Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Der Deutsche Bundestag unterstützt die Bereitschaft
der Bundesregierung, den Bekundungen der uneingeschränkten Solidarität mit den Vereinigten Staaten
konkrete Maßnahmen des Beistands folgen zu lassen. Dazu zählen politische und wirtschaftliche
Unterstützung sowie die Bereitstellung geeigneter
Präsident Wolfgang Thierse
militärischer Fähigkeiten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus.
Dies hat dieses Hohe Haus bereits am 19. September dieses Jahres mit großer Mehrheit beschlossen. Es geht jetzt
darum, die Konsequenzen aus diesem Beschluss des
Deutschen Bundestages zu ziehen.
Rufen wir uns in Erinnerung: Am 11. September 2001
haben skrupellose, kaltblütige Terroristen mit entführten
Flugzeugen Anschläge in New York und Washington verübt. Diesen barbarischen Attentaten sind Tausende unschuldiger Menschen zum Opfer gefallen. Ich kann verstehen, wenn Einzelne, sogar viele Einzelne angesichts des
Grauens der Bilder, die man nicht täglich ertragen kann, zur
Verdrängung dessen neigen, was geschehen ist. Das ist
menschlich nachvollziehbar. Aber dies kann und darf nicht
die Leitlinie politischer Entscheidungen sein; denn diejenigen, die politische Entscheidungen dieser Tragweite zu treffen haben, können und dürfen, so sehr sie das individuell bedauern mögen, nicht verdrängen, sondern sie müssen immer
wieder den Gegebenheiten ins Auge schauen und die - gelegentlich leider - notwendigen Konsequenzen ziehen.
Das ist der Grund, warum der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen schon unmittelbar nach den Anschlägen
vom 11. September die völkerrechtlich verbindliche Resolution 1368 einstimmig verabschiedet hat. Darin wird
festgestellt - auch das gilt es immer wieder in Erinnerung
zu rufen -, dass die Angriffe eine Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit darstellen und dass
die Folge dessen die legitimierte Inanspruchnahme des
Selbstverteidigungsrechtes nach Art. 51 der Charta der
Vereinten Nationen ist. Mir ist es im Hinblick auf die Öffentlichkeit wichtig - hier im Hohen Hause weiß man das
ja -, festzustellen, dass alle Maßnahmen einschließlich
der militärischen exakt auf dieser völkerrechtlich verbindlichen Basis getroffen worden sind, also durch die
Staatengemeinschaft und durch das internationale Recht
in vollem Umfang legitimiert sind.
Der NATO-Rat hat am 4. Oktober dieses Jahres erstmalig in der Geschichte des Bündnisses den Bündnisfall
nach Art. 5 des NATO-Vertrages festgestellt. Das ist eine
Entscheidung von großer Tragweite, die uns übrigens
nicht nur formal, also nach den Buchstaben des Vertrages,
verpflichtet. Nein, ich denke, unsere Verpflichtung geht
weiter, als lediglich eine Bündnispflicht zu erfüllen. Wir
haben gemeinsam immer wieder darauf hingewiesen,
dass insbesondere die Angriffe auf New York und Washington, also die Angriffe auf die Vereinigten Staaten von
Amerika, nicht nur Angriffe auf die Werte waren, nach denen sich die Amerikaner politisch konstituieren, sondern
auch Angriffe auf jene Werte, die für uns politisch konstitutiv sind, nämlich die Werte des Grundgesetzes. Deshalb
geht es nicht nur um eine formale Verpflichtung, die aus
Bündnispflichten resultiert. Das ist sie auch und das ist
bereits wichtig genug. Es geht vielmehr darum: Solidarität darf in einem Bündnis keine Einbahnstraße sein. Wir
haben über Jahrzehnte Solidarität erfahren. Deshalb ist es
schlicht unsere Pflicht - das entspricht unserem Verständnis von Selbstachtung -, wenn wir in der jetzigen Situation Bündnissolidarität zurückgeben.
({0})
In der Öffentlichkeit sind zum Beispiel die Fragen gestellt worden: Warum leistet ihr denn Solidarität? Ist denn
der Erfolg dieser Bündnisleistung gewährleistet? - Niemand kann das sagen, jedenfalls nicht mit letzter Sicherheit. Aber was wäre das für eine Solidarität, die wir vom
Erfolg einer Maßnahme abhängig machten?
({1})
Deswegen denke ich: Wir haben uns gemeinsam, also das
gesamte Hohe Haus - ich habe eingangs aus dem entsprechenden Beschluss des Bundestages zitiert -, zu uneingeschränkter Solidarität verpflichtet. Wir haben sie
jetzt als Konsequenz aus unseren eigenen Entscheidungen
auch zu leisten.
Vor diesem Hintergrund hat die amerikanische Regierung konkrete Anfragen an uns gerichtet. Sie umfassen
die Bereitstellung von ABC-Abwehrkräften, einer Einheit
zur Evakuierung von Verletzten, von Spezialkräften der
Bundeswehr, von Lufttransportkräften zum Transport von
Personen und Material sowie von Seestreitkräften zum
Beispiel zur Kontrolle des freien Schiffsverkehrs und zum
Schutz von Schiffen mit gefährlicher Ladung. Das Bundeskabinett hat gestern beschlossen, dieser Bitte der Vereinigten Staaten zu entsprechen. Wir erfüllen damit die an
uns gerichteten Erwartungen und leisten das, was uns objektiv möglich ist und was in dieser Situation politisch
verantwortet werden kann.
Alles in allem werden an der Operation Enduring
Freedom maximal 3 900 deutsche Berufs- und Zeitsoldaten beteiligt sein. Das ist eine Obergrenze, die auf der
Basis der konkreten Anforderungen berechnet worden ist.
Ich habe in jeder öffentlichen Verlautbarung darauf hingewiesen, dass man diese Zahlen nicht als exakte Zahlen
nehmen kann; diese Obergrenze ist aber festgestellt und
steht auch in dem Antrag, den die Bundesregierung dem
Deutschen Bundestag zugeleitet hat. Ein gleichzeitiger
Einsatz aller Soldaten ist nicht zu erwarten.
Das Mandat ist - nach unserer Auffassung richtigerweise - auf zwölf Monate begrenzt. Dies entspricht auch
den Erwartungen unserer Bündnispartner. Bei einer Verlängerung müsste der Deutsche Bundestag erneut befasst
werden. Mir ist wichtig, festzustellen, dass letzte Entscheidungen über Einsätze in vollem Umfang bei der
Bundesregierung verbleiben. Ebenso wichtig ist mir,
festzuhalten, dass keine Absicht besteht, die militärischen
Maßnahmen auf ein anderes Land auszudehnen. Im Übrigen, kann es Einsätze - ich betone das - nur mit Zustimmung der Regierung des entsprechenden Landes geben.
Das ist die Konsequenz dessen, was wir vorschlagen.
Zunächst geht es nur um die Bereitstellung der deutschen Kräfte - natürlich um die Bereitstellung zu einem
Einsatz -, auch wenn der Bundestag schon jetzt um die
Zustimmung zu einem späteren Einsatzbeschluss gebeten
wird.
Bezogen auf die juristischen Bedenken, die gelegentlich geäußert worden sind, will ich sagen, dass das Verfahren, das wir Ihnen vorschlagen, nicht neu ist. Genauso
hat der Bundestag in völligem Einklang mit der VerfasBundeskanzler Gerhard Schröder
sung und der Rechtslage bei seinem Kosovo-Beschluss
vom 16. Oktober 1998 gehandelt.
Mir ist besonders wichtig festzuhalten: Es geht weder
um eine deutsche Beteiligung an Luftangriffen noch um
die Bereitstellung von Kampftruppen am Boden. Der Beitrag, den wir leisten wollen, ist auch Ausdruck unserer
Bereitschaft, der gewachsenen Verantwortung Deutschlands in der Welt durch konkretes Handeln Rechnung zu
tragen. Es muss deutlich werden: Es geht nicht um irgendeine außenpolitische Strategie; es geht um die Vertretung der eigenen Interessen und um den Schutz der eigenen Werte, nach denen wir leben und weiter leben
wollen.
({2})
Natürlich stellen sich viele Menschen in Deutschland
jetzt besorgt die Frage, welche Konsequenzen der deutsche
Beitrag für uns hat und insbesondere für die Soldaten haben wird. Niemand hat darauf eine endgültige Antwort. Jedem - nicht zuletzt mir - ist bewusst, das jeder Auslandseinsatz Risiken und Gefahren in sich birgt. Aber klar ist,
dass die Bundesregierung alles tun wird, um die bestmögliche Sicherheit unserer Soldaten zu gewährleisten.
Im Übrigen sind wir nicht die einzigen, die gebeten
worden sind, ihrer Verantwortung auch durch einen militärischen Beitrag zur Bekämpfung des internationalen
Terrorismus nachzukommen. Kanada und Australien
zählen ebenso wie Großbritannien - das ist bekannt -, die
Türkei, die Tschechische Republik sowie Frankreich und
Italien als weitere europäische Partner zu den Staaten, die
sich an den Maßnahmen beteiligen. Auch das gilt es zu bedenken, wenn hier im Hohen Hause darüber nachgedacht
wird, ob man zustimmen kann und will oder nicht. Auch
die Konsequenzen für Gemeinsamkeiten mit unseren
Partnern in Europa sind bei einer politisch verantwortlich
zu treffenden Entscheidung zu berücksichtigen.
Die militärischen Operationen richten sich auf der
Grundlage der Resolution 1368 des Weltsicherheitsrates
gegen das terroristische Netzwerk von Osama Bin Laden
und gegen das den Terrorismus unterstützende Talibanregime in Afghanistan. Ich bitte Sie, sich in Erinnerung zu
rufen und niemals zu vergessen, dass es sich um ein Gewaltregime handelt, das den Tod vieler Tausend Afghanen,
vor allem Kinder und Frauen, Unterdrückung und
Massenvertreibung, auch Akte kultureller Barbarei zu verantworten hat. All das fand statt - das ist für die öffentliche Diskussion wichtig -, lange bevor die militärischen
Maßnahmen gegen dieses Regime begonnen hatten.
({3})
Wenn es ein Versäumnis der internationalen Staatengemeinschaft gibt, dann dies - das sollten wir in einer solchen Debatte selbstkritisch eingestehen -, dass wir alle
nach dem Abzug der vormaligen Sowjettruppen aus
Afghanistan dieses Land und die Barbarei in diesem Land
viel zu lange nicht beachtet haben.
({4})
Es handelt sich um ein Regime, das darüber hinaus
terroristische Bestrebungen mit dem Ziel fördert, die
Stabilität arabischer und muslimischer Staaten zu erschüttern - wiederum mit gefährlichen außen- und sicherheitspolitischen Folgen nicht nur für die angegriffenen Vereinigten Staaten, sondern für die gesamte
zivilisierte Welt. Deshalb betone ich noch einmal: Der
Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist nicht
allein mit militärischen Mitteln zu gewinnen; das wissen
wir sehr wohl. Deshalb müssen wir dauerhafte Anstrengungen auf vielerlei Ebenen unternehmen, um dieser Herausforderung zu begegnen. Wir können und dürfen den
militärischen Beitrag daher nicht losgelöst von einer solchen umfassenden Strategie, einer Strategie für Sicherheit
und für Stabilität in der Welt, diskutieren.
({5})
Meine Damen und Herren, während meiner Reise nach
Pakistan, Indien, China und dann auch Russland in der
vergangenen Woche habe ich eine große Übereinstimmung darüber feststellen können, dass die Überwindung
des Talibanregimes als wesentliche Voraussetzung für
eine menschenwürdige Zukunft Afghanistans gesehen
wird. Auf die Staatengemeinschaft kommen in diesem
Zusammenhang langfristig enorme Aufgaben zu. Das gilt
vor allem für die Europäische Union. Ich bin der Auffassung, dass in dem Prozess, den man Post-TalibanProzess nennt, nicht nur die Nationalstaaten, die ganz
natürlicherweise Adressat der Beistandserwartungen der
angegriffenen Amerikaner waren und sind, Gesicht zeigen müssen, sondern dass - das ist auch in dem Gespräch
deutlich geworden, das die europäischen Regierungschefs
am letzten Sonntagabend in London geführt haben - vor
allem auch das integrierte Europa, das dabei ist, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu schaffen, Gesicht zeigen und seine Rolle wahrnehmen muss. Wir in
Deutschland treten dafür ein, dass dies für Europa möglich wird und dann auch so geschieht.
Es geht jetzt in erster Linie um humanitäre Anstrengungen, mit denen das Leid von Millionen von Afghanen
gelindert werden kann. Viele scheinen das Ausmaß der
humanitären Katastrophe noch gar nicht richtig erfasst
zu haben. Es geht dabei nicht nur um die Versorgung von
Flüchtlingen, von Flüchtlingen übrigens - das gilt es hervorzuheben -, die völlig unabhängig von den militärischen Maßnahmen, die angeordnet worden sind, weil sie
notwendig sind, auf der Flucht waren und sind, sondern es
geht auch um die Versorgung von Menschen, die als Folge
der Unterdrückung und der Unfähigkeit des Regimes Hunger leiden. Wir müssen befürchten, dass Abertausende verhungern. Auch um diese Menschen geht es uns.
Jedenfalls müssen und werden wir unsere Anstrengungen zur Abwehr von Hunger und Flüchtlingselend
noch einmal verstärken. Wenn diesem so vielfach gebeutelten Land nach Beseitigung des Terrorregimes eine
Perspektive gegeben werden soll, dann brauchen wir auch
eine Vorstellung davon und die Bereitschaft dazu, den
Wiederaufbau zu unterstützen.
Nicht zuletzt wird es darum gehen, an den Rahmenbedingungen für das friedliche Zusammenleben der Bevölkerungsgruppen Afghanistans mitzuwirken. Ich sage noch
einmal: Wir treten gemeinsam mit unseren europäischen
Partnern für eine Lösung ein, die nicht von außen oktroyiert sein darf - das ist übrigens auch die Auffassung unserer amerikanischen Freunde -, sondern die sich aus dem
Land heraus entwickeln muss. Es geht um eine Lösung, die
alle ethnischen Gruppen einbezieht und die die berechtigten Interessen der Nachbarstaaten berücksichtigt.
Dabei kann diese Lösung für eine gewisse Zeit nur unter dem Dach der Vereinten Nationen herbeigeführt werden. In diesem Prozess dürfen sich Europa und damit
Deutschland ihrer Verantwortung nicht entziehen und sie
werden es auch nicht tun.
({6})
Darüber hinaus wollen und werden wir unsere Zusammenarbeit mit den zentralasiatischen Staaten ausbauen.
Wir sind daran interessiert, eine Destabilisierung durch
den von Afghanistan ausgehenden internationalen Terrorismus zu vermeiden.
Schließlich dürfen wir in unseren Bemühungen um
eine Lösung des Nahostkonfliktes nicht nachlassen. Der
ungelöste Nahostkonflikt darf keine Berufungsgrundlage
für das verbrecherische Handeln der Terroristen sein.
({7})
Bezogen auf die Anstrengungen zur Lösung dieses Konflikts, gilt auch: Es gibt keine direkte Beziehung zwischen
dem internationalen Terrorismus und dem schwelenden
Konflikt im Nahen Osten. Anders ausgedrückt: Auch wenn
dieser Konflikt morgen gelöst wäre, dann dürfte man nicht
nachlassen, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen,
weil er unabhängig von diesem Konflikt besteht.
({8})
Die Lösung des Konfliktes - natürlich auch aus sich
selbst heraus - ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil er
den Terroristen die Mobilisierung von Massen für ihr verbrecherisches Handeln immer wieder erlaubt hat und
- wenn wir zu keiner Lösung kommen - weiterhin erlauben wird.
Der unermüdliche Einsatz des Bundesaußenministers
zur Überwindung der Gegensätze in der Region hat den
Respekt vieler seiner und vieler meiner Kollegen. Er verdient auch unseren Respekt und unsere Anerkennung.
({9})
Wir würden die Möglichkeiten Deutschlands - dabei
geht es auch, aber nicht nur um Personen - falsch einschätzen, weil wir sie überschätzten, wenn wir glaubten,
dass dieser Konflikt allein durch unsere oder durch
gemeinsame europäische Anstrengungen zu lösen
wäre. In dieser zutiefst Besorgnis erregenden Situation ist
es erforderlich, dass insbesondere die Vereinigten Staaten
erkennen, dass sie im Nahen Osten auf höchster Ebene
- möglicherweise gemeinsam mit Russland, mit der Europäischen Union und naturgemäß mit den Vereinten Nationen - eine herausgehobene Verantwortung für die Lösung dieses Konflikts tragen.
({10})
Die Eindämmung des internationalen Terrorismus verlangt - das ist klar - große Anstrengungen und vor allen
Dingen einen langen Atem. Wir haben ein gemeinsames
Interesse, die militärischen Operationen zu einem raschen
und erfolgreichen Ende zu führen. Wir begrüßen ausdrücklich die Zusage der amerikanischen Regierung, alle
nur möglichen Vorkehrungen zu treffen, um zivile Opfer
zu vermeiden.
Gerade mit Bezug auf die öffentliche Debatte bitte ich
auch in diesem Fall um Fairness. Die Fairness besteht
darin, dass man nicht einerseits sagt, man solle so vorgehen, dass möglichst wenig zivile Opfer zu beklagen
sind, andererseits aber zugleich den Vorwurf erhebt, dass
ein solches Vorgehen dann naturgemäß länger dauert, als
wenn man anders vorginge. Beides lässt sich nicht gut
verbinden.
({11})
Man muss sich entscheiden. Ich denke, auch das gehört
zur Redlichkeit im Umgang miteinander und im Umgang
mit unseren Partnern und muss bei Entscheidungen im
Deutschen Bundestag beachtet werden.
Mit unseren humanitären Bemühungen machen wir zugleich deutlich, dass sich die militärischen Operationen
eben nicht gegen das afghanische Volk richten, sondern
gegen den internationalen Terrorismus, der vom Talibanregime unterstützt wird, welches insoweit Teil des internationalen Terrorismus ist. Allein Deutschland hat übrigens - das können wir ruhig selbstbewusst sagen - in den
vergangenen Jahren humanitäre Leistungen in Höhe von
mehr als 100 Millionen DM erbracht. Afghanistan war
- das gilt ungeachtet der selbstkritischen Bemerkungen,
die ich gemacht habe - immer ein Schwerpunktland unserer humanitären Hilfe. Auch deswegen haben wir in diesem Jahr den Vorsitz in der Afghanistan Support Group
inne.
Mindestens ebenso wichtig wie militärisches und humanitäres Engagement sind politische und diplomatische
Bemühungen. Wirtschaftliche Maßnahmen ebenso wie
die notwendige Zusammenarbeit der Nachrichtendienste
müssen hinzukommen. Schließlich müssen wir uns auch
der geistigen Auseinandersetzung mit dem Terrorismus
stellen. Das heißt, wir müssen uns vor allem der Tatsache
stellen, dass Terroristen kulturelle, soziale und politische
Missstände für ihre mörderischen Zwecke instrumentalisieren. Diese geistige Auseinandersetzung haben wir im
Dialog mit den muslimischen Gesellschaften zu führen,
die dabei - auch das gilt es einzufordern - auch ihrer eigenen Verantwortung nachkommen müssen, um das Ziel
einer gemeinsamen friedlichen und humanen Entwicklung zu erreichen.
Nur auf der Grundlage eines so umfassenden Konzeptes und gemeinsamen Handelns wird die internationale
Koalition im Kampf gegen den Terrorismus am Ende erBundeskanzler Gerhard Schröder
folgreich sein. Dieser Erfolg ist nicht nur notwendig, sondern - davon bin ich überzeugt - er wird auch erreicht
werden. Wir stehen im Kampf gegen den Terrorismus vor
einer großen Herausforderung. Sie ist nicht zu bewältigen, ohne Risiken einzugehen. Niemand hat das behauptet und niemand kann das behaupten. Sie birgt aber
auch die Chance, Gefahren für die friedliche Existenz und
das friedliche Zusammenleben der Völker zu Beginn des
21. Jahrhunderts dauerhaft zu beseitigen.
Ich will aber noch auf eines hinweisen: Bei der anstehenden Entscheidung geht es auch um die Bündnisfähigkeit Deutschlands, also darum, dass wir die richtige
Konsequenz aus dem, was wir alle miteinander erklärt
und bekannt haben, ziehen. Ich möchte mich in diesem
Zusammenhang ausdrücklich dafür bedanken, dass es
möglich gewesen ist, die ganze Zeit über so miteinander
umzugehen und uns gegenseitig so zu informieren, wie
das dem Thema angemessen ist. Diesen Dank spreche ich
dem ganzen Haus aus, allen, die dabei sind. Ich habe den
Fraktions- und Parteivorsitzenden zugesagt - ich habe das
auch dem Bundeskabinett berichtet, welches das zustimmend zur Kenntnis genommen hat -, dass ich diese angemessene Informationspolitik auch weiterführen werde,
insbesondere dann, wenn es um die Konsequenzen aus
dem hoffentlich mit breiter Mehrheit gefällten Beschluss
in der nächsten Woche geht.
Mehr als 50 Jahre - lassen Sie mich das abschließend
sagen, meine Damen und Herren - haben die Vereinigten
Staaten in Solidarität zu uns gestanden. Es waren nicht zuletzt die Amerikaner, die uns die Rückkehr in die Völkergemeinschaft ermöglicht, die unsere Freiheit garantiert
und letztlich unsere staatliche Einheit und deren Werden
unterstützt haben.
Über viele Jahrzehnte haben wir diese Solidarität
Amerikas für selbstverständlich gehalten und haben unseren Nutzen daraus gezogen. Bündnissolidarität ist aber
keine Einbahnstraße. Deshalb geht es jetzt - nicht nur,
aber auch - darum, unseren praktischen Beitrag zur Solidarität, die unseren gemeinsamen Werten, unseren gemeinsamen Zielen und unserer gemeinsamen Zukunft in
Sicherheit und Freiheit gilt, zu leisten. Wir tun das, wie
sich zeigt, in offener, in demokratischer und auch in kritischer Diskussion; das ist kein Nachteil in unserer Gesellschaft. Ich hoffe aber auch, dass wir das in großer Geschlossenheit und mit einem entsprechenden Ergebnis
tun.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({12})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Am 19. September, wenige Tage nach den Terroranschlägen von New York und
Washington, haben wir dem amerikanischen Volk hier im
Deutschen Bundestag mit außergewöhnlich großer Mehrheit unsere uneingeschränkte Solidarität im Kampf gegen
den Terrorismus zugesagt. In dieser und in der nächsten
Woche steht für Deutschland die Klärung der Frage an, ob
den Worten von der uneingeschränkten Solidarität auch
Taten folgen, ob wir bereit sind, Risiken und Gefahren bei
der Bekämpfung des internationalen Terrors mitzutragen.
Wir wissen: Eine so weit reichende Entscheidung ist von
uns bisher noch nie gefordert worden.
Wir haben wiederholt festgestellt - Herr Bundeskanzler, Sie haben das in Ihrer Regierungserklärung erneut und
richtigerweise getan -, dass die Terroranschläge nicht nur
gegen die USA gerichtet waren. Wir alle - ich denke, das
gilt auch für die meisten Menschen in Deutschland - sind
uns bewusst geworden: Die Anschläge hätten auch Paris,
Frankfurt, London oder Berlin treffen können. Diese Erkenntnis verbindet uns mit Amerika und in der NATO.
Diese Erkenntnis ist Grundlage der internationalen Allianz gegen den Terrorismus.
Der Wille zur Verteidigung der Freiheit ist die Grundlage der von Ihnen, Herr Bundeskanzler, zu Beginn zitierten Resolution des UN-Sicherheitsrates. Die erstmalige Feststellung des Bündnisfalles in der NATO und das
Recht zur Selbstverteidigung nach der Charta der Vereinten Nationen sind die unbezweifelbare völkerrechtliche Grundlage für den seit dem 7. Oktober auch mit
militärischen Mitteln geführten Kampf gegen den Terrorismus.
Wir dürfen heute von dieser Stelle, von Deutschland
aus keinen Zweifel daran lassen, dass auch wir bereit sind,
einen militärischen Beitrag zu leisten, um diesen Kampf
erfolgreich zu bestehen.
({0})
Neu für uns ist, dass ein solcher militärischer Einsatz
fernab von Deutschland notwendig sein soll. Wir müssen
uns klar darüber sein, dass die geographische Entfernung
in der Welt des 21. Jahrhunderts keine Bedeutung mehr
hat. Die Globalisierung bringt uns nicht nur große wirtschaftliche Vorteile, sie bedeutet auch globale Verantwortung in der Gemeinschaft zivilisierter Völker.
({1})
Es gibt - das sage ich all denjenigen, die beabsichtigen,
den Antrag der Bundesregierung abzulehnen - nur scheinbar die Alternative, sich herauszuhalten und stattdessen
die anderen, die sich schon entschieden haben, den Weg
weiter gehen zu lassen. Mit klarem Verstand und
Überzeugung müssen wir sagen, dass ein deutscher
Sonderweg, ein Sich-Heraushalten in unserer Welt eine
Illusion ist. Deutschland trägt Verantwortung wie andere
Staaten dieser Welt auch.
({2})
Ich möchte deshalb für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zunächst feststellen: Wir sind der festen Überzeugung, dass es richtig ist, den Amerikanern und allen
anderen Nationen der Anti-Terror-Allianz auch mit
militärischen Mitteln im Kampf gegen den Terrorismus
beizustehen. Wir werden uns auch in der Opposition unserer Verantwortung stellen.
Wir unterstützen die Bundesregierung bei ihrem Vorhaben, Einheiten der Bundeswehr zu entsenden, um mitzuhelfen, die terroristischen Strukturen zu zerschlagen.
Wir tun dies - auch hier sind wir uns einig, Herr Bundeskanzler -, weil wir den Vereinigten Staaten von Amerika
die Freiheit und ganz wesentlich auch die Einheit unseres
Landes verdanken.
({3})
Aber damit kein Zweifel entsteht, sage ich: Dank an Amerika allein ist es nicht, warum wir handeln. Genauso wichtig ist, dass die deutsche Beteiligung am militärischen
Einsatz gegen den Terrorismus in unserem eigenen nationalen Interesse liegt.
({4})
Herr Bundeskanzler, ich will in diesem Zusammenhang die Irritationen ansprechen, die gestern entstanden
sind und die ich durch Ihre Regierungserklärung sowie
durch die darin enthaltene Wortwahl im Vergleich zu den
Erklärungen, die von der amerikanischen Administration
abgegeben worden sind, für nicht ausgeräumt halte. Ich
möchte angesichts dieser Irritationen betonen, dass wir
nur hoffen können, dass Sie nach Konsultationen mit der
amerikanischen Regierung nicht nur auf deren Anforderung reagiert haben, sondern selbst die Initiative ergriffen
haben. Denn nur dann ist die Begründung, im Interesse
des eigenen Landes zu handeln, auch wirklich glaubhaft.
({5})
Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion brauchen Sie sich,
Herr Bundeskanzler, jedenfalls nicht hinter einer amerikanischen Anforderung zu verstecken. Sie können sagen,
wie es wirklich ist.
({6})
Zu unserem eigenen Interesse zählt auch, dass wir
ernsthaft und gewissenhaft abwägen, ob wir es verantworten können, die Soldaten der Bundeswehr in diesen
Einsatz zu schicken, in den gefährlichsten Einsatz - das
ist ohne Zweifel der Fall, wie Sie selbst gesagt haben -,
den die Bundeswehr je zu bestehen hatte.
({7})
- Ich kann die Unruhe bei Ihnen verstehen. Aber diese
Probleme, meine Damen und Herren von der SPD und
den Grünen, müssen Sie in den nächsten Tagen unter sich
klären.
({8})
Wir erwarten von Ihnen, Herr Bundeskanzler, Ihrer
Regierung und insbesondere vom Verteidigungsminister,
dass nicht nur der konkrete Einsatz beschlossen wird, sondern dass zuvor alles getan wird, um unsere Soldaten optimal auf diesen Einsatz vorzubereiten und sie im Einsatz
zu schützen.
({9})
Wir fordern Sie und Ihre Regierung seit nunmehr drei Jahren aus leider immer dringlicher werdendem Anlass auf,
mehr für die Bundeswehr zu tun. Sie haben die Bundeswehr hinsichtlich der Ausrüstung in den letzten drei Jahren so stark vernachlässigt, dass ihre Einsatz- und Bündnisfähigkeit - das sind nicht meine Worte, sondern die des
Generalinspekteurs der Bundeswehr - nicht mehr in
vollem Umfang gewährleistet ist. Wenn Sie Soldaten jetzt
in einen Einsatz schicken, der schwieriger und gefährlicher ist als alle Einsätze, die in den vergangenen zehn Jahren beschlossen worden sind, dann erwarten diese Soldaten und ihre Familien von Ihnen, Herr Bundeskanzler,
dass Sie in der Verantwortung Ihres Amtes alles, aber auch
wirklich alles tun, um den Soldaten einen optimalen
Schutz zu gewährleisten.
({10})
Diese Verantwortung tragen Sie, Herr Bundeskanzler,
auch nach einem zustimmenden Parlamentsbeschluss.
Diese Verantwortung nimmt Ihnen das Parlament nicht ab.
Die Lage in und um Afghanistan ist sehr viel unübersichtlicher und sehr viel schwieriger als bei allen Einsätzen zuvor. Es ist deswegen aus unserer Sicht völlig selbstverständlich, dass der Deutsche Bundestag nicht an die
Stelle der politischen und militärischen Führung der
eingesetzten Streitkräfte tritt. Wir können Einzelheiten
der tatsächlich eingesetzten Soldaten, der Einsatzzeitpunkte, der Einsatzorte und der Einsatzziele nicht festlegen. Dies kann auch die Bundesregierung heute noch
nicht. Zum Teil dürfen die Einsätze aus Gründen des
Schutzes der Soldaten auch überhaupt nicht oder erst nach
vollständigem Abschluss des Einsatzes bekannt werden.
Aus diesen Gründen enthält der Beschluss des Bundeskabinetts vom gestrigen Tag richtigerweise einen
großen Handlungsspielraum für die Bundesregierung und
für den Einsatz deutscher Soldaten. Dieser notwendige
Handlungsspielraum, Herr Bundeskanzler, darf aber Sinn
und Zweck des von unserer Verfassung gebotenen Parlamentsvorbehalts bei sich möglicherweise verändernden
Umständen nicht infrage stellen.
({11})
Deshalb sagen wir: Die Größe des Einsatzes, die territoriale Ausdehnung des Einsatzgebietes und die Dimension
der Aufgabe, die es jetzt zu verantworten gilt, erfordern
eine angemessene Möglichkeit der Überprüfung unserer
Zustimmung, die die Bundesregierung in der nächsten
Woche erhalten soll. Diese Überprüfung muss gegebenenfalls auch vor Ablauf der zwölfmonatigen Frist, die
Sie beantragt haben, durch den Bundestag selbst erfolgen
können. Für uns gibt es jedenfalls zur Dauer des Mandats
Beratungsbedarf in den nächsten Tagen.
({12})
Lassen Sie mich zum Abschluss noch einmal auf die
humanitäre Katastrophe in Afghanistan selbst zu sprechen kommen. Das furchtbare Schicksal, das die Menschen in Afghanistan seit einem Jahrzehnt zu tragen haben, das jetzt in vielen Fernsehbildern wieder gezeigt
wird, ist nicht die Folge der militärischen Schläge gegen
das Talibanregime, sondern es ist das menschenverachtende Talibanregime selbst, das die Verantwortung trägt.
({13})
Sie haben auf die Dimension dieser Katastrophe bereits
hingewiesen. In den letzten zehn Jahren sind über
4 Millionen Menschen aus Afghanistan geflohen und
über 300 000 Kinder im Land verhungert. Westliche
Hilfseinrichtungen werden beim Zugang systematisch behindert; sie werden bedroht und zum Teil aus dem Land
gejagt. Bis heute weigern sich die Machthaber im Süden
des Landes, Flüchtlingslager des Roten Kreuzes an der
pakistanischen Grenze zu ermöglichen. Deswegen will
auch ich noch einmal ganz klar sagen: Wir führen keinen
Krieg gegen Afghanistan, sondern wir bekämpfen Terroristen und ein unmenschliches, menschenverachtendes
Regime, das sie deckt.
({14})
In diesem Zusammenhang, Herr Bundeskanzler, hat der
britische Außenminister vollkommen zu Recht die Feststellung getroffen, dass eine Feuerpause das Leiden des
afghanischen Volkes nur verlängern würde. Er hat Recht.
Herr Bundeskanzler, ich will es bei dieser Gelegenheit
auch sagen: Wir sind nicht bereit, eine Arbeitsteilung dergestalt vorzunehmen, dass Mitglieder Ihrer Regierung öffentlich sagen, es müsse eine Feuerpause eintreten, und
damit sozusagen wie ein Friedensengel durch das Land
rauschen - Sie wissen genau, wen ich meine: die Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({15})
und wir, diejenigen, die Ihre Politik unterstützen, als die
Kriegstreiber in diesem Land genannt werden. Diese Arbeitsteilung geht nicht.
({16})
Je schneller dieses unmenschliche Regime der Taliban gestürzt wird, desto besser ist es für das afghanische Volk
und die gesamte Region.
Meine Damen und Herren, nach Beendigung der militärischen Aktionen muss die internationale Hilfe wieder
verstärkt werden. Aber auch dann, Herr Bundeskanzler,
müssen Ihren Worten Taten folgen; denn hier geht es um
die Glaubwürdigkeit der deutschen Politik: im Inneren, in
der Außenpolitik, aber auch gegenüber den Menschen, die
unsere Unterstützung und unsere Hilfe brauchen.
Herzlichen Dank.
({17})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Gernot Erler, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits am 19. September hat der
Deutsche Bundestag mit sehr deutlicher Mehrheit die
große Solidarität mit dem am 11. September angegriffenen Amerika zum Ausdruck gebracht, die in den Tagen
der Tragödie von New York und Washington von den
Menschen in Deutschland ausging und zugleich von der
deutschen Politik aufgegriffen wurde. Es hieß, diese Solidarität werde nicht verbal oder virtuell, sondern konkret
sein.
Schon damals, acht Tage nach den Terroranschlägen,
haben wir uns zu politischer und wirtschaftlicher Unterstützung sowie zur Bereitstellung geeigneter militärischer
Fähigkeiten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus bekannt. Dann folgte in dem Beschluss ein Satz,
den ich zitiere:
Über diese Maßnahmen ist nach Kenntnis der amerikanischen Unterstützungswünsche in eigener Verantwortung und gemäß der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu entscheiden.
Genau an diesem Punkt sind wir heute angelangt: Die
amerikanische Regierung hat ihre Wünsche artikuliert,
die Bundesregierung hat daraufhin erklärt, welche Art der
Unterstützung sie für leistbar und geeignet hält. Herr Kollege Merz, selbstverständlich hat die Bundesregierung dabei unsere eigenen Interessen vertreten; Sie sollten nicht
mit einer so kleinkarierten Philisterei unsere Debatte belasten, wie Sie es getan haben.
({0})
Weil es in Deutschland nach unserer Verfassung in solchen Fällen ein Entscheidungsrecht des Deutschen Bundestages, den so genannten Parlamentsvorbehalt, gibt,
müssen wir jetzt prüfen und entscheiden, ob wir die Vorschläge der Regierung für überzeugend und verantwortbar halten.
Nach dem Kabinettsbeschluss sollen fünf Kategorien
militärischer Fähigkeiten bereitgestellt und im Bedarfsfall auch eingesetzt werden. Lassen Sie mich diese etwas
näher beleuchten:
Erstens. Wer will eigentlich widersprechen, wenn
Deutschland Sanitätskräfte, besonders solche zur Rettungsevakuierung von verwundeten Zivilisten oder Soldaten, bereitstellen will?
Zweitens. Dasselbe gilt für Lufttransportmittel, die
ebenso militärisches Gerät wie zivile Hilfsgüter aufnehmen können.
Drittens. Die Bundeswehr hat gerade mit dem Spürpanzer Fuchs besonders anerkannte ABC-Schutzkräfte.
Einen Teil davon jetzt auf einen eventuellen Einsatz vorzubereiten macht Sinn, auch wenn wir alle hoffen, dass
dieser Einsatz gar nicht notwendig wird.
Viertens. Marinekräfte sollen zum Beispiel am Horn
von Afrika den Seetransport schützen, also in einer
Region, in der es in den vergangenen Wochen schon einen
Anschlag auf ein Fahrzeug gegeben hat und weitere Terrorangriffe auf die zivile Seeschifffahrt nicht ausgeschlossen werden können.
Fünftens. Schließlich geht es um 100 Mann Spezialkräfte, die über polizeiähnliche Zugriffsmöglichkeiten im
so genannten Hit-and-Run-Verfahren verfügen und besonders geeignet sind, identifizierte mutmaßliche Täter
dingfest zu machen.
Zu diesen fünf Fähigkeiten nennt der Kabinettsbeschluss jeweils zahlenmäßige Obergrenzen, die sich auf
die genannten 3 900 Soldaten addieren.
Die Fachausschüsse werden alle Einzelheiten sorgfältig beraten. Aber schon jetzt kann man den Eindruck gewinnen, dass diese Zusammenstellung von zahlenmäßig
limitierten militärischen Fähigkeiten die Grenze des
Leistbaren und des Verantwortbaren nicht überschreitet.
({1})
Ich möchte aber betonen, dass für die SPD-Bundestagsfraktion einige Punkte in diesem Zusammenhang besonders wichtig sind. Wir finden es richtig und wichtig,
dass in Kapitel 7 hinsichtlich des Einsatzgebietes eine
eindeutige Eingrenzung des Operationsrahmens für die
deutschen Kräfte ausdrücklich festgelegt wird. Diese Eingrenzung heißt: Afghanistan oder Länder, bei denen eine
Zustimmung der Regierung vorliegt. Wir betonen diesen
Punkt deshalb so ausdrücklich, weil wir davon überzeugt
sind, dass der Kampf gegen den Terrorismus auf die große
politische Allianz, die sich gebildet hat, angewiesen ist.
Diese große politische Allianz ist gegenwärtig davon abhängig, dass der Kampf gegen den Terrorismus einen Täterbezug bewahrt. Die Spuren der Täter vom 11. September führen nun einmal nach Afghanistan und nirgends
anders hin.
Wichtig ist für uns auch die Frage, mit welcher Sicherheit wir ausschließen können, dass die bereitzustellenden
deutschen Kräfte nicht in Szenarien geraten können, in
denen das Geschehen von unserer Seite weder kontrolliert
noch gesteuert werden kann. Deswegen war für uns die
Aussage des Bundeskanzlers wichtig - er hat sie eben
noch einmal wiederholt und wir verlassen uns auf
sie -, dass es bei jedem Einsatz deutscher Kräfte bei einer
Entscheidung in deutscher Verantwortung und auch bei
einer deutschen Kommandoverfügung bleiben wird.
({2})
Schließlich weise ich auf einen dritten wichtigen Punkt
hin. Unsere Verfassung sieht vor, dass der Bundestag zu der
Entscheidung, welche und wie viele militärische Kräfte für
wie lange und für welche Zwecke bereitgestellt und eingesetzt werden, seine Zustimmung geben muss. Das Bundesverfassungsgericht hat uns aber auch klar gemacht, dass
Entscheidungen über die Modalitäten, die Umfänge und die
Dauer der Einzeleinsätze Sache der Exekutive sind.
Der Kabinettsbeschluss ersucht uns nun, die
Einzelentscheidungen für zwölf Monate in die Hand der
Bundesregierung zu legen. Es ist unbestreitbar vernünftig, Herr Kollege Merz, bei den Besonderheiten der
terroristischen Herausforderung einen solchen relativ langen Zeitraum vorzusehen, aber dieser Antrag enthält auch
ebenso unbestreitbar Elemente eines Vertrauensvorschusses. Herr Bundeskanzler, wir sind bereit zu diesem Vertrauen, aber wir bitten Sie zugleich - da unterscheidet sich meine Bitte von der von Herrn Merz - um
eine Rückzahlung in Raten, nämlich in Form regelmäßiger und detaillierter Informationen an den Deutschen
Bundestag über den Verlauf, die Ergebnisse und die Erfahrungen mit den deutschen Einsätzen im Kampf gegen
den weltweiten Terrorismus.
({3})
In diesem Punkt präzisiere ich diese Bitte sogar noch.
Das Kapitel 5 Einzusetzende Kräfte gibt Obergrenzen
für die einzelnen militärischen Fähigkeiten an, also beispielsweise 1 800 Mann Seestreitkräfte und 100 Mann
Spezialkräfte. Dann ist aber davon die Rede, dass es auch
unterhalb der Gesamtobergrenze je nach Einsatzerfordernis Abweichungen von den genannten Einzelgrößenordnungen geben kann. Im Extremfall könnte das eine Umkehrung dieser Kräfteverhältnisse bedeuten. Wir wissen
natürlich ganz genau, dass das praktisch gar nicht möglich
wäre. Es ist aber, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, der
Vorschlag der SPD-Bundestagsfraktion als ein Ergebnis
unserer gestrigen vielstündigen Beratungen, der Bundesverteidigungsminister solle bei signifikanten Abweichungen von diesen Einzelgrößenordnungen die Fachausschüsse informieren und sie kontinuierlich befassen,
natürlich nicht im Sinne konstitutiver Beschlüsse, sondern im Sinne einer fachlichen Begleitung.
({4})
Wir glauben, dass eine entsprechende Zusage von Ihnen,
so zu verfahren, die weitere Beratung des Kabinettsbeschlusses in den Ausschüssen erleichtern würde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stellen uns jetzt
der Aufgabe, eine verantwortbare deutsche militärische
Beteiligung im Kampf gegen den Terrorismus freizugeben. Wir wissen dabei sehr gut: Das militärische Vorgehen
ist notwendig, aber allein nicht hinreichend. Es muss zugleich ein politisches Gesamtkonzept geben.
({5})
In den letzten Wochen ist deutlich geworden: Im politischen Bereich hat die Bundesregierung gleich auf mehreren Feldern stark an Profil gewonnen. Das ist international anerkannt worden und das unterstützen wir hier
ausdrücklich. Kein einziges Land hat so schnell und energisch die Mittel für humanitäre Hilfe heraufgesetzt, von
16 auf 86 Millionen DM. Das wirkt sich auf die Versorgungslage vor Ort bereits aus.
({6})
Es gibt sonst kein so großes Engagement bei der Frage der
politischen Perspektiven in dieser Region und für Afghanistan. Bei dem so genannten Post-Taliban-Prozess und
bei der Nahostpolitik schauen heute doch wirklich viele
auf Europa und auf Deutschland, wenn es darum geht, die
Friedensverhandlungen endlich wieder aufzunehmen.
Herr Außenminister, wir unterstützen voll Ihren Einsatz und Ihre Vermittlungsversuche, die darauf abzielen,
diesen Friedensprozess wieder aufzunehmen.
({7})
Aber eines muss klar bleiben und das sollte uns auch bei
dem folgenden Beratungsprozess begleiten: Wer weiterhin will, dass die Bundesregierung in diesem politischen
Bereich gestaltend etwas beiträgt, der kann nicht eine Arbeitsteilung zwischen risikolosen und risikobehafteten
Aufgaben wollen, sondern der muss auch einen risikoreichen militärischen Beitrag der Bundesrepublik Deutschland unterstützen. Unsere Freunde und Alliierten werden
eine solche Arbeitsteilung, bei der wir das politisch Konzeptionelle, das Populäre, das Risikolose und alles andere
die anderen machen, nicht akzeptieren. Das ist auch der
Grund, weshalb schon jetzt 14 verschiedene Länder in Europa und jenseits des Atlantiks entweder militärische Zusagen gemacht oder sie in Aussicht gestellt haben: weil
eine solche Arbeitsteilung nicht geht.
({8})
Wenn wir jetzt darangehen, die Zusagen, die wir gemacht haben, auch einzulösen, dann machen wir uns
keine Illusionen. Wir alle gehen, was die Reaktionen der
Menschen in unseren Wahlkreisen anbelangt, schweren
Tagen und schwierigen Diskussionen entgegen. Die öffentliche Meinung ist gespalten. Die Verunsicherung rührt
auch daher, dass es bei der Planung und Durchführung der
militärischen Operationen in Afghanistan offensichtlich
eine Reihe von Fehleinschätzungen und einige zum Teil
tragische Fehlentwicklungen gab. Es war übrigens Amerika selbst, wo eine öffentliche kritische Diskussion darüber begonnen wurde.
Die Unterteilung - auch da unterscheide ich mich von
Herrn Merz - in Friedensengel auf der einen Seite und
Kriegstreiber auf der anderen Seite
({9})
hat niemand gemacht und sie ist auch völlig unsinnig.
({10})
Wir müssen uns alle, Herr Merz, den kritischen Fragen
und Positionen von Bürgern,
({11})
von Menschenrechtsorganisationen, von Kirchen und
Verbänden offen und zur Argumentation bereit stellen und
uns mit ihnen auseinander setzen. Dazu gehört auch ein
eigenes Risiko für uns als gewählte Abgeordnete. Aber
- darauf möchte ich besonders hinweisen - wie wir das
machen, wie überzeugend und wie entschlossen wir das
tun, das wird auch von außen sehr genau beobachtet, ganz
besonders in den arabischen und islamisch geprägten
Ländern, deren gemäßigte Regierungen ein unvergleichlich höheres Risiko eingegangen sind, als sie sich in dieser herausfordernden Situation an die Seite von Amerika
und in diese große Allianz gestellt haben, und die dabei
bleiben, auch wenn sie täglich mit gewaltsamen Demonstrationen fanatisierter Gegner konfrontiert werden.
({12})
Wir sind darauf angewiesen, dass sie bei dieser Linie bleiben. Aber das heißt, wenn wir ihnen helfen wollen, müssen auch wir bei unserer Linie bleiben. Aufmunternde
Worte allein reichen nicht.
Ich meine, dass wir für die kommenden schwierigen
Beratungen noch eine Klarheit mitnehmen sollten. Wir
alle sind auch und nicht zuletzt dafür gewählt worden, den
Menschen Sicherheit zu geben. Nach dem 11. September
müssen wir dafür zusätzliche Anstrengungen erbringen.
Nicht zufällig werden in diesem Haus parallel, praktisch
gleichzeitig, Antiterrorpakete zur inneren Sicherheit und,
wie heute, Maßnahmen zur äußeren Sicherheit beraten,
also defensive und offensive Schutzmaßnahmen. Wer die
Verantwortung für die offensiven Maßnahmen, also den
militärischen Druck gegen die Netze des Terrors und ihre
Beschützer, nicht übernehmen will, der muss automatisch
mehr im Inneren tun,
({13})
also noch mehr die Freiheitsrechte einer offenen demokratischen Gesellschaft einschränken, um mehr passiven
Schutz zu schaffen.
({14})
Das ist ein wichtiges Argument bei der Diskussion
darüber, ob der Antrag der Bundesregierung auf die Bereitstellung und den Einsatz zahlenmäßig begrenzter militärischer Kräfte mit einem verantwortbaren Aufgabenradius unsere Zustimmung verdient oder nicht. Wir
stellen uns auch in diesem Punkt unserer Verantwortung.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Guido Westerwelle, FDP-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung auf die
Erklärung des Deutschen Bundestages vom 19. September Bezug genommen. Ebenso hat der Kollege Merz seine
Rede begonnen. Ich möchte darauf aufmerksam machen,
dass in dieser Regierungserklärung unter Bezugnahme
auf die Entscheidung des Deutschen Bundestages die
Rede von der uneingeschränkten Solidarität mit den Vereinigten Staaten und davon ist, dass konkrete Maßnahmen
des Beistands folgen werden.
Wir Freien Demokraten haben dieser Erklärung hier im
Deutschen Bundestag am 19. September einstimmig
zugestimmt. Wir wussten damals um die Konsequenz dieser Entscheidung und wir wissen auch heute darum.
Man sollte mit den folgenden Worten vorsichtig sein.
Aber ich glaube, dass die Bezeichnung Zäsur, vielleicht
sogar historische Zäsur, für unsere Außen- und Sicherheitspolitik an dieser Stelle zutrifft. Deswegen sollte sich
jeder - gleich, ob er auf der Oppositionsseite oder auf der
Regierungsseite ist - der besonderen Verantwortung in dieser Stunde und auch in der nächsten Woche bewusst sein.
({0})
Danach wird sich die Außen- und Sicherheitspolitik
Deutschlands verändert haben.
Wir haben einen gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus zu führen. Dabei gibt es keine Neutralität. Es
wird in Diskussionen gelegentlich so getan, als könne es
bei der Bekämpfung von Terror eine neutrale Position der
Deutschen geben. Wir Deutschen sind bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus nicht neutral. Das
sind wir auch und gerade deshalb nicht, weil wir selber
von diesem internationalen Terrorismus bedroht sind.
({1})
Die Menschen der zivilisierten Welt, egal, welcher Religion sie angehören, müssen diesen Kampf gemeinsam
führen; denn sie sind alle bedroht. Mir liegt daran, dies im
Hinblick auf manche Diskussion, die zurzeit feuilletonistisch in Deutschland geführt wird, klarzustellen. Das ist
kein Kampf von Glauben gegen Glauben. Das ist kein
Kampf von Christen gegen Moslems. Das ist übrigens
auch kein Kampf des Westens gegen Afghanistan. Es ist
der selbstverteidigende Kampf des Rechts gegen das Unrecht des Terrors.
({2})
Wir alle haben jetzt in der Tat schwierige Diskussionen
vor uns, Herr Kollege Erler. Aber ich kann uns allen nur
eine Empfehlung geben, wenn ich mir das an dieser Stelle
erlauben darf: Stimmungen muss man sehr ernst nehmen,
auch wenn sie in unseren Wahlkreisen und in unserer Bevölkerung manchmal heftig ausschlagen. Aber letzten Endes erwarte ich ganz persönlich, dass sich kein Abgeordneter des Deutschen Bundestages in dieser Frage zum
Resonanzboden von Stimmungen macht, sondern dass er
diese Entscheidung aus sich selbst heraus verantwortungsbewusst und mit Festigkeit trifft.
({3})
Wenn wir in dieser Frage nur das Echo von Stimmungen wären, dann würden wir vielleicht auf Parteitagen
oder da oder dort von irgendwelchen Gruppen begeistert
gefeiert werden, aber wir würden unserer Verantwortung
nicht gerecht.
Ich möchte Ihnen an dieser Stelle eines sagen, weil Sie
an den Herrn Kollegen Merz auch kritische Worte gerichtet haben. Ich meine, mit Verlaub gesagt, dass die Bemerkungen des Herrn Kollegen Merz völlig zutreffend sind.
({4})
Das gilt insbesondere für die Bemerkung hinsichtlich der
Arbeitsteilung der Regierenden. Ich sage Ihnen das auch
deshalb, weil sich in der gesamten Diskussion bisher kein
Regierungsmitglied, kein Vertreter der Koalitionsfraktionen darüber beklagen konnte, dass die Opposition
- gleich, welche Fraktion man betrachtet - ihrer staatspolitischen Verantwortung nicht gerecht geworden wäre.
Es ist doch in Wahrheit so: Der Bundeskanzler muss sich
in der Außen- und Sicherheitspolitik gelegentlich auf die
Opposition mehr verlassen, als er sich auf die eigenen
Leute verlassen kann.
({5})
Wenn Sie Herrn Kollegen Merz hier jetzt kleinkarierte
Kritik unterstellen, dann möchte ich Ihnen sagen: Ich habe
mir in der Diskussion in den letzten beiden Tagen, auch
nach den Unterrichtungen im Bundeskanzleramt, bei Ihnen, Herr Bundeskanzler, einmal vorgestellt, was jetzt in
Deutschland eigentlich los wäre, wenn die alte Koalition
noch die Regierungsverantwortung hätte.
({6})
Die halbe Bundesregierung müsste man vor Bundeswehrkasernen von Sitzblockaden wegtragen.
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Sie heute lernen
müssen, dass man Frieden und Freiheit nicht mit Sitzblockaden sichert.
({7})
Es kommt jetzt darauf an, dass wir eine wehrhafte Demokratie sind. So wie wir nach innen wehrhaft sein müssen,
müssen wir auch nach außen wehrhaft sein, sonst legen
wir die Axt an die Wurzel unseres Gemeinwesens.
({8})
Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten unterstützen den Kurs einer wehrhaften Demokratie und es
ist dabei aus unserer Sicht völlig klar, dass die Deutschen
hier mehr Verantwortung übernehmen müssen als in Form
von finanziellen Leistungen. Aber gerade weil die Opposition hier diese Verantwortung wahrnimmt, will ich an
dieser Stelle doch noch auf einige Dinge hinweisen.
Die Tatsache, Herr Bundeskanzler, dass Sie in der Unterrichtung im Bundeskanzleramt und anschließend vor
der Presse sagen, es habe fünf konkrete Anforderungen
der Vereinigten Staaten gegeben, und der amerikanische
Verteidigungsminister dem noch am selben Tag expressis
verbis widersprochen hat, ist an sich schon bedenklich genug. Aber dass gestern der deutsche Verteidigungsminister behauptet, es gebe sogar eine schriftliche Anforderung
der Vereinigten Staaten, im Fernsehen auch noch ein Brief
gezeigt wird und Sie rufen: Das stimmt! dazu kann ich
Ihnen nur sagen: Herr Bundesverteidigungsminister,
wenn es diese schriftliche Anforderung gibt, wie Sie es
gesagt haben, dann möchte ich als Abgeordneter diese
schriftliche Anforderung sehen, hier in diesem Hohen
Hause. Denn die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee.
({9})
Es kann nicht in Ordnung sein, dass auf diese Art und
Weise mit Nebel Politik gemacht wird, um die Eigenen
ruhig zu stellen. Das ist nicht vernünftig und das können
wir nicht akzeptieren.
Ich will eine zweite Sache anmerken, die wir in der
nächsten Woche und in den Beratungen sicherlich noch
weiter diskutieren werden. Das ist nämlich die Frage, wer
jetzt eigentlich handelt. Ich finde es gut, Herr Bundeskanzler, dass Sie darauf hingewiesen haben, dass für
Deutschland die nationale Endentscheidung bestehen
bleibt. Aber die Frage ist, wenn man bündnispolitisch einen Schritt weiter denkt, schon berechtigt: Das Bündnis
hat den Bündnisfall ausgerufen, wer aber handelt jetzt?
Handelt das Bündnis? Handeln die Amerikaner? Handeln
die 14 Staaten, von denen im Augenblick die Rede ist?
Handeln wir Deutsche? Die bündnispolitische Qualität
dieses Vorgangs ist in meinen Augen noch nicht reflektiert
und das wird in den Ausschüssen eine wichtige Aufgabe
der nächsten Woche sein.
({10})
Zu dem Zweiten, das Sie gesagt haben. Herr Bundeskanzler, Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie am Sonntagabend einen so genannten kleinen Gipfel gehabt haben.
Sie haben so ein wenig darauf hingewiesen, als sollte das
noch Anerkennung finden. Ich möchte Ihnen aus meiner
Sicht sagen: Gerade weil wir bereit sind, Ihre Außen- und
Sicherheitspolitik zu unterstützen, müssen diese kritischen Anmerkungen erlaubt sein. Ich stelle mir schon die
Frage: Soll das die neue Qualität der Außenpolitik
Europas werden, dass wir künftig in kleinen Zirkeln in
Wahrheit Europa entmachten?
({11})
Nein, das ist nicht das, was wir uns an europäischer Politik auch in diesen Fragen vorgestellt haben. Aus unserer
Sicht ist das nicht sinnvoll.
Eine letzte Bemerkung, weil wir die abschließende Debatte in der nächsten Woche führen werden und heute der
entsprechende Antrag nur eingebracht wird. Ich möchte
Sie bitten, Herr Bundeskanzler, die Frage der Befristung
wirklich noch einmal zu überdenken. Wir haben die derzeit laufende Mazedonienentscheidung zu Recht auf drei
Monate begrenzt, um anschließend neu zu bewerten und
zu entscheiden. Deswegen frage ich mich, warum wir eine
zwölfmonatige Grenze setzen. Frau Kollegin Merkel und
Herr Kollege Stoiber haben gestern ebenfalls darauf hingewiesen. Ich sage Ihnen aus meiner Sicht: Wenn wir eine
Parlamentsarmee haben wollen, wenn sich das Parlament
insgesamt für die Bundeswehr verantwortlich fühlen will,
dann sollte nach meiner Überzeugung das Parlament in
dieser Woche nicht quasi einmal nicken, einmal entscheiden, und dann in einem Jahr, vielleicht nach der Bundestagswahl, noch einmal gefragt werden. Dann sollte hier
diese wichtige, vielleicht sogar historische Entscheidung
immer wieder zur Diskussion stehen. Das mag Ihnen innenpolitisch manches Bauchgrimmen bescheren. Dem
können Sie sich aber nicht entziehen. Wir müssen hier in
kürzeren Fristen zusammenkommen, um den Erfolg und
die Akzeptanz dieser Entscheidung, die wir mit zu treffen
bereit sind, zu diskutieren.
({12})
Ich erteile Bundesminister Joseph Fischer das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler und die Vorredner haben darauf hingewiesen, dass
es sich bei der jetzt anstehenden Entscheidung um eine
der schwierigsten und auch schwerwiegendsten Entscheidungen des Deutschen Bundestages, der Bundesrepublik
Deutschland in der Außen- und Sicherheitspolitik handeln
wird. Diese schwierige und schwerwiegende Entscheidung wirft selbstverständlich die Frage auf, ob es nicht
gangbare, verantwortbare Alternativen dazu gibt.
Es ist eine Entscheidung, die auf die Frage gründet:
Krieg oder Frieden? Es ist d i e zentrale Entscheidung.
Deutschland tut sich vor dem Hintergrund unserer eigenen
Geschichte besonders schwer. Nicht umsonst ist die Menschenwürde in Art. 1 des Grundgesetzes als unantastbar
gesetzt worden: aufgrund der Erfahrungen mit Kriegen
und furchtbarer, blutiger Diktatur. Diese Erfahrung sitzt,
quer durch alle Generationen und quer durch alle politischen Lager, sehr tief; wir haben das im Zusammenhang
mit dem Kosovo-Krieg alle gespürt und erlebt. Der Krieg
in diesem Land hat furchtbare Verheerung mit sich gebracht; an diesem Gebäude kann man es sehen. Aber vor
dem Krieg war die Unterdrückung, war die Diktatur,
wurde die Menschenwürde mit Füßen getreten. Das führte
zur Zerstörung Deutschlands und auch dieses Gebäudes.
Insofern haben wir eine Verantwortung, die sich nicht
nur auf dem Imperativ gründen kann, alles zu tun, um Gewalt zu vermeiden. Vielmehr müssen wir der Gewalt dort
entgegentreten, wo sie die elementarsten Grundsätze
friedlichen Zusammenlebens gefährdet.
({0})
Krieg ist widerwärtig. Es gibt keinen klinisch sauberen
Krieg. Zum Wesen des Krieges gehört es vor allen Dingen, dass es auch unschuldige Opfer gibt. Oft werden, wie
wir wissen, die Ungerechten zuletzt getroffen; es werden
viele Gerechte getroffen. Angesichts der Tragweite der
Entscheidung, vor der wir stehen, verstehe ich insofern all
die Skrupel, verstehe ich auch die Emotionen. Aber ich
möchte an diesem Punkt nochmals darauf hinweisen - das
habe ich bei meinen jüngsten Reisen, auch in vielen Gesprächen, wiederholt erfahren -: Nicht Amerika hat angegriffen. Es ist Amerika, es ist das amerikanische Volk,
das angegriffen wurde, und zwar nicht zum ersten Mal.
({1})
Am 11. September wurde das Furchtbare, das schon
1993 geplant war - nämlich mit einem mörderischen Attentat den Nordturm des World Trade Center auf den Südturm stürzen zu lassen -, Wirklichkeit. Auf diese versuchten Attentate haben die USA damals nicht militärisch
reagiert. In den USA wird jetzt eine Debatte darüber geführt, ob das nicht ein Fehler war. Man hat polizeilich reagiert, man hat ermittelt, man hat die Beteiligten festgenommen, vor Gericht gestellt und rechtsstaatlich
verurteilt. Das alles hat den 11. September nicht verhindert.
Niemand, meine Damen und Herren, führt Krieg gegen
Afghanistan. Und so furchtbar es ist: Es gibt so etwas wie
eine pazifistische realpolitische Konsequenz. Wir können
nicht überall humanitär intervenieren, das Elend zwar sehen, unser Bestes mit endlichen Mitteln versuchen - aber
nicht allerorts etwas dagegen tun.
Dieselben Kräfte haben in Ägypten zugeschlagen. Dieselben Kräfte haben in Algerien im vergangenen Jahrzehnt ein Desaster verursacht, das bis zu 100 000 bzw.
150 000 Toten führte. Wir sind betroffen; ich meine das
mit tiefem Ernst. Aber wir können nicht überall eingreifen. Auch das himmelschreiende Unrecht in Afghanistan
ist nicht der hinreichende Grund für die Abwägung aller
Möglichkeiten, sondern die Tatsache, dass seit dem
11. September von Afghanistan in Verbindung mit
al-Qaida und Bin Laden eine Gefahr für den Weltfrieden
und damit auch für uns ausgeht.
({2})
Dies hat und muss Konsequenzen haben; wir müssen jetzt
eingreifen. Ich sage das besonders vor dem Hintergrund
der Grundüberzeugung meiner Partei und meiner Fraktion, die gerade aus der Forderung Nie wieder Krieg!
hervorgegangen ist.
Herr Westerwelle, es geht hier - das haben auch Sie gesagt; ich weiß, dass wir hier die gleiche Position haben um die elementaren Grundwerte unserer Demokratie.
Aber dazu gehört eben auch, dass es immer wieder junge
Menschen geben wird, die das Recht auf Sitzblockaden
wahrnehmen wollen. Das ist auch gut so; das ist richtig so.
({3})
Ich rufe hier nicht zu Sitzblockaden auf, auch wenn ich
mir nicht sicher bin, Herr Glos, ob Sie Ihre Kandidatenfrage in der CDU/CSU am Ende nicht noch mit Sitzblockaden entscheiden werden.
({4})
Aber das ist eine völlig andere Frage.
({5})
Ich rufe hier nicht zu Sitzblockaden auf. Vielmehr
stelle ich fest: Zum Wesen einer offenen Gesellschaft, einer Demokratie gehört es auch, dass junge Menschen
Sitzblockaden machen.
({6})
Man wird mit ihnen diskutieren und ihnen entgegentreten.
({7})
Da, wo sie das Recht übertreten, wird das Recht durchgesetzt werden.
Meine Damen und Herren, welches Verständnis von
Demokratie haben Sie eigentlich, wenn Sie schon bei einer solch einfachen Aussage hier im Plenum einen derartigen Aufstand machen?
({8})
Zurück zur Sache. Die entscheidenden Konsequenzen,
die wir aus dem 11. September ziehen müssen, beruhen
auf der Grundlage der Sicherheitsratsresolutionen der
Vereinten Nationen.
({9})
In den Sicherheitsratsresolutionen 1368 und 1373 wird
klar gemacht, dass es hier um eine Gefahr für den Weltfrieden geht, dass wir in der Tat alles tun müssen, um dem
derzeit bestehenden terroristischen Netzwerk das Handwerk zu legen und all denen, die angegriffen werden,
Beistand zu leisten. Das wurde durch Ausrufen des Bündnisfalles gemäß Art. 5 des NATO-Vertrages deutlich
gemacht; der Bundeskanzler hat darauf hingewiesen.
Die entscheidende Frage - das ist die Kernfrage -, vor
der wir stehen und um deren Beantwortung wir uns nicht
drücken können, ist - man mag viel über die Strategie, die
die USA eingeschlagen haben, diskutieren und sie meinetwegen auch kritisieren; die USA tun das selbst -: Können wir in dieser Situation, in der die Bevölkerung und die
Regierung der Vereinigten Staaten angegriffen wurden,
unseren wichtigsten Bündnispartner, der auf diesen Angriff antwortet und sich gegen diesen Angriff auf klarer
völkerrechtlicher Grundlage zur Wehr setzt, allein lassen,
ja oder nein? Diese Entscheidung hat dieses Haus zu treffen.
({10})
Wenn diese Entscheidung mit Nein beantwortet wird,
wird das weitreichende Konsequenzen für die Bundesrepublik Deutschland, für deren Sicherheit und deren Bündnisfähigkeit haben.
({11})
Ich füge hinzu: Dies wird weitreichende Konsequenzen
auch für die weitere Entwicklung Europas haben. Denn
alle unsere Partner in Europa führen die gleiche innenpoBundesminister Joseph Fischer
litische Diskussion. Alle - eingeschlossen Großbritannien - haben die gleiche innenpolitische Stimmung. Aber
alle wichtigen Partner kommen zu der Konsequenz, dass
es für sie, für Europa und für unsere gemeinsame Sicherheit ein fataler Fehler wäre, wenn wir die USA alleine
ließen.
({12})
Deswegen werden wir uns jetzt dieser Frage zuwenden
müssen. Auch an diesem Punkt geht es nicht darum, irgendein Ziel auszusuchen, sondern es ist für mich eindeutig, wer die Haftung für die Anschläge vom 11. September dieses Jahres zu übernehmen hat. Er hat sie
übernommen. Es ist eindeutig, dass das Talibanregime
nicht nur die eigene Bevölkerung unterdrückt, sondern
dass das Talibanregime Osama Bin Laden und sein Netzwerk aktiv unterstützt und ihm Rückzugsmöglichkeiten
bietet.
An dieser Erkenntnis führt kein Weg vorbei. Wir meinen es ernst damit, dass es sich hier um eine Gefahr für
den Weltfrieden handelt. Ich bin der festen Überzeugung:
Wenn wir nichts tun, werden weitere Aktionen folgen. Es
wird nicht so sein, dass Zuwarten irgendetwas positiv verändern wird. Auch wenn wir uns in anderen Bereichen politisch und humanitär engagieren, wird es nicht so sein,
dass irgendetwas anders werden wird. Wir werden mit
dieser Herausforderung fertig werden müssen. Das ist die
ganze bittere Wahrheit.
Dazu wird gehören, dass man die Rückzugsgebiete
dieses terroristischen Netzwerkes nicht mehr akzeptiert,
dass man dort die notwendigen militärischen Maßnahmen
ergreift und im Rahmen der Verhältnismäßigkeit, basierend auf den Grundwerten, für die wir einstehen, alles tut,
damit dieses Netzwerk zerschlagen und zerstört wird und
nicht weiter das Leben unschuldiger Menschen gefährden
kann.
({13})
In diesem Zusammenhang hat der Bundeskanzler ein
Gesamtkonzept vorgestellt. Besonderes Augenmerk verdient eine große internationale Anstrengung. Ich werde in
New York nochmals mit allem Nachdruck in der Rede vor
der Generalversammlung der Vereinten Nationen und
in den vielen Gesprächen, die dort zu führen sind, ansprechen, dass wir eine große humanitäre Anstrengung für das
afghanische Volk in seiner Bedrängnis leisten und dass
wir eine politische Lösung - dabei werden die kommenden Gespräche in den vor uns liegenden Tagen in New
York eine zentrale Rolle spielen - voranbringen.
({14})
Mit diesem Krieg, der schon 22 Jahre andauert, muss
Schluss sein. Das afghanische Volk braucht eine Perspektive zum Wiederaufbau in Frieden. Es darf nicht mehr hingenommen werden, dass in diesem Land die höchste
Sterblichkeitsrate bei Neugeborenen weltweit herrscht,
dass dieses Land eine dauerhafte Katastrophe für die
Menschen darstellt, in dem Interessen von regionalen
Mächten und Kriegsherren sowie die Unterdrückung
durch die Taliban dazu geführt haben, dass dieses Volk
seit 22 Jahren keine Perspektive hat.
Auch dem müssen wir uns verpflichtet fühlen, wenn
wir uns entscheiden, gemeinsam mit unseren Partnern militärisch einzugreifen. Ich denke, diese politische Perspektive ist gemeinsam mit der humanitären Unterstützung von zentraler Bedeutung.
({15})
Lassen Sie mich an diesem Punkt etwas ansprechen:
die Lösung der Regionalkonflikte. Ich will es anders formulieren: Ich halte es für ziemlich verantwortungslos,
wenn behauptet wird, der Nahostkonflikt sei die Ursache
für Bin Laden und Israel trage an der Entwicklung des islamistischen Terrorismus Schuld. Ich halte dies für eine
verantwortungslose These, weil Israel an der Invasion der
Sowjetunion in Afghanistan nicht schuld gewesen ist. Israel ist am Kaschmir-Konflikt nicht schuld. Israel ist an
den innenpolitischen Problemen auf der arabischen Halbinsel und in anderen Staaten nicht schuld. Israel ist an der
Katastrophe von Algerien nicht schuld. All das muss man
wissen. Auch muss man wissen, Herr Westerwelle, dass
Israel seit seiner Gründung in der arabischen Welt instrumentalisiert wird.
({16})
Kollege Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bonitz?
Nein, ich möchte mit meinen Ausführungen zum Ende
kommen.
Dies möchte ich eindeutig klarstellen. Wir sollten all
jenen, die in der Öffentlichkeit etwas anderes behaupten,
entgegentreten. Der Bundeskanzler hat zu Recht gesagt:
Wenn wir morgen den Nahostkonflikt gelöst hätten, wäre
das Problem des islamistischen Terrorismus mitnichten
gelöst. - Dennoch ist es sehr wichtig, dass wir die Regionalkonflikte lösen. Das ist der entscheidende Punkt. Wir
müssen im Nahostprozess vorankommen. Wir setzen darauf, dass unsere amerikanischen Partner im Rahmen dieser Antiterrorkoalition erneut die Führung übernehmen,
und zwar auf der Grundlage gemeinsamer Positionen.
Diese Chance zur Zusammenarbeit mit Europa, mit Russland und dem VN-Generalsekretär hat es noch nie gegeben. Das sehen wir als einen ganz entscheidenden Punkt
an.
({0})
Wir diskutieren hier über die Frage von Krieg und Frieden. Die Angriffe des islamistischen Terrorismus auf New
York und Washington waren kalte Berechnung. Der
Tod Tausender Menschen wurde kalt berechnend in Kauf
genommen, um einen großen Konflikt in der islamischarabischen Welt, im Nahen und Mittleren Osten, auszulösen. Weitere Anschläge werden folgen, wenn wir sie
nicht verhindern können, wenn wir den Terroristen nicht
das Handwerk legen. Europa ist ein Nachbar dieser Region. Zu meinen, dass wir zuwarten könnten, ist ein
großer Irrtum; denn wenn die Terroristen erfolgreich
wären, dann würden wir in einem Maße mit der Frage von
Krieg und Frieden konfrontiert werden, wie es sich die
meisten Menschen - Gott sei Dank - heute noch nicht einmal träumen lassen.
Wir sind an dieser Konfliktregion zu nah dran, als dass
wir uns der Illusion hingeben könnten, wir könnten uns
heraushalten. Der Einsatz von Gewalt ist die Ultima Ratio und muss immer die Ultima Ratio bleiben. Aber wenn
man mit Gewalt konfrontiert wird und weiß, dass sie hinter der nächsten Ecke lauert, dann wird man sich gegen sie
wehren müssen. Aber dabei dürfen wir, wie gesagt, nie
vergessen, dass der Einsatz von Gewalt die Ultima Ratio
ist. Wir dürfen vor allen Dingen auch nicht vergessen,
dass die Probleme in dieser Region politisch und humanitär gelöst werden müssen; denn im Kern sind sie politische Probleme.
({1})
Wenn wir uns etwas vorzuwerfen haben, dann ist es die
Tatsache, dass wir im vergangenen Jahrzehnt die Illusion
hatten, eine Friedensdividende einnehmen zu können,
ohne Investitionen in den Frieden vorzunehmen.
({2})
- Nein, ich möchte Ihnen erklären, woran das liegt - ich
hoffe, Sie wollen jetzt nicht eine Debatte führen, die an
diesem Punkt unangebracht wäre -: Der Rückzug der Ersten Welt in den Unilateralismus - die USA haben ihn
Schritt für Schritt vollzogen - ist durch die Anschläge
vom 11. September unterbrochen worden. Für mich ist
eine der Lektionen des 11. Septembers, dass die USA
nicht wieder in den Unilateralismus zurückgestoßen werden dürfen. Wer das nicht einsieht, der verkennt, dass die
USA gemeinsam mit Europa eine große Chance haben,
Konflikte zu lösen, und der begreift nicht, dass Friedenspolitik im 21. Jahrhundert vor allen Dingen multilaterale
Verantwortungspolitik bedeutet, dass wir nie wieder einen Rückzug der reichen Welt zulassen dürfen - wenn
man vor der Entscheidung steht, ob man militärisch handeln soll oder nicht, ist es meistens schon zu spät -, dass
wir uns vielmehr im Rahmen einer präventiven Friedenspolitik mit der Lösung der Probleme der Dritten Welt, insbesondere in Asien und Afrika, beschäftigen müssen - ich
betone: präventiv, nicht militärisch - und dass die Länder
der reichen Welt das gemeinsam tun müssen.
({3})
Wir müssen die Vereinten Nationen deshalb stärken.
Sie werden in Afghanistan eine bedeutende Rolle spielen.
Ich behaupte, die Debatte über die Reform der Vereinten
Nationen beginnt jetzt erst. Auch hier haben wir im Rahmen unserer Entscheidungsbefugnisse Verantwortung zu
übernehmen. Die Entscheidung Deutschland nimmt
nicht teil würde auch eine Schwächung Europas bedeuten und würde letztendlich bedeuten, dass wir keinen Einfluss auf die Gestaltung einer multilateralen Verantwortungspolitik hätten. Genau darum wird es in den
kommenden Jahren gehen.
Ich bedanke mich.
({4})
Ich erteile dem Kollegen Roland Claus, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der amerikanische Professor
David Fromkin hat - man höre und staune - bereits vor
24 Jahren gesagt:
Es ist die Strategie der Terroristen, ihr Ziel nicht
durch ihre Handlungen, sondern durch die Reaktionen darauf zu erreichen.
Ich denke, mit dieser Überlegung sind wir auch heute konfrontiert, wenn wir uns die Frage stellen: Vereiteln Bomben auf Afghanistan die Ziele der Terroristen oder bedienen sie deren wahnsinnige Logik nur?
({0})
Nach vier Wochen Krieg gegen Afghanistan stellt sich
die Frage nach der Bilanz. Keines der selbst gesteckten
Ziele ist bisher erreicht worden: Die Sicherheit in den Vereinigten Staaten und in Europa hat sich für die Bürgerinnen und Bürger nicht spürbar erhöht. Die internationalen
terroristischen Strukturen sind nicht beseitigt. Das
Talibanregime regiert weiter. Die Antiterrorkoalition
bröckelt. Des Weiteren droht eine Destabilisierung im arabischen und zentralasiatischen Raum. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur auf die gefährliche Situation in
Kaschmir hinweisen.
Der PDS ist in diesen schwierigen Tagen häufig unterstellt worden, sie suche nur nach einfachen Antworten.
Das Gegenteil ist der Fall. Wir tun uns im Ringen um
diese Antworten ebenso schwer wie Sie. Ich will Ihnen
aber eines sagen: Auch wer wie wir zugibt, nicht alles zu
wissen, muss nicht zwingend einen falschen Weg mitgehen.
({1})
Herr Bundeskanzler, das hat überhaupt nichts damit zu
tun, dass wir die Ereignisse des 11. September verdrängen
wollten. Das ist nicht der Fall.
In dieser schwierigen Situation sagen wir: Wir wissen,
dass Krieg das falsche Mittel im Kampf gegen den Terrorismus ist.
({2})
Krieg vermehrt die terroristische Gefahr, er schränkt sie
nicht ein. Der Kampf gegen den Terrorismus ist zu gewinnen, ein Krieg aber nie.
({3})
Weil wir gegen den Krieg als Mittel gegen den Terrorismus sind, sagen wir auch Nein zur deutschen Kriegsbeteiligung.
({4})
Wir finden, dass die deutsche Beteiligung die Situation
verschlimmert. Wir haben uns immer für die Wahrnehmung der diplomatischen politischen Mission des Bundesaußenministers ausgesprochen; man kann das nachlesen. Aber die Spielräume, die Deutschland bislang hatte,
sind mit dem Eintritt in die Kriegshandlungen dahin.
Herr Bundeskanzler, Sie haben noch vor kurzem gesagt:
Risiko ja, Abenteuer nein. Wir fürchten, das ist nun hinfällig. Wir fürchten, dass jetzt ein militärisches Abenteuer beginnt, und zwar schon deshalb, weil Sie die relativ einfache
Frage nicht beantworten können: Was muss geschehen, damit deutsche Soldaten zurückkehren? In welcher Situation,
Herr Bundeskanzler, befinden wir uns: Bündnisfall, Beistandsfall oder Kriegszustand? Sagen Sie das den Menschen in Deutschland. Sie haben ein Recht darauf.
({5})
Ich will zu dem Antrag kommen. Es gab heute weiterhin Irritationen darüber, auf welche Weise es zu dieser
Anforderung kam. Ich will Ihnen etwas sagen, was Sie
vielleicht nicht erwarten: Nach dem, was mir bekannt ist,
hat der Bundeskanzler über das Zustandekommen dieser
Anforderung korrekt informiert. Diese Tatsache ist von
Oppositionskollegen in Zweifel gezogen worden. Herr
Bundeskanzler, ich stelle die einfache Frage: Wenn es solche anhaltenden Irritationen gibt, warum haben Sie dann
nicht die Möglichkeit genutzt, vor dem Bundestag das
konkrete Zustandekommen dieser Anforderungen - möglichst unter Zuhilfenahme von Schriftstücken - klarzustellen? Das wäre durchaus möglich gewesen. In diesem
Zusammenhang hätten Sie nicht die Kronzeugenschaft
der PDS gebraucht.
({6})
Der Antrag wirft gewaltige Fragen auf: Was bedeuten die
riesigen Einsatzgebiete, über die schon geredet wurde?
Was heißt geltende Einsatzregeln für militärische Gewalt? Wie kommen Spürpanzer zum Einsatz, wenn
Deutschland nicht am Boden agieren will? Können Panzer fliegen?
({7})
Sie setzen ausschließlich auf die Nordallianz. Die
Nordallianz mag in der Lage sein, gegen die Taliban das
eine oder andere Gefecht zu gewinnen. Die Schlacht oder
den Kampf gegen den Terrorismus kann die Nordallianz
nicht erfolgreich bestreiten.
({8})
Es darf nicht vergessen werden, dass die Nordallianz und
die Taliban zusammen seinerzeit mit über 6 Milliarden
Dollar für den Kampf gegen die Sowjets aufgerüstet wurden.
Herr Bundeskanzler, Sie haben völlig zu Recht das
nicht hinzunehmende Elend von Frauen in Afghanistan
angesprochen. In diesem Punkt von der Nordallianz irgendetwas an Verbesserung zu erwarten ist doch eine
glatte Illusion.
({9})
Ich möchte Sie - vor allem diejenigen Kolleginnen und
Kollegen, die beabsichtigen, dem vorliegenden Antrag
zuzustimmen - bitten: Lassen Sie nicht zu, dass erneut ein
Vorratsbeschluss gefasst wird. Der Antrag, mit dem wir es
zu tun haben, ist eine Art Freibrief.
({10})
Im Text ist sogar das Wort Ermächtigung enthalten.
Lassen wir nicht zu, dass die Souveränität des Parlaments
eingeschränkt wird. Lassen wir auch nicht zu, dass mit
kritischen Stimmen in dieser gesellschaftlichen Situation
vonseiten der Regierungskoalition und vonseiten des
Bundeskanzlers weiter so umgegangen wird wie bisher.
({11})
Herr Bundeskanzler, der Maulkorb, den Sie der IG
Metall verpasst haben, gehört genau zu der von mir kritisierten Position. In diesem Zusammenhang will ich an eines erinnern: Bundeskanzler Kohl hat so manchen Strauß
mit den Gewerkschaften ausgefochten, aber den Gewerkschaften das Recht auf Friedenspolitik abzusprechen ist
ein Novum, das erst unter Rot-Grün eingeführt worden
ist, und das wollen wir so nicht hinnehmen.
({12})
- Das ist leider kein Blödsinn.
({13})
Ich wünschte mir, es wäre Blödsinn, Herr Kollege.
Im Übrigen spricht die Delegitimierung aller Kriegskritiker nicht etwa für Souveränität dieser Regierung, sondern für Schwäche im Umgang mit Kritikerinnen und Kritikern.
({14})
Meine Damen und Herren, ich denke, es gibt noch immer die Chance zur Umkehr auf diesem Weg. Noch haben wir eine Woche Zeit bis zur Beschlussfassung. Lassen
Sie uns umkehren und wieder hinkommen zu einer Dominanz des Politischen, des Diplomatischen, des Juristischen, meinethalben auch des Polizeilichen! Lassen Sie
uns von der uneingeschränkten Solidarität zu dem kommen, was wir im Deutschen Bundestag kritische Solidarität genannt haben! Lassen Sie uns für wirksame Flüchtlingshilfe und Aufbauhilfe in Afghanistan eintreten! Ich
sage noch einmal: Wenn dem globalisierten Terror der
globalisierte Krieg folgte, dann hätte sich nicht die Logik
der Zivilisation, sondern dann hätte sich der Wahnsinn der
Terroristen durchgesetzt und das können und wollen wir
nicht zulassen.
({15})
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, fällt mir zum
Schluss nur ein, Ihnen zuzurufen: Sagt Nein!
({16})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Werner Schulz.
Kollege Claus, Sie haben die uneingeschränkte
Solidarität Deutschlands infrage gestellt und abgelehnt,
eine Solidarität, die bedeutet, dass kein Bereich von Hilfe
und Unterstützung von vornherein ausgeschlossen ist,
eine Solidarität, die nicht zuerst nach Garantieleistung
fragt, sondern die Notwendigkeit sieht. Uneingeschränkte Solidarität heißt nicht bedingungslose Solidarität.
({0})
Bedingungslose Solidarität, Gregor Gysi, hat es von 1980
bis 1989 in einem Teil Deutschlands gegeben, in einer
Zeit also - um das einmal deutlich zu machen -, als du und
viele andere deiner Partei
({1})
als Mitglieder der Sozialistischen Einheitspartei
({2})
in fester Waffenbrüderschaft an der Seite der Sowjetunion
standen.
({3})
Es gibt ein Maß von Heuchelei, finde ich, das unerträglich
ist.
({4})
Die Probleme von heute haben etwas mit der Vergangenheit zu tun, und zwar sehr konkret.
({5})
Was die gewundenen Erklärungen zu Mauerbau und
Zwangsvereinigung angeht, so muss ich sagen: Da waren
viele von uns noch nicht geboren oder noch Kinder. Aber
Afghanistan ist ein anderer Konflikt.
Ich will einen ganz interessanten Zacken aus meiner
Biografie erwähnen, der seit 1990 im Handbuch des Deutschen Bundestages steht. Ich habe nicht gedacht, dass das
in irgendeiner Weise noch einmal eine Rolle spielen
würde.
Ich bin 1980 mit meiner halb fertigen Dissertation von
der Humboldt-Universität geflogen, weil ich Protest gegen den Einmarsch der Russen in Afghanistan gewagt
habe. Von der SED habe ich da von Kritik kein Sterbenswörtchen gehört. Ihre Position heute wäre glaubwürdiger,
wenn Sie keine einfachen Antworten geben würden,
({6})
sondern wenn Sie erklären könnten, warum Sie in dem
grausamen Krieg damals neun Jahre lang bedingungslose
Solidarität geübt haben und sich heute bei der Beteiligung
am Kampf gegen den Terrorismus verweigern. Das müssen Sie der deutschen Öffentlichkeit erklären!
({7})
Kollege Claus, Sie haben die Gelegenheit zu einer Erwiderung.
Herr Kollege Schulz, Sie können sich mit der Mehrheit im Deutschen Bundestag möglicherweise auf den Verweis auf die Geschichte meiner
Partei zurückziehen. Sie können unsere Kritik an Ihnen
auf diese einfache Art zurückweisen.
({0})
Sie können aber eines nicht zurückweisen: In dieser
Gesellschaft gibt es inzwischen viel mehr Stimmen als die
aus meiner Partei und aus meiner Fraktion, die sagen, dass
die Begrifflichkeit von der uneingeschränkten Solidarität für dieses Land ein unheilvolles Bekenntnis war,
({1})
weil es dazu führt, dass es zu einer bedingungslosen Solidarität kommt. Ich muss hier doch nicht die Namen der
Prominenten aufzählen - angefangen von Günter Grass
über viele weitere Schriftsteller -, die in diese Kritik eingestimmt haben. Wir werden an unserer Position festhalten. Dabei werden wir uns auf den Rückhalt in unserer
Gesellschaft stützen können. Die Mehrheitsverhältnisse
sehen dort anders aus als hier, im Deutschen Bundestag.
({2})
Ich erteile das Wort
dem Bundesminister Rudolf Scharping.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In mehreren
sicherheits- und außenpolitischen Debatten in diesem
Parlament hat eine Erkenntnis eine Rolle gespielt, die
auch heute wichtig ist: Allein, also für sich, können Staaten ihre Sicherheit wenn überhaupt, dann nur schwer gewährleisten; sie sind auf Zusammenarbeit angewiesen.
Zusammenarbeit ist nicht nur wegen der Bedrohung in
Form eines zwischenstaatlichen Krieges - diese Wahrscheinlichkeit ist sehr gering geworden - erforderlich,
sondern auch, weil Zusammenarbeit zur Gewährleistung gemeinsamer Sicherheit die unabdingbare Voraussetzung für den Schutz vor asymmetrischen Bedrohungen
ist. Es geht beispielsweise um Bedrohungen, die zwar
nicht unmittelbar von Staaten ausgehen, aber möglicherweise von ihnen unterstützt werden. Das kann der Fall bei
terroristischen Bedrohungen sein.
Ich muss offen sagen: Bestimmte Teile der Debatte
sind in meinen Augen zu sehr innenpolitisch motiviert.
Wir haben es mit einer ernsten, den Weltfrieden und die
globale Stabilität herausfordernden Bedrohung zu tun.
Wir haben es mit einer Bedrohung zu tun, die auf das Erzeugen von Angst und Unsicherheit in den westlichen,
den offenen, den freiheitlichen Gesellschaften zielt. Wir
haben es mit einer Bedrohung zu tun, die über diesen Weg
zugleich die Stabilität der arabischen, islamisch geprägten
Gesellschaften und Staaten in Gefahr bringen will.
Es ist deshalb wichtig - allerdings ist es erstaunlich,
dass dieser Gesichtspunkt bei unseren Erwägungen hier
kaum eine Rolle spielt -, dass die arabische Welt in dieser
sehr herausfordernden, schwierigen und mit schwerwiegenden Entscheidungen verbundenen Situation ausdrücklich gesagt hat: Weder die Taliban noch Osama Bin Laden
können sich auf den Islam berufen. Die islamischen Staaten verurteilen den Terrorismus und engagieren sich
genauso - übrigens aus wohl erwogenen eigenen Interessen - gegen diese Entwicklung im Rahmen einer internationalen Koalition.
Wenn es stimmt, dass man sich gegen Bedrohungen
dieser Art besser und erfolgversprechender gemeinsam
wehren kann, dann wird deutlich, worin unsere Interessen
und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen bestehen.
Es gibt einen untrennbaren Zusammenhang zwischen der
Freiheit und der Sicherheit offener Gesellschaften, demokratischer Rechtsstaaten im Innern, und der Gewährleistung ihrer äußeren Sicherheit.
({0})
Vor diesem Hintergrund beantwortet sich nicht nur die
Frage, ob wir die Vereinigten Staaten aus Gründen der Solidarität, der historischen Dankbarkeit oder aus anderen
Gründen unterstützen. Nein, es geht um viel mehr: Es geht
um unser eigenes Interesse an der Bewahrung der Freiheit, der Rechtsstaatlichkeit, der demokratischen Substanz der eigenen Gesellschaft. Wir müssen uns gegen terroristische Bestrebungen wehren und dürfen nicht in die
Gefahr kommen, zum Spielball von Entscheidungen zu
werden, die nicht wir, sondern die terroristischen Organisationen - Gewissenlose und zum Teil scheinbar Verrückte - treffen; denn anders kann man das, was Herr Bin
Laden gegenüber den Vereinten Nationen, dem Generalsekretär und den Führungen arabischer und islamisch geprägter Staaten gesagt hat, nicht qualifizieren.
({1})
Wenn das unter uns klar ist, können wir die Frage stellen,
ob wir das Richtige tun. Wenn wir allerdings unseren Bürgerinnen und Bürgern signalisieren würden, dass das richtige Tun ausschließlich aus Militärischem bestünde, begingen wir einen schweren Fehler.
Wie wir alle wissen, ist das Handeln mehrdimensional.
Es bezieht Fragen der inneren Sicherheit, der Finanzquellen, der Ausbildung, der Organisationsstruktur und vor allen Dingen weit reichende außen- und sicherheitspolitische Bemühungen ein. Es bezieht den Versuch ein, die
Nachbarstaaten zu stabilisieren und regionale Konflikte,
zum Beispiel in Kaschmir, im Nahen Osten und andernorts, die eine explosive Kraft entfalten können, einzudämmen. Auf all das - das wird oft genug übersehen nehmen die militärischen Maßnahmen, die heute
durchgeführt werden, nicht nur Rücksicht, sondern sie
folgen diesen politischen Zielen. Anders könnte man
- um es mit einem scheinbar technischen Detail zu untermauern - nicht erklären, dass während des Krieges gegen
den Irak zur Befreiung Kuwaits pro Tag 1 500 bis 2 000
und während des Krieges im Kosovo pro Tag 250 bis
300 militärische Einsätze geflogen wurden, jetzt aber
- stark limitiert - nur etwa 100 pro Tag.
Wer in der deutschen Öffentlichkeit entweder behauptet oder die Behauptung verbreitet, es gebe Flächenbombardements und einen sinnlosen, überbordenden und
überschießenden Einsatz militärischer Mittel, der versteht
entweder die Fakten nicht bzw. will sie nicht verstehen
oder er hat ein anderes Interesse.
Dann kann man die Frage stellen, ob die militärischen
Maßnahmen und deren Unterstützung durch Bereitstellung von Fähigkeiten der Bundesrepublik Deutschland
diesen Zielen gerecht werden. Diese Frage kann man von
zwei Seiten her beantworten. Die eine Frage lautet: Was
geschieht, wenn nichts geschieht und wir uns nicht beteiligen? - Wir werden zum Spielball des Terrors. Wir verlieren unsere Fähigkeit, Amerika zu beeinflussen und eine
auf multilaterale Verantwortung und gemeinsames Vorgehen abzielende Politik durchzusetzen. Wir verspielen unsere eigenen Möglichkeiten in der NATO. Wir sondern
uns von den europäischen Staaten, von Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien, Tschechien und Polen, ab.
Wir verlieren unseren Einfluss bei der Gestaltung der
Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union.
Hier steht nicht nur der Erfolg des Kampfes gegen den
Terrorismus auf dem Spiel, sondern hier steht auch die
Rolle der Bundesrepublik Deutschland in einer sich
entwickelnden, auf multilateraler Verantwortung beruhenden Politik innerhalb der NATO und der Europäischen
Union zur Debatte.
({2})
Die zweite Frage lautet: Wen ermutigen wir, wenn wir
nicht zum Erfolg dieses Ringens beitragen? Was wird in
den arabischen und den islamisch geprägten Gesellschaften los sein, wenn sich der Eindruck verfestigt, wir seien
nicht tapfer und standhaft genug, um dieses Ringen zu einem erfolgreichen Ende zu führen? Die Ermutigung des
Terrorismus und von Radikalismen, die daraus erwachsen würden, würde unabsehbare Folgen für Freiheitlichkeit, das Maß an Offenheit und die demokratische Natur
unserer Gesellschaften haben. Wir sollten uns da nichts
vormachen.
Im Lichte all dieser Fragen will ich hinsichtlich der Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland sagen: Der
Antrag der Bundesregierung folgt nicht nur, sondern er
geht weit über das Maß an Präzisionen hinaus, welches
das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung
vom 12. Juli 1994 verlangt hat. Dort steht:
Der der Regierung von der Verfassung für außenpolitisches Handeln gewährte Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit wird
durch den Parlamentsvorbehalt nicht berührt. Das
gilt insbesondere hinsichtlich der Entscheidung über
die Modalitäten, den Umfang und die Dauer der
Einsätze, die notwendige Koordination in und mit
Organen internationaler Organisationen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Irmer von der
FDP?
Im Augenblick nicht. Ich bitte dafür um Verständnis. Wenn man diese Passage des Urteils zugrunde legt, dann
wird leichter deutlich, worin unsere Fähigkeiten bestehen:
Sie sind im Wesentlichen defensiv und werden im Wesentlichen in Deutschland bereitgestellt.
Sie, Herr Kollege Westerwelle, wissen hinsichtlich der
Frage der Koordination in und mit Organen internationaler Organisationen, im Fall der NATO auch mit Bündnispartnern so gut wie ich: Wenn ein Bündnispartner seine
Anforderungen als geheim einstuft, ist allein er in der
Lage, diese Einstufung zu verändern. Wir können das
nicht. Das wissen Sie so gut wie ich.
Der Zweifel, der gesät werden soll, hat eine innenpolitische Intention, hat darüber hinaus aber auch eine außenpolitische Wirkung. Wenn es von einem amerikanischen
Regierungsmitglied eine missverständliche Formulierung
gegeben hat, dann darf das nicht dazu führen, dass wir in
Deutschland plötzlich beginnen, kleinkarierte Debatten
darüber zu führen, welche Anforderungen in welcher
Form vorliegen. Jeder von uns, jeder, der an solchen Prozessen beteiligt ist, weiß doch, dass Anforderungen - das
ist völlig normal - auf operative Kategorien umgerechnet
werden können.
({0})
Herr Minister, Sie müssen zum Ende kommen. Ihre Redezeit ist überschritten.
({0})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, zum Schluss
möchte ich auf folgenden Punkt aufmerksam machen: Die
Fähigkeiten, die bereitgestellt werden sollen, können zum
Teil sehr schnell verfügbar gemacht werden. Das betrifft
die medizinische Evakuierung und den Lufttransport. Sie
bedürfen zum Teil einer sehr sorgfältigen Vorbereitung
und auch - das betrifft beispielsweise Spezialkräfte - gemeinsamer Ausbildung.
Meine dringende Bitte ist, dass wir im Parlament und
in der Regierung uns auch angesichts des einen oder anderen spekulativen Berichts nicht selber in Hektik versetzen und uns zu Spekulationen verleiten lassen, die einer
nüchternen, abwägenden und verantwortungsbewussten Entscheidung alles andere als förderlich sind.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Entgegen meiner ursprünglichen Absicht möchte ich einige Bemerkungen zu
dem machen, was wir heute hier gehört haben. Zum einen
ist der Außenminister wieder rückfällig geworden und hat
offen zum Gesetzesbruch aufgerufen.
({0})
Sitzblockaden sind eine Nötigung. Wenn in Gorleben
nicht nachdrücklich zu Sitzblockaden aufgerufen würde,
müssten wir 18 000 Polizisten weniger einsetzen.
({1})
Paulus, einer der beliebtesten Heiligen in der katholischen
Kirche, war vorher Saulus. Ich weiß nicht, ob auch er zwischendurch rückfällig geworden ist.
({2})
Zweitens. Herr Bundeskanzler, ich fand, es gab wieder
eine unsägliche Rede von der PDS. Die PDS wird von Ihnen, was Information und Einbeziehung ins Parlament angeht, noch immer gleichberechtigt behandelt.
({3})
Gerade angesichts dessen, was der Kollege Schulz heute
gesagt hat, sollten Sie sich das einmal durch den Kopf gehen lassen. Dabei sollten Sie insbesondere darüber nachdenken, ob es angesichts der Schwierigkeiten in unserer
Zeit angemessen ist, dass es gemeinsame Regierungen
mit der PDS gibt.
({4})
Sie haben bekanntlich über eine französische Zeitung direkt aus Indien ein Machtwort darüber gesprochen, was
in Berlin zu geschehen hat. Ein ähnliches Machtwort sollten Sie, diesmal vielleicht über eine deutsche Zeitung, für
Mecklenburg-Vorpommern oder in Sachsen-Anhalt sprechen.
({5})
Ein weiterer Punkt. Herr Bundeskanzler, ich bitte Sie
sehr herzlich, dass Sie den verbliebenen Widerspruch auflösen; Ihr Verteidigungsminister war dazu entweder nicht
in der Lage, konnte oder wollte es nicht. Dieser Widerspruch besteht darin, dass Sie heute - ich habe genau zugehört - einmal von einer konkreten Anfrage der amerikanischen Regierung gesprochen haben, mit der wir es zu
tun hätten, also von einer Anfrage und nicht von einer Anforderung.
Sie haben dann später gesagt - Sie können es im Protokoll nachlesen -: Wir sind der Aufforderung nachgeBundesminister Rudolf Scharping
kommen. - Ich weiß aber immer noch nicht, ob es eine
Anfrage, Aufforderung oder ein Angebot war. Ich stehe
natürlich zu dem, was hier gesagt worden ist. Es ist richtig, dass wir unsere Hilfe anbieten müssen, weil wir Mitglied dieser Antiterrorkoalition sind. Aber wenn in einer
so schwierigen und ernsten Situation der Bundeskanzler
die Fraktionsvorsitzenden des Parlaments einlädt und anschließend die deutsche Öffentlichkeit unterrichtet, dann
hat dieses Parlament einen Anspruch auf die Wahrheit und
einen Anspruch darauf, genau zu erfahren, wie es gewesen ist. Wir würden die Entscheidung auch mit tragen,
wenn es keine konkrete Aufforderung gegeben hätte, Herr
Bundeskanzler.
({6})
Wie es an anderer Stelle aussieht, ist nicht unser Bier und
wird auch nicht Maßstab unseres Abstimmungsverhaltens
sein. Darauf können Sie sich verlassen.
({7})
Herr Bundeskanzler, viele sagen, wir seien eine
schlechte Opposition, weil wir trotz dieser Schwierigkeiten bereit sind, die Bundesregierung zu stützen. Ich finde,
dass die Aufgabe der Opposition selbstverständlich das
Kontrollieren und das Offenlegen von Widersprüchen ist.
Wir sind aber auch gewählt, das Beste für unser Land zu
erreichen. Es ist gut für dieses Land und seine Zukunft
und für die Sicherheit seiner Menschen, wenn wir fest an
der Seite der Verbündeten stehen. Hier geht es nämlich
auch um deutsche Interessen. Es liegt im deutschen Interesse, dass der Terror überall dort, wo er sich zeigt, bekämpft und ausgemerzt wird.
({8})
Dass man vorher nicht genau sagen kann, wo, wie und
wann möglicherweise Spezialtruppen eingesetzt werden
- heute sagt man zu solchen Aktionen hit and run -, das
wissen wir alle. Wir verlangen das auch nicht. Wir wollen
nicht, dass solche Aktionen vorher in Ortsvereinen und in
Ortsverbänden, auf lokalen Parteitagen und auf Landesparteitagen diskutiert werden, bevor in den Fraktionen des
Parlaments darüber beraten wird, ob da oder dort zugegriffen werden kann. Wir haben Vertrauen in das Handeln
der militärischen Führung, wir haben Vertrauen in die
Amerikaner und wir haben Vertrauen in Sie. Denn Sie haben in dieser Zeit eine gute Figur gemacht.
({9})
Deswegen haben Sie es eigentlich nicht nötig, dass Sie gerade diesen gefährlichen Einsatz mit Zweifeln belasten.
Es wäre vielleicht ganz gut, wenn Sie ein paar Worte dazu
sagen würden, wie es wirklich gewesen ist.
Wir möchten natürlich auch - das sind wir unseren Soldaten und auch denen, die uns gewählt haben, schuldig -,
dass wir nach angemessener Zeit erneut damit befasst
werden, damit dem Parlament eine Zwischenbilanz vorgelegt werden kann und damit es über die Erfolgsaussichten diskutieren kann. Ich habe eigentlich wenig Zweifel, dass Sie dann wieder unsere Zustimmung bekommen.
Deshalb lautet meine Bitte: Überlegen Sie es sich, ob die
Befristung nicht auf ein halbes Jahr begrenzt sein sollte,
damit wir uns nach dieser Zeit damit erneut befassen können! Wir selbst können die im Antrag vorgesehene Befristung nicht ändern. Deshalb habe ich diesen Punkt an dieser Stelle angesprochen.
Eine letzte Bemerkung. Herr Bundeskanzler, beziehen
Sie diejenigen, die Verantwortung mit übernehmen, stärker ein. Ich glaube, dass diesbezüglich bei uns noch ein
entsprechendes Gremium fehlt. Wir brauchen für diese
schwierige Zeit - ich befürchte, sie wird nicht leichter - ein
Gremium, das auch Verantwortung mit übernimmt. Dazu
gehört natürlich, dass vorher vertraulich informiert wird.
Die Zustimmung des Parlaments - sie ist ohne Zweifel
vorhanden - ist möglicherweise leichter zu erreichen als
eine ständige Zustimmung und der Konsens der Mehrheit
der deutschen Öffentlichkeit, die man in schwierigen
Zeiten braucht. Das wird letztlich nicht ohne die
CDU/CSU gehen. Deshalb meine Bitte, entsprechende
Überlegungen anzustellen. Wenn Sie uns im Interesse unseres Landes brauchen, stehen wir selbstverständlich zur
Verfügung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind uns
alle in diesem Hause darüber klar, dass wir in schwierigen
Zeiten über schwierige Fragen diskutieren. Wir sollten
weder die Geschichte verharmlosen, um rascher Zustimmung zu bekommen, noch - und das geht auch an die
Adresse der veröffentlichten Meinung - zu sehr Panik und
Hektik verbreiten. Wenn ich heute in großen Boulevardzeitungen lesen muss, wie gefährdet wir sind und welch
schlimme Anschläge wir möglicherweise zu erwarten haben, wenn wir zustimmen, dann beunruhigt das. Vielleicht
könnte der Bundesinnenminister auch dazu ein paar
Worte sagen; denn wir wollen keine Verunsicherung, sondern Sicherheit der Bevölkerung und auch Sicherheit für
die Zukunft. Bei all diesen Maßnahmen haben Sie uns an
Ihrer Seite.
Vielen Dank.
({10})
Ich schließe die Aus-
sprache. Der Antrag der Bundesregierung auf Drucksache
14/7296 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse überwiesen werden. Der Haushaltsausschuss
soll den Antrag abweichend von der Tagesordnung jedoch
nur gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen be-
kommen. Der Entschließungsantrag der Fraktion der PDS
auf Drucksache 14/7333 soll an dieselben Ausschüsse
überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das
ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b sowie
Zusatzpunkt 3 auf:
4 a) Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregie-
rung
Jugendpolitisches Programm der Bundesregie-
rung: Chancen im Wandel
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Kerstin Griese, Hildegard Wester, Iris Gleicke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Christian Simmert,
Marieluise Beck ({0}), Volker Beck ({1}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Zukunft gestalten - Kinder und Jugendliche
stärken
- Drucksachen 14/5284, 14/6415 ZP 3 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jugendpolitisches Programm der Bundesregierung Chancen im Wandel
- Drucksache 14/7275 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2})
Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen sowie der Fraktion der FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung
eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend, Christine Bergmann.
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum ersten Mal
wird im Bundestag über ein ressortübergreifendes
Regierungsprogramm für die junge Generation gesprochen. Das ist sehr gut so. Es zeigt, welchen Stellenwert
diese Bundesregierung der Jugendpolitik zumisst.
({0})
Unter dem Titel Chancen im Wandel haben wir ein
Zehnpunkteprogramm vorgelegt, an dessen Bearbeitung
sich alle Ressorts beteiligt haben. Wir stellen in diesem
Programm unsere jugendpolitische Reformpolitik dar, die
sowohl die Weiterentwicklung bewährter Programme
einschließt als auch neue Projekte beinhaltet.
Jugendpolitik heißt für uns nicht nur Politik für, sondern auch Politik mit der Jugend.
({1})
Wir nehmen die junge Generation als Partner ernst. Wir
wollen sie dabei unterstützen, ihren eigenen Weg in unserer Gesellschaft und im zusammenwachsenden Europa zu
finden. Wir alle sind auf die junge Generation angewiesen, auf ihre Ideen und ihre Anregungen. Nur so bleibt unser Land offen für die Zukunft. Kein Bereich der Politik,
ob Arbeit, Wirtschaft oder Soziales, ob Außen- oder Innenpolitik, kann es sich leisten, die Interessen der Jugendlichen zu vernachlässigen.
Wir leben in einer Zeit des schnellen gesellschaftlichen
und wirtschaftlichen Wandels und Jugendliche müssen
sich diesem Wandel in ganz besonderer Weise stellen. Sie
brauchen dabei unsere Unterstützung. Es geht darum, ihre
Fähigkeiten und Talente zu fördern. Es geht aber auch darum, Jugendliche aufzufordern, eigenständig und selbstbewusst in die Zukunft zu gehen, sich gut zu qualifizieren,
sich einzumischen, mitzureden und sich für die Demokratie zu engagieren.
Diese Bundesregierung will, dass Jugendliche in Freiheit und in Sicherheit aufwachsen. Ich denke, dass auch
die vorangegangene Diskussion dazu einen wesentlichen
Beitrag geleistet hat. Jugendliche sollen ihre Persönlichkeit frei entwickeln können und sie sollen das in einem
Klima der sozialen Anerkennung und des menschlichen
Zusammenhalts tun können. Sie sollen das in dem Gefühl
tun können, sichere materielle Grundlagen und Perspektiven für ihr Leben zu finden.
Mit dem Zehnpunkteprogramm verfolgen wir zwei
wesentliche jugendpolitische Ziele. Zum einen geht es darum, der jungen Generation bessere und gerechte Chancen auf Arbeit und Bildung zu ermöglichen, zum anderen
darum, die Erziehung zu Demokratie, Toleranz und
Weltoffenheit verstärkt zu fördern.
({2})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich angesichts
der aktuellen Ereignisse und der vorangegangenen Diskussion einen Gedanken hinzufügen: Die Terroranschläge
vom 11. September haben uns gezeigt, wie verletzlich unsere offenen Gesellschaften sind. Insoweit ist es verständlich, dass alle, insbesondere die Jugendlichen - das merke
ich im Moment in vielen Diskussionen mit Jugendlichen,
aber auch mit Kindern -, beunruhigt sind. Daher sage ich
ihnen an dieser Stelle, dass sie sich in ihren Wünschen und
Lebensplänen nicht verunsichern lassen, sondern an ihnen
festhalten sollen. Darin hat mich die Debatte, die wir gerade geführt haben, bestärkt. Der Bundeskanzler hat heute
Morgen deutlich gemacht, dass die Bundesregierung
ebenso entschlossen wie besonnen handelt. Ich bin froh,
dass es in diesem Hause eine breite Zustimmung zu dieser Politik der Bundesregierung gibt. Hier geht es auch
um Sicherheit und Freiheit für Jugendliche.
({3})
Klar ist, dass wir unsere demokratischen Werte künftig
entschiedener als bisher verteidigen müssen. Dazu ist das
innenpolitisch Notwendige auf den Weg gebracht worden.
Es gibt in unserer Gesellschaft aber auch Unsicherheiten,
Vorurteile und Klischees im Umgang miteinander. Das lebendige Gespräch über unterschiedliche kulturelle, reliPräsident Wolfgang Thierse
giöse und ethnische Hintergründe muss nicht nur bei Jugendlichen, bei ihnen aber in besonderer Weise eine
größere Rolle spielen.
Diesen so genannten interkulturellen Dialog wird die
Bundesregierung stärker fördern.
({4})
Damit wollen wir erreichen, dass Jugendliche ein Wissen
um Gemeinsamkeiten, aber auch um Unterschiede entwickeln, aus dem der gegenseitige Respekt, das Verständnis und das Interesse aneinander wachsen können. Zugleich
geht es darum, das Wissen um die eigenen Werte voranzubringen. Dieser Prozess braucht Zeit; aber dieser Dialog
muss mehr denn je gefördert werden, um in unserem Land
das freie und friedliche Zusammenleben von Jugendlichen
mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen auf Dauer
zu ermöglichen. Daher habe ich alle Jugendverbände und
Träger der Jugendarbeit, die von uns gefördert werden, aufgefordert, im kommenden Jahr in ihrer Arbeit deutliche
Schwerpunkte bei diesem Thema zu setzen. In meinem
Haus werden gerade zusätzliche Projekte vorbereitet.
Wir werden auch den internationalen Jugendaustausch weiter ausbauen. Im letzten Jahr haben
350 000 junge Menschen am internationalen Jugendaustausch teilgenommen. Wir alle wissen, dass dieser Austausch gut geeignet ist, das Zusammenleben von Jugendlichen zu fördern.
({5})
In diesen Jugendaustausch sollen künftig mehr Jugendliche aus allen Schulformen einbezogen werden, woran es
heute an der einen oder anderen Stelle noch hapert. Auch
soll dieser Austausch stärker mit der Arbeitswelt Jugendlicher verknüpft werden. Schließlich sollen mehr junge
Menschen aus Migrantenfamilien an ihm beteiligt werden, als es bisher der Fall ist.
Die Bundesregierung arbeitet daran, alle Jugendlichen
an der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung teilhaben zu lassen. Vor drei Jahren haben wir damit
begonnen, unsere neue Jugendpolitik mit konkreten Programmen umzusetzen. Dabei hat die Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit höchste Priorität. Das, was wir hier in
den letzten Jahren erreicht haben, kann sich sehen lassen:
Wir haben das Bündnis für Arbeit ins Leben gerufen, einen Ausbildungskonsens gefunden und unter anderem mit
dem Sofortprogramm JUMP die Arbeitslosigkeit von Jugendlichen beträchtlich abgebaut. Die Jugendarbeitslosigkeit ist von 11,8 Prozent im Jahre 1998 auf 8,6 Prozent
Ende Oktober 2001 gesunken.
({6})
Jeder Jugendliche, der arbeitslos ist, ist einer zu viel. Aber
an diesen Zahlen wird deutlich, was unsere Programme
bewegt haben.
Auch auf dem Ausbildungsmarkt ist die Trendwende
erreicht: Seit dem vergangenen Jahr übersteigt die Zahl
der unbesetzten Stellen die Zahl der noch nicht vermittelten Bewerberinnen und Bewerber. In diesem Zusammenhang rufe ich in Erinnerung, dass wir 1998 eine Bugwelle
von mehreren Hunderttausend Jugendlichen übernommen haben, die seit zwei und mehr Jahren auf einen Ausbildungsplatz und damit auf eine Chance im Hinblick auf
das Berufsleben gewartet haben. Wir haben diese Bugwelle weitestgehend abgebaut.
({7})
Ich kann mich erinnern, dass bis 1998 in jedem Sommer die Schlagzeilen mit der Zahl der Jugendlichen gefüllt waren, die noch auf einen Ausbildungsplatz warteten. Dies ist drastisch zurückgegangen.
({8})
Ich kann mich nicht erinnern, in diesem Jahr solche Zahlen gelesen zu haben. Dies ist das Ergebnis der verstärkten Anstrengungen in diesem Bereich.
Natürlich haben wir noch Probleme. Vor allem gibt es
deutliche regionale Unterschiede zwischen Ost und West.
Wir wissen, dass die meisten Ausbildungsplätze im Osten
mit staatlichen Mitteln gefördert werden und hier noch
viel zu tun ist.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehnel?
Nein, jetzt nicht. Das
können wir nachher klären.
Meine Damen und Herren, das JUMP-Programm wird
bis Ende 2003 fortgesetzt. Wir werden dafür jährlich rund
2 Milliarden DM aufwenden. 50 Prozent dieser Mittel
- darauf sollte sich Ihre Frage sicher beziehen - fließen in
die neuen Länder.
({0})
Insgesamt konnten seit 1999 aufgrund dieses Programms
rund 333 000 junge Menschen gefördert werden. Wie Sie
wissen, haben wir für die neuen Länder zusätzliche Programme wie zum Beispiel das Bund-Länder-Programm
aufgelegt, um Ausbildungsplätze zu schaffen, weil die
Not dort so groß ist.
({1})
Diese Politik wird selbstverständlich fortgesetzt.
Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz werden die arbeitsmarktpolitischen Instrumente weiterentwickelt und reformiert.
Wir wollen, dass allen arbeitslosen Jugendlichen innerhalb von sechs Monaten nach Eintritt der Arbeitslosigkeit
ein Arbeitsplatz, eine Ausbildung bzw. eine Umschulung
angeboten oder der Erwerb von Berufserfahrung ermöglicht wird. Das werden wir mithilfe individueller Eingliederungsvereinbarungen, durch die entsprechende Angebote bereitgestellt werden, auch schaffen.
({2})
Wir haben uns allerdings nicht nur um die Quantitäten
gekümmert. Auch hinsichtlich der Qualität der Berufsausbildung haben wir eine ganze Menge erreicht. Wir haben Berufsbilder modernisiert und neue Berufsbilder geschaffen, weil das dazu beiträgt, dass Jugendliche bessere
Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben; denken wir an das
Beispiel der Informations- und Telekommunikationsindustrie.
Die entscheidende Grundlage für die Berufschancen
von Jugendlichen sind gute Bildung und Ausbildung. Das
sind auch wichtige Voraussetzungen, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und um sich in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts orientieren zu können. Unsere Gesellschaft hat dabei die Aufgabe, allen
Jugendlichen entsprechend ihrer Begabung Bildung und
Ausbildung zu ermöglichen. Wir haben diese Aufgabe als
Auftrag angenommen. Diese Bundesregierung hat eine
Bildungsoffensive gestartet und wird die Ausgaben im
nächsten Jahr zum vierten Mal in Folge - auf dann rund
16,4 Milliarden DM - erhöhen. Wir haben hierfür also
jährlich mehr Geld aufgewandt.
({3})
Auch in die Modernisierung der Hochschulen wurde erheblich mehr Geld investiert. Wir streben gleichen Zugang zu Bildung und bestmögliche Ausbildung für alle an.
Ebenso haben wir bei der Ausbildungsförderung wieder mehr Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit
hergestellt. Das war auch dringend nötig. Mehr als
80 000 Schülerinnen und Schüler sowie Studentinnen und
Studenten haben seit diesem Jahr zusätzlich Anspruch auf
BAföG. Im Rahmen der BAföG-Reform haben wir rund
1,3 Milliarden DM zusätzlich mobilisiert, weil eben nicht
der Geldbeutel der Eltern über Zukunftschancen von Kindern entscheiden darf, sondern einzig die Fähigkeiten der
Kinder.
({4})
Es geht uns aber auch um die Jugendlichen, die mit den
herkömmlichen Möglichkeiten nicht erreicht werden und
die von diesen Programmen nicht profitieren. Deswegen
werden wir im Rahmen des Regierungsprogramms
Chancen im Wandel im nächsten Jahr ein neues Programm in sozial schwachen Regionen starten, in dessen
Rahmen gezielt individuelle Kompetenzen und soziale
Schlüsselqualifikationen der Jugendlichen gefördert werden.
({5})
Dabei wird ein abgestimmter Mix von sozial-, jugendund arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen eingesetzt.
Dafür stehen im nächsten Jahr 25 Millionen DM zur Verfügung.
Wir haben mit dem Programm Entwicklung und
Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten Erfahrungen gemacht und wissen, dass es nicht ausreicht,
nur staatliche Angebote zu machen, sondern dass wir in
diesen Regionen die Zusammenarbeit aller brauchen. Wir
fordern die Jugendlichen stärker, wir fordern die Eltern
stärker, wir fordern die Sozialpartner, wir treten an die
Unternehmen heran. Es besteht wirklich eine Zusammenarbeit, um ein Klima zu schaffen, in dem Jugendliche
auch ermutigt werden, ein Stück begleitet werden und einen Einstieg in die Berufswelt finden. Das ist uns wichtig,
weil uns keiner verloren gehen darf, auch nicht diejenigen, die die Schule oder eine Ausbildung abgebrochen haben. Sie müssen ihre Chance bekommen. Die Erfahrungen mit E & C zeigen, dass dies durchaus möglich ist.
({6})
Wenn wir über Chancengleichheit reden, reden wir
aber nicht nur über sozial Benachteiligte; es geht auch um
Chancengleichheit zwischen Jungen und Mädchen. Da
haben wir eine ganze Menge aufzuholen. Wir wissen zum
Beispiel, wie wenig junge Frauen sich in dem zukunftsträchtigen Bereich der Berufe der Informations- und
Kommunikationstechnologien wiederfinden. Deswegen
haben wir über die Initiative D 21 eine ganze Menge ins
Rollen gebracht, Betriebe gewonnen, die Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen, die werben. Wir unterstützen
dies, auch mit finanziellen Mitteln. Ich denke, dass wir
unser Ziel erreichen müssen, in diesen Bereichen bis zum
Jahr 2005 40 Prozent Mädchen zu haben.
Der Umgang mit den neuen Informations- und
Kommunikationstechnologien wird immer mehr zur
Schlüsselqualifikation. Deshalb hat die Bundesregierung
unter dem Motto Anschluss statt Ausschluss das Konzept IT in der Bildung entwickelt. Hier stehen im Zeitraum von 2000 bis 2004 rund 1,4 Milliarden DM zur Verfügung. Das ist nicht wenig. Außerdem haben wir es in
Zusammenarbeit mit der Wirtschaft erreicht, dass bis
Ende des Jahres alle Schulen, Berufsschulen und Hochschulen mit Computern und Internetanschlüssen ausgestattet werden. Das ist ein Riesenerfolg; hier ist eine Riesenlücke geschlossen worden.
({7})
Natürlich wollen wir immer noch mehr erreichen; das
ist klar. Deswegen geht es darum, die Einrichtungen der
Jugendarbeit ans Netz zu bringen. Wir werden zusammen
mit Unternehmen mittelfristig die rund 50 000 Jugendhilfeeinrichtungen mit Computern und Internet ausstatten. Hier laufen zurzeit konkrete Verhandlungen, damit
wir bald mit der ersten Tranche beginnen können; denn
wir wollen auch Bildungsangebote bereitstellen, die über
eine Bildungsplattform an Jugendliche herangebracht
werden können.
Wir alle kennen die Klagen, die junge Generation sei
politikverdrossen, sie habe eine zunehmend größere Distanz zur Politik, sie traue der Politik nicht zu, dass ihre
Probleme gelöst würden. Häufig wird auch beklagt, dass
die junge Generation egoistisch, nicht mehr bereit sei,
Verantwortung zu übernehmen oder sich dauerhaft zu engagieren. Meine Erfahrung spricht dagegen. In meinen
Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern und vielen Jugendlichen vor Ort stelle ich immer wieder fest, dass Jugendliche erstens in vielen Bereichen aktiv sind, zweitens
eine große Bereitschaft haben mitzumachen, etwas zu tun,
etwas zu verändern, aber häufig auf Barrieren stoßen. Das
heißt, das Angebot an Jugendliche, sich aktiv zu beteiligen, entspricht durchaus nicht den Wünschen, die Jugendliche tatsächlich haben.
An diesem Punkt müssen wir anknüpfen. Wir wollen
die Möglichkeiten für Jugendliche, sich in unserer Gesellschaft zu engagieren, ausbauen. Da haben wir schon
einiges erreicht. Denken wir daran, dass wir in den letzten
Jahren eine beträchtliche Steigerung der Zahlen der Plätze
für ein freiwilliges soziales und freiwilliges ökologisches
Jahr zu verzeichnen hatten. Wir werden das Angebot in
diesem Bereich im nächsten Jahr noch einmal um 50 Prozent aufstocken können. Wir werden nicht nur mehr
Plätze zur Verfügung stellen können, sondern das Angebot auch auf andere Bereiche ausdehnen, auf den Bereich der Kultur und den Bereich des Sportes; dort laufen
schon jetzt Modelle. Darüber hinaus werden wir berufsorientierende und berufsqualifizierende Elemente in die
Freiwilligendienste aufnehmen. Außerdem wollen wir
die Freiwilligendienste flexibler gestalten, damit junge
Menschen freiwilliges Engagement besser in ihre persönliche Lebensplanung einpassen können.
({8})
Ich habe es schon angesprochen: Wenn über Jugendliche geredet wird, dann häufig im Zusammenhang mit Problemen, Gewalt, Drogenkonsum, Erziehungsnotstand
und Ähnlichem. Ich halte das für falsch. Es ist schlichtweg falsch, Kinder und Jugendliche vor allem als Problemgruppe zu sehen; denn junge Leute sind in der Mehrzahl engagiert.
({9})
Wenn sie Kontakt mit der Politik und der Verwaltung haben, dann wollen sie nicht hören, was alles nicht geht,
sondern sie wollen hören, was machbar ist. Daran, denke
ich, mangelt es manches Mal.
Deshalb haben wir vor wenigen Tagen die Bundesinitiative Beteiligungsbewegung gestartet. Wir werben
damit für eine stärkere Beteiligung junger Menschen in
der Politik vor Ort, in Schulen, in Verbänden, in Kommunen. Unser Ziel ist es, Politik erlebbar und erfahrbar zu
machen. Wir möchten außerdem, dass die Institutionen
für Jugendliche transparenter und auch zugänglicher werden. Es gibt eine große Bereitschaft von Jugendorganisationen, Freizeiteinrichtungen, Ausbildungsstätten, Schulen und Kommunen, hier mitzumachen, um mehr Beteiligungsmöglichkeiten für Jugendliche zu schaffen. Wir
müssen uns einfach stärker für die Ideen und Anregungen
der Jugendlichen öffnen. Ich freue mich jedenfalls darüber, dass es so viel Bereitschaft zur Mitwirkung gibt.
Wir wollen das aber noch ausweiten. Wir werden im
nächsten Jahr eine neue experimentelle Form der Beteiligung von Jugendlichen für Jugendliche unbürokratisch
fördern. Wir möchten, dass Jugendliche selbst für sich
Projekte machen. Sie sollen nicht nur darüber entscheiden, ob sie ein Angebot annehmen, sondern sie sollen Projekte mit entwickeln können. Dafür werden wir im Rahmen des Kinder- und Jugendplans Mittel zur Verfügung
stellen; denn ich meine, wir gewinnen die aktive Beteiligung der Jugendlichen vor allem, wenn wir ihnen Verantwortung geben und ihren Projekten Vertrauen schenken.
({10})
Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht. Denken
wir nur an das Aktionsprogramm Jugend für Demokratie
und Toleranz - gegen Rechtsextremismus und Gewalt.
In diesem Zusammenhang haben Jugendliche selbstständig Projekte entwickelt. Sie haben Anstöße in ihrer Kommune gegeben und Initiativen gestartet, um Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen, um bürgerschaftliches Engagement in diesem Bereich zu unterstützen. Sie haben
die von ihnen entwickelten Projekte selbst umgesetzt.
Sie wissen, in diesem Jahr standen 90 Millionen DM
für diese Arbeit zur Verfügung. Im nächsten Jahr werden
Mittel in gleicher Höhe bereitstehen. Meiner Ansicht nach
stärken wir damit nicht nur das aktive zivile Engagement
der jungen Generation für unsere freiheitliche und weltoffene Demokratie, sondern wir erreichen auf diese Weise
auch mehr Überzeugungskraft, mehr Glaubwürdigkeit,
mehr Vertrauen und mehr Begeisterung bei Jugendlichen.
Das ist nicht von oben zu verordnen; das wissen wir. Da
muss man Jugendlichen Möglichkeiten geben, sich selbst
zu erproben und sich Verdienste zu erwerben.
({11})
Die Bundesregierung verfolgt eine Politik, in der die
Interessen der Jugendlichen bei der Gestaltung der Zukunft schon heute mit einbezogen werden. Dieses Prinzip
der Nachhaltigkeit verfolgen wir in allen Ressorts. Das
reicht vom Schutz unserer Umwelt bis zur Sanierung der
öffentlichen Haushalte. Ziel ist es, der Jugend ebenso gute
Chancen einzuräumen, wie sie vorangegangene Generationen als selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen
konnten. Uns ist dabei immer bewusst: Wie wir heute mit
der jungen Generation umgehen, welche Perspektiven wir
ihnen ermöglichen, welche Werte wir ihnen vermitteln,
entscheidet darüber, wie unsere Gesellschaft morgen aussehen wird.
Ich danke Ihnen.
({12})
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Maria Eichhorn.
({0})
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Chancen im
Wandel - mit diesem Titel ist das jugendpolitische
Programm der Bundesregierung überschrieben worden.
Aber was sagt er aus? Nichtssagender geht es kaum. Wir
warten schon seit Jahren auf die Verwirklichung der angekündigten Gesetze, Frau Ministerin.
({0})
In der für unser aller Zukunft so wichtigen Jugendpolitik
ist in den Jahren der rot-grünen Regierungszeit kaum etwas passiert,
({1})
und das, obwohl sich die Lebensbedingungen von Jugendlichen in den vergangenen Jahrzehnten maßgeblich
verändert haben. Der ökonomische Strukturwandel, der
sich vollzogen hat, erzeugt einen enormen Anpassungsdruck. Der gesellschaftliche Wandel hin zu Eigenverantwortlichkeit bedeutet Freiheit, aber auch mehr Risiko und
Unsicherheit.
Die Mehrheit der Jugendlichen von heute ist in ihren
Lebensplänen mobiler und flexibler als frühere Generationen. Das Problem aber ist: Wer den Anforderungen an
Mobilität und Flexibilität nicht entspricht oder nicht entsprechen kann, ist von Benachteiligungen und sozialer
Ausgrenzung bedroht. Um dieser Gefahr zu begegnen,
haben Sie in den drei Jahren Ihrer Regierungszeit nichts
getan. Im Gegenteil: Der Druck, der auf Familien, Kindern und Jugendlichen lastet, hat sich verstärkt.
Für uns steht fest, dass Politik für die Jugend und mit
der Jugend auf einem Wertefundament basieren muss.
Werte wie Toleranz, Ehrlichkeit, Offenheit, Vertrauen und
Moral müssen erlernt und vorgelebt werden.
({2})
Das Selbstvertrauen der jungen Generation in die eigenen
Fähigkeiten und Fertigkeiten muss gefördert werden.
Soziale Kompetenz ist die Grundvoraussetzung für
eine stabile Persönlichkeit. Zur Schaffung positiver Leitbilder unter Förderung der Beteiligung junger Menschen
ist eine enge Verzahnung der familien-, jugend- und bildungspolitischen Programme und Initiativen notwendig.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Nutzung
von Internet, Video und Computer nimmt immer mehr zu.
Angesichts dieser Entwicklung ist ein verstärkter Jugendmedienschutz erforderlich - und Sie haben wieder
keinen Ton dazu gesagt, Frau Ministerin.
({3})
Die Bundesregierung hat hier bisher nichts getan. Gerade
bei diesem wichtigen Thema Medienschutz versagt sie
auf der ganzen Linie.
Kinder und Jugendliche sind heute einer Überflutung
von Darstellungen ausgesetzt, die Gewalt verharmlosen.
Dies hat weit reichende Folgen. Die Reaktion auf die Ereignisse des 11. September macht es deutlich. Dass Kinder den Terroranschlag als tolle Action bezeichnen, zeigt,
dass sie nicht mehr zwischen Realität und Fiktion unterscheiden können.
({4})
Auch der so genannte Eventradikalismus lässt sich auf die
Gewöhnung der Jugend an Gewalt und Brutalität zurückführen. Der Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Gewaltdarstellungen ist daher eine dringend notwendige
Aufgabe, der die Bundesregierung nicht gerecht wird.
Die Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen
für die junge Generation ist und bleibt eine der größten
Herausforderungen der nächsten Jahre. Damit allen jungen Menschen Chancen auf einen Ausbildungs- und Arbeitsplatz eröffnet werden, müssen Wirtschaft, Staat und
Arbeitsverwaltung zusammenarbeiten. Gefordert ist eine
Wirtschaftspolitik, die das Wachstum fördert und nicht
durch einschränkende Gesetze behindert.
({5})
Dazu müssen Impulse für neue Technologien und Unternehmen gesetzt und ein wirtschaftsfreundliches Klima
erzeugt werden. Junge Menschen, die den Weg in die Ausbildungs- und Arbeitswelt aus eigener Kraft nicht finden,
müssen durch den Staat unterstützt werden. Das Jugendsofortprogramm JUMP ist dafür nicht geeignet, wie die
Erfahrungen zeigen. Und wenn Sie nun JUMP in das
SGB III bringen wollen - wie Sie in Ihrem Entschließungsantrag ankündigen - wird es dadurch nicht erfolgreicher werden.
Die Jugendarbeitslosigkeit ist in Deutschland, Frau
Ministerin, auf einem besorgniserregend hohen Stand. Im
letzten Jahr waren in Deutschland fast 430 000 junge
Menschen unter 25 Jahren arbeitslos. Mehr als die Hälfte
von ihnen war ohne eine Berufsausbildung. Bei den unter
20-Jährigen waren es sogar 77 Prozent. Entgegen Ihrer
Behauptung, die gestern im Ausschuss gefallen ist, gibt es
in der Bundesrepublik langzeitarbeitslose Jugendliche.
Im Juni letzten Jahres waren es 18 817 junge Menschen
unter 25 Jahren, die ein bis zwei Jahre arbeitslos waren,
und 2 368, die sogar länger als zwei Jahre arbeitslos waren.
Auch im europäischen Vergleich nimmt Deutschland
bei der Jugendarbeitslosigkeit einen beschämenden Platz
ein. Die Quote der arbeitslosen Jugendlichen unter 25 Jahren war in den Niederlanden um die Hälfte niedriger. In
Portugal, Irland, Österreich und Luxemburg war sie ebenfalls niedriger als in Deutschland. In diesen Ländern sank
auch die Jugendarbeitslosigkeit zwischen 1999 und 2001
kontinuierlich, in Deutschland stieg sie aber stetig an. Im
Durchschnitt lag die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland 1998 bei 9 Prozent, im Jahr 1999 bei 9,2 Prozent und
im letzten Jahr, Frau Ministerin, im Durchschnitt bei
9,5 Prozent. Und da sprechen Sie von Erfolg? Ich sehe
hier nur Misserfolg.
({6})
Durch die verschiedenen arbeitsmarktpolitischen Instrumente wurden 1998 noch rund 472 000 Arbeitslose
unter 25 Jahren gefördert; im letzten Jahr waren es um
50 000 weniger. Auch die Teilnehmerzahlen des Jugendsofortprogramms gingen von 87 000 im Jahre 1999 auf
77 000 im letzten Jahr zurück.
In den neuen Bundesländern waren im letzten Jahr
156 000 Jugendliche arbeitslos; das sind 16,6 Prozent der
unter 25-Jährigen. Diese Zahl bedeutet, dass die Jugendarbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern im letzten
Jahr um 13 Prozent angestiegen ist. Wo kann man da von
Erfolg sprechen?
({7})
Als Folge der Arbeitslosigkeit fühlen sich die Jugendlichen sinnlos, ungebraucht. Sie finden nicht ihren Platz
in der Gesellschaft. Sie selber sprechen in Ihrem Programm davon, dass ein erfolgreicher Einstieg in die Arbeitswelt gegen Perspektivlosigkeit hilft. Warum nur haben Sie dann so lange tatenlos zugesehen?
({8})
Der gewünschte Erfolg Ihres Programms ist nicht eingetreten. Belügen Sie sich doch nicht selbst!
Bayern hatte im Jahr 2000 nach Baden-Württemberg
mit 4,8 Prozent die niedrigste Jugendarbeitslosenquote.
({9})
Grundlage dafür sind die gute bayerische Schulpolitik
und eine Reihe von gezielten Initiativen, die wirksam geworden sind. Die Verankerung solcher erfolgreichen
Strukturen und Ideen fehlt in Ihrem Programm. Das
JUMP-Programm ist, meine Damen und Herren, unwirksam.
({10})
Mehr als 70 Prozent der Teilnehmer gehören nicht zu
der Gruppe der anvisierten Leistungsschwachen. Zudem
sind die ausländischen Jugendlichen in den Maßnahmen
unterrepräsentiert. Aber auch andere Problemgruppen des
Arbeitsmarktes werden durch dieses Programm nicht erreicht: Jugendliche ohne Schulabschluss stellen nur
14,1 Prozent der Teilnehmer. Nur ungefähr jeder Dritte beginnt nach Ende der Maßnahme eine Ausbildung oder eine
Beschäftigung. Der Rest, nämlich zwei Drittel, ist weiterhin arbeitslos oder wechselt die Maßnahme. Diese Fakten
stehen in keinem Verhältnis zu den jährlich fast 2 Milliarden DM, die Sie aufwenden, und in keinerlei Verhältnis zu
dem, was Sie behaupten, Frau Ministerin.
({11})
Wir benötigen mehr differenzierte Ausbildungsberufe,
auch für weniger qualifizierte Jugendliche. Zudem muss
die Maxime Qualifikation schafft Integration stärker
umgesetzt werden. Die in Deutschland lebenden ausländischen Jugendlichen sind immer weniger in Berufen und
Betrieben integriert. Etwa ein Drittel der ausländischen
Jugendlichen verlässt die beruflichen Schulen ohne einen
Abschluss. Das sind doppelt so viele wie bei den deutschen Jugendlichen. Mehr als die Hälfte der 18- bis 20jährigen Nichtdeutschen hat keinen Berufsabschluss.
Wenn Sie jetzt in Ihrem Gesetz zur Zuwanderung die
Obergrenze für das Zuzugsalter bei 14 Jahren ansetzen,
haben ausländische Jugendliche auch in Zukunft kaum
Chancen zur Integration.
Die Qualifizierung junger ausländischer Arbeitsloser
durch die verschiedenen Förderprogramme der Bundesanstalt für Arbeit muss intensiviert werden. Ausbildungsprojekte, in denen Zweisprachigkeit gezielt genutzt wird,
müssen vermehrt gefördert werden.
Meine Damen und Herren, wir fordern Sie auf, durch
wirksame Reformen in der Arbeitsmarkt-, Bildungsund Sozialpolitik endlich die Jugendarbeitslosigkeit in
Deutschland zu senken.
({12})
Aufgrund der in den nächsten Jahren noch steigenden
Zahl von Schulabgängern muss eine vernünftige berufliche Perspektive für alle Jugendlichen aufgezeigt werden. Den unterschiedlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten
muss mehr als bisher Beachtung geschenkt werden. Wir
fordern Sie auf, für eine effizientere Umsetzung Ihres
JUMP-Programms zu sorgen. Dafür ist auch die Integration in und mit den Betrieben notwendig. Primär sollten
Benachteiligte, zum Beispiel Jugendliche ohne oder mit
schlechtem Schulabschluss, gefördert werden, und dies
zuerst in strukturschwachen Gebieten.
({13})
So ist auch bei der Verweigerung zumutbarer Angebote
konsequent vorzugehen: Im Rahmen von flächendeckenden Kombilöhnen könnte eine Öffnung des Arbeitsmarktes für gering qualifizierte Jugendliche erreicht werden.
Mit dieser Maßnahme würden bisher nicht nachgefragte
Arbeitsplätze in Niedriglohnbereichen entstehen und besetzt werden können. Für jugendliche Sozialhilfeempfänger sind stärkere Anreize zu schaffen, damit sie eine
Ausbildung annehmen.
So stellen wir uns ein glaubwürdiges jugendpolitisches
Programm vor. Die Jugendlichen in der Bundesrepublik
Deutschland haben einen Anspruch auf konkrete Angebote und auf konkrete Maßnahmen. Wo bleibt die Umsetzung Ihrer Wahlversprechen von 1998?
({14})
Der Schriftsteller Heinrich Seidel sagt:
Was sich in uns in späteren Jahren zu Bäumen auswächst, findet seine Wurzelkeime in frühen Jugendeindrücken.
Frau Ministerin, es wird höchste Zeit, dass Sie einen
fruchtbaren Nährboden bereiten.
({15})
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Iris Gleicke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir für die Jugendlichen glaubwürdige Perspektiven entwickeln wollen, dann müssen
wir dies im Dialog mit den Jugendlichen tun. Wenn wir erreichen wollen, dass Jugendliche Vertrauen in die Zukunft
gewinnen, dann müssen wir ihr Vertrauen gewinnen.
Unsere Debatte wird von der deutschen Beteiligung an
militärischen Einsätzen gegen den internationalen Terrorismus überschattet. Dabei geht es um die Bewahrung von
Freiheit und Demokratie. Dies der nachwachsenden Generation deutlich zu machen, und zwar nicht im Sinne
irgendeiner billigen Propaganda, sondern in Form eines
offenen, ernsthaften Gesprächs, halte ich für eine fundamentale Aufgabe.
Jugendliche haben ein sehr feines Gespür dafür, ob ihre
berechtigten Fragen mit Sprechblasen beantwortet oder
ernst genommen werden.
({0})
Genau wie wir müssen die Jugendlichen in dieser und mit
dieser Gesellschaft leben und zurechtkommen. Was nützt
eine Politik - und sei sie auf all ihren Feldern auch noch
so nachhaltig -, wenn sie in der nächsten Generation nicht
fortgesetzt wird? Politik muss sich tauglich zeigen, die
Probleme der Gegenwart und der Zukunft zu lösen.
Wir können und sollten darüber diskutieren, welche
Werte und Botschaften unsere Gesellschaft den Jugendlichen vielfach vermittelt. Geht es wirklich nur darum, erfolgreich zu sein, gut auszusehen und gut zu verdienen?
Oder ist es nicht vielmehr so, dass die Jugendlichen eine
Chance haben wollen, etwas aus ihrem Leben zu machen?
Jugendliche wollen sich vom Elternhaus lösen und ihr eigenes Leben leben. Das ist ein ganz natürlicher Prozess,
den alle Eltern kennen. Ich glaube, die jungen Leute wollen in ihrer überwiegenden Mehrheit ihre persönliche Zukunft gestalten. Sie sind davon überzeugt, das auch hinzubekommen. Wenn sie diese Chance nicht bekommen,
dann steht die Wertschätzung des Einzelnen in der Gemeinschaft auf dem Spiel und das individuelle Selbstwertgefühl gerät in Gefahr.
Wir wissen: In der Jugend gibt es oft rasch wechselnde
Orientierungen, Stimmungslagen und Verhaltensweisen.
Jugendliche, die zu der Überzeugung gelangen, keine
Chance zu haben, sind stärker als andere anfällig für
Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit oder Antisemitismus. Wer unzufrieden ist, wer keine Anerkennung
findet, wer dem Druck nicht standhält und sich als Versager fühlt, sucht und findet Sündenböcke. Das geht oft
mit Alkohol- und Drogenmissbrauch einher.
Aber nach ihren Lebenszielen befragt, setzen Jugendliche heute Sicherheit, Geborgenheit, Recht und Ordnung,
soziale Gerechtigkeit, Verantwortungsbewusstsein und
Freiheit ganz oben auf die Werteskala. Das Heranwachsen
im vereinten Deutschland muss deshalb von einem stärkeren Gemeinschaftsgefühl für unsere Demokratie geprägt sein.
Schon in der Familie, in Schulen und in Vereinen muss
demokratische Kultur eingeübt, gepflegt und ausgebaut
werden. Die Beteiligung der jungen Generation am politischen Meinungsbildungsprozess ist deshalb ein zentrales Element der Stabilität und Weiterentwicklung einer
Demokratie, die lebendig sein will und lebendig sein
muss, wenn sie nicht in Formeln erstarren soll.
({1})
Die Beteiligung von Jugendlichen am politischen und
gesellschaftlichen Leben muss deshalb noch viel stärker
im öffentlichen Bewusstsein verankert werden. Wichtig
erscheinen mir vor allem solche Ansätze, die Dialog und
Beteiligung in den Mittelpunkt stellen und nicht auf einzelne Felder der Politik reduziert bleiben. Jugendpolitik,
die sich selbst ernst nimmt, Jugendpolitik in unserem Verständnis ist eine Querschnittsaufgabe und damit eine
ressortübergreifende Aufgabe.
({2})
Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage dokumentiert die Verankerung der Jugendpolitik in
den verschiedenen Politikfeldern.
Lassen Sie mich einige der wichtigsten dieser Politikfelder beispielhaft nennen. Wir haben das BAföG verbessert, weil wir Gerechtigkeit und Chancengleichheit wollen. Diese Chancengleichheit, für die Sozialdemokraten
immer gekämpft haben, nahm im Zuge der geistig-moralischen Wende des Herrn Dr. Kohl schweren Schaden.
({3})
Den Konservativen ging es damals darum, die Interessen selbsternannter Eliten zu bedienen. Die Bilanz dieser nach 1990 auch dem Osten der Republik aufgestülpten Ideologie war von deprimierender Trostlosigkeit: eine
Jugendarbeitslosigkeit, Frau Kollegin Eichhorn, in Rekordhöhe, verbunden mit einem für die Volkswirtschaft
katastrophalen Fachkräftemangel.
({4})
Dem Land wurde damit unermesslicher Schaden zugefügt. Wir brauchen Ausbildungsplätze und Arbeit für alle
Jugendlichen. Die Jugendarbeitslosigkeit muss deshalb
weiter bekämpft werden, gerade in dieser schwierigen
wirtschaftlichen Situation.
({5})
Mit Recht sagen junge Leute: Was nützt uns die Freiheit,
wenn wir keine Arbeit und keine Perspektive haben? Deshalb wird das JUMP-Programm, das Sie von der Union
immer abschaffen wollten, weitergeführt. Nach dem Redebeitrag von Frau Eichhorn kann man immer noch nicht davon ausgehen, dass sich Ihre Meinung geändert hat. Wir
werden uns von Ihnen aber nicht beirren lassen.
Ihr Realitätsverlust ist wirklich erstaunlich. Als wir die
Regierung übernommen haben, lag die Jugendarbeitslosigkeit bei über 12 Prozent. Jetzt liegt sie bei 8,6 Prozent.
Ich finde es zynisch und ärgere mich darüber, dass Sie
dies nicht als Erfolg für jeden einzelnen jungen Menschen
in diesem Lande ansehen.
({6})
Ihre Ignoranz macht mich wütend!
({7})
Die Jugendarbeitslosigkeit ist bei uns die niedrigste in
Europa. Das war unter Ihrer Regierung nicht der Fall.
({8})
- Herr Haupt, wir werden Ihrem Redebeitrag gespannt
folgen.
({9})
Die technologische Entwicklung der Medien und die
neuen Kommunikationstechnologien mit ihrem wachsenden Bedarf an gut ausgebildeten Arbeitskräften müssen
weiter in die Ausbildungsgänge einbezogen werden. Deshalb haben wir damit begonnen, neue Berufsbilder und
Berufsmodule zur besseren Anerkennung der Ausbildung
zu schaffen und die Ausbildungsverordnungen zu entrümpeln. Wir werden dafür sorgen, dass Mädchen und
junge Frauen an dieser Entwicklung ordentlich beteiligt
werden.
({10})
Wir wollen die Chancen nutzen, die in den modernen
Kommunikationsformen liegen. Deshalb haben wir die
Schulen ans Netz gebracht. Auch die Jugendfreizeiteinrichtungen werden wir ans Netz bringen. Es geht um
die gerechte Teilhabe. Es geht darum, Benachteiligungen
zu verhindern und Missbrauch im Umgang zu vermeiden.
Die Jugendlichen erwarten von der Politik in erster Linie
die verlässliche Ausgestaltung einer Chancengesellschaft
mit realistischen Optionen und praktischen Lösungsangeboten für ihre Lebensplanung.
Zur Lebensplanung gehört mit neuem Stellenwert auch
die Familie. Es geht für junge Frauen und Männer um die
tatsächliche Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Eine
aktive Gleichstellungspolitik muss und wird ohne jede
ideologische Begleitmusik mehr Gerechtigkeit schaffen.
({11})
Politik, die die gerechte Teilhabe aller zum Ziel hat,
steht vor einer doppelten Aufgabe: Einerseits muss sie
sicherstellen, dass jungen Menschen die Kompetenzen
vermittelt werden, die über gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt von morgen entscheiden. Andererseits muss sie angesichts steigender und neuer
Qualifikationsanforderungen die soziale Ausgrenzung
von Jugendlichen verhindern. Entscheidungen über die
Köpfe der Betroffenen hinweg darf es dabei nicht geben.
Es gilt, einen konkreten und lebensnahen Dialog mit den
Jugendlichen zu führen. Es geht um einen Dialog, in dem
die Gesprächspartner einander ernst nehmen. Wir wollen
diesen Dialog.
({12})
Wir vertrauen dabei darauf, dass die heutige junge Generation nicht weniger solidarisch ist als die jungen Generationen vor ihr und dass sie ebenso viele Ideale hat.
Diese Solidarität, diese Sehnsucht nach Gerechtigkeit
findet man überall. Man muss sie nur sehen wollen. Man
findet sie in unserem reichen Land bei engagierten Jugendlichen an den Schulen und den Universitäten sowie
bei erfolgreichen Jungunternehmern. Man findet sie aber
auch bei den Ärmsten der Armen, bei den gescheiterten
Existenzen und bei den so genannten Verlierern unserer
Gesellschaft, die oft an Jahren noch so jung und deren Gesichter schon so entsetzlich alt sind.
Mich bedrückt es sehr, wenn ich höre, wie junge Leute
von Losern oder von Asis reden. Ich glaube, dahinter
verbergen sich zumeist eigene Ängste und die hilflose
Einsicht, dass es noch immer zu wenig Gerechtigkeit gibt.
Wir können den jungen Leuten nur dann etwas von dieser
Angst und Hilflosigkeit nehmen, wenn sie spüren, dass
wir es mit ihnen ernst meinen und dass wir sie brauchen,
wenn wir die Zukunft erfolgreich meistern wollen.
({13})
Die Politik der sozialen Kälte in diesem Land haben
wir überwunden. Jetzt arbeiten wir daran, gemeinsam mit
der jungen Generation ein Klima der sozialen Wärme zu
schaffen.
Schönen Dank.
({14})
Das Wort hat der Kollege Klaus Haupt für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das jugendpolitische Programm
der Bundesministerin Bergmann mit dem Titel Chancen
im Wandel ist erhellend, zukunftsweisend und trotzdem
nichts sagend. Jugendpolitik soll als Querschnittspolitik
verankert werden. Dieser außerordentlich neuartig anmutende Ansatz findet - das wird Sie überraschen - unsere
heftigste Zustimmung.
({0})
Aktivierende Jugendpolitik soll ein Leitbild sein. Die
Stärken der Jugendlichen sollen gefördert werden. Wunderbar! Wir wollen, so heißt es, die Jugendlichen als
Partner gewinnen und setzen ... auf eine breite Allianz
mit der Jugend. Frau Bergmann, das findet unsere nachhaltige Unterstützung.
({1})
Das jugendpolitische Programm Chancen im Wandel
liest sich wie ein Kompendium aller wohlmeinenden Absichtserklärungen, die in Sachen Jugendpolitik in diesem
Hohen Hause unbestritten sind.
({2})
Aber einen jugendpolitischen Quantensprung kann ich jedenfalls in diesem Programm nicht erkennen.
Ausbildung und Qualifizierung der Jugend entscheiden über die Zukunft unserer Gesellschaft. Ja, der
weltweite Wettbewerb beginnt im Klassenzimmer. Doch
Ihre bildungspolitischen Aktivitäten sind recht bescheiden geblieben. Wir haben einen zukunftsweisenden Entwurf zum Bundesausbildungsförderungsgesetz vorgelegt.
Sie haben ihn abgelehnt. Wir haben verschiedene Anträge
zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Universitäten vorgelegt. Sie haben sie abgelehnt. Deutschlands Studierende treten im Durchschnittsalter von
28,5 Jahren in das Berufsleben ein. Das ist im Vergleich
zu unseren europäischen Partnern fünf Jahre zu spät.
Das hat Gründe: Die mehr als überfällige Hochschulreform in Deutschland kommt ebenso wenig voran wie
die Abschaffung der Wehrpflicht und - damit einhergehend - des Zivildienstes. Auch die Abschaffung des
13. Schuljahres ist schon lange im Gespräch. Zur
Verkürzung der überlangen Ausbildungszeiten in
Deutschland wäre sie dringend wünschenswert.
({3})
Die junge Generation zahlt den Preis solcher Reformträgheit in Deutschland.
Wir haben auch Anträge zur Weiterbildung, zum
Berufsausbildungssystem, zur Förderung des naturwissenschaftlichen Unterrichts an deutschen Schulen und
zum Wirtschaftsunterricht vorgelegt. Einige sind noch in
der parlamentarischen Beratung. Dürfen wir angesichts
der jetzigen Debatte darauf hoffen, dass Sie diesen Anträgen zustimmen werden, obwohl sie von der FDP sind?
Das wäre eine Chance zum Wandel von Absichtserklärungen hin zu wirklich erreichten Zielen. Es sollte uns
allen bewusst sein, dass Bildung d i e soziale Frage des
21. Jahrhunderts ist.
({4})
Es ist schon mehrfach von meinen Vorrednern darauf
hingewiesen worden: Jugendarbeitslosigkeit ist das
schwerwiegendste jugendpolitische Problem in unserem
Lande. Die FDP begrüßt es daher, dass die Bundesregierung auf diesem Feld noch gesteigerten Handlungsbedarf sieht. Frau Gleicke, ich komme aus einer Region mit einer Arbeitslosenrate von 24 Prozent. Die
Notwendigkeit staatlicher Feuerwehrprogramme ist für
mich unbestritten. Aber: Immer neue Staatsprogramme
helfen nicht, der Jugendarbeitslosigkeit auf Dauer Herr zu
werden.
({5})
Das zeigt die Entwicklung der Arbeitsmarktdaten sehr
deutlich. Trotz Rückenwind durch die demographische
Entwicklung - bekanntlich scheiden pro Jahr etwa
250 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr aus
dem Arbeitsleben aus, als Personen auf den Arbeitsmarkt
drängen - verschärft sich die Arbeitsmarktlage in
Deutschland. Saisonbereinigt steigt die Zahl der Arbeitslosen und damit auch der betroffenen Jugendlichen kontinuierlich an. Die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen stieg
in diesem Jahr im Westen um 1,5 Prozent, im Osten sogar
um 2,5 Prozentpunkte.
Ein nachhaltiger Abbau der Jugendarbeitslosigkeit ist
nur dann zu erreichen, wenn die Rahmenbedingungen in
Deutschland wieder stimmen.
({6})
Wir brauchen endlich ein radikal vereinfachtes Steuersystem, einen umfassenden Bürokratieabbau und eine mutige
Bildungsreform.
({7})
- Ich komme noch darauf.
Viele Gesetze, die die Bundesregierung in den letzten
drei Jahren fabriziert hat, stehen zu diesem Erfordernis
leider in krassem Widerspruch. Ich muss in diesem Zusammenhang an die unsinnige Neuregelung der 630-DMArbeitsverhältnisse erinnern, die auch und vor allem Jugendliche betrifft.
({8})
Weiter erinnere ich an die Neuregelung des Kündigungsschutzes, die nicht vor Kündigungen, aber wirksam vor
Neueinstellungen schützt. Ich erinnere an Ihren Versuch,
die so genannte Scheinselbstständigkeit zu bekämpfen,
das Gesetz bezüglich der Pflicht zur Teilzeitbeschäftigung, das völlig an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes
vorbeigeht,
({9})
oder die Verschärfung des Betriebsverfassungsgesetzes,
({10})
die unsere mittelständischen Unternehmen in einem Regelungswust ersticken lässt. Hinzu kommen Wirtschaftsblocker wie Ökosteuer oder die angekündigte Erhöhung
der Tabak- und der Versicherungsteuer.
({11})
Zudem hat die Bundesregierung eingestanden, dass sie ihr
Ziel, die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent zu drücken,
nicht erreichen wird.
Wenn bisher drei Viertel aller Ausbildungsplätze in
Handwerk und Mittelstand entstanden sind, dann ist es
doch richtig zu sagen: Die beste Ausbildungsplatzpolitik
ist eine gute Mittelstandspolitik.
({12})
Der Mittelstand braucht Entlastung und Luft. Nur so kann
er Motor für mehr Beschäftigung und Ausbildung sein.
Weder akute Staatsprogramme noch Regulierungswut
werden das Problem der Jugendarbeitslosigkeit lösen
können.
({13})
Das Problem verschärft sich, wenn man die Situation
in den neuen Ländern betrachtet: Hier hat die Jugend
eine so schlechte Perspektive, dass die Mobileren und
Qualifizierteren abwandern. In meinem schönen Sachsen
beispielsweise wird die Einwohnerzahl von heute 4,4 Millionen bis zum Jahr 2030 auf 3,6 Millionen zurückgehen.
Pro Jahr machen sich 6 000 Jungen und Mädchen im
Lehrlingsalter auf, um ihrer Heimat den Rücken zu kehren. Wie sollen Länder in Zukunft existieren, denen die
Hoffnungsträger den Rücken kehren, weil sie keine Chancen haben? Die Perspektivlosigkeit der Jugend, die zu
geringen Chancen sind doch auch die Hauptursachen für
ein Demokratiedefizit, das wir bei einem Teil der Jugendlichen feststellen. Die Lösung des Problems der Perspektivlosigkeit ist die zentrale Aufgabe. Demokratie
muss sich auf diesem Feld als handlungsfähig erweisen.
({14})
Wenn junge Menschen keine Perspektive haben, sich
in den Städten und Gemeinden, in denen sie zu Hause
sind, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und beruflich
eine Zukunft zu haben, wird es schwer, die daraus folgenden Frustrationen aufzufangen und die viel beschworene
Bürgergesellschaft zu stärken. Wir müssen der Jugend
Chancen bieten, Talente und Fähigkeiten zu entfalten sowie eine Aufgabe zu haben. Dazu gehören die Stärkung
der ehrenamtlichen Tätigkeit in unserer Gesellschaft, ein
attraktives und modernes Angebot der Vereine für Sport
oder Kultur und gesellschaftliches Engagement. Hier ist
nicht nur der Staat, sondern unsere Gesellschaft als
Ganzes und auch jeder Einzelne gefordert.
Darüber hinaus muss Demokratie natürlich erlebbar,
erfahrbar sein. Wir müssen schon den ganz jungen Menschen die Möglichkeit geben, mitzureden, mitzugestalten,
mitzuentscheiden. Die UN-Kinderrechtskonvention sieht
ein solches Recht zur Partizipation ausdrücklich vor.
Aber die Kinder in unserem Land erfahren zu wenig über
ihre Rechte. Die in der Konvention festgelegten Rechte
müssen sich endlich auch in den Lehrplänen unserer
Schulen und in den Ausbildungsplänen für Lehrer wiederfinden. Nur wer seine Rechte kennt, kann sie nutzen.
Nur dann wird die freiheitlich-demokratische Grundordnung für die jungen Menschen erfahrbar.
({15})
Auch internationale Verständigung und friedliches
Zusammenleben müssen für Jugendliche erfahrbar sein,
damit die Ängste vor Globalisierung, vor Migration und
vor mulitkulturellen Begegnungen abgebaut werden können. Deshalb ist es richtig, dass es verstärkt Programme
geben muss, die solche Erfahrungen möglich machen. Es
muss in Projekte der Weltoffenheit der Jugendlichen investiert werden - mit Schwerpunkt in den neuen Bundesländern. Dazu gehört die verstärkte Förderung des internationalen Jugendaustauschs für alle Schulformen.
Die FDP fordert mit Nachdruck auch die Errichtung
eines deutsch-russischen Jugendwerks.
({16})
Gerade mit der Jugend Russlands muss ein Austausch zustande kommen, damit auch auf dieser Ebene das größte
Land Europas in die europäische Völkergemeinschaft,
wie es sich Präsident Putin in seiner denkwürdigen Rede
an diesem Platz wünschte, besser eingebunden wird.
({17})
Schließlich muss für die junge Generation insgesamt
erfahrbar werden, dass es eine Gerechtigkeit zwischen
den Generationen gibt. Den heutigen jungen Berufstätigen muten wir beispielsweise zu, gleichzeitig für
die Rente der gegenwärtigen Ruheständler aufzukommen
und für die eigene Rente privat vorzusorgen. Dieser
Druck wird sich verstärken. Die demographischen Fakten
sprechen da eine eindeutige Sprache.
Junge Menschen wollen heute durchaus Familie gründen, aber die junge Generation möchte Familie und Beruf
verbinden können.
({18})
Beide Bereiche sind für drei Viertel der Jugendlichen
gleichermaßen wichtig. Das belegt die 13. Shell-Jugendstudie sehr deutlich. Doch gerade Familien mit Kindern
sind unverhältnismäßigen Belastungen ausgesetzt. Kinder dürfen in unserer Gesellschaft nicht zum Wohlstandsrisiko werden. Die gesellschaftlichen Gegebenheiten
müssen es der jungen Generation ermöglichen, ihre
individuellen Lebensentwürfe zu verwirklichen, ohne auf
Kinder zu verzichten. Kindertagesbetreuung in ihren unterschiedlichen Formen schafft dafür eine wichtige Voraussetzung. Ein umfassendes und flexibles Betreuungsangebot ist Voraussetzung für eine kinderfreundlichere
Gesellschaft. Dazu gehört aber nicht nur der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz; vielmehr müssen
Betreuungskosten auch steuerlich absetzbar sein. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich bin sogar der Meinung,
dass wir gemeinsam darüber nachdenken sollten, wie
dafür gesorgt werden kann, dass ein Kinderbetreuungsplatz in Deutschland ebenso kostenfrei ist wie der Schulbesuch.
Meine Damen und Herren, Chancen im Wandel wird
die Jugend in Deutschland nur haben, wenn unsere Gesellschaft endlich die Chance zum Wandel ergreift und der
Jugend wirklich neue Perspektiven eröffnet. Mit schönen
Ankündigungen und einer Sammlung guter Absichten
und Erklärungen ist es wirklich nicht getan.
Danke.
({19})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege
Christian Simmert.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Streckenweise hatte man das Gefühl, Sie befänden sich eher in einer wirtschaftspolitischen als in einer jugendpolitischen Debatte, Herr Kollege.
({0})
Ganz interessant wäre es, Ihre Vorschläge zu lesen,
wenn Sie sie zu Papier gebracht hätten. Man muss aber
feststellen, dass heute weder die CDU/CSU noch die FDP
einen eigenständigen Antrag vorgelegt hat. Ein Änderungsantrag zu unserem Antrag liegt vor, aber ansonsten
sehen wir von der Opposition herzlich wenig.
({1})
Die Regierungskoalition hat gehandelt und das finden
wir gut.
({2})
Es wird Sie nicht überraschen, meine Damen und Herren,
dass Bündnis 90/Die Grünen das Aktionsprogramm der
Bundesregierung als richtigen Impuls begrüßen. Besonders in den Bereichen der Ausbildung - trotz der Kritik
der Opposition - und der Förderung des Engagements Jugendlicher liegen die gemeinsamen Erfolge, die wir in
diesem Aktionsprogramm gebündelt haben.
Das wird man draußen sehr deutlich wahrnehmen.
({3})
Herr Kollege Simmert,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Haupt?
Ich möchte mich erst einmal ein Stück weit warm laufen.
Vielleicht kann ich später ein paar Fragen beantworten.
({0})
- Frau Lenke, ganz ruhig.
Mit JUMP, dem Aktionsprogramm zur Senkung der
Jugenderwerbslosigkeit, sind seit 1999 über 300 000 Jugendliche gefördert worden. Junge Frauen werden entsprechend ihrem Anteil an der Erwerbslosigkeit gefördert.
50 Prozent der Mittel werden inzwischen für Jugendliche
in den neuen Bundesländern eingesetzt. Das Programm
hat also Erfolg. Bündnis 90/Die Grünen sind deshalb erfolgreich dafür eingetreten, dass bewährte Instrumente in
die Regelförderung, die das Job-Aqtiv-Gesetz vorsieht,
überführt werden.
Sicherlich könnte die Entwicklung der Jugenderwerbslosigkeit noch positiver sein. Auch ich bin mir bewusst,
dass es über JUMP hinaus wesentlich mehr Anstrengungen bedarf. Doch das zu tun liegt bekanntermaßen nicht
ausschließlich in der Hand der Politik, sondern vor allem
in der Hand der Arbeitgeberinnen und der Arbeitgeber.
Auch das muss man sehen.
({1})
Wir können nicht damit zufrieden sein, dass zurzeit nur
57 Prozent aller Betriebe ausbildungsberechtigt sind. Das
Recht auf Ausbildung gilt für alle; denn alle jungen
Frauen und Männer brauchen gleiche Chancen. Weil das
so ist, ist aus grüner Sicht gerade die berufliche Benachteiligtenförderung zu intensivieren. Die stärkere Zusammenarbeit von Schulen und Ausbildungsträgern ist
hierfür unabdingbar; deshalb begrüßen wir das Programm
Berufliche Qualifizierung für Zielgruppen mit besonderem Förderbedarf. Wir legen allerdings ein besonderes
Augenmerk auf die Tatsache, alle Jugendlichen in die
Lage zu versetzen, moderne Informations- und Kommunikationstechnologien zu nutzen.
({2})
Wir sehen die Gefahr einer digitalen Spaltung in Deutschland. Für uns ist es unabdingbar, diese zu verhindern.
Meine Kollegin Grietje Bettin wird darauf später noch genauer eingehen.
Ziel unserer Politik ist es heute, Rahmenbedingungen
zu schaffen, die dazu beitragen, dass junge Menschen für
sich eine Zukunft sehen. Die Zugangsgerechtigkeit bei
der Ausbildung herzustellen ist dafür die Grundlage.
Diese Anstrengung allein genügt aber nicht. Für
Bündnis 90/Die Grünen stehen die Stärkung der Zivilgesellschaft, der Kampf gegen Rechtsextremismus und
für Toleranz sowie die Erweiterung des internationalen
Erfahrungsschatzes von jungen Menschen ebenfalls auf
der Agenda.
({3})
Die meisten Jugendlichen suchen gerade heute Möglichkeiten, sich in der Gesellschaft zu engagieren. Sie zeigen große Neugier auf Europa und auf außereuropäische
Länder. Für die Politik gilt es, diese Neugier aufzugreifen
und zu fördern. Das werden die Koalitionsfraktionen tun.
Ich möchte, dass meine Tochter Pia in einer interkulturellen, in einer offenen Welt groß wird. Ich möchte, dass
sie die Chancen dazu erhält, und, wie alle anderen Kinder
in dieser Gesellschaft, eine Struktur vorfindet, die dies ermöglicht.
({4})
Mit der Novellierung des Gesetzes zur Förderung eines
freiwilligen sozialen Jahres und des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres werden wir
neue Möglichkeiten für dieses Engagement schaffen.
Junge Menschen werden rechtlich und sozial besser abgesichert. Das freiwillige Jahr wird künftig auch in neuen
Bereichen, wie im Sport, in der Kultur und im Denkmalschutz, sowohl im In- als auch im Ausland ermöglicht.
({5})
Gerade der Ausbau der Freiwilligendienste bietet aus
grüner Sicht verstärkt die Möglichkeit für Jugendliche,
ihre soziale und interkulturelle Kompetenz zu steigern.
Aber nicht nur die Freiwilligendienste, beispielsweise die
ausgezeichnete Arbeit von Aktion Sühnezeichen, sondern
auch der Jugendaustausch - Herr Haupt, in diesem
Punkt haben Sie Recht - sind ein wichtiges Instrument.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass von der rot-grünen Bundesregierung die Förderung - auch mit Blick auf Osteuropa - ausgebaut wird. Das kann in der Tat nicht das
Ende der Fahnenstange sein. Da gebe ich Ihnen vollkommen Recht.
Die Möglichkeiten für Jugendliche, ihre eigene Umgebung mitzugestalten, müssen aus unserer Sicht ausgebaut
werden, wenn Demokratie für junge Menschen erfahrbar
werden soll. Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Schule,
in der Berufsausbildung, im Studium und im Alltag sind
notwendig, damit Jugendliche ihren Platz in der Gesellschaft selbstbewusst einnehmen können. Nur wenn Beteiligung an Entscheidungsprozessen erlebt wird, findet
auch wirklich eine Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten statt. Deshalb ist meine Fraktion der Auffassung,
dass wir über das Aktionsprogramm hinaus weitere
Schritte unternehmen müssen. Die ASten brauchen zum
Beispiel das allgemeinpolitische Mandat, da das den Einfluss der Studierenden stärkt.
({6})
Junge Menschen in außerbetrieblichen Ausbildungsstätten benötigen mehr Mitbestimmungsrechte. Letztere wird
die Koalition im Berufsbildungsgesetz verankern.
({7})
Meine Damen und Herren, Rechtsextremismus,
Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz sind nicht ausschließlich Jugendprobleme. Dennoch müssen wir auch
in der Jugendpolitik Gewalt von rechts deutlich entgegentreten. Bündnis 90/Die Grünen setzt sich deshalb für
eine starke Zivilgesellschaft ein. Mit den Programmen
Civitas und Xenos übernimmt die Bundesregierung
Verantwortung im Opferschutz und für die Förderung von
Initiativen und Projekten, die sich für eine demokratische
Gesellschaft engagieren. Wir freuen uns, tragen diese Programme doch, zumindest ein bisschen, eine grüne Handschrift.
({8})
Aber nicht nur der Bund, auch die Länder und Kommunen stehen in der Verantwortung, lokale Partnerschaften
und Netzwerke gegen Rechtsextremismus und zur Stärkung der Zivilgesellschaft auszubauen. Bündnis 90/Die
Grünen sehen den präventiven Ansatz des Kinder- und Jugendhilfegesetzes als zentral für die offene Jugend- und
Jugendverbandsarbeit an. Wir begrüßen, dass die Bundesregierung ihre Anstrengungen in diesem Bereich fortsetzt.
Wir fordern die Bundesregierung jedoch auch auf, bestehende Leistungen und Hilfen für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund zu öffnen, also den eingeschlagenen Weg noch ein Stück weiterzugehen.
Interkulturelle Kompetenzen der politisch und administrativ Handelnden sind hier mindestens genauso gefragt
wie Angebote für jugendliche Migrantinnen und Migranten. Die ungleichen Zukunftsperspektiven von Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund, die immer
noch existieren, sind für uns nicht akzeptabel.
Wir sollten alle gemeinsam dafür kämpfen und uns einsetzen, dass Jugendliche insgesamt bessere Chancen bekommen als zurzeit. Wir sind alle gemeinsam aufgerufen,
das umzusetzen.
Vielen Dank.
({9})
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Klaus
Haupt, FDP.
Lieber Kollege Simmert, Sie haben mich zu Beginn zweimal persönlich angesprochen,
deswegen nehme ich mir die Freiheit heraus, zu reagieren.
Erstens. Sie warfen mir vor, der wirtschaftspolitische
Sprecher zu sein. Ich lege Wert darauf, dass ich noch der
jugendpolitische Sprecher meiner Fraktion bin. Ich habe
mich hier bloß befleißigt, Ihrem Anspruch, Jugendpolitik
als Querschnittsaufgabe zu verstehen, gerecht zu werden
und umfassend über den Tellerrand hinauszuschauen.
({0})
Dass die FDP das auch zu ihrem Grundsatz gemacht hat,
erkennen Sie daran, dass der wirtschaftspolitische Sprecher hier selbstverständlich zugegen ist, weil die jugendpolitische Debatte so wichtig ist.
Zweite Bemerkung: Ich bin etwas enttäuscht, dass Sie
meinen Sachverstand als Kollegen im Ausschuss eher gering einschätzen. Sie haben mir ja fast unterstellt, dass ich
hier am Rednerpult bloß dahergeschwätzt hätte.
({1})
- Selbstverständlich, Sie sagten, nichts liege vor. Zur Ehrenrettung muss ich sagen, dass zwei Papiere vorliegen,
eines von den Koalitionsfraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen und ein fast so dickes von einer im Moment noch etwas kleineren Partei, das in der Fraktion
durchzubringen ich mir erlaubt habe. Ich denke einmal,
dass Sie mit dem Ausdruck des Bedauerns die Aussage
zurücknehmen, dass es keine Papiere seitens der FDP
bzw. des Kollegen Haupt gebe.
Danke.
({2})
Zur Erwiderung, Herr
Kollege Simmert, bitte.
Eine ganz kurze Erwiderung: Von meiner Partei sind nicht
nur Mitglieder der Fraktion anwesend, die sich im wirtschaftlichen Bereich auskennen, sondern auch unsere
Staatssekretärin ist bei der Debatte zugegen. Von daher
möchte ich noch einmal deutlich machen, dass natürlich
auch wir über den Tellerrand hinausschauen. Es sind auch
noch Vertreter weiterer Ministerien anwesend, die diese
Debatte verfolgen.
({0})
Das ist auch nichts Außergewöhnliches, sondern eher eine
Selbstverständlichkeit.
In der Tat haben Sie hierzu ein Papier vorgelegt. Allerdings hätten Sie ruhig einmal darauf eingehen können. Ich
wäre sehr daran interessiert, mit Ihnen eine wirkliche Auseinandersetzung über die Positionen zu führen und nicht
bloß immer wieder Themen wie Ökosteuer und 630-DMJobs als Kernaussagen in einer jugendpolitischen Debatte
zu hören. Das ist mir einfach zu wenig. Ich glaube, das
geht den Kolleginnen und Kollegen ähnlich.
Danke.
({1})
Nächste Rednerin in
der Debatte ist die Kollegin Angela Marquardt für die
PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da mich die Kurzintervention Ihres Kollegen Schulz
sehr wütend gemacht hat, will ich es mir nicht sparen, am
Anfang meiner Rede darauf hinzuweisen, dass wir hier
ein jugendpolitisches Programm diskutieren, das im Kern
aussagt - ich zitiere -:
Zum Kernbestand unserer Demokratie gehört die
Fähigkeit, Konflikte in einer Atmosphäre gegenseitiger Toleranz und Akzeptanz auszuhandeln und friedlich zu lösen.
({0})
Heute früh hat dieselbe Bundesregierung, auch Ihr
Kollege Werner Schulz, den Kriegseinsatz der Bundeswehr gerechtfertigt und damit das Mittel der Gewalt zur
Konfliktlösung sozusagen legitimiert. Ich weiß nicht, wer
mehr Zynismus und Heuchelei an den Tag legt: diejenigen, die zumindest Fragen stellen, oder diejenigen, die
Kritik an dem Vorgehen zurückweisen.
({1})
Auch das sind Werte, die man Jugendlichen vorleben
sollte.
({2})
Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass in Ihrem Programm und in Ihrem Entschließungsantrag viele richtige
und wichtige Punkte stehen. Bildung und Ausbildung sind
die Voraussetzung für einen chancengleichen Start ins Berufsleben; das ist hier schon angesprochen worden. Sie
sind die Basis für die Entwicklung unserer Gesellschaft.
Niemand, weder Staat noch Wirtschaft, darf sich der Verantwortung entziehen, die Grundlage dafür zu legen, dass
Bürgerinnen und Bürger nicht immer mehr für die Schulausbildung und das Studium ihrer Kinder zahlen müssen.
Das bedeutet für mich auch, dass Schülerinnen und
Schüler an weiterführenden allgemeinbildenden Schulen
und an Berufsfachschulen endlich Zugang zum SchülerBAföG bekommen müssen.
({3})
Unter Ihren Qualifizierungsprogrammen loben Sie vor
allem immer das JUMP-Programm. Ich will nicht verhehlen, dass es jungen Leuten Chancen geboten hat. Aber
der Erfolg des Programmes kann nicht nur an der Zahl der
geförderten Jugendlichen gemessen werden. Es muss
auch darum gehen, wie viele Jugendliche tatsächlich den
Sprung in das Berufsleben geschafft haben.
({4})
Wenn man diesen Maßstab zugrunde legt, dann muss man
feststellen, dass die Bilanz relativ mager aussieht. Die
Förderung besteht nämlich auch aus Trainingsprogrammen und Maßnahmen, die die Motivation und die Arbeitsbereitschaft fördern sollen usw. Hier werden also
nicht ausschließlich Ausbildungsplätze oder Jobs geschaffen, sondern es sind Maßnahmen, die vor allem zur
Bereinigung der Statistik beitragen.
Natürlich, Christian, entziehen sich viele Unternehmen
nach wie vor ihrer Verantwortung für die Ausbildung. Als
ich noch bei der SPD Politik gemacht habe, hat sie eine
Umlagefinanzierung gefordert; das muss ich nicht weiter erklären. Nun frage ich mich aber: Warum stehen Sie
nicht mehr zur Umlagefinanzierung? Warum setzen Sie
sie nicht durch, obwohl Sie sie jahrelang gefordert haben?
({5})
Frau Bergmann, in Ihrem Programm steht, dass der Arbeitgeber, wenn er Jugendliche für eine Qualifizierung
freistellt, das Gehalt weiter zahlt. Das ist auch richtig. Was
ich an dieser Situation aber nicht verstehe, ist, warum Sie
den Unternehmen anbieten, diese Kosten teilweise zu
übernehmen. Der Staat ist doch nicht für die Finanzierung
der Wirtschaft verantwortlich.
({6})
Die Wirtschaft muss gezwungen oder - was natürlich sehr
viel besser ist - davon überzeugt werden, die Verantwortung für Qualifizierung und Ausbildung ihres eigenen
Nachwuchses zu übernehmen und dies zu finanzieren.
Dabei hat der Staat nicht die Aufgabe, der Wirtschaft das
Geld zuzuschieben.
({7})
Da wir gerade beim Geld sind: Auch die Kindergelderhöhung wird an dieser Stelle immer wieder gelobt. Ich
finde, jede Erhöhung ist ein wichtiger Schritt. Sie müssen
aber zugeben, dass die Kindergelderhöhung und die dadurch entstandenen Mehrausgaben zum Teil durch die
steuerliche Höherbelastung der Alleinerziehenden gegenfinanziert werden. Dazu hatte die PDS einen Vorschlag
gemacht, auf den ich aber nicht näher eingehe; wir haben
oft genug darüber diskutiert.
Zu Recht ist hier die Medienbildung angesprochen
worden. Ich finde, das ist ein Thema, dem sich die Bundesregierung wirklich widmet, das sie immer wieder auf
die Tagesordnung setzt. Ich freue mich darüber, dass, wie
Sie verkünden, alle Schulen mit Internetzugängen und
PCs ausgestattet werden sollen. Aber Sie müssen zugeben, dass dieses zum Teil von den Schulen und Eltern selber finanziert werden muss. Wo das nicht möglich ist, setzen Sie mit Ihrer D-21-Initiative auf die Wirtschaft. Ich
habe kein Problem damit, dass die Wirtschaft für die Qualifizierung sozusagen blechen soll. Man kann aber nicht
nur auf die Wirtschaft setzen. Der Staat darf sich seiner
Verantwortung nicht entziehen. Wenn nämlich Medienbildung ausschließlich vom Sponsoring und damit von
der Gunst der Wirtschaft abhängig ist - diese Tendenz
können wir beobachten -, dann kann das schief laufen.
Wir alle in diesem Hause wissen - unabhängig davon, wie
man zum Sponsoring steht -, dass es interessenfreies
Sponsoring durch die Wirtschaft nicht gibt.
({8})
Diese Bedenken möchte ich zumindest zum Ausdruck
bringen.
Ich finde es gut - ich weiß nicht, ob es zum ersten Mal
schriftlich formuliert wurde -, dass es in dem Entschließungsantrag eine kleine Passage zur Filtersoftware
gibt. Auch Sie sagen, dass Filtersoftware kein geeigneter
Jugendmedienschutz ist. Frau Eichhorn, ich muss Ihnen
sagen: Nicht das Internet ist das Problem, sondern diejenigen, die es für Gewaltverherrlichung und für den
Rechtsextremismus missbrauchen.
({9})
Deswegen muss man nicht gegen das Internet vorgehen,
sondern gegen diejenigen, die auf der Straße den Rechtsextremismus repräsentieren. Man sollte aber nicht das Internet zensieren.
Ich habe mich gefreut, dass das Thema Rechtsextremismus in den letzten Wochen und Monaten eine derartig breite Aufmerksamkeit gefunden hat. Aber die eine
oder andere Maßnahme ist inkonsequent oder nicht zu
Ende gedacht. Gerade auf diesem Gebiet geht es nicht
ausschließlich darum, den rechtsextremen Jugendklubs
Geld zu geben, damit mit diesen Jugendlichen gearbeitet
werden kann. Es geht im Gegenteil darum, die Gegenkultur zu fördern, das heißt, antirassistische Jugendinitiativen zu fördern und aufzubauen. Wir brauchen eine Gegenbewegung; man sollte sich nicht ausschließlich nur
immer an den Rechten abarbeiten.
({10})
Es sollten vielmehr inhaltliche Voraussetzungen geschaffen
werden, dass auch andere Strukturen entstehen können.
Wenn Sie der Meinung sind, dass das Engagement der
Jugendlichen unterstützt werden muss, dann bitte ich Sie
an dieser Stelle: Streichen Sie antirassistische und antifaschistische Jugendinitiativen aus dem Verfassungsschutzbericht! Hören Sie auf, sie zu beobachten und durch
die Polizei zu kriminalisieren!
({11})
Diese Initiativen sind in vielen Orten - das gilt gerade für
die neuen Bundesländer; ich bin dort viel unterwegs praktisch die einzigen, die einer Nazidominanz in den
Kommunen Widerstand entgegensetzen.
Rassismus ist nun einmal das Fundament des heutigen
Rechtsextremismus. Ich bin froh, dass auch Sie der Meinung sind - das ist in den Anträgen deutlich geworden -,
dass Rassismus ein Ausgangspunkt für Rechtsextremismus ist. Wenn aber die deutsche Wirtschaft gute Ausländerinnen und Ausländer auswählt, wenn gleichzeitig
die anderen gefälligst draußen bleiben sollen und wenn
vor dem Hintergrund der Ereignisse des 11. Septembers
ausländische Studierende in der Bundesrepublik in Anträgen als Terroristen per se stigmatisiert werden, dann kann
man Jugendliche nicht von ihrem rechten Weg abbringen,
sondern dann arbeitet man ihren Überzeugungen zu.
({12})
Mich hat ein wenig gewundert, dass das Thema
Drogenpolitik völlig fehlt. Sie wurde zwar angesprochen, aber die Probleme wurden nicht thematisiert. Auch
wenn es nicht allein ein jugendspezifisches Thema ist, so
muss man doch sagen, dass gerade junge Menschen Umgang mit weichen Drogen haben. Ich habe mich schon gewundert, warum gerade Rot-Grün - Sie haben in der Vergangenheit immer die Legalisierung von weichen Drogen
wie zum Beispiel Cannabis gefordert - in diesem Punkt
nichts unternommen hat. Seit Rot-Grün regiert, ist dieses
Thema leider nicht wieder aufgetaucht.
({13})
Lassen Sie mich zum Schluss auf das Thema politische
Partizipation eingehen. Niemand wird bestreiten, dass
dieses Thema wichtig ist. Wir müssen Formen finden,
damit junge Leute Spaß an Politik haben. Ihre
Beteiligungsbewegung ist daher eine gute Initiative. Sie
darf aber nicht nur zum Zuschauen verkommen, sondern
sie muss das Engagement von jungen Leuten fördern.
Wenn aber, wie in Berlin geschehen, während der Schulzeit eine Schülerdemonstration stattfindet und Schülerinnen und Schüler Tadel und Verweise dafür bekommen,
weil sie an dieser Demonstration teilgenommen haben
- ihnen wurde von Lehrerinnen und Lehrern sozusagen
verboten, an dieser Demonstration teilzunehmen -, dann
bin ich doch sehr verwundert. Jetzt engagieren sich Jugendliche endlich einmal und sofort bekommen sie eines
auf den Deckel.
({14})
Frau Bergmann, Sie haben während der Präsentation
des Projektes Beteiligungsbewegung gesagt, dass man
auch nach der Schule demonstrieren kann. Aber warum
sollen sich Jugendliche nicht auch einmal während der
Schulzeit engagieren?
({15})
Schule muss Allgemeinbildung vermitteln. Da muss auch
die politische Partizipation Bestandteil der Bildung sein.
Frau Kollegin
Marquardt, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Wenn ein Engagement
gleich wieder abgebügelt wird, entsteht natürlich Politikverdrossenheit. Das kann ich verstehen. Ich bin aber
frohen Mutes, dass sich das ändern wird.
Danke.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Griese für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich ist die Wahrnehmung
vieler Jugendlicher richtig: Jugendliche spielen in der Politik keine oder eine zu geringe Rolle. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ändern wir gerade, und zwar auch
schon seit 1998. Wir stellen Kinder und Jugendliche, ihre
Interessen und Perspektiven in den Mittelpunkt.
Lassen Sie mich etwas zu Herrn Haupt sagen, der behauptet hat, es seien nur schöne Worte im Regierungsprogramm zu finden. Neben schönen Worten finden Sie auch
eine ganze Menge Fakten, Programme und finanzielle
Mittel. Wenn Sie die Antwort auf die Große Anfrage Jugend durchlesen, sehen Sie, was wir alles getan haben,
um diesen Bereich zu verstärken.
({0})
Sie haben selbst gesagt, Bildung sei das Wichtigste. Da
stimme ich Ihnen voll und ganz zu. Aber schauen Sie doch
einmal in Ihre Regierungszeit zurück! Sie haben den Bildungsetat permanent gekürzt. Die FDP war in dieser Republik fast 30 Jahre an der Regierung. Wir haben die Kürzungen aufgehoben, wir investieren jetzt wieder in
Bildung.
({1})
Das ist für die Zukunft der jungen Generation wichtig.
({2})
Ich gehöre mit 34 Jahren noch zu den jungen Abgeordneten in diesem Hohen Hause. Ich glaube nicht, dass
alle Probleme damit gelöst sind, wenn ausschließlich
junge Leute Interessen in der Politik vertreten. Aber die
Verstocktheit und die Blockaden der Regierung Kohl
wurden auch durch einen Generationenwechsel abgelöst.
Ein Bestandteil dieses Generationenwechsels sind viele
jüngere Abgeordnete und wenn Sie sich die Zahlen ansehen, so sehen Sie, dass die vor allem auf den Bänken der
Regierungsfraktionen, der SPD und der Grünen, zu finden
sind.
({3})
- Das stimmt. Doppelt so viele junge Abgeordnete wie bei
Ihnen von der CDU/CSU, Frau Heinen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir machen ein Angebot an die Jugendlichen. Wir wollen zum Einsatz für
unsere demokratische Gesellschaft herausfordern. Der
Vorwurf, Jugendliche würden nicht gefragt, gilt nicht
mehr. Wir machen Angebote zur Diskussion und zur Mitgestaltung. Ich mache Politik, das ist der Slogan der
Beteiligungsbewegung, die von der Ministerin ins Leben
gerufen worden ist und die in dieser Woche begonnen hat.
Zuerst einmal hört jetzt die Politik zu, wenn Jugendliche
den Ministerinnen und Ministern ihre Meinung sagen. Ich
finde, das ist auch gut so.
({4})
Jugendliche geben oft Anstöße für gesellschaftliche
Debatten und Bewegungen, die ein gerechteres Miteinander der Menschen zum Ziel haben. Gerade nach den Anschlägen vom 11. September haben wir alle beobachtet,
wie Tausende von Jugendlichen, wie zig Schulklassen
ihre Solidarität mit den USA, ihre Toleranz, aber auch ihre
Friedenssehnsucht ausgedrückt haben - vor der amerikanischen Botschaft in Berlin und in vielen anderen Städten
in der Bundesrepublik. Ich denke, dieses Engagement
muss man würdigen.
({5})
Dies zeigt auch, dass Jugendliche nicht unpolitisch
sind. Sie interessieren sich zum Beispiel für den Ausstieg
aus der Atomenergie, für den Abbau der Staatsschulden,
für eine gesunde Umwelt und für einen interessanten Job.
Genau von diesen Entscheidungen hängt die Zukunft unserer Gesellschaft ab. Deshalb bedeutet unsere Jugendpolitik, dass alle Ressorts, vom Arbeitsministerium bis zum
Wirtschaftsministerium, von der Bildung bis zur Entwicklungshilfe, die Belange von Kindern und Jugendlichen beachten und fördern; denn - und das steht bei uns im Mittelpunkt - Generationengerechtigkeit ist ein Ziel unserer
Politik.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kinder und Jugendliche wollen sich engagieren und die Gesellschaft gestalten. Sie wollen sich selbst organisieren; das ist das
Prinzip der Jugendverbände. Um kontinuierliche Partizipation zu gewährleisten, ist die Arbeit der Jugendverbände unverzichtbar. Deshalb möchte ich an dieser Stelle
den Aktiven im Deutschen Bundesjugendring und seinen
Mitgliedsverbänden, in denen Millionen von Jugendlichen ehrenamtlich aktiv sind, für ihre wichtige Arbeit
danken.
({7})
Ich freue mich, dass Gaby Hagmans, die Vorsitzende des
Deutschen Bundesjugendrings, an dieser Debatte teilnimmt.
({8})
Ich möchte insbesondere auf ein Thema eingehen.
Beim Rechtsextremismus stehen wir vor einem gesamtgesellschaftlichen Problem. Es wäre falsch, allein Jugendliche für Gewalt und Fremdenfeindlichkeit verantwortlich zu machen, und es wäre genauso falsch, allein
nach Ostdeutschland zu gucken.
({9})
Die Ursachen sind vielfältig - das wissen und akzeptieren
wir hoffentlich alle -: mangelnde Ausbildungs- und Arbeitsperspektiven, fehlender Halt in der Familie und die
Suche nach einfachen Lösungen, um nur einige zu nennen. Deshalb gehört für Sozialdemokraten die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit
zu den wichtigsten Aufgaben unserer Politik. Eine kontinuierliche Jugendpolitik ist die beste Prävention gegen
Rechtsextremismus.
({10})
Wir müssen dabei neben den natürlich notwendigen repressiven Maßnahmen gerade diejenigen Jugendlichen,
die sich schon in Richtung Rechtsextremismus orientieren und Gewaltbereitschaft zeigen, in die gesellschaftliche Mitte zurückholen. Und wir müssen - das tun wir mit
unseren Programmen auch, Frau Marquardt - diejenigen,
die in der Mitte der Gesellschaft stehen und sich für Demokratie und Toleranz einsetzen, aktiv unterstützen.
Hier haben wir Schwerpunkte gesetzt. Unser Programm heißt Jugend für Toleranz und Demokratie,
womit wir betonen, wofür sich die Jugendlichen einsetzen sollen. In diesem Jahr haben wir die Stärkung des
demokratischen Engagements junger Menschen mit
30 Millionen DM gefördert. Aus diesen Mitteln wird zum
Beispiel der Ideen- und Aktionswettbewerb der Evangelischen Jugend, Auf dich kommt es an, gefördert, dessen
Symbol ein Spiegel ist, der nicht nur den Einzelnen, sondern auch die Welt dahinter zeigen soll. Die SPD-Fraktion
setzt sich für die Verstetigung dieser Haushaltsmittel ein.
Ihnen von der CDU/CSU ist dazu ja nur eingefallen, das
Wort Rechts zu streichen, wobei Sie meines Erachtens
die tatsächlichen Probleme in unserem Land verkennen.
({11})
Des Weiteren erwähne ich das Programm Civitas, das
in diesem Jahr mit 10 Millionen DM Projekte zur Beratung, Ausbildung und Unterstützung von Initiativen gegen Rechtsextremismus und zur Opferberatung in den
neuen Bundesländern fördert. Gerade Ansätze, in denen
sich Jugendliche auf der lokalen Ebene für Jugendliche
engagieren, halte ich für besonders sinnvoll. Zum Beispiel arbeiten in Sachsen im Netzwerk Demokratie und
Courage, das von der DGB-Jugend unterstützt wird,
Schülerinnen und Schüler mit anderen Schülern in Workshops daran, Vorurteile zu erkennen und zu hinterfragen.
Das ist ein sinnvoller Beitrag zum Abbau von Fremdenfeindlichkeit.
({12})
Schließlich nenne ich das Programm Xenos - Leben
und Arbeiten in Vielfalt, das antirassistische und arbeitsmarktbezogene Maßnahmen verknüpft. Dieses Programm ist deshalb so wichtig, weil es dort ansetzt, wo
Menschen gemeinsam arbeiten und lernen. Dazu gehören
zum Beispiel Konfliktmanagement und interkulturelles
Training in Berufsschulen. Das ist eine sinnvolle Präventionsarbeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein wichtiges Feld ist
die internationale Jugendarbeit. Gerade nach dem
11. September halten wir es für wichtig, die intensive Auseinandersetzung mit anderen Ländern, Kulturen und Religionen zu verstärken. Daher habe ich mich auch über die
geplante Aufstockung der Mittel für das deutsch-polnische Jugendwerk und über die Eröffnung des Koordinierungsbüros für den deutsch-israelischen Jugendaustausch
in Wittenberg gefreut.
({13})
Wir halten die Verbesserung der sozialen Situation
benachteiligter Kinder und Jugendlicher für eine wichtige
Aufgabe. Kinder und Jugendliche sollen gemeinsam aufwachsen und miteinander lernen und leben. Das ist am
besten in Kinderbetreuungseinrichtungen möglich. Der
Ausbau der Kinderbetreuung ist ein wichtiger Schritt zur
sozialen Integration.
({14})
Wenn Frau Eichhorn in jeder Debatte das Bundesland
Bayern hervorhebt, muss ich sie wirklich nach der Betreuung der unter Dreijährigen in Bayern fragen. Hier
sieht Bayern nämlich ganz schlecht aus.
({15})
Dazu gehört auch, dass Kinder mit Migrationshintergrund
in Betreuungseinrichtungen besser die deutsche Sprache
lernen können, was für die Integration unerlässlich ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Willy Brandt rief
Anfang der 70er-Jahre der jungen Generation zu: Mehr
Demokratie wagen. Viele von denen, die hier - zumindest auf dieser Seite des Hauses - sitzen,
({16})
kommen aus dieser Generation und haben sich davon angesprochen gefühlt. Heute sagt die Bundesregierung von
Gerhard Schröder und Christine Bergmann: Den Jugendlichen Chancen geben. Jetzt kommt es darauf an,
diese Chancen wahrzunehmen. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir den Jugendlichen zeigen,
dass die Politik nicht jugendverdrossen ist. Die rot-grüne
Bundesregierung hat damit angefangen.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat der Kollege Klaus Holetscheck für die Fraktion der CDU/CSU.
Frau Präsidentin!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie haben 1998 versucht, die Jugendlichen mit viel Show, trendigen Kinospots und Slogans zu umwerben. Am 1. Mai hat die Jugend dem Kanzler höchstpersönlich gezeigt, was sie von
ihm hält. Der Spiegel schreibt dazu:
Tausend jugendliche Besucher der Job-Parade in
Schwerin haben Bundeskanzler Gerhard Schröder
ausgepfiffen. Geplant war eine Diskussion mit Jugendlichen zum Thema Arbeitslosigkeit. Angesichts
der Buh-Rufe verabschiedete sich der Bundeskanzler nach wenigen Minuten mit dem Satz: Ich wünsche euch eine Menge Spaß, machts gut und feiert
schön!
So kann man natürlich auch das Thema Jugendarbeitslosigkeit behandeln.
({0})
Wir sind uns doch einig, dass Sie bei der Jugendpolitik
nicht viel zu bieten haben. Das Programm spricht für sich.
Was Sie schon am Anfang der Wahlperiode getan haben,
wiederholen Sie auch am Schluss: Sie versuchen, kurzfristig etwas aufzulegen, was sich gut anhört; aber Taten
lassen Sie den guten Sprüchen nicht folgen.
({1})
Außerdem kaschieren Sie Ihre mangelhafte Jugendpolitik
mit einer Großen Anfrage aus den eigenen Reihen. Allein
das sagt schon fast alles.
Das Thema Jugendarbeitslosigkeit ist eines der zentralen Themen; darüber sind wir uns über die Parteigrenzen hinweg einig.
({2})
Ihr Programm JUMP erreicht nicht das, was Sie und viele
andere sich davon versprochen haben. Die Zahlen der Jugendarbeitslosigkeit in Europa - Frau Kollegin Eichhorn
hat es vorhin schon dargestellt -, die das europäische statistische Amt herausgibt, sprechen für sich: So beträgt die
Jugendarbeitslosigkeit in Dänemark 6,9 Prozent, in Portugal 8,9 Prozent, in Österreich 5,8 Prozent, in Irland 5,9 Prozent, in den Niederlanden 4,1 Prozent, in Luxemburg
7,1 Prozent. Spitzenreiter ist Deutschland mit 9,5 Prozent.
Diese Fakten können wir doch nicht wegdiskutieren.
Genauso wenig können wir die Tatsache wegdiskutieren, dass ganze Regionen in den neuen Ländern ausbluten, dass die jungen Menschen dort keine Lehrstellen
mehr finden, dass sie ihre Region, ihre Heimat verlassen
müssen und wir dort ein Riesenproblem haben. Das sind
die Fakten, denen Sie sich stellen müssen. Wir müssen
diesen Trend mit allen Mitteln stoppen.
({3})
Kollege Simmert, wenn wir über Jugendarbeitslosigkeit sprechen, müssen wir auch über die Wirtschaft sprechen, weil die Wirtschaft die Rahmenbedingungen setzt.
Wir müssen über den Mittelstand sprechen. 80 Prozent
der Ausbildungsplätze werden vom Mittelstand zur Verfügung gestellt. Die Politik Ihrer Regierung trägt nicht
dazu bei, dass sich der Mittelstand in Deutschland entfalten kann. Das 630-DM-Gesetz, das Gesetz zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit, die Ökosteuer, das Betriebsverfassungsgesetz, die Steuerreform - das alles
sind Gesetze gegen den Mittelstand, Gesetze gegen die
Ausbildung von Jugendlichen in der Bundesrepublik
Deutschland.
({4})
Wenn man sich den Internetauftritt des Programms
JUMP anschaut - auch das ist recht interessant -, so findet man dort einen Jugendlichen, den man über viele Hindernisse zum Arbeitsamt treiben muss. Manchmal hat
man das Gefühl, dass Ihre Politik in der Wirklichkeit nicht
anders ist. Es werden viele Knüppel zwischen die Beine
geworfen und heraus kommt ziemlich wenig.
Wir haben zahlreiche Anträge zur Förderung des Mittelstandes gestellt; wir debattieren nachher darüber. Sie
hätten die Chance gehabt, auf diesen Zug aufzuspringen
und tatsächlich etwas für die Ausbildung in unserem Land
zu tun.
Beim Thema neue Medien zeigt sich genau dasselbe
Bild. Die Impulse für die Initiative Schulen ans Netz
wurden noch in unserer Regierungszeit gegeben. Von Ihnen kommt relativ wenig.
({5})
Wir sprachen vorhin das Thema Jugendschutz an. In
Ihrem Programm taucht dieser Punkt so gut wie gar nicht
auf. So müssen wir wirklich aufpassen, dass wir auf diesem Gebiet nicht insgesamt zum Schlusslicht werden.
Familienpolitik ist ebenfalls eine wichtige Facette der
Jugendpolitik. Eine werteorientierte, ganzheitliche Familienpolitik ist einer der besten Ansätze für eine wirksame
Jugendpolitik.
({6})
Wir haben ein Konzept; Sie haben keines.
({7})
Auch die Novelle zum Gesetz über Freiwilligendienste ist bereits seit langem angekündigt. Bis jetzt habe ich
sie immer noch nicht gesehen. Wo sind denn die entsprechenden Gesetzentwürfe? Ich hoffe, sie kommen bald;
denn Sie haben in der Koalitionsvereinbarung groß angekündigt, Sie wollten etwas für die Freiwilligen im Ausland tun.
({8})
Bis jetzt haben wir noch nichts gesehen. Wir warten und
werden das kritisch begleiten. Wir hoffen, dass Sie diesbezüglich einmal Wort halten.
({9})
Was mich wirklich ärgert, ist Ihre Missachtung des
Ehrenamtes. Ich erlebe in meiner Heimatstadt Bad
Wörishofen, dass viele Vereine dort eine wirklich gute Jugendarbeit leisten. Bei Ihnen vermisse ich allerdings
Bemühungen um die Stärkung des Ehrenamtes. Sie haben
einerseits eine Enquete-Kommission eingerichtet, aber
andererseits vieles verhindert, wodurch bürgerschaftliches Engagement sich hätte entfalten können und wirklich gefördert worden wäre.
({10})
Unterstützen Sie die Vereine in der Bundesrepublik
Deutschland! Sie leisten eine wertvolle Jugendarbeit.
({11})
Meine Damen und Herren, es ist relativ wenig passiert.
Ihr Programm Chancen im Wandel sollten Sie auf das
letzte Jahr Ihrer Regierungsarbeit anwenden; denn ich bin
sicher, der Wähler versteht das anders: Er wird Sie zur
zukünftigen Opposition wandeln.
({12})
Die Leute können sehr gut unterscheiden, was Show,
was Verpackung und was Inhalt ist. Das können auch die
Jugendlichen sehr gut.
({13})
Nicht nur in der Jugendpolitik, aber auch da machen Sie
viel Show und haben viel Verpackung, aber wenig Substanz und wenig Inhalte.
Meine Damen und Herren, ich fordere Sie auf: Geben
Sie der Jugend Zukunft, geben Sie ihr Perspektive! Tun
Sie etwas und machen Sie nicht nur Sprüche!
({14})
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Grietje Bettin für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das jugendpolitische Programm der Bundesregierung trägt den
Titel Chancen im Wandel. Große Chancen liegen auch
in dem Bereich, mit dem sich der Bericht unter dem Titel
Medienkompetenz für alle befasst und auf den ich mich
in dieser Rede konzentrieren möchte.
In einem medialen Zeitalter, in dem Programme immer
mehr nach kommerziellen als nach inhaltlichen Ansprüchen gestaltet werden, gewinnt die Fähigkeit der Bevölkerung, verantwortungsbewusst mit Medien umzugehen, ständig an Bedeutung. Dies gilt insbesondere für
Kinder und Jugendliche. Medienkompetenz umschreibt
hierbei die grundlegende Fähigkeit eines Individuums,
sich in einer von Medien geprägten Welt zurechtzufinden
und entsprechend zu handeln. Der Einzelne soll befähigt
werden, Wirkung und Ziele von Medien zu verstehen und
aus dem Spektrum der Angebote bewusst auszuwählen,
statt der Flut medialer Eindrücke passiv ausgesetzt zu
sein.
({0})
Dies beinhaltet neben dem notwendigen Erwerb technischen Wissens hauptsächlich die so genannte qualitative
Medienkompetenz, also die inhaltliche Auseinandersetzung mit Informationen. Gerade um die Entstehung einer
medialen Zweiklassengesellschaft zu vermeiden, ist die
Förderung von Medienkompetenz aufgrund ihrer alltäglichen Relevanz für die politische Partizipation der Menschen ganz entscheidend.
Die Vermittlung von Medienkompetenz ist also ein
sehr breit gefächertes Aufgabengebiet. Um größtmögliche Wirkung zu erzielen, sollte bei der Entwicklung von
Konzepten angesichts der sich rapide verändernden
Medienlandschaft und der ständig neuen technischen Errungenschaften jede Statik vermieden werden. Zukunftsoffene Konzepte sind also gefragt. Vor allem jedoch müssen diese stets so genau wie möglich auf ihre Adressaten
abgestimmt sein.
Nahe liegend scheint uns hier zunächst eine Differenzierung nach Altersgruppen. Wichtiger jedoch ist die gesellschaftliche Rolle der Adressaten, zum Beispiel diejenige als Elternteil, als Verbraucher oder auch als politisch
Interessierter, die eine jeweils eigene Form von Medienkompetenz einfordert. Außerdem ist noch die Funktion
der Mediennutzung zu beachten, etwa ob es sich um Unterhaltung, Weiterbildung oder Information handelt. Für
eine effiziente Vermittlung von Medienkompetenz ist die
Beachtung dieser von mir gerade genannten Kriterien von
sehr großer Bedeutung.
Die Bundesregierung ist hier auf einem sehr guten Weg.
Bis Ende 2001 werden alle Schulen und Berufsschulen in
Deutschland mit Internetzugängen ausgestattet sein.
Ausdrücklich begrüßen wir ebenfalls die Initiative
Jugendarbeit ans Netz, mit der auch Freizeiteinrichtungen für Kinder und Jugendliche ans Netz angeschlossen
werden sollen.
({1})
Mängel sehen wir bei den bereits bestehenden bundesweiten Projekten jedoch noch in deren mangelnder Verknüpfung sowie der häufig fehlenden wissenschaftlichen
Begleitforschung. Als sinnvollen Ansatz zur Lösung dieser Probleme befürworten Bündnis 90/Die Grünen die
Schaffung eines bundesweiten Netzwerks, welches die
Kommunikation zwischen einzelnen Trägern verbessern
und bedarfsgerechte Modellprojekte entwickeln soll.
Hierzu haben Bündnis 90/Die Grünen ein Konzept entwickelt, das wir bereits mit großem Erfolg der Öffentlichkeit präsentiert haben. Unser Konzept sieht folgende
Eckpunkte vor: Wir streben die Schaffung einer Plattform
an, welche die Kommunikation zwischen den einzelnen
Trägern optimieren und koordinieren soll. Als Aufgaben
dieser Koordinierungsstelle sehen wir unter anderem die
Bestandsaufnahme der bereits bestehenden Projekte zur
Förderung von Medienkompetenz, das Aufzeigen von
Trends, Lücken und Defiziten in diesem Bereich, das Entwickeln und Anbieten konkreter zielgruppenspezifischer
Modellprojekte und die Aktivierung der Kommunikation
innerhalb und außerhalb des Netzwerks.
Bündnis 90/Die Grünen und die rot-grüne Bundesregierung sind also mit konkreten Programmen und Konzepten bereits bestens auf die Herausforderungen der Informationsgesellschaft vorbereitet.
({2})
Medienkompetenz ist hierbei eine der wichtigsten Qualifikationen für unsere Kinder und Jugendlichen, um fit im
Umgang mit neuen Medien zu sein. Technische Kompetenz allein reicht jedoch bei weitem nicht aus. Es geht
vielmehr darum, den sinnvollen Umgang mit den neuen
und alten Medien zu lernen. Die sozialen und pädagogischen Komponenten dürfen hierbei niemals zu kurz kommen. Erst dann können wir sagen: Unsere Kids sind wirklich medienfit.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Nächster Redner ist
der Kollege Thomas Dörflinger für die Fraktion der
CDU/CSU.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Chancen im Wandel - toll! Sicherheit im Wandel - noch toller! Merken Sie was? Die
frappierenden Wortähnlichkeiten legen den Verdacht
nahe, dass mindestens der Titel, wenn nicht auch der Inhalt dieses Barackenpapierchens
({0})
aus der Feder des Kollegen Müntefering stammt.
({1})
Es ist völlig legitim - das haben auch wir gemacht -, dass
man in Regierungsprogramme den einen oder anderen
Tropfen Parteipolitik einfließen lässt. Aber man sollte es
ein kleines bisschen unauffälliger und ein kleines bisschen handwerklich besser machen, als Sie das tun.
({2})
Ein Programm soll das also sein. Ein Programm ist jedoch getreu dem Wortstamm auf die Zukunft gerichtet.
Sie aber listen auf über 25 Seiten lediglich das auf, was
Sie mehr oder weniger erfolgreich bereits getan haben. Insofern ist das kein Programm, sondern eigentlich ein Epigramm. Was denn in drei Teufelsnamen hat - bei aller
Wichtigkeit dieses Themas - der Ausstieg aus der Kernenergie mit der Jugendpolitik zu tun? Das könnte man
auch an vielen anderen Beispielen deutlich machen. Wenn
man das Epigramm inhaltlich reduziert, ist der Wert
schlussendlich unter einem Mikrogramm.
({3})
Eben ist von den Entschließungsanträgen gesprochen
worden, die dem Deutschen Bundestag noch zugeleitet
werden. Lassen Sie mich einige Bemerkungen dazu machen.
Wenn sich die Regierungsfraktionen mit einem Entschließungsantrag an die Regierung wenden, dann ist es
normalerweise so, dass die Lobeshymnen nur so sprudeln.
Das ist hier nicht so; denn es wird an einigen Stellen deutlich auf Versäumnisse hingewiesen.
({4})
So wird beispielsweise unter Punkt A 14 ausgeführt,
die Bundesregierung solle etwas für den Kinder- und
Jugendmedienschutz tun. Das findet unsere volle Zustimmung. Zu diesem Thema haben wir einen Antrag im
Plenum eingebracht, den Sie allerdings abgelehnt haben.
({5})
Ich frage mich, wann Sie in diesem Bereich endlich etwas
tun. Es geht nicht darum - dieser Vorwurf wurde vorhin
an die Kollegin Eichhorn gerichtet -, das Internet zu verbieten. Das Internet kann man genauso wenig verbieten
wie Regen. Das ist Unsinn. Es geht darum, vernünftige
Regelungen zu finden, um denjenigen das Handwerk zu
legen, die das Internet missbrauchen. Darauf warten wir.
({6})
Es finden sich noch viel tollere Dinge. So findet sich in
dem Entschließungsantrag von Rot-Grün die Forderung,
die Förderung nach dem Kinder- und Jugendplan
zukünftig daraufhin abzuklopfen, ob das Prinzip von
Gender Mainstreaming dort eingehalten wurde oder nicht.
Das erinnert mich an die ebenfalls von Rot-Grün erhobene Forderung, in die Verdingungsordnung für Bauleistungen den Passus aufzunehmen, dass es darauf ankomme, ob der Betrieb, an den zu vergeben sei, eine
Gleichstellungsbeauftragte beschäftige oder nicht.
({7})
Wie soll denn in Deutschland noch etwas funktionieren,
wenn Sie alles mit Bürokratie überziehen? Das ist weder
denjenigen, denen es nutzen soll, noch der Politik förderlich.
({8})
Bezeichnend ist - der Kollege Holetschek hat darauf
hingewiesen -, dass weder in dem - angeblichen - Programm Chancen im Wandel noch in dem Entschließungsantrag von Rot-Grün das Wort Verein vorkommt.
Man kann doch nicht ein Programm oder einen Entschließungsantrag zur Jugendpolitik in Deutschland formulieren und dabei das, was in Vereinen zwischen Flensburg und Garmisch in Deutschland geschieht, mit keinem
Wort erwähnen.
({9})
Das zeigt, dass Sie gegenüber der etablierten Jugendverbandsarbeit im Grunde genommen ein tiefes Misstrauen haben;
({10})
denn der Passus, Herr Schmidt, findet sich in Ihrem Entschließungsantrag unter der Unterüberschrift Neues Engagement fördern. Da Sie neues Engagement fördern
wollen, sind Sie offensichtlich mit dem bisherigen nicht
zufrieden. Sonst bedürfte es dieser Überschrift nicht.
({11})
Lassen Sie mich einige Worte zu dem Entschließungsantrag der FDP sagen. Es geht um den Wegfall der Abzugsfähigkeit beispielsweise von Kosten für hauswirtschaftliche Beschäftigungsverhältnisse, die Senkung des
Ausbildungsfreibetrages, der Wegfall des Haushaltsfreibetrages für Alleinerziehende ab 2005. Herr Kollege
Haupt hat schon darauf hingewiesen.
Ich war gestern beim Parlamentarischen Abend der
Deutschen Landfrauen.
({12})
Die Beteiligung von Regierungsseite war erstaunlicherweise relativ dünn. Genau diese Punkte sind dort angesprochen worden. Die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf leidet unter ebendiesen Maßnahmen. Politik für
den ländlichen Raum ist das, was Sie hier tun, auch nicht
gerade. Deswegen sollten Sie wenigstens hin und wieder
die Gelegenheit nutzen, um mit den Verbänden ins Gespräch zu kommen, und im Plenum des Deutschen Bundestages nicht nur sagen, dass Sie das getan hätten.
({13})
Meine Damen und Herren, Politik muss Perspektiven
eröffnen. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie beispielsweise
eine Aussage zur Zukunft der Jugendhilfe treffen - dazu
findet sich in diesem Programm nichts - und dass sich
darin eine Aussage dazu findet, wie denn die Förderung
von Jugendprojekten zukünftig erfolgen soll, eher institutionell, was die Verbandsarbeit angeht, oder projektbezogen. Wie wollen Sie das in Zukunft händeln? Auch dazu
findet sich keine Aussage.
Verschiedentlich ist auf die Ausbildungsplatzsituation
in Deutschland abgehoben worden. Wollen Sie zukünftig
auch im Rahmen der Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpolitik für diesen Bereich etwas tun oder verlassen Sie sich
auf das, was beim Programm JUMP - entweder mehr oder
weniger - herauskommt, sowie auf das, was das Bündnis
für Arbeit außer schönen Pressekonferenzen und Fernsehterminen noch so alles produziert, nämlich nichts? Das
führt uns im Grunde überhaupt nicht weiter.
Meine Damen und Herren, es ist selten, dass die Unionsfraktion mit der PDS einig ist. Aber der Hinweis, dass
sich in dem Programm zur Drogenpolitik keine Aussage
befindet, stimmt.
({14})
- Das mag sein; das steht heute aber nicht zur Debatte.
Heute steht das Programm der Bundesregierung Chancen im Wandel zur Debatte und darin befindet sich keine
Aussage zur Drogenpolitik.
Es geht schlussendlich darum: Wenn Sie beispielsweise den interkulturellen Dialog fördern wollen, dann
sind wir sehr dafür. Aber zunächst einmal müssen Sie jungen Menschen eine Orientierung vermitteln, eine Orientierung auch über das Gemeinwesen der Bundesrepublik
Deutschland, damit man anschließend fähig ist, sich mit
anderen Kulturen und anderen Gesellschaften auseinanderzusetzen.
Es ist auch richtig, wie Isa Vermehren kürzlich bei
Biolek gesagt hat, dass man einem jungen Menschen
zunächst einmal beibringen muss, worüber er redet, bevor
man ihn zur Kritikfähigkeit erziehen kann. Das ist die
natürliche Abfolge der Dinge und genau die halten Sie
nicht ein.
Jugendpolitik in Deutschland braucht nicht Reglementierung, sondern Freiräume. Junge Menschen in Deutschland wollen einfach etwas tun. Lassen Sie sie!
({15})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen.
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke,
die Debatte hat gezeigt, dass mit dem heute zur Diskussion stehenden Programm der Bundesregierung Chancen
im Wandel die Jugendpolitik ein ganzes Stück nach vorn
gebracht wird. Wir verdeutlichen mit dieser Debatte unsere politischen Prioritäten für die Jugend und für die Zukunft unseres Landes. Dass Bildung dabei ein zentrales
Handlungsfeld für die Sicherung von Chancengleichheit
und -gerechtigkeit ist, ist selbstverständlich.
Herr Dörflinger, bei all den Themen, über die wir heute
diskutieren, wird natürlich zugleich auch deutlich, dass
die Situation, in der wir mit unserer Politik angefangen
haben, für die Jugendlichen in vielen Bereichen nicht
berauschend war. Machen Sie nicht den Fehler, mit dem
Finger auf Wunden zu zeigen, die aber durch Ihre Untätigkeit entstanden sind und die wir gerade schließen.
({0})
War denn bei Ihrer früheren Arbeitgeberin Frau Nolte das
Thema Zukunftschancen von Migrantenkindern in
Deutschland ein wirkliches Thema? Was haben Sie da
eigentlich getan? Wurde nicht in den 90er-Jahren die
Chance in dieser Gesellschaft vertan, die Konsequenzen
von De-facto-Einwanderung zur Kenntnis zu nehmen und
ein zukunftsorientiertes Konzept für junge Menschen zu
entwickeln, die aus anderen Ländern kommen und in
Deutschland aufwachsen?
({1})
Jetzt bauen wir Ihre Versäumnisse ab.
Herr Dörflinger, ich fand, wie gesagt, interessant, dass
Sie in Ihrer Rede versucht haben, mit Ihren praktischen
Erfahrungen die Untätigkeit einer früheren Ministerin ein
bisschen zu kompensieren, von der heute keiner mehr redet, was auch Gründe hat.
({2})
Bildung und Qualifizierung sind die wichtigsten Voraussetzungen für die Verwirklichung von Lebenschancen. Die Zukunft des Einzelnen sowie die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung hängen natürlich
ganz entscheidend davon ab, ob es uns gelingt, heute sowohl das Wissen als auch die sozialen und kulturellen
Kompetenzen zu vermitteln, die gerade junge Menschen
brauchen.
Eine qualifizierte Ausbildung ist als Voraussetzung
für eine eigene Berufstätigkeit heute noch entscheidender,
noch wichtiger. Sie ist gerade für unsere jungen Menschen
die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit. Deshalb ist
die Investition in Bildung im besten Sinne Investition in
die Zukunft unserer jungen Menschen.
Meine Damen und Herren, die Leistungsfähigkeit unseres Bildungssystems entscheidet maßgeblich darüber,
ob der Generationenvertrag in unserer Gesellschaft auch
vonseiten der jungen Menschen als solidarischer Vertrag
verstanden wird.
({3})
Deshalb müssen die jungen Menschen von uns erwarten,
dass Bildung nach wie vor ein Bereich der öffentlichen
Verantwortung bleibt. Bildung ermöglicht Teilhabe am
politischen und gesellschaftlichen Leben, ist Navigationshilfe in einer Welt, die ständig komplexer wird. Sie
fördert und fordert Persönlichkeiten.
Es ist schon deutlich gemacht worden, dass die 90erJahre unter Ihrer Regierung Jahre des Rückgangs der Ausgaben für Bildung und Forschung waren. Das haben wir
kräftig korrigiert.
({4})
Das Jahr 2002 wird das vierte Jahr, in dem die Bildungsausgaben des Bundes trotz eines strengen Haushaltskonsolidierungskurses steigen werden.
Wenn darüber gesprochen wird, dass dieses Programm
keine Zukunftsaussagen enthält, dann will ich Ihnen eines
kurz sagen: Heute Abend wird hier im Bundestag über die
Reform des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes
gesprochen. Es ist eine Reformruine, die Sie uns hinterlassen haben, die nicht funktioniert hat, und wir verspielen dort einen entscheidenden Baustein auch im Sinne einer zukunftsorientierten Mittelstandspolitik. Wir wollen
vielen jungen Menschen, auch und gerade aus dem Bereich des Handwerks, die interessiert und qualifiziert sind,
die Chance bieten, sich staatlich gefördert fortzubilden,
ihren Meister zu machen, Betriebe zu gründen und damit
zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Ausbildungsplätzen beizutragen. Das ist unser praktischer Baustein, um
im Sinne einer wohlverstandenen Mittelstandspolitik die
Chancen junger Menschen zur Weiterqualifikation, zu
Unternehmensgründungen und zur Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen zu realisieren.
Ich will einen zweiten Punkt nennen. Natürlich ist die
Situation auf dem Ausbildungsmarkt nach wie vor angespannt. Aber man muss doch darauf hinweisen, dass der
Ausbildungskonsens im Bündnis für Arbeit nun im dritten Jahr zu einer schrittweisen Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt beiträgt. Wir sind Gott sei Dank in diesem
Jahr erstmals wieder in der Situation - letztmalig war das
etwa 1993/94 der Fall -, dass die gegenwärtig verfügbaren Ausbildungsangebote, betrieblich wie öffentlich
geförderte, bundesweit gesehen ausreichen, um jedem unvermittelten Jugendlichen einen Ausbildungsplatz anbieten zu können.
({5})
Ich will das nicht schönreden. Natürlich ist die Situation
in Ostdeutschland und übrigens auch in einigen Regionen
Westdeutschlands nach wie vor besorgniserregend. Deshalb hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit den Ländern vereinbart, dass auch weiter, bis
2004, außerbetriebliche Ausbildungsplätze die notwendige Ergänzung zu den Ausbildungsanstrengungen der
Wirtschaft in Ostdeutschland darstellen sollen.
({6})
Zum Thema Was hat sich eigentlich getan? will ich
Sie noch zart darauf hinweisen, dass Sie im BAföG-Bereich allein in den letzten fünf Jahren Ihrer Regierungszeit 700 Millionen DM eingespart haben. Während also
den jungen Menschen von Ihnen 700 Millionen DM genommen worden sind, schaffen wir es in einem Ruck,
1,1 Milliarden DM zusätzlich für das BAföG zu mobilisieren.
({7})
Somit können wir wieder davon reden, dass junge Menschen nicht aufgrund ihrer sozialen Herkunft in der Entfaltung ihrer Begabungsreserven gebremst werden, sondern unabhängig von ihrer sozialen Herkunft ihre
Bildungschancen auch im Hochschulbereich wahrnehmen können. Wir hoffen, dass an Schulen und Hochschulen dadurch 80 000 junge Menschen zusätzlich Anspruch
auf eine Ausbildungsförderung erhalten, die diesen Namen auch verdient.
Ich will noch auf einen weiteren Punkt Bezug nehmen,
den Sie in der Debatte angesprochen haben. Wir haben im
Bündnis für Arbeit mit den Gewerkschaften und mit den
Arbeitgebern Maßnahmen zur Erhöhung der Bildungsund Berufsbeteiligung von jungen Migrantinnen und Migranten beschlossen, die, so hoffen wir, in den nächsten
Jahren greifen werden. Denn über eines sollten wir uns
doch hier klar sein: Wir haben in den 90er-Jahren - das
war nicht nur ein Versagen der alten Bundesregierung die Probleme infolge fehlender Integration junger Menschen dramatisch unterschätzt und sind gut beraten, an
dieser Stelle keine Scheindiskussion zu führen. Das muss
unser gemeinsames Anliegen sein. Die Reform des Zuwanderungsgesetzes wird - denken Sie an die Frage der
Sprachausbildung - den nächsten Baustein unserer
Bemühungen bilden, dass junge Menschen aus Migrantenfamilien durch eine Förderung des Sprachunterrichts,
durch eine Förderung im Bildungssystem zum vollen Mitglied der Gesellschaft werden können. Gerade diese Menschen brauchen nämlich ihre zweite Chance in der Bildung, wenn sie im ersten Schritt nicht den Weg in den
Arbeitsmarkt gefunden haben.
({8})
Lassen Sie mich mit zwei kurzen Bemerkungen zum
Thema Multimedia schließen. Beim Amtsantritt dieser
Regierung waren 15 Prozent der deutschen Schulen an
das Netz angeschlossen; vor wenigen Wochen ist nunmehr die letzte Schule an das Netz angeschlossen worden.
Wir sind, europäisch gesehen, nach einem hoffnungslosen
Rückstand in die Spitzengruppe vorgerückt,
({9})
auch deshalb, weil wir das in Partnerschaft mit der Wirtschaft und zusammen mit den Bundesländern organisieren konnten.
Ein zweiter Punkt. Wir wissen alle: Es ist gut, dass
diese Ausrüstung da ist. Aber Medienkompetenz in diesem Sinne funktioniert nur, wenn mit diesen neuen Medien vernünftige Lerninhalte vermittelt werden. Dass das
Bundesministerium für Bildung und Forschung in vier
Jahren 650 Millionen DM dafür in die Hand nehmen wird,
um Bildungssoftware für die berufliche Aus- und Weiterbildung an Schulen und Hochschulen zur Verfügung zu
stellen, wird den nächsten Schritt sicherstellen: Die technischen Möglichkeiten werden zu einer neuen Qualität interessanten Unterrichts führen. So wird im Multimediazeitalter verhindert werden, dass diejenigen, die keine
Computer zu Hause haben, benachteiligt sind gegenüber
denjenigen, die in ihren Familien alles vorfinden. Das
können wir nur verhindern, wenn in den Bildungseinrichtungen attraktive, multimediagestützte Angebote zur Verfügung stehen.
Danke schön.
({10})
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Ursula Heinen für die Fraktion der
CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Damen und Herren! Das Magazin Der Spiegel
hat in seiner Ausgabe vor 14 Tagen mit vier Berliner Jungwählern über ihre Wahlentscheidung vom 21. Oktober
2001 gesprochen. Julian, ein etwa 20 Jahre alter Fotografenauszubildender vom Prenzlauer Berg, hat zum Abschluss des Interviews gesagt:
Die meisten in unserem Alter haben keinen Glauben
mehr daran, etwas verändern zu können ...
Weiter sagte er:
Die Politik kann in Wahrheit viel weniger schaffen,
als Politiker uns immer glauben machen wollen.
Dies, Frau Ministerin Bergmann, ist erschütternd.
Zeigt es uns doch die wachsende Distanz zwischen der
Politik und den jungen Menschen bei uns.
Dabei kennzeichnet die heutige junge Generation alles andere als Pessimismus und Null-Bock-Stimmung.
In der Shell-Studie wurde festgestellt - sie ist vom Kollegen Haupt schon angesprochen worden -, dass sich
Jugendliche im Alter von 15 bis 24 Jahre durch besonderen Optimismus und besondere Leistungsbereitschaft auszeichnen. Mehr als die Hälfte aller Jugendlichen antwortet auf die Frage, wie sie ihre persönliche
Zukunft einschätzen, eher zuversichtlich. Nur 9 Prozent sehen sie eher düster. In Ihrer Antwort auf die
Große Anfrage zur Jugendpolitik sprechen Sie selbst von
der großen Bereitschaft junger Menschen zum Engagement.
Das sind Fakten, die uns eigentlich sehr froh stimmen
müssten - wenn nicht das immer weiter nachlassende politische Interesse erkennbar wäre. In der Shell-Studie
- um sie noch einmal zu zitieren - heißt es dazu:
Die Jugendlichen entfernen sich nicht etwa bewusst
vom politischen System, sie lassen es mehr und mehr
links liegen.
Wie begegnet die rot-grüne Bundesregierung dieser
Entwicklung? Drei Jahre nach der Ankündigung schlägt
die Jugendministerin ein Programm vor. Chancen im
Wandel heißt es und soll - so das hehre Ziel - der jungen
Generation bessere und gerechtere Chancen auf Arbeit,
Bildung und Teilhabe ermöglichen und die Erziehung zu
Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit verstärken. Dies
sind Ziele, die wir alle hier im Deutschen Bundestag unterstützen können und wollen. Doch wenn Sie sich dieses
Programm einmal genauer anschauen, dann erkennen Sie
leider: Es ist heiße Luft und ist mit heißer Nadel gestrickt
worden.
({0})
Lassen Sie mich einige Beispiele nennen. Da heißt das
Kap. III: Wandel gestalten - Generationengerechtigkeit
sichern. Immerhin sind Sie zu der Einsicht gelangt, dass
dies ein wichtiges Thema ist. Wo aber bleibt die ernsthafte
und glaubwürdige Befassung mit dieser Aufgabe? Wenn
Ihnen die Generationengerechtigkeit so sehr am Herzen
liegt, warum haben Sie dann den Antrag meiner Fraktion
abgelehnt, in dem wir mehr Generationengerechtigkeit gefordert haben und verlangt haben, dass sich die heutige Politik an den Erfordernissen von Morgen messen lassen
muss? Wo bleibt eine Diskussion darüber, dass Gesetze,
die wir heute machen, auch daraufhin geprüft werden müssen, wie sie auf künftige Generationen wirken?
({1})
Wenn Ihnen Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit so sehr am Herzen liegen, warum ist dieses
Programm dann nur Lyrik? Warum stellen Sie in der Wirtschaftspolitik, in der Sozialpolitik und in der Finanzpolitik nicht die Weichen so, dass künftige Generationen
Chancen für eine gute Zukunft haben?
Sie betrachten Ihr jugendpolitisches Programm als
Querschnittsaufgabe. Das ist absolut richtig. Dann erwarten wir von Ihnen aber auch, dass Sie Ihren Ressortkollegen Druck im Hinblick auf eine generationengerechte Politik machen, und zwar in allen Politikfeldern, Frau
Bergmann.
({2})
Lassen Sie mich noch ein anderes Beispiel nennen: In
Ihrem Programm treten Sie energisch für mehr Mitspracherechte und Teilhabemöglichkeiten junger Menschen
ein. Sie sprechen in Ihrer Antwort auf die Große Anfrage
in diesem Zusammenhang sogar von prioritär. Auch das
unterstützen wir. Denn Jugendliche brauchen mehr Mitspracherechte in der Politik. Aber wie sieht die praktische
Umsetzung aus? Sie machen eine Kampagne - Sie selbst
sprachen von einer bundesweiten Beteiligungswoche -,
laden 50 junge Menschen ein und die Bundesjustizministerin unterhält sich mit Berliner Schülern über Konfliktlotsen. War es das? Teilhabe an politischen Entscheidungen heißt etwas ganz anderes. Teilhabe heißt, dass wir
junge Menschen und ihre Anliegen ernst nehmen, dass wir
Projekte entwickeln, die Jugendliche stärker in die Politik
einbinden, und keine Experimente durchführen, wie Sie
es vorhin genannt haben.
Ich nenne als Beispiel Baden-Württemberg, wo es in
vielen Kommunen Kinder- und Jugendparlamente gibt,
wo junge Menschen sehr früh lernen, ihre wichtigen Interessen zu formulieren und durchzusetzen. Selbst der
Deutsche Bundestag veranstaltet regelmäßig Jugend und
Parlament. Die CDU wird auf ihrem Parteitag im Dezember einen Jugendparteitag durchführen.
({3})
Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich die Wertschätzung des Bundeskanzlers in der Bezeichnung, die er
für Ihr Ministerium gebraucht hat, zeigt, nämlich:
Ministerium für Familie und Gedöns. Frau Bergmann, ich
kann Ihnen dazu nur eines sagen: Das würde ich mir nicht
bieten lassen. Das dürfen Sie sich im Interesse der jungen
Menschen bei uns in Deutschland nicht bieten lassen.
({4})
Alle Jugendstudien zeigen, dass sich junge Menschen
immer dann engagieren, wenn sie das Gefühl haben, sie
können mitbestimmen und etwas erreichen. Deshalb: Machen Sie mit der Beteiligung Ernst. Machen Sie keine
Kampagnen und politische Inszenierungen, sondern Konzepte. Unterstützen Sie wirkliche Beteiligungsformen.
Dann werden junge Menschen in Deutschland wieder
Freude haben, Politik zu machen. Dann wird auch Julian,
den ich eingangs erwähnt habe, vielleicht Sie und Ihre Politik wieder ernst nehmen.
({5})
Der nächste Redner ist
der Kollege Rolf Stöckel für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Frau Eichhorn, Sie haben angemahnt, die
moralische Basis und die Werte zu nennen, die der Kinder- und Jugendpolitik der rot-grünen Bundesregierung
zugrunde liegen. Auch wir hätten damals, als Sie die geistig-moralische Wende zu Beginn Ihrer Regierungszeit angekündigt hatten, gerne erfahren, was denn der Inhalt dieser geistig-moralischen Wende sein sollte. Die FDP, Herr
Haupt, hat in 29 Jahren Regierungsbeteiligung auch in
sozialliberalen Koalitionen jugendpolitische Initiativen
blockiert.
({0})
Wenn ich diese alle aufzählen wollte, dann würden meine
fünf Minuten Redezeit mit Sicherheit nicht ausreichen.
({1})
Ich will Ihnen sagen, welche Botschaft, die an die Kinder, Jugendlichen und Eltern gerichtet ist, sich durch das
Aktionsprogramm und die Antwort auf die Große Anfrage
durchzieht: Gleich welcher Herkunft und welchen Geschlechts, in welcher Familienform auch immer lebend,
ob ehelich oder unehelich geboren, Kinder und Jugendliche sind die Zukunft des Landes und müssen beteiligt
werden.
({2})
Ferner: Ihr habt gleiche Rechte und Chancen, aber auch
soziale Pflichten. Ihr seid unserem Staat gleich viel wert.
Er bietet euch Schutz. Ihr sollt ohne Gewalt und in einer
möglichst gesunden Umwelt aufwachsen. Ihr sollt bei allen kulturell angeeigneten Unterschieden, weil ihr persönlich einzigartig seid, friedlich zusammenleben, Vielfalt, Demokratie und Pluralismus als Reichtum begreifen
und unvermeidbare Konflikte friedlich lösen lernen.
({3})
Damit ihr die neuen Herausforderungen in einer sich immer schneller wandelnden Welt bestehen könnt, tun wir
alles, um euch die bestmögliche Ausbildung zu ermöglichen. Allerdings gehören Risiken und Scheitern, Behinderungen und Schwächen zum Leben. Aber diese Gesellschaft lässt niemanden fallen. Sie lässt euch nicht am
Rande liegen.
Wir wissen partei- und fraktionsübergreifend, dass es
bei allen Bemühungen noch viel zu tun gibt, um diese
Botschaft für alle Kinder in diesem Land Wirklichkeit
werden zu lassen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist
aber, dass Kinder- und Jugendpolitik gemäß dem Kinder- und Jugendhilfegesetz als wichtige Querschnittsaufgabe auf allen politischen Ebenen im Bund, den Ländern
und Kommunen anerkannt und umgesetzt wird. Deshalb
begrüßen wir ausdrücklich, dass die Bundesregierung
- die Ministerin hat dies in ihrer Erklärung untermauert deutliche Zeichen gesetzt hat und in ihren Anstrengungen
selbst bei angespannter Haushaltslage auch in Zukunft
nicht nachlassen wird.
({4})
Dabei ist der Abbau der Staatsverschuldung und das, was
wir zukünftigen Generationen hinterlassen werden, nicht
minder wichtig. Wir sind überzeugt, dass Kinder Träger eigener Rechte sind, orientiert an der UN-Kinderrechtekonvention, die die ganzheitliche Förderung, die Beteiligung der Kinder an Entscheidungen, die ihre Belange
betreffen, und den Schutz der Kinder als gleichrangige Ziele
einer umfassenden Kinder- und Jugendpolitik versteht.
Der mit der letzten Kindschaftsrechtsreform eingeschlagene Weg der Stärkung der Rechtsstellung des Kindes, des gemeinsamen Sorgerechts und der Berücksichtigung des Kindeswillens im Umgangsrecht wird
konsequent weitergegangen. Das Gesetz zur Ächtung der
Gewalt in der Erziehung und die Begleitkampagne Mehr
Respekt vor Kindern haben deutlich gemacht, dass wir
ernsthaft ein Klima erzeugen wollen, in dem Kinderfreundlichkeit ein konstitutives Merkmal der Gesellschaft wird.
({5})
Wir wollen die Eltern in ihrer Verantwortung und Erziehung, die sie leisten, unterstützen und gemeinsam mit
Ländern, Kommunen, freien Trägern und Jugendverbänden Angebotsstrukturen schaffen, die den heutigen Anforderungen an berufliche und familiäre Gleichstellung,
Mobilität, Flexiblität und Integration entsprechen. Erst
diese Regierung hat die Rahmenbedingungen mit dem
Teilzeitgesetz sowie mit den entsprechenden Verbesserungen im Gesetz zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit
geschaffen.
({6})
Es ist längst überfällig - Herr Haupt hat darauf hingewiesen -, dass die Verbesserung der Angebote im Elementarbereich von null bis sechs Jahren sowie der
Horte, Kindergärten und bei der Ganztagsbetreuung
nicht nur im Sinne der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern auch im Sinne der Erfüllung einer grundlegenden Bildungsaufgabe der Gesellschaft verstanden
wird. In den ersten Lebensjahren werden die grundlegenden Rollen, Verhaltens- und Einstellungsmuster eingeübt. Kompetenzen zur Lösung sozialer Konflikte werden
erlernt. Neugierde, Fantasie, Kreativität und Selbstbewusstsein werden entwickelt oder auch nicht. Das, was in
dieser Phase versäumt wird, kann auch in Schulen, die
noch so viel Wissen einpauken, die wieder strenger und
ordentlicher werden sollen und die noch so viele Internetanschlüsse haben, kaum ausgebügelt werden.
({7})
Nachdem der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab 3 Jahren unter großen Anstrengungen der Länder
und Gemeinden sowie unter unserer Mitarbeit während
Ihrer Regierungszeit verwirklicht wurde, gilt es jetzt
- hier ist auch der Bund in der Pflicht -, die nächste Qualitätsstufe zu erreichen.
({8})
Die Opposition macht es sich nach Jahren eigener Versäumnisse zu leicht, wenn sie jetzt - das ist populistisch
und völlig unrealistisch - die Einführung eines Familiengeldes von 1 200 DM pro Monat vorschlägt. Das war der
Vorschlag von Herrn Stoiber.
({9})
Im FDP-Antrag wird erst gar keine Zahl genannt. Ich
halte das schlicht für unseriös.
Die rot-grüne Regierungsmehrheit wird keine Versprechungen machen, die nicht einzuhalten sind.
({10})
Die Förderung der Familien und der Kinder steht weiterhin im Mittelpunkt unserer Regierungspolitik. Deshalb
bitte ich um Unterstützung für unseren Entschließungsantrag. Wir werden uns von unserer Linie nicht abbringen lassen. Darauf können sich die Familien und
Kinder verlassen.
({11})
Das Wort
hat nun die Kollegin Marlene Rupprecht für die SPDFraktion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es wurde sehr viel Blumiges und
Wolkenreiches gesagt.
({0})
Ich bin wie meine Ministerin der Ansicht, dass man konkrete Dinge vortragen muss. Das hat sie - ebenso wie
meine Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und der
SPD - getan. Ich werde Ihnen zum Schluss meiner Rede
ein konkretes Projekt vorstellen.
({1})
Vorweg möchte ich Ihnen, Herr Dörflinger, sagen: In
der Tagesordnung wird auf unsere Große Anfrage, Drucksache 14/5284, und auf die Antwort der Bundesregierung,
Drucksache 14/6415, hingewiesen. Diese hätten Sie sich
anschauen müssen. Es wird auch auf das Jugendprogramm verwiesen. Sie sollten sich die Tagesordnung beim
nächsten Mal genauer anschauen.
Ich möchte meinen Kollegen aus Bayern, die sich zum
Ehrenamt geäußert haben, sagen: Wir haben als Erstes die
Übungsleiterpauschale um 50 Prozent angehoben und den
Kreis der Berechtigten erweitert.
({2})
Wenn Sie über Bayern reden, dann muss ich Ihnen
sagen - ich wohne seit 30 Jahren gern in Bayern -: Sie
sollten einmal dafür sorgen, dass das Kinder- und Jugendhilfegesetz - eines der guten Gesetze aus Ihrer Regierungszeit - tatsächlich umgesetzt wird und nicht in irgendeiner Schublade bleibt. Die Umsetzung dieses
Gesetzes wäre dringend notwendig. Die Menschen rufen
danach.
({3})
Trotzdem ist sie bisher immer wieder gescheitert. Daran
sollten Sie arbeiten, anstatt hier überflüssige Reden zu
halten.
({4})
Im Jahr des Ehrenamtes ist es neben all dem, was schon
erwähnt worden ist, ganz selbstverständlich und nahe liegend, dass wir die Freiwilligendienste an die modernen
Anforderungen anpassen.
Sie wissen: Seit vielen Jahren besteht für junge Menschen, die sich ganz bewußt für andere Menschen oder die
Umwelt einsetzen wollen, die Möglichkeit, ein so genanntes freiwilliges soziales Jahr, ein freiwilliges ökologisches Jahr oder einen Freiwilligendienst im europäischen Ausland abzuleisten.
({5})
Junge Menschen können bisher zwischen dem 17. bzw.
dem 16. und dem 27. Lebensjahr einen freiwilligen Dienst
für zwölf Monate absolvieren. Sie erhalten dafür von den
Trägern ein Taschengeld, Unterkunft und Verpflegung;
also keine Entlohnung im eigentlichen Sinn.
Die eben von mir angesprochene Altersregelung in Bezug auf das 17. bzw. 16. Lebensjahr führte bisher dazu,
dass der Großteil der an den Programmen beteiligten Jugendlichen fast ausschließlich Abiturientinnen und Abiturienten sind. Junge Menschen mit Hauptschulabschluss
gibt es in den Freiwilligendiensten faktisch nicht. Ursache
dafür ist aber nicht ein Desinteresse an diesen Programmen, sondern die bisher gesetzlich vorgeschriebene Mindestaltersgrenze. Hauptschülerinnen und Hauptschüler
müssen eine zeitliche Lücke zwischen Schulpflicht und
Beginn des Freiwilligendienstes überbrücken. Deshalb
haben sie häufig solche Dienste nicht geleistet.
Unsere Reform erfüllt die Forderung, endlich auch etwas für Hauptschülerinnen und Hauptschüler zu tun. Wir
eröffnen den Zugang zu den Freiwilligendiensten, indem wir ihn nicht mehr an eine Altersgrenze binden, sondern im Gesetz die Regelung über die Altersgrenze durch
die Formulierung nach Erfüllung der Vollzeitschulpflicht ersetzen. Damit eröffnen wir Chancengleichheit
für alle Jugendlichen,
({6})
vor allem für diejenigen, die bisher kaum die Chance hatten, solche Dienste leisten zu können. Das betrifft beispielsweise benachteiligte Jugendliche oder Jugendliche
im Osten, die bisher selten ein solches Angebot wahrnehmen konnten.
In all den Jahren wurden die Freiwilligendienste - entgegen der landläufigen Meinung, die Jugend wolle sich
gesellschaftlich nicht mehr engagieren - stark nachgefragt. Seit 1993 hat sich die Zahl der Teilnehmerinnen und
Teilnehmer um 70 Prozent erhöht. Nach wie vor fragen
mehr junge Menschen Plätze nach als angeboten werden.
Das heißt: Wir können bisher nicht so viele Plätze anbieten, wie benötigt werden.
Damit eine Erweiterung der Einsatzfelder und damit
eine Ausweitung des Platzangebotes erreicht werden
kann, können nun auch in Einrichtungen für außerschulische Jugendbildung und Jugendarbeit Freiwilligendienste abgeleistet werden. Darunter fallen zum Beispiel
Sport und Kultur. Ich habe heute Morgen festgestellt, dass
der Berliner Rundfunk aktueller ist als Sie. Er hat nämlich
bereits mitbekommen, was wir vorhaben. Er hat darüber
berichtet, dass die Berliner Theater für diesen Bereich der
Freiwilligendienste Plätze bereithalten. Ich finde das ganz
hervorragend.
({7})
Die bisherigen gesetzlichen Rahmenbedingungen sehen einen Einsatz im Inland und EU-Ausland vor. Wir sehen das als eine Einengung und haben deshalb die Freiwilligendienste auf das Nicht-EU-Ausland ausgeweitet.
Das betrifft zum Beispiel Israel oder auch Australien. Bei
einem Besuch dort konnte ich feststellen, dass Freiwilligendienste angeboten werden, die aber bisher nicht angenommen werden konnten, weil es die rechtliche Lage
nicht zuließ. In Altersheimen, in denen Auswanderer untergebracht sind, deren Muttersprache Deutsch ist und die
im Alter wieder auf ihre Muttersprache zurückgreifen,
wären junge deutsche Freiwillige ganz herzlich willkommen. Das war bisher nicht machbar, wird aber nach der
Gesetzesänderung machbar sein. Wir werden allerdings
einen obligatorischen Vorbereitungsdienst und eventuell
einen Sprachkurs einführen, da die Jugendlichen einen
Schutz brauchen.
Im Inland wollen wir die Freiwilligendienste flexibilisieren, das heißt, der Dienst kann bis zu 18 Monaten ausgedehnt und in zeitlichen Abschnitten innerhalb eines
Zeitraums von 24 Monaten abgeleistet werden. Das ist das
Neue. Wir haben ebenfalls - das ist eine Erweiterung - für
das freiwillige soziale und für das freiwillige ökologische
Jahr ein Angebot für Zivildienstleistende geschaffen. Sie
können statt Zivildienst diesen Dienst leisten; das wird
angerechnet. Der Einsatz von Jugendlichen, die einen
Freiwilligendienst machen, im Zivildienst soll allerdings
nicht auf Kosten der bisherigen Plätze gehen, sondern es
sollen zusätzliche Plätze zur Verfügung gestellt werden.
Wir wissen: Rund 13 000 junge Menschen leisten jährlich einen Freiwilligendienst. Dieser Freiwilligendienst
darf aber nicht zum Nachteil und zum Risiko der Jugendlichen und ihrer Eltern werden. Deshalb sind die Jugendlichen sozialversicherungsrechtlich abgesichert. Die
Eltern erhalten für die Kinder im In- und Ausland Kindergeld. Mit ihrem Träger haben sie eine Vereinbarung zu
treffen, damit sie dann auch etwas vorweisen können. Es
muss schriftlich vereinbart werden, wie der Dienst ausgestaltet ist. Am Ende des Dienstes werden sie - das ist ganz
neu - auf Verlangen ein Zeugnis bekommen, das ihre
berufliche Qualifikation bescheinigt.
Es ist unbestritten, dass freiwilliges soziales und ökologisches Engagement die persönliche Entwicklung der
teilnehmenden Jugendlichen fördert. Es kann ebenfalls
zur Berufsfindung und -orientierung beitragen. In einer
Welt, in der Verantwortungsbewusstsein, Offenheit und
Flexibilität zur Lebensbewältigung und auch zur Lebensqualität beitragen, kann ein freiwilliger Dienst, auch im
Ausland, die beste Schule fürs Leben sein.
({8})
Durch eine massive Ausweitung der Mittel realisieren
wir so einen wichtigen Baustein im jugendpolitischen
Programm. Wir hoffen, dass die Bundesländer ihren Anteil an dieser Reform entsprechend umsetzen.
({9})
Damit, denke ich, haben wir einen wichtigen Teil erfüllt.
Wir haben nicht Luftblasen produziert, sondern konkrete
Schritte unternommen. Ich hätte mir gewünscht, auch Sie
hätten das getan. Wir haben ein Programm von 38 Seiten.
Das Programm Ihrer 16 Jahre hätte auf eine Seite gepasst.
Ich danke Ihnen.
({10})
Ich schließe
die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Wer stimmt für
den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/7330
zu der Großen Anfrage? - Gegenprobe! - Enthaltungen? -
Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen
von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS ange-
nommen.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 14/7299 zu der Großen Anfrage? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Ent-
schließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen
die Stimmen der FDP abgelehnt.
Zusatzpunkt 3. Interfraktionell wird Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 14/7275 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Das
Haus ist damit einverstanden. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 e auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Gerda
Hasselfeldt, Bartholomäus Kalb, Heinz Seiffert,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Bürokratieabbau für kleine und mittelständische Betriebe
- Drucksache 14/6633 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft
Ausschuss für Tourismus
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({1}) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Hansjürgen Doss, Peter Rauen, Ernst
Hinsken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Chancen des Mittelstandes in der globalisierten
Wirtschaft stärken
- Drucksachen 14/5545, 14/6094 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Ditmar Staffelt
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gerda
Hasselfeldt, Heinz Seiffert, Norbert Barthle,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Steuerliche Gleichstellung des Mittelstands
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann
Otto Solms, Hildebrecht Braun ({3}),
Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Steuerliche Benachteiligung des Mittelstands
beseitigen
- Drucksachen 14/5551, 14/5962, 14/6687 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg-Otto Spiller
Gerda Hasselfeldt
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({4}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt,
Heinz Seiffert, Norbert Barthle, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der CDU/CSU
Wiederherstellung des umfassenden Rechts auf
Vorsteuerabzug
- Drucksachen 14/5223, 14/6448 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Heidemarie Ehlert
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ditmar Staffelt, Jelena Hoffmann
({6}), Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Werner Schulz ({7}), Michaele Hustedt,
Andrea Fischer ({8}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Neue Mittelstandspolitik - Motor für Beschäftigung und Innovation
- Drucksachen 14/5485, 14/5973 Berichterstattung:
Abgeordneter Hansjürgen Doss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Auch zu
diesem Vorschlag gibt es keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Redner
dem Kollegen Dr. Hansjürgen Doss das Wort. Er spricht
für die Fraktion der CDU/CSU.
Herr Präsident!
Meine lieben Kollegen! Diese Debatte steht im Schatten
der gravierenden Entscheidungen zur Weltpolitik, zur
Terrorismusbekämpfung und zum Militäreinsatz, die im
Hohen Hause zu treffen sind. Dabei ist die Lage unserer
Wirtschaft so ernst, dass sie meines Erachtens unsere ungeteilte Aufmerksamkeit haben müsste. Wenn ich die Aufmerksamkeit, die ich hier feststellen kann, zu bewerten
hätte, würde ich sagen: Daran können wir noch arbeiten,
nicht nur bei uns Abgeordneten - so sage ich einmal
selbstkritisch -,
({0})
sondern auch auf der Regierungsbank, auf der nur die
Staatssekretärin Wolf sitzt.
({1})
- Gut, weiter hinten sitzen noch mehr.
({2})
Die Wirtschaftsinstitute sagen uns, dass Deutschland
am Rande einer Rezession steht. Doch das ist noch nicht
genug: Die Regierungskoalition tut alles dafür, dass es
noch schlimmer kommt. Während in dieser schwierigen
weltwirtschaftlichen Lage überall die Steuern gesenkt
werden, werden bei uns ab dem 1. Januar 2002 Versicherungsteuer, Tabaksteuer und Ökosteuer erhöht. Des Weiteren wird darüber spekuliert, die Vermögensteuer wieder
einzuführen. So wird man in Deutschland kein Wachstum
erreichen, sondern Attentismus herbeireden. Wirtschaftspolitik hat bekannterweise sehr viel mit Psychologie zu
tun.
({3})
Nachdem wir uns im Wirtschaftsausschuss gestern darüber unterhalten hatten, dass wir auch in der Wirtschaftspolitik ein Stück zusammenrücken müssen, war
die darauf folgende Diskussion über Maßnahmen, Entlastungen für den Mittelstand zu erreichen, ausgesprochen
ernüchternd. Unser diesbezüglicher Versuch ist an der
rot-grünen Mehrheit gescheitert. Statt für mehr Entlastung zu sorgen, wurde für mehr Belastung gesorgt, und
das in einer für mich unerträglichen Form.
({4})
- Frau Scheel, vielen Dank für Ihren Zwischenruf.
Finanzbeamte sollen in Zukunft ohne vorhergehende
Ankündigung und ohne Tatverdacht Unterlagen in Unternehmen prüfen können.
({5})
Ich halte das für unerträglich.
({6})
Das erinnert mich an Stasi-Methoden und ist eines
Rechtsstaats nicht würdig. Das muss ich hier mit aller
Nachdrücklichkeit sagen.
({7})
Ein weiteres Beispiel: Unternehmen sollen für die
nicht abgeführte Umsatzsteuer ihrer Zulieferer in Haftung
genommen werden. Unglaublich! Das kann kein Mensch
überblicken, verantworten oder kontrollieren. Ehrliche
Unternehmer haften für die schwarzen Schafe, die es
selbstverständlich auch gibt.
Die Auszahlung der Vorsteuererstattung wird künftig
von Sicherheitsleistungen abhängig gemacht. Sie wissen
um die Eigenkapitalquote der mittelständischen Betriebe.
({8})
Zusätzliche Sicherheitsleistungen schränken die Liquidität weiter ein. Das ist doch absurd. Ich weiß nicht, wie
man sich so etwas einfallen lassen kann.
({9})
Die Bundesregierung sieht im Unternehmertum in
Deutschland nach wie vor eine Art SelbstbedienungslaVizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
den, in dem man je nach Bedarf zugreift und den man ungestraft abzockt. Das ist unerträglich!
({10})
Die Ergebnisse, die sich in der Zwischenzeit eingestellt
haben, sind eindeutig.
Das rot-grüne Netzwerk der Regulierungen liegt wie
Mehltau auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt.
({11})
Ich erinnere noch einmal daran - penetrant sein ist ganz
wichtig und gehört zum politischen Handwerkszeug -,
dass die Neuregelung der 630-Mark-Jobs einen flexiblen
Personaleinsatz nahezu unmöglich macht. Es handelt sich
um ein Schwarzarbeiterförderungsgesetz. Wie Sie alle
wissen, ist die Schwarzarbeit das Einzige, was in
Deutschland wächst. Mittlerweile werden 16 Prozent des
Bruttosozialprodukts durch Schwarzarbeit erwirtschaftet.
Unerträglich!
Das Gesetz gegen die so genannte Scheinselbstständigkeit ist ein Selbstständigkeitsverhinderungsgesetz.
Die Ökosteuer ist eine Mittelstandssondersteuer. Der
Rechtsanspruch auf Teilzeit macht die Personalplanung in
mittelständischen Unternehmen nahezu unmöglich. Der
Attentismus, den das neue Betriebsverfassungsgesetz erzeugt hat, ist für den Mittelstand katastrophal. Es schafft
Kosten, Bürokratie sowie Fremdbestimmung und es demotiviert die Unternehmen.
({12})
Mit der Steuerreform wurden die großen Kapitalgesellschaften einseitig entlastet, während der Mittelstand
auf 2005 vertröstet wurde. Das Versprechen, die Lohnzusatzkosten zu senken, wurde bekanntermaßen nicht eingehalten.
({13})
Die verheerende Folge rot-grüner Politik für den Mittelstand ist, dass die Kosten der Betriebe gestiegen sind und
weiter steigen. Der Umfang der Bürokratie eskaliert und
die Handlungsspielräume der Mittelständler werden immer enger. Die Kapitalbeschaffung wird gleichzeitig immer schwieriger. Zudem steht Basel II als weiteres Ungemach am Firmament.
({14})
- Wir wollen Sie nur ermutigen. Folgen Sie unseren Vorschlägen und schon geht es in Deutschland aufwärts.
({15})
Vielen Dank für Ihren Hinweis!
Die Konkurrenz durch Staatsbetriebe, ABM und
Schwarzarbeit ist unerträglich.
Im Übrigen haben Sie Recht, wenn Sie darauf hinweisen, dass sich der Bundeskanzler in dieser Form eingelassen hat. Auch ich finde das gut. Das ist einer der wenigen
Punkte, die wir positiv zur Kenntnis nehmen können.
({16})
Wir stellen fest, dass sich die Konjunktur im Sturzflug
befindet. Meines Erachtens müsste deswegen das Plenum
voll und die Regierungsbank besetzt sein; schließlich geht
es hier um die nationale Wirtschaft. Bekanntermaßen ist
ohne eine funktionierende Wirtschaft alles nichts. Ich
halte auch die Aufmerksamkeit - ich habe das schon einmal erwähnt - vonseiten der Bundesregierung hier für
nicht überwältigend.
Die Konkursraten nehmen drastisch zu. Hartmut
Schauerte wird darauf noch eingehen. Im ersten Halbjahr
wurde ein Plus von 18 Prozent verzeichnet. Banken und
Großindustrie überbieten sich bei Entlassungen von Mitarbeitern. Im Mittelstand herrschen praktisch Einstellungsstopp und Existenzangst. Deutschland ist das
Wachstumsschlusslicht in Europa. Die Arbeitslosenzahl
steigt und erreicht bald die 4-Millionen-Grenze. Das darf
nicht unter den Teppich der augenblicklichen Situation
gekehrt werden, das muss uns elektrisieren. Die Steuereinnahmen gehen dramatisch zurück, den Sozialversicherungen fehlen Milliardenbeträge und die Gewerkschaften
haben bereits hohe Lohnforderungen angedroht. Wenn
diese höheren Löhne noch dazukommen, dann gnade uns
Gott.
Diese wirtschaftliche Misere lässt sich auf den Punkt
bringen: Die Arbeitnehmer verdienen netto zu wenig und
kosten brutto zu viel. Unsere Betriebe ächzen unter der
hohen Steuer- und Abgabenlast. Deswegen fordern wir:
Runter mit dem Einkommensteuerspitzensatz auf weniger
als 40 Prozent! Weg mit der Ökosteuer! Sie wirkt sich verheerend aus, ist schlecht und bekanntermaßen eine Arbeitsplatzvernichtungsteuer.
({17})
Stattdessen sollten nachhaltige Reformen unserer sozialen Sicherungssysteme durchgeführt werden, damit die
Sozialversicherungsbeiträge endlich unter 40 Prozent sinken.
Meine Damen, meine Herren, die Investitionen im
Bundeshaushalt - Sie wissen das - bewegen sich auf ein
Nachkriegsrekordtief zu. Die deutsche Bauwirtschaft
muss diese Politik mit einem schmerzhaften Schrumpfungsprozess und einem massiven Beschäftigungsabbau
bezahlen. Sie wissen alle: In den letzten fünf Jahren ging
die Zahl der dort Beschäftigten von 1,4 Millionen auf
940 000 zurück. Der Abwärtstrend ist ungebrochen. Wir
fordern deshalb mehr Finanzmittel für den beschleunigten
Ausbau von Straßen, Schienenwegen und kommunaler
Infrastruktur.
({18})
- Es gibt ein paar Ankündigungen, das finde ich auch gut.
Ich hoffe nur, dass sie am Ende dann auch eingehalten
werden.
Die Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung
dient einzig und allein der Verschleierung der Arbeitslosigkeit. Sie ist mit erheblichen Wettbewerbsverzerrungen
zulasten mittelständischer Betriebe verbunden. Wir
fordern deshalb: Der Wildwuchs bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen muss endlich beseitigt werden.
({19})
Sonst kann mittelständisches Gewerbe keine Steuerkraft
entwickeln und nicht erfolgreich wirtschaften. Wir fordern ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren und die
Reduzierung von bürokratischen Auflagen.
Ich will ein paar Beispiele nennen: Zur Neuregelung
der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse hat das
Arbeitsministerium einen Leitfaden herausgegeben, der
50 Seiten umfasst und 19 verschiedene Fallgestaltungen
aufführt.
({20})
Statistisch gesehen muss jeder Handwerksbetrieb im
Jahr durchschnittlich 324 Stunden für Hand- und Spanndienste aufwenden, das sind 40,5 Arbeitstage je Beschäftigten. Jeder Handwerksbetrieb wird durch solche
administrative Leistungen pro Jahr mit über 31 000 DM
belastet. Anders als die Großkonzerne verfügen mittelständische Betriebe über keine Stabsabteilungen, die
sich durch diesen Wust an bürokratischen Vorschriften
wühlen können.
In dieser Lage ist die Metapher des Bundeskanzlers
von der ruhigen Hand verfehlt. Investoren und Verbraucher brauchen Signale, die den Weg nach vorne weisen.
Jedes weitere Zögern würde der Wirtschaft und dem Mittelstand teuer zu stehen kommen. Wir brauchen eine konzertierte Offensive für den Mittelstand. Rot-grüne Bremsklötze müssen aus dem Weg geräumt werden. Nicht die
ruhige Hand von Herrn Schröder, sondern energisches
Zupacken ist gefragt.
({21})
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Machen Sie
es so, wie wir vorschlagen, und es geht mit uns aufwärts.
({22})
Für die
SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Jelena Hoffmann.
Sehr geehrter
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
muss gestehen, dass es mir schwer fällt, nach der Diskussion von heute früh zur Tagesordnung überzugehen. Wir
müssen heute trotzdem den wichtigen Themenbereich
Mittelstand beraten.
Die rund 3,3 Millionen mittelständischen Unternehmen und Selbstständigen bilden das Herzstück der deutschen Wirtschaft. Wenn man über Wirtschaft in Deutschland spricht, wird man immer über den Mittelstand sprechen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
wenn Sie unsere Mittelstandspolitik, Herr Hinsken, ohne
parteipolitische Vorurteile betrachten, werden Sie zugeben müssen, dass die Bundesregierung eine breite
Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen anbietet
({1})
und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mittelstandsfreundlich gestaltet.
({2})
Nehmen Sie das Aktionsprogramm Mittelstand der
Bundesregierung. Darin werden zentrale Themen eines
konkurrenzfähigen Mittelstandes aufgegriffen: Innovationsfähigkeit, die Aus- und Weiterbildung, das Gründerklima sowie die Exportfähigkeit der Unternehmen.
Die Innovationsfähigkeit unseres Mittelstandes
braucht Forschung und Entwicklung auf höchstem Niveau. Viele kleine und mittlere Unternehmen können aber
selber nicht immer entsprechende Entwicklungskapazitäten aufbringen. Deshalb unterstützen wir die Kooperation
und Vernetzung zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Im vorigen Jahr haben rund 1 650 KMUs
davon profitiert. Die Modernisierung der Bereiche Ausund Weiterbildung ist durch die Reform von 54 Ausbildungsverordnungen sowie der Meisterprüfung in Gang
gesetzt worden. Zusätzlich wurden 18 neue Ausbildungsberufe geschaffen, die die Wirtschaft dringend braucht.
Eine absolute Notwendigkeit in Deutschland ist es, ein
gutes Geschäftsklima und Gründungsklima zu stärken.
Impulse dafür erwarten wir von der Errichtung von Existenzgründerlehrstühlen und der Förderung von Existenzgründungen. Auslandsmesseförderung und Hermesbürgschaften, die vernünftige Kreditfinanzierung auch im
Rahmen der Basel-II-Entscheidungen und die Verringerung der Steuern- und Abgabenlast sind wichtige Maßnahmen zur Stärkung unseres Mittelstandes.
({3})
Oder zum Beispiel die Steuerreform und die Unternehmensteuerreform: Wir entlasten den Mittelstand bis
zum Jahr 2005 um netto 30 Milliarden DM.
({4})
- Das brauchen Sie nicht zu glauben, Frau Kollegin, das
sind Tatsachen.
({5})
Die Gesamtheit der Steuerzahler behält circa 96 Milliarden DM in der Tasche. Hinzu kommen Erleichterungen
durch die zweite Stufe des Familienleistungsausgleichs.
Ich weiß, dass ein Teil dieser Entlastungen durch die hohe
Inflationsrate von Anfang bis Mitte dieses Jahres aufgebraucht wurde und dass die Sparquote in Deutschland
wächst. Und doch kann man die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, dass die Steuerentlastungsmaßnahmen die Kaufkraft der Bevölkerung stärken. Dies wiederum dient dem Mittelstand und kräftigt die
Binnenkonjunktur, die in den letzten Jahrzehnten vernachlässigt wurde.
({6})
Das ist vor allem in Ostdeutschland nicht zu unterschätzen, da die Exportaktivität nicht immer zu den Stärken der
ostdeutschen Unternehmen gehört. Kleine Unternehmen
und Handwerker agieren meist regional und sind in einer
besonderen Weise auf die einheimische Kaufkraft angewiesen.
Wir haben auch den schwierigen, aber bitter notwendigen Prozess der Haushaltskonsolidierung konsequent
eingeleitet. Ohne die Sanierung des Staatshaushaltes
würde uns in der Zukunft das Geld für mehr Existenzgründungen, für Forschung und Entwicklung, für Bildung
und für andere notwendige Maßnahmen gerade für kleine
und mittlere Unternehmen fehlen.
Es ist zwar Ihr gutes Recht, sehr geehrte Kolleginnen
und Kollegen von der Opposition, noch mehr Entlastungen für die Wirtschaft von uns zu fordern, etwa das Vorziehen der Steuerreform. Ich bitte Sie aber: Fassen Sie
sich erst einmal an die eigene Nase und fragen Sie sich
selbst, um wie viele Milliarden Sie den Mittelstand entlastet haben, als Sie an der Regierung waren.
({7})
Weiterhin möchte ich, dass Sie sich fragen, womit
mehr positive Impulse für die Wirtschaft zu erreichen
sind: mit einer schnelleren steuerlichen Entlastung um
weitere knapp 13 Milliarden DM oder mit gezielten, langfristig wirkenden Investitionen in die Zukunft des Mittelstandes?
({8})
Für beides reicht leider das Geld nicht aus, da Sie uns einen riesigen Schuldenberg hinterlassen haben.
({9})
Meine verehrten Damen und Herren der CDU/CSUFraktion, in Ihrem Antrag über die Chancen des Mittelstandes in einer globalisierten Welt fordern Sie die Bundesregierung auf, einige Maßnahmen zur Entbürokratisierung zu überprüfen. Zu diesem Thema ist der
Antrag der Opposition - das muss ich deutlich sagen sehr dünn geraten. Denn das, was Sie fordern, ist ja schon
längst im Prozess der Umsetzung.
Im März dieses Jahres hat die Bundesregierung den
Bericht über den Stand der Initiative Abbau bürokratischer Hemmnisse vorgestellt. Über 80 Maßnahmen - das
können Sie in dem Bericht nachlesen - sind bereits umgesetzt oder in Vorbereitung. Ich gebe zu: Noch sind es
keine großen Sprünge, eher kleinere Notwendigkeiten,
die das Leben eines Unternehmers erleichtern. Darunter
befinden sich: die Vereinfachung und Angleichung von
Formularen und Statistiken, die Vereinheitlichung von
Verdienstbescheinigungen, die Überprüfung der Gewerbeordnung und anderer Verordnungen, eine Datenbank
für Existenzgründer oder eine einheitliche Wirtschaftsnummer.
Aber ich erzähle Ihnen ja nichts Neues, liebe Oppositionskolleginnen und -kollegen. Auch unter Ihrer Regierung hat die so genannte Waffenschmidt-Kommission
Empfehlungen zum Abbau von Bürokratie erarbeitet.
Doch weiter als zur Herausgabe einer Broschüre im Jahre
1994 sind Sie nicht gekommen, obwohl Sie noch vier
Jahre regieren konnten.
({10})
- Das stimmt; aber es waren auch einige positive Dinge
enthalten. - Vielleicht liegt es daran, dass Sie sich sonntags in Ihren Reden vor den Verbänden in den Wahlkreisen weniger Bürokratie wünschen, aber montags im Bundestag die Interessen der einzelnen Branchen oder
Handwerker vertreten und mehr Regulierungen fordern.
({11})
Unsere Regierung hat ihre Energie in die praktische Umsetzung investiert.
Jetzt möchte ich ein Thema ansprechen, das für die Zukunft des Mittelstandes besonders wichtig ist: die Durchführung des Generationswechsels. Dazu machen Sie in
Ihrem Antrag keinen konkreten Vorschlag, obwohl von
der Frage, wie die Nachfolge geregelt werden soll, jedes
Jahr fast 80 000 Unternehmen und damit fast 1 Million
Arbeitsplätze betroffen sind. Heute sind fast 35 Prozent
der Unternehmerinnen und Unternehmer zwischen 50
und 60 Jahre alt. Aber über die Frage der Nachfolgeregelung wird wenig diskutiert. So kommt es dazu, dass jedes
Jahr etwa 6 000 Unternehmen stillgelegt werden. Das
Bundeswirtschaftsministerium hat zusammen mit Verbänden, Vertretern der Wirtschaft, des Kreditwesens und
der freien Berufe die Kampagne nexxt ins Leben gerufen und einen One-Stop-Shop eingerichtet. Planungshilfen und Beratungen stehen schnell und unkompliziert im
Internet zur Verfügung.
Die Anhebung des Freibetrages bei Betriebsveräußerungen von 60 000 auf 100 000 DM und die Wiedereinführung des halben Steuersatzes beim Verkauf des Betriebes ab dem 55. Lebensjahr sind vernünftige Elemente
für den Prozess der Übernahme eines Unternehmens, wobei ich allerdings gestehen muss, dass unsere Finanzspezialisten lieber eine andere Lösung herbeigeführt hätten.
Sie sehen, dass wir vieles tun. Wir helfen, wo es geht. Wir
können aber nur unterstützen und nicht die Initiative der
Unternehmen ersetzen.
Jelena Hoffmann ({12})
Damit komme ich zu meinem letzten Thema: die Erweiterung der Europäischen Union. Dieses Thema liegt
mir als ostdeutsche Abgeordnete besonders am Herzen,
weil ich aus einer Region komme, die 60 Kilometer von
der tschechischen Grenze entfernt ist. Während wir hier in
Berlin mehr über die Chancen der EU-Osterweiterung
sprechen, wird an der Grenze über Risiken diskutiert.
Deshalb ist es wichtig, dass die Bundesregierung darauf
besteht, dass die Übergangsfristen zustande kommen und
flexibel gestaltet werden. Wir haben dafür gesorgt, dass
die EU-Kommission ein Programm zur Stärkung der
Grenzregionen auflegt, und wir haben die Investitionszulage für diese Regionen erhöht.
({13})
Unternehmen in den neuen Bundesländern haben gute
Voraussetzungen für den Handel mit Osteuropa. Kurze
Wege, die hohe Qualität der Leistungen, traditionell gute
Kontakte zu den osteuropäischen Standorten und Länderkenntnisse verschaffen unseren ostdeutschen Unternehmen einen guten Vorsprung. Kleine und mittlere Unternehmen können hier ihre Chancen nutzen und wir werden
sie auf diesem Weg begleiten.
Vielen Dank.
({14})
Ich erteile
dem Kollegen Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist höchste Zeit, dass wir uns im Bundestag Zeit nehmen, über die Situation im deutschen
Mittelstand zu reden. Vergegenwärtigen Sie sich die Zeitungen von gestern oder heute. Die Süddeutsche Zeitung, die ja der Regierung nicht gerade böse gesonnen
ist, sondern in der Grün-Rot gut behandelt wird, schreibt
vom Abschwungkanzler; in der FAZ ist die Rede vom
Schlusslicht in der europäischen Entwicklung und der
Bundesbankpräsident, Herr Welteke - das ist keiner von
uns, sondern ein Sozi, ein langjähriger aktiver Sozialdemokrat -, schildert in der FAZ in düsteren Farben die
Entwicklung und die Situation. Sie können doch nicht
länger die Opposition beschimpfen, wenn sie die Wahrheit sagt.
Der Mittelstand ist das Rückgrat der Entwicklung in
unserem Land. Im Mittelstand sind zwei Drittel der
Arbeitsplätze, 80 Prozent der Ausbildungsplätze und über
die Hälfte der gesamten Wertschöpfung Deutschlands. Ich
habe nie verstanden, weshalb Grün-Rot den Mittelstand
so schlecht behandelt
({0})
mit einer Schieflage in der Steuerreform, nach der Großkonzerne sofort die volle Entlastung bekommen und der
Mittelstand sie erst in Raten bis 2005 bekommt.
({1})
Wir haben eine Schieflage bei der Veräußerung von
Unternehmensbeteiligungen und viele andere Punkte
mehr. Die SPD sprach einmal von ihrem Eigenanspruch
für soziale Gerechtigkeit. Was ist da sozial, was ist gerecht, wenn die Großkonzerne bevorzugt werden und der
Mittelstand diskriminiert wird?
({2})
Sie haben ein schlechtes Gewissen.
({3})
Deshalb haben Sie jetzt die Reinvestitionsrücklage auf
den Weg gebracht. Da dachte ich: Hoppla, die machen wenigstens mal ein Stückchen Ausgleich. - Aber was Sie
jetzt auf den Weg gebracht haben, ist eine Witznummer.
({4})
Ich nenne die 50 000 Euro, die gestern im Wirtschaftsausschuss beschlossen wurden. Alle sozialdemokratischen Mitglieder und alle grünen Mitglieder haben gemeinsam mit den anderen die Auffassung vertreten, dass
der Ansatz in keiner Weise richtig ist, sondern dass 1 Million DM angemessen wäre, um hier überhaupt eine Wirkung zu erzielen.
({5})
Sie haben wider besseres Wissen Ihrer Fachleute und Ihrer Wirtschaftspolitiker Unsinn beschlossen, um ein bisschen Kosmetik in die Landschaft zu schmieren. Ihr
schlechtes Gewissen muss bleiben, weil Sie hier keine
Verbesserungen für den Mittelstand auf den Weg bringen.
({6})
Sie müssen die schon beschlossenen nächsten Schritte der
steuerlichen Entlastung vorziehen,
({7})
damit sie schneller wirken, damit die Konjunktur nicht
völlig abschmiert. Wir gehen doch auf ein Nullwachstum
zu und möglicherweise in die Rezession hinein. Ich
glaube nicht, dass das, was bisher auf den Weg gebracht
worden ist, hilft, das zu vermeiden.
Langfristig müssen darüber hinaus Steuern weiter gesenkt werden. Vor allen Dingen muss das Steuersystem
vereinfacht werden. Sie haben überhaupt nichts vereinfacht.
({8})
Alles ist komplizierter geworden. Das ist gerade für den
Mittelstand besonders schlimm. Wir haben ein klares, einfaches Steuermodell: 15, 25 und 35 Prozent und Schluss
damit.
Die Grünen haben im Bundestag die Maske fallen lassen.
({9})
Jelena Hoffmann ({10})
Der Obergrüne, Herr Joseph Fischer, hat hier das Ende des
Niedrigsteuerstaats verkündet.
({11})
Also will er einen Hochsteuerstaat.
({12})
Dann kommt Rezzo Schlauch, hechelt hinterher und verkündet das Ende des Minimalstaats. Ich weiß nicht, in
welchem Land der lebt. Wir haben rund 50 Prozent Staatsanteil in Deutschland. Wollen Sie wieder 70 Prozent oder
wollen Sie eine totale Staatswirtschaft in Deutschland?
({13})
Dann kommt noch Herr Bsirske, ein Grüner, Vorsitzender
der ÖTV, jetzt von der Gewerkschaft Verdi, die nach dem
Zusammenschluss ständig Mitglieder verliert. Der will
die Vermögensteuer wieder einführen. Das ist doch klar
die Marschrichtung grüner Politik. Herr Fischer sagt:
Ende des Niedrigsteuerstaats, Herr Schlauch sagt:
Ende des Minimalstaats und Herr Bsirske, ein Grüner,
fordert die Einführung der Vermögenssteuer.
({14})
Das ist ein tolles Programm. Da wird klar, was Grüne wollen: Mehrbelastung, höhere Steuern, mehr Staat, mehr
Staatseinfluss. Das ist genau die falsche Richtung. So senken wir in Deutschland die Arbeitslosigkeit nie. So erreichen wir auch nie einen Fortschritt in der Wachstumsdynamik.
({15})
Hier liegen Sie absolut falsch.
({16})
Hören Sie lieber zu und denken Sie nach. Sie sollten einmal ernst nehmen, was die Menschen denken. Die Arbeitslosigkeit steigt in diesem Jahr von Monat zu Monat.
Die Sachverständigen sagen vorher, dass die Arbeitslosigkeit im Winter eine Höhe von 4,3 Millionen erreichen wird.
Sie müssen die Menschen, die mit ihren Familien draußen
stehen und Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes haben,
ernst nehmen. Aber für die tun Sie nichts; darüber gehen Sie
arrogant hinweg. Genau dies ist die Situation.
({17})
Auch die grünen Feigenblätter, Frau Scheel und Herr
Metzger, laufen immer, wenn Unsinn beschlossen wird,
draußen herum und sprechen von Steuersenkungen und Vereinfachungen. Herr Metzger sprach erst jetzt wieder von
dem bürokratischen Monster der 630-DM-Verträge. Aber
sie sind Unsinn. All diejenigen, die draußen lautstark Kritik
üben, haben hier in diesem Hause die Hand gehoben und zugestimmt. Es ist unaufrichtige Politik, so vorzugehen.
({18})
Die nächste Chance, die Steuern zu erhöhen, werden
die Grünen morgen haben. Morgen werden die Erhöhungen der Tabak- und der Versicherungsteuer beschlossen. Dies ist ein weiterer Schritt in der Strategie der Grünen hin zu Nullwachstum. Bald werden sie ihr Ziel erreicht haben.
Meine Damen und Herren, Sie sehen, dass alle Bereiche falsch strukturiert sind. Ein Beispiel ist die Ökosteuer: In Deutschland bezahlen wir die Rentenversicherungsbeiträge an der Tankstelle. Wer jetzt weniger Auto
fährt, gefährdet die Sozialkassen.
({19})
Die Schlussfolgerung daraus ist: Rasen für die Rente.
Ein anderes Beispiel ist die Raucherbesteuerung nach
der Devise Sicherheit durch Tabak. Wer jetzt weniger
raucht - Frau Fischer, unsere ehemalige Gesundheitsministerin, raucht ja Gott sei Dank viel -, gefährdet damit die
Sicherheit.
({20})
Wahrscheinlich werden Sie bald entdecken, dass Sie jahrelang sträflich den Zivilschutz vernachlässigt haben.
Vielleicht kann man ja auch noch das Trinken besteuern.
Dann müssen wir noch saufen für die zivile Sicherheit
in diesem Lande.
({21})
Das nenne ich ein wirklich rundes Konzept für mehr
Arbeitsplätze in Deutschland!
Ausschlaggebend ist, dass Sie es geschafft haben, das
Klima für den Mittelstand in diesem Land ganz entscheidend kaputt zu machen.
({22})
Die Unternehmer haben einfach keine Lust und Freude
mehr daran, Unternehmer zu sein, wenn sie mit dem Verdacht, sie würden Umsatzsteuer hinterziehen, politisch
kriminalisiert werden, wenn sie eine Zwangsteilzeit auferlegt bekommen, wenn sie nicht nur mit ihren Mitarbeitern, sondern auch mit den Gewerkschaftsfunktionären
sprechen müssen und wenn sie als Scheinselbstständige
eingestuft werden.
Dadurch haben Sie ein Klima geschaffen, das exakt
dazu führt, dass im Mittelstand große Schwierigkeiten bestehen. Aber er ist der Hoffnungsträger für Arbeitsplätze
in Deutschland. Die Großkonzerne haben schon Stellenstreichungen angekündigt: Siemens in der Größenordnung von 17 000, die Post von 5 000 und die Hypo-Vereinsbank von 9 000.
({23})
- Ja, aber so ist es. Wir sind für die Mittelständler und die
kleinen Leute. Die Hilfeschreie des Mittelstandes überhören Sie geflissentlich.
({24})
Wenn das Handwerk heute verkündet - AP hat es gemeldet -, dass 200 000 Arbeitsplätze im Mittelstand akut gefährdet sind,
({25})
dann müssten bei Ihnen alle Alarmglocken schrillen, sodass Sie eine Trendumkehr vornehmen. Weil Sie dies
nicht tun, ist die Situation so, dass wir mit unserem Nullwachstum das Schlusslicht in Europa sind.
({26})
Kein Land der Europäischen Union ist hinsichtlich seiner
Wachstumsrate in einer schlechteren Situation als
Deutschland. Dies ist das Ergebnis Ihrer Politik. Ich bin
sicher, dass Werner Schulz, wenn er später spricht, wieder
als Hofsänger von Rot-Grün verkünden wird, dass wir das
Land nicht schlecht reden sollen. Aber irgendwann müssen Sie die Wahrheit einmal hören, damit Sie vielleicht
nachdenken und ihre Politik verändern.
Entscheidend ist, dass der Mittelstand durch dieses
Klima und solch eine Stimmung extrem behindert wird.
Denn Mittelstand ist auch eine Geisteshaltung, die Geisteshaltung, sich etwas zuzutrauen, etwas anzupacken und
Hand anzulegen, statt die Hand aufzuhalten.
({27})
Sie haben den Arbeitsmarkt nicht flexibilisiert. Es
rächt sich fatal, dass Sie in diesem Bereich nichts getan
haben. Die bescheidenen Reformen der alten Regierung
- sie hätte mehr tun müssen - haben Sie als Erstes aufgehoben.
({28})
Jetzt wundern Sie sich, dass es mit dem Arbeitsmarkt
nicht aufwärts geht. Die Zahl von 4,3 Millionen Arbeitslosen ist eine dramatische Zahl. Leider müssen wir noch
so manches befürchten. Denn die Folgen des 11. September sind in die aktuellen Konjunkturdaten noch gar nicht
mit eingegangen.
({29})
Frau Fischers Gesundheitspolitik ist gescheitert. Daraufhin ist sie geschasst worden. Auch in dem Bereich der
Gesundheitsreform tun Sie nichts mehr, weil Sie Angst
haben, den Bürgern vor der Wahl die Wahrheit zu sagen
und die möglichen Lösungen umzusetzen, damit wir vorankommen.
({30})
Ich möchte Ihnen noch einen konkreten Vorschlag für
den Fall, dass Sie die Arbeitslosenversicherung reformieren, mit auf den Weg geben: In die Arbeitslosenversicherung haben Sie sehr viel hineingepackt. Die
Fremdlasten der Arbeitslosenversicherung betragen rund
25 Milliarden DM. Reduzieren Sie die Arbeitslosenversicherung wieder auf eine Versicherung gegen Einkommensausfall durch die wirtschaftliche Entwicklung. Dann
können Sie den Beitrag sogar um zwei Punkte senken.
Aber senken Sie ihn doch wenigstens um einen Punkt, damit die Differenz zwischen Brutto und Netto geringer
wird, damit die Anreize zur Schwarzarbeit in diesem Land
geringer werden und damit die Lohnnebenkosten in diesem Land wenigstens ein bisschen gedämpft werden.
({31})
Sie kommen ja nicht unter 40 Prozent, wie Sie verkündet
haben, sondern marschieren im Eilschritt auf 43 Prozent
zu. Das ist natürlich auch ein Faktor, der die Neigung des
Mittelstandes, Neueinstellungen vorzunehmen und neue
Arbeitsplätze zu schaffen, sehr erhöhen wird.
({32})
Sie haben gerade im Bereich des Mittelstandes noch
die Chance, durch schnelles Handeln die Weichen anders
zu stellen; wenn Sie nichts tun, wird es weiter so laufen
wie bisher. Die Arbeitslosigkeit wird weiter von Monat zu
Monat steigen. Sie zerstören das Klima in einem Sektor,
der für die gesellschaftliche Stabilität im Land entscheidend ist. Der Mittelstand ist nicht nur Beschreibung kleiner und mittlerer Unternehmen, sondern er ist der Anker
in unserer Gesellschaft.
({33})
Mittelständler sind Menschen, die mit ihrem Vermögen, mit ihrem Eigentum voll für ihre Entscheidungen
einstehen, anders als Funktionäre, die im Extremfall ihren
Arbeitsplatz verlieren und eine Abfindung bekommen,
({34})
Das sind Leute, die ihr komplettes Eigentum verlieren
können, wenn sie Fehlentscheidungen treffen.
({35})
Deshalb ist es besonders wichtig, die Qualität von Entscheidungen im Mittelstand in unserem Land zu erhalten.
Deshalb ist eine gute Mittelstandspolitik auch eine gute
Beschäftigungs- und eine gute Wachstumspolitik. Wer
dem Mittelstand faire Chancen gibt, gibt auch der Wirtschaft faire Chancen für ihre Entwicklung. Noch haben
Sie Zeit, das Allerschlimmste zu verhindern. Das gelingt
nicht, wenn Sie weiter uneinsichtig den Mittelstand knebeln, ihn behindern, statt ihm Freiraum zu geben, wenn
Sie ihn mit noch mehr Bürokratie belasten. Diejenigen,
die in diesem Land etwas machen wollen, bekommen geradezu bürokratische Handschellen angelegt.
({36})
- Sie können mitschreiben, damit Sie es verstehen. Ich
weiß, der erste Versuch kommt bei Ihnen nicht an, aber
Sie haben die Chance, die Rede nachzulesen. Beim dritten Mal werden Sie vielleicht die Kernpunkte erkennen.
({37})
Deshalb ist es gut, dass es Protokolle gibt.
Entscheidend ist die Weichenstellung für den Mittelstand. Hierin liegt die einzige Chance, die weitere verheerende Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt abzuwenden.
Es ist klar, dass Sie von der PDS da nicht mitkommen.
Sie träumen immer noch vom Staatssozialismus. Er ist
schon gegen die Wand gefahren. Aber Sie haben jetzt neue
Verbündete, die offenbar Ihre früheren Fehler wiederholen wollen.
Vielen Dank.
({38})
Ich gebe
nunmehr der Parlamentarischen Staatssekretärin beim
Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, der Kollegin Margareta Wolf, das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man muss sich
als Parlamentarier bisweilen die Frage stellen, mit wem
Herr Brüderle überhaupt spricht, wenn er in diesem Hohen Haus eine Rede hält und vorgibt, mit uns zu sprechen.
({0})
Ich kann mich nicht erinnern, von Herrn Brüderle in den
letzten zweieinhalb Jahren schon einmal eine andere Rede
gehört zu haben.
({1})
Herr Brüderle, vielleicht sollten Sie sich einmal bei den
Verbänden und beim Mittelstand erkundigen, wie die Ihre
platten Schönwetterreden finden. In ihnen ist kein Konzept enthalten.
({2})
Vielleicht sollten Sie sich dort auch einmal erkundigen,
was sie von Ihrer Regierungsfähigkeit halten.
Es gab nie so hohe Steuern in Deutschland wie unter
Schwarz-Gelb - Ihre Partei hat meistens den Wirtschaftsminister gestellt -, es gab nie eine so hohe Haushaltsverschuldung wie unter einem FDP-Wirtschaftsminister, es
gab auch nie so hohe Lohnnebenkosten.
({3})
Das, was Sie hier gerade wieder abgeliefert haben, spricht
auch nicht dafür, dass Sie etwas hinzugelernt hätten.
({4})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, erlauben Sie
mir zu Beginn meines Beitrages, den Wirtschaftsminister
zu entschuldigen. Er hätte gern an dieser Debatte teilgenommen, liegt aber mit einer sehr schmerzhaften Krankheit zu Bett. Ich hoffe, dass Sie dafür Verständnis haben.
Einer aktuellen Umfrage des Bundesverbandes der
jungen Unternehmer zufolge erwartet jeder dritte deutsche Mittelständler trotz der sich abschwächenden Konjunktur steigende Gewinne. Das sollten wir positiv zur
Kenntnis nehmen. Ähnliche Umfragen gibt es von der
KfW und von den Wirtschaftsjunioren. Auch die Zahl der
Beschäftigten steigt laut diesen Umfragen. 27,8 Prozent
wollen zusätzlich Personal einstellen, 21,8 Prozent dagegen Personal abbauen.
Wir haben heute Morgen über die Beteiligung der Bundeswehr und die Bereitstellung deutscher Einsatzkräfte
gesprochen. Wir wissen alle, dass seit dem 11. September
in unserer Bevölkerung und in unseren Betrieben eine
große Verunsicherung herrscht. Von daher wäre es, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, im
Interesse des Gemeinwohls und auch im Interesse unserer
Wirtschaft und der Beschäftigung, wenn wir fraktionsübergreifend auf Nebelkerzenwerferei verzichten und
eher gemeinsam darum werben würden, dass weiter in unserem Land investiert wird.
({5})
Wir haben in Europa insgesamt im Moment eine sehr
schlechte wirtschaftliche Situation; das will ich gar
nicht kleinreden. Wir haben eine Rezession in Japan und
in Amerika. Aber zu sagen, dass wir nichts für den Mittelstand tun und hier Wahlkampfhuberei veranstalten, ist
schlicht und ergreifend unverantwortlich.
({6})
Wir werden für den Mittelstand allein in diesem Jahr
5,6 Milliarden Euro über ERP und Eigenkapitalhilfe ausgeben. Die KfW und die DtA reichen in diesem Jahr ein
Volumen von mehr als 7,5 Milliarden Euro für den Mittelstand durch.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst
Hinsken?
Ich möchte jetzt
erst einmal diese Punkte zu Ende bringen. Herr Hinsken,
immer gerne, aber jetzt bringen Sie mich bitte nicht aus
dem Konzept.
({0})
- Ich finde die Situation, auch die wirtschaftliche, wirklich nicht lustig.
({1})
Ein zweiter Punkt, der auf der Tagesordnung steht
- und das schon seit Jahrzehnten, Herr Kollege Hinsken ist die Unternehmensnachfolge. Darum hat sich bis 1998
kein Mensch gekümmert,
({2})
mit der Folge, dass wir im Moment 80 000 Unternehmen
pro Jahr haben, bei denen die Nachfolgefrage nicht geklärt ist.
({3})
Daran hängen auch zahlreiche Arbeitsplätze.
Wir haben im Mai zusammen mit den Verbänden des
Handwerks, der Wirtschaft und der freien Berufe eine
Kampagne beschlossen, Herr Kollege Kolb, bei der wir
gemeinsam die Fragen der Unternehmensnachfolge regeln. Der Deutsche Steuerberatertag hat sich am Montag
mit der Frage beschäftigt; denn es ist eine ganz wichtige
Frage für die Zukunft unseres Standortes Deutschland.
Die Kollegin Hoffmann hat darauf hingewiesen: Wir
haben in den letzten zweieinhalb Jahren über 40 Ausbildungsberufe modernisiert und wir haben 20 neue Ausbildungsordnungen geschaffen, zusammen mit den Sozialpartnern. Das war ganz wichtig. Vor allem in den neuen
Berufen entstehen zahlreiche neue Ausbildungsplätze, die
auch nachgefragt werden. Ich finde, das ist ein sehr positiver Punkt.
Nächster Punkt. Wir haben das Meister-BAföG reformiert. Herr Catenhusen hat vorhin schon darauf hingewiesen. Ihres funktionierte nicht. Jetzt unterstützen wir
ganz direkt die Meisterschüler und sind sehr optimistisch,
dass das endlich greift.
Nächster Punkt. Wir haben die Kampagne Familienfreundlicher Betrieb gestartet, weil wir natürlich
wissen, dass die Betriebe aufgrund der demographischen
Entwicklung in zwei, drei Jahren qualifiziertes Personal
nachfragen werden. Sie alle wissen, dass Frauen heute
besser qualifiziert sind als Männer. Hier sind wir tätig. Mit
unserem Außenhandelsportal, das wir mit den Verbänden
gegründet haben - Ixpos -, tun wir auch etwas für die Exportfähigkeit des deutschen Mittelstandes.
Außerdem haben wir - um dies als Letztes zu nennen - seit 1998 42 Existenzgründerlehrstühle gegründet.
({4})
Ich könnte zahllose weitere Beispiele nennen und darüber referieren. Ich erspare mir das jetzt. Wir haben hier
ein umfassendes Programm vorgelegt, das Sie einmal studieren sollten.
({5})
Zu den Steuern. Schon in diesem Jahr entlasten wir
den Mittelstand durch die Steuerreform um 13,7 Milliarden DM. Insgesamt - man kann es nicht oft genug sagen - wird die Entlastung des Mittelstandes 30 Milliarden DM betragen.
({6})
Unsere Reform ist solide finanziert. Indem wir sie stufenweise verwirklichen, tragen wir dem elementaren Ziel
der Haushaltskonsolidierung Rechnung. Ich freue mich
darüber, dass wir von sehr ordnungspolitisch gestrickten
Journalisten, wie zum Beispiel Herrn Barbier, hierbei
nachhaltig unterstützt werden. Die Opposition muss uns
einmal sagen, ob sie Haushaltskonsolidierung will oder
neuerdings ein absoluter Keynes-Anhänger ist und eine
Politik des schnellen Geldes vertritt.
Gestern konnten wir im Handelsblatt lesen, dass
Konsolidierung das beste Wachstumsprogramm sei.
Dort bescheinigt ein Wissenschaftler, nämlich Joachim
Scheide, dieser Bundesregierung Folgendes:
Eine neue Welt in der Finanzpolitik scheint sich
anzubahnen, waren doch zuvor Haushaltslöcher häufig dadurch gestopft worden, dass man Steuern oder
Sozialabgaben erhöhte.
Damit haben wir aufgehört.
({7})
Wir werden durch ein Konsolidierungsprogramm auf dem
Wachstumspfad fortschreiten. Das sind wir schon unseren
Kindern schuldig.
({8})
Im Übrigen wissen Sie auch, dass die jüngsten Empfehlungen des Kieler Instituts genau in diese Richtung
weisen, nämlich in die Richtung eines konsequenten Konsolidierungskurses.
Ich möchte Sie um noch eines bitten: Hören Sie endlich
auf mit der These, die Steuerreform benachteilige die Wirtschaft. Sie kennen die Deutsche-Bank-Research-Studie
und Sie kennen die Boston-Consult-Studie. Ich könnte Ihnen jetzt zahllose Studien präsentieren. Das mache ich aber
nicht. Diese These stimmt schlicht und ergreifend nicht.
({9})
Was Sie vertreten, Herr Kolb, zeigt letztlich nur, dass Sie
die Komplexität der Fragestellung offensichtlich immer
noch nicht ausreichend erkannt haben, wenngleich wir
jede Woche in diesem Haus eine Lehrveranstaltung dazu
durchführen.
({10})
- Nein, die Mittelständler sind nicht zu blöd. Mit denen
rede ich - im Gegensatz zu Ihnen - täglich. Ein Vergleich
von Durchschnittssteuersätzen greift entschieden zu
kurz. Das aber machen Sie immer. Bei einem soliden Vergleich muss zum Beispiel in beiden Fällen an den Durchschnittssteuersätzen angesetzt werden - ich glaube, das
wissen Sie eigentlich auch -, muss die Gewerbesteueranrechnung bei Personenunternehmen berücksichtigt werden, muss das Ausschüttungsverhalten der Kapitalgesellschaften in die Überlegungen einbezogen werden; nicht
zuletzt darf der Blick auf die Rechtsnachfolge nicht vergessen werden.
Herr Kollege Brüderle, wir werden unseren mittelstandsfreundlichen Kurs auch mit der Fortsetzung der
Unternehmensteuerreform konsequent beibehalten. Sie
haben vorhin gesagt, das, was gestern im Finanzausschuss
beschlossen worden ist, sei absurd.
({11})
Ich möchte aus der Pressekonferenz von Herrn Philipp
zitieren. Herr Philipp ist bekanntermaßen der schärfste
Kritiker dieser Bundesregierung, was vielleicht mit seinem Parteibuch zu tun hat. Zitat:
Wir sehen mit Erleichterung, dass unsere Argumente
für Nachbesserungen im laufenden Gesetzgebungsverfahren am so genannten Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetz bei den Vertretern der Koalitionsfraktionen überzeugt haben. Wir begrüßen es
sehr, dass der Finanzausschuss gestern die Behaltefristen beim Mitunternehmererlass und der so genannten
Realteilung für Personenunternehmen gestrichen hat.
Auch die Nachbesserung der Reinvestitionsrücklage
für Personenunternehmen durch die Ausweitung der
Übertragungsmöglichkeiten auf Grundstücke und
Maschinen ist aus unserer Sicht ein richtiger Schritt ...
So der ZDH-Präsident Dieter Philipp.
({12})
Frau Kollegin, gestatten Sie nunmehr eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rainer Brüderle?
Nein, von Herrn
Brüderle möchte ich jetzt keine Zwischenfrage beantworten. - Ich möchte aber nicht verhehlen, dass meine Fraktion, das Wirtschaftsministerium und auch ich es für
glücklicher gehalten hätten, wenn es zu keiner Deckelung
bei der Reinvestitionsrücklage gekommen wäre. Aber da
kann Herr Brüderle im Kontext der Beratungen des Bundesrates vielleicht noch seine bekannten Strippen ziehen.
({0})
Dieses war nicht mit dem Prinzip der Haushaltskonsolidierung vereinbar, wenngleich ich mir wirklich gewünscht hätte, wir wären hier ohne Deckel ausgekommen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu einem weiteren Punkt kommen. Sie wissen, ein zentrales Anliegen
unserer Mittelstandspolitik ist die Sicherstellung der Unternehmensfinanzierung. Das betrifft sowohl die Bereitstellung von Eigen- wie von Fremdkapital. Auf ERP, KfW, DtA
und die Eigenkapitalhilfe habe ich vorhin hingewiesen.
Im Hinblick auf Basel II setzt sich die Bundesregierung
intensiv dafür ein, dass bei den neuen Regelungen für die
Eigenkapitalunterlegung mittelstandspolitische Belange
eine zentrale Berücksichtigung finden.
({1})
Herr Doss hat vorhin dankenswerterweise schon den
Kanzler erwähnt. Wir konnten - gegen alle anderen europäischen Länder - durchsetzen, dass es eine weitere Konsultationsrunde gibt. Ich glaube, dass dies Gelegenheit
bietet, Benachteiligungen gerade bei den langfristigen
Krediten, wie Basel sie vorsieht, aufzuheben und die
Frage der Anerkennung von Sicherheiten und den Einsatz
von Retail-Portfolios im Sinne von kleinen und mittleren
Unternehmen zu regeln.
Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich sage
auch ganz deutlich: Eine Benachteiligung deutscher Mittelständler durch Basel II wird es mit der Bundesregierung nicht geben - Punkt.
({2})
Darüber hinaus werden wir mit unserer öffentlichen
Förderung weiterhin einen wichtigen Beitrag zur Kreditfinanzierung leisten. Der Stellenwert der Haftungsentlastung bei der Förderung wird immer größer. Hierzu
gehören natürlich auch neue Instrumente, wie die Verbriefung von Mittelstandskrediten, die die KfW allen
Gruppen der Kreditwirtschaft anbietet. Dies führt zu einer
Entlastung der Banken von Kreditrisiken - das ist gerade
angesichts der gegenwärtigen Wettbewerbssituation sehr
wichtig - und schafft neue Spielräume für Mittelstandskredite.
Darüber hinaus - wir bleiben mit dem Denken ja nicht
stehen - denken wir zusammen mit der Kreditwirtschaft,
vornehmlich den öffentlich-rechtlichen und den Raiffeisenbanken, über die Einführung von Globaldarlehen für
Mittelstandskredite nach. Kreditinstitute würden auf
diese Weise in bestimmten Segmenten eine Rahmenzusage erhalten. Nach vorgegebenen Regeln entscheiden sie
dann selbst und legen auch Laufzeit und Tilgungsmodalitäten fest.
Ich denke, dass diese Globaldarlehen grundsätzlich
mehr Flexibilität in der Ausgestaltung von neuen, kostengünstigeren Finanzierungsmöglichkeiten für den Mittelstand schaffen würden.
Der hohe Kapitalbedarf wachstumsstarker Unternehmen lässt sich - das wissen wir inzwischen alle - nur mit
echtem Eigenkapital finanzieren. Hier brauchen wir die
organisierten Kapitalmärkte. Die brauchen wir mehr denn
je. Damit die Börsen ihre Finanzierungsfunktion wahrnehmen können, muss das Vertrauen der Anleger wieder
gewonnen werden. Es muss im Falle des Neuen Marktes
neu gewonnen werden.
Dazu dient in erster Linie der vom Finanzminister vorgelegte Entwurf des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes, der sowohl auf eine Verbesserung des Anlegerschutzes als auch auf eine erhöhte Funktionsfähigkeit der
Börsen abzielt, diese auch wettbewerbsfähig macht.
Darin werden auch die von meinem Haus angeregten Vorschläge zur Einbeziehung der Arbeit der Analysten enthalten sein, die zu mehr Markttransparenz und Marktintegrität beitragen werden.
Ich möchte an dieser Stelle aber auch sagen, ich
finde es ausgesprochen bedauerlich, dass der Deutsche
Presserat, wie ich finde, seiner Verantwortung gegenüber
dem Neuen Markt nicht gerecht wird, wenn er sich aus
diesem Verfahren ausgeklinkt hat.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Abschluss vielleicht noch das eine oder andere Wort zur
Bürokratie. Die Kollegin Hoffmann hat ja schon relativ
viel gesagt.
Vorab vielleicht ein Satz zu dem Gesetzentwurf der
CDU/CSU, den wir heute beraten. Ehrlich gesagt, verehrte Kollegen, ich hätte mir unter einer Überschrift, die
da heißt Bürokratieabbau für kleine und mittelständische
Betriebe, mehr erwartet als lediglich die Änderung der
Buchführungsgrenzen in § 141 der Abgabenordnung. Das
steht in Ihrem Antrag drin.
Erstens ist das nicht schrecklich neu; ich habe bereits
im März dieses Jahres im Bericht Abbau bürokratischer
Hemmnisse angekündigt, dass wir die Anhebung der
Buchführungspflichtgrenzen beabsichtigen. Möglicherweise ist Ihnen bekannt, dass der BMF
({3})
- hören Sie erst einmal zu Ende zu - die Länder mit
Schreiben vom 19. April dieses Jahres um Stellungnahme
gebeten hat und es wird nunmehr eine Entscheidung getroffen. In der Sache stimmen wir hier ganz grundsätzlich
überein. Wir machen das auch.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Steuerpolitik und der Abbau von Bürokratie sind Beispiele dafür,
was wir gemacht haben. Die 80 Punkte hat Frau
Hoffmann schon angesprochen.
Für meine Begriffe ist das Schlimmste, was wir jetzt
machen können - das tun Sie leider im Moment -, Konjunkturpessimismus zu verbreiten, Schlechtreden der
wirtschaftlichen Lage zu verbreiten. Wir sind hier alle gefordert, gemeinsam die Verantwortung für die kleinen und
mittleren Unternehmen zu übernehmen.
Eine letzte Bemerkung, Herr Präsident, zu den 630ern.
Meine Fraktion wie auch das Wirtschaftsministerium sowie Herr Schartau aus NRW, wir werden mit dem Bundesarbeitsministerium, mit allen Akteuren Gespräche
über eine Erleichterung führen, über den Abbau von Bürokratie in diesem Bereich. Ich könnte mir vorstellen, dass
kurzfristig die Versicherungsbeiträge von einer zentralen
Stelle eingezogen und dann nach einem vorher festgelegten Schlüssel von dieser Stelle an die Krankenkassen weiter verteilt werden können. Ich kann mir auch vorstellen,
dass man von den monatlichen Kontrollmeldungen weg
zugunsten einer Halbjahres- oder Jahresfrist kommt.
Wir sind hier im Gespräch. Ich finde es wichtig, wenn
uns die BfA sagt, der Verwaltungsaufwand sei für diese
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dreimal so hoch
wie für normale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Deshalb werde ich mich als Mittelstandsbeauftragte der
Bundesregierung hier für eine Vereinfachung einsetzen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne haben der
Präsident der Republik Malta und seine Delegation Platz
genommen. Ich heiße Sie im Namen des Hauses herzlich
willkommen.
({0})
Es ehrt uns, dass Sie im Rahmen Ihres Besuches Gelegenheit nehmen, den Deutschen Bundestag hier im
Reichstagsgebäude zu besuchen.
Sie vertreten ein Land, das mit Geschichte und Kultur
in der europäischen Tradition tief verankert ist. Auch deswegen freuen wir uns darauf, Malta in naher Zukunft im
Kreise der Mitglieder der Europäischen Union begrüßen
zu können.
Ich hoffe, dass Ihre Gespräche und Begegnungen hier in
Deutschland dazu beitragen, die guten und vertrauensvollen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern weiter
zu vertiefen. Wir wünschen Ihnen noch einen angenehmen
Aufenthalt in unserem Lande und eine gute Rückkehr.
({1})
Nun liegen zwei Wünsche auf Kurzintervention vor.
Ich gebe zunächst dem Kollegen Dr. Heinrich Kolb das
Wort, dann dem Kollegen Ernst Hinsken. Wenn sie das
möchte, kann die Parlamentarische Staatssekretärin anschließend erwidern. - Herr Kollege Kolb.
Frau Staatssekretärin
Wolf, auch ich möchte die Gelegenheit nehmen, zunächst
Ihrem Minister die besten Genesungswünsche zu überbringen. Sagen Sie ihm aber auch: Es genügt nicht, dass
er gesund wird, sondern es ist an der Zeit, dass er sich wieder einmal in die wirtschaftspolitische Debatte einmischt.
Das nämlich ist das Problem: In dieser Bundesregierung
gibt es keine Stimme des Mittelstandes mehr. Wenn sich
einmal jemand äußert - so wie Sie in der 630-MarkFrage, unterstützt von meinem Kollegen Rainer
Brüderle -, dann wird das im Nachhinein als Privatmeinung hingestellt. Das ist einer der Gründe, warum die Frustration im Mittelstand in Deutschland so ausgeprägt ist:
weil diese Regierung keine Ahnung mehr von den Problemen hat und sich nicht mehr damit identifiziert.
({0})
Wir müssen hier auch nicht schlechtreden, Frau Kollegin Wolf. Die Bundesregierung hat gestern im Ausschuss
für Arbeit und Sozialordnung die Karten auf den Tisch gelegt: Sie gehen davon aus, dass wir im nächsten Jahr im Jahresdurchschnitt 3,9 Millionen Arbeitslose haben werden.
Zu der Bildung eines solchen Durchschnitts gehört ganz
zwangsläufig, dass die Arbeitslosigkeit in einzelnen Monaten des Jahres deutlich oberhalb von 4 Millionen liegen
wird. Darüber hinaus gehen Sie in Ihren Prognosen davon
aus, dass es praktisch keinen Zuwachs bei der Beschäftigung geben wird. Das ist die nackte Realität. Wir wollen Sie
nur sensibilisieren, damit Sie sich endlich der Realität stellen. Das ist auch der Hintergrund dieser Debatte.
({1})
Debatte heißt im Übrigen, miteinander zu reden,
auch Widerspruch zuzulassen. Ich finde es schon dreist,
Frau Staatssekretärin - bei allem Respekt vor der Bundesregierung -, wenn Sie sich hier hinstellen und sich, um
es deutlich zu sagen, mit fremden Federn schmücken,
aber gleichzeitig Zwischenfragen ausweichen. So geht es
nun wirklich nicht.
Wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit
will ich dies nur an wenigen Punkten deutlich machen. Sie
haben gesagt, wir hätten in der letzten Legislaturperiode
nichts für die Existenzgründung getan. Das Gegenteil ist
der Fall. Wir haben die Existenzgründungsförderung auch
für Unternehmensübernahmen geöffnet. Das war ein
ganz entscheidender Schritt dafür, dass Unternehmensübernahmen - die ja in der Regel mit einer umfassenden
Finanzierung verbunden sind - möglich geworden sind.
Zum Thema Existenzgründungslehrstühle: Wenn
Sie ehrlich sind, Frau Staatssekretärin, geben Sie zu, dass
deren Einrichtung auf eine Initiative Ihres Vorgängers im
Amt, nämlich des damaligen Staatssekretärs Heinrich
Kolb, FDP, zurückzuführen ist
({2})
und dass schon in der letzten Legislaturperiode die ersten
dieser Lehrstühle erfolgreich gegründet wurden.
Ich sage Ihnen noch ein Letztes: Wir brauchen uns über
Existenzgründungen und Unternehmensübernahmen
überhaupt keine Gedanken mehr zu machen, wenn wir es
nicht schaffen, in diesem Land ein Klima herbeizuführen,
in dem Menschen bereit sind, sich zu engagieren und unternehmerisch tätig zu werden. Das ist das Hauptproblem
der rot-grünen Politik: dass Sie zwar kokettieren mit den
Unternehmen, aber nach wie vor ein klassenkämpferisch
motiviertes Problem mit dem Unternehmer haben. Das
eine lässt sich aber von dem anderen nicht trennen. Unternehmen ohne Unternehmer gibt es nicht. Solange Sie
das nicht einsehen, haben Sie ein Problem.
({3})
Kollege
Ernst Hinsken.
Sehr geehrte Frau
Staatssekretärin, wenn Sie meine Zwischenfrage zugelassen hätten, dann bräuchte ich mich jetzt nicht einzubringen. Gerade heute haben Sie wieder Dinge angesprochen,
die für den Mittelstand als nachrangig zu sehen sind. Die
neuralgischen Punkte aber, die den Mittelstand belasten,
haben Sie einfach außen vor gelassen. Deshalb möchte ich
Sie als Erstes fragen, verehrte Frau Wolf - persönlich
schätze ich Sie ja -: Was haben Sie bislang - Sie sind jetzt
fast ein Jahr im Amt als Mittelstandsbeauftragte der
Bundesregierung - konkret für den Mittelstand geleistet?
Als Zweites: Warum haben Sie in Ihrer Rede - Sie hatten ja eine Menge Redezeit - nicht darauf verwiesen, dass
die Steuerbelastungsquote, im Gegensatz zu dem, was
vorher gesagt wurde, nicht sinkt, sondern insbesondere
für die Betriebe nach wie vor bei über 40 Prozent liegt? Es
kann nicht sein, dass der Mittelstand hier außen vor gelassen wird. Warum haben Sie nichts zu dem Versprechen
der Bundesregierung gesagt, die Sozialquote auf unter
40 Prozent zu senken? Warum haben Sie nicht angesprochen, dass die Bundesregierung, insbesondere Bundeskanzler Schröder, vor drei Jahren zugesagt hat, die Staatsquote zu senken? Überall gibt es Erhöhungen; ansonsten
tut sich beim Mittelstand nicht viel. Sie bringen, wie ich
eingangs sagte, sehr viele unbedeutende Dinge ein; ich
möchte sie nicht noch einmal der Reihe nach vortragen.
Warum haben Sie nichts zu den großen Themen gesagt,
die insbesondere den Mittelstand belasten, zum Beispiel
zur 630-DM-Regelung, zur Verschlechterung der Bedingungen befristeter Arbeitsverhältnisse, zu den von dieser Regierung zurückgenommenen Kürzungen bei der
Lohnfortzahlung, zur weiteren Senkung der Schwellenwerte im Rahmen der Kleinbetriebsregelung, zu dem
den Mittelstand sehr belastenden Betriebsverfassungsgesetz - Kollege Doss hat bereits darauf hingewiesen -,
das einfach durchgepaukt wurde und ein Schlag in das
Gesicht des Mittelstandes ist, oder zur Einführung eines
Rechtsanspruches auf Teilzeitarbeit?
Frau Wolf, ich frage Sie: Was haben Sie konkret für den
Mittelstand getan? Auf öffentlichen Veranstaltungen werden wir immer wieder gefragt, was wir für den Mittelstand
tun. Wir müssen dann immer kleinlaut darauf verweisen,
dass wir in der Opposition sind und dass sich die Menschen noch ein bisschen gedulden müssen, Herr Staffelt,
bis wir wieder an der Regierung sind, um dann erneut eine
Mittelstandspolitik aufzulegen, die der Mittelstand
benötigt. Diese wird die Bundesrepublik Deutschland
nach vorne bringen und nicht dazu führen, dass, wie allein
im letzten Jahr geschehen, 50 000 mittelständische Betriebe in Insolvenz gegangen sind. Das waren übrigens
18 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Das berührt den Mittelstand. Dazu haben Sie nichts gesagt.
({0})
Frau Kollegin Wolf, bitte.
Herr Hinsken,
ich würde gerne einmal von Ihnen zu einer solchen Veranstaltung eingeladen werden, auf der Sie kleinlaut darauf
verweisen, dass Sie leider nicht an der Regierung sind. Ich
würde gerne einmal erleben, dass Sie kleinlaut sind.
({0})
Aber dies nur als Vorbemerkung, Herr Kollege. Auch ich
schätze Sie.
Herr Kollege Hinsken, Sie haben gerade wieder den
gesamten Katalog von der Teilzeitarbeit bis hin zur Betriebsverfassung heruntergebetet. Ich werde schriftlich
darauf eingehen. Denn wir sprechen hier andauernd
darüber. In jeder Sitzungswoche gibt es eine Aktuelle
Stunde zu diesem Thema.
Aber auf zwei Punkte möchte ich eingehen: Zunächst
zur Betriebsverfassung. Das entsprechende Gesetz gibt
es - das wissen Sie - seit 1921. Das haben nicht wir erfunden.
({1})
Es wurde regelmäßig modifiziert.
({2})
- Es ist einfach so. Dass in kleinen und mittleren Unternehmen Betriebsräte gebildet werden, steht seit 1921 im
Gesetz.
({3})
- Herr Hinsken, wenn Sie mir jetzt nicht zuhören, werden
Sie mir in der nächsten Woche die gleiche Frage stellen.
Für die kleinen und mittleren Unternehmen ändert sich
tatsächlich nur das Wahlverfahren. Für größere Unternehmen mit mehr als 200 Arbeitskräften - Stichwort: Schwellenwertabsenkung - ändert sich wirklich etwas. Das ist
richtig.
({4})
- Er hat ja über die kleinen und mittleren Unternehmen
gesprochen.
Nächster Punkt: die Teilzeitarbeit. Sie haben mich gefragt, was ich durchsetzen konnte. Das Ministerium
konnte durchsetzen, dass nach zwei Jahren überprüft
wird, ob das Teilzeitgesetz tatsächlich eine taugliche
Grundlage dafür ist, in den Betrieben mehr Teilzeitbeschäftigung durchzusetzen.
({5})
Wenn es dies nicht ist, wird darüber zu diskutieren sein,
ob dieses Gesetz nicht abgeschafft werden sollte.
({6})
Im Vergleich zu allen anderen europäischen Staaten hatten wir bis 1998 ein geringes Volumen an Teilzeitarbeitskräften. Deshalb haben wir dieses Gesetz beschlossen. Es
greift aber erst bei Betrieben ab 16 Mitarbeitern.
Auf den Rest Ihres Kataloges, Herr Hinsken, werde ich
schriftlich eingehen - denn ich habe ja nur eine geringe
Redezeit -, damit Sie auf Ihren Veranstaltungen nicht
mehr kleinlaut sein müssen.
Eines möchte ich noch im Hinblick auf den Bürokratieabbau feststellen: In Zusammenarbeit mit den Ländern
haben wir durchgesetzt - Sie können sich vorstellen, dass
das relativ schwierig war -, dass man Handelsregistereintragungen, Lohnsteuer- und Einkommensteuererklärungen, Gewerbeanmeldungen jetzt online, das heißt über
das Internet, vornehmen kann. Wir verhandeln mit den
Ländern über eine einheitliche Wirtschaftsnummer. Das
würde ein erhebliches Maß an Bürokratie abbauen. Wir
haben das Land Bayern dankenswerterweise dafür gewinnen können, mit uns einen Probelauf hinsichtlich der
Einführung einer einheitlichen Wirtschaftsnummer durchzuführen.
Meinem Hause und meiner Fraktion möchte ich auch
das zugute halten, was gestern im Finanzausschuss im Zusammenhang mit den Begriffen Reinvestitionen, Mitunternehmererlass und Realteilung beschlossen worden ist. Das ist den mittelstandspolitischen Aspekten der
Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung ganz maßgeblich im positiven Sinne anzulasten.
({7})
- Herr Kolb, stellen Sie mir eine Frage und ich beantworte
sie. Das Krakeele, das Sie in jeder Debatte anfangen, ist
kein Beitrag. Man kann kaum sein eigenes Wort verstehen.
Was haben wir gemacht?
({8})
Herr Kolb, Sie haben Recht: Sie haben sich in der Zeit, in
der Sie den Job hatten, den ich heute habe, um die Frage
der Finanzierung bei einer Unternehmensnachfolge
wirklich gekümmert.
({9})
Aber Unternehmensübernahmen sind ein breit angelegtes
Problem. Dem haben wir uns zugewandt. Es ist weniger
eine Frage des Geldes als vielmehr ein psychologisches
Problem. Herr Hirche, lachen Sie ruhig, aber es ist so, dass
unser alter guter Mittelstand mit der Herr-im-Haus-Mentalität die Übergabe eher als einen Verlust von Lebensleistung wahrnimmt.
({10})
Deshalb müssen wir diese Frage aus ihrer Nische herausholen. Der Verlust der Lebensleistung tritt erst dann ein,
wenn der Betrieb nach dem Ausscheiden nicht qualifiziert
weitergeführt wird. Daher müssen wir dem Mittelständler
vornehmlich mit den Steuerberatern helfen und ihm sagen: Dein Lebenswerk lebt nur dann weiter, wenn du dich
frühzeitig um eine Nachfolge kümmerst. Das ist ein
schwerwiegendes psychologisches Problem, mit dem wir
uns beschäftigen.
Es ist richtig, dass das Bundeswirtschaftsministerium
meines Wissens ab 1996 mit der DtA in Richtung Existenzgründungen etwas angeschoben hat. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, hatten wir 1998 zwei Existenzgründerlehrstühle. Jetzt sind es 42.
({11})
Wir haben hier sehr viel getan. Wir führen inzwischen
auch Unternehmenswettbewerbe in den Schulen durch,
um damit die Schulen für die Wirtschaft zu öffnen, weil
wir genau diese neue Unternehmenskultur für mehr
Selbstständigkeit in diesem Land etablieren wollen.
Ich bedanke mich.
({12})
Für die
Fraktion der PDS erteile ich dem Kollegen Rolf Kutzmutz
das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben im März dieses Jahres über
einen Teil der heute vorliegenden Anträge geredet. Weitere Anträge sind hinzugekommen. Während die Koalition erklärt, alles was sie tue, sei gut und diene dem Mittelstand, kommt aus der CDU/CSU und der FDP
permanent der Ruf nach Vorziehen der nächsten Stufe
der Steuerreform.
Aus meiner Sicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU, geht Ihre Forderung am Leben vorbei.
30 Milliarden DM an vorgenommenen Steuersenkungen
haben nicht zu einer Stabilisierung oder gar zu einem Aufschwung in der Wirtschaft geführt. Die Rezession ist da
oder zumindest in Sicht. Ostdeutschland trifft sie besonders hart. Woher nehmen Sie die Gewissheit - das frage
ich mich immer wieder, wenn Sie Ihre Anträge vorstellen -, dass weitere Steuersenkungen das Handeln der
Wirtschaft im gewünschten Maße beeinflussen?
({0})
Steuerausfälle wären in jedem Fall die Folge. Dann
würden Sie wieder nach Geld vom Staat zur Förderung
des Mittelstandes rufen, das nicht vorhanden ist. In bewegten Zeiten wie jetzt sind Verlässlichkeit auch der fiskalischen Rahmenbedingungen gerade für die Wirtschaft wichtiger als ungedeckte Schecks auf die Zukunft.
({1})
Was haben denn Bushs milliardenschwere Steuerschecks
wie auch die Zinspolitik der Fed in den USA bisher gebracht? Nichts.
Der 11. September dieses Jahres hat die Welt verändert.
Angst und Unsicherheit schlagen ebenso wie der Krieg in
Afghanistan auf die Wirtschaft durch. Für diesen Krieg
werden Sie sich mit haftbar machen, wenn Sie dem Antrag folgen, der heute früh gestellt wurde. Er fördert weder Zuversicht noch Vertrauen.
({2})
Unsicherheit ist die eine Seite der Wirtschaftslage. Wer
aber jetzt, wie es bei den Vorrednern Herrn Doss und
Herrn Brüderle zu hören war, wieder darüber philosophiert, Spitzensteuersätze zu senken, der kurbelt nicht
die Wirtschaft an, sondern nur die Umverteilung von unten nach oben. Soziale Netze werden zwangsläufig zerrissen. Noch mehr Menschen geraten ins gesellschaftliche
Aus. Von deren Kaufkraft aber hängen gerade die Mittelständler ab.
Den Mittelstand gibt es nicht, obwohl wir uns das immer wieder vormachen. Es gibt eine Vielfalt an Definitionen. Viele ziehen die Grenze bei 500 Beschäftigten.
Die EU hat schon 1996 die Obergrenze bei 250 Beschäftigten festgelegt. Herr Schauerte hat eine eigene Definition. Er sagt - ich zitiere aus dem Kopf, Sie können mich
berichtigen -: Jeder, der Pleite gehen kann, ohne dass der
Staat eingreift, ist ein Mittelständler.
({3})
Es gibt noch eine weitere Definition. Ich habe sie in der
vergangenen Woche von einem Herrn der Dresdner Bank
gehört. Diese Definition hat mich wirklich fasziniert. Er
hat gesagt: Bei uns ist jeder ein Mittelständler, der eine
Mark Umsatz macht. Ich sage Ihnen: Ausgerechnet die
Dresdner Bank, die sich von den Mittelständlern verabschiedet hat und diese bittet, die Bank zu wechseln, weil
sie zu viel Arbeit machten, bietet eine solche Definition
zum Mittelstand. Deshalb ist es falsch, vom Mittelstand
an sich zu sprechen. Wir müssen die Differenziertheit des
Mittelstandes zur Kenntnis nehmen.
({4})
Ich selbst bin im Offenen Wirtschaftsverband kleiner
und mittlerer Unternehmer, Selbstständiger und Freiberufler organisiert. In diesem Verband sind Unternehmer
organisiert, in deren Betrieben zwei, drei, zehn und - darauf bin ich ganz stolz - 30 Mitarbeiter beschäftigt sind.
Solche Betriebsgrößen sind in Ostdeutschland der Regelfall. Sie selber haben immer auf die 500 000 Selbstständigen und die 3,2 Millionen Beschäftigten hingewiesen. Man braucht keine Eins in Mathematik und kein
Abitur, das man erst nach 13 Schuljahren machen kann,
um den Durchschnitt auszurechnen. Ich sage Ihnen eines:
Diese Selbstständigen haben nichts von der Diskussion
über die Höhe des Spitzensteuersatzes. Die haben auch
keine Anteile an Kapitalgesellschaften, die sie verkaufen
könnten, um einen Vorteil zu erzielen, der sich in einer
kleinen, begrenzten steuerfreien Investitionsrücklage ausdrückt. Wie viele Mittelständler kennen Sie, die, gemessen an der Zahl der Beschäftigten und der geschaffenen
Arbeitsplätze, unter diese Regelung fallen?
({5})
Mittelständischen Betrieben in der Größenordnung,
wie ich sie vorhin aufgelistet habe, hilft höchstens eine befristete steuerfreie Investitionsrücklage für ihre laufenden Einkünfte. Aber vor allem muss es um eine dezentrale
Strukturpolitik, um mehr Aufträge, um eine bessere Zahlungsmoral und um weniger Bürokratie gehen - darin
stimmen wir überein -, wenn die öffentliche Hand den
Mittelstand tatsächlich fördern will.
({6})
Da helfen keine Selbstbeweihräucherung, kein Aussitzen
und auch keine Kampagnen.
In der gestrigen Sitzung des Unterausschusses ERP
wurde zum Beispiel festgestellt, die Nachfrage nach Existenzgründer- und Mittelstandsdarlehen sei dramatisch
rückläufig. Aber es wird nicht als Erstes darüber nachgedacht, wie man schnellstens neue Förderinstrumente entwickeln kann, damit in diesem Bereich wieder Arbeitsplätze geschaffen werden. Nein, es wird konstatiert:
Es gibt keine Liquiditätsprobleme, um den Anteil von
Daimler-Chrysler an den milliardenschweren Kosten für
die Entwicklung eines Superjumbos zu einem Drittel
vorzufinanzieren. Allein dieses kleine Beispiel zeigt: In
der Ordnungspolitik muss umgesteuert werden.
Dazu gehört für uns natürlich auch das Austrocknen
der Schwarzgeldströme der Terroristen. Aber auch
Steuerbetrug muss bestraft und vor allen Dingen gesellschaftlich geächtet werden; denn aus gesetzlichen Steuerlasten tatsächliche zu machen hilft, öffentliche Haushalte
zu konsolidieren und verlässlich in Arbeitsplätze mündende Investitionen zu organisieren. Solche Arbeitsplätze, meine Damen und Herren von der Koalition, entstehen jedoch kaum auf sechsspurigen Autobahnen. Da
hat ein Mittelständler keine Chance. Die hat er vielmehr
vor Ort, bei der Befriedung des regional ermittelten Infrastrukturbedarfs. Es muss also über wachsende statt sinkende kommunale Investitionspauschalen geredet werden.
Nehmen wir ein Beispiel für eine mittelstandsfreundliche Energiepolitik. Statt um das für den Jahreswechsel
geplante Verhinderungsgesetz für Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen muss es um eine konsequent vorangetriebene Energiewende gehen.
({7})
Noch mehr erneuerbare Energien und dezentrale KWKAnlagen wären nicht nur praktizierte Sicherheitspolitik,
wenn ich an die seit dem 11. September zu Recht stärker
gewordenen Ängste vor den Gefahren der Atomkraftwerke und ihrer Abfälle denke. Sie wären auch nicht nur
praktizierte Umweltpolitik, sondern eben auch Mittelstandspolitik. Sie hilft nicht nur den überwiegend
mittelständischen Anlagenbauern, sondern schafft und sichert viel mehr Arbeit für Wartungsunternehmen und andere Dienstleister, als es in bestehenden Großanlagen
möglich ist, und das ohne einen einzigen Steuercent; denn
die Beschaffung und Verteilung öffentlicher Mittel sind
nur eine Seite der Medaille. Bessere Zahlungsmoral - darauf habe ich schon hingewiesen; Herr Hinsken hat mir
sogar zugestimmt - und ein neue Chancen schaffendes Insolvenzrecht beispielsweise würden Kreativität für neue
zusätzliche Arbeitsplätze ebenfalls viel eher als noch so
niedrige Steuern freisetzen.
Ebenso sollten Vorschläge zur Entbürokratisierung wie
der heute in erster Lesung beratene CDU/CSU-Antrag zur
steuerlichen Buchführungspflicht von der Koalition
ernsthaft und ohne Ansehen ihrer Herkunft geprüft werden. Wenn die Staatssekretärin sagt: Wir sind in einem
Boot; wir stimmen darin überein, dann halte ich es für
notwendig und richtig, das kurzfristig umzusetzen. Das
gilt natürlich auch für Anträge der PDS.
Ich finde es schon bemerkenswert, wenn die Berliner
Zeitung in ihrer Ausgabe vom 31. Oktober, also nach der
Wahl in Berlin, unter der Überschrift Berliner Wirtschaft
fordert transparente Verwaltung den Chef eines Berliner
Wirtschaftsklubs mit folgenden Worten zitiert:
Um Verfahren effektiv zu gestalten, können wir uns
gut an Mecklenburg-Vorpommern orientieren.
In der Tat arbeitet das seit April bestehende neue Tandem
aus Arbeitsminister Helmut Holter und Wirtschaftsminister Otto Ebnet vergleichsweise gut, auch und gerade für
die Mittelständler und die Existenzgründer.
({8})
- Das ist doch ein Minister Ihrer Partei. Sie können aufstehen, wenn Sie wollen. Er ist übrigens ein Bayer. Dann
können die anderen auch noch aufstehen.
Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Strukturpolitik werden von beiden Ministern als Beschäftigungspolitik
praktiziert. Deshalb entstehen Netzwerke. Deshalb werden Existenzgründungen unterstützt. Deshalb gibt es auch
den Vorschlag zu einem Bündnis für Arbeit, für Aufträge
und Ansiedlungen.
({9})
Mein letzter Satz, Herr Präsident: Wenn wir den Mittelstand nur vom Materiellen her begreifen, wenn man die
Zugehörigkeit zum Mittelstand sozusagen nur aus der
Steuertabelle ablesen kann, ist dem Mittelstandsbegriff
meiner Meinung nach eine sehr gefährliche Wendung gegeben. Das hat Ludwig Erhard 1956 gesagt. Ich sage Ihnen: Was 1956 richtig war, ist auch heute richtig. Es geht
um verlässliche Rahmenbedingungen, die man überprüfen muss, und es geht um tatsächliches, praktisches Handeln.
Danke schön.
({10})
Nun gebe
ich dem Kollegen Dr. Ditmar Staffelt für die Fraktion der
SPD das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Es ist leider wenig begeisternd, wenn wir die Debatte alle Monate wieder - so kann
ich fast sagen - mit ähnlichen Argumenten führen,
({0})
ohne dass es eine notwendige sachliche Auseinandersetzung mit den derzeitigen Problemen auf makroökonomischer Ebene gibt.
Ich bin entzückt von Herrn Brüderle, der gestern im
Wirtschaftsausschuss in der ihm eigenen Art die neue
Sachlichkeit und Nachdenklichkeit betont hat, heute aber
wieder genau das gemacht hat, was wir seit Monaten von
ihm kennen, nämlich ein kleines Affentheater für die
Wählerinnen und Wähler der FDP.
({1})
Das ist nicht ausreichend, Herr Brüderle. Wenn das alles
so einfach wäre, hätten Sie in all den Jahrzehnten, in denen Sie die Bundesrepublik Deutschland politisch geführt
haben, alle Probleme des Mittelstandes lösen können. Das
haben Sie augenscheinlich nicht gemacht. Vielmehr waRolf Kutzmutz
ren wir nach der Übernahme der Regierung gehalten, eine
Vielzahl von Verbesserungen vorzunehmen, die unmittelbar den kleinen und mittleren Unternehmen zugute gekommen sind.
({2})
Lassen Sie mich etwas zu den Rahmendaten sagen:
Wir können zwar im Moment - das müssen Sie wissen noch so viele kleine Schritte vorbereiten und Entscheidungen treffen, aber wichtig ist der Gesamtrahmen. Für
die Gestaltung des Gesamtrahmens hat diese Regierung
unendlich viel mehr getan als Sie in den 16 Jahren Ihrer
Regierungszeit.
({3})
Das ist auf internationaler Ebene unbestritten. Sowohl
im Hinblick auf die OECD als auch den IWF gilt: Die
Bundesrepublik Deutschland hat den Einstieg in die Modernisierung durch Haushaltskonsolidierung, Steuer- und
Rentenreform realisiert.
({4})
Ihnen wird in den Gesprächen mit Experten in den Vereinigten Staaten von Amerika immer wieder gesagt: Ihr müsst
auch etwas bei der Deregulierung eurer Arbeitsmärkte tun.
({5})
Zu diesem Thema sagen wir: Die Tarifpartner sollen gemeinsam mit der Bundesregierung ihren Beitrag dazu
leisten, die notwendigen Spielräume zu schaffen.
Herr Kollege Staffelt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hirche?
Nein, das möchte ich nicht.
Ich möchte hinzufügen, dass alleine das Job-Aqtiv-Gesetz bereits einen Rahmen bietet, um vielzählige Möglichkeiten und Räume für neue Formen der Beschäftigung
zu finden.
({0})
Sie ignorieren immer alles, was wir liefern. Wir haben
den bekannten Brief von Herrn Müller und Herrn Riester
an die Vertreter der großen Verbände in Deutschland gelesen. In diesem Brief wird minutiös aufgeführt, was das
Job-Aqtiv-Gesetz bietet, was die Verbände fordern und
welche Möglichkeiten das Job-Aqtiv-Gesetz vorsieht.
({1})
Das alles nehmen Sie gar nicht zur Kenntnis. Sie sind
nicht bereit, sich auf den Weg zu begeben, der die einzige
Chance bietet, gemeinsam an den richtigen Stellschrauben zu drehen.
Zur Frage des Vorziehens der Steuerreform kann ich
Ihnen nur sagen: Wir sind doch nicht ideologisch vernagelt und wollen dies deshalb nicht tun, weil wir keine weitere Senkung der Steuern oder keine weiteren Vorteile für
die Arbeitnehmerschaft oder die Selbstständigen in unserem Lande wünschten. Ganz im Gegenteil! Wir fragen uns
nur, ob weitere Steuersenkungen tatsächlich die Effekte
an den Märkten erzielen, die zu einer wirklichen Belebung der Konjunktur insgesamt beitragen. Viele wirtschaftswissenschaftliche Institute unterstützen uns in der
Auffassung, dass das im Moment nichts brächte.
Herr Brüderle hat gerade gestern, wie bekannt, im Ausschuss gesagt, wir seien in einer schwierigen Zeit, in einer Zeit der weltwirtschaftlichen Anspannung und Krise.
Da ist es natürlich, dass viele - seien es Privathaushalte
oder auch Unternehmen - das, was sie an zusätzlichen
Einnahmen aus der Steuerreform haben, sparen, zurücklegen, daraus Reserven bilden; Sie nannten das
Eichhörncheneffekt. Das ist ein Effekt, der auch dann,
wenn wir die Steuerreform vorziehen, nicht ohne weiteres
außer Kraft gesetzt werden kann, der weiter wirkt, weil er
in hohem Maße psychologisch bedingt ist.
Lassen Sie mich noch eines zum Thema Verantwortung
sagen. Ich finde es ziemlich verantwortungslos, dass Sie
die derzeitige Gesamtsituation so herunterreden - ich sage
ganz ausdrücklich: herunterreden - und damit genau einen
Effekt erzielen, den wir heutzutage gar nicht gebrauchen
können: Die Hoffnungen, die auch die wirtschaftswissenschaftlichen Institute für die Belebung der Konjunktur im
nächsten Jahr sehen, werden wieder kaputtgemacht. Maßnahmen wie die heutige Zinssenkung um 50 Basispunkte
seitens der EZB laufen sozusagen wieder ins Leere. Wir
tragen hier Verantwortung. Sie haben gar nicht das Recht,
nur parteipolitische Polemik zu betreiben.
({2})
Auch Sie haben Verantwortung für dieses Land, selbst wenn
Sie in der Opposition sind, meine Damen und Herren.
Lassen Sie mich noch einmal darauf verweisen, dass
wir in den letzten Monaten eine Vielzahl von Maßnahmen getroffen haben. Sie wissen das sehr genau. Ich
könnte alle diese Maßnahmen noch einmal aufzählen und
vielleicht muss man es ja auch tun. Also: Reinvestitionszulage, Aussetzung der Abschreibungstabellen, Solidarpakt II - für Ostdeutschland von zentraler Bedeutung -,
Job-Aqtiv-Gesetz - ich habe davon gesprochen -, Stadtumbau Ost - wesentlicher Punkt zur Belebung der Bauwirtschaft -, Vergaberecht - die Novellierung steht an und Zukunftsinvestitionsprogramm. Das ist schon ein
Maßnahmenpaket, das sich sehen lassen kann. Deshalb
sehe ich überhaupt keinen Grund, die Kritik, die von Ihnen hier vorgetragen wird, ernst nehmen zu müssen. Wir
können sehr selbstbewusst auf das verweisen, was wir in
den letzten Monaten für kleine und mittlere Unternehmen,
für den Mittelstand getan haben.
({3})
- Auch damit kann ich Sie konfrontieren. Sie reden einfach irgendetwas daher.
({4})
Das ist etwas, was ich nicht vertragen kann.
Schauen Sie sich einmal die Steuerquote im internationalen Vergleich an! Deutschland 22,9, Dänemark 48,5,
Schweden 38,5, Italien 30,3, Großbritannien 30,3 Prozent. Was sollen wir denn noch alles machen?
({5})
Schauen Sie sich die Belastung des Mittelstands an!
Frankreich 46,8 Prozent, Niederlande 32 Prozent, USA
32 Prozent, Deutschland 31 Prozent. Das kann sich im internationalen Vergleich doch sehen lassen!
({6})
Unternehmensgründungen: Im Jahr 1996 gab es klägliche 137 000 Unternehmensgründungen, 1997 nur 129 000.
In diesem Jahr sind es 202 000 Unternehmensgründungen.
Meine Damen und Herren, Sie gehen einfach darüber
hinweg, ignorieren alles und sagen: Die gehen serienweise Pleite. So kann man in Fragen der deutschen Wirtschaft doch nicht ernsthaft debattieren.
({7})
Ich will Ihnen noch etwas sagen: Auch bei den freien Berufen, bei den Selbstständigen - Sie behaupten ja immer,
das sei Ihre Klientel; das hat sich glücklicherweise nachhaltig geändert - gibt es eine Zunahme um mehr als 20 000
mit dem Effekt, dass insgesamt weitere 80 000 Menschen
bei diesen Selbstständigen beschäftigt werden.
Es ist also Quatsch, hier nur von einer Negativbilanz zu
reden. Wir können eine Vielzahl von Indikatoren aufweisen, die besagen: Wir haben die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt. Da, wo es möglich ist, und da, wo es
erforderlich ist, werden wir diese Rahmenbedingungen
- davon können Sie ausgehen - auch weiter verbessern.
Schließlich will ich an dieser Stelle ein Wort zu einem
Punkt sagen, der für Sie ganz typisch ist. Die Schwarzarbeit ist ein wesentliches Thema, das uns drückt. Kaum
haben wir damit begonnen, Maßnahmen zur Bekämpfung
von Schwarzarbeit einzuleiten - Ähnliches gilt für andere
Bereiche, wo Steuerhinterziehung praktiziert wird; Herr
Kutzmutz hat das angesprochen -, schon sind die FDP
und im Zweifel auch die CDU/CSU die Ersten, die
schreien. Wenn Sie nicht einmal bereit sind, Maßnahmen
zur Herstellung ordentlicher Wettbewerbsbedingungen
mitzutragen - es geht darum, im wirtschaftlichen Wettbewerb die Ehrlichen besser als die Unehrlichen zu stellen -,
dann sollten Sie sich nicht über Verzerrungen wundern,
die einen Einfluss auf die Arbeitslosenzahlen haben und
die Unternehmen kaputtmachen.
({8})
In dieser Hinsicht sind Sie gegenüber dem braven Handwerksmeister, der sich bemüht, Steuern zu zahlen und sich
an Recht und Gesetz zu halten, nicht wirklich ehrlich.
({9})
Das sollten Sie einmal nacharbeiten, Herr Brüderle.
Summa summarum: Wir sollten weiterhin über Mittelstand reden. Halten Sie sich ein Stück mehr daran, Sachlichkeit zu üben! Wir sind immer gesprächsbereit, gerade
in Bezug auf Fragen der Wirtschaft.
({10})
Sie kennen mich: Ich bin immer bereit, mit Ihnen und allen, die daran interessiert sind, diesen Dialog zu führen.
Um es ehrlich zu sagen: Es kommt mir zum Halse heraus,
dass ich mir anhören muss, wie Sie gebetsmühlenartig
dieselben Provokationen vortragen.
({11})
Das bringt uns keinen Schritt weiter. Ändern Sie Ihre Art!
Vielleicht helfen die Koalitionsverhandlungen in Berlin
ein bisschen dabei, dass Sie auf den Teppich zurückkehren. Herr Brüderle, in diesem Sinne!
Danke.
({12})
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege Dr. Peter
Ramsauer.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Staffelt, was wir uns von Ihnen
soeben haben anhören müssen, war mehr als eine mittelstandspolitische Geisterbahnfahrt. Das, was Sie hier alles
erzählt und als Bündel von Maßnahmen für den Mittelstand bezeichnet haben, ist nichts anderes als die
Gesamtheit der Folter- und Marterinstrumente, die Sie in
den letzten drei Jahren zur Traktierung des Mittelstands
eingeführt haben.
({0})
Dass Sie einige Maßnahmen mittlerweile zurückgenommen haben, liegt daran, dass Sie eingesehen haben, wozu
das Ganze führt.
({1})
Das nennen Sie dann Maßnahmenbündel.
Lieber Herr Kollege Staffelt, wenn es wirklich so wäre,
wie Sie gesagt haben und wie es uns die Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung, die Kollegin Wolf, in
ihren regierungsamtlichen Verlautbarungen hat wissen
lassen, dann hätte sie kein mittelstandspolitisches Papier,
das das Datum 30. Oktober trägt, vorlegen müssen. Darüber wurde leider in viel zu wenigen Zeitungen berichtet.
Ich komme auf dieses Papier noch zu sprechen.
Schlimm ist, dass die rot-grüne Bundesregierung mit
dieser Politik die gesamte mittelständische Wirtschaft in
Deutschland in den verheerenden Sog ihrer katastrophalen Wirtschafts- und Sozialpolitik hineinzieht. Dass Sie
jetzt versuchen, diese Entwicklung hinter der Außenpolitik zu verstecken, lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Die
Rutschbahn, auf der wir in die wirtschaftspolitische
Katastrophe geraten, besteht nicht erst seit dem 11. September, sondern schon viel länger, nämlich seit mehr als
drei Jahren.
({2})
Sie können das von Ihnen produzierte wirtschaftliche
Chaos nicht hinter dem 11. September verstecken. Sie
sind seit drei Jahren an der Regierung und seit drei Jahren
geht das Wachstum massiv zurück.
Im Oktober wurde eine verheerende Arbeitslosenstatistik vorgelegt. Die Beratungen des Bundeshaushalts für
das nächste Jahr sind, weil die Grundannahmen nicht
mehr stimmen, nur noch Makulatur. Das i-Tüpfelchen ist
Ihre Reaktion: Sie erhöhen die Steuern. Eine aberwitzigere Idee hätten Sie nicht haben können. Sie bewirken
dadurch nämlich das Gegenteil von dem, was wir brauchen. Was Sie tun, ist Gift für die Konjunktur, denn es
hemmt die Investitionsbereitschaft der Unternehmen und
es hemmt den privaten Konsum.
({3})
Freilich ist es nichts anderes als eine Schwäche des Finanzministers, wenn er es nicht einmal fertig bringt,
ganze 0,6 Prozent des geplanten Haushaltsvolumens an
anderer Stelle einzusparen.
({4})
Indem Sie das jetzt dadurch hereinholen wollen, dass
Sie die Mittel für Investitionen im Haushalt kürzen, machen Sie wiederum genau das Falsche. Sie haben in den
letzten drei Jahren die Investitionsquote im Bundeshaushalt ohnehin laufend zurückgefahren. Wer bei den Investitionen kürzt, der nimmt diesem Land ein Stück seiner
Zukunft. Investitionen kürzen heißt Zukunft verbauen.
Genau das werfen wir der rot-grünen Bundesregierung
vor.
({5})
Dass die Konjunktur schwächelt, hat seine Gründe.
Man darf sich darüber nicht wundern, wenn man sieht,
dass gerade der Wachstumsmotor Mittelstand regelrecht
abgewürgt wird. Es ist verschiedentlich auf das lange
Sündenregister hingewiesen worden. Sie haben mit der
Neuregelung der 630-Mark-Verträge ein flexibles Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsinstrument praktisch vollkommen unbrauchbar gemacht. Genauso schlimm ist,
dass Sie mit dem Gesetz zur Scheinselbstständigkeit auch
die Möglichkeit, flexibel in die Selbstständigkeit hineinzugleiten, verbaut haben. Was soll da noch Ihr Gerede von
mehr jungen Unternehmen und mehr jungen Menschen,
die sich selbstständig machen sollen?
({6})
Kündigungsschutz, Rechtsanspruch auf Teilzeit - man
kann nicht oft genug sagen, dass mit dem Teilzeitgesetz
die Personalplanung gerade für mittelständische Unternehmen zu einem Lotteriespiel verkommen ist.
({7})
Das haben Sie zu verantworten, da Sie durch eine völlig
falsche Sozialpolitik leider Gottes noch zusätzliche Beschäftigungshürden in den Betrieben errichten.
({8})
Der Mittelstand, der bei der letzten Bundestagswahl
von Gerhard Schröder nicht ganz ohne Erfolg umworben
wurde, ist schwer enttäuscht. Er ist weder gefördert noch
gestärkt oder unterstützt worden. Er ist vielmehr abgezockt, getäuscht und gemolken worden.
Meine Damen und Herren, man spürt so richtig, dass es
in dieser Bundesregierung, angefangen beim Wirtschaftsminister über die Mittelstandsbeauftragte bis hin zum
Bundeskanzler, niemanden gibt, der sich in das Geschehen in einem mittelständischen Betrieb hineindenken
kann und sich mit dem Mittelstand wirklich identifiziert.
({9})
- Sie als Allerletzter, Herr Staffelt. - Weil Sie sich nicht
wirklich mit dem Mittelstand identifizieren, kann auch
keine glaubwürdige Mittelstandspolitik von Ihnen gemacht werden.
({10})
Das beste Beispiel hierfür haben wir in dieser Woche
vorgelegt bekommen, als der Sozialminister Walter
Riester über Sie, Frau Wolf, hergefallen ist und auf Sie
wegen Ihrer Vorschläge eingedroschen hat. Ich habe bisher immer geglaubt, dass man von Ihnen als Mittelstandsbeauftragte, liebe Frau Kollegin Wolf, überhaupt
nichts hören wird, und habe in Ihnen deswegen eigentlich
immer das personifizierte mittelstandspolitische Desinteresse dieser Bundesregierung gesehen. Jetzt haben Sie
endlich - das finde ich toll - mit Datum vom 30. Oktober
ein Papier mit der Überschrift Gedanken zur Mittelstandspolitik vorgelegt. Darin sind hochinteressante
Ansätze enthalten, die wirklich diskussionswürdig sind.
Sie nehmen zum Beispiel unter der Überschrift Steuerpolitik Bezug auf die Reinvestitionsrücklage, deren Einführung im Rahmen des Gesetzes zur Fortentwicklung
der Unternehmensteuerreform geplant ist. Ich zitiere aus
dem Papier:
Durch eine in der Debatte befindliche Deckelung bei
100 000 DM
- für diese Rücklage wird die notwendige Wirkung bei den mittelständischen Unternehmen verfehlt,
({11})
der Vorwurf der Ungleichbehandlung gegenüber den
Veräußerungsgewinnen der Kapitalgesellschaften
geradezu bestätigt.
({12})
Klarer kann man nicht unter Beweis stellen, wie falsch Ihr
Gesetzentwurf ist. Liebe Frau Wolf, ich stimme Ihnen hier
zu.
({13})
- Klar, dass Sie das anders sehen. Es ist nämlich so, dass
die grüne Frau Wolf mit einem glühenden mittelstandspolitischen Spieß in Ihren mittelstandspolitischen Wunden
und Defiziten herumstochert. Das soll sie ruhig tun, gerade auch auf diesem Feld.
({14})
Unter dem Stichwort Absenkung der Lohnnebenkosten heißt es:
Es ist gelungen, die Rentenbeiträge um 1,2 Prozentpunkte abzusenken. Dabei dürfen wir nicht stehen
bleiben.
({15})
Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, im nächsten Jahr das Ziel der Sozialversicherungsbeiträge von 40 Prozent zu erreichen.
Wenn es so wäre, wäre es schön, liebe Frau Wolf. Ich
glaube aber, Sie verwechseln die Richtung der Entwicklung beim Gesamtsozialversicherungsbeitrag. Wir werden nächstes Jahr bei 41,5 oder 41,6 Prozent landen.
Zu den 630-DM-Beschäftigungsverhältnissen schreiben Sie:
Die 630-DM-Beschäftigungsverhältnisse müssen für
Beschäftigte und Arbeitgeber attraktiver werden.
({16})
Wie kommt mir das denn vor? Das klingt ja so, als ob wir
dieses Instrument kaputtgemacht hätten. Nein, diese Regierung hat es kaputtgemacht. Wenn man weiter liest
- dazu fehlt leider die Zeit -, merkt man: Ihr ganzes
mittelstandspolitisches Papier, liebe Frau Wolf, ist eine
Anklageschrift gegen die Wirtschafts- und Mittelstandspolitik dieser Bundesregierung.
({17})
Ich wünsche mir, dass dieses Papier, liebe Frau Wolf, zu
großer Berühmtheit kommt.
Ich habe dann in einer Agenturmeldung gelesen - ich
zitiere auch daraus -:
Müllers
- der Wirtschaftsminister ist gemeint Sprecherin Regina Wierig erklärte am Montag in
Berlin, bei Wolfs Vorstoß handele es sich um ein persönliches Papier der Staatssekretärin als Grünen-Abgeordnete und nicht um ein Papier des Wirtschaftsministeriums.
Wenn Sie sich vom eigenen Wirtschaftsminister zurückpfeifen lassen würden, dann hätte ich dafür noch Verständnis. Dass er das aber nicht einmal selber macht, sondern eine Sprecherin beauftragt, ist mehr als eine
Beleidigung, die ich mir an Ihrer Stelle nicht gefallen
ließe.
({18})
Meine Damen und Herren, die paar Beispiele allein
zeigen schon, dass in der Politik dieser Regierung jegliche Mittelstandskomponente fehlt. Der Bundeskanzler,
der Wirtschaftsminister und die Staatssekretärin können
sich noch so verstellen: Es nützt nichts. Diese Lippenbekenntnisse und Sonntagsreden, die wir heute wieder
gehört haben - auch von Ihnen, Herr Staffelt -, nimmt Ihnen niemand mehr ab.
Was vor uns liegt, steht in der Kontinuität dieser bisher
schon falschen Wirtschaftspolitik und Mittelstandspolitik: Erhöhung der Ökosteuer, weitere angekündigte Steuerreformschritte, die gerade dem Mittelstand wehtun, die
Abschreibungsbedingungen, die Sie verschlechtert haben, das Betriebsverfassungsgesetz, das gerade die mittelständischen Betriebe - Ihre Argumente haben den Vorwurf nicht entkräftet, Frau Wolf - mit Bürokratiekosten
belastet, und - das ist das Allerbeste in Ihrer Pipeline - das
von Ihnen vorgelegte Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz - es ist schon schwierig, das auszusprechen. Dieses
Gesetz ebnet den Weg für die Rollkommandos der
Finanzämter hinein in die mittelständischen Betriebe
und - noch schlimmer - es stellt alle Mittelständler unter
den Generalverdacht, Steuerhinterzieher zu sein.
({19})
Auch das dürfen wir nicht durchgehen lassen. Das fördert
nicht gerade das Vertrauen in die Regierungspolitik.
({20})
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung
und der Koalition, Sie kennen leider Gottes nur Unternehmen ab einer bestimmten Größenordnung. Der Bezug
zu kleinen Betrieben fehlt Ihnen. Der Fall Holzmann hat
vor Jahren schon eindrucksvoll bewiesen, dass Ihnen nur
daran liegt, mitbestimmte Großbetriebe unter staatlichen
Schutz zu stellen und den Mittelstand an den Rand zu
drängen. Anders wäre es nicht möglich, dass der Unterschied zwischen einem Industriebetrieb wie Holzmann
und einem Mittelständler der ist: Wenn Holzmann Pleite
macht, kommt der Bundeskanzler selbst nach Frankfurt;
wenn das Gleiche einem Mittelständler passiert, dann
kommt der Gerichtsvollzieher. Auch das dürfen wir Ihnen
nicht durchgehen lassen.
({21})
Wo man bei einer Bundesregierung wenigstens ein
bisschen mittelstandspolitische Seele erwarten würde, haDr. Peter Ramsauer
ben Sie von Rot-Grün von jeher nur Hornhaut gehabt.
Leider Gottes deutet auch alles darauf hin, dass dies so
bleibt.
Wir wollen eine Offensive für den Mittelstand. Die Anträge, die wir heute vorgelegt haben, beinhalten dies; nicht
zuletzt, weil Mittelstandspolitik auch Arbeitsplatzförderung ist. Ein Mittelständler denkt nicht wie derzeit
viele Industrie- und Großbetriebe. Er überlegt nicht: Wie
kann ich Arbeitsplätze abbauen? Vielmehr überlegt er, da
er ein intensives Verhältnis zu seiner Belegschaft hat: Wie
kann ich die Arbeitsplätze in meinem Betrieb erhalten?
Bei einem Mittelständler geht es vielleicht weniger um
den Shareholder-Value. Er überlegt aber: Wie kann ich
meine Belegschaft vergrößern und wie kann ich in meiner
Region, draußen auf dem flachen Land, attraktive
Arbeitsplätze bieten und auch im Niedriglohnsektor denjenigen von Nutzen sein, die auf der Straße stehen?
Wir von der CSU haben das Credo unserer Wirtschaftspolitik auf folgenden Nenner gebracht: 3 mal 40.
Das heißt, die Staatsquote unter 40 Prozent drücken, den
Spitzensteuersatz unter 40 Prozent drücken und den
Gesamtsozialversicherungsbeitrag unter 40 Prozent
drücken. Mit Rot-Grün werden wir das leider Gottes nicht
erreichen.
Die Bilanz dieser rot-grünen Bundesregierung sieht
auf mittelstands- und wirtschaftspolitischem Gebiet miserabel aus. Man muss sagen, dass alle Ziele und damit das
Klassenziel - ein Vorrücken ist eigentlich nicht möglich verfehlt wurden. Sie haben den Arbeitsmarkt verkommen
und verlottern lassen.
({22})
Sie haben Reformen vertagt. Wenn Sie jetzt wenigstens
noch etwas anpacken würden! Ihre Haltung ist durch
Feigheit und durch Angst vor dem Wähler geprägt. Deswegen ist Ihre Mittelstandspolitik noch nicht einmal ein
Placebo.
Der Bundeskanzler hat in seiner ersten Regierungserklärung am 10. November 1998, also fast auf den Tag genau vor drei Jahren, erklärt:
Vor uns liegen gewaltige Aufgaben. Die Menschen
erwarten, dass eine bessere Politik für Deutschland
gemacht wird. Wir wissen: Ökonomische Leistungsfähigkeit ist der Anfang von allem.
Ich sage dazu: Ihre ökonomische Unfähigkeit ist der Anfang vom Niedergang.
({23})
Für den Mittelstand ist diese Bundesregierung leider zum
Langzeithärtetest geworden.
Der Mittelstand empfindet die Wirkung Ihrer Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik so wie die Wirkung, die die Brandrodung auf den tropischen Regenwald
hat. Mittelständer sagen immer häufiger: Wir halten es unter diesen Rahmenbedingungen nicht mehr aus. Sie erkennen mehr und mehr, dass sie verheizt werden und dass
sie als Stimmvieh missbraucht worden sind. Deswegen
gehen wir ganz sicher davon aus, dass Sie bei der nächsten Bundestagswahl für diese Politik vom Mittelstand die
Quittung erhalten werden.
({24})
Ich erteile
dem Kollegen Klaus Lennartz für die SPD-Fraktion das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Ramsauer,
während Ihrer Rede habe ich Ihren neuen wirtschaftspolitischen Sprecher, Herrn Wissmann, beobachtet. Ich habe gesehen, wie er kopfschüttelnd den Saal verließ. Ich kann mir das nur so erklären, dass er mit Ihrer
Rede nicht einverstanden war. Er hat demonstrativ den
Saal verlassen. Ich würde mich an Ihrer Stelle einmal bei
ihm erkundigen, woran das wohl gelegen haben könnte.
Ich habe Verständnis für sein Verhalten.
({0})
Ich habe eine Frage an Sie, Herr Kollege Ramsauer. Sie
haben eben vom Mittelstand gesprochen. Sie haben Zahlen genannt, die zeigen, dass 46 Prozent aller Bruttoinvestitionen durch den Mittelstand geleistet werden, dass der
Mittelstand 70 Prozent aller Ausbildungsplätze und
80 Prozent aller Arbeitsplätze stellt. Sind Ihnen diese Zahlen erst seit den Jahren 1998/99 bekannt geworden oder
gab es diese Zahlen schon vorher? Warum haben Sie Ihre
Politik nicht an diesen Zahlen ausgerichtet, Herr Kollege
Ramsauer? Sie machen in Verbalradikalismus. Dabei hatten Sie 16 Jahre lang Zeit, praktische Politik zu machen.
Warum haben Sie das nicht getan?
({1})
Wenn Sie in dieser Frage mit dem Finger auf uns zeigen,
dann zeigen vier Finger auf Sie zurück, Herr Kollege.
Wenn es um den Mittelstand geht, dann verfährt die
Opposition gerne nach dem Ballonprinzip:
({2})
Es gibt viel heiße Luft für den Auftrieb. Aber bei der ersten Berührung mit der Realität des Machbaren platzt der
Ballon. Zurück bleibt nur heiße Luft und Sie fallen auf
den Boden der Tatsachen zurück.
Bundeskanzler Gerhard Schröder hat vor drei Wochen
Basel II öffentlich als nicht akzeptabel für unseren Mittelstand bezeichnet
({3})
und offenen Widerstand dieser Regierung bei der EU angekündigt. Wo waren Sie eigentlich?
({4})
Wo waren Sie? Wer hat sich dazu geäußert? Wo war Frau
Merkel? Wo war Herr Merz? Wo war Herr Stoiber? Wo
war Herr Schäuble? Wo waren Sie? Waren Sie noch in der
Unterhaltung darüber, wer etwas sagen darf? Gab es
Kompetenzgerangel um die Frage: Wer darf diese Position des Kanzlers unterstützen? - Das war Politik für den
Mittelstand. Ich hätte gern von Ihnen ein klares Wort
gehört, dass Sie in diesen den Mittelstand betreffenden
Grundsatzfragen die Position der Bundesregierung unmittelbar unterstützen würden. Sendepause bei Ihnen!
Das ist Ihre Politik.
({5})
Ihre Blaupausenpolitik ist schon Makulatur, bevor sie die
Werkstatt erreicht. Das macht Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, bei den Menschen nicht gerade
glaubwürdig.
Sie haben in Ihrer 16-jährigen Regierungszeit mehr
Probleme als Lösungen hinterlassen; das kann man Ihnen
nicht oft genug sagen. Sie befinden sich in einem psychologischen Verdrängungsprozess. 1 500 Milliarden DM
Schulden haben Sie in dieser Republik hinterlassen. Fast
5 Millionen Menschen haben Sie in die Arbeitslosigkeit
getrieben. Wir hatten die höchste Steuer- und Abgabenlast, meine Damen und Herren. Das ist Ihre Politik.
({6})
- Lieber Herr Kollege, der Sie hier als ehemaliger Staatssekretär sprechen: Ich habe Verständnis dafür, dass man
versucht, seine positiven Ergebnisse darzustellen. Aber es
gehört auch ein Stück Redlichkeit dazu, selbstkritisch zu
sein und Fehler, die man gemacht hat, einzugestehen. Sie
haben mit Ihrer Regierung Fehler genug gemacht.
({7})
- Nein, wir schauen nach vorn. Wir kommen noch dazu,
keine Sorge. - Wir müssen diese Fehler Schritt für Schritt
abbauen, das heißt, wir müssen unseren Konsolidierungskurs beibehalten. Falls Sie es nicht verstehen: Das
heißt Ordnung schaffen bei dem, was Sie uns hinterlassen
haben.
({8})
Das ist eine Herkulesarbeit, die von uns durchgeführt werden muss. Das ist kein einfacher Weg, aber wir gehen ihn
konsequent und zielorientiert.
Meine Damen und Herren, die Wiedergewinnung der
Zukunftsfähigkeit in Deutschland erfordert Verantwortung, auch und gerade über den Tag hinaus. Deshalb sind
die Reformvorhaben dieser Bundesregierung als langfristige Prozesse angelegt.
({9})
Wir gehen einen geraden Weg, auch wenn er manchmal
steil ist. Zukunftsinvestitionen statt Zinszahlungen, Zukunftsinvestitionen statt Neuverschuldung - das sind die
Wege, die wir gehen.
({10})
Durch unsere Steuerpolitik werden Bürger und Wirtschaft, Handwerk, Handel und Gewerbe im Jahr 2005 im
Vergleich zu 1998 um rund 93 Milliarden DM entlastet,
({11})
Privathaushalte um rund 68 Milliarden DM, und über
30 Milliarden DM geben wir zugunsten des Mittelstandes.
({12})
- Ich sage Ihnen ganz offen: 30 Milliarden Mittelstandsentlastung. Herr Brüderle, haben Sie diese Zahlen irgendwann in Ihren letzten Regierungsjahren aufweisen können? Sie haben davon gesprochen, aber nicht gehandelt.
Reden ersetzt nicht das Handeln, auch bei Ihnen nicht.
({13})
Meine Damen und Herren von der Opposition, wir haben Steuersenkungen nicht auf Pump durchgeführt, so
wie Sie es gemacht haben.
({14})
Unsere Steuersenkungen sind lang erwartete Entlastungen, die im Mittelstand bestehende Arbeitsplätze sichern
und neue schaffen. Wir handeln und schaffen günstige
und verlässliche Rahmenbedingungen, die Mittelstand,
Handwerk, Handel und Gewerbe helfen. Beispielhaft
nenne ich den Eingangssteuersatz, der von 25,9 Prozent
im Jahre 1996 auf den historischen Tiefstand von 15 Prozent im Jahr 2005 sinkt. Das hätten Sie ebenfalls machen
können. Die Steuerquote sinkt bereits 2001 auf den historischen Tiefstand von 21,5 Prozent. Kennen Sie eigentlich noch Ihre Zahlen, Herr Ramsauer? Oder ist das
auch wieder ein psychologischer Verdrängungsprozess?
24 Prozent Steuerquote, das waren Ihre Zahlen.
({15})
Der Spitzensteuersatz sinkt von 53 Prozent im Jahre 1998
auf 42 Prozent im Jahr 2005. Das ist der niedrigste Spitzensteuersatz seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland.
Durch unsere Steuerreform stehen sich rund 90 bis
95 Prozent aller persönlich haftenden Einzel- und Personenunternehmer besser als Kapitalgesellschaften. Denn
um die Steuerbelastung einer Kapitalgesellschaft zu erreichen, müsste ein verheirateter Unternehmer im Jahr 2005
ein Einkommen von rund 480 000 DM erzielen, ein lediger ein Einkommen von fast 250 000 DM.
({16})
Jetzt kommen wir einmal zur Realität: Fast 80 Prozent
- genau gesagt: 78 Prozent - aller unserer Unternehmer
verdienen nur circa 100 000 DM im Jahr. Das heißt konkret, also in der Realität: Das, was wir durchführen, bedeutet Entlastung.
Herr Ramsauer, ich lese Ihnen einmal aus der Drucksache 14/5551 einen Satz vor, den Sie als Begründung
eingefügt haben. Sie schreiben:
Umfragen haben ergeben, dass viele mittelständische
Unternehmen, welche mit einem Einkommensteuerspitzensatz von bis zu 48,5 Prozent belastet werden,
vor dem Hintergrund des niedrigen Körperschaftsteuersatzes von 25 Prozent und der Steuerbefreiung
bei Veräußerungsgewinnen beim Verkauf von Beteiligungen in die Rechtsform der Kapitalgesellschaft
flüchten.
Hören Sie mal: Mit welchen Attributen soll ich diesen
Satz belegen? - Unkenntnis? Lüge? Hirngespinst? Vergessen Sie einfach, Herr Kollege, dass zu dieser Körperschaftsteuer auch noch die Gewerbesteuer addiert werden
muss?
({17})
Denn dann kämen Sie auf ungefähr 39,6 Prozent. Wir haben den Spitzensteuersatz auf 42 Prozent gesenkt. Wenn
Sie dann noch die Grundfreibeträge einrechnen, sehen
Sie, dass wir für die Personengesellschaften mehr getan
haben, als Sie jemals auch nur zu tun gedacht haben. Aber
damit müssen Sie sich selber auseinander setzen.
({18})
Herr Kollege Lennartz, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ramsauer?
Ja, gerne.
Herr Kollege Ramsauer, bitte.
Herr Kollege
Lennartz, sind Sie wenigstens bereit einzugestehen, dass
Sie eine wesentlich umfangreichere Steuerreform für
den Mittelstand, die Wirtschaft und die Bürger auch noch
wesentlich früher hätten haben können,
({0})
wenn Sie nicht vor 1998 zwei fertige Steuerreformen
mit einer unverantwortlichen Obstruktionspolitik à la
Lafontaine verhindert hätten?
Sie stellen sich hierher und tun so, als hätten Sie das
steuerpolitische Rad neu erfunden. Unter dem Finanzminister Theo Waigel haben wir unsere Steuerreformen
durchgeführt. Aber Sie haben sie im Bundesrat mit einer
roten Mehrheit kaputtgemacht. Deswegen ist das, was Sie
machen, Heuchelei. Sind Sie wenigstens bereit zuzugestehen, dass Sie im Bundesrat ein paar Mal alles kaputtgemacht haben?
({1})
Herr Kollege, Sie hatten zu
einer Zwischenfrage angesetzt und sind zu einem umfangreichen Wortbeitrag gekommen.
({0})
- Ein bisschen Contenance muss noch sein. Hören Sie
sich lieber meine Antwort an. Ich habe mir Ihre Frage ja
auch angehört. Man sollte schon die mitteleuropäischen
Gepflogenheiten einhalten.
({1})
Herr Ramsauer, was haben wir denn verhindert? Herr
Kollege Spiller hat Ihnen von diesem Pult aus doch schon
mehrfach gesagt, dass wir Ihrer Steuerreform damals
natürlich nicht zustimmen konnten. Denn Sie hatten nur
die Großunternehmen im Fokus. Nur, wir wollten den
Mittelstand entlasten, wie wir es auch getan haben.
({2})
Das ist der entscheidende Punkt. Wir haben das Gröbste
im Interesse des Mittelstandes verhindert. Genau das, was
Oskar Lafontaine und wir alle damals zugesagt haben, setzen wir jetzt durch diesen Gesetzentwurf um.
({3})
- Frau Kollegin, darauf komme ich noch einmal zurück.
Herr Ramsauer, ich gehe noch auf Ihre Frage ein. Wenn
Sie schon eine Frage stellen, dann müssen Sie auch meine
Antwort ertragen. Ich frage Sie: Wo sind Ihre Vorlagen,
aus denen hervorgeht, dass Sie den Steuersatz auf 42 Prozent und den Eingangssteuersatz auf 15 Prozent senken
wollen? Wo sind sie? Ich habe das nirgendwo gelesen.
({4})
Herr Ramsauer, ich war immer noch bei Ihnen. Aber
ich entlasse Sie jetzt. Ich kann mir vorstellen, dass Sie unter der Bürde dieser Worte zusammenbrechen. Dafür habe
ich Verständnis.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Unternehmer, von denen ich sprach, sparen im Vergleich zu
1998 im Jahre 2005 rund 25 Prozent ihrer Steuerbelastung. Die von der Opposition häufig vorgebrachten Behauptungen, dass unsere Steuerreform eine Benachteiligung des persönlich haftenden Mittelständlers zur Folge
hätte, sind mit den Zahlen, die ich eben vorgetragen habe,
eindrucksvoll widerlegt. Ich sage Ihnen: Das Gegenteil ist
der Fall.
Herr Kollege Spiller, Ihnen gebührt ein ausdrücklicher
Dank von uns allen. Denn gestern haben wir im Finanzausschuss die Fortentwicklung des Unternehmensteuerrechtes verabschiedet. Ich bin Herrn Philipp, dem Präsidenten des Zentralverbands des Deutschen Handwerks,
der dies sehr gelobt hat, äußerst dankbar. Sie wissen ja
selbst, Herr Spiller, wie schwer es war, bestimmte Punkte
noch einzubringen. Deshalb verstehe ich es nicht, wenn
Sie von Union und FDP die erreichten Erleichterungen
beispielsweise hinsichtlich der Umwandlung und Umstrukturierung von Personenunternehmen mit Wirkung
zum 1. Januar 2002 oder hinsichtlich der Reinvestition
von Erlösen aus der Veräußerung von Beteiligungen an
Kapitalgesellschaften, die gegenüber dem Regierungsentwurf auch dank Ihrer Mithilfe erweitert wird, schlecht reden.
Glauben Sie nicht, dass Frau Staatssekretärin Wolf
ebenso wie wir beim reinvestierten Gewinn einen Betrag
von 1 Million oder 300 000 Euro lieber gesehen hätte als
die jetzt festgelegten 50 000 Euro?
({6})
Meine Damen und Herren, akzeptieren Sie doch bitte,
dass dieses Gesetz ein Anfang war. Wir hätten noch mehr
getan, wenn Sie uns nicht eine solche Verschuldung hinterlassen hätten. Sie müssen doch die Kausalität sehen.
({7})
Ich sage in diesem Hause sehr offen: Das war hinsichtlich
der reinvestierten Gewinne der Einstieg. Da wir die
Regierung im Jahr 2002 wiederum stellen werden - es
kommt kein Einspruch von Ihnen; ich bedanke mich -,
werden wir diese Bemühungen fortsetzen,
({8})
sodass wir dann auch die nächsten Schritte auf diesem
Gebiet realisieren können.
Herr Kollege Lennartz, kommen Sie bitte zum Schluss.
({0})
Herr Präsident, ich werde
Ihren Worten aufmerksam folgen.
Meine Damen und Herren, um Ihnen die gestern beschlossene Zahl noch nachzuliefern: Zu den 30 Milliarden DM, um die wir bereits entlastet haben, kommt eine
zusätzliche Entlastung von circa 450 Millionen DM
hinzu. Mit dieser deutlichen Entlastung haben wir finanzielle Freiräume geschaffen.
Herr Präsident, gestatten Sie mir noch zwei Bemerkungen.
Nein, ich
kann Ihnen leider keine Bemerkungen mehr gestatten.
Dann nur noch eine Bemerkung.
Sie haben
Ihre Redezeit schon um zwei Minuten überschritten.
({0})
Bitte, Herr Kollege Lennartz, kommen Sie zum
Schluss.
Meine Damen und Herren,
durch diese Politik - dies nur noch als letzte Bemerkung und die Freiräume, die wir dadurch geschaffen haben, ist
die Zahl der Patentanmeldungen in der Bundesrepublik
auf rund 110 000 angestiegen. Wir wissen, dass wir nur
drei Ressourcen haben: Braunkohle, Steinkohle und Salz.
Die wichtigste Ressource ist unser Wissen. In diese Ressource investieren wir. Die Mittel für diese Investition
werden durch unsere Steuerreform freigesetzt.
Ich bedanke mich bei Ihnen.
({0})
Als
nächster Redner hat der Kollege Hartmut Schauerte von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr
Kollege Lennartz, ich habe mir gerade vorgestellt, ein
Mittelständler hätte Sie hier reden hören. Ihm wäre durch
den Kopf gegangen: Uns brennt der Dachstuhl, unsere
Sorgen sind enorm, und hier wird von einem Charakterdarsteller - ich will nicht beschreiben, welcher Art von
Charakter - ein Schauspiel in theatralischen Einzelstückchen vorgeführt, das mit der Wirklichkeit nichts,
aber auch gar nichts zu tun hat.
({0})
So sollten wir mit dem Thema nicht umgehen.
({1})
Wir stehen am Beginn einer schweren Rezession. Sie
wird heftiger sein, als wir im Moment sagen und beschreiben wollen, denn auch wir wollen nicht unnötig
Angst verbreiten.
({2})
Man könnte auf Angstmacherei und die Beschreibung einer schlimmen Wirklichkeit ein Stück weit verzichten,
wenn wir den Eindruck haben könnten, dass die SozialKlaus Lennartz
demokraten und die Regierung das Problem genauso ernst
nehmen, wie es das verdient. Wenn man aber den Eindruck hat, dass sie diese Tatsache eher als fast normal und
unausweichlich ansehen, dann muss man den Druck erhöhen und beschreiben, was denn droht; sonst kommt
man nicht weiter.
Ich will jetzt überhaupt nicht streiten, ob wir mit unseren Vorschlägen oder Sie mit Ihren Vorschlägen Recht
haben. Es ist aber immer wichtig, zunächst einmal den
Tatbestand zu verdeutlichen. Wir können feststellen: Infolge dessen, was Sie in den letzten drei Jahren beschlossen haben, gibt es einen konkreten, jetzt messbaren Befund, der sich bei der Arbeitslosigkeit zeigt. Sie liegt
heute um 160 000 Personen niedriger als im Oktober 1998. Die Arbeitslosigkeit ist also in drei Jahren um
160 000 gesunken. Ich will gar nicht die Versprechungen
des Bundeskanzlers in Erinnerung rufen, der noch im
Frühjahr von 3 oder 3,5 Millionen Arbeitslosen sprach. Im
Moment steigt diese Zahl.
Dieser Rückgang der Arbeitslosigkeit um 160 000 bedeutet, dass sie im Jahr um durchschnittlich etwa 50 000
abgebaut wurde, obwohl altersbedingt 200 000 Arbeitnehmer mehr ausgeschieden als nachgewachsen sind.
Wenn Sie in dem Tempo weitermachen - Sie wollen ja
Ihren Kurs, den Sie als richtig beschreiben, fortsetzen -,
werden Sie 15 Jahre brauchen, um auf die 3 Millionen zu
kommen, die der Kanzler als Ziel am Ende dieser
Legislaturperiode im nächsten Jahr noch für richtig gehalten hat.
({3})
Das kann Sie doch nicht zufrieden stellen! Das ist eine
Situation, die Ihnen Angst machen muss.
Das Wirtschaftswachstum ist an keiner Stelle zufrieden stellend und macht auch uns nicht froh. Wir können
zwar sagen, dass dort, wo die CDU in Deutschland regiert,
die Wachstumsraten doppelt so hoch sind wie dort, wo die
SPD regiert; aber das macht uns nicht froh, denn Sie regieren in vielen Gegenden. Deswegen ist das Wachstum
unter jedem akzeptablen Niveau. Es gilt leider die Aussage: Je röter eine Regierung, desto schlechter sind die
Wachstumsraten,
({4})
im Osten wie im Westen unseres Vaterlandes. Das können
Sie nicht wegdefinieren.
({5})
Baden-Württemberg hat eine halb so hohe Arbeitslosigkeit wie Nordrhein-Westfalen und ein doppelt so hohes
Wirtschaftswachstum wie Nordrhein-Westfalen, und die
halb so hohe Arbeitslosigkeit in Baden-Württemberg
nimmt doppelt so schnell ab wie in Nordrhein-Westfalen.
Nordrhein-Westfalen hat 18 Millionen Einwohner. Das
sind 3 Millionen Einwohner mehr, als alle neuen Länder
zusammen haben - das als kleinen Einwurf zur Begründung, warum wir in Deutschland nicht vom Fleck kommen. Da können Sie doch nicht sagen: Alles, was wir gemacht haben, ist gut, wir sind sehr zufrieden, die Dinge
laufen, worüber regen sich die Leute eigentlich auf?
Ich könnte Ihnen das mit Prozentzahlen belegen. In
Nordrhein-Westfalen droht jetzt ein Nullwachstum in der
Wirtschaft. So schreibt es Herr Klemmer vom RWI-Institut, ein durchaus angesehener Mann.
Was erzählen Sie denn hier, Herr Lennartz, über die
Steuerquote und die Abgabenquote? Die Abgabenquote
in Deutschland betrug im Oktober 1998 42,3 Prozent. Bis
Februar 2001 - eine andere Zahl haben wir nicht - ist sie
auf 43 Prozent gestiegen. Die volkswirtschaftliche Steuerquote lag am Ende unserer Regierungszeit bei 22 Prozent. Heute liegt sie bei 23,1 Prozent. Das heißt, die Abgaben und die Steuern sind gestiegen. Jetzt können Sie
sagen, Sie hätten doch alles Mögliche gemacht. In Ordnung, aber das Ergebnis ist eher schlechter denn besser
geworden und das kann uns doch nicht zufrieden stellen.
({6})
Mich interessiert eine Fragestellung vor dem Hintergrund der Diskussion über den Terroranschlag. Wir haben
auf diesen Anschlag in Bezug auf die Sicherheitspolitik
umfassend reagiert, konsequent und weitgehend übereinstimmend. Sie hatten dabei eine ausgesprochen verantwortungsvolle Opposition. Eine solche Opposition hätten
wir uns in den zurückliegenden Jahren in der einen oder
anderen Fragestellung wirklich gewünscht.
({7})
Aber das tun wir aus eigenem Antrieb. Wir haben in allem, was die Sicherheit betrifft, so grundlegend reagiert,
Frau Scheel, dass zum Beispiel die eigentlich eingetragenen Pazifisten mittlerweile Ja zum Kriegseinsatz sagen.
So viel ist in unseren Köpfen angesichts einer konkreten
Bedrohung verändert worden.
Wir haben jetzt eine Bedrohung durch den Abschwung,
durch die Rezession, die unsere Menschen existenziell erfassen wird, möglicherweise mehr als der Terroranschlag;
denn da geht es wirklich um ihre tägliche Situation. Aber
Sie sind nicht bereit, darüber nachzudenken, ob Sie etwas
ändern müssen, sondern Sie sagen: Wir haben doch alles
richtig gemacht, was regt ihr euch denn eigentlich auf? Ich will unsere Vorschläge gar nicht einzeln einbringen
und sagen, das und das müsst ihr tun, sondern nur feststellen: Die Situation ist atemberaubend schlecht und wir
können nicht einfach so weitermachen. Wir warten auf
Vorschläge, wo Sie etwas ändern wollen. Sonst müssen
Sie sich gefallen lassen, dass wir sagen: Sie sind mit der
Situation so zufrieden, dass Sie meinen, dass alles so bleiben kann, wie es ist. Das kann doch wohl nicht wahr sein.
({8})
- Aber die Ergebnisse, die ich benannt habe, sind doch zutreffend beschrieben und Sie beschleunigen sie eher in die
negative Richtung! Aber Sie erklären hier: Was habt ihr
eigentlich? Greift uns nicht an!
Wir haben Maßnahmen über Maßnahmen vorgeschlagen. Jede einzelne wurde abgelehnt und von Ihnen kommt
fast nichts, und das vor einem Hintergrund, der wirklich
bedrückend ist. Die einzige Reaktion auf den Terroranschlag, die Sie weltweit als Erster und Einziger praktiziert
haben, war eine Steuererhöhung - das hilft. Sie erhöhen
die Steuern insgesamt: die Versicherungsteuer um 2 Milliarden DM, die Tabaksteuer um 4 Milliarden DM, die
nächste Stufe der Ökosteuer bedeutet eine Erhöhung um
7 Milliarden DM. Das macht insgesamt 13 Milliarden DM. Allein mit diesen Maßnahmen zerstören Sie die
Konsumpotenziale im kommenden Jahr um 0,8 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts. Das ist Ihre Methode. Ich garantiere Ihnen: Die Dinge werden noch viel schlimmer,
wenn Sie nicht umsteuern, auch im Sinne des Mittelstandes.
({9})
Dass Sie umsteuern, wollten wir mit dieser Debatte erreichen.
({10})
3,3 Millionen Mittelständler werden keine Menschen
mehr einstellen, wenn sie Angst haben. Ihre Politik macht
ihnen mittlerweile Angst.
({11})
- Ja, was denn sonst?
({12})
Alles andere ist doch dummes Zeug. Herr Philipp, der ein
enger Freund von mir ist, hat Ihnen geschrieben, dass er
dankbar dafür ist, dass Sie einen eigenen Fehler korrigieren. Sie können doch aber nicht erwarten, dass Sie dafür
besonders gelobt werden. Es ist die Korrektur Ihrer Fehler, für die er sich bei Ihnen bedankt. Es ist ein Dank dafür,
dass Sie im Ansatz vernünftig geworden sind und von unvernünftigem Tun ablassen. Nun loben Sie sich doch nicht
für einen solchen selbstverständlichen Vorgang!
Gehen Sie in den Mittelstand hinein, dann werden Sie
feststellen: Er hat Angst. Er stellt nicht ein, sondern er entlässt. Im Handwerk drohen 200 000 zusätzliche Arbeitslose. Das ist die Wirklichkeit. Die Verantwortung dafür
können Sie nicht auf die damalige Regierung oder die
Verschuldung schieben; das ist auf Ihre dreijährige Regierungskunst zurückzuführen. Sie aber ändern nichts.
Herr Kollege Schauerte, kommen Sie bitte zum Schluss.
Einen Schlussgedanken möchte ich noch äußern. Jeden Tag gehen mehr
als 150 Unternehmen Konkurs. Jeden Tag verlieren dabei
mehr als 1 500 Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz. Es brennt
unter dem Dachstuhl. Sie aber sitzen hier, verteidigen Ihre
Linie und sagen: Wir haben nichts zu tun. - Tun Sie endlich etwas und werden Sie den Menschen mit ihren Sorgen gerecht. Es ist höchste Zeit, ernsthaft Korrekturen
vorzunehmen.
Herzlichen Dank.
({0})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Simone Violka von der
SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ramsauer, ich
habe die ersten beiden Seiten meiner vorbereiteten Rede
beiseite gelegt, weil ich zu Ihnen noch etwas sagen
möchte.
Was die Wirtschaftskompetenz anbelangt, so empfehle
ich Ihnen, einfach einmal die Biografien in den Handbüchern zu lesen. Sie werden in allen Reihen einige Leute
finden, die über Wirtschaftskompetenz verfügen.
Ich kann Ihnen einiges von wirtschaftskompetenten
Leuten erzählen, die noch vor der Regierungsübernahme
mit wehendem Mantel in die Betriebe gekommen sind
und als Erstes gefragt haben, wie groß denn ihr Dienstwagen sei, und erst als Zweites gefragt haben, was die
Firma überhaupt herstellt.
({0})
- Das kann ich Ihnen sagen.
({1})
Die Leute hatten - das muss ich Ihnen leider sagen - auch
Ihren Dialekt. Aber der Generalverdacht kam vorher von
einer anderen Seite. Die Kompetenz habe ich am eigenen
Leib erlebt. Ich habe auch erlebt, dass sich Leute plötzlich
Wirtschaftskompetenz holen mussten, um zu überleben.
Gucken Sie einmal in die Bücher hinein; da werden Sie sicherlich einige Biografien dazu finden.
Was das Thema Holzmann angeht, so fragen Sie doch
einmal nach, wie viele kleine Mittelständler bei Holzmann drangehangen haben. Glauben Sie vielleicht, ein
einziger von den Parkettlegern oder Fensterbauern hätte
eine müde Mark gesehen? Denken Sie vielleicht, die Banken hätten auf ihren Anteil an der ganzen Sache verzichtet? Sie sind die Ersten. Die Banken kriegen bei einem
Konkurs immer die großen Brocken - das wissen Sie ganz
genau - und für die kleinen Mittelständler bleibt überhaupt nichts mehr übrig. Das müssten Sie eigentlich wissen, wenn Sie für sich Wirtschaftskompetenz in Anspruch
nehmen.
Gehen Sie einmal durch das gesamte Land und fragen
Sie, wie viele Mittelständler - im Osten wie im Westen drangehangen haben, die heilfroh waren, dass es diese Finanzspritze gab, weil sie dadurch die Möglichkeit hatten,
ihr Geld zu bekommen.
({2})
Wir haben den Eingangssteuersatz bis zur letzten Stufe
um 11 Prozent gesenkt. Davon profitieren vor allem
kleine und mittlere Einkommen und natürlich auch viele
kleine, weniger ertragsstarke Unternehmen und FamilienHartmut Schauerte
betriebe. Dazu kommt noch die Entlastung durch die
pauschalierte Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuerschuld. Die Abschaffung der Gewerbesteuer ist eine Forderung vieler Mittelständler. Aber das
ist nicht machbar - das wissen Sie ganz genau -, weil
dann auch die Städte und Gemeinden laut schreien. Durch
die pauschalierte Anrechnung werden die Mittelständler
jedoch zumindest entlastet.
({3})
Wichtig für den Mittelstand ist auch die Absicherung
im Alter. Häufig ist die Betriebsveräußerung ein elementarer Bestandteil. In diesem Fall wurde der Steuerfreibetrag von 60 000 DM auf 100 000 DM erhöht. Es sind also
40 000 DM mehr steuerfrei.
Außerdem wird alternativ zur Fünftelungsregelung
einmal im Leben der halbe Steuersatz gewährt. Diese
Regelung gilt ab dem Veranlagungszeitraum 2001 für Unternehmer mit Vollendung des 55. Lebensjahres, bei dauernder Berufsunfähigkeit auch früher. Somit können ausscheidende Unternehmer Gewinne aus Veräußerung und
Aufgabe von landwirtschaftlichen, gewerblichen und
freiberuflichen Betrieben und Mitunternehmeranteilen
mit dem halben durchschnittlichen Steuersatz besteuern
lassen. Dies geschieht noch unter Berücksichtigung des
Freibetrags von 100 000 DM.
Neuerdings behauptet die CDU/CSU auch noch, es
gebe bei der Aufgabe von Gewerbebetrieben eine Verschärfung; Teile des Mitunternehmeranteils seien nicht
mehr steuerbegünstigt. Richtig ist, dass diese Änderung
lediglich eine Verwaltungsanweisung ausräumt, für die es
nie eine Rechtsgrundlage gab. Das betrifft aber nicht den
Bäckermeister oder den Fliesenleger, der seinen Betrieb
an den Sohn oder an die Tochter übergibt, sondern eher
den Rechtsanwalt, der sich nicht sofort total aus seiner
Kanzlei zurückziehen will und daher nur Anteile aufgibt,
sich also nur stückchenweise zurückzieht. Wenn er sich
dann endgültig aus dieser Kanzlei zurückzieht und auch
all die stillen Reserven aufgedeckt werden, stehen natürlich auch ihm alle Steuervergünstigungen zur Verfügung.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass die CDU/CSU-Fraktion gestern im Ausschuss
keinen Änderungsantrag zu genau diesem Punkt eingebracht hat. Da kam nichts!
({4})
Dann kommen wir noch einmal zu dem aufflackernden
und immer wieder unterstellten Vorwurf der Opposition,
der Mittelstand würde gegenüber den Kapitalgesellschaften immens benachteiligt. Das ist schlicht und einfach
falsch. Herr Lennartz hat es Ihnen doch vorhin vorgerechnet. In der letzten Stufe müsste ein verheirateter
Einzelunternehmer ein zu versteuerndes Einkommen
von 480 000 DM haben und ein Lediger eines von
250 000 DM. Erst dann hätte er den gleichen Steuersatz
wie eine Körperschaft, nämlich 38,6 Prozent.
Jetzt verraten Sie mir doch bitte mal, welcher Mittelständler so einen Gewinn hat. Das ist ja kein Jahresumsatz, das ist Gewinn. Herr Hinsken, wie viele Ihrer Kollegen im Konditoreigewerbe haben denn solche Gewinne
im Jahr?
({5})
Fragen Sie doch einmal! Ich kenne viele Mittelständler,
die wären heilfroh, wenn sie nur die Hälfte davon hätten.
Schauen Sie doch einmal in die Einkommensteuerstatistik
hinein. 95 Prozent der Steuerpflichtigen mit gewerblicher
Tätigkeit machen Einkünfte unter 250 000 DM geltend
und 78 Prozent sogar unter 100 000 DM. Das heißt, Sie
vertreten an dieser Stelle den Mittelstand, allerdings nur
in Größenordnungen von 5 Prozent. Dann sagen Sie doch
aber auch den Mittelständlern vor Ort, dass Sie hier nur
5 Prozent der Mittelständler vertreten wollen.
({6})
Wir brauchen alle den Mittelstand. Es ist Aufgabe von
allen, diesen Mittelstand auch in Land und Kommune zu
unterstützen, so weit es geht. Wenn Sie jetzt auch noch
einwerfen, dann senkt doch die Steuern für den Mittelstand weiter, dann muss ich leider auf den Konsolidierungskurs verweisen.
({7})
- Wenn wir so mit Geld umgehen würden wie Sie, hätten
wir wahrscheinlich in ein paar Jahren noch ein paar Millionen oder Milliarden Schulden mehr.
({8})
Aber die Steuerreform steht nicht auf tönernen Füßen,
sondern sie ist real kalkuliert und da ist für Steuersenkungen kein Spielraum mehr. Weitere Schritte würden die
Konsolidierung gefährden. Das würde bedeuten: keine
Absenkung der Staatsverschuldung, keine Absenkung der
Zinsausgaben und keine größer werdenden Ausgabenspielräume in Zukunft.
Es gibt aber nicht nur eine zukünftige Generation, die
mit dem Bundesetat zurecht kommen muss, es gibt auch
eine zukünftige Generation der Mittelständler, die entweder den Familienbetrieb weiterführen oder auch neue
Unternehmen gründen. Diese zukünftigen Unternehmergenerationen brauchen auch dann existenzfördernde Rahmenbedingungen. Die können nur gewährt werden, wenn
wir jetzt mit der Haushaltskonsolidierung den Grundstein
dafür legen. Daher werden wir nicht vom Kurs abweichen
und diesen Weg auch weitergehen.
Vielen Dank.
({9})
Ich
schließe die Aussprache.
Zu Tagesordnungspunkt 5 a: Interfraktionell wird
die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksa-
che 14/6633 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vor-
schläge? - Das ist nicht der Fall; dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 5 b: Wir kommen zur Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie auf Drucksache 14/6094 zu dem Antrag der Fraktion
der CDU/CSU mit dem Titel Chancen des Mittelstandes
in der globalisierten Wirtschaft stärken.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksa-
che 14/5545 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Wer enthält
sich? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 5 c: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksa-
che 14/6687. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5551 zur steu-
erlichen Gleichstellung des Mittelstandes abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP.
Weiterhin empfiehlt der Finanzausschuss die Ablehnung
des Antrages der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/5962
mit dem Titel Steuerliche Benachteiligung des Mittel-
stands beseitigen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den gleichen Mehrheitsver-
hältnissen angenommen.
Tagesordnungspunkt 5 d: Wir kommen jetzt zur Be-
schlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag
der Fraktion der CDU/CSU zur Wiederherstellung des
umfassenden Rechts auf Vorsteuerabzug, Drucksache
14/6448. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck-
sache 14/5223 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS.
Tagesordnungspunkt 5 e: Schließlich stimmen wir ab
über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirt-
schaft und Technologie auf Drucksache 14/5973 zu dem
Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen mit dem Titel Neue Mittelstandspolitik - Motor
für Beschäftigung und Innovation. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5485 anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung
ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
bei Gegenstimmen von CDU/CSU, FDP und PDS.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a bis g und Zu-
satzpunkt 4 a bis 4 f sowie Zusatzpunkt 18 auf:
33. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuordnung des
bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung des Fonds Deutsche Einheit ({0})
- Drucksache 14/7256 Überweisungsvorschlag:
Sonderausschuss Maßstäbe-/ Finanzausgleichsgesetz ({1})
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der Leistungen bei häuslicher Pflege von
Pflegebedürftigen mit erheblichem allgemeinem
Betreuungsbedarf ({2})
- Drucksache 14/7154 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({3})
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Fortsetzung der
Dienstrechtsreform
- Drucksache 14/3458 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({4})
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 98/8/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998
über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten
({5})
- Drucksache 14/7007 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({6})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Vertrag vom 19. September 2000 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen und schweren Unglücksfällen
- Drucksache 14/7096 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({7})
Ausschuss für Tourismus
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung des Fleischhygienegesetzes
- Drucksache 14/7153 ({8}) -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Irmgard
Schwaetzer, Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Finanzierung von Umschulungsmaßnahmen
- Drucksache 14/5692 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({9})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Versorgungsänderungsgesetzes 2001
- Drucksachen 14/7223, 14/7257 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({10})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes
- Drucksache 14/7207 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({11})
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2002 ({12})
- Drucksache 14/7259 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({13})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela
Schröter, Eckhardt Barthel ({14}), Hans-Werner
Bertl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer,
Grietje Bettin, Rita Grießhaber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Reform der deutschen Filmförderung
- Drucksache 14/7178 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({15})
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Wiesehügel, Dieter Maaß ({16}), Dr. Axel Berg,
weiterer Abgeordneter der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Werner Schulz ({17}),
Franziska Eichstädt-Bohlig, Kerstin Müller
({18}), Rezzo Schlauch und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Zukunft der deutschen Bauwirtschaft
- Drucksache 14/7297 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({19})
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr.-Ing. Rainer Jork, Dr. Gerhard Friedrich ({20}), Thomas Rachel, weiterer Abgeordneten
und der Fraktion der CDU/CSU
Lehrstellenmangel in den neuen Bundesländern bekämpfen - Reformen in der beruflichen
Bildung vorantreiben
- Drucksache 14/7281 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({21})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
ZP 18 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Abkommen vom 12. Juli 2001 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China über Sozialversicherung
- Drucksache 14/7246 Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen.
Der Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit China
über Sozialversicherung, Drucksache 14/7246 - Zusatzpunkt 18 -, soll zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung
an den Ausschuss für Gesundheit überwiesen werden.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 34 a
bis 34 l sowie zu den Zusatzpunkten 5 a und 5 b. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen
keine Aussprache vorgesehen ist.
Zunächst Tagesordnungspunkt 34 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umstellung von Vorschriften aus den Bereichen des Verkehrs-, Bau- und Wohnungswesens
sowie der Familie, Senioren, Frauen und Jugend
auf den Euro ({22})
- Drucksache 14/6810 ({23})
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
({24})
- Drucksache 14/7251 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Hermann Kues
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
damit einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 b:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens vom 14. Juli 1967 zur Errichtung der
Weltorganisation für geistiges Eigentum
- Drucksache 14/6260 ({25})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({26})
- Drucksache 14/7273 Berichterstattung:
Abgeordnete Dirk Manzewski
Dr. Norbert Röttgen
Volker Beck ({27})
Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler
Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache
14/7273, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu
erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung des Euro im Berufsrecht der
Rechtspflege, in Rechtspflegegesetzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit und in Gesetzen des
Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts
- Drucksache 14/6371 ({28})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({29})
- Drucksache 14/7349 Berichterstattung:
Abgeordnete Alfred Hartenbach
Dr. Norbert Röttgen
Hans-Christian Ströbele
Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
damit einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 d:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Wahlstatistikgesetzes
- Drucksache 14/6538 ({30})
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({31})
- Drucksache 14/7125 Berichterstattung:
Abgeordnete Barbara Wittig
Erwin Marschewski ({32})
Dr. Max Stadler
Der Innenausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/7125,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU gegen
die Stimmen von FDP und PDS angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
CDU/CSU gegen die Stimmen von FDP und PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 e:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. März
2001 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Malta zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
- Drucksache 14/7039 ({33})
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Zweite und dritte Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen
vom 19. April 2001 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada zur Vermeidung
der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der
Steuern vom Einkommen und bestimmter anderer Steuern, zur Verhinderung der Steuerverkürzung und zur Amtshilfe in Steuersachen
- Drucksache 14/7041 ({34})
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({35})
- Drucksache 14/7353 Berichterstattung:
Abgeordnete Heidemarie Ehlert
Heinz Seiffert
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7353, den
Gesetzentwurf auf Drucksache 14/7039 anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7353, den
Gesetzentwurf auf Drucksache 14/7041 anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
damit einstimmig angenommen.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 34 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({36})
Sammelübersicht 304 zu Petitionen
- Drucksache 14/7161 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 304 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der
FDP bei Enthaltung der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({37})
Sammelübersicht 305 zu Petitionen
- Drucksache 14/7162 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 305 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der
FDP bei Enthaltung der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({38})
Sammelübersicht 306 zu Petitionen
- Drucksache 14/7163 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 306 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der
FDP bei Enthaltung der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({39})
Sammelübersicht 307 zu Petitionen
- Drucksache 14/7164 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 307 ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({40})
Sammelübersicht 308 zu Petitionen
- Drucksache 14/7165 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 308 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von
CDU/CSU, FDP und PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({41})
Sammelübersicht 309 zu Petitionen
- Drucksache 14/7166 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 309 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der PDS bei Gegenstimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({42})
Sammelübersicht 310 zu Petitionen
- Drucksache 14/7167 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 310 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen der PDS angenommen.
Wir kommen zum Zusatzpunkt 5 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
über elektronische Register und Justizkosten
für Telekommunikation - ERJuKoG
- Drucksache 14/6855 ({43})
Beschlussempfehlung und Bericht
des Rechtsausschlusses ({44})
- Drucksache 14/7348 Berichterstattung:
Abgeordnete Alfred Hartenbach
Dr. Wolfgang Götzer
Volker Beck ({45})
Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen.
- Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zum Zusatzpunkt 5 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschlusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({46}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Verordnung zur Umsetzung des Europäischen
Abfallverzeichnisses
- Drucksachen 14/7091, 14/7195 Nr.2.1,
14/7339 Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrike Mehl
Georg Girisch
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter
Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf Drucksache 14/7091 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit einstimmig angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der PDS
Massive Mehrkosten bei den Baumaßnahmen
im Parlaments- und Regierungsviertel in Berlin
sowie Verantwortung der Bundesbaugesellschaft
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner für die
antragstellende Fraktion hat der Kollege Dr. Uwe-Jens
Rössel von der PDS-Fraktion das Wort.
({47})
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Nach vorliegenden Informationen verursachen der Umbau des Reichstagsgebäudes,
der Neubau des Bundeskanzleramtes sowie die neuen Gebäude für den Deutschen Bundestag Mehrkosten in einem
Umfang von insgesamt etwa einer halben Milliarde DM.
Geplant waren Gesamtkosten in einem Umfang von
3,0 Milliarden DM. Zum Vergleich: Diese Mehrkosten
machen die Hälfte des Bundesumwelthaushaltes im
Jahr 2001 aus. Das zeigt die Größenordnung.
Auf der Grundlage der bislang geprüften Abrechnungen werden beispielsweise beim Neubau des Bundeskanzleramtes die geplanten Kosten in Höhe von 398 Millionen DM auf mindestens 513 Millionen DM anwachsen.
Das sind 115 Millionen DM mehr, als ursprünglich genehmigt. In der Kostenexplosion der Bundesbauten ist
aber längst noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Es muss mit weiteren 300 Millionen DM bis
500 Millionen DM Mehrkosten gerechnet werden. Nach
wie vor sind nämlich Rechnungen zwischen bauausführenden Firmen und der Bundesbaugesellschaft
Berlin in dreistelliger Millionenhöhe strittig.
Vielen Firmen, die am Bau der Bundesbauten beteiligt
waren, drohen wegen nicht bezahlter Rechnungen seitens
der Bundesbaugesellschaft weiterer Arbeitsplatzabbau,
weitere Kurzarbeit und sogar Insolvenzen. Dies geschieht
in einer Zeit, in der die Lage bei der Bauwirtschaft, beim
Bauhandwerk und beim Baunebenhandwerk zusehends
dramatischer wird. Bereits jetzt, so die Zahlen, gibt es
über 650 000 arbeitslose Bauleute in Deutschland. Das ist
eine fürwahr unverantwortliche Situation.
({0})
- Herr Kollege Kampeter, ich freue mich, dass Sie sich
schon jetzt so aktiv an der Debatte beteiligen. Ich will
Ihnen an dieser Stelle sagen: Die genannten Baumaßnahmen haben selbstverständlich das Antlitz im Spreebogen
und das Stadtbild verändert. Die Glaskuppel auf dem
Reichstagsgebäude ist in der Tat ein Besuchermagnet.
Aber die von der Bundesbaugesellschaft Berlin mit beschränkter Haftung gemanagten Bauvorhaben sind auch
von Gigantismus - ich verweise nur auf das Bundeskanzleramt -, von akuten Qualitätsmängeln, von damit einhergehenden, teilweise erheblichen Terminüberschreitungen
und schließlich von hohen Mehrkosten begleitet. Die
Bauleistungen der Bundesbaugesellschaft, deren 100prozentiger Gesellschafter der Bund ist, können - etwas
salopp formuliert - als Management von Pleiten, Pech und
Pannen charakterisiert werden.
Die PDS hatte 1992 im Bundestag die Bildung der
Bundesbaugesellschaft - diese war schon damals sachlich
nicht gerechtfertigt - vehement abgelehnt und sieht sich
in dieser Entscheidung bis heute bestätigt. Ich möchte
auch nicht verhehlen, dass die Privatisierung damals vor
allem von CDU/CSU und FDP massiv vorangetrieben
worden ist.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Anlässlich der Unterzeichnung des Gesellschaftervertrages am 10. September 1993 erklärte die damalige
schwarz-gelbe Bundesregierung, dass mit der Wahl der
privaten Rechtsform anstelle der Bundesbaudirektion
- die jetzt folgenden Worte sollte man sich auf der Zunge
zergehen lassen - eine flexiblere Planung und Untersuchung der Baumaßnahmen möglich ist. Aufgabe der
privaten Gesellschaft sei es, für eine zügige und insbesondere auch sparsame - ich betone: sparsame - Umsetzung der Baumaßnahmen zu sorgen.
Die jetzt vorliegende Bilanz hinsichtlich der Bauten
am Spreebogen zeigt, dass die Bundesbaugesellschaft
selbst und ihre Aufsichtsgremien, darunter auch das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
und das Bundesministerium der Finanzen, so manche der
ihr übertragenen Aufgaben mit Füßen getreten haben. Die
Privatisierung hat auch in diesem Falle - die Fakten
liegen auf dem Tisch - zu einem Fiasko geführt. Zu offensichtlich ist, dass sie damals wohl in erster Linie veranlasst worden ist, um den Spitzenmanagern der Baugesellschaft Topgehaltskonditionen zu verschaffen, die
nach dem öffentlichen Dienstrecht nicht, und zwar auch
nicht annähernd, möglich gewesen wären. Für diese erheblichen Mehrkosten sollen wiederum die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aufkommen. Wir meinen:
Kein Kavaliersdelikt! Unverantwortliche Lage!
Die PDS-Fraktion verlangt, dass die Bundesregierung
den gesamten Vorgang gründlich auswertet. Dem Deutschen Bundestag sind umgehend kontrollfähige Schlussfolgerungen vorzulegen. Auch die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses ist denkbar und
sollte geprüft werden.
({1})
Die Verantwortlichen sind unter anderem auch mithilfe
der vorhandenen Haftungsregelungen persönlich zur Rechenschaft zu ziehen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Achim Großmann.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat am 20. Juni 1991 beschlossen, seinen Sitz von
Bonn nach Berlin zu verlegen.
({0})
Dies bedeutete, dass in kurzer Zeit ein immenses Bauvolumen realisiert werden musste. Uns stellte sich eine einzigartige Aufgabe in einer bisher völlig unbekannten
Größenordnung. Die damalige Bundesregierung und der
Deutsche Bundestag diskutierten und überlegten gemeinsam, wie diese Herausforderung am effektivsten zu bewältigen wäre. Die vorhandenen Kapazitäten der Bauverwaltung - darüber bestand über alle Parteigrenzen hinweg
Einigkeit - waren jedenfalls für diese einmalige Aufgabe
nicht ausgelegt und so wurde unter Leitung der damaligen
Bundesbauministerin Irmgard Schwaetzer von der FDP
die Gründung einer privatrechtlichen Gesellschaft auf
Zeit favorisiert.
Im zweiten Zwischenbericht der Konzeptkommission
des Ältestenrates des Deutschen Bundestages vom
17. Juni 1992 wird auf Folgendes hingewiesen:
Zur zügigen Bewältigung der Baumaßnahmen von
Bundestag und Bundesregierung im Wettbewerbsgebiet Spreebogen soll eine Bau-GmbH im Eigentum
der Bundesrepublik Deutschland gegründet werden,
die die grundsätzlich vorgeschriebene Verantwortung des zuständigen Bundesministers gegenüber
dem Deutschen Bundestag wahrt
Weiter heißt es, dass alle grundlegenden Entscheidungen
für Bauvorhaben des Deutschen Bundestages von diesem
selbst getroffen ... werden. - Dies ist unter anderem Aufgabe der Baukommission des Ältestenrates des Deutschen Bundestages, die zugleich als Beirat der Bundesbaugesellschaft fungiert und in der auch - nur zur
Information - Mitglieder der PDS-Fraktion sitzen.
Im selben Zwischenbericht steht - das ist ein ganz
wichtiger Satz -:
Die Einflussmöglichkeiten des Bundesministers für
Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, namentlich auch durch die baufachlichen Prüfungen, müssen im Interesse der Effektivität auf ein Mindestmaß
zurückgeführt werden und im Rahmen des haushaltsrechtlich Erforderlichen auf Stichproben und
Plausibilitätskontrollen beschränkt sein.
Das war ein klarer Hinweis auf das, was damals vom Parlament und von der alten Bundesregierung gewollt war,
nämlich möglichst wenig Einfluss auf das Agieren der
Bundesbaugesellschaft.
({1})
Auch im dritten Zwischenbericht der Konzeptkommission des Ältestenrates vom 17. Januar 1994 werden unter
Nummer 4, Bundesbaugesellschaft Berlin mbH, die soeben zitierten Ausführungen des zweiten Zwischenberichts deutlich hervorgehoben.
Das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ist der Baugesellschaft gegenüber nicht weisungsbefugt und auch ist nicht - im Unterschied zur Bauverwaltung - deren oberste technische Instanz. Die somit
reduzierten Aufgaben nimmt die Bundesregierung, dem
privatwirtschaftlichen Charakter der Bundesbaugesellschaft und den zugrunde liegenden Verträgen entsprechend, verantwortungsvoll wahr.
Alle Verträge des Bundes mit der Bundesbaugesellschaft - also Gesellschaftsvertrag, Rahmenvertrag und
die Projektverträge - sind erst nach Zustimmung des
Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages
geschlossen worden. Somit war der Deutsche Bundestag
an allen maßgeblichen Entscheidungen bezüglich seiner
Bauvorhaben intensiv beteiligt.
Nun einige Worte zur zeitlichen Entwicklung. Die
Bundesbaugesellschaft Berlin wurde am 19. September
1993 in Berlin gegründet. Entsprechend dem Gesellschaftervertrag obliegt der BBB die Organisation und die
Koordination der Planung und Durchführung von Baumaßnahmen.
Die Bundesbaugesellschaft handelt eigenverantwortlich. Zu ihren Baumaßnahmen gehört zum Beispiel der
Umbau des Reichstagsgebäudes, termingerecht fertiggestellt zur Eröffnung im April 1999. Herr Rössel, da Sie alles zusammengefasst haben, sollten wir auch noch sagen,
dass nach dem jetzigen Stand die Kosten für das Reichstagsgebäude, die ursprünglich auf 600 Millionen DM veranschlagt wurden, auf 607 Millionen DM geschätzt werden. Allerdings sind noch einige Rechnungen strittig,
sodass wir unter Umständen punktgenau bei 600 Millionen DM landen könnten. Man muss also die einzelnen
Gebäude, die Sie alle in einen Topf geworfen haben, sehr
unterschiedlich beurteilen.
Zu den Baumaßnahmen zählen weiter die Betriebskindertagesstätte und die Neubauten des Bundeskanzleramtes, des Paul-Löbe-Hauses, des Jakob-Kaiser-Hauses
und des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses. Die meisten
dieser Gebäude sind in Betrieb genommen; beim JakobKaiser-Haus hat der Umzug im Oktober 2001 begonnen.
Das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus wird am spätesten
fertig gestellt. Hinzu kommen natürlich auch die Infrastrukturmaßnahmen, die parallel dazu durchgeführt
werden.
Wie Ihnen bekannt ist, standen alle Baumaßnahmen
terminlich unter höchstem Zeitdruck. Die Terminpläne
waren von Anfang an sehr ehrgeizig und die Bundesbaugesellschaft hat alle Anstrengungen unternommen, diese
einzuhalten. So schlug sie zum Beispiel ein Überlappen
der einzelnen Leistungsphasen vor. Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hat am 20. September
1995 einvernehmlich der teilweise überlappenden Planung - Entwurfs- und Ausführungsplanung - und der vorgezogenen Bauausführung der Baugruben für die großen
Neubaumaßnahmen zugestimmt.
Zusätzlich wurden alle diese Neubaumaßnahmen
durch unvorhersehbare Gründungsprobleme bzw. -schäden - unterschiedlich in Ursache und Umfang - belastet,
die einen gestörten Bauablauf zur Folge hatten. Teilweise
wird gesagt, man hätte sich den Boden genauer ansehen
müssen. Hätte man das getan, so hätte das nur zur Folge
gehabt, dass man schon damals zu höheren Kostenschätzungen gekommen wäre. Im Ergebnis hätten sich ähnliche Summen ergeben. Die Klärung der Ursachen und
Haftungsfragen in zeitaufwendigen Gutachter- und Gerichtsverfahren sind beim Jakob-Kaiser-Haus und beim
Marie-Elisabeth-Lüders-Haus noch nicht abgeschlossen.
Dies bezieht sich auf die gestörten Bauabläufe. Ich will
auch anmerken, dass wir über Regressforderungen an Firmen nicht nur nachdenken, sondern der Aufsichtsrat darüber schon entschieden hat.
Ein Wort zu den Mehrkosten. Ein detaillierter Bericht
der Bundesbaugesellschaft zu den Mehrkosten und deren
Ursachen wurde dem Haushaltsausschuss seitens der
Bundesregierung vorgelegt und von ihm gestern, also in
seiner Sitzung am 7. November 2001, zur Kenntnis genommen. Am Vortag haben wir den Berichterstattern die
Möglichkeit gegeben, auch mit den Verantwortlichen der
Bundesbaugesellschaft darüber ausführlich zu sprechen.
Herr Rössel, Sie haben sich wegen eines Fraktionstermins
vorzeitig verabschiedet. Wenn Sie bei der Informationsveranstaltung geblieben wären, dann hätten Sie sich Ihre
Rede heute hier sparen können.
({2})
Nach diesem Bericht ist voraussichtlich mit insgesamt
rund 200 Millionen DM Mehrkosten wegen Baugrundschäden und des dadurch bedingten gestörten Bauablaufs
bei den Baumaßnahmen zu rechnen. Diese Baugrundschäden waren aus den vor Baubeginn aufgestellten Baugrundgutachten - ich habe schon darauf hingewiesen nicht vorherzusehen. Unabhängig davon werden seitens
der Bundesbaugesellschaft bei den einzelnen Bauvorhaben Mehrkosten in Höhe von 374 Millionen DM erwartet.
Dabei ist das Restrisiko schon eingerechnet, das Sie gerade noch draufgesattelt haben. Ihre Zahlen stimmen also
nicht.
({3})
Es hat sich übrigens herausgestellt, dass bei den Verhandlungen die Firmen Forderungen in dreistelliger Millionenhöhe zurückgezogen haben. Das zu Ihrem Vorwurf,
Rechnungen würden nicht bezahlt. Hätten wir denn unberechtigt gestellte Rechnungen bezahlen sollen? Wäre das
für die Steuerzahler der richtige Weg gewesen? Nein, der
richtige Weg ist, mit den Firmen knallhart zu verhandeln;
denn nicht alle Firmen legen Rechnungen vor, an die man
direkt einen Haken machen kann.
({4})
Das hat dem Steuerzahler Kosten in dreistelliger Millionenhöhe erspart.
({5})
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal hervorheben,
dass die Baukostensteigerungen ihre Ursache weder in
zusätzlichen Nutzerwünschen noch in einer qualitativ
höheren Bauausführung hatten. Die Mehrkosten hatten
verschiedene Ursachen: Im Bereich der Planung und Ausschreibung wurden Planungsfortschreibungen, Massenmehrungen und Bauumstellungen erforderlich. Es gab
Störungen im Bauablauf. Daraus resultierten Verschiebungen der Fertigstellungstermine. Schließlich dauert dadurch der erforderliche Interimsbetrieb länger und auch
das kostet Geld.
Grundsätzlich sind erst nach Vorliegen und Endabrechnung der Schlussrechnungen, was noch geraume Zeit
nach Baufertigstellung in Anspruch nehmen wird, abParl. Staatssekretär Achim Großmann
schließende Angaben zu den endgültigen Kosten möglich,
aber vom Bauablauf her sind bei fertig gestellten Gebäuden keine Risiken mehr vorhanden.
Der Haushaltsausschuss hat in seiner Sitzung am
16. Mai 2001 den Bundesrechnungshof gebeten, zur Vertragsgestaltung sowie zu Fragen der Haftung der Bundesbaugesellschaft wegen der Nichteinhaltung von Kosten
und Terminen Stellung zu nehmen. Auch dieser Bericht
des Rechnungshofs ist dem Haushaltsausschuss in der
gestrigen Sitzung vorgelegt und dort zur Kenntnis genommen worden.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass es keine Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten der Geschäftsführer
oder der Aufsichtsratsmitglieder der Bundesbaugesellschaft gibt. Wir alle ärgern uns über die Mehrkosten, die
mit so großen Bauwerken nun einmal zusammenhängen.
Wir haben einige Gebäude ohne Mehrkosten, einige mit
deutlichen Mehrkosten fertig gestellt. Über die Ursachen
habe ich gesprochen. An dieser Stelle müssen wir, meine
ich, Gerechtigkeit walten lassen. Die Bundesbaugesellschaft hat weitestgehend gut gearbeitet und das sollte man
an dieser Stelle auch einmal festhalten.
Vielen Dank.
({6})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Dietmar Kansy
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Ein Glück für
dich, dass du nicht auf meine Landesliste musst!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist wohl wahr: Es läuft etwas nicht gut mit der
BBB. Wenn etwas nicht gut läuft, werden Schuldige gesucht. Das ist überall im Leben so. Das ist auch im deutschen Parlament so,
({0})
auch bei den Bundestagsbauten, Herr Kollege Wagner,
und bei der Entwicklung der Kosten für diese Bauten.
Aber wenn man dabei in Kenntnis der derzeitigen Sachlage Showdebatten anzettelt,
({1})
dann ist das nicht zielführend, dann ist das nicht aufklärend, dann ist das eher vernebelnd. Wenn Sie auch
noch gleichzeitig weniger Geld für mehr Bauarbeiter ausgeben wollen, wie beantragt, dann ist das nicht mehr
nachzuvollziehen.
({2})
Meine Damen und Herren, wir sollten uns einmal daran erinnern, wie das alles begann. Staatssekretär
Großmann hat es angedeutet. Ich will noch etwas mehr
Klartext reden.
Als wir 1993 nach zweijähriger Diskussion die BBB
gegründet haben, war eine Hoffnung, die lange Klagelitanei über die damalige Bundesbaudirektion, mit der wir
unsere Parlamentsbauten in Bonn gebaut haben, in Berlin
nicht erneut anstimmen zu müssen.
({3})
- Ja, das war unsere Hoffnung. - Hauptkritikpunkte an der
Bundesbauverwaltung waren damals nicht ausreichende
Termintreue, nicht ausreichende Kostentreue
({4})
und nicht ausreichende Mängelbeseitigung vor Übergabe
der Gebäude. Ich erinnere Sie an die spektakuläre Übernahme unseres Parlamentsneubaus in Bonn. Während der
Haushaltsrede von Theo Waigel traten derartige technische Probleme auf, dass wir für ein halbes Jahr wieder ins
Wasserwerk ziehen mussten.
Wir haben etwas Neues versucht. Die BBB hat nun
Probleme, unter anderem mit den Baukosten. Wie auch
der Bericht des Bundesrechnungshofes an den Haushaltsausschuss zeigt, ist es jetzt dennoch zu früh, Vorverurteilungen vorzunehmen. Wenn man den Bericht des Bundesrechnungshofes an den Haushaltsausschuss mit dem
Bericht, den der Bundesminister für Verkehr, Bau und
Wohnungswesen in gleicher Sache dem Parlament zukommen ließ, vergleicht, dann ist man ausreichend sachkundig, um zu dem Ergebnis zu kommen: Man sollte
natürlich weiterhin zielstrebig daran arbeiten, endgültige
Klarheit zu schaffen. Das gilt auch in Bezug auf die Mehrkosten, die die PDS pauschal als massiv bezeichnet.
Weil es gerade so schön passte - der Staatssekretär hat
schon darauf hingewiesen -, haben Sie in Ihrer Rede auch
angesprochen, dass für das Reichstagsgebäude statt
600 Millionen DM 607 Millionen DM ausgegeben wurden. Der Anstieg der Kosten um ungefähr 1 Prozent geht
auf die Mehrwertsteuererhöhung während der Bauzeit
zurück. Das wurde noch gar nicht erwähnt.
({5})
Gerade angesichts des Ergebnisses, das wir im Hinblick auf den Umbau des Reichstagsgebäudes erzielt haben, hätte ich Ihnen wirklich den guten Rat gegeben, dieses Gebäude in dieser Debatte überhaupt nicht in den
Mund zu nehmen.
({6})
Neben dem Reichstagsgebäude gibt es das JakobKaiser-Haus, unser Sorgenkind, was die Parlamentsbauten angeht. Ich darf auf Folgendes hinweisen: Die
Kostenschätzung stammt aus dem Jahr 1994. In diesem
Zeitraum wurde das Berlin/Bonn-Gesetz verabschiedet.
Seitdem sind mehr als sieben Jahre vergangen.
Bei der Errichtung des Jakob-Kaiser-Hauses, unseres
Problemkindes - Sie können es den Berichten entnehmen -,
kam es - wenn man die Kosten für die einzelnen Gewerke
zusammenfasst - zu Mehrkosten in der Größenordnung
von 12 bis 16 Prozent. Zwar sind die Kosten in diesen Jahren für Rohbauten nicht so stark angestiegen, wie es
früher immer der Fall war; allerdings entfallen mehr als
50 Prozent der Kosten für unsere Bauten auf die technischen Gewerke. Wer davon redet, dass es in dem Zeitraum
von mehr als sieben Jahren Kostensteigerungen von über
12 Prozent gab, der hat das alles nicht berücksichtigt. Es
wäre zielführender, in der Debatte ein Stückchen Fairness
walten zu lassen, als nur deswegen populistisch auf dem
politischen Gegner herumzuhauen, weil es gerade in die
Landschaft passt.
Mit der Konstruktion der BBB hat sich das ganze Parlament die Möglichkeit genommen - Staatssekretär
Großmann hat es bereits gesagt -, irgendjemandem in dieser Gesellschaft direkte Anweisungen zu geben.
({7})
Wir haben uns aus dem operativen Geschäft zurückgezogen.
({8})
- Ja, so war es. Nachdem wir beim Umbau des Parlamentsgebäudes in Bonn mit den Beamten sehr große Probleme hatten, haben wir uns gedacht, dass wir es beim
Umbau des Parlamentsgebäudes in Berlin mit einer neuen
Konstruktion versuchen. Nachdem wir alles aufgeklärt
haben, sollten wir den Mut haben zu bilanzieren. Wir wissen dann vielleicht, wie wir es in der Zukunft besser machen. Ich wehre mich nur gegen billige Vorverurteilungen
- von wem auch immer -, bevor der Bundesrechnungshof
und andere die Kosten unserer Bauvorhaben endgültig beurteilt haben.
({9})
Langer Rede kurzer Sinn: Lassen Sie uns auf dem Teppich bleiben!
({10})
Erst sollte man sich informieren, dann sollte man nachdenken und erst dann sollte man Aktuelle Stunden beantragen! Besser noch ist es, Aktuelle Stunden dieser Art gar
nicht zu beantragen.
({11})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Franziska EichstädtBohlig von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was die Schuldfrage angeht, sollten wir es uns nicht ganz so einfach machen.
Als Erstes möchte ich ganz deutlich sagen: Ich glaube
nicht, dass wir hier über das Thema der privatrechtlichen
Konstruktion streiten müssen. Wir sollten nicht der
Rechtskonstruktion die Schuld in die Schuhe schieben.
Wenn noch mehr Zeit vergangen ist, dann sollte der Rechnungshof einmal in einer sehr ernsten Form und auf der
Grundlage vernünftiger Kriterien einen Vergleich zwischen der Arbeitsweise des Bundesbauamtes und der Arbeitsweise der BBB im Hinblick auf die von diesen
Behörden durchgeführten Projekte vornehmen. Man
könnte dann sehen, ob wir aus den Erfahrungen mit der
privatrechtlichen Konstruktion à la longue Konsequenzen
ziehen müssen. Das könnte dabei helfen, die Effizienz der
Arbeit des Bundesbauamtes zu hinterfragen. Ich bitte darum, das Thema privatrechtliche Konstruktion gesondert zu behandeln. Jedes Unternehmen, das Projektmanagement bei Bauten solcher Größenordnung betreibt, hat es
mit unerwarteten Kostensteigerungen, mit Terminplänen
und mit Mängeln zu tun. Von daher halte ich es für richtig, die Effizienzfrage zu stellen. Aber ich bin nicht dafür,
gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten.
Da gerade ich, seitdem ich an dem ganzen Verfahren
beteiligt bin, am deutlichsten Kritik ausgesprochen habe
und immer wieder gewarnt und geschimpft habe sowie
der Bundesbaugesellschaft Berlin sehr viele Vorhaltungen
gemacht habe, möchte ich an dieser Stelle angesichts der
enormen Bauvolumina und Probleme, die abzuwickeln
und zu bewältigen waren, der BBB meinen Dank aussprechen. Ich bin der Meinung, dass sich Kritik auf der einen Seite und Anerkennung auf der anderen Seite nicht
ausschließen müssen. Wir sollten vielmehr die richtige
Relation bei beidem bewahren.
({0})
Ich möchte die Gelegenheit nutzen - von daher ist
diese Aktuelle Stunde gar nicht einmal so schlecht -, auf
ein paar Punkte hinzuweisen. Hierbei spielt der Aspekt
eine Rolle, dass ich glaube, dass es falsch wäre, einseitig
alles nur der BBB in die Schuhe zu schieben;
({1})
vielmehr tragen auch wir als Parlament und unsere Baukommission - ich sage bewusst: wir - und der damalige
Haushaltsausschuss ein Stück Mitverantwortung für eine
Reihe von wirklichen Fehlentscheidungen, die damals
schon hätten erkannt werden können.
Als Erstes nenne ich die Zeitplanung. Es ist zu viel Zeit
in der Vorentscheidungsphase vertan worden,
({2})
während die eigentlich geplante Bauzeit vom ersten Tag
an - das haben Leute, die davon Ahnung hatten, sofort gesehen - zu knapp bemessen war.
({3})
Der zweite Punkt ist, dass die Kostenobergrenze in
Höhe der berühmten 20 Milliarden DM, die vom Haushaltsausschuss gesetzt worden war, meines Erachtens sehr
großzügig bemessen war; aus meiner damaligen Sicht war
sie zu hoch angesetzt. Einen aus meiner Sicht entscheidenden Fehler im Zusammenhang damit habe ich den Architekten und der BBB bis heute nicht verziehen, nämlich
dass sie mit der Kostenplanung für die jeweiligen Projekte
gnadenlos bis knapp an die Obergrenze gegangen sind. Es
wurde teilweise nicht einmal ein Sicherheitseinbehalt von
10 Prozent vereinbart. Angesichts derartig komplizierter
Projekte hätten mindestens 20 Prozent Sicherheitseinbehalt vorgesehen werden müssen. Die Schuld dafür sollte
man nicht nur einer Seite anlasten, sondern sie muss sowohl der Auftraggeber- als auch der Auftragnehmerseite
angerechnet werden.
({4})
Der dritte Fehler war, dass die BBB der Meinung war,
dass über das Vergabeverfahren Kosten eingespart werden könnten. Es war ein großer Fehler zu hoffen, dass die
Kosten durch Konkurrenz so gedrückt werden könnten,
dass die Gesamtkosten abnähmen. Stattdessen ist gleich
beim ersten Anlauf, weil die BBB die Gründungsprobleme nicht ernst genommen hat, das ganze auf dem
Vergabeverfahren beruhende Vertragssystem mit den
verschiedenen Auftragnehmern wie Dominosteine zusammengebrochen. Dadurch entstand eine Kette von Kostensteigerungen, Zeitverzögerungen und Nachtragsverfahren, die uns heute noch belasten. Insofern liegt aus
meiner Sicht der Grund für diesen Fehler in der Anfangsphase, als diese Projekte festgelegt worden sind.
Ich spreche noch einen Punkt deutlich an, der mich damals sehr geärgert hat: Dass die Bundesbaugesellschaft
Berlin die Gründungsprobleme schon in der Planungsphase nicht ernst genommen hat, halte ich wirklich für ein
sehr ernstes Versäumnis; denn von den Fachleuten vor Ort
hat es deutliche Warnungen gegeben. Aber die BBB
meinte - in dieser Frage war sie wohl sehr westdeutsch
geprägt -, dass der Berliner Baugrund und das hier vorhandene Urstromtal keine ernst zu nehmenden Faktoren
seien und dass sie deshalb diesbezügliche Warnungen in
den Wind schlagen könnte. Auf diese Auffassung sind wir
alle gemeinsam hereingefallen. Darauf gehen ja auch die
Kostensteigerungen hauptsächlich zurück und auch die
Folgeeffekte haben sehr viel damit zu tun.
Ich weiß, dass meine Redezeit gleich zu Ende ist.
Trotzdem möchte ich noch deutlich meine Kritik bei den
Architekten anmelden. Diese haben zu sehr auf Design
und zu wenig auf den Gebrauchswert geachtet
({5})
und ihrerseits die Gelegenheit genutzt - wohl in der Meinung, dass man es bei einem so noblen Bauherrn, den man
nur einmal in seinem Berufsleben bekommt, machen
könnte -, praktisch bis an die Oberkante Unterlippe zu gehen. Wir spüren das ja auch heutzutage - ich möchte das
deutlich sagen -, dass der Architektenkollege Braunfels
die Länge der Wegstrecken, die wir vom Reichstag bis zu
unseren Büros zurücklegen müssen, nicht beachtet hat.
Ich finde, das sind schon schlimme Architektenfehler.
Last but not least ein weiterer Fehler, den sich das Parlament selbst zuschreiben muss: Das sind die zu kleinen
Arbeitsräume. Da ist einfach aus der Angst heraus das alte
Maß - 18 Quadratmeter - aus dem Schürmann-Bau fortgeschrieben worden.
({6})
Insofern wird alle Parlamentarier - uns selbst und unsere
Nachfolger - das Problem verfolgen, dass wir Luxusdesign in Foyers, in Fluren und in Treppenhäusern haben,
dass wir als Arbeitsräume aber kleine Buchten haben, deren Gebrauchswert wirklich nicht den Aufgaben angemessen ist, die wir und unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu erledigen haben. Das halte ich für den
gröbsten Fehler. Den sollten wir aber auch gemeinsam
schultern; daran ist nicht die BBG schuld.
Ich danke Ihnen allen. Wir haben da viel nachzuarbeiten. Das sollten wir gemeinsam tun und nicht rechthaberisch gegeneinander.
({7})
Als
nächster Redner hat der Kollege Jürgen Koppelin von der
FDP-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man darf hier noch einmal daran
erinnern: Aufgabe der Bundesbaugesellschaft sollte es
sein, für eine zügige und insbesondere auch sparsame
Umsetzung der Baumaßnahmen hier in Berlin zu sorgen.
Das war die Leitlinie. Nun muss man vergleichen und abchecken, ob wirklich alles so gelaufen ist. Ich sage einmal
an Bündnis 90/Die Grünen und an die PDS gerichtet: Es
ist richtig, Sie haben früher eine andere Haltung gehabt,
auch zu dieser Bundesbaugesellschaft.
({0})
- Das hat sich nicht geändert. - Ich muss Ihnen allerdings
auch sagen: Ich halte ein Parlament, ich halte Abgeordnete für völlig überfordert, wenn sie solche Baumaßnahmen in der Form begleiten sollten, wie Sie das damals
vorgesehen hatten.
({1})
Insofern war es schon richtig, eine solche Gesellschaft zu
gründen. Das Parlament selbst konnte doch eigentlich nur
zusammen mit dem damaligen und dem jetzigen Bundesbauministerium sowie mit der Bundesbaugesellschaft
Rahmenrichtlinien für termingerechtes Bauen erstellen
und die Kostenentwicklung entsprechend begleiten.
Heute müssen wir feststellen, dass diese gute Zielsetzung, die wir damals hatten, enttäuscht worden ist. Die
Bundesbaugesellschaft hat uns deutlich gemacht: Sie ist
weder in der Lage, termingerecht zu bauen, noch ist sie in
der Lage, den Kostenrahmen einzuhalten.
({2})
Die Bundesbaugesellschaft - besonders das werfe ich
ihr vor - hatte sich allerdings auch verpflichtet, den Bund
unverzüglich zu unterrichten, wenn absehbar wäre, dass
die Kostenobergrenze und die vereinbarten Termine nicht
eingehalten werden könnten. Lieber Herr Kollege Kansy
- ich spreche Sie als Vorsitzenden der Baukommission an -,
wir alle müssen uns vorwerfen lassen, dass wir zu lange all
das geglaubt haben, was uns in schriftlichen Berichten von
der Bundesbaugesellschaft präsentiert worden ist; dazu haben Sie leider nicht Stellung genommen. Wir sind doch
alle völlig überrascht gewesen - da haben wir selber nicht
so hinterfragt, wie es in unserer Verantwortung gestanden
hätte; ich schließe mich da mit ein -, dass wir 14 Tage vorher noch einen Bericht von der Bundesbaugesellschaft bekommen hatten und dann auf einmal das Chaos herrschte.
Das kann doch alles nicht wahr sein. Sie haben uns
schlecht informiert; sie haben uns falsch informiert. Vor allem das werfe ich ihnen vor. Wir konnten das teilweise
nicht begleiten, weil wir falsche Informationen hatten. Sie,
auch Sie persönlich, haben das alles leider zu oft geglaubt.
({3})
Es reicht nicht, dem Präsidenten bei der Einweihung den
goldenen Schlüssel zu überreichen; vielmehr muss man
das in seinem Job auch entsprechend begleiten.
Insofern ist das Ganze zu einem Trauerspiel geworden.
Wir haben eine Kostenexplosion; die Bundesbaugesellschaft deutet selber an, dass die Mehrkosten über 500 Millionen DM betragen. Ich befürchte allerdings, dass sie
sich in einer Sache wieder vertan haben: Es sind nicht
D-Mark, sondern Euro. Wir kommen also fast an 1 Milliarde DM heran, befürchte ich.
({4})
Ich sage Ihnen ganz offen: Wenn ich mir die Berichte
noch einmal anschaue, die wir von der Bundesbaugesellschaft bekommen haben, dann muss ich feststellen, dass
ich denen heute kein Wort mehr glaube - kein Wort mehr!
Die Umzugstermine sind zigmal gekippt worden. Warum
sind sie nicht realistisch gewesen?
Lieber Herr Kansy, ich spreche Sie auch noch einmal
persönlich an.
({5})
- Trotzdem müssen Sie sich das anhören. Ich will Sie ja
nicht persönlich angreifen. Daran sind noch mehrere Abgeordnete aus allen Fraktionen beteiligt; ich sehe Sie aber
gerade und Sie haben es zu sehr verteidigt.
Wir haben nebenan das Gebäude eingeweiht. Das
sollte eine Einweihung sein? Ich hatte eher den Eindruck,
es war eine Feierstunde wie auf einem Richtfest. So sah
es dort jedenfalls aus. Das sind doch Dinge, die wir uns
nicht bieten lassen können.
({6})
Es sind so viele Berichte geschrieben worden. Sie haben alle nicht gestimmt. Das werfe ich der Bundesbaugesellschaft vor. Dann kommt plötzlich der Hammer: die
großen Beträge, die großen Nachforderungen.
Was ist mit den vielen Verfahren? Natürlich weiß jeder:
Bei einer so großen Bauangelegenheit wird es auch Prozesse geben. Wir haben bereits jetzt weit über 20 Prozesse. Schauen Sie sich einmal die Summe an, um die es
dabei geht.
Wir sprechen alle auch sehr viel von Privatwirtschaft.
Glauben Sie denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass
ein Privatunternehmer so bauen könnte, wie der Bund hier
gebaut hat, dass ein privater Unternehmer Kostenüberschreitungen in dieser Größenordnung akzeptieren
könnte? Er wäre längst pleite!
Die Gesellschaften, die für uns bauen, und auch die
Bundesbaugesellschaft wissen natürlich, dass der Bund
nicht Pleite gehen kann und dass man alles machen kann,
weil das schon irgendwie zurechtgebogen werden wird
und weil zum Schluss diverse Kommissionen und Gremien alles abnicken werden.
({7})
Man kann diese Mängel nicht mit Wasserschäden und mit
Störungen in der Bauanfangsphase entschuldigen. Ich
habe die Befürchtung, dass schon von Anfang an einiges
schief gelaufen ist, worüber uns die Bundesbaugesellschaft nicht informiert hat.
({8})
Wenn hier davon gesprochen wurde, es sei knallhart
verhandelt worden - so hat es der Herr Staatssekretär gesagt -, dann frage ich mich, warum der Bundestagspräsident teilweise persönlich mit den Unternehmen verhandeln musste, um noch einiges in Gang zu bringen.
({9})
Das soll knallhartes Verhandeln gewesen sein?
Wir Freien Demokraten hätten es deshalb begrüßt,
wenn ein Untersuchungsausschuss eingesetzt worden
wäre.
({10})
Ich sage Ihnen ganz offen: Wir alle tragen Verantwortung.
Es geht nicht darum, zu sagen, dieser und jener hat
Schuld. Das gesamte Parlament trägt die Verantwortung.
Wir hätten der deutschen Öffentlichkeit zeigen können,
dass wir zu unserer Verantwortung stehen und dass wir
aus Fehlern lernen. Im Vorgespräch - der Kollege Rössel
war dabei - haben CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die
Grünen unseren Vorschlag nicht unterstützt. Ich gebe zu,
dass die PDS bereit war, die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu unterstützen.
({11})
Eine solche Maßnahme wäre besser gewesen. Dann hätten wir der Öffentlichkeit zeigen können, dass wir als Parlament zu unseren Fehlern stehen.
Ich kann nur festhalten: Das Kapitel Bundesbaugesellschaft ist für uns nicht abgeschlossen.
({12})
Wir werden Konsequenzen ziehen müssen. Es werden
personelle Konsequenzen bei der Bundesbaugesellschaft
gezogen werden. Es werden Fragen nach der Haftung von
Geschäftsführern der Bundesbaugesellschaft zu stellen
sein.
Die Bundesbaugesellschaft hat den Bund als Bauherrn
lächerlich gemacht und ihn bis auf die Knochen blamiert,
indem sie ihn als unfähigen Bauherrn in der Öffentlichkeit
vorgeführt hat. Das Ergebnis können wir heute sehen.
Vielen Dank.
({13})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Gabriele Iwersen von
der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine Freude, zuzuhören, wie hier
ein Haufen Blinder von der Farbe redet. Anders kann man
es wirklich nicht bezeichnen.
({0})
Es mag ja sein, dass der eine oder andere von Ihnen lesen
kann. Aber von der Planung und von der Bauausführung
haben offensichtlich alle, die bisher geredet haben - mit
Ausnahme der Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig -, keine
Ahnung.
({1})
- Dietmar Kansy schwebt über allen Dingen. Ihn kann
man wirklich nicht dazu zählen.
({2})
Ein Punkt ist jedenfalls klar: Es bedurfte einiger Zeit
für die vorbereitende Planung, da zum Beispiel eine entsprechende Bauleitplanung fehlte. Wettbewerbe mussten
durchgeführt und entschieden werden. Dafür musste
zugegebenermaßen viel Zeit aufgewendet werden. Auf
denjenigen, die daran gearbeitet haben, lastete ein gewaltiger Druck. Aus der Sicht von Außenstehenden sind fünf
Jahre für die Verwirklichung eines solchen Projektes und
die Durchführung des Umzuges viel Zeit. Das stimmt im
Grunde genommen auch. Wenn man die Vorlaufzeit, also
die Planungsphase und die Genehmigungsphase, abzieht,
dann kommt man auf Bauzeiten von fünf bis sechs Jahren.
Das ist eigentlich eine angemessene Zeit für die Erstellung von Gebäuden dieser Größenordnung.
Ich komme auf den Reichstag zu sprechen. Früher
wurde er als ein alter, grauer Kasten, der finster und abweisend ist, eingestuft. Er hat aber durch den Umbau sehr
an Qualität gewonnen und hat sich zu einem Symbol für
diese Demokratie entwickelt. Das wäre unter der Regie
der PDS niemals möglich gewesen. Da können Sie sicher
sein.
({3})
Eines ist klar: Es ist ein Meisterstück, einen Umbau
dieser Größenordnung mit einer Kostenüberschreitung
von nur etwa 2 Prozent durchzuführen. Wenn Sie ein bisschen Ahnung von der Materie hätten, dann könnten Sie
das auch würdigen.
({4})
- Ich habe Ahnung. Sie werden sich noch wundern.
({5})
- Nun reicht es langsam!
({6})
Eines ist jedenfalls völlig klar und eindeutig: Die Bevölkerung sieht es anders als Teile dieses Parlaments.
Über die Frage, ob es ein alter, grauer Kasten ist oder
nicht, wurde mit den Füßen abgestimmt. So verhält es sich
auch mit anderen Teilbereichen dieses Parlamentsviertels.
Aus dem Innern, von denen, die jeden Tag gucken, ob
die Klopapierrolle richtig hängt, geschmäht und mit Kritik überzogen, hat sich das Reichstagsgebäude ganz eindeutig zu einem Anziehungspunkt für die Berliner und für
ihre Gäste und vor allen Dingen für unsere Gäste entwickelt. Das ist eine hervorragende Leistung. Die Baukommission hat es begleitet aus der entsprechenden Distanz, die uns zugemutet worden ist. Trotzdem haben wir
kräftig gestritten und durchaus auch Veränderungen herbeigeführt,
({7})
Frau Eichstädt-Bohlig hauptsächlich gegen Waschbecken
kämpfend und ich für Behindertentoiletten kämpfend. Da
hatten wir ausnahmsweise sogar die Unterstützung von
Herrn Dr. Seifert. Das ist die einzige Stelle, an der wir
über diese Kommission bewusst Mehrkosten verursacht
haben, weil wir die Barrierefreiheit dieser Gebäude herbeiführen wollten. Es war sicherlich schon ein bisschen
spät; aber es ist noch relativ gut gelungen und es hat natürlich auch Geld gekostet.
Wir haben ja nicht nur dieses Gebäude vorzuweisen.
Das Kanzleramt ist genauso mit unheimlich viel Kritik
überzogen worden; Sie haben es vorhin schon gesagt. Es
wird von Gigantomanie und dergleichen mehr gesprochen.
({8})
Das Gebäude ist seiner Nutzung angemessen. Es hat
natürlich auch eine gewisse Symbolkraft. Die Tatsache,
dass trotz der kritischen Würdigung die Leute sich ganz
schlicht und einfach darum reißen, auch nur einen Blick
in das Gebäude werfen zu können, ist ein Glücksfall für
diese Demokratie. Das muss ich Ihnen sagen.
({9})
Man hat mit den Bauten tatsächlich Neugier und Interesse
am Regieren und an der Arbeit dieses Parlaments erzeugt.
Dafür sollten wir dankbar sein.
({10})
Dass die BBG ihre Arbeit nicht in jeder Hinsicht so gemacht hat oder so hat durchführen können, wie wir es uns
erhofft haben, steht außerhalb jeder Diskussion. Der Bundesrechnungshof hat dazu seine Meinung geäußert und
sicherlich ist es auch noch nicht das Ende der Untersuchungen. Für uns ist vor allen Dingen die Gegenüberstellung der
beiden Systeme wichtig - das hat auch Frau EichstädtBohlig schon erwähnt -, um daraus Konsequenzen für
spätere öffentliche Baumaßnahmen zu ziehen.
Ich glaube, wir haben mit dieser Aktuellen Stunde der
Öffentlichkeit wieder einmal gezeigt, wie unzufrieden
deutsche Parlamentarier mit allem sind, was man ihnen
präsentiert. Dem einen ist das Zimmer mit 18 Quadratmetern zu klein. In Bonn hatten fast alle eineinhalb Zimmer, à 18 Quadratmeter.
({11})
Als die Grünen auftauchten und das Gebäude voll war,
bekamen sie Plätze in einem größeren Haus mit größeren
Räumen. Sie haben hinter dem Museum gesessen.
({12})
Frau Kollegin Iwersen, kommen Sie bitte zum Schluss. Wir sind in
der Aktuellen Stunde und Sie haben ihre Redezeit schon
um eine Minute überschritten.
Sie können sich jedenfalls
darauf verlassen, dass alle, die vorher größere Räume hatten,
({0})
die neuen Räume jetzt als zu klein erachten. Diejenigen
aber, die vorher in gleich großen Räumen arbeiten mussten, sind höchstgradig zufrieden damit, dass sie so schöne
Büros haben. Ich möchte mich glattweg noch beim Architekten bedanken.
({1})
Als
nächster Redner hat der Kollege Bartholomäus Kalb von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin,
ich fand es nicht sehr charmant, dass Sie den hier anwesenden Kollegen vorwerfen, sie würden von den Dingen reden wie die Blinden von der Farbe. Ich nehme nicht an, dass
Sie den Fachkollegen Wagner, Frau Kollegin EichstädtBohlig, den Kollegen Kansy und Ihre Staatssekretärin
persönlich beleidigen wollten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist ja richtig, dass die Bundesbaugesellschaft gegründet wurde, um
die Maßnahmen im Spreebogen abzuwickeln. Durch die
Gründung der Bundesbaugesellschaft sollte vermieden
werden, dass wir ähnliche Erfahrungen machen müssten
wie bei einer Reihe von Baumaßnahmen in Bonn.
Wir haben mit der Gründung der Bundesbaugesellschaft Hoffnungen und Erwartungen in Bezug auf Zeitdisziplin und Kostendisziplin verbunden. Diese Erwartungen haben sich so nicht erfüllt, vielleicht zum Teil
auch nicht erfüllen lassen.
Ich tue mich persönlich schwer, wenn ich jetzt in der
Begründung für die Kostensteigerungen lesen muss, dass
ein ganz wesentlicher Teil, nämlich rund 200 Millionen
DM, mit so genannten baugrundbedingten Mehrkosten
begründet werden. Jeder, der die Verhältnisse in Berlin ein
wenig kennt, weiß, wie hoch das Grundwasser hier steht,
und auch, wie ungünstig die Bodensituation für Bauvorhaben ist. Das war vorhersehbar und nicht etwa unvorhersehbar.
Allerdings wäre es auch nicht ganz fair, der Baugesellschaft allein die Schuld zu geben.
({0})
Die dramatische Entwicklung der Bauwirtschaft in den
zurückliegenden Jahren hat zu einem ruinösen Wettbewerb geführt. Die Unternehmen kauften und kaufen sich
die Aufträge - so sagt man in der Branche - und kalkulieren Preise, die von vornherein kein Auskommen garantieren können.
({1})
Umso schlechter die Angebotspreise und die Submissionsergebnisse sind, umso stärker ist natürlich der Drang,
das fehlende Geld über Nachtragsforderungen und Nachtragsangebote wieder hereinzubekommen. Das ging und
geht dann zu Lasten des Steuerzahlers und so mancher
mittelständischer Betriebe, die als Subunternehmer tätig
waren.
Das ist im Übrigen auch nicht nur ein Problem bei den
Bauten des Bundes und des Bundestages, sondern mittlerweile auch bei fast allen öffentlichen Aufträgen. Ein öffentlicher Bauherr - ein Parlament allzumal - ist in einer
ungleich ungünstigeren und schwächeren Situation als jeder andere Bauherr. Auch das muss man bedenken. Das
liegt natürlich auch an der Dichte der Regelungen und des
Regelwerkes - angefangen bei der HOAI über die VOB,
die VOL, die EU-Koordinierungsrichtlinie, die besonderen Richtlinien zur Durchführung von Bauten des Bundes
bis hin zu dem, was es in diesem Bereich sonst noch alles
gibt.
Wir sollten die Gelegenheit zum Anlass nehmen, intensiv darüber nachzudenken, wie dieses Regelwerk und
auch die Vergabepraxis geändert werden müssen. Gerade gestern haben wir im Haushaltsausschuss die Frau
Präsidentin des Bundesrechnungshofes gebeten, uns in
dieser Frage noch einmal mit Rat und Tat zur Seite zu
stehen.
Frau Kollegin, bei Ihnen hat vorhin etwas durchgeschimmert, das mich ein wenig an die Arroganz mancher
Leute erinnert. Wir müssen über die Macht der Planer und
Architekten mit ihren tatsächlichen und vermeintlich sehr
weit reichenden Rechten am Bauwerk nachdenken.
({2})
Ich bin nämlich schon der Meinung, dass wir nicht für die
Architekten bauen, sondern die Architekten für uns.
({3})
Natürlich ist es gut, wenn sich ein Architekt etwas einfallen
lässt und ein Bauwerk bzw. ein Gebäude schön ist - was immer man subjektiv darunter verstehen mag. Die Anforderungen der Nutzer und die Nutzerfreundlichkeit - Frau
Kollegin, dafür haben Sie auch meine Zustimmung - sollten bei Baumaßnahmen im Mittelpunkt stehen und nicht
zur Nebensächlichkeit verkommen. Genau diesen Eindruck haben aber viele Kolleginnen und Kollegen dieses
Hauses. Wenn Parlamentarismus funktionieren soll, müssen auch die Arbeitsbedingungen des, - ich betone - einfachen Abgeordneten - Helmut Esters hätte früher gesagt:
der Abgeordneten zu Fuße - in Ordnung sein. Funktionalität und Attraktivität eines Bauwerkes müssen sich nicht
gegenseitig ausschließen.
Ich persönlich finde es im Sinne unseres Parlaments
und unserer parlamentarischen Demokratie beispielsweise sehr gut - das ist vorhin schon angeklungen -, dass
der Sitz unseres Parlaments, der Reichstag mit seiner
Kuppel, so interessant, imposant und attraktiv geworden
ist. Wenn ich die Zahlen recht in Erinnerung habe, dann
haben mittlerweile mehr als 5 Millionen Besucher hier
Zugang gefunden; sie haben sich das Bauwerk angesehen
und sind in die Kuppel gegangen. Ich denke, es ist auch
für uns, für die Demokratie und für die Arbeit des Parlaments sehr positiv, wenn das Parlamentsgebäude eine solche Aufmerksamkeit erfährt, wie es offensichtlich der Fall
ist.
({4})
Der Reichstag mit seiner Kuppel - ich erinnere daran,
dass die sehr nachdrückliche Anregung dazu aus dem Parlament kam - ist mittlerweile unbestritten zum Wahrzeichen Berlins und auch des wiedervereinigten Deutschlands geworden.
({5})
Das ist gut für unsere parlamentarische Demokratie. Ich
habe nicht gesagt: Das ist gut so.
({6})
Nächster
Redner ist der Kollege Hans Georg Wagner von der SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wenn Peter Conradi dem Parlament noch
angehörte - das ist ja leider nicht der Fall -, stünde Kollege Kansy nicht so allein da.
({0})
- Herr Kansy, ich kann Sie beruhigen. Die Tatsache, dass
von den neun Rednern - außer Herrn Staatssekretär
Großmann, der dem Haushaltsausschuss nicht angehört sechs Redner Mitglied des Haushaltsausschusses sind, bedeutet natürlich auch, dass wir ein schlechtes Gewissen
haben. An der Schaffung der Bundesbaugesellschaft waren wir seinerzeit nicht ganz unbeteiligt. Es ist zwar nicht
das herausgekommen, was wir uns vorgestellt hatten, aber
wir standen in Kenntnis der in Bonn entstandenen Bauten
der Sache in den vorangegangenen Jahren immer sehr kritisch gegenüber.
Man sollte die ganze Angelegenheit einmal aus einem
anderen Blickwinkel betrachten. Ich bin stolz auf das, was
wir hier in Berlin gebaut haben. Ich bin auch froh darüber,
dass wir einen internationalen Architekten- und Ingenieurwettbewerb dazu ausgeschrieben haben. Alle Bauten
sind auf der Grundlage von Wettbewerbsergebnissen entstanden. Deshalb unterscheidet sich das moderne Berlin,
die jetzige Bundeshauptstadt, auch von dem Zuckerbäckerstil auf der anderen Seite, in der ehemaligen Hauptstadt der DDR. Die Stalinallee war ein Komplex, der den
Bauten in Moskau nachempfunden war. Sie von der PDS
kennen den stalinistischen Zuckerbäckerstil noch aus eigener Anschauung.
({1})
Wenn ich das transparente Gebäude des Deutschen
Bundestages mit dem Palast der Republik vergleiche, dessen Außenhaut noch steht, dann erscheint der Reichstag,
der Sitz des Deutschen Bundestages, als transparentes
Gebäude einer lebendigen Demokratie.
({2})
Wir können stolz darauf sein, dass das so ist und wir damals für Weltoffenheit und Transparenz gesorgt haben.
Mich als einen der Vertreter der deutschen Architekten
freut, dass junge deutsche Architekten Wettbewerbe in
Berlin gewonnen haben. Das zeigt die Qualitäten meines
Berufsstandes und das ist erfreulich und gut so.
({3})
In einem Punkt teile ich völlig die Auffassung, die
Bartholomäus Kalb geäußert hat. Es geht um die Haltung
der Bauwirtschaft, aber nicht nur in Bezug auf die Bauten
des Bundes. Das bezieht sich in gleicher Weise auf die
Bahn; sie ist privatisiert und somit ein privater Bauherr.
Als solcher erlebt es auch die Bahn, dass bei den Ausschreibungen Preise angeboten werden, die nicht gehalten
werden können.
({4})
Es ist sehr schwierig, die wirtschaftliche Prüfung nach der
VOB vorzunehmen. Bei den später eingehenden Nachträgen legen die Firmen eine Unverschämtheit an den Tag,
die man nicht akzeptieren kann.
({5})
Verschiedene Bauten sind innerhalb des vorgegebenen
Preislimits errichtet worden. Zum Beispiel wurde das von
uns zu verantwortende Gebäude der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft unterhalb des vereinbarten
Preises erstellt. Wenn sich der Bauherr intensiv darum
kümmert, kann man ein Gebäude also durchaus auch zu
geringeren Kosten als vorgesehen errichten.
Ansonsten muss die Moral in der Bauwirtschaft wieder
besser werden, denn ich kann es nicht akzeptieren, dass in
der deutschen Bauwirtschaft Firmen mit ganz großen Namen, die ja auch die von Präsidenten sind, auf ihrer Baustelle acht deutsche Bauarbeiter beschäftigen, während
alle anderen aus dem Ausland stammen, für 3 oder 4 DM
pro Stunde arbeiten und bei uns schon die Tariflöhne infrage gestellt werden.
({6})
Das ist nicht zu akzeptieren.
Bekanntlich wird man aus Schaden klug. Wir werden
also versuchen, auch dies künftig noch etwas intensiver zu
untersuchen, obwohl das ganz schwierig ist.
Nun zur Bundesbaugesellschaft selbst. In der Tat dachten wir damals, wenn wir eine private Bundesbaugesellschaft mit der Durchführung eines solchen Baus beauftragen, die Mitsprache des Parlaments auf die Mitwirkung
einer Baukommission reduzieren, dann läuft das alles viel
besser. Das Ergebnis ist meiner Meinung nach eine Wiedergutmachung an der Bundesbaudirektion. Es wurde gesagt, dabei komme nichts Gutes heraus. Beispiele dafür
sind das Hotel Petersberg, der Schürmann-Bau und das
Parlamentsgebäude. Bei allem, was in Bonn entstanden ist,
kritisierten wir, dass sie es einfach nicht hinkriegen. Aber
siehe da - das ist ein Grund, darüber nachzudenken -, die
privaten Firmen, die Bundesbaugesellschaft haben die
gleichen Probleme wie die Bundesbaudirektion. Das
spricht also nicht unbedingt gegen die Qualität der
Bundesbaudirektion. Vielleicht ist es auch ein Teil Wiedergutmachung, dass dies so ist.
Nun müssen wir natürlich sehen, wie das alles bezahlt
wird. Denn es gab ja doch Baupreisexplosionen, zum Teil
natürlich auch bedingt durch die Umstände, die Gründungsverhältnisse genannt worden sind, die allerdings
bei der Gründung hätten vorhersehbar sein müssen. Nach
meiner Einschätzung war das nicht der Fall. Es ist auch
nicht entsprechend gehandelt worden.
Ich sage zusammenfassend: Ich freue mich, dass wir
eine so große Transparenz in das Gebäude gebracht haben
und dass das Gebäude wirklich angenommen wird. Sie
hören vermutlich genau wie ich, dass viele, nicht nur die
Besuchergruppen, unbedingt in die Kuppel wollen; denn
die Kuppel ist das Wahrzeichen der deutschen Demokratie nach der Wiedervereinigung geworden. Das wird anerkannt und man versteht, dass das auch etwas mehr kosten muss. In dieser Größenordnung hätte es nicht sein
müssen, aber es ist nun einmal so. Wo gehobelt wird, da
fallen Späne und dann bleiben Baukostensteigerungen
nicht aus.
Wir sollten insgesamt zufrieden sein, der Bevölkerung
danken, dass sie diese Bauwerke annimmt, und uns
freuen, dass das demokratische Leben hier transparent
dargestellt werden kann.
Schönen Dank.
({7})
Das Wort
hat nun der Kollege Dr. Ilja Seifert von der PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Wir reden heute über Baupreissteigerungen
und über die Verantwortung der Bundesbaugesellschaft,
nicht über 18-Quadratmeter-Räume und nicht über die
Schönheit der Kuppel. Das ist ein anderes Thema und darüber können wir ein anderes Mal reden.
Aber dass wir hier auf morastigem Boden stehen, das
lernt jeder Berliner Schüler und jede Berliner Schülerin
im Heimatkundeunterricht. Man hätte es also wissen können. Der Grund dafür, dass das jetzt noch als Hauptargument für alle weiteren Verzögerungen genannt wird, liegt
darin, dass die Baugesellschaft, als der Fehler passierte,
sich nicht getraut hat, alle Verträge zu kündigen und neue
zu schließen. Das hätte etwas gekostet, aber es wäre besser gewesen. Bis heute ist noch nicht einmal klar: War es
der Gutachter, war es die Baugesellschaft, war es die BauHans Georg Wagner
firma, die Fehler gemacht haben? Das ist ja wohl ziemlich
lächerlich.
Aber das Problem liegt eigentlich woanders. Der Beschluss 1991 lautete - Herr Kansy hat daran erinnert -,
dass der Umzug von Bonn nach Berlin innerhalb von fünf
Jahren stattfinden sollte.
({0})
- Innerhalb von vier Jahren; ich war schon etwas großzügig. - Nach fünf Jahren waren gerade mal die Planungen
abgeschlossen, weil mit sehr großer Energie verhindert
wurde, dass der Umzug schnell stattfinden konnte. Wenn
der Umzug schnell stattgefunden hätte, dann wären solche
Prachtbauten überhaupt nicht möglich gewesen, dann
hätte es - von der baulichen Substanz her - ein anderes
Parlament und eine andere Regierung gegeben. Dann
wäre Berlin hier in Mitte nicht zugebaut worden. Wir haben, als wir noch in Bonn waren, immer gesagt, es soll
keine Stadt in der Stadt entstehen. Was haben wir denn
jetzt hier? Wir haben eine Stadt in der Stadt. Man kann
hier nicht mehr wohnen.
({1})
- Es ist eine Stadt, die ein Magnet ist, aber hier wohnen
keine Menschen mehr, sie arbeiten hier nur; das hatten wir
schon zu DDR-Zeiten so.
({2})
- Ich kann mich sehr gut daran erinnern, Frau Iwersen.
Das ändert nichts an der Tatsache, dass man hier eine andere städtebauliche Variante hätte finden können als diese
Klotzhäuser, die - das ist ja nun eine Tatsache - keine
vernünftigen Arbeitsbedingungen für uns und für unsere
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bieten, mit denen aber
die Stadt zugebaut wurde.
Das ist das Problem, vor dem wir stehen: Die Verzögerungen, die am Anfang durch Konzeptkommissionen,
durch Beamte, die umzugsunwillig waren, usw. stattgefunden haben, führen zu einem großen Teil der Mehrkosten, die wir jetzt haben. Dass die privatwirtschaftlich organisierte Bundesbaugesellschaft nicht in der Lage war,
diese Mehrkosten und diese Verzögerungen zu verhindern
- wie es alle von Ihnen, mit Ausnahme der PDS, vermutet haben -, kommt dann noch erschwerend hinzu.
Ich finde es ziemlich unanständig von den Geschäftsführern der Baugesellschaft, wenn sie immer sagen, dass
sie auch das zahlen. Nein, das bezahlt nicht die Bundesbaugesellschaft, das bezahlen die Frauen und Männer in
diesem Lande, die Steuern zahlen. Das ganze Geld wird
von Steuern finanziert. Insofern hätte es auch die Bundesbaudirektion ausgeben können; das wäre kein Unterschied gewesen. Ein Unterschied hätte lediglich darin
bestanden, dass die Gehälter der Chefs der Bundesbaugesellschaft etwas üppiger sind als die von hochrangigen
Beamten der Bundesbaudirektion, die jedoch auch gut bezahlt werden.
Mir geht es um Folgendes: Wenn wir eine ehrliche
Schlussbilanz ziehen - ich gebe Herrn Dr. Kansy Recht:
Wir dürfen keine voreiligen Schlüsse ziehen -, dann müssen wir sagen: Große Fehler wurden aufgrund der Verzögerungstaktik innerhalb des Bundestages, der Regierung
und der Beamtenschaft gemacht. Man muss jedoch feststellen, dass sie wirkungsvoll gearbeitet haben.
Es haben Schlampereien stattgefunden, indem Gegebenheiten in der Stadt einfach nicht zur Kenntnis genommen wurden. Wie gesagt, das mit dem Baugrund ist das
Lächerlichste, was man sich vorstellen kann.
Eine Schlamperei ist vor allem, dass man nicht den
Mut aufgebracht hat zu sagen: Wenn sich sowieso schon
alles so weit verzögert, dass wir keinen Zeitplan mehr einhalten können, keine Firma mehr an ihren Zeitplan erinnern können, auch kein Vertrag mehr eingehalten werden
muss, weil ohnehin alle Zeitpläne durcheinander sind,
dann machen wir einen Neuanfang. Wir kündigen die Verträge, schreiben neu aus und schließen neue Verträge
ab. - Das aber hat nicht stattgefunden.
Jetzt können wir nur noch Schadensbegrenzung betreiben. Dies wird - das will ich deutlich sagen - in der Baukommission mit großem Verantwortungsbewusstsein versucht, wenn auch der Erfolg nur begrenzt möglich ist, weil
wir uns jeglichen Eingriffs in die Baugesellschaft selbst
beraubt haben, indem Sie sie privatwirtschaftlich organisiert haben. Das ist nun einmal so.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Steffen Kampeter von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte
nähert sich dem Ende.
({0})
Jeder, der zugehört hat, wird wissen, dass Bauen in der
Demokratie ein ausgesprochen komplexer und schwieriger Vorgang ist. Wenn ich in die Runde schaue, dann stelle
ich fest, dass hier eine Reihe von Expertinnen und Experten sitzt. Bezogen auf das gesamte Parlament wird deren
Zahl die Größe einer Hundertschaft überschreiten. Bauen
in der Demokratie ist für jeden, der baut, ein ungewöhnlich schwieriger Vorgang.
Bei aller Mäkelei, die vonseiten der PDS vorgetragen
wird,
({1})
müssen wir uns einfach einmal überlegen, was dabei herausgekommen ist. Wenn ich mir das Regierungsviertel
mit dem Kanzleramt und den Neubauten anschaue und
sehe, wie viele Menschen tagtäglich zum Teil ein bis zwei
Stunden Schlange stehen und sich am Bundeskanzleramt
die Nasen platt drücken, dann muss ich sagen: Trotz dieses komplexen Vorganges, Bauen in der Demokratie, ist
das Ergebnis eine gute Visitenkarte für die Bundesrepublik Deutschland, auf die wir wirklich stolz sein können.
({2})
Die Frage, die hier aufgeworfen worden ist, lautet: Gehen wir beim Bauen in der Demokratie verantwortungsvoll mit den Steuergeldern um, die uns die Menschen anvertraut haben?
({3})
Das ist die zentrale Frage. Es hat in den Beiträgen der PDS
keinen Beleg dafür gegeben, dass das anders ist.
({4})
Auch der Bericht des Rechnungshofs belegt nicht, dass
vonseiten des Parlaments Schickimicki gemacht worden
ist, durch Mehrforderungen Geld verschwendet worden
ist. Es gibt unabweisbare Mehrkosten und solche, die hätten verhindert werden können. Die Mehrkosten, von
denen heute gesprochen worden ist, waren in der Regel
unabweisbar und sind nicht durch irgendwelche Sperenzchen aus dem parlamentarischen Bereich hervorgerufen
worden. Das muss an dieser Stelle einmal festgehalten
werden.
Es hat mich schon etwas betroffen gemacht, dass der
Kollege Seifert hier von Prachtbauten gesprochen hat.
Herr Kollege Seifert, vor etwas mehr als zehn Jahren war
hier der Todesstreifen, war hier Wüste. Das, was jetzt entstanden ist, ist das Ergebnis einer normalen demokratischen Entwicklung,
({5})
die Sie nicht mit der Gigantomanie totalitärer Systeme
und dem Begriff Prachtbauten denunzieren können.
({6})
Den Menschen, die hier oben sitzen und uns besuchen,
scheint es insgesamt zu gefallen. Sie kommen gerne hierher. Ich höre gelegentlich Kritik, aber das betrifft Geschmacksfragen. Auch ich finde nicht alles super. Aber im
Grunde ist das zu unterstützen, was der Kollege Wagner
gesagt hat: Wir können stolz darauf sein, wie offen und
transparent sich die Demokratie hier im Spreebogen zeigt.
({7})
Ich will darauf hinweisen, dass der Anlass unserer Debatte ein Rechnungshofbericht ist. Im Rechnungshofbericht muss man die Frage stellen: Hat da irgendeiner einen
Fehler gemacht? Als Mitglied des Haushaltsausschusses
sage ich: Wir sind sehr daran interessiert, dem auf die Finger zu klopfen und ihm die Hammelbeine lang zu ziehen,
wenn irgendjemand einen Fehler gemacht hat, ob es nun
der Geschäftsführer der Bundesbaugesellschaft ist oder
ob es die ausführenden Firmen sind. Wir müssen aber
rechtlich dazu in der Lage sein. Daran müssen wir nicht
erst durch die Aktuelle Stunde der PDS erinnert werden,
sondern es ist die ureigenste Aufgabe des Haushaltsausschusses, sorgfältig darauf zu achten, dass wir sparsamer
mit den Steuergeldern umgehen und die Aufgaben ehrlich
erledigt werden.
Wir sind dabei nicht ohne Fehler. Aber wenn wir Hinweise bekommen, wo wir etwas besser machen können,
nehmen wir sie begierig auf und setzen sie um. Ich glaube
zwar nicht, dass wir noch einmal einen solchen Umzug
veranstalten können, aber für zukünftige Bauvorhaben
und für zukünftige komplexe Bauaufgaben werden wir als
Haushaltsausschuss im Interesse aller Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler über alle Parteigrenzen hinweg darauf
achten, dass mit der Mark oder zukünftig mit dem Euro
der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler vernünftig umgegangen wird.
Ich will auch einmal eine Lanze für den Rechnungshof
brechen. Der Rechnungshof ist ein wichtiger Partner des
Parlaments. Er gibt uns Hinweise, er kontrolliert überall
da, wo öffentliche Gelder in Anspruch genommen und
ausgegeben werden, er gibt uns Ratschläge. Er ist manchmal unangenehm. Insbesondere wenn man in der Regierungsverantwortung ist, möchte man den Rechnungshof
gelegentlich abschaffen, weil er unangenehme Fragen
stellt.
({8})
Aber er ist ein unverzichtbares Hilfsinstrument. Deswegen glaube ich, dass der Rechnungshof - besser als jeder
Untersuchungsausschuss, weil er dauerhaft für uns tätig
ist - Informationen geben kann, wie wir das Sparsamkeitsgebot umsetzen können.
Ich will abschließend darauf hinweisen: Dies war eine
Aktuelle Stunde, die ausschließlich vom Populismus der
PDS geprägt worden ist.
({9})
Sie war nicht von sachlichen Erwägungen getragen.
Wenn heute der Kollege Rössel hier beklagt hat, dass
zu große Kosten entstanden sind, und im gleichen Satz erklärt, dass die Rechnungen noch nicht bezahlt sind, dann
zeigt das, wie schizophren die politische Argumentation
der PDS ist.
Abschließend will ich einen Sparvorschlag machen.
Wir haben vorhin vom Palast der Republik gesprochen.
Die PDS verlangt, dass wir ihn restaurieren. Weder will
ich das Gesellschaftssystem restaurieren, noch glaube ich,
({10})
dass wir nach der Asbestsanierung irgendeine zusätzliche
Mark geben sollten, um den Palast der Republik so herzustellen, dass er uns an die SED-Herrschaft erinnert.
Dies ist ein Sparvorschlag, von dem ich mir wünschen
würde, dass ihn auch die PDS rasch aufgreift.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort
hat jetzt noch einmal die Kollegin Franziska EichstädtBohlig von Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
- Sie darf auch zweimal reden.
({1})
Weil wir unsere Redezeit nicht ausgeschöpft
haben, habe ich mich doch noch einmal gemeldet, und
zwar zum Beitrag des Kollegen Koppelin. Aber jetzt
möchte ich auch dem Kollegen Kampeter antworten.
({0})
- Egal, mit und ohne Ehre.
Sie fordern einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, Kollege Koppelin. Da möchte ich nur sagen:
Wohlan! Ich glaube, wir werden als Erstes die Entscheidung von Frau Schwaetzer zu untersuchen haben;
({1})
denn sie hat praktisch Mitverantwortung. Das Folgende
möchte ich in Ihrer beider Richtung für die Zeit ab 1994,
wo ich dabei war, ganz deutlich sagen - deswegen habe
ich mich noch einmal gemeldet -: Sie, Kollege Kampeter,
haben eben erklärt: Wenn wir im Haushaltsausschuss Hinweise bekommen, wo wir etwas besser machen können,
dann nehmen wir sie ernst. - Da wollte ich hier noch einmal deutlich sagen: In der letzten Legislaturperiode hat
unsere Fraktion und habe ich persönlich sehr viele Hinweise gegeben und Sie haben sie nicht ernst genommen.
Wir haben einen Unterausschuss beantragt, weil wir wussten, dass nicht nur unsere Parlamentsbauten, sondern auch
die Regierungsbauten insgesamt ein riesiges Volumen
ausmachen. Da war Kostenkontrolle dringend erforderlich. Sie haben es abgelehnt.
({2})
Sie haben den Unterausschuss abgelehnt; Sie haben die
Kostenkontrolle abgelehnt. Ich habe intensiv dafür geworben, von diesem Tunnelprojekt Abschied zu nehmen,
weil wir wussten, dass dieses Tunnelprojekt wesentlich
teurer werden würde, als uns damals von der BBB gesagt
worden ist. Es ist mehr als doppelt so teuer geworden. Wir
wissen bis heute nicht, welche Kosten in den anderen Projekten versteckt sind.
Sie haben es abgelehnt, diese Argumente ernst zu nehmen. Sie haben damals als Mehrheit im Haushaltsausschuss alle Warnungen in den Wind geschlagen, die wir
Ihnen gegeben haben. Von daher muss ich sagen: Es ist
schon eine Ironie der Geschichte, wenn Sie meinen, jetzt
einen Untersuchungsausschuss beantragen zu sollen, um
nachträglich noch einmal zu prüfen, warum die Gründung
schief gegangen ist. Da machen Sie sich wirklich selbst
lächerlich. Sie sollten sich an Ihre eigene Nase fassen,
statt im Nachhinein selbstgefällig die Schuld auf andere
schieben zu wollen. Das finde ich echt nicht fair. Sie sollten sich überlegen, wo Sie selbst Verantwortung haben,
und nicht große Sprüche machen, dass Sie allen Hinweisen nachgegangen seien. Seien Sie also bitte etwas ehrlicher!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
und bei der SPD
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik
Fünfter Tätigkeitsbericht der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik - 2001
- Drucksache 14/7210 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile
ich das Wort dem Bundesminister Otto Schily.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Die Vorlage
des diesjährigen Berichtes der Bundesbeauftragten für die
Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen
DDR fällt in die zeitliche Nähe des zehntes Jahrestages
des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Das ist Grund genug,
über den üblichen Zweijahresbericht hinaus eine Zwischenbilanz zu ziehen. Ich beschränke mich für meinen
Teil auf einige wesentliche Punkte, die in dem Bericht angesprochen werden.
Es dürfte weder in diesem Hohen Hause noch in der
Öffentlichkeit ernst zu nehmenden Widerspruch geben,
wenn wir feststellen, dass sich das Stasi-Unterlagen-Gesetz in den letzten zehn Jahren im Ganzen bewährt hat. Es
hatte sich zum Ziel gesetzt: erstens dem Einzelnen zu ermöglichen, den Einfluss der Stasi auf sein Schicksal aufzuklären; zweitens den Einzelnen davor zu schützen,
durch den Umgang mit MfS-gespeicherten Informationen
in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt zu werden;
drittens die historische, politische und die juristische Aufarbeitung der Stasi-Tätigkeit zu fördern und viertens für
öffentliche und nicht öffentliche Stellen die erforderlichen
Informationen für die Zwecke des Gesetzes bereitzustellen.
Diese Ziele sind als überparteilicher Konsens formuliert worden. Sie sind in der Praxis auch in großem Umfang erreicht worden. Das lässt sich schon anhand einiger
Zahlenangaben verdeutlichen. Insgesamt sind bei der
Gauck-Behörde - wenn ich das so sagen darf; ich müsste
sie besser Birthler-Behörde nennen - bis heute knapp
5 Millionen Anträge auf Auskunft, Einsicht in und Herausgabe von Unterlagen durch Bürger, von Medien, für
Zwecke der Wissenschaft und politischen Bildung und
auf Ersuchen öffentlicher und nicht öffentlicher Stellen
eingegangen. Im Monatsdurchschnitt gingen in den letzten beiden Jahren 10 000 Anträge auf private Akteneinsicht ein, davon rund die Hälfte Erstanträge. Die Zahl der
Einsichtsanträge für Forschungszwecke - insgesamt über
5 200 - nimmt zu.
Was sich in diesen Zahlen manifestiert, ist ein nach wie
vor anhaltendes gesellschaftliches Interesse an der Aufarbeitung der Stasi-Hinterlassenschaft, sowohl auf der
Ebene der individuellen Klärung der jeweiligen Lebenssituation als auch auf der Ebene der gesellschaftlichen
Diskussion. Hier verlagert sich das Interesse inzwischen
von der Klärung bestimmter Einzelfälle zunehmend auf
eine vertiefte, auch wissenschaftlich gesicherte Analyse
des DDR-Repressionsapparates und des SED-dominierten Staates allgemein.
Diese Entwicklung bestätigt die Erwartung derer, die
vor zehn Jahren darauf drängten, diese Akten nicht unter
Wahrung der üblichen 30-jährigen Schutzfrist unter Verschluss zu halten, sondern sie nach einem geregelten Verfahren der Aufarbeitung zugänglich zu machen. Es waren
insbesondere die Mitglieder von Bürgerrechtsgruppen aus
der damals untergehenden DDR, die sich für dieses Ziel
eingesetzt haben. Insofern kann dieses Gesetz mit Recht
als ein Erbe des Volksaufstandes in der ehemaligen DDR
vom Herbst 1989 angesehen werden. Es ist aber mehr als
das: In diesem Gesetz verbinden sich die rechtsstaatlichen
Traditionen des freiheitlichen demokratischen Staates mit
den Notwendigkeiten, die Erblasten einer totalitären Diktatur - der zweiten auf deutschem Boden - aufzuarbeiten.
Dadurch ist das Gesetz ein wichtiges Element des inneren
Einigungsprozesses in Deutschland geworden.
Sie werden sich daran erinnern, dass es anfangs mancherlei Besorgnisse dahin gehend gab, die Akteneinsicht
für Betroffene werde gesellschaftlichen Unfrieden stiften. Zum Glück ist nichts dergleichen eingetreten. Im Gegenteil: Die Akteneinsicht hat nach allgemeiner Überzeugung eher zu einer innergesellschaftlichen Befriedung
beigetragen. Die Stasi-Unterlagen-Behörde, der die Umsetzung dieses Gesetzes obliegt, hat in diesen Jahren eine
beeindruckende, im In- und Ausland anerkannte Leistung
erbracht, besonders auch in unseren Nachbarstaaten, beispielsweise in Polen und in den anderen Staaten dieser
Region.
Daher nutze ich gern die heutige Gelegenheit, um den
beiden Bundesbeauftragten, dem früheren Bundesbeauftragten Herrn Dr. Gauck und der jetzigen Bundesbeauftragten Frau Birthler, aber vor allem auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Behörde in der Zentrale und
in den Außenstellen den Dank und die Anerkennung der
Bundesregierung für die bis heute geleistete Arbeit auszusprechen.
({0})
Ausdruck für diese Anerkennung war auch die Tatsache,
dass Bundeskanzler Schröder vor nicht allzu langer Zeit
die Behördenzentrale in Berlin besucht und sich unmittelbar einen Eindruck von der Leistungsfähigkeit der
Behörde verschafft hat.
Die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit bleibt
auch in Zukunft eine notwendige innenpolitische Aufgabe. Der Zeitablauf mag die Akzente verändern, aber er
mindert nicht die Bedeutung, im Gegenteil: Je größer die
Zahl derer wird, die keine eigene Erinnerung an die DDR
haben, und je weiter die Erinnerung der Mitlebenden
durch neue Erfahrungen und Probleme überlagert wird,
umso wichtiger wird es, Ursachen, Verläufe und Strukturen auch der totalitären Staatsstruktur der ehemaligen
DDR wissenschaftlich zu erhellen und gesellschaftlich zu
erörtern. Die Überwindung der Folgelasten - auch der
materiellen - der ehemaligen DDR wird umso erfolgreicher sein, je mehr es zugleich gelingt, eine gesellschaftliche Verständigung über die untergegangene Diktatur und
die aus ihr zu ziehenden Konsequenzen zu finden.
Die quellengestützte Kenntnis der historischen und
ideologischen Wurzeln der Diktatur, ihrer Durchsetzungsmechanismen und ihrer Herrschaftspraxis beugt
nachträglichen Legendenbildungen vor und immunisiert
gegen neue totalitäre Gefahren. Die Einsicht, die die beiden Enquete-Kommissionen zur DDR-Aufarbeitung formuliert haben und der der Deutsche Bundestag zugestimmt hat, bleibt richtig - ich zitiere -:
Zu den geistigen Grundlagen einer innerlich gefestigten Demokratie gehört ein von der Gesellschaft
getragener antitotalitärer Konsens.
Die Aufarbeitung der Diktatur ist somit politische Bildung für die Demokratie. Darum bleibt sie auch weiterhin
notwendig.
Die Aufarbeitung der Vergangenheit dient, wenn sie
richtig betrieben wird, aber auch der inneren Verständigung in der Gesellschaft. Denn diese Verständigung setzt
zwei Dinge voraus: zum einen die Bereitschaft zur Wahrheit und zur Ehrlichkeit, zum anderen die Bereitschaft
zum Verständnis der sehr unterschiedlichen Bedingungen, unter denen die Menschen im West- und Ostteil
Deutschlands 45 Jahre lang ihr Leben zu gestalten hatten.
Zur Veranschaulichung: Ende der 80er-Jahre - auch das
belegen die Stasi-Akten - kamen in der DDR auf 180 Einwohner ein hauptamtlicher und zwei inoffizielle StasiMitarbeiter. - Es kommt darauf an, zu verstehen, dass die
Verurteilung des diktatorischen Systems keine Verurteilung der Menschen bedeutet, die genötigt waren, in diesem System zu leben. Es kommt darauf an, denjenigen
Gehör zu verschaffen, die unter diesem System gelitten
haben, die durch Verlust von Leben, Gesundheit, Freiheit
oder Eigentum, aber auch durch Verlust von Bewegungsund Entfaltungschancen zu Opfern und zu Geschädigten
dieses Systems geworden sind.
Zu einer Zwischenbilanz der Aufarbeitung der StasiUnterlagen gehört gewiss auch die Beantwortung der
Frage, inwieweit durch die bisherige Praxis Unklarheiten
im Stasi-Unterlagen-Gesetz oder bei seiner Anwendung
erkennbar geworden sind.
In den zurückliegenden Monaten hat eine lebhafte
Diskussion über die Frage stattgefunden, inwieweit StasiUnterlagen über Personen der Zeitgeschichte, Inhaber
politischer Funktionen oder Amtsträger für Forschung,
politische Bildung und Medien zur Verfügung zu stellen
sind. Die Diskussion entzündete sich zwar an einem prominenten Einzelfall, aber sie hat darüber hinaus grundsätzliche Bedeutung.
Es geht dabei den Beteiligten - das nehme ich auch für
mich in Anspruch - nicht um eine Einschränkung der Aufarbeitung. Es geht vielmehr allein um die Frage der
rechtsstaatlichen Sicherung der Persönlichkeitsrechte
derer, über die die Stasi Informationen zusammengetragen hat. Die Persönlichkeitsrechte von Personen der Zeitgeschichte sowie Funktions- und Amtsträgern, die zu Opfern von Stasi-Maßnahmen geworden sind, müssen
beachtet werden. Man darf nicht vergessen, dass die
meisten der dort zusammengetragenen Informationen auf
rechtsstaatswidrigem Wege gewonnen sind. Das Verwaltungsgericht Berlin hat mit seinem noch nicht rechtskräftigen Urteil vom 4. August 2001 bestätigt, dass solche Informationen grundsätzlich nur mit Einwilligung der
Betroffenen zugänglich gemacht werden dürfen.
Es ist notwendig, dass Betroffene von Stasi-Maßnahmen davor geschützt werden, dass unrechtmäßig gewonnene vertrauliche Informationen über sie ohne ihre Zustimmung verwendet werden. Es ist allerdings auch
notwendig, dass der Schutz, den das Stasi-UnterlagenGesetz den Betroffenen, - untechnisch gesprochen: den
Opfern von Stasi-Maßnahmen - gewährt, nicht solchen
Personen zugute kommt, die das Unterdrückungssystem
mitgestaltet und mitgetragen haben.
Ich bin der Auffassung, dass wir in der Frage der Herausgabe personenbezogener Informationen die notwendige Austarierung zwischen Persönlichkeitsschutz einerseits und Aufarbeitungsinteresse andererseits im Lichte
der inzwischen vorliegenden Erfahrungen nochmals überdenken sollten. Das könnte im Rahmen einer Anhörung
des Deutschen Bundestages geschehen. Dabei könnte
auch die weitere Frage geprüft werden, ob diese Austarierung auch bei der Regelung des § 14 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes gelungen ist, die die Anonymisierung
oder Vernichtung archivierter Unterlagen vom 1. Januar 2003 an ermöglicht. Auf diese Frage haben in letzter
Zeit wieder namhafte Historiker hingewiesen, obwohl ich
natürlich nicht der Auffassung bin, dass die Historiker
dankbar sein sollten, dass es die Stasi gegeben hat, ohne
die sie ihre historischen Forschungen nicht leisten könnten.
({1})
Zum weiteren Vorgehen ist geplant, dass eine fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe, an der sich das BMI
und die Behörde beteiligen, diese Fragen erörtern und dabei die Ergebnisse der bevorstehenden Anhörung auswerten wird. Auf der Grundlage der Überlegungen und Empfehlungen dieser Arbeitsgruppe wird dann zu entscheiden
sein, ob eine Novellierung des Gesetzes erforderlich ist,
um für die Arbeit der Behörde die notwendige Rechtssicherheit und für die Betroffenen den notwendigen Persönlichkeitsschutz zu gewährleisten.
({2})
Lassen Sie mich abschließend auf Folgendes hinweisen: Vor zwölf Jahren, im Herbst und im Winter 1989/1990, wurden in der DDR und in Ostberlin StasiQuartiere besetzt, MfS-Akten vor der Vernichtung
gerettet und für die Aufarbeitung sichergestellt. Den Zugang zum Herrschaftswissen der Geheimpolizei zu öffnen
war ein Akt der Selbstbefreiung. Der Prozess der Befreiung setzt sich seither in der nunmehr gesetzlich geregelten Nutzung dieses Wissens fort. Wir brauchen dieses
Wissen für den gesellschaftlichen Dialog über Ursachen,
Strukturen und Konsequenzen der Diktatur. Wir können
für die innere Einigung und die demokratische Stabilisierung unseres Landes nichts Besseres tun, als diesen gesellschaftlichen Dialog mit Offenheit, dem Willen zur
Ehrlichkeit - auch da, wo sie schmerzt - und mit wechselseitiger Aufgeschlossenheit fortzuführen.
({3})
Aufgabe der Politik bleibt es, hierfür die notwendigen
Grundlagen und Mittel weiterhin sicherzustellen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hartmut Büttner.
Frau
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wir behandeln heute ganz bewusst gemeinsam den Fünften Tätigkeitsbericht der Bundesbeauftragten mit der
Erinnerung an die Verabschiedung des Stasi-UnterlagenGesetzes vor zehn Jahren.
Es war der wichtigste Auftrag der DDR-Bürgerbewegung, die Hinterlassenschaft des untergegangenen Ministeriums für Staatssicherheit nicht zu vernichten, sondern
sie den ehemals Unterdrückten zu öffnen. Diese Grundsätze hatte zuerst die frei gewählte Volkskammer und
dann auch der Deutsche Bundestag aufgegriffen. Schließlich wurde nach intensiven Beratungen das Stasi-Unterlagen-Gesetz am 20. Dezember 1991 mit großer Mehrheit verabschiedet.
Dieses Gesetz ist nach Geist und Buchstabe zuallererst
ein Gesetz zugunsten der Bespitzelten. Dem Einzelnen
sollte Klarheit über das Einwirken der Stasi auf seinen
Persönlichkeitsbereich gegeben werden. Die Chance, die
eigene Biografie in Ordnung zu bringen, haben immerhin
gut 1,8 Millionen Menschen genutzt. Allein 1992 prasselten 520 000 Anträge auf Akteneinsicht auf die damals
neu errichtete Behörde nieder. Aber das Interesse hat sich
auch heute noch nicht erschöpft. Jeden Monat - Herr
Schily hat schon darauf hingewiesen - gehen durchschnittlich 10 000 neue Anträge ein. Die Opfer sollten
weiterhin davor geschützt werden, noch heute durch
Stasi-Materialien in ihren Persönlichkeitsrechten beeinträchtigt zu werden.
Das Stasi-Unterlagen-Gesetz ist außerdem ein Veröffentlichungsgesetz, das ausdrücklich die historische, politische und juristische Aufarbeitung der Tätigkeit des
MfS gewährleisten und fördern will. Schließlich gibt die
Behörde der Bundesbeauftragten an alle öffentlichen und
nicht öffentlichen Stellen die erforderlichen Informationen für die vielfältigen, im Gesetz genannten Verwendungszwecke. Bei zahlreichen Fragen der Rehabilitierung
bieten häufig allein die Stasi-Akten die Möglichkeit eines
Beweises. Strafverfolgungsbehörden erhalten Informationen über Straftaten und Verbrechen, die im Zusammenhang mit dem SED-Regime begangen worden sind. Vor
allem wurden bisher 1,6 Millionen Anträge von öffentlichen und nicht öffentlichen Stellen auf Überprüfung einer etwaigen Tätigkeit im Staatssicherheitsdienst gestellt.
Das Gesetz erfüllt aber auch eine nachgewiesene Funktion des Schutzes vor ungerechtfertigten Beschuldigungen. Ein negativer Beweis ist häufig nur mithilfe der
Stasi-Unterlagen möglich und kann mittlerweile sehr
rasch erbracht werden. Wie viele Menschen sind bei uns
politisch hingerichtet worden, als die Behörde noch nicht
über entsprechende Möglichkeiten verfügte! Das Wort
Stasi reichte vollkommen aus, um so manchen politisch
unmöglich zu machen.
Andere Zahlen belegen, wie enorm die Arbeitsbelastung der circa 3 000 Mitarbeiter der Behörde der Sonderbeauftragten ist und wie intensiv die im Gesetz vorgesehenen Möglichkeiten genutzt worden sind. Auch hierzu
hat Herr Schily etliche Zahlen und Daten genannt. Interessant ist, dass in den letzten zehn Jahren 4 907 267 Anträge und Ersuche - Stand September dieses Jahres - an
die Behörde herangetragen wurden.
Viele Abgeordnete des Deutschen Bundestages hatten
bei der Erarbeitung des Gesetzes große Bedenken hinsichtlich der Nennung der Klarnamen der Täter gegenüber den Opfern. Heute kann ich durchaus mit etwas
Stolz verkünden: Unser Vertrauen in den Gerechtigkeitssinn der Menschen war richtig. Bisher ist kein einziger
Fall bekannt geworden, in dem sich ein Opfer an dem
nunmehr identifizierten Täter gerächt hat. Die Menschen
sind also verantwortlich mit dem Wissen um ihre eigene
Vergangenheit umgegangen. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt.
Der Tätigkeitsbericht zeigt aber auch sehr deutlich,
dass die Stasi kein reines DDR-, sondern durchaus ein gesamtdeutsches Problem war.
({0})
Immer mehr Menschen wird heute bewusst, dass das Ministerium für Staatssicherheit auch im alten Bundesgebiet
sehr aktiv war. Das wachsende Interesse in den westlichen
Bundesländern ist auch daran zu erkennen, dass etwa ein
Fünftel aller Anträge auf Akteneinsicht von Bürgern aus
dem Westen Deutschlands gestellt wird. Wir wissen jetzt
auch, dass die Gleichung Opfer gab es in West und Ost;
aber der Stasi-Täter kam ausschließlich aus Deutschland
Ost nicht nur zu undifferenziert, sondern einfach falsch
ist.
({1})
Im Laufe der Jahre haben 20 000 bis 30 000 Westdeutsche
als inoffizielle Mitarbeiter für das MfS gearbeitet. Manch
ein westdeutscher Redakteur wird hoffentlich etwas
demütiger, wenn er sich an eine seiner oft sehr reißerischen Berichterstattungen über die Stasi-Verseuchung
im Osten Deutschlands erinnert. Eine solche undifferenzierte Betrachtungsweise hat nicht nur das Selbstwertgefühl der Menschen aus den neuen Ländern hart getroffen.
Es hat auch dazu beigetragen, den Graben in den Herzen
und Hirnen der Deutschen zu vertiefen. Sie ließ auch keinen Raum für die Wahrheit, die durch diesen Tätigkeitsbericht ans Licht kommt. In der DDR waren die Menschen, die Anstand bewahrten und Zivilcourage zeigten,
in der Mehrheit. Trotz schwierigster Umstände in einer
Diktatur scheiterten drei von fünf Anwerbeversuchen des
Staatssicherheitsdienstes. In Westdeutschland wurde eine
Stasi-Mitarbeit zumeist freiwillig - ohne die vielfältigen
Pressionen des SED-Staates - erklärt.
({2})
Vielfach wird geringschätzig gemeint, wir hätten auch
dieses schwierige Problem unserer Geschichte typisch
deutsch geregelt, und zwar mit Akribie, mit Sorgfalt und
mit einer Behörde. Viele von denen, die uns dafür gescholten oder auch nur belächelt haben, stehen heute in einer Reihe von interessierten Besuchern. Wir erleben derzeit ein gewaltiges Interesse aus allen Teilen der Welt an
diesem deutschen Lösungsweg. Das Erbe der Diktaturen
war in allen postkommunistischen Ländern Mittel- und
Osteuropas ähnlich. Es wurden aber sehr unterschiedliche
Wege beschritten, um die Diktatur der kommunistischen
Parteien und Repressionsorgane aufzuarbeiten. Die Berliner Normannenstraße und die 15 Außenstellen der
Behörde der Sonderbeauftragten wurden zu Pilgerstätten
für ausländische Besucher. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz
ist zu einem Exportschlager geworden.
Mittlerweile gibt es kaum noch eine politische Kraft,
die die Richtigkeit der Entscheidung des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 1991 anzweifelt. Im Gegenteil:
Fast jeder will dabei gewesen sein. Das ist eine ganz ausgezeichnete Entwicklung - das ist wirklich gut so -, zeigt
sie doch, dass wir mit den damals getroffenen Grundaussagen richtig lagen. Die getroffenen Regelungen waren
ohne Beispiel und Vorbild. Hingegen betrachten viele gestandene westdeutsche Juristen das Stasi-Unterlagen-Gesetz auch zehn Jahre nach dessen In-Kraft-Treten als
Fremdkörper in der deutschen Rechtsordnung. Dabei
wäre es gänzlich unmöglich gewesen, mit rein westlich
juristischen Maßstäben der Aufarbeitung einer menschenfeindlichen Diktatur gerecht zu werden. Wenn ein ganzer
Hartmut Büttner ({3})
Staat auf rechtswidrigen Grundlagen basiert, dann konnte
im Nachhinein niemand allein die Messlatte des Rechtsstaates anwenden wollen. Die mögliche Alternative wäre
die Vernichtung der Stasi-Akten gewesen. Nur, dann hätten die Opfer niemals erfahren, ob und wann sie Ziel von
Maßnahmen des Staatssicherheitsdienstes gewesen waren.
Es war für die Akzeptanz dieses Gesetzes in der Bevölkerung sehr wichtig, dass wir uns über Parteigrenzen
hinweg einigen konnten. Außer der PDS und einigen Abgeordneten der Grünen stimmten alle Mitglieder des
Deutschen Bundestages 1991 für das Stasi-UnterlagenGesetz. 1991 bildete sich eine Koalition der Vernunft aus
SPD, FDP, Grünen und der Union, welche auch die bisherigen fünf Novellierungen dieses Gesetzes einvernehmlich erarbeitet und politisch getragen haben.
Im Jahr 10 seines Bestehens steht das Stasi-Unterlagen-Gesetz vor einer großen - vielleicht seiner größten Belastungsprobe. Die Aufgeregtheit dieser Tage über die
Auswirkungen des Urteils des Berliner Verwaltungsgerichts zur Verwendung von Stasi-Unterlagen für Forschung und Medien droht die großartige Akzeptanz des
Stasi-Unterlagen-Gesetzes in der Bevölkerung in den
Hintergrund zu drängen. Die Gefahr der heutigen Diskussion ist, dass einige, denen die ganze Richtung nicht passt,
Morgenluft wittern und am liebsten das ganze Gesetz über
Bord werfen würden. Ich kann in diesem Zusammenhang
nur zu Besonnenheit und Augenmaß raten.
Von dem Rechtskonflikt sind etwa 1 400 der 2 000 vorliegenden Anträge von Forschern und Medien betroffen.
Alle anderen Bereiche der Arbeit der Stasi-UnterlagenBehörde sind vom Berliner Urteil nicht tangiert. Die Akteneinsicht, die Überprüfung auf eine mögliche StasiMitarbeit und andere Formen der Aufarbeitung der Arbeit
des Staatssicherheitsdienstes können weiter so durchgeführt werden wie bisher. Insoweit sind auch Äußerungen
unseres Kollegen und Bundestagspräsidenten Wolfgang
Thierse, das Urteil bedeute das Ende des öffentlichen Umgangs mit den Stasiakten, falsch und, wie ich meine, auch
ein wenig fatalistisch.
Ich finde es gut, dass durch das Urteil der Persönlichkeitsschutz der Bespitzelten und Abgehörten verstärkt
wird, auch wenn diese Menschen Politiker, Amtsträger
oder Personen der Zeitgeschichte sind. Damit ist die auch
von mir seit langem vertretene Interpretation durch das
Berliner Verwaltungsgericht als richtig anerkannt worden. Für einen Nichtjuristen ist das eigentlich gar nicht
schlecht.
Sollte das Urteil unverändert Rechtsgültigkeit erlangen, dann brächte meiner Meinung nach ein Wirkungsbereich allerdings größte Schwierigkeiten mit sich. Die
Aufarbeitung der Akten von früheren DDR-Funktionären, beispielsweise von Richtern, Bürgermeistern
oder Abgeordneten, wäre dann ebenfalls von deren Einwilligung abhängig. Sie bekämen damit die Macht, bestimmte Informationen zurückzuhalten oder Zeitgeschichte in ihrem Sinne zu beeinflussen. Ich hoffe, dass
die Koalition der Vernunft die Kraft und die Kreativität
hat, auch für diesen Problemkreis eine einvernehmliche
Lösung zu erarbeiten. Dieser inhaltliche Konflikt darf keinesfalls sämtliche anderen Aufgaben überdecken und die
Aufarbeitungskräfte völlig lähmen.
Leider, Frau Präsidentin, sind durch diese Diskussion
auch die ursprünglich geplanten Beratungen des Deutschen Bundestages kräftig zurückgeschnitten worden.
Von dem geplanten zweitägigen Symposium ist lediglich
diese Debatte am späten Donnerstagnachmittag übrig geblieben. Schade! Ich hätte gerade im Interesse der Millionen von Opfern eine etwas ausführlichere Behandlung
durch den Deutschen Bundestag für angemessener gehalten.
({4})
Wir hätten dann sicherlich auch vielen Menschen in angemessenerer Form Dank sagen können, die sich um die
Aufarbeitung und die Bewältigung der zweiten deutschen
Diktatur verdient gemacht haben.
Danken müssen wir zuerst den mutigen, couragierten
Menschen in der DDR.
Danken müssen wir all den beteiligten Kollegen, denen in der frei gewählten Volkskammer ebenso wie denen im Deutschen Bundestag, welche die Grundlagen für
ein bürgerfreundliches Stasi-Unterlagen-Gesetz gelegt
haben.
Danken müssen wir vor allem auch Joachim Gauck,
der diese Behörde entscheidend geprägt hat. Was für ein
größeres Kompliment über seine Verdienste kann es noch
geben, als wenn man auch heute noch von der GauckBehörde spricht?
Danken möchten wir aber ebenso der engagierten und
im guten Sinne des Wortes streitbaren Nachfolgerin
Marianne Birthler.
({5})
Nicht zuletzt danken wir den 3 000 Mitarbeitern der
Behörde.
Sie alle haben sich um die Aufarbeitung der Diktatur
und für das friedliche Zusammenleben der Menschen in
Deutschland verdient gemacht.
Ich darf feststellen: Das Stasi-Unterlagen-Gesetz hat
sich grundsätzlich bewährt. Der 20. September 1991 war
ein guter Tag für Deutschland und ein guter Tag für unsere
Demokratie.
({6})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Cem Özdemir.
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe
Marianne Birthler! Sie werden sich vielleicht darüber
wundern, dass zu diesem Tagesordnungspunkt ein anatolischer Schwabe spricht. In meiner Fraktion gab es einige
Diskussionen darüber, wer dazu sprechen soll, und wir
Hartmut Büttner ({0})
haben uns ganz bewusst dafür entschieden, nicht einen
Abgeordneten aus den neuen Ländern sprechen zu lassen;
denn Herr Büttner hat Recht mit dem, was er gesagt hat,
nämlich dass es um ein gesamtdeutsches Anliegen geht,
dass es nicht ausschließlich ein Problem der neuen Länder ist. Vielmehr ist dieses Gesetz ein Gesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Damit ist in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland eine neue Seite
geschrieben worden. Darauf können Ossis wie Wessis,
Nordis wie Südis, alle gemeinsam stolz sein. Dieses Gesetz hat sich bewährt und es gibt keinerlei Veranlassung,
diese Seite zu schließen oder zu sagen, dass wir die Aufarbeitung beendet hätten. Im Gegenteil, meine Damen
und Herren.
Ich möchte diese Gelegenheit auch nutzen, um namens
meiner Fraktion Marianne Birthler, ihrem Vorgänger
Joachim Gauck, aber auch allen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern der Behörde herzlich zu danken. Die Bitte
geht an Sie, diesen Dank wohl namens aller Fraktionen an
all Ihre Mitarbeiter weiterzugeben. Wir sind stolz auf die
Arbeit dieser Behörde und sind der Meinung, dass sich
diese Behörde nicht nur bewährt hat, sondern dass ihre Arbeit fortgesetzt werden muss.
({1})
Ich möchte nicht vergessen, in meinen Dank diejenigen
Parlamentarierinnen und Parlamentarier einzuschließen,
die an der Erarbeitung des Gesetzes beteiligt waren. Ich
will nicht diejenigen aufzählen, die noch heute im Bundestag sind. Stellvertretend für andere möchte ich aber
diejenigen nennen, die heute nicht mehr im Bundestag
sind: Ich denke an Ingrid Köppe vom damaligen Bündnis 90, aber auch an Burkhard Hirsch von der FDP-Fraktion, die maßgeblich dazu beigetragen haben, dass es dieses Gesetz heute gibt. Das sollte man heute nicht
vergessen, denn wir verdanken ihnen, dass dieses Gesetz,
das sich bewährt hat, heute ein fester Bestandteil der
Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland ist.
Der Kollege Büttner hat bereits auf die große Zahl derer hingewiesen, die bis heute Anfragen stellen, um Einblick in die Akten zu nehmen. Die Zahl von fast 5 Millionen Antragstellerinnen und Antragsteller zeigt, dass
diejenigen, die die Akten damals heimlich vernichten, die
sie schließen wollten, die sie bunkern oder den Betroffenen auf andere Weise entziehen wollten, nicht Recht hatten. Diese Enteignung der Menschen ist gescheitert und
sie wird auch in Zukunft scheitern. Wir alle stehen in der
Verpflichtung gegenüber denjenigen, die damals die
friedliche Revolution in den neuen Ländern möglich gemacht haben. Es gilt heute auch derjenigen zu gedenken,
die dazu beigetragen haben, dass wir heute ein vereinigtes Deutschland haben, dass Ost und West zusammenwachsen konnten.
Ich möchte die Gelegenheit aber auch nutzen, mich an
die Kolleginnen und Kollegen von der Union zu richten.
Ich weiß, dass der Fall Helmut Kohl sehr kontrovers diskutiert wird. Ich möchte alle bitten - das gilt für alle Fraktionen -, keine unzulässige Vermischung zwischen dem
Parteispendenskandal, der mit dem Fall Helmut Kohl verbunden ist - er muss bei anderer Gelegenheit aufgearbeitet werden -, und der Arbeit der so genannten Stasi-Unterlagen-Behörde vorzunehmen. Wir würden der Behörde
und dem Gesetz mit einer solchen Vermischung nicht gerecht werden.
({2})
Das gilt sowohl für diejenigen, die ein Interesse an der
Aufklärung dieses Falls haben, als auch für diejenigen,
die ein Interesse an der Weiterarbeit der Behörde haben.
Ich habe die Rede vorhin so verstanden, dass es interfraktionell ein Bemühen gibt, eine Verständigung zu erzielen. Für meine Fraktion kann ich sagen - das gilt sicherlich auch für die anderen Fraktionen -, dass wir im
Interesse der Behörde bereit sind, eine vernünftige Lösung zu finden. Wir müssen all diejenigen zurückweisen,
die versuchen, anhand dieses Falles die Arbeit der
Behörde einzuschränken oder gar zu beenden.
({3})
Eine gesetzliche Klarstellung ist nach dem, was wir gegenwärtig wissen, sicherlich notwendig. Wir müssen die
Ergebnisse der geplanten Anhörung im Innenausschuss
abwarten. Namens meiner Fraktion sage ich: Wir müssen
darauf achten, dass wir bei einer Neufassung keine neuen
Gräben zwischen Ost und West aufreißen.
({4})
Mich hat die Darstellung von Marianne Birthler sehr
beeindruckt. Sie hat darauf hingewiesen - das wusste ich
als jemand, der im Westen aufgewachsen ist, bisher nicht -,
dass es auch in den neuen Ländern auf lokaler Ebene
Funktionäre gab, die sich dem Missbrauch durch die Stasi
entzogen haben.
({5})
Nicht jeder Funktionär hat sich durch die Stasi missbrauchen lassen. Auch das muss man in diesem Kontext erwähnen und deutlich machen.
({6})
Deshalb wäre eine Beschränkung auf Funktionäre nicht
gerechtfertigt und falsch. Wir müssen auch heute darauf
achten, dass wir keine Gesetze machen, die denjenigen,
die kein Interesse daran haben, dass die Gräben zwischen
Ost und West zugeschüttet werden, die Arbeit erleichtern.
Zum Schluss möchte ich namens meiner Fraktion den
Opfern der Verfolgung durch die Stasi danken, die auf beeindruckende Art und Weise der Versuchung widerstanden haben, Rache zu nehmen. Unter den Opfern befinden
sich auch einige Kolleginnen und Kollegen aus unserem
Hause; eine Kollegin wird nachher noch selbst sprechen.
Sie widerstanden der Versuchung, obwohl Schreckliches
mit ihnen gemacht wurde, Rache zu üben. Vergebung
kann nur von den Opfern ergehen, nicht vom Staat. Die
Einzigen, die das Recht haben, zu vergeben, sind die Opfer. Auf deren Stimme müssen wir heute hören.
({7})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Schmidt-Jortzig.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Fünfte
Tätigkeitsbericht der - früher des - so genannten StasiUnterlagen-Beauftragten - der volle Titel ist, wie der
Bericht zu Recht vermerkt, etwas sperrig - stellt ein besonderes Ereignis dar. Er gibt Anlass für eine Zwischenbilanz. Dies nicht nur, weil dieser Bericht der erste ist, den
Sie, verehrte liebe Frau Birthler, während Ihrer Amtszeit
hier vorlegen, sondern auch, weil gemäß unserem Dezimalbewusstsein ein Jubiläum zu beachten und zu begehen
ist. Auch ich will mich dieser Zwischenbilanz stellen.
Insgesamt kann man sicherlich - das ist in den Beiträgen bisher in hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck
gekommen - sagen, dass sich Auftrag und Arbeit der
Stasi-Unterlagen-Behörde in hohem Maße bewährt haben. Das können und dürfen auch Streitigkeiten nicht verdecken, die sich an Einzelpunkten entzündet haben und
gewiss immer wieder einmal entstehen mögen. Das Geheimnis für dieses erfolgreiche Wirken ist nach meiner
Sicht der ganz überwiegende Bezug aller Bemühungen
auf die Opfer bzw. - wie es im Stasi-Unterlagen-Gesetz
heißt - die Betroffenen der systematischen staatlichen Bespitzelung in der DDR, genauer könnte man vielleicht
noch von den Getroffenen sprechen. Eben deren Verletzungen, Schädigungen, Traumatisierungen und Gerechtigkeitsenttäuschungen sind ja Punkte, welche einen
rechtsbewussten, republikanischen, demokratischen Staat
wie die Bundesrepublik Deutschland auf den Plan rufen
mussten. Denn die Empfindungen und Bedürfnisse seiner
Bürger bezüglich dieser Punkte machen seine Legitimationsgrundlage aus und die Ernstnahme und Verarbeitung
eben dieser psychologischen wie atmosphärischen Bedingungen können Integration der bisher Ausgegrenzten bewirken.
Ganz offenbar hat auch gerade dieser Punkt so beispielgebend gewirkt, dass sich verschiedene Staaten, deren Ordnung sich aus einer totalitären in eine freiheitlichdemokratische gewandelt hat, an Auftrag, Einrichtung
und Arbeit des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen zu orientieren versuchten. Darauf ist ja auch schon
Bezug genommen worden. Ich denke da nicht nur an die
vielen Konversionsstaaten in Mittel- und Osteuropa, sondern auch und speziell etwa an Südafrika oder an Chile.
Erst vorgestern haben wir in der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe von einem Polen, der die dortigen
Verhältnisse genauestens kennt, gehört, dass die Brüche,
die Uneinheitlichkeit, das öffentliche Desinteresse oder
- das würden wir sagen - die Politikverdrossenheit der
polnischen Gesellschaft, die sich zuletzt etwa auch in der
niedrigen Wahlbeteiligung niedergeschlagen hat, mit darauf zurückzuführen seien, dass man eben eine Aufarbeitung, wie sie in Deutschland die Stasi-UnterlagenBehörde leistet, dort nicht vorgenommen hat.
Mir scheint, meine Damen und Herren, die Besinnung
auf dieses Kernanliegen der Gesetzgebungsinitiative von
vor zehn Jahren ist angesichts der Tatsache, dass
- womöglich wegen Zunahme des zeitlichen Abstandes
oder auch kurzfristiger anderer Aktualitäten - die Konstellationen auch zu anderen Zwecken stärker genutzt
werden sollen, besonders wichtig. § 1 des Gesetzes vom
20. Dezember 1991 hat eindeutig die Ermöglichung des
Zugangs durch die betroffenen Einzelnen zu den von der
Stasi über sie gesammelten Informationen und den Schutz
der Persönlichkeitsrechte dieser Opfer seinen Regelungen als Ziel vorgegeben. Die allgemeine wissenschaftliche Aufarbeitung der Stasi-Tätigkeit und die öffentliche
Information darüber sind erst danach aufgeführt worden
und dürfen die Grundintention nicht verwischen.
Wenn ich es richtig sehe, hat bisher die Tätigkeit der
Stasi-Unterlagen-Behörde diesen Vorgaben auch in aller
Regel Rechnung getragen. Wo man einmal die Persönlichkeitsrechte des betroffenen Einzelnen gegenüber dem
öffentlichen Informationsbedürfnis und -interesse hintanstellen wollte, ist das rasch beanstandet worden. Das
geschah etwa 1995 durch das Kieler Landgericht gegen
den bekannten Untersuchungsausschuss des SchleswigHolsteinischen Landtages; in einem anderen Fall ist das
1996 durch den Bundesbeauftragten für Datenschutz moniert worden und hat jüngst - darauf wurde schon hingewiesen - das Berliner Verwaltungsgericht einschreiten
lassen. Bei circa 5 Millionen Benutzungsanträgen, davon
über 250 000 solchen auf Herausgabe von Unterlagen,
war das aber stets die absolute Ausnahme. Die Behauptung jedenfalls, es habe eine langjährige Gegenpraxis der Behörde gegeben, ist augenscheinlich falsch; denn
wo immer sonst das allgemeine Informationsinteresse
die Offenlegung auch von Persönlichkeitsdaten bewirkt
hat, geschah dies immer mit Zustimmung der betroffenen
Einzelnen.
Diese Linie - das soll mein Fazit sein - muss auch
künftig durchgehalten werden, und zwar natürlich selbst
dann - das richte ich insbesondere an Sie, Herr Özdemir,
der Sie richtigerweise von Gräben, die wir nicht aufreißen, sondern zuschütten sollen, gesprochen haben -,
wenn die Betroffenen respektive die Opfer der Bespitzelung damals wie heute bekannte Personen sind oder waren, und völlig unabhängig davon, ob sie damals oder
heute ihren Wohnsitz im Westen oder im Osten hatten
oder haben.
({0})
Im Übrigen begrüßen wir es - auch das sei noch angemerkt, ist aber selbstverständlich; wir haben das auch
schon persönlich ausgedrückt -, dass demnächst noch
eine Sachverständigenanhörung die fortdauernde
Gediegenheit der in ihrem Großteil immerhin schon zehn
Jahre alten Gesetzestatbestände und die Entwicklungsperspektiven der Stasi-Behörden-Arbeit ausführlich ausleuchten soll. Wenn es auch noch gelingt, dass die
Behörde selber eine etwas breiter angelegte, durchaus repräsentative Veranstaltung zu diesem Thema plant, dann
ist das nicht nur der Sache dienlich, sondern würde gleichfalls sehr begrüßt werden.
Danke sehr.
({1})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ulla Jelpke.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte
Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Birthler!
Frau Birthler, Sie haben die Bitte geäußert, dass wir uns
zehn Jahre nach In-Kraft-Treten des Stasi-Unterlagen-Gesetzes Gedanken über die Erfahrungen und über die Probleme machen müssen. Ausgangspunkt ist hierbei der
Rechtsstreit zwischen Ihrer Behörde und dem früheren
Bundeskanzler Kohl bzw. dem Innenminister Schily.
Wir halten diese Auseinandersetzung auf jeden Fall für
notwendig; denn wir meinen auch, dass sich eine ganze
Reihe von Problemen, deren Aufarbeitung jetzt angesagt
ist, in diesen zehn Jahren angehäuft haben. Dabei muss
von vornherein klar sein, dass Betroffene auch in Zukunft
ein uneingeschränktes Recht auf Einsicht in ihre Akten
haben. Daran darf auf gar keinen Fall gerüttelt werden.
Wir erleben aber jetzt im Fall Kohl den Versuch einer
Änderung des Umgangs mit den Stasi-Akten. Ich plädiere dabei keineswegs für ein Vorgehen nach dem Muster Gleiches Unrecht für alle. Ganz im Gegenteil: Es
darf nicht sein, dass jetzt nur für Kohl verboten wird, was
vorher jahrelang für Menschen mit Ostbiografien erlaubt
war und möglicherweise auch in Zukunft erlaubt sein
wird.
({0})
Fakt ist nämlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
CDU, dass die Stasi-Unterlagen-Behörde in der Vergangenheit bei Personen aus der ehemaligen DDR durchaus
locker mit personenbezogenen Informationen an die
Öffentlichkeit getreten ist, obwohl diese Personen Opfer
oder Betroffene im Sinne des Stasi-Unterlagen-Gesetzes
waren.
({1})
- Herr Büttner, Sie wissen ganz genau, auf welchen Fall
ich hier anspiele.
Dieser Fehler sollte von der Behörde meines Erachtens
auch eingestanden werden, wenn es um die Aufarbeitung
geht. Ansonsten bleibt der bittere Eindruck, dass erneut
Westprominente gegenüber Ostprominenten privilegiert
werden bzw. dass durch Westprominente diese Diskussion überhaupt erst möglich geworden ist. Das können Sie
wohl nicht bestreiten.
Des Weiteren stellt sich die Frage nach der Aufarbeitung der deutsch-deutschen Geschichte. Im Streit zwischen Kohl und der Stasi-Unterlagen-Behörde geht es
auch um den Konflikt zwischen dem Recht der Öffentlichkeit auf Aufklärung des Regierungshandelns und dem
Anspruch des Einzelnen auf Schutz seiner Persönlichkeit.
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat deutlich
gemacht - das ist schon gesagt worden -, dass es eine
Rechtsunsicherheit bei der Anwendung von § 32 des
Stasi-Unterlagen-Gesetzes gibt. Dieser Paragraph ist
beispielsweise für die Forschung nicht ohne Bedeutung.
Hier müssen einige Punkte geklärt werden. Wörtlich heißt
es in § 32:
... stellt der Bundesbeauftragte folgende Unterlagen
zur Verfügung: ... Unterlagen mit personenbezogenen Informationen über Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amtsträger in Ausübung ihres Amtes,
- jetzt folgt der Halbsatz, der diesen Streit ausgelöst hat soweit sie nicht Betroffene oder Dritte sind.
In diesem Zusammenhang möchte ich sagen: Wenn
Kohl abgehört wurde, dann ist er ein Betroffener. Das haben wir immer gesagt. Die Daten, die durch illegales Abhören gesammelt wurden, haben unserer Meinung nach
nichts in der Öffentlichkeit zu suchen, auch nicht angesichts der Tatsache, dass Kohl eine Person der Zeitgeschichte ist. Trotzdem bleibt das Problem in der Auseinandersetzung, in der es um Erkenntnisse über das Denken und
Handeln der Spitzenpolitiker der Bundesrepublik geht.
Ich denke, wer die deutsch-deutsche Geschichte vernünftig aufarbeiten und ausleuchten will, der muss die
Akten von zeitgeschichtlicher Relevanz insgesamt auf
den Tisch legen. Mit diesem Konflikt, wie weit geforscht
werden kann, und mit den vorhandenen zeitgeschichtlichen Interessen muss man sich meiner Meinung nach auseinander setzen; denn auch in den Akten, die über Kohl
existieren, gibt es politisch interessante Punkte, die für die
Aufarbeitung sehr wichtig sein können.
Es darf ebenfalls nicht zu einer einseitigen Aufarbeitung kommen. Im Moment besteht die Gefahr im doppelten Sinne des Wortes. Bei anderen Archiven gibt es Sperrfristen von zum Teil mehreren Jahrzehnten, während die
Akten der früheren DDR offen liegen. Problematisch ist
auch, dass die Stasi-Unterlagen-Behörde im Augenblick
die Akten zusätzlich sortiert - es gibt Wissenschaftler, die
das zurzeit kritisieren - und nur die Akten herausgibt, von
denen sie meint, sie herausgeben zu können. Ob die
Behörde will oder nicht, übt sie auch hier einen indirekten Einfluss auf die Aufarbeitung der Geschichte aus.
Wir stehen hier also vor einem doppelten Problem der
Gleichbehandlung. Was für den Umgang mit staatlichen
Akten der früheren DDR gilt, muss auch für die Akten der
früheren Bundesrepublik Deutschland gelten. Persönlichkeitsrechte für Menschen mit Westbiografien müssen
auch für Menschen mit Ostbiografien gelten.
({2})
Das gilt es aufzuarbeiten, wenn die Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts im Fall Kohl gefallen ist. Wir
begrüßen es, dass es hierzu, wie der Innenminister angekündigt hat, eine Anhörung geben soll.
Dabei ist nicht nur das Stasi-Unterlagen-Gesetz zu prüfen. Viel wäre geholfen, wenn wir die Fristen für die Geheimhaltung aller Regierungsakten verkürzen und den
Zugang dazu verbessern würden. Dazu würde auch
gehören, den Zugang der Öffentlichkeit zu den Akten aller
Geheimdienste, also auch der westdeutschen, zu korrigieren.
({3})
Das sage ich ganz bewusst als Westdeutsche, die der Meinung ist, dass diese einseitige Aufarbeitung nicht weiter
bestehen darf.
Das wäre unserer Meinung nach ein Schritt zu mehr demokratischer Transparenz und zur besseren Kontrolle der
Regierung mit Auswirkungen auch auf die aktuelle Politik. Das wäre auch ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit und
Gleichbehandlung im Umgang mit der deutsch-deutschen
Geschichte.
In diesem Sinne danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Gisela Schröter.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute den Fünften
Tätigkeitsbericht der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR.
Wir tun dies in einer Zeit, in der wir zugleich innen- und
außenpolitische Antworten von größter Tragweite auf die
Ereignisse des 11. September finden müssen. Ich wünsche
mir, dass die öffentliche Aufmerksamkeit für unsere heutige Debatte trotzdem nicht geschmälert wird.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir nehmen heute
nicht nur einen jährlichen Tätigkeitsbericht zur Kenntnis;
alle meine Vorredner haben schon darauf hingewiesen.
Ich möchte mich dem Dank an die Behörde und an sämtliche Mitarbeiter, auch in den Außenstellen, die in den
letzten Jahren eine ganz wichtige und sehr gute Arbeit geleistet haben, anschließen.
Gestern haben wir den ersten Bericht von Marianne
Birthler entgegengenommen. Ich freue mich, sie heute
hier begrüßen zu können. Allmählich gewöhnt man sich
auch an den Namen Birthler-Behörde, ich denke, auch
dank des entschiedenen Auftretens von Frau Birthler.
({1})
Eine Bemerkung am Rande: Wenn wir in der letzten
Zeit die Frage einer Novellierung des Stasi-UnterlagenGesetzes auch kontrovers diskutiert haben, sind wir uns,
denke ich, in einem auf alle Fälle einig. Eine Gesetzesänderung ist unstrittig: Überall, wo im Gesetz der Bundesbeauftragte steht, sollte jetzt die Bundesbeauftragte
oder der oder die Bundesbeauftragte stehen.
({2})
Ich denke, dass wir das bei der nächsten Gelegenheit erledigen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir blicken auf zehn
Jahre Erfahrung mit einem Gesetz zurück. Meine Vorredner haben aus ihrer jeweiligen Position darauf zurückgeblickt. Gestatten Sie mir, auch einmal meine Gedanken
dazu hier zu sagen.
Auf der Grundlage dieses Gesetzes konnten bereits
Hunderttausende - das ist richtig - Aufschluss über die
näheren Umstände und Hintergründe ihrer individuellen
Lebens- und oftmals auch Leidensgeschichte bekommen. Ich möchte auch hier daran erinnern, dass es einige
gibt - unter anderem zwei Freunde von mir -, die es nicht
mehr erlebt haben, weil sie sich aufgrund des Drucks, der
auf sie ausgeübt wurde, das Leben genommen haben.
Diese Opfer standen nicht im Mittelpunkt oder in der Öffentlichkeit. Meine Freunde kamen aus einem kleinen
thüringischen Städtchen, wo man nicht die Möglichkeit
hatte, irgendetwas zu mobilisieren, um auf sich aufmerksam zu machen. Es ist mir wichtig, heute an sie zu erinnern, weil es mir wirklich ein Bedürfnis ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Stasi-Unterlagen-Gesetz ist auch mit entscheidend dafür, dass die Menschen aus den neuen Ländern in der Gesellschaft des vereinten Deutschlands angekommen sind. Mehr noch, die
Aufarbeitung der eigenen Geschichte ist eine Voraussetzung dafür, dass die Menschen nicht nur in der Demokratie ankommen, sondern auch den Blick auf die gemeinsame Zukunft richten und an ihrer Gestaltung teilnehmen
können.
Als Ostdeutsche möchte ich an dieser Stelle aber auch
die Bilanz von zehn Jahren Stasi-Unterlagen-Gesetz betonen, weit über den integrativen und die Einheit festigenden Beitrag hinaus. Dass wir uns mit den MfS-Unterlagen
beschäftigen und uns fragen, wie wir damit umgehen wollen, darf nicht zu einer lästigen Aufgabe werden, die sich
in wenigen Jahren von selbst erledigt. Nein, in der Auseinandersetzung mit einem diktatorischen Regime liegt die
große Chance, die Grundpfeiler unseres freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens zu stärken.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, 1989 und 1991 haben wir uns ganz bewusst dafür entschieden, aus den Fehlern nach 1945 zu lernen, wo man die Geschichte nicht
sofort richtig aufgearbeitet hat, wo man bestimmten Konfrontationen aus dem Wege gegangen ist. Wir wissen,
diese Vergangenheit hat uns immer wieder eingeholt.
Diese Erfahrungen wollten wir mit dem Stasi-UnterlagenGesetz vermeiden. Heute, nach zehn Jahren, können wir
sagen: Das ist uns gelungen.
({3})
Auf diesem Wege, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir weiter gehen.
Ganz bewusst haben wir uns dafür entschieden, die
Unterlagen des MfS nicht, wie vorhin schon gesagt worden ist, dem Bundesarchivgesetz zu unterwerfen, in dem
lange Sperrfristen vorgesehen sind. Wir wollten die
Offenlegung, die direkte Konfrontation mit den Zeugnissen eines menschenverachtenden Regimes.
Heute, nach zehn Jahren, können wir sagen: Dieses
Stasi-Unterlagen-Gesetz ist kein Auslaufmodell. Vielmehr ist es nach wie vor im positivsten Sinne des Wortes
eine ostdeutsche Mitgift für die Festigung der freiheitlichdemokratischen Zukunft der Bundesrepublik.
({4})
Ich denke, dem entspricht auch das breite Spektrum der
Aufgaben der Behörde, die ich hier nicht alle zu wiederholen brauche. Schon ein flüchtiger Blick in den vorliegenden Tätigkeitsbericht gibt ein anschauliches Bild von
der Vielfalt und der Notwendigkeit dieser Aufgaben. Über
die Zahl der Bürger, die nach wie vor dort Einsicht nehmen wollen und auch können, ist vorhin schon gesprochen worden.
Die jüngste Geschichte des Stasi-Unterlagen-Gesetzes
ist - auch darauf wurde hingewiesen - von einer Verunsicherung über die Anwendung seiner Normen - es geht
um bestimmte Paragraphen - gekennzeichnet. Es gibt Paragraphen, über die neun Jahre lang nicht diskutiert
wurde, die in jüngster Vergangenheit aber um so heftiger
infrage gestellt worden sind. Die Beauftragte selber hat
den Gesetzgeber um eine Präzisierung gebeten. Ich
denke, dass wir dieser Bitte auch nachkommen werden.
Es ist darauf hingewiesen worden, dass wir eine Expertenanhörung durchführen werden. Wir sollten auch darüber diskutieren, wie wir weiter damit umgehen.
Ich meine: Zehn Jahre Erfahrungen mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz sind ein guter Anlass, um eine umfassende Bestandsaufnahme zu machen. Wir sollten uns
dann unabhängig von noch ausstehenden Rechtsprechungen darüber unterhalten, ob es einen Novellierungsbedarf
gibt und wenn ja, wo und in welcher Weise. Das sollten
wir vollkommen offen diskutieren. Ich denke, hier sind
wir auf einem guten Weg. Dabei werden wir natürlich
nach den Intentionen des Gesetzgebers fragen müssen, als
er 1991, nach einer fast zweijährigen Debatte, das StasiUnterlagen-Gesetz beschlossen hat. Diese Intentionen
dürfen wir nicht außer Acht lassen.
({5})
Ich weiß, dass wir damals ganz heftig darum gestritten haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ob es dabei zu einer
Akzentverschiebung kommt, wird sich erst am Ende der
Debatte und nicht schon am Anfang, also erst nach der
Anhörung, zeigen. Ich bitte, dass wir ganz offen mit dieser schwierigen Problematik umgehen.
Gleichgültig, ob und in welchen Punkten es am Ende
zu einer Novellierung kommt: Für mich ist entscheidend,
dass die eminent wichtigen Aufgaben des Stasi-Unterlagen-Gesetzes für die innere Verfassung unserer Gesellschaft dadurch nicht infrage gestellt werden. Der Beitrag
dieses Gesetzes für die politische Kultur in unserem Land
ist beträchtlich. Damit kein Raum für Missverständnisse
bleibt, möchte ich noch einmal klarstellen: Hierbei geht es
nicht nur um die Aufarbeitung von DDR-Geschichte. Ich
bin meinen Kollegen dankbar, die darauf hingewiesen haben. Es ist ein Teil deutscher Geschichte. Deshalb haben
hier nicht nur Ostdeutsche die Aufgaben zu erledigen; es
geht uns alle an.
({6})
In einer Zeit, in der der freiheitlich-demokratische
Rechtsstaat seine Wehrhaftigkeit gegen terroristische
Bedrohungen verstärken muss, bekommen die MfS-Unterlagen und der Umgang mit ihnen eine zusätzliche Bedeutung. In seiner Monströsität ist dieses Erbe Mahnung
dafür, wohin es führen kann, wenn das Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit aus der Balance gerät.
({7})
Damit sind das Stasi-Unterlagen-Gesetz und - auf seiner Grundlage - die Arbeit der Behörde beständige Aufforderung, dass wir dieses Spannungsverhältnis ebenso
wie das Verhältnis zwischen den Persönlichkeitsrechten
und dem öffentlichen Informationsinteresse immer wieder ausbalancieren. Dieser Prozess spiegelt rechtsstaatliche Normalität wider. Wenn die Balance gelingt, festigen
wir auch die freiheitlich-demokratischen Grundlagen unseres Zusammenlebens im Osten wie im Westen: in unserer gemeinsamen deutschen Demokratie.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Vera Lengsfeld.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der größte Teil der Mitglieder
dieses Hauses ist sich einig, dass das Stasi-UnterlagenGesetz eine Erfolgsgeschichte ist. Ich erinnere noch einmal daran, dass diese Akten geöffnet worden sind, damit
die Opfer von Stasiverfolgung ihre Akten einsehen können. Sie haben das in einer verantwortungsvollen Art und
Weise getan. Jedenfalls ist es nicht zu dem vor der Aktenöffnung prophezeiten Bürgerkrieg gekommen, auch
nicht zu allen anderen Gräueltaten, aber sie hat natürlich
zu einem geführt: Mit der Öffnung der Stasi-Akten wurde
das Gerüst einer Diktatur bloßgelegt und es wurden die
Täter, die dieser Diktatur gedient haben, kenntlich gemacht.
Bevor ich auf diesen Punkt zu sprechen komme, weise
ich auf eines ganz entschieden hin. Da die Akten vor allen
Dingen für die Opfer geöffnet worden sind, muss auch der
Opferschutz in der Weise, wie er zu Beginn intendiert
war, erhalten bleiben. Ich persönlich würde mich gegen
alles wehren, was diesen Opferschutz einschränkte, unabhängig davon, ob es sich bei diesen Opfern um unbekannte Personen oder so genannte Personen der ZeitgeGisela Schröter
schichte handelt. Das ist kein Ost-West-Problem, sondern
ein Täter-Opfer-Problem. Diese Tatsache darf in dieser
Debatte nicht verwischt werden.
({0})
Ich bin auch im Zweifel, ob diese Stasi-Unterlagen vordergründig als Material für Geschichtsaufarbeitung geschützt werden müssen, denn sie sind zum Beispiel hinsichtlich der Stasi-Vermerke über die Opfer eher
unzuverlässig. In anderer Hinsicht sind sie sehr zuverlässig. Sie sind sehr hilfreich für die Identifikation der Täter. Auch das ist bei vermuteten 20 000 bis 30 000 Westspionen kein Problem von Ost oder West.
({1})
Ich nutze die Gelegenheit, um einmal vorzuführen,
welches Demagogenstück uns heute von der PDS zugemutet wurde. Jetzt sind nur noch drei Abgeordnete dieser
Fraktion anwesend. Zwei davon waren inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit.
Frau Abgeordnete Jelpke, Sie zelebrierten hier das Klagelied der geschundenen Ostbiografie. Ich zeige Ihnen jetzt
eine exemplarische Ostbiografie eines im Plenarsaal anwesenden Abgeordneten auf. Ich spreche von Professor
Heinrich Fink, IM Heiner. Als er Chef der Christlichen
Friedenskonferenz war und Bärbel Bohley, Freia Klier und
andere, unter anderem auch ich, im Stasigefängnis saßen
und anschließend abgeschoben wurden, hatte IM Heiner
von der Staatssicherheit den Zersetzungsauftrag, diese Abgeschobenen in Kirchenkreisen des Westens zu diffamieren. Er hat diesen Auftrag zuverlässig erfüllt.
Dieser Mann sitzt heute im Bundestag und kann hier
sprechen. Von geschundener Ostbiografie kann in diesem
Zusammenhang überhaupt nicht die Rede sein. Eher frage
ich mich, wie dem berechtigten Anliegen der Bürgerbewegung, dass inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit
zumindest nicht mehr in herausragenden politischen
Funktionen tätig sein sollen, in diesem Falle Rechnung
getragen wurde.
({2})
Ich führe gleich ein noch viel bekannteres Beispiel an,
weil man dieses Lied von der PDS immer hört.
({3})
In dieser ganzen Stasi-Diskussion wird immer gesagt, Politiker aus dem Osten mussten sich gefallen lassen, was
man Kohl nicht zumuten will. In diesem Zusammenhang
wird immer von Dr. Gregor Gysi gesprochen. An dieser
Stelle verlese ich, was der Bundestag festgestellt hat und
was in diesem Hohen Hause noch nicht verlesen worden ist.
({4})
Nach dem Ergebnis einer sorgfältigen Recherche unter
Auswertung von über 1 000 Blatt IM-Akten hat der Immunitätsausschuss Folgendes festgestellt:
({5})
Dr. Gysi hat nach Überzeugung des Ausschusses
seine Anwaltstätigkeit
in der DDR
dazu benutzt, um im Rahmen seiner inoffiziellen
Zusammenarbeit mit dem MfS Informationen über
seine Mandanten zu liefern und Arbeitsaufträge des
MfS auszuführen. Die Überprüfung der verschiedenen Mandatsverhältnisse hat in jedem der genannten
Fälle ergeben, dass Rechtsanwalt Dr. Gysi personenbezogene Informationen, Einschätzungen und Bewertungen zu seinen Mandanten an das MfS weitergegeben hat.
Aber er hat noch mehr gemacht:
Dr. Gregor Gysi hat in der Zeit seiner inoffiziellen
Tätigkeit Anweisungen seiner Führungsoffiziere
über die Beeinflussung seiner Mandanten ausgeführt
und über die Erfüllung seiner Arbeitsaufträge berichtet. Er hat sich hierauf nicht beschränkt, sondern
auch eigene Vorschläge an das MfS herangetragen.
Dr. Gysi hat seine herausgehobene berufliche Stellung als einer der wenigen Rechtsanwälte in der
DDR genutzt, um als Anwalt auch international bekannter Oppositioneller die politische Ordnung der
DDR vor seinen Mandanten zu schützen. Um dieses
Ziel zu erreichen, hat er sich in die Strategien des
MfS einbinden lassen, selbst an der operativen Bearbeitung von Oppositionellen teilgenommen und
wichtige Informationen an das MfS weitergegeben.
Auf diese Erkenntnisse war der Staatssicherheitsdienst zur Vorbereitung seiner Zersetzungsstrategien
dringend angewiesen. Das Ziel dieser Tätigkeit unter
Einbindung von Dr. Gysi war die möglichst wirksame Unterdrückung der demokratischen Opposition
in der DDR.
Dieser Mann sitzt heute nicht nur im Bundestag, sondern auch in allen Talkshows. Die große Frage ist immer:
War er es oder war er es nicht? Ich sage es Ihnen hier von
diesem Pult aus: Er war es.
Leider ist meine Redezeit zu Ende; sonst hätte ich Ihnen noch einmal erklärt, wie die Zersetzungspläne der
Staatssicherheit ausgesehen haben, die jetzt durch die Aktenöffnung offensichtlich geworden sind. Diese Zersetzungspläne gingen bis hin zur Planung von Morden.
Mein Freund Jürgen Fuchs hat drei solcher Mordanschläge überstanden; einer davon betraf seine ganze
Familie. In diese Zersetzungspläne der Staatssicherheit
eingebunden zu sein war kein Kavaliersdelikt, sondern ist
eine Sache, zu der man, wenn man sich als Volksvertreter und vor allen Dingen als Vertreter ostdeutscher Interessen aufspielt, wenigstens ehrlich stehen sollte. Das tut
Dr. Gregor Gysi leider nicht.
({6})
- War das jetzt eine Zwischenfrage? Dann würde ich sie
gerne noch beantworten.
({7})
Die Redezeit ist
zu Ende.
Darüber habe ich immer und überall offen geredet. Jeder, der mich kennt, und
jeder, der das liest, was ich veröffentlicht habe - das können auch Sie in meinen Büchern nachlesen -, weiß, dass
ich das immer ganz offen sage. Es besteht, bitte schön, ein
Unterschied, ob man in irgendeiner Partei gewesen ist
- das waren Sie ja auch ({0})
oder ob man für die Staatssicherheit gearbeitet hat und
sich in die Zersetzungspläne der Staatssicherheit hat einbinden lassen. Das ist Ihr Problem.
({1})
Ich weise darauf
hin, dass Kollegen dieses Hauses, die persönlich angesprochen worden sind, das Recht haben, zu ihrer Person
Stellung zu nehmen, wenn sie das möchten.
Als Nächste hat die Bundesbeauftragte für die StasiUnterlagen, Marianne Birthler, das Wort.
Marianne Birthler, Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zehn Jahre sind seit der Verabschiedung
des Stasi-Unterlagen-Gesetzes vergangen. Das ist ein
guter Anlass für mich, zu Ihnen zu sprechen. Sie haben am
14. November 1991 den Weg dafür frei gemacht, dass die
Aufarbeitung des Unrechts einer Diktatur so erfolgen
konnte, wie es historisch und weltweit bisher nie möglich
war. Sie haben seither parteiübergreifend dafür Sorge getragen, dass nicht nur die rechtlichen Grundlagen, sondern auch die nötigen Ressourcen für die Arbeit meiner
Behörde zur Verfügung standen. Dies hier zu würdigen ist
mir eine große Freude.
({1})
Der Bundestag war damals, wie schon einmal in der
deutschen Geschichte, herausgefordert, mit der Hinterlassenschaft einer Diktatur umzugehen, mit den Wunden der
Opfer und ihrer Hoffnung auf Gerechtigkeit, mit Verbrechen, für die es kein Strafrecht gab, mit Staatsdienern, denen ihr Staat abhanden gekommen war, mit den politischen und kulturellen Schäden einer Gesellschaft nach
fast sechs Jahrzehnten in zwei Diktaturen.
Das Stasi-Unterlagen-Gesetz ist ein eindrücklicher Beleg für das Bemühen, 17 Millionen Menschen nicht nur in
die Bundesrepublik zu integrieren, sondern sich auch ihrer Geschichte zu stellen. Grundlage dafür war die Entschiedenheit, mit der die Abgeordneten der Volkskammer zuvor die Öffnung der Stasi-Akten - im Übrigen
gegen die Skepsis beider Regierungen - durchgesetzt hatten.
Niemand konnte damals wissen, welche Wirkungen
dieses Gesetz entfalten würde. Ob den Opfern der Stasi
die erhoffte Genugtuung zuteil werden würde, ob Menschen überhaupt wünschten, ihre Akten zu sehen, auch ob
die Stasi-Akten für die zeitnahe Aufarbeitung durch Medien und Wissenschaft genutzt würden, musste sich erst
erweisen. Und: Welche Folgen würde es haben, wenn die
Namen der Täter offenkundig würden?
Um es kurz zu sagen: Das Gesetz hat sich als überaus
praxistauglich erwiesen und wurde in einem unerwarteten
Maß in Anspruch genommen. Die Zahlen sind heute
schon mehrfach genannt worden. Abgesehen von den
Überprüfungen vor allem im öffentlichen Dienst deutet
nichts auf einen Rückgang der Nachfrage hin. Letzteres
ist die einzige Aufgabe nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz, die zeitlich befristet wurde.
Wichtigstes Ziel der Aktenöffnung war, es den Opfern
der Diktatur zu ermöglichen, ihr Schicksal aufzuklären.
Die Begegnung mit der Wahrheit war und ist oft schmerzhaft. Manche wagen es erst jetzt, nach jahrzehntelangem
Abstand, ihre Akte einzusehen. Billiger aber als mit diesem Schmerz ist die Überwindung von Unrecht, ist die
von vielen ersehnte individuelle oder auch gesellschaftliche Versöhnung nicht zu haben.
({2})
Mit der Aktenöffnung war auch die Hoffnung darauf
verbunden, dass das Personal in öffentlichen Ämtern, in
Behörden, Schulen oder auch Rundfunkanstalten zumindest hinsichtlich einer Zusammenarbeit mit der Stasi unbelastet sein sollte.
Eine glückliche Entscheidung des Gesetzgebers war
es, dass die Behörde darauf beschränkt ist, auf Antrag
Auskünfte zu erteilen. Die Bewertungsmaßstäbe, auch die
Verfahren, sind in der Praxis von Ländern und Kommunen sehr unterschiedlich. Überprüfungsverfahren verlangen Augenmaß und viel Mühe. Gute Erfahrungen werden
überall dort gemacht, wo zum einen Verfahren und Maßstäbe transparent waren und wo zum anderen eine differenzierte Einzelfallüberprüfung erfolgte.
Die Erforschung von Struktur und Wirkungsweise des
MfS schließlich erbrachte wichtige Erkenntnisse über das
Wesen von Diktaturen. Überwachung und Repression waren Schlüsselfunktionen für den Machterhalt der SED.
Die Arbeit im Archiv, die Publikationen, die Öffentlichkeitsarbeit, die Ausstellungen und Veranstaltungsreihen,
die neuen Ansätze für die politische Bildungsarbeit in
Schulen und mit Jugendlichen können hier nur erwähnt,
aber nicht beschrieben werden.
Wichtig ist mir - gerade im Hinblick auf die Frage, wie
diese Akten auch für Jugendliche nutzbar gemacht werden können - der Hinweis darauf, dass die Akten eben
nicht nur Beispiele für Verrat und Schande enthalten, sondern auch zahllose Beispiele für Mut und für ganz alltägliche Anständigkeit Hunderttausender.
({3})
Wenig bekannt in der Öffentlichkeit ist die Tatsache,
dass sich in den Unterlagen des MfS erhebliche Bestände
an NS-Akten befanden. Sie sind im Übrigen auch ein Beleg dafür, dass die SED recht instrumentell mit diesem
Erbe umgegangen ist. Mit ihrer Hilfe ist die Aufarbeitung
mancher Verbrechen aus der Zeit des nationalsozialistischen Regimes erst heute ermöglicht worden.
Zu den Aufgaben der Behörde in diesem Zusammenhang gehört auch ein Antrag von Yad Vashem. Auf diesen
Antrag hin wurden bislang 90 000 Kopien herausgegeben.
Herr Büttner hat schon darauf hingewiesen: Im Zuge
der Erfüllung all dieser Aufgaben nimmt das Interesse an
der Aufarbeitung der kommunistischen Diktaturen
über Ländergrenzen hinweg zu. Die Stasi-UnterlagenBehörde der Bundesrepublik Deutschland gilt aufgrund
ihres Erfahrungsvorlaufs als Modell und ist gefragter
Partner für Informationsaustausch und Kooperation. Genauso wie mein Vorgänger Joachim Gauck pflege ich
diese Kontakte sehr gern, nicht zuletzt mit Blick auf die
Perspektive eines gemeinsamen Europas. Wenn wir ein
europäisches Gemeinwesen begründen wollen, so gehört
dazu auch die Beschäftigung mit der europäischen Geschichte.
({4})
Der Kommunismus war ja nicht nur ein nationales, sondern ein europäisches Phänomen. Ich persönlich meine,
dass die Zeit für eine europäische Institution, die sich der
Erforschung des Kommunismus in Europa widmet, bald
gekommen sein müsste.
({5})
Nachdem das Verwaltungsgericht Berlin im Juli dieses
Jahres der Klage von Dr. Helmut Kohl stattgegeben hat,
liegt das Verfahren nun beim Bundesverwaltungsgericht.
Aber wie auch immer die Entscheidung ausfallen wird,
deutlich geworden ist längst, dass die Frage, wessen Akten unter welchen Bedingungen an wen herausgegeben
werden dürfen, der politischen Klärung bedarf. Ich freue
mich deshalb, dass sich der Bundestag dieser Frage annehmen wird.
Die Hinterlassenschaft der Stasi ist nun einmal so beschaffen, dass die für die Aufarbeitung wichtigen Informationen auf das Engste mit personenbezogenen Informationen verwoben sind. Genau dies war der Grund
dafür, dass der Gesetzgeber die Nutzung personenbezogener Daten ermöglicht hat, obwohl diese nahezu ausschließlich rechtswidrig erhoben wurden. Ihre Nutzung
freilich ist an strenge Restriktionen gebunden, die seitens
meiner Behörde seit Jahren peinlichst beachtet werden.
Eine dieser Bindungen ist die Zweckbindung aus dem § 1
des Gesetzes.
Nun kann man ja Verständnis für sehr viel Neugierde
haben, auch Verständnis dafür, dass der Aufklärungswille
sehr groß ist. Aber ich sage hier eindeutig: Das Stasi-Unterlagen-Gesetz ist für die Aufklärung der MfS-Tätigkeit
- wenn Sie so wollen: für die Aufklärung der DDR-Diktatur - gemacht worden und nicht für die Aufklärung der
bundesdeutschen Spendenaffären.
({6})
Dass die Herausgabe von Daten sowohl bei Mitarbeitern wie auch bei Betroffenen stets unter der Maßgabe
überwiegend schutzwürdiger Belange erfolgt, haben wir
in vielen Fällen erlebt. Wenn wir in den letzten zehn Jahren in der Behörde Klagen oder Beschwerden bekommen,
so bezogen sie sich im Allgemeinen fast ausschließlich
darauf, dass wir zuviel anonymisiert, zuviel gestrichen
oder abgedeckt haben und nicht zu wenig.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch noch
auf einen Zungenschlag eingehen, der gelegentlich im
Zusammenhang mit dem Aktenstreit in der Öffentlichkeit
zu hören ist, der aber meines Erachtens der Richtigstellung bedarf. Man kann sicherlich nicht abstreiten: Die
Tatsache, dass die Stasi auch im Westen sehr aktiv war, hat
die Sensibilitäten auch im Westteil unseres Landes erhöht.
Aber eines ist einfach nicht wahr: dass wir in der Vergangenheit Unterlagen nach unterschiedlichen Maßstäben
herausgegeben hätten, je nachdem ob es sich um Ost- oder
Westdeutsche handelte.
({7})
Das Stasi-Unterlagen-Gesetz sieht einfach verschiedene
Verfahren vor, je nachdem ob es sich um Mitarbeiter oder
Betroffene handelt. Und das macht den Unterschied aus.
({8})
- Ich bin gar nicht sicher, ob ich auf Zwischenrufe reagieren darf. Ich glaube nicht. Ich würde es gerne tun.
({9})
Trotz dieser Klagen über eine zu restriktive Handhabung bei der Herausgabe der Akten muss ich darauf hinweisen: Das Gesetz, auf dessen Grundlage wir arbeiten,
lässt nichts anderes zu, denn es ist eben beides. Es ist zugleich Aktenöffnungs- und Datenschutzgesetz.
Ich bin sehr froh, dass die Debatte aus Anlass des Fünften Tätigkeitsberichtes nicht hinter der zum Teil heftig geführten Debatte über die Herausgabe von Unterlagen nach
§§ 32 und 34 verschwindet. Das hätte die Arbeit, die seit
zehn Jahren in dieser Behörde geleistet wird, nicht verdient.
({10})
Trotzdem wird uns diese Frage noch reichlich beschäftigen.
Zehn Jahre nach seiner Verabschiedung ist festzustellen, dass das Interesse an den Stasi-Akten nicht nur bei
den einzelnen Bürgerinnen und Bürgern wach und lebendig geblieben ist. In diesen Wochen und Monaten gibt es
zahlreiche Veranstaltungen, Tagungen und Diskussionen
zum Thema und ich darf Sie natürlich auch von hier aus
schon zur Festveranstaltung der Behörde aus Anlass des
Marianne Birthler
zehnten Jahrestages der Verabschiedung des Gesetzes am
28. November sehr herzlich einladen.
Das Ende der Aufarbeitung, der berühmte Schlussstrich, ist nicht in Sicht. Er wäre auch weder wünschenswert noch machbar; denn die Erfahrung mit der ersten
deutschen Diktatur zeigt, dass sich nach dem Ende einer
Diktatur im Laufe der Jahrzehnte immer neue Fragen stellen und nach Antwort verlangen. Elf Jahre, das ist keine
lange Zeit.
({11})
Wir sind damit
am Ende der Debatte.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7210 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
7. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Klaus Brähmig, Ernst Hinsken, Anita Schäfer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Rahmenbedingungen für die Tourismuswirtschaft innerhalb der Europäischen Union
- Drucksachen 14/5841, 14/6955 Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP
vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Klaus Brähmig.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Glaube, Liebe
und Hoffnung zeichnen die momentane Wirtschaftspolitik der rot-grünen Bundesregierung aus. Die rot-grüne
Bundesregierung glaubt an die Omnipotenz des Staates.
Auch für die Wirtschaftspolitik gilt das Motto: Alle Macht
geht vom Staate aus. Die rot-grüne Bundesregierung liebt
ein Jahr vor der Bundestagswahl wieder die unbrauchbaren wirtschaftspolitischen Ansätze der Gewerkschaftslobby. Das Motto lautet: Tausche neue Mitte gegen alte
Linke.
({0})
Die rot-grüne Bundesregierung hofft auf einen erneuten
Aufschwung der Weltwirtschaft. Das Motto lautet: Lieber
die Politik der ruhigen Hand als aktive Wirtschaftspolitik
mit handwerklichem Können.
({1})
Die Hoffnung auf den Aufschwung wird allerdings
spätestens in der Sonne des Spätsommers 2002 dahinschmelzen. Warum? Weil Sie mit dem Job-Aqtiv-Gesetz
den zweiten und dritten Arbeitsmarkt zusätzlich subventionieren, anstatt mit Kombilöhnen Bewegung in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen; weil Sie mit dem neuen Mitbestimmungsrecht den Faktor Arbeit zusätzlich um
mehrere Milliarden DM belasten und ausschließlich die
Arbeitnehmerrechte ausweiten, anstatt die unternehmerische Freiheit zu stärken; weil Sie durch die Erhöhung der
Tabak-, Versicherung- und Ökosteuer die Kauf- bzw. Investitionskraft von Bürgern und Unternehmen zusätzlich
abschöpfen, anstatt eine schnelle und umfassende Steuererleichterung durchzusetzen.
({2})
Ich bin davon überzeugt: Am 22. September 2002 werden Sie die Quittung für vier verlorene Jahre bei der Entwicklung Deutschlands im weltweiten Wettbewerb erhalten.
({3})
Neben diesen grundsätzlichen Fehlern, die Sie in der
Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik begehen, lassen Sie
aber auch den Mut vermissen, in die Wachstumsbranche
Tourismus zu investieren, die weltweit als Jobmotor gilt.
Eine Expertenkommission der Europäischen Union errechnete für den Zeitraum bis 2010 allein innerhalb der EU ein
Potenzial von 3,3 Millionen neuen Arbeitsplätzen in der
Tourismuswirtschaft. Auch nach dem 11. September 2001
gilt der Tourismus als Hoffnungsträger bei der Sicherung
bestehender und der Schaffung neuer Arbeitsplätze - übrigens nicht exportierbarer Arbeitsplätze in Deutschland.
Durch kreative Entscheidungen und die richtige Festlegung der Prioritäten könnte auch Deutschland von der
Leitökonomie des 21. Jahrhunderts profitieren. Während in
anderen Ländern Europas der Entwicklung des Tourismus
und anderer Dienstleistungssektoren eine sehr hohe Priorität eingeräumt wird, führt dieser Bereich in Deutschland
vergleichsweise ein Schattendasein. Genau aus diesem
Grund hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion diese Große
Anfrage zu den Rahmenbedingungen für die Tourismuswirtschaft innerhalb der Europäischen Union eingebracht.
Die uns vorliegende Antwort der Bundesregierung dokumentiert mit umfangreichem Zahlenmaterial, dass die
deutsche Tourismuswirtschaft bei wichtigen Kennzahlen
der europäischen Konkurrenz hinterherhinkt. Deutschland sitzt nicht im Führerhaus der Lokomotive, sondern
im Bremserhäuschen.
({4})
An folgenden Beispielen möchte ich das verdeutlichen.
Spanien und Großbritannien stellen aus öffentlichen Kassen jährlich 151 bzw. 114 Millionen DM für nationale
Tourismuswerbung zur Verfügung. Selbst das kleine Österreich investiert hier 68 Millionen DM.
({5})
Deutschland fällt mit 42 Millionen DM deutlich zurück.
Beim Vergleich der Pro-Kopf-Ausgaben sind wir sogar
das absolute Schlusslicht der Europäischen Union.
({6})
Marianne Birthler
Während die Schweiz und Österreich nach den Terroranschlägen auf New York und Washington sogar noch zusätzliche Finanzmittel für das Auslandsmarketing bereitstellen, wurde der Antrag der CDU/CSU-Fraktion, die
Mittel für die DZT um bescheidene 6 Millionen DM aufzustocken, von den Koalitionsfraktionen in den Ausschüssen brüsk abgebügelt. Die Begründung lautet, es sei
kein Geld für dieses dringend notwendige Standortmarketing vorhanden bzw. die Union habe keine Deckungsvorschläge eingebracht.
({7})
Gleichzeitig werden innerhalb von kürzester Zeit
500 Millionen DM für die Erhöhung der Kosten der Bundesbauten in Berlin als überplanmäßige Ausgaben deklariert und durch den Haushaltsausschuss abgenickt. Dasselbe geschieht bei den EXPO-Kosten sowie bei den
Kosten für andere aktuelle Ereignisse. Das Totschlagargument, es sei kein Geld für Standortmarketing vorhanden, gilt also nur für gewisse Teilbereiche der Etatplanung.
({8})
Aber nicht nur bei der Etatplanung scheinen andere europäische Regierungen die richtigen Prioritäten zu setzen.
Auch die Steuerpolitik wird von allen anderen europäischen Regierungen innovativ zur Tourismusförderung
eingesetzt. Der in Deutschland gültige normale Mehrwertsteuersatz von 16 Prozent ist im Vergleich zu anderen EU-Ländern niedrig. Betrachten wir aber das personalintensive Hotel- und Gaststättengewerbe und die
Freizeitwirtschaft, dann wenden fast alle europäischen
Konkurrenten einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf
diese Dienstleistungen an. Der Vorteil für unsere unmittelbaren Nachbarn bei den Kosten für die Beherbergung
beträgt in Österreich 6 Prozent, in den Niederlanden 10,
in Frankreich 11,5 und in Luxemburg sogar 13 Prozent.
Dort wird nationale Steuerpolitik zum Standortmarketing
genutzt.
Ich frage die rot-grüne Bundesregierung: Wo bleibt die
versprochene Initiative zur Harmonisierung der Mehrwertsteuersätze? Wo bleibt die Initiative für einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz in Deutschland?
({9})
Wie andere europäische Regierungen ihre Freizeitwirtschaft stützen bzw. wie sie mit hohen Subventionen zur
weiteren Wettbewerbsverzerrung beitragen,
({10})
sieht man am Beispiel der Freizeitparks: Der EuropaPark Rust der mittelständischen Unternehmerfamilie
Mack steht unter anderem in direkter Konkurrenz mit dem
Freilichtmuseum Ecomusée in Ungersheim im Elsass.
Der französische Konkurrent erhielt im Gegensatz zum
Europa-Park eine Startspritze von 30 Millionen DM.
Euro-Disney in Paris erhielt vom französischen Staat sogar 500 Millionen DM. Auch beim ebenfalls in Ungersheim geplanten Bioscope-Freizeitpark beteiligt sich die
französische Regierung mit 120 Millionen DM. Zusätzlich übernimmt Paris eine Beteiligung von 49 Prozent und
damit auch 49 Prozent der Anlaufverluste. Nach der Anlaufphase soll die Beteiligung an die Betreibergesellschaft
Parc Asterix abgetreten werden.
Unser deutscher Mittelstand geht bei Investitionsvorhaben auf Bittstellertour bei den Banken und die französische Konkurrenz wird mit Subventionen hochgepäppelt.
({11})
Unser Mittelstand will keine Subventionen, aber er
möchte Chancengleichheit im europäischen Wettbewerb.
({12})
Ich frage Herrn Wirtschaftsminister Müller: Wo bleibt die
Initiative zur Beseitigung dieser eklatanten Wettbewerbsnachteile für unsere mittelständischen Unternehmen?
({13})
Meine Damen und Herren, Sie sehen: Fragen über Fragen, aber es gibt leider keine Antworten.
({14})
Genau in 54 Tagen, am 1. Januar 2002, erhalten
Deutschland und elf weitere Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine einheitliche Währung: den Euro. Dies
ist ein historischer Augenblick. Dieses Datum stellt gerade für die europäische Tourismusbranche eine große
Chance dar. Denn von Görlitz bis zur Algarve und von
Sizilien bis nach Helsinki sorgt der Euro ab dem 1. Januar
2002 für einzigartige Preistransparenz. Mein Vorwurf an
die rot-grüne Bundesregierung lautet: Durch wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen und Untätigkeit beim Abbau von Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU betrügen Sie Deutschland um seine Chance auf neue
Arbeitsplätze.
({15})
Selbst das von uns initiierte Jahr des Tourismus in
Deutschland haben Sie leider ungenutzt verstreichen lassen.
({16})
Meine Forderung an die Bundesregierung lautet: Sorgen
Sie endlich für fairen Wettbewerb in Europa! Sorgen Sie
endlich für Chancengleichheit in Europa! Sorgen Sie endlich für die Interessen des deutschen Mittelstandes!
({17})
Herr Kollege
Brähmig, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Herr Kollege, würden Sie
mir bitte einmal erklären, wie Sie denn auf die Idee kommen, dass die Bundesregierung im Bereich des Tourismus
im Bremserhäuschen sitzt? Ich möchte Sie nur darauf
hinweisen, dass Sie in Ihrer Regierungszeit die Zahlungen
an die DZT, die in Millionenhöhe erfolgen, gnadenlos herabstufen wollten. Darf ich Sie darauf hinweisen, dass wir
es trotz der von Ihnen übernommenen Staatsverschuldung
geschafft haben, die Zahlungen an die DZT Jahr für Jahr zu
erhöhen und dass wir heute bei 45 Millionen DM liegen?
Sie haben eben von wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen gesprochen. Ich wäre Ihnen dankbar gewesen, wenn Sie heute bei der Mittelstandsdebatte anwesend
gewesen wären. Dann hätten Sie erfahren, was in den letzten drei Jahren alles gemacht wurde. Ich möchte Ihnen
gern ein Beispiel geben, zu dem Sie Stellung beziehen
sollten.
Frau Kollegin,
Sie tun etwas, was Sie bei einer Zwischenfrage nicht machen dürfen, nämlich eine Rede halten. Sie haben sich zu
einer Zwischenfrage gemeldet, die in der Regel aus einer
einzigen Frage besteht.
({0})
Würden Sie mir bitte erklären -
Nein, Frau Kollegin, Sie dürfen nicht weiter fragen. Sie müssen stehen
bleiben, während Sie jetzt Ihre Antwort bekommen.
({0})
Zu dem Vorwurf, ich sei
bei der Mittelstandsdebatte nicht dabei gewesen: Ich habe
sie mir im Fernsehen in meinem Büro angesehen. Ich
denke, meine Kollegen haben mich bei der Diskussion gut
und seriös vertreten. Sie haben den Finger in die offene
Wunde gelegt und die Defizite aufgezeigt. Ich habe angesprochen, was der Wirtschaftsstandort Deutschland dringend braucht.
Frau Kollegin Roth, ich habe einen längeren Brief an
Herrn Staatssekretär Mosdorf zu dem Thema DZT geschrieben. Ich hoffe, dies mildert Ihre Einstellung zu der
Problematik der Förderung. Das ist eine Schallplatte, die
Sie seit dem Dezember 1998 auflegen. Wenn Sie es wünschen, kann ich dies gern noch einmal darstellen. Sie wissen genau wie ich, dass wir uns in der Bundesregierung 1996 dafür eingesetzt haben, dass die DZT
fortbesteht. Wir haben das damals mit Herrn Dr. Kaub
und mit seiner Nachfolgerin, der Geschäftsführerin Frau
Schörcher, vernünftig geregelt.
Es hat Überlegungen gegeben, die Mittel des Bundes
für die Deutsche Zentrale für Tourismus zu reduzieren.
({0})
Allerdings müssen Sie wissen, dass der damalige Verwaltungschef der DZT, Herr Klein, bei uns im Ausschuss zu
Protokoll gegeben hat, er brauche kein Geld vom Steuerzahler, sondern er bringe 50 Millionen DM aus der Portokasse der Wirtschaft mit.
({1})
Natürlich war der damalige Wirtschaftsminister, Herr
Rexrodt, aber auch Finanzminister, Herr Waigel, darüber
nicht böse. Herr Waigel hat schon damals dafür Sorge getragen, dass die Staatsfinanzen konsolidiert werden.
({2})
Das ist keine Erfindung der Regierung Schröder/Fischer.
Nicht erst seit dem Oktober 1998 wird versucht, die
Staatsfinanzen zu konsolidieren, sondern dies war eine
klare Option der Regierung von Helmut Kohl.
Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Sie können dies
bei jeder Gelegenheit in die öffentliche Diskussion bringen. Ich bin gern bereit, noch einmal einen detaillierten
Brief an Herrn Wirtschaftsminister Müller, an Frau Kollegin Irber oder Herrn Mosdorf zu schreiben, wenn dies
gewünscht wird. Allerdings habe ich mich mit Herrn
Staatssekretär Mosdorf insofern geeinigt, als wir das
Thema nach einer gründlichen Klärung im beiderseitigen
Interesse bei dem jetzigen Sachstand belassen. Ich hoffe,
dass Sie sich an diese Abmachung halten. Wenn Sie das
nicht wollen, kann ich mich darauf einstellen.
({3})
Das Wort hat
jetzt der Herr Staatssekretär Mosdorf.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedaure sehr,
Herr Brähmig, dass Sie sich zu Beginn Ihrer Rede darauf
konzentriert haben, bei einem so wichtigen Thema Parteipolemik zu betreiben.
({0})
Ich muss sagen: Sie müssen sich einmal entscheiden,
ob Sie mehr oder weniger Staat wollen. Am Anfang haben
Sie uns vorgeworfen, der Staat würde zu sehr eingreifen.
Nachher haben Sie pausenlos mehr Eingriffe vom Staat
gefordert. Was wollen Sie denn nun? Sie müssen sich
schon entscheiden. Es geht nur eines von beiden.
({1})
Es ist wichtig, dass wir uns mit dem Thema Tourismus
seriös beschäftigen. Seriös heißt, dass wir nicht nur die
Große Anfrage der CDU/CSU gewissenhaft beantworten,
Herr Brähmig. Sie haben sich schließlich nachhaltig auf
die Fakten gestützt, die wir Ihnen als Antwort gegeben haben. Vielmehr müssen wir uns in der jetzigen Situation
mit Sonderfaktoren beschäftigen. Es ist klar, dass in der
Zeit nach dem 11. September weniger interessant ist, wie
viele Mitarbeiter Frankreich oder Italien in ihrer Tourismusbehörde beschäftigen. Von größerem Interesse ist,
wie die weltweiten Auswirkungen der Ereignisse vom
11. September aussehen werden. Dazu haben Sie wenig
gesagt.
({2})
- Das mache ich auch. Warten Sie doch einmal ab! Ich
merke, wie gespannt Sie darauf warten, endlich etwas
Neues zu hören, nachdem Sie von Ihrem Kollegen nichts
Neues erfahren haben. Nach der Rede von Herrn Brähmig
kann ich Ihre Ungeduld verstehen.
Der 11. September bedeutete für die gesamte Dienstleistungswirtschaft, insbesondere für die Tourismus- und
Luftverkehrswirtschaft, einen erheblichen Einschnitt. Die
jetzt vorliegenden Daten belegen, dass das Aufkommen
im Luftverkehr deutlich zurückgegangen ist. So ist beispielsweise das Flugverkehrsaufkommen in Europa seit
dem 11. September um 18,9 Prozent zurückgegangen.
Das hat natürlich auch etwas mit der Entwicklung im Tourismus zu tun. Viele touristische Ziele sind unmittelbar
von den Folgen der Anschläge vom 11. September betroffen. Viele Hotels stehen leer und müssen um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen.
Eines muss man aber klar sagen: Die ersten Zahlen, die
nach dem 11. September veröffentlicht wurden und die
uns jetzt vorliegen, signalisieren, dass jetzt sehr viel mehr
Deutsche im Inland Urlaub machen. Das wollen wir doch
eigentlich - ohne jemanden davon abhalten zu wollen,
drei- oder viermal im Jahr nach Mallorca zu fliegen; das
ist die private Entscheidung jedes Einzelnen -: dass mehr
Deutsche im Schwarzwald, in der schönen Gegend rund
um den Bodensee, an der Ostsee oder im Bayerischen
Wald Urlaub machen. Warum sollen die Deutschen das
nicht tun? Die ersten Zahlen - das ist ganz wichtig - signalisieren einen positiven Trend beim Inlandtourismus.
Sie wissen, dass diese Bundesregierung in den letzten
drei Jahren sehr viel für den Tourismus getan hat. Das hat
sich übrigens in der Tourismusbranche auch herumgesprochen. Sie ist für uns ein wichtiger Partner. Diese
Branche erkennt an, dass wir trotz der erheblichen Konsolidierungsanstrengungen, die wir unternehmen müssen,
weil uns ansonsten die Staatsverschuldung schier zu erdrosseln droht, sehr viel für die Förderung des Tourismus getan haben.
Die Zahlen sind durchaus positiv. Mit 19 Millionen
Ankünften von Touristen aus dem Ausland lag Deutschland weltweit auf Rang zehn der beliebtesten Reiseländer.
Unter den EU-Mitgliedstaaten belegt es Platz 5, wobei
man nicht vergessen darf, dass es in Europa sehr wichtige
und interessante Reiseländer wie Spanien, Frankreich und
Italien gibt, die sehr hohe Touristenzahlen aufweisen. Der
Zuwachs von 10,5 Prozent im Jahr 2001 - bezogen auf die
internationale Reisetätigkeit - lag deutlich über dem von
der Welttourismusorganisation ermittelten Durchschnittswert von 7,4 Prozent. Trotz dieser hohen Vorgabe aus dem
vergangenen Jahr, die hauptsächlich auf die EXPO
zurückzuführen ist, gab es bis August dieses Jahres einen
Zuwachs von 1 Prozent. Ich finde, das ist ein positiver
Grundtrend, der gerade unserer heimischen Wirtschaft
sehr hilft. Das wird auch bestätigt. Die touristischen Regionen merken, dass sich viele für Deutschland interessieren.
({3})
Wir haben die Absicht, dies auszubauen. Das ist der
Grund, Herr Brähmig, warum wir seit unserem Regierungsantritt die DZT gestärkt haben. Deshalb sollten Sie
nicht von Einigung mit mir sprechen, wenn es um die Sache geht; denn die DZT bekam - das ist völlig unstrittig 1997 Zuwendungen in Höhe von 35 Millionen DM.
({4})
Das ist Fakt. Theo Waigel hat damals angekündigt - dafür
kann Herr Brähmig nichts -, dass die Höhe der Zuwendungen auf 20 Millionen gesenkt werden müsste.
({5})
- Dafür könnt ihr Herrn Brähmig keine Schuld geben. Er
hat doch auf Theo Waigel gar keinen Einfluss gehabt.
Wenn man keinen Einfluss auf die Politik hat, dann darf
man sich auch nicht wundern.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Feibel?
Nein, ich
möchte gerade die Ungeduld des Abgeordneten mit neuen
Fakten befriedigen. Deshalb möchte ich fortfahren.
Wir haben die Zuwendungen an die DZT um über
20 Prozent erhöht. Im nächsten Jahr werden 44 Millionen DM an die DZT fließen.
({0})
Das ist eine Riesenleistung, wenn man bedenkt, dass wir
gleichzeitig einen Haushalt mit einer enormen Staatsverschuldung sanieren. Das wird auch fortgesetzt werden,
weil wir der Auffassung sind, dass die enormen Potenziale
der Tourismusbranche international stärker vermarktet
werden müssen. Das werden wir weiterhin engagiert tun.
Die DZT ist für uns eine wichtige Agentur. Die Probleme,
die die DZT während Ihrer Regierungszeit hatte, sind
- Gott sei Dank - überwunden. Ich bin froh darüber; denn
wir haben mit der DZT einen Partner in der wichtigen
Tourismusbranche, den wir dringend brauchen, gerade
wenn wir viele unserer Freunde aus Amerika und Asien
für Deutschland interessieren wollen.
Im Bereich des Welttourismus ist auch in Zukunft mit
guten Wachstumsraten zu rechnen; davon bin ich überzeugt. Wir werden alles tun müssen, um unseren Anteil an
diesem Welttourismus weiter zu erhöhen. Die Bundesregierung wird deshalb ihre Konzeption weiter verfolgen:
Stärkung des Mittelstands, Fortführung der Steuerreform
mit den entsprechenden Wirkungen, weitere Entlastung
des Staates mit der gleichzeitigen Chance, auch investiv
etwas zu tun, und Fortsetzung der Investitionsförderung
mittels Gemeinschaftsaufgabe. Das betrifft gerade die
Tourismusbranche. Sie wissen, dass wir auf diesem Feld
sehr viel investiert haben. Es handelt sich um einen dreistelligen Millionenbetrag, der der Tourismusbranche zugute kommt. Auch für die neuen Bundesländer spielen
diese Maßnahmen eine große Rolle; ich denke speziell an
die Ziel-1-Gebiete. Unsere Kollegen aus den neuen Bundesländern wissen das; auch Sie, Herr Brähmig, wissen
das. Wir machen eine Menge. Sie sollten unsere Aktivitäten nachhaltig unterstützen. Dann haben wir eine gute
Chance voranzukommen.
Das Jahr des Tourismus hat inzwischen positive Ergebnisse. Wir haben das Projekt gemeinsam auf die
Schiene gesetzt und daran gearbeitet; das war nicht einfach. Ich möchte mich ausdrücklich bei allen Mitgliedern
des Hauses herzlich dafür bedanken, dass sie das Jahr des
Tourismus nachhaltig unterstützt haben. Es handelt sich
um ein ganz wichtiges Projekt.
({1})
Aus der Idee ist eine starke Gemeinschaftsaktion geworden. Insbesondere durch das Sponsoring der Bahn,
der Post und der Reisebranche wird es ein erfolgreiches
Jahr werden. Wenn wir nächstes Jahr das Jahr des Ökotourismus ausrufen - auch als UNO-Thema, das uns
ebenso in Bezug auf Nachhaltigkeit berührt; es handelt
sich um eine besondere Qualität von Tourismus, auf die
gerade Gäste in Deutschland Wert legen -, dann ist das
eine Verlängerung der Aktivitäten, die wir eingeleitet haben, um den Tourismusstandort Deutschland zu stärken.
Wir glauben, dass wir exzellente Angebote haben, und
zwar sowohl in den neuen als auch in den alten Bundesländern. Wir sollten alles tun, um diese Angebote international zu vermarkten; nach dem 11. September zwar in einem schwierigeren Umfeld, aber in einem Umfeld, in dem
die Menschen gerade auf Nachhaltigkeit und Qualität
Wert legen.
Vielen Dank.
({2})
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Feibel das Wort.
Herr Staatssekretär
Mosdorf, Sie haben leider keine Zwischenfrage zugelassen. Deshalb bin ich dafür dankbar, meine Meinung zu
Ihren Auslassungen auf diese Weise kundtun zu können.
Die Sondersituation nach dem 11. September - es gibt
wirklich eine Sondersituation - hätte es angebracht erscheinen lassen, dass Sie heute auf diese Problematik eingegangen wären.
({0})
Das haben Sie leider nicht gemacht. Die Sondersituation
für die Reisebranche in Deutschland bedeutet, dass sowohl bei den Reiseveranstaltern als auch bei den Reisemittlern derzeit ein Einbruch von 25 bis 30 Prozent festzustellen ist. Das sind gigantische Zahlen.
Vor allen Dingen gilt das, wenn man nicht - wie Sie
und Ihr Minister - immer nur die Umsatzzahlen, sondern
auch die Renditezahlen dieser Branche betrachtet. Die
Renditerate liegt seit Jahren bei 0,6 bis 0,8 Prozent.
({1})
Ich kenne kaum eine andere Branche, die eine so geringe
Umsatznettorendite hat. Man muss sich vorstellen, was es
vor dem Hintergrund einer solch geringen Rendite bedeutet, wenn der Umsatz um 25 bis 30 Prozent einbricht.
Die betroffenen mittelständischen Unternehmen erwarten keine Subventionen, wie das hier ständig in Zwischenrufen behauptet wird. Die Bundesregierung muss
sich aber überlegen, in welcher Weise sie diesem Gewerbe
behilflich sein kann. Die Reisebranche will keine Bürgschaften oder Hilfen in Höhe von 100 Millionen DM, wie
das bei der Bauwirtschaft geschehen ist, wo der Bundeskanzler als Retter erschienen ist. Das muss auf diesem
Feld nicht sein.
Aber irgendwo hat auch die Tourismusbranche in
Deutschland eine gewisse Gleichbehandlung einzufordern. Eine solche Gleichbehandlung haben Sie heute leider nicht in Aussicht gestellt. Deshalb würde ich Sie darum bitten: Vielleicht nutzen Sie die Gelegenheit der
Erwiderung auf meine Intervention dazu, einmal darzulegen, was die Bundesregierung nun wirklich zu tun gedenkt, um in dieser außerordentlich schwierigen Situation
insbesondere den mittelständischen, aber auch den großen
Unternehmen das Überleben zu sichern. Es geht in dieser
Branche auch um etliche tausend Arbeitsplätze und es
geht natürlich auch darum, dass die ganze Hotellerie und
Gastronomie in Europa in Mitleidenschaft gezogen wird.
Sicherlich ist es erfreulich, dass in Deutschland die Umsätze steigen, und es ist sicherlich auch erfreulich, dass bei
den erdgebundenen Transportmitteln Umsatzzuwächse zu
verzeichnen sind. Aber insgesamt haben Sie das eigentliche Problem, nämlich das Problem der Zeit nach dem
11. September, nicht angesprochen und Sie haben keine
Perspektiven eröffnet. Darum möchte ich Sie jetzt sehr
herzlich bitten.
({2})
Verehrter Herr
Kollege Feibel, Sie sind erst seit Ende 1999 in diesem Hohen Hause.
({0})
- Sie wissen doch noch gar nicht, was ich sagen will.
Seien Sie nicht so aufgeregt, seien Sie ganz ruhig! - Ich
freue mich sehr darüber, dass wir mit Ihrem Sachverstand
im Tourismusausschuss eine gute Ergänzung bekommen
haben. Sie kommen aus der Branche und kennen sich da
gut aus.
({1})
Das ändert nichts daran, dass wir heute eine Große Anfrage Ihrer Fraktion zu beantworten hatten, in der es um
viele Detailfragen geht, aber nicht um die eigentlich wichtige Frage der Situation nach dem 11. September. Wir
müssen uns in der Regierung damit pausenlos beschäftigen. In den neun Minuten meiner Redezeit konnte ich
nicht alle Details darlegen. Das werden Sie verstehen. Ich
bin aber gern bereit, Ihnen das noch einmal im Detail
darzulegen.
Sie haben jetzt vor allem die Reiseveranstalter angesprochen, die in der Tat am meisten davon betroffen sind.
Wir wissen, dass es in der heimischen Tourismuswirtschaft eher positive Signale gibt. Da bemerkt man auch
leichte Gesteinsverschiebungen, indem manche sagen:
Bevor ich dahin oder dorthin fliege, mache ich lieber Urlaub zu Hause. - Das ist ein positiver Trend, den wir eigentlich erreichen wollten.
({2})
Bei den Reiseveranstaltern und den Reisemittlern spielt
diese Frage der Buchung von Fernreisen, insbesondere
von Flugreisen, aber in der Tat eine ganz große Rolle. Das
ist keine Frage.
Deshalb noch einmal meine Bitte: Lassen Sie uns die
Branche insgesamt betrachten. Die Branche insgesamt
umfasst auch unsere Hotellerie und Gastronomie und diejenigen, die in der heimischen Tourismusbranche tätig
sind und die jetzt positive Zahlen verspüren. Auch dies registrieren wir. Wir sind dabei, uns an vielen Fronten mit
einer Reihe von schwierigen Fragen, auch wirtschaftlich
schwierigen Fragen der unmittelbaren Auswirkungen des
11. September zu befassen.
Gegenstand der heutigen Debatte ist jedoch die Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU,
auf die wir sehr faktenreich, zum Beispiel auch mit einer
ganzen Reihe von Umfragen, die in europäischen Nachbarstaaten durchgeführt worden sind, antworten. Was
Herr Brähmig und Sie angesprochen haben, sind alte Themen, zum Beispiel die Steuerharmonisierung. - Herr
Brähmig, schütteln Sie nicht den Kopf! Sie haben uns
keine harmonisierten Steuern hinterlassen.
Wir und auch der Bundesfinanzminister arbeiten an
vielen Fronten und in vielen Bereichen an der Harmonisierung. Da brauchen wir Ihre Unterstützung, aber nicht
Ihre Polemik.
({3})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Ernst Burgbacher.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit
einem Wort zum 11. September beginnen. Die FDP-Fraktion hat gestern einen Antrag im Deutschen Bundestag
eingebracht, in dem ein ganzes Bündel von Maßnahmen
zur Abfederung der Folgen des 11. September vorgeschlagen wird. In den fünf Minuten Redezeit habe ich jetzt
keine Möglichkeit, das alles hier darzustellen. Auf einen
einzigen Punkte möchte ich aber schon eingehen.
Sicherheit ist eine staatliche Hoheitsaufgabe. Es kann
nicht sein, dass wir auf der einen Seite eine höhere Sicherheit vorschreiben, höhere Standards verlangen und
dass wir auf der anderen Seite das alles auf die Reisebüros, Veranstalter und Kunden überwälzen. Der Staat hat
die Aufgabe, hier einzutreten.
({0})
Ich möchte jetzt auf das Thema der heutigen Aussprache kommen. Verehrter Herr Staatssekretär Mosdorf, Sie
haben am Thema vorbei argumentiert. Das Thema heißt:
Rahmenbedingungen für die Tourismuswirtschaft in der
Europäischen Union. Worum geht es denn? Zum 1. Januar 2002 wird der Euro als Bargeld eingeführt. Das wird
die Landschaft im Tourismus, den Wettbewerb im Tourismus selbstverständlich verändern. Dem Kunden, auch
dem Privatkunden, ist es dann ziemlich egal, ob er in Kehl
oder in Straßburg, in Maastricht oder in Aachen, in Lindau oder in Bregenz übernachtet. Das wird Folgen für die
stark mittelständisch geprägte Tourismuswirtschaft haben. Der Hinweis von vorhin war schon richtig. Ich habe
die Mittelstandsdiskussion, die heute stattfand, hier im
Plenarsaal verfolgt. Wir können an das, was da gesagt
wurde, unmittelbar anknüpfen: Es geht nicht um irgendwelche tollen Programme oder um das Leeren des Subventionstopfes, sondern darum, dass unsere mittelständische Wirtschaft Wettbewerbsbedingungen vorfindet, die
einen fairen Wettbewerb mit unseren Nachbarländern
ermöglichen. Das ist die Kernfrage.
({1})
Ich bin überzeugt, dass unser Mittelstand in diesen
Wettbewerb eintreten wird. Er ist leistungsfähig und er
verfügt über eine hohe Qualität. Jetzt ist die Politik gefordert, auf das Datum 1. Januar 2002 hin bestimmte Dinge
zu verändern.
Erstens. Wenn in unseren Nachbarländern, zum Beispiel in Frankreich - Kollege Brähmig hat es erwähnt -,
Freizeitparks mit Subventionen in Millionenhöhe beglückt werden,
({2})
was bei uns zum Glück nicht der Fall ist, dann hat unsere
Bundesregierung die Aufgabe, durch ein entsprechendes
Eintreten bei der EU dafür zu sorgen, dass das nicht länger der Fall ist.
({3})
Zweitens. In den Ländern der Europäischen Union gibt
es unterschiedliche Mehrwertsteuersätze. Das war zwar
in der Vergangenheit hinzunehmen, ist es aber nicht mehr
nach der Euroeinführung. Deshalb muss für die Hotellerie jetzt ein reduzierter Mehrwertsteuersatz eingeführt
werden.
({4})
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mosdorf?
Eine Frage des Abgeordneten Mosdorf gestatte ich immer gern.
Lieber Herr Kollege
Burgbacher, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass
das Bundesfinanzministerium und damit unsere Bundesregierung bei der EU-Kommission die Überprüfung dieser Subventionen veranlasst hat?
({0})
Herr Abgeordneter
Mosdorf, wenn das so ist, dann begrüße ich das ausdrücklich.
({0})
Ich nehme das sehr gern zur Kenntnis.
({1})
Wir diskutieren hier allerdings über Rahmenbedingungen. Ich bitte Sie wirklich, dieses Anliegen zu verfolgen;
denn die jetzige Situation ist für unsere privaten Unternehmer ein riesiges Problem.
({2})
Ich komme auf einen weiteren Punkt zu sprechen. In
allen 15 Mitgliedsländern der Europäischen Union wird
theoretisch das Trinkgeld besteuert. Faktisch findet diese
Besteuerung aber in 10 von 15 EU-Ländern überhaupt
nicht statt. Ich finde die entsprechende Antwort der Bundesregierung interessant; denn auf meine Anfrage vor
zwei Jahren hat die Bundesregierung noch etwas ganz anderes gesagt.
({3})
Was bedeutet die unterschiedliche Steuerpraxis für die
heimische Wirtschaft? Bei uns bekommt ein Kellner einen Steuerbescheid - ich habe das neulich in Berlin wieder erfahren -, der ihn zu einer Nachzahlung in Höhe von
7 000 DM verpflichtet. Ein anderes Beispiel: Ein Hotel
mit Restaurantbetrieb am Rhein hat einen Bescheid über
eine Nachzahlung in Höhe von 26 000 DM Sozialbeiträge
plus 11 000 DM Säumniszuschlag bekommen, beruhend
auf Schätzungen über die Höhe von Trinkgeld. In den anderen Ländern lacht man darüber, weil dergleichen bei ihnen überhaupt nicht kontrolliert wird.
({4})
Das geht nicht. Deshalb sage ich: Die Trinkgeldbesteuerung muss weg, und zwar lieber heute als morgen.
({5})
Den Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU muss
ich sagen: Ich bitte Sie wirklich, endlich über Ihren Schatten zu springen und dem FDP-Antrag zuzustimmen.
({6})
Es gibt ein weiteres Problem. Es gibt in der Europäischen Union sehr viele unterschiedliche Auflagen,
Standards und Normen, unter denen gerade kleine und
mittlere Betriebe sehr leiden. Fragen Sie einmal in einem
deutschen Hotel oder in einem Restaurant am Rhein, was
kontrolliert wird, und dann tun Sie dasselbe im angrenzenden Ausland. Wir müssen ganz einfach zur Kenntnis
nehmen, dass es für die Betriebe um unterschiedliche
Kosten geht. Dieses Problem muss untersucht und Änderungen müssen vorgenommen werden.
Selbstverständlich muss auch noch anderes getan werden. Herr Staatssekretär Mosdorf, Sie haben darauf hingewiesen. Wir müssen die Strukturen beim Deutschlandtourismus verändern. Wir müssen auch mehr Geld für die
Deutsche Zentrale für Tourismus aufbringen.
Noch eines sei zu diesem Thema gesagt: Ich möchte
nicht, dass ein Einstieg in eine europäische Tourismuspolitik stattfindet. Ich bin sehr wohl dafür, einheitliche
Daten zu erheben und aussagefähige Statistiken zu erstellen. Ich wende mich aber dagegen, etwa Kompetenzen an
Brüssel abzugeben.
({7})
Die entsprechenden Aufgaben können wir sehr gut alleine
und im internationalen Wettbewerb bewältigen.
Ich komme zum Schluss. Die FDP hat im Zusammenhang mit der Beratung der Beantwortung der Großen Anfrage einen Entschließungsantrag vorgelegt. Er beinhaltet, Herr Staatssekretär, eine ganz konkrete Auflistung
von Dingen, die jetzt zu tun sind und auch in der Debatte
angesprochen wurden, um unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen fit für den Euro zu machen. Ich
bitte Sie sehr herzlich, das aufzugreifen, und Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen, diesem Antrag zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
({8})
Die Kollegin
Sylvia Voß hat gebeten, Ihre Rede zu Protokoll geben zu
können.1) Sind Sie damit einverstanden? - Dann verfahren wir so.
Jetzt hat das Wort die Abgeordnete Rosel Neuhäuser.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon oft gesagt wor-
den, dass wir heute über die Antwort der Bundesregierung
auf die Große Anfrage Rahmenbedingungen für die Tou-
rismuswirtschaft innerhalb der Europäischen Union und
einen Entschließungsantrag der FDP diskutieren. Ich kann
vorneweg sagen, dass wir die Antwort zur Kenntnis neh-
men, den Antrag der FDP aber leider aus verschiedenen
Gründen ablehnen werden.
Beim Durchlesen der Großen Anfrage haben wir oft
darüber nachgedacht, ob wir die Antworten kommen-
1) Anlage 2
tieren sollen oder ob wir nicht lieber überlegen sollten,
inwieweit wir die Rahmenbedingungen für die Tourismuswirtschaft innerhalb der EU verbessern und die
Tourismuswirtschaft unterstützen können. Wir sind uns
sicherlich darüber einig, dass, obwohl sich die Tourismuswirtschaft in den letzten Jahren als sehr krisenfest
erwiesen hat, nach dem 11. September nichts mehr ist,
wie es einmal war, denn die Tourismusbranche wurde von
diesen Ereignissen besonders betroffen. Viele Destinationen auf allen fünf Kontinenten verzeichnen riesige
Einbrüche. Einige Zahlen hat Herr Mosdorf hier dargestellt.
Fluggesellschaften, Reiseveranstalter, die Hotellerie
und weitere nachfolgende bzw. angegliederte Dienstleistungsunternehmen sehen sich einer schwierigen Situation
gegenüber. Diese Situation macht es notwendig, dass die
für den Tourismus zuständigen nationalen und europäischen Institutionen einen wirksamen Beitrag zur Entwicklung des Tourismus leisten. Das heißt, dass sich die
europäischen Länder möglichst an gemeinsamen Zielen
bei der Entwicklung des Tourismus orientieren. Das bedeutet aber auch, dass man sich darüber klar werden muss,
wie die Akteure aller Ebenen des europäischen Tourismus
die nachhaltige Entwicklung der Branche durch Verbesserung der föderalen Zusammenarbeit unterstützen können. Obwohl die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Tourismus, die Chancen, die er bietet, und
seine zunehmend grenzüberschreitenden Verflechtungen
analysiert wurden, bleibt sein Potenzial oft noch ungenutzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wussten Sie eigentlich, dass innerhalb der Europäischen Union die technischen Standards - Herr Burgbacher hat darauf hingewiesen - und nicht nur diese so weit auseinander driften,
dass beispielsweise im grenzüberschreitenden Schienenverkehr zwischendurch die Loks gewechselt werden müssen, weil die nationalen Eisenbahnsysteme untereinander
nicht kompatibel sind? Wissen Sie auch, wie oft ich umsteigen muss, um von meinem Heimatort Seebach oder
aus Eisenach nach Bordeaux zu kommen, um vielleicht
einmal einen guten Rotwein zu trinken? Das gilt auch für
andere Richtungen, zum Beispiel für die Verbindung nach
Oslo. Wussten Sie, dass die Qualifikationsmerkmale sehr
unterschiedlich und die sozialpolitischen Bedingungen
sowie Gesundheits- und Arbeitsschutzbestimmungen für
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überall anders
sind?
Genau diese Details stehen aber nicht im Vordergrund,
wenn man Europa nur als Reiseland sieht, an dessen inneren Grenzen man keinen Pass mehr zeigen muss und in
dem es ein einheitliches Zahlungsmittel gibt. Offensichtlich geht es aber in der europäischen Politik um weit mehr.
Wohin soll also die Reise gehen? Wenn man über Rahmenbedingungen und über Wettbewerbsbedingungen im
Euroland spricht, dann können wir nicht nur an betriebswirtschaftliche Probleme wie höchste Qualität der Produkte, gleiche Marktzugangsbedingungen für alle Unternehmen oder umweltfreundliche Produkte denken. Es
geht nämlich in diesem Bereich um mehr. Es muss auch
um den Wettbewerb um die geringste Arbeitslosigkeit und
um hohe soziale Standards gehen. Nur in dieser Kopplung
sehe ich eine Chance, in den unterschiedlich entwickelten
Regionen regionale Wirtschaftskreisläufe aufzubauen,
die dazu führen, dass die Menschen sozial abgesichert
werden und dadurch natürlich auch die Kaufkraft gestärkt
wird.
Wenn wir über die Rahmenbedingungen der Tourismuswirtschaft in einem gemeinsamen Europa reden, dann
ist es sicherlich auch notwendig, über eine Harmonisierung der Steuern nachzudenken. Entsprechend einer Initiative des Europaparlaments war es möglich, unter anderem arbeitsintensive Leistungen mit einem ermäßigten
Mehrwertsteuersatz zu belegen. Tatsächlich entschied
sich ein Großteil der europäischen Länder - darunter allerdings nicht Deutschland -, diese Möglichkeit mit ihren
eventuellen positiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt wenigstens zu testen. Selbstverständlich könnten
wir einer Erhöhung des Freibetrags für freiwillig gegebene Trinkgelder zustimmen.
Es müssen aber durchgängige Regelungen für alle betroffenen Branchen getroffen werden. Das Gastgewerbe
darf nicht bevorteilt werden. Es gibt auch noch andere
Branchen in diesem Dienstleistungsgewerbe.
({0})
Wir plädieren für eine Anhebung der bisherigen Niedriglöhne, die gerade in diesem Bereich geläufig sind. Wir
sind für gesicherte Einkünfte der Beschäftigten statt steuerfreier Trinkgeldgeschenke.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat
jetzt der Kollege Hinsken.
Werte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als die CDU/CSUFraktion diese Anfrage eingereicht hat, wussten wir nicht,
was auf uns zukommt. Damals war die Welt noch in Ordnung. Seit dem 11. September hat sie sich verändert. Gerade im Tourismusbereich müssen wir feststellen, dass
dieser 11. September ein besonders schwarzer Tag war. Er
wirkt sich katastrophal auf das Reisegeschehen und auf
alles, was dazugehört, aus. Wir können und müssen täglich feststellen, dass immer neue Hiobsbotschaften über
uns hereinbrechen.
So hörten wir gestern, dass wieder eine der ältesten europäischen Fluggesellschaften, die belgische Sabena,
Pleite gemacht hat.
({0})
Wir nehmen zur Kenntnis, dass allein in den ersten sechs
Wochen seit dem 11. September die Buchungen in den
Reisebüros um 75 000 zurückgegangen sind; das
entspricht 15 Prozent. Das sind fundierte Zahlen, die
von Start Amadeus, einer Buchungsgesellschaft, geliefert wurden. Wir müssen feststellen, dass gerade die
Deutschen ihre Ferienplanung für die Wintermonate ausgesetzt haben und eine kleine Pause einlegen.
Ich meine aber auch, dass ein kleiner Hoffnungsschimmer vorhanden ist. Wir können jetzt feststellen, dass
die Buchungen seit einigen Tag wieder anziehen. Gerade
wir Deutsche als Reiseweltmeister haben allen Anlass, alles zu tun, um den Mitbürgern die schönsten Tage, die
schönsten Wochen des Jahres zu verschönern und sie teilhaben zu lassen, damit sie diese Zeit so verbringen können, wie sie das wünschen. Deshalb sind jetzt nicht nur die
Reisewirtschaft, die Carrier und alle, die in diesem Bereich beschäftigt sind, sondern auch wir Politiker aufgefordert, die Ängste zu nehmen und vor allen Dingen den
Verunsicherungen zu begegnen.
({1})
Allerdings muss ich sagen, dass Patentrezepte für den
Umgang mit der Krise bislang noch nicht gefunden worden sind. Wenn wir aber alles daran setzen, das Vertrauen
in das Reisen wieder herzustellen, dann leisten wir einen
großen Beitrag dazu, dass sich die Tourismuswirtschaft
wieder erholen und weiterentwickeln kann.
Ich möchte das aufgreifen, was Staatssekretär Mosdorf
hier gesagt hat. Er hat ohne Zweifel gerade auf dem Tourismussektor einige Akzente gesetzt und gute Arbeit geleistet.
({2})
Darum bedauere ich es, dass er in den nächsten Deutschen
Bundestag nicht mehr einziehen möchte. Die SPD wird
durch diesen Verlust ärmer. Das sage ich, weil ich so empfinde. Ich meine schon, Herr Staatssekretär Mosdorf, sagen zu dürfen, dass die Bundesregierung richtig gehandelt
hat, weil sie sich bereit erklärt hat, die übernommene Haftungsgarantie für die Airlines bis Ende Januar zu verlängern.
Es handelt sich aber um eine weitere Wettbewerbsverzerrung, wenn deutsche Fluggesellschaften künftig für die
Garantie ein Entgelt zahlen müssen, aber andere Länder
wie Großbritannien oder Portugal den Unternehmen eine
kostenlose Haftungsübernahme anbieten. Renommierte
Verkehrspolitiker wie der Vorsitzende des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages, Herr Kollege
Oswald, sind hier anwesend. Ich bitte deshalb darum, dass
man gerade vonseiten der Verkehrspolitik Einfluss nimmt,
dass in diesem Bereich die Wettbewerbsverzerrungen innerhalb Europas nicht weiter verschärft werden, sondern
dass man endlich harmonisiert, was insbesondere die deutsche Tourismuswirtschaft dringend braucht.
({3})
Herr Staatssekretär Mosdorf hat bezüglich des Tourismus von der Erdgebundenheit gesprochen; Klaus Brähmig
und Ernst Burgbacher haben diesen Punkt ebenfalls angesprochen. Wenn wir aus der aktuellen Situation Kapital
schlagen wollen - wir wissen nämlich, dass die Menschen
zwar nicht mehr so viel fliegen, aber auf den Urlaub nicht
verzichten wollen -, dann müssen wir alles tun, um die vielen Wettbewerbsverzerrungen, die wir in der Bundesrepublik Deutschland haben, endlich zu beseitigen.
({4})
Ich fordere deshalb, dass die Rahmenbedingungen verbessert werden. Sonst kann sich unser Land als Reiseziel
gegenüber den Mitkonkurrenten auf der europäischen
Ebene nicht behaupten, weil die Urlauberströme an unserem Land vorbeiführen.
({5})
Ich sage das deshalb, weil innerhalb Europas und auch
innerhalb der Bundesrepublik Deutschland 83 Prozent der
Urlaubsreisen und der Tagesausflüge mit dem PKW bzw.
mit dem Omnibus unternommen werden. Ich möchte dazu
anmerken, verehrte Frau Kollegin Irber, dass die Bundesrepublik Deutschland das Land ist, das innerhalb der Europäischen Union, ja weltweit mit Abstand die höchsten Steuern auf Benzin hat, nämlich 72 Prozent. Nehmen wir uns
ein Beispiel an Österreich. Dort liegt die Steuerbelastung
um 10 Prozentpunkte niedriger, nämlich bei 62 Prozent.
({6})
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Roth?
Selbstverständlich
gerne.
Bitte.
Herr Kollege, Sie beschweren sich über die Wettbewerbsverzerrungen. Würden Sie mir bitte einmal erklären, wie es sein kann, dass
die Bundesregierung das Rabattgesetz und die Zugabeverordnung abgeschafft hat, weil sie für unsere Unternehmen wettbewerbsschädigend waren, dass aber die
CDU/CSU-Fraktion dagegen gestimmt hat? Sie hat in
diesem Punkt die Bundesregierung nicht unterstützt und
nicht klar gesagt, dass das Rabattgesetz und die Zugabeverordnung wettbewerbsschädigend waren. Sie haben der
Abschaffung nicht zugestimmt.
({0})
Verehrte Frau Kollegin
Roth, gerade im Hinblick auf die Abschaffung des Rabattgesetzes haben wir immer wieder gesagt, dass einige
positive Aspekte zu verzeichnen sind. Wir haben aber
auch mit Vertretern von Verbänden, beispielsweise von
Reisebüroverbänden, gesprochen, die von der Abschaffung negativ betroffen sind. Solange es in der Europäischen Union keine Harmonisierung auf diesem Gebiet
gibt und solange es zu weiteren Wettbewerbsverzerrungen kommt, ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die
Union dagegen stimmt; denn wir sind nur für ganze und
nicht für halbe Sachen.
({0})
Ich habe eben gesagt, dass die steuerliche Belastung
von Benzin in Österreich viel niedriger ist als bei uns.
({1})
Gerade bezogen auf die Ökosteuer haben Sie ja die Möglichkeit, diejenigen, die mit dem Auto in Urlaub fahren
möchten, zu entlasten. 28 Pfennig sind es ab dem 1. Januar kommenden Jahres. Das bedeutet für einen Norddeutschen, der Urlaub in Süddeutschland verbringen
möchte, oder für einen Süddeutschen, der Urlaub an der
Nord- oder Ostsee verbringen möchte, bei 200 Liter Sprit,
die er benötigt, eine Mehrbelastung von weit über 50 DM.
50 DM entsprechen bei uns in Bayern: einem Mittagessen
für eine vierköpfige Familie.
({2})
Das muss in dieser Debatte einmal gesagt werden.
In keinem anderen Land greift der Staat als Fiskus dem
einzelnen Bürger und dem Autofahrer tiefer in die Tasche
als bei uns.
({3})
Das ist aber noch nicht alles. Wir müssen leider feststellen, dass die Ökosteuer für die Hotellerie und die Gastronomie weitere negative Auswirkungen hat. Es kann nicht
von der Hand gewiesen werden, dass ein mittelständischer Betrieb mit 40 bis 50 Betten durch die Ökosteuer
Jahr für Jahr mit 10 000 DM belastet wird. Das Geld fällt
für ihn nicht als Manna vom Himmel, sondern er muss es
erwirtschaften. Er kann es nur erwirtschaften, indem er
die Öktosteuer umlegt. Dies führt zu einem höheren Preis.
Und aufgrund des höheren Preises sind die Leute dann
nicht mehr bereit, den Urlaub bei ihm zu verbringen. Sie
gehen dann ins Ausland, wo diese Belastungen nicht zu
tragen sind.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Irber?
Ja, gerne.
Bitte sehr.
Kollege Hinsken, ist Ihnen
bekannt, dass wir im Jahr 2000 die höchsten jemals statistisch erfassten Übernachtungszahlen in Deutschland zu
verzeichnen hatten, nämlich 326 Millionen Übernachtungen, und dies trotz Ökosteuer?
({0})
Sie sagen es selbst, Frau
Kollegin Irber, trotz Ökosteuer. Es wären nämlich viel
mehr gewesen, gäbe es diese Ökosteuer nicht,
({0})
weil dann Urlaub bei uns in der Bundesrepublik Deutschland interessanter geworden wäre. Ich bin Ihnen für diese
Zwischenfrage, die Sie ja teilweise schon selbst beantwortet haben, dankbar.
({1})
Meine Damen und Herren, es ist ja nicht nur diese
Wettbewerbsverzerrung festzustellen. Es geht auch um
verschiedene andere Dinge, die uns belasten, die uns bewegen müssen. Ich frage Sie und frage uns alle: Erstens.
Warum ist in zwölf Ländern der Europäischen Union
- das ist auch Thema unserer Anfrage - die Mehrwertsteuer im Beherbergungsbereich niedriger als bei uns?
({2})
Zweitens. Warum ist in zehn Ländern der Europäischen
Union die Mehrwertsteuer im Freizeitbereich niedriger
als bei uns?
({3})
Drittens. Warum ist in acht Ländern der Europäischen
Union der Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie niedriger als bei uns?
({4})
Das ist doch deshalb so, weil die Bundesregierung hier
nicht schaltet und weil sie das Interesse der Tourismuswirtschaft nicht so im Auge hat, wie es sein könnte.
({5})
Ich frage des Weiteren, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Worauf führen Sie es zurück - und ist das EU-konform? -, dass die Griechen jetzt ein Kopfgeld von 78 DM
pro Urlauber einführen?
({6})
- Passen Sie auf, sonst wissen Sie nicht Bescheid, und
wenn Sie nicht Bescheid wissen, können Sie nicht mitreden! Nur, damit das klar ist. Durch Schreien allein wird
man nicht klug.
({7})
- Sie müssen zuhören und überlegen. Sie können auch
aufstehen und sich zu einer Zwischenfrage melden. Dann
bekommen Sie auch eine Antwort von mir.
Ist es EU-konform, meine Damen und Herren, wenn,
wie ich vor vier Wochen in Erfahrung brachte, in Spanien
Senioren über 60 Jahre in Ein-, Zwei-, Drei- und VierSterne-Hotels in saisonschwachen Zeiten den Urlaub um
20 bis 30 Prozent billiger verbringen dürfen als sonst? Das
ist doch wettbewerbsverzerrend. Wenn bei uns ein Vorschlag kommt, der in diese Richtung geht, dann wird das
verneint. Bei uns heißt es immer: Das geht nicht.
({8})
Geht nicht gibts nicht. Wir müssen überlegen, was wir
tun können und was wir tun müssen, um der Tourismuswirtschaft auf die Beine zu helfen.
({9})
Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit weit überschritten.
Verehrte Frau Präsidentin, ich danke Ihnen herzlich für Ihre Nachsicht. Aber das
war notwendig, damit ich vor allen Dingen den Kolleginnen und Kollegen auf der linken Seite einiges an Nachhilfeunterricht erteilen konnte.
Unser aller Aufgabe ist es - gerade jetzt vor dem Wechsel von der D-Mark zum Euro -, alles zu tun, damit sich
die deutsche Tourismuswirtschaft in Europa und auch
weltweit behaupten kann.
Herzlichen Dank.
({0})
Nun hat der Kollege
Eckhard Ohl das Wort für die SPD-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr
Hinsken, um Sie kennen zu lernen, würde ich selbst dann
nach Bayern fahren, wenn die Ökosteuer 50 Pfennige betrüge, so sympathisch sind Sie mir durch Ihren Vortrag
eben geworden.
({0})
Sehr verehrte Damen und Herren der CDU/CSU-Fraktion, Sie stellen eine merkwürdige Große Anfrage, indem
Sie in der Einleitung bereits mit Unterstellungen und
Schlussfolgerungen arbeiten, das dazu gehörige Faktenwissen dann aber erst abfragen.
({1})
Deshalb ist sicherlich kein Böser, wer da Schlimmes
denkt. Trotzdem sind die Fragen zum Tourismus im umfassenden Sinne sehr informativ
({2})
und eine gute politische Möglichkeit, um ein positives Resümee unserer Tourismuspolitik zu ziehen und auf durchaus vorhandene Reserven aufmerksam zu machen.
Die Welttourismusorganisation ermittelt - trotz hoher Schwankungen in den vergangenen Jahren - stets ein
über den anderen Branchen liegendes Wachstum und prognostiziert dies auch für die kommenden Jahre.
({3})
So ist weltweit die Zahl der Touristen im Jahr 2000 um
7,4 Prozent auf fast 700 Millionen gestiegen. Die von der
Europäischen Union eingesetzte High-Level-Group
schätzt anhand der aktuellen Entwicklung, dass die Zahl
der internationalen individuellen Touristenbewegungen
in Europa zwischen 1995 und 2010 um 57 Prozent zunehmen werde. Das ist für 2,8 Millionen Beschäftigte in
Deutschland eine erfreuliche Prognose, die sich in den
letzten Jahren mehr als bewahrheitete.
Weil der Anteil Deutschlands im Jahre 2000 die europäische Durchschnittsrate deutlich übertraf, was der Opposition verborgen blieb, war das Jahr 2000 das Rekordjahr überhaupt; die Steigerungsrate war in Deutschland
um 10,5 Prozent höher als die des weltweiten Tourismus.
({4})
Dieser positive Trend aus den Vorjahren fand im Jahre
2000 erfreulicherweise auch in den neuen Bundesländern seine Fortsetzung. So erhöhten sich die Touristenankünfte um 8 Prozent und die Übernachtungen um
10 Prozent, was zeigt, dass die Gäste länger als früher
bleiben, wenngleich gerade in den neuen Bundesländern
große Reserven und regionale Unterschiede zu verzeichnen sind, denen ich mich noch kurz zuwenden werde. Den
Anteil der rot-grünen Bundesregierung an dieser positiven Entwicklung und die perspektivische Sichtweise, die
uns erwarten lässt, dass es noch besser wird, hat der
Staatssekretär soeben erläutert.
Der geringe gestalterische Spielraum, der Ihnen, meine
sehr verehrten Damen und Herren der Opposition, neben
der Beschäftigung mit sich selbst, wie täglich den Medien
zu entnehmen ist, politisch noch bleibt, sollte von Ihnen
konstruktiver und ehrlicher genutzt werden, als Sie es mit
Ihrer Großen Anfrage getan haben.
({5})
Die Welttourismusorganisation, die Europäische
Union und sämtliche nationalen Fachgremien bestätigten
zum Zeitpunkt Ihrer Anfrage eine erfolgreiche nachhaltige Entwicklung der Tourismuswirtschaft. Im Gegensatz
dazu stellten Sie am 3. April eine Große Anfrage, in der
Sie als Binsenweisheit einen sich verschärfenden Wettbewerb entdecken, schlechtere wirtschaftliche Standortfaktoren herbeireden, was den Bemühungen der Tourismuswirtschaft vollkommen zuwider läuft, und damit unser
Produkt, den Tourismus, auch in der Europäischen Union
schlechtreden.
({6})
Damit verdienen Sie sich die Einschätzung, an der Realität vorbei nicht konstruktiv und ehrlich zu agieren.
({7})
Ich bezweifle, dass der Vorspann Ihres Fragenkatalogs
in seinem Wortlaut dem Interesse unserer Tourismuswirtschaft entspricht.
({8})
Unter vollkommener Negierung der Zusammenhänge, die
eine zunehmend globalisierte Weltwirtschaft mit sich
bringt, unter Negierung schneller durchschlagender
Schwankungen auf der Grundlage wesentlich vergrößerter Wettbewerbszonen verfolgen Sie die Strategie, den
deutschen Wirtschaftsstandort schlechtzureden.
({9})
Weder begreifen Sie durchaus vorhandene Probleme, die
diese Entwicklung mit sich bringt, als Herausforderung
noch helfen Sie bei der Lösung; vielmehr stellen Sie sie
als national hausgemacht dar, um so auf billige und primitive Weise daraus politisch Kapital zu schlagen.
({10})
Leider hat uns der 11. September mit etwas konfrontiert, was in keiner Kalkulation, auch nicht in der der Tourismuswirtschaft, mehr vorkam, nämlich mit der Angst
um Frieden und Sicherheit. Dadurch verliert - leider - Ihr
Argument, dass andere EU-Mitgliedstaaten niedrigere
Flugtransportkosten haben und somit eine profitablere Art
der Ausweitung zu neuen Zielorten als bessere Rahmenbedingungen in Anspruch nehmen können. Uns alle erschreckt, dass es auf einmal nicht mehr nur um Wettbewerb, sondern um Solidarität unter Wettbewerbern geht,
um den Terrorismus erfolgreich zu bekämpfen.
Auf 39 Fragen erhalten Sie 39 Antworten, die belegen,
dass eine Benachteiligung der deutschen Tourismuswirtschaft durch die nationalen Rahmenbedingungen in
keiner Weise gegeben ist.
({11})
Wäre dies deutlich geworden, kämen Sie, gemessen am
Zeitraum rot-grüner Regierungsverantwortung - nach
16 Jahren Regierungsverantwortung in arge Erklärungsnot.
({12})
Daran, dass der Tourismus in Deutschland einen gleich
großen Anteil am Bruttoinlandsprodukt hat wie in Frankreich mit seinen langen Küsten und der Weltmetropole Paris, wird deutlich, dass mittlerweile sogar Standortvorteile
ausgeglichen werden. Im Messe- und Kongressgeschehen
setzt Deutschland sogar Führungsansprüche. Hinsichtlich
der Entwicklung der Beschäftigung in dieser Branche liegen nur Spanien, Griechenland und Italien vor uns. Mit
8 Prozent liegen wir weit vor Österreich mit 4,8 Prozent
und Frankreich mit 2,9 Prozent.
({13})
Wir gestehen aber ein, dass Sie in Ihrer Regierungszeit die
Auseinandersetzung mit Sonne und Wärme nicht gewinnen konnten und uns dieses Erfolgserlebnis ebenfalls versagt bleiben wird.
({14})
Als Nachteile hinsichtlich der nationalen Rahmenbedingungen führen Sie immer wieder die unterschiedlichen
Mehrwertsteuersätze an. Richtig, in einem Hotel in
Frankreich zahlen Sie für eine Übernachtung nur 5,5 Prozent Mehrwertsteuer, aber trotzdem allgemein einen
höheren Preis als in Deutschland.
({15})
Für Essen und andere Konsumgüter zahlt man dann aber
19,6 Prozent Mehrwertsteuer. Worauf stützen Sie diesbezüglich Ihr Argument der schlechteren Rahmenbedingungen?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen, ich sprach vorhin von den in den
letzten Jahren erreichten großen Fortschritten, aber auch
von den territorialen Unterschieden und großen Reserven
in der Entwicklung der Tourismuswirtschaft in den ostdeutschen Bundesländern.
Nach dem Grundgesetz sind der Tourismus und seine
Förderung Ländersache. Er bleibt aber selbstverständlich
in die allgemeinen Förderprogramme der Bundesregierung einbezogen. Besonders in den neuen Ländern gilt es,
mit deren Hilfe den Bekanntheitsgrad der ostdeutschen
Tourismusgebiete zu erhöhen und im In- und Ausland
verstärkt ein positives Image aufzubauen. Die touristischen Angebote müssen parallel dazu weiter profiliert und
vervollkommnet werden. Dazu zählen Angebote wie Urlaub auf dem Bauernhof oder das Kurgewerbe, das seit
1997/98 auf Beschluss der alten Bundesregierung durch
geringere Zuschüsse und kürzere Kurdauern mit einer
Stagnation bzw. mit leichten Rückgängen leben musste
und nur allmählich Verbesserungen verzeichnen kann.
({16})
Gerade für Thüringen, wo in Heiligenstadt, Bad Salzungen und Bad Langensalza Kureinrichtungen vorhanden
sind, die durchaus mit Karlsbad konkurrieren können, haben Sie während der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung
die Rahmenbedingungen verschlechtert.
({17})
Deutschland wird nach Erschließung dieser Reserven
im europäischen Vergleich noch besser dastehen, wenngleich ich weiß, dass dieser Entwicklungsprozess noch einige Jahre in Anspruch nehmen wird. Voraussetzung dafür
sind nicht gesonderte Rahmenbedingungen - auch Geld
halte ich nicht für eine ausschließlich notwendige Voraussetzung -, sondern ein Nichtnachlassen von Patriotismus
und Solidarität. Zu den unverzichtbaren materiellen Kriterien zählen die Festschreibung des Solidarpaktes und
die Festlegung, Förderschwerpunkt der EU zu sein; die
ideellen Kriterien sind andere.
Als Bundestagsabgeordneter aus Thüringen weiß ich,
dass nach zehn Jahren Harz noch lange nicht gleich Harz
ist, dass der Thüringer Wald noch lange keinem Vergleich
mit dem Bayerischen Wald standhält und Ostsee noch
lange nicht Ostsee ist. Das schmerzt, kann aber objektiv
noch nicht anders sein und spornt an.
({18})
Schmerzlich ist aber, wenn zehn Jahre nach der Wende jeder Ostdeutsche in Westdeutschland war, aber erst jeder
sechste bis achte Westdeutsche in Ostdeutschland. Hier
liegen große Reserven.
({19})
Die ostdeutschen Bundesländer waren vom westlichen
internationalen Tourismus abgekoppelt; vom Osten kamen nur Dauerurlauber bei freier Kost und Logis. Die Erhöhung des Bekanntheitsgrades bzw. die bessere Vermarktung unserer landschaftlichen Schönheiten und des
kulturellen Erbes verlangen noch große Anstrengungen,
um den ostdeutschen Bundesländern Chancengleichheit
innerhalb der Europäischen Union und besonders hinsichtlich der Osterweiterung zu gewähren.
Ich weiß, wovon ich rede, habe ich doch in den zurückliegenden Jahren circa 60 Botschaftsbesuche absolviert
und dabei erschreckende Unkenntnis über den östlichen
Teil unseres Vaterlandes hinnehmen müssen. 25 Botschafter haben in der Zwischenzeit Nordthüringen besucht, wissen mit den Namen Nordhausen, Eichsfeld, Unstrut-Hainich oder Wartburgkreis umzugehen, konnten
sich durch Leistungspräsentationen in Berlin oder vor Ort
ein Bild von unserer schönen Heimat machen und sind
seit ihren Besuchen begeisterte Thüringen-Fans.
An dieser Stelle möchte ich mich beim Bundeswirtschaftsministerium, bei Herrn Staatssekretär Mosdorf sowie unserer Sprecherin Kollegin Irber für die großzügige
Unterstützung dieses Tuns und Handelns in Thüringen bedanken. Hocherfreut bin ich über die Ankündigung des
Staatssekretärs, verstärkt Bemühungen zu einem Bündnis unter den Bundesländern zugunsten der Tourismuswirtschaft, aber hauptsächlich mit dem Hintergrund, die von mir angesprochenen Niveauunterschiede
am Standort Deutschland abzubauen, zu betreiben.
({20})
In Ihrer Anfrage vermisse ich jegliche Ansatzpunkte zu
Problemen der neuen Länder. Ich hätte mich gern länger
mit Ihnen darüber unterhalten, wie gut die Rahmenbedingungen in den neuen Ländern inzwischen sind.
({21})
8 500 Beherbergungsbetriebe, davon 6 000 Hotels, wurden in den letzten Jahren zum größten Teil auf moderne
technische und bauliche Standards gebracht. Diese enormen Kapazitäten müssen sich tatsächlich zu einer Jobmaschine für den Mittelstand entwickeln.
({22})
Das funktioniert aber nicht, wenn Sie nach allem, was
nach Bundespolitik riecht, angefangen bei der Mehrwertsteuer, über 630-Mark-Jobs bis hin zum Betriebsverfassungsgesetz, mit der Lanze stechen wie Don
Quichotte bei den Windmühlen, sondern auch die Landesregierungen müssen Verantwortung erkennen und ihre
Hausaufgaben machen, Herr Brähmig.
({23})
Elf Jahre nach der Wende gelingt es in Thüringen noch
immer nur äußerst mangelhaft, die Vernetzung der Wirtschafts- und Politikbereiche zugunsten der Tourismusentwicklung auf lokaler, regionaler und Landesebene zu gestalten. Ein Berg, ein See, ein Spaßbad und ein Hotel
ergeben noch keinen Tourismus.
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.
Zwei Sätze noch. - Wir stehen
damit nur mit vielen im Wettbewerb. Wettbewerb heißt
verkaufen und das tun wir auch nach elf Jahren noch
schlecht.
Die deutsche Tourismuswirtschaft hat Reserven und
diese liegen zum Teil in den neuen Ländern. Das hat die
Bundesregierung erkannt. Ebenso hat sie erkannt, wie
man helfen kann.
Mäkeln Sie als Opposition nicht an Rahmenbedingungen herum, die in den Ländern der EU keinesfalls hintanstehen!
({0})
Nehmen Sie Einfluss auf die von Ihnen regierten neuen
Bundesländer, um einfach und pragmatisch mitzuhelfen,
diese Reserven zu erschließen!
({1})
Herr Brähmig, davon habe ich in Ihrer Rede kein Wort
vernommen.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache
14/7329. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes ({0})
- Drucksache 14/7094 Eckhard Ohl
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Bundesministerin Edelgard Bulmahn.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Kollegen und Kolleginnen! Eine Berufsausbildung reicht heute nicht mehr für ein ganzes Leben
aus. Mit der Reform des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes geben wir deshalb allen jungen Menschen,
die interessiert und qualifiziert sind, die Chance, sich
fortzubilden und ihren Meister zu machen.
({0})
Die Reform, die wir heute vorlegen, ist familienfreundlich und sozial. Sie ist aber nicht nur ein wichtiger
Beitrag zur Qualifizierung, sie ist auch ein wichtiger Beitrag zur Mittelstandsförderung und zur Gründung
neuer Unternehmen. Damit schaffen wir gerade für
diese Unternehmen bessere Entwicklungsmöglichkeiten
sowie neue Ausbildungs- und Arbeitsplätze vor allem in
kleinen und mittleren Betrieben.
({1})
Wir können nicht bis morgen warten, sondern müssen
uns schon heute Gedanken darüber machen, wie wir in
Zukunft unseren Bedarf an qualifizierten Fachkräften
decken können. Deshalb hat die Bundesregierung eine
breit angelegte Qualifizierungsoffensive ins Leben gerufen. Wir modernisieren die berufliche Bildung und schaffen neue Berufe in wachsenden Zukunftsbranchen. Wir
haben mit dem Programm JUMP 330 000 Jugendliche
von der Straße geholt und ihnen eine zweite Chance auf
Ausbildung und Beschäftigung gegeben.
({2})
Wir können sagen, dass das Erfolg zeigt; denn auch in diesem Jahr wird jeder Jugendliche, der arbeiten kann und arbeiten will, einen Ausbildungsplatz erhalten. Diesen Kurs
werden wir in den kommenden Jahren konsequent fortsetzen.
Mit der Reform des AFBG, dem so genannten MeisterBAföG, motivieren wir vor allem junge Fachkräfte, sich
fortzubilden und den Schritt in die Selbstständigkeit zu
wagen. Das ist zugleich ein ganz wichtiger Beitrag zur
Verwirklichung der Gleichwertigkeit von allgemeiner und
beruflicher Bildung.
Der Erfahrungsbericht zum alten AFBG, zum alten
Meister-BAföG, den die Bundesregierung im September
1999 vorgelegt hat, zeigt ganz deutlich, dass die Förderleistungen in der Vergangenheit häufig nicht ausreichten,
um den Lebensunterhalt zu sichern. Manch einer verzichtete deshalb gänzlich auf Fortbildung. Viele Maßnahmen
wurden überhaupt nicht gefördert. Das Antrags- und Bewilligungsverfahren war zu langwierig und zu kompliziert.
Das alles ändern wir mit der Novellierung des Gesetzes. Wir werden den Kreis der Geförderten erweitern. Wir
werden die Leistungen verbessern, das Verfahren unbürokratischer gestalten und mehr Maßnahmen als bisher fördern.
({3})
Davon, liebe Kolleginnen und Kollegen, profitieren vor
allem junge Fachkräfte, die eine Familie haben, künftige
Existenzgründer und nicht zuletzt ausländische Fachkräfte, die bei uns leben und arbeiten.
Wie sieht das neue AFBG genau aus? Für Förderleistungen nach dem neuen AFBG stellen Bund und Länder
im Jahre 2002 rund 190 Millionen DM zur Verfügung.
Das ist fast doppelt so viel wie heute. Bis zum Jahre 2005
werden wir die Mittel für das neue Meister-BAföG bis auf
über 222 Millionen DM weiter steigern.
({4})
Der Unterhaltsbeitrag für eine Vollzeitfortbildung
steigt bei Alleinstehenden auf maximal 1 195 DM. Das
sind 10 Prozent oder in der Summe 110 DM mehr. Außerdem sorgen wir mit einem Zuschuss von 35 Prozent zu den
Lehrgangs- und Prüfungsgebühren dafür, dass die Darlehensbelastung sinkt, und zwar deutlich. Der gewährte
Kredit muss also nicht mehr voll zurückgezahlt werden.
Wir verbessern die familienbezogenen Leistungen erheblich. Die Unterhaltsbeiträge für Kinder steigen von
250 DM auf 350 DM. Darüber hinaus wird der Kinderbetreuungszuschuss für Alleinerziehende von 200 DM auf
250 DM erhöht und das Kindergeld wird zukünftig nicht
mehr auf das Einkommen angerechnet. Gerade für diejenigen, die Kinder haben, verbessern wir die Leistungen
also spürbar.
({5})
Das ist meiner Ansicht nach genau richtig, weil es sich
eben häufig um junge Familien handelt, die vor dieser Situation stehen.
Ein weiterer Kritikpunkt an dem alten AFBG war, dass
viele Fortbildungen überhaupt nicht gefördert wurden.
Ich teile diese Kritik und deshalb haben wir das geändert.
Nach dem neuen Gesetz können Fortbildungen in Gesundheits- und Pflegeberufen, Qualifizierungsmaßnahmen an staatlich anerkannten Ergänzungsschulen und mediengestützte Fortbildungen gefördert werden.
70 Prozent aller Arbeitsplätze und 80 Prozent aller
Ausbildungsplätze werden bei uns von mittelständischen
Unternehmen, von Handwerksbetrieben und Selbstständigen im Handel, im Dienstleistungsgewerbe oder in den
Vizepräsidentin Anke Fuchs
freien Berufen geschaffen. Deshalb verbessern wir die
Förderung von Existenzgründern, und zwar in erheblichem Umfang. Wir schaffen damit insbesondere für den
Generationenwechsel im Mittelstand eine bessere Grundlage; denn vor einem solchen stehen wir. Das Institut für
Mittelstandsforschung schätzt, dass bei uns allein in den
nächsten fünf Jahren in circa 380 000 Betrieben ein Generationenwechsel stattfinden wird. Wenn wir sicherstellen wollen, dass genügend junge Leute zur Verfügung stehen, die diese Betriebe übernehmen können, dann ist eine
Novellierung dieses Gesetzes zum gegenwärtigen Zeitpunkt außerordentlich wichtig. Deshalb wird es auch gemacht.
({6})
Wir erleichtern den Fortbildungsabsolventen den
Schritt in die Selbstständigkeit, indem wir ihnen künftig
fünf anstatt bisher drei Jahre Zeit geben, um ein Unternehmen zu gründen und die ersten zwei Beschäftigten
einzustellen. Unter diesen Voraussetzungen greift dann
der Darlehenserlass. Der Darlehenserlass für Existenzgründer wird von 50 Prozent auf 75 Prozent angehoben.
Ein Existenzgründer zum Beispiel, der 20 000 DM an
Lehrgangs- und Prüfungsgebühren bezahlt hat, muss
zukünftig unter Berücksichtigung des Zuschusses von
35 Prozent nur noch 3 250 DM zurückzahlen. Das zeigt,
welche Verbesserungen dieses Gesetz für junge Leute, gerade für Existenzgründer mit sich bringt.
Schließlich erhöhen wir den Vermögensfreibetrag für
Existenzgründer von 10 000 DM auf 70 000 DM. Existenzgründer erhalten damit gerade in der schwierigen Anfangsphase eine wesentlich bessere Unterstützung.
Ferner sorgen wir mit diesem Gesetz dafür, dass ausländische Fachkräfte, die sich fortbilden wollen, mit
ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen gleichgestellt
werden. Sie können künftig schon nach dreijähriger statt
wie bisher nach fünfjähriger Erwerbstätigkeit gefördert
werden.
Meine sehr geehrten Herren und Damen, mit der Reform dieses Gesetzes erhalten Fachkräfte, die sich fortbilden wollen, die Unterstützung, die sie brauchen. Unsere
Betriebe bereiten wir damit auf den bestehenden demographischen Wandel, auf den Generationenwechsel, vor.
Außerdem schaffen wir so neue Arbeits- und Ausbildungsplätze.
Diese Reform ist daher ein ganz wichtiger Beitrag zur
Mittelstandsförderung. Sie ist aber auch ein zentraler
Baustein unserer Bildungspolitik, einer Politik, die den
Menschen nützt, die ihnen hilft und die sich auch sehen
lassen kann.
Vielen Dank.
({7})
Nun hat das Wort der
Kollege Werner Lensing, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung hat, Frau Ministerin, seit Beginn dieser Legislaturperiode tausend und einen Tag verstreichen lassen,
um einen einzigen Gesetzentwurf zur Änderung des so
genannten Meister-BAföG einzubringen.
({0})
Genauso wie die Erzählungen aus Tausenundeiner Nacht
märchenhaft sind, ebenso realitätsfern sind bei Ihnen immer noch Ihre Vorstellungen über die Höhe der tatsächlich
benötigten finanziellen Mittel.
({1})
- Sie aus den Reihen der SPD wollen mich durcheinander
bringen, aber das kriegen Sie nicht zustande. Ich sage Ihnen nur eines: Wenn Sie nicht zuhören, dann lernen Sie
auch nichts. Es ist ja Fortbildung, wie wir heute Abend
gehört haben.
Gleichwohl - das möchte ich ausdrücklich anerkennen, sind die Mittel erhöht worden. Das soll deutlich gesagt
werden.
({2})
Ebenso deutlich muss aber gesagt werden - ich hoffe, der
Beifall hält an -, dass der eigentliche Bedarf höher sein
dürfte und sein wird, als dies der Haushaltsplan zulässt.
Über drei Jahre sind - ich wiederhole es - seit der letzten Wahl ergebnislos vergangen. Zwei CDU/CSU-Anträge und sogar ein Bericht der Bundesregierung waren
vonnöten, ehe Sie darangingen, sich konkret dieser drängenden Problematik anzunehmen.
({3})
So haben Sie sich eine lange Zeit nicht darum gekümmert,
die sogar durch Ihren eigenen Bericht erkannten Fehler
schnellstens zu korrigieren und damit die Attraktivität der
Aufstiegsfortbildung zu fördern.
Auch blieb von Ihnen völlig unbeachtet, dass für Meisterschüler aus Industrie und Handel die Fördermaßnahmen keine echte Hilfe darstellen, da sich diese zumeist berufsbegleitend weiterbilden und nur in den wenigsten
Fällen beabsichtigen, sich, wie erhofft, tatsächlich selbstständig zu machen.
Deswegen freut es mich schon, dass Sie seinerzeit offensichtlich unseren sinnvollen Anregungen im Plenum
so andächtig gelauscht, sich diese zu Herzen genommen
und nunmehr als Ihre Vorschläge zu einem großen Teil in
den vorliegenden Gesetzentwurf aufgenommen haben.
({4})
Doch leider haben Sie, wie immer, den Gesamtzusammenhang nur unzureichend verstanden und deswegen ist
das Gesamtkonzept nur halbherzig umgesetzt. Bedauerlicherweise ist somit eine wirkliche Reform bei allen Verbesserungen nicht geglückt.
Hätten die Damen und Herren in der Bundesregierung
sich beispielsweise mit den Aussagen der Verbände aus
Industrie und Handel sowie dem Handwerk auseinander
gesetzt, wüssten sie inzwischen, wo der Schuh wirklich
drückt.
({5})
Es nützt nämlich überhaupt nichts, die Fördermaßnahmen
hier und dort ein wenig anzuheben und naiv zu hoffen,
dass nunmehr der große Ansturm auf die Meister- und
Technikerausbildung geradezu automatisch folgt.
Es dürfte Ihnen allen bekannt sein, dass das Interesse
am Meister-BAföG im Jahr 2000 noch im Vergleich zum
Vorjahr - da waren Sie ja, ich konnte es leider nicht verhindern, schon in der Regierung - um weitere 3,3 Prozent
zurückging, weil die Förderung weder von der Höhe noch
von den Bedingungen her für den angesprochenen Personenkreis reizvoll war.
Die Zahl der Geförderten sank nicht von ungefähr
auf - laut Angaben des Statistischen Bundesamtes 52 000 Personen.
({6})
- Hätten wir unser Gesetz nicht gemacht, Herr Rossmann,
wären Sie noch längst nicht so weit; dann hätten Sie noch
nicht einmal eine Anregung für das, was Sie jetzt weiterführen.
({7})
Wir waren die Meister dieses Gedankens; das ist überhaupt nicht zu leugnen, wenn man es historisch sauber,
objektiv - wie das die Art der CDU ist - bewertet.
Die Zahlen verdeutlichen hinsichtlich unserer derzeitigen Konjunkturdaten eine trübe Bilanz. Traurigerweise
werden wir in den nächsten Jahren voraussichtlich einen
weiteren Rückgang der Zahl von Meisterschülern verzeichnen müssen; zudem werden derzeit noch berufstätige Meister in den Ruhestand gehen. Genau bei dieser
Problematik greift der Regierungsentwurf entschieden zu
kurz. Er ist halbherzig und lückenhaft.
Zu einer echten Reform fehlen dem Gesetzentwurf:
erstens der vollständige Erlass des Gesamtdarlehens bei
Existenzgründung, zweitens die Streichung der Vermögensanrechnung und drittens die bessere Berücksichtigung von Teilnehmerinnen und Teilnehmern an berufsbegleitenden Teilzeitmaßnahmen und damit zugleich die
Berücksichtigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus Industrie, Handel und Dienstleistungen. Viertens fehlt - es ist mir schon fast unangenehm, das alles
aufzählen zu müssen - die Senkung des Mindestumfangs
auf 2 000 Lehrgangsstunden, um so auch modulare Lehrgänge förderfähig zu machen. Fünftens fehlt die Abschwächung der Beschäftigungsbedingungen für Kleinstbetriebe auf eine Umsatzgrenze von 100 000 Euro pro Jahr.
Schließlich, sechstens, fehlt - es ist kaum zu glauben - die
Erhöhung des maximalen Förderbetrages auf mindestens
12 500 Euro.
Es ist also - dies als Fazit - ein grundsätzliches Problem, das zugleich in der prinzipiellen Anlehnung der
Aufstiegsfortbildung an das BAföG und in einer angeblichen Gleichbehandlung der beruflichen mit der akademischen Ausbildung liegt. Dabei ist der Unterschied sehr
groß. Während das BAföG einen berufsqualifizierenden
Abschluss bei Studentinnen und Studenten anstrebt, richtet sich das neue Gesetz an Berufstätige mit einer bereits
abgeschlossenen Berufsausbildung.
Ich gehe aber davon aus - weil wir uns an den demnächst stattfindenden Beratungen beteiligen werden -,
dass die grundlegenden Fehler bei der Fortbildungsförderung im bevorstehenden Gesetzgebungsverfahren noch
beseitigt, unsere sechs Aspekte berücksichtigt werden und
die Schwachstellen des vorliegenden Entwurfs dadurch
eine Chance haben, ausgebessert zu werden. Geben Sie,
Frau Ministerin, den mittelständischen Betrieben eine
Chance zum Überleben, indem Sie noch geeignetere Voraussetzungen für eine Ausbildung des benötigten Führungspersonals für die kommende Generation schaffen!
Ein letzter, aber dringender Wunsch: Meine Damen
und Herren von der Koalition, machen Sie aus diesem
ängstlichen Entwurf endlich eine durchgreifende Reform!
({8})
Dann wird auch Herr Tauss sich erstmalig berechtigt
freuen können.
({9})
Das Wort hat jetzt der
Kollege Christian Simmert für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Kollege, ängstlich sind wir nicht bei diesem Entwurf. Wir
haben etwas vorgelegt, was Sie nicht geschafft haben. Wir
haben Fehler korrigiert, die Sie in Regierungszeiten - jetzt
sind Sie ja in der Opposition - hätten beseitigen sollen.
Die rot-grüne Bundesregierung setzt mit der Novelle
des AFBG die dringend notwendige Qualifizierungsoffensive in der beruflichen Bildung fort. Die Aufstiegsfortbildung wird wieder ein zentrales Förderinstrument
zur gezielten beruflichen Weiterbildung. Das ist die Auffassung meiner Fraktion. Bündnis 90/Die Grünen setzen
sich nämlich grundsätzlich für eine bessere Verzahnung
von Erst- und Weiterbildung sowie für eine bessere
Durchlässigkeit zwischen den Bildungseinrichtungen ein.
Die Novelle des Meister-BAföG schließt hier eine Lücke.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von der CDU/CSUund FDP-Vorgängerregierung, der verflossenen, haben
wir folgende Probleme in der Aufstiegsförderung übernehmen müssen: Die Gefördertenzahl und die für die Förderung bereitgestellten finanziellen Mittel waren absolut
zu niedrig. Die förderberechtigten Berufsgruppen waren
auf einen zu engen Kreis beschränkt. Qualifizierung und
familiäre Verpflichtung waren kaum vereinbar. Unter den
Teilnehmerinnen und Teilnehmern waren aufgrund der
Zugangshindernisse kaum Migrantinnen und Migranten
vertreten. Der Darlehensteilerlass bot für Existenzgründerinnen und Existenzgründer keinen Anreiz. Der Verwaltungsaufwand für die Antragsbearbeitung war überdimensioniert.
Mit der Novelle zum Meister-BAföG werden wir diese
Hindernisse beseitigen.
({1})
Wir stellen die Förderung des Fachkräftenachwuchses
und die von angehenden Existenzgründern auf eine neue
Grundlage. Dafür stellen die rot-grüne Koalition und die
Länder im kommenden Jahr rund 90 Millionen DM zur
Verfügung. Die rot-grüne Bundesregierung setzt mit dieser Novelle ein sehr deutliches Zeichen: Mehr Menschen
mit Kindern - Frau Ministerin, Sie haben dies gerade erwähnt - haben durch unser neues Meister-BAföG Chancen, sich zu qualifizieren.
Familien mit Kindern und Alleinerziehende erhalten
nämlich künftig bessere Förderkonditionen bei Vollzeitund Teilzeitfortbildungen.
({2})
Wir erhöhen den Kinderzuschlag beim Unterhaltsbeitrag
von 250 auf 350 DM und den Kinderbetreuungszuschuss
auf 250 DM. In Härtefällen wird Alleinerziehenden ein
Darlehen gestundet oder erlassen. Das Kindergeld wird
nicht auf das Einkommen angerechnet. An dieser Stelle
berücksichtigt Rot-Grün ganz gezielt die Lebensumstände von Familien und Alleinerziehenden und erhöht
ihre Beteiligungsmöglichkeiten in der beruflichen Weiterbildung.
({3})
Es kann nicht um Kind oder Karriere gehen. Wir wollen
Eltern beides ermöglichen.
Bundesweit werden ausländische Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer inländischen gleichgestellt. Sie können
durch unsere Reform in verstärktem Maße gefördert werden. Das bedeutet, dass sie bereits nach dreijähriger Erwerbstätigkeit gefördert werden können. Wir begreifen
Migrantinnen und Migranten als Teil der Gesellschaft und
wollen an dieser Stelle - anders als die Opposition in den
vergangenen Jahren - einen Beitrag zur Integration leisten. Das Bündnis 90/Die Grünen will die Beseitigung von
Zugangshindernissen erreichen.
({4})
Darüber hinaus werden wir die geförderten Berufsfelder deutlich erweitern: Gesundheits- und Pflegeberufe
und die Abschlüsse an staatlich anerkannten Ergänzungsschulen werden uneingeschränkt in die Förderung einbezogen. Teilzeitfortbildung und die Fortbildung über softwaregestützte Lernmodule werden ermöglicht. Gerade
mit der Teilzeitfortbildung werden wir auch Alleinerziehenden helfen können.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir machen mit dieser Novelle zum Meister-BAföG deutlich, dass sich die
Koalition ihrer Verantwortung und der Modernisierung in
der beruflichen Bildung stellt. Die Förderung von Fachkräften bei der Aufstiegsfortbildung wird so zu einer zentralen Bildungsaufgabe, bei der der einzelne Mensch mit
seinen Möglichkeiten wieder im Mittelpunkt steht.
Sie könnten dieser Reform des Meister-BAföG eigentlich zustimmen. Ich freue mich auf die Debatten im zuständigen Ausschuss. Wir werden uns hier zur zweiten
und dritten Lesung wiedersehen. Dann erwarten wir Ihre
freudigen und mutigen Zustimmungen und keine ängstlichen Gegenstimmen.
Vielen Dank.
({6})
Für die FDP-Fraktion
spricht die Kollegin Cornelia Pieper.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Simmert, Sie haben gesagt, die alte Koalition habe es nicht erreicht, die Defizite
beim Meister-BAföG abzubauen.
({0})
Ich darf Sie daran erinnern, dass es 1996 war, als unter der
Regierungskoalition, an der die FDP und die Union beteiligt waren, das Meister-BAföG auf den Weg gebracht
worden ist.
({1})
Während die Kolleginnen und Kollegen von der SPD und
von den Grünen immer noch der alten Regelung, der Förderung der beruflichen Fortbildung nach dem alten Arbeitsförderungsgesetz, nachtrauerten, haben wir für die
Herstellung der Gleichwertigkeit von allgemeiner und
beruflicher Bildung, was eigentlich unser gemeinsames
Ziel ist, einen wichtigen Reformschritt getan.
({2}) - Jörg Tauss [SPD]: Also, das
geht so nicht!)
Frau Kollegin, der
Kollege Tauss möchte eine Zwischenfrage stellen. Ich
möchte diese ungern zulassen, weil eine Kollegin gleich
weg muss; die sitzt hier wie auf glühenden Kohlen.
Herr Tauss, ich gestatte Ihnen danach aber eine Kurzintervention. Können wir uns so einigen? - Gut.
({0})
Frau Präsidentin, ich bedanke mich für Ihren guten Vorsitz und den Hinweis. Ich
weiß, dass sich Herr Tauss gern in Debatten einmischt.
Das kann er auch tun, aber wir sollten die Fachberatungen
lieber im Ausschuss führen. Dann müssen wir seine Polemik hier nicht ertragen.
({0})
In der mittelständischen Industrie und im Handwerk
steht ein Generationswechsel an. Frau Ministerin
Bulmahn hat darauf hingewiesen: In über 300 000 Unternehmen werden in den nächsten fünf Jahren die
Führungsstrukturen völlig ausgetauscht bzw. werden die
Betriebe von neuen Eigentümern übernommen. Es wird
oft beklagt, dass der hierfür benötigte Nachwuchs nicht in
vollem Umfang zur Verfügung steht. Betriebsaufgaben
wären eine Folge, die wir nicht tatenlos hinnehmen können. Selbst in den neuen Bundesländern würde eine solche Entwicklung demotivierend wirken und dem zarten
Pflänzchen des Aufschwungs das Wasser entziehen. Gerade hier leisten kleine und mittelständische Unternehmen den wichtigsten Beitrag zur Schaffung von neuen
Ausbildungs- und Arbeitsplätzen und damit auch für das
Funktionieren unserer sozialen Sicherungssysteme.
({1})
Ohne Unternehmensgründungen gibt es keine Arbeitsplätze. Umso besorgniserregender ist die Tatsache, dass
die Anzahl der Existenzgründungen in den neuen Ländern seit Mitte der 90er-Jahre wieder rückläufig ist. Der
Anteil der Selbstständigen an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen insgesamt liegt in Deutschland immer noch
unter dem OECD-Durchschnitt. Die Aufstiegsfortbildung
schafft eine wesentliche Grundlage dafür, damit diese Defizite abgebaut werden können, damit junge Frauen und
Männer den Weg in die Selbstständigkeit gehen können.
Und das ist gut so.
({2})
Wir sind seit Mitte der 90er-Jahre mit dem MeisterBAföG einen mutigen Schritt vorangegangen und haben
den Rechtsanspruch auf Förderung einer beruflichen
Höherqualifizierung mit dem AFBG gesetzlich gesichert.
Natürlich haben wir mit dem im Januar 1996 in Kraft getretenen AFBG Neuland betreten. Schon bald zeigten sich
strukturelle und technische Defizite des Gesetzes. Allein
das Antragsverfahren erwies sich als sehr bürokratisch.
Ich habe Ihnen die Anträge mitgebracht. Das sind neben
dem Antrag auf Förderung sechs Zusatzanträge und die
circa 18 zu erbringenden Bescheinigungen.
({3})
Natürlich schreckte das viele Ausbildungsteilnehmer
ab. Wissen Sie, der Vorteil von Politikern besteht darin,
dass sie zugeben können, Fehler gemacht zu haben. Das
kann ich allerdings bei Ihnen, Herr Tauss, nicht erkennen;
sonst würde ich nicht solche Sprüche hören.
({4})
Die Gefördertenzahl stieg von circa 43 000 im Jahre
1996 bis zum heutigen Tag auf 50 000. Das sind natürlich
noch immer zu wenig. Wir alle haben nach eingehender
Analyse des Berichtes über die Umsetzung und Inanspruchnahme des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes im Sommer 1999 die Probleme erkannt. Doch die
Bundesregierung unternahm außer einer Ankündigung
erst einmal nichts. Erst der Gesetzentwurf der Union zur
Änderung des AFBG im Oktober 2000 und die nachfolgende Ausschussanhörung im Mai 2001 weckten die Bundesministerin Bulmahn aus ihrem Dornröschenschlaf auf.
Es war Gefahr im Verzuge. Es überrascht mich nicht, dass
genau einen Tag vor der Anhörung der Öffentlichkeit der
Referentenentwurf des Bildungsministeriums vorgestellt
wurde. Es hat sich gezeigt, dass er weit hinter unseren
Vorschlägen zurückbleibt.
({5})
Die Messlatte, die wir an ein geändertes Gesetz anlegen, sieht folgendermaßen aus - wir werden das in den
Ausschussberatungen mit entsprechenden Änderungsanträgen verstärken -:
Erstens. Das Antragsverfahren muss für den Antragsteller grundlegend vereinfacht werden.
Zweitens. Der Unterhaltsbeitrag muss deutlich erhöht
werden. Dazu ist mit dem Vorschlag ein wesentlicher
Schritt getan.
Drittens. Die Vermögensfreibeträge müssen gestrichen
werden.
Viertens. Die Prüfungsgebühren und die Kosten für das
Meisterstück bzw. modernere Formen der praktischen
Prüfung müssen den Meisterschülern im Rahmen des
Darlehens zu 50 Prozent erlassen werden.
Fünftens. Die Zeit zwischen Lehrgangsende und der
letzten Prüfung muss als Ausbildungszeit angerechnet
werden.
({6})
Sechstens. Existenzgründungen während der Meisterausbildung müssen berücksichtigt werden.
Last, but not least siebtens. Die Bedingungen für einen
hundertprozentigen Darlehenserlass - das hat auch schon
die Union gefordert - müssen geändert werden, der Zeitraum muss auf mindestens zwei Jahre verlängert werden.
({7})
Fazit: Es liegt uns ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, der zu verbessern ist. Darauf kommt es an.
Die FDP wird daran mitarbeiten.
Vielen Dank.
({8})
Jetzt hat das Wort die
Kollegin Maritta Böttcher für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen Einbringung des
Gesetzentwurfs ist die Bundesregierung um ein Jahr in
Verzug, wenn ich ihre eigenen Versprechungen zugrunde
lege. Das ist kein nebensächlicher Aspekt; denn durch
diese Verzögerung kommen den prognostizierten 60 000
nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz Geförderten ein Jahr später die finanziellen Verbesserungen zugute, deren Höhe die Bundesregierung mit 46 Millionen
Euro im ersten Jahr des In-Kraft-Tretens beziffert. Wegen
des Fortbestands der bestehenden Regelungen sind circa
10 000 Fortbildungswillige daran gehindert worden, bereits in diesem Jahr eine Fortbildung aufzunehmen.
Der Entwurf stellt ohne Zweifel eine Verbesserung
gegenüber dem Istzustand dar. Aus meiner Sicht sind
neben den höheren finanziellen Zuwendungen, die sich
aufgrund der Gesetzesänderung ergeben, die wichtigsten
Fortschritte: die Ausdehnung des Anwendungsbereichs
auf weitere Berufsgruppen, die Verbesserung der Teilnahmebedingungen für Fortbildungswillige mit Familie, für
Alleinerziehende sowie für Ausländerinnen und Ausländer sowie die verbesserten Bedingungen für mehr berufsbegleitende Fortbildung in Teilzeitform.
Jedoch können die grundlegenden Mängel des Gesetzes mit diesen Verbesserungen noch nicht überwunden
werden. Selbst die CDU/CSU-Fraktion geht mit ihrem
Gesetzentwurf in einigen Punkten weiter.
({0})
Aber zu dieser sachlichen Feststellung - hören Sie erst
zu! - gehört auch die ebenso sachliche Feststellung dazu,
dass der gegenwärtige unbefriedigende Zustand hauptsächlich von der CDU/CSU zu verantworten ist
({1})
und dass alle Mängel, die auch sie jetzt beklagt, schon vor
In-Kraft-Treten des Gesetzes von 1996 absehbar waren.
({2})
Wir halten den mit dem Gesetzentwurf vorgesehenen
Schritt vor allem deshalb nicht für ausreichend, weil er
drei grundlegenden Anforderungen nicht hinreichend
gerecht wird:
Erstens. Er leistet nicht den Beitrag für das viel
beschworene lebensbegleitende Lernen möglichst vieler
Menschen, der für die berufliche Weiterbildung notwendig und möglich wäre.
Zweitens. Die berufliche Fortbildung wird weiterhin
einseitig auf einen vertikalen Karriereaufstieg begrenzt.
Damit gibt es keinen Raum für Qualifizierung im Sinne
von horizontaler Aufgabenerweiterung bis hin zu Qualifikationen für Branchen- und Berufswechsel.
Drittens. Die Gleichrangigkeit von akademischer und
beruflicher Bildung wird zwar postuliert, aber nicht tatsächlich erreicht. Unterschiedliche Lebenssituationen
von Studierenden und Meisterschülern - ich nenne sie
einmal so - werden nicht hinreichend berücksichtigt.
({3})
Um diesen Kriterien mehr Geltung zu verschaffen,
stellt die PDS-Fraktion folgende Hauptforderungen:
Erstens. Alle noch verbliebenen Einschränkungen,
durch die bestimmte Berufsgruppen vom Förderanspruch
ausgeschlossen sind, müssen aufgehoben werden.
Zweitens. Eine Zweitförderung muss generell und
nicht nur im Ausnahmefall ermöglicht werden.
({4})
Drittens. Die Teilnahme an den Maßnahmen zur beruflichen Fortbildung muss gebührenfrei sein.
Viertens. Wir sind für eine Unterhaltsregelung, bei der
die eine Hälfte als Zuschuss und die andere Hälfte als
zinsloses staatliches Darlehen gewährt wird.
({5})
Längerfristig halten wir eine Entkopplung des AFBG
vom BAföG ohnehin für unumgänglich. Das wäre die Voraussetzung dafür, dass die Fortbildungswilligen wieder
auf einen höheren Unterhalt zurückgreifen könnten, wie
das übrigens bis 1993 bereits üblich war. Wenn sich also die
Bundesregierung bei der strukturellen Umgestaltung der
Weiterbildung im Ganzen weitgehend zurückhalten will, so
sollte sie wenigstens bei diesem in ihrer Verantwortung
liegenden Teilbereich nicht kleckern, sondern klotzen.
Wir werden unsere Vorschläge im Ausschuss noch einmal auf den Tisch bringen, damit in der nächsten Woche
ein neues Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz verabschiedet werden kann, das seinen Namen wirklich verdient.
({6})
Nun hat das Wort der
Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Chancen im Wandel, Chancen durch Bildung, das war das Motto der
Jugenddebatte heute Morgen. Wir finden, es ist hervorragend, dass wir nicht nur heute Morgen Ansprüche formuliert haben, sondern heute Nachmittag ein Gesetz verabschieden können, das diese fundamentalen Ansprüche
verwirklichen kann.
({0})
Es ist ein fulminanter Erfolg für unsere Ministerin und die
Bundesregierung, nicht nur das BAföG verbessert zu haben, sondern nun auch eine Änderung des Meister-BAföG
zu erreichen.
Man muss sich vor Augen führen: Wann hat es das in
einer Legislaturperiode jemals gegeben, dass die Mittel
für das BAföG um 50 Prozent oder über eine Milliarde
gesteigert wurden? Beim Meister-BAföG haben wir eine
Steigerung um 100 Prozent. Wann hat es das jemals
gegeben?
({1})
Angesichts dieser Zahlen - Herr Kollege Lensing ist
leider nicht mehr da -, muss man schon eine gewisse
karnevalistische Beckmesserei betreiben können, um
diese Zahlen kritisieren zu wollen. Frau Pieper, ein bisschen Respekt vor den Bemühungen, diese Mittel bereitzustellen, müssten Sie doch haben, wenn Sie sich vor
Augen führen, wie schwer es Ihnen gefallen ist, damals
einen kleinen Schritt mitzutun.
({2})
Umso mehr Achtung könnten Sie jetzt vor den Anstrengungen dieser Regierung haben.
An die Adresse von Frau Böttcher muss ich sagen:
Revolutionäre Ungeduld in diesem Gewande trifft die
Sache nicht ganz. Man muss wissen, dass nicht nur Geld
mobilisiert worden ist, sondern tatsächliche strukturelle
Reformen auf den Weg gebracht wurden. Ich will das
gerne an ein paar Beispielen verdeutlichen. Die Ministerin hat auf den Nachholbedarf bei den notwendigen Reformschritten verwiesen; nunmehr wird ein echtes Weiterbildungsgesetz daraus.
Es gibt endlich eine erweiterte Förderung für alle.
Konnten bisher Maßnahmenkosten nur über Darlehen unterstützt werden, ohne dass es irgendeine Förderung für
das Meisterstück gab, so gibt es jetzt Zuschüsse, die von
0 auf 35 Prozent steigen. 0 Prozent waren Sie, 35 Prozent
sind wir.
({3})
Es gibt in Bezug auf das Meisterstück eine Darlehensbezuschussung von 3 000 DM. 0 DM waren Sie, 3 000 DM
sind wir.
({4})
Die Förderung gibt es darüber hinaus nicht mehr nur für
eine Vollzeitausbildung, sondern auch für eine Teilzeitausbildung. Nur Vollzeitförderung waren Sie, Förderung
in jedem Fall sind wir.
({5})
Das ist doch etwas, bei dem man dem Kollegen
Lensing und anderen Kritikern wirklich sagen muss: Mit
kleiner Münze aufrechnen zu wollen lässt außer Acht, um
was es in der Substanz geht. Um es drastischer auszudrücken: Wenn wir wissen, dass Meisterkurse bis zu
30 000 DM kosten können, dann sind 10 000 DM eine
Summe, die die Betroffenen sehr wohl zu schätzen wissen
werden - 10 000 DM, haben oder nicht haben!
({6})
Frau Böttcher hat ja angesprochen, dass es in Bezug auf
den strukturellen Unterschied zwischen BAföG und
Meister-BAföG angeblich keine Verbesserung gebe. Wir
erweitern den Umfang des nicht anrechenbaren Vermögens auf 70 000 DM. Wissen Sie, wo Sie standen? - Bei
10 000 DM. Jochen Steffen, ein alter Sozialist, hätte
gesagt: Nun kommen Sie!
Bezüglich der Punkte, die neu sind, möchte ich einen
weiteren Aspekt ansprechen: Das Gesetz wird eine erweiterte Förderung in allen Zukunftsbereichen, die bisher
ausgespart waren, schaffen. Es war an der Zeit - Sie
waren hinter der Zeit -, dass endlich eine mediengestützte
Fortbildung, eine angemessene Förderung von Zweitfortbildung sowie die Förderung der Fortbildung im differenzierten System der Ergänzungsschulen mit einbezogen
werden.
Vor allen Dingen war es sträflich von Ihnen, in einem
so wichtigen Zukunftsbereich wie Gesundheit und Pflege
in Deutschland einen Flickenteppich zuzulassen. Dies
kam zustande, weil Sie keine bundeseinheitliche Förderung gewollt haben. Es war ein Skandal, dass NRW,
Bayern und Baden-Württemberg - die drei größten Bundesländer - nicht mit in die Förderung für Gesundheitsund Pflegeberufe einbezogen werden konnten. Wenn wir
diesen Zustand ändern, wer will das dann kritisieren oder
kleinreden? Sie könnten mit uns zusammen in Krankenhäuser, Schulen und andere Ausbildungsstätten gehen und
für die geplanten Änderungen werben, wenn es Ihnen um
die Sache geht.
Ich möchte auf einen weiteren Punkt aufmerksam
machen: Mit Recht beklagen wir in unserer Gesellschaft,
dass es immer noch zu wenig Spitzenwissenschaftlerinnen, zu wenig Professorinnen und zu wenig weibliche
Führungskräfte in der Wirtschaft gibt. Das wollen wir
gemeinsam ändern. Nur ist es wichtig, zu wissen, dass
diese Umstände genauso für den Bereich des Handwerks,
des Mittelstandes und der kleinen selbstständigen Unternehmen gelten. Lassen Sie uns das deshalb nicht nur
beklagen, sondern gemeinsam ändern!
Ich möchte ein paar Zahlen nennen: Beim BAföG
machen Frauen 50 Prozent aller Geförderten aus; gegen
ein Verhältnis 50 zu 50 wird man nichts sagen können.
Beim Meister-BAföG machen Frauen 20 Prozent der
Geförderten aus; gegen das Verhältnis von 80 zu 20 muss
man etwas sagen. Diese Tatsache ist ein Skandal; man
muss an diesem Punkt ansetzen und etwas tun. Das zeichnet diese Regierung aus, dass sie an der Stelle etwas tut,
indem durchgängig auch in vielen anderen Bereichen
- Frau Bulmahn und Herr Simmert haben es angesprochen - Verbesserungen für Frauen erreicht werden:
mit Zuschüssen zur Kinderbetreuung, mit Unterhaltsbedarf für Kinder, mit der Erhöhung der Förderungshöchstdauer von fünf auf zehn Jahre, wenn Kindererziehungszeiten einzubeziehen sind. Natürlich bedeutet es
auch eine Verbesserung, wenn zudem Teilzeitmaßnahmen
gefördert werden; denn gesellschaftliche Realität ist immer noch, dass Frauen eher in Teilzeit Aufstiegsfortbildung betreiben können. Genauso ist dies der Fall, wenn
Gesundheits- und Pflegeberufe fair einbezogen werden.
Das ist also eine Chance, gesellschaftliche Gleichstellung in einem zentralen Bereich von Fortbildung und
auch von wirtschaftlicher Tätigkeit zu erreichen.
Unser Appell, unsere Bitte an Wirtschaft, Handwerk,
Verbände lautet dementsprechend: Machen Sie mit und tun
auch Sie alles dafür, dass diese Aufstiegsfortbildung für
Frauen populär und damit zu einer Chance wird, und werben Sie überhaupt dafür, dass dieses Gesetz jetzt angenommen wird! Das können wir zusammen erreichen, das kann
das Handwerk tun, das können die Wirtschaftsverbände
tun, indem sie in Schulen und in Fachschulen gehen, indem
sie in die Handwerksversammlung gehen.
Ich möchte Herrn Lensing, auch wenn er nicht mehr
hier ist, Folgendes sagen: Wenn wir zu den Innungsobermeistern in die Handwerksversammlung gehen, dann
hören wir häufig den folgenden Dreiklang: Mit euch
Sozialdemokraten und Grünen haben wir nicht unbedingt
viel am Hut, aber das Meister-BAföG, das ihr vorhabt, ist
exzellent. Das macht ihr wirklich gut.
({7})
Weshalb sagen sie uns das? - Das sagen sie, weil sie noch
wissen, was ehrliche politische Arbeit ist, und weil sie
auch wissen, was ein Meisterstück ist.
Dieses neue Meister-BAföG ist so etwas wie ein Meisterstück. In der Vergangenheit wurden die Mittel nicht
abgerufen. Das Glas blieb bei Ihnen, um ein Bild zu gebrauchen, zu zwei Dritteln voll. Sie stellten als Anspruch
mehr bereit, als dann abfloss.
Mit dem neuen Gesetz haben wir die Chance, dass wir
mehr Menschen erreichen, dass mehr Mittel ausgegeben
werden können, dass das Glas völlig leer wird, um in dem
Bild zu bleiben. Frau Ministerin, ein leeres Glas, das wird
dann ein voller Erfolg für Sie. Herzlichen Glückwunsch
zu diesem Gesetz!
({8})
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Ilse Aigner für CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich
hier mit einer Augenbinde erscheine, dann brauchen Sie
nicht zu meinen, dass ich unter die Piraten gegangen bin.
Das ist auch keine vorzeitige Maskerade, sondern Folge
einer kurzfristigen Erkrankung. Aber man könnte meinen,
dass die Bundesregierung vielleicht unter die Piraten gegangen ist, weil sie den Meisterschülern und den sonstigen Aufstiegsfortbildungswilligen die Reform drei Jahre
lang vorenthalten hat.
({0})
Wenn ich Ihre Ausführungen vorhin richtig verstanden
habe, dann haben Sie nämlich schon bei Ihrer Regierungsübernahme festgestellt, dass alles, was 1996 von der
CDU/CSU und von der FDP eingeführt worden ist, falsch
war. Sie hätten damals schon eigentlich alles besser gewusst.
Wenn das so ist, dann hätten Sie die Reform eigentlich
auch schon zum Zeitpunkt Ihrer Regierungsübernahme
einleiten können.
({1})
Das haben Sie aber nicht gemacht.
Sie haben es auch nicht gemacht, als Sie, Frau Ministerin, im Jahre 1999 Ihren ersten selbst erstellten Bericht
vorgetragen haben. Sie haben es auch nicht gemacht, als
die CDU/CSU-Fraktion einen entspechenden Antrag
eingebracht hat. Sie haben es auch nicht gemacht, als die
CDU/CSU-Fraktion vor einem Jahr den Gesetzentwurf
eingebracht hat.
({2})
Sie haben das also über drei Jahre verschleppt. Deshalb ist
das ein negatives Beispiel in diesem Bereich.
({3})
Herr Rossmann, Sie haben gesagt, die Mittel seien um
100 Prozent gesteigert worden. Ich habe auch Ihre heutige
Pressemitteilung gelesen. Darin heißt es, dass der Ansatz
von 89 Millionen DM auf 113 Millionen DM gesteigert
worden sei. Ich weiß nicht, wo Sie da 100 Prozent sehen.
Von 89 Millionen DM auf 113 Millionen DM ist keine
Steigerung um 100 Prozent. Soweit beherrsche ich die
Prozentrechnung noch und Sie können das sicherlich
auch. Insofern haben Sie mit Nebelkerzen geworfen. Aber
das macht nichts, ich wollte das nur klarstellen.
Im Übrigen muss man auch immer von der Basis ausgehen. Herr Rossmann, als Sie die Regierung übernommen haben, standen im Haushalt 167 Millionen DM,
verteilt auf zwei Haushaltsjahre. Statt zu reformieren,
haben Sie die Ansätze sofort gekürzt, und zwar ordentlich.
({4})
- Herr Tauss, das ist alles schön und gut. Aber warum haben Sie es dann erst jetzt geändert? Sie hätten es schon vor
zwei Jahren ändern können. Das ist genau die Messlatte:
Warum haben Sie es nicht schon eher gemacht?
({5})
Frau Ministerin, ich bedanke mich aber dafür, dass das
Gesetz jetzt, wenigstens endlich nach drei Jahren, auf den
Weg gebracht worden ist - ein Jahr nachdem wir unseren
Gesetzentwurf vorgelegt haben. Ich bedanke mich auch
dafür, dass Sie viele Teile unseres Gesetzentwurfs
aufgenommen haben. Das ist ein Schritt in die richtige
Richtung. Dafür bedanke ich mich auch im Namen all derjenigen, die in diesem Bereich tätig sind.
Frau Ministerin, ich möchte Sie direkt ansprechen - es
handelt sich um eine Bitte unserer Fraktion -: Wenn man
es rückwirkend zum September einführte, dann wäre das
ein wichtiges Signal und ein tolles Zeichen für den Mittelstand. Wenn man es erst für die Zeit danach einführt,
dann bedeutet das zusätzliche Schwierigkeiten in der Umstellungsphase.
({6})
Auf die Gemeinsamkeiten möchte ich nicht weiter eingehen; sie sind hier schon mehrfach angesprochen worden.
({7})
Ich möchte nun die Unterschiede deutlich darstellen. Sie
haben ausgeführt, dass bei Existenzgründungen der Erlassanteil des auf Prüfungs- und Lehrgangsgebühren
entfallenden Restdarlehens bei 75 Prozent liegt. Unser
Gesetzentwurf sieht einen Erlassanteil von 100 Prozent
vor. Das wäre für die Existenzgründer das richtige Zeichen gewesen.
({8})
Ich komme auf die Kosten des Meisterstücks zu sprechen. Auch wir haben ein entsprechendes Darlehen vorgesehen und man kann sich mit Sicherheit darüber streiten, ob 3 000 DM oder 5 000 DM eine angemessene Höhe
darstellen. Wir haben 5 000 DM vorgeschlagen, weil nur
so die Kosten in vielen Bereichen wirklich gedeckt werden können. Für jemanden, der in einer Ausbildung steht,
ist das eine Menge Geld. Das wäre zwar nur ein kleiner
Beitrag zur Unterstützung; aber auch das wäre ein Zeichen. Sie hätten da durchaus mitmachen können.
Was den Zuschuss beim Maßnahmebeitrag für Lehrgangs- und Prüfungsgebühren angeht, haben Sie 35 Prozent vorgeschlagen, während unser Gesetzentwurf einen
Zuschuss in Höhe von 50 Prozent vorsieht. Der Unterschied liegt also bei 15 Prozent. Wenn Sie die Mittel so
eingesetzt hätten, wie sie im Haushaltsgesetz ursprünglich gestanden haben, dann hätten Sie unserem Vorschlag
folgen können.
Im Hinblick auf den Zuschussanteil am Unterhaltsbeitrag für Alleinstehende ohne Kind nehmen Sie sogar
eine Reduzierung vor. Nach dem Istzustand liegt der Zuschussanteil bei 37 Prozent, während der Regierungsentwurf 35 Prozent vorsieht. Im Unionsentwurf sind dagegen
50 Prozent vorgesehen. Das haben wir ausgerechnet. Das
können Sie in den Ausschussberatungen ja widerlegen.
Ich komme zur Erhöhung des Unterhaltsbedarfs für
Teilnehmer und deren Ehegatten: Der Istzustand liegt bei
100 DM für Teilnehmer und bei 420 DM für Ehegatten.
Der Unionsentwurf sieht eine Anhebung des Unterhaltsbedarfs für Teilnehmer auf 300 DM und für Ehegatten auf
440 DM vor. Da der Regierungsentwurf keine Anhebung
vorsieht, bleibt er unter dem, was wir vorschlagen.
Die Ausdehnung des Förderungszeitraums nach Beendigung der Maßnahme und vor der Prüfung, wenn Teilnehmer durch Anfertigung des Meisterstücks vom Verdienst abgehalten werden, ist eigentlich ein ganz
wichtiger Punkt, den Sie überhaupt nicht beachtet haben.
Viele müssen nach Abschluss der Schule erst ihr Meisterstück erstellen, ohne in dieser Zeit gefördert zu werden.
Wir haben gefordert, dass für maximal drei Monate eine
Förderung per Darlehen erfolgt. Sie haben nichts dergleichen vorgesehen. Ich halte das für falsch, weil die betroffenen Menschen gerade in dieser Zeit dringend eine Unterstützung brauchen.
Hinsichtlich der Vermögensanrechnung möchte ich
Ihnen Folgendes sagen: Obwohl Sie die Beträge aufgestockt haben, ist der Verwaltungsaufwand nach wie vor
riesig. Seit Ihrer Regierungsübernahme ist ein wesentlicher Bestandteil, nämlich die Vermögensteuer, weggefallen. Die eigentliche Zielgruppe, nämlich die Kinder reicher Eltern, erfasst man gar nicht mehr, weil das Vermögen der Eltern nicht einbezogen wird, sondern ausschließlich das Vermögen derjenigen, die in den entsprechenden Maßnahmen sind. Egal, wie man es dreht und
wendet: Es ist auf alle Fälle richtig, dass derjenige, der
Geld angespart hat - ob über eine Lebensversicherung,
über einen Bausparvertrag oder wie auch immer -, sein
Guthaben auflösen muss, wenn er eine gewisse Grenze
überschreitet. Andernfalls kann er an der Maßnahme
überhaupt nicht mehr teilnehmen oder keine Bezuschussung erhalten. Wir meinen, dass der Verwaltungsaufwand
nicht gerechtfertigt ist. Aus diesem Grunde sollte die Vermögensanrechnung komplett fallen gelassen werden.
Frau Ministerin, ich hoffe, dass in den Ausschussberatungen das eine oder andere nachgebessert wird. Das ist
unser Interesse. Ich glaube, dass die Mitglieder unserer
Fraktion und die Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen ein gemeinsames Ziel haben. Ich hoffe,
dass wir uns, bayerisch gesagt, zusammenraufen. Vor allen Dingen diejenigen, die diese Maßnahmen betreffen,
wären Ihnen außerordentlich dankbar, wenn bestimmte
Maßnahmen rückwirkend zum 1. September in Kraft träten.
Herzlichen Dank.
({9})
Eigentlich wollte der
Kollege Rossmann jetzt eine Frage stellen. Da die Kollegin Aigner jedoch weg muss, bitte ich damit einverstanden zu sein, dass wir nachher zwei Kurzinterventionen
durchführen.
Jetzt hat der Kollege Christian Lange, SPD-Fraktion,
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute
Abend ist - im wahrsten Sinne des Wortes - eine Sternstunde für Meisteranwärter und für das Handwerk in
Deutschland.
({0})
Ich empfehle daher, statt den komplizierten Begriff AFBG
zu benutzen, einfach zu sagen: Wir novellieren das
Meister-BAföG.
({1})
Mit dem Meister-BAföG wollen wir erreichen, dass
wieder mehr Menschen den Mut haben, sich selbstständig
zu machen, weil sie denken: Das Handwerk hat wieder
goldenen Boden und ist daher unsere Zukunft.
Das ist der Grund, warum das Änderungsgesetz zum
Meister-BAföG heute Abend in erster Lesung hier eingebracht wird.
({2})
Meine Damen und Herren von der Opposition, ich
spreche insbesondere den Kollegen Lensing an, der leider
nicht mehr da ist: Ich wundere mich schon über die Geschichtsklitterung, die Sie in Sachen Meister-BAföG hier
zum Besten geben.
({3})
Wir wollen es uns in Erinnerung rufen: Es gab einmal ein
AFG. Nach diesem AFG wurde wunderbar gefördert. Die
Förderung von Meisterinnen und Meistern gemäß diesem
AFG wurde von Ihrer Regierung ausgesetzt. Warum? Sie wurde ausgesetzt, weil Sie den Meisterinnen und Meistern kein Geld zur Verfügung stellen wollten. Dann gab es
einen Proteststurm vonseiten des Handwerks und der
Länder, insbesondere von Bayern, Baden-Württemberg
und Niedersachsen. Just diese drei Länder haben dafür gesorgt, dass es ein Jahr später erstmals wieder eine neue
Förderung im Bereich des Handwerks gab.
Was hat Ihre Regierung getan? - Sie hat nicht die alte
Regelung wieder eingesetzt, sondern ein AFBG eingeführt, das sich am Studenten-BAföG orientiert. Dadurch
entstanden Probleme, deshalb müssen wir heute dieses
Gesetz novellieren.
({4})
Ich sage Ihnen: Wie die Kollegin Aigner zu sagen, wir
würden sogar noch Mittel vorenthalten, finde ich schon
mehr als dreist, da sie als CDU/CSU-Politikerin einer
Fraktion angehört, die die Mittel gestrichen hat und den
Meisterinnen und Meistern keine länger als ein Jahr dauernde Förderung bewilligen wollte.
({5})
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen: Wenn
Sie - das tun Sie immer wieder - sagen, wir hätten in diesem Bereich gestrichen, dann geht das ebenfalls an der
Wahrheit vorbei. Die Haushaltsansätze sind in der Vergangenheit nicht ausgeschöpft worden, auch nicht der aus
dem Jahre 2001, den wir um 10 Millionen auf 80 Millionen DM erhöht haben. Sie wurden wegen der Probleme
im Bereich des Antragsverfahrens und aufgrund der unattraktiven Rahmenbedingungen nicht ausgeschöpft.
Der einzige Vorteil des AFBG im Unterschied zur vorherigen Förderung war: Es gibt seitdem einen Rechtsanspruch. Es geht an der Rechtslage vorbei, hier zu sagen,
dass Förderung vorenthalten wurde. Es wurde zwar nicht
ausgeschöpft, aber selbst wenn ausgeschöpft worden
wäre, hätte ein weiterer Bewerber die Förderung erhalten
können. Das war der einzige qualitative Sprung beim
AFBG. Deshalb ist Ihre hier ansetzende Kritik völlig an
der Wirklichkeit vorbeigegangen.
Ohne Meister-BAföG fehlt es in vielen Fällen an der
notwendigen Finanzierungsgrundlage, um den Lebensunterhalt und die Lehrgangsgebühren für die Meisterkurse
aufzubringen. Das Gesetz der früheren Regierung hat genau hier erhebliche Mängel gehabt. Deshalb wird die Förderung nunmehr ausgeweitet und in wesentlichen Punkten verbessert. Wir setzen damit die Erfahrungen über die
Inanspruchnahme des AFBG durch die dargestellten
strukturellen und technischen Änderungen im Gesetz um
und tragen außerdem der wachsenden Bedeutung der beruflichen Weiterqualifizierung und des lebensbegleitenden Lernens Rechnung.
Um potenziellen Existenzgründerinnen und Existenzgründern den Schritt in die Selbstständigkeit zu erleichtern,
werden die Fristen für die Existenzgründung und zur Einstellung von zum Beispiel zwei Beschäftigten als Voraussetzung für den Darlehenserlass auf zwei Jahre verlängert.
Wir wissen, dass, wer anfängt, sehr klein anfängt. Genau
weil er ganz klein anfängt, mussten wir an dieser Stelle Ihr
altes Gesetz verändern, damit es an die tatsächlichen Bedingungen von Existenzgründerinnen und Existenzgründern
angepasst wird. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir den
Darlehenserlass auf 75 Prozent angehoben haben. Vorgezogene Existenzgründungen aufgrund von Ausnahmebewilligungen entsprechend der Handwerksordnung sind
künftig beim Darlehenserlass zu berücksichtigen. Der Vermögensfreibetrag - wir haben es vorhin gehört - wurde von
10 000 auf 70 000 DM erhöht, um für Existenzgründungen
angespartes Vermögen zu schonen. Das ist für diejenigen,
die sagen, dass sie ihres Glückes eigener Schmied sein und
in die Selbstständigkeit gehen wollen, ein pragmatischer
Ansatz. Deshalb ist er von so großer Bedeutung.
({6})
Damit setzen wir einen deutlichen Akzent bei der Förderung von Existenzgründungen im Mittelstand und
bauen die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Weiterbildung aus. Dies schafft eine gute Basis für
die berufliche Fortentwicklung des Einzelnen und wird
auch neue Arbeits- und Ausbildungsplätze in kleinen Unternehmen schaffen. Die berufliche Fortbildung ist auch
Voraussetzung für die Übernahme von qualifizierten
Tätigkeiten als Fach- und Führungskraft und zur Gründung einer selbstständigen beruflichen Existenz.
Gerade in den mittelständischen Unternehmen, im Handwerk, ist die Qualifikation als Meister nicht nur die Basis des
eigenen Unternehmens, sie ist auch ein Qualitätssiegel. Deshalb will ich Ihnen, Frau Ministerin, an dieser Stelle - gerade auch als Wirtschaftspolitiker - besonders herzlich dafür
danken, dass es gelungen ist, diese Novelle auf den Weg zu
bringen und dass sie zum 1. Januar 2002 in Kraft treten wird.
Damit hält die Bundesregierung ihr Versprechen aus der
Koalitionsvereinbarung. Wir werden damit zum Motor der
Meisterausbildung in Deutschland.
Lassen Sie mich zum Schluss noch an ein Wort unseres Bundespräsidenten Johannes Rau anknüpfen. Er sagte: Existenzgründungen haben im Handwerk Tradition.
Ich sage: Jetzt haben sie auch Zukunft.
Herzlichen Dank.
({7})
Wie angekündigt, hat
jetzt der Kollege Jörg Tauss - wenn er noch will - das
Wort zu einer Kurzintervention.
({0})
Christian Lange ({1})
- Wir sind eben nicht dazu gekommen, weil die Kollegin
unter Zeitdruck war. Ich hatte den Eindruck, Sie sind damit einverstanden.
Herr Kollege Tauss, bitte.
Insofern muss es sein, Frau Präsidentin. Da Frau Pieper uns verlassen musste, nachdem sie
hier Darstellungen abgegeben hat, die schlicht nicht der
Wahrheit entsprachen, muss ich das hier noch richtigstellen. Herr Kollege Lange hat gerade schon darauf hingewiesen, daher kann ich mich jetzt kurz fassen.
Ich halte es wirklich - ich sage dies ausdrücklich an die
Adresse der FDP gerichtet - für ein Höchstmaß an Unredlichkeit, wenn von Ihrer Seite verschwiegen wird
- vielleicht liegt das daran, dass Frau Pieper nicht genau
weiß, was vor ihrer Zeit im Bundestag geschehen ist -, dass
Sie ein Gesetz abgeschafft und ein Jahr lang überhaupt
keine Förderung gewährt haben. Daraufhin haben Sie ein
Gesetz gemacht, das so schlecht war, dass Sie hier den
ganzen Abend daran herummäkeln - es war Ihr eigenes Gesetz -, um dann diejenigen zu kritisieren, die Ihr Werk verbessern. Ich halte dies, mit Verlaub, für eine Unverschämtheit. Berichten Sie das Frau Pieper. Ich bin von ihr nichts
anderes gewohnt und habe auch nichts anderes erwartet;
dass sie mir dies allerdings als Polemik unterstellt, ist der
Höhepunkt der Chuzpe. Diese Form des Umgangs ist inakzeptabel und noch nicht einmal der Liberalen würdig.
({0})
Nun hat zu einer Kurzintervention der Kollege Rossmann das Wort. Bitte sehr.
Ich hätte Frau
Kollegin Aigner gerne darauf hingewiesen - ich tue das
jetzt für das Haus -, dass jeder Kollege in der Vorlage der
Regierung nachlesen kann, dass auf Seite 4 dargelegt
wird, dass gegenwärtig 45 Millionen Euro von Bund und
Ländern gemeinsam für das Meister-BAföG zur Verfügung gestellt werden. Auf Seite 5 sind für das Jahr 2002
unter Mehrkosten der Novelle 46 Millionen Euro angegeben. Das sind 100 Prozent Plus. Deshalb wäre der Kollegin Aigner zu sagen: Es schadet nicht, manches zu lesen
und dann auch Prozentrechnung zu üben.
Danke.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/7094 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse sowie an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Es gibt keine anderen Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich ({0}), Hans-Michael Goldmann,
Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Punktekatalog überarbeiten - Verkehrssünderkartei entrümpeln - Bonussystem ausbauen
- Drucksache 14/6963 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen, wobei die
FDP sieben Minuten erhalten soll. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Horst Friedrich für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir, zu
Eingang meiner Rede eine kleine Korrektur vorzunehmen. Wie Sie alle beim Lesen des ersten Absatzes sicherlich gemerkt haben, ist das Kraftfahrt-Bundesamt natürlich nicht 40 Jahre, sondern 50 Jahre alt geworden. Ich
nehme an, dass Sie alle das festgestellt haben. So etwas
passiert eben.
Die FDP legt Ihnen heute Abend den ersten Teil eines
mehrstufigen Programms vor, das dazu dienen soll, die
Verkehrssicherheit in Deutschland weiter zu verbessern.
Wir wollen die Belastungsgrenze für den deutschen Autofahrer nicht weiter nach oben ausdehnen; sie ist erreicht.
({0})
Wir wollen sicherstellen, dass der deutsche Autofahrer
nicht die Milchkuh der Nation ist und bleibt, sondern dass
das besser wird.
Wie Sie alle sicherlich gelesen haben, besteht der heute
vorliegende Antrag aus vier Teilen. Der erste und sicherlich wichtigste und aufwendigste Teil - wenn man es mit
der Umsetzung ernst meint - ist mit Sicherheit, den Verwarnungs-, Bußgeld- und Punktekatalog so zu entrümpeln und zu überarbeiten, dass die Punktewertigkeit und
die Gewichtung an der Unfallträchtigkeit des jeweiligen
Vergehens zu messen sind.
({1})
Die Punkteverteilung erfolgt derzeit nach dem Prinzip
Zufall. Es kann nicht sein, dass jemand, der einem anderen aus dem Auto heraus den Vogel zeigt und dabei erwischt wird, mehr Punkte in Flensburg erhält als derjenige,
der bei Rot über die Ampel fährt; denn die Unfallträchtigkeit des zweiten Vergehens ist deutlich höher als die des
ersten. Da muss es einen Gleichklang geben. Diese RegeVizepräsidentin Anke Fuchs
lungen müssen endlich entrümpelt und vom Kopf auf die
Füße gestellt werden.
({2})
Wir haben im Übrigen allen im Zuge der Novellierung
des Führerscheinrechtes zugesagt, dass das Punktesystem
überarbeitet werden soll. Wir haben es damals nicht mehr
umgesetzt, weil es arbeitsmäßig nicht mehr zu schaffen
war. Aber es ist hohe Zeit, dies endlich anzugehen.
Zweitens sind wir der Meinung - das ist aus unserer
Sicht genauso wichtig -, dass das Bonussystem bei freiwilliger Nachschulung ausgebaut werden muss,
({3})
damit Ersttätern die Möglichkeit eingeräumt wird, bei Delikten, die mit bis zu drei Punkten geahndet werden, den
Eintrag durch eine freiwillige Nachschulung entweder
ganz zu verhindern oder wenigstens zu reduzieren.
({4})
Drittens. Die Registrierungsfrist für Verkehrsdelikte
bis zu drei Punkten - das sind dann nach einer Überarbeitung und Überprüfung sicherlich die weniger sicherheitsrelevanten Vergehen - soll von zwei Jahren auf ein Jahr
reduziert werden, um das Mitschleppen ganzer Datensätze zu verhindern. Es ist nämlich nachweisbar: Nur
300 000 der rund 7 Millionen registrierten Verkehrssünder in Flensburg bilden tatsächlich den Kernbereich, auf
den wir uns eigentlich konzentrieren müssten. Davon wiederum sind rund 73 000 tatsächlich von dem Entzug des
Führerscheins bedroht und 300 000 haben mehr als acht
Punkte. Der Datenbestand für den Rest, der nicht mehr
auffällig wird, wird sozusagen mitgeschleppt. Wir als Liberale sind der Meinung, dass dieses System endlich entstaubt und überarbeitet werden muss. Das kann es eigentlich nicht sein.
({5})
Als Sahnehäubchen - das regt Sie sicherlich am meisten auf - und gewissermaßen als positives Signal sind wir
der Meinung, dass aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums
des Kraftfahrt-Bundesamtes eine Amnestie für Sünder
mit einem Punktekonto von bis zu drei Punkten eingeführt
werden sollte.
({6})
Um gleich Einwürfen der Union entgegenzutreten, die ich
gelesen habe: Amnestie ist durchaus ein probates Mittel in
der Regierungsform Demokratie und nicht nur auf Königreiche beschränkt.
Für uns steht dieses Programm nicht alleine. Es ist, wie
gesagt, nur der erste Teil. Wir gehen weiter. Der nächste
Schritt wird unser Vorschlag sein, den Katalog der Prüfungstätigkeit für Prüfeinrichtungen nach § 29 StVZO,
also die Arbeitsgrundlage für TÜV, Dekra und freiberufliche Ingenieure, zu überarbeiten. Dieser Paragraph
stammt aus der Zeit vor 30 Jahren. Mittlerweile hat sich
allerdings die Technik des Autos deutlich verändert. In
diesem Paragraphen ist noch enthalten, dass auch Fahrzeuge, die noch keine drei Jahre alt sind, auf Durchrostung zu überprüfen sind. Drei Jahre alte Autos haben heutzutage keine Rostschäden mehr. Aber der TÜV, Dekra und
andere Prüfeinrichtungen müssen es noch überprüfen,
weil es im Katalog steht.
Umgekehrt gilt: Probleme, die etwa hinsichtlich der
Stoßdämpfer bekannt sind, werden überhaupt nicht im
Prüfkatalog aufgeführt, weil es noch keine Prüfverfahren
gibt. Andererseits steht fest, dass bis zu 14 Prozent aller
Autos mit nicht ausreichend funktionierenden Stoßdämpfern unterwegs sind. Das ist eine der größten Ursachen für Verkehrsunfälle und für mangelnde Verkehrssicherheit.
({7})
- Bevor Sie sich aufregen, schauen Sie sich doch lieber
einmal die vorliegende Statistik an. Dann unterhalten wir
uns in aller Ruhe.
({8})
Aus unserer Sicht soll das gesamte Paket durch eine
komplette Neubearbeitung der Fahrlehrerausbildung
abgerundet werden.
({9})
Wenn wir die Verkehrssicherheit wirklich ernst nehmen,
dann muss man von Beginn an die Grundlagen legen.
Herr Schmidt, warum regen Sie sich eigentlich so auf? Es
steht doch in Ihrem eigenen Verkehrsbericht, dass der Beruf des Fahrlehrers vom Fortbildungsberuf zum Ausbildungsberuf umgestellt werden soll. Sie erwähnen dies
zwar im Bericht, aber Sie handeln nicht dementsprechend. Das ist das eigentliche Problem.
({10})
Der Fahrlehrer braucht eine deutlich bessere Ausbildung
im pädagogischen Bereich. Nur wenn er in der Lage ist,
das, was er lernt, tatsächlich so rüberzubringen, dass damit eine Verhaltensveränderung einhergeht, werden wir in
der Lage sein, bezüglich der mangelnden Verkehrssicherheit nicht nur die Auswirkungen, sondern endlich die Ursachen zu bekämpfen. Deswegen müssen wir in diesem
Punkt nacharbeiten.
({11})
Wir werden Ihnen entsprechende Vorschläge machen.
({12})
In diesem Gesamtzusammenhang ist dieser erste
Schritt von uns zu sehen. Ich freue mich auf die sachlich
hoch stehende Diskussion im Ausschuss und gehe davon
Horst Friedrich ({13})
aus, dass es eigentlich keine Argumente gegen unseren
Antrag gibt.
Herzlichen Dank.
({14})
Nun hat die Kollegin
Rita Streb-Hesse das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Das 50-jährige Jubiläum des Kraftfahrt-Bundesamtes, das die Eingeweihten eigentlich als
Flensburger Verkehrssünderkartei kennen, sollte ein Anlass sein zum Feiern für alle, die an der Verkehrssicherheit
interessiert sind und daran arbeiten, für die Verbände, die
Organisationen, die Verwaltung und auch und gerade für
uns in der Politik.
Wir wissen, dass diese Bundesbehörde entscheidend
dazu beiträgt, dass die im Straßenverkehrsrecht festgelegten Regeln zur Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer eingehalten werden und bei einer Übertretung oder einem Verstoß die angemessene Sanktion erfolgt.
({0})
Dort werden alle Verkehrsordnungswidrigkeiten und
Straftaten erfasst und je nach ihrer Schwere und Bedeutung im Rahmen des 1974 eingeführten Punktesystems
bewertet.
({1})
Dass im Laufe der Jahre - Kollege Friedrich, Sie sind
länger in diesem Haus als ich - eine Anpassung des Verwarnungs-, Bußgeld- und Punktekatalogs an neue Verkehrsvorschriften, Unfallhäufigkeiten und -ursachen erfolgen musste und dies auch geschieht, zeigt die in der
letzten Legislaturperiode 1998 vorgenommene Novellierung, die seit dem 1. Januar 1999 gilt.
({2})
Damals wurde das Punktesystem in § 4 des Straßenverkehrsgesetzes verankert und damit eine bundesweit einheitliche Grundlage geschaffen.
Darüber hinaus ermöglicht ein Bonussystem den Abbau von Punkten. Betroffene können bei einem Punktestand von bis zu acht Punkten mit der freiwilligen Teilnahme an einem Aufbauseminar eine Minimierung um
vier Punkte erreichen. Bei einem Punktestand von 9 bis 13
Punkten können sie ebenfalls noch durch die Teilnahme
an einem Seminar eine Reduzierung um zwei Punkte erreichen. Sogar noch bei einem Punktestand von 14 Punkten - da sind ja schon jede Menge Verkehrsdelikte zusammengekommen - kann man mit der Teilnahme an einem Aufbauseminar und an einer verkehrspsychologischen Einzelberatung auch Punkte tilgen.
({3})
Ich verdeutliche es für alle hier noch einmal. Es ist ganz
gut, dass man die Tabelle kennt, wenn ich auf Ihre drei
Punkte komme.
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Das Punktesystem mit seiner Präventivwirkung hat sich bewährt und ist
breit akzeptiert. Es intendiert und bewirkt ein faires und sicheres Verkehrsverhalten und bietet Angebote und Hilfestellung, die dies auch unterstützen. Die aktuellen Zahlen,
die ich aus dem Haus und auch aus dem Amt habe, sprechen für sich: Von den 50 Millionen Führerscheininhabern
sind heute lediglich 12 Prozent in Flensburg registriert und
von diesen erreichen nur 0,3 Prozent - das bestätigt Ihre
Zahl - 18 Punkte und mehr.
({4})
Diese positive Wirkung wird nun mit Ihrem Antrag - das
überrascht uns schon alle - infrage gestellt.
({5})
- Doch. Denn nach Ihrer Vorstellung wollen Sie, Herr
Kollege Friedrich, eine Stärkung des Rechtsbewusstseins
im Verkehr dadurch erreichen - jetzt kommt es -, dass wir
eine Generalamnestie bekommen. Für die, die das nicht
gelesen haben: Das Jubiläum ist für die FDP ein Anlass,
alle Daten für im Zentralregister erfasste Verkehrssünder
mit bis zu drei Punkten zu löschen.
({6})
Sie haben eine Presseerklärung der CDU erwähnt. Ich
würde das Gleiche sagen: Generalamnestien passen zu
feudalistischen Systemen,
({7})
zu Diktaturen, zu Herrschersystemen, aber sie passen
nicht zu einer Demokratie.
({8})
Kollege Friedrich, ich denke, das ist auch nicht im Interesse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort im Amt.
Es passt nicht zu einer Bundesbehörde, die rechtsstaatlich
arbeitet.
({9})
Sie wissen aber, dass das zutiefst ungerecht wäre, weil
mit diesem Ablass, wie ich ihn nenne, nur denjenigen
die Punkte gestrichen würden, die gerade im Register eingetragen sind. So denkt die FDP folgerichtig auch an ein
Weniger an Sanktionen bei zukünftigen Verstößen und
Horst Friedrich ({10})
fordert die Reduzierung der zweijährigen Tilgungsfrist
auf ein Jahr. Diese Halbierung würde die anerkannte
Präventivwirkung schwächen, wie zahlreiche Untersuchungen belegen. Zum einen bemühen sich die Betroffenen, in diesem Zeitraum keine weiteren Verkehrsverstöße
zu begehen, zum anderen werden gerade Mehrfachtäter
im zweiten Jahr erneut auffällig. Dann müsste man Ihre
Statistik aber jedes Mal neu eröffnen.
Meine Damen und Herren, glauben Sie nicht, dies wäre
schon das Ende der liberalen Großzügigkeit. Freie Fahrt
für freie Bürger habe ich schon vor ein paar Jahren
gehört.
({11})
- Das unterstelle ich Ihnen aber. - Damit es nun überhaupt
nicht erst zu einer Eintragung ins Zentralregister kommt,
möchte die FDP auch schon hier ein Bonussystem anwenden. Das hätte zur Konsequenz, dass mit einer freiwilligen Nachschulung der Verstoß gleichsam als nicht
geschehen abgehakt werden könnte.
({12})
- Wunderbar, Herr Kollege, wenn man nicht wüsste und
tagtäglich erfahren müsste, dass gerade die Häufigkeit
dieser Verstöße schwächere Verkehrsteilnehmer wie Kinder und Fußgänger gefährdet. Zu den Vergehen, die mit
bis zu drei Punkten geahndet werden, gehören zum Beispiel das Überschreiten von innerörtlichen Geschwindigkeitsbegrenzungen mit bis zu 20 Stundenkilometern, die
Nichtbeachtung von Stoppschildern, Warnanlagen und
Zebrastreifen sowie zu dichtes Auffahren.
Meine Damen und Herren von der FDP, Sie - ich denke
hier insbesondere an den Kollegen Friedrich - versuchen
mit populistischen Scheinbegründungen wie eingeschlichene Registrierungsbürokratie, Entrümpelung und
Maßstab der Unfallträchtigkeit zu bemänteln, dass Sie
und die FDP einen Teil der Verkehrsvergehen weiterhin
als Kavaliersdelikte einstufen.
({13})
Sie versuchen, dies mit Begriffen wie Verkehrssünder,
Einmaltäter oder Genusstrinker - ich erinnere an die
Diskussion zur Promillegrenze - auch den Verkehrsteilnehmern zu suggerieren.
In Fortführung dieser Einstellung müssten wir dann allerdings auch für die 88 Prozent der Führerscheininhaber,
die sich gesetzeskonform verhalten, ein Bonussystem einführen. Man könnte sagen: Wer fünf Jahre unfallfrei gefahren ist, darf einmal bei Rot über die Ampel fahren.
({14})
- Nein, das haben Sie vorgeschlagen.
({15})
Sie haben einen neuen Koalitionspartner in Hamburg, der
diese Auffassung von Rechtsstaatlichkeit sicherlich nicht
teilen wird. Aber vielleicht gelingt es Ihnen ja, Kollege
Friedrich, Herrn Schill für ein solches Bonussystem zu
gewinnen.
({16})
Auch im Verkehr gilt das Prinzip Sicherheit. Unsere
Aufgabe in diesem Hause ist es, das Verkehrsrecht so fortzuschreiben, dass es ein Mehr an Sicherheit und ein faires
Miteinander aller Verkehrsteilnehmer gewährleistet. Das
haben wir zu Beginn dieses Jahres mit einer weiteren Novellierung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Vorschriften getan.
Das Punktesystem wurde und wird den aktuellen Notwendigkeiten angepasst, ist praxistauglich und leistet einen wesentlichen Beitrag zur Verkehrssicherheit. Die
SPD-Fraktion sieht derzeit keinen Anlass für eine erneute
Überarbeitung. Vielmehr möchten sich meine Fraktion
und ich an dieser Stelle bei allen, die im KraftfahrzeugBundesamt und den ihm angeschlossenen Dienststellen
arbeiten, mit einem herzlichen Glückwunsch zum 50jährigen Jubiläum bedanken.
({17})
Nun hat der Kollege
Wolfgang Börnsen für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Punkteinhaber ebenso wie Nichtpunkteinhaber! In den Wochen
vor den Präsidentschaftswahlen in Frankreich laufen die
französischen Verkehrsorganisationen regelmäßig Sturm.
Und warum? - In unserem charmanten Nachbarland ist es
Tradition, dass ein neuer Präsident als eine der ersten
Amtshandlungen eine Generalamnestie für Verkehrssünder erlässt;
({0})
schön für die Wähler, aber schlecht für die Sicherheit.
({1})
Die dortige Erfahrung zeigt: So kurz vor den Wahlen
geht mancher Franzose gern etwas mehr Risiko ein. Da
weiß man, dass mögliche Sanktionen nur von kurzer
Dauer sind. Die Unfallstatistik weist - um das ganz seriös
zu sagen - in dieser Zeit steil nach oben. Polizei und Politessen werden offen ausgelacht.
Die Freien Demokraten und Kollege Horst Friedrich
- mit ein wenig Schalk im Nacken - fordern in ihrem AnRita Streb-Hesse
trag eine Amnestie aus Anlass des fünfzigjährigen Bestehens des Kraftfahrt-Bundesamtes in Flensburg. Natürlich
ist dieses Jubiläum ein Grund zum Feiern, gerade für eine
Bundesbehörde, die in meinem Wahlkreis ihren festen
Standort hat, in der tüchtige Frauen und Männer tätig sind,
({2})
eine Behörde, die es verdient, als europäische Behörde
ausgebaut zu werden.
Seit fünf Jahrzehnten sorgt das KBA in Flensburg für
mehr Sicherheit, Struktur und Überblick im Straßenverkehr unseres Landes. Doch ein Überblick reicht nicht aus,
wenn es um mehr Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer
geht, sondern man braucht einen Durchblick. Nicht nur
Verkehrsexperten aller Couleur fragen sich mit Sorge und
Zweifel, lieber Horst Friedrich, ob dieser Durchblick gewährleistet ist, wenn dieser liberale Vorschlag, bei fast
3 Millionen Autofahrern durch den Wegfall von Anfangspunkten für eine weiße Weste zu sorgen, in die Tat umgesetzt wird.
({3})
Die Polizei, die ich gefragt habe, argumentiert: Freibriefe dieser Art schaden unserer Autorität.
({4})
Vom Verkehrssicherheitsrat wird die Auffassung vertreten: Wehret den Anfängen. Wer in Flensburg mit Punkten
belastet sei, habe sie verdient, denn er habe sich in irgendeiner Weise rücksichtslos verhalten.
({5})
Von der Verkehrswacht kommt die Warnung, keinen
Wahlgag auf Kosten von Sicherheit im Straßenverkehr zu
landen.
Als ich in meinem ersten Bundestagsjahr als Flensburger Abgeordneter den Vorschlag einer Bonusregelung
für Autofahrer einbrachte, erntete ich hier im Plenum
Hohn und Spott aus allen Reihen, auch und ganz besonders von den Freien Demokraten.
({6})
Damals galt nur ein Grundsatz: Wer sich verkehrsgefährdend verhält, der muss bestraft werden. Eine Gnade für
ein solches Vergehen darf es nicht geben.
Heute, gut zehn Jahre später, hat sich diese Auffassung
erfreulich gewandelt. Wer sich als Verkehrsteilnehmer um
vorbildliches Verhalten bemüht, der muss die Chance
haben, dass Besserung belohnt wird, doch - diese Einschränkung ist bisher von allen Fraktionen geteilt worden dieser Wille muss dauerhaft sein und von eigenen
Bemühungen begleitet werden. Ein treuer Augenaufschlag reicht für das Aussetzen von Strafe nicht aus.
({7})
Abgesehen davon: Wir, der Gesetzgeber, würden unsere eigenen Auflagen, Ansprüche und Anforderungen,
die wir mit dem Punktesystem verbunden haben, unterlaufen. Dem Ansehen des Deutschen Bundestages dient
eine Hauruckaktion dieser Art keinesfalls.
Trotzdem hat die FDP-Idee Charme. Oder um es mit
Arthur Schopenhauer zu sagen:
Der Spleen ist oft das Beste an einem Menschen, sein
kreativster Teil, mit dem große Energien freigesetzt
werden können, ein Stück Utopie zu verwirklichen.
({8})
Der Antrag sollte Anstoß sein, darüber nachzudenken,
wie sich das gängige Verfahren durch weniger bürokratischen Aufwand, weniger Formalismus und weniger
Gängelung für die Verkehrsteilnehmer optimieren lässt.
Es lässt sich optimieren.
({9})
Das Punktesystem in Deutschland gilt bisher in seiner
Kombination aus Strafe und Belohnung als vorbildlich.
Wer sich nicht an die Verkehrsregeln hält und sich und andere in Gefahr bringt, wird belangt. Punkte bremsen den
Übermütigen. Punkte machen Fehlverhalten deutlich. Neben den Bußgeldern bekommt der Verkehrsregelverletzer
bei Ordnungswidrigkeiten einen bis vier Punkte, bei
Straftaten fünf bis sieben Punkte. Von den 48 Millionen
Führerscheinbesitzern ist derzeit jeder neunte Fahrer in
der Sünderkartei in Flensburg registriert. 80 Prozent davon sind Männer, 20 Prozent davon Frauen.
({10})
Wer häufiger die Verkehrsregeln bricht, wird härter bestraft. Wer Punkte sammelt zeigt, dass er nichts gelernt
hat. Er erhält zusätzlich Verwarnungen oder Anordnungen, an Aufbauseminaren teilzunehmen. Wer stur und
völlig uneinsichtig bleibt, dem wird der Führerschein entzogen. Die Aufgabe des Führerscheins erfolgt - Horst
Friedrich und meine Vorrednerin haben das bereits gesagt bei 0,3 Prozent der Autofahrer. Das ist ein Beleg dafür,
dass es gelingt, notorische Wiederholungstäter herauszufischen. Diese Zahl ist darüber hinaus aber auch ein Beleg dafür, dass sich die überwiegende Anzahl der Autofahrer in Deutschland verantwortlich im Straßenverkehr
verhält. Das gilt für die junge Generation wie für die anderen Generationen.
({11})
Wer einsichtig ist, wird belohnt. Die Punkte für eine
Ordnungswidrigkeit verfallen für denjenigen, der zwei
Jahre vorbildlich fährt.
({12})
Das ist pädagogisch vertretbar und psychologisch vernünftig. Ein Konto von weniger als acht Punkten reduziert
Wolfgang Börnsen ({13})
man um vier Punkte, nimmt man freiwillig an Aufbauseminaren teil. Persönlicher Einsatz zur Besserung wird
vorausgesetzt. Das ist richtig. Die Reduzierung von Punkten ist so an das positive Verhalten der Einzelnen im Verkehr gebunden und nicht an das Jubiläum einer Behörde.
Ziel dieses Bonus-Malus-Systems ist die Unfallvermeidung. Es ist nicht nur eine Teilmaßnahme, es zeigt
auch Wirkung. Was in unserer Republik jedoch fehlt - das
beklagen wir noch immer -, ist ein Gesamtkonzept für
mehr Sicherheit im Straßenverkehr. Das wurde von den
drei bisher tätigen sozialdemokratischen Verkehrsministern zwar angekündigt, doch gibt es bis heute noch
keine Konkretisierung dieser Ankündigung.
Ganz anders dagegen handelt die Europäische Union.
Sie hat ein Zehnjahresprogramm aufgelegt. Sie zeigt Betroffenheit. Das ist praktizierte Mitverantwortung. Europas Unfallbilanz - wir in Deutschland tragen dazu bei ist bitter, bedrückend und belastend.
({14})
Man darf bei einem solchen Thema, das so eingeführt
worden ist, nicht vergessen: Täglich sterben in Europa
123 Menschen im Straßenverkehr. Verkehrsunfälle in der
EU sind, wie bei uns, die Haupttodesursache für Bürger
unter 45 Jahren. Einer von 20 Bürgern in unseren 15 Ländern wird jährlich durch einen Verkehrsunfall getötet oder
zu einem Invaliden. Einer von drei Bürgern muss im
Laufe seines Lebens wegen eines Autounfalls ins Krankenhaus. Einer von 80 Bürgern beendet sein Leben durch
einen Unfall 40 Jahre zu früh. In der EU haben wir jährlich 42 500 Verkehrstote zu beklagen. Über 3,5 Millionen
Menschen werden Jahr für Jahr Opfer von Verkehrsunfällen mit schweren Schädigungen. Dies darf nicht als Preis
der Mobilität hingenommen werden.
({15})
Zwei Entwicklungen fallen in der Unfallbilanz auf
- sie gelten für Europa ebenso wie für Deutschland -:
Zum einen geht die Anzahl der schweren Unfälle seit über
30 Jahren deutlich, aber immer langsamer zurück. Zum
anderen ist die Zahl der Verkehrsunfälle, parallel zur steigenden Anzahl der Fahrzeuge, bei uns dramatisch gestiegen. In unserem Land registrierte man 1970 1 Million Unfälle, heute sind es 2,4 Millionen.
Neben dem menschlichen Leid, neben Schmerz und
persönlichem Schaden sind dafür nicht nur von den Betroffenen, sondern von allen Bürgern unermessliche
Kosten zu tragen. Der Europäische Verkehrssicherheitsrat beziffert die Höhe der Unfallschäden auf jährlich
160 Milliarden Euro, also auf das Doppelte des gesamten
EU-Haushaltes.
Die EU bilanziert nicht. Doch sie handelt konsequent.
Ihre Absicht ist es, die Anzahl der Verkehrstoten bis 2010
auf 25 000 zu senken. In unserem Land gibt es noch kein
Ziel dieser Art und auch kein Sicherheitskonzept mit einer festen Ausrichtung. Die EU arbeitet aktuell an einer
Richtlinie, bei der es darum geht, wie Straßen sicherer gemacht werden können und insbesondere Unfallschwerpunkte beseitigt werden können.
Bei uns stellt der Dekan der Universität Gießen,
Professor Aberle, fest, dass jährlich 80 Milliarden DM an
Steuern und Gebühren von der Straße kassiert werden,
davon aber nur 35 Milliarden DM zur Verbesserung der
Infrastruktur eingesetzt werden. Gezielte Verkehrsplanung kann Gefährdungen von vornherein verhindern. Der
Verkehr in Deutschland nimmt von Jahr zu Jahr zu. Die
Regierung trägt dem aber nicht Rechnung. Die Zweckentfremdung von 45 Milliarden DM, die nicht zur Erhöhung der Sicherheit auf den Straßen eingesetzt werden,
ist nicht gerechtfertigt. Das darf so nicht bleiben.
({16})
Die EU setzt auf sichere Frontpartien, besonders bei
Geländewagen, um einen besseren Schutz für Fußgänger
und Radfahrer zu erreichen. Bei uns zögert und zaudert
man bei dieser Frage noch, und dies trotz der Aufforderung der Kinderkommission, trotz des Appells von Experten aus allen Fraktionen und trotz des Wissens, dass
diese Kuhfänger voller Risiken sind und dass nach Auffassung des Europäischen Verkehrssicherheitsrats in jedem Jahr 2 000 Menschenleben gerettet werden könnten
und mehr als 15 000 Unfallopfern die schweren Verletzungen erspart bleiben könnten, würde man die passive
Sicherheit der Fahrzeuge querbeet endlich auch bei uns
verbessern.
({17})
Ein Zusammenstoß mit einem Geländewagen mit
Frontschutzbügeln bei 20 Kilometern pro Stunde hat die
gleiche Aufprallwirkung wie ein Zusammenstoß mit einem Fahrzeug mit einer normalen Frontpartie bei 40 Kilometern pro Stunde. Das ist verheerend für Fußgänger
und tödlich für Kinder. Anstatt die Autokonzerne zu mehr
Fahrzeugsicherheit zu verpflichten und sie auf die Selbstbindung aufmerksam zu machen, weicht man den Hinweisen aus Brüssel aus, verweist darauf, dass es noch europäischer Regelungen bedarf und macht auf nationaler
Ebene nichts. Das geht nicht. Da muss auch in Deutschland
konsequent gehandelt werden.
({18})
Die EU packt das Thema Tagesfahrtlicht an. Unserer
Auffassung nach muss dieses Thema wegen der Erfahrungen in Skandinavien im Zusammenhang mit der Frage
der Verkehrssicherheit stärker beachtet werden. Das gilt
auch für die intelligenten akustischen Sitzgurtwarnvorrichtungen. Auch sie können, wenn sie angemessen
eingebaut werden, dazu beitragen, dass Menschenleben
gerettet werden.
Wir brauchen - damit nehme ich Bezug auf den Antrag
der Freien Demokraten - keine Generalamnestie. Wir
brauchen eine neue Diskussion über die Verkehrssicherheit und die entsprechenden Gesetze, Bestimmungen und
Regelungen in Deutschland.
({19})
Wolfgang Börnsen ({20})
Wir brauchen eine Mobilisierung des Gedankens, dass wir
alle mitverantwortlich dafür sind, zu mehr Verkehrssicherheit zu kommen.
({21})
Ich bin schon der Auffassung, dass es richtig ist, die
Sache hier im Parlament quer durch alle Fraktionen anzupacken, solange die Regierung in dieser Frage noch immer zögert. Ich könnte mir sehr wohl vorstellen, dass man,
ausgehend von der Initiative der Liberalen, zu einer nationalen Verkehrssicherheitskampagne kommt, in die
alle gesellschaftlichen Gruppen eingebunden werden,
vom Kindergarten über die Schulen
({22})
- die haben wir noch nicht - bis hin zum Bundespräsidenten, und dazu beitragen, dass der Verkehrssicherheitsrat, die Verkehrswacht, die Polizei, der ADAC und alle anderen, die täglich für Sicherheit im Verkehr da sind, in
ihrem Bemühen gestärkt und unterstützt werden.
Es bleibt - damit komme ich zum Schluss - aber leider
die Tatsache, dass Jahr für Jahr einer von 100 Mitbürgern
in Deutschland im Straßenverkehr tödlich verunglückt
bzw. zum Invaliden wird. Es bleibt auch die Tatsache,
dass dieser traurige Tatbestand nicht unabänderlich ist,
dass es an uns allen liegt, dagegen Front zu machen.
50 Jahre Kraftfahrt-Bundesamt in der schönen Fördestadt
Flensburg sollten deshalb ein Anstoß für eine nationale
Verkehrssicherheitskampagne, aber nicht Anlass dafür
sein, generell intensiver über eine weiße Weste für Autofahrer nachzudenken.
Danke schön.
({23})
Nun erteile ich dem
Kollegen Albert Schmidt für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kaiser hat Geburtstag, da dürfen
alle kleinen Ganoven aus dem Knast. Nach diesem Muster ist Ihr Antrag gestrickt, den Sie uns heute hier in dieser Debatte zumuten.
({0})
- Lieber Horst Friedrich, das ist nicht Liberalismus, das
ist Feudalismus.
({1})
Ich frage mich: Warum beantragt ihr eigentlich nicht,
dass anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des KraftfahrtBundesamtes auch noch den Straftätern ihre Strafgelder
zurückgezahlt werden? Das wäre doch einmal ein Wahlgeschenk. Ich frage mich: Warum beantragt ihr nicht, das
anlässlich des 40-jährigen Bestehens des Kaufhofes alle
Diebe freigelassen werden oder ihre Strafgelder zurückgezahlt bekommen? Liebe Kolleginnen und Kollegen von
der FDP, so kann man mit dem ernsthaften Thema Verkehrssicherheit nun beim besten Willen nicht umgehen.
({2})
Schauen wir uns doch einmal an, was in diesem Punktesystem, wie wir es heute haben, wirklich geschieht,
nach welchem Prinzip es funktioniert. Es ist im Grunde
schon ausgeführt worden, ich brauche es nur noch einmal
zusammenzufassen. Das Punktesystem enthält natürlich
Sanktionen, das heißt Bewertung von Straftaten, von Ordnungswidrigkeiten mit bestimmten Strafpunkten. Es enthält weiter einen Katalog von abgestuften Maßnahmen,
die die Verwaltungsbehörden zu treffen haben. Aber es
enthält eben nicht nur Strafen, sondern es enthält auch ein
Anreiz-, ein Bonussystem, das sehr differenziert ist und
keineswegs nur dem Erstauffälligen, sozusagen dem Ersttäter, eine Chance gibt, sondern selbst bei hohen Punkteinträgen die Möglichkeit bietet, durch freiwillige Teilnahme an Aufbauseminaren das Punktekonto in
Flensburg zu entlasten.
({3})
Wenn ich freiwillig an einem Aufbauseminar teilnehme, mache ich deutlich, dass ich einsehe, einen Fehler
begangen zu haben, und nicht nur darauf warte, bis mir die
Allgemeinheit hier großzügig entgegenkommt. Ich zeige,
dass ich bereit bin, dafür auch etwas zu tun, nämlich mich
nachschulen zu lassen. Dann bekomme ich bis zu vier
Punkte erlassen, wenn mein Konto unter acht Punkten
liegt, und ich bekomme sogar, wenn ich über neun liege,
bei einer solchen freiwilligen Maßnahme immer noch
zwei Punkte abgezogen.
({4})
Wenn man 14 Punkte hat, wird man erst einmal zu einem obligatorischen Aufbauseminar verdonnert; aber
man hat durch freiwillige Teilnahme an einer psychologischen Beratung immer noch die Möglichkeit, einen Abzug von zwei Punkten zu bekommen.
({5})
Das ist doch ein Anreizsystem, das im Grunde genommen dazu führt, sein persönliches Punktekonto, wenn
man im unteren Bereich ist, auf null zu bekommen. Ich
verstehe also überhaupt nicht, was hier noch für Handlungsbedarf sein soll.
({6})
- Das ist sehr wohl der Fall, lieber Kollege Friedrich,
nämlich dann, wenn das Punktekonto bei vier oder weniger liegt. Dann kann ich sehr wohl auf null kommen.
Wolfgang Börnsen ({7})
Die Präventivwirkung dieses Systems hat sich bewährt - das ist mehrfach angesprochen worden -, es funktioniert.
({8})
Nur 0,3 Prozent der betroffenen Kraftfahrerinnen und
Kraftfahrer in Deutschland fallen mit einem Punktekonto
von 18 oder mehr Punkten auf. Alle anderen liegen deutlich darunter.
({9})
- Richtig, aber ihr tut so, als ob man etwas erfinden
müsste, was es im Grunde schon gibt.
({10})
Die Hälfte eures Antrags will Dinge, die es schon gibt,
und die andere Hälfte ist Quatsch.
({11})
Quatsch ist zum Beispiel, dass die Tilgungsfrist auf ein
Jahr verkürzt werden soll. Das heißt im Klartext, dass die
Präventivwirkung des ganzen Systems halbiert wird. Das
ist doch nicht verantwortliche Sicherheitspolitik, das kann
man doch nicht im Ernst wollen.
({12})
Ich möchte zum Schluss kommen und die Redezeit
nicht ausschöpfen, weil im Wesentlichen alles bereits gesagt worden ist, nur noch nicht von allen.
Ich finde, die FDP macht mit diesem Antrag hier eine
Show, und zwar - das ist jetzt nicht mehr lustig - letztlich
zulasten der Verkehrssicherheit, wie es der Kollege
Börnsen zu Recht ausgeführt hat.
Sich angesichts der noch immer zu verzeichnenden
Zahlen - hinter jeder Zahl verbirgt sich ein persönliches
Schicksal, ein Schicksal von Menschen, von Kindern
womöglich, die Opfer von Verkehrsunfällen wurden, Opfer von Ordnungswidrigkeiten, Opfer auch von Straftaten
im Straßenverkehr - nicht um einen einzigen sachlichen
Grund zu bemühen, sondern leichtfertig zu sagen: Weil
das Amt 50 Jahre alt wird, gibt es eine Generalamnestie,
das ist nicht Politik, das ist Show. So muss das genannt
werden.
({13})
Abschließend nenne ich einen weiteren Grund, lieber
Kollege Horst Friedrich, aus dem ich diesem Antrag nicht
zustimmen werde: Ich selbst habe nämlich ein Konto mit
null Punkten. Und was bekomme ich zu dem famosen Jubiläum? Ich bin im Straßenverkehr bisher nicht auffällig
geworden und werde daher nicht belohnt. Alle anderen jedoch, die auffällig wurden, erhalten noch eine Gratifikation, nur weil das Kraftfahrt-Bundesamt 50 Jahre alt wird?
Das ist nicht Politik, sondern wirklich Quatsch.
({14})
Nun hat der Kollege
Winfried Wolf für die PDS-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen! Werte Kollegen! Werter Kollege Friedrich, ich glaube, wir können nichts dagegen haben, dass Bürokratie abgebaut und dass entrümpelt wird.
Ich glaube aber, dass von den letzten drei Rednern das
Wichtigste gesagt wurde: dass der Antrag gnadenlos
populistisch und rechtsstaatlich gesehen zumindest fragwürdig ist.
({0})
Ich glaube, dass Ihr Wort, Herr Friedrich, wonach der
deutsche Autofahrer die Melkkuh der Nation sei, aus dem
Munde eines Abgeordneten, der 16 Jahre als - nach eigenen Worten - Melker vom Dienst regiert hat, etwas
skurril klingt.
({1})
Der ACE - der Auto Club Europa - hat am 5. November dazu - ähnlich, wie sich Kollegin Rita Streb-Hesse
äußerte - Folgendes geschrieben - ich zitiere -:
Mittels Nachschulungen besteht bereits heute die
Möglichkeit, den Punktestand in Flensburg abzutragen. Dieses sinnvolle System wird mit dem FDP-Antrag durch eine Amnestie hinfällig.
({2})
Er schreibt weiter:
Die FDP will offenbar den Kreuzungsverkehr bei
gelb geschalteter Ampel salonfähig machen.
({3})
Apropos Rechtsstaat: Man muss sich wirklich einmal
überlegen, was es bedeutet, wenn man sagt, der Anlass
sei das 50-jährige Bestehen der Flensburger Verkehrssünderkartei. Ein Register gibt sich die Ehre, wegen seines 50-jährigen Bestehens eine Teillöschung vorzunehmen. Man fragt sich: Was ist in 60 Jahren, was in 75
Jahren?
({4})
Gibt es dann vielleicht eine Verdoppelung der Bonuspunkte oder einen Tag mit Alkohol am Steuer straffrei, einen Wiesheu-Rabatt? Das alles sind Fragen, die sich der
ernsthafte Zuhörer hier stellt.
({5})
Albert Schmidt ({6})
Ich glaube, dass der Kollege Börnsen richtigerweise
auf die Situation in Frankreich und auf die nachweisbare
Statistik hingewiesen hat, wonach, da Chirac jetzt klassischerweise wieder ankündigt, dass er im Falle seiner
Wahl eine Amnestie veranlassen werde, schon jetzt Macho-Gehabe an den Tag gelegt wird, die Aggressivität
steigt und der gewöhnliche sterbliche Franzose bzw. die
Französin auf der Straße die Sau rauslässt.
({7})
Ich glaube, es gäbe genügend Gründe, Kollege
Friedrich und andere, in Bezug auf das Thema Verkehr
ernsthafte Fragen aufzuwerfen, auch in dem Bereich, der
hier genannt wurde.
Gerhard Mauz, der berühmte Gerichtskorrespondent,
hat sich jüngst im Tagesspiegel mit dem Satz zu Wort
gemeldet:
Der Tod im Verkehr ist längst zum Absterben des Gefühls für Recht und Unrecht geworden.
Und er stellt die Frage, wie es kommen kann, dass unsere Zivilgesellschaft die meisten Toten, die nicht auf
natürliche Weise aus dem Leben scheiden, im Verkehrssektor hat, während es bis 1918 die durch Ertrinken zu
Tode Gekommenen waren. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg waren die durch Mord und Totschlag Verstorbenen
noch weit zahlreicher als die im Straßenverkehr Getöteten. Jetzt haben wir trotz Rückgang der Gesamtzahl der
Getöteten sechs- bis siebenmal mehr im Verkehrssektor
als durch Mord und Totschlag Getötete.
Man könnte auch den Aspekt der beteiligten Geschlechter, den Herr Börnsen genannt hat, ausbauen und
sagen: Nicht nur in der Kartei zeichnet sich ein Verhältnis
von 20 Prozent Frauen zu 80 Prozent Männern ab, sondern auch bei den im Straßenverkehr Getöteten waren nur
20 Prozent Frauen, die am gegnerischen Steuer saßen,
80 Prozent jedoch Männer. Das heißt: Töten im Straßenverkehr ist Männersache. Die Frage ist allerdings nicht:
Ist das genetisch bedingt?, sondern das hat konkret etwas mit der Gesellschaft zu tun und könnte auch entsprechend geändert werden.
Ich glaube, dass Sie, Herr Kollege Friedrich, und die
anderen Kollegen der FDP ein weites Feld vor sich haben.
Über manche Unterschrift unter dem vorliegenden Antrag - auch über die von Ihnen, Herr Kollege van Essen habe ich mich gewundert; denn ich finde diesen Antrag
wirklich unsinnig. Die Aufgabe, auf dem Gebiet des Verkehrs etwas zu ändern, ist ein Feld, das beackert werden
sollte. Dem vorliegenden Antrag aber sollte man ein Begräbnis erster bzw. zweiter Klasse angedeihen lassen.
Danke schön.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/6963 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Damit sind Sie einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modulation von Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik ({0})
- Drucksache 14/7252 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft
Ich eröffne die Aussprache. Alle Reden sind zu Proto-
koll gegeben1). Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 14/7252 an den in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschuss vorgeschlagen. Damit sind Sie
einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 sowie Zusatzpunkt 7
auf:
11. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich
Adam, Wolfgang Börnsen ({1}), Gunnar
Uldall, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Abschaffung der Kapazitätsbeschränkungen
für Werften in Mecklenburg-Vorpommern
- Drucksache 14/6950 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2})
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Margrit Wetzel, Dr. Ditmar Staffelt, Gerd
Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Andrea Fischer
({3}), Werner Schulz ({4}), Kerstin Müller
({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Faire Wettbewerbsbedingungen für die Werftindustrie in Mecklenburg-Vorpommern
- Drucksache 14/7295 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({6})
Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
1) Anlage 3
Ich eröffne die Aussprache. Alle Reden sind zu Proto-
koll gegeben1). Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/6950 und 14/7295 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Damit sind Sie einverstanden? - Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.
Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b
auf:
12 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie
zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung
- Drucksache 14/5429 ({7})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({8})
- Drucksache 14/7279 Berichterstattung:
Abgeordnete Margot von Renesse
Ronald Pofalla
Volker Beck ({9})
Rainer Funke
Sabine Jünger
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend ({10})
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Aktionsplan der Bundesregierung zur
Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Maria
Eichhorn, Ilse Falk, Renate Diemers, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Ankündigungen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen umsetzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Bläss,
Monika Balt, Maritta Böttcher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Frauenrechte sind Menschenrechte - Gewalt
gegen Frauen effektiver bekämpfen
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Entschließung des Europäischen Parlaments
zu der Mitteilung der Kommission an den
Rat und das Europäische Parlament Weitere Maßnahmen zur Bekämpfung des Frauenhandels
KOM ({11}) 726 - C5-0123/1999 - 1999/2125
({12}) ({13})
- Drucksachen 14/2812, 14/5093, 14/5455,
14/4170 Nr. 1.1, 14/6902 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Gradistanac
Irmingard Schewe-Gerigk
Christina Schenk
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Ent-
schließungsantrag der Fraktion der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Der Kollege Pofalla sowie Frau Bundesministerin
Dr. Herta Däubler-Gmelin haben ihre Reden zu Protokoll
gegeben.2)
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPDFraktion der Kollegin Anni Brandt-Elsweier das Wort.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wo Menschen miteinander leben, da streiten sie auch. Leider geht es dabei
nicht immer gewaltfrei zu. Dabei ist das Phänomen der
Gewalt in allen gesellschaftlichen Schichten zu finden. Es
tritt sowohl bei Deutschen als auch bei Ausländern auf
und ist weder ein Unterschichtproblem noch ein spezifisch großstädtisches Phänomen.
Meist sind Frauen die Hauptbetroffenen. Sie sind auch
die Leidtragenden von Prostitutionstourismus und internationalem Frauenhandel, den zu bekämpfen wir
alle aufgerufen sind. Deshalb freue ich mich, dass gestern
in den Ausschüssen der Koalitionsantrag Prävention und
Bekämpfung von Frauenhandel einstimmig verabschiedet worden ist.
({0})
Die betroffenen Frauen, die in der Regel aus Not und
Verzweiflung zu uns kommen, werden häufig ausgebeutet und von skrupellosen Geschäftemachern wie Ware gehandelt. Hier gilt es, die Frauen zu schützen und die Täter
zu verurteilen.
({1})
Da dies ohne die Zeugenaussagen der Opfer nicht möglich ist, ist es notwendig, dass die betroffenen Frauen, die
den Mut zur Aussage haben, einen Abschiebeschutz und
unter bestimmten Voraussetzungen auch ein Bleiberecht
erhalten.
({2})
Für ausländische Frauen ist die Situation häufig dop-
pelt belastend, da sie oft einen ungeklärten Aufenthalts-
status haben. Die Novellierung des § 19 des Ausländerge-
Vizepräsidentin Anke Fuchs
1) Anlage 4 2) Anlage 5
setzes, in dem das eigenständige Aufenthaltsrecht von
Ehegatten geregelt wird, stellt hier eine eindeutige Verbesserung dar. Die allgemeine Wartefrist wurde von vier
auf zwei Jahre herabgesetzt und die Härteklausel so umgestaltet, dass unerträgliche Lebenssituationen der Betroffenen berücksichtigt werden können. Die Zeiten, in
denen eine Ausländerin neben ihrem prügelnden Mann
ausharren musste, weil sie bei einer Trennung von ihm
eine Ausweisung zu befürchten hatte, sind also endgültig
vorbei.
Ich möchte hier auch an die weltweiten Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen, wie zum Beispiel Massenvergewaltigung im Kriegsfall, genitale Verstümmelung oder die gnadenlose Unterdrückung der Frauen
durch die Taliban in Afghanistan erinnern. Es ist deshalb
notwendig, dass in einem Zuwanderungsgesetz zukünftig
auch Opfer von nicht staatlicher Gewalt oder geschlechtsspezifischer Verfolgung einen besseren Flüchtlingsschutz erhalten. Es ist wirklich an der Zeit, die
Entschließung des Deutschen Bundestages vom 31. Oktober 1990 umzusetzen.
Wir werden die weltweiten Probleme nicht einfach lösen können, aber wir können jetzt dazu beitragen, dass
den Frauen, die zu uns kommen und unsere Hilfe suchen,
diese Hilfe gewährt wird.
({3})
Leider gehört auch für deutsche Frauen Gewalt noch zu
ihrem Alltag: sei es am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit
oder in der Partnerschaft. Mit dem Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen
haben wir erstmals ein ressortübergreifendes, umfassendes Gesamtkonzept erfolgreich umgesetzt, um die unterschiedlichen Arten von Gewaltanwendung wirkungsvoll
und nachhaltig bekämpfen zu können. Dabei geht es nicht
nur um individuelle Hilfsangebote, sondern vor allem darum, strukturelle Veränderungen in unserem Rechtssystem, aber auch in der Gesellschaft zu erreichen.
({4})
Ich kann mit einiger Genugtuung sagen, dass wir in den
letzten drei Jahren gute Arbeit geleistet haben. Im Rahmen der gesetzgeberischen Kompetenz haben wir zum
Beispiel durch den Täter-Opfer-Ausgleich und das Gesetz zur gewaltfreien Erziehung eine deutliche Verbesserung für Gewaltopfer erreicht.
({5})
Das Kernstück des Aktionsprogramms ist das heute zu
verabschiedende Gewaltschutzgesetz. Wir haben damit
endlich eine wirksame Norm, die den misshandelten
Frauen die Möglichkeit gibt, sich aus einer Gewaltsituation zu lösen, ohne ins Frauenhaus flüchten zu müssen.
({6})
Dieses Gesetz ist kein Vorschlaghammer, wie es der
Sachverständige Bock in der Anhörung zu bezeichnen
pflegte, sondern, verehrte Frau Justizministerin, für die
Frauen ein Meilenstein in der Rechtsgeschichte. Dafür
sind wir Ihnen dankbar.
({7})
Besonders wichtig finde ich, dass auch bei Belästigungen und Nachstellungen außerhalb einer Partnerschaft in Form des so genannten Stalking in Zukunft gerichtliche Schutzanordnungen die betroffenen Frauen
wirksamer schützen können. Hier wird noch zu prüfen
sein, ob die Regelung im Zivilrecht ausreicht oder eventuell noch eine strafrechtliche Ergänzung vorgenommen
werden muss.
Es wird für die Zukunft sicherlich noch viel zu tun bleiben. Aber wir haben eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um insbesondere Frauen in Zukunft besser gegen
Gewalt und Misshandlung zu schützen. Wir sind damit
auf einem guten Weg.
({8})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ilse Falk von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jährlich suchen circa 50 000 Frauen
mit ihren Kindern Schutz in einem der bundesweit
453 Frauenhäuser bzw. in Frauenschutzwohnungen. Die
gesellschaftlichen Kosten der Gewalt in engen sozialen
Beziehungen werden auf 29 Milliarden DM geschätzt.
Diese Zahlen sind übrigens aus dem SOLWODI-Rundbrief aus dem April letzten Jahres.
Es ist daher keineswegs Ausdruck einer einäugigen
Perspektive, wenn wir uns heute erneut mit der Gewalt gegen Frauen und Kinder beschäftigen, ohne zu verkennen,
dass es ganz sicher auch Fälle gibt, in denen umgekehrt
Männer von häuslicher Gewalt betroffen sind.
Jeder von uns kennt die schrecklichen Schilderungen
von Frauen, die oft nach jahrelangem Martyrium endlich
den Mut gefunden haben, sich aus gewalttätigen Beziehungen zu befreien, und Schutz im Frauenhaus gesucht haben. Sie mussten aus der familiären Beziehung fliehen, die
eigentlich für sie und ihre Kinder ein Hort der Geborgenheit sein sollte, und haben sich in die Obhut von Dritten geflüchtet, von denen sie Hilfe erhofften und auch bekamen.
Das Gewaltschutzgesetz, dem auch unsere Fraktion ihre
Zustimmung gibt, ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Mit dem Platzverweis setzt der Staat ein Zeichen und unterstreicht: Gewalttätigkeit ist keine innerfamiliäre Angelegenheit und auch kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat.
({0})
Als Familienpolitikerin freut es mich, dass es in den
Beratungen noch gelungen ist, in den vorliegenden Entwurf des Gesetzes explizit auch die Berücksichtigung
des Kindeswohls aufzunehmen, das heißt, nach § 2
Abs. 6 des Gewaltschutzgesetzes kann die bedrohte Person die Überlassung der Wohnung auch verlangen, wenn
das Wohl von im Haushalt lebenden Kindern beeinträchtigt ist. Kinder leiden sehr unter dem Miterleben
der Gewalt gegen die Mutter. Da häufig in der Praxis der
Gerichte und auch in der der Jugendämter so lange kein
Zusammenhang zwischen der Gewalt gegen die Mutter
und einer möglichen Gefährdung des Kindes gesehen
wird, wie die Kinder nicht selbst geschlagen werden, wird
mit dieser klarstellenden Regelung anerkannt, dass das
Kindeswohl bereits durch das Leben in gewaltgeprägten
Lebensumständen beeinträchtigt wird.
So wichtig die Möglichkeit ist, gegen den Täter einen
Platzverweis auszusprechen: Sie ersetzt das Schutzangebot der Frauenhäuser nicht. Diese sind mit ihren Beratungs- und Begleitangeboten auch künftig unverzichtbar.
Dies entspricht nicht nur den Erfahrungen in Österreich,
sondern zum Beispiel auch den Modellversuchen in einzelnen Bundesländern, wie sie zum Beispiel in BadenWürttemberg durchgeführt werden.
Uns allen ist bewusst, dass dieses Gesetz allein Gewalt
gegen Frauen nicht verhindern kann und Frauen und Kinder weiterhin die Hauptleidtragenden in gewaltgeprägten
Beziehungen bleiben. Aber es wird helfen, den gewalttätigen Familienvätern sehr deutlich zu machen, dass sie
durch ihr eigenes Versagen auch selbst - schmerzlich
spürbar - zu Leidtragenden werden. So ist zu hoffen, dass
diese Maßnahmen zusätzlich eine präventive Wirkung
entfalten werden.
Zur wirksamen Bekämpfung der Gewalt gehört ein Gesamtkonzept, das bereits von der alten Bundesregierung
aus CDU/CSU und FDP auf den Weg gebracht wurde und
das die rot-grüne Bundesregierung aufgegriffen hat und in
ihrem Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen
Frauen zusammengefasst und weiterentwickelt hat. Dieses Gesamtkonzept findet ausdrücklich unsere Billigung
und Unterstützung.
({1})
Wir werden wie in der Vergangenheit so auch künftig
darauf achten, dass die im Aktionsplan angekündigten
Maßnahmen auch umgesetzt werden. Zu diesem Zweck
hat meine Fraktion ihren Antrag eingebracht, der heute
mit zur Entscheidung ansteht. Wir möchten so von der
Bundesregierung erfahren, welche Pläne umgesetzt, welche angestoßen wurden und welche noch verwirklicht
werden müssen. Wir wissen, dass vieles bereits auf den
Weg gebracht wurde, möchten aber auch über die weiteren Ergebnisse informiert werden.
Schwerpunkt im Gesamtkonzept ist für uns die Gewaltprävention. Dabei geht es in erster Linie nicht um Gesetze, sondern um die Verankerung von Werten und Handlungsoptionen, die für das Zusammenleben in der
Gesellschaft wichtig sind. Hier fehlt es Eltern häufig an
Kompetenz und Konfliktlösungsstrategien. Die Stärkung der Elternkompetenz ist einer der drei Punkte des
Familienkonzepts der CDU/CSU. Welche Bedeutung diesem Vorhaben zukommt, zeigt sich immer stärker. Erzieher
und Lehrer beklagen das mangelnde Unrechtsbewusstsein
bei Anwendung von Gewalt. Kinder akzeptieren oft keine
Grenzsetzung hinsichtlich ihres eigenen Handelns und
können mit Verboten und Misserfolgen nicht umgehen.
Eltern fühlen sich überfordert, ihren Kindern Grenzen zu
setzen, weil sie selbst ohne Grenzsetzung aufgewachsen
sind. Hier müssen wir in Zukunft verstärkt und vor allem
frühzeitig Maßnahmen ergreifen.
Wir lassen uns aber nicht entmutigen. Wir werden weiter kämpfen und mit kommunalen und regionalen runden
Tischen gegen Gewalt und anderen Initiativen die Probleme aufdecken und bewusst machen. Mit der heutigen
Verabschiedung des Gewaltschutzgesetzes bringen wir einen weiteren wichtigen Mosaikstein des Gesamtkonzepts
auf den Weg. So viel aus meiner Sicht zu diesem Thema.
Ich möchte noch ergänzen, dass der Kollege Pofalla
aus der Sicht des Rechtspolitikers Stellung genommen
hat. Er musste seine Rede zu Protokoll geben, weil er aufgrund der gewaltigen Verschiebung der Tagesordnung in
große Terminkonflikte gekommen ist. Wir haben uns also
auch aus rechtspolitischer Sicht dazu geäußert. Das ist
nicht vergessen worden.
Vielen Dank.
({2})
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Irmingard
Schewe-Gerigk vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gewalt gegen Frauen ist keine Privatsache. Gewalt
gegen Frauen ist ein Problem der inneren Sicherheit. Das
wurde allerdings nicht immer so gesehen. Viel zu lange
waren Justiz und Polizei auf einem Auge blind und haben
entsprechende Fälle als Privatangelegenheit oder Familienstreit angesehen. Wenn sie eingegriffen haben, waren
sie nicht selten parteilich, meist zugunsten der Männer.
Dass dies heute in den meisten Fällen nicht mehr so ist,
haben wir unter anderem den Interventionsprojekten
wie zum Beispiel der Berliner Initiative Gewalt gegen
Frauen, aber auch den Frauenhäusern und Beratungsstellen zu verdanken, die das Thema nicht nur aus der Tabuzone geholt haben, sondern auch sehr konkrete Vorschläge zur Prävention und Hilfsangebote gemacht haben.
So war es naheliegend, dass die rot-grüne Bundesregierung kurz nach Beginn ihrer Amtszeit einen Aktionsplan zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen beschlossen hat, der den unterschiedlichen Formen von Gewalt
Rechnung trägt. Der gesetzgeberische Schwerpunkt liegt
dabei in dem verbesserten Schutz von Frauen im familiären Nahbereich. Ein solcher Schutz tut Not, denn nach
Untersuchungen des Frauenministeriums wird geschätzt,
dass es in jeder dritten Partnerschaft zu Gewalt kommt.
Obwohl sich die Angst der meisten Frauen oftmals ausschließlich auf den öffentlichen Raum bezieht, sieht die
statistische Realität anders aus: Die meisten Gewalttaten
finden zu Hause in den Wohnungen statt, und zwar durch
den Ehemann oder den Partner. Das heißt: Die eigenen
vier Wände sind für die Frau der gefährlichste Ort.
Gewalttaten in der Familie werden häufig aus Furcht
oder Scham, aber auch aufgrund der bisherigen unklaren
rechtlichen Lage polizeilich oder gerichtlich nicht bekannt. Die Folge ist: Viele Täter bleiben ohne Strafe. Ich
sage hier bewußt Täter, obwohl mich in den letzten Monaten viele Briefe von Männern erreicht haben, die mir
mitteilten, dass mehr Frauen ihren Männern körperliche
Gewalt antun als umgekehrt. In der Anhörung zu dem Gesetzentwurf hatten wir das Vergnügen, dazu das wissenschaftliche Pendant zu hören.
Die Männer entwickeln in diesem Zusammenhang
plötzlich ein ganz sensibles Sprachempfinden. Sie sagen,
das Gesetz sei ein reines Frauenschutzgesetz und diskriminiere Männer, da ja immer nur von Tätern, nicht aber
von Täterinnen die Rede sei. Sicherlich gibt es auch
Frauen, die ihren Partnern Gewalt antun. Ich finde das genauso verwerflich wie umgekehrt. Vielleicht sollten wir
deshalb im Gesetz festhalten, dass Täter im Sinne des Gesetzes auch Täterinnen sind.
({0})
Fakt bleibt jedoch: Bei den Erwachsenen sind fast ausschließlich Frauen die Opfer und Männer die Täter sexueller Gewaltdelikte; soweit das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen 1998.
Das Gesetz, das wir heute verabschieden, zeigt einen
Perspektivwechsel: Nicht mehr die Frau und ihre Kinder
müssen ihre Wohnung und die gewohnte Umgebung verlassen, sondern der Gewalttäter. Er erhält die rote Karte.
Die Polizei sollte sich aber auch künftig in Fällen häuslicher Gewalt direkt mit den Beratungsstellen in Verbindung setzen, damit die gefährdete Frau unmittelbar Unterstützung und Beratung erhalten kann. Durch ein
effektives polizeiliches Vorgehen in Zusammenarbeit mit
den psychosozialen Beratungsstellen kann eine gelungene
Interventionskette entstehen.
Das sollte in jedem Fall Inhalt der Ländergesetze sein.
In der Vergangenheit waren die Aktivitäten der Polizei bei
häuslicher Gewalt auf Streitschlichtung und Deeskalation
ausgerichtet. Der Fortbestand der Gewaltbeziehung zwischen Täter und Opfer wurde nicht in Frage gestellt. Bereits mehrere Länder haben ihre Polizeigesetze dem
neuen Gewaltschutzgesetz angepasst. Ich nenne als Beispiele die Länder Mecklenburg-Vorpommern und BadenWürttemberg. In Nordrhein-Westfalen geht ein entsprechender Gesetzentwurf in die zweite und dritte Lesung.
Wie ich höre, will auch Bayern ab dem nächsten Jahr neue
Polizeirichtlinien für ein verändertes polizeiliches Verhalten einführen.
({1})
- Ja, auch Bayern. Applaus.
Insofern wird den berechtigten Anliegen des PDS-Antrages Rechnung getragen.
Wir haben uns im Laufe der Verhandlungen dafür stark
gemacht, dass auch Kinder, wenn sie Opfer häuslicher
Gewalt werden, durch das neue Gesetz geschützt werden.
Unserer Meinung nach ist eine ausdrückliche go-order
auch in diesem Fall vorzusehen. Darum werden wir bei
der Neuregelung des Kinderrechteverbesserungsgesetzes
entsprechende Regelungen aufnehmen. Das wird sehr
bald geschehen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, im Ausschuss
haben wir dieses Gesetz einstimmig verabschiedet. Das
ist nicht nur der guten Zusammenarbeit zwischen allen
Fraktionen, sondern auch der Justizministerin und den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihres Hauses zu verdanken.
Ich finde, es ist ein gutes Zeichen, dass die Opfer nun
das Recht auf ihrer Seite haben.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort
hat nun die Kollegin Ina Lenke von der FDP-Fraktion.
Wir beraten heute über das Gesetz
zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der
Überlassung der Ehewohnung bei Trennung. Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Es
gibt Schätzungen, nach denen jede dritte Frau von häuslicher Gewalt betroffen ist und jede siebente in ihrem Leben sexuelle Gewalt erfährt. Gerade die eigenen vier
Wände - das ist hier schon gesagt worden - können also
für Frauen zu einem sehr gefährlichen Ort werden.
Die Vorläufer des Gesetzentwurfs stammen aus Österreich. Dort hat das Parlament bereits 1996 ein ähnliches
Gesetz verabschiedet, das Regelungen gegen Gewalt gegen nahe Angehörige und zum Verlassen der gemeinsamen Wohnung durch den gewalttätigen Partner enthält.
Wir, die FDP-Bundestagsfraktion, begrüßen das Gesetz und werden ihm zustimmen.
Wenn in Deutschland jährlich mehr als 40 000 Frauen
in 450 Frauenhäusern Zuflucht suchen, dann ist die Dunkelziffer im Bereich häuslicher Gewalt wirklich sehr
hoch; denn erst dann, wenn der Leidensdruck für die
Frauen nicht mehr auszuhalten ist, flüchten sie ins Frauenhaus.
Als ich mich in den 90er-Jahren in meinem Landkreis
für die Einrichtung eines Frauenhauses eingesetzt habe,
waren die Widerstände noch groß. Durch die Einrichtung
von Frauenhäusern in allen Teilen des Bundesgebiets
wurde häusliche Gewalt aus der Tabuzone herausgenommen.
Wenn das Gewaltschutzgesetz, das wir heute verabschieden wollen, in Kraft tritt, wird es zum Aufenthalt in
den Frauenhäusern noch eine Alternative geben. Das Gewaltschutzgesetz gibt den Opfern von häuslicher Gewalt
nämlich das Recht, im persönlichen Umfeld zu verbleiben. Das hilft ganz besonders den Kindern. Nach Erlebnissen, die sicherlich traumatisch sind, können die Kinder
nun in ihrem häuslichen Umfeld verbleiben und damit in
der Nähe zur Schule wohnen oder den nahe gelegenen
Kindergarten besuchen.
Das Gesetz stärkt Kinder, die Gewalt miterleben müssen. Sie erfahren, dass Gewalt nicht siegt, sondern dass
die vermeintlich Schwache Rechte hat und diese Rechte
dann auch erhält.
({0})
Sie erleben dann, dass unser Staat sichtlich Schutz gewährt.
Meine Damen und Herren, über das Gewaltschutzgesetz
hinaus werden wir auf nationaler und internationaler Ebene
Gewalt gegen Menschen, insbesondere gegen Frauen und
Kinder, weiterhin ächten und aktiv an Problemlösungen
arbeiten müssen: durch Prävention, durch Kooperation
zwischen Institutionen sowie durch Vernetzung von Hilfsangeboten und durch andere wirksame Maßnahmen. Der
Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von
Gewalt gegen Frauen ist das Versprechen der Bundesregierung, hier mehr zu tun. Hier hat die Bundesregierung in
ihrem Verantwortungsbereich weiter gearbeitet.
Aber auch die FDP-Bundestagsfraktion hat sich, wie
die Kolleginnen von SPD und Grünen wissen, bei § 19
Ausländergesetz für Frauen mit Kindern für den in manchen Fällen so notwendigen Sozialhilfebezug eingesetzt.
Aber Sie sind sicherlich einig mit mir, dass es da noch viel
zu tun gibt. Hier sind ganz besonders die Maßnahmen gegen Frauenhandel oder gegen Zwangsprostitution zu
nennen, welche meiner Meinung nach nur im Rahmen der
Europäischen Union erfolgreich sein werden. Für mich
sage ich Ihnen hier aber auch, dass ich Möglichkeiten für
eine echte, nachhaltige Lösung dieses schwierigen Problems in absehbarer Zeit kaum sehe, dass wir also auch
hier wahrscheinlich nur step by step etwas machen können. Der eingeschlagene Weg zeigt das ja auch.
Meine Damen und Herren, Frauenrechte sind Menschenrechte. Alle Maßnahmen, die dies zum Ziel haben,
wird die FDP-Bundestagsfraktion unterstützen.
({1})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Petra Bläss von der PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen Verabschiedung des
Gewaltschutzgesetzes wird in der Tat ein Tabu gebrochen.
Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass damit ein jahrzehntelanger Kampf für den Schutz von Frauen vor Gewalt ein Stück weit belohnt wird.
({0})
Dieses Gesetz ist ein wichtiger Beitrag dazu, dass gesellschaftlich endlich anerkannt wird, dass Gewalt im
häuslichen Bereich - einige Kolleginnen haben es in dieser Debatte schon gesagt - nichts ist, was niemanden angeht. Dieses Gesetz ist ein Instrument, das Frauen in den
eigenen vier Wänden besser vor der Gewalt ihrer Partner
schützt; denn die Wegweisung aus der gemeinsamen
Wohnung kann für den Täter in der Tat spürbare Folgen
haben. Wir alle verbinden mit der Verabschiedung dieses
Gesetzes die Hoffnung, dass mehr Frauen als bisher ermuntert werden, sich gegen Gewalttäter zur Wehr zu setzen.
Über die Bedeutung dieses Gesetzes herrscht Konsens
im Hohen Hause. Ich halte es für ein sehr gutes Signal,
dass das Gesetz tatsächlich parteiübergreifend verabschiedet werden wird. Ich möchte auch hervorheben, dass
die ressortübergreifende Zusammenarbeit mit dem
Bundesjustizministerium und mit dem Ministerium für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend - auch für andere
Gesetzgebungsverfahren - wirklich beispielgebend war.
({1})
Die Anhörung hat deutlich gemacht, dass es viele juristische Einzelregelungen gibt, die nicht so einfach sind. Es
kann durchaus sein, dass sich in der Praxis Änderungsnotwendigkeiten ergeben und noch Klarstellungen vorzunehmen sind. Ich möchte dies anhand von sechs Punkten
erläutern.
Erstens. Es gibt Zweifel, ob die vorsätzliche Verletzung als Tatbestand ausreicht. Gerichtliche Maßnahmen
müssten schon bei einer erheblichen Beeinträchtigung der
Schutzgüter greifen.
Zweitens. Neben der physischen Gewalt muss meines
Erachtens auch psychische Gewalt als Wegweisungsgrund ins Gesetz aufgenommen werden. Wir haben hier
schon über den erweiterten Gesundheitsbegriff diskutiert.
Drittens. Die Dreimonatsfrist für Opfer, in der sie die
Überlassung der Wohnung schriftlich verlangen können,
kann unter Umständen zu kurz sein, insbesondere bei jahrelangen Gewaltbeziehungen. Man sollte über eine Verlängerung auf sechs Monate nachdenken.
Viertens. Es ist schon hervorgehoben worden, dass die
Berücksichtigung des Kindeswohls in viele Paragraphen
Einzug gehalten hat. Das wäre auch im Hinblick auf die
Verlängerung der Frist für die Wohnungsüberlassung
wichtig. Nötig ist eine entsprechende Anpassung im
Kindschaftsrecht.
Fünftens. Die Last, eine neue Wohnung zu suchen,
sollte in der Regel beim Täter liegen - das ist eigentlich
Konsens gewesen -; das betrifft auch die Übernahme der
Kosten bei der Wohnungssuche und beim Umzug.
Sechstens. Verstöße gegen das Rückkehrverbot bzw.
Belästigungen durch Nachstellungen sollten ebenfalls unter Strafe gestellt werden.
({2})
Mit dem Gewaltschutzgesetz sind die notwendigen zivilrechtlichen Regelungen auf Bundesebene getroffen
worden. Jetzt sind die Länder gefordert, und zwar auf
zwei Ebenen: zum einen hinsichtlich der Änderung der
Polizei- und Sicherungsgesetze - hierbei ist es wichtig,
auf die österreichischen Erfahrungen zurückzugreifen -,
zum anderen hinsichtlich der finanziellen Ausstattung der
Frauenhäuser. Frau Kollegin Falk hat auf den hohen
Auslastungsgrad dieser Einrichtungen schon aufmerksam
gemacht. Es geht nicht um die Alternative Wegweisung
oder Frauenhaus; es muss vielmehr beides geben. Es
stimmt mich durchaus optimistisch, dass wir diesen Gesetzentwurf an demselben Tag verabschieden, an dem wir
das Fakultativprotokoll zum CEDAW-Abkommen endlich ratifizieren. Das ist ein hoffnungsvolles Signal für uns
alle.
Danke.
({3})
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der
Überlassung der Ehewohnung bei Trennung, Drucksachen 14/5429 und 14/7279.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Der
Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
({0})
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/7327. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung der PDS-Fraktion
gegen die Stimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt.
Tagesordnungpunkt 12 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
auf Drucksache 14/6902. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, in Kenntnis des
Aktionsplans der Bundesregierung zur Bekämpfung von
Gewalt gegen Frauen auf Drucksache 14/2812 und der
Entschließung des Europäischen Parlaments zu der Mitteilung der Kommission mit dem Titel Weitere Maßnahmen zur Bekämpfung des Frauenhandels, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese
Entschließung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Die Entschließung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP und der PDS gegen die Stimmen
der CDU/CSU angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5093 mit dem Titel Ankündigungen zur Bekämpfung von Gewalt gegen
Frauen umsetzen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/5455 mit dem Titel
Frauenrechte sind Menschenrechte - Gewalt gegen
Frauen effektiver bekämpfen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU gegen
die Stimmen der PDS und bei Enthaltung der FDP angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
- Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 zur
Beseitigung jeder Form von Diskriminierung
der Frau
- Drucksache 14/7009 ({1})
- Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Entschließung vom 22. Mai
1995 zur Änderung des Übereinkommens vom
18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form
von Diskriminierung der Frau
- Drucksache 14/7011 ({2})
- Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Fakultativprotokoll vom
6. Oktober 1999 zum Übereinkommen vom
18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form
von Diskriminierung der Frau
- Drucksache 14/7012 ({3})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
({4})
- Drucksache 14/7334 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Gradistanac
Renate Dietmers
Ina Lenke
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre ge-
rade, dass alle Reden zu Protokoll gegeben werden sol-
len.1) Gibt es dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der
Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom
18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau auf Drucksache 14/7009. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/7334, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Beides ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Wir stimmen nun über den von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu der Entschließung vom 22. Mai 1995 zur Änderung des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau auf Drucksache 14/7011 ab. Der
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/7334, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist wiederum einstimmig angenommen.
Schließlich stimmen wir über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Fakultativprotokoll vom 6. Oktober 1999 zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von
Diskriminierung der Frau auf Drucksache 14/7012 ab.
Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/7334, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist wiederum einstimmig angenommen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({5})
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Friedrich Bohl, Peter
Letzgus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Klaus Kinkel, Hildebrecht Braun
({6}), Rainer Brüderle, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP
zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Klaus
Riegert, Friedrich Bohl, Peter Letzgus, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Doping im Spitzensport und Fitnessbereich
- Drucksachen 14/2769, 14/2918, 14/1032, 14/1867,
14/7004 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dagmar Freitag
Klaus Riegert
Dr. Klaus Kinkel
Auch hier sollen alle Reden zu Protokoll gegeben wer-
den2). Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Sportausschusses auf Drucksache 14/7004. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Entschließungsantrages der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/2769 zu ihrer Großen Anfrage mit dem Titel Doping im Spitzensport und Fitnessbereich. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU und der
FDP bei Enthaltung der PDS angenommen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Entschließungsantrages der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/2918 zu der eben genannten Großen Anfrage.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS angenommen.
Schließlich empfiehlt der Sportausschuss unter Nr. 3
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7004 die
Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen der CDU/CSU und FDP angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Medizinproduktegesetzes ({7})
- Drucksache 14/6281 ({8})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({9})
- Drucksache 14/7331 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Knoche
Auch hier sollen alle Reden zu Protokoll genommen
werden3). Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Medizinproduktegesetzes, Drucksachen 14/6281 und
14/7331. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
1) Anlage 6
2) Anlage 7
3) Anlage 8
zeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig an-
genommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Ge-
genstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
einstimmig angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Tierschutzbericht 2001 der Bundesregierung
- Drucksache 14/5712 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({10})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marianne
Klappert, Brigitte Adler, Hermann Bachmaier,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi
Lemke, Kerstin Müller ({11}), Rezzo Schlauch
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Verbesserungen im Tierschutz national und europaweit vorantreiben
- Drucksache 14/7180 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({12})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Alle Reden sollen zu Protokoll genommen werden1).
Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/5712 und 14/7180 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 c sowie
Zusatzpunkt 8 auf:
17.a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Blank, Dr. Hans-Peter Uhl, Dagmar Wöhrl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Instandhaltungswerke der Deutschen Bahn AG
in Nürnberg und München erhalten
- Drucksache 14/7147 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({13})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
b) Beratung des Antrags der Abgeodneten Horst
Friedrich ({14}), Hans-Michael Goldmann,
Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Neues Konzept für Ausbesserungswerke der
Deutsche Bahn AG vorlegen
- Drucksache 14/7158 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({15})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heide
Mattischeck, Reinhard Weis ({16}), Karin
Rehbock-Zureich, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert
Schmidt ({17}), Franziska Eichstädt-Bohlig,
Helmut Wilhelm ({18}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Zukunft der Instandhaltungswerke der Deutschen Bahn AG
- Drucksache 14/7179 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({19})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael
Luther, Wolfgang Dehnel, Dirk Fischer ({20}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Instandhaltungswerke der Deutschen Bahn AG
in Delitzsch, Chemnitz, Opladen und Zwickau
erhalten - neue Investoren für Stendal, LeipzigEngelsdorf und Neustrelitz
- Drucksache 14/7282 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({21})
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für. Angelegenheiten der neuen Länder
Auch hier sollen alle Reden zu Protokoll genommen
werden2). Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/7147, 14/7158, 14/7179 und 14/7282
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor-
geschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
1) Anlage 9 2) Anlage 10
Gesetzes zur Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes
- Drucksache 14/5927 ({22})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({23})
- Drucksache 14/7244 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Bleser
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft ({24}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrich Heinrich,
Ulrike Flach, Marita Sehn, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Innovationspotenzial moderner Technologien
für mittelständische Pflanzenzüchter erhalten
- Drucksachen 14/2297, 14/5907 Berichterstattung:
Abgeordneter Heino Wiese ({25})
Alle Reden sollen zu Protokoll genommen werden1).
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Saatgutverkehrsgesetzes, Drucksachen 14/5927 und
14/7244. Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernäh-
rung und Landwirtschaft empfiehlt unter Nummer I sei-
ner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegen-
stimmen von CDU/CSU und FDP sowie bei Enthaltung
der PDS angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Ge-
genstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor ange-
nommen.
Unter Nummer II seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/7244 empfiehlt der Ausschuss die An-
nahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent-
hält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS
bei Gegenstimmen von CDU/CSU und FDP.
Tagesordnungspunkt 18 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft auf Drucksache 14/5907 zu dem Antrag
der Fraktion der FDP mit dem Titel Innovationspotenzial
moderner Technologien für mittelständische Pflanzen-
züchter erhalten. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 14/2297 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthal-
tungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der PDS bei Gegenstimmen
von CDU/CSU und FDP angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Heidemarie Ehlert,
Dr. Uwe-Jens Rössel, Roland Claus und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes
- Drucksache 14/4438 ({26})
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des
Finanzausschusses ({27})
- Drucksache 14/5215 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Heinz Seiffert
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({28}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/5218 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr.Uwe-Jens Rössel
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Heidemarie Ehlert,
Dr. Uwe-Jens Rössel, Roland Claus und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes
- Drucksache 14/4437 ({29})
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des
Finanzausschusses ({30})
- Drucksache 14/5211 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Nina Hauer
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({31}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/5212 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr.Uwe-Jens Rössel
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
1) Anlage 11
Alle Reden bis auf eine sollen zu Protokoll genommen
werden1).
Die Kollegin Barbara Höll möchte Ihre Ausführungen
mündlich vortragen. Dazu gebe ich ihr jetzt das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eigentlich eine komfortable
Situation für mich: Ich kann Ihnen zwei Gesetzentwürfe
der PDS zur Änderung des Einkommensteuergesetzes
vorstellen. Sie können sich von mir überzeugen lassen
und diesen Gesetzentwürfen zustimmen.
({0})
In unserem ersten Gesetzentwurf geht es um Änderungen bei den Arbeitnehmerabfindungen. Wir wollen die
Freigrenzen so hoch setzen, dass 48 000 DM bei Abfindungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steuerfrei bleiben. Bei denjenigen, die bereits das 50. Lebensjahr vollendet haben, wollen wir die Freigrenze auf
60 000 DM anheben.
Der zweite Gesetzentwurf beinhaltet, die zweijährige
Befristung der Absetzbarkeit der doppelten Haushaltsführung aufzuheben.
Ich denke, unsere Gesetzentwürfe sind relativ übersichtlich und auch für Nichtfinanzpolitikerinnen und
Nichtfinanzpolitiker, die derzeit nicht so zahlreich im Plenum vertreten sind, nachzuvollziehen.
({1})
Sie können deshalb auch zustimmen.
({2})
Zum ersten Gesetzentwurf. Wir erhalten ständig Botschaften aus der Wirtschaft, die belegen, dass die Arbeitslosenzahlen nicht zurückgehen, sondern ansteigen.
Siemens plant den Abbau von 12 000 Stellen und Privatbanken von 20 000 Stellen. Das Handwerk rechnet damit,
dass in diesem Jahr insgesamt 200 000 Stellen wegfallen.
Diese aktuellen Zahlen belegen eindeutig, dass es für
Menschen immer schwerer wird, überhaupt Arbeit zu finden. Das gilt erst recht für Arbeit an ihrem Wohnort. Das
heißt, dass viele Menschen darauf angewiesen sind, flexibel zu sein. Sie müssen herumfahren und schauen, wo sie
überhaupt eine Arbeit erhalten können. Sie müssen deshalb oftmals eine Arbeit annehmen - sie sind froh, wenn
sie es können - eben nicht an ihrem Wohnort, sondern in
Gebieten, die weit von ihrem Wohnort entfernt sind. Derzeit betrifft das fast 400 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Bundesrepublik.
Natürlich entstehen ihnen hohe Kosten, wenn sie eine
zweite Wohnung unterhalten müssen. Diese Kosten für
eine zweite Wohnung sind steuerlich geltend zu machen,
aber leider nur für zwei Jahre. Genau darum geht es. Es
ist eine unsoziale Regelung, die erst 1996 unter der
schwarzen Regierung ins Steuerrecht eingeführt wurde.
Rot-Grün hat jetzt die Möglichkeit, diese unsoziale Regelung endlich aus dem Steuerrecht zu streichen.
({3})
Wir haben darüber im Ausschuss und auch hier im Plenum bereits diskutiert. Oftmals wird gesagt, innerhalb
von zwei Jahren könne man den Wohnort wechseln. Das
geht eben nicht so einfach, aufgrund des föderalen Systems der Bundesrepublik. Ich selber komme aus Sachsen.
Meine beiden Kinder sind schulpflichtig, besuchen das
Gymnasium und werden ihr Abitur nach zwölf Jahren ablegen. Wenn ich jetzt nach Baden-Württemberg ziehen
würde, müssten sie auf einmal 13 Jahre zur Schule gehen.
Umgekehrt würde es natürlich noch schwieriger. Wenn
Sie mit schulpflichtigen Kindern aus Baden-Württemberg
nach Sachsen oder Thüringen ziehen wollen, haben Sie
ein Riesenproblem, weil dann die zwölfjährige Schulpflicht gar nicht zu realisieren ist. Das ist ein Beispiel
dafür, wie schwierig es ist, eine solche Umzugsmentalität
zu fördern.
Zweitens ist es auch wichtig und richtig, wenn wir akzeptieren, dass Menschen in ihrem gewohnten sozialen
Umfeld bleiben wollen. Es geht oftmals um die Betreuung
und Pflege von Verwandten, der Eltern zum Beispiel. Das
ist etwas, was wir auch fördern möchten. Es geht darum
- auch das fordern wir mit unserem Entwurf -, dieses
Recht auch für Singles zu verwirklichen; denn auch sie
haben, auch ohne den Trauschein nachweisen zu können,
solche sozialen Beziehungen und Bindungen, die sie an
ihrem Wohnort halten.
Wir meinen, es kann nicht sein, dass durch das Steuerrecht genau die Menschen bestraft werden, von denen oftmals Mobilität und Flexibilität gefordert werden. Das ist
unsozial und falsch und sollte endlich gestrichen werden.
({4})
Der zweite Punkt unseres Antrags betrifft die Abfin-
dungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Hier
muss ich leider meine Kollegen und Kolleginnen der SPD
daran erinnern, dass sie uns im Rahmen der Beratungen
zur Unternehmensteuerreform und zur Reform der Ein-
kommensteuer versprochen haben, das, was sie für Un-
ternehmer im Steuerrecht verwirklicht haben, schnellst-
möglich auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
nachzuvollziehen. Wir haben nach der Unternehmensteu-
erreform die Rechtssituation, dass Unternehmerinnen und
Unternehmer beim Ausscheiden aus dem Berufsleben ei-
nen Freibetrag von 100 000 DM haben und der Betrag, der
bei der Veräußerung oder Aufgabe des Betriebes darüber
hinausgeht, nur mit dem halben Steuersatz belegt wird.
Dem kann man folgen, weil es hier auch für Unterneh-
merinnen und Unternehmer um Alterssicherung geht.
Wenn man das einmal im Leben verwirklicht, ist das
steuerrechtlich zu vertreten.
Bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sind die
steuerlichen Freibeträge seit 1999 massiv nach unten ge-
gangen. Sie betragen nur noch 16 000 DM. Wenn man das
50. bzw. 55. Lebensjahr erreicht hat, steigen sie etwas
gestaffelt, aber auch nur bis auf 24 000 DM. Für Beamte
gibt es sogar noch die Regelung, dass man einen langen
Zeitraum von 15 bis 20 Jahren im Beamtendienstverhält-
nis nachweisen muss.
Es kann ja wohl nicht sein, dass Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer durch Sie wesentlich schlechter behan-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
1) Anlage 12
delt werden als Unternehmer und Unternehmerinnen. Wir
wissen alle, dass es ab dem 50. Lebensjahr extrem schwierig wird, wieder eine Arbeit zu erhalten. Oft sagen mir Bekannte, ich bin 48 Jahre alt und habe gar keine Chance,
mir etwas anderes zu suchen, obwohl ihre Arbeitsbedingungen, gerade in den neuen Bundesländern, oft an Mobbing grenzen. Sie sagen, ich bin froh, noch hier sein zu
dürfen.
Wenn Menschen in solch einer Situation aus verschiedensten Gründen ihre Arbeit verlieren, haben sie vielleicht noch das Glück, dass sie mit ihrem Arbeitgeber über
eine Abfindung verhandeln können. Vielfach heißt das
aber - wie Sie wissen -, dass sie auf einen Aufhebungsvertrag eingehen müssen, um überhaupt eine Abfindung
zu bekommen. Das bedeutet aber, dass sie drei Monate
kein Arbeitslosengeld erhalten. Diese Menschen müssten
dann zumindest die Möglichkeit haben, einen größeren
Teil der Abfindung steuerfrei behalten zu können. Das
wäre nur ein Gleichziehen, das sich sowohl steuerrechtlich als auch in sozialer Hinsicht begründen ließe.
Ich erwarte, dass Rot-Grün das Versprechen einlöst,
das Sie uns in den Beratungen zur Reform der Unternehmensteuer gegeben haben, und hier endlich die Ungleichbehandlung beendet wird. Insoweit müssten Sie unserem
Gesetzentwurf zustimmen können.
Ich bedanke mich.
({5})
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der PDS zur Änderung des Einkommensteuergesetzes auf Drucksache 14/4438. Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/5215, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung bei Zustimmung der PDS-Fraktion und Gegenstimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 19 b: Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der PDS zur
Änderung des Einkommensteuergesetzes auf Drucksache 14/4437. Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/5211, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Zustimmung der
PDS-Fraktion, Enthaltung der FDP-Fraktion und Gegenstimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSUFraktion abgelehnt. Damit entfällt auch hier nach unserer
Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich rufe Zusatzpunkt 9 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung des Gesetzes zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau
- Drucksache 14/7238 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Alle Reden sollen zu Protokoll genommen werden1.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 14/7238 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes
- Drucksache 14/7283 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Auch hier sollen alle Reden zu Protokoll genommen
werden2. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 14/7283 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 9. November 2001, 9 Uhr
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.