sie haben nichts, aber
auch gar nichts von der Kritik, die dort rundum geäußert
wurde, in Ihrem Gesetzentwurf berücksichtigt, sondern
den Entwurf am gleichen Tag - ohne die entsprechenden
Voten der mitberatenden Ausschüsse abzuwarten - beschlossen. Das ist ein Umgang mit dem Parlament und
mit den Sachverständigen, wie er schlimmer nicht sein
könnte, der sogar von den Sachverständigen selbst in der
Anhörung kritisiert wurde.
({9})
Es ist ja nicht nur der Umgang mit der Opposition, sondern der Umgang mit dem Parlament insgesamt und mit
den Sachverständigen.
({10})
Ich hoffe, daß Sie das künftig anders machen; denn dies,
meine Damen und Herren, ist alles andere als eine geregelte und seriöse Gesetzgebungsarbeit.
({11})
Von Ihnen ist immer wieder angesprochen worden,
Ihre Steuerpolitik stehe im Zusammenhang mit Investitionen und Arbeitsplätzen. Es ist wirklich der Gipfel der
Unverfrorenheit, wenn Sie im Zusammenhang mit dem,
was Sie im Steuerbereich vorhaben und gemacht haben,
Investitionen, Beschäftigung und Arbeitsplätze nennen.
Sie fördern damit nämlich nicht Wachstum und Beschäftigung, im Gegenteil, Sie verhindern damit zusätzliche Arbeitsplätze und zusätzliches Wachstum. Ich gebe
Ihnen auch dafür eine Begründung.
Sie haben zum 1. Januar 1999 das Kindergeld erhöht. Das ist eine für die Betroffenen sicherlich schöne
Angelegenheit. Aber über die Finanzierung der hierfür
erforderlichen 6 Milliarden DM ist immer noch nicht
entschieden. Wenn sie jedoch entschieden wird, dann so,
daß die Finanzierung auf dem Rücken derer erfolgen
wird, die für zusätzliche Arbeitsplätze in diesem Lande
sorgen sollen, nämlich auf dem Rücken des Mittelstandes und der Wirtschaft.
({12})
Eine halbherzige, über den ganzen Bereich wirklich
minimale Steuersatzsenkung ist mit Ihrer Steuerreform
verbunden. Im Vordergrund steht aber die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, also das, was Sie
immer unter Neidgesichtspunkten in den Raum stellen.
Diese Verbreiterung der Bemessungsgrundlage wollen
Sie auf den 1. Januar 1999 vorziehen, während Sie die
Unternehmensteuerreform mit der Senkung der Steuersätze für einen unbestimmten Zeitpunkt in Aussicht
stellen. Das hat mit Investitionsanreizen und der Schaffung von Arbeitsplätzen überhaupt nichts zu tun; das ist
kontraproduktiv, meine Damen und Herren.
({13})
Nun sagen Sie, Sie hätten nach dieser ominösen
Klausurtagung des Kabinetts eine Reihe von Korrekturen vorgenommen, jetzt sei in der Steuerreform eine
Menge von dem enthalten, was wir auch gemacht hätten.
Allerdings gibt es dabei einen ganz wesentlichen Unterschied: Bei den Petersberger Beschlüssen und bei dem,
was wir verabschiedet haben, war eine deutliche Senkung aller Steuersätze - vom Eingangssteuersatz bis
zum Spitzensteuersatz, bei der Einkommensteuer und
bei der Körperschaftsteuer - vorgesehen. Das war das
Kernstück unserer Reform, und das wäre auch heute
dringend notwendig. Das jedoch fehlt bei Ihnen.
({14})
Dann sagen Sie, Sie hätten von dem Schlimmeren beispielsweise Teilwertabschreibung, Mindestbesteuerung, Verlustverrechnung - vieles korrigiert. Was haben
Sie denn korrigiert? Sie haben nur Marginales korrigiert.
Sie gehen von dem Vorhaben der Abschaffung der
Teilwertabschreibung nicht ganz weg, sondern führen
den ominösen Begriff „dauerhafte Wertminderung“ ein,
ohne ihn konkret zu definieren.
({15})
Die Beweislast wird bei den Steuerpflichtigen liegen.
({16})
Die Streitigkeiten zwischen den Betriebsprüfern und den
Steuerpflichtigen werden zunehmen. Sie werden sehen,
daß dies alles andere als praktikabel sein wird und zu
zusätzlichen Verunsicherungen und zu ganz großen
Schwierigkeiten insbesondere bei mittelständischen Betrieben führen wird.
({17})
Frau Kollegin - Gerda Hasselfeldt ({0}): Die Zuschriften,
meine Damen und Herren, die uns in den letzten Tagen
zu all den Problemen, die Sie uns auf den Tisch gelegt
haben, und zu Ihren Vorschlägen von seiten der Industrie und des Dienstleistungssektors erreicht haben, machen deutlich, daß vor Ihren Lösungsansätzen bei der
Steuerreform gewarnt wird. Es wird davor gewarnt, daß
Verlagerungen ins Ausland vorgenommen werden. Sie
haben jetzt noch die Chance, von diesen Vorschlägen
Abstand zu nehmen, Ihren Gesetzentwurf zurückzunehmen und etwas Sinnvolles vorzulegen, nämlich eine
deutliche Senkung der Steuersätze und eine zeitgleiche
Verbreiterung der Bemessungsgrundlage.
({1})
Ich wollte Sie
eben nicht an das Ende Ihrer Redezeit erinnern, sondern
Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Barbara Höll.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Lafontaine, Sie haben wahrlich kein leichtes Erbe übernommen. Aber Sie wollten ja
den Regierungswechsel, und Sie wollten auch dieses
Amt. Die Partei der Demokratischen Sozialisten und Sozialistinnen befürwortete und unterstützte diesen Regierungswechsel. Aber, meine Damen und Herren von der
Regierungskoalition, wir wollen natürlich mehr: Wir
wollen, daß Sie den Einstieg in einen tatsächlichen Politikwechsel praktizieren.
({0})
Das ist auch das Bewertungsmerkmal für den ersten von
Rotgrün vorgelegten Haushalt. Sie werden sich daran
messen lassen müssen, ob Sie den Einstieg in einen Politikwechsel tatsächlich wagen.
Dazu muß ich folgendes sagen, Frau Konstanze
Wegner: Die von Ihnen genannten Zahlen der Arbeitsmarktpolitik sind sicherlich richtig. Aber sie sagen noch
nicht alles aus. Es geht um einen Wechsel, um hier auch
tatsächlich etwas zu erreichen. Sie müssen anfangen,
zum Beispiel das Rotationsprinzip endlich aufzuheben,
die Zugangsbedingungen zu verändern und den zweiten
Arbeitsmarkt zu einem wirklichen öffentlich geförderten
Beschäftigungssektor auszugestalten, so daß langfristige
Effekte erzielt werden können, nicht nur eine Fortführung der alten Politik mit mehr Geld.
({1})
Die Steuer- und Finanzpolitik bildet in der bisherigen
Debatte natürlich den Schwerpunkt. Vorwürfe, Schuldzuweisungen, Wahrheiten, Halbwahrheiten - alles
mischte sich bunt durcheinander. Aber ich muß sagen,
Herr Merz: Im Gegensatz zu vielen Vertretern vor allem
der CDU, die noch heute am liebsten den Demokratischen Sozialisten und Sozialistinnen die Teilnahme am
demokratischen Prozeß auch hier im Haus verbieten
würden, haben Sie natürlich in der Opposition das Recht
zur Kritik, genau wie ich auf der anderen Seite der Opposition. Inhaltlich teile ich Ihre Kritik in vielen Punkten
hinsichtlich der Art und Weise der bisherigen Steuergesetzgebung. Aber wenn Sie die Kritik hier bringen: Bitte
nicht so dick auftragen! Nicht von Ihnen! Denn das grenzt
an Heuchelei. Das muß man hier wirklich so sagen.
({2})
Bei der von Ihnen kritisierten Art und Weise handelt
es sich im Kern nur um eine schlechte Kontinuität, eine
Fortsetzung der Arbeit der alten Regierung. Das kannten
Sie vielleicht nicht vorher. Wir sollten aber gemeinsam
wirken, um den Rechten und den Mitwirkungsmöglichkeiten des Parlamentes und auch des externen Sachverstandes wieder den Stellenwert einzuräumen, den sie
haben müssen.
Beim Amtsantritt erklärte diese Regierungskoalition,
daß sie in der Steuer- und Finanzpolitik die Ziele hat:
wieder gerechte Lastenverteilung für alle Steuerpflichtigen und Beseitigung der Finanzkrise der öffentlichen
Haushalte. In der Zielsetzung sind wir d'accord. Das ist
überhaupt keine Frage. Aber: Wo ist denn tatsächlich Ihr
großer Sprung? Wo haben Sie das Chaos beendet, das
uns die alte Regierung hinterlassen hat?
Dazu noch einmal zwei, drei Zahlen. Im Ergebnis der
16jährigen CDU/CSU-F.D.P.-Machtausübung haben wir
eine totale Verschiebung: eine Aushebelung der Grundsätze der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, einer Besteuerung, so wie sie entsprechend dem Grundgesetz sein müßte, daß Eigentum auch
zur sozialen Teilhabe verpflichtet. Der Anteil der Gewinnsteuern am Bruttoinlandsprodukt ist seit 1990 von
6 auf 4 Prozent gefallen. Die Gewinnsteuern - veranlagte Einkommensteuer, Soli-Zuschlag, nicht veranlagte
Steuern vom Ertrag, Zinsabschlag usw. - sanken im
Verhältnis zum Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen von 38 Prozent Anfang der 80er Jahre auf 22 Prozent 1996.
Die Unternehmensteuern tragen nur noch zu 7 Prozent zum Gesamtsteueraufkommen bei. Ja, aber was
machen Sie? Ich habe heute nur Worte gehört, daß Sie
tatsächlich von oben nach unten umverteilen wollen.
Das, was wir bisher haben, sind wirklich nur kleine
Schrittchen und Mogelei. Das ist kein großer Sprung.
Nehmen wir das von Ihnen heute vielfach angesprochene steuerfreie Existenzminimum. Bereits 1997 haben Sie von der SPD 14 000 DM und die Grünen 15 000
DM gefordert. Jetzt visieren Sie das für das Jahr 2002
an. Den Zustand, den Sie bereits vor zwei Jahren kritisierten, wollen Sie die nächsten drei Jahre noch beibehalten? Das kann doch nicht sein.
({3})
Sie halten dem entgegen: Wo soll das Geld denn herkommen, wer soll es denn bezahlen? Natürlich kann es
bezahlt werden! Wo ist die Vermögensteuer? Warum
wird sie nicht wieder eingeführt? Wo ist der große Griff
bezüglich der Frage der sozialen Existenzsicherung von
Kindern? Ich hoffe, wir diskutieren das in diesem Jahr.
Gehen wir über zur Individualbesteuerung! Hören wir
endlich mit dem Zustand des Ehegattensplittings auf!
Machen wir einen sozialen Ausgleich! Nehmen wir das
Geld, das man tatsächlich einsparen kann, und geben es
den Familien mit Kindern!
Vorhin wurden die Höhe des Kindergeldes und der
Freibetrag kritisiert. Das ist richtig, meine Damen und
Herren von der Regierungskoalition. Aber auch von
Ihnen vermisse ich bisher den Vorschlag, beim Kindergeld sofort auf mindestens 300 DM hochzugehen, um
verfassungsrechtlich die Möglichkeit zu haben, den
Kinderfreibetrag aufzuheben.
Das sind Kritikpunkte, die man tatsächlich anbringen
muß. Eines möchte ich auf alle Fälle noch sagen - es tut
eigentlich schon fast weh -: Es ist bedauerlich, daß Sie
die Gesetzesvorhaben, die Sie einbringen, in einer solchen liederlichen Art und Weise vorbringen. Was man
da auch leider in der Presse an Kritikpunkten lesen muß,
ist schon peinlich. Ich dachte eigentlich, daß Sie dies so
nicht praktizieren werden.
Daß wir bei dieser Steuergesetzgebung, wenn sie
nicht ordentlich gemacht wird, natürlich auch Haushaltsrisiken provozieren, ist klar. Es ist schon verwunderlich,
daß Sie in der bisherigen Diskussion zum Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002, obwohl Maßnahmen in
der Größenordnung von 6,5 Milliarden DM herausge1448
nommen wurden, trotz alledem eine Nettoentlastung in
Höhe von 15 Milliarden DM ankündigen, nachdem man
nur noch einmal nachgerechnet hat. Das läßt Zweifel an
der Ernsthaftigkeit der bisher geleisteten Arbeit zu.
Frau Kollegin,
denken Sie an die Zeit!
Ich schließe damit ab.
Ich denke, hierauf werden wir als Opposition, als demokratische Sozialistinnen und Sozialisten in den nächsten Wochen und in der zweiten und dritten Lesung
ebenfalls ein waches Auge haben.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Fritz Schösser.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Zwei Dinge habe ich in
der heutigen Debatte gelernt: Einmal ist es gut, die Opposition in den eigenen Reihen zu wissen, dann kann
man sich den Rest sparen, Herr Metzger. Ich würde gerne mit Ihnen über die Rentenversicherung diskutieren,
aber nicht heute. Wir sollten das vielleicht einmal innerhalb der Koalition tun. Dort wäre es besser angebracht
als hier, zumindest solange man kein Konzept hat.
({0})
Zum anderen, Herr Austermann, ist es schon überraschend, wie man - ohne Luft zu holen - die Mitnahmeeffekte bei Arbeitnehmern - wenn es sie wirklich geben sollte - in der Sozialversicherung beklagt und davon
redet, daß es neue Zumutbarkeitsregelungen geben solle,
und im gleichen Atemzug davon spricht, daß man Investoren, die Geld haben, doch endlich Zucker in den
Hintern blasen solle, damit sie sich bequemen, ihr Geld
zu investieren. Das ist wirklich hervorragend.
({1})
Frau Hasselfeldt, jeder klittert die Statistik auf seine
Art und Weise. Das ist klar. Aber wer vor dem Hintergrund des höchsten Standes der Arbeitslosigkeit in der
Nachkriegszeit die erste leichte Verbesserung der Arbeitslosenstatistik schon zum Anlaß nimmt, davon zu
sprechen, daß die neue Regierung hervorragende Daten
vorgefunden habe, bei dem scheint es mit der Wahrnehmung der Realität auch nicht weit her zu sein.
({2})
Die Stabilität einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung steht auch immer im Zusammenhang mit einem
Mindestmaß an sozialer Gerechtigkeit und individueller
Entwicklungsfähigkeit und setzt voraus, daß die Steuerund Abgabenpolitik gerecht gestaltet wird.
({3})
- Herr Hinsken, meine Zeit ist knapp bemessen. Zudem
stehe ich zum ersten Mal hier und möchte meine Rede
erst beenden. Aber Sie können meine Redezeit am Ende
durch eine Zwischenfrage verlängern.
Nun ist es an der Zeit, wieder für mehr Steuergerechtigkeit zu sorgen; denn der vollständige Verzicht
auf Steuern aus Vermögen sowie sinkende Einnahmen
aus Unternehmen- und Kapitalsteuern auf der einen
Seite und Mehrausgaben durch steigende Arbeitslosigkeit und Armut auf der anderen Seite haben zu einem
dramatischen Anstieg der Staatsverschuldung geführt.
({4})
Es ist zweifellos Ihr Verdienst, meine Damen und Herren von der Opposition zu meiner Rechten, daß die progressive Einkommensteuer für kundige Steuerbürger,
die Geld anlegen wollen, eigentlich nur noch auf dem
Papier steht. Nicht zuletzt um die Konvergenzkriterien
zur Einführung des Euro zu erfüllen, haben Sie sich in
den letzten Jahren lieber an Sozialhilfeempfängern vergriffen und schadlos gehalten, als die luxuriösen Abschreibungsmodelle für Gutverdienende einzugrenzen.
({5})
Herr Merz, weder die Wirtschaftsunternehmen noch
weite Teile der Selbständigen können im Ernst für sich
reklamieren, daß die Angebotsbedingungen für Investitionen und die Schaffung neuer Arbeitsplätze nicht
stimmen würden. Aber sie haben trotz der idealen Bedingungen, die Sie für sie bereitet haben, keine Arbeitsplätze geschaffen. Wenn man es genau betrachtet, dann
stellt man fest, daß das Arbeitsstundenvolumen in den
letzten Jahren nicht gestiegen, sondern gesunken ist.
Man sollte auch niemandem vorgaukeln, Kapitalerträge
würden bei uns überproportional besteuert. Ihre kapitalfreundliche Angebotspolitik ist - das hat der Wahltag
bestätigt - völlig gescheitert.
Ich frage: Was haben die Arbeitnehmer von ihrem
jahrelangen Lohnverzicht? - Ein angemessener Lebensstandard ist für viele mittlerweile nicht mehr zu erreichen. Jetzt brauchen wir endlich ein konsensorientiertes
Politikmodell; denn Ihre Politik kam einem Bündnis für
Kapital gleich. Wir setzen dagegen auf ein Bündnis für
Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit, das der Kanzler
a. D. leider leichtfertig aufs Spiel gesetzt hatte.
({6})
Das heißt, wir werden im Bündnis für Arbeit Kostenund Produktivitätsreserven gemeinsam nutzen, um Arbeit gerechter zu verteilen und die ungeheuren Vermögenswerte wertschöpfend einzusetzen. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, daß die stillen Reserven, die in
den letzten Jahren am Finanzamt vorbei gebildet wurden, für eine erstklassige Versorgung mit Infrastruktur
und Dienstleistungen genutzt werden. Herr Merz, warum soll zum Beispiel die Abzinsung auf Rücklagen
nicht legitim sein? Auch das Sparkonto besteuern wir
oberhalb der Freigrenze.
Damit wir uns richtig verstehen: Gewinne müssen
sein, um die Finanzierung von Arbeitsplätzen voranDr. Barbara Höll
zutreiben. Wenn Gewinne aber nicht mehr reinvestiert
werden, weil mit Abschreibungsmodellen nahezu risikofrei die schnelle Mark gemacht werden kann, dann ist
dieses System marode.
({7})
Mit Geld ist es so wie mit dem Mist: Wenn zuviel auf
einem Haufen liegt, dann fängt er an zu stinken; wenn
man den Mist schön über das Land verteilt, dann kann er
sogar ausgesprochen fruchtbar sein.
({8})
Sie haben 16 Jahre lang die Arbeitskosten einseitig
mit höheren Abgaben und Steuern belastet; wir erweitern die Bemessungsgrundlage für die Besteuerung, damit wir die Steuersätze für Arbeitnehmer und mittelständische Unternehmer senken können, damit sich nicht
wenige mit viel Geld vor der Steuer drücken können und
viele mit wenig Geld dafür bezahlen müssen.
Wie immer man zu Rechenbeispielen steht: Es ist so,
daß ab dem 1. Januar 1999 eine Familie mit zwei Kindern und einem Einkommen von 3 200 DM im Jahr tatsächlich 1 270 DM mehr an Einkommen hat, wenn man
die Steuerabsenkung und das Kindergeld zusammenrechnet.
({9})
- Jeder hat es gemerkt. Ich habe eine ganze Reihe von
Anrufen erhalten, in denen Arbeitnehmer mir mitgeteilt
haben: Endlich gibt es diese Trendwende. Das ist das erste Anzeichen.
({10})
Sie müssen heute in einer Form, die mehr als bedenklich ist, agieren, um politische Mehrheiten in diesem Land zurückzugewinnen. Sie betreiben auf dem
Rücken der Schwächsten, der Menschen, die aus dem
Ausland gekommen sind und lange bei uns arbeiten, das
Geschäft mit der politischen Macht.
({11})
Sie haben für Verlust- und Abschreibungsgesellschaften eine Autobahn gebaut; wir schaffen wieder
Steuergerechtigkeit. Herr Merz, was sind das eigentlich
für Geschäfte, bei denen man als Anleger nach der Steuer höhere Renditen als vor der Steuer hat? Die Geschäfte
von Abschreibungs- und Verlustgesellschaften sind Geschäfte zu Lasten der Steuerzahlergemeinschaft. Meines
Erachtens darf es solche Subventionen nicht länger geben, oder sie müssen wenigstens begrenzt werden.
({12})
Gestern wurden unter dem Motto „Wird heute die
Arbeitsplatzlüge geboren?“ Großanzeigen geschaltet.
Die Lüge stand direkt in der Anzeige. Unbestritten sind
im Wohnungsbau, in der Werftenindustrie, in der Filmindustrie und in anderen Bereichen mit Abschreibungsmodellen Arbeitsplätze entstanden. Aber ich frage: Was
haben diese Arbeitsplätze den Staat eigentlich gekostet?
Es bleibt dabei, daß dadurch Steuerbefreiungen erreicht
wurden und aus den Gewinnen, die normalerweise erzielt worden wären, keine Steuern eingenommen wurden. Gerade auf dem Gebiet des Wohnungsbaus stellt
sich doch die Frage, ob man das Geld nicht besser dorthin gibt, wo wirklich Bedarf ist. Warum läßt man zu,
daß mit solchen Steuersparmodellen zum Teil Projekte
verwirklicht werden, für die es keine Bedürfnisse gibt?
Wo bleibt das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit? Es ist ein Paradox, daß nicht zuletzt
diejenigen, die am stärksten gegen die Staatsverschuldung polemisieren, am meisten von ihr profitieren.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,
haben während Ihrer Regierungszeit die Leistungen der
Sozialversicherung gekürzt, die Beiträge erhöht und die
Zuzahlungen eingeführt; Sie haben es zugelassen, daß
das Vertrauen in die Sozialversicherungssysteme täglich
aufs neue erschüttert wurde.
({13})
Wir dagegen senken die Rentenversicherungsbeiträge
durch den Einstieg in die Ökosteuer und sorgen damit
dafür, daß die Sozialversicherungssysteme stabil bleiben.
({14})
Sie haben den Familien die Freibeträge für die Kinderbetreuung vorenthalten; wir halten den Kopf für Ihre
Verfehlungen hin.
({15})
Wir haben das Kindergeld erhöht und dafür gesorgt, daß
das Urteil der Karlsruher Richter jetzt sozial gerecht
umgesetzt wird.
Sie haben es versäumt, alles in Ihrer Macht Stehende
zu tun, damit in allen Landesteilen junge Menschen
einen Ausbildungsplatz erhalten.
Wir sorgen mit einem Sofortprogramm zum Abbau
der Jugendarbeitslosigkeit dafür, daß 100 000 Jugendliche Ausbildung und Arbeit erhalten.
({16})
Sie haben es zu verantworten, daß im Hinblick auf
die geringfügige Beschäftigung aus einer Sonderregelung, die ursprünglich für Studenten und Rentner gedacht war, in verschiedenen Branchen ein Regelfall mit
Lohndumping und Aufhebung des sozialen Schutzes
geworden ist. Ihr Nichtstun hat dazu geführt, daß das
normale Arbeitsverhältnis schändlich unterlaufen wurde.
Wir handeln und haben ein Gesetz zur Neuregelung der
geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse auf den Weg
gebracht.
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Austermann?
Nein, aber er kann meine
Redezeit am Ende verlängern.
Wäre das Gesetz durch Sie rechtzeitig auf den Weg
gebracht worden, wäre es einfacher gewesen, mit ordnungspolitischen Maßnahmen dafür zu sorgen, die wettbewerbsverzerrende Konkurrenz zwischen dem normalen Arbeitsverhältnis und dem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis zu beseitigen. Sie haben im übrigen das
Recht verwirkt, über einen Gesetzesentwurf zu beckmessern, mit dem wir nun versuchen, die längst überfällige Umkehr einzuleiten.
({0})
16 Jahre angebotsorientierte Steuer- und Wirtschaftspolitik haben Sand in das bundesdeutsche Getriebe gebracht.
({1})
Ich sage an der Stelle ganz klar: Natürlich werden sich
angebotsorientierte und nachfrageorientierte Teile in einer staatlichen Wirtschafts- und Steuerpolitik wiederfinden müssen. Anders ist es nicht denkbar und machbar.
Nur müssen wir uns schnell darauf besinnen, ein Steuerund Abgabensystem zu schaffen, welches das Funktionieren marktwirtschaftlicher Prozesse nicht beeinträchtigt, aber dennoch soziale Standards möglich macht. Der
Anfang ist in den ersten vier Monaten gemacht. Aber all
das, was in 16 Jahren - das wurde schon einmal kurz
erwähnt - liegengeblieben ist und an Fehlentwicklungen
eingeleitet wurde, läßt sich in vier Monaten leider nicht
komplett korrigieren.
({2})
Sie waren zu lange auf dem Holzweg, Herr Möllemann.
Ich lade Sie aber gerne ein, mit uns eine Umkehr einzuleiten und einen anderen steuerpolitischen Weg zu gehen, der niemanden überfordert, aber Gerechtigkeit einfordert.
Im übrigen: Der Landesgruppenchef der CSU-Gruppe
kommt ja aus Schweinfurt. Ich kann Sie, Herr Möllemann, nur auf einen ganz spannenden Literaten - Friedrich Rückert heißt er - verweisen; der hat einmal gesagt:
„Die im Irrtum zur Wahrheit reisen, das sind die Weisen; die im Irrtum verharren, das sind die Narren.“ Insofern wäre es gut, wenn Sie mit uns gemeinsam eine
Steuer- und Haushaltspolitik betreiben würden, die dafür
sorgt, daß es in diesem Lande wieder gerechter zugeht.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Ich habe gehört, Herr Kollege Schösser, daß das Ihre erste Rede im
Parlament war. Deswegen möchte ich Ihnen dazu im
Namen des ganzen Hauses gratulieren.
({0})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Susanne Jaffke.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushaltsplan hat
uns nun nach einem unnötigen Hin und Her endlich erreicht. Er will dem Anspruch gerecht werden, nicht alles
anders, aber vieles besser zu machen. Dagegen kann
man ja prinzipiell nichts haben. In allen Vorlagen aber,
die mich als Berichterstatterin zum Einzelplan 08 bisher
erreicht haben, suche ich vergeblich Stellen, die belegen,
daß dieser Anspruch Realität geworden ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im BMF scheint
sich noch nicht ganz herumgesprochen zu haben, daß die
„neuen Dienstherren“ vielleicht eine neue Richtlinie
ausgegeben haben. Nachdem mir meine Berichterstattermappe am letzten Donnerstag zur Verfügung gestellt
worden war, konnte ich feststellen, daß sie in vielen
Einzelheiten eine vom vorgelegten Haushaltsgesetz abweichende Finanzplanung ausweist.
Am Beispiel der Bundesmonopolverwaltung für
Branntwein läßt sich das deutlich machen: Während im
Haushaltsentwurf 285 Millionen DM als Zuschuß ausgewiesen werden, weist die mittelfristige Finanzplanung
noch 290 Millionen DM für die Jahre 1999 und 2000
aus. Da muß ich mich schon fragen: Was ist eigentlich
mit den Computern los? Konnten die Probleme innerhalb eines Vierteljahres nicht gelöst werden?
Der Kollege Metzger, der in der Öffentlichkeit die
reine Lehre vertritt und der das Monopolgesetz in dieser
Legislaturperiode kippen will, hat hoffentlich noch ein
Herz für Landwirte. Unsere Landwirte, die nicht nur
durch die Agenda 2000 ohne Gnade gerupft, sondern
auch noch durch die Ökosteuer unnötigerweise belastet
werden, sollen nämlich in einigen Regionen Deutschlands die Brennerei als Nebenerwerbszweig verlieren.
Herr Kollege Schösser, Sie haben eine nette Bemerkung über die Sinnhaftigkeit des Mistes bezüglich der
deutschen Landwirtschaft gemacht. Ich kann Ihnen in
diesem Zusammenhang versichern: Auf Grund des
Haushaltsansatzes für den Einzelplan 08 hinsichtlich der
Bundesmonopolverwaltung und für den Einzelplan 10,
in dem die Ausgaben für die Landwirtschaft überdimensioniert gekürzt werden, brauchen wir uns über Mist in
Zukunft keinen Kopf zu machen. Der Mist würde dann
nämlich irgendwo auf Halde liegen, weil es keine deutschen Landwirte mehr geben würde, die ihn auf den Äkkern unterbringen könnten.
({0})
- Herr Kollege, Sie müßten einmal mit den Leuten vom
Fach reden.
({1})
- Stellen Sie sich einmal vor, hier steht einer vor Ihnen.
Wir können uns ja nachher austauschen.
Gestatten Sie mir noch ein Wort zu den Zöllnern. In
dem Einzelplan 08 ist der Posten für die Zollverwaltung ziemlich groß. Mein Kollege Dietrich Austermann
hat schon darauf hingewiesen, daß wegen der neuen
Energiebesteuerung 520 Zöllner neu eingestellt werden
sollen. Eine entsprechende Etatisierung habe ich im
Haushaltsentwurf aber leider nicht finden können. Vielleicht gibt es aber eine sogenannte Nachschiebeliste. In
Anlehnung an die peppigen Formulierungen des Kollegen Diller wird sie dann höchstwahrscheinlich den Namen „Lafontaine-Wisch“ tragen.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine Bemerkung: Die Mitarbeit der Opposition wird Ihnen
dann gewiß sein, wenn es darum geht, für die Zöllner
von Ahlbeck bis nach Passau die Lebens- und Arbeitsbedingungen weiter zu verbessern. Dies sage ich nicht
zuletzt vor dem Hintergrund, daß im vergangenen Jahr
viele bedauerliche Unfälle in diesem Bereich passiert
sind.
Herr Tauss, in diesem Zusammenhang muß ich sagen, daß die Zollschule errichtet werden mußte. Die
Freigabe der vor der deutschen Einigung kw-gestellten
Stellen ist wegen der Bedingungen an der neuen EUAußengrenze, entlang der Grenze der neuen Bundesländer aufgeschoben worden. Aber man wird nicht umhinkommen, über 700 neue Stellen zu schaffen, wenn das
Ökosteuergesetz, das Energiesteuergesetz in Kraft tritt.
Eine entsprechende Vorsorge vermisse ich in diesem
Haushalt.
Ich will noch ein Anliegen erwähnen - eine entsprechende Äußerung habe ich auf dem Kongreß der Zollgewerkschaft gemacht -: ich halte es für nicht mehr hinnehmbar, daß in der heutigen Zeit unsere Zöllner bei
gleicher Arbeit an der deutschen Grenze mit Löhnen
nach Hause gehen, die - je nachdem, wo sie ihren
Hauptwohnsitz haben - zwischen 80 und 100 Prozent
differieren. Leider kann ich im Einzelplan 60 nur 750
Millionen DM Personalverstärkungsmittel für alle Etats
in diesem Haushaltsentwurf erkennen, so daß mit Sicherheit die vollmundigen Versprechungen, für Gerechtigkeit in den Einkommen zu sorgen, nicht eingelöst
werden können. Sollten wir uns darauf noch verständigen, würde ich mich freuen.
({2})
Danke schön.
- Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich
liegen nicht vor.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und damit zum Einzelplan 30.
Ich eröffne die Debatte. Das Wort hat zunächst die
Frau Bundesministerin Edelgard Bulmahn.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Der Haushalt des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung wird
1999 insgesamt 15,001 Milliarden DM betragen.
({0})
- Ich finde auch, daß man da klatschen kann. Das ist genau richtig.
Damit stehen 1999 für Bildung und Forschung rund
1 Milliarde DM mehr zur Verfügung als noch 1998,
({1})
davon rund 900 Millionen DM für den Einzelplan 30.
Das entspricht einem Zuwachs von 6,4 Prozent.
Diese Milliarde, die wir in diesem Jahr für Bildung
und Forschung mehr haben, stellt in zweifacher Hinsicht
ein positives Signal dar: Erstens. Bildung und Forschung
haben in Deutschland endlich wieder Priorität.
({2})
Zweitens. Die neue Bundesregierung läßt - im Gegensatz zur alten - ihren Worten auch Taten folgen.
({3})
Dies ist der erste Schritt zu einer längst fälligen
Kurskorrektur. Die Bundesregierung ist entschlossen,
die Zukunftsinvestitionen für Bildung und Forschung
auch künftig deutlich zu erhöhen.
Meine Herren und Damen von der Oppositionsbank,
lassen Sie mich eines deutlich sagen: Ihre krampfhaften
Versuche, diesen Erfolg kleinzureden, ändern nichts an
dieser Tatsache, auch nicht Ihre Vergleiche mit Wahlkampfetats. Sollansätze müssen mit Sollansätzen verglichen werden.
({4})
Wenn man Sollansatz mit Sollansatz vergleicht, stellt man
fest, daß in diesem Jahr eine Milliarde DM mehr zur Verfügung steht. Ich bin ganz sicher - dafür kenne ich Sie
durch die jahrelange Zusammenarbeit gut genug -: Wenn
Ihnen in Ihrer Regierungszeit ein einziges Mal ein derartiger Erfolg gelungen wäre
({5})
- ich nehme den gesamten Bereich Bildung und Forschung -, dann wären Sie vor Freude an die Decke gesprungen. Sie wissen, Herr Möllemann: Nach Ihnen kam
nichts mehr.
({6})
Dagegen können Sie nun schlecht etwas sagen.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, erinnern wir uns
doch einmal: Die alte Regierung hat den Haushalt des
sogenannten Zukunftsministeriums jahrelang sträflich
vernachlässigt. Der Anteil des Einzelplans 30 - Bildung,
Wissenschaft, Forschung und Technologie - am Bundeshaushalt war von 4,7 Prozent zu Beginn der 80er Jahre auf 3,2 Prozent im Jahre 1998 zurückgegangen. Dies
war eine falsche Politik, die jetzt korrigiert wird. Und es
war ein falsches Signal zu einer Zeit, in der die nationalen und internationalen Herausforderungen dramatisch
zugenommen haben, in der Strukturwandel und technologischer Wettbewerb im Vordergrund standen. Im internationalen Wettbewerb hat Deutschland in den letzten
Jahren seine Spitzenstellung beim Anteil der FuEAusgaben am Bruttoinlandsprodukt eingebüßt. Anfang
der 80er Jahre waren wir innerhalb der OECD-Staaten
bei diesem Indikator Spitzenreiter, mittlerweile sind wir
auf den siebten Platz zurückgefallen. Gerade deshalb ist
diese Erhöhung die richtige und notwendige Weichenstellung.
Ich habe kürzlich die aktuelle Studie „Zur Technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands“ vorgestellt. Darin wird Deutschland zwar eine hohe Effizienz
des Innovationssystems bescheinigt. Es wird jedoch
gleichzeitig gesagt, daß es mittelfristig sehr schwierig
sein wird, den in den 90er Jahren verlorenen Boden zurückzugewinnen. Die Zukunftsinvestitionen müssen
nach dieser Studie deutlich erhöht werden, um den
strukturellen Wandel erfolgreich zu gestalten. Diese
Bundesregierung wird die damit verbundenen Herausforderungen aktiv annehmen. Wir haben den Ausbau der
Leistungsfähigkeit in Bildung und Forschung zu einem
zentralen Handlungsfeld unserer Politik für nachhaltiges
Wachstum und Beschäftigung gemacht.
({8})
Aber ich sage gleichzeitig: Geld ist nicht alles. Wir
brauchen auch strukturelle Reformen und einen effizienteren Mitteleinsatz.
({9})
Unser größtes Potential liegt in der Aus- und Weiterbildung der Menschen und in der Qualitätssteigerung von
Wissenschaft und Forschung.
({10})
Geld ist nicht alles, aber ohne zusätzliche Mittel wird es
nicht gelingen, die notwendigen Weichenstellungen vorzunehmen. Der Haushalt meines Ministeriums für das
Jahr 1999 bietet hierfür eine gute Ausgangsbasis. Er
macht Ziele und Prioritäten deutlich.
Wir werden die strukturelle Schieflage des Vorjahreshaushalts korrigieren. Der Anteil der Projektförderung wird gesteigert, der Anteil der institutionellen Förderung zurückgeführt. Die Projektförderung nimmt die
erste Stelle unter meinen Prioritäten ein. Das wird Sie
nicht überraschen; denn ich habe in der Vergangenheit
stets auf die volkswirtschaftliche Bedeutung gerade dieses Bereiches hingewiesen. Eine Stärkung der Projektförderung gegenüber der institutionellen Förderung bietet mehr Flexibilität, mehr Wettbewerb, eine größere
Umsetzungschance und damit auch mehr Qualität. Das,
meine Herren und Damen, ist mir wichtig.
({11})
Der Rückgang der Projektförderung im Haushalt des
BMBF der letzten Jahre kennzeichnete den immer kleiner werdenden Handlungsspielraum der alten Bundesregierung in der Forschungspolitik. Wir dagegen verstärken die Projektförderung um zusätzliche 463 Millionen
DM auf insgesamt 3,85 Milliarden DM. Das ist ein
Mittelaufwuchs von immerhin 13,7 Prozent. Damit erreichen wir strukturelle Verbesserungen und haben endlich auch den notwendigen Handlungsspielraum für Zukunftsinvestitionen.
Schwerpunkte der Projektförderung werden sein: Investitionen in die Weiterentwicklung des Bildungswesens, in die Verbesserung der Chancengleichheit von
Männern und Frauen, in eine stärkere internationale
Ausrichtung von Bildung und Forschung; Investitionen,
mit denen wir die berufliche Bildung modernisieren, den
Einsatz von neuen Medien bei Ausbildung und Qualifizierung unterstützen und lebenslanges Lernen fördern;
Investitionen zur Weiterentwicklung des Hochschulwesens und zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses; Investitionen in zukunftsorientierte Schlüsseltechnologien und in die Vorsorgeforschung.
Wir werden die Attraktivität des deutschen Forschungs- und Bildungssystems stärken, das System
durchlässiger und flexibler machen und durch mehr
Eigenverantwortung Potentiale freisetzen. Wir wollen
Barrieren zwischen öffentlicher Forschung und Unternehmen abbauen.
Meine Damen und Herren, die Studie „Zur Technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands“ mahnt an, die
Spitzenstellung Deutschlands bei etablierten Spitzentechnologien und höherwertigen Technologien zu erhalten. Vor allem wird die Bedeutung des Aufbaus neuer
Kompetenzen auf neuen Technologiefeldern unterstrichen und gleichzeitig die Notwendigkeit zusätzlicher
Qualifizierungsanstrengungen betont.
Den damit verbundenen Anforderungen an die Bildungs- und Forschungspolitik trägt inbesondere die
Technologieförderung des BMBF Rechnung. Wir verknüpfen dabei das technologische Ziel mit dem Leitziel
der Nachhaltigkeit; denn Problemlösungen von heute
dürfen nicht die Altlasten von morgen sein.
({12})
Die Verkehrssituation in den Ballungsräumen führt
uns schon heute die Grenzen der Mobilität täglich vor
Augen. Wir werden dieses Problem nur lösen, wenn wir
innovative Technologien zu einer effektiveren Nutzung
der Verkehrswege entwickeln. Deshalb stellen wir dafür
mehr Mittel bereit.
Unsere Kommunikationsinfrastruktur ist einem rasanten Wandel unterworfen. Sie muß im internationalen
Wettbewerb mithalten und innovative Dienstleistungen
ermöglichen, mit denen wir weltweit an der Spitze liegen. Es gibt überhaupt keinen Zweifel: Deutschland
muß den Weg in die Informationsgesellschaft schaffen.
Deshalb steigern wir die Förderung von Projekten der
Informationstechnik.
Die Biotechnologie hat, wie die physikalischen und
chemischen Technologien, eine Schlüsselfunktion für
den Erhalt unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit,
und zwar weit über den unmittelbaren Branchenbereich
hinaus. Auch hier werden wir den Mittelaufwuchs deutlich überproportional steigern.
Um diese Ziele effektiv umzusetzen, nutzen wir mehrere Instrumente: In Leitprojekten, bei denen die Projektpartner branchen- und disziplinübergreifend zusammenarbeiten, soll neues Wissen mit der Nachfrage nach
innovativen Lösungen aus der Wirtschaft verknüpft
werden. Mit Hilfe des neuen „Strategiefonds“ sollen
strategisch wichtige Vorhaben in Helmholtz-Zentren
und anderen Forschungseinrichtungen, und zwar in
wettbewerblichen Verfahren, finanziert werden. Damit
sollen zum einen der Beitrag zur wirtschaftlichen Innovation gesteigert und zukunftsorientierte Programme
miteinander vernetzt werden. Zum anderen soll eine
Lücke geschlossen werden, die unser Forschungssystem
beinhaltet, nämlich die unzureichende Zusammenarbeit
zwischen den verschiedenen Forschungssäulen.
Die Initiative „Exist“ fördert regionale Netzwerke für
zukunftsorientierte Unternehmungsgründungen und
dient dem Technologie- und Know-how-Transfer zwischen Hochschule und Wirtschaft.
Die Initiative „Innoregio“ fördert in den neuen Bundesländern innovative Entwicklungen in regionalen
Netzwerken. Mit dieser und weiteren Maßnahmen unterstreicht die Bundesregierung die Priorität für die
neuen Länder. Im Haushalt des BMBF werden 1999
mehr als 3 Milliarden DM für sie bereitgestellt.
({13})
Forschung ist kein Selbstzweck. Forschung muß den
Menschen dienen. Sie muß vermittelbar sein; sie muß
greifbar sein. Nur so findet sie Akzeptanz. Es muß unmittelbar erfahrbar sein, daß Forschung die Lebensqualität der Menschen verbessert. In solchen Bereichen
wollen wir stärkere Prioritäten setzen: Wir erhöhen die
Ausgaben zur Förderung von Projekten der Gesundheitsforschung, medizinischen Forschung und molekularen Medizin. Wir schaffen ein neues Forschungsprogramm zur Beschäftigung und innovativen Arbeitsgestaltung. Daß dies notwendig ist, darüber gibt es, denke
ich, keinen Streit. Die Umwelt- und die Klimaforschung
erhalten ebenfalls einen deutlichen Zuwachs bei der
Projektförderung.
({14})
Aber auch die institutionelle Förderung werden wir
durch strukturelle Reformen und prioritätenorientierte
Schwerpunktsetzung stärken.
({15})
Zu den Eckpfeilern unseres Forschungssystems gehören
die Max-Planck-Gesellschaft, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Fraunhofer-Gesellschaft; da werden Sie mir, Herr Möllemann, doch sicherlich zustimmen.
({16})
Für diese Einrichtungen haben wir deshalb einen Mittelzuwachs von jeweils 5 Prozent vorgesehen.
({17})
Damit erreichen wir eine stärkere Vernetzung von
Grundlagenforschung und Anwendung - Sie von der
alten Regierung haben das im übrigen in dieser Form nie
hinbekommen -, mehr Interdisziplinarität und eine stärkere internationale Ausrichtung.
({18})
- Richtig, weil die FhG immer weniger bekommen hat,
Herr Möllemann.
({19})
Wir müssen aber auch die Potentiale unserer Forschungseinrichtungen besser nutzen. Deshalb werden
wir endlich anstatt starrer Stellenpläne eine stärkere
Steuerung über Programme und Budgetierung anstreben. Bei der MPG ist dies im übrigen seit Beginn
dieses Jahres Realität.
Von unseren Hochschulen werden Spitzenleistungen
in Lehre und Forschung erwartet. Dafür müssen sie gerüstet sein. Wir haben deshalb in einem ersten Schritt
die Ausgaben für den jahrelang sträflich unterfinanzierten Hochschulbau um 200 Millionen auf 2 Milliarden
DM aufgestockt. Damit werden dringend erforderliche
Bau- und Sanierungsarbeiten ermöglicht und die Hochschuleinrichtungen mit wissenschaftlichen Großgeräten
und moderner Rechentechnik ausgestattet.
Chancen und Perspektiven - darin waren wir uns in
diesem Hause eigentlich immer einig - dürfen nicht vom
Portemonnaie der Eltern abhängig sein.
({20})
Einig sein allein reicht allerdings nicht. Man muß auch
handeln. Deshalb hat diese Bundesregierung das
20. BAföG-Änderungsgesetz beschlossen, mit dem die
Bedarfssätze um 2 Prozent und die Elternfreibeträge um
6 Prozent angehoben sowie einige schwerwiegende
Fehler der letzten Bundesregierung, zum Beispiel im
Bereich des Auslandsstudiums, korrigiert werden.
({21})
Wir werden bis Ende 1999 eine grundlegende Reform
der Ausbildungsförderung vorlegen.
({22})
Das größte Kapital zur Lösung der drängenden Probleme unserer Zeit ist der wissenschaftliche Nachwuchs. Ihn wollen wir besonders fördern. Bei dem neu
anlaufenden Emmy-Noether-Programm stehen die Selbständigkeit und die Verantwortung junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler insbesondere bei der
Leitung von Forschergruppen im Mittelpunkt. - Emmy
Noether ist übrigens eine der bekanntesten Mathematikerinnen dieses Jahrhunderts, falls Sie es nicht wissen
sollten.
({23})
Wir brauchen aber auch eine grundlegende Strukturreform an unseren Hochschulen. Unser Ziel ist es,
durch die Einführung einer stärker an Leistungskriterien orientierten öffentlichen Hochschulfinanzierung
das Studium so zu strukturieren, daß die Regelstudienzeit von den Studierenden auch eingehalten werden
kann.
Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt meiner Arbeit
wird die Modernisierung des Dienstrechtes und der
Personalstruktur der Hochschulen sein.
({24})
Hierdurch wollen wir neue Entwicklungspotentiale eröffnen, Eigenverantwortung und Kreativität stärken sowie die Mobilität zwischen Hochschulen und der Wirtschaft verbessern.
Die vierte Strukturkomponente meines Haushalts
stellen die internationalen Beiträge mit 1,4 Milliarden
DM dar. Zwei Drittel davon entfallen auf den deutschen
Beitrag an die ESA. Wie Sie wissen, halte ich den Anteil, der innerhalb des deutschen ESA-Beitrages für bemannte Raumfahrt ausgegeben wird, von der Sache
her für zu hoch. Ich sage allerdings klipp und klar, daß
wir unsere vertraglichen Verpflichtungen zum Bau und
Betrieb der internationalen Raumstation erfüllen werden. Wir werden jedoch - das sage ich genauso klipp
und klar - unsere Gestaltungsmöglichkeiten mit Blick
auf die bevorstehende ESA-Ministerkonferenz prüfen,
weil wir die Raumstation für die Lösung irdischer Probleme einsetzen wollen.
Wir wollen die Zusammenarbeit in Europa und
der Welt auch künftig weiter ausbauen. Unsere Anstrengungen für eine stärkere Internationalisierung
durchziehen deshalb den Haushalt wie ein roter Faden.
Ich möchte beispielsweise die Mittel für die Entwicklung internationaler Studiengänge nennen. Sie sind ein
wichtiger Beitrag zur Steigerung der Attraktivität des
Studienstandortes Deutschland. Wir wollen in Europa
und der Welt wieder eine Spitzenstellung einnehmen,
mit starken Partnern kooperieren können und selber ein
starker Partner sein. Unsere nationalen Anstrengungen
im Bereich Bildung und Forschung zeigen, daß es uns
damit Ernst ist.
Der Haushalt 1999 ist eine solide Ausgangsbasis für
die vor uns liegenden nationalen und internationalen
Aufgaben. Er macht unsere Ziele und Prioritäten deutlich und leistet einen wichtigen Beitrag für eine zukunftsorientierte Bildungs- und Forschungspolitik.
Vielen Dank.
({25})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Steffen Kampeter.
({0})
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die politische Bewertung des Etats, den wir heute in erster Lesung diskutieren, muß sich zum einen an dem
orientieren, was die erfolgreiche Regierung Kohl bereits
im Juli 1998 als Etatentwurf vorgelegt hat. Zum anderen
muß sich der Etat an den Ankündigungen im Wahlkampf und auch in den vergangenen Monaten unter dieser Bundesregierung messen lassen. Das wird unsere
Meßlatte für die Beratung des Etats 1999 sein.
({0})
Der Rüttgers-Etatentwurf sah für 1999 einen Zuwachs in einer Größenordnung von 500 Millionen DM
für Bildung, Forschung und Innovation vor. Der Gesamtplafond betrug 14,428 Milliarden DM. Die zusätzlichen Mittel dieses Etatentwurfes sollten in einer Größenordnung von 250 Millionen DM für Hochschul- und
Studienbelange, in einer Größenordnung von 175 Millionen DM für High-Tech und Innovation und in einer
Größenordnung von 75 Millionen DM für berufliche
Bildung und Mittelstand verwendet werden.
Der heute vorgelegte Plafondentwurf von Frau Bulmahn hat lediglich eine Größenordnung von 15 Milliarden DM. Wenn man gerechterweise allerdings die Mittel
abzieht, die Sie ans Wirtschaftsministerium abgegeben
haben - es ist im übrigen kein Ausweis politischer Stärke Ihres Hauses, wenn Ihnen Kompetenzen im Bereich
der Luftfahrtforschung weggenommen werden -,
({1})
beträgt der Zuwachs gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf nur noch 400 Millionen DM. Dies anerkenne ich, es ist ein respektabler Zuwachs. Minister
Rüttgers hätte ihn anständig verkauft. Aber in bezug auf
Ihre Ankündigung einer zusätzlichen Milliarde für Bildung und Forschung ist dies eine glatte Zielverfehlung.
Das ist der erste Minuspunkt für den Etat, den Sie heute
vorgelegt haben.
({2})
Es ist weiter politisch wichtig, wie der Bundesfinanzminister mit Ihrer Ankündigung umgeht und Ihren
Etat in der mittelfristigen Finanzplanung ausstattet. Dazu haben Sie heute relativ wenig gesagt. Werden die
finanziellen Versprechungen der Regierung auch in den
kommenden Etats eingehalten? Alles, was Sie bisher dazu gesagt haben, Frau Bulmahn, war der Verweis auf
den Beschluß für den Etat 2000 und die mittelfristige
Finanzplanung im Juli, wenn weitere Wahlen wie zum
Beispiel in Bremen und die Europawahl abgeschlossen
sind. Wird es dann die nach Ihrer eigenen Berechnung
zusätzlich notwendigen rund 1,5 Milliarden DM für Sie
geben? Wie werden Sie nach dem Familienurteil des
Bundesverfassungsgerichtes die Etatenge, die auch Herr
Lafontaine heute nicht hat ausräumen können, für Bildung und Forschung verkraften? Wie wird der Konflikt
zwischen zusätzlichem Kindergeld und Zukunftsinvestitionen ausgehen? Das ist die Meßlatte, an Hand derer
wir Sie in den nächsten Monaten bewerten werden.
({3})
Es ist auch eine politisch interessante Frage, die hier
im Hause erörtert werden muß, was nämlich nach Ihrer
Ankündigung der Verdoppelung der Ausgaben für
Bildung und Forschung denn tatsächlich verdoppelt
worden ist. Vorhin saß noch Karl Diller auf der Regierungsbank, der in seiner Funktion als haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion dieses
Wahlversprechen der SPD wohl ehrlicherweise relativiert hat und als nicht finanzierbar dargestellt hat. Sie
sprechen auch heute nicht von einer Verdoppelung der
Ausgaben für Bildung und Forschung, sondern relativieren das insoweit, als Sie den Investitionsbegriff verwenden: Investitionen in Bildung und Forschung sollen in
den nächsten Jahren verdoppelt werden. Ich habe Ihren
Staatssekretär Catenhusen und Ihr Haushaltsreferat
mehrfach gebeten, mir einmal aufzuschreiben, welchen
Investitionsbegriff man bei Ihnen hat, damit wir das
einmal überprüfen können. Weder Herr Catenhusen
noch Ihr Haus haben diese Frage bis heute beantwortet.
Da mag der eine oder andere einmal krank gewesen
sein. Aber die Opposition sollte man auch nicht künstlich dumm halten.
({4})
Wir werden prüfen, ob Sie denn tatsächlich Verdoppelungsabsichten haben.
In aktuellen Presseveröffentlichungen sprechen Sie
neuerdings nicht mehr von Verdoppelung, sondern von
5 Milliarden DM zusätzlich. Das ist zwar keine Verdoppelung, aber immerhin ein Aufwuchs um ein Drittel, der
respektabel ist. Ich glaube allerdings nicht, daß Sie ihn
erreichen werden. Das wäre dann eine Lüge über die
Steigerung von Bildungs- und Forschungsausgaben; sie
werden wir in diesem Haus geißeln.
({5})
Ich will auch an dieser Stelle gerade in bezug auf die
von Ihnen dargelegten neuen Programmansätze kritisieren, daß die unverantwortlich späte Vorlage dieses
Haushaltes gerade im Einzelplan 30 wahrscheinlich zu
erheblichen Verwerfungen führen wird. Während der
Rüttgers-Etat Anfang 1999 in Kraft getreten wäre, wird
dieser Etat nach den bisherigen Planungen erst Mitte des
Jahres in Kraft treten. Das hat natürlich für neue Projekte und Programme, die Sie übernommen und deren
Zahl Sie teilweise noch gesteigert haben, die Auswirkung, daß die Mittel nicht mehr abfließen werden. Wenn
Sie heute ankündigen, man müsse Soll mit Soll vergleichen, dann erwidere ich: Das Ausgabensoll in Ihrem
Haushalt ist nur ein Potemkinsches Dorf, weil Sie nur
ein halbes Jahr Zeit haben, um die eigentlich für zwölf
Monate vorgesehenen Ausgaben abfließen zu lassen. Ich
stelle die Behauptung auf, daß vieles von dem, was Sie,
Frau Bulmahn, großzügig in Ihrer Rechnung als Zuwachs für Bildung und Forschung ausweisen, nichts anderes als Spielmaterial für die Deckung der Haushaltslücken von Herrn Lafontaine am Ende dieses Jahres ist.
Darauf werden wir Sie sehr konkret hinweisen. Die
Mittel können gar nicht innerhalb von sechs Monaten
sinnvoll und ordnungsgemäß abfließen, wie Sie das
heute vorgetragen haben.
({6})
Ich will aber auch nicht verschweigen, daß bei genauer Durchsicht dieses Haushaltes offensichtlich wird,
daß viele Teile in ihrer Akzentsetzung dem entsprechen,
was die Bundesregierung Kohl dem Parlament vorgelegt
hat. Daraus ziehe ich drei Schlußfolgerungen.
Erstens. So falsch kann unsere Politik entgegen Ihren
kritischen Haushaltsreden gar nicht gewesen sein, wenn
Sie große Teile unseres Etatentwurfes übernehmen.
Zweitens. Dann kann auch Ihre Ankündigung, Frau
Minister, nicht stimmen, wonach es mit der Bildungsund Forschungspolitik erst jetzt richtig losgeht, wenn
Sie gedanklich und finanziell Anleihen bei Jürgen Rüttgers machen.
Drittens - auch das muß klar sein -: Wir können auch
nicht alles von dem ablehnen, was Sie heute vorschlagen, weil vieles mit dem übereinstimmt, was wir bereits
in den vergangenen Jahren eingeleitet haben.
Deswegen begrüße ich es ausdrücklich - es entspricht
auch meinem Engagement als Haushaltsberichterstatter -,
daß Sie DFG, MPG und FhG erstmals in einem Regierungsentwurf gleich behandeln. Ich begrüße weiterhin,
daß Sie die Idee der Leitprojekte, die von Jürgen Rüttgers eingeführt worden ist, fortentwickeln, daß Sie die
Strategie- und damit auch die Wettbewerbsüberlegungen
in bezug auf die deutsche Forschungslandschaft, die
nicht ganz ohne Kritik auch bei den Betroffenen geblieben sind, weiter unterstützen, daß Sie einen Akzent bei
den überbetrieblichen Ausbildungsstätten des Handwerks setzen, daß Sie eine überproportionale Steigerung
der Projektförderung, die auch im Rüttgers-Entwurf
dreimal so stark zugenommen hat wie die institutionelle
Förderung, vornehmen.
({7})
Auch daß Sie in gleicher Größenordnung wie im Rüttgers-Entwurf Mittel für die neuen Länder ausgeben,
kann von uns eigentlich nur begrüßt werden. Wir sagen
Ihnen, Frau Minister: Sie haben recht, wenn Sie uns
zitieren und wenn Sie unsere Politik fortsetzen.
({8})
Trotzdem will ich zwei Bereiche nennen, bei denen
ich glaube, daß dieser Etat auf einige politische Schwierigkeiten treffen wird. Das ist zum einen der HochSteffen Kampeter
schulbereich, und das ist zum anderen die Weltraumforschung. Sie scheinen sich als finanzielle Ankündigungsministerin zu verstehen; Sie haben auch eine große
BAföG-Novelle angekündigt. Wenn wir sie verabschiedet hätten, wäre es für Sie dann eine unzureichende Mini-Novelle des BAföG gewesen. Der von Ihnen versprochene und von den Studenten erwartete große Wurf ist
das nicht. Ihre etwas vagen Äußerungen über die „große
Strukturreform“ zum Ende des Jahres 1999 lassen mich
befürchten, daß innerhalb der Bundesregierung noch
nicht klar ist, wer diese BAföG-Novelle schreibt - Sie
oder der Bundesfinanzminister. Denn auch in den Ländern ist die Frage völlig umstritten, ob die von Ihnen angekündigte BAföG-Novelle kostenneutral oder mit zusätzlichen Ausgaben für die Bundesländer und für den
Bund zu erfolgen hat. Die Anwort auf diese Frage sind
Sie, Frau Ministerin, heute schuldig geblieben. In bezug
auf das BAföG sind Sie das, was Sie Ihrem Vorgänger
gerne vorgeworfen haben: eine reine Ankündigungsministerin.
Ich will an dieser Stelle auch darauf hinweisen, daß
Ihre BAföG-Pläne auch in der eigenen Partei nicht ganz
unumstritten sind. So haben der Ihnen nicht ganz unbekannte niedersächsische SPD-Fraktionsvorsitzende, Gabriel, und der niedersächsische Wissenschaftsminister Sie sollten die beiden deswegen gut kennen, weil Sie
Vorsitzende der niedersächsischen SPD sind und die
Landesregierung in Niedersachsen von Ihrer Partei getragen wird - vor kurzem festgestellt, daß es im Hinblick auf die Studienfinanzierung eine Illusion sei, auf
sprudelnde Steuerquellen zu spekulieren, und darauf
hingewiesen, daß die meisten Studenten sowieso aus
Familien der oberen Mittelschicht kämen, denen Studiengebühren zuzumuten seien. Assistiert werden sie
von der Hans-Böckler-Stiftung, die Studiengebühren für
richtig und notwendig hält.
Ich kann Ihre Ablehnung von Studiengebühren, die
Sie gebetsmühlenartig wiederholen, deswegen nicht
mehr ganz nachvollziehen. Ihr erster Rückzug ist aber,
so glaube ich, erfolgt, indem Sie gesagt haben, daß Sie
sich für ein Zweitstudium durchaus Studiengebühren
vorstellen könnten. Das läßt uns für die weiteren Diskussionen noch einiges vermuten.
Ich bin auch etwas in Zweifel, ob die Kategorisierung
Ihrer Politik als eine „linke SPD-Politik“ ganz zutreffend ist. Zumindest in Zweifel ist auch die „Tageszeitung“, die vor einigen Wochen in Kommentierung Ihrer
ersten Amtsinhalte zum Thema BAföG geschrieben hat:
Im nächsten Jahr will sie als ersten Schritt der Novelle die Elternfreibeträge anheben. Nicht eben radikal, die Idee. Radikalen Vorschlägen, etwa der
einer komplett elternunabhängigen Förderung für
alle Studierenden, wird sie dabei ohnehin nicht folgen. „Ich bin nicht der Meinung, daß man allen Jugendlichen eine existenzsichernde Förderung durch
den Staat anbieten kann“, bemerkt Bulmahn. Ihren
linken studentischen Bündnispartnern aus der Oppositionszeit wird das Lachen vergehen.
Die „Zeit“ kommentiert „Wechsel ohne Veränderung“ und wirft Ihnen vor, daß Sie vor den notwendigen
Reformen zurückschrecken. Also: Wir werden uns auch
beim BAföG bei Ihnen noch auf einiges einstellen müssen. Solide ist das, was Sie hier vorgetragen haben, keinesfalls.
({9})
In großer Sorge bin ich bezüglich dessen, was Sie
zum Bereich Weltraumforschung vorgetragen haben.
Im Haushaltsausschuß bestand in den vergangenen Jahren zwischen den beiden großen Volksparteien - zumindest zwischen dem Kollegen Schanz und mir - große
Übereinstimmung, daß die bemannte und unbemannte
Weltraumforschung ein Schwerpunkt auch unserer Politik sein sollte. Sie werden in den nächsten Wochen, in
Vorbereitung der ESA-Ministerratskonferenz, als Ratspräsidentin nicht ganz ohne Verantwortung sein, was die
zukünftigen Entscheidungen über die bemannte Raumfahrt, aber auch über die Erweiterung des Ariane-5Projektes angeht. Sie stehen da nicht nur in einer ideologischen Verantwortung, sondern in einer gesamteuropäischen Verantwortung. Denn beispielsweise das Projekt
der europäischen Raumstation hat nicht nur einen rein
forschungspolitischen Aspekt, sondern ist darüber hinaus ganz, ganz wichtig für die Einbindung von Russen
und Amerikanern und somit ein Projekt politischer Kooperation. Wir werden Sie daran erinnern, daß Sie hier
eine besondere Verantwortung haben.
Abschließend will ich aus der „Woche“ zitieren. Einer Ihrer innerparteilichen Gegner wird dort mit folgenden Einschätzungen zitiert:
Mit ihrem Hang, neue Institutionen wie eine Bundesethikkommission und „ständig neue Räte“ zu
fordern, etwa einen Bundesbildungsrat, verschanze
sich Edelgard Bulmahn „hinter zusätzlichen Autoritäten“, kritisiert ein SPD-Abgeordneter. Ihr Arbeitsstil zeige „wenig Souveränität im Diskurs“, sie
monopolisiere Wissen und Macht, ziehe „alles in
sich hinein“ und habe mit diesem Führungsstil in
der Arbeitsgruppe der Fraktion einst „großes Murren“ hervorgerufen. Hinzu kommen die Marotten
einer Oberlehrerin: Sie mag den Besucher, der seinen Fragenkatalog in der eingeräumten Zeit abgearbeitet hat, nicht entlassen, bevor sie ihm nicht in
den Block diktiert hat, was ihr sonst noch wichtig
ist - und wonach nicht gefragt wurde ...
({10})
Frau Ministerin, das ist ein mieser innerparteilicher Umgangsstil. Den werden Sie von uns nicht erwarten.
({11})
Wir werden Ihren Etat nach sachlichen, anständigen
Kriterien prüfen, Sie da kritisieren, wo es notwendig ist,
Verbesserungsvorschläge machen, wo es notwendig ist,
und Sie da unterstützen, wo Sie eine richtige Politik machen. In diesem Sinne werden wir den Etat 1999 Ihres
Hauses beraten.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Peter Eckardt.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mit Steffen
Kampeter schon seit sieben oder acht Jahren Erfahrung.
Ich finde es nicht in Ordnung, daß man in einer Bildungsdebatte eine Ministerin persönlich so angreift.
({0})
Wir bemühen uns alle um Bildung und haben alle gute
Motive. Ich denke, es geht um Argumente und nicht
darum, jemanden persönlich so zu attackieren. Ich glaube, Herr Kampeter, Sie können ganz sicher sein: Die
Fraktion der Sozialdemokraten wird sich dafür einsetzen
und auch durchsetzen, daß es neben der Vorschaltregelung für das BAföG eine umfassende BAföG-Regelung
gibt.
({1})
Die Fraktion der Sozialdemokraten wird auch dafür garantieren, daß es auf Bundesebene und da, wo der Bund
es beeinflussen kann, keine Studiengebühren oder irgend
etwas ähnliches gibt. Ich denke, die Frau Ministerin
kann sich auf diese Position verlassen.
({2})
Wir sind in diesem Hause sicher einig, daß Wissenschaft und Forschung, Universitäten und Hochschulen
einen wichtigen, unverzichtbaren Beitrag für Kultur,
Wohlstand und wirtschaftliche Entwicklung unseres
Landes leisten. Wir sind uns aber, glaube ich, auch
einig, daß der Beitrag der deutschen Hochschulen im
Wettbewerb mit anderen Gesellschaften und Kulturen,
in der Konkurrenz der Technologien und auch in der
Konkurrenz der Märkte noch steigen wird. Wir sind uns
aber vermutlich - Herr Kampeter, ich bin schon fast
ganz sicher - nicht einig, wenn ich feststelle, daß die
Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Deutschland in den letzten Jahrzehnten hoffnungslos unterfinanziert waren und daß der drohende Verlust internationaler
Reputation zum Teil auf diese Unterfinanzierung zurückzuführen ist.
({3})
Ich kann zu diesem Thema aus Erfahrung sprechen.
Ich habe in den letzten Jahren an einer deutschen Universität gelehrt und geforscht. Es ist keine Übertreibung,
wenn ich feststelle: Die deutschen Hochschulen sind seit
den 70er Jahren in einem Zerfallsprozeß. Ich will das
Lob an Herrn Möllemann ruhig weitergeben: Nach Ihnen war nicht mehr viel. Meine Tochter hätte nie in
Amerika studieren können, wenn es nicht Ihr Hochschulsonderprogramm gegeben hätte. Das muß ich persönlich festhalten. Aber dabei bleibt es dann auch.
({4})
- Es gibt manche persönliche Beziehung. Man muß andere auch loben. Das ist in Ordnung.
Die Ansprüche von Gesellschaft und Politik an die
Hochschulen, seit 20 Jahren die studentische Überlast zu
bewältigen, haben nicht nachgelassen. Vielmehr haben
sich die wirtschaftlichen und sozialen Ansprüche an die
Universitäten und Fachhochschulen erhöht. Die Globalisierung der Märkte und Kulturen, die ökonomischen und
technologischen Herausforderungen stellen die Hochschulen vor neue Aufgaben.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion unterstützt die neue Bildungspolitik der Regierung, jetzt endlich und hoffentlich nicht zu spät mit dieser Unterfinanzierung Schluß zu machen und den Hochschulen und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wieder Mut zu
machen, auch finanziellen Mut: Über 6 Prozent Steigerung des Bundeshaushalts 1999, eine erhebliche Mittelverbesserung im Hochschulbau, in der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung, im Bereich BAföG, für den
internationalen Austausch von Studierenden und Hochschullehrern, die Frauenförderung und der hochschulpolitische Beginn neuer Initiativen und Programme, besonders auch in den neuen Ländern im Bereich der Innovationen. Die Fraktion der Sozialdemokraten unterstützt die Regierung in diesen Aktivitäten. Ich denke,
wir geben den Hochschulen damit wieder eine Perspektive, sich mit neuer Motivation und innovativen Anstrengungen den neuen hochschulpolitischen Aufgaben
zu stellen.
Natürlich kann von heute auf morgen nicht alles
finanziert werden, was in den letzten Jahren vernachlässigt wurde. Wenn Sie die Hochschulbaufinanzierung des
letzten Jahrzehnts betrachten, wenn Sie an das zum Teil
marode Mobiliar in den Universitäten, die abgeschriebenen Gebäude, die altertümliche Technik denken, mit der
moderne Lehre angeblich eingefordert wird, können Sie
verstehen, warum viele Kolleginnen und Kollegen an
den Hochschulen auf die Politik der neuen Regierung
setzen.
Keine Mißverständnisse, bitte! Nicht nur mein armes
Bundesland im Norden der Republik ist von der jahrelangen Unterfinanzierung betroffen.
({5})
- Ich weiß, ich weiß. Die sind manchmal auch nicht besser.
({6})
Schauen Sie sich die Internetseiten der Universität Tübingen an, auf der die Hochschulleitung gerade in diesen
Tagen öffentlich und unverfroren klagt, mit welchen
Kürzungen seitens der Stuttgarter Landesregierung Baden-Württemberg ist nachgewiesenermaßen kein armes Land - sie sich herumschlagen muß. Lesen Sie
nach, welche Folgen die Kolleginnen und Kollegen für
die Wissenschaft in Deutschland sehen, wenn sich die
Kürzungen seitens des Landes so weiterentwickeln!
Nun sind Finanzen in der Wissenschaft nicht alles.
Ich weiß das. Die notwendigen Reformen der Universitäten müssen aus den Universitäten selbst kommen.
Sie können weder mit der Drohung, den Geldhahn zuzu1458
drehen, erzwungen werden, noch hilft ein üppiger Geldsegen.
Wenn aber die im Interesse der Beschäftigten notwendigen Reformen unserer Hochschulen im Managementwettbewerb qualitativ hochwertiger Lehrer und international anerkannter Forscher nicht bald verwirklicht
werden, wird auch eine Debatte über die Finanzierung
der Hochschulen insgesamt beginnen. Wir werden den
Weg der weiteren Privatisierung der akademischen Ausbildung für ausgewählte Kinder ausgewählter Eltern
nicht mehr sperren können.
Der Bundeshaushalt 1999 ist nach Meinung meiner
Fraktion der Beginn der Stabilisierung der öffentlichen
Verantwortung für Wissenschaft und Forschung und die
Umkehr von dem bisher eingeschlagenen Weg. Über
1 Milliarde DM an Steigerung im Bildungshaushalt sind
schon viel Geld für die Zukunftsinvestitionen Bildung
und Wissenschaft in diesem Land.
Ich habe heute morgen gehört, daß Herr Rexrodt diese Zahl heruntergerechnet hat, sie aber immer noch für
respektabel hält, um dann zu sagen, daß die Ankündigung, die Bildungsinvestitionen in vier Jahren zu verdoppeln, eine Mogelpackung sei. Fünf Monate sind vergangen. Auch Herr Kampeter hat für die Opposition
wiederholt, daß im Jahre 2002 ein politisches Ziel nicht
erreicht werden kann. Er weiß es offensichtlich schon
heute.
({7})
- Ja, ich weiß. - Die Sozialdemokraten werden qualitativ alles versuchen, Bildung und Wissenschaft weiter
verstärkt zu fördern und wissenschaftliche Prioritäten zu
setzen.
Wenn man selbst studiert und einen gehobenen Platz
in der Gesellschaft erreicht hat - gestatten Sie mir dies
als letzten Satz -, die nachfolgende Generation mit Studiengebühren zu belegen, halte ich im übrigen nicht nur
sozialpolitisch, sondern auch moralisch für verfehlt.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Jürgen W. Möllemann.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Als ich heute morgen den Bundesfinanzminister hier stehen sah und reden hörte,
({0})
da merkte man ihm so richtiggehend an, wie er ein paar
Monate zurückblendete und sich noch als Parteivorsitzender auf Wahlkundgebungen sprechen sah. Er stand
hier und bat geradezu flehentlich um Verständnis dafür,
daß man nicht alles, was man vor Wahlen verspreche,
denn auch nach den Wahlen halten könne, das sei doch
alles so schwer.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie wissen
doch: Sie haben mit einem Wahlversprechen die Wahl
gewonnen und dieses Versprechen gebrochen. Sie haben
den Wählerinnen und Wählern, den Jungwählerinnen
und Jungwählern an den Hochschulen, den Hochschullehrern versprochen, zunächst, wie Sie gesagt haben, die
Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und Forschung in
der kommenden Legislaturperiode, wenn sie denn die
Wahl gewönnen, zu verdoppeln. Mit immer größerem
Herannahen des Wahltermins haben Sie dann gesagt:
Die Zukunftsinvestitionen im Bildungsbereich werden in
den vier Jahren verdoppelt.
({1})
Einmal abgesehen davon, daß es wirklich schwierig
ist, zwischen auf die Zukunft gerichteten Investitionen
im Bildungsbereich und solchen, die auf die Vergangenheit, die Jetztzeit oder was auch immer gerichtet sind, zu
unterscheiden, ist es doch ein interessanter Sachverhalt:
Sie selber stellen hier dar, sie steigern den Haushalt und
auch die von Ihnen selbst auf den Zukunftsbereich bezogenen Aufwendungen um 6,4 Prozent.
Sie dürfen sich nicht wundern - und Sie würden es
doch andersherum genauso machen -, daß wir nachrechnen und Sie fragen: Wie ist das, wenn man vor den
Wahlen von 100 Prozent in vier Jahren, 25 Prozent pro
Jahr spricht, und dann kommen Sie mit 6 Prozent daher?
Das ist der Bruch eines Versprechens. Sie haben die
Wähler getäuscht und damit Stimmen ermogelt. Deswegen will heute keiner mehr zugeben, daß er Sie gewählt
hat. Das ist doch der Punkt. Die Leute merken es. Sie
treffen doch auf der Straße keinen mehr, der sagt: Ich
habe diese Regierung gewählt. Das ist der Hintergrund.
({2})
- Nein, das hat mit Karnevalsveranstaltungen nichts zu
tun. Sie müssen sich daran messen lassen, was Sie vor
der Wahl gesagt haben. Die jungen Leute in den Hochschulen haben doch offenkundig geglaubt, daß Sie es so
meinen würden. Daß es schwer ist, die Aufwendungen
für Bildung und Wissenschaft zu Lasten anderer so zu
steigern, daß sie verdoppelt werden, das mußten Sie
vorher wissen. Niemand von Ihnen, weder Ihr Kanzlerkandidat noch Ihr Parteivorsitzender und heutiger
Finanzminister, war ohne Regierungserfahrung. Sie
wußten doch, daß man Aufwendungen, die man zusätzlich in die Bildung stecken will, woanders wegnehmen
bzw. über höhere Steuern oder über höhere Verschuldung generieren muß. Kommen Sie deswegen nicht mit
der Ausrede, Sie hätten nicht gewußt, wie schwer das
sei! Es ist festzuhalten: Sie haben die Leute belogen.
({3})
- Nein, es ist so. Sie haben mit dieser Unredlichkeit
Stimmen gewonnen und lassen sich das jetzt ungern
vorhalten. Es muß Ihnen aber vorgehalten werden.
({4})
Das ist für sich genommen schon schlimm genug.
Schauen wir uns aber einmal die einzelnen Bereiche an.
({5})
- Lieber Herr Penner, Sie haben den Nachteil, etwas zu
spät gekommen zu sein; denn Sie haben es verpaßt, daß
Ihre derzeit amtierende Ministerin so liebenswürdig war,
zu sagen, nach dem Bildungsminister Möllemann sei
nichts mehr gekommen. Ich fand die Selbstbezichtigung,
die sie vorgenommen hat, übertrieben.
({6})
Jedenfalls glaube ich - deswegen ist der Hinweis auch
nach der weiteren Einlassung ihres nachfolgenden Kollegen überflüssig - bewiesen zu haben, daß man die
Steigerung erreichen kann. Sie müssen sich an Ihren
Versprechungen messen lassen. Gehen wir die einzelnen
Bereiche an!
BAföG. Sie haben vor den Wahlen erklärt, Sie würden - würden Sie denn gewählt - eine grundlegende Reform der Ausbildungsförderung einbringen; die sei fertig. Sie haben ein entsprechendes Gesetz vor der Wahl
sogar vorgelegt: das Drei-Körbe-Modell. Was in drei
Teufels Namen hindert Sie eigentlich, jetzt, da Sie die
Mehrheit haben, dieses vor der Wahl vorgestellte
Modell erneut einzubringen? Warum tun Sie das denn
eigentlich nicht?
({7})
Haben Sie es vor der Wahl etwa nach dem Motto eingebracht, der Wähler möge Ihnen doch das Schicksal ersparen, es hinterher mit der Mehrheit erneut tun zu müssen? Jetzt haben Sie die Mehrheit, und jetzt machen Sie
es nicht. Sie kommen mit einer „Pipifaxreform“ von 2
Prozent Steigerung bzw. 6 Prozent Steigerung bei
Höchstförder- und Bedarfssätzen. Meine Damen und
Herren, es geht nicht, den jungen Leuten vor der Wahl
das Drei-Körbe-Modell zu versprechen, weil zu wenige
gefördert würden, und jetzt, da wir als F.D.P. diesen
Antrag einbringen, zu sagen, Sie müßten noch lange und
gründlich nachdenken. Worüber müssen Sie denn nachdenken? War Ihr Gesetzentwurf vor der Wahl nicht
durchdacht? Das ist nicht in Ordnung.
({8})
Hochschulbau. Mit dem Thema habe ich, liebe Frau
Bulmahn, auch zu tun gehabt. Ich hatte das gleiche Problem, das Sie jetzt haben werden. Da Sie davon wußten,
bin ich von dieser Steigerungsrate nicht so sehr beeindruckt. Nach der gesetzlichen Regelung handelt es sich
dabei um eine Gemeinschaftsaufgabe: Es fließt nur die
Mark an Bundesmitteln ab, die von der ergänzenden
Mark an Landesmitteln begleitet wird.
({9})
Nun habe ich mir gedacht, ich schaue doch einmal bei
den Ländern nach, in denen Ihre Partei regiert, und ich
sehe - Donnerwetter -, daß bei der SPD die Koordinierung nicht funktioniert: Während Sie „Rauf mit den
Hochschulbaumitteln!“ sagen, gehen die Länder runter.
Was ist das denn für eine Vorgehensweise? Das ist
schon wieder eine Mogelpackung.
({10})
Übrigens, Herr Berninger, fangen Sie nicht an zu lächeln! Sie sitzen zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen
mit im Boot.
({11})
Kommen wir zum dritten Bereich. Sie sagen, die
Ausbildung an den Hochschulen laufe auch deswegen
nicht gut, weil der wissenschaftliche Nachwuchs nicht
hinreichend gefördert werde. Der wird aber doch dadurch gefördert, daß man ihm Stellen bietet, um beruflich tätig sein zu können. Da schaue ich mir, denke ich,
doch einmal die Länder an, in denen die SPD regiert. Ich
blicke auf Nordrhein-Westfalen und Gabriele Behler.
Selbige Gabriele Behler schlägt dem Parlament vor,
2 000 Stellen im Hochschul- und Lehrerbereich zu streichen.
({12})
Herr Schrader schreibt in der „Westfälischen Rundschau“ - eine Zeitung, die nicht direkt den Ruf hat, der
F.D.P. oder der Union nahezustehen -, nach einer Studie
der KMK stehe das rotgrüne Nordrhein-Westfalen bei
der Hochschullehrer-Studenten-Relation und bei der
Lehrer-Schüler-Relation an 16. Stelle. In diesem Land
streicht die Ministerin noch einmal 2 000 Stellen.
Angesichts dessen kommen Sie uns doch nicht mit
solchen famosen Zahlen! Sie wissen doch ganz genau,
daß es nicht nur vom Ablauf - darauf hat der Kollege
schon hingewiesen -, sondern auch von den erforderlichen kompensatorischen Mitteln her nicht klappen wird.
Heute morgen hat Oskar Lafontaine - an einer bestimmten Stelle hatte ich dafür Verständnis - hier gesagt, wir sollten die Debatte redlich führen und die Argumente nicht nach dem Motto austauschen, wer in der
Opposition sei, attackiere, und wer an der Regierung sei,
entschuldige sich dafür, daß nicht alles so klappt. Da hat
er nicht so ganz unrecht.
({13})
- Nein, ich habe die hier von Ihnen vorgelegten Zahlen
an Ihren Ankündigungen gemessen.
Im inhaltlichen Bereich sollten uns zwei Themen besonders beschäftigen. Es gibt in Deutschland viele Initiativen zur Förderung von Lernbehinderten. Das ist
auch gut so. Aber wir haben bei uns - das ist ein wirklicher struktureller Mangel - keine Forschungseinrichtungen und Verfahren zur Identifizierung und Förderung
von Hochbegabten. Das ist ein großes Problem.
({14})
Auf vielen Veranstaltungen, an denen ich wie übrigens auch Kolleginnen und Kollegen der anderen Parteien mitwirken konnten, haben wir junge Menschen
getroffen, die manchmal sogar sagten, daß sie darunter
litten, hochbegabt zu sein, und die keinerlei adäquate
Förderung erfuhren. Das ist eine Verplemperung von
Potentialen und ein sorgloser Umgang mit Menschen,
die wir in besonderer Weise brauchen. Ich rege an, daß
wir neben manchem, Frau Bulmahn, was Sie an neuen
Forschungsschwerpunkten setzen - sie begrüße ich ausdrücklich -, hier gemeinsam einen zusätzlichen Schwerpunkt entwickeln. Da ist nicht genug vorhanden.
({15})
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft
die Dienstrechtsregelungen. Es ist so, wie Sie sagen,
Frau Bulmahn: Geld ist nicht alles, aber ohne mehr Geld
bekommen wir die meisten Probleme nicht geregelt. Mir
scheint aber, daß wir sowohl in Schulen als auch in
Hochschulen, für die wir mehr tun müssen - die Aufgabe der Lehrer und der Hochschullehrer ist immer komplizierter geworden, die Anforderungen sind immer größer geworden -, auf das Phänomen stoßen, daß es eine
große Zahl von Lehrkräften gibt, die mit größtem Engagement arbeiten, aber es gibt auch das genaue Gegenteil.
Dem werden wir mit dem vorhandenen Beamtenrecht
nicht beikommen. Deswegen müssen wir - ich weiß,
wie sensibel das Thema in allen Parteien diskutiert wird
- den Status der Hochschullehrer und der Lehrer ändern.
Es hilft nichts: Wenn wir es beim Beamtenrecht lassen,
werden wir eine Leistungsorientierung nicht zustande
bringen.
({16})
Ich weiß, es gibt bei Ihnen wie auch bei uns skeptische
Stimmen. Aber die Erfahrungen lehren uns, daß die
Vorzüge einer solchen Reform größer als die mit ihr
verbundenen Nachteile sein könnten.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({17})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Matthias Berninger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es
war ja abzusehen, wie die Debatte heute verläuft. Zum
erstenmal nach 16 Jahren Helmut Kohl, auch zum erstenmal in der Zeitrechnung nach Möllemann
({0})
wird in den Bildungsbereich wieder investiert, wird
wieder mehr Geld für einen sehr wichtigen Bereich zur
Verfügung gestellt. Was liefert uns die Opposition? Eine
kleinliche Debatte darüber, was Verdoppelung heißt und
wie es mit den Wahlversprechen aussieht.
({1})
- Steffen Kampeter, zum Thema Wählertäuschung
möchte ich auf folgendes hinweisen: Ich lasse mir relativ viel vorwerfen, nicht aber das Wahlprogramm der
SPD. Das ist nicht meine Baustelle.
Aber ich möchte über ein anderes Wahlprogramm
reden, nämlich das der F.D.P. Die F.D.P. hat noch mehr
versprochen als die Sozialdemokraten und die Grünen,
wahrscheinlich soviel, wie wir zusammen versprochen
haben. Nach der Logik Möllemanns hätte die F.D.P. die
Jugendpartei schlechthin sein müssen, denn sie hat unter
dem Label „Mehr Kohle für Bildung“ 10 Milliarden DM
für diesen Bereich angekündigt. Aber die Wählerinnen
und Wähler wußten, daß die F.D.P. die letzte Partei ist,
die Wahlversprechen hält.
({2})
Die Erfahrung mit den Kürzungen in der Bildungspolitik
der letzten Jahre ist gerade den jungen Leuten ziemlich
gegenwärtig gewesen.
({3})
Wir haben im Bildungsbereich in zwei Punkten zugelegt. Ein Bereich ist hier noch nicht so gewürdigt
worden, wie es aus meiner Sicht nötig ist. Das Programm mit 2 Milliarden DM, die wir einer Gruppe von
jungen Leuten zur Verfügung gestellt haben, die am
unteren Ende standen, die die eigentlichen Verlierer der
Ära Kohl waren, ist, glaube ich, noch einmal eine Erwähnung wert.
Ich will es Ihnen am Beispiel der Stadt Kassel deutlich machen. Ohne die Wahl im letzten Herbst hätten in
Kassel 1 400 junge Menschen weniger einen Job. Das
wären weitere 1 400 junge Menschen, die ohne eine Perspektive dastünden; denn nur durch dieses 100 000Stellen-Programm für junge Menschen, wodurch wir
diese Menschen in Ausbildung und Beschäftigung gebracht haben, haben sie überhaupt wieder so etwas wie
eine Perspektive.
Wenn Sie sich die Leute, die von diesem Programm
profitieren, anschauen, dann merken Sie, daß das nicht
eine abstrakte Investition in Höhe von 2 Milliarden DM
ist. Vielmehr ist es sehr gut angelegtes Geld, investiert
in die Köpfe von jungen Menschen. Deswegen ist dieses
Programm ein sehr großer Erfolg dieser Regierung und
wird ein Auftakt dafür sein, das große Dilemma, das wir
am Ausbildungsmarkt haben und das uns die letzte
Regierung hinterlassen hat, tatsächlich in den Griff zu
bekommen.
({4})
Nun zu dem Etat von Frau Bulmahn. Wir alle wünschen uns mehr Investitionen in Bildung und Forschung.
Nur, eines gebe ich hier einmal zur Kenntnis: Diese Regierung will den Haushalt insgesamt konsolidieren. Sie
will auch für junge Generationen sparen und ihnen
Spielräume eröffnen. Sie wird aber nicht den Fehler der
alten Regierung wiederholen, die nämlich statt für junge
Generationen bei denen gespart hat. Deswegen haben
wir gesagt: Wir wollen Konsolidierung und trotzdem die
Zukunftsausgaben erhöhen.
Die Aufgabe dieser Regierung wird es sein, diesen
Kurs tatsächlich durchzuhalten. Dafür brauchen die Bildungspolitiker die Solidarität all derer, die erhebliche
Konsolidierungsleistungen erbringen werden. Ich glaube
auch, daß wir diese Solidarität in den Regierungsfraktionen haben werden. Das ist ein Unterschied zur alten
Bundesregierung, der mir sehr wichtig ist.
Wir haben eine Menge großer Reformen vor uns. Das
ist überhaupt keine Frage. Einige haben direkt mit Bundesmitteln zu tun, etwa die BAföG-Reform. Es gehört
zur Redlichkeit, hier zu sagen, daß die BAföGStrukturreform, die wir vorhaben, keineswegs durch
die zusätzlichen Mittel im Bildungsbereich finanziert
werden kann. Das unterscheidet zum Beispiel das Thema BAföG vom Thema Hochschulbau. Das heißt, für
die Strukturreform des BAföGs werden wir zusätzliche
Ressourcen mobilisieren müssen.
Vor diesem Hintergrund ist es nötig, daß sich diese
Regierung bei dieser Frage Zeit läßt. Sie von der Opposition müssen sich entscheiden, was Sie wollen.
({5})
Wollen Sie nun die soliden Gesetzentwürfe, die erarbeitet werden, oder wollen Sie, daß wir alles husch,
husch machen? Ich finde es richtig, daß die Ministerin
sagt: Wir legen Ende 1999 etwas vor. Der Zeitraum ist
wesentlich kürzer als die 16 Jahre, in denen Sie das
BAföG kaputtgespart haben.
({6})
Es wird aber am Ende ein solider Entwurf sein.
({7})
Bei diesem Entwurf wird eine Frage von großer Bedeutung sein: Macht man eine BAföG-Strukturreform
mit der Gießkanne, Herr Möllemann, oder macht man
eine BAföG-Strukturreform, die die finanziellen Rahmenbedingungen in diesem Bundeshaushalt und auch in
den Haushalten der Länder ernst nimmt?
Ich sage Ihnen das deshalb, weil mir das Thema so
am Herzen liegt. Wenn wir mit der Reform scheitern,
dann bleibt für eine Menge junger Menschen der Weg in
die Hochschule weiterhin verbaut. Dann kann der Bund
das den Ländern vorwerfen oder umgekehrt; aber das
hilft den jungen Menschen nicht. Ich sage Ihnen: Wir
werden diese Reform nur dann machen, wenn gerade
diejenigen, die vom Staat eine Chance bekommen haben, an dieser Reform finanziell beteiligt werden. Das
ist im übrigen meine persönliche Kritik und auch die
Kritik meiner Partei an dem Drei-Körbe-Modell.
Gründe dafür, warum ein Gesetzentwurf nicht einfach
eingebracht wird, sind die sachlichen Probleme etwa im
Finanzbereich, die rechtlichen Probleme im Bereich des
Unterhaltsrechts
({8})
und unsere Bedenken, was die Verteilungsgerechtigkeit
angeht. Ich will nicht, daß wir staatliche Ressourcen den
Kindern aus wohlhabenden Familien zur Verfügung
stellen und denen aus weniger wohlhabenden Familien
dann sagen: Wir haben nichts mehr für euch. Das halte
ich nicht für sozial gerecht. Deswegen werden wir eine
grundsätzlich andere Strukturreform machen als das,
was bisher diskutiert wurde.
({9})
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Möllemann?
Gern.
Vielen Dank, Herr
Kollege. - Ich habe die Frage: Weshalb sagen Sie, Sie
wollten diesen Gesetzentwurf erst Ende 1999 einbringen, erst dann sei er gründlich bedacht, sorgfältig berechnet usw., wo doch die SPD präzise das Drei-KörbeModell noch vor der letzten Wahl eingebracht hatte?
War dieses Modell nicht seriös berechnet? Zumindest
die jetzige Ministerin Frau Bulmahn konnte doch ihren
eigenen Gesetzentwurf, den sie uns vor der letzten Wahl
vorgehalten hatte, sofort wieder einbringen. Er wird
doch seriös berechnet gewesen sein.
({0})
Herr Kollege Möllemann, ich möchte Ihnen sagen, wie Politik nicht ablaufen kann. Wir haben in der
letzten Legislaturperiode als Opposition dieses Thema
sehr ernsthaft behandelt.
({0})
- Auch der Kollege Westerwelle kann dabei ruhig laut
„oh“ rufen. - Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt,
in dem deutlich wurde, wie wir Grüne uns eine BAföGReform vorstellen, und zwar eine, die auch für eine sehr
gerechte Verteilung sorgt. Sie dagegen schaffen es nur,
zwei Seiten zusammenzubringen, die die großangekündigte Initiative der F.D.P. sein sollen und auf denen Sie
von der Regierung fordern, tätig zu werden.
Herr Kollege
Möllemann, Sie müssen stehen bleiben.
({0})
Das tue ich doch; ich beantworte Ihre Frage. Sie
stellen die Frage, und ich beantworte sie Ihnen.
Vor diesem Hintergrund, Herr Kollege Möllemann,
habe ich ein Problem mit dem vorliegenden Entwurf,
weil in ihm die gesamten rechtlichen Bedenken, die
auch bei den Ländern existieren, noch nicht so, wie ich
mir eine seriöse Regierungspolitik vorstelle, behandelt
werden. Vor diesem Hintergrund werden wir uns mit
den Sozialdemokraten einigen und eine vernünftige Reform machen, weil uns dieses Thema am Herzen liegt.
Sie können Schaufensteranträge noch und nöcher stellen: Wir werden diese Reform gründlich machen. Wir
werden uns dabei von Ihnen nicht die Butter vom Brot
nehmen lassen.
({0})
Das werden Sie mit einem zweiseitigen Entwurf schon
gar nicht schaffen. - Ich fahre jetzt mit meiner Rede
fort; deshalb dürfen Sie, Herr Möllemann, sich jetzt
wieder setzen.
Beim Hochschulbau ist in der letzten Legislaturperiode etwas gemacht worden, was ich, gelinde gesagt,
für skandalös halte. Die einen oder anderen Berechnungen treten im Falle eines Regierungswechsels dann doch
zutage. Plötzlich sieht man, wie es dem großen Land
Bayern ergangen ist. Das Land Bayern hat im Hochschulbau fast 1,8 Milliarden DM vorfinanziert. Jetzt erwarten Sie, daß unsere Regierung die Mittel, die das
Land vorfinanziert hat, Bayern zurückbezahlt. Dazu
sage ich Ihnen: Das war eine sehr unseriöse Art und
Weise, wie Herr Rüttgers mit den Ressourcen von morgen umgegangen ist.
({1})
Wir werden die Mittel nicht für bayerische Steinzeitprojekte ausgeben; vielmehr werden wir die Mittel für
den Hochschulbau erhöhen und gerecht verteilen. Wir
werden diese Mittel in die neuen Länder und vor allem
in die Modernisierung der Hochschulen stecken und
nicht in unsinnige Großtechnologieprojekte. Auch das
wird ein Thema in den nächsten Jahren sein. Hier sind
wir voll auf der Seite des Bundesrechnungshofes. Herr
Stoiber muß dann eben selber sehen, wie er das, was er
mit dem ehemaligen Bundesminister Rüttgers unlauter
vereinbart hat, finanziert bekommt.
Herr Möllemann, machen Sie sich keine Sorgen. Jahr
für Jahr stand den Ländern mehr Geld für den Hochschulbau zur Verfügung, als der Bund gegenfinanziert
hat. Insofern werden die Länder auch jetzt mehr Geld in
die Hochschulen investieren können. Der Bremser saß
immer in Bonn. Jetzt wird in Bonn von der Ministerin
die Bremse gelöst, und wir werden in den nächsten Jahren sehr viel Geld in die Modernisierung der Hochschulen stecken. Ich finde es ein sehr gutes Ergebnis, daß
hierfür 2 Milliarden DM vorgesehen sind. Ich glaube,
daß das noch nicht das Ende der Fahnenstange für Bundesinvestitionen in moderne Hochschulen sein wird. Ich
wünsche mir jedenfalls noch mehr.
Wir haben an dieser Stelle auch über Themen zu reden, bei denen nicht direkt und in dem Maße Bundesmittel beansprucht werden können, wie es im Haushalt
ausweisbar ist. Die Reform der Personalstruktur wird
ein wichtiger Punkt sein. Herr Möllemann, ich gebe
Ihnen recht. Ich glaube auch, daß Länder wie NordrheinWestfalen, Baden-Württemberg, Niedersachsen oder
Hessen - hier können Sie es jetzt besser machen - auf
dem Holzweg sind. Ich gebe Ihnen recht, daß der Weg
falsch ist, wenn die Länder den Personal- und Generationenwechsel verhindern, weil sie die Hochschulen als
Spardose sehen, statt jungen Menschen eine Chance zu
geben, insbesondere auch jungen Frauen, um wissenschaftliche Karrieren zu machen. Wir müssen auch auf
der Bundesebene geschlossen darauf hinweisen. Aber an
diesen Mißständen können Sie nicht der Regierung die
Schuld geben, weil alle Länder diesen Weg gehen. Wir
können das nur gemeinsam beenden.
Deshalb wird die Reform der Personalstruktur, die
Frage, wie man modernes Dienstrecht für die Hochschulen schaffen kann, wie auch wir in Bonn Rahmenbedingungen für einen vernünftigen Generationenwechsel schaffen können, ebenso wichtig wie die Frage der
Frauenförderung sein, die bei uns einen ausdrücklichen
Schwerpunkt bildet. Es ist gesagt worden, daß unsere
Politik eine große Kontinuität zu der von Rüttgers aufweist. In manchen Bereichen stimmt das, weil es vernünftige Programme gab, die aber nichts mit der Person
des Ministers zu tun hatten; denn sie gibt es zum Teil
schon viel länger als die ständig wechselnden Minister
in diesem Hause.
Es gibt einen Punkt, bei dem wir einen neuen Akzent
setzen wollen und der mir sehr wichtig ist. Wir werden
die Frauenförderung zu einem Schwerpunkt machen.
Wir werden Investitionen dafür bereitstellen, damit
Frauen die gleichen Chancen an den Hochschulen wie
Männer bekommen. Sie haben das bis heute nicht, obwohl über die Hälfte der Studienanfänger Frauen sind.
An dieser Stelle hätte ich mir zumindest ein lobendes
Wort von dem Kollegen Kampeter gewünscht, der für
ein Lob für Herrn Rüttgers immer offen war. Frauenförderung ist nicht nur ein rotgrünes Thema, sondern geht
alle in diesem Hause an - Strich drunter.
Frau Ministerin, ich gratuliere Ihnen zu diesem Entwurf. Wir von seiten der Fraktion der Grünen werden
hinter einer Politik stehen, die in den nächsten Jahren
mehr Geld für Bildung frei macht und mit dem Sparen
bei der Bildung und damit bei der Zukunft Schluß
macht.
Vielen Dank.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus gegebenem Anlaß möchte ich
darauf hinweisen, daß in diesem Hause die Benutzung
von Handys verboten ist. Das hier ist ein Parlament, und
der einzige erlaubte Draht ist derjenige live zum Rednerpult.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Maritta Böttcher.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Das Versprechen, den Bildungsund Forschungsetat deutlich zu erhöhen, scheinen Sie
eingehalten zu haben. Ich sage „scheinen“, denn - das
möchte ich wiederholen - zur Haushaltswahrheit gehört
in erster Linie auch Haushaltsklarheit, und die ist in diesem Haushaltsentwurf nicht durchgängig auszumachen.
Meine Aufgabe ist es nicht, hier Würdigungen und Lobe
zu verteilen. Ich will in aller Kürze einige wenige
Schwerpunkte ansprechen.
Mit den neuen Titeln für Friedens- und Konfliktforschung, Frauenförderung und Entwicklungskonzepte Ost
schaffen Sie im Haushalt zumindest neue Töpfe. Es wird
sich zeigen, ob es Ihnen gelingt, damit auch neue inhaltliche Akzente zu setzen.
Im Rahmen der Frauenförderung sind auch Mittel für
die Frauenuniversität im Rahmen der Expo 2000 eingestellt. Sosehr ich eine Frauenuniversität begrüße, so ist
doch Kritik am vorliegenden Konzept angebracht. Die
Struktur der Frauenuni entspricht den hierarchischen
Vorstellungen der Hochschuldebatten der letzten Jahre:
Eine starke Hochschulleitung bestimmt; die gruppengesteuerten Gremien haben, sofern sie überhaupt noch
vorhanden sind, wenig zu sagen.
Natürlich begrüßen wir die Erhöhung der Mittel für
den Hochschulbau. Es wurde schon deutlich: Trotz der
Erhöhung reichen die Mittel noch nicht an diejenigen
Summen heran, die der Wissenschaftsrat als notwendig
bezeichnet hat.
Wenn Sie den Hochschulstandort Deutschland wirklich verbessern wollen, dann sollten Sie Prioritäten
setzen, und zwar an denjenigen Stellen, an denen die
neoliberale Politik am meisten gespart hat. Die Hochschulen sind seit vielen Jahren unterfinanziert; nur so
konnte die Debatte um die private Beteiligung an der
Bildungsfinanzierung Boden gewinnen. Um diesen
Trend der Privatisierung von Risiken und Kosten zu
stoppen, braucht man mehr als kleine Korrekturen. Das
gilt auch für die hier schon angesprochene BAföGNovelle. Sosehr jede kleine Verbesserung zu begrüßen
ist, die Erhöhung, die Sie jetzt vornehmen, reicht nicht
aus, um den Abbau rückgängig zu machen; sie reicht
höchstens aus, um ihn nicht weiter fortzusetzen.
Gegenüber den vorläufigen realen Ausgaben 1998
steigt der Ansatz für BAföG nur um 101 Millionen DM
- nicht, wie es auf den ersten Blick erscheint, um
142 Millionen DM. Damit wird die Situation der Studierenden nur halbherzig verbessert. Von Chancengleichheit kann mit dieser Steigerung noch keine Rede sein.
Die 20. BAföG-Novelle wird in Kürze hier beraten.
Ihnen stehen also noch Möglichkeiten offen, wirkliche
Zeichen für mehr Bildungsbeteiligung und vor allem für
Chancengleichheit zu setzen. Ein wichtiges Zeichen
wäre die Rücknahme der Verzinsung, die für potentielle
Studienanfängerinnen und Studienanfänger eine unschätzbare Größe ist und vor allem eine abschreckende
Wirkung hat.
Auch die gesteigerte Förderung von Ausbildungsplätzen muß man begrüßen. Aber sorgen Sie nicht dafür,
daß eine eigentlich unhaltbare Situation, nämlich die,
daß sich die Betriebe immer weiter aus der Finanzierung
der Ausbildung zurückziehen, fortgesetzt werden kann?
Sie könnten die Absicht, eine Umlagefinanzierung
noch in diesem Jahr umzusetzen, wenigstens mit einer
Erläuterung bekunden. Aber auch an diesem Punkt sind
Sie nicht zu durchgreifenden Änderungen bereit. Ein
Politikwechsel - das habe ich hier schon mehrmals betont - ist nur mit einer Umlagefinanzierung zu erreichen
und nicht mit Reparaturen in einem unzulänglichen System.
Vor allem Großbetriebe verabschieden sich immer
weiter aus ihrer Pflicht, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Daran ändert auch das 100 000-StellenProgramm nichts, aber das hilft Gott sei Dank den jungen Menschen. Die großen Betriebe nutzen statt dessen
die ausgebildeten jungen Menschen aus kleinen und
mittleren Unternehmen, die ihrer Ausbildungspflicht
noch nachkommen. Die Umlagefinanzierung ist nicht
nur eine Förderung der jungen Generation, sondern vor
allem auch der kleinen und mittleren Unternehmen.
Ein Zeichen für die Veränderung der Ausbildung
wären auch deutliche Erhöhungen im Rahmen der Fördermaßnahmen der allgemeinen und der beruflichen
Weiterbildung. Das Sonderprogramm Lehrstellenentwickler, Qualifizierung von Personal in der beruflichen
Bildung sowie Regionalverbünde in der Berufsbildung
bleibt im Ansatz gleich. Dabei könnten Lehrstellenentwickler einen sinnvollen Beitrag zur Steigerung der Zahl
der beruflichen Ausbildungsplätze leisten. Das Personal
in der beruflichen Bildung muß angesichts der ständig
wachsenden Anforderungen mit diesen Schritt halten
können und entsprechend qualifiziert werden.
Es wurden in diesem Haushalt diverse Titel zwischen
den Ressorts umgeschichtet - das ist heute schon gesagt
worden. Bei der Bündelung der Titel 30 und 09 bezüglich des Ausbildungsprogramms Neue Länder sind 12,4
Millionen DM verschwunden. Hier fehlt zum Beispiel
die Klarheit, ob diese Summe möglicherweise durch das
100 000-Stellen-Programm oder durch andere Mittel, die
irgendwo versteckt sind, ausgeglichen wird. Warum führen Sie eigentlich nicht die gesamte Ausbildungsförderung in einem Ressort zusammen? Das würde nicht nur
zur besseren Klarheit beitragen, sondern könnte wirklich
einen effektiven Mitteleinsatz zugunsten einer besseren,
vor allem inhaltlichen Bildung und eines lebenslangen
Lernens gewährleisten. Hier könnten Sie ein Signal für
dieses von Ihnen, Frau Bulmahn, auch in Ihrer Antrittsrede angesprochene lebenslange Lernen setzen.
Ausbildung - auch im dualen System - ist Teil des
Lernprozesses und muß auch auf Weiterbildung vorbereiten. Mit der halbherzigen Verlagerung der Technologiepolitik schaffen Sie nur neue Unübersichtlichkeit,
aber noch keine klare Zuordnung. Frau Bulmahn, Sie
haben in Ihrer Antrittsrede angekündigt, daß Sie die
Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern reformieren wollen. Ich hoffe, Sie tun das bald, damit hier
etwas passiert.
Die Misere der Hochschulen hängt nicht allein damit
zusammen, daß der Bund die Mittel seit den 80er Jahren
nicht angemessen steigert. Sie hat auch mit der insgesamt schlechten finanziellen Lage der Länder zu tun.
Die Mittel für den Hochschulbau werden den Universitäten und Fachhochschulen zweifellos helfen. Aber es
fehlt auch an Personal und an Gestaltungsmöglichkeiten,
weil die Länderhaushalte immer dürftiger werden, auch
wegen des bundespolitischen Trends, Gutverdienenden
immer weniger Steuern abzunehmen und die Last den
Normalverdienenden und den Schwächsten dieser Gesellschaft aufzuhalsen.
In der Forschungslandschaft wird durch die im Haushalt vorgeschlagenen Mittel eigentlich die bisherige
Politiklinie festgeschrieben. Das FuE-Sonderprogramm Ost wird trotz des beträchtlichen Mittelumfangs
von 270 Millionen DM mit 10 Millionen DM weniger
gefördert als beim Waigelschen Ansatz.
Wir erwarten von der Bundesregierung vor allem
Nachhaltigkeit in der Wissenschafts- und Forschungsstrategie und beim ökologischen Umbau der Gesellschaft. Wir erwarten aber auch und vor allem - Sie haben das heute wieder angekündigt, Frau Bulmahn - eine
Verstärkung der Vorsorgeforschung. Wir erwarten die
Wiedergewinnung oder auch Verteidigung der Chancengleichheit als wichtigste Voraussetzung für eine zukunftsfähige Bildungs- und Wissenschaftsentwicklung
in diesem Land.
Lassen Sie uns in der zweiten und dritten Lesung all
die kritischen Punkte, die hier heute angesprochen wurden, entsprechend verbessern und so zu einem Haushalt
kommen, der neben der Haushaltsklarheit auch Haushaltswahrheit darstellt. Dann müssen Sie sich auch nicht
von allen möglichen Menschen vorwerfen lassen, Wahlbetrug begangen zu haben.
Danke.
({0})
Ich erteile jetzt
das Wort dem Abgeordneten Jörg Tauss.
({0})
Auch dieses bleibt Ihnen nicht
erspart, das ist wahr. - Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau
Präsidentin! Wenn ich ein wenig Revue passieren lasse,
was aus den Reihen der Opposition im Zusammenhang
mit dem Bundeshaushalt 1999 vorgetragen worden ist,
dann komme ich zu der Feststellung, daß doch offensichtlich große Zufriedenheit herrschen muß. Ihre Kritik
haben Sie im wesentlichen, wenn man von etwas Gemäkel an dem einen oder anderen Punkt absieht, auf Vorgänge in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen reduziert. Sie sind auf die Länder ausgewichen und auf viele
andere Dinge; über den Bundeshaushalt haben wir relativ wenig gehört. Das können wir zumindest als Zufriedenheit deuten, wenngleich auch ich Ihnen zugebe, daß
in Baden-Württemberg, woher ich komme, an der Hochschule Karlsruhe im Bereich der Informatik ein Drittel
der wissenschaftlichen Stellen weggenommen worden
ist. Wir alle wissen, daß 100 000 Jobs im Bereich der Informatik nicht besetzt sind. Da, wo die Zukunft liegt,
wird gekürzt. Wir sollten uns also hier nicht die Länder
vorhalten.
Wenn wir in Zukunft wieder einen soliden Bundeshaushalt und entsprechende Einnahmen haben werden für diese Entwicklung stellt diese Bundesregierung im
Moment die Weichen -, dann werden auch die Länder
wieder in der Lage sein, ihre Ausgaben vernünftig zu
planen. Diesbezüglich sind wir ebenfalls auf einem guten Wege.
({0})
Ich will im übrigen noch einmal daran erinnern, daß
die alte Bundesregierung allein im Bereich des Hochschulbaus bei den Ländern mit rund 1 Milliarde DM in
der Kreide stand. Ich erwähne diese Tatsache, da Sie
über die Situation der Länder Krokodilstränen vergossen
haben.
({1})
Es wurde das Thema BAföG angesprochen. Herr
Möllemann droht mit einem Antrag zu diesem Thema.
Das ist prima. Ich frage nur an dieser Stelle: Wo waren
eigentlich in der letzten Legislaturperiode die Anträge
zum BAföG? Lieber Kollege Guttmacher, wir haben Sie
oft dazu aufgefordert, und Sie haben - wie jetzt auch immer nett gelächelt. Wie der Kollege Laermann haben
Sie immer wieder gesagt: Wir wollen gerne. - Vor der
Tür haben Sie aber zugegeben: Mit dieser Koalition ist
eine Reform nicht möglich. - Jetzt sind Sie vom Koalitionszwang befreit; jetzt stellen Sie Ihre Anträge. Das
finde ich prima. Vielleicht können wir in einigen Bereichen zusammen etwas erreichen.
Die Frau Präsidentin Vollmer hat sehr viel Energie in
das neue Stiftungsrecht gesteckt. Entsprechende Regelungen waren mit der alten Koalition nicht möglich.
Jetzt höre ich mit Freude, daß die F.D.P. und auch die
CDU/CSU Anträge dazu einbringen wollen. Offensichtlich hat dieser Regierungswechsel auch auf Sie innovativ und befruchtend gewirkt. Machen Sie weiter so, und
legen Sie vernünftige Anträge auf den Tisch! Wir werden dann mit Ihnen darüber reden. Das ist der Unterschied zur alten Regierung.
Frau Kollegin Pieper, Seriosität sollten Ihre Vorschläge schon aufweisen. Die F.D.P. hat ja die Bildungspolitik neu entdeckt. Das sage ich, obwohl im
Moment nicht viele von Ihnen anwesend sind. Wo ist
denn Herr Mittelwelle? Etwas mehr Engagement würden wir an dieser Stelle ganz gerne sehen.
Die von Ihnen angesprochene Kritik an der Vorgehensweise zum Drei-Körbe-Modell ist unseriös. Sie wissen doch ganz genau, daß wir auf Grund des Urteils des
Bundesverfassungsgerichts im Bereich des Kindergeldes
und der Elternfreibeträge zu Reformen kommen müssen.
Weil die sich ergebenden Auswirkungen noch nicht abschließend geprüft sind, wäre es aber nach 100 Tagen
wirklich nicht zu verantworten - Sie würden das zu
Recht kritisieren -, wenn wir sagen würden: Wir nehmen das alte Drei-Körbe-Modell und bringen es ohne
Diskussion mit den Ländern einfach ein. Meine herzliche Bitte ist, daß die Opposition diese Forderung nicht
erhebt, weil Sie genau wissen, daß man beim besten
Willen so nicht vorgehen kann. Wir werden aber in diesem Bereich Korrekturen vornehmen, die schon längst
überfällig sind. Am Freitag werden wir darüber diskutieren können.
Zur Dienstrechtsreform. Auch in diesem Zusammenhang habe ich die herzliche Bitte, die Kirche im
Dorf zu lassen. Wo gibt es denn in diesem Bereich entsprechende Vorlagen von CDU/CSU und F.D.P.? Herr
Kanther hätte euch in der letzten Legislaturperiode doch
etwas gepfiffen, wenn ihr im Innenministerium aufgetaucht wäret und gesagt hättet: Wir machen eine Dienstrechtsreform. - Sie haben in dieser Frage gekniffen. Wir
nehmen uns dieser Aufgabe ruhig und seriös an. Sie
können sich daran beteiligen. Wir wären sehr froh, wenn
wir auch aus den Bundesländern von Ihnen den entsprechenden Rückhalt bekommen würden.
Ich will Herrn Möllemann - er hat sich für seine Abwesenheit entschuldigt, weil er eine Rede halten muß einen Tip mit auf den Weg geben. Ich empfehle ihm als
Fallschirmspringer: Wenn man keine Luft unter dem
Fallschirm hat, dann sollte man sich zurückhalten, weil
man ansonsten hart aufprallt.
Wir waren das einzige Industrieland in der Welt - das
muß man sich einmal vorstellen -, in dem die Ausgaben
für Forschung und Wissenschaft zurückgefahren wurden, während alle anderen Länder - da brauchen Sie
nicht den Kopf zu schütteln, Herr Kollege Friedrich die Ausgaben erhöht haben. Im Juli des letzten Jahres
hat uns die amerikanische Regierung mitgeteilt - auch
Herr Gingrich, der in der amerikanischen Politik erfreulicherweise keine Rolle mehr spielt und der jede staatliche Ausgabe als Übel ansieht, hat sich so geäußert -,
daß die Investitionen in Forschung und Bildung in
den nächsten acht Jahren verdoppelt werden sollen, und
dies angesichts der Tatsache, daß die Ausgaben in den
USA ständig gestiegen sind, während sie bei uns gesenkt
wurden.
Aus diesem Grunde: Wer diesen Bereich zum Steinbruch gemacht hat, wie Sie es getan haben, wer in diesem Bereich Zukunftschancen verspielt hat, sollte sich
heute etwas mehr zurückhalten. Es war schon aus diesen
Gründen gut, daß Sie die Wahl verloren haben.
({2})
Dieser Skandal alleine wäre ein hinreichender Grund für
Ihren Abgang gewesen.
({3})
- Ich stelle hier nur Realitäten dar.
Jetzt kommen Sie mit dem alten Rüttgers-Etat.
({4})
- Ja, der war gut. Wie Herr Rüttgers beim Herrn Waigel
immer rausgekommen ist, Herr Kampeter: einen halben
Meter kürzer, als er ohnehin ist. Selbst die schwärzesten
Beamten im Bundesministerium für Bildung und Forschung zünden jeden Morgen eine Kerze an, weil sie
froh sind, daß sie den los sind; das will ich Ihnen sagen.
({5})
Kein einziger Bildungsminister vor ihm hat sich so wenig für sein Haus interessiert wie er. Da fragen Sie einmal parteiübergreifend nach. Im Grunde sind wir alle
miteinander froh. Auch heute ist er nicht da. Ich habe
gehört, sie wollen Nordrhein-Westfalen mit ihm als neuem Hoffnungsträger beglücken. Ich wünsche viel Vergnügen. Ich hoffe nicht, daß sich Herr Rüttgers mit
Nordrhein-Westfalen so intensiv auseinandersetzt wie
mit Bildung und Forschung. Das hätte dieses Bundesland nämlich nicht verdient - auch wenn ich mich aus
parteipolitischen Gründen darüber freuen könnte, daß
Sie diese Entscheidung getroffen haben.
Jetzt kommen wir zu Herrn Kampeter. Herr Kampeter, ihr müßt euch einmal darüber unterhalten, was ihr
eigentlich wollt. Auf der einen Seite ist hier ein Riesengejammer nach dem Motto: Die Investitionen - das haben wir jetzt klargestellt - für Bildung und Forschung
sind noch nicht verdoppelt. Jetzt wissen Sie noch nicht,
was das Wort „Investitionen“ bedeutet. Ich bitte das Ministerium für Bildung und Forschung, Herrn Kampeter
entsprechende Literatur zur Verfügung zu stellen.
({6})
Das ist kein Problem. Wir sagen Ihnen selbstverständlich, was das Wort „Investitionen“ bedeutet; das ist
überhaupt keine Frage. Ich bitte die Ministerin persönlich darum, dafür zu sorgen.
({7})
Es geht nicht, daß Sie hier sagen: Bei einigen Aufwüchsen könnt ihr die Mittel nicht abfließen lassen, weil
es an Projekten fehlt, und parallel dazu beklagen, daß
zuwenig Geld in Projekte fließen würde. Jetzt müßt ihr
euch darüber unterhalten, was ihr eigentlich wollt.
({8})
- Ich weiß gar nicht, warum Sie so aufgeregt sind. Warum sind Sie denn so aufgeregt?
Was wir gemacht haben, ist eine Steigerung der Ausgaben für die Projektförderung - die Ministerin hat das
dargestellt -, die Chancen bietet für neue, innovative
Bereiche und übrigens auch für neuen Wettbewerb. Die
Zahl 13 Prozent ist hier genannt worden. Überall haben
wir hier etwas getan. Mein Kollege Eckardt hat die
Hochschulen angesprochen. Wir reden nicht über Bildung und Forschung, wir halten keine Sonntagsreden,
sondern wir handeln.
Ein wichtiger Punkt an dieser Stelle sind die neuen
Bundesländer. Merkwürdigerweise ist von Ihnen da
überhaupt nichts gekommen; die neuen Bundesländer
scheinen nicht mehr vorhanden zu sein. Denken wir
einmal allein an die Förderung Ost. Daß Sie beide,
Herr Kollege Guttmacher und Frau Kollegin Pieper ich meine nicht von der Anwesenheit her, sondern von
dem, was heute an diesem Rednerpult vorgetragen worden ist -, hier die Fahne hochhalten, will ich Ihnen anrechnen. Aber die Fahne hochhalten allein genügt nicht.
Da muß irgend etwas kommen. Wir halten die Fahne
hoch und haben noch einen Geldbeutel dabei. 325 Millionen DM allein im Bereich der neuen Bundesländer
haben wir auf den Weg gebracht. Das ist eine hervorragende Geschichte. Alle loben uns dafür; nun lobt uns
doch auch einmal an dieser Stelle!
({9})
- Innoregio, Herr Kollege. Ich freue mich, daß er aufwacht. Im Bereich Innoregio haben wir eine intelligente
Vernetzung von Forschungseinrichtungen, von Akteuren, von kleinen und mittleren Unternehmen in den neuen Bundesländern auf den Weg gebracht.
({10})
Alle sagen uns dort: Das ist das, worauf wir gewartet
haben - warum nicht schon früher? Da kann ich nur sagen: Erst jetzt, weil wir jetzt erst an die Regierung gekommen sind.
({11})
Das ist ein innovativer Ansatz an Stelle klassischer
Förderung. Auch das muß an dieser Stelle einmal gesagt
werden.
Jetzt zur Raumfahrt, meinem Hobby. Hier sitzen ein
paar Kollegen, die sich sehr darum gekümmert haben:
Kollege Fischer, Kollege Seidenthal. Gutes Stichwort,
Herr Kampeter. Schade, daß Sie nicht länger dabei geblieben sind.
({12})
Sie wollen uns an unsere Verantwortung erinnern?
Das war ein starker Satz. An dieser Stelle, würde ich sagen, schweigen Sie besser. Sonst diskutieren wir tatsächlich einmal ernsthaft über Ihre Verantwortung für
den Haushalt Raumfahrt. Das ist ein Musterbeispiel für
die Unsolidität, die uns die alte Bundesregierung hinterlassen hat. Sie haben hier in historischen Stunden irgendwelche Verträge unterschrieben. Auch der ehemalige Kanzler war kurz da. Da wurde unter dem Blitzlichtgewitter der Fotografen über Raumstation usw. gesprochen.
({13})
Das sind alles Dinge, über die man diskutieren kann.
Nur in der mittelfristigen Finanzplanung, Herr Kollege Kampeter, finden wir zu dem, was Sie unterschrieben
haben, nichts. Das ist die Erbschaft, die Sie uns hinterlassen haben.
({14})
- Stellen Sie doch eine Frage, wenn Sie etwas interessiert. Ich kann nur noch einmal sagen: Das war unseriös.
Herr Kampeter, wo waren Sie, als es darum gegangen
ist, die Mittel für die Raumfahrt in die mittelfristige Finanzplanung dieses Ministeriums aufzunehmen? Wo
waren Sie? Nun mosern Sie rum.
Es war nicht sehr fair, Herr Kollege Kampeter, daß
Sie - ich setze mich mit Ihnen ernsthaft auseinander, es
gibt nicht viele bei Ihnen, mit denen man das tun kann;
nehmen Sie das positiv auf - die Mittel herausgerechnet
haben, die ins Bundesministerium für Wirtschaft flossen. Nun kann man das tun, aber es ist nicht seriös; denn
auch dort sind die Bereiche, die die anwendungsorientierte Forschung betrafen, ebenfalls mit einem Aufwuchs
versehen worden.
({15})
Schade, daß niemand von Ihnen kürzlich bei der Guericke-Vereinigung war. Die Leute dort haben gejubelt,
als Staatssekretär Mosdorf seinen Vortrag gehalten hat.
Auch dort gab es Aufwuchs.
Es geht aber nicht nur ums Geld. Die alte Bundesregierung war von schönen Erklärungen und wenigen Taten geprägt. Wir machen es andersherum. Ein kleines
Beispiel: Herr Rüttgers hat gelegentlich tolle Reden gehalten. Er sprach von der Verfügbarkeit von aktuellen
wissenschaftlichen und technischen Grundinformationen
in einer entstehenden Informationsgesellschaft. Tolle
Reden, aber was haben wir vorgefunden? Wo sind beispielsweise die Konzepte, die wir in der entstehenden
Informationsgesellschaft, in der Wissen zu einem Produktionsfaktor wird, tatsächlich umsetzen können? Es ist
ein stupides Privatisierungsprogramm beispielsweise im
Bereich der Fachinformationszentren und der wissenschaftlichen Datenbanken übriggeblieben.
Sie haben die Hochschulen noch nicht einmal in die
Diskussion einbezogen und nachgefragt, welche Informationen sie künftig brauchen und welche nicht. Auch
hier gab es keine Konzepte. Hier geht es nicht um mehr
Geld, hier geht es darum, neue Wege zu beschreiten.
Genauso werden neue Wege in einer neuen Kultur
der Zusammenarbeit zwischen Forschungspolitik und
anderen Ressorts beschritten. Dazu hat die Ministerin
auch heute wichtige Signale ausgesandt. Ich denke an
den Bereich der Gesundheit. Wer jemals - ich meine es
wirklich ernst - an einer Schmerzkonferenz - ich meine
keine Schmerzkonferenz hier im Saal, bei der ich mir
gelegentlich Ihre Reden anhören mußte - teilgenommen
hat, auf der Ärzte, Mediziner und betroffene Patientinnen und Patienten anwesend waren, weiß, auf was ich
hinauswill.
({16})
- Nein, meine Rede verursacht keine Schmerzen, sondern Freude auf Ihrer Seite.
In diesem Bereich der Schmerzforschung warten
Menschen darauf, daß sich etwas tut. Hier wird die neue
Bundesregierung einen ihrer Schwerpunkte setzen. Darüber freuen sich die Menschen. Freuen Sie sich mit uns!
Das gilt auch für andere Bereiche, beispielsweise den
Verkehr, die Umwelt und die Nachhaltigkeit. Ich sehe
meine Kollegin Ulrike Burchardt, die dieses zentrale
Thema über Jahre hinweg bearbeitet hat und von Ihrer
Seite nicht gehört worden ist. Die Kollegin Burchardt
weiß mit allen anderen: Die Nachhaltigkeit bedarf weiterer Untermauerung. Das werden wir tun.
({17})
Ich habe noch eine Minute Redezeit und will zusammenfassen.
({18})
Alle freuen sich, der Kanzler freut sich, die Ministerin
freut sich, und der Finanzminister freut sich. Beide haben sich geeinigt. Sie haben es nie geschafft, daß sich
die Finanzminister mit den Bildungsministern geeinigt
haben. Alle Forschungseinrichtungen freuen sich. Das
Max-Planck-Institut und das Fraunhofer-Institut freuen
sich ebenso wie die Hochschulen. Verflixt noch mal,
liebe Opposition: Freuen Sie sich doch auch einmal mit
uns! Machen Sie konstruktiv mit! Bildung und Forschung haben in diesem Land wieder einen Stellenwert.
Das ist das Signal, das vom Haushalt 1999 ausgeht.
({19})
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Gerhard Friedrich,
CDU/CSU, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei
der Rede des Kollegen Tauss, vor allem bei deren
Schluß, hatte ich den Eindruck, daß in BadenWürttemberg der Fasching verlängert wurde.
({0})
Sie tragen viel zu unserer Unterhaltung bei. Insofern lieben wir Sie, aber nur Sie persönlich, nicht das, was Sie
sagen. Wir schätzen Sie nur als Person.
Meine Damen und Herren, obwohl es manchmal in
diesem Bundestag üblich ist, bin ich nicht bereit, künstlich Gegensätze herbeizureden.
({1})
Wenn ich mich recht erinnere, habe ich schon in der Debatte über die Regierungserklärung gesagt, daß sich
nach dem damals Bekannten in der Forschungspolitik,
weniger in der Bildungspolitik, viele Gemeinsamkeiten
abzeichnen. Ich bin auch nicht bereit, das heute mit Gewalt zurückzunehmen. Was so ist, ist so. Wir haben
doch gemeinsame Überzeugungen. Wir wissen: Wenn
wir uns auf dem Weltmarkt behaupten wollen, dann ist
Innovation durch Forschung und Entwicklung auf
jeden Fall genauso wichtig wie eine Kostensenkung.
Sie sollten allerdings nicht den Eindruck erwecken,
als ob Sie nach der Vereidigung des neuen Bundeskabinetts eine Forschungslandschaft hinterlassen bekamen,
die in tiefes Elend versunken war. Die Bildungs- und
Forschungsministerin Bulmahn hat ja den neuesten Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands erwähnt. Wir haben in der Presse von Untersuchungen des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft gelesen. Es ist doch wirklich erfreulich, zu sehen,
welche Zahlen da für 1997 und 1998 bekanntgegeben
wurden. Das sollten auch Sie anerkennen. Die Ausgaben
der Unternehmen für Forschung und Entwicklung sind
in diesen beiden Jahren erstmals wieder kräftig gestiegen. Frau Ministerin Bulmahn hat angesprochen, daß der
Anteil der FuE-Ausgaben am Bruttosozialprodukt jahrelang abgesunken ist. Wir liegen jetzt wieder bei 2,4
Prozent, haben also eine Trendwende erreicht.
Wir behaupten bei den höherwertigen Technologien
Weltmarktanteile von 18 Prozent. Die Sachverständigen
bestätigen uns, daß wir bei den Spitzentechnologien
aufholen und dort inzwischen Welthandelsanteile von
11,5 Prozent haben. Die Sachverständigen sind sich insbesondere einig, daß wir im Bereich der Biotechnologie
nachgewiesen haben, daß wir mit nicht viel Geld, aber
mit einem konzentrierten Einsatz von Geld, verbunden
mit Deregulierung, in der Lage sind, ganz gewaltig aufzuholen.
({2})
Freuen Sie sich als neue Regierung doch, daß Sie und
auch die Ministerin in ihren Presseerklärungen Zahlen
verkünden können, die nicht nur erfreulich sind, sondern
eigentlich in die Schlußbilanz des früheren Bundesforschungsministers Rüttgers gehören.
Zu diesen erfreulichen Zahlen gehört übrigens auch,
daß zum Stichtag 30. September letzten Jahres 4,4 Prozent mehr Ausbildungsverträge abgeschlossen wurden.
Ich freue mich, daß die Rufe von Frau Ministerin Bulmahn nach einer Umlagefinanzierung in der betrieblichen Ausbildung immer leiser geworden sind. Inzwischen hört man sie überhaupt nicht mehr. Das ist etwas
Positives. Wir haben uns von dieser Bürokratie nie etwas versprochen.
({3})
Ich würde mich freuen - das wurde von einem Kollegen schon angesprochen -, wenn das 100 000-PlätzeProgramm für Jugendliche ein Erfolg wäre. Ich habe
da noch Zweifel. Ich habe in der letzten Woche anläßlich einer Veranstaltung bei mir im Wahlkreis mit dem
Leiter des Arbeitsamtes von Nürnberg gesprochen. Er
hat gesagt, sie hätten über 4 000 arbeitslose Jugendliche
unter 25 Jahren angesprochen und nicht einmal 400 seien bereit gewesen, sich in solche Maßnahmen hineinzubegeben.
({4})
- Das will ich Ihnen nicht vorwerfen. Aber das müssen
wir beobachten und analysieren.
Wir müssen ganz nüchtern feststellen: Nicht jeder ist
ausbildungsfähig, und nicht jeder ist ausbildungsbereit.
Aber die Probleme, die früher bestanden, haben Sie immer uns angelastet. Wir haben also durchaus ein positiJörg Tauss
ves Interesse an Ihrer neuen Maßnahme und loben diese
grundsätzlich. Aber wir warten ab, was wirklich dabei
herauskommt.
Nach dem bisher Gesagten ist es natürlich ein richtiges Signal, wenn die Bundesregierung im Einzelplan 30
die Ausgaben für Bildung und Forschung um etwa
900 Millionen DM erhöht. Das ist erfreulich. Ich muß
wiederholen - dafür gibt es einen Grund -, daß dies gegenüber dem Waigel-Rüttgers-Entwurf für das Jahr
1999 nur ein Plus von 400 Millionen DM ist.
Ich stelle, wenn ich mir die Haushaltsabschlußzahlen
des letzten Jahres ansehe, fest, daß sich die Ausgaben
und die Einnahmen des Bundes positiv entwickelt haben. Es wird weniger Geld für die Bundesanstalt für Arbeit ausgegeben, und es sind höhere Steuereinnahmen zu
erwarten. Deshalb hatte schon Herr Waigel die Möglichkeit gesehen, eine Priorität, die wir lange Zeit leider
nur ankündigen konnten, jetzt in die Praxis umzusetzen.
Der neue Bundesfinanzminister - so sagen mir die
Haushälter - hat jetzt sogar die Möglichkeit, Privatisierungserlöse in der Größenordnung von, so glaube ich,
10 Milliarden DM vom letzten Jahr in das Haushaltsjahr
1999 zu übertragen.
Wir freuen uns, daß Sie die Mittel erhöhen, aber allzu
schwer war das in diesem Jahr offensichtlich nicht. Wir warten auch auf den Finanzplan. Wir wollen sehen,
ob es Ihnen gelingt - es ist überall zurückgeschraubt
worden; darüber will ich jetzt nicht reden -, in den nächsten vier Jahren je 1 Milliarde DM zusätzlich in den
Haushalt einzubringen.
Ich verstehe ja, daß Sie gern möchten, daß Soll mit
Soll verglichen wird. Wenn man aber bei den Ankündigungen den Mund zu voll nimmt, dann darf man sich
eben nicht wundern, wenn man dem Vorwurf ausgesetzt
ist, daß relativ kleine Brötchen übriggeblieben sind.
({5})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wir wissen, daß der Haushalt nominal nur um
72 Millionen DM steigt, weil Kompetenzen an das Bundeswirtschaftsministerium abgegeben werden mußten.
Wir hätten allerdings erwartet, daß bei verringerten
Kompetenzen auch die Verwaltung etwas verschlankt
würde. Es hat mich beim Durchzählen der Unterabteilungen etwas überrascht, daß weniger Kompetenzen inzwischen durch zusätzliche Unterabteilungen verwaltet
werden müssen.
Im Hochschulbereich - das ist schon von meinem
Kollegen Kampeter angesprochen worden - wollten wir
zusätzlich 200 Millionen DM für die Erprobung und
Entwicklung innovativer Hochschulstrukturen bereitstellen. Angesichts des großen Nachholbedarfs im
Hochschulbau kann man die andere Auffassung vertreten und sagen: Da stocken wir kräftig auf.
Es ist schon gesagt worden: In Bayern finanzieren wir
in großem Stil vor. Wir erwarten allerdings, daß wir
eines Tages wie die anderen Bundesländer anteilig unsere Finanzierungsbeiträge erhalten werden.
({6})
Wenn ein Kollege aus dem Norden über den schrecklichen baulichen Zustand in seinem Land klagt, dann
liegt dies überwiegend an seiner Landesregierung. Ich
bin gern bereit, mit Ihnen und, wenn Sie wollen, auch
mit dem gesamten Ausschuß die Neubaustellen in
Bayern zu besichtigen, egal ob in München oder bei mir
in Erlangen. Da würden Sie sich wundern. Lassen wir
also die Verantwortung bei den Ländern!
Zum BAföG möchte ich kurz anmerken, daß die
Presseerklärung des Ministeriums, daß die Mittel um
142 Millionen DM erhöht werden, nicht ganz richtig ist;
denn verglichen mit dem Waigel-Entwurf für die
BAföG-Novelle sind es nur 50 Millionen DM mehr.
Auch Sie lassen sich also Zeit, den zugegebenermaßen
bestehenden großen Nachholbedarf - dazu bekenne ich
mich - zu befriedigen.
Ich persönlich werfe Ihnen nicht vor, daß Sie die große BAföG-Novelle nicht kurzfristig vorlegen. Wir wissen, daß die Finanzminister, unabhängig vom Parteibuch, alle Vorschläge schlicht abgelehnt haben, gesagt
haben, es müsse alles kostenneutral sein. Wir wissen,
daß es im Bereich des Steuerrechts und im Bereich des
Unterhaltsrechts, in dem Streichungen bei Unterhaltsansprüchen vorgenommen werden mußten, große Probleme gibt. Sie sollten also ruhig solide arbeiten.
Ich möchte abschließend noch einen Satz der Ministerin aufgreifen, nämlich daß es bei der Forschungsförderung und bei der Förderung von Innovationen nicht
nur um das Verteilen von Geld geht, sondern daß die
Rahmenbedingungen insgesamt stimmen müssen. Weil
meine Redezeit praktisch abgelaufen ist, nenne ich nur
Stichworte.
Erstens. Die Wirtschaft hat mehrfach deutlich gemacht, daß sie wenig von zusätzlichen und höheren Zuschüssen hat, wenn sie nicht insgesamt im Bereich Steuern und Abgaben entlastet wird. Es ist kein Zufall, daß
die Wirtschaft gerade in den letzten beiden Jahren ihr
Engagement in Sachen Forschung und Entwicklung
deutlich erhöht hat, nachdem sich die Ertragslage klar
verbessert hatte.
Zweitens. Unsere Forschungseinrichtungen klagen
noch immer über zu lange Genehmigungsverfahren und
nicht vorhersehbare Auflagen. Deshalb bitten wir die
neue Bundesregierung, daß das, was wir an Deregulierung, an Beschleunigungen von Genehmigungsverfahren
in den letzten acht Jahren begonnen haben, fortgesetzt
wird.
Ich sage Ihnen: Bei mir im Büro stapeln sich inzwischen die Briefe im Hinblick auf das Staatsziel Tierschutz, das Sie durchbringen wollen. Hier gibt es ganz
beträchtliche Auffassungsunterschiede, Herr Staatssekretär. Es gibt eine ganz große Verunsicherung in großen Teilen der Wissenschaft. Hier müssen wir ansetzen,
damit nicht erneut Wissenschaftler ins Ausland vertrieben werden.
({7})
Schließlich gibt es nach wie vor Probleme mit der
Akzeptanz. Die Kolleginnen und Kollegen der SPD und
Dr. Gerhard Friedrich ({8})
vor allem der Grünen sind daran mitschuldig. Sie haben
ja nicht nur gegen die Kernenergie Kampagnen losgetreten,
Herr
Kollege, kommen Sie bitte zum Schluß.
- sondern waren ja auch einmal der Meinung, daß eine
Müllverbrennungsanlage etwas ganz Gefährliches ist.
Ich hoffe, daß die Bundesregierung diejenigen Kolleginnen und Kollegen in den Regierungsfraktionen an die
Leine nimmt, die glauben, daß wir mit einem Nullrisiko
leben können.
Vielen Dank.
({0})
Als
nächster Redner hat der Kollege Hans-Josef Fell von
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Forschungspolitik ist Zukunftspolitik. Hier werden die Weichen gestellt; hier wird entschieden, wohin die Reise geht. Die
alte Regierung hat die Weichen falsch gestellt.
({0})
Sie hat eine Forschungspolitik betrieben, die ins Abseits
führt. Sie hat Forschungsmittel in prestigeträchtige Dinosaurier-Projekte gesteckt, die nicht zukunftsfähig sind.
Der Forschungsreaktor in Garching, die Kernfusion, die
bemannte Raumfahrt, die Müllverbrennung - Herr
Friedrich, Sie haben selbst in Ihrem Nachbarort Fürth
gesehen, wohin das führt -, der Transrapid - alle diese
Techniken lösen keine Probleme; sie schaffen neue Probleme.
({1})
Die rotgrüne Bundesregierung muß heute mit diesen
Altlasten fertig werden. Sie binden einen großen Teil der
vorhandenen Mittel, Mittel, die dringend für wirklich
wichtige Vorhaben benötigt werden. Union und F.D.P.
haben nicht nur die Weichen falsch gestellt; sie haben
sich ebenso als Bremser hervorgetan.
Meine Damen und Herren von der Union und von der
F.D.P., in den letzten zehn Jahren Ihrer Regierungszeit
haben Sie die Forschungsausgaben kontinuierlich zurückgefahren. Das gilt sowohl im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt als auch in absoluten Zahlen. Sie haben
ein zentrales Element verantwortungsvoller Politik vernachlässigt.
({2})
Die neue rotgrüne Bundesregierung setzt den Forschungszug jetzt auf das richtige Gleis, auf das Gleis,
das in eine nachhaltige und eine zukunftsfähige Gesellschaft führt. Wir machen Nachhaltigkeit zum Schwerpunktthema der Forschungspolitik. Die nachhaltige
Umweltforschung erhält unter Rotgrün einen viel höheren Stellenwert. Das gilt zum einen für die technische
Forschung; das gilt zum anderen für die Umweltforschung, die das Verhältnis der Menschen zu ihrer Umwelt zum Gegenstand hat. In der Raumfahrtforschung
werden wir der Nachhaltigkeit zur Geltung verhelfen;
({3})
die Mittel werden verstärkt in die unbemannte Erderkundung fließen.
Die Nachhaltigkeit ist auch für die rotgrüne Außenpolitik prägend. Die Förderung der Friedens- und Konfliktforschung ist deshalb ein zentrales Element unserer
Forschungspolitik. Die Regierung Kohl hat stärker auf
militärische Lösungen gesetzt und den Anteil der Wehrforschung an den Forschungs- und Entwicklungsausgaben zuletzt auf über 17 Prozent erhöht. Gerade der Kosovo-Konflikt zeigt uns aber heute, wie wichtig es ist,
im Vorfeld präventiv tätig zu werden. Hier werden wir
in Zukunft stärkere Akzente setzen. Wir werden in den
nächsten Jahren ein eigenes Institut aufbauen, das sich
speziell der präventiven Konfliktforschung widmet.
({4})
Der rotgrüne Forschungszug fährt nicht nur auf dem
richtigen Gleis; wir erhöhen auch das Tempo. Die Forschungspolitik erhält endlich den Stellenwert, den sie
auch tatsächlich verdient.
({5})
Die Zukunftsinvestitionen im Forschungsetat steigen
um 1 Milliarde DM. Damit schaffen wir die Voraussetzungen dafür, technische Innovationen für eine lebenswerte Zukunft zu entwickeln. Wir schaffen aber nicht
nur die Voraussetzungen; wir sorgen auch für den
Transfer von der Forschung zur wirtschaftlichen Anwendung. Das haben wir mit dem 100 000-DächerProgramm für Photovoltaik vorgemacht, und das werden wir weiter tun.
({6})
- Diese Summe steht in diesem Haushalt nur deswegen
so drin, weil erst im nächsten Haushalt die Kosten anfallen.
({7})
Die Verpflichtungsermächtigung für den kommenden
Haushalt ist groß genug, um diesem Programm zu genügen. 180 Millionen DM sind dafür veranschlagt.
({8})
Dr. Gerhard Friedrich ({9})
Das 100 000-Dächer-Programm ist also vollständig gesichert.
Wir schaffen in der Forschungsförderung eine Konzentration auf vor allem kleine und mittlere Unternehmen. Ich möchte zum Abschluß aber aus grüner Sicht
zugestehen, daß das Gleisbett noch nicht vollständig
stabil ist und wir in zwei Bereichen einige andere Akzente setzen wollen.
({10})
Aus Zeitgründen will ich mich auf einen Aspekt konzentrieren: Auf dem Gebiet der Energieforschung wünschen wir uns eine verstärkte Forschungstätigkeit, vor
allem bei der Einspartechnologie und den erneuerbaren
Energien, bei der Photovoltaik, der Geothermie, der
solarthermischen Stromerzeugung, bei Biomasse und
Windkraft. Sie müssen verstärkt werden zu Lasten wenig zukunftsträchtiger Technologien wie der Kernfusion.
Das ist eine Voraussetzung für eine nachhaltige
Energiewende, die wir mit unseren beiden Zielen erreichen wollen, nämlich dem Ausstieg aus der Atomenergie und der Verminderung des Kohlendioxidausstoßes.
Dazu bedarf es ressortübergreifender Aktivitäten, die
wir, so denke ich, auch mit dem Wirtschaftsministerium
gut voranbringen können.
Ich danke für das Zuhören.
({11})
Als
letzter Redner zu diesem Einzelplan hat der Kollege
Thomas Rachel von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Sehr
geehrte Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Ministerin, zu gerne hätte ich Ihnen heute zur Erhöhung des
Volumens des Bildungs- und Forschungshaushaltes
gratuliert. Aber leider haben Sie sich um Ihren eigenen
Erfolg gebracht. Denn das, was die Bundesregierung
jetzt vorgelegt hat, ist und bleibt eine Mogelpackung.
Sie haben im Wahlkampf die Verdoppelung der Bildungs- und Forschungsausgaben in fünf Jahren versprochen; das hieße, mindestens 3 Milliarden DM pro Jahr.
Tatsächlich sind es in diesem Jahr gerade einmal 900
Millionen DM. Damit erfüllt die Regierung weder ihr
eigenes Versprechen noch die Erwartungen, die sie
selbst geschürt hat. Sie haben die Wählerinnen und
Wähler getäuscht.
({0})
Natürlich begrüßen wir, daß es mehr Gelder gibt.
Aber wenn Herr Hilsberg in einer Pressemitteilung von
einer „furiosen Steigerung der Investitionen“ spricht, so
ist das ein billiger Versuch, vom Bruch Ihres eigenen
Wahlversprechens abzulenken. Faktum ist: Die neuen
Haushaltsmittel stehen im krassen Widerspruch zu Ihren
eigenen Ankündigungen. An diesen Ankündigungen
werden wir Sie auch in Zukunft messen.
({1})
Wer den vorliegenden Haushalt betrachtet, wird feststellen, daß das ehemalige Zukunftsministerium unter
rotgrüner Führung wesentliche Säulen der Forschungspolitik verloren hat. Im Wirtschaftsministerium finden
wir jetzt: die Sicherheitsforschung für kerntechnische
Anlagen, die Energieforschung, die Forschung hinsichtlich erneuerbarer Energien, die Informationstechnologien, die Luftfahrtforschung, die Forschung in wichtigen
Bereichen in den neuen Bundesländern und schließlich
die Förderung der Forschungszusammenarbeit und von
Unternehmensgründungen. Diese originären Forschungsfelder sind ohne Not dem Bundesministerium
für Bildung und Forschung entrissen worden. Ist da
nicht ein Forschungsministerium überhaupt überflüssig?
Was bleibt denn für das Forschungsministerium?
({2})
Die großen Forschungseinrichtungen wie MaxPlanck-Gesellschaft, DFG und FhG arbeiten mit pauschaler Finanzzuweisung und definieren ihre Forschungsschwerpunkte selbstverantwortlich. Eine Hauptaufgabe des Forschungsministeriums war bisher, den
Prozeß der Umsetzung von der Grundlagenforschung
hin zu Innovationen und Produkten zu fördern. Aber gerade hier haben Sie das Forschungsministerium amputiert. Denn mit der Übertragung der Förderung technologieorientierter Unternehmensgründungen in das
Wirtschaftsministerium ist die Kette zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung zerrissen
worden. Das schadet der Forschungslandschaft, und das
kritisieren wir.
({3})
Sie hätten doch jetzt eigentlich die Möglichkeit, das
wahrzumachen, was Sie immer gefordert haben - zum
Beispiel beim BAföG. Sie sind angetreten mit einer
Fundamentalkritik am geltenden BAföG und der Ankündigung, eine umfassende BAföG-Reform vorzunehmen. Noch 1998 haben Sie Herrn Rüttgers dafür kritisiert, daß er das BAföG in der Art und Weise erhöht hat,
wie Sie es jetzt tun wollen. Faktum ist: Ihr BAföGVorschlag führt nicht dazu, daß sich die Quote der geförderten Studenten wesentlich erhöht. Das kritisiert
auch das Studentenwerk. Das muß aber Hauptziel der
BAföG-Reform sein. Ihre Anhebung um 2 Prozent
macht maximal 15 DM pro Monat und Student aus.
Meine Damen und Herren, das ist eine Pizza mehr im
Monat für jeden BAföG-Studenten.
({4})
Das ist das Ergebnis Ihrer „großen“ BAföG-Reform.
Wir lassen uns von Ihrer neuen BAföG-Reform nicht ins
neue Jahrtausend vertrösten. Anspruch und Wirklichkeit
liegen bei Ihnen weit auseinander.
({5})
Vollmundig hat die SPD im Wahlkampf das klare
Versprechen abgegeben, Studiengebühren mit einem
Bundesgesetz auf Dauer zu verbieten. Was ist aus dem
Versprechen geworden?
({6})
Frau Bulmahn macht in Bonn verbal mobil gegen Studiengebühren. Realität ist aber, daß dort, wo sie als SPDLandesvorsitzende in Niedersachsen politisch Verantwortung trägt, nämlich in Niedersachsen, eine Studiengebühr von 200 DM pro Student und Jahr eingeführt
wird.
({7})
Die SPD ist in der Frage der Studiengebühren - wir
sehen es an Ihren Gesichtern - heillos zerstritten. Wissenschaftsminister Oppermann aus Niedersachsen kündigt nicht nur an, daß er ein Studiengebührenverbot verhindern will; er könnte sich sogar Studiengebühren in
der Größenordnung von 1 000 DM bis 3 000 DM vorstellen.
({8})
Wem die Durchsetzungskraft schon in der eigenen niedersächsischen Landespartei fehlt, wird die Glaubwürdigkeit in Bonn nie gewinnen. Anspruch und Wirklichkeit klaffen auch hier weit auseinander.
Frau Ministerin Bulmahn, bezeichnenderweise
kommt in Ihrer Pressemitteilung zum Bundeshaushalt
1999 das Wort „Raumfahrt“ überhaupt nicht vor.
({9})
Ist das Zufall? - Nein. Damit soll kaschiert werden, daß
die Bundesregierung durch wiederholtes Kürzen das
Austrocknen der Raumfahrt betreibt. Ihre Kampfansage
im Bildungs- und Forschungsausschuß an die bemannte
Raumfahrt, Frau Ministerin Bulmahn, ist das falsche
politische Signal - auch gegenüber unseren internationalen Partnern.
({10})
Die Kürzungen des Raumfahrthaushaltes bedeuten, daß
Deutschlands internationale Stellung in der Raumfahrt
gefährdet wird. Wissenschaft und Raumfahrtindustrie
sprechen von gravierenden wissenschaftlich-technischen
und industriellen Einbrüchen. Nachdem Sie uns schon in
der Energiepolitik international um jedes Ansehen gebracht haben, ist Rotgrün dabei, das gleiche auch in der
Raumfahrtpolitik zu tun.
({11})
Mit dem weiteren Austrocknen der Raumfahrt gefährden Sie die Erfolgsgeschichte der europäischen Trägerrakete Ariane und die deutsche Spitzenposition in der
wissenschaftlichen Erd- und Umweltbeobachtung. Es
würde faktisch zu einem Fadenriß kommen.
Meine Damen und Herren, ich empfinde es schon als
eine ziemlich üble Heuchelei, daß sich Bundeskanzler
Gerhard Schröder noch vor zehn Tagen mit dem USAstronauten John Glenn Arm in Arm von den Medien
ablichten ließ, Sie mit Ihrer Mehrheit im Parlament aber
gleichzeitig den Geldhahn für die Weltraumforschung
zudrehen. Auch hier klaffen Anspruch und Wirklichkeit
weit auseinander.
({12})
Sehr geehrte Damen und Herren, es gibt noch einen
anderen Aspekt, der vielleicht viel schwerwiegender ist
als manche anderen Fehler, die Sie machen.
({13})
Die von der Bundesregierung gesetzten Rahmenbedingungen, Herr Tauss, stimmen nicht. Die rotgrüne Steuerreform und die Ökosteuer führen dazu, daß den kleinen und den größeren Unternehmen die eigenen Investitionsmittel für Forschung und Entwicklung genommen
werden. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hat
berechnet,
({14})
daß die deutsche Wirtschaft durch die von Ihnen zu verantwortenden Steuer- und Ökosteuergesetze in den
kommenden Jahren mit insgesamt 35 Milliarden DM zusätzlich belastet wird.
({15})
Das ist der Grundfehler Ihrer politischen Konzeption.
Daran ändern auch erhöhte Fördermittel in wenigen Bereichen nichts. Es wäre besser, den Unternehmen Spielräume für eigene Forschung und Entwicklung zu lassen,
als ihnen zuerst das Geld wegzunehmen und es nachher
stückchenweise gezielt einzelnen Unternehmen zuzuschaufeln.
({16})
Mittelstand und Wirtschaft brauchen die Schaffung
günstiger Rahmenbedingungen und eines innovationsfreundlichen Klimas. Das ist weitaus wichtiger als einzelne Fördermaßnahmen im Forschungsbereich. Aber
genau hier versagen Sie.
Deswegen kann ich zusammenfassen: Ihre ersten 100
Tage, dieser Bundeshaushalt und Ihre Steuergesetzgebung sind ein Schritt gegen das wirtschaftliche Wachstum und gegen die forschenden Betriebe in Deutschland.
Deshalb werden wir den Haushalt auch ablehnen.
Herzlichen Dank.
({17})
Weitere
Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Forschung liegen nicht vor.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Plenarsitzung für etwa zwei Stunden zu unterbrechen. Der Wiederbeginn der Sitzung wird durch Klingelzeichen rechtzeitig bekanntgegeben.
Ich unterbreche die Sitzung.
({0})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir setzen die Haushaltsberatungen fort und kommen
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Einzelplan 16.
Ich erteile zunächst dem Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit, Jürgen Trittin, das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich möchte vorweg eine Bemerkung
zum Haushaltsvolumen machen. Sie wissen, der Haushalt des Umweltministeriums ist ein kleiner Haushalt.
Wir haben es aber in Zeiten knapper Kassen geschafft,
diesen kleinen Haushalt noch um 6,7 Prozent auf 1,131
Milliarden DM zu senken.
Das hat gute Gründe. Der Atomausstieg spart uns
Geld.
({0})
Im Hinblick auf die Endlagerung nehmen wir Kürzungen in Höhe von 34,9 Prozent vor; denn auf Grund der
Entwicklung der Volumina gibt es heute nicht mehr den
Bedarf für zwei verschiedene Endlagerstandorte. Deswegen wollen wir die Erkundung am Standort Gorleben
unterbrechen. Weitere Standorte sollen an Hand neu zu
entwickelnder Kriterien untersucht werden. Das Planfeststellungsverfahren für Schacht Konrad werden wir in
Übereinstimmung mit der niedersächsischen Landesregierung zu einer Entscheidung führen, die nur den
notwendigen Umfang umfaßt. Ich sage ausdrücklich: In
die Konzeption für diese Unterbrechungsarbeiten - da
geht es beispielsweise um die Frage, was mit dem Endlager in Morsleben wird - werden wir nachdrücklich die
Vertretung der dort beschäftigten Kolleginnen und Kollegen der DBE, die Betriebsräte einbeziehen, weil wir
vermeiden möchten, daß auf diese Art und Weise unnötig Arbeitsplätze verloren gehen. Man muß sich dann
auch über Alternativen unterhalten und etwa Menschen,
die heute in Gorleben tätig sind, in Morsleben tätig werden lassen.
Die Energiewende, die die Bundesregierung anstrebt, bildet den Schlüssel zu einer modernen Produktions- und Konsumtionsweise. Wir wollen einen neuen
Energiemix ohne Atomkraft erreichen. Mit dem Ausstieg aus der Atomkraft verknüpfen wir den Einstieg in
eine andere, in eine dezentrale Energieversorgung, die
von einer höheren Effizienz in Verbrauch und Produktion und von einem erheblich größeren Anteil an erneuerbaren Energien wie Wind, Sonne, Biomasse und
Geothermie geprägt ist. Gerade weil wir es besonders
ernst nehmen, das Klimareduktionsziel bis zum Jahre
2005 zu erreichen, ist es unser Ziel, den Anteil an erneuerbaren Energien zu verdoppeln.
Die notwendigen Anreize zur sparsamen und effizienten Energienutzung geben wir mit der ökologischen
Steuer- und Abgabenreform. Die stufenweise Anhebung der Belastung des Energieverbrauchs verknüpfen
wir mit einer Senkung der Sozialversicherungsbeiträge.
Dies erleichtert mehr Beschäftigung und belohnt umweltfreundliches Handeln.
Sie finden gerade in diesem Zusammenhang eine
Reihe von Maßnahmen auch in anderen Bereichen des
Haushalts. Wir stellen allein für 1999 210 Millionen DM
zur Förderung erneuerbarer Energien zur Verfügung,
werden also in neun Monaten exakt das Zehnfache dessen ausgeben, was Ihre Regierung in einem ganzen Jahr
zur Förderung erneuerbarer Energien ausgegeben hat.
({1})
Wir wollen darüber hinaus über Darlehen für die Installation von rund 100 000 Photovoltaikanlagen die
Sonnenenergie in diesem Lande fördern. Das Investitionsvolumen für dieses 100 000-Dächer-Programm
liegt bei 2,5 Milliarden DM; der Förderanteil, der hier
einfließt, beträgt rund 40 Prozent.
Schließlich wollen wir die Darlehensprogramme für
Altbausanierung auf hohem Niveau fortführen. Die anderen Programme kann man auch quantifizieren. Insgesamt werden durch den Bundeshaushalt Umweltschutzkredite in Höhe von 11,6 Milliarden DM zur Verfügung
gestellt.
Jedes dieser Förderprogramme wird mit erheblichen
Arbeitsplatzeffekten einhergehen: im Bauhandwerk,
bei den Anlagenbauern, in Ingenieurbüros und in der
Energiewirtschaft. Allein mit der Nutzung der Windenergie, wo wir inzwischen weltweit spitze sind, was die
installierte Leistung angeht, bestreitet Deutschland bereits 1 Prozent, Schleswig-Holstein gar 14 Prozent der
Stromversorgung.
Ich möchte auf einen weiteren Aspekt hinweisen:
Trotz der schwierigen finanziellen Rahmenbedingungen
ist es möglich geworden, auch neue Prioritäten zu setzen. Hervorheben möchte ich hier insbesondere die Erhöhung von Fördermitteln für den Naturschutz; sie
steigen um 5,9 Millionen DM auf 77,3 Millionen DM.
Das ist eine Erhöhung um 8,2 Prozent. Eine deutliche
Steigerung gibt es auch bei den Projektfördermitteln für
die Umwelt- und Naturschutzverbände, die zur ökologischen Modernisierung in vielen Lebensbereichen einen
wichtigen Beitrag leisten. Der Ansatz für die Umweltund Naturschutzverbände steigt um 23 Prozent.
Beide Beispiele zeigen unsere Priorität für den Naturschutz. Der Naturschutz ist in diesem Lande vielen
Anfeindungen ausgesetzt. Er hat keine wirtschaftliche
Lobby. Aber Naturschutz darf sich nicht reduzieren lassen, und Naturschutzverbände sollten nicht dargestellt
werden - wie ich es neulich in der Zeitung gelesen habe
- als eine Ansammlung von „grünen Froschzählern“.
({2})
Ein moderner Naturschutz muß sicherstellen, daß
Flächennutzung insgesamt natur-, umwelt- und landschaftsverträglich erfolgt. Deshalb streben wir ein großflächiges Biotopverbundsystem an, das etwa 10 Prozent der Landesfläche umfaßt. Es gibt in der Bundesrepublik das Vorurteil, hier sei durch Unterschutzstellung faktisch gar nichts mehr möglich. Ich will Sie an
dieser Stelle darauf verweisen: Im europäischen Vergleich, was die ausgewiesene Fläche nach der FFHRichtlinie und der Vogelschutzrichtlinie angeht, liegt die
Bundesrepublik Deutschland nach 16 Jahren konservativ-liberaler Regierung auf einem beschämenden vorletzten Platz. Mehrere Länder, zum Beispiel Spanien
und Italien, weisen fast 15 Prozent aus. Das leichtwiegende Argument, die hätten in diesem Bereich nichts zu
tun, weil dünn besiedelt, widerlegen die dichtbesiedelten
Niederlande. Sie haben mittlerweile 20 Prozent ihrer
Fläche ausgewiesen.
Meine Damen und Herren, hier Neues zu leisten ist
eine unserer Zielsetzungen. Das ist übrigens auch einer
der Gründe, warum wir die Privatisierung von Naturschutzflächen bereits im Dezember durch Erlaß des
Bundesfinanzministers gestoppt haben.
({3})
Diese Flächen werden als Bestandteile des geplanten
Biotopsystems benötigt. Wir wollen sie nicht privaten
Investoren und ihren besonderen Vorlieben ausliefern.
Ich habe in dieser kurzen Einbringungsrede nur einige Beispiele genannt, deren Verwirklichung vor uns
liegt. Ich denke, sie machen deutlich, daß eine ökologische Modernisierung für diese Regierung nicht bloße
Rhetorik bleibt. Mit allem Nachdruck: Zu einer nachhaltigen, zukunftsfähigen Entwicklung gibt es keine Alternative!
({4})
Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt unser Kollege Jochen Borchert.
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Die erste Haushaltsdebatte am Beginn einer Legislaturperiode bietet Gelegenheit, Bilanz zu ziehen und gleichzeitig die Vorhaben der jetzigen Regierung zu bewerten.
Der Umweltschutz ist in den vergangenen Jahren in
Deutschland konsequent weiterentwickelt worden. Wir
haben in vielen Bereichen einen international anerkannten hohen Standard erreicht. Wichtige Umweltschutzgesetze konnten gegen den Widerstand der damaligen Opposition verabschiedet werden. An diesen Erfolgen der
Umweltpolitik der CDU/CSU, an den Erfolgen von Angela Merkel werden wir auch die Umweltpolitik der rotgrünen Bundesregierung messen.
Eine erste Meßlatte für die lautstarken Forderungen
des jetzigen Bundesministers im Wahlkampf, aber auch
für die Umsetzung der Koalitionsvereinbarung ist der
Haushalt. Herr Minister Trittin hat darauf hingewiesen,
daß der Etat des Einzelplans 16 um 6,7 Prozent sinkt.
Der Rückgang ist auf Veränderungen in der Energiepolitik zurückzuführen. Ich will diesen Bereich jetzt
ausklammern. Ich komme noch auf ihn zurück. Ich will
zunächst die Ausgabenentwicklung im Stammhaushalt
- das ist der Verwaltungs- und Programmhaushalt - genauer beleuchten.
Im Stammhaushalt steigen die Ausgaben im Vergleich zu 1998 um rund 90 Millionen DM. Das klingt
gut, ist aber nur auf den ersten Blick erfreulich; denn
von den Mehrausgaben entfallen 88,7 Millionen auf den
Verwaltungshaushalt für Baumaßnahmen. Für den Programmhaushalt, also für die inhaltliche Arbeit, für Umwelt- und Naturschutz sowie für Reaktorsicherheit und
Strahlenschutz, bleiben kümmerliche 1,3 Millionen DM
übrig. Das ist eine Steigerung um ganze 0,3 Prozent.
Hier hilft auch der Hinweis auf einzelne Titel nichts.
Natürlich kann man einzelne Titel überproportional anheben, indem man bei anderen Titeln kürzt. Bei den Beratungen zum Haushalt 1998 haben die Kollegen vom
Bündnis 90/Die Grünen noch massive Anhebungsanträge gestellt. Bisher ist davon in diesen Beratungen nichts
übriggeblieben. Das zeigt: Kaum in der Regierungsverantwortung, bleibt von früheren lautstarken Forderungen
nicht einmal ein grünes Feigenblatt übrig.
Wenn ich den Programmhaushalt als Meßlatte für die
umweltpolitischen Ankündigungen der rotgrünen Koalition und des Bundesumweltministers nehme, dann muß
man feststellen, daß der Titel „Ankündigungsminister“,
den eine Zeitung verwendet hat, für Herrn Trittin noch
ein Ehrentitel ist.
Was macht der Bundesminister mit dem stark gewachsenen Verwaltungshaushalt? In welche Baumaßnahmen will er investieren? - Er erfüllt sich einen
Wunsch, nämlich den Wunsch, möglichst schnell mit
möglichst vielen - am Ende wahrscheinlich mit allen Mitarbeitern nach Berlin zu ziehen. Das Bundesumweltministerium gehört zu jenen Bonn-Berlin-Ressorts,
für die festgelegt worden war, daß 10 Prozent der Mitarbeiter ihren ständigen Dienstsitz in Berlin haben. Das
Bundeskabinett hat beschlossen, diesen Anteil auf
25 Prozent zu erhöhen. Von dieser Möglichkeit macht
nur das Bundesumweltministerium Gebrauch.
({0})
Mit seinem Haushalt verstößt der Bundesminister gleich
zweimal gegen Geist und Inhalt des Berlin/BonnGesetzes: Zum einen verstößt er dagegen, indem er die
Anzahl der Mitarbeiter am zweiten Dienstsitz von 10 auf
25 Prozent aufstockt, also um mehr als das Doppelte.
Zum anderen verstößt er dagegen, indem er ausgerechnet die Abteilung „Internationale Zusammenarbeit“
komplett nach Berlin verlegt. Wie soll Bonn da zu
einem internationalen Zentrum ausgebaut werden? Es
droht damit die Gefahr, daß ein „Rutschbahneffekt“
eintritt, durch den die für Bonn gefundene Lösung völlig
aufgehoben wird.
Der geplante Ausstieg aus der Kernenergie, das
vorgesehene Ende der Wiederaufarbeitung und das faktische Verbot der Endlagerung sind aus unserer Sicht
entscheidende Fehlschritte der rotgrünen Umweltpolitik.
Grundlage dieser tiefgreifenden Veränderung der Energieversorgung ist sicherlich der langgehegte Wunsch,
nun endlich im Interesse des grünen Selbstverständnisses die Energiepolitik umzugestalten. Diese Veränderungen werden vorgenommen, ohne daß alternative
Konzepte vorliegen. Vorgesehene Schritte werden ständig verändert. Ich will daran erinnern, daß Grundlage
des bisherigen Entsorgungskonzepts Beschlüsse der
Bundesregierung und der Ministerpräsidenten aus dem
Jahre 1979 waren. Es waren überwiegend sozialdemokratische Regierungen, die damals diese Entscheidung
getroffen haben. Als Grundlage für die Veränderung
dieser Konzeption gibt es bisher nur die Koalitionsvereinbarung, aber keinen Beschluß und keine Abstimmung
zwischen Bund und Ländern. Die damit verbundenen
Risiken werden nicht diskutiert, etwa die Regreßansprüche der bisherigen Standortbetreiber. Zusammen mit den
möglichen Schadenersatzansprüchen aus den Veränderungen in der Energiepolitik drohen in diesem Bereich
erhebliche Risiken.
Bis heute ist nicht klar, wie die weiteren Schritte der
Koalition aussehen. Sie, Herr Bundesminister - da bin
ich sicher -, werden weiter unverdrossen Beschlüsse,
Gesetzesvorlagen vorbereiten, Maßnahmen verkünden und der Bundeskanzler wird dies alles dann immer wieder in den Papierkorb werfen. Er hat doch in Vilshofen
deutlich erklärt: „Die Richtlinien der Energiepolitik bestimmt Gerhard Schröder und nicht Jürgen Trittin. Und
wer‘s nicht glauben will, muß fühlen.“
Herr Minister, ich habe den Eindruck, langsam fühlen
Sie es: In dem neuesten Entwurf zur Änderung des
Atomgesetzes verzichten Sie von selbst auf ein ausdrückliches Verbot der Wiederaufarbeitung. Hatten Sie
vorher immer verkündet, daß ein sofortiger gesetzlicher
Stopp der Wiederaufarbeitung notwendig sei, haben Sie
bis vor wenigen Tagen betont, daß der Stopp ab dem
Jahr 2000 schon ein Kompromiß sei, so nennen Sie jetzt
nicht einmal mehr einen Stichtag.
Die Medien können nun nicht mehr melden: Schröder
nimmt Trittin Atompolitik aus der Hand. Vielmehr gilt
nun: Trittin überläßt Schröder Atompolitik. - Es wäre
nur konsequent, die entsprechenden Kapitel aus dem
Einzelplan 16 dann in den Einzelplan 04, Bundeskanzler
und Bundeskanzleramt, zu verlagern, wenn dort die Entscheidungen getroffen werden. Ich hoffe, daß bis zur
zweiten und dritten Lesung aus haushaltspolitischer
Sicht eine Grundlage für die Veränderung in Kapitel
16 06 besteht.
Bei den politischen Festlegungen der rotgrünen
Koalition gibt es keine neuen Tatbestände, weder zur
Nutzung der Kernenergie noch zur Sicherheit der Kernkraftwerke. Die von Anfang an hohen Sicherheitsanforderungen in Deutschland haben dazu geführt, daß die
deutsche Industrie die wohl besten und sichersten
Kraftwerke hat. Heute wird in Deutschland ein Drittel
des Stroms in Kernkraftwerken erzeugt. Wer aus der
Kernenergie aussteigen will, der muß die Frage beantworten, wie er die Kernenergie ersetzen will und welche
ökologischen Konsequenzen damit verbunden sind.
Herr Bundesminister, ich glaube nicht, daß man, wie
Sie es formuliert haben, die 19 Kernkraftwerke „von
heute auf morgen abschalten könnte, ohne einen Versorgungseinbruch zu erreichen“. In anderen Fällen, für jeden noch so kleinen Eingriff in den Naturhaushalt, wird
zu Recht eine Umweltverträglichkeitsprüfung gefordert.
Aber beim Ausstieg aus der Kernenergie wird so getan,
als sei dies alles zum Nulltarif, ohne ökologische Auswirkungen zu haben.
({1})
- Ich weiß, daß Sie das nicht gern hören. - Sie werden
die Kernkraftwerke nicht durch Windräder und Sonnenkollektoren und auch nicht durch die allergrößten Sparanstrengungen ersetzen können.
({2})
Sie können sie nur durch den Import von Strom aus
Kernkraftwerken in den Nachbarländern oder durch
Kraftwerke auf der Basis von Kohle oder Gas ersetzen.
In diesem Bereich führt die Steuerreform, durch
Eingriffe bei den Rückstellungen der Energieversorgungsunternehmen, zum Beispiel bei der Steinkohle
bei Rückstellungen für Bergschäden und Rekultivierungsmaßnahmen, bei der Braunkohle bei Rückstellungen für Rekultivierungsmaßnahmen, zu einer massiven
Verteuerung der Produktion, die das Erschließen neuer
Kohlefelder zu einem finanziellen Abenteuer werden
läßt.
({3})
- Wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie mitbekommen,
daß ich gesagt habe: durch die Steuerreform. Ich weiß,
daß Ihnen der Zusammenhang nicht paßt. - Ganz nebenbei werden möglicherweise auch noch die Pläne für
Garzweiler II über die Steuerreform platt gemacht.
({4})
Deswegen muß deutlich ausgesprochen werden, was
Ihre Zielsetzung dabei ist.
Wenn die Kernkraftwerke in Deutschland durch
Kohle- oder Gaskraftwerke ersetzt werden, dann steigen
die CO2-Emissionen um über 100 Millionen Tonnen
pro Jahr. Unter ökologischen Kosten-Nutzen-Abwägungen ist dies ein Rückfall in die umweltpolitische Steinzeit.
({5})
Damit werden die Erfolge der Klimaschutzpolitik in
Deutschland zunichte gemacht, und es werden alle internationalen Absprachen zur Reduzierung der CO2Emissionen hinfällig.
Meine Damen und Herren, dies betrifft nicht nur
Deutschland, sondern ganz Europa. Auch die von der
Europäischen Union bei den Klimaschutzkonferenzen
zugesagten Verminderungen müssen schwerpunktmäßig
von Deutschland eingehalten werden. Deswegen müssen
wir uns hier international abstimmen. Nach dem Ausstieg aus der Kernenergie wäre die vereinbarte Verminderung der CO2-Emissionen nicht nur, wie Sie, Herr
Minister, gesagt haben, eine Herkules-Aufgabe, sondern
unmöglich - zumal Sie, Herr Minister, mit Verlaub gesagt, alles andere als ein Herkules sind.
({6})
Da paßt schon eher, wie es heute die „Hessische/Niedersächsische Allgemeine“ geschrieben hat, das
Bild vom „Ritter von der traurigen Gestalt“.
({7})
Es bleibt dabei: Rotgrüne Politik führt zu einem verstärkten Verbrauch begrenzter fossiler Rohstoffe und
damit zu einer weiteren Gefährdung des Klimas. Das ist
weder umweltverträglich noch generationenverträglich.
Dies ist unverantwortlich. Für den Haushalt des Bundesumweltministers heißt das: Der Ausstieg aus der
Kernenergie wird verschoben, aber Umweltpolitik findet
mit diesem Haushalt nicht statt.
Vielen Dank.
({8})
Für die SPDFraktion spricht jetzt unsere Kollegin Ulrike Mehl.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Borchert, Sie sind ja in einer
neuen Situation. Es sind erst wenige Monate ins Land
gegangen, seitdem wir die neue Regierung haben.
({0})
Auch Sie müssen sich mit neuen Themen befassen. Ich
gestehe Ihnen gerne zu, daß wir im Laufe der nächsten
Jahre noch intensiver darüber diskutieren müssen. Dann
ist vielleicht auch klarer nachvollziehbar, was wir tatsächlich wollen und warum unsere Politik besser sein
wird als die der alten Regierung.
({1})
Die Mehrheit von SPD und Bündnisgrünen im Deutschen Bundestag hat mit diesem Haushalt das erste Mal
Gelegenheit, eine neue, ökologisch-soziale Politik in einem Haushaltsplan zu verwirklichen. Dabei müssen wir
natürlich - leider - kleinere Brötchen backen, als es uns
recht sein kann. Das ist aber nicht verwunderlich, weil
man nach 16 Jahren konservativer Politik eine neue
Politik nicht von heute auf morgen und schon gar nicht
durch einen Haushaltsplan einleiten kann. Die konservativ-gelbe Koalition hat uns eine katastrophale Haushaltslage hinterlassen,
({2})
die wir jetzt leider berücksichtigen müssen. Auch wir
können das Geld nicht einfach drucken. Je flacher das
finanzpolitische Fahrwasser ist, desto vorsichtiger müssen wir zunächst einmal mit den Spielräumen für Veränderungen umgehen und selbige ausloten, damit wir
nicht so wie Sie Schiffbruch erleiden.
Wir haben uns vorgenommen, endlich eine Nachhaltigkeitsstrategie für Deutschland zu entwickeln und umzusetzen, um den Verpflichtungen der Agenda 21 nachzukommen. Dies ist um so wichtiger, wenn man sich anschaut, was sich - Gott sei Dank nicht jedes Jahr - ereignet: Das drohende Hochwasser ist noch lange nicht abgewendet, und auf Umwelteingriffe zurückzuführende
Ereignisse in den Gebirgen, die Menschen treffen, müssen wir auf der Grundlage von Überlegungen zur Nachhaltigkeitsstrategie behandeln.
Wir werden bei dem Thema ein ganz besonderes
Augenmerk auf die Umweltbildung richten, damit die
Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie sich nicht nur in
Insider-Kreisen abspielt, sondern von der Gesellschaft
insgesamt getragen wird. Die Umweltpolitik der alten
Bundesregierung hat dagegen - das ist eben auch schon
einmal sehr richtig von Herrn Minister Trittin dargelegt
worden - zu einer Stimmung im Land geführt, die umweltpolitische Arbeit insgesamt, um es vorsichtig auszudrücken, äußerst schwierig macht. Unter Ihrer Führung
ist die Umwelt- und Naturschutzpolitik zu einer scheinbaren Verhinderungspolitik verkommen. Wir werden
hart daran arbeiten müssen, deutlich zu machen, daß die
Verknüpfung von Ökologie und Ökonomie im Gegenteil
eine ganz große Zukunftschance für unser Land ist, die
wir nutzen müssen.
({3})
Dazu gehört auch der Einstieg in die ökologische
Steuerreform, mit der Umweltbelastung und Ressourcenverbrauch teurer und Arbeit durch Senkung der
Lohnnebenkosten billiger wird. Auch wenn zugegebenermaßen bei diesem ersten Schritt noch viele Wünsche
offenbleiben - das geht uns auch so -, so ist es trotzdem
ein absolut richtiger und wesentlicher Schritt in die
richtige Richtung.
Wir steigen, wie wir eben schon gehört haben, aus
der Risikotechnologie Kernenergie aus.
({4})
Das ist aber nicht alles. Wir fördern den Einstieg in
eine neue, langfristig umweltverträgliche Energie, wie
zum Beispiel die Solarenergie, und wir fördern konsequent die Energieeinsparung. Wenn wir in den Jahren
von 1974 bis 1998 21 Milliarden DM nicht in die Kernenergie, sondern konsequent in regenerative Energien
und in Energieeinsparung gesteckt hätten - dafür sind
im gleichen Zeitraum nur 5 Milliarden DM ausgegeben
worden -,
({5})
dann wären wir heute schon ein ganzes Stück weiter.
({6})
Immerhin haben wir eine Kurskorrektur eingeleitet.
Es kommt jetzt nicht nur auf die Einsparung im
Kernenergiebereich oder auf die Tatsache an, daß der
Stammhaushalt des BMU um 1,1 Prozent auf 730 Millionen DM steigen wird, sondern es kommt wesentlich
darauf an, für welche Zwecke die Mittel eingestellt werden. Ich halte es für eine sehr gute Investition, wenn
zum Beispiel die Fördermittel für den Naturschutz überproportional um 5,9 Millionen DM erhöht werden oder
wenn die erhöhte Mittelbereitstellung für Naturschutzverbände festgeschrieben wird; denn was die Verbände
an guter, praktischer Arbeit im Bereich des Naturschutzes leisten, ist ohnehin kaum zu bezahlen.
({7})
Es ist gut, daß im Bundeshaushalt 1999 insgesamt
rund 8,7 Milliarden DM als Umweltausgaben veranschlagt werden. Umweltschutz ist bekanntermaßen ein
Querschnittsgebiet und muß sich deshalb in allen Ressorts niederschlagen. Gerade deshalb ist es wichtig, daß
wir klare Kriterien für diese Zuordnung entwickeln. Wir
wollen nämlich nicht wie die alte Bundesregierung
lediglich Zahlen aneinanderreihen, sondern wir wollen
mittelfristig den Haushalt als Ganzes unter ökologischsozialen Gesichtspunkten anlegen.
({8})
Deshalb werden wir unter anderem das Umweltrecht
in einem zusammenhängenden Umweltgesetzbuch zusammenführen - dieser Prozeß ist bereits eingeleitet -,
aber ohne substantielle Verluste und mit verbesserten
Bürgerbeteiligungsrechten. Darin liegt der qualitative
Unterschied.
({9})
Wir werden ein Marktanreizprogramm zur Förderung
erneuerbarer Energien, das aus der Ökosteuer gegenfinanziert wird, im Haushalt des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Technologie einrichten, um den regenerativen Energien endlich den Vorsprung zu verschaffen,
den sie brauchen. Wir werden verstärkt Mittel für Programme im Rahmen der Umweltforschung einsetzen,
die beim Bundesministerium für Bildung und Forschung
angesiedelt sind. In Zahlen ausgedrückt handelt es sich
um ein Plus von 5,5 Prozent, also von 340 Millionen
DM. Wir werden den Bundesverkehrswegeplan überarbeiten und ökologisch fragwürdige Projekte streichen.
({10})
Wir werden auch auf eine ökologisch verträgliche
Landwirtschaft hinarbeiten und das Bundesnaturschutzgesetz so weiterentwickeln, wie wir uns das vorgenommen haben.
({11})
- Dabei können Sie konstruktiv mitarbeiten. Darauf
freue ich mich schon. - Wir haben deshalb den Ausverkauf von Schutzgebieten in den großen Biosphärenreservaten und Nationalparks im Osten Deutschlands
bereits gestoppt. Gab es vorher nur Ankündigungen, so
erfolgt jetzt durch uns die Umsetzung.
({12})
Diese Auflistung ist natürlich nur ein kleiner Querschnitt der Aufgaben, die vor uns liegen. Ich habe versucht, deutlich zu machen, daß die Aufgabe der Umweltpolitik nicht darin besteht, Fehlerkorrekturen oder
Schadensbegrenzung zu betreiben. Umweltpolitik muß
in Zukunft in Deutschland, in Europa und auch auf internationaler Ebene selbstverständlich in alle Politikbereiche integriert werden, und das nicht nur auf dem Papier, wie es bisher der Fall war. Sie muß selbstbewußt
einen Zielführungsanspruch erheben, denn ohne einen
längerfristigen Wertewandel in unserer Gesellschaft
werden wir das Ziel einer umweltverträglichen nachhaltigen Entwicklung nicht erreichen.
({13})
In diesem Bereich wird dem Prozeß der Nachhaltigkeitsstrategie und der Umsetzung der Agenda 21 eine
zentrale und wesentliche Aufgabe zukommen.
Deshalb gilt - auch in dieser Haushaltsdebatte -:
mehr Qualität statt Quantität.
({14})
Für die F.D.P.Fraktion hat jetzt unser Kollege Jürgen Koppelin das
Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Auf den Haushalt des Bundesumweltministers konnte man wirklich gespannt sein,
denn gerade Bündnis 90/Die Grünen haben als Oppositionspartei zum Haushalt des Umweltministeriums immer wieder viele Anträge gestellt. Da wurden zum Beispiel Millionenbeträge für die Klimaforschung gefordert, Investitionen zur Verminderung der Umweltbelastung, die Finanzierung von Maßnahmen zur Luftreinhaltung und zum Gewässerschutz, 20 Millionen DM für
Zuweisungen zur Sicherung schutzwürdiger Teile von
Natur und Landschaft, aber auch Mittel für einen Sicherheitsfonds für die Verbesserung der Sicherheit von
Kernkraftwerken sowjetischer Bauart. Ich finde, es war
vieles dabei, über das man ganz sachlich und vernünftig
diskutieren kann.
({0})
Nur, ein Blick in den Haushalt des Umweltministers,
den nun Bündnis 90/Die Grünen stellen, zeigt: Nichts,
aber auch gar nichts von diesen Anträgen findet sich
dort wieder.
({1})
Dabei hätten wir doch eigentlich erwarten können, daß
wir Ihre Anträge - ich will nicht sagen, in dieser MillioUlrike Mehl
nenhöhe, aber doch wenigstens in Ansätzen - dort wiederfinden. Aber nichts davon, keine neuen Punkte. Dieser Haushalt zeichnet sich nicht durch neue Aspekte im
Umweltbereich aus.
Ich meine - das hat auch die Rede der Kollegin
Ulrike Mehl, die ich sehr schätze, gezeigt -, selbst die
rotgrüne Koalition kann mit diesem Haushalt nicht zufrieden sein. Denn dieser Haushalt zeichnet sich durch
eines aus, liebe Kollegin Ulrike Mehl: Er zeichnet sich
durch Mittelmäßigkeit aus; keine Spur von neuen umweltpolitischen Initiativen.
({2})
Wo bleiben neue Aspekte, zum Beispiel hinsichtlich
der Belange des Umweltschutzes, beim Naturschutz und
bei allgemeinen Umweltangelegenheiten? Im Bereich
der kerntechnischen Einrichtungen und des Strahlenschutzes versuchen Sie allerdings mit dem Holzhammer,
Ihre Ideologie in diesem Haushalt durchzusetzen. Man
gewinnt den Eindruck, es gibt für den Bundesumweltminister nur ein Thema, und das ist der Ausstieg aus der
Atomenergie.
({3})
Doch gerade beim geplanten Ausstieg aus der
Atomenergie hat sich gezeigt, daß der grüne Umweltminister Trittin nicht mehr Herr des Verfahrens ist. Deshalb sind die Hauptbeschäftigung unseres neuen Umweltministers nicht mehr die Belange der Umwelt, sondern der öffentliche Disput mit dem Bundeskanzler und
Teilen der Sozialdemokraten.
Ohne Frage, der Bundeskanzler hat recht mit seiner
Kritik an Umweltminister Trittin: Politische Inhalte
müssen auch in der Form stimmen und dürfen nicht nur
kleine Minderheiten überzeugen. So
Er hoffe, daß Umweltminister Trittin einmal über manche Kritik nachdenke. Diesen Aussagen des Bundeskanzlers können wir
uns voll anschließen. Es wäre interessant, zu erfahren,
ob der Umweltminister auch über die Kritik von Bundeskanzler Schröder nachgedacht hat, der in Richtung
Trittin erklärt, man dürfe nicht den Eindruck erwecken,
als wolle man nur die eigene Position durchsetzen und
als schere man sich nicht um das, was in der Gesellschaft gedacht werde.
In der Öffentlichkeit hat Bundesumweltminister Trittin auf diese Kritik bereits reagiert. Der Minister sagte,
die SPD habe sich unter Druck einiger Energiekonzerne
nicht zur Umsetzung der Absprachen in der Lage gesehen. Kollegin Mehl, ich frage einmal: Stimmt denn diese
Kritik des Umweltministers? Und ich frage weiter:
Bleibt der Umweltminister bei seiner Aussage? Es wäre
sehr interessant, das zu erfahren.
({0})
Doch irgendwie muß die Kritik des Bundeskanzlers
beim Umweltminister gesessen haben. Denn heute lese
ich in der „TAZ“, einer Zeitung, die ja den Grünen nicht
so fern steht, die Überschrift: „Umweltminister Trittin
kommt den Atomkonzernen entgegen“. Ich lese die
„TAZ“ seit einiger Zeit gern.
({1})
Als Meldung heißt es dann:
Bundesumweltminister Jürgen Trittin hat einem gesetzlichen Verbot der Wiederaufbereitung Ade gesagt. Die neueste Fassung des seit Monaten strittigen Entwurfs zur Änderung des Atomgesetzes enthält das von den AKW-Betreibern heftig bekämpfte
Wiederaufbereitungsverbot nicht mehr.
Da wird sich der große Koalitionspartner SPD aber
freuen, daß Umweltminister Trittin nun auf Linie gebracht worden ist. Die Frage ist nur, wie lange sie ihn
auf Linie hält, denn das größte Problem in seinem Hause
sind mangelnde Abstimmung und ständige Kurskorrekturen. Meine Kollegin Birgit Homburger hat recht: Trittins Politik ist heute hü und morgen hott.
Nun können wir gespannt sein, was mit dem neuesten
Entwurf der Atomgesetznovelle geschieht. Den ersten
Entwurf kippte der Bundeskanzler nach Aussage des
Regierungssprechers in wenigen Minuten. Wie das geschah, hat der Regierungssprecher der staunenden Öffentlichkeit berichtet: Schröder sei der Entwurf der
Atomgesetznovelle am Sonntag im Wortlaut vorgelegt
worden. Der Kanzler habe einen Blick darauf geworfen
und Nuancen entdeckt, die substantielle Folgen haben
könnten. Ich meine: Solide Politik aus dem Hause Trittin
ist es jedenfalls nicht, wenn der Kanzler nur einen Blick
darauf werfen muß und das Ding in den Mülleimer
wirft. Dazu habe ich von der Kollegin Ulrike Mehl leider nichts gehört.
Der Haushalt des Bundesumweltministers setzt allein
im Bereich der Kernenergie neue Akzente. Es sind aber
ideologische Akzente, die mit ungeahnten Folgekosten
verbunden sind. Wenn Sie nicht die Kritik der Opposition annehmen wollen - das merke ich -, dann sollten
Sie vielleicht die Kritik des niedersächsischen Ministerpräsidenten Glogowski zur Kenntnis nehmen. Die Bedeutung internationaler Verträge sei von vornherein
falsch beurteilt worden, sagt Glogowski. Auch sei es
illusorisch gewesen, zu glauben, in Frankreich und
England würde man etwaige Milliardenverluste einfach
so wegstecken. Mit Blick auf den Widerspruch der
Kernkraftwerksbetreiber gegen ein Ende der Wiederaufbereitung von Atommüll sagte Glogowski, für ihn sei
immer klargewesen, daß man nicht sagen kann, wir machen das noch ein Jahr, und die Folgen lassen wir mal
auf uns zukommen. Das habe nicht funktionieren können. Diese Geschichten hätte sich der Bundesumweltminister sparen können, so der niedersächsische Ministerpräsident. Wo er recht hat, hat er recht. Zur Frage der
Restlaufzeiten von Atomkraftwerken sagte Glogowski,
diese müßten von Regierung und Betreibern im Einvernehmen festgelegt werden und wirtschaftlich vertretbar
sein. Vorzeitige Schließungen lehne er ab. „Wir sind
derzeit nicht in der Lage“, so der niedersächsische Ministerpräsident, „unser Geld für Ideologien rauszuschmeißen.“ Das sind doch gute Worte, denen wir uns
nur anschließen können. Da Sie unsere Kritik nicht annehmen, ist es gut, daß Sie einmal Ihre eigenen Leute
hören.
({2})
Die Strategie des Umweltministers ist, die Entsorgungsmöglichkeiten für stark oder schwach radioaktive
Abfälle so zu verstopfen, daß man glaubt, den Ausstieg
aus der Atomenergie auf diese Weise beschleunigen zu
können. Das wird uns aber alle teuer zu stehen kommen.
Im Vorwort des Haushaltsentwurfs des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit heißt es, für Umweltangelegenheiten sei dieses Haus ebenfalls zuständig. Das hat mich ein wenig
überrascht, Herr Bundesminister; denn dann muß ich
Sie fragen: Was hat Ihr Haus unternommen, um zum
Beispiel im Fall des Havaristen „Pallas“ tätig zu werden?
({3})
Alles deutet darauf hin, daß Ihr Haus, das für den Umweltschutz zuständig ist, im Fall „Pallas“ nichts für den
Schutz von Menschen, Tieren und Landschaft im Naturpark Wattenmeer getan hat. Ölpest an der Nordseeküste,
Tausende von Tieren sind umgekommen, und Ihr Haus
zeichnet sich durch Untätigkeit aus.
({4})
Sie waren anscheinend so sehr mit der Ökosteuer beschäftigt, daß Sie die Ökologie an der Nordseeküste
überhaupt nicht interessiert hat. Es war doch sehr schnell
zu erkennen, daß Ihr Parteifreund, der grüne Landesumweltminister in Schleswig-Holstein, völlig versagte.
Diese Kritik wird inzwischen nicht nur von den Umweltverbänden, der F.D.P. und der CDU/CSU geteilt,
nein, inzwischen kommen sogar aus der grünen Landtagsfraktion Stimmen der Kritik am grünen Umweltminister. Sie, Herr Bundesumweltminister, haben sich da
fein herausgehalten. Die Natur, die Ökologie an der
Nordseeküste blieb dabei auf der Strecke. Sie haben sich
nicht um sie gekümmert.
Ich will noch einen Punkt ansprechen, auf den meine
Kollegin Ulrike Flach aufmerksam gemacht hat.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, selbstverständlich.
Herr Koppelin, bei Ihrem
großen Herz für die Umwelt, das Sie uns ausschütten,
möchte ich Sie fragen, warum Sie in der Zeit, als Sie
hier verantwortlich gestalten konnten, so konsequent
darauf verzichtet haben?
Nein, das haben wir
nicht, Frau Kollegin. Das ist bereits vom Kollegen Borchert dargelegt worden.
({0})
- Ich bin ja noch nicht fertig.
Sie haben sich geweigert, den Bundeshaushalt zu diskutieren, so daß wir die erste Lesung erst in dieser Woche durchführen. Aber die Berichterstattergespräche der
Haushälter haben wir schon hinter uns gebracht. Andere,
die dabeigewesen sind, werden bestätigen können, daß
ich gesagt habe: Das sind die Anträge von Bündnis 90/
Die Grünen, vergleiche ich sie doch einmal mit dem
Haushalt. Ich stelle fest, darin findet sich nichts wieder.
Ich habe auch die Anträge von den Sozialdemokraten
nicht wiedergefunden. Sie werden doch verstehen, daß
ich Sie an dem messe, was Sie vor den Wahlen versprochen und mit Ihren Anträgen im Plenum dokumentiert
haben. Im Haushalt des Bundesumweltministers ist von
diesen Änderungswünschen nichts zu finden. Die Erklärung, warum Sie all das, was Sie früher gefordert haben,
nicht einbringen, sind Sie uns schuldig geblieben.
Ich sage Ihnen folgendes - das wird noch ein Spaß
werden, Sie werden das erleben -: Ich werde Teile Ihrer
Anträge aufnehmen. Ich habe das bereits bei den Berichterstattergesprächen angekündigt. Die F.D.P. wird
sie aufnehmen, und dann wollen wir sehen, wie Sie sich
verhalten werden. Sie werden den Kopf ducken, wie Sie
das auch sonst bei Herrn Schröder und anderen getan
haben. Das werden wir erleben. Inzwischen tauchen Sie
ja völlig unter.
Herr Kollege, kommen Sie dann bitte zum Schluß. Ihre Redezeit ist nämlich zu Ende.
Frau Präsidentin, ich
möchte ganz zum Schluß auf eine Auswirkung der Ökosteuer aufmerksam machen, auf die schon meine Kollegin Flach hingewiesen hat: Zukünftig werden Sie Bahn
und Bus mit 500 Millionen DM belasten. Das ist doch
nicht die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs.
({0})
Ich habe vom Umweltminister dazu überhaupt nichts
gehört.
Zum Schluß noch folgendes: Erst kürzlich hat der
SPD-Fraktionsvorsitzende Struck Sie, Herr Bundesumweltminister Trittin, der überzogenen Selbstdarstellung
bezichtigt. Wir brauchen aber keinen Bundesumweltminister mit überzogener Selbstdarstellung; wir brauchen
einen Bundesumweltminister, der sich für die Umweltbelange wirklich interessiert und nicht ideologischen
Konzepten von Minderheiten nachläuft.
Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
({1})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt unser Kollege Dr.
Reinhard Loske.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem, was Herr Borchert und Herr Koppelin
hier an Heißluft geliefert haben, könnte man problemlos
ein Dampfkraftwerk antreiben. Das muß man wirklich
einmal sagen. Das wäre der beste Beitrag, den Sie zum
Klimaschutz liefern könnten.
({0})
Herr Borchert, auf der einen Seite beklagen Sie, daß
jetzt durch die ökologische Steuerreform nicht genügend
neue Kohlefelder erschlossen werden können, und auf
der anderen Seite geißeln Sie die Kohle als Klimakiller
Nummer eins. Sie müssen sich für eines entscheiden:
Entweder oder; beides geht nicht.
({1})
Herr Koppelin, auf der einen Seite attestieren Sie dem
Bundesumweltminister ausdrücklich, daß man im Haushalt seine Handschrift in Sachen Kernenergiepolitik
nachlesen kann. Auf der anderen Seite sagen Sie, die
Energiepolitik sei ihm aus der Hand geschlagen worden.
Auch hier würde ich Ihnen empfehlen: Entscheiden Sie
sich für das eine oder für das andere. Entweder man
kann es erkennen, oder man kann es nicht erkennen.
({2})
Jetzt zu meiner eigentlichen Rede. Erster Punkt. Es ist
so, daß diese Regierung die Umweltpolitik zu einem ihrer zentralen Anliegen gemacht hat. Das ist gut so. Das
unterscheidet sie von ihrer Vorgängerin.
({3})
Für uns Grüne ist es immer ganz wichtig, zu sagen: Die
Umweltpolitik ist aus mehreren Gründen erforderlich.
Zunächst einmal ist sie ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität. Das ist keine Politik,
die nur für künftige Generationen gemacht wird, sondern auch für die Menschen, die hier und heute leben.
Denn da, wo das Wasser und die Luft gut sind, da läßt es
sich gut leben. Da, wo die Landschaft vielfältig ist, fühlen sich die Menschen zu Hause. Das ist ganz wichtig.
Umweltpolitik ist also keine Sache, die man sich nur in
Schönwetterzeiten leisten kann, sondern eine ganz
wichtige und dringende Aufgabe der Daseinsvorsorge.
Zweiter Punkt. Umweltpolitik ist auch Zukunftsverantwortung. Wir alle wissen doch, daß wir weit über
unsere Verhältnisse leben, ob beim Flächenverbrauch,
beim Energieverbrauch oder beim Ressourcenverbrauch.
Eine Politik der Nachhaltigkeit, die darauf setzt, daß wir
diese Überausbeutung beenden, ist angemessen und zielführend. Dies ist insofern eine große Verantwortung, die
wir gegenüber zukünftigen Generationen wahrnehmen.
({4})
Dritter und letzter Punkt. Auch dieser Punkt scheint
mir sehr wichtig zu sein. Ihn erkennt die Opposition
ebenfalls nicht. Die Umweltpolitik ist ein wichtiges
Modernisierungsinstrument, und zwar in einem umfassenden Sinne: Wir können moderne Umweltpolitik
mit verschiedenen anderen politischen Zielen verknüpfen. Ich nenne zum Beispiel technologiepolitische Ziele.
Stichworte sind hier Effizienz, Solartechnik, Kreislaufwirtschaft oder neue Werkstoffe. Diese Schlagworte
mögen genügen.
Wir können Umweltpolitik mit beschäftigungspolitischen Zielen verknüpfen. Wir haben in Deutschland bereits eine Million Menschen, die im Bereich Umweltschutz tätig sind. Das läßt sich wunderbar mit dem
Thema Verwaltungsvereinfachung verbinden. Wir gehen
gerade den Weg beispielsweise der ökologischen Steuerreform oder einer Nachhaltigkeitsstrategie, damit wir
keine übertriebenen Detailregelungen im Ordnungsrecht
brauchen und damit wir Steuerungsinstrumente haben,
die sozusagen als Breitbandinstrumente wirken. Das ist
genau der richtige Ansatz in bezug auf die Verwaltungsvereinfachung.
Nicht zuletzt glaube ich, daß sich Umweltpolitik auch
vorzüglich mit außenpolitischen Zielstellungen verknüpfen läßt. Klimapolitik, Schutz der biologischen
Vielfalt, Schutz der Wälder, Schutz der Ozonschicht und
andere Themen - das sind die Dinge, die die internationale Agenda der Zukunft bestimmen werden. Ein einigen von Ihnen jedenfalls früher nahestehender Politiker,
Klaus Töpfer, hat einmal gesagt: Umweltschutz und
Ressourcenschonung sind der wichtigste Beitrag zur
Friedenssicherung im 21. Jahrhundert. Ich glaube, das
ist genau der richtige Ansatz.
({5})
Ich will zum Schluß kommen.
({6})
- Sie wissen, daß man die Haushaltsdebatte auch nutzen
kann, um einmal einige allgemeine Gedanken zu äußern.
Ich weiß nicht, wie Sie das machen. Sie können natürlich auch die jeweiligen Zahlen rauf- und runterlesen.
Aber die Haushaltsdebatte hat die gute Tradition, daß
man den Blick auch einmal etwas über den Tag hinaus
richten kann, Herr Kollege.
Abschließend möchte ich noch einmal auf folgendes
hinweisen: Umweltpolitik muß ressortübergreifend sein.
Umweltpolitik ist eine Querschnittsaufgabe. Umweltpolitik als rein sektorales Politikfeld hat es sehr schwer.
Nur wenn Energiepolitik, Verkehrspolitik und Agrarpolitik auch in Richtung Nachhaltigkeit marschieren,
können wir es überhaupt schaffen, die ökologischen
Ziele, die wir uns gesetzt haben, zu erreichen.
({7})
Ich will ausdrücklich würdigen, daß diese Regierung
einige Schritte in die richtige Richtung getan hat. Dazu
gehört erstens die ökologische Steuerreform. Dieses
Projekt will ich jetzt nicht im Detail beschreiben; dazu
haben wir am Freitag Gelegenheit. Die Förderprogramme für erneuerbare Energien, auch das 100 000-DächerProgramm, sind ein zweiter wichtiger Baustein des
Konzepts Klimaschutz/Energiewende. Ich will aber
nicht verhehlen, daß meine Fraktion durchaus noch
weitergehende Schritte in der Umweltpolitik erwartet,
wenn wir das Klimaschutzziel erreichen wollen. Wir
wissen, daß das Ziel „Reduktion der CO2-Emissionen
um 25 Prozent bis zum Jahr 2005“ sehr anspruchsvoll
ist. Die Hälfte haben wir erreicht, es ist also noch eine
Strecke des Weges zu gehen.
({8})
- Ihnen ist das durch den Zusammenbruch der Industrien in den neuen Bundesländern im wesentlichen in
den Schoß gefallen. Klimapolitisch haben Sie nichts
getan.
({9})
- „Wir“ als Land; vielleicht können wir uns darauf einigen.
Ich glaube, daß drei Dinge in Zukunft besonders
wichtig sind, gerade wenn man den Integrationsgedanken ernst nimmt. Erstens. Auch der Verkehrssektor muß
seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
({10})
Bei der Neuformulierung des Bundesverkehrswegeplans
und seiner Umgestaltung zu einem integrierten Mobilitätsplan müssen wir reichlich darauf achten, daß ökologische Zielsetzungen greifen. Das ist für uns ganz wichtig.
Zweitens. Ich glaube, daß es gelingen muß, im Altbaubestand Energiesparinvestitionen auszulösen. Die
ökologische Steuerreform kann da einen ersten wichtigen Beitrag leisten. Vielleicht aber wird es nötig sein,
auch darüber hinausgehende Anreize zur gezielten Stimulierung von Investitionstätigkeiten im Bereich Wärmedämmung im Gebäudesektor zu erreichen.
Der dritte und letzte Punkt - damit komme ich zum
Ende - ist der Abbau ökologisch kontraproduktiver
Subventionen. Auch das ist für unsere Fraktion ein sehr
wichtiges Thema; denn das wäre nicht nur gut für den
Staatshaushalt, sondern auch für die Umwelt. Ich kann
für meine Fraktion ankündigen, daß wir uns dieses
Thema in den nächsten Monaten vornehmen werden.
Ich glaube, Umweltpolitik wird in Zukunft noch stärker eine Integrationsaufgabe, eine Querschnittsaufgabe
sein müssen. Sie wird sich deshalb in andere Sektorpolitiken einmischen und mit ihnen auch anlegen müssen.
Das ist vielleicht ein unbequemer Weg, aber zu ihm gibt
es keine Alternative.
Danke schön.
({11})
Für die PDSFraktion spricht jetzt unsere Kollegin Eva BullingSchröter.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Einzelplan 16 ist in keinster Weise der große Wurf hinsichtlich
einer Aufwertung der Umweltpolitik oder gar ein Schritt
in Richtung ökologischer Modernisierung. Er rangiert
mit seinem Volumen bei den Fachministerien an vorletzter Stelle, nur noch gefolgt vom Einzelplan 07 des
Ministeriums für Justiz. Er ist absolut und in seinem
Anteil am Gesamthaushalt noch niedriger als der Ansatz
für 1998 mit 1,22 Milliarden DM und beträgt gerade
noch 0,23 Prozent des Gesamtetats. Wenn Minister Trittin auf das Sparen hinweist und dies auch noch lobt,
dann, so meine ich, könnte man in anderen Haushalten
wesentlich besser sparen, aber nicht bei der Umweltpolitik. Wie wäre es denn mit der Rüstungspolitik? Früher haben auch Sie dies gefordert.
Inhaltlich ist dieser Haushalt im wesentlichen eine
Fortschreibung des Haushalts der Vorgängerregierung.
Nicht einmal die in den Koalitionsvereinbarungen festgeschriebenen Vorhaben sind in diesem Entwurf ersichtlich. Nun ist der Einzelplan 16 natürlich kein Umweltinvestitionsplan. Aber was hier vorgelegt wird, ist
gerade für die Grünen ein Armutszeugnis. Ich vermag
hier keine Akzentsetzungen hin zu einer Ökologisierung,
die Sie ständig im Mund führen, zu erkennen. Wie bei
der Ökosteuer ist Ökologie zu einer reinen Worthülse
verkommen. Nun werden Sie argumentieren, daß sich
nicht alle umweltrelevanten Ausgaben des Bundes im
Einzelplan 16 befinden. Das ist richtig. Wir werden genau prüfen, inwieweit sich bestimmte Projekte in anderen Haushaltsplänen wiederfinden.
Aber auch im Programmhaushalt des Einzelplans 16
hätten sich Akzente setzen lassen, wenn man nur gewollt
hätte, zum Beispiel bei der Ausweisung von Naturschutzgebieten mit gesamtstaatlich repräsentativer
Bedeutung. Wie wollen Sie eigentlich den im Koalitionsvertrag vereinbarten Biotopverbund mit zusammenhängend 10 Prozent der Gesamtfläche realisieren? Weitere Beispiele für Akzentsetzungen: Sie hätten mehr
Mittel für internationale Zusammenarbeit einstellen
können, die Investitionen zur Verminderung grenzüberschreitender Umweltbelastungen entscheidend erhöhen
können, die Arbeit der Verbände im Bereich des Umwelt- und Naturschutzes stärker institutionell und projektbezogen fördern können. Diese Liste ist beliebig
verlängerbar. Es ist geradezu peinlich, wenn Erhöhungen im Programmhaushalt vorgenommen werden, wie
etwa die Erhöhung des Ansatzes für die Projektförderung an die Naturschutzverbände um 34,8 Prozent. Das
sind dann sage und schreibe 258 000 DM. Ich meine,
das sind Peanuts.
({0})
Oder: Sie erhöhen den Ansatz für das Umweltprogramm
der Vereinten Nationen um 1 Million DM, jedoch unter
der Bedingung, daß andere Staaten ihre Mittel ebenfalls
erhöhen. Das grenzt an Irreführung. In allem ist das, was
Sie hier vorlegen, genau wie die Haushalte der VorgänDr. Reinhard Loske
gerregierung keine adäquate Antwort auf die gravierenden und sich weiter verschärfenden Umweltprobleme.
Wir werden hier mit Änderungsanträgen versuchen, die
notwendigen Korrekturen anzubringen. Aber den Vorwurf der Halbherzigkeit und des fehlenden Mutes bei
der Gestaltung von Umweltpolitik kann ich Ihnen leider
nicht ersparen.
({1})
Doch kommen wir nun zum derzeit aktuellsten Thema, dem Atomausstieg. Ich will gar nicht auf das Trauerspiel, das das Haus Trittin in diesem Zusammenhang
seit 100 Tagen abgeliefert hat, eingehen.
({2})
- Wir sind für den sofortigen Ausstieg, während die
F.D.P. immer dagegen war.
Die PDS hat die notwendigen Konsequenzen gezogen.
Die PDS wird nach einer Expertenanhörung unter Einbeziehung der Anti-AKW-Bewegung und der Bürgerinitiativen nächste Woche einen geeigneten Gesetzentwurf
zum Verbot der Wiederaufbereitung als Einstieg in den
Ausstieg und in der Folge weitere Gesetzesvorhaben für
eine schnellstmögliche Beendigung der Nutzung der
Atomkraft einbringen. Dann können die Kolleginnen und
Kollegen von SPD und Grünen Farbe bekennen und zeigen, ob es ihnen mit dem Atomausstieg ernst ist.
Im Rahmen dieser Haushaltsberatungen nur soviel:
Wir brauchen vorrangig ein Konzept zur Entsorgung
von Atommüll, das heißt zur Endlagerung. Alle Mittel
im Kapitel 1604 - außer denen für die internationale Zusammenarbeit - sollten darauf konzentriert werden. Es
muß Schluß sein mit den Lebenslügen - sei es, die Wiederaufbereitung als Entsorgungsnachweis stillschweigend zu akzeptieren; sei es, über die Verfüllung oder
den Neubau von Zwischenlagern die Lösung der Endlagerfrage auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Hier kann die neue Bundesregierung Glaubwürdigkeit beweisen. Entsprechend muß auch die Atomforschung auf den Ausstieg konzentriert werden. Wir wollen den sofortigen Ausstieg, und wir wollen ihn unumkehrbar. Wir sind, so scheint es, inzwischen die einzige
Partei, die das ernsthaft verfolgt.
Danke.
({3})
Nächster Redner ist
jetzt unser Kollege Christoph Matschie.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst zu Ihnen,
Herr Kollege Borchert: Sie müssen da irgend etwas
nicht richtig verstanden haben. Der Ritter von der traurigen Gestalt hat gegen Windmühlenflügel gekämpft.
({0})
Der Bundesminister für Umwelt hat in seiner Rede gerade deutlich gemacht, daß er für Windmühlenflügel ist.
({1})
Herr Borchert, Sie sollten die Geschichte noch einmal
nachlesen; sonst fällt das Bild möglicherweise auf Sie
zurück.
Herr Borchert, Sie haben gesagt, die Bilanz dieser
Regierung muß sich an der Bilanz der alten Regierung
messen lassen. Das können wir an den Haushaltszahlen
vielleicht ganz gut exerzieren. Ich habe mir einmal die
Haushaltszahlen des Stammhaushalts aus den letzten
Jahren herausgesucht. 1996: minus 7,9 Prozent; 1997:
minus 4,6 Prozent; 1998: minus 1,4 Prozent. Ich erinnere mich noch gut daran, daß Sie, meine lieben Kollegen
von der Union, uns bei der letzten Haushaltsdebatte als
Erfolg verkauft haben, daß der Umwelthaushalt nur um
1,2 Prozent abgesenkt worden ist.
Wir können Ihnen heute sagen: Der Stammhaushalt
des Umweltministeriums steigt um 1,1 Prozent. Das ist
eine Trendwende, die Sie in all den Jahren nicht geschafft haben. Das sollten Sie akzeptieren.
({2})
Ich wollte eigentlich auch etwas zum Kollegen Koppelin sagen. Aber er ist schon weg. So ist das eben bei
der F.D.P.: Sie neigt zum Verschwinden. Also werde ich
mich damit nicht weiter auseinandersetzen.
Herr Kollege
Matschie, ich möchte die Gelegenheit nutzen, um darauf
hinzuweisen, daß sich der Kollege Koppelin ordnungsgemäß abgemeldet hat. Er hat als Haushaltspolitiker einen wichtigen Termin auf der Hardthöhe.
Ich nehme das zur
Kenntnis und entschuldige mich für meine Bemerkung.
Ich wußte das nicht.
Zur Schwerpunktsetzung im Umwelthaushalt. Der
Etat liegt durchaus auf der Linie dessen, was wir in den
letzten Jahren immer diskutiert haben - der Kollege
Koppelin hat da nicht recht -: Wir haben die Mittel für
die Förderung des Naturschutzes um 8,2 Prozent aufgestockt; wir haben die Umweltforschungsmittel um
3 Prozent aufgestockt und dabei insbesondere bei der
Naturschutzforschung mit einer Aufstockung um
20 Prozent einen Schwerpunkt gesetzt. Bei diesen Titeln
- so haben wir im Umweltausschuß in den vergangenen
Jahren immer wieder gesagt - müssen deutlichere
Akzente gesetzt werden.
Ähnlich sieht das bei den Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben auf dem Gebiet des Naturschutzes aus:
plus 15 Prozent. Und weil wir bei den Forschungsmitteln sind - es geht ja bei Umweltpolitik nicht nur um den
Umwelthaushalt, sondern auch um andere Haushalte -:
Auch im Haushalt des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung ist der Titel für Umweltforschung um
5,5 Prozent aufgestockt worden.
Sie sehen: Hier sind deutliche Akzente gesetzt worden, in Bereichen, über die wir in den letzten Jahren
immer nur diskutiert haben und wo wir wenige Erfolge
hatten.
Was mir noch am Herzen liegt - dies steht noch nicht
im Entwurf -: Wir wollen auch ein Programm zur Förderung erneuerbarer Energien in den Haushalt einstellen, und zwar im Umfang der Einnahmen, die aus der
Besteuerung dieser alternativen Energien hereinkommen. Wir können diese nicht von der Ökosteuer ausnehmen, aus Gründen, die bekannt sind und hier nicht
diskutiert werden müssen.
Damit bin ich bei einem der wichtigsten Reformanliegen der Umweltpolitik seit vielen Jahren: Die Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen. Wir beginnen damit; wir machen den ersten Schritt einer ökologischen Steuerreform. Die alte Regierung hat manchmal
darüber geredet, manchmal es verschwiegen, aber letztendlich national und in der EU eine ökologische Steuerreform blockiert. Die Europäische Kommission hat 1991
das erste Mal einen Vorschlag zu einer europaweiten
einheitlichen ökologischen Steuerreform vorgelegt. Diese ist 1992 von dem damaligen Vize-Kommissionspräsidenten Bangemann gemeinsam mit der verantwortlichen Finanzkommissarin mit dem Hinweis gestoppt
worden, man könne das nur durchsetzen, wenn auch die
Japaner und die Amerikaner mitmachten - ein Totschlagargument: auf die lange Bank schieben, weg damit!
Die damaligen Regierungsparteien, Union und
F.D.P., haben auch im Vorfeld des Klimagipfels in Berlin über die ökologische Steuerreform diskutiert. Ich erinnere mich, sogar der Wirtschaftsminister Rexrodt hat
damals gesagt: Wenn das nicht zusammen geht, dann
müssen wir es notfalls auch im nationalen Alleingang
durchsetzen. - Die Klimakonferenz war vorbei, der
Bundeskanzler hat die Debatte beendet - und damit war
sie für die nächsten Jahre beendet.
Wir fangen damit an. Wir machen den ersten Schritt
in der ökologischen Steuerreform. Und wir gehen weitere Schritte an: Wir werden über eine europäische Harmonisierung der Energiebesteuerung diskutieren und sie
weiterbringen. Dazu gehört auch - dazu ist schon einiges gesagt worden - eine Neuorientierung der Energiewirtschaft.
Da Sie hier etwas zur Richtlinienkompetenz in der
Bundespolitik gesagt haben, speziell in der Energiewirtschaft, möchte ich Sie nur daran erinnern, daß Sie es zu
der Zeit, als Sie noch unter der Knute des jetzt abgewählten Bundeskanzlers Kohl standen, nicht gewagt haben, über die Richtlinienkompetenz des Kanzlers zu
witzeln. Sie sollten sich deshalb in dieser Frage vielleicht ein bißchen zurückhalten.
({0})
Zu der Neuorientierung in der Energiewirtschaft gehört ein breites Maßnahmepaket von Einsparungen,
unter anderem Maßnahmen zur effizienten Energieerzeugung. Wir wollen besonders Kraft-Wärme-Kopplung
und Blockheizkraftwerke fördern, und wir werden die
regenerativen Energien verstärkt fördern. Auch dazu
sind - ich habe dazu schon etwas gesagt - zwei Programme aufgelegt.
Wir brauchen, weil die Umweltpolitik ein langfristiges Anliegen ist, den Einsatz vieler gesellschaftlicher
Kräfte, ein möglichst breites Bündnis; denn Umweltpolitik kann nur funktionieren, wenn sie langfristig berechenbar ist und über viele Jahre durchgehalten werden
kann. Zum einen muß es für die Produzenten und die Industrie langfristige Vorgaben geben, zum anderen aber
auch für die Bürger; denn auch die müssen sich darauf
einstellen können.
Zur Situation der Bürger im Bereich der Umweltpolitik möchte ich noch anmerken, daß es erst diese Regierung gewesen ist, die noch im allerletzten Moment und
als letztes Land in der EU die Aarhus-Konvention gezeichnet hat, die den Zugang zu Umweltinformationen
für Bürgerinnen und Bürger verbessert. Auch das haben
Sie in Ihrer Regierungszeit nicht geschafft.
Zum Schluß lassen Sie mich noch sagen - es ist mir
ein wichtiges Anliegen -: Diese Bundesregierung hat
sich vorgenommen, mehr zur Sicherung des Naturerbes
vor allem in Ostdeutschland zu tun. Wir wissen heute,
daß zwei Drittel aller in Deutschland vorkommenden
Biotoptypen als gefährdet gelten und 15 Prozent von der
völligen Vernichtung bedroht sind. Wir brauchen deshalb deutlichere Schritte gerade im Bereich des Naturschutzes. Die Sicherung des noch vorhandenen Naturerbes in Ostdeutschland ist ein wichtiger Beitrag dazu.
Trotz mancher Fortschritte in der Umweltpolitik auch in den letzten Jahren; das will niemand bestreiten - ist sie nicht einfacher, sondern schwieriger geworden, weil die Probleme komplexer geworden sind. Deshalb braucht es einen breiten gesellschaftlichen Ansatz,
eine gemeinsame Anstrengung, um langfristige Lösungen zu finden. Ich kann Sie nur auffordern, werte Kolleginnen und Kollegen von der Union und von der F.D.P.:
Wirken Sie konstruktiv daran mit, und ziehen Sie sich
nicht in die Schmollecke zurück, weil Sie in diesem
Haus die Mehrheit verloren haben.
({1})
Es spricht jetzt für
die CDU/CSU-Fraktion unser Kollege Dr. Klaus Lippold.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Matschie, ich könnte es mir als Hesse leichtmachen und sagen: Ich muß nicht auf den 27. September
1998 sehen; ich schaue mir jetzt den 7. Februar 1999 an.
Dann warten wir ab, wie die Dinge weitergehen. Sie
sind schon viel kleinlauter geworden, seitdem Sie die
Schlappe in Hessen haben einstecken müssen: wegen
der Unfähigkeit der Bundespolitik - doch nicht wegen
der hessischen Zustände -, wegen des Chaos, das Sie in
der Umweltpolitik angerichtet haben, wegen des Hü und
Hott, das ansteht.
({0})
Dabei wollen wir es belassen, Herr Matschie.
Aber lassen wir das; das ist nicht der Kernpunkt. Es
war ein Fehler von Ihnen, die berechtigte Kritik der
Kollegen Borchert und Koppelin zurückzuweisen. In
diesem Fall muß man auch die PDS einschließen. Ich
erinnere an das, was Sie früher in Sachen Naturschutz,
Umweltschutz versprochen und für den Haushalt verlangt haben. Wenn ich sehe, daß Sie 88,7 Millionen DM
für Beton und 1,3 Millionen DM für Naturschutz ansetzen, dann muß ich sagen: Das ist eine Relation, die Sie
uns früher um die Ohren gehauen hätten. Das machen
wir jetzt mit Ihnen, weil das berechtigt ist. Naturschutz
ist das nicht unbedingt. Mit nachhaltiger Entwicklung
hat der Beton, der da verbaut wird, nichts zu tun. Das
muß man sehen.
({1})
Was die Zielstrebigkeit Ihrer Politik angeht: Sie haben heute mehrfach die Ökosteuergesetzgebung angemahnt. Welche Ökosteuergesetzgebung meinen Sie?
Die, die Sie wieder aufgemacht haben, nachdem wir im
Umweltausschuß und im Finanzausschuß abschließend
beraten haben? Kommen Sie morgen früh und wollen
die Beratungen wieder aufnehmen, weil Ihnen aufgegangen ist, daß das, was Sie uns in den Ausschüssen als
falsch um die Ohren gehauen haben, auf einmal doch Ihre Politik ist? Schämen Sie sich doch für einen solchen
Ansatz!
Wir haben gesagt: Die Landwirtschaft gehört da hinein, der öffentliche Verkehr gehört da hinein. Sie haben
das abgelehnt. Morgen müssen wir Ihretwegen gesondert zusammenkommen, damit wir all das neu beschließen, was wir angesprochen, was wir gefordert und was
Sie abgelehnt haben, und zwar nur, weil er unfähig ist,
das durchzusetzen. - Das geht an den Bundesumweltminister. Drei Zurufe von draußen, eine vernünftige Lobby, und der Umweltminister liegt flach.
({2})
Sie haben das früher mit beschlossen, ohne zu wissen,
was ist. Sie haben gesagt: Das brauchen wir nicht zu
wissen; das haben wir alles schon festgelegt. - Jetzt erfahren Sie, was Sie alles nicht festgelegt haben.
({3})
Diese chaotische Politik muß man sich einmal vor Augen führen. Sie müssen den Kollegen erst einmal sagen,
daß morgen eine weitere Sitzung ist, weil die das noch
gar nicht wissen.
({4})
Jetzt wollte ich Sie unter anderem wegen der Ansätze
in der Landwirtschaft kritisieren. Ich kann Sie heute aber
nicht kritisieren; denn Sie haben uns die Anträge noch
nicht einmal zugeschickt. Auf die warten wir noch. Die
Formulierungen kennen wir noch nicht.
({5})
Sie sagen nur: Vermutlich wird es um diese Position gehen. - Was ist das für ein Chaos in diesem Haus? Der
Junge bringt doch absolut nichts auf die Beine. Sie von
der SPD freuen sich darüber; ich weiß. Auch bei den
Grünen freuen sich einige darüber.
({6})
Das ist so. Es ist nicht nur der Ritter von der traurigen
Gestalt. Wenn wir zur Kernenergie kommen: Ausstieg
rein, Ausstieg raus, Gesetz hin, Gesetz zurück. Da inszeniert Bodo Hombach doch das neue Bonner Musical
„Der Schöne und das Biest“.
({7})
So ist das doch!
({8})
Schauen Sie sich doch die Karikaturen an.
Schauen Sie einmal, wie unheimlich leise Ihr Fraktionsvorsitzender Fischer dazu grollt.
({9})
Das hört man überhaupt nicht. Wie nimmt er denn den
Umweltminister Trittin in Schutz? Gewaltig! Die gesamte rhetorische Kraft von Fischer vereint sich in diesem Punkt. Nichts sagt er zu ihm. Man kann auch nicht
viel zu ihm sagen. Das ist richtig. Ich hätte doch wenigstens erwartet, daß er sich in der Auseinandersetzung
vor seinen Fraktionskollegen stellt. Aber da ist gar
nichts. Es bleibt bei der Inszenierung „Der Schöne und
das Biest“.
({10})
Herr Kollege Lippold, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, wir machen jetzt erst weiter. Das muß im Zusammenhang gesagt werden. Daß ich keine Angst vor Zwischenfragen habe, wissen hier alle Beteiligten im Hause.
({0})
Jetzt kommen wir zur Kernenergiepolitik: Ausstieg
hin, Ausstieg her. Was ist denn nun? Dauert der sofortige Ausstieg 25, 30 oder 35 Jahre? Wenn das unsicher
Dr. Klaus W. Lippold ({1})
ist, muß man herausgehen. Aber Herr Trittin will herausgehen, um dann still wieder hereinzugehen. Jetzt
wird das von den Grünen verteidigt. Man könnte sich
über Denkansätze irgendwo freuen, wenn sie wenigstens
von inhaltlicher Überzeugung geprägt wären.
Kollege Loske, der die Zusammenhänge in der Umweltpolitik etwas besser als viele andere begreift, stellt
dann ganz vernünftig klar, daß diese Kernenergiepolitik
natürlich eine klimaschädliche Politik ist. Recht hat er.
Er hat es gerade in einer ungeheuer höflichen und charmanten Art formuliert. Ich sage in meiner direkten Art
das, was Herr Loske gesagt hat: Dieser Umweltminister
ist nicht fähig, zu begreifen, daß seine Kernenergiepolitik international einen klimaschädlichen Effekt hat und
national das Klimaschutzziel zu verfehlen anstrebt, das
wir so nicht erreichen können.
({2})
Herr Loske sagt es ihm vermutlich intern deutlicher,
als er es hier zum Ausdruck bringt. Die Formulierung
gerade, Kollege Loske, war elegant. Ich gratuliere Ihnen
dazu. Das alles trägt mit dazu bei, das Bild dieses Ministers zu ergänzen.
Ich würde übrigens an Stelle der Sozialdemokraten
etwas zurückhaltend sein. Ich habe die Unterbrechung
vorhin genutzt, mir einmal anzuhören, was der Kollege
Vahrenholt zur Kernenergie, zum Ausstieg und zum
Klimaschutz ungefähr 250 Meter weiter bei einer Veranstaltung der EU-Kommission erklärt hat. Er hat gesagt:
Alle anderen bleiben bei der Kernenergie oder steigen
ein, nur die Deutschen steigen aus; das ist keine klimafreundliche Politik. - Der Name Vahrenholt sagt Ihnen
doch noch etwas, wenigstens einigen Eingeweihten unter Ihnen. Er soll einmal Umweltsenator für die Sozialdemokraten in Hamburg gewesen sein. Wo der Mann
recht hat, hat er recht. Das ist nun einmal so.
Es gibt noch einige andere Punkte, die wir hier aufgreifen müssen. Ich habe hier immer wieder gehört
- Frau Kollegin Mehl hat es angesprochen -, daß neben
der verfehlten Öko-Steuerpolitik und der verfehlten
Kernenergiepolitik im Umweltschutz de facto nichts
passiert. Haben Sie heute gehört, daß dieser Umweltminister etwas zum Schwerpunkt gesagt hätte, den er auf
dem nächsten EU-Gipfel verkünden will, etwa zur integrierten Produktpolitik? Das will er auf dem nächsten
Gipfel verkünden. Das Konzept sehe ich noch nicht.
Übrigens sehe ich auch nicht, was viele verlangen,
auch einige Grüne, daß man den Kernenergieausstieg,
wenn man ihn denn schon anstrebt, mit einem energiepolitischen Konzept verknüpfen müßte. Das fehlt bei
Ihnen. Das ist aber ein ganz wesentlicher Punkt. Zum
Naturschutz ist die Kritik gerade schon geäußert worden.
Wir können auch über das Öko-Audit sprechen. Das
ist ein ganz wesentliches Element, das Sie anstreben. Im
Ausschuß haben Sie einen Antrag eingebracht - die
Koalitionsfraktionen haben sich auf das Ministerium gestützt -, mit dem Sie die Hürden für das Öko-Audit in
Deutschland so hoch hängen, daß kein Unternehmen
- das kann man jetzt schon prophezeien - die ÖkoAudit-Zertifizierung beantragen wird. Sie werden alle in
das internationale ISO-14001-System wechseln. Aber
Sie sind nicht belehrbar. Sie hocken in Ihren eigenen
Wänden, sprechen nicht mehr mit der Außenwelt und
hören noch nicht einmal auf die Naturschutzverbände,
die Ihnen sagen, daß Versprechen allein nichts nützen.
Sie müssen Ihre Versprechen wenigstens einmal mit
Zeithorizonten versehen. Lesen Sie sich einmal die Kritik vom BUND durch. Das steht dort, wo die kleinen
Männchen immer die langen, traurigen Gesichter machen. Das ist Kritik an Ihrer Regierung, und zwar deshalb, weil Sie zwar das eine oder andere in den Mund
genommen, aber noch nicht einmal mit einem zeitlichen
Rahmen versehen haben. Haben Sie etwa diesen Minister gerade etwas zur nachhaltigen Politik sagen hören?
Früher, verehrte Freunde von der Sozialdemokratie
und von den Grünen, haben wir den Jahreswirtschaftsbericht diskutiert. Dabei haben Sie uns vorgeworfen, daß
im Jahreswirtschaftsbericht nicht auf mindestens 50
Seiten der Umweltschutz behandelt wird -, wir würden
Umweltpolitik vernachlässigen.
Jetzt schaue ich einmal, wie das bei Ihnen aussieht.
Sie kennen alle diese hübsche kleine Broschüre des
Bundespresseamtes, des Presse- und Informationsdienstes der Bundesregierung. Das sind jetzt Sie - nicht daß
sich einige bei Ihnen vertun. Es geht um das Arbeitsprogramm 1999 der Bundesregierung. Jetzt schauen Sie
doch einmal im Inhaltsverzeichnis, wo der Schwerpunkt
Umweltpolitik ist.
Es gibt keinen Schwerpunkt Umweltpolitik. Da steht
nichts zu Naturschutz; da steht nichts zum Öko-Audit;
da steht nichts zu Selbstverpflichtungselementen. Sie
haben im Zusammenhang mit zwei anderen Gesetzen irgendwo einmal gesagt, daß die Umweltverträglichkeit
geprüft werden soll. Man sollte Ihnen das um die Ohren
hauen! Im Jahreswirtschaftsbericht wollen Sie 50 Seiten
über Umweltschutz haben, und im Schwerpunktprogramm der Bundesregierung findet sich die Umweltpolitik überhaupt nicht wieder.
Was für einen Einfluß hat der Mann, der dort sitzt,
eigentlich? Jetzt tanzt ihm auch schon das Presse- und
Informationsamt auf der Nase herum. Beim Schwergewicht Hombach habe ich das noch einigermaßen verstehen können, aber daß jetzt schon die nachgeordneten
Behörden dem Umweltminister so mitspielen können,
macht mich nachdenklich, Freunde. Das ist doch nicht
gut.
Herr Trittin, ich habe Ihnen damals gesagt, daß wir
Sie in den ersten 100 Tagen schonend behandeln werden. Hinsichtlich einiger Grundüberzeugungen - es gibt
einige Positionen, die ich jetzt nicht benennen werde sind wir durchaus daran interessiert, mit Ihnen den Umweltschutz weiterzutreiben. Deswegen kann ich in diesem Amt keinen schwächlichen Kameraden gebrauchen.
({3})
Aber allein wenn ich mir diese Broschüre ansehe,
dann muß ich sagen, Sie sitzen auf dem falschen Stuhl.
Dr. Klaus W. Lippold ({4})
Darüber sollte Ihre Partei einmal nachdenken. Der
Kanzler denkt schon darüber nach; wie Fischer das
kommentiert, weiß ich noch nicht.
({5})
Letzter Redner in
dieser Debatte ist unser Kollege Michael Müller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man den Kollegen
Lippold hört, dann fällt einem vor allem eins ein, das
wir vergessen haben, nämlich die Novellierung der TA
Lärm; die ist dringend erforderlich.
({0})
Ich möchte Ihre Punkte gerne ernst nehmen, muß
Ihnen aber auch ganz deutlich sagen: Mit Sonthofen ist
bei Ihnen schon einmal ein Kandidat gescheitert. Denken Sie einmal daran. Das ist keine Strategie, die uns
hilft. Sie sind doch im Grunde genommen nur neidisch,
daß jetzt wenigstens ein paar Schritte in die richtige
Richtung gemacht werden.
({1})
Wir würden gerne mehr machen, ganz klar. Aber Sie
haben doch noch nicht einmal die Kraft gehabt, die
Mehrheiten, die Sie in Ihrer Fraktion für die ökologische
Steuerreform hatten, umzusetzen. Blasen Sie sich doch
nicht so auf! Sie wissen ganz genau, daß Sie seit etwa
vier bis fünf Jahren überhaupt nichts mehr zu sagen gehabt haben. Das ist doch die Realität.
({2})
Lassen Sie mich zwei Punkte ansprechen, die mir
sehr große Sorge machen und die auch in diese Debatte
gehören. Das ist zum einen die Sorge der Menschen um
das immer häufigere Hochwasser, und das ist zum anderen die Sorge über die extremen Vorfälle in den Gebirgen, zum Beispiel in den Alpen. Es ist sicher richtig, daß
diese Vorfälle etwas mit Zyklen des Wettergeschehens
und auch etwas mit menschlichen Fehlern wie beispielsweise Begradigungen, Versiegelungen und ähnlichem zu tun haben. Wenn man sich die langfristige
Wetterstatistik anschaut, so macht es uns Sorge, daß die
Extreme dramatisch zunehmen.
({3})
- Ja, genau. Ich komme jetzt zum Punkt Klimaschutz.
Wir haben dort international Verpflichtungen übernommen, weshalb wir in diesem Punkt, unbeschadet aller Kontroversen, zumindest versuchen sollten, konstruktiv miteinander umzugehen. Wir stellen fest - diese
Fakten muß man einmal nennen -: Seit 20 bis 30 Jahren
gibt es eine deutliche Zunahme von Wetterextremen,
insbesondere im Winterhalbjahr. Es gibt extreme Temperaturschwankungen, die alarmieren - das sind keine
Kleinigkeiten. Wir haben im Vergleich zu vor 100 Jahren etwa 5 Prozent mehr Wasserdampf in der Atmosphäre. Wir verzeichnen eine deutliche Abschmelzung, ja
eine Halbierung der Gebirgsgletscher in den Alpen. Das
alles führt dazu, daß solche Wetterextreme häufiger
werden und eine größere Dimension annehmen. Ich
denke an Hochwasser, an Lawinen und allgemein an die
Zunahme von Abschmelzungsprozessen.
Der Klimaschutz wird deswegen für diese Bundesregierung nach wie vor einen hohen Stellenwert haben. In
dieser Frage werden wir nicht wackeln. Im Gegenteil:
Klimaschutz sehen wir sogar als eine Chance für ökologische Modernisierung an, national und international.
Das muß so bleiben.
({4})
Wir wissen allerdings auch, daß Klimaschutz jetzt
sehr viel schwieriger wird. Die Zahlen sind eindeutig:
Wir haben Ende 1997 eine Reduktion von 43,6 Prozent
gegenüber 1990 in den neuen Bundesländern, aber ein
Plus von 1,9 Prozent in den alten Bundesländern. Natürlich hat es Bevölkerungsbewegungen gegeben; das
streite ich gar nicht ab. Aber ich muß daran erinnern das wissen Sie vielleicht auch noch, Kollege Lippold -,
daß wir in unseren Berechnungen eine gewisse Bevölkerungsbewegung von Ost nach West berücksichtigt hatten. Das ist also nicht völlig überraschend, es ist nur in
der Größenordnung mehr, als wir vorhergesagt haben.
Tatbestand ist aber, daß wir jetzt unter den Bedingungen liberalisierter Energiemärkte und vor allem tendenziell fallender Energiepreise etwas durchsetzen müssen, was wegen dieser Bedingungen noch sehr viel
schwieriger geworden ist: Energie einsparen, die Brücke
ins Solarzeitalter schlagen, die Effizienz erhöhen etc.
Das bedeutet eine unglaubliche Kraftanstrengung; darüber muß man sich im klaren sein. Ich halte diese Herausforderung für eine der zentralen Fragen für die
Glaubwürdigkeit Europas und für die Rolle, die wir zukünftig unter dem Anspruch sozialökologischer Modernisierung in der Welt spielen. Deshalb werden wir in
dieser Frage auch keine Späßchen machen.
Sie können jetzt fragen, wieso wir aus der Atomenergie aussteigen. Zunächst einmal ist die Reduktion der
CO2-Emissionen auch mit Atomenergie nicht zu erreichen. Sie wissen selbst, daß in den Gutachten für die
Enquetekommission niemand einem expansiven Ausbau
der Atomenergie das Wort geredet hat.
({5})
- Kollege Laufs winkt ab; aber er war ja auch nicht dabei.
({6})
- Sie waren nicht in der Kommission. - Niemand in der
Kommission ist für den Ausbau der Atomkraft eingetreten, weil jeder weiß, daß das Entscheidende EinspaDr. Klaus W. Lippold ({7})
ren, Einsparen, Einsparen sowie der Ausbau von erneuerbaren Energien ist. Das ist die eigentlich richtige Antwort auf die Klimaveränderungen.
({8})
Der Ausstieg aus der Atomkraft, ganz egal, wie Sie
ihn werten, bedeutet zumindest eines: Wir beenden den
Stillstand und die Stagnation, die in der Energiepolitik
seit Jahren herrschen. Der Ausstieg aus der Atomkraft
ist also ein ganz wichtiger Punkt, für den viele Gründe
sprechen, übrigens auch Klimaschutzgründe. Schauen
Sie sich einmal die Weltszenarien an. Nicht ein einziges
Weltszenario, das auf den Ausbau der Atomkraft setzt,
löst das CO2-Problem, weil die Logik eines Energiesystems, das auf Expansion und hohen Verbrauch setzt,
bestehenbleibt.
({9})
- Gut, bei Ihnen ist das Unsinn. In der Zwischenzeit ist
die wissenschaftliche Diskussion aber schon ein bißchen
weiter. Bevor man über Innovationen redet, sollte man
auch einmal die neuere Literatur lesen.
Wer über Ausstieg redet, muß auch über Neuordnung
reden. Ich sehe vier Punkte, die dafür entscheidend sind,
daß wir das schaffen können: erstens eine starke Erhöhung der Energieproduktivität. Wir haben heute ein
Wachstum der Energieproduktivität von 1,6 bis
1,7 Prozent. Angesichts unserer technologischen Möglichkeiten können wir das auf gut 3 Prozent steigern.
Wir können zweitens den Anteil der Kraft-WärmeKopplung auf etwa 110 Terawattstunden verdoppeln.
Drittens können wir - heute ist das ja ein bescheidener
Anteil von nur 2,3 Prozent der Endenergie - den Anteil
der regenerativen Energie verdreifachen. Wenn wir
diese drei Schritte gehen und dies mit einer neuen Generation effizienter, schonender und hochwirksamer
Kraftwerke vor allem für bestimmte Bereiche der
Grundlast verbinden, dann werden wir das Klimaschutzproblem lösen, gerade weil wir durch den Ausstieg aus
der Atomkraft zu einer Neuordnung der Energieversorgung gezwungen sind.
Ich sage Ihnen umgekehrt: Wenn Sie den Status quo
so lassen, wie er heute ist, wird die Bundesrepublik auf
dem Feld der Energiepolitik nur verlieren; denn einen
reinen Preiswettbewerb werden wir nicht durchhalten.
Wer Beschäftigung sichern will, wer will, daß die modernen Technologien zum Einsatz kommen, muß zu
Veränderungen in der Energiepolitik kommen. Das ist
die große Chance, um Beschäftigung, Ökologie und
Ökonomie in sinnvoller Weise miteinander zu verbinden. Das werden wir machen.
({10})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir für
die heutige Sitzung nicht vor.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 24. Februar 1999,
9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.