Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/8/2001

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Gerhard Schröder (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002078

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag unterstützt die Bereitschaft der Bundesregierung, den Bekundungen der uneingeschränkten Solidarität mit den Vereinigten Staaten konkrete Maßnahmen des Beistands folgen zu lassen. Dazu zählen politische und wirtschaftliche Unterstützung sowie die Bereitstellung geeigneter Präsident Wolfgang Thierse militärischer Fähigkeiten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Dies hat dieses Hohe Haus bereits am 19. September dieses Jahres mit großer Mehrheit beschlossen. Es geht jetzt darum, die Konsequenzen aus diesem Beschluss des Deutschen Bundestages zu ziehen. Rufen wir uns in Erinnerung: Am 11. September 2001 haben skrupellose, kaltblütige Terroristen mit entführten Flugzeugen Anschläge in New York und Washington verübt. Diesen barbarischen Attentaten sind Tausende unschuldiger Menschen zum Opfer gefallen. Ich kann verstehen, wenn Einzelne, sogar viele Einzelne angesichts des Grauens der Bilder, die man nicht täglich ertragen kann, zur Verdrängung dessen neigen, was geschehen ist. Das ist menschlich nachvollziehbar. Aber dies kann und darf nicht die Leitlinie politischer Entscheidungen sein; denn diejenigen, die politische Entscheidungen dieser Tragweite zu treffen haben, können und dürfen, so sehr sie das individuell bedauern mögen, nicht verdrängen, sondern sie müssen immer wieder den Gegebenheiten ins Auge schauen und die - gelegentlich leider - notwendigen Konsequenzen ziehen. Das ist der Grund, warum der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen schon unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September die völkerrechtlich verbindliche Resolution 1368 einstimmig verabschiedet hat. Darin wird festgestellt - auch das gilt es immer wieder in Erinnerung zu rufen -, dass die Angriffe eine Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit darstellen und dass die Folge dessen die legitimierte Inanspruchnahme des Selbstverteidigungsrechtes nach Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen ist. Mir ist es im Hinblick auf die Öffentlichkeit wichtig - hier im Hohen Hause weiß man das ja -, festzustellen, dass alle Maßnahmen einschließlich der militärischen exakt auf dieser völkerrechtlich verbindlichen Basis getroffen worden sind, also durch die Staatengemeinschaft und durch das internationale Recht in vollem Umfang legitimiert sind. Der NATO-Rat hat am 4. Oktober dieses Jahres erstmalig in der Geschichte des Bündnisses den Bündnisfall nach Art. 5 des NATO-Vertrages festgestellt. Das ist eine Entscheidung von großer Tragweite, die uns übrigens nicht nur formal, also nach den Buchstaben des Vertrages, verpflichtet. Nein, ich denke, unsere Verpflichtung geht weiter, als lediglich eine Bündnispflicht zu erfüllen. Wir haben gemeinsam immer wieder darauf hingewiesen, dass insbesondere die Angriffe auf New York und Washington, also die Angriffe auf die Vereinigten Staaten von Amerika, nicht nur Angriffe auf die Werte waren, nach denen sich die Amerikaner politisch konstituieren, sondern auch Angriffe auf jene Werte, die für uns politisch konstitutiv sind, nämlich die Werte des Grundgesetzes. Deshalb geht es nicht nur um eine formale Verpflichtung, die aus Bündnispflichten resultiert. Das ist sie auch und das ist bereits wichtig genug. Es geht vielmehr darum: Solidarität darf in einem Bündnis keine Einbahnstraße sein. Wir haben über Jahrzehnte Solidarität erfahren. Deshalb ist es schlicht unsere Pflicht - das entspricht unserem Verständnis von Selbstachtung -, wenn wir in der jetzigen Situation Bündnissolidarität zurückgeben. ({0}) In der Öffentlichkeit sind zum Beispiel die Fragen gestellt worden: Warum leistet ihr denn Solidarität? Ist denn der Erfolg dieser Bündnisleistung gewährleistet? - Niemand kann das sagen, jedenfalls nicht mit letzter Sicherheit. Aber was wäre das für eine Solidarität, die wir vom Erfolg einer Maßnahme abhängig machten? ({1}) Deswegen denke ich: Wir haben uns gemeinsam, also das gesamte Hohe Haus - ich habe eingangs aus dem entsprechenden Beschluss des Bundestages zitiert -, zu uneingeschränkter Solidarität verpflichtet. Wir haben sie jetzt als Konsequenz aus unseren eigenen Entscheidungen auch zu leisten. Vor diesem Hintergrund hat die amerikanische Regierung konkrete Anfragen an uns gerichtet. Sie umfassen die Bereitstellung von ABC-Abwehrkräften, einer Einheit zur Evakuierung von Verletzten, von Spezialkräften der Bundeswehr, von Lufttransportkräften zum Transport von Personen und Material sowie von Seestreitkräften zum Beispiel zur Kontrolle des freien Schiffsverkehrs und zum Schutz von Schiffen mit gefährlicher Ladung. Das Bundeskabinett hat gestern beschlossen, dieser Bitte der Vereinigten Staaten zu entsprechen. Wir erfüllen damit die an uns gerichteten Erwartungen und leisten das, was uns objektiv möglich ist und was in dieser Situation politisch verantwortet werden kann. Alles in allem werden an der Operation „Enduring Freedom“ maximal 3 900 deutsche Berufs- und Zeitsoldaten beteiligt sein. Das ist eine Obergrenze, die auf der Basis der konkreten Anforderungen berechnet worden ist. Ich habe in jeder öffentlichen Verlautbarung darauf hingewiesen, dass man diese Zahlen nicht als exakte Zahlen nehmen kann; diese Obergrenze ist aber festgestellt und steht auch in dem Antrag, den die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag zugeleitet hat. Ein gleichzeitiger Einsatz aller Soldaten ist nicht zu erwarten. Das Mandat ist - nach unserer Auffassung richtigerweise - auf zwölf Monate begrenzt. Dies entspricht auch den Erwartungen unserer Bündnispartner. Bei einer Verlängerung müsste der Deutsche Bundestag erneut befasst werden. Mir ist wichtig, festzustellen, dass letzte Entscheidungen über Einsätze in vollem Umfang bei der Bundesregierung verbleiben. Ebenso wichtig ist mir, festzuhalten, dass keine Absicht besteht, die militärischen Maßnahmen auf ein anderes Land auszudehnen. Im Übrigen, kann es Einsätze - ich betone das - nur mit Zustimmung der Regierung des entsprechenden Landes geben. Das ist die Konsequenz dessen, was wir vorschlagen. Zunächst geht es nur um die Bereitstellung der deutschen Kräfte - natürlich um die Bereitstellung zu einem Einsatz -, auch wenn der Bundestag schon jetzt um die Zustimmung zu einem späteren Einsatzbeschluss gebeten wird. Bezogen auf die juristischen Bedenken, die gelegentlich geäußert worden sind, will ich sagen, dass das Verfahren, das wir Ihnen vorschlagen, nicht neu ist. Genauso hat der Bundestag in völligem Einklang mit der VerfasBundeskanzler Gerhard Schröder sung und der Rechtslage bei seinem Kosovo-Beschluss vom 16. Oktober 1998 gehandelt. Mir ist besonders wichtig festzuhalten: Es geht weder um eine deutsche Beteiligung an Luftangriffen noch um die Bereitstellung von Kampftruppen am Boden. Der Beitrag, den wir leisten wollen, ist auch Ausdruck unserer Bereitschaft, der gewachsenen Verantwortung Deutschlands in der Welt durch konkretes Handeln Rechnung zu tragen. Es muss deutlich werden: Es geht nicht um irgendeine außenpolitische Strategie; es geht um die Vertretung der eigenen Interessen und um den Schutz der eigenen Werte, nach denen wir leben und weiter leben wollen. ({2}) Natürlich stellen sich viele Menschen in Deutschland jetzt besorgt die Frage, welche Konsequenzen der deutsche Beitrag für uns hat und insbesondere für die Soldaten haben wird. Niemand hat darauf eine endgültige Antwort. Jedem - nicht zuletzt mir - ist bewusst, das jeder Auslandseinsatz Risiken und Gefahren in sich birgt. Aber klar ist, dass die Bundesregierung alles tun wird, um die bestmögliche Sicherheit unserer Soldaten zu gewährleisten. Im Übrigen sind wir nicht die einzigen, die gebeten worden sind, ihrer Verantwortung auch durch einen militärischen Beitrag zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus nachzukommen. Kanada und Australien zählen ebenso wie Großbritannien - das ist bekannt -, die Türkei, die Tschechische Republik sowie Frankreich und Italien als weitere europäische Partner zu den Staaten, die sich an den Maßnahmen beteiligen. Auch das gilt es zu bedenken, wenn hier im Hohen Hause darüber nachgedacht wird, ob man zustimmen kann und will oder nicht. Auch die Konsequenzen für Gemeinsamkeiten mit unseren Partnern in Europa sind bei einer politisch verantwortlich zu treffenden Entscheidung zu berücksichtigen. Die militärischen Operationen richten sich auf der Grundlage der Resolution 1368 des Weltsicherheitsrates gegen das terroristische Netzwerk von Osama Bin Laden und gegen das den Terrorismus unterstützende Talibanregime in Afghanistan. Ich bitte Sie, sich in Erinnerung zu rufen und niemals zu vergessen, dass es sich um ein Gewaltregime handelt, das den Tod vieler Tausend Afghanen, vor allem Kinder und Frauen, Unterdrückung und Massenvertreibung, auch Akte kultureller Barbarei zu verantworten hat. All das fand statt - das ist für die öffentliche Diskussion wichtig -, lange bevor die militärischen Maßnahmen gegen dieses Regime begonnen hatten. ({3}) Wenn es ein Versäumnis der internationalen Staatengemeinschaft gibt, dann dies - das sollten wir in einer solchen Debatte selbstkritisch eingestehen -, dass wir alle nach dem Abzug der vormaligen Sowjettruppen aus Afghanistan dieses Land und die Barbarei in diesem Land viel zu lange nicht beachtet haben. ({4}) Es handelt sich um ein Regime, das darüber hinaus terroristische Bestrebungen mit dem Ziel fördert, die Stabilität arabischer und muslimischer Staaten zu erschüttern - wiederum mit gefährlichen außen- und sicherheitspolitischen Folgen nicht nur für die angegriffenen Vereinigten Staaten, sondern für die gesamte zivilisierte Welt. Deshalb betone ich noch einmal: Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist nicht allein mit militärischen Mitteln zu gewinnen; das wissen wir sehr wohl. Deshalb müssen wir dauerhafte Anstrengungen auf vielerlei Ebenen unternehmen, um dieser Herausforderung zu begegnen. Wir können und dürfen den militärischen Beitrag daher nicht losgelöst von einer solchen umfassenden Strategie, einer Strategie für Sicherheit und für Stabilität in der Welt, diskutieren. ({5}) Meine Damen und Herren, während meiner Reise nach Pakistan, Indien, China und dann auch Russland in der vergangenen Woche habe ich eine große Übereinstimmung darüber feststellen können, dass die Überwindung des Talibanregimes als wesentliche Voraussetzung für eine menschenwürdige Zukunft Afghanistans gesehen wird. Auf die Staatengemeinschaft kommen in diesem Zusammenhang langfristig enorme Aufgaben zu. Das gilt vor allem für die Europäische Union. Ich bin der Auffassung, dass in dem Prozess, den man Post-TalibanProzess nennt, nicht nur die Nationalstaaten, die ganz natürlicherweise Adressat der Beistandserwartungen der angegriffenen Amerikaner waren und sind, Gesicht zeigen müssen, sondern dass - das ist auch in dem Gespräch deutlich geworden, das die europäischen Regierungschefs am letzten Sonntagabend in London geführt haben - vor allem auch das integrierte Europa, das dabei ist, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu schaffen, Gesicht zeigen und seine Rolle wahrnehmen muss. Wir in Deutschland treten dafür ein, dass dies für Europa möglich wird und dann auch so geschieht. Es geht jetzt in erster Linie um humanitäre Anstrengungen, mit denen das Leid von Millionen von Afghanen gelindert werden kann. Viele scheinen das Ausmaß der humanitären Katastrophe noch gar nicht richtig erfasst zu haben. Es geht dabei nicht nur um die Versorgung von Flüchtlingen, von Flüchtlingen übrigens - das gilt es hervorzuheben -, die völlig unabhängig von den militärischen Maßnahmen, die angeordnet worden sind, weil sie notwendig sind, auf der Flucht waren und sind, sondern es geht auch um die Versorgung von Menschen, die als Folge der Unterdrückung und der Unfähigkeit des Regimes Hunger leiden. Wir müssen befürchten, dass Abertausende verhungern. Auch um diese Menschen geht es uns. Jedenfalls müssen und werden wir unsere Anstrengungen zur Abwehr von Hunger und Flüchtlingselend noch einmal verstärken. Wenn diesem so vielfach gebeutelten Land nach Beseitigung des Terrorregimes eine Perspektive gegeben werden soll, dann brauchen wir auch eine Vorstellung davon und die Bereitschaft dazu, den Wiederaufbau zu unterstützen. Nicht zuletzt wird es darum gehen, an den Rahmenbedingungen für das friedliche Zusammenleben der Bevölkerungsgruppen Afghanistans mitzuwirken. Ich sage noch einmal: Wir treten gemeinsam mit unseren europäischen Partnern für eine Lösung ein, die nicht von außen oktroyiert sein darf - das ist übrigens auch die Auffassung unserer amerikanischen Freunde -, sondern die sich aus dem Land heraus entwickeln muss. Es geht um eine Lösung, die alle ethnischen Gruppen einbezieht und die die berechtigten Interessen der Nachbarstaaten berücksichtigt. Dabei kann diese Lösung für eine gewisse Zeit nur unter dem Dach der Vereinten Nationen herbeigeführt werden. In diesem Prozess dürfen sich Europa und damit Deutschland ihrer Verantwortung nicht entziehen und sie werden es auch nicht tun. ({6}) Darüber hinaus wollen und werden wir unsere Zusammenarbeit mit den zentralasiatischen Staaten ausbauen. Wir sind daran interessiert, eine Destabilisierung durch den von Afghanistan ausgehenden internationalen Terrorismus zu vermeiden. Schließlich dürfen wir in unseren Bemühungen um eine Lösung des Nahostkonfliktes nicht nachlassen. Der ungelöste Nahostkonflikt darf keine Berufungsgrundlage für das verbrecherische Handeln der Terroristen sein. ({7}) Bezogen auf die Anstrengungen zur Lösung dieses Konflikts, gilt auch: Es gibt keine direkte Beziehung zwischen dem internationalen Terrorismus und dem schwelenden Konflikt im Nahen Osten. Anders ausgedrückt: Auch wenn dieser Konflikt morgen gelöst wäre, dann dürfte man nicht nachlassen, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen, weil er unabhängig von diesem Konflikt besteht. ({8}) Die Lösung des Konfliktes - natürlich auch aus sich selbst heraus - ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil er den Terroristen die Mobilisierung von Massen für ihr verbrecherisches Handeln immer wieder erlaubt hat und - wenn wir zu keiner Lösung kommen - weiterhin erlauben wird. Der unermüdliche Einsatz des Bundesaußenministers zur Überwindung der Gegensätze in der Region hat den Respekt vieler seiner und vieler meiner Kollegen. Er verdient auch unseren Respekt und unsere Anerkennung. ({9}) Wir würden die Möglichkeiten Deutschlands - dabei geht es auch, aber nicht nur um Personen - falsch einschätzen, weil wir sie überschätzten, wenn wir glaubten, dass dieser Konflikt allein durch unsere oder durch gemeinsame europäische Anstrengungen zu lösen wäre. In dieser zutiefst Besorgnis erregenden Situation ist es erforderlich, dass insbesondere die Vereinigten Staaten erkennen, dass sie im Nahen Osten auf höchster Ebene - möglicherweise gemeinsam mit Russland, mit der Europäischen Union und naturgemäß mit den Vereinten Nationen - eine herausgehobene Verantwortung für die Lösung dieses Konflikts tragen. ({10}) Die Eindämmung des internationalen Terrorismus verlangt - das ist klar - große Anstrengungen und vor allen Dingen einen langen Atem. Wir haben ein gemeinsames Interesse, die militärischen Operationen zu einem raschen und erfolgreichen Ende zu führen. Wir begrüßen ausdrücklich die Zusage der amerikanischen Regierung, alle nur möglichen Vorkehrungen zu treffen, um zivile Opfer zu vermeiden. Gerade mit Bezug auf die öffentliche Debatte bitte ich auch in diesem Fall um Fairness. Die Fairness besteht darin, dass man nicht einerseits sagt, man solle so vorgehen, dass möglichst wenig zivile Opfer zu beklagen sind, andererseits aber zugleich den Vorwurf erhebt, dass ein solches Vorgehen dann naturgemäß länger dauert, als wenn man anders vorginge. Beides lässt sich nicht gut verbinden. ({11}) Man muss sich entscheiden. Ich denke, auch das gehört zur Redlichkeit im Umgang miteinander und im Umgang mit unseren Partnern und muss bei Entscheidungen im Deutschen Bundestag beachtet werden. Mit unseren humanitären Bemühungen machen wir zugleich deutlich, dass sich die militärischen Operationen eben nicht gegen das afghanische Volk richten, sondern gegen den internationalen Terrorismus, der vom Talibanregime unterstützt wird, welches insoweit Teil des internationalen Terrorismus ist. Allein Deutschland hat übrigens - das können wir ruhig selbstbewusst sagen - in den vergangenen Jahren humanitäre Leistungen in Höhe von mehr als 100 Millionen DM erbracht. Afghanistan war - das gilt ungeachtet der selbstkritischen Bemerkungen, die ich gemacht habe - immer ein Schwerpunktland unserer humanitären Hilfe. Auch deswegen haben wir in diesem Jahr den Vorsitz in der Afghanistan Support Group inne. Mindestens ebenso wichtig wie militärisches und humanitäres Engagement sind politische und diplomatische Bemühungen. Wirtschaftliche Maßnahmen ebenso wie die notwendige Zusammenarbeit der Nachrichtendienste müssen hinzukommen. Schließlich müssen wir uns auch der geistigen Auseinandersetzung mit dem Terrorismus stellen. Das heißt, wir müssen uns vor allem der Tatsache stellen, dass Terroristen kulturelle, soziale und politische Missstände für ihre mörderischen Zwecke instrumentalisieren. Diese geistige Auseinandersetzung haben wir im Dialog mit den muslimischen Gesellschaften zu führen, die dabei - auch das gilt es einzufordern - auch ihrer eigenen Verantwortung nachkommen müssen, um das Ziel einer gemeinsamen friedlichen und humanen Entwicklung zu erreichen. Nur auf der Grundlage eines so umfassenden Konzeptes und gemeinsamen Handelns wird die internationale Koalition im Kampf gegen den Terrorismus am Ende erBundeskanzler Gerhard Schröder folgreich sein. Dieser Erfolg ist nicht nur notwendig, sondern - davon bin ich überzeugt - er wird auch erreicht werden. Wir stehen im Kampf gegen den Terrorismus vor einer großen Herausforderung. Sie ist nicht zu bewältigen, ohne Risiken einzugehen. Niemand hat das behauptet und niemand kann das behaupten. Sie birgt aber auch die Chance, Gefahren für die friedliche Existenz und das friedliche Zusammenleben der Völker zu Beginn des 21. Jahrhunderts dauerhaft zu beseitigen. Ich will aber noch auf eines hinweisen: Bei der anstehenden Entscheidung geht es auch um die Bündnisfähigkeit Deutschlands, also darum, dass wir die richtige Konsequenz aus dem, was wir alle miteinander erklärt und bekannt haben, ziehen. Ich möchte mich in diesem Zusammenhang ausdrücklich dafür bedanken, dass es möglich gewesen ist, die ganze Zeit über so miteinander umzugehen und uns gegenseitig so zu informieren, wie das dem Thema angemessen ist. Diesen Dank spreche ich dem ganzen Haus aus, allen, die dabei sind. Ich habe den Fraktions- und Parteivorsitzenden zugesagt - ich habe das auch dem Bundeskabinett berichtet, welches das zustimmend zur Kenntnis genommen hat -, dass ich diese angemessene Informationspolitik auch weiterführen werde, insbesondere dann, wenn es um die Konsequenzen aus dem hoffentlich mit breiter Mehrheit gefällten Beschluss in der nächsten Woche geht. Mehr als 50 Jahre - lassen Sie mich das abschließend sagen, meine Damen und Herren - haben die Vereinigten Staaten in Solidarität zu uns gestanden. Es waren nicht zuletzt die Amerikaner, die uns die Rückkehr in die Völkergemeinschaft ermöglicht, die unsere Freiheit garantiert und letztlich unsere staatliche Einheit und deren Werden unterstützt haben. Über viele Jahrzehnte haben wir diese Solidarität Amerikas für selbstverständlich gehalten und haben unseren Nutzen daraus gezogen. Bündnissolidarität ist aber keine Einbahnstraße. Deshalb geht es jetzt - nicht nur, aber auch - darum, unseren praktischen Beitrag zur Solidarität, die unseren gemeinsamen Werten, unseren gemeinsamen Zielen und unserer gemeinsamen Zukunft in Sicherheit und Freiheit gilt, zu leisten. Wir tun das, wie sich zeigt, in offener, in demokratischer und auch in kritischer Diskussion; das ist kein Nachteil in unserer Gesellschaft. Ich hoffe aber auch, dass wir das in großer Geschlossenheit und mit einem entsprechenden Ergebnis tun. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion.

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 19. September, wenige Tage nach den Terroranschlägen von New York und Washington, haben wir dem amerikanischen Volk hier im Deutschen Bundestag mit außergewöhnlich großer Mehrheit unsere uneingeschränkte Solidarität im Kampf gegen den Terrorismus zugesagt. In dieser und in der nächsten Woche steht für Deutschland die Klärung der Frage an, ob den Worten von der uneingeschränkten Solidarität auch Taten folgen, ob wir bereit sind, Risiken und Gefahren bei der Bekämpfung des internationalen Terrors mitzutragen. Wir wissen: Eine so weit reichende Entscheidung ist von uns bisher noch nie gefordert worden. Wir haben wiederholt festgestellt - Herr Bundeskanzler, Sie haben das in Ihrer Regierungserklärung erneut und richtigerweise getan -, dass die Terroranschläge nicht nur gegen die USA gerichtet waren. Wir alle - ich denke, das gilt auch für die meisten Menschen in Deutschland - sind uns bewusst geworden: Die Anschläge hätten auch Paris, Frankfurt, London oder Berlin treffen können. Diese Erkenntnis verbindet uns mit Amerika und in der NATO. Diese Erkenntnis ist Grundlage der internationalen Allianz gegen den Terrorismus. Der Wille zur Verteidigung der Freiheit ist die Grundlage der von Ihnen, Herr Bundeskanzler, zu Beginn zitierten Resolution des UN-Sicherheitsrates. Die erstmalige Feststellung des Bündnisfalles in der NATO und das Recht zur Selbstverteidigung nach der Charta der Vereinten Nationen sind die unbezweifelbare völkerrechtliche Grundlage für den seit dem 7. Oktober auch mit militärischen Mitteln geführten Kampf gegen den Terrorismus. Wir dürfen heute von dieser Stelle, von Deutschland aus keinen Zweifel daran lassen, dass auch wir bereit sind, einen militärischen Beitrag zu leisten, um diesen Kampf erfolgreich zu bestehen. ({0}) Neu für uns ist, dass ein solcher militärischer Einsatz fernab von Deutschland notwendig sein soll. Wir müssen uns klar darüber sein, dass die geographische Entfernung in der Welt des 21. Jahrhunderts keine Bedeutung mehr hat. Die Globalisierung bringt uns nicht nur große wirtschaftliche Vorteile, sie bedeutet auch globale Verantwortung in der Gemeinschaft zivilisierter Völker. ({1}) Es gibt - das sage ich all denjenigen, die beabsichtigen, den Antrag der Bundesregierung abzulehnen - nur scheinbar die Alternative, sich herauszuhalten und stattdessen die anderen, die sich schon entschieden haben, den Weg weiter gehen zu lassen. Mit klarem Verstand und Überzeugung müssen wir sagen, dass ein deutscher Sonderweg, ein Sich-Heraushalten in unserer Welt eine Illusion ist. Deutschland trägt Verantwortung wie andere Staaten dieser Welt auch. ({2}) Ich möchte deshalb für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zunächst feststellen: Wir sind der festen Überzeugung, dass es richtig ist, den Amerikanern und allen anderen Nationen der Anti-Terror-Allianz auch mit militärischen Mitteln im Kampf gegen den Terrorismus beizustehen. Wir werden uns auch in der Opposition unserer Verantwortung stellen. Wir unterstützen die Bundesregierung bei ihrem Vorhaben, Einheiten der Bundeswehr zu entsenden, um mitzuhelfen, die terroristischen Strukturen zu zerschlagen. Wir tun dies - auch hier sind wir uns einig, Herr Bundeskanzler -, weil wir den Vereinigten Staaten von Amerika die Freiheit und ganz wesentlich auch die Einheit unseres Landes verdanken. ({3}) Aber damit kein Zweifel entsteht, sage ich: Dank an Amerika allein ist es nicht, warum wir handeln. Genauso wichtig ist, dass die deutsche Beteiligung am militärischen Einsatz gegen den Terrorismus in unserem eigenen nationalen Interesse liegt. ({4}) Herr Bundeskanzler, ich will in diesem Zusammenhang die Irritationen ansprechen, die gestern entstanden sind und die ich durch Ihre Regierungserklärung sowie durch die darin enthaltene Wortwahl im Vergleich zu den Erklärungen, die von der amerikanischen Administration abgegeben worden sind, für nicht ausgeräumt halte. Ich möchte angesichts dieser Irritationen betonen, dass wir nur hoffen können, dass Sie nach Konsultationen mit der amerikanischen Regierung nicht nur auf deren Anforderung reagiert haben, sondern selbst die Initiative ergriffen haben. Denn nur dann ist die Begründung, im Interesse des eigenen Landes zu handeln, auch wirklich glaubhaft. ({5}) Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion brauchen Sie sich, Herr Bundeskanzler, jedenfalls nicht hinter einer amerikanischen Anforderung zu verstecken. Sie können sagen, wie es wirklich ist. ({6}) Zu unserem eigenen Interesse zählt auch, dass wir ernsthaft und gewissenhaft abwägen, ob wir es verantworten können, die Soldaten der Bundeswehr in diesen Einsatz zu schicken, in den gefährlichsten Einsatz - das ist ohne Zweifel der Fall, wie Sie selbst gesagt haben -, den die Bundeswehr je zu bestehen hatte. ({7}) - Ich kann die Unruhe bei Ihnen verstehen. Aber diese Probleme, meine Damen und Herren von der SPD und den Grünen, müssen Sie in den nächsten Tagen unter sich klären. ({8}) Wir erwarten von Ihnen, Herr Bundeskanzler, Ihrer Regierung und insbesondere vom Verteidigungsminister, dass nicht nur der konkrete Einsatz beschlossen wird, sondern dass zuvor alles getan wird, um unsere Soldaten optimal auf diesen Einsatz vorzubereiten und sie im Einsatz zu schützen. ({9}) Wir fordern Sie und Ihre Regierung seit nunmehr drei Jahren aus leider immer dringlicher werdendem Anlass auf, mehr für die Bundeswehr zu tun. Sie haben die Bundeswehr hinsichtlich der Ausrüstung in den letzten drei Jahren so stark vernachlässigt, dass ihre Einsatz- und Bündnisfähigkeit - das sind nicht meine Worte, sondern die des Generalinspekteurs der Bundeswehr - nicht mehr in vollem Umfang gewährleistet ist. Wenn Sie Soldaten jetzt in einen Einsatz schicken, der schwieriger und gefährlicher ist als alle Einsätze, die in den vergangenen zehn Jahren beschlossen worden sind, dann erwarten diese Soldaten und ihre Familien von Ihnen, Herr Bundeskanzler, dass Sie in der Verantwortung Ihres Amtes alles, aber auch wirklich alles tun, um den Soldaten einen optimalen Schutz zu gewährleisten. ({10}) Diese Verantwortung tragen Sie, Herr Bundeskanzler, auch nach einem zustimmenden Parlamentsbeschluss. Diese Verantwortung nimmt Ihnen das Parlament nicht ab. Die Lage in und um Afghanistan ist sehr viel unübersichtlicher und sehr viel schwieriger als bei allen Einsätzen zuvor. Es ist deswegen aus unserer Sicht völlig selbstverständlich, dass der Deutsche Bundestag nicht an die Stelle der politischen und militärischen Führung der eingesetzten Streitkräfte tritt. Wir können Einzelheiten der tatsächlich eingesetzten Soldaten, der Einsatzzeitpunkte, der Einsatzorte und der Einsatzziele nicht festlegen. Dies kann auch die Bundesregierung heute noch nicht. Zum Teil dürfen die Einsätze aus Gründen des Schutzes der Soldaten auch überhaupt nicht oder erst nach vollständigem Abschluss des Einsatzes bekannt werden. Aus diesen Gründen enthält der Beschluss des Bundeskabinetts vom gestrigen Tag richtigerweise einen großen Handlungsspielraum für die Bundesregierung und für den Einsatz deutscher Soldaten. Dieser notwendige Handlungsspielraum, Herr Bundeskanzler, darf aber Sinn und Zweck des von unserer Verfassung gebotenen Parlamentsvorbehalts bei sich möglicherweise verändernden Umständen nicht infrage stellen. ({11}) Deshalb sagen wir: Die Größe des Einsatzes, die territoriale Ausdehnung des Einsatzgebietes und die Dimension der Aufgabe, die es jetzt zu verantworten gilt, erfordern eine angemessene Möglichkeit der Überprüfung unserer Zustimmung, die die Bundesregierung in der nächsten Woche erhalten soll. Diese Überprüfung muss gegebenenfalls auch vor Ablauf der zwölfmonatigen Frist, die Sie beantragt haben, durch den Bundestag selbst erfolgen können. Für uns gibt es jedenfalls zur Dauer des Mandats Beratungsbedarf in den nächsten Tagen. ({12}) Lassen Sie mich zum Abschluss noch einmal auf die humanitäre Katastrophe in Afghanistan selbst zu sprechen kommen. Das furchtbare Schicksal, das die Menschen in Afghanistan seit einem Jahrzehnt zu tragen haben, das jetzt in vielen Fernsehbildern wieder gezeigt wird, ist nicht die Folge der militärischen Schläge gegen das Talibanregime, sondern es ist das menschenverachtende Talibanregime selbst, das die Verantwortung trägt. ({13}) Sie haben auf die Dimension dieser Katastrophe bereits hingewiesen. In den letzten zehn Jahren sind über 4 Millionen Menschen aus Afghanistan geflohen und über 300 000 Kinder im Land verhungert. Westliche Hilfseinrichtungen werden beim Zugang systematisch behindert; sie werden bedroht und zum Teil aus dem Land gejagt. Bis heute weigern sich die Machthaber im Süden des Landes, Flüchtlingslager des Roten Kreuzes an der pakistanischen Grenze zu ermöglichen. Deswegen will auch ich noch einmal ganz klar sagen: Wir führen keinen Krieg gegen Afghanistan, sondern wir bekämpfen Terroristen und ein unmenschliches, menschenverachtendes Regime, das sie deckt. ({14}) In diesem Zusammenhang, Herr Bundeskanzler, hat der britische Außenminister vollkommen zu Recht die Feststellung getroffen, dass eine Feuerpause das Leiden des afghanischen Volkes nur verlängern würde. Er hat Recht. Herr Bundeskanzler, ich will es bei dieser Gelegenheit auch sagen: Wir sind nicht bereit, eine Arbeitsteilung dergestalt vorzunehmen, dass Mitglieder Ihrer Regierung öffentlich sagen, es müsse eine Feuerpause eintreten, und damit sozusagen wie ein Friedensengel durch das Land rauschen - Sie wissen genau, wen ich meine: die Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({15}) und wir, diejenigen, die Ihre Politik unterstützen, als die Kriegstreiber in diesem Land genannt werden. Diese Arbeitsteilung geht nicht. ({16}) Je schneller dieses unmenschliche Regime der Taliban gestürzt wird, desto besser ist es für das afghanische Volk und die gesamte Region. Meine Damen und Herren, nach Beendigung der militärischen Aktionen muss die internationale Hilfe wieder verstärkt werden. Aber auch dann, Herr Bundeskanzler, müssen Ihren Worten Taten folgen; denn hier geht es um die Glaubwürdigkeit der deutschen Politik: im Inneren, in der Außenpolitik, aber auch gegenüber den Menschen, die unsere Unterstützung und unsere Hilfe brauchen. Herzlichen Dank. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Gernot Erler, SPD-Fraktion.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits am 19. September hat der Deutsche Bundestag mit sehr deutlicher Mehrheit die große Solidarität mit dem am 11. September angegriffenen Amerika zum Ausdruck gebracht, die in den Tagen der Tragödie von New York und Washington von den Menschen in Deutschland ausging und zugleich von der deutschen Politik aufgegriffen wurde. Es hieß, diese Solidarität werde nicht verbal oder virtuell, sondern konkret sein. Schon damals, acht Tage nach den Terroranschlägen, haben wir uns zu politischer und wirtschaftlicher Unterstützung sowie zur Bereitstellung geeigneter militärischer Fähigkeiten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus bekannt. Dann folgte in dem Beschluss ein Satz, den ich zitiere: Über diese Maßnahmen ist nach Kenntnis der amerikanischen Unterstützungswünsche in eigener Verantwortung und gemäß der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu entscheiden. Genau an diesem Punkt sind wir heute angelangt: Die amerikanische Regierung hat ihre Wünsche artikuliert, die Bundesregierung hat daraufhin erklärt, welche Art der Unterstützung sie für leistbar und geeignet hält. Herr Kollege Merz, selbstverständlich hat die Bundesregierung dabei unsere eigenen Interessen vertreten; Sie sollten nicht mit einer so kleinkarierten Philisterei unsere Debatte belasten, wie Sie es getan haben. ({0}) Weil es in Deutschland nach unserer Verfassung in solchen Fällen ein Entscheidungsrecht des Deutschen Bundestages, den so genannten Parlamentsvorbehalt, gibt, müssen wir jetzt prüfen und entscheiden, ob wir die Vorschläge der Regierung für überzeugend und verantwortbar halten. Nach dem Kabinettsbeschluss sollen fünf Kategorien militärischer Fähigkeiten bereitgestellt und im Bedarfsfall auch eingesetzt werden. Lassen Sie mich diese etwas näher beleuchten: Erstens. Wer will eigentlich widersprechen, wenn Deutschland Sanitätskräfte, besonders solche zur Rettungsevakuierung von verwundeten Zivilisten oder Soldaten, bereitstellen will? Zweitens. Dasselbe gilt für Lufttransportmittel, die ebenso militärisches Gerät wie zivile Hilfsgüter aufnehmen können. Drittens. Die Bundeswehr hat gerade mit dem Spürpanzer Fuchs besonders anerkannte ABC-Schutzkräfte. Einen Teil davon jetzt auf einen eventuellen Einsatz vorzubereiten macht Sinn, auch wenn wir alle hoffen, dass dieser Einsatz gar nicht notwendig wird. Viertens. Marinekräfte sollen zum Beispiel am Horn von Afrika den Seetransport schützen, also in einer Region, in der es in den vergangenen Wochen schon einen Anschlag auf ein Fahrzeug gegeben hat und weitere Terrorangriffe auf die zivile Seeschifffahrt nicht ausgeschlossen werden können. Fünftens. Schließlich geht es um 100 Mann Spezialkräfte, die über polizeiähnliche Zugriffsmöglichkeiten im so genannten Hit-and-Run-Verfahren verfügen und besonders geeignet sind, identifizierte mutmaßliche Täter dingfest zu machen. Zu diesen fünf Fähigkeiten nennt der Kabinettsbeschluss jeweils zahlenmäßige Obergrenzen, die sich auf die genannten 3 900 Soldaten addieren. Die Fachausschüsse werden alle Einzelheiten sorgfältig beraten. Aber schon jetzt kann man den Eindruck gewinnen, dass diese Zusammenstellung von zahlenmäßig limitierten militärischen Fähigkeiten die Grenze des Leistbaren und des Verantwortbaren nicht überschreitet. ({1}) Ich möchte aber betonen, dass für die SPD-Bundestagsfraktion einige Punkte in diesem Zusammenhang besonders wichtig sind. Wir finden es richtig und wichtig, dass in Kapitel 7 hinsichtlich des Einsatzgebietes eine eindeutige Eingrenzung des Operationsrahmens für die deutschen Kräfte ausdrücklich festgelegt wird. Diese Eingrenzung heißt: Afghanistan oder Länder, bei denen eine Zustimmung der Regierung vorliegt. Wir betonen diesen Punkt deshalb so ausdrücklich, weil wir davon überzeugt sind, dass der Kampf gegen den Terrorismus auf die große politische Allianz, die sich gebildet hat, angewiesen ist. Diese große politische Allianz ist gegenwärtig davon abhängig, dass der Kampf gegen den Terrorismus einen Täterbezug bewahrt. Die Spuren der Täter vom 11. September führen nun einmal nach Afghanistan und nirgends anders hin. Wichtig ist für uns auch die Frage, mit welcher Sicherheit wir ausschließen können, dass die bereitzustellenden deutschen Kräfte nicht in Szenarien geraten können, in denen das Geschehen von unserer Seite weder kontrolliert noch gesteuert werden kann. Deswegen war für uns die Aussage des Bundeskanzlers wichtig - er hat sie eben noch einmal wiederholt und wir verlassen uns auf sie -, dass es bei jedem Einsatz deutscher Kräfte bei einer Entscheidung in deutscher Verantwortung und auch bei einer deutschen Kommandoverfügung bleiben wird. ({2}) Schließlich weise ich auf einen dritten wichtigen Punkt hin. Unsere Verfassung sieht vor, dass der Bundestag zu der Entscheidung, welche und wie viele militärische Kräfte für wie lange und für welche Zwecke bereitgestellt und eingesetzt werden, seine Zustimmung geben muss. Das Bundesverfassungsgericht hat uns aber auch klar gemacht, dass Entscheidungen über die Modalitäten, die Umfänge und die Dauer der Einzeleinsätze Sache der Exekutive sind. Der Kabinettsbeschluss ersucht uns nun, die Einzelentscheidungen für zwölf Monate in die Hand der Bundesregierung zu legen. Es ist unbestreitbar vernünftig, Herr Kollege Merz, bei den Besonderheiten der terroristischen Herausforderung einen solchen relativ langen Zeitraum vorzusehen, aber dieser Antrag enthält auch ebenso unbestreitbar Elemente eines Vertrauensvorschusses. Herr Bundeskanzler, wir sind bereit zu diesem Vertrauen, aber wir bitten Sie zugleich - da unterscheidet sich meine Bitte von der von Herrn Merz - um eine Rückzahlung in Raten, nämlich in Form regelmäßiger und detaillierter Informationen an den Deutschen Bundestag über den Verlauf, die Ergebnisse und die Erfahrungen mit den deutschen Einsätzen im Kampf gegen den weltweiten Terrorismus. ({3}) In diesem Punkt präzisiere ich diese Bitte sogar noch. Das Kapitel 5 „Einzusetzende Kräfte“ gibt Obergrenzen für die einzelnen militärischen Fähigkeiten an, also beispielsweise 1 800 Mann Seestreitkräfte und 100 Mann Spezialkräfte. Dann ist aber davon die Rede, dass es auch unterhalb der Gesamtobergrenze je nach Einsatzerfordernis Abweichungen von den genannten Einzelgrößenordnungen geben kann. Im Extremfall könnte das eine Umkehrung dieser Kräfteverhältnisse bedeuten. Wir wissen natürlich ganz genau, dass das praktisch gar nicht möglich wäre. Es ist aber, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, der Vorschlag der SPD-Bundestagsfraktion als ein Ergebnis unserer gestrigen vielstündigen Beratungen, der Bundesverteidigungsminister solle bei signifikanten Abweichungen von diesen Einzelgrößenordnungen die Fachausschüsse informieren und sie kontinuierlich befassen, natürlich nicht im Sinne konstitutiver Beschlüsse, sondern im Sinne einer fachlichen Begleitung. ({4}) Wir glauben, dass eine entsprechende Zusage von Ihnen, so zu verfahren, die weitere Beratung des Kabinettsbeschlusses in den Ausschüssen erleichtern würde. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stellen uns jetzt der Aufgabe, eine verantwortbare deutsche militärische Beteiligung im Kampf gegen den Terrorismus freizugeben. Wir wissen dabei sehr gut: Das militärische Vorgehen ist notwendig, aber allein nicht hinreichend. Es muss zugleich ein politisches Gesamtkonzept geben. ({5}) In den letzten Wochen ist deutlich geworden: Im politischen Bereich hat die Bundesregierung gleich auf mehreren Feldern stark an Profil gewonnen. Das ist international anerkannt worden und das unterstützen wir hier ausdrücklich. Kein einziges Land hat so schnell und energisch die Mittel für humanitäre Hilfe heraufgesetzt, von 16 auf 86 Millionen DM. Das wirkt sich auf die Versorgungslage vor Ort bereits aus. ({6}) Es gibt sonst kein so großes Engagement bei der Frage der politischen Perspektiven in dieser Region und für Afghanistan. Bei dem so genannten Post-Taliban-Prozess und bei der Nahostpolitik schauen heute doch wirklich viele auf Europa und auf Deutschland, wenn es darum geht, die Friedensverhandlungen endlich wieder aufzunehmen. Herr Außenminister, wir unterstützen voll Ihren Einsatz und Ihre Vermittlungsversuche, die darauf abzielen, diesen Friedensprozess wieder aufzunehmen. ({7}) Aber eines muss klar bleiben und das sollte uns auch bei dem folgenden Beratungsprozess begleiten: Wer weiterhin will, dass die Bundesregierung in diesem politischen Bereich gestaltend etwas beiträgt, der kann nicht eine Arbeitsteilung zwischen risikolosen und risikobehafteten Aufgaben wollen, sondern der muss auch einen risikoreichen militärischen Beitrag der Bundesrepublik Deutschland unterstützen. Unsere Freunde und Alliierten werden eine solche Arbeitsteilung, bei der wir das politisch Konzeptionelle, das Populäre, das Risikolose und alles andere die anderen machen, nicht akzeptieren. Das ist auch der Grund, weshalb schon jetzt 14 verschiedene Länder in Europa und jenseits des Atlantiks entweder militärische Zusagen gemacht oder sie in Aussicht gestellt haben: weil eine solche Arbeitsteilung nicht geht. ({8}) Wenn wir jetzt darangehen, die Zusagen, die wir gemacht haben, auch einzulösen, dann machen wir uns keine Illusionen. Wir alle gehen, was die Reaktionen der Menschen in unseren Wahlkreisen anbelangt, schweren Tagen und schwierigen Diskussionen entgegen. Die öffentliche Meinung ist gespalten. Die Verunsicherung rührt auch daher, dass es bei der Planung und Durchführung der militärischen Operationen in Afghanistan offensichtlich eine Reihe von Fehleinschätzungen und einige zum Teil tragische Fehlentwicklungen gab. Es war übrigens Amerika selbst, wo eine öffentliche kritische Diskussion darüber begonnen wurde. Die Unterteilung - auch da unterscheide ich mich von Herrn Merz - in Friedensengel auf der einen Seite und Kriegstreiber auf der anderen Seite ({9}) hat niemand gemacht und sie ist auch völlig unsinnig. ({10}) Wir müssen uns alle, Herr Merz, den kritischen Fragen und Positionen von Bürgern, ({11}) von Menschenrechtsorganisationen, von Kirchen und Verbänden offen und zur Argumentation bereit stellen und uns mit ihnen auseinander setzen. Dazu gehört auch ein eigenes Risiko für uns als gewählte Abgeordnete. Aber - darauf möchte ich besonders hinweisen - wie wir das machen, wie überzeugend und wie entschlossen wir das tun, das wird auch von außen sehr genau beobachtet, ganz besonders in den arabischen und islamisch geprägten Ländern, deren gemäßigte Regierungen ein unvergleichlich höheres Risiko eingegangen sind, als sie sich in dieser herausfordernden Situation an die Seite von Amerika und in diese große Allianz gestellt haben, und die dabei bleiben, auch wenn sie täglich mit gewaltsamen Demonstrationen fanatisierter Gegner konfrontiert werden. ({12}) Wir sind darauf angewiesen, dass sie bei dieser Linie bleiben. Aber das heißt, wenn wir ihnen helfen wollen, müssen auch wir bei unserer Linie bleiben. Aufmunternde Worte allein reichen nicht. Ich meine, dass wir für die kommenden schwierigen Beratungen noch eine Klarheit mitnehmen sollten. Wir alle sind auch und nicht zuletzt dafür gewählt worden, den Menschen Sicherheit zu geben. Nach dem 11. September müssen wir dafür zusätzliche Anstrengungen erbringen. Nicht zufällig werden in diesem Haus parallel, praktisch gleichzeitig, Antiterrorpakete zur inneren Sicherheit und, wie heute, Maßnahmen zur äußeren Sicherheit beraten, also defensive und offensive Schutzmaßnahmen. Wer die Verantwortung für die offensiven Maßnahmen, also den militärischen Druck gegen die Netze des Terrors und ihre Beschützer, nicht übernehmen will, der muss automatisch mehr im Inneren tun, ({13}) also noch mehr die Freiheitsrechte einer offenen demokratischen Gesellschaft einschränken, um mehr passiven Schutz zu schaffen. ({14}) Das ist ein wichtiges Argument bei der Diskussion darüber, ob der Antrag der Bundesregierung auf die Bereitstellung und den Einsatz zahlenmäßig begrenzter militärischer Kräfte mit einem verantwortbaren Aufgabenradius unsere Zustimmung verdient oder nicht. Wir stellen uns auch in diesem Punkt unserer Verantwortung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Guido Westerwelle, FDP-Fraktion.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung auf die Erklärung des Deutschen Bundestages vom 19. September Bezug genommen. Ebenso hat der Kollege Merz seine Rede begonnen. Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass in dieser Regierungserklärung unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Deutschen Bundestages die Rede von der uneingeschränkten Solidarität mit den Vereinigten Staaten und davon ist, dass konkrete Maßnahmen des Beistands folgen werden. Wir Freien Demokraten haben dieser Erklärung hier im Deutschen Bundestag am 19. September einstimmig zugestimmt. Wir wussten damals um die Konsequenz dieser Entscheidung und wir wissen auch heute darum. Man sollte mit den folgenden Worten vorsichtig sein. Aber ich glaube, dass die Bezeichnung „Zäsur“, vielleicht sogar „historische Zäsur“, für unsere Außen- und Sicherheitspolitik an dieser Stelle zutrifft. Deswegen sollte sich jeder - gleich, ob er auf der Oppositionsseite oder auf der Regierungsseite ist - der besonderen Verantwortung in dieser Stunde und auch in der nächsten Woche bewusst sein. ({0}) Danach wird sich die Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands verändert haben. Wir haben einen gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus zu führen. Dabei gibt es keine Neutralität. Es wird in Diskussionen gelegentlich so getan, als könne es bei der Bekämpfung von Terror eine neutrale Position der Deutschen geben. Wir Deutschen sind bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus nicht neutral. Das sind wir auch und gerade deshalb nicht, weil wir selber von diesem internationalen Terrorismus bedroht sind. ({1}) Die Menschen der zivilisierten Welt, egal, welcher Religion sie angehören, müssen diesen Kampf gemeinsam führen; denn sie sind alle bedroht. Mir liegt daran, dies im Hinblick auf manche Diskussion, die zurzeit feuilletonistisch in Deutschland geführt wird, klarzustellen. Das ist kein Kampf von Glauben gegen Glauben. Das ist kein Kampf von Christen gegen Moslems. Das ist übrigens auch kein Kampf des Westens gegen Afghanistan. Es ist der selbstverteidigende Kampf des Rechts gegen das Unrecht des Terrors. ({2}) Wir alle haben jetzt in der Tat schwierige Diskussionen vor uns, Herr Kollege Erler. Aber ich kann uns allen nur eine Empfehlung geben, wenn ich mir das an dieser Stelle erlauben darf: Stimmungen muss man sehr ernst nehmen, auch wenn sie in unseren Wahlkreisen und in unserer Bevölkerung manchmal heftig ausschlagen. Aber letzten Endes erwarte ich ganz persönlich, dass sich kein Abgeordneter des Deutschen Bundestages in dieser Frage zum Resonanzboden von Stimmungen macht, sondern dass er diese Entscheidung aus sich selbst heraus verantwortungsbewusst und mit Festigkeit trifft. ({3}) Wenn wir in dieser Frage nur das Echo von Stimmungen wären, dann würden wir vielleicht auf Parteitagen oder da oder dort von irgendwelchen Gruppen begeistert gefeiert werden, aber wir würden unserer Verantwortung nicht gerecht. Ich möchte Ihnen an dieser Stelle eines sagen, weil Sie an den Herrn Kollegen Merz auch kritische Worte gerichtet haben. Ich meine, mit Verlaub gesagt, dass die Bemerkungen des Herrn Kollegen Merz völlig zutreffend sind. ({4}) Das gilt insbesondere für die Bemerkung hinsichtlich der Arbeitsteilung der Regierenden. Ich sage Ihnen das auch deshalb, weil sich in der gesamten Diskussion bisher kein Regierungsmitglied, kein Vertreter der Koalitionsfraktionen darüber beklagen konnte, dass die Opposition - gleich, welche Fraktion man betrachtet - ihrer staatspolitischen Verantwortung nicht gerecht geworden wäre. Es ist doch in Wahrheit so: Der Bundeskanzler muss sich in der Außen- und Sicherheitspolitik gelegentlich auf die Opposition mehr verlassen, als er sich auf die eigenen Leute verlassen kann. ({5}) Wenn Sie Herrn Kollegen Merz hier jetzt kleinkarierte Kritik unterstellen, dann möchte ich Ihnen sagen: Ich habe mir in der Diskussion in den letzten beiden Tagen, auch nach den Unterrichtungen im Bundeskanzleramt, bei Ihnen, Herr Bundeskanzler, einmal vorgestellt, was jetzt in Deutschland eigentlich los wäre, wenn die alte Koalition noch die Regierungsverantwortung hätte. ({6}) Die halbe Bundesregierung müsste man vor Bundeswehrkasernen von Sitzblockaden wegtragen. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Sie heute lernen müssen, dass man Frieden und Freiheit nicht mit Sitzblockaden sichert. ({7}) Es kommt jetzt darauf an, dass wir eine wehrhafte Demokratie sind. So wie wir nach innen wehrhaft sein müssen, müssen wir auch nach außen wehrhaft sein, sonst legen wir die Axt an die Wurzel unseres Gemeinwesens. ({8}) Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten unterstützen den Kurs einer wehrhaften Demokratie und es ist dabei aus unserer Sicht völlig klar, dass die Deutschen hier mehr Verantwortung übernehmen müssen als in Form von finanziellen Leistungen. Aber gerade weil die Opposition hier diese Verantwortung wahrnimmt, will ich an dieser Stelle doch noch auf einige Dinge hinweisen. Die Tatsache, Herr Bundeskanzler, dass Sie in der Unterrichtung im Bundeskanzleramt und anschließend vor der Presse sagen, es habe fünf konkrete Anforderungen der Vereinigten Staaten gegeben, und der amerikanische Verteidigungsminister dem noch am selben Tag expressis verbis widersprochen hat, ist an sich schon bedenklich genug. Aber dass gestern der deutsche Verteidigungsminister behauptet, es gebe sogar eine schriftliche Anforderung der Vereinigten Staaten, im Fernsehen auch noch ein Brief gezeigt wird und Sie rufen: „Das stimmt!“ dazu kann ich Ihnen nur sagen: Herr Bundesverteidigungsminister, wenn es diese schriftliche Anforderung gibt, wie Sie es gesagt haben, dann möchte ich als Abgeordneter diese schriftliche Anforderung sehen, hier in diesem Hohen Hause. Denn die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. ({9}) Es kann nicht in Ordnung sein, dass auf diese Art und Weise mit Nebel Politik gemacht wird, um die Eigenen ruhig zu stellen. Das ist nicht vernünftig und das können wir nicht akzeptieren. Ich will eine zweite Sache anmerken, die wir in der nächsten Woche und in den Beratungen sicherlich noch weiter diskutieren werden. Das ist nämlich die Frage, wer jetzt eigentlich handelt. Ich finde es gut, Herr Bundeskanzler, dass Sie darauf hingewiesen haben, dass für Deutschland die nationale Endentscheidung bestehen bleibt. Aber die Frage ist, wenn man bündnispolitisch einen Schritt weiter denkt, schon berechtigt: Das Bündnis hat den Bündnisfall ausgerufen, wer aber handelt jetzt? Handelt das Bündnis? Handeln die Amerikaner? Handeln die 14 Staaten, von denen im Augenblick die Rede ist? Handeln wir Deutsche? Die bündnispolitische Qualität dieses Vorgangs ist in meinen Augen noch nicht reflektiert und das wird in den Ausschüssen eine wichtige Aufgabe der nächsten Woche sein. ({10}) Zu dem Zweiten, das Sie gesagt haben. Herr Bundeskanzler, Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie am Sonntagabend einen so genannten kleinen Gipfel gehabt haben. Sie haben so ein wenig darauf hingewiesen, als sollte das noch Anerkennung finden. Ich möchte Ihnen aus meiner Sicht sagen: Gerade weil wir bereit sind, Ihre Außen- und Sicherheitspolitik zu unterstützen, müssen diese kritischen Anmerkungen erlaubt sein. Ich stelle mir schon die Frage: Soll das die neue Qualität der Außenpolitik Europas werden, dass wir künftig in kleinen Zirkeln in Wahrheit Europa entmachten? ({11}) Nein, das ist nicht das, was wir uns an europäischer Politik auch in diesen Fragen vorgestellt haben. Aus unserer Sicht ist das nicht sinnvoll. Eine letzte Bemerkung, weil wir die abschließende Debatte in der nächsten Woche führen werden und heute der entsprechende Antrag nur eingebracht wird. Ich möchte Sie bitten, Herr Bundeskanzler, die Frage der Befristung wirklich noch einmal zu überdenken. Wir haben die derzeit laufende Mazedonienentscheidung zu Recht auf drei Monate begrenzt, um anschließend neu zu bewerten und zu entscheiden. Deswegen frage ich mich, warum wir eine zwölfmonatige Grenze setzen. Frau Kollegin Merkel und Herr Kollege Stoiber haben gestern ebenfalls darauf hingewiesen. Ich sage Ihnen aus meiner Sicht: Wenn wir eine Parlamentsarmee haben wollen, wenn sich das Parlament insgesamt für die Bundeswehr verantwortlich fühlen will, dann sollte nach meiner Überzeugung das Parlament in dieser Woche nicht quasi einmal nicken, einmal entscheiden, und dann in einem Jahr, vielleicht nach der Bundestagswahl, noch einmal gefragt werden. Dann sollte hier diese wichtige, vielleicht sogar historische Entscheidung immer wieder zur Diskussion stehen. Das mag Ihnen innenpolitisch manches Bauchgrimmen bescheren. Dem können Sie sich aber nicht entziehen. Wir müssen hier in kürzeren Fristen zusammenkommen, um den Erfolg und die Akzeptanz dieser Entscheidung, die wir mit zu treffen bereit sind, zu diskutieren. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Bundesminister Joseph Fischer das Wort. ({0})

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler und die Vorredner haben darauf hingewiesen, dass es sich bei der jetzt anstehenden Entscheidung um eine der schwierigsten und auch schwerwiegendsten Entscheidungen des Deutschen Bundestages, der Bundesrepublik Deutschland in der Außen- und Sicherheitspolitik handeln wird. Diese schwierige und schwerwiegende Entscheidung wirft selbstverständlich die Frage auf, ob es nicht gangbare, verantwortbare Alternativen dazu gibt. Es ist eine Entscheidung, die auf die Frage gründet: Krieg oder Frieden? Es ist d i e zentrale Entscheidung. Deutschland tut sich vor dem Hintergrund unserer eigenen Geschichte besonders schwer. Nicht umsonst ist die Menschenwürde in Art. 1 des Grundgesetzes als unantastbar gesetzt worden: aufgrund der Erfahrungen mit Kriegen und furchtbarer, blutiger Diktatur. Diese Erfahrung sitzt, quer durch alle Generationen und quer durch alle politischen Lager, sehr tief; wir haben das im Zusammenhang mit dem Kosovo-Krieg alle gespürt und erlebt. Der Krieg in diesem Land hat furchtbare Verheerung mit sich gebracht; an diesem Gebäude kann man es sehen. Aber vor dem Krieg war die Unterdrückung, war die Diktatur, wurde die Menschenwürde mit Füßen getreten. Das führte zur Zerstörung Deutschlands und auch dieses Gebäudes. Insofern haben wir eine Verantwortung, die sich nicht nur auf dem Imperativ gründen kann, alles zu tun, um Gewalt zu vermeiden. Vielmehr müssen wir der Gewalt dort entgegentreten, wo sie die elementarsten Grundsätze friedlichen Zusammenlebens gefährdet. ({0}) Krieg ist widerwärtig. Es gibt keinen klinisch sauberen Krieg. Zum Wesen des Krieges gehört es vor allen Dingen, dass es auch unschuldige Opfer gibt. Oft werden, wie wir wissen, die Ungerechten zuletzt getroffen; es werden viele Gerechte getroffen. Angesichts der Tragweite der Entscheidung, vor der wir stehen, verstehe ich insofern all die Skrupel, verstehe ich auch die Emotionen. Aber ich möchte an diesem Punkt nochmals darauf hinweisen - das habe ich bei meinen jüngsten Reisen, auch in vielen Gesprächen, wiederholt erfahren -: Nicht Amerika hat angegriffen. Es ist Amerika, es ist das amerikanische Volk, das angegriffen wurde, und zwar nicht zum ersten Mal. ({1}) Am 11. September wurde das Furchtbare, das schon 1993 geplant war - nämlich mit einem mörderischen Attentat den Nordturm des World Trade Center auf den Südturm stürzen zu lassen -, Wirklichkeit. Auf diese versuchten Attentate haben die USA damals nicht militärisch reagiert. In den USA wird jetzt eine Debatte darüber geführt, ob das nicht ein Fehler war. Man hat polizeilich reagiert, man hat ermittelt, man hat die Beteiligten festgenommen, vor Gericht gestellt und rechtsstaatlich verurteilt. Das alles hat den 11. September nicht verhindert. Niemand, meine Damen und Herren, führt Krieg gegen Afghanistan. Und so furchtbar es ist: Es gibt so etwas wie eine pazifistische realpolitische Konsequenz. Wir können nicht überall humanitär intervenieren, das Elend zwar sehen, unser Bestes mit endlichen Mitteln versuchen - aber nicht allerorts etwas dagegen tun. Dieselben Kräfte haben in Ägypten zugeschlagen. Dieselben Kräfte haben in Algerien im vergangenen Jahrzehnt ein Desaster verursacht, das bis zu 100 000 bzw. 150 000 Toten führte. Wir sind betroffen; ich meine das mit tiefem Ernst. Aber wir können nicht überall eingreifen. Auch das himmelschreiende Unrecht in Afghanistan ist nicht der hinreichende Grund für die Abwägung aller Möglichkeiten, sondern die Tatsache, dass seit dem 11. September von Afghanistan in Verbindung mit al-Qaida und Bin Laden eine Gefahr für den Weltfrieden und damit auch für uns ausgeht. ({2}) Dies hat und muss Konsequenzen haben; wir müssen jetzt eingreifen. Ich sage das besonders vor dem Hintergrund der Grundüberzeugung meiner Partei und meiner Fraktion, die gerade aus der Forderung „Nie wieder Krieg!“ hervorgegangen ist. Herr Westerwelle, es geht hier - das haben auch Sie gesagt; ich weiß, dass wir hier die gleiche Position haben um die elementaren Grundwerte unserer Demokratie. Aber dazu gehört eben auch, dass es immer wieder junge Menschen geben wird, die das Recht auf Sitzblockaden wahrnehmen wollen. Das ist auch gut so; das ist richtig so. ({3}) Ich rufe hier nicht zu Sitzblockaden auf, auch wenn ich mir nicht sicher bin, Herr Glos, ob Sie Ihre Kandidatenfrage in der CDU/CSU am Ende nicht noch mit Sitzblockaden entscheiden werden. ({4}) Aber das ist eine völlig andere Frage. ({5}) Ich rufe hier nicht zu Sitzblockaden auf. Vielmehr stelle ich fest: Zum Wesen einer offenen Gesellschaft, einer Demokratie gehört es auch, dass junge Menschen Sitzblockaden machen. ({6}) Man wird mit ihnen diskutieren und ihnen entgegentreten. ({7}) Da, wo sie das Recht übertreten, wird das Recht durchgesetzt werden. Meine Damen und Herren, welches Verständnis von Demokratie haben Sie eigentlich, wenn Sie schon bei einer solch einfachen Aussage hier im Plenum einen derartigen Aufstand machen? ({8}) Zurück zur Sache. Die entscheidenden Konsequenzen, die wir aus dem 11. September ziehen müssen, beruhen auf der Grundlage der Sicherheitsratsresolutionen der Vereinten Nationen. ({9}) In den Sicherheitsratsresolutionen 1368 und 1373 wird klar gemacht, dass es hier um eine Gefahr für den Weltfrieden geht, dass wir in der Tat alles tun müssen, um dem derzeit bestehenden terroristischen Netzwerk das Handwerk zu legen und all denen, die angegriffen werden, Beistand zu leisten. Das wurde durch Ausrufen des Bündnisfalles gemäß Art. 5 des NATO-Vertrages deutlich gemacht; der Bundeskanzler hat darauf hingewiesen. Die entscheidende Frage - das ist die Kernfrage -, vor der wir stehen und um deren Beantwortung wir uns nicht drücken können, ist - man mag viel über die Strategie, die die USA eingeschlagen haben, diskutieren und sie meinetwegen auch kritisieren; die USA tun das selbst -: Können wir in dieser Situation, in der die Bevölkerung und die Regierung der Vereinigten Staaten angegriffen wurden, unseren wichtigsten Bündnispartner, der auf diesen Angriff antwortet und sich gegen diesen Angriff auf klarer völkerrechtlicher Grundlage zur Wehr setzt, allein lassen, ja oder nein? Diese Entscheidung hat dieses Haus zu treffen. ({10}) Wenn diese Entscheidung mit Nein beantwortet wird, wird das weitreichende Konsequenzen für die Bundesrepublik Deutschland, für deren Sicherheit und deren Bündnisfähigkeit haben. ({11}) Ich füge hinzu: Dies wird weitreichende Konsequenzen auch für die weitere Entwicklung Europas haben. Denn alle unsere Partner in Europa führen die gleiche innenpoBundesminister Joseph Fischer litische Diskussion. Alle - eingeschlossen Großbritannien - haben die gleiche innenpolitische Stimmung. Aber alle wichtigen Partner kommen zu der Konsequenz, dass es für sie, für Europa und für unsere gemeinsame Sicherheit ein fataler Fehler wäre, wenn wir die USA alleine ließen. ({12}) Deswegen werden wir uns jetzt dieser Frage zuwenden müssen. Auch an diesem Punkt geht es nicht darum, irgendein Ziel auszusuchen, sondern es ist für mich eindeutig, wer die Haftung für die Anschläge vom 11. September dieses Jahres zu übernehmen hat. Er hat sie übernommen. Es ist eindeutig, dass das Talibanregime nicht nur die eigene Bevölkerung unterdrückt, sondern dass das Talibanregime Osama Bin Laden und sein Netzwerk aktiv unterstützt und ihm Rückzugsmöglichkeiten bietet. An dieser Erkenntnis führt kein Weg vorbei. Wir meinen es ernst damit, dass es sich hier um eine Gefahr für den Weltfrieden handelt. Ich bin der festen Überzeugung: Wenn wir nichts tun, werden weitere Aktionen folgen. Es wird nicht so sein, dass Zuwarten irgendetwas positiv verändern wird. Auch wenn wir uns in anderen Bereichen politisch und humanitär engagieren, wird es nicht so sein, dass irgendetwas anders werden wird. Wir werden mit dieser Herausforderung fertig werden müssen. Das ist die ganze bittere Wahrheit. Dazu wird gehören, dass man die Rückzugsgebiete dieses terroristischen Netzwerkes nicht mehr akzeptiert, dass man dort die notwendigen militärischen Maßnahmen ergreift und im Rahmen der Verhältnismäßigkeit, basierend auf den Grundwerten, für die wir einstehen, alles tut, damit dieses Netzwerk zerschlagen und zerstört wird und nicht weiter das Leben unschuldiger Menschen gefährden kann. ({13}) In diesem Zusammenhang hat der Bundeskanzler ein Gesamtkonzept vorgestellt. Besonderes Augenmerk verdient eine große internationale Anstrengung. Ich werde in New York nochmals mit allem Nachdruck in der Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen und in den vielen Gesprächen, die dort zu führen sind, ansprechen, dass wir eine große humanitäre Anstrengung für das afghanische Volk in seiner Bedrängnis leisten und dass wir eine politische Lösung - dabei werden die kommenden Gespräche in den vor uns liegenden Tagen in New York eine zentrale Rolle spielen - voranbringen. ({14}) Mit diesem Krieg, der schon 22 Jahre andauert, muss Schluss sein. Das afghanische Volk braucht eine Perspektive zum Wiederaufbau in Frieden. Es darf nicht mehr hingenommen werden, dass in diesem Land die höchste Sterblichkeitsrate bei Neugeborenen weltweit herrscht, dass dieses Land eine dauerhafte Katastrophe für die Menschen darstellt, in dem Interessen von regionalen Mächten und Kriegsherren sowie die Unterdrückung durch die Taliban dazu geführt haben, dass dieses Volk seit 22 Jahren keine Perspektive hat. Auch dem müssen wir uns verpflichtet fühlen, wenn wir uns entscheiden, gemeinsam mit unseren Partnern militärisch einzugreifen. Ich denke, diese politische Perspektive ist gemeinsam mit der humanitären Unterstützung von zentraler Bedeutung. ({15}) Lassen Sie mich an diesem Punkt etwas ansprechen: die Lösung der Regionalkonflikte. Ich will es anders formulieren: Ich halte es für ziemlich verantwortungslos, wenn behauptet wird, der Nahostkonflikt sei die Ursache für Bin Laden und Israel trage an der Entwicklung des islamistischen Terrorismus Schuld. Ich halte dies für eine verantwortungslose These, weil Israel an der Invasion der Sowjetunion in Afghanistan nicht schuld gewesen ist. Israel ist am Kaschmir-Konflikt nicht schuld. Israel ist an den innenpolitischen Problemen auf der arabischen Halbinsel und in anderen Staaten nicht schuld. Israel ist an der Katastrophe von Algerien nicht schuld. All das muss man wissen. Auch muss man wissen, Herr Westerwelle, dass Israel seit seiner Gründung in der arabischen Welt instrumentalisiert wird. ({16})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bonitz?

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Nein, ich möchte mit meinen Ausführungen zum Ende kommen. Dies möchte ich eindeutig klarstellen. Wir sollten all jenen, die in der Öffentlichkeit etwas anderes behaupten, entgegentreten. Der Bundeskanzler hat zu Recht gesagt: Wenn wir morgen den Nahostkonflikt gelöst hätten, wäre das Problem des islamistischen Terrorismus mitnichten gelöst. - Dennoch ist es sehr wichtig, dass wir die Regionalkonflikte lösen. Das ist der entscheidende Punkt. Wir müssen im Nahostprozess vorankommen. Wir setzen darauf, dass unsere amerikanischen Partner im Rahmen dieser Antiterrorkoalition erneut die Führung übernehmen, und zwar auf der Grundlage gemeinsamer Positionen. Diese Chance zur Zusammenarbeit mit Europa, mit Russland und dem VN-Generalsekretär hat es noch nie gegeben. Das sehen wir als einen ganz entscheidenden Punkt an. ({0}) Wir diskutieren hier über die Frage von Krieg und Frieden. Die Angriffe des islamistischen Terrorismus auf New York und Washington waren kalte Berechnung. Der Tod Tausender Menschen wurde kalt berechnend in Kauf genommen, um einen großen Konflikt in der islamischarabischen Welt, im Nahen und Mittleren Osten, auszulösen. Weitere Anschläge werden folgen, wenn wir sie nicht verhindern können, wenn wir den Terroristen nicht das Handwerk legen. Europa ist ein Nachbar dieser Region. Zu meinen, dass wir zuwarten könnten, ist ein großer Irrtum; denn wenn die Terroristen erfolgreich wären, dann würden wir in einem Maße mit der Frage von Krieg und Frieden konfrontiert werden, wie es sich die meisten Menschen - Gott sei Dank - heute noch nicht einmal träumen lassen. Wir sind an dieser Konfliktregion zu nah dran, als dass wir uns der Illusion hingeben könnten, wir könnten uns heraushalten. Der Einsatz von Gewalt ist die Ultima Ratio und muss immer die Ultima Ratio bleiben. Aber wenn man mit Gewalt konfrontiert wird und weiß, dass sie hinter der nächsten Ecke lauert, dann wird man sich gegen sie wehren müssen. Aber dabei dürfen wir, wie gesagt, nie vergessen, dass der Einsatz von Gewalt die Ultima Ratio ist. Wir dürfen vor allen Dingen auch nicht vergessen, dass die Probleme in dieser Region politisch und humanitär gelöst werden müssen; denn im Kern sind sie politische Probleme. ({1}) Wenn wir uns etwas vorzuwerfen haben, dann ist es die Tatsache, dass wir im vergangenen Jahrzehnt die Illusion hatten, eine Friedensdividende einnehmen zu können, ohne Investitionen in den Frieden vorzunehmen. ({2}) - Nein, ich möchte Ihnen erklären, woran das liegt - ich hoffe, Sie wollen jetzt nicht eine Debatte führen, die an diesem Punkt unangebracht wäre -: Der Rückzug der Ersten Welt in den Unilateralismus - die USA haben ihn Schritt für Schritt vollzogen - ist durch die Anschläge vom 11. September unterbrochen worden. Für mich ist eine der Lektionen des 11. Septembers, dass die USA nicht wieder in den Unilateralismus zurückgestoßen werden dürfen. Wer das nicht einsieht, der verkennt, dass die USA gemeinsam mit Europa eine große Chance haben, Konflikte zu lösen, und der begreift nicht, dass Friedenspolitik im 21. Jahrhundert vor allen Dingen multilaterale Verantwortungspolitik bedeutet, dass wir nie wieder einen Rückzug der reichen Welt zulassen dürfen - wenn man vor der Entscheidung steht, ob man militärisch handeln soll oder nicht, ist es meistens schon zu spät -, dass wir uns vielmehr im Rahmen einer präventiven Friedenspolitik mit der Lösung der Probleme der Dritten Welt, insbesondere in Asien und Afrika, beschäftigen müssen - ich betone: präventiv, nicht militärisch - und dass die Länder der reichen Welt das gemeinsam tun müssen. ({3}) Wir müssen die Vereinten Nationen deshalb stärken. Sie werden in Afghanistan eine bedeutende Rolle spielen. Ich behaupte, die Debatte über die Reform der Vereinten Nationen beginnt jetzt erst. Auch hier haben wir im Rahmen unserer Entscheidungsbefugnisse Verantwortung zu übernehmen. Die Entscheidung „Deutschland nimmt nicht teil“ würde auch eine Schwächung Europas bedeuten und würde letztendlich bedeuten, dass wir keinen Einfluss auf die Gestaltung einer multilateralen Verantwortungspolitik hätten. Genau darum wird es in den kommenden Jahren gehen. Ich bedanke mich. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Roland Claus, PDS-Fraktion, das Wort.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der amerikanische Professor David Fromkin hat - man höre und staune - bereits vor 24 Jahren gesagt: Es ist die Strategie der Terroristen, ihr Ziel nicht durch ihre Handlungen, sondern durch die Reaktionen darauf zu erreichen. Ich denke, mit dieser Überlegung sind wir auch heute konfrontiert, wenn wir uns die Frage stellen: Vereiteln Bomben auf Afghanistan die Ziele der Terroristen oder bedienen sie deren wahnsinnige Logik nur? ({0}) Nach vier Wochen Krieg gegen Afghanistan stellt sich die Frage nach der Bilanz. Keines der selbst gesteckten Ziele ist bisher erreicht worden: Die Sicherheit in den Vereinigten Staaten und in Europa hat sich für die Bürgerinnen und Bürger nicht spürbar erhöht. Die internationalen terroristischen Strukturen sind nicht beseitigt. Das Talibanregime regiert weiter. Die Antiterrorkoalition bröckelt. Des Weiteren droht eine Destabilisierung im arabischen und zentralasiatischen Raum. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur auf die gefährliche Situation in Kaschmir hinweisen. Der PDS ist in diesen schwierigen Tagen häufig unterstellt worden, sie suche nur nach einfachen Antworten. Das Gegenteil ist der Fall. Wir tun uns im Ringen um diese Antworten ebenso schwer wie Sie. Ich will Ihnen aber eines sagen: Auch wer wie wir zugibt, nicht alles zu wissen, muss nicht zwingend einen falschen Weg mitgehen. ({1}) Herr Bundeskanzler, das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass wir die Ereignisse des 11. September verdrängen wollten. Das ist nicht der Fall. In dieser schwierigen Situation sagen wir: Wir wissen, dass Krieg das falsche Mittel im Kampf gegen den Terrorismus ist. ({2}) Krieg vermehrt die terroristische Gefahr, er schränkt sie nicht ein. Der Kampf gegen den Terrorismus ist zu gewinnen, ein Krieg aber nie. ({3}) Weil wir gegen den Krieg als Mittel gegen den Terrorismus sind, sagen wir auch Nein zur deutschen Kriegsbeteiligung. ({4}) Wir finden, dass die deutsche Beteiligung die Situation verschlimmert. Wir haben uns immer für die Wahrnehmung der diplomatischen politischen Mission des Bundesaußenministers ausgesprochen; man kann das nachlesen. Aber die Spielräume, die Deutschland bislang hatte, sind mit dem Eintritt in die Kriegshandlungen dahin. Herr Bundeskanzler, Sie haben noch vor kurzem gesagt: Risiko ja, Abenteuer nein. Wir fürchten, das ist nun hinfällig. Wir fürchten, dass jetzt ein militärisches Abenteuer beginnt, und zwar schon deshalb, weil Sie die relativ einfache Frage nicht beantworten können: Was muss geschehen, damit deutsche Soldaten zurückkehren? In welcher Situation, Herr Bundeskanzler, befinden wir uns: Bündnisfall, Beistandsfall oder Kriegszustand? Sagen Sie das den Menschen in Deutschland. Sie haben ein Recht darauf. ({5}) Ich will zu dem Antrag kommen. Es gab heute weiterhin Irritationen darüber, auf welche Weise es zu dieser Anforderung kam. Ich will Ihnen etwas sagen, was Sie vielleicht nicht erwarten: Nach dem, was mir bekannt ist, hat der Bundeskanzler über das Zustandekommen dieser Anforderung korrekt informiert. Diese Tatsache ist von Oppositionskollegen in Zweifel gezogen worden. Herr Bundeskanzler, ich stelle die einfache Frage: Wenn es solche anhaltenden Irritationen gibt, warum haben Sie dann nicht die Möglichkeit genutzt, vor dem Bundestag das konkrete Zustandekommen dieser Anforderungen - möglichst unter Zuhilfenahme von Schriftstücken - klarzustellen? Das wäre durchaus möglich gewesen. In diesem Zusammenhang hätten Sie nicht die Kronzeugenschaft der PDS gebraucht. ({6}) Der Antrag wirft gewaltige Fragen auf: Was bedeuten die riesigen Einsatzgebiete, über die schon geredet wurde? Was heißt „geltende Einsatzregeln für militärische Gewalt“? Wie kommen Spürpanzer zum Einsatz, wenn Deutschland nicht am Boden agieren will? Können Panzer fliegen? ({7}) Sie setzen ausschließlich auf die Nordallianz. Die Nordallianz mag in der Lage sein, gegen die Taliban das eine oder andere Gefecht zu gewinnen. Die Schlacht oder den Kampf gegen den Terrorismus kann die Nordallianz nicht erfolgreich bestreiten. ({8}) Es darf nicht vergessen werden, dass die Nordallianz und die Taliban zusammen seinerzeit mit über 6 Milliarden Dollar für den Kampf gegen die Sowjets aufgerüstet wurden. Herr Bundeskanzler, Sie haben völlig zu Recht das nicht hinzunehmende Elend von Frauen in Afghanistan angesprochen. In diesem Punkt von der Nordallianz irgendetwas an Verbesserung zu erwarten ist doch eine glatte Illusion. ({9}) Ich möchte Sie - vor allem diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die beabsichtigen, dem vorliegenden Antrag zuzustimmen - bitten: Lassen Sie nicht zu, dass erneut ein Vorratsbeschluss gefasst wird. Der Antrag, mit dem wir es zu tun haben, ist eine Art Freibrief. ({10}) Im Text ist sogar das Wort „Ermächtigung“ enthalten. Lassen wir nicht zu, dass die Souveränität des Parlaments eingeschränkt wird. Lassen wir auch nicht zu, dass mit kritischen Stimmen in dieser gesellschaftlichen Situation vonseiten der Regierungskoalition und vonseiten des Bundeskanzlers weiter so umgegangen wird wie bisher. ({11}) Herr Bundeskanzler, der Maulkorb, den Sie der IG Metall verpasst haben, gehört genau zu der von mir kritisierten Position. In diesem Zusammenhang will ich an eines erinnern: Bundeskanzler Kohl hat so manchen Strauß mit den Gewerkschaften ausgefochten, aber den Gewerkschaften das Recht auf Friedenspolitik abzusprechen ist ein Novum, das erst unter Rot-Grün eingeführt worden ist, und das wollen wir so nicht hinnehmen. ({12}) - Das ist leider kein Blödsinn. ({13}) Ich wünschte mir, es wäre Blödsinn, Herr Kollege. Im Übrigen spricht die Delegitimierung aller Kriegskritiker nicht etwa für Souveränität dieser Regierung, sondern für Schwäche im Umgang mit Kritikerinnen und Kritikern. ({14}) Meine Damen und Herren, ich denke, es gibt noch immer die Chance zur Umkehr auf diesem Weg. Noch haben wir eine Woche Zeit bis zur Beschlussfassung. Lassen Sie uns umkehren und wieder hinkommen zu einer Dominanz des Politischen, des Diplomatischen, des Juristischen, meinethalben auch des Polizeilichen! Lassen Sie uns von der uneingeschränkten Solidarität zu dem kommen, was wir im Deutschen Bundestag „kritische Solidarität“ genannt haben! Lassen Sie uns für wirksame Flüchtlingshilfe und Aufbauhilfe in Afghanistan eintreten! Ich sage noch einmal: Wenn dem globalisierten Terror der globalisierte Krieg folgte, dann hätte sich nicht die Logik der Zivilisation, sondern dann hätte sich der Wahnsinn der Terroristen durchgesetzt und das können und wollen wir nicht zulassen. ({15}) Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, fällt mir zum Schluss nur ein, Ihnen zuzurufen: Sagt Nein! ({16})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Werner Schulz.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Kollege Claus, Sie haben die uneingeschränkte Solidarität Deutschlands infrage gestellt und abgelehnt, eine Solidarität, die bedeutet, dass kein Bereich von Hilfe und Unterstützung von vornherein ausgeschlossen ist, eine Solidarität, die nicht zuerst nach Garantieleistung fragt, sondern die Notwendigkeit sieht. „Uneingeschränkte Solidarität“ heißt nicht „bedingungslose Solidarität“. ({0}) Bedingungslose Solidarität, Gregor Gysi, hat es von 1980 bis 1989 in einem Teil Deutschlands gegeben, in einer Zeit also - um das einmal deutlich zu machen -, als du und viele andere deiner Partei ({1}) als Mitglieder der Sozialistischen Einheitspartei ({2}) in fester Waffenbrüderschaft an der Seite der Sowjetunion standen. ({3}) Es gibt ein Maß von Heuchelei, finde ich, das unerträglich ist. ({4}) Die Probleme von heute haben etwas mit der Vergangenheit zu tun, und zwar sehr konkret. ({5}) Was die gewundenen Erklärungen zu Mauerbau und Zwangsvereinigung angeht, so muss ich sagen: Da waren viele von uns noch nicht geboren oder noch Kinder. Aber Afghanistan ist ein anderer Konflikt. Ich will einen ganz interessanten Zacken aus meiner Biografie erwähnen, der seit 1990 im Handbuch des Deutschen Bundestages steht. Ich habe nicht gedacht, dass das in irgendeiner Weise noch einmal eine Rolle spielen würde. Ich bin 1980 mit meiner halb fertigen Dissertation von der Humboldt-Universität geflogen, weil ich Protest gegen den Einmarsch der Russen in Afghanistan gewagt habe. Von der SED habe ich da von Kritik kein Sterbenswörtchen gehört. Ihre Position heute wäre glaubwürdiger, wenn Sie keine einfachen Antworten geben würden, ({6}) sondern wenn Sie erklären könnten, warum Sie in dem grausamen Krieg damals neun Jahre lang bedingungslose Solidarität geübt haben und sich heute bei der Beteiligung am Kampf gegen den Terrorismus verweigern. Das müssen Sie der deutschen Öffentlichkeit erklären! ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Claus, Sie haben die Gelegenheit zu einer Erwiderung.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Schulz, Sie können sich mit der Mehrheit im Deutschen Bundestag möglicherweise auf den Verweis auf die Geschichte meiner Partei zurückziehen. Sie können unsere Kritik an Ihnen auf diese einfache Art zurückweisen. ({0}) Sie können aber eines nicht zurückweisen: In dieser Gesellschaft gibt es inzwischen viel mehr Stimmen als die aus meiner Partei und aus meiner Fraktion, die sagen, dass die Begrifflichkeit von der „uneingeschränkten Solidarität“ für dieses Land ein unheilvolles Bekenntnis war, ({1}) weil es dazu führt, dass es zu einer bedingungslosen Solidarität kommt. Ich muss hier doch nicht die Namen der Prominenten aufzählen - angefangen von Günter Grass über viele weitere Schriftsteller -, die in diese Kritik eingestimmt haben. Wir werden an unserer Position festhalten. Dabei werden wir uns auf den Rückhalt in unserer Gesellschaft stützen können. Die Mehrheitsverhältnisse sehen dort anders aus als hier, im Deutschen Bundestag. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Bundesminister Rudolf Scharping.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In mehreren sicherheits- und außenpolitischen Debatten in diesem Parlament hat eine Erkenntnis eine Rolle gespielt, die auch heute wichtig ist: Allein, also für sich, können Staaten ihre Sicherheit wenn überhaupt, dann nur schwer gewährleisten; sie sind auf Zusammenarbeit angewiesen. Zusammenarbeit ist nicht nur wegen der Bedrohung in Form eines zwischenstaatlichen Krieges - diese Wahrscheinlichkeit ist sehr gering geworden - erforderlich, sondern auch, weil Zusammenarbeit zur Gewährleistung gemeinsamer Sicherheit die unabdingbare Voraussetzung für den Schutz vor asymmetrischen Bedrohungen ist. Es geht beispielsweise um Bedrohungen, die zwar nicht unmittelbar von Staaten ausgehen, aber möglicherweise von ihnen unterstützt werden. Das kann der Fall bei terroristischen Bedrohungen sein. Ich muss offen sagen: Bestimmte Teile der Debatte sind in meinen Augen zu sehr innenpolitisch motiviert. Wir haben es mit einer ernsten, den Weltfrieden und die globale Stabilität herausfordernden Bedrohung zu tun. Wir haben es mit einer Bedrohung zu tun, die auf das Erzeugen von Angst und Unsicherheit in den westlichen, den offenen, den freiheitlichen Gesellschaften zielt. Wir haben es mit einer Bedrohung zu tun, die über diesen Weg zugleich die Stabilität der arabischen, islamisch geprägten Gesellschaften und Staaten in Gefahr bringen will. Es ist deshalb wichtig - allerdings ist es erstaunlich, dass dieser Gesichtspunkt bei unseren Erwägungen hier kaum eine Rolle spielt -, dass die arabische Welt in dieser sehr herausfordernden, schwierigen und mit schwerwiegenden Entscheidungen verbundenen Situation ausdrücklich gesagt hat: Weder die Taliban noch Osama Bin Laden können sich auf den Islam berufen. Die islamischen Staaten verurteilen den Terrorismus und engagieren sich genauso - übrigens aus wohl erwogenen eigenen Interessen - gegen diese Entwicklung im Rahmen einer internationalen Koalition. Wenn es stimmt, dass man sich gegen Bedrohungen dieser Art besser und erfolgversprechender gemeinsam wehren kann, dann wird deutlich, worin unsere Interessen und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen bestehen. Es gibt einen untrennbaren Zusammenhang zwischen der Freiheit und der Sicherheit offener Gesellschaften, demokratischer Rechtsstaaten im Innern, und der Gewährleistung ihrer äußeren Sicherheit. ({0}) Vor diesem Hintergrund beantwortet sich nicht nur die Frage, ob wir die Vereinigten Staaten aus Gründen der Solidarität, der historischen Dankbarkeit oder aus anderen Gründen unterstützen. Nein, es geht um viel mehr: Es geht um unser eigenes Interesse an der Bewahrung der Freiheit, der Rechtsstaatlichkeit, der demokratischen Substanz der eigenen Gesellschaft. Wir müssen uns gegen terroristische Bestrebungen wehren und dürfen nicht in die Gefahr kommen, zum Spielball von Entscheidungen zu werden, die nicht wir, sondern die terroristischen Organisationen - Gewissenlose und zum Teil scheinbar Verrückte - treffen; denn anders kann man das, was Herr Bin Laden gegenüber den Vereinten Nationen, dem Generalsekretär und den Führungen arabischer und islamisch geprägter Staaten gesagt hat, nicht qualifizieren. ({1}) Wenn das unter uns klar ist, können wir die Frage stellen, ob wir das Richtige tun. Wenn wir allerdings unseren Bürgerinnen und Bürgern signalisieren würden, dass das richtige Tun ausschließlich aus Militärischem bestünde, begingen wir einen schweren Fehler. Wie wir alle wissen, ist das Handeln mehrdimensional. Es bezieht Fragen der inneren Sicherheit, der Finanzquellen, der Ausbildung, der Organisationsstruktur und vor allen Dingen weit reichende außen- und sicherheitspolitische Bemühungen ein. Es bezieht den Versuch ein, die Nachbarstaaten zu stabilisieren und regionale Konflikte, zum Beispiel in Kaschmir, im Nahen Osten und andernorts, die eine explosive Kraft entfalten können, einzudämmen. Auf all das - das wird oft genug übersehen nehmen die militärischen Maßnahmen, die heute durchgeführt werden, nicht nur Rücksicht, sondern sie folgen diesen politischen Zielen. Anders könnte man - um es mit einem scheinbar technischen Detail zu untermauern - nicht erklären, dass während des Krieges gegen den Irak zur Befreiung Kuwaits pro Tag 1 500 bis 2 000 und während des Krieges im Kosovo pro Tag 250 bis 300 militärische Einsätze geflogen wurden, jetzt aber - stark limitiert - nur etwa 100 pro Tag. Wer in der deutschen Öffentlichkeit entweder behauptet oder die Behauptung verbreitet, es gebe Flächenbombardements und einen sinnlosen, überbordenden und überschießenden Einsatz militärischer Mittel, der versteht entweder die Fakten nicht bzw. will sie nicht verstehen oder er hat ein anderes Interesse. Dann kann man die Frage stellen, ob die militärischen Maßnahmen und deren Unterstützung durch Bereitstellung von Fähigkeiten der Bundesrepublik Deutschland diesen Zielen gerecht werden. Diese Frage kann man von zwei Seiten her beantworten. Die eine Frage lautet: Was geschieht, wenn nichts geschieht und wir uns nicht beteiligen? - Wir werden zum Spielball des Terrors. Wir verlieren unsere Fähigkeit, Amerika zu beeinflussen und eine auf multilaterale Verantwortung und gemeinsames Vorgehen abzielende Politik durchzusetzen. Wir verspielen unsere eigenen Möglichkeiten in der NATO. Wir sondern uns von den europäischen Staaten, von Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien, Tschechien und Polen, ab. Wir verlieren unseren Einfluss bei der Gestaltung der Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Hier steht nicht nur der Erfolg des Kampfes gegen den Terrorismus auf dem Spiel, sondern hier steht auch die Rolle der Bundesrepublik Deutschland in einer sich entwickelnden, auf multilateraler Verantwortung beruhenden Politik innerhalb der NATO und der Europäischen Union zur Debatte. ({2}) Die zweite Frage lautet: Wen ermutigen wir, wenn wir nicht zum Erfolg dieses Ringens beitragen? Was wird in den arabischen und den islamisch geprägten Gesellschaften los sein, wenn sich der Eindruck verfestigt, wir seien nicht tapfer und standhaft genug, um dieses Ringen zu einem erfolgreichen Ende zu führen? Die Ermutigung des Terrorismus und von Radikalismen, die daraus erwachsen würden, würde unabsehbare Folgen für Freiheitlichkeit, das Maß an Offenheit und die demokratische Natur unserer Gesellschaften haben. Wir sollten uns da nichts vormachen. Im Lichte all dieser Fragen will ich hinsichtlich der Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland sagen: Der Antrag der Bundesregierung folgt nicht nur, sondern er geht weit über das Maß an Präzisionen hinaus, welches das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 12. Juli 1994 verlangt hat. Dort steht: Der der Regierung von der Verfassung für außenpolitisches Handeln gewährte Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit wird durch den Parlamentsvorbehalt nicht berührt. Das gilt insbesondere hinsichtlich der Entscheidung über die Modalitäten, den Umfang und die Dauer der Einsätze, die notwendige Koordination in und mit Organen internationaler Organisationen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Irmer von der FDP?

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Im Augenblick nicht. Ich bitte dafür um Verständnis. Wenn man diese Passage des Urteils zugrunde legt, dann wird leichter deutlich, worin unsere Fähigkeiten bestehen: Sie sind im Wesentlichen defensiv und werden im Wesentlichen in Deutschland bereitgestellt. Sie, Herr Kollege Westerwelle, wissen hinsichtlich der Frage der Koordination in und mit Organen internationaler Organisationen, im Fall der NATO auch mit Bündnispartnern so gut wie ich: Wenn ein Bündnispartner seine Anforderungen als geheim einstuft, ist allein er in der Lage, diese Einstufung zu verändern. Wir können das nicht. Das wissen Sie so gut wie ich. Der Zweifel, der gesät werden soll, hat eine innenpolitische Intention, hat darüber hinaus aber auch eine außenpolitische Wirkung. Wenn es von einem amerikanischen Regierungsmitglied eine missverständliche Formulierung gegeben hat, dann darf das nicht dazu führen, dass wir in Deutschland plötzlich beginnen, kleinkarierte Debatten darüber zu führen, welche Anforderungen in welcher Form vorliegen. Jeder von uns, jeder, der an solchen Prozessen beteiligt ist, weiß doch, dass Anforderungen - das ist völlig normal - auf operative Kategorien umgerechnet werden können. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Minister, Sie müssen zum Ende kommen. Ihre Redezeit ist überschritten. ({0})

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Herr Präsident, meine Damen und Herren, zum Schluss möchte ich auf folgenden Punkt aufmerksam machen: Die Fähigkeiten, die bereitgestellt werden sollen, können zum Teil sehr schnell verfügbar gemacht werden. Das betrifft die medizinische Evakuierung und den Lufttransport. Sie bedürfen zum Teil einer sehr sorgfältigen Vorbereitung und auch - das betrifft beispielsweise Spezialkräfte - gemeinsamer Ausbildung. Meine dringende Bitte ist, dass wir im Parlament und in der Regierung uns auch angesichts des einen oder anderen spekulativen Berichts nicht selber in Hektik versetzen und uns zu Spekulationen verleiten lassen, die einer nüchternen, abwägenden und verantwortungsbewussten Entscheidung alles andere als förderlich sind. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Entgegen meiner ursprünglichen Absicht möchte ich einige Bemerkungen zu dem machen, was wir heute hier gehört haben. Zum einen ist der Außenminister wieder rückfällig geworden und hat offen zum Gesetzesbruch aufgerufen. ({0}) Sitzblockaden sind eine Nötigung. Wenn in Gorleben nicht nachdrücklich zu Sitzblockaden aufgerufen würde, müssten wir 18 000 Polizisten weniger einsetzen. ({1}) Paulus, einer der beliebtesten Heiligen in der katholischen Kirche, war vorher Saulus. Ich weiß nicht, ob auch er zwischendurch rückfällig geworden ist. ({2}) Zweitens. Herr Bundeskanzler, ich fand, es gab wieder eine unsägliche Rede von der PDS. Die PDS wird von Ihnen, was Information und Einbeziehung ins Parlament angeht, noch immer gleichberechtigt behandelt. ({3}) Gerade angesichts dessen, was der Kollege Schulz heute gesagt hat, sollten Sie sich das einmal durch den Kopf gehen lassen. Dabei sollten Sie insbesondere darüber nachdenken, ob es angesichts der Schwierigkeiten in unserer Zeit angemessen ist, dass es gemeinsame Regierungen mit der PDS gibt. ({4}) Sie haben bekanntlich über eine französische Zeitung direkt aus Indien ein Machtwort darüber gesprochen, was in Berlin zu geschehen hat. Ein ähnliches Machtwort sollten Sie, diesmal vielleicht über eine deutsche Zeitung, für Mecklenburg-Vorpommern oder in Sachsen-Anhalt sprechen. ({5}) Ein weiterer Punkt. Herr Bundeskanzler, ich bitte Sie sehr herzlich, dass Sie den verbliebenen Widerspruch auflösen; Ihr Verteidigungsminister war dazu entweder nicht in der Lage, konnte oder wollte es nicht. Dieser Widerspruch besteht darin, dass Sie heute - ich habe genau zugehört - einmal von einer konkreten Anfrage der amerikanischen Regierung gesprochen haben, mit der wir es zu tun hätten, also von einer Anfrage und nicht von einer Anforderung. Sie haben dann später gesagt - Sie können es im Protokoll nachlesen -: Wir sind der Aufforderung nachgeBundesminister Rudolf Scharping kommen. - Ich weiß aber immer noch nicht, ob es eine Anfrage, Aufforderung oder ein Angebot war. Ich stehe natürlich zu dem, was hier gesagt worden ist. Es ist richtig, dass wir unsere Hilfe anbieten müssen, weil wir Mitglied dieser Antiterrorkoalition sind. Aber wenn in einer so schwierigen und ernsten Situation der Bundeskanzler die Fraktionsvorsitzenden des Parlaments einlädt und anschließend die deutsche Öffentlichkeit unterrichtet, dann hat dieses Parlament einen Anspruch auf die Wahrheit und einen Anspruch darauf, genau zu erfahren, wie es gewesen ist. Wir würden die Entscheidung auch mit tragen, wenn es keine konkrete Aufforderung gegeben hätte, Herr Bundeskanzler. ({6}) Wie es an anderer Stelle aussieht, ist nicht unser Bier und wird auch nicht Maßstab unseres Abstimmungsverhaltens sein. Darauf können Sie sich verlassen. ({7}) Herr Bundeskanzler, viele sagen, wir seien eine schlechte Opposition, weil wir trotz dieser Schwierigkeiten bereit sind, die Bundesregierung zu stützen. Ich finde, dass die Aufgabe der Opposition selbstverständlich das Kontrollieren und das Offenlegen von Widersprüchen ist. Wir sind aber auch gewählt, das Beste für unser Land zu erreichen. Es ist gut für dieses Land und seine Zukunft und für die Sicherheit seiner Menschen, wenn wir fest an der Seite der Verbündeten stehen. Hier geht es nämlich auch um deutsche Interessen. Es liegt im deutschen Interesse, dass der Terror überall dort, wo er sich zeigt, bekämpft und ausgemerzt wird. ({8}) Dass man vorher nicht genau sagen kann, wo, wie und wann möglicherweise Spezialtruppen eingesetzt werden - heute sagt man zu solchen Aktionen „hit and run“ -, das wissen wir alle. Wir verlangen das auch nicht. Wir wollen nicht, dass solche Aktionen vorher in Ortsvereinen und in Ortsverbänden, auf lokalen Parteitagen und auf Landesparteitagen diskutiert werden, bevor in den Fraktionen des Parlaments darüber beraten wird, ob da oder dort zugegriffen werden kann. Wir haben Vertrauen in das Handeln der militärischen Führung, wir haben Vertrauen in die Amerikaner und wir haben Vertrauen in Sie. Denn Sie haben in dieser Zeit eine gute Figur gemacht. ({9}) Deswegen haben Sie es eigentlich nicht nötig, dass Sie gerade diesen gefährlichen Einsatz mit Zweifeln belasten. Es wäre vielleicht ganz gut, wenn Sie ein paar Worte dazu sagen würden, wie es wirklich gewesen ist. Wir möchten natürlich auch - das sind wir unseren Soldaten und auch denen, die uns gewählt haben, schuldig -, dass wir nach angemessener Zeit erneut damit befasst werden, damit dem Parlament eine Zwischenbilanz vorgelegt werden kann und damit es über die Erfolgsaussichten diskutieren kann. Ich habe eigentlich wenig Zweifel, dass Sie dann wieder unsere Zustimmung bekommen. Deshalb lautet meine Bitte: Überlegen Sie es sich, ob die Befristung nicht auf ein halbes Jahr begrenzt sein sollte, damit wir uns nach dieser Zeit damit erneut befassen können! Wir selbst können die im Antrag vorgesehene Befristung nicht ändern. Deshalb habe ich diesen Punkt an dieser Stelle angesprochen. Eine letzte Bemerkung. Herr Bundeskanzler, beziehen Sie diejenigen, die Verantwortung mit übernehmen, stärker ein. Ich glaube, dass diesbezüglich bei uns noch ein entsprechendes Gremium fehlt. Wir brauchen für diese schwierige Zeit - ich befürchte, sie wird nicht leichter - ein Gremium, das auch Verantwortung mit übernimmt. Dazu gehört natürlich, dass vorher vertraulich informiert wird. Die Zustimmung des Parlaments - sie ist ohne Zweifel vorhanden - ist möglicherweise leichter zu erreichen als eine ständige Zustimmung und der Konsens der Mehrheit der deutschen Öffentlichkeit, die man in schwierigen Zeiten braucht. Das wird letztlich nicht ohne die CDU/CSU gehen. Deshalb meine Bitte, entsprechende Überlegungen anzustellen. Wenn Sie uns im Interesse unseres Landes brauchen, stehen wir selbstverständlich zur Verfügung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind uns alle in diesem Hause darüber klar, dass wir in schwierigen Zeiten über schwierige Fragen diskutieren. Wir sollten weder die Geschichte verharmlosen, um rascher Zustimmung zu bekommen, noch - und das geht auch an die Adresse der veröffentlichten Meinung - zu sehr Panik und Hektik verbreiten. Wenn ich heute in großen Boulevardzeitungen lesen muss, wie gefährdet wir sind und welch schlimme Anschläge wir möglicherweise zu erwarten haben, wenn wir zustimmen, dann beunruhigt das. Vielleicht könnte der Bundesinnenminister auch dazu ein paar Worte sagen; denn wir wollen keine Verunsicherung, sondern Sicherheit der Bevölkerung und auch Sicherheit für die Zukunft. Bei all diesen Maßnahmen haben Sie uns an Ihrer Seite. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aus- sprache. Der Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 14/7296 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Der Haushaltsausschuss soll den Antrag abweichend von der Tagesordnung jedoch nur gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen be- kommen. Der Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/7333 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b sowie Zusatzpunkt 3 auf: 4 a) Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregie- rung Jugendpolitisches Programm der Bundesregie- rung: „Chancen im Wandel“ b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Kerstin Griese, Hildegard Wester, Iris Gleicke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Christian Simmert, Marieluise Beck ({0}), Volker Beck ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Zukunft gestalten - Kinder und Jugendliche stärken - Drucksachen 14/5284, 14/6415 ZP 3 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jugendpolitisches Programm der Bundesregierung „Chancen im Wandel“ - Drucksache 14/7275 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2}) Innenausschuss Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Christine Bergmann.

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005290

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum ersten Mal wird im Bundestag über ein ressortübergreifendes Regierungsprogramm für die junge Generation gesprochen. Das ist sehr gut so. Es zeigt, welchen Stellenwert diese Bundesregierung der Jugendpolitik zumisst. ({0}) Unter dem Titel „Chancen im Wandel“ haben wir ein Zehnpunkteprogramm vorgelegt, an dessen Bearbeitung sich alle Ressorts beteiligt haben. Wir stellen in diesem Programm unsere jugendpolitische Reformpolitik dar, die sowohl die Weiterentwicklung bewährter Programme einschließt als auch neue Projekte beinhaltet. Jugendpolitik heißt für uns nicht nur Politik für, sondern auch Politik mit der Jugend. ({1}) Wir nehmen die junge Generation als Partner ernst. Wir wollen sie dabei unterstützen, ihren eigenen Weg in unserer Gesellschaft und im zusammenwachsenden Europa zu finden. Wir alle sind auf die junge Generation angewiesen, auf ihre Ideen und ihre Anregungen. Nur so bleibt unser Land offen für die Zukunft. Kein Bereich der Politik, ob Arbeit, Wirtschaft oder Soziales, ob Außen- oder Innenpolitik, kann es sich leisten, die Interessen der Jugendlichen zu vernachlässigen. Wir leben in einer Zeit des schnellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels und Jugendliche müssen sich diesem Wandel in ganz besonderer Weise stellen. Sie brauchen dabei unsere Unterstützung. Es geht darum, ihre Fähigkeiten und Talente zu fördern. Es geht aber auch darum, Jugendliche aufzufordern, eigenständig und selbstbewusst in die Zukunft zu gehen, sich gut zu qualifizieren, sich einzumischen, mitzureden und sich für die Demokratie zu engagieren. Diese Bundesregierung will, dass Jugendliche in Freiheit und in Sicherheit aufwachsen. Ich denke, dass auch die vorangegangene Diskussion dazu einen wesentlichen Beitrag geleistet hat. Jugendliche sollen ihre Persönlichkeit frei entwickeln können und sie sollen das in einem Klima der sozialen Anerkennung und des menschlichen Zusammenhalts tun können. Sie sollen das in dem Gefühl tun können, sichere materielle Grundlagen und Perspektiven für ihr Leben zu finden. Mit dem Zehnpunkteprogramm verfolgen wir zwei wesentliche jugendpolitische Ziele. Zum einen geht es darum, der jungen Generation bessere und gerechte Chancen auf Arbeit und Bildung zu ermöglichen, zum anderen darum, die Erziehung zu Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit verstärkt zu fördern. ({2}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich angesichts der aktuellen Ereignisse und der vorangegangenen Diskussion einen Gedanken hinzufügen: Die Terroranschläge vom 11. September haben uns gezeigt, wie verletzlich unsere offenen Gesellschaften sind. Insoweit ist es verständlich, dass alle, insbesondere die Jugendlichen - das merke ich im Moment in vielen Diskussionen mit Jugendlichen, aber auch mit Kindern -, beunruhigt sind. Daher sage ich ihnen an dieser Stelle, dass sie sich in ihren Wünschen und Lebensplänen nicht verunsichern lassen, sondern an ihnen festhalten sollen. Darin hat mich die Debatte, die wir gerade geführt haben, bestärkt. Der Bundeskanzler hat heute Morgen deutlich gemacht, dass die Bundesregierung ebenso entschlossen wie besonnen handelt. Ich bin froh, dass es in diesem Hause eine breite Zustimmung zu dieser Politik der Bundesregierung gibt. Hier geht es auch um Sicherheit und Freiheit für Jugendliche. ({3}) Klar ist, dass wir unsere demokratischen Werte künftig entschiedener als bisher verteidigen müssen. Dazu ist das innenpolitisch Notwendige auf den Weg gebracht worden. Es gibt in unserer Gesellschaft aber auch Unsicherheiten, Vorurteile und Klischees im Umgang miteinander. Das lebendige Gespräch über unterschiedliche kulturelle, reliPräsident Wolfgang Thierse giöse und ethnische Hintergründe muss nicht nur bei Jugendlichen, bei ihnen aber in besonderer Weise eine größere Rolle spielen. Diesen so genannten interkulturellen Dialog wird die Bundesregierung stärker fördern. ({4}) Damit wollen wir erreichen, dass Jugendliche ein Wissen um Gemeinsamkeiten, aber auch um Unterschiede entwickeln, aus dem der gegenseitige Respekt, das Verständnis und das Interesse aneinander wachsen können. Zugleich geht es darum, das Wissen um die eigenen Werte voranzubringen. Dieser Prozess braucht Zeit; aber dieser Dialog muss mehr denn je gefördert werden, um in unserem Land das freie und friedliche Zusammenleben von Jugendlichen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen auf Dauer zu ermöglichen. Daher habe ich alle Jugendverbände und Träger der Jugendarbeit, die von uns gefördert werden, aufgefordert, im kommenden Jahr in ihrer Arbeit deutliche Schwerpunkte bei diesem Thema zu setzen. In meinem Haus werden gerade zusätzliche Projekte vorbereitet. Wir werden auch den internationalen Jugendaustausch weiter ausbauen. Im letzten Jahr haben 350 000 junge Menschen am internationalen Jugendaustausch teilgenommen. Wir alle wissen, dass dieser Austausch gut geeignet ist, das Zusammenleben von Jugendlichen zu fördern. ({5}) In diesen Jugendaustausch sollen künftig mehr Jugendliche aus allen Schulformen einbezogen werden, woran es heute an der einen oder anderen Stelle noch hapert. Auch soll dieser Austausch stärker mit der Arbeitswelt Jugendlicher verknüpft werden. Schließlich sollen mehr junge Menschen aus Migrantenfamilien an ihm beteiligt werden, als es bisher der Fall ist. Die Bundesregierung arbeitet daran, alle Jugendlichen an der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung teilhaben zu lassen. Vor drei Jahren haben wir damit begonnen, unsere neue Jugendpolitik mit konkreten Programmen umzusetzen. Dabei hat die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit höchste Priorität. Das, was wir hier in den letzten Jahren erreicht haben, kann sich sehen lassen: Wir haben das Bündnis für Arbeit ins Leben gerufen, einen Ausbildungskonsens gefunden und unter anderem mit dem Sofortprogramm JUMP die Arbeitslosigkeit von Jugendlichen beträchtlich abgebaut. Die Jugendarbeitslosigkeit ist von 11,8 Prozent im Jahre 1998 auf 8,6 Prozent Ende Oktober 2001 gesunken. ({6}) Jeder Jugendliche, der arbeitslos ist, ist einer zu viel. Aber an diesen Zahlen wird deutlich, was unsere Programme bewegt haben. Auch auf dem Ausbildungsmarkt ist die Trendwende erreicht: Seit dem vergangenen Jahr übersteigt die Zahl der unbesetzten Stellen die Zahl der noch nicht vermittelten Bewerberinnen und Bewerber. In diesem Zusammenhang rufe ich in Erinnerung, dass wir 1998 eine Bugwelle von mehreren Hunderttausend Jugendlichen übernommen haben, die seit zwei und mehr Jahren auf einen Ausbildungsplatz und damit auf eine Chance im Hinblick auf das Berufsleben gewartet haben. Wir haben diese Bugwelle weitestgehend abgebaut. ({7}) Ich kann mich erinnern, dass bis 1998 in jedem Sommer die Schlagzeilen mit der Zahl der Jugendlichen gefüllt waren, die noch auf einen Ausbildungsplatz warteten. Dies ist drastisch zurückgegangen. ({8}) Ich kann mich nicht erinnern, in diesem Jahr solche Zahlen gelesen zu haben. Dies ist das Ergebnis der verstärkten Anstrengungen in diesem Bereich. Natürlich haben wir noch Probleme. Vor allem gibt es deutliche regionale Unterschiede zwischen Ost und West. Wir wissen, dass die meisten Ausbildungsplätze im Osten mit staatlichen Mitteln gefördert werden und hier noch viel zu tun ist.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehnel?

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005290

Nein, jetzt nicht. Das können wir nachher klären. Meine Damen und Herren, das JUMP-Programm wird bis Ende 2003 fortgesetzt. Wir werden dafür jährlich rund 2 Milliarden DM aufwenden. 50 Prozent dieser Mittel - darauf sollte sich Ihre Frage sicher beziehen - fließen in die neuen Länder. ({0}) Insgesamt konnten seit 1999 aufgrund dieses Programms rund 333 000 junge Menschen gefördert werden. Wie Sie wissen, haben wir für die neuen Länder zusätzliche Programme wie zum Beispiel das Bund-Länder-Programm aufgelegt, um Ausbildungsplätze zu schaffen, weil die Not dort so groß ist. ({1}) Diese Politik wird selbstverständlich fortgesetzt. Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz werden die arbeitsmarktpolitischen Instrumente weiterentwickelt und reformiert. Wir wollen, dass allen arbeitslosen Jugendlichen innerhalb von sechs Monaten nach Eintritt der Arbeitslosigkeit ein Arbeitsplatz, eine Ausbildung bzw. eine Umschulung angeboten oder der Erwerb von Berufserfahrung ermöglicht wird. Das werden wir mithilfe individueller Eingliederungsvereinbarungen, durch die entsprechende Angebote bereitgestellt werden, auch schaffen. ({2}) Wir haben uns allerdings nicht nur um die Quantitäten gekümmert. Auch hinsichtlich der Qualität der Berufsausbildung haben wir eine ganze Menge erreicht. Wir haben Berufsbilder modernisiert und neue Berufsbilder geschaffen, weil das dazu beiträgt, dass Jugendliche bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben; denken wir an das Beispiel der Informations- und Telekommunikationsindustrie. Die entscheidende Grundlage für die Berufschancen von Jugendlichen sind gute Bildung und Ausbildung. Das sind auch wichtige Voraussetzungen, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und um sich in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts orientieren zu können. Unsere Gesellschaft hat dabei die Aufgabe, allen Jugendlichen entsprechend ihrer Begabung Bildung und Ausbildung zu ermöglichen. Wir haben diese Aufgabe als Auftrag angenommen. Diese Bundesregierung hat eine Bildungsoffensive gestartet und wird die Ausgaben im nächsten Jahr zum vierten Mal in Folge - auf dann rund 16,4 Milliarden DM - erhöhen. Wir haben hierfür also jährlich mehr Geld aufgewandt. ({3}) Auch in die Modernisierung der Hochschulen wurde erheblich mehr Geld investiert. Wir streben gleichen Zugang zu Bildung und bestmögliche Ausbildung für alle an. Ebenso haben wir bei der Ausbildungsförderung wieder mehr Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit hergestellt. Das war auch dringend nötig. Mehr als 80 000 Schülerinnen und Schüler sowie Studentinnen und Studenten haben seit diesem Jahr zusätzlich Anspruch auf BAföG. Im Rahmen der BAföG-Reform haben wir rund 1,3 Milliarden DM zusätzlich mobilisiert, weil eben nicht der Geldbeutel der Eltern über Zukunftschancen von Kindern entscheiden darf, sondern einzig die Fähigkeiten der Kinder. ({4}) Es geht uns aber auch um die Jugendlichen, die mit den herkömmlichen Möglichkeiten nicht erreicht werden und die von diesen Programmen nicht profitieren. Deswegen werden wir im Rahmen des Regierungsprogramms „Chancen im Wandel“ im nächsten Jahr ein neues Programm in sozial schwachen Regionen starten, in dessen Rahmen gezielt individuelle Kompetenzen und soziale Schlüsselqualifikationen der Jugendlichen gefördert werden. ({5}) Dabei wird ein abgestimmter Mix von sozial-, jugendund arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen eingesetzt. Dafür stehen im nächsten Jahr 25 Millionen DM zur Verfügung. Wir haben mit dem Programm „Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten“ Erfahrungen gemacht und wissen, dass es nicht ausreicht, nur staatliche Angebote zu machen, sondern dass wir in diesen Regionen die Zusammenarbeit aller brauchen. Wir fordern die Jugendlichen stärker, wir fordern die Eltern stärker, wir fordern die Sozialpartner, wir treten an die Unternehmen heran. Es besteht wirklich eine Zusammenarbeit, um ein Klima zu schaffen, in dem Jugendliche auch ermutigt werden, ein Stück begleitet werden und einen Einstieg in die Berufswelt finden. Das ist uns wichtig, weil uns keiner verloren gehen darf, auch nicht diejenigen, die die Schule oder eine Ausbildung abgebrochen haben. Sie müssen ihre Chance bekommen. Die Erfahrungen mit E & C zeigen, dass dies durchaus möglich ist. ({6}) Wenn wir über Chancengleichheit reden, reden wir aber nicht nur über sozial Benachteiligte; es geht auch um Chancengleichheit zwischen Jungen und Mädchen. Da haben wir eine ganze Menge aufzuholen. Wir wissen zum Beispiel, wie wenig junge Frauen sich in dem zukunftsträchtigen Bereich der Berufe der Informations- und Kommunikationstechnologien wiederfinden. Deswegen haben wir über die Initiative D 21 eine ganze Menge ins Rollen gebracht, Betriebe gewonnen, die Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen, die werben. Wir unterstützen dies, auch mit finanziellen Mitteln. Ich denke, dass wir unser Ziel erreichen müssen, in diesen Bereichen bis zum Jahr 2005 40 Prozent Mädchen zu haben. Der Umgang mit den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien wird immer mehr zur Schlüsselqualifikation. Deshalb hat die Bundesregierung unter dem Motto „Anschluss statt Ausschluss“ das Konzept IT in der Bildung entwickelt. Hier stehen im Zeitraum von 2000 bis 2004 rund 1,4 Milliarden DM zur Verfügung. Das ist nicht wenig. Außerdem haben wir es in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft erreicht, dass bis Ende des Jahres alle Schulen, Berufsschulen und Hochschulen mit Computern und Internetanschlüssen ausgestattet werden. Das ist ein Riesenerfolg; hier ist eine Riesenlücke geschlossen worden. ({7}) Natürlich wollen wir immer noch mehr erreichen; das ist klar. Deswegen geht es darum, die Einrichtungen der Jugendarbeit ans Netz zu bringen. Wir werden zusammen mit Unternehmen mittelfristig die rund 50 000 Jugendhilfeeinrichtungen mit Computern und Internet ausstatten. Hier laufen zurzeit konkrete Verhandlungen, damit wir bald mit der ersten Tranche beginnen können; denn wir wollen auch Bildungsangebote bereitstellen, die über eine Bildungsplattform an Jugendliche herangebracht werden können. Wir alle kennen die Klagen, die junge Generation sei politikverdrossen, sie habe eine zunehmend größere Distanz zur Politik, sie traue der Politik nicht zu, dass ihre Probleme gelöst würden. Häufig wird auch beklagt, dass die junge Generation egoistisch, nicht mehr bereit sei, Verantwortung zu übernehmen oder sich dauerhaft zu engagieren. Meine Erfahrung spricht dagegen. In meinen Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern und vielen Jugendlichen vor Ort stelle ich immer wieder fest, dass Jugendliche erstens in vielen Bereichen aktiv sind, zweitens eine große Bereitschaft haben mitzumachen, etwas zu tun, etwas zu verändern, aber häufig auf Barrieren stoßen. Das heißt, das Angebot an Jugendliche, sich aktiv zu beteiligen, entspricht durchaus nicht den Wünschen, die Jugendliche tatsächlich haben. An diesem Punkt müssen wir anknüpfen. Wir wollen die Möglichkeiten für Jugendliche, sich in unserer Gesellschaft zu engagieren, ausbauen. Da haben wir schon einiges erreicht. Denken wir daran, dass wir in den letzten Jahren eine beträchtliche Steigerung der Zahlen der Plätze für ein freiwilliges soziales und freiwilliges ökologisches Jahr zu verzeichnen hatten. Wir werden das Angebot in diesem Bereich im nächsten Jahr noch einmal um 50 Prozent aufstocken können. Wir werden nicht nur mehr Plätze zur Verfügung stellen können, sondern das Angebot auch auf andere Bereiche ausdehnen, auf den Bereich der Kultur und den Bereich des Sportes; dort laufen schon jetzt Modelle. Darüber hinaus werden wir berufsorientierende und berufsqualifizierende Elemente in die Freiwilligendienste aufnehmen. Außerdem wollen wir die Freiwilligendienste flexibler gestalten, damit junge Menschen freiwilliges Engagement besser in ihre persönliche Lebensplanung einpassen können. ({8}) Ich habe es schon angesprochen: Wenn über Jugendliche geredet wird, dann häufig im Zusammenhang mit Problemen, Gewalt, Drogenkonsum, Erziehungsnotstand und Ähnlichem. Ich halte das für falsch. Es ist schlichtweg falsch, Kinder und Jugendliche vor allem als Problemgruppe zu sehen; denn junge Leute sind in der Mehrzahl engagiert. ({9}) Wenn sie Kontakt mit der Politik und der Verwaltung haben, dann wollen sie nicht hören, was alles nicht geht, sondern sie wollen hören, was machbar ist. Daran, denke ich, mangelt es manches Mal. Deshalb haben wir vor wenigen Tagen die Bundesinitiative „Beteiligungsbewegung“ gestartet. Wir werben damit für eine stärkere Beteiligung junger Menschen in der Politik vor Ort, in Schulen, in Verbänden, in Kommunen. Unser Ziel ist es, Politik erlebbar und erfahrbar zu machen. Wir möchten außerdem, dass die Institutionen für Jugendliche transparenter und auch zugänglicher werden. Es gibt eine große Bereitschaft von Jugendorganisationen, Freizeiteinrichtungen, Ausbildungsstätten, Schulen und Kommunen, hier mitzumachen, um mehr Beteiligungsmöglichkeiten für Jugendliche zu schaffen. Wir müssen uns einfach stärker für die Ideen und Anregungen der Jugendlichen öffnen. Ich freue mich jedenfalls darüber, dass es so viel Bereitschaft zur Mitwirkung gibt. Wir wollen das aber noch ausweiten. Wir werden im nächsten Jahr eine neue experimentelle Form der Beteiligung von Jugendlichen für Jugendliche unbürokratisch fördern. Wir möchten, dass Jugendliche selbst für sich Projekte machen. Sie sollen nicht nur darüber entscheiden, ob sie ein Angebot annehmen, sondern sie sollen Projekte mit entwickeln können. Dafür werden wir im Rahmen des Kinder- und Jugendplans Mittel zur Verfügung stellen; denn ich meine, wir gewinnen die aktive Beteiligung der Jugendlichen vor allem, wenn wir ihnen Verantwortung geben und ihren Projekten Vertrauen schenken. ({10}) Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht. Denken wir nur an das Aktionsprogramm „Jugend für Demokratie und Toleranz - gegen Rechtsextremismus und Gewalt“. In diesem Zusammenhang haben Jugendliche selbstständig Projekte entwickelt. Sie haben Anstöße in ihrer Kommune gegeben und Initiativen gestartet, um Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen, um bürgerschaftliches Engagement in diesem Bereich zu unterstützen. Sie haben die von ihnen entwickelten Projekte selbst umgesetzt. Sie wissen, in diesem Jahr standen 90 Millionen DM für diese Arbeit zur Verfügung. Im nächsten Jahr werden Mittel in gleicher Höhe bereitstehen. Meiner Ansicht nach stärken wir damit nicht nur das aktive zivile Engagement der jungen Generation für unsere freiheitliche und weltoffene Demokratie, sondern wir erreichen auf diese Weise auch mehr Überzeugungskraft, mehr Glaubwürdigkeit, mehr Vertrauen und mehr Begeisterung bei Jugendlichen. Das ist nicht von oben zu verordnen; das wissen wir. Da muss man Jugendlichen Möglichkeiten geben, sich selbst zu erproben und sich Verdienste zu erwerben. ({11}) Die Bundesregierung verfolgt eine Politik, in der die Interessen der Jugendlichen bei der Gestaltung der Zukunft schon heute mit einbezogen werden. Dieses Prinzip der Nachhaltigkeit verfolgen wir in allen Ressorts. Das reicht vom Schutz unserer Umwelt bis zur Sanierung der öffentlichen Haushalte. Ziel ist es, der Jugend ebenso gute Chancen einzuräumen, wie sie vorangegangene Generationen als selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen konnten. Uns ist dabei immer bewusst: Wie wir heute mit der jungen Generation umgehen, welche Perspektiven wir ihnen ermöglichen, welche Werte wir ihnen vermitteln, entscheidet darüber, wie unsere Gesellschaft morgen aussehen wird. Ich danke Ihnen. ({12})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion der CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Maria Eichhorn. ({0})

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Chancen im Wandel“ - mit diesem Titel ist das jugendpolitische Programm der Bundesregierung überschrieben worden. Aber was sagt er aus? Nichtssagender geht es kaum. Wir warten schon seit Jahren auf die Verwirklichung der angekündigten Gesetze, Frau Ministerin. ({0}) In der für unser aller Zukunft so wichtigen Jugendpolitik ist in den Jahren der rot-grünen Regierungszeit kaum etwas passiert, ({1}) und das, obwohl sich die Lebensbedingungen von Jugendlichen in den vergangenen Jahrzehnten maßgeblich verändert haben. Der ökonomische Strukturwandel, der sich vollzogen hat, erzeugt einen enormen Anpassungsdruck. Der gesellschaftliche Wandel hin zu Eigenverantwortlichkeit bedeutet Freiheit, aber auch mehr Risiko und Unsicherheit. Die Mehrheit der Jugendlichen von heute ist in ihren Lebensplänen mobiler und flexibler als frühere Generationen. Das Problem aber ist: Wer den Anforderungen an Mobilität und Flexibilität nicht entspricht oder nicht entsprechen kann, ist von Benachteiligungen und sozialer Ausgrenzung bedroht. Um dieser Gefahr zu begegnen, haben Sie in den drei Jahren Ihrer Regierungszeit nichts getan. Im Gegenteil: Der Druck, der auf Familien, Kindern und Jugendlichen lastet, hat sich verstärkt. Für uns steht fest, dass Politik für die Jugend und mit der Jugend auf einem Wertefundament basieren muss. Werte wie Toleranz, Ehrlichkeit, Offenheit, Vertrauen und Moral müssen erlernt und vorgelebt werden. ({2}) Das Selbstvertrauen der jungen Generation in die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten muss gefördert werden. Soziale Kompetenz ist die Grundvoraussetzung für eine stabile Persönlichkeit. Zur Schaffung positiver Leitbilder unter Förderung der Beteiligung junger Menschen ist eine enge Verzahnung der familien-, jugend- und bildungspolitischen Programme und Initiativen notwendig. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Nutzung von Internet, Video und Computer nimmt immer mehr zu. Angesichts dieser Entwicklung ist ein verstärkter Jugendmedienschutz erforderlich - und Sie haben wieder keinen Ton dazu gesagt, Frau Ministerin. ({3}) Die Bundesregierung hat hier bisher nichts getan. Gerade bei diesem wichtigen Thema Medienschutz versagt sie auf der ganzen Linie. Kinder und Jugendliche sind heute einer Überflutung von Darstellungen ausgesetzt, die Gewalt verharmlosen. Dies hat weit reichende Folgen. Die Reaktion auf die Ereignisse des 11. September macht es deutlich. Dass Kinder den Terroranschlag als tolle Action bezeichnen, zeigt, dass sie nicht mehr zwischen Realität und Fiktion unterscheiden können. ({4}) Auch der so genannte Eventradikalismus lässt sich auf die Gewöhnung der Jugend an Gewalt und Brutalität zurückführen. Der Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Gewaltdarstellungen ist daher eine dringend notwendige Aufgabe, der die Bundesregierung nicht gerecht wird. Die Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen für die junge Generation ist und bleibt eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre. Damit allen jungen Menschen Chancen auf einen Ausbildungs- und Arbeitsplatz eröffnet werden, müssen Wirtschaft, Staat und Arbeitsverwaltung zusammenarbeiten. Gefordert ist eine Wirtschaftspolitik, die das Wachstum fördert und nicht durch einschränkende Gesetze behindert. ({5}) Dazu müssen Impulse für neue Technologien und Unternehmen gesetzt und ein wirtschaftsfreundliches Klima erzeugt werden. Junge Menschen, die den Weg in die Ausbildungs- und Arbeitswelt aus eigener Kraft nicht finden, müssen durch den Staat unterstützt werden. Das Jugendsofortprogramm JUMP ist dafür nicht geeignet, wie die Erfahrungen zeigen. Und wenn Sie nun JUMP in das SGB III bringen wollen - wie Sie in Ihrem Entschließungsantrag ankündigen - wird es dadurch nicht erfolgreicher werden. Die Jugendarbeitslosigkeit ist in Deutschland, Frau Ministerin, auf einem besorgniserregend hohen Stand. Im letzten Jahr waren in Deutschland fast 430 000 junge Menschen unter 25 Jahren arbeitslos. Mehr als die Hälfte von ihnen war ohne eine Berufsausbildung. Bei den unter 20-Jährigen waren es sogar 77 Prozent. Entgegen Ihrer Behauptung, die gestern im Ausschuss gefallen ist, gibt es in der Bundesrepublik langzeitarbeitslose Jugendliche. Im Juni letzten Jahres waren es 18 817 junge Menschen unter 25 Jahren, die ein bis zwei Jahre arbeitslos waren, und 2 368, die sogar länger als zwei Jahre arbeitslos waren. Auch im europäischen Vergleich nimmt Deutschland bei der Jugendarbeitslosigkeit einen beschämenden Platz ein. Die Quote der arbeitslosen Jugendlichen unter 25 Jahren war in den Niederlanden um die Hälfte niedriger. In Portugal, Irland, Österreich und Luxemburg war sie ebenfalls niedriger als in Deutschland. In diesen Ländern sank auch die Jugendarbeitslosigkeit zwischen 1999 und 2001 kontinuierlich, in Deutschland stieg sie aber stetig an. Im Durchschnitt lag die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland 1998 bei 9 Prozent, im Jahr 1999 bei 9,2 Prozent und im letzten Jahr, Frau Ministerin, im Durchschnitt bei 9,5 Prozent. Und da sprechen Sie von Erfolg? Ich sehe hier nur Misserfolg. ({6}) Durch die verschiedenen arbeitsmarktpolitischen Instrumente wurden 1998 noch rund 472 000 Arbeitslose unter 25 Jahren gefördert; im letzten Jahr waren es um 50 000 weniger. Auch die Teilnehmerzahlen des Jugendsofortprogramms gingen von 87 000 im Jahre 1999 auf 77 000 im letzten Jahr zurück. In den neuen Bundesländern waren im letzten Jahr 156 000 Jugendliche arbeitslos; das sind 16,6 Prozent der unter 25-Jährigen. Diese Zahl bedeutet, dass die Jugendarbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern im letzten Jahr um 13 Prozent angestiegen ist. Wo kann man da von Erfolg sprechen? ({7}) Als Folge der Arbeitslosigkeit fühlen sich die Jugendlichen sinnlos, ungebraucht. Sie finden nicht ihren Platz in der Gesellschaft. Sie selber sprechen in Ihrem Programm davon, dass ein erfolgreicher Einstieg in die Arbeitswelt gegen Perspektivlosigkeit hilft. Warum nur haben Sie dann so lange tatenlos zugesehen? ({8}) Der gewünschte Erfolg Ihres Programms ist nicht eingetreten. Belügen Sie sich doch nicht selbst! Bayern hatte im Jahr 2000 nach Baden-Württemberg mit 4,8 Prozent die niedrigste Jugendarbeitslosenquote. ({9}) Grundlage dafür sind die gute bayerische Schulpolitik und eine Reihe von gezielten Initiativen, die wirksam geworden sind. Die Verankerung solcher erfolgreichen Strukturen und Ideen fehlt in Ihrem Programm. Das JUMP-Programm ist, meine Damen und Herren, unwirksam. ({10}) Mehr als 70 Prozent der Teilnehmer gehören nicht zu der Gruppe der anvisierten Leistungsschwachen. Zudem sind die ausländischen Jugendlichen in den Maßnahmen unterrepräsentiert. Aber auch andere Problemgruppen des Arbeitsmarktes werden durch dieses Programm nicht erreicht: Jugendliche ohne Schulabschluss stellen nur 14,1 Prozent der Teilnehmer. Nur ungefähr jeder Dritte beginnt nach Ende der Maßnahme eine Ausbildung oder eine Beschäftigung. Der Rest, nämlich zwei Drittel, ist weiterhin arbeitslos oder wechselt die Maßnahme. Diese Fakten stehen in keinem Verhältnis zu den jährlich fast 2 Milliarden DM, die Sie aufwenden, und in keinerlei Verhältnis zu dem, was Sie behaupten, Frau Ministerin. ({11}) Wir benötigen mehr differenzierte Ausbildungsberufe, auch für weniger qualifizierte Jugendliche. Zudem muss die Maxime „Qualifikation schafft Integration“ stärker umgesetzt werden. Die in Deutschland lebenden ausländischen Jugendlichen sind immer weniger in Berufen und Betrieben integriert. Etwa ein Drittel der ausländischen Jugendlichen verlässt die beruflichen Schulen ohne einen Abschluss. Das sind doppelt so viele wie bei den deutschen Jugendlichen. Mehr als die Hälfte der 18- bis 20jährigen Nichtdeutschen hat keinen Berufsabschluss. Wenn Sie jetzt in Ihrem Gesetz zur Zuwanderung die Obergrenze für das Zuzugsalter bei 14 Jahren ansetzen, haben ausländische Jugendliche auch in Zukunft kaum Chancen zur Integration. Die Qualifizierung junger ausländischer Arbeitsloser durch die verschiedenen Förderprogramme der Bundesanstalt für Arbeit muss intensiviert werden. Ausbildungsprojekte, in denen Zweisprachigkeit gezielt genutzt wird, müssen vermehrt gefördert werden. Meine Damen und Herren, wir fordern Sie auf, durch wirksame Reformen in der Arbeitsmarkt-, Bildungsund Sozialpolitik endlich die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland zu senken. ({12}) Aufgrund der in den nächsten Jahren noch steigenden Zahl von Schulabgängern muss eine vernünftige berufliche Perspektive für alle Jugendlichen aufgezeigt werden. Den unterschiedlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten muss mehr als bisher Beachtung geschenkt werden. Wir fordern Sie auf, für eine effizientere Umsetzung Ihres JUMP-Programms zu sorgen. Dafür ist auch die Integration in und mit den Betrieben notwendig. Primär sollten Benachteiligte, zum Beispiel Jugendliche ohne oder mit schlechtem Schulabschluss, gefördert werden, und dies zuerst in strukturschwachen Gebieten. ({13}) So ist auch bei der Verweigerung zumutbarer Angebote konsequent vorzugehen: Im Rahmen von flächendeckenden Kombilöhnen könnte eine Öffnung des Arbeitsmarktes für gering qualifizierte Jugendliche erreicht werden. Mit dieser Maßnahme würden bisher nicht nachgefragte Arbeitsplätze in Niedriglohnbereichen entstehen und besetzt werden können. Für jugendliche Sozialhilfeempfänger sind stärkere Anreize zu schaffen, damit sie eine Ausbildung annehmen. So stellen wir uns ein glaubwürdiges jugendpolitisches Programm vor. Die Jugendlichen in der Bundesrepublik Deutschland haben einen Anspruch auf konkrete Angebote und auf konkrete Maßnahmen. Wo bleibt die Umsetzung Ihrer Wahlversprechen von 1998? ({14}) Der Schriftsteller Heinrich Seidel sagt: Was sich in uns in späteren Jahren zu Bäumen auswächst, findet seine Wurzelkeime in frühen Jugendeindrücken. Frau Ministerin, es wird höchste Zeit, dass Sie einen fruchtbaren Nährboden bereiten. ({15})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Iris Gleicke.

Iris Gleicke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000687, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir für die Jugendlichen glaubwürdige Perspektiven entwickeln wollen, dann müssen wir dies im Dialog mit den Jugendlichen tun. Wenn wir erreichen wollen, dass Jugendliche Vertrauen in die Zukunft gewinnen, dann müssen wir ihr Vertrauen gewinnen. Unsere Debatte wird von der deutschen Beteiligung an militärischen Einsätzen gegen den internationalen Terrorismus überschattet. Dabei geht es um die Bewahrung von Freiheit und Demokratie. Dies der nachwachsenden Generation deutlich zu machen, und zwar nicht im Sinne irgendeiner billigen Propaganda, sondern in Form eines offenen, ernsthaften Gesprächs, halte ich für eine fundamentale Aufgabe. Jugendliche haben ein sehr feines Gespür dafür, ob ihre berechtigten Fragen mit Sprechblasen beantwortet oder ernst genommen werden. ({0}) Genau wie wir müssen die Jugendlichen in dieser und mit dieser Gesellschaft leben und zurechtkommen. Was nützt eine Politik - und sei sie auf all ihren Feldern auch noch so nachhaltig -, wenn sie in der nächsten Generation nicht fortgesetzt wird? Politik muss sich tauglich zeigen, die Probleme der Gegenwart und der Zukunft zu lösen. Wir können und sollten darüber diskutieren, welche Werte und Botschaften unsere Gesellschaft den Jugendlichen vielfach vermittelt. Geht es wirklich nur darum, erfolgreich zu sein, gut auszusehen und gut zu verdienen? Oder ist es nicht vielmehr so, dass die Jugendlichen eine Chance haben wollen, etwas aus ihrem Leben zu machen? Jugendliche wollen sich vom Elternhaus lösen und ihr eigenes Leben leben. Das ist ein ganz natürlicher Prozess, den alle Eltern kennen. Ich glaube, die jungen Leute wollen in ihrer überwiegenden Mehrheit ihre persönliche Zukunft gestalten. Sie sind davon überzeugt, das auch hinzubekommen. Wenn sie diese Chance nicht bekommen, dann steht die Wertschätzung des Einzelnen in der Gemeinschaft auf dem Spiel und das individuelle Selbstwertgefühl gerät in Gefahr. Wir wissen: In der Jugend gibt es oft rasch wechselnde Orientierungen, Stimmungslagen und Verhaltensweisen. Jugendliche, die zu der Überzeugung gelangen, keine Chance zu haben, sind stärker als andere anfällig für Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit oder Antisemitismus. Wer unzufrieden ist, wer keine Anerkennung findet, wer dem Druck nicht standhält und sich als Versager fühlt, sucht und findet Sündenböcke. Das geht oft mit Alkohol- und Drogenmissbrauch einher. Aber nach ihren Lebenszielen befragt, setzen Jugendliche heute Sicherheit, Geborgenheit, Recht und Ordnung, soziale Gerechtigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Freiheit ganz oben auf die Werteskala. Das Heranwachsen im vereinten Deutschland muss deshalb von einem stärkeren Gemeinschaftsgefühl für unsere Demokratie geprägt sein. Schon in der Familie, in Schulen und in Vereinen muss demokratische Kultur eingeübt, gepflegt und ausgebaut werden. Die Beteiligung der jungen Generation am politischen Meinungsbildungsprozess ist deshalb ein zentrales Element der Stabilität und Weiterentwicklung einer Demokratie, die lebendig sein will und lebendig sein muss, wenn sie nicht in Formeln erstarren soll. ({1}) Die Beteiligung von Jugendlichen am politischen und gesellschaftlichen Leben muss deshalb noch viel stärker im öffentlichen Bewusstsein verankert werden. Wichtig erscheinen mir vor allem solche Ansätze, die Dialog und Beteiligung in den Mittelpunkt stellen und nicht auf einzelne Felder der Politik reduziert bleiben. Jugendpolitik, die sich selbst ernst nimmt, Jugendpolitik in unserem Verständnis ist eine Querschnittsaufgabe und damit eine ressortübergreifende Aufgabe. ({2}) Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage dokumentiert die Verankerung der Jugendpolitik in den verschiedenen Politikfeldern. Lassen Sie mich einige der wichtigsten dieser Politikfelder beispielhaft nennen. Wir haben das BAföG verbessert, weil wir Gerechtigkeit und Chancengleichheit wollen. Diese Chancengleichheit, für die Sozialdemokraten immer gekämpft haben, nahm im Zuge der „geistig-moralischen Wende“ des Herrn Dr. Kohl schweren Schaden. ({3}) Den Konservativen ging es damals darum, die Interessen selbsternannter Eliten zu bedienen. Die Bilanz dieser nach 1990 auch dem Osten der Republik aufgestülpten Ideologie war von deprimierender Trostlosigkeit: eine Jugendarbeitslosigkeit, Frau Kollegin Eichhorn, in Rekordhöhe, verbunden mit einem für die Volkswirtschaft katastrophalen Fachkräftemangel. ({4}) Dem Land wurde damit unermesslicher Schaden zugefügt. Wir brauchen Ausbildungsplätze und Arbeit für alle Jugendlichen. Die Jugendarbeitslosigkeit muss deshalb weiter bekämpft werden, gerade in dieser schwierigen wirtschaftlichen Situation. ({5}) Mit Recht sagen junge Leute: Was nützt uns die Freiheit, wenn wir keine Arbeit und keine Perspektive haben? Deshalb wird das JUMP-Programm, das Sie von der Union immer abschaffen wollten, weitergeführt. Nach dem Redebeitrag von Frau Eichhorn kann man immer noch nicht davon ausgehen, dass sich Ihre Meinung geändert hat. Wir werden uns von Ihnen aber nicht beirren lassen. Ihr Realitätsverlust ist wirklich erstaunlich. Als wir die Regierung übernommen haben, lag die Jugendarbeitslosigkeit bei über 12 Prozent. Jetzt liegt sie bei 8,6 Prozent. Ich finde es zynisch und ärgere mich darüber, dass Sie dies nicht als Erfolg für jeden einzelnen jungen Menschen in diesem Lande ansehen. ({6}) Ihre Ignoranz macht mich wütend! ({7}) Die Jugendarbeitslosigkeit ist bei uns die niedrigste in Europa. Das war unter Ihrer Regierung nicht der Fall. ({8}) - Herr Haupt, wir werden Ihrem Redebeitrag gespannt folgen. ({9}) Die technologische Entwicklung der Medien und die neuen Kommunikationstechnologien mit ihrem wachsenden Bedarf an gut ausgebildeten Arbeitskräften müssen weiter in die Ausbildungsgänge einbezogen werden. Deshalb haben wir damit begonnen, neue Berufsbilder und Berufsmodule zur besseren Anerkennung der Ausbildung zu schaffen und die Ausbildungsverordnungen zu entrümpeln. Wir werden dafür sorgen, dass Mädchen und junge Frauen an dieser Entwicklung ordentlich beteiligt werden. ({10}) Wir wollen die Chancen nutzen, die in den modernen Kommunikationsformen liegen. Deshalb haben wir die Schulen ans Netz gebracht. Auch die Jugendfreizeiteinrichtungen werden wir ans Netz bringen. Es geht um die gerechte Teilhabe. Es geht darum, Benachteiligungen zu verhindern und Missbrauch im Umgang zu vermeiden. Die Jugendlichen erwarten von der Politik in erster Linie die verlässliche Ausgestaltung einer Chancengesellschaft mit realistischen Optionen und praktischen Lösungsangeboten für ihre Lebensplanung. Zur Lebensplanung gehört mit neuem Stellenwert auch die Familie. Es geht für junge Frauen und Männer um die tatsächliche Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Eine aktive Gleichstellungspolitik muss und wird ohne jede ideologische Begleitmusik mehr Gerechtigkeit schaffen. ({11}) Politik, die die gerechte Teilhabe aller zum Ziel hat, steht vor einer doppelten Aufgabe: Einerseits muss sie sicherstellen, dass jungen Menschen die Kompetenzen vermittelt werden, die über gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt von morgen entscheiden. Andererseits muss sie angesichts steigender und neuer Qualifikationsanforderungen die soziale Ausgrenzung von Jugendlichen verhindern. Entscheidungen über die Köpfe der Betroffenen hinweg darf es dabei nicht geben. Es gilt, einen konkreten und lebensnahen Dialog mit den Jugendlichen zu führen. Es geht um einen Dialog, in dem die Gesprächspartner einander ernst nehmen. Wir wollen diesen Dialog. ({12}) Wir vertrauen dabei darauf, dass die heutige junge Generation nicht weniger solidarisch ist als die jungen Generationen vor ihr und dass sie ebenso viele Ideale hat. Diese Solidarität, diese Sehnsucht nach Gerechtigkeit findet man überall. Man muss sie nur sehen wollen. Man findet sie in unserem reichen Land bei engagierten Jugendlichen an den Schulen und den Universitäten sowie bei erfolgreichen Jungunternehmern. Man findet sie aber auch bei den Ärmsten der Armen, bei den gescheiterten Existenzen und bei den so genannten Verlierern unserer Gesellschaft, die oft an Jahren noch so jung und deren Gesichter schon so entsetzlich alt sind. Mich bedrückt es sehr, wenn ich höre, wie junge Leute von „Losern“ oder von „Asis“ reden. Ich glaube, dahinter verbergen sich zumeist eigene Ängste und die hilflose Einsicht, dass es noch immer zu wenig Gerechtigkeit gibt. Wir können den jungen Leuten nur dann etwas von dieser Angst und Hilflosigkeit nehmen, wenn sie spüren, dass wir es mit ihnen ernst meinen und dass wir sie brauchen, wenn wir die Zukunft erfolgreich meistern wollen. ({13}) Die Politik der sozialen Kälte in diesem Land haben wir überwunden. Jetzt arbeiten wir daran, gemeinsam mit der jungen Generation ein Klima der sozialen Wärme zu schaffen. Schönen Dank. ({14})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Kollege Klaus Haupt für die FDP-Fraktion.

Klaus Haupt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das jugendpolitische Programm der Bundesministerin Bergmann mit dem Titel „Chancen im Wandel“ ist erhellend, zukunftsweisend und trotzdem nichts sagend. Jugendpolitik soll als Querschnittspolitik verankert werden. Dieser außerordentlich neuartig anmutende Ansatz findet - das wird Sie überraschen - unsere heftigste Zustimmung. ({0}) Aktivierende Jugendpolitik soll ein Leitbild sein. Die Stärken der Jugendlichen sollen gefördert werden. Wunderbar! „Wir wollen“, so heißt es, „die Jugendlichen als Partner gewinnen“ und „setzen ... auf eine breite Allianz mit der Jugend“. Frau Bergmann, das findet unsere nachhaltige Unterstützung. ({1}) Das jugendpolitische Programm „Chancen im Wandel“ liest sich wie ein Kompendium aller wohlmeinenden Absichtserklärungen, die in Sachen Jugendpolitik in diesem Hohen Hause unbestritten sind. ({2}) Aber einen jugendpolitischen Quantensprung kann ich jedenfalls in diesem Programm nicht erkennen. Ausbildung und Qualifizierung der Jugend entscheiden über die Zukunft unserer Gesellschaft. Ja, der weltweite Wettbewerb beginnt im Klassenzimmer. Doch Ihre bildungspolitischen Aktivitäten sind recht bescheiden geblieben. Wir haben einen zukunftsweisenden Entwurf zum Bundesausbildungsförderungsgesetz vorgelegt. Sie haben ihn abgelehnt. Wir haben verschiedene Anträge zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Universitäten vorgelegt. Sie haben sie abgelehnt. Deutschlands Studierende treten im Durchschnittsalter von 28,5 Jahren in das Berufsleben ein. Das ist im Vergleich zu unseren europäischen Partnern fünf Jahre zu spät. Das hat Gründe: Die mehr als überfällige Hochschulreform in Deutschland kommt ebenso wenig voran wie die Abschaffung der Wehrpflicht und - damit einhergehend - des Zivildienstes. Auch die Abschaffung des 13. Schuljahres ist schon lange im Gespräch. Zur Verkürzung der überlangen Ausbildungszeiten in Deutschland wäre sie dringend wünschenswert. ({3}) Die junge Generation zahlt den Preis solcher Reformträgheit in Deutschland. Wir haben auch Anträge zur Weiterbildung, zum Berufsausbildungssystem, zur Förderung des naturwissenschaftlichen Unterrichts an deutschen Schulen und zum Wirtschaftsunterricht vorgelegt. Einige sind noch in der parlamentarischen Beratung. Dürfen wir angesichts der jetzigen Debatte darauf hoffen, dass Sie diesen Anträgen zustimmen werden, obwohl sie von der FDP sind? Das wäre eine Chance zum Wandel von Absichtserklärungen hin zu wirklich erreichten Zielen. Es sollte uns allen bewusst sein, dass Bildung d i e soziale Frage des 21. Jahrhunderts ist. ({4}) Es ist schon mehrfach von meinen Vorrednern darauf hingewiesen worden: Jugendarbeitslosigkeit ist das schwerwiegendste jugendpolitische Problem in unserem Lande. Die FDP begrüßt es daher, dass die Bundesregierung auf diesem Feld noch gesteigerten Handlungsbedarf sieht. Frau Gleicke, ich komme aus einer Region mit einer Arbeitslosenrate von 24 Prozent. Die Notwendigkeit staatlicher Feuerwehrprogramme ist für mich unbestritten. Aber: Immer neue Staatsprogramme helfen nicht, der Jugendarbeitslosigkeit auf Dauer Herr zu werden. ({5}) Das zeigt die Entwicklung der Arbeitsmarktdaten sehr deutlich. Trotz Rückenwind durch die demographische Entwicklung - bekanntlich scheiden pro Jahr etwa 250 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr aus dem Arbeitsleben aus, als Personen auf den Arbeitsmarkt drängen - verschärft sich die Arbeitsmarktlage in Deutschland. Saisonbereinigt steigt die Zahl der Arbeitslosen und damit auch der betroffenen Jugendlichen kontinuierlich an. Die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen stieg in diesem Jahr im Westen um 1,5 Prozent, im Osten sogar um 2,5 Prozentpunkte. Ein nachhaltiger Abbau der Jugendarbeitslosigkeit ist nur dann zu erreichen, wenn die Rahmenbedingungen in Deutschland wieder stimmen. ({6}) Wir brauchen endlich ein radikal vereinfachtes Steuersystem, einen umfassenden Bürokratieabbau und eine mutige Bildungsreform. ({7}) - Ich komme noch darauf. Viele Gesetze, die die Bundesregierung in den letzten drei Jahren fabriziert hat, stehen zu diesem Erfordernis leider in krassem Widerspruch. Ich muss in diesem Zusammenhang an die unsinnige Neuregelung der 630-DMArbeitsverhältnisse erinnern, die auch und vor allem Jugendliche betrifft. ({8}) Weiter erinnere ich an die Neuregelung des Kündigungsschutzes, die nicht vor Kündigungen, aber wirksam vor Neueinstellungen schützt. Ich erinnere an Ihren Versuch, die so genannte Scheinselbstständigkeit zu bekämpfen, das Gesetz bezüglich der Pflicht zur Teilzeitbeschäftigung, das völlig an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes vorbeigeht, ({9}) oder die Verschärfung des Betriebsverfassungsgesetzes, ({10}) die unsere mittelständischen Unternehmen in einem Regelungswust ersticken lässt. Hinzu kommen Wirtschaftsblocker wie Ökosteuer oder die angekündigte Erhöhung der Tabak- und der Versicherungsteuer. ({11}) Zudem hat die Bundesregierung eingestanden, dass sie ihr Ziel, die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent zu drücken, nicht erreichen wird. Wenn bisher drei Viertel aller Ausbildungsplätze in Handwerk und Mittelstand entstanden sind, dann ist es doch richtig zu sagen: Die beste Ausbildungsplatzpolitik ist eine gute Mittelstandspolitik. ({12}) Der Mittelstand braucht Entlastung und Luft. Nur so kann er Motor für mehr Beschäftigung und Ausbildung sein. Weder akute Staatsprogramme noch Regulierungswut werden das Problem der Jugendarbeitslosigkeit lösen können. ({13}) Das Problem verschärft sich, wenn man die Situation in den neuen Ländern betrachtet: Hier hat die Jugend eine so schlechte Perspektive, dass die Mobileren und Qualifizierteren abwandern. In meinem schönen Sachsen beispielsweise wird die Einwohnerzahl von heute 4,4 Millionen bis zum Jahr 2030 auf 3,6 Millionen zurückgehen. Pro Jahr machen sich 6 000 Jungen und Mädchen im Lehrlingsalter auf, um ihrer Heimat den Rücken zu kehren. Wie sollen Länder in Zukunft existieren, denen die Hoffnungsträger den Rücken kehren, weil sie keine Chancen haben? Die Perspektivlosigkeit der Jugend, die zu geringen Chancen sind doch auch die Hauptursachen für ein Demokratiedefizit, das wir bei einem Teil der Jugendlichen feststellen. Die Lösung des Problems der Perspektivlosigkeit ist die zentrale Aufgabe. Demokratie muss sich auf diesem Feld als handlungsfähig erweisen. ({14}) Wenn junge Menschen keine Perspektive haben, sich in den Städten und Gemeinden, in denen sie zu Hause sind, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und beruflich eine Zukunft zu haben, wird es schwer, die daraus folgenden Frustrationen aufzufangen und die viel beschworene Bürgergesellschaft zu stärken. Wir müssen der Jugend Chancen bieten, Talente und Fähigkeiten zu entfalten sowie eine Aufgabe zu haben. Dazu gehören die Stärkung der ehrenamtlichen Tätigkeit in unserer Gesellschaft, ein attraktives und modernes Angebot der Vereine für Sport oder Kultur und gesellschaftliches Engagement. Hier ist nicht nur der Staat, sondern unsere Gesellschaft als Ganzes und auch jeder Einzelne gefordert. Darüber hinaus muss Demokratie natürlich erlebbar, erfahrbar sein. Wir müssen schon den ganz jungen Menschen die Möglichkeit geben, mitzureden, mitzugestalten, mitzuentscheiden. Die UN-Kinderrechtskonvention sieht ein solches Recht zur Partizipation ausdrücklich vor. Aber die Kinder in unserem Land erfahren zu wenig über ihre Rechte. Die in der Konvention festgelegten Rechte müssen sich endlich auch in den Lehrplänen unserer Schulen und in den Ausbildungsplänen für Lehrer wiederfinden. Nur wer seine Rechte kennt, kann sie nutzen. Nur dann wird die freiheitlich-demokratische Grundordnung für die jungen Menschen erfahrbar. ({15}) Auch internationale Verständigung und friedliches Zusammenleben müssen für Jugendliche erfahrbar sein, damit die Ängste vor Globalisierung, vor Migration und vor mulitkulturellen Begegnungen abgebaut werden können. Deshalb ist es richtig, dass es verstärkt Programme geben muss, die solche Erfahrungen möglich machen. Es muss in Projekte der Weltoffenheit der Jugendlichen investiert werden - mit Schwerpunkt in den neuen Bundesländern. Dazu gehört die verstärkte Förderung des internationalen Jugendaustauschs für alle Schulformen. Die FDP fordert mit Nachdruck auch die Errichtung eines deutsch-russischen Jugendwerks. ({16}) Gerade mit der Jugend Russlands muss ein Austausch zustande kommen, damit auch auf dieser Ebene das größte Land Europas in die europäische Völkergemeinschaft, wie es sich Präsident Putin in seiner denkwürdigen Rede an diesem Platz wünschte, besser eingebunden wird. ({17}) Schließlich muss für die junge Generation insgesamt erfahrbar werden, dass es eine Gerechtigkeit zwischen den Generationen gibt. Den heutigen jungen Berufstätigen muten wir beispielsweise zu, gleichzeitig für die Rente der gegenwärtigen Ruheständler aufzukommen und für die eigene Rente privat vorzusorgen. Dieser Druck wird sich verstärken. Die demographischen Fakten sprechen da eine eindeutige Sprache. Junge Menschen wollen heute durchaus Familie gründen, aber die junge Generation möchte Familie und Beruf verbinden können. ({18}) Beide Bereiche sind für drei Viertel der Jugendlichen gleichermaßen wichtig. Das belegt die 13. Shell-Jugendstudie sehr deutlich. Doch gerade Familien mit Kindern sind unverhältnismäßigen Belastungen ausgesetzt. Kinder dürfen in unserer Gesellschaft nicht zum Wohlstandsrisiko werden. Die gesellschaftlichen Gegebenheiten müssen es der jungen Generation ermöglichen, ihre individuellen Lebensentwürfe zu verwirklichen, ohne auf Kinder zu verzichten. Kindertagesbetreuung in ihren unterschiedlichen Formen schafft dafür eine wichtige Voraussetzung. Ein umfassendes und flexibles Betreuungsangebot ist Voraussetzung für eine kinderfreundlichere Gesellschaft. Dazu gehört aber nicht nur der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz; vielmehr müssen Betreuungskosten auch steuerlich absetzbar sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin sogar der Meinung, dass wir gemeinsam darüber nachdenken sollten, wie dafür gesorgt werden kann, dass ein Kinderbetreuungsplatz in Deutschland ebenso kostenfrei ist wie der Schulbesuch. Meine Damen und Herren, „Chancen im Wandel“ wird die Jugend in Deutschland nur haben, wenn unsere Gesellschaft endlich die Chance zum Wandel ergreift und der Jugend wirklich neue Perspektiven eröffnet. Mit schönen Ankündigungen und einer Sammlung guter Absichten und Erklärungen ist es wirklich nicht getan. Danke. ({19})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Christian Simmert.

Christian Simmert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003237, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Streckenweise hatte man das Gefühl, Sie befänden sich eher in einer wirtschaftspolitischen als in einer jugendpolitischen Debatte, Herr Kollege. ({0}) Ganz interessant wäre es, Ihre Vorschläge zu lesen, wenn Sie sie zu Papier gebracht hätten. Man muss aber feststellen, dass heute weder die CDU/CSU noch die FDP einen eigenständigen Antrag vorgelegt hat. Ein Änderungsantrag zu unserem Antrag liegt vor, aber ansonsten sehen wir von der Opposition herzlich wenig. ({1}) Die Regierungskoalition hat gehandelt und das finden wir gut. ({2}) Es wird Sie nicht überraschen, meine Damen und Herren, dass Bündnis 90/Die Grünen das Aktionsprogramm der Bundesregierung als richtigen Impuls begrüßen. Besonders in den Bereichen der Ausbildung - trotz der Kritik der Opposition - und der Förderung des Engagements Jugendlicher liegen die gemeinsamen Erfolge, die wir in diesem Aktionsprogramm gebündelt haben. Das wird man draußen sehr deutlich wahrnehmen. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Simmert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Haupt?

Christian Simmert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003237, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte mich erst einmal ein Stück weit warm laufen. Vielleicht kann ich später ein paar Fragen beantworten. ({0}) - Frau Lenke, ganz ruhig. Mit JUMP, dem Aktionsprogramm zur Senkung der Jugenderwerbslosigkeit, sind seit 1999 über 300 000 Jugendliche gefördert worden. Junge Frauen werden entsprechend ihrem Anteil an der Erwerbslosigkeit gefördert. 50 Prozent der Mittel werden inzwischen für Jugendliche in den neuen Bundesländern eingesetzt. Das Programm hat also Erfolg. Bündnis 90/Die Grünen sind deshalb erfolgreich dafür eingetreten, dass bewährte Instrumente in die Regelförderung, die das Job-Aqtiv-Gesetz vorsieht, überführt werden. Sicherlich könnte die Entwicklung der Jugenderwerbslosigkeit noch positiver sein. Auch ich bin mir bewusst, dass es über JUMP hinaus wesentlich mehr Anstrengungen bedarf. Doch das zu tun liegt bekanntermaßen nicht ausschließlich in der Hand der Politik, sondern vor allem in der Hand der Arbeitgeberinnen und der Arbeitgeber. Auch das muss man sehen. ({1}) Wir können nicht damit zufrieden sein, dass zurzeit nur 57 Prozent aller Betriebe ausbildungsberechtigt sind. Das Recht auf Ausbildung gilt für alle; denn alle jungen Frauen und Männer brauchen gleiche Chancen. Weil das so ist, ist aus grüner Sicht gerade die berufliche Benachteiligtenförderung zu intensivieren. Die stärkere Zusammenarbeit von Schulen und Ausbildungsträgern ist hierfür unabdingbar; deshalb begrüßen wir das Programm „Berufliche Qualifizierung für Zielgruppen mit besonderem Förderbedarf“. Wir legen allerdings ein besonderes Augenmerk auf die Tatsache, alle Jugendlichen in die Lage zu versetzen, moderne Informations- und Kommunikationstechnologien zu nutzen. ({2}) Wir sehen die Gefahr einer digitalen Spaltung in Deutschland. Für uns ist es unabdingbar, diese zu verhindern. Meine Kollegin Grietje Bettin wird darauf später noch genauer eingehen. Ziel unserer Politik ist es heute, Rahmenbedingungen zu schaffen, die dazu beitragen, dass junge Menschen für sich eine Zukunft sehen. Die Zugangsgerechtigkeit bei der Ausbildung herzustellen ist dafür die Grundlage. Diese Anstrengung allein genügt aber nicht. Für Bündnis 90/Die Grünen stehen die Stärkung der Zivilgesellschaft, der Kampf gegen Rechtsextremismus und für Toleranz sowie die Erweiterung des internationalen Erfahrungsschatzes von jungen Menschen ebenfalls auf der Agenda. ({3}) Die meisten Jugendlichen suchen gerade heute Möglichkeiten, sich in der Gesellschaft zu engagieren. Sie zeigen große Neugier auf Europa und auf außereuropäische Länder. Für die Politik gilt es, diese Neugier aufzugreifen und zu fördern. Das werden die Koalitionsfraktionen tun. Ich möchte, dass meine Tochter Pia in einer interkulturellen, in einer offenen Welt groß wird. Ich möchte, dass sie die Chancen dazu erhält, und, wie alle anderen Kinder in dieser Gesellschaft, eine Struktur vorfindet, die dies ermöglicht. ({4}) Mit der Novellierung des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres und des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres werden wir neue Möglichkeiten für dieses Engagement schaffen. Junge Menschen werden rechtlich und sozial besser abgesichert. Das freiwillige Jahr wird künftig auch in neuen Bereichen, wie im Sport, in der Kultur und im Denkmalschutz, sowohl im In- als auch im Ausland ermöglicht. ({5}) Gerade der Ausbau der Freiwilligendienste bietet aus grüner Sicht verstärkt die Möglichkeit für Jugendliche, ihre soziale und interkulturelle Kompetenz zu steigern. Aber nicht nur die Freiwilligendienste, beispielsweise die ausgezeichnete Arbeit von Aktion Sühnezeichen, sondern auch der Jugendaustausch - Herr Haupt, in diesem Punkt haben Sie Recht - sind ein wichtiges Instrument. Wir begrüßen ausdrücklich, dass von der rot-grünen Bundesregierung die Förderung - auch mit Blick auf Osteuropa - ausgebaut wird. Das kann in der Tat nicht das Ende der Fahnenstange sein. Da gebe ich Ihnen vollkommen Recht. Die Möglichkeiten für Jugendliche, ihre eigene Umgebung mitzugestalten, müssen aus unserer Sicht ausgebaut werden, wenn Demokratie für junge Menschen erfahrbar werden soll. Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Schule, in der Berufsausbildung, im Studium und im Alltag sind notwendig, damit Jugendliche ihren Platz in der Gesellschaft selbstbewusst einnehmen können. Nur wenn Beteiligung an Entscheidungsprozessen erlebt wird, findet auch wirklich eine Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten statt. Deshalb ist meine Fraktion der Auffassung, dass wir über das Aktionsprogramm hinaus weitere Schritte unternehmen müssen. Die ASten brauchen zum Beispiel das allgemeinpolitische Mandat, da das den Einfluss der Studierenden stärkt. ({6}) Junge Menschen in außerbetrieblichen Ausbildungsstätten benötigen mehr Mitbestimmungsrechte. Letztere wird die Koalition im Berufsbildungsgesetz verankern. ({7}) Meine Damen und Herren, Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz sind nicht ausschließlich Jugendprobleme. Dennoch müssen wir auch in der Jugendpolitik Gewalt von rechts deutlich entgegentreten. Bündnis 90/Die Grünen setzt sich deshalb für eine starke Zivilgesellschaft ein. Mit den Programmen Civitas und Xenos übernimmt die Bundesregierung Verantwortung im Opferschutz und für die Förderung von Initiativen und Projekten, die sich für eine demokratische Gesellschaft engagieren. Wir freuen uns, tragen diese Programme doch, zumindest ein bisschen, eine grüne Handschrift. ({8}) Aber nicht nur der Bund, auch die Länder und Kommunen stehen in der Verantwortung, lokale Partnerschaften und Netzwerke gegen Rechtsextremismus und zur Stärkung der Zivilgesellschaft auszubauen. Bündnis 90/Die Grünen sehen den präventiven Ansatz des Kinder- und Jugendhilfegesetzes als zentral für die offene Jugend- und Jugendverbandsarbeit an. Wir begrüßen, dass die Bundesregierung ihre Anstrengungen in diesem Bereich fortsetzt. Wir fordern die Bundesregierung jedoch auch auf, bestehende Leistungen und Hilfen für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund zu öffnen, also den eingeschlagenen Weg noch ein Stück weiterzugehen. Interkulturelle Kompetenzen der politisch und administrativ Handelnden sind hier mindestens genauso gefragt wie Angebote für jugendliche Migrantinnen und Migranten. Die ungleichen Zukunftsperspektiven von Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund, die immer noch existieren, sind für uns nicht akzeptabel. Wir sollten alle gemeinsam dafür kämpfen und uns einsetzen, dass Jugendliche insgesamt bessere Chancen bekommen als zurzeit. Wir sind alle gemeinsam aufgerufen, das umzusetzen. Vielen Dank. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Klaus Haupt, FDP.

Klaus Haupt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege Simmert, Sie haben mich zu Beginn zweimal persönlich angesprochen, deswegen nehme ich mir die Freiheit heraus, zu reagieren. Erstens. Sie warfen mir vor, der wirtschaftspolitische Sprecher zu sein. Ich lege Wert darauf, dass ich noch der jugendpolitische Sprecher meiner Fraktion bin. Ich habe mich hier bloß befleißigt, Ihrem Anspruch, Jugendpolitik als Querschnittsaufgabe zu verstehen, gerecht zu werden und umfassend über den Tellerrand hinauszuschauen. ({0}) Dass die FDP das auch zu ihrem Grundsatz gemacht hat, erkennen Sie daran, dass der wirtschaftspolitische Sprecher hier selbstverständlich zugegen ist, weil die jugendpolitische Debatte so wichtig ist. Zweite Bemerkung: Ich bin etwas enttäuscht, dass Sie meinen Sachverstand als Kollegen im Ausschuss eher gering einschätzen. Sie haben mir ja fast unterstellt, dass ich hier am Rednerpult bloß dahergeschwätzt hätte. ({1}) - Selbstverständlich, Sie sagten, nichts liege vor. Zur Ehrenrettung muss ich sagen, dass zwei Papiere vorliegen, eines von den Koalitionsfraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen und ein fast so dickes von einer im Moment noch etwas kleineren Partei, das in der Fraktion durchzubringen ich mir erlaubt habe. Ich denke einmal, dass Sie mit dem Ausdruck des Bedauerns die Aussage zurücknehmen, dass es keine Papiere seitens der FDP bzw. des Kollegen Haupt gebe. Danke. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zur Erwiderung, Herr Kollege Simmert, bitte.

Christian Simmert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003237, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Eine ganz kurze Erwiderung: Von meiner Partei sind nicht nur Mitglieder der Fraktion anwesend, die sich im wirtschaftlichen Bereich auskennen, sondern auch unsere Staatssekretärin ist bei der Debatte zugegen. Von daher möchte ich noch einmal deutlich machen, dass natürlich auch wir über den Tellerrand hinausschauen. Es sind auch noch Vertreter weiterer Ministerien anwesend, die diese Debatte verfolgen. ({0}) Das ist auch nichts Außergewöhnliches, sondern eher eine Selbstverständlichkeit. In der Tat haben Sie hierzu ein Papier vorgelegt. Allerdings hätten Sie ruhig einmal darauf eingehen können. Ich wäre sehr daran interessiert, mit Ihnen eine wirkliche Auseinandersetzung über die Positionen zu führen und nicht bloß immer wieder Themen wie Ökosteuer und 630-DMJobs als Kernaussagen in einer jugendpolitischen Debatte zu hören. Das ist mir einfach zu wenig. Ich glaube, das geht den Kolleginnen und Kollegen ähnlich. Danke. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächste Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Angela Marquardt für die PDS-Fraktion.

Angela Marquardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003191, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da mich die Kurzintervention Ihres Kollegen Schulz sehr wütend gemacht hat, will ich es mir nicht sparen, am Anfang meiner Rede darauf hinzuweisen, dass wir hier ein jugendpolitisches Programm diskutieren, das im Kern aussagt - ich zitiere -: Zum Kernbestand unserer Demokratie gehört die Fähigkeit, Konflikte in einer Atmosphäre gegenseitiger Toleranz und Akzeptanz auszuhandeln und friedlich zu lösen. ({0}) Heute früh hat dieselbe Bundesregierung, auch Ihr Kollege Werner Schulz, den Kriegseinsatz der Bundeswehr gerechtfertigt und damit das Mittel der Gewalt zur Konfliktlösung sozusagen legitimiert. Ich weiß nicht, wer mehr Zynismus und Heuchelei an den Tag legt: diejenigen, die zumindest Fragen stellen, oder diejenigen, die Kritik an dem Vorgehen zurückweisen. ({1}) Auch das sind Werte, die man Jugendlichen vorleben sollte. ({2}) Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass in Ihrem Programm und in Ihrem Entschließungsantrag viele richtige und wichtige Punkte stehen. Bildung und Ausbildung sind die Voraussetzung für einen chancengleichen Start ins Berufsleben; das ist hier schon angesprochen worden. Sie sind die Basis für die Entwicklung unserer Gesellschaft. Niemand, weder Staat noch Wirtschaft, darf sich der Verantwortung entziehen, die Grundlage dafür zu legen, dass Bürgerinnen und Bürger nicht immer mehr für die Schulausbildung und das Studium ihrer Kinder zahlen müssen. Das bedeutet für mich auch, dass Schülerinnen und Schüler an weiterführenden allgemeinbildenden Schulen und an Berufsfachschulen endlich Zugang zum SchülerBAföG bekommen müssen. ({3}) Unter Ihren Qualifizierungsprogrammen loben Sie vor allem immer das JUMP-Programm. Ich will nicht verhehlen, dass es jungen Leuten Chancen geboten hat. Aber der Erfolg des Programmes kann nicht nur an der Zahl der geförderten Jugendlichen gemessen werden. Es muss auch darum gehen, wie viele Jugendliche tatsächlich den Sprung in das Berufsleben geschafft haben. ({4}) Wenn man diesen Maßstab zugrunde legt, dann muss man feststellen, dass die Bilanz relativ mager aussieht. Die Förderung besteht nämlich auch aus Trainingsprogrammen und Maßnahmen, die die Motivation und die Arbeitsbereitschaft fördern sollen usw. Hier werden also nicht ausschließlich Ausbildungsplätze oder Jobs geschaffen, sondern es sind Maßnahmen, die vor allem zur Bereinigung der Statistik beitragen. Natürlich, Christian, entziehen sich viele Unternehmen nach wie vor ihrer Verantwortung für die Ausbildung. Als ich noch bei der SPD Politik gemacht habe, hat sie eine Umlagefinanzierung gefordert; das muss ich nicht weiter erklären. Nun frage ich mich aber: Warum stehen Sie nicht mehr zur Umlagefinanzierung? Warum setzen Sie sie nicht durch, obwohl Sie sie jahrelang gefordert haben? ({5}) Frau Bergmann, in Ihrem Programm steht, dass der Arbeitgeber, wenn er Jugendliche für eine Qualifizierung freistellt, das Gehalt weiter zahlt. Das ist auch richtig. Was ich an dieser Situation aber nicht verstehe, ist, warum Sie den Unternehmen anbieten, diese Kosten teilweise zu übernehmen. Der Staat ist doch nicht für die Finanzierung der Wirtschaft verantwortlich. ({6}) Die Wirtschaft muss gezwungen oder - was natürlich sehr viel besser ist - davon überzeugt werden, die Verantwortung für Qualifizierung und Ausbildung ihres eigenen Nachwuchses zu übernehmen und dies zu finanzieren. Dabei hat der Staat nicht die Aufgabe, der Wirtschaft das Geld zuzuschieben. ({7}) Da wir gerade beim Geld sind: Auch die Kindergelderhöhung wird an dieser Stelle immer wieder gelobt. Ich finde, jede Erhöhung ist ein wichtiger Schritt. Sie müssen aber zugeben, dass die Kindergelderhöhung und die dadurch entstandenen Mehrausgaben zum Teil durch die steuerliche Höherbelastung der Alleinerziehenden gegenfinanziert werden. Dazu hatte die PDS einen Vorschlag gemacht, auf den ich aber nicht näher eingehe; wir haben oft genug darüber diskutiert. Zu Recht ist hier die Medienbildung angesprochen worden. Ich finde, das ist ein Thema, dem sich die Bundesregierung wirklich widmet, das sie immer wieder auf die Tagesordnung setzt. Ich freue mich darüber, dass, wie Sie verkünden, alle Schulen mit Internetzugängen und PCs ausgestattet werden sollen. Aber Sie müssen zugeben, dass dieses zum Teil von den Schulen und Eltern selber finanziert werden muss. Wo das nicht möglich ist, setzen Sie mit Ihrer D-21-Initiative auf die Wirtschaft. Ich habe kein Problem damit, dass die Wirtschaft für die Qualifizierung sozusagen blechen soll. Man kann aber nicht nur auf die Wirtschaft setzen. Der Staat darf sich seiner Verantwortung nicht entziehen. Wenn nämlich Medienbildung ausschließlich vom Sponsoring und damit von der Gunst der Wirtschaft abhängig ist - diese Tendenz können wir beobachten -, dann kann das schief laufen. Wir alle in diesem Hause wissen - unabhängig davon, wie man zum Sponsoring steht -, dass es interessenfreies Sponsoring durch die Wirtschaft nicht gibt. ({8}) Diese Bedenken möchte ich zumindest zum Ausdruck bringen. Ich finde es gut - ich weiß nicht, ob es zum ersten Mal schriftlich formuliert wurde -, dass es in dem Entschließungsantrag eine kleine Passage zur Filtersoftware gibt. Auch Sie sagen, dass Filtersoftware kein geeigneter Jugendmedienschutz ist. Frau Eichhorn, ich muss Ihnen sagen: Nicht das Internet ist das Problem, sondern diejenigen, die es für Gewaltverherrlichung und für den Rechtsextremismus missbrauchen. ({9}) Deswegen muss man nicht gegen das Internet vorgehen, sondern gegen diejenigen, die auf der Straße den Rechtsextremismus repräsentieren. Man sollte aber nicht das Internet zensieren. Ich habe mich gefreut, dass das Thema Rechtsextremismus in den letzten Wochen und Monaten eine derartig breite Aufmerksamkeit gefunden hat. Aber die eine oder andere Maßnahme ist inkonsequent oder nicht zu Ende gedacht. Gerade auf diesem Gebiet geht es nicht ausschließlich darum, den rechtsextremen Jugendklubs Geld zu geben, damit mit diesen Jugendlichen gearbeitet werden kann. Es geht im Gegenteil darum, die Gegenkultur zu fördern, das heißt, antirassistische Jugendinitiativen zu fördern und aufzubauen. Wir brauchen eine Gegenbewegung; man sollte sich nicht ausschließlich nur immer an den Rechten abarbeiten. ({10}) Es sollten vielmehr inhaltliche Voraussetzungen geschaffen werden, dass auch andere Strukturen entstehen können. Wenn Sie der Meinung sind, dass das Engagement der Jugendlichen unterstützt werden muss, dann bitte ich Sie an dieser Stelle: Streichen Sie antirassistische und antifaschistische Jugendinitiativen aus dem Verfassungsschutzbericht! Hören Sie auf, sie zu beobachten und durch die Polizei zu kriminalisieren! ({11}) Diese Initiativen sind in vielen Orten - das gilt gerade für die neuen Bundesländer; ich bin dort viel unterwegs praktisch die einzigen, die einer Nazidominanz in den Kommunen Widerstand entgegensetzen. Rassismus ist nun einmal das Fundament des heutigen Rechtsextremismus. Ich bin froh, dass auch Sie der Meinung sind - das ist in den Anträgen deutlich geworden -, dass Rassismus ein Ausgangspunkt für Rechtsextremismus ist. Wenn aber die deutsche Wirtschaft „gute“ Ausländerinnen und Ausländer auswählt, wenn gleichzeitig die anderen gefälligst draußen bleiben sollen und wenn vor dem Hintergrund der Ereignisse des 11. Septembers ausländische Studierende in der Bundesrepublik in Anträgen als Terroristen per se stigmatisiert werden, dann kann man Jugendliche nicht von ihrem rechten Weg abbringen, sondern dann arbeitet man ihren Überzeugungen zu. ({12}) Mich hat ein wenig gewundert, dass das Thema Drogenpolitik völlig fehlt. Sie wurde zwar angesprochen, aber die Probleme wurden nicht thematisiert. Auch wenn es nicht allein ein jugendspezifisches Thema ist, so muss man doch sagen, dass gerade junge Menschen Umgang mit weichen Drogen haben. Ich habe mich schon gewundert, warum gerade Rot-Grün - Sie haben in der Vergangenheit immer die Legalisierung von weichen Drogen wie zum Beispiel Cannabis gefordert - in diesem Punkt nichts unternommen hat. Seit Rot-Grün regiert, ist dieses Thema leider nicht wieder aufgetaucht. ({13}) Lassen Sie mich zum Schluss auf das Thema politische Partizipation eingehen. Niemand wird bestreiten, dass dieses Thema wichtig ist. Wir müssen Formen finden, damit junge Leute Spaß an Politik haben. Ihre Beteiligungsbewegung ist daher eine gute Initiative. Sie darf aber nicht nur zum Zuschauen verkommen, sondern sie muss das Engagement von jungen Leuten fördern. Wenn aber, wie in Berlin geschehen, während der Schulzeit eine Schülerdemonstration stattfindet und Schülerinnen und Schüler Tadel und Verweise dafür bekommen, weil sie an dieser Demonstration teilgenommen haben - ihnen wurde von Lehrerinnen und Lehrern sozusagen verboten, an dieser Demonstration teilzunehmen -, dann bin ich doch sehr verwundert. Jetzt engagieren sich Jugendliche endlich einmal und sofort bekommen sie eines auf den Deckel. ({14}) Frau Bergmann, Sie haben während der Präsentation des Projektes Beteiligungsbewegung gesagt, dass man auch nach der Schule demonstrieren kann. Aber warum sollen sich Jugendliche nicht auch einmal während der Schulzeit engagieren? ({15}) Schule muss Allgemeinbildung vermitteln. Da muss auch die politische Partizipation Bestandteil der Bildung sein.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Marquardt, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Angela Marquardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003191, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Wenn ein Engagement gleich wieder abgebügelt wird, entsteht natürlich Politikverdrossenheit. Das kann ich verstehen. Ich bin aber frohen Mutes, dass sich das ändern wird. Danke. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat die Kollegin Kerstin Griese für die SPD-Fraktion.

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich ist die Wahrnehmung vieler Jugendlicher richtig: Jugendliche spielen in der Politik keine oder eine zu geringe Rolle. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ändern wir gerade, und zwar auch schon seit 1998. Wir stellen Kinder und Jugendliche, ihre Interessen und Perspektiven in den Mittelpunkt. Lassen Sie mich etwas zu Herrn Haupt sagen, der behauptet hat, es seien nur schöne Worte im Regierungsprogramm zu finden. Neben schönen Worten finden Sie auch eine ganze Menge Fakten, Programme und finanzielle Mittel. Wenn Sie die Antwort auf die Große Anfrage „Jugend“ durchlesen, sehen Sie, was wir alles getan haben, um diesen Bereich zu verstärken. ({0}) Sie haben selbst gesagt, Bildung sei das Wichtigste. Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu. Aber schauen Sie doch einmal in Ihre Regierungszeit zurück! Sie haben den Bildungsetat permanent gekürzt. Die FDP war in dieser Republik fast 30 Jahre an der Regierung. Wir haben die Kürzungen aufgehoben, wir investieren jetzt wieder in Bildung. ({1}) Das ist für die Zukunft der jungen Generation wichtig. ({2}) Ich gehöre mit 34 Jahren noch zu den jungen Abgeordneten in diesem Hohen Hause. Ich glaube nicht, dass alle Probleme damit gelöst sind, wenn ausschließlich junge Leute Interessen in der Politik vertreten. Aber die Verstocktheit und die Blockaden der Regierung Kohl wurden auch durch einen Generationenwechsel abgelöst. Ein Bestandteil dieses Generationenwechsels sind viele jüngere Abgeordnete und wenn Sie sich die Zahlen ansehen, so sehen Sie, dass die vor allem auf den Bänken der Regierungsfraktionen, der SPD und der Grünen, zu finden sind. ({3}) - Das stimmt. Doppelt so viele junge Abgeordnete wie bei Ihnen von der CDU/CSU, Frau Heinen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir machen ein Angebot an die Jugendlichen. Wir wollen zum Einsatz für unsere demokratische Gesellschaft herausfordern. Der Vorwurf, Jugendliche würden nicht gefragt, gilt nicht mehr. Wir machen Angebote zur Diskussion und zur Mitgestaltung. „Ich mache Politik“, das ist der Slogan der Beteiligungsbewegung, die von der Ministerin ins Leben gerufen worden ist und die in dieser Woche begonnen hat. Zuerst einmal hört jetzt die Politik zu, wenn Jugendliche den Ministerinnen und Ministern ihre Meinung sagen. Ich finde, das ist auch gut so. ({4}) Jugendliche geben oft Anstöße für gesellschaftliche Debatten und Bewegungen, die ein gerechteres Miteinander der Menschen zum Ziel haben. Gerade nach den Anschlägen vom 11. September haben wir alle beobachtet, wie Tausende von Jugendlichen, wie zig Schulklassen ihre Solidarität mit den USA, ihre Toleranz, aber auch ihre Friedenssehnsucht ausgedrückt haben - vor der amerikanischen Botschaft in Berlin und in vielen anderen Städten in der Bundesrepublik. Ich denke, dieses Engagement muss man würdigen. ({5}) Dies zeigt auch, dass Jugendliche nicht unpolitisch sind. Sie interessieren sich zum Beispiel für den Ausstieg aus der Atomenergie, für den Abbau der Staatsschulden, für eine gesunde Umwelt und für einen interessanten Job. Genau von diesen Entscheidungen hängt die Zukunft unserer Gesellschaft ab. Deshalb bedeutet unsere Jugendpolitik, dass alle Ressorts, vom Arbeitsministerium bis zum Wirtschaftsministerium, von der Bildung bis zur Entwicklungshilfe, die Belange von Kindern und Jugendlichen beachten und fördern; denn - und das steht bei uns im Mittelpunkt - Generationengerechtigkeit ist ein Ziel unserer Politik. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kinder und Jugendliche wollen sich engagieren und die Gesellschaft gestalten. Sie wollen sich selbst organisieren; das ist das Prinzip der Jugendverbände. Um kontinuierliche Partizipation zu gewährleisten, ist die Arbeit der Jugendverbände unverzichtbar. Deshalb möchte ich an dieser Stelle den Aktiven im Deutschen Bundesjugendring und seinen Mitgliedsverbänden, in denen Millionen von Jugendlichen ehrenamtlich aktiv sind, für ihre wichtige Arbeit danken. ({7}) Ich freue mich, dass Gaby Hagmans, die Vorsitzende des Deutschen Bundesjugendrings, an dieser Debatte teilnimmt. ({8}) Ich möchte insbesondere auf ein Thema eingehen. Beim Rechtsextremismus stehen wir vor einem gesamtgesellschaftlichen Problem. Es wäre falsch, allein Jugendliche für Gewalt und Fremdenfeindlichkeit verantwortlich zu machen, und es wäre genauso falsch, allein nach Ostdeutschland zu gucken. ({9}) Die Ursachen sind vielfältig - das wissen und akzeptieren wir hoffentlich alle -: mangelnde Ausbildungs- und Arbeitsperspektiven, fehlender Halt in der Familie und die Suche nach einfachen Lösungen, um nur einige zu nennen. Deshalb gehört für Sozialdemokraten die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zu den wichtigsten Aufgaben unserer Politik. Eine kontinuierliche Jugendpolitik ist die beste Prävention gegen Rechtsextremismus. ({10}) Wir müssen dabei neben den natürlich notwendigen repressiven Maßnahmen gerade diejenigen Jugendlichen, die sich schon in Richtung Rechtsextremismus orientieren und Gewaltbereitschaft zeigen, in die gesellschaftliche Mitte zurückholen. Und wir müssen - das tun wir mit unseren Programmen auch, Frau Marquardt - diejenigen, die in der Mitte der Gesellschaft stehen und sich für Demokratie und Toleranz einsetzen, aktiv unterstützen. Hier haben wir Schwerpunkte gesetzt. Unser Programm heißt „Jugend für Toleranz und Demokratie“, womit wir betonen, wofür sich die Jugendlichen einsetzen sollen. In diesem Jahr haben wir die Stärkung des demokratischen Engagements junger Menschen mit 30 Millionen DM gefördert. Aus diesen Mitteln wird zum Beispiel der Ideen- und Aktionswettbewerb der Evangelischen Jugend, „Auf dich kommt es an“, gefördert, dessen Symbol ein Spiegel ist, der nicht nur den Einzelnen, sondern auch die Welt dahinter zeigen soll. Die SPD-Fraktion setzt sich für die Verstetigung dieser Haushaltsmittel ein. Ihnen von der CDU/CSU ist dazu ja nur eingefallen, das Wort „Rechts“ zu streichen, wobei Sie meines Erachtens die tatsächlichen Probleme in unserem Land verkennen. ({11}) Des Weiteren erwähne ich das Programm Civitas, das in diesem Jahr mit 10 Millionen DM Projekte zur Beratung, Ausbildung und Unterstützung von Initiativen gegen Rechtsextremismus und zur Opferberatung in den neuen Bundesländern fördert. Gerade Ansätze, in denen sich Jugendliche auf der lokalen Ebene für Jugendliche engagieren, halte ich für besonders sinnvoll. Zum Beispiel arbeiten in Sachsen im Netzwerk „Demokratie und Courage“, das von der DGB-Jugend unterstützt wird, Schülerinnen und Schüler mit anderen Schülern in Workshops daran, Vorurteile zu erkennen und zu hinterfragen. Das ist ein sinnvoller Beitrag zum Abbau von Fremdenfeindlichkeit. ({12}) Schließlich nenne ich das Programm „Xenos - Leben und Arbeiten in Vielfalt“, das antirassistische und arbeitsmarktbezogene Maßnahmen verknüpft. Dieses Programm ist deshalb so wichtig, weil es dort ansetzt, wo Menschen gemeinsam arbeiten und lernen. Dazu gehören zum Beispiel Konfliktmanagement und interkulturelles Training in Berufsschulen. Das ist eine sinnvolle Präventionsarbeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein wichtiges Feld ist die internationale Jugendarbeit. Gerade nach dem 11. September halten wir es für wichtig, die intensive Auseinandersetzung mit anderen Ländern, Kulturen und Religionen zu verstärken. Daher habe ich mich auch über die geplante Aufstockung der Mittel für das deutsch-polnische Jugendwerk und über die Eröffnung des Koordinierungsbüros für den deutsch-israelischen Jugendaustausch in Wittenberg gefreut. ({13}) Wir halten die Verbesserung der sozialen Situation benachteiligter Kinder und Jugendlicher für eine wichtige Aufgabe. Kinder und Jugendliche sollen gemeinsam aufwachsen und miteinander lernen und leben. Das ist am besten in Kinderbetreuungseinrichtungen möglich. Der Ausbau der Kinderbetreuung ist ein wichtiger Schritt zur sozialen Integration. ({14}) Wenn Frau Eichhorn in jeder Debatte das Bundesland Bayern hervorhebt, muss ich sie wirklich nach der Betreuung der unter Dreijährigen in Bayern fragen. Hier sieht Bayern nämlich ganz schlecht aus. ({15}) Dazu gehört auch, dass Kinder mit Migrationshintergrund in Betreuungseinrichtungen besser die deutsche Sprache lernen können, was für die Integration unerlässlich ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Willy Brandt rief Anfang der 70er-Jahre der jungen Generation zu: „Mehr Demokratie wagen“. Viele von denen, die hier - zumindest auf dieser Seite des Hauses - sitzen, ({16}) kommen aus dieser Generation und haben sich davon angesprochen gefühlt. Heute sagt die Bundesregierung von Gerhard Schröder und Christine Bergmann: „Den Jugendlichen Chancen geben“. Jetzt kommt es darauf an, diese Chancen wahrzunehmen. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir den Jugendlichen zeigen, dass die Politik nicht jugendverdrossen ist. Die rot-grüne Bundesregierung hat damit angefangen. Vielen Dank. ({17})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Kollege Klaus Holetscheck für die Fraktion der CDU/CSU.

Klaus Holetschek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003153, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie haben 1998 versucht, die Jugendlichen mit viel Show, trendigen Kinospots und Slogans zu umwerben. Am 1. Mai hat die Jugend dem Kanzler höchstpersönlich gezeigt, was sie von ihm hält. Der „Spiegel“ schreibt dazu: Tausend jugendliche Besucher der Job-Parade in Schwerin haben Bundeskanzler Gerhard Schröder ausgepfiffen. Geplant war eine Diskussion mit Jugendlichen zum Thema Arbeitslosigkeit. Angesichts der Buh-Rufe verabschiedete sich der Bundeskanzler nach wenigen Minuten mit dem Satz: „Ich wünsche euch eine Menge Spaß, macht’s gut und feiert schön!“ So kann man natürlich auch das Thema Jugendarbeitslosigkeit behandeln. ({0}) Wir sind uns doch einig, dass Sie bei der Jugendpolitik nicht viel zu bieten haben. Das Programm spricht für sich. Was Sie schon am Anfang der Wahlperiode getan haben, wiederholen Sie auch am Schluss: Sie versuchen, kurzfristig etwas aufzulegen, was sich gut anhört; aber Taten lassen Sie den guten Sprüchen nicht folgen. ({1}) Außerdem kaschieren Sie Ihre mangelhafte Jugendpolitik mit einer Großen Anfrage aus den eigenen Reihen. Allein das sagt schon fast alles. Das Thema Jugendarbeitslosigkeit ist eines der zentralen Themen; darüber sind wir uns über die Parteigrenzen hinweg einig. ({2}) Ihr Programm JUMP erreicht nicht das, was Sie und viele andere sich davon versprochen haben. Die Zahlen der Jugendarbeitslosigkeit in Europa - Frau Kollegin Eichhorn hat es vorhin schon dargestellt -, die das europäische statistische Amt herausgibt, sprechen für sich: So beträgt die Jugendarbeitslosigkeit in Dänemark 6,9 Prozent, in Portugal 8,9 Prozent, in Österreich 5,8 Prozent, in Irland 5,9 Prozent, in den Niederlanden 4,1 Prozent, in Luxemburg 7,1 Prozent. Spitzenreiter ist Deutschland mit 9,5 Prozent. Diese Fakten können wir doch nicht wegdiskutieren. Genauso wenig können wir die Tatsache wegdiskutieren, dass ganze Regionen in den neuen Ländern ausbluten, dass die jungen Menschen dort keine Lehrstellen mehr finden, dass sie ihre Region, ihre Heimat verlassen müssen und wir dort ein Riesenproblem haben. Das sind die Fakten, denen Sie sich stellen müssen. Wir müssen diesen Trend mit allen Mitteln stoppen. ({3}) Kollege Simmert, wenn wir über Jugendarbeitslosigkeit sprechen, müssen wir auch über die Wirtschaft sprechen, weil die Wirtschaft die Rahmenbedingungen setzt. Wir müssen über den Mittelstand sprechen. 80 Prozent der Ausbildungsplätze werden vom Mittelstand zur Verfügung gestellt. Die Politik Ihrer Regierung trägt nicht dazu bei, dass sich der Mittelstand in Deutschland entfalten kann. Das 630-DM-Gesetz, das Gesetz zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit, die Ökosteuer, das Betriebsverfassungsgesetz, die Steuerreform - das alles sind Gesetze gegen den Mittelstand, Gesetze gegen die Ausbildung von Jugendlichen in der Bundesrepublik Deutschland. ({4}) Wenn man sich den Internetauftritt des Programms JUMP anschaut - auch das ist recht interessant -, so findet man dort einen Jugendlichen, den man über viele Hindernisse zum Arbeitsamt treiben muss. Manchmal hat man das Gefühl, dass Ihre Politik in der Wirklichkeit nicht anders ist. Es werden viele Knüppel zwischen die Beine geworfen und heraus kommt ziemlich wenig. Wir haben zahlreiche Anträge zur Förderung des Mittelstandes gestellt; wir debattieren nachher darüber. Sie hätten die Chance gehabt, auf diesen Zug aufzuspringen und tatsächlich etwas für die Ausbildung in unserem Land zu tun. Beim Thema neue Medien zeigt sich genau dasselbe Bild. Die Impulse für die Initiative „Schulen ans Netz“ wurden noch in unserer Regierungszeit gegeben. Von Ihnen kommt relativ wenig. ({5}) Wir sprachen vorhin das Thema Jugendschutz an. In Ihrem Programm taucht dieser Punkt so gut wie gar nicht auf. So müssen wir wirklich aufpassen, dass wir auf diesem Gebiet nicht insgesamt zum Schlusslicht werden. Familienpolitik ist ebenfalls eine wichtige Facette der Jugendpolitik. Eine werteorientierte, ganzheitliche Familienpolitik ist einer der besten Ansätze für eine wirksame Jugendpolitik. ({6}) Wir haben ein Konzept; Sie haben keines. ({7}) Auch die Novelle zum Gesetz über Freiwilligendienste ist bereits seit langem angekündigt. Bis jetzt habe ich sie immer noch nicht gesehen. Wo sind denn die entsprechenden Gesetzentwürfe? Ich hoffe, sie kommen bald; denn Sie haben in der Koalitionsvereinbarung groß angekündigt, Sie wollten etwas für die Freiwilligen im Ausland tun. ({8}) Bis jetzt haben wir noch nichts gesehen. Wir warten und werden das kritisch begleiten. Wir hoffen, dass Sie diesbezüglich einmal Wort halten. ({9}) Was mich wirklich ärgert, ist Ihre Missachtung des Ehrenamtes. Ich erlebe in meiner Heimatstadt Bad Wörishofen, dass viele Vereine dort eine wirklich gute Jugendarbeit leisten. Bei Ihnen vermisse ich allerdings Bemühungen um die Stärkung des Ehrenamtes. Sie haben einerseits eine Enquete-Kommission eingerichtet, aber andererseits vieles verhindert, wodurch bürgerschaftliches Engagement sich hätte entfalten können und wirklich gefördert worden wäre. ({10}) Unterstützen Sie die Vereine in der Bundesrepublik Deutschland! Sie leisten eine wertvolle Jugendarbeit. ({11}) Meine Damen und Herren, es ist relativ wenig passiert. Ihr Programm „Chancen im Wandel“ sollten Sie auf das letzte Jahr Ihrer Regierungsarbeit anwenden; denn ich bin sicher, der Wähler versteht das anders: Er wird Sie zur zukünftigen Opposition wandeln. ({12}) Die Leute können sehr gut unterscheiden, was Show, was Verpackung und was Inhalt ist. Das können auch die Jugendlichen sehr gut. ({13}) Nicht nur in der Jugendpolitik, aber auch da machen Sie viel Show und haben viel Verpackung, aber wenig Substanz und wenig Inhalte. Meine Damen und Herren, ich fordere Sie auf: Geben Sie der Jugend Zukunft, geben Sie ihr Perspektive! Tun Sie etwas und machen Sie nicht nur Sprüche! ({14})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächste Rednerin ist die Kollegin Grietje Bettin für die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen.

Grietje Bettin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003439, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das jugendpolitische Programm der Bundesregierung trägt den Titel „Chancen im Wandel“. Große Chancen liegen auch in dem Bereich, mit dem sich der Bericht unter dem Titel „Medienkompetenz für alle“ befasst und auf den ich mich in dieser Rede konzentrieren möchte. In einem medialen Zeitalter, in dem Programme immer mehr nach kommerziellen als nach inhaltlichen Ansprüchen gestaltet werden, gewinnt die Fähigkeit der Bevölkerung, verantwortungsbewusst mit Medien umzugehen, ständig an Bedeutung. Dies gilt insbesondere für Kinder und Jugendliche. Medienkompetenz umschreibt hierbei die grundlegende Fähigkeit eines Individuums, sich in einer von Medien geprägten Welt zurechtzufinden und entsprechend zu handeln. Der Einzelne soll befähigt werden, Wirkung und Ziele von Medien zu verstehen und aus dem Spektrum der Angebote bewusst auszuwählen, statt der Flut medialer Eindrücke passiv ausgesetzt zu sein. ({0}) Dies beinhaltet neben dem notwendigen Erwerb technischen Wissens hauptsächlich die so genannte qualitative Medienkompetenz, also die inhaltliche Auseinandersetzung mit Informationen. Gerade um die Entstehung einer medialen Zweiklassengesellschaft zu vermeiden, ist die Förderung von Medienkompetenz aufgrund ihrer alltäglichen Relevanz für die politische Partizipation der Menschen ganz entscheidend. Die Vermittlung von Medienkompetenz ist also ein sehr breit gefächertes Aufgabengebiet. Um größtmögliche Wirkung zu erzielen, sollte bei der Entwicklung von Konzepten angesichts der sich rapide verändernden Medienlandschaft und der ständig neuen technischen Errungenschaften jede Statik vermieden werden. Zukunftsoffene Konzepte sind also gefragt. Vor allem jedoch müssen diese stets so genau wie möglich auf ihre Adressaten abgestimmt sein. Nahe liegend scheint uns hier zunächst eine Differenzierung nach Altersgruppen. Wichtiger jedoch ist die gesellschaftliche Rolle der Adressaten, zum Beispiel diejenige als Elternteil, als Verbraucher oder auch als politisch Interessierter, die eine jeweils eigene Form von Medienkompetenz einfordert. Außerdem ist noch die Funktion der Mediennutzung zu beachten, etwa ob es sich um Unterhaltung, Weiterbildung oder Information handelt. Für eine effiziente Vermittlung von Medienkompetenz ist die Beachtung dieser von mir gerade genannten Kriterien von sehr großer Bedeutung. Die Bundesregierung ist hier auf einem sehr guten Weg. Bis Ende 2001 werden alle Schulen und Berufsschulen in Deutschland mit Internetzugängen ausgestattet sein. Ausdrücklich begrüßen wir ebenfalls die Initiative „Jugendarbeit ans Netz“, mit der auch Freizeiteinrichtungen für Kinder und Jugendliche ans Netz angeschlossen werden sollen. ({1}) Mängel sehen wir bei den bereits bestehenden bundesweiten Projekten jedoch noch in deren mangelnder Verknüpfung sowie der häufig fehlenden wissenschaftlichen Begleitforschung. Als sinnvollen Ansatz zur Lösung dieser Probleme befürworten Bündnis 90/Die Grünen die Schaffung eines bundesweiten Netzwerks, welches die Kommunikation zwischen einzelnen Trägern verbessern und bedarfsgerechte Modellprojekte entwickeln soll. Hierzu haben Bündnis 90/Die Grünen ein Konzept entwickelt, das wir bereits mit großem Erfolg der Öffentlichkeit präsentiert haben. Unser Konzept sieht folgende Eckpunkte vor: Wir streben die Schaffung einer Plattform an, welche die Kommunikation zwischen den einzelnen Trägern optimieren und koordinieren soll. Als Aufgaben dieser Koordinierungsstelle sehen wir unter anderem die Bestandsaufnahme der bereits bestehenden Projekte zur Förderung von Medienkompetenz, das Aufzeigen von Trends, Lücken und Defiziten in diesem Bereich, das Entwickeln und Anbieten konkreter zielgruppenspezifischer Modellprojekte und die Aktivierung der Kommunikation innerhalb und außerhalb des Netzwerks. Bündnis 90/Die Grünen und die rot-grüne Bundesregierung sind also mit konkreten Programmen und Konzepten bereits bestens auf die Herausforderungen der Informationsgesellschaft vorbereitet. ({2}) Medienkompetenz ist hierbei eine der wichtigsten Qualifikationen für unsere Kinder und Jugendlichen, um fit im Umgang mit neuen Medien zu sein. Technische Kompetenz allein reicht jedoch bei weitem nicht aus. Es geht vielmehr darum, den sinnvollen Umgang mit den neuen und alten Medien zu lernen. Die sozialen und pädagogischen Komponenten dürfen hierbei niemals zu kurz kommen. Erst dann können wir sagen: Unsere Kids sind wirklich medienfit. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Thomas Dörflinger für die Fraktion der CDU/CSU.

Thomas Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003069, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Chancen im Wandel“ - toll! „Sicherheit im Wandel“ - noch toller! Merken Sie was? Die frappierenden Wortähnlichkeiten legen den Verdacht nahe, dass mindestens der Titel, wenn nicht auch der Inhalt dieses Barackenpapierchens ({0}) aus der Feder des Kollegen Müntefering stammt. ({1}) Es ist völlig legitim - das haben auch wir gemacht -, dass man in Regierungsprogramme den einen oder anderen Tropfen Parteipolitik einfließen lässt. Aber man sollte es ein kleines bisschen unauffälliger und ein kleines bisschen handwerklich besser machen, als Sie das tun. ({2}) Ein Programm soll das also sein. Ein Programm ist jedoch getreu dem Wortstamm auf die Zukunft gerichtet. Sie aber listen auf über 25 Seiten lediglich das auf, was Sie mehr oder weniger erfolgreich bereits getan haben. Insofern ist das kein Programm, sondern eigentlich ein Epigramm. Was denn in drei Teufelsnamen hat - bei aller Wichtigkeit dieses Themas - der Ausstieg aus der Kernenergie mit der Jugendpolitik zu tun? Das könnte man auch an vielen anderen Beispielen deutlich machen. Wenn man das Epigramm inhaltlich reduziert, ist der Wert schlussendlich unter einem Mikrogramm. ({3}) Eben ist von den Entschließungsanträgen gesprochen worden, die dem Deutschen Bundestag noch zugeleitet werden. Lassen Sie mich einige Bemerkungen dazu machen. Wenn sich die Regierungsfraktionen mit einem Entschließungsantrag an die Regierung wenden, dann ist es normalerweise so, dass die Lobeshymnen nur so sprudeln. Das ist hier nicht so; denn es wird an einigen Stellen deutlich auf Versäumnisse hingewiesen. ({4}) So wird beispielsweise unter Punkt A 14 ausgeführt, die Bundesregierung solle etwas für den Kinder- und Jugendmedienschutz tun. Das findet unsere volle Zustimmung. Zu diesem Thema haben wir einen Antrag im Plenum eingebracht, den Sie allerdings abgelehnt haben. ({5}) Ich frage mich, wann Sie in diesem Bereich endlich etwas tun. Es geht nicht darum - dieser Vorwurf wurde vorhin an die Kollegin Eichhorn gerichtet -, das Internet zu verbieten. Das Internet kann man genauso wenig verbieten wie Regen. Das ist Unsinn. Es geht darum, vernünftige Regelungen zu finden, um denjenigen das Handwerk zu legen, die das Internet missbrauchen. Darauf warten wir. ({6}) Es finden sich noch viel tollere Dinge. So findet sich in dem Entschließungsantrag von Rot-Grün die Forderung, die Förderung nach dem Kinder- und Jugendplan zukünftig daraufhin abzuklopfen, ob das Prinzip von Gender Mainstreaming dort eingehalten wurde oder nicht. Das erinnert mich an die ebenfalls von Rot-Grün erhobene Forderung, in die Verdingungsordnung für Bauleistungen den Passus aufzunehmen, dass es darauf ankomme, ob der Betrieb, an den zu vergeben sei, eine Gleichstellungsbeauftragte beschäftige oder nicht. ({7}) Wie soll denn in Deutschland noch etwas funktionieren, wenn Sie alles mit Bürokratie überziehen? Das ist weder denjenigen, denen es nutzen soll, noch der Politik förderlich. ({8}) Bezeichnend ist - der Kollege Holetschek hat darauf hingewiesen -, dass weder in dem - angeblichen - Programm „Chancen im Wandel“ noch in dem Entschließungsantrag von Rot-Grün das Wort „Verein“ vorkommt. Man kann doch nicht ein Programm oder einen Entschließungsantrag zur Jugendpolitik in Deutschland formulieren und dabei das, was in Vereinen zwischen Flensburg und Garmisch in Deutschland geschieht, mit keinem Wort erwähnen. ({9}) Das zeigt, dass Sie gegenüber der etablierten Jugendverbandsarbeit im Grunde genommen ein tiefes Misstrauen haben; ({10}) denn der Passus, Herr Schmidt, findet sich in Ihrem Entschließungsantrag unter der Unterüberschrift „Neues Engagement fördern“. Da Sie neues Engagement fördern wollen, sind Sie offensichtlich mit dem bisherigen nicht zufrieden. Sonst bedürfte es dieser Überschrift nicht. ({11}) Lassen Sie mich einige Worte zu dem Entschließungsantrag der FDP sagen. Es geht um den Wegfall der Abzugsfähigkeit beispielsweise von Kosten für hauswirtschaftliche Beschäftigungsverhältnisse, die Senkung des Ausbildungsfreibetrages, der Wegfall des Haushaltsfreibetrages für Alleinerziehende ab 2005. Herr Kollege Haupt hat schon darauf hingewiesen. Ich war gestern beim Parlamentarischen Abend der Deutschen Landfrauen. ({12}) Die Beteiligung von Regierungsseite war erstaunlicherweise relativ dünn. Genau diese Punkte sind dort angesprochen worden. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf leidet unter ebendiesen Maßnahmen. Politik für den ländlichen Raum ist das, was Sie hier tun, auch nicht gerade. Deswegen sollten Sie wenigstens hin und wieder die Gelegenheit nutzen, um mit den Verbänden ins Gespräch zu kommen, und im Plenum des Deutschen Bundestages nicht nur sagen, dass Sie das getan hätten. ({13}) Meine Damen und Herren, Politik muss Perspektiven eröffnen. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie beispielsweise eine Aussage zur Zukunft der Jugendhilfe treffen - dazu findet sich in diesem Programm nichts - und dass sich darin eine Aussage dazu findet, wie denn die Förderung von Jugendprojekten zukünftig erfolgen soll, eher institutionell, was die Verbandsarbeit angeht, oder projektbezogen. Wie wollen Sie das in Zukunft händeln? Auch dazu findet sich keine Aussage. Verschiedentlich ist auf die Ausbildungsplatzsituation in Deutschland abgehoben worden. Wollen Sie zukünftig auch im Rahmen der Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpolitik für diesen Bereich etwas tun oder verlassen Sie sich auf das, was beim Programm JUMP - entweder mehr oder weniger - herauskommt, sowie auf das, was das Bündnis für Arbeit außer schönen Pressekonferenzen und Fernsehterminen noch so alles produziert, nämlich nichts? Das führt uns im Grunde überhaupt nicht weiter. Meine Damen und Herren, es ist selten, dass die Unionsfraktion mit der PDS einig ist. Aber der Hinweis, dass sich in dem Programm zur Drogenpolitik keine Aussage befindet, stimmt. ({14}) - Das mag sein; das steht heute aber nicht zur Debatte. Heute steht das Programm der Bundesregierung „Chancen im Wandel“ zur Debatte und darin befindet sich keine Aussage zur Drogenpolitik. Es geht schlussendlich darum: Wenn Sie beispielsweise den interkulturellen Dialog fördern wollen, dann sind wir sehr dafür. Aber zunächst einmal müssen Sie jungen Menschen eine Orientierung vermitteln, eine Orientierung auch über das Gemeinwesen der Bundesrepublik Deutschland, damit man anschließend fähig ist, sich mit anderen Kulturen und anderen Gesellschaften auseinanderzusetzen. Es ist auch richtig, wie Isa Vermehren kürzlich bei Biolek gesagt hat, dass man einem jungen Menschen zunächst einmal beibringen muss, worüber er redet, bevor man ihn zur Kritikfähigkeit erziehen kann. Das ist die natürliche Abfolge der Dinge und genau die halten Sie nicht ein. Jugendpolitik in Deutschland braucht nicht Reglementierung, sondern Freiräume. Junge Menschen in Deutschland wollen einfach etwas tun. Lassen Sie sie! ({15})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen.

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, die Debatte hat gezeigt, dass mit dem heute zur Diskussion stehenden Programm der Bundesregierung „Chancen im Wandel“ die Jugendpolitik ein ganzes Stück nach vorn gebracht wird. Wir verdeutlichen mit dieser Debatte unsere politischen Prioritäten für die Jugend und für die Zukunft unseres Landes. Dass Bildung dabei ein zentrales Handlungsfeld für die Sicherung von Chancengleichheit und -gerechtigkeit ist, ist selbstverständlich. Herr Dörflinger, bei all den Themen, über die wir heute diskutieren, wird natürlich zugleich auch deutlich, dass die Situation, in der wir mit unserer Politik angefangen haben, für die Jugendlichen in vielen Bereichen nicht berauschend war. Machen Sie nicht den Fehler, mit dem Finger auf Wunden zu zeigen, die aber durch Ihre Untätigkeit entstanden sind und die wir gerade schließen. ({0}) War denn bei Ihrer früheren Arbeitgeberin Frau Nolte das Thema „Zukunftschancen von Migrantenkindern in Deutschland“ ein wirkliches Thema? Was haben Sie da eigentlich getan? Wurde nicht in den 90er-Jahren die Chance in dieser Gesellschaft vertan, die Konsequenzen von De-facto-Einwanderung zur Kenntnis zu nehmen und ein zukunftsorientiertes Konzept für junge Menschen zu entwickeln, die aus anderen Ländern kommen und in Deutschland aufwachsen? ({1}) Jetzt bauen wir Ihre Versäumnisse ab. Herr Dörflinger, ich fand, wie gesagt, interessant, dass Sie in Ihrer Rede versucht haben, mit Ihren praktischen Erfahrungen die Untätigkeit einer früheren Ministerin ein bisschen zu kompensieren, von der heute keiner mehr redet, was auch Gründe hat. ({2}) Bildung und Qualifizierung sind die wichtigsten Voraussetzungen für die Verwirklichung von Lebenschancen. Die Zukunft des Einzelnen sowie die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung hängen natürlich ganz entscheidend davon ab, ob es uns gelingt, heute sowohl das Wissen als auch die sozialen und kulturellen Kompetenzen zu vermitteln, die gerade junge Menschen brauchen. Eine qualifizierte Ausbildung ist als Voraussetzung für eine eigene Berufstätigkeit heute noch entscheidender, noch wichtiger. Sie ist gerade für unsere jungen Menschen die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit. Deshalb ist die Investition in Bildung im besten Sinne Investition in die Zukunft unserer jungen Menschen. Meine Damen und Herren, die Leistungsfähigkeit unseres Bildungssystems entscheidet maßgeblich darüber, ob der Generationenvertrag in unserer Gesellschaft auch vonseiten der jungen Menschen als solidarischer Vertrag verstanden wird. ({3}) Deshalb müssen die jungen Menschen von uns erwarten, dass Bildung nach wie vor ein Bereich der öffentlichen Verantwortung bleibt. Bildung ermöglicht Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Leben, ist Navigationshilfe in einer Welt, die ständig komplexer wird. Sie fördert und fordert Persönlichkeiten. Es ist schon deutlich gemacht worden, dass die 90erJahre unter Ihrer Regierung Jahre des Rückgangs der Ausgaben für Bildung und Forschung waren. Das haben wir kräftig korrigiert. ({4}) Das Jahr 2002 wird das vierte Jahr, in dem die Bildungsausgaben des Bundes trotz eines strengen Haushaltskonsolidierungskurses steigen werden. Wenn darüber gesprochen wird, dass dieses Programm keine Zukunftsaussagen enthält, dann will ich Ihnen eines kurz sagen: Heute Abend wird hier im Bundestag über die Reform des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes gesprochen. Es ist eine Reformruine, die Sie uns hinterlassen haben, die nicht funktioniert hat, und wir verspielen dort einen entscheidenden Baustein auch im Sinne einer zukunftsorientierten Mittelstandspolitik. Wir wollen vielen jungen Menschen, auch und gerade aus dem Bereich des Handwerks, die interessiert und qualifiziert sind, die Chance bieten, sich staatlich gefördert fortzubilden, ihren Meister zu machen, Betriebe zu gründen und damit zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Ausbildungsplätzen beizutragen. Das ist unser praktischer Baustein, um im Sinne einer wohlverstandenen Mittelstandspolitik die Chancen junger Menschen zur Weiterqualifikation, zu Unternehmensgründungen und zur Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen zu realisieren. Ich will einen zweiten Punkt nennen. Natürlich ist die Situation auf dem Ausbildungsmarkt nach wie vor angespannt. Aber man muss doch darauf hinweisen, dass der Ausbildungskonsens im Bündnis für Arbeit nun im dritten Jahr zu einer schrittweisen Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt beiträgt. Wir sind Gott sei Dank in diesem Jahr erstmals wieder in der Situation - letztmalig war das etwa 1993/94 der Fall -, dass die gegenwärtig verfügbaren Ausbildungsangebote, betrieblich wie öffentlich geförderte, bundesweit gesehen ausreichen, um jedem unvermittelten Jugendlichen einen Ausbildungsplatz anbieten zu können. ({5}) Ich will das nicht schönreden. Natürlich ist die Situation in Ostdeutschland und übrigens auch in einigen Regionen Westdeutschlands nach wie vor besorgniserregend. Deshalb hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit den Ländern vereinbart, dass auch weiter, bis 2004, außerbetriebliche Ausbildungsplätze die notwendige Ergänzung zu den Ausbildungsanstrengungen der Wirtschaft in Ostdeutschland darstellen sollen. ({6}) Zum Thema „Was hat sich eigentlich getan?“ will ich Sie noch zart darauf hinweisen, dass Sie im BAföG-Bereich allein in den letzten fünf Jahren Ihrer Regierungszeit 700 Millionen DM eingespart haben. Während also den jungen Menschen von Ihnen 700 Millionen DM genommen worden sind, schaffen wir es in einem Ruck, 1,1 Milliarden DM zusätzlich für das BAföG zu mobilisieren. ({7}) Somit können wir wieder davon reden, dass junge Menschen nicht aufgrund ihrer sozialen Herkunft in der Entfaltung ihrer Begabungsreserven gebremst werden, sondern unabhängig von ihrer sozialen Herkunft ihre Bildungschancen auch im Hochschulbereich wahrnehmen können. Wir hoffen, dass an Schulen und Hochschulen dadurch 80 000 junge Menschen zusätzlich Anspruch auf eine Ausbildungsförderung erhalten, die diesen Namen auch verdient. Ich will noch auf einen weiteren Punkt Bezug nehmen, den Sie in der Debatte angesprochen haben. Wir haben im Bündnis für Arbeit mit den Gewerkschaften und mit den Arbeitgebern Maßnahmen zur Erhöhung der Bildungsund Berufsbeteiligung von jungen Migrantinnen und Migranten beschlossen, die, so hoffen wir, in den nächsten Jahren greifen werden. Denn über eines sollten wir uns doch hier klar sein: Wir haben in den 90er-Jahren - das war nicht nur ein Versagen der alten Bundesregierung die Probleme infolge fehlender Integration junger Menschen dramatisch unterschätzt und sind gut beraten, an dieser Stelle keine Scheindiskussion zu führen. Das muss unser gemeinsames Anliegen sein. Die Reform des Zuwanderungsgesetzes wird - denken Sie an die Frage der Sprachausbildung - den nächsten Baustein unserer Bemühungen bilden, dass junge Menschen aus Migrantenfamilien durch eine Förderung des Sprachunterrichts, durch eine Förderung im Bildungssystem zum vollen Mitglied der Gesellschaft werden können. Gerade diese Menschen brauchen nämlich ihre zweite Chance in der Bildung, wenn sie im ersten Schritt nicht den Weg in den Arbeitsmarkt gefunden haben. ({8}) Lassen Sie mich mit zwei kurzen Bemerkungen zum Thema Multimedia schließen. Beim Amtsantritt dieser Regierung waren 15 Prozent der deutschen Schulen an das Netz angeschlossen; vor wenigen Wochen ist nunmehr die letzte Schule an das Netz angeschlossen worden. Wir sind, europäisch gesehen, nach einem hoffnungslosen Rückstand in die Spitzengruppe vorgerückt, ({9}) auch deshalb, weil wir das in Partnerschaft mit der Wirtschaft und zusammen mit den Bundesländern organisieren konnten. Ein zweiter Punkt. Wir wissen alle: Es ist gut, dass diese Ausrüstung da ist. Aber Medienkompetenz in diesem Sinne funktioniert nur, wenn mit diesen neuen Medien vernünftige Lerninhalte vermittelt werden. Dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung in vier Jahren 650 Millionen DM dafür in die Hand nehmen wird, um Bildungssoftware für die berufliche Aus- und Weiterbildung an Schulen und Hochschulen zur Verfügung zu stellen, wird den nächsten Schritt sicherstellen: Die technischen Möglichkeiten werden zu einer neuen Qualität interessanten Unterrichts führen. So wird im Multimediazeitalter verhindert werden, dass diejenigen, die keine Computer zu Hause haben, benachteiligt sind gegenüber denjenigen, die in ihren Familien alles vorfinden. Das können wir nur verhindern, wenn in den Bildungseinrichtungen attraktive, multimediagestützte Angebote zur Verfügung stehen. Danke schön. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ursula Heinen für die Fraktion der CDU/CSU.

Ursula Heinen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Magazin „Der Spiegel“ hat in seiner Ausgabe vor 14 Tagen mit vier Berliner Jungwählern über ihre Wahlentscheidung vom 21. Oktober 2001 gesprochen. Julian, ein etwa 20 Jahre alter Fotografenauszubildender vom Prenzlauer Berg, hat zum Abschluss des Interviews gesagt: Die meisten in unserem Alter haben keinen Glauben mehr daran, etwas verändern zu können ... Weiter sagte er: Die Politik kann in Wahrheit viel weniger schaffen, als Politiker uns immer glauben machen wollen. Dies, Frau Ministerin Bergmann, ist erschütternd. Zeigt es uns doch die wachsende Distanz zwischen der Politik und den jungen Menschen bei uns. Dabei kennzeichnet die heutige junge Generation alles andere als Pessimismus und Null-Bock-Stimmung. In der Shell-Studie wurde festgestellt - sie ist vom Kollegen Haupt schon angesprochen worden -, dass sich Jugendliche im Alter von 15 bis 24 Jahre durch besonderen Optimismus und besondere Leistungsbereitschaft auszeichnen. Mehr als die Hälfte aller Jugendlichen antwortet auf die Frage, wie sie ihre persönliche Zukunft einschätzen, „eher zuversichtlich“. Nur 9 Prozent sehen sie „eher düster“. In Ihrer Antwort auf die Große Anfrage zur Jugendpolitik sprechen Sie selbst von der großen Bereitschaft junger Menschen zum Engagement. Das sind Fakten, die uns eigentlich sehr froh stimmen müssten - wenn nicht das immer weiter nachlassende politische Interesse erkennbar wäre. In der Shell-Studie - um sie noch einmal zu zitieren - heißt es dazu: Die Jugendlichen entfernen sich nicht etwa bewusst vom politischen System, sie lassen es mehr und mehr links liegen. Wie begegnet die rot-grüne Bundesregierung dieser Entwicklung? Drei Jahre nach der Ankündigung schlägt die Jugendministerin ein Programm vor. „Chancen im Wandel“ heißt es und soll - so das hehre Ziel - der jungen Generation bessere und gerechtere Chancen auf Arbeit, Bildung und Teilhabe ermöglichen und die Erziehung zu Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit verstärken. Dies sind Ziele, die wir alle hier im Deutschen Bundestag unterstützen können und wollen. Doch wenn Sie sich dieses Programm einmal genauer anschauen, dann erkennen Sie leider: Es ist heiße Luft und ist mit heißer Nadel gestrickt worden. ({0}) Lassen Sie mich einige Beispiele nennen. Da heißt das Kap. III: „Wandel gestalten - Generationengerechtigkeit sichern“. Immerhin sind Sie zu der Einsicht gelangt, dass dies ein wichtiges Thema ist. Wo aber bleibt die ernsthafte und glaubwürdige Befassung mit dieser Aufgabe? Wenn Ihnen die Generationengerechtigkeit so sehr am Herzen liegt, warum haben Sie dann den Antrag meiner Fraktion abgelehnt, in dem wir mehr Generationengerechtigkeit gefordert haben und verlangt haben, dass sich die heutige Politik an den Erfordernissen von Morgen messen lassen muss? Wo bleibt eine Diskussion darüber, dass Gesetze, die wir heute machen, auch daraufhin geprüft werden müssen, wie sie auf künftige Generationen wirken? ({1}) Wenn Ihnen Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit so sehr am Herzen liegen, warum ist dieses Programm dann nur Lyrik? Warum stellen Sie in der Wirtschaftspolitik, in der Sozialpolitik und in der Finanzpolitik nicht die Weichen so, dass künftige Generationen Chancen für eine gute Zukunft haben? Sie betrachten Ihr jugendpolitisches Programm als Querschnittsaufgabe. Das ist absolut richtig. Dann erwarten wir von Ihnen aber auch, dass Sie Ihren Ressortkollegen Druck im Hinblick auf eine generationengerechte Politik machen, und zwar in allen Politikfeldern, Frau Bergmann. ({2}) Lassen Sie mich noch ein anderes Beispiel nennen: In Ihrem Programm treten Sie energisch für mehr Mitspracherechte und Teilhabemöglichkeiten junger Menschen ein. Sie sprechen in Ihrer Antwort auf die Große Anfrage in diesem Zusammenhang sogar von „prioritär“. Auch das unterstützen wir. Denn Jugendliche brauchen mehr Mitspracherechte in der Politik. Aber wie sieht die praktische Umsetzung aus? Sie machen eine Kampagne - Sie selbst sprachen von einer bundesweiten Beteiligungswoche -, laden 50 junge Menschen ein und die Bundesjustizministerin unterhält sich mit Berliner Schülern über Konfliktlotsen. War es das? Teilhabe an politischen Entscheidungen heißt etwas ganz anderes. Teilhabe heißt, dass wir junge Menschen und ihre Anliegen ernst nehmen, dass wir Projekte entwickeln, die Jugendliche stärker in die Politik einbinden, und keine Experimente durchführen, wie Sie es vorhin genannt haben. Ich nenne als Beispiel Baden-Württemberg, wo es in vielen Kommunen Kinder- und Jugendparlamente gibt, wo junge Menschen sehr früh lernen, ihre wichtigen Interessen zu formulieren und durchzusetzen. Selbst der Deutsche Bundestag veranstaltet regelmäßig „Jugend und Parlament“. Die CDU wird auf ihrem Parteitag im Dezember einen Jugendparteitag durchführen. ({3}) Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich die Wertschätzung des Bundeskanzlers in der Bezeichnung, die er für Ihr Ministerium gebraucht hat, zeigt, nämlich: Ministerium für Familie und Gedöns. Frau Bergmann, ich kann Ihnen dazu nur eines sagen: Das würde ich mir nicht bieten lassen. Das dürfen Sie sich im Interesse der jungen Menschen bei uns in Deutschland nicht bieten lassen. ({4}) Alle Jugendstudien zeigen, dass sich junge Menschen immer dann engagieren, wenn sie das Gefühl haben, sie können mitbestimmen und etwas erreichen. Deshalb: Machen Sie mit der Beteiligung Ernst. Machen Sie keine Kampagnen und politische Inszenierungen, sondern Konzepte. Unterstützen Sie wirkliche Beteiligungsformen. Dann werden junge Menschen in Deutschland wieder Freude haben, Politik zu machen. Dann wird auch Julian, den ich eingangs erwähnt habe, vielleicht Sie und Ihre Politik wieder ernst nehmen. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Der nächste Redner ist der Kollege Rolf Stöckel für die SPD-Fraktion.

Rolf Stöckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Eichhorn, Sie haben angemahnt, die moralische Basis und die Werte zu nennen, die der Kinder- und Jugendpolitik der rot-grünen Bundesregierung zugrunde liegen. Auch wir hätten damals, als Sie die geistig-moralische Wende zu Beginn Ihrer Regierungszeit angekündigt hatten, gerne erfahren, was denn der Inhalt dieser geistig-moralischen Wende sein sollte. Die FDP, Herr Haupt, hat in 29 Jahren Regierungsbeteiligung auch in sozialliberalen Koalitionen jugendpolitische Initiativen blockiert. ({0}) Wenn ich diese alle aufzählen wollte, dann würden meine fünf Minuten Redezeit mit Sicherheit nicht ausreichen. ({1}) Ich will Ihnen sagen, welche Botschaft, die an die Kinder, Jugendlichen und Eltern gerichtet ist, sich durch das Aktionsprogramm und die Antwort auf die Große Anfrage durchzieht: Gleich welcher Herkunft und welchen Geschlechts, in welcher Familienform auch immer lebend, ob ehelich oder unehelich geboren, Kinder und Jugendliche sind die Zukunft des Landes und müssen beteiligt werden. ({2}) Ferner: Ihr habt gleiche Rechte und Chancen, aber auch soziale Pflichten. Ihr seid unserem Staat gleich viel wert. Er bietet euch Schutz. Ihr sollt ohne Gewalt und in einer möglichst gesunden Umwelt aufwachsen. Ihr sollt bei allen kulturell angeeigneten Unterschieden, weil ihr persönlich einzigartig seid, friedlich zusammenleben, Vielfalt, Demokratie und Pluralismus als Reichtum begreifen und unvermeidbare Konflikte friedlich lösen lernen. ({3}) Damit ihr die neuen Herausforderungen in einer sich immer schneller wandelnden Welt bestehen könnt, tun wir alles, um euch die bestmögliche Ausbildung zu ermöglichen. Allerdings gehören Risiken und Scheitern, Behinderungen und Schwächen zum Leben. Aber diese Gesellschaft lässt niemanden fallen. Sie lässt euch nicht am Rande liegen. Wir wissen partei- und fraktionsübergreifend, dass es bei allen Bemühungen noch viel zu tun gibt, um diese Botschaft für alle Kinder in diesem Land Wirklichkeit werden zu lassen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist aber, dass Kinder- und Jugendpolitik gemäß dem Kinder- und Jugendhilfegesetz als wichtige Querschnittsaufgabe auf allen politischen Ebenen im Bund, den Ländern und Kommunen anerkannt und umgesetzt wird. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich, dass die Bundesregierung - die Ministerin hat dies in ihrer Erklärung untermauert deutliche Zeichen gesetzt hat und in ihren Anstrengungen selbst bei angespannter Haushaltslage auch in Zukunft nicht nachlassen wird. ({4}) Dabei ist der Abbau der Staatsverschuldung und das, was wir zukünftigen Generationen hinterlassen werden, nicht minder wichtig. Wir sind überzeugt, dass Kinder Träger eigener Rechte sind, orientiert an der UN-Kinderrechtekonvention, die die ganzheitliche Förderung, die Beteiligung der Kinder an Entscheidungen, die ihre Belange betreffen, und den Schutz der Kinder als gleichrangige Ziele einer umfassenden Kinder- und Jugendpolitik versteht. Der mit der letzten Kindschaftsrechtsreform eingeschlagene Weg der Stärkung der Rechtsstellung des Kindes, des gemeinsamen Sorgerechts und der Berücksichtigung des Kindeswillens im Umgangsrecht wird konsequent weitergegangen. Das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und die Begleitkampagne „Mehr Respekt vor Kindern“ haben deutlich gemacht, dass wir ernsthaft ein Klima erzeugen wollen, in dem Kinderfreundlichkeit ein konstitutives Merkmal der Gesellschaft wird. ({5}) Wir wollen die Eltern in ihrer Verantwortung und Erziehung, die sie leisten, unterstützen und gemeinsam mit Ländern, Kommunen, freien Trägern und Jugendverbänden Angebotsstrukturen schaffen, die den heutigen Anforderungen an berufliche und familiäre Gleichstellung, Mobilität, Flexiblität und Integration entsprechen. Erst diese Regierung hat die Rahmenbedingungen mit dem Teilzeitgesetz sowie mit den entsprechenden Verbesserungen im Gesetz zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit geschaffen. ({6}) Es ist längst überfällig - Herr Haupt hat darauf hingewiesen -, dass die Verbesserung der Angebote im Elementarbereich von null bis sechs Jahren sowie der Horte, Kindergärten und bei der Ganztagsbetreuung nicht nur im Sinne der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern auch im Sinne der Erfüllung einer grundlegenden Bildungsaufgabe der Gesellschaft verstanden wird. In den ersten Lebensjahren werden die grundlegenden Rollen, Verhaltens- und Einstellungsmuster eingeübt. Kompetenzen zur Lösung sozialer Konflikte werden erlernt. Neugierde, Fantasie, Kreativität und Selbstbewusstsein werden entwickelt oder auch nicht. Das, was in dieser Phase versäumt wird, kann auch in Schulen, die noch so viel Wissen einpauken, die wieder strenger und ordentlicher werden sollen und die noch so viele Internetanschlüsse haben, kaum ausgebügelt werden. ({7}) Nachdem der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab 3 Jahren unter großen Anstrengungen der Länder und Gemeinden sowie unter unserer Mitarbeit während Ihrer Regierungszeit verwirklicht wurde, gilt es jetzt - hier ist auch der Bund in der Pflicht -, die nächste Qualitätsstufe zu erreichen. ({8}) Die Opposition macht es sich nach Jahren eigener Versäumnisse zu leicht, wenn sie jetzt - das ist populistisch und völlig unrealistisch - die Einführung eines Familiengeldes von 1 200 DM pro Monat vorschlägt. Das war der Vorschlag von Herrn Stoiber. ({9}) Im FDP-Antrag wird erst gar keine Zahl genannt. Ich halte das schlicht für unseriös. Die rot-grüne Regierungsmehrheit wird keine Versprechungen machen, die nicht einzuhalten sind. ({10}) Die Förderung der Familien und der Kinder steht weiterhin im Mittelpunkt unserer Regierungspolitik. Deshalb bitte ich um Unterstützung für unseren Entschließungsantrag. Wir werden uns von unserer Linie nicht abbringen lassen. Darauf können sich die Familien und Kinder verlassen. ({11})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat nun die Kollegin Marlene Rupprecht für die SPDFraktion.

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es wurde sehr viel Blumiges und Wolkenreiches gesagt. ({0}) Ich bin wie meine Ministerin der Ansicht, dass man konkrete Dinge vortragen muss. Das hat sie - ebenso wie meine Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und der SPD - getan. Ich werde Ihnen zum Schluss meiner Rede ein konkretes Projekt vorstellen. ({1}) Vorweg möchte ich Ihnen, Herr Dörflinger, sagen: In der Tagesordnung wird auf unsere Große Anfrage, Drucksache 14/5284, und auf die Antwort der Bundesregierung, Drucksache 14/6415, hingewiesen. Diese hätten Sie sich anschauen müssen. Es wird auch auf das Jugendprogramm verwiesen. Sie sollten sich die Tagesordnung beim nächsten Mal genauer anschauen. Ich möchte meinen Kollegen aus Bayern, die sich zum Ehrenamt geäußert haben, sagen: Wir haben als Erstes die Übungsleiterpauschale um 50 Prozent angehoben und den Kreis der Berechtigten erweitert. ({2}) Wenn Sie über Bayern reden, dann muss ich Ihnen sagen - ich wohne seit 30 Jahren gern in Bayern -: Sie sollten einmal dafür sorgen, dass das Kinder- und Jugendhilfegesetz - eines der guten Gesetze aus Ihrer Regierungszeit - tatsächlich umgesetzt wird und nicht in irgendeiner Schublade bleibt. Die Umsetzung dieses Gesetzes wäre dringend notwendig. Die Menschen rufen danach. ({3}) Trotzdem ist sie bisher immer wieder gescheitert. Daran sollten Sie arbeiten, anstatt hier überflüssige Reden zu halten. ({4}) Im Jahr des Ehrenamtes ist es neben all dem, was schon erwähnt worden ist, ganz selbstverständlich und nahe liegend, dass wir die Freiwilligendienste an die modernen Anforderungen anpassen. Sie wissen: Seit vielen Jahren besteht für junge Menschen, die sich ganz bewußt für andere Menschen oder die Umwelt einsetzen wollen, die Möglichkeit, ein so genanntes freiwilliges soziales Jahr, ein freiwilliges ökologisches Jahr oder einen Freiwilligendienst im europäischen Ausland abzuleisten. ({5}) Junge Menschen können bisher zwischen dem 17. bzw. dem 16. und dem 27. Lebensjahr einen freiwilligen Dienst für zwölf Monate absolvieren. Sie erhalten dafür von den Trägern ein Taschengeld, Unterkunft und Verpflegung; also keine Entlohnung im eigentlichen Sinn. Die eben von mir angesprochene Altersregelung in Bezug auf das 17. bzw. 16. Lebensjahr führte bisher dazu, dass der Großteil der an den Programmen beteiligten Jugendlichen fast ausschließlich Abiturientinnen und Abiturienten sind. Junge Menschen mit Hauptschulabschluss gibt es in den Freiwilligendiensten faktisch nicht. Ursache dafür ist aber nicht ein Desinteresse an diesen Programmen, sondern die bisher gesetzlich vorgeschriebene Mindestaltersgrenze. Hauptschülerinnen und Hauptschüler müssen eine zeitliche Lücke zwischen Schulpflicht und Beginn des Freiwilligendienstes überbrücken. Deshalb haben sie häufig solche Dienste nicht geleistet. Unsere Reform erfüllt die Forderung, endlich auch etwas für Hauptschülerinnen und Hauptschüler zu tun. Wir eröffnen den Zugang zu den Freiwilligendiensten, indem wir ihn nicht mehr an eine Altersgrenze binden, sondern im Gesetz die Regelung über die Altersgrenze durch die Formulierung „nach Erfüllung der Vollzeitschulpflicht“ ersetzen. Damit eröffnen wir Chancengleichheit für alle Jugendlichen, ({6}) vor allem für diejenigen, die bisher kaum die Chance hatten, solche Dienste leisten zu können. Das betrifft beispielsweise benachteiligte Jugendliche oder Jugendliche im Osten, die bisher selten ein solches Angebot wahrnehmen konnten. In all den Jahren wurden die Freiwilligendienste - entgegen der landläufigen Meinung, die Jugend wolle sich gesellschaftlich nicht mehr engagieren - stark nachgefragt. Seit 1993 hat sich die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer um 70 Prozent erhöht. Nach wie vor fragen mehr junge Menschen Plätze nach als angeboten werden. Das heißt: Wir können bisher nicht so viele Plätze anbieten, wie benötigt werden. Damit eine Erweiterung der Einsatzfelder und damit eine Ausweitung des Platzangebotes erreicht werden kann, können nun auch in Einrichtungen für außerschulische Jugendbildung und Jugendarbeit Freiwilligendienste abgeleistet werden. Darunter fallen zum Beispiel Sport und Kultur. Ich habe heute Morgen festgestellt, dass der Berliner Rundfunk aktueller ist als Sie. Er hat nämlich bereits mitbekommen, was wir vorhaben. Er hat darüber berichtet, dass die Berliner Theater für diesen Bereich der Freiwilligendienste Plätze bereithalten. Ich finde das ganz hervorragend. ({7}) Die bisherigen gesetzlichen Rahmenbedingungen sehen einen Einsatz im Inland und EU-Ausland vor. Wir sehen das als eine Einengung und haben deshalb die Freiwilligendienste auf das Nicht-EU-Ausland ausgeweitet. Das betrifft zum Beispiel Israel oder auch Australien. Bei einem Besuch dort konnte ich feststellen, dass Freiwilligendienste angeboten werden, die aber bisher nicht angenommen werden konnten, weil es die rechtliche Lage nicht zuließ. In Altersheimen, in denen Auswanderer untergebracht sind, deren Muttersprache Deutsch ist und die im Alter wieder auf ihre Muttersprache zurückgreifen, wären junge deutsche Freiwillige ganz herzlich willkommen. Das war bisher nicht machbar, wird aber nach der Gesetzesänderung machbar sein. Wir werden allerdings einen obligatorischen Vorbereitungsdienst und eventuell einen Sprachkurs einführen, da die Jugendlichen einen Schutz brauchen. Im Inland wollen wir die Freiwilligendienste flexibilisieren, das heißt, der Dienst kann bis zu 18 Monaten ausgedehnt und in zeitlichen Abschnitten innerhalb eines Zeitraums von 24 Monaten abgeleistet werden. Das ist das Neue. Wir haben ebenfalls - das ist eine Erweiterung - für das freiwillige soziale und für das freiwillige ökologische Jahr ein Angebot für Zivildienstleistende geschaffen. Sie können statt Zivildienst diesen Dienst leisten; das wird angerechnet. Der Einsatz von Jugendlichen, die einen Freiwilligendienst machen, im Zivildienst soll allerdings nicht auf Kosten der bisherigen Plätze gehen, sondern es sollen zusätzliche Plätze zur Verfügung gestellt werden. Wir wissen: Rund 13 000 junge Menschen leisten jährlich einen Freiwilligendienst. Dieser Freiwilligendienst darf aber nicht zum Nachteil und zum Risiko der Jugendlichen und ihrer Eltern werden. Deshalb sind die Jugendlichen sozialversicherungsrechtlich abgesichert. Die Eltern erhalten für die Kinder im In- und Ausland Kindergeld. Mit ihrem Träger haben sie eine Vereinbarung zu treffen, damit sie dann auch etwas vorweisen können. Es muss schriftlich vereinbart werden, wie der Dienst ausgestaltet ist. Am Ende des Dienstes werden sie - das ist ganz neu - auf Verlangen ein Zeugnis bekommen, das ihre berufliche Qualifikation bescheinigt. Es ist unbestritten, dass freiwilliges soziales und ökologisches Engagement die persönliche Entwicklung der teilnehmenden Jugendlichen fördert. Es kann ebenfalls zur Berufsfindung und -orientierung beitragen. In einer Welt, in der Verantwortungsbewusstsein, Offenheit und Flexibilität zur Lebensbewältigung und auch zur Lebensqualität beitragen, kann ein freiwilliger Dienst, auch im Ausland, die beste Schule fürs Leben sein. ({8}) Durch eine massive Ausweitung der Mittel realisieren wir so einen wichtigen Baustein im jugendpolitischen Programm. Wir hoffen, dass die Bundesländer ihren Anteil an dieser Reform entsprechend umsetzen. ({9}) Damit, denke ich, haben wir einen wichtigen Teil erfüllt. Wir haben nicht Luftblasen produziert, sondern konkrete Schritte unternommen. Ich hätte mir gewünscht, auch Sie hätten das getan. Wir haben ein Programm von 38 Seiten. Das Programm Ihrer 16 Jahre hätte auf eine Seite gepasst. Ich danke Ihnen. ({10})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/7330 zu der Großen Anfrage? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS ange- nommen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/7299 zu der Großen Anfrage? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Ent- schließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der FDP abgelehnt. Zusatzpunkt 3. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/7275 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 e auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Bartholomäus Kalb, Heinz Seiffert, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Bürokratieabbau für kleine und mittelständische Betriebe - Drucksache 14/6633 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land- wirtschaft Ausschuss für Tourismus b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({1}) zu dem Antrag der Abgeord- neten Hansjürgen Doss, Peter Rauen, Ernst Hinsken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Chancen des Mittelstandes in der globalisierten Wirtschaft stärken - Drucksachen 14/5545, 14/6094 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Ditmar Staffelt c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({2}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Heinz Seiffert, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Steuerliche Gleichstellung des Mittelstands - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Hildebrecht Braun ({3}), Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Steuerliche Benachteiligung des Mittelstands beseitigen - Drucksachen 14/5551, 14/5962, 14/6687 - Berichterstattung: Abgeordnete Jörg-Otto Spiller Gerda Hasselfeldt d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Heinz Seiffert, Norbert Barthle, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU Wiederherstellung des umfassenden Rechts auf Vorsteuerabzug - Drucksachen 14/5223, 14/6448 - Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Heidemarie Ehlert e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ditmar Staffelt, Jelena Hoffmann ({6}), Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Werner Schulz ({7}), Michaele Hustedt, Andrea Fischer ({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Neue Mittelstandspolitik - Motor für Beschäftigung und Innovation - Drucksachen 14/5485, 14/5973 Berichterstattung: Abgeordneter Hansjürgen Doss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Auch zu diesem Vorschlag gibt es keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Redner dem Kollegen Dr. Hansjürgen Doss das Wort. Er spricht für die Fraktion der CDU/CSU.

Dr. Hansjürgen Doss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000411, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kollegen! Diese Debatte steht im Schatten der gravierenden Entscheidungen zur Weltpolitik, zur Terrorismusbekämpfung und zum Militäreinsatz, die im Hohen Hause zu treffen sind. Dabei ist die Lage unserer Wirtschaft so ernst, dass sie meines Erachtens unsere ungeteilte Aufmerksamkeit haben müsste. Wenn ich die Aufmerksamkeit, die ich hier feststellen kann, zu bewerten hätte, würde ich sagen: Daran können wir noch arbeiten, nicht nur bei uns Abgeordneten - so sage ich einmal selbstkritisch -, ({0}) sondern auch auf der Regierungsbank, auf der nur die Staatssekretärin Wolf sitzt. ({1}) - Gut, weiter hinten sitzen noch mehr. ({2}) Die Wirtschaftsinstitute sagen uns, dass Deutschland am Rande einer Rezession steht. Doch das ist noch nicht genug: Die Regierungskoalition tut alles dafür, dass es noch schlimmer kommt. Während in dieser schwierigen weltwirtschaftlichen Lage überall die Steuern gesenkt werden, werden bei uns ab dem 1. Januar 2002 Versicherungsteuer, Tabaksteuer und Ökosteuer erhöht. Des Weiteren wird darüber spekuliert, die Vermögensteuer wieder einzuführen. So wird man in Deutschland kein Wachstum erreichen, sondern Attentismus herbeireden. Wirtschaftspolitik hat bekannterweise sehr viel mit Psychologie zu tun. ({3}) Nachdem wir uns im Wirtschaftsausschuss gestern darüber unterhalten hatten, dass wir auch in der Wirtschaftspolitik ein Stück zusammenrücken müssen, war die darauf folgende Diskussion über Maßnahmen, Entlastungen für den Mittelstand zu erreichen, ausgesprochen ernüchternd. Unser diesbezüglicher Versuch ist an der rot-grünen Mehrheit gescheitert. Statt für mehr Entlastung zu sorgen, wurde für mehr Belastung gesorgt, und das in einer für mich unerträglichen Form. ({4}) - Frau Scheel, vielen Dank für Ihren Zwischenruf. Finanzbeamte sollen in Zukunft ohne vorhergehende Ankündigung und ohne Tatverdacht Unterlagen in Unternehmen prüfen können. ({5}) Ich halte das für unerträglich. ({6}) Das erinnert mich an Stasi-Methoden und ist eines Rechtsstaats nicht würdig. Das muss ich hier mit aller Nachdrücklichkeit sagen. ({7}) Ein weiteres Beispiel: Unternehmen sollen für die nicht abgeführte Umsatzsteuer ihrer Zulieferer in Haftung genommen werden. Unglaublich! Das kann kein Mensch überblicken, verantworten oder kontrollieren. Ehrliche Unternehmer haften für die schwarzen Schafe, die es selbstverständlich auch gibt. Die Auszahlung der Vorsteuererstattung wird künftig von Sicherheitsleistungen abhängig gemacht. Sie wissen um die Eigenkapitalquote der mittelständischen Betriebe. ({8}) Zusätzliche Sicherheitsleistungen schränken die Liquidität weiter ein. Das ist doch absurd. Ich weiß nicht, wie man sich so etwas einfallen lassen kann. ({9}) Die Bundesregierung sieht im Unternehmertum in Deutschland nach wie vor eine Art SelbstbedienungslaVizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters den, in dem man je nach Bedarf zugreift und den man ungestraft abzockt. Das ist unerträglich! ({10}) Die Ergebnisse, die sich in der Zwischenzeit eingestellt haben, sind eindeutig. Das rot-grüne Netzwerk der Regulierungen liegt wie Mehltau auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt. ({11}) Ich erinnere noch einmal daran - penetrant sein ist ganz wichtig und gehört zum politischen Handwerkszeug -, dass die Neuregelung der 630-Mark-Jobs einen flexiblen Personaleinsatz nahezu unmöglich macht. Es handelt sich um ein Schwarzarbeiterförderungsgesetz. Wie Sie alle wissen, ist die Schwarzarbeit das Einzige, was in Deutschland wächst. Mittlerweile werden 16 Prozent des Bruttosozialprodukts durch Schwarzarbeit erwirtschaftet. Unerträglich! Das Gesetz gegen die so genannte Scheinselbstständigkeit ist ein Selbstständigkeitsverhinderungsgesetz. Die Ökosteuer ist eine Mittelstandssondersteuer. Der Rechtsanspruch auf Teilzeit macht die Personalplanung in mittelständischen Unternehmen nahezu unmöglich. Der Attentismus, den das neue Betriebsverfassungsgesetz erzeugt hat, ist für den Mittelstand katastrophal. Es schafft Kosten, Bürokratie sowie Fremdbestimmung und es demotiviert die Unternehmen. ({12}) Mit der Steuerreform wurden die großen Kapitalgesellschaften einseitig entlastet, während der Mittelstand auf 2005 vertröstet wurde. Das Versprechen, die Lohnzusatzkosten zu senken, wurde bekanntermaßen nicht eingehalten. ({13}) Die verheerende Folge rot-grüner Politik für den Mittelstand ist, dass die Kosten der Betriebe gestiegen sind und weiter steigen. Der Umfang der Bürokratie eskaliert und die Handlungsspielräume der Mittelständler werden immer enger. Die Kapitalbeschaffung wird gleichzeitig immer schwieriger. Zudem steht Basel II als weiteres Ungemach am Firmament. ({14}) - Wir wollen Sie nur ermutigen. Folgen Sie unseren Vorschlägen und schon geht es in Deutschland aufwärts. ({15}) Vielen Dank für Ihren Hinweis! Die Konkurrenz durch Staatsbetriebe, ABM und Schwarzarbeit ist unerträglich. Im Übrigen haben Sie Recht, wenn Sie darauf hinweisen, dass sich der Bundeskanzler in dieser Form eingelassen hat. Auch ich finde das gut. Das ist einer der wenigen Punkte, die wir positiv zur Kenntnis nehmen können. ({16}) Wir stellen fest, dass sich die Konjunktur im Sturzflug befindet. Meines Erachtens müsste deswegen das Plenum voll und die Regierungsbank besetzt sein; schließlich geht es hier um die nationale Wirtschaft. Bekanntermaßen ist ohne eine funktionierende Wirtschaft alles nichts. Ich halte auch die Aufmerksamkeit - ich habe das schon einmal erwähnt - vonseiten der Bundesregierung hier für nicht überwältigend. Die Konkursraten nehmen drastisch zu. Hartmut Schauerte wird darauf noch eingehen. Im ersten Halbjahr wurde ein Plus von 18 Prozent verzeichnet. Banken und Großindustrie überbieten sich bei Entlassungen von Mitarbeitern. Im Mittelstand herrschen praktisch Einstellungsstopp und Existenzangst. Deutschland ist das Wachstumsschlusslicht in Europa. Die Arbeitslosenzahl steigt und erreicht bald die 4-Millionen-Grenze. Das darf nicht unter den Teppich der augenblicklichen Situation gekehrt werden, das muss uns elektrisieren. Die Steuereinnahmen gehen dramatisch zurück, den Sozialversicherungen fehlen Milliardenbeträge und die Gewerkschaften haben bereits hohe Lohnforderungen angedroht. Wenn diese höheren Löhne noch dazukommen, dann gnade uns Gott. Diese wirtschaftliche Misere lässt sich auf den Punkt bringen: Die Arbeitnehmer verdienen netto zu wenig und kosten brutto zu viel. Unsere Betriebe ächzen unter der hohen Steuer- und Abgabenlast. Deswegen fordern wir: Runter mit dem Einkommensteuerspitzensatz auf weniger als 40 Prozent! Weg mit der Ökosteuer! Sie wirkt sich verheerend aus, ist schlecht und bekanntermaßen eine Arbeitsplatzvernichtungsteuer. ({17}) Stattdessen sollten nachhaltige Reformen unserer sozialen Sicherungssysteme durchgeführt werden, damit die Sozialversicherungsbeiträge endlich unter 40 Prozent sinken. Meine Damen, meine Herren, die Investitionen im Bundeshaushalt - Sie wissen das - bewegen sich auf ein Nachkriegsrekordtief zu. Die deutsche Bauwirtschaft muss diese Politik mit einem schmerzhaften Schrumpfungsprozess und einem massiven Beschäftigungsabbau bezahlen. Sie wissen alle: In den letzten fünf Jahren ging die Zahl der dort Beschäftigten von 1,4 Millionen auf 940 000 zurück. Der Abwärtstrend ist ungebrochen. Wir fordern deshalb mehr Finanzmittel für den beschleunigten Ausbau von Straßen, Schienenwegen und kommunaler Infrastruktur. ({18}) - Es gibt ein paar Ankündigungen, das finde ich auch gut. Ich hoffe nur, dass sie am Ende dann auch eingehalten werden. Die Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung dient einzig und allein der Verschleierung der Arbeitslosigkeit. Sie ist mit erheblichen Wettbewerbsverzerrungen zulasten mittelständischer Betriebe verbunden. Wir fordern deshalb: Der Wildwuchs bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen muss endlich beseitigt werden. ({19}) Sonst kann mittelständisches Gewerbe keine Steuerkraft entwickeln und nicht erfolgreich wirtschaften. Wir fordern ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren und die Reduzierung von bürokratischen Auflagen. Ich will ein paar Beispiele nennen: Zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse hat das Arbeitsministerium einen Leitfaden herausgegeben, der 50 Seiten umfasst und 19 verschiedene Fallgestaltungen aufführt. ({20}) Statistisch gesehen muss jeder Handwerksbetrieb im Jahr durchschnittlich 324 Stunden für Hand- und Spanndienste aufwenden, das sind 40,5 Arbeitstage je Beschäftigten. Jeder Handwerksbetrieb wird durch solche administrative Leistungen pro Jahr mit über 31 000 DM belastet. Anders als die Großkonzerne verfügen mittelständische Betriebe über keine Stabsabteilungen, die sich durch diesen Wust an bürokratischen Vorschriften wühlen können. In dieser Lage ist die Metapher des Bundeskanzlers von der ruhigen Hand verfehlt. Investoren und Verbraucher brauchen Signale, die den Weg nach vorne weisen. Jedes weitere Zögern würde der Wirtschaft und dem Mittelstand teuer zu stehen kommen. Wir brauchen eine konzertierte Offensive für den Mittelstand. Rot-grüne Bremsklötze müssen aus dem Weg geräumt werden. Nicht die ruhige Hand von Herrn Schröder, sondern energisches Zupacken ist gefragt. ({21}) Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Machen Sie es so, wie wir vorschlagen, und es geht mit uns aufwärts. ({22})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Jelena Hoffmann.

Jelena Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002681, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss gestehen, dass es mir schwer fällt, nach der Diskussion von heute früh zur Tagesordnung überzugehen. Wir müssen heute trotzdem den wichtigen Themenbereich Mittelstand beraten. Die rund 3,3 Millionen mittelständischen Unternehmen und Selbstständigen bilden das Herzstück der deutschen Wirtschaft. Wenn man über Wirtschaft in Deutschland spricht, wird man immer über den Mittelstand sprechen. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, wenn Sie unsere Mittelstandspolitik, Herr Hinsken, ohne parteipolitische Vorurteile betrachten, werden Sie zugeben müssen, dass die Bundesregierung eine breite Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen anbietet ({1}) und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mittelstandsfreundlich gestaltet. ({2}) Nehmen Sie das Aktionsprogramm Mittelstand der Bundesregierung. Darin werden zentrale Themen eines konkurrenzfähigen Mittelstandes aufgegriffen: Innovationsfähigkeit, die Aus- und Weiterbildung, das Gründerklima sowie die Exportfähigkeit der Unternehmen. Die Innovationsfähigkeit unseres Mittelstandes braucht Forschung und Entwicklung auf höchstem Niveau. Viele kleine und mittlere Unternehmen können aber selber nicht immer entsprechende Entwicklungskapazitäten aufbringen. Deshalb unterstützen wir die Kooperation und Vernetzung zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Im vorigen Jahr haben rund 1 650 KMUs davon profitiert. Die Modernisierung der Bereiche Ausund Weiterbildung ist durch die Reform von 54 Ausbildungsverordnungen sowie der Meisterprüfung in Gang gesetzt worden. Zusätzlich wurden 18 neue Ausbildungsberufe geschaffen, die die Wirtschaft dringend braucht. Eine absolute Notwendigkeit in Deutschland ist es, ein gutes Geschäftsklima und Gründungsklima zu stärken. Impulse dafür erwarten wir von der Errichtung von Existenzgründerlehrstühlen und der Förderung von Existenzgründungen. Auslandsmesseförderung und Hermesbürgschaften, die vernünftige Kreditfinanzierung auch im Rahmen der Basel-II-Entscheidungen und die Verringerung der Steuern- und Abgabenlast sind wichtige Maßnahmen zur Stärkung unseres Mittelstandes. ({3}) Oder zum Beispiel die Steuerreform und die Unternehmensteuerreform: Wir entlasten den Mittelstand bis zum Jahr 2005 um netto 30 Milliarden DM. ({4}) - Das brauchen Sie nicht zu glauben, Frau Kollegin, das sind Tatsachen. ({5}) Die Gesamtheit der Steuerzahler behält circa 96 Milliarden DM in der Tasche. Hinzu kommen Erleichterungen durch die zweite Stufe des Familienleistungsausgleichs. Ich weiß, dass ein Teil dieser Entlastungen durch die hohe Inflationsrate von Anfang bis Mitte dieses Jahres aufgebraucht wurde und dass die Sparquote in Deutschland wächst. Und doch kann man die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, dass die Steuerentlastungsmaßnahmen die Kaufkraft der Bevölkerung stärken. Dies wiederum dient dem Mittelstand und kräftigt die Binnenkonjunktur, die in den letzten Jahrzehnten vernachlässigt wurde. ({6}) Das ist vor allem in Ostdeutschland nicht zu unterschätzen, da die Exportaktivität nicht immer zu den Stärken der ostdeutschen Unternehmen gehört. Kleine Unternehmen und Handwerker agieren meist regional und sind in einer besonderen Weise auf die einheimische Kaufkraft angewiesen. Wir haben auch den schwierigen, aber bitter notwendigen Prozess der Haushaltskonsolidierung konsequent eingeleitet. Ohne die Sanierung des Staatshaushaltes würde uns in der Zukunft das Geld für mehr Existenzgründungen, für Forschung und Entwicklung, für Bildung und für andere notwendige Maßnahmen gerade für kleine und mittlere Unternehmen fehlen. Es ist zwar Ihr gutes Recht, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, noch mehr Entlastungen für die Wirtschaft von uns zu fordern, etwa das Vorziehen der Steuerreform. Ich bitte Sie aber: Fassen Sie sich erst einmal an die eigene Nase und fragen Sie sich selbst, um wie viele Milliarden Sie den Mittelstand entlastet haben, als Sie an der Regierung waren. ({7}) Weiterhin möchte ich, dass Sie sich fragen, womit mehr positive Impulse für die Wirtschaft zu erreichen sind: mit einer schnelleren steuerlichen Entlastung um weitere knapp 13 Milliarden DM oder mit gezielten, langfristig wirkenden Investitionen in die Zukunft des Mittelstandes? ({8}) Für beides reicht leider das Geld nicht aus, da Sie uns einen riesigen Schuldenberg hinterlassen haben. ({9}) Meine verehrten Damen und Herren der CDU/CSUFraktion, in Ihrem Antrag über die Chancen des Mittelstandes in einer globalisierten Welt fordern Sie die Bundesregierung auf, einige Maßnahmen zur Entbürokratisierung zu überprüfen. Zu diesem Thema ist der Antrag der Opposition - das muss ich deutlich sagen sehr dünn geraten. Denn das, was Sie fordern, ist ja schon längst im Prozess der Umsetzung. Im März dieses Jahres hat die Bundesregierung den Bericht über den Stand der Initiative „Abbau bürokratischer Hemmnisse“ vorgestellt. Über 80 Maßnahmen - das können Sie in dem Bericht nachlesen - sind bereits umgesetzt oder in Vorbereitung. Ich gebe zu: Noch sind es keine großen Sprünge, eher kleinere Notwendigkeiten, die das Leben eines Unternehmers erleichtern. Darunter befinden sich: die Vereinfachung und Angleichung von Formularen und Statistiken, die Vereinheitlichung von Verdienstbescheinigungen, die Überprüfung der Gewerbeordnung und anderer Verordnungen, eine Datenbank für Existenzgründer oder eine einheitliche Wirtschaftsnummer. Aber ich erzähle Ihnen ja nichts Neues, liebe Oppositionskolleginnen und -kollegen. Auch unter Ihrer Regierung hat die so genannte Waffenschmidt-Kommission Empfehlungen zum Abbau von Bürokratie erarbeitet. Doch weiter als zur Herausgabe einer Broschüre im Jahre 1994 sind Sie nicht gekommen, obwohl Sie noch vier Jahre regieren konnten. ({10}) - Das stimmt; aber es waren auch einige positive Dinge enthalten. - Vielleicht liegt es daran, dass Sie sich sonntags in Ihren Reden vor den Verbänden in den Wahlkreisen weniger Bürokratie wünschen, aber montags im Bundestag die Interessen der einzelnen Branchen oder Handwerker vertreten und mehr Regulierungen fordern. ({11}) Unsere Regierung hat ihre Energie in die praktische Umsetzung investiert. Jetzt möchte ich ein Thema ansprechen, das für die Zukunft des Mittelstandes besonders wichtig ist: die Durchführung des Generationswechsels. Dazu machen Sie in Ihrem Antrag keinen konkreten Vorschlag, obwohl von der Frage, wie die Nachfolge geregelt werden soll, jedes Jahr fast 80 000 Unternehmen und damit fast 1 Million Arbeitsplätze betroffen sind. Heute sind fast 35 Prozent der Unternehmerinnen und Unternehmer zwischen 50 und 60 Jahre alt. Aber über die Frage der Nachfolgeregelung wird wenig diskutiert. So kommt es dazu, dass jedes Jahr etwa 6 000 Unternehmen stillgelegt werden. Das Bundeswirtschaftsministerium hat zusammen mit Verbänden, Vertretern der Wirtschaft, des Kreditwesens und der freien Berufe die Kampagne „nexxt“ ins Leben gerufen und einen One-Stop-Shop eingerichtet. Planungshilfen und Beratungen stehen schnell und unkompliziert im Internet zur Verfügung. Die Anhebung des Freibetrages bei Betriebsveräußerungen von 60 000 auf 100 000 DM und die Wiedereinführung des halben Steuersatzes beim Verkauf des Betriebes ab dem 55. Lebensjahr sind vernünftige Elemente für den Prozess der Übernahme eines Unternehmens, wobei ich allerdings gestehen muss, dass unsere Finanzspezialisten lieber eine andere Lösung herbeigeführt hätten. Sie sehen, dass wir vieles tun. Wir helfen, wo es geht. Wir können aber nur unterstützen und nicht die Initiative der Unternehmen ersetzen. Jelena Hoffmann ({12}) Damit komme ich zu meinem letzten Thema: die Erweiterung der Europäischen Union. Dieses Thema liegt mir als ostdeutsche Abgeordnete besonders am Herzen, weil ich aus einer Region komme, die 60 Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt ist. Während wir hier in Berlin mehr über die Chancen der EU-Osterweiterung sprechen, wird an der Grenze über Risiken diskutiert. Deshalb ist es wichtig, dass die Bundesregierung darauf besteht, dass die Übergangsfristen zustande kommen und flexibel gestaltet werden. Wir haben dafür gesorgt, dass die EU-Kommission ein Programm zur Stärkung der Grenzregionen auflegt, und wir haben die Investitionszulage für diese Regionen erhöht. ({13}) Unternehmen in den neuen Bundesländern haben gute Voraussetzungen für den Handel mit Osteuropa. Kurze Wege, die hohe Qualität der Leistungen, traditionell gute Kontakte zu den osteuropäischen Standorten und Länderkenntnisse verschaffen unseren ostdeutschen Unternehmen einen guten Vorsprung. Kleine und mittlere Unternehmen können hier ihre Chancen nutzen und wir werden sie auf diesem Weg begleiten. Vielen Dank. ({14})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile dem Kollegen Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion das Wort.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist höchste Zeit, dass wir uns im Bundestag Zeit nehmen, über die Situation im deutschen Mittelstand zu reden. Vergegenwärtigen Sie sich die Zeitungen von gestern oder heute. Die „Süddeutsche Zeitung“, die ja der Regierung nicht gerade böse gesonnen ist, sondern in der Grün-Rot gut behandelt wird, schreibt vom „Abschwungkanzler“; in der „FAZ“ ist die Rede vom „Schlusslicht in der europäischen Entwicklung“ und der Bundesbankpräsident, Herr Welteke - das ist keiner von uns, sondern ein Sozi, ein langjähriger aktiver Sozialdemokrat -, schildert in der „FAZ“ in düsteren Farben die Entwicklung und die Situation. Sie können doch nicht länger die Opposition beschimpfen, wenn sie die Wahrheit sagt. Der Mittelstand ist das Rückgrat der Entwicklung in unserem Land. Im Mittelstand sind zwei Drittel der Arbeitsplätze, 80 Prozent der Ausbildungsplätze und über die Hälfte der gesamten Wertschöpfung Deutschlands. Ich habe nie verstanden, weshalb Grün-Rot den Mittelstand so schlecht behandelt ({0}) mit einer Schieflage in der Steuerreform, nach der Großkonzerne sofort die volle Entlastung bekommen und der Mittelstand sie erst in Raten bis 2005 bekommt. ({1}) Wir haben eine Schieflage bei der Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen und viele andere Punkte mehr. Die SPD sprach einmal von ihrem Eigenanspruch für soziale Gerechtigkeit. Was ist da sozial, was ist gerecht, wenn die Großkonzerne bevorzugt werden und der Mittelstand diskriminiert wird? ({2}) Sie haben ein schlechtes Gewissen. ({3}) Deshalb haben Sie jetzt die Reinvestitionsrücklage auf den Weg gebracht. Da dachte ich: Hoppla, die machen wenigstens mal ein Stückchen Ausgleich. - Aber was Sie jetzt auf den Weg gebracht haben, ist eine Witznummer. ({4}) Ich nenne die 50 000 Euro, die gestern im Wirtschaftsausschuss beschlossen wurden. Alle sozialdemokratischen Mitglieder und alle grünen Mitglieder haben gemeinsam mit den anderen die Auffassung vertreten, dass der Ansatz in keiner Weise richtig ist, sondern dass 1 Million DM angemessen wäre, um hier überhaupt eine Wirkung zu erzielen. ({5}) Sie haben wider besseres Wissen Ihrer Fachleute und Ihrer Wirtschaftspolitiker Unsinn beschlossen, um ein bisschen Kosmetik in die Landschaft zu schmieren. Ihr schlechtes Gewissen muss bleiben, weil Sie hier keine Verbesserungen für den Mittelstand auf den Weg bringen. ({6}) Sie müssen die schon beschlossenen nächsten Schritte der steuerlichen Entlastung vorziehen, ({7}) damit sie schneller wirken, damit die Konjunktur nicht völlig abschmiert. Wir gehen doch auf ein Nullwachstum zu und möglicherweise in die Rezession hinein. Ich glaube nicht, dass das, was bisher auf den Weg gebracht worden ist, hilft, das zu vermeiden. Langfristig müssen darüber hinaus Steuern weiter gesenkt werden. Vor allen Dingen muss das Steuersystem vereinfacht werden. Sie haben überhaupt nichts vereinfacht. ({8}) Alles ist komplizierter geworden. Das ist gerade für den Mittelstand besonders schlimm. Wir haben ein klares, einfaches Steuermodell: 15, 25 und 35 Prozent und Schluss damit. Die Grünen haben im Bundestag die Maske fallen lassen. ({9}) Jelena Hoffmann ({10}) Der Obergrüne, Herr Joseph Fischer, hat hier das Ende des Niedrigsteuerstaats verkündet. ({11}) Also will er einen Hochsteuerstaat. ({12}) Dann kommt Rezzo Schlauch, hechelt hinterher und verkündet das Ende des Minimalstaats. Ich weiß nicht, in welchem Land der lebt. Wir haben rund 50 Prozent Staatsanteil in Deutschland. Wollen Sie wieder 70 Prozent oder wollen Sie eine totale Staatswirtschaft in Deutschland? ({13}) Dann kommt noch Herr Bsirske, ein Grüner, Vorsitzender der ÖTV, jetzt von der Gewerkschaft Verdi, die nach dem Zusammenschluss ständig Mitglieder verliert. Der will die Vermögensteuer wieder einführen. Das ist doch klar die Marschrichtung grüner Politik. Herr Fischer sagt: „Ende des Niedrigsteuerstaats“, Herr Schlauch sagt: „Ende des Minimalstaats“ und Herr Bsirske, ein Grüner, fordert die Einführung der Vermögenssteuer. ({14}) Das ist ein tolles Programm. Da wird klar, was Grüne wollen: Mehrbelastung, höhere Steuern, mehr Staat, mehr Staatseinfluss. Das ist genau die falsche Richtung. So senken wir in Deutschland die Arbeitslosigkeit nie. So erreichen wir auch nie einen Fortschritt in der Wachstumsdynamik. ({15}) Hier liegen Sie absolut falsch. ({16}) Hören Sie lieber zu und denken Sie nach. Sie sollten einmal ernst nehmen, was die Menschen denken. Die Arbeitslosigkeit steigt in diesem Jahr von Monat zu Monat. Die Sachverständigen sagen vorher, dass die Arbeitslosigkeit im Winter eine Höhe von 4,3 Millionen erreichen wird. Sie müssen die Menschen, die mit ihren Familien draußen stehen und Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes haben, ernst nehmen. Aber für die tun Sie nichts; darüber gehen Sie arrogant hinweg. Genau dies ist die Situation. ({17}) Auch die grünen Feigenblätter, Frau Scheel und Herr Metzger, laufen immer, wenn Unsinn beschlossen wird, draußen herum und sprechen von Steuersenkungen und Vereinfachungen. Herr Metzger sprach erst jetzt wieder von dem bürokratischen Monster der 630-DM-Verträge. Aber sie sind Unsinn. All diejenigen, die draußen lautstark Kritik üben, haben hier in diesem Hause die Hand gehoben und zugestimmt. Es ist unaufrichtige Politik, so vorzugehen. ({18}) Die nächste Chance, die Steuern zu erhöhen, werden die Grünen morgen haben. Morgen werden die Erhöhungen der Tabak- und der Versicherungsteuer beschlossen. Dies ist ein weiterer Schritt in der Strategie der Grünen hin zu Nullwachstum. Bald werden sie ihr Ziel erreicht haben. Meine Damen und Herren, Sie sehen, dass alle Bereiche falsch strukturiert sind. Ein Beispiel ist die Ökosteuer: In Deutschland bezahlen wir die Rentenversicherungsbeiträge an der Tankstelle. Wer jetzt weniger Auto fährt, gefährdet die Sozialkassen. ({19}) Die Schlussfolgerung daraus ist: Rasen für die Rente. Ein anderes Beispiel ist die Raucherbesteuerung nach der Devise „Sicherheit durch Tabak“. Wer jetzt weniger raucht - Frau Fischer, unsere ehemalige Gesundheitsministerin, raucht ja Gott sei Dank viel -, gefährdet damit die Sicherheit. ({20}) Wahrscheinlich werden Sie bald entdecken, dass Sie jahrelang sträflich den Zivilschutz vernachlässigt haben. Vielleicht kann man ja auch noch das Trinken besteuern. Dann müssen wir noch „saufen“ für die zivile Sicherheit in diesem Lande. ({21}) Das nenne ich ein wirklich rundes Konzept für mehr Arbeitsplätze in Deutschland! Ausschlaggebend ist, dass Sie es geschafft haben, das Klima für den Mittelstand in diesem Land ganz entscheidend kaputt zu machen. ({22}) Die Unternehmer haben einfach keine Lust und Freude mehr daran, Unternehmer zu sein, wenn sie mit dem Verdacht, sie würden Umsatzsteuer hinterziehen, politisch kriminalisiert werden, wenn sie eine Zwangsteilzeit auferlegt bekommen, wenn sie nicht nur mit ihren Mitarbeitern, sondern auch mit den Gewerkschaftsfunktionären sprechen müssen und wenn sie als Scheinselbstständige eingestuft werden. Dadurch haben Sie ein Klima geschaffen, das exakt dazu führt, dass im Mittelstand große Schwierigkeiten bestehen. Aber er ist der Hoffnungsträger für Arbeitsplätze in Deutschland. Die Großkonzerne haben schon Stellenstreichungen angekündigt: Siemens in der Größenordnung von 17 000, die Post von 5 000 und die Hypo-Vereinsbank von 9 000. ({23}) - Ja, aber so ist es. Wir sind für die Mittelständler und die kleinen Leute. Die Hilfeschreie des Mittelstandes überhören Sie geflissentlich. ({24}) Wenn das Handwerk heute verkündet - AP hat es gemeldet -, dass 200 000 Arbeitsplätze im Mittelstand akut gefährdet sind, ({25}) dann müssten bei Ihnen alle Alarmglocken schrillen, sodass Sie eine Trendumkehr vornehmen. Weil Sie dies nicht tun, ist die Situation so, dass wir mit unserem Nullwachstum das Schlusslicht in Europa sind. ({26}) Kein Land der Europäischen Union ist hinsichtlich seiner Wachstumsrate in einer schlechteren Situation als Deutschland. Dies ist das Ergebnis Ihrer Politik. Ich bin sicher, dass Werner Schulz, wenn er später spricht, wieder als Hofsänger von Rot-Grün verkünden wird, dass wir das Land nicht schlecht reden sollen. Aber irgendwann müssen Sie die Wahrheit einmal hören, damit Sie vielleicht nachdenken und ihre Politik verändern. Entscheidend ist, dass der Mittelstand durch dieses Klima und solch eine Stimmung extrem behindert wird. Denn Mittelstand ist auch eine Geisteshaltung, die Geisteshaltung, sich etwas zuzutrauen, etwas anzupacken und Hand anzulegen, statt die Hand aufzuhalten. ({27}) Sie haben den Arbeitsmarkt nicht flexibilisiert. Es rächt sich fatal, dass Sie in diesem Bereich nichts getan haben. Die bescheidenen Reformen der alten Regierung - sie hätte mehr tun müssen - haben Sie als Erstes aufgehoben. ({28}) Jetzt wundern Sie sich, dass es mit dem Arbeitsmarkt nicht aufwärts geht. Die Zahl von 4,3 Millionen Arbeitslosen ist eine dramatische Zahl. Leider müssen wir noch so manches befürchten. Denn die Folgen des 11. September sind in die aktuellen Konjunkturdaten noch gar nicht mit eingegangen. ({29}) Frau Fischers Gesundheitspolitik ist gescheitert. Daraufhin ist sie geschasst worden. Auch in dem Bereich der Gesundheitsreform tun Sie nichts mehr, weil Sie Angst haben, den Bürgern vor der Wahl die Wahrheit zu sagen und die möglichen Lösungen umzusetzen, damit wir vorankommen. ({30}) Ich möchte Ihnen noch einen konkreten Vorschlag für den Fall, dass Sie die Arbeitslosenversicherung reformieren, mit auf den Weg geben: In die Arbeitslosenversicherung haben Sie sehr viel hineingepackt. Die Fremdlasten der Arbeitslosenversicherung betragen rund 25 Milliarden DM. Reduzieren Sie die Arbeitslosenversicherung wieder auf eine Versicherung gegen Einkommensausfall durch die wirtschaftliche Entwicklung. Dann können Sie den Beitrag sogar um zwei Punkte senken. Aber senken Sie ihn doch wenigstens um einen Punkt, damit die Differenz zwischen Brutto und Netto geringer wird, damit die Anreize zur Schwarzarbeit in diesem Land geringer werden und damit die Lohnnebenkosten in diesem Land wenigstens ein bisschen gedämpft werden. ({31}) Sie kommen ja nicht unter 40 Prozent, wie Sie verkündet haben, sondern marschieren im Eilschritt auf 43 Prozent zu. Das ist natürlich auch ein Faktor, der die Neigung des Mittelstandes, Neueinstellungen vorzunehmen und neue Arbeitsplätze zu schaffen, sehr erhöhen wird. ({32}) Sie haben gerade im Bereich des Mittelstandes noch die Chance, durch schnelles Handeln die Weichen anders zu stellen; wenn Sie nichts tun, wird es weiter so laufen wie bisher. Die Arbeitslosigkeit wird weiter von Monat zu Monat steigen. Sie zerstören das Klima in einem Sektor, der für die gesellschaftliche Stabilität im Land entscheidend ist. Der Mittelstand ist nicht nur Beschreibung kleiner und mittlerer Unternehmen, sondern er ist der Anker in unserer Gesellschaft. ({33}) Mittelständler sind Menschen, die mit ihrem Vermögen, mit ihrem Eigentum voll für ihre Entscheidungen einstehen, anders als Funktionäre, die im Extremfall ihren Arbeitsplatz verlieren und eine Abfindung bekommen, ({34}) Das sind Leute, die ihr komplettes Eigentum verlieren können, wenn sie Fehlentscheidungen treffen. ({35}) Deshalb ist es besonders wichtig, die Qualität von Entscheidungen im Mittelstand in unserem Land zu erhalten. Deshalb ist eine gute Mittelstandspolitik auch eine gute Beschäftigungs- und eine gute Wachstumspolitik. Wer dem Mittelstand faire Chancen gibt, gibt auch der Wirtschaft faire Chancen für ihre Entwicklung. Noch haben Sie Zeit, das Allerschlimmste zu verhindern. Das gelingt nicht, wenn Sie weiter uneinsichtig den Mittelstand knebeln, ihn behindern, statt ihm Freiraum zu geben, wenn Sie ihn mit noch mehr Bürokratie belasten. Diejenigen, die in diesem Land etwas machen wollen, bekommen geradezu bürokratische Handschellen angelegt. ({36}) - Sie können mitschreiben, damit Sie es verstehen. Ich weiß, der erste Versuch kommt bei Ihnen nicht an, aber Sie haben die Chance, die Rede nachzulesen. Beim dritten Mal werden Sie vielleicht die Kernpunkte erkennen. ({37}) Deshalb ist es gut, dass es Protokolle gibt. Entscheidend ist die Weichenstellung für den Mittelstand. Hierin liegt die einzige Chance, die weitere verheerende Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt abzuwenden. Es ist klar, dass Sie von der PDS da nicht mitkommen. Sie träumen immer noch vom Staatssozialismus. Er ist schon gegen die Wand gefahren. Aber Sie haben jetzt neue Verbündete, die offenbar Ihre früheren Fehler wiederholen wollen. Vielen Dank. ({38})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe nunmehr der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, der Kollegin Margareta Wolf, das Wort.

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man muss sich als Parlamentarier bisweilen die Frage stellen, mit wem Herr Brüderle überhaupt spricht, wenn er in diesem Hohen Haus eine Rede hält und vorgibt, mit uns zu sprechen. ({0}) Ich kann mich nicht erinnern, von Herrn Brüderle in den letzten zweieinhalb Jahren schon einmal eine andere Rede gehört zu haben. ({1}) Herr Brüderle, vielleicht sollten Sie sich einmal bei den Verbänden und beim Mittelstand erkundigen, wie die Ihre platten Schönwetterreden finden. In ihnen ist kein Konzept enthalten. ({2}) Vielleicht sollten Sie sich dort auch einmal erkundigen, was sie von Ihrer Regierungsfähigkeit halten. Es gab nie so hohe Steuern in Deutschland wie unter Schwarz-Gelb - Ihre Partei hat meistens den Wirtschaftsminister gestellt -, es gab nie eine so hohe Haushaltsverschuldung wie unter einem FDP-Wirtschaftsminister, es gab auch nie so hohe Lohnnebenkosten. ({3}) Das, was Sie hier gerade wieder abgeliefert haben, spricht auch nicht dafür, dass Sie etwas hinzugelernt hätten. ({4}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, erlauben Sie mir zu Beginn meines Beitrages, den Wirtschaftsminister zu entschuldigen. Er hätte gern an dieser Debatte teilgenommen, liegt aber mit einer sehr schmerzhaften Krankheit zu Bett. Ich hoffe, dass Sie dafür Verständnis haben. Einer aktuellen Umfrage des Bundesverbandes der jungen Unternehmer zufolge erwartet jeder dritte deutsche Mittelständler trotz der sich abschwächenden Konjunktur steigende Gewinne. Das sollten wir positiv zur Kenntnis nehmen. Ähnliche Umfragen gibt es von der KfW und von den Wirtschaftsjunioren. Auch die Zahl der Beschäftigten steigt laut diesen Umfragen. 27,8 Prozent wollen zusätzlich Personal einstellen, 21,8 Prozent dagegen Personal abbauen. Wir haben heute Morgen über die Beteiligung der Bundeswehr und die Bereitstellung deutscher Einsatzkräfte gesprochen. Wir wissen alle, dass seit dem 11. September in unserer Bevölkerung und in unseren Betrieben eine große Verunsicherung herrscht. Von daher wäre es, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, im Interesse des Gemeinwohls und auch im Interesse unserer Wirtschaft und der Beschäftigung, wenn wir fraktionsübergreifend auf Nebelkerzenwerferei verzichten und eher gemeinsam darum werben würden, dass weiter in unserem Land investiert wird. ({5}) Wir haben in Europa insgesamt im Moment eine sehr schlechte wirtschaftliche Situation; das will ich gar nicht kleinreden. Wir haben eine Rezession in Japan und in Amerika. Aber zu sagen, dass wir nichts für den Mittelstand tun und hier Wahlkampfhuberei veranstalten, ist schlicht und ergreifend unverantwortlich. ({6}) Wir werden für den Mittelstand allein in diesem Jahr 5,6 Milliarden Euro über ERP und Eigenkapitalhilfe ausgeben. Die KfW und die DtA reichen in diesem Jahr ein Volumen von mehr als 7,5 Milliarden Euro für den Mittelstand durch.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst Hinsken?

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Ich möchte jetzt erst einmal diese Punkte zu Ende bringen. Herr Hinsken, immer gerne, aber jetzt bringen Sie mich bitte nicht aus dem Konzept. ({0}) - Ich finde die Situation, auch die wirtschaftliche, wirklich nicht lustig. ({1}) Ein zweiter Punkt, der auf der Tagesordnung steht - und das schon seit Jahrzehnten, Herr Kollege Hinsken ist die Unternehmensnachfolge. Darum hat sich bis 1998 kein Mensch gekümmert, ({2}) mit der Folge, dass wir im Moment 80 000 Unternehmen pro Jahr haben, bei denen die Nachfolgefrage nicht geklärt ist. ({3}) Daran hängen auch zahlreiche Arbeitsplätze. Wir haben im Mai zusammen mit den Verbänden des Handwerks, der Wirtschaft und der freien Berufe eine Kampagne beschlossen, Herr Kollege Kolb, bei der wir gemeinsam die Fragen der Unternehmensnachfolge regeln. Der Deutsche Steuerberatertag hat sich am Montag mit der Frage beschäftigt; denn es ist eine ganz wichtige Frage für die Zukunft unseres Standortes Deutschland. Die Kollegin Hoffmann hat darauf hingewiesen: Wir haben in den letzten zweieinhalb Jahren über 40 Ausbildungsberufe modernisiert und wir haben 20 neue Ausbildungsordnungen geschaffen, zusammen mit den Sozialpartnern. Das war ganz wichtig. Vor allem in den neuen Berufen entstehen zahlreiche neue Ausbildungsplätze, die auch nachgefragt werden. Ich finde, das ist ein sehr positiver Punkt. Nächster Punkt. Wir haben das Meister-BAföG reformiert. Herr Catenhusen hat vorhin schon darauf hingewiesen. Ihres funktionierte nicht. Jetzt unterstützen wir ganz direkt die Meisterschüler und sind sehr optimistisch, dass das endlich greift. Nächster Punkt. Wir haben die Kampagne „Familienfreundlicher Betrieb“ gestartet, weil wir natürlich wissen, dass die Betriebe aufgrund der demographischen Entwicklung in zwei, drei Jahren qualifiziertes Personal nachfragen werden. Sie alle wissen, dass Frauen heute besser qualifiziert sind als Männer. Hier sind wir tätig. Mit unserem Außenhandelsportal, das wir mit den Verbänden gegründet haben - Ixpos -, tun wir auch etwas für die Exportfähigkeit des deutschen Mittelstandes. Außerdem haben wir - um dies als Letztes zu nennen - seit 1998 42 Existenzgründerlehrstühle gegründet. ({4}) Ich könnte zahllose weitere Beispiele nennen und darüber referieren. Ich erspare mir das jetzt. Wir haben hier ein umfassendes Programm vorgelegt, das Sie einmal studieren sollten. ({5}) Zu den Steuern. Schon in diesem Jahr entlasten wir den Mittelstand durch die Steuerreform um 13,7 Milliarden DM. Insgesamt - man kann es nicht oft genug sagen - wird die Entlastung des Mittelstandes 30 Milliarden DM betragen. ({6}) Unsere Reform ist solide finanziert. Indem wir sie stufenweise verwirklichen, tragen wir dem elementaren Ziel der Haushaltskonsolidierung Rechnung. Ich freue mich darüber, dass wir von sehr ordnungspolitisch gestrickten Journalisten, wie zum Beispiel Herrn Barbier, hierbei nachhaltig unterstützt werden. Die Opposition muss uns einmal sagen, ob sie Haushaltskonsolidierung will oder neuerdings ein absoluter Keynes-Anhänger ist und eine Politik des schnellen Geldes vertritt. Gestern konnten wir im „Handelsblatt“ lesen, dass Konsolidierung das beste Wachstumsprogramm sei. Dort bescheinigt ein Wissenschaftler, nämlich Joachim Scheide, dieser Bundesregierung Folgendes: Eine neue Welt in der Finanzpolitik scheint sich anzubahnen, waren doch zuvor Haushaltslöcher häufig dadurch gestopft worden, dass man Steuern oder Sozialabgaben erhöhte. Damit haben wir aufgehört. ({7}) Wir werden durch ein Konsolidierungsprogramm auf dem Wachstumspfad fortschreiten. Das sind wir schon unseren Kindern schuldig. ({8}) Im Übrigen wissen Sie auch, dass die jüngsten Empfehlungen des Kieler Instituts genau in diese Richtung weisen, nämlich in die Richtung eines konsequenten Konsolidierungskurses. Ich möchte Sie um noch eines bitten: Hören Sie endlich auf mit der These, die Steuerreform benachteilige die Wirtschaft. Sie kennen die Deutsche-Bank-Research-Studie und Sie kennen die Boston-Consult-Studie. Ich könnte Ihnen jetzt zahllose Studien präsentieren. Das mache ich aber nicht. Diese These stimmt schlicht und ergreifend nicht. ({9}) Was Sie vertreten, Herr Kolb, zeigt letztlich nur, dass Sie die Komplexität der Fragestellung offensichtlich immer noch nicht ausreichend erkannt haben, wenngleich wir jede Woche in diesem Haus eine Lehrveranstaltung dazu durchführen. ({10}) - Nein, die Mittelständler sind nicht zu blöd. Mit denen rede ich - im Gegensatz zu Ihnen - täglich. Ein Vergleich von Durchschnittssteuersätzen greift entschieden zu kurz. Das aber machen Sie immer. Bei einem soliden Vergleich muss zum Beispiel in beiden Fällen an den Durchschnittssteuersätzen angesetzt werden - ich glaube, das wissen Sie eigentlich auch -, muss die Gewerbesteueranrechnung bei Personenunternehmen berücksichtigt werden, muss das Ausschüttungsverhalten der Kapitalgesellschaften in die Überlegungen einbezogen werden; nicht zuletzt darf der Blick auf die Rechtsnachfolge nicht vergessen werden. Herr Kollege Brüderle, wir werden unseren mittelstandsfreundlichen Kurs auch mit der Fortsetzung der Unternehmensteuerreform konsequent beibehalten. Sie haben vorhin gesagt, das, was gestern im Finanzausschuss beschlossen worden ist, sei absurd. ({11}) Ich möchte aus der Pressekonferenz von Herrn Philipp zitieren. Herr Philipp ist bekanntermaßen der schärfste Kritiker dieser Bundesregierung, was vielleicht mit seinem Parteibuch zu tun hat. Zitat: Wir sehen mit Erleichterung, dass unsere Argumente für Nachbesserungen im laufenden Gesetzgebungsverfahren am so genannten Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetz bei den Vertretern der Koalitionsfraktionen überzeugt haben. Wir begrüßen es sehr, dass der Finanzausschuss gestern die Behaltefristen beim Mitunternehmererlass und der so genannten Realteilung für Personenunternehmen gestrichen hat. Auch die Nachbesserung der Reinvestitionsrücklage für Personenunternehmen durch die Ausweitung der Übertragungsmöglichkeiten auf Grundstücke und Maschinen ist aus unserer Sicht ein richtiger Schritt ... So der ZDH-Präsident Dieter Philipp. ({12})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin, gestatten Sie nunmehr eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rainer Brüderle?

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Nein, von Herrn Brüderle möchte ich jetzt keine Zwischenfrage beantworten. - Ich möchte aber nicht verhehlen, dass meine Fraktion, das Wirtschaftsministerium und auch ich es für glücklicher gehalten hätten, wenn es zu keiner Deckelung bei der Reinvestitionsrücklage gekommen wäre. Aber da kann Herr Brüderle im Kontext der Beratungen des Bundesrates vielleicht noch seine bekannten Strippen ziehen. ({0}) Dieses war nicht mit dem Prinzip der Haushaltskonsolidierung vereinbar, wenngleich ich mir wirklich gewünscht hätte, wir wären hier ohne Deckel ausgekommen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu einem weiteren Punkt kommen. Sie wissen, ein zentrales Anliegen unserer Mittelstandspolitik ist die Sicherstellung der Unternehmensfinanzierung. Das betrifft sowohl die Bereitstellung von Eigen- wie von Fremdkapital. Auf ERP, KfW, DtA und die Eigenkapitalhilfe habe ich vorhin hingewiesen. Im Hinblick auf Basel II setzt sich die Bundesregierung intensiv dafür ein, dass bei den neuen Regelungen für die Eigenkapitalunterlegung mittelstandspolitische Belange eine zentrale Berücksichtigung finden. ({1}) Herr Doss hat vorhin dankenswerterweise schon den Kanzler erwähnt. Wir konnten - gegen alle anderen europäischen Länder - durchsetzen, dass es eine weitere Konsultationsrunde gibt. Ich glaube, dass dies Gelegenheit bietet, Benachteiligungen gerade bei den langfristigen Krediten, wie Basel sie vorsieht, aufzuheben und die Frage der Anerkennung von Sicherheiten und den Einsatz von Retail-Portfolios im Sinne von kleinen und mittleren Unternehmen zu regeln. Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich sage auch ganz deutlich: Eine Benachteiligung deutscher Mittelständler durch Basel II wird es mit der Bundesregierung nicht geben - Punkt. ({2}) Darüber hinaus werden wir mit unserer öffentlichen Förderung weiterhin einen wichtigen Beitrag zur Kreditfinanzierung leisten. Der Stellenwert der Haftungsentlastung bei der Förderung wird immer größer. Hierzu gehören natürlich auch neue Instrumente, wie die Verbriefung von Mittelstandskrediten, die die KfW allen Gruppen der Kreditwirtschaft anbietet. Dies führt zu einer Entlastung der Banken von Kreditrisiken - das ist gerade angesichts der gegenwärtigen Wettbewerbssituation sehr wichtig - und schafft neue Spielräume für Mittelstandskredite. Darüber hinaus - wir bleiben mit dem Denken ja nicht stehen - denken wir zusammen mit der Kreditwirtschaft, vornehmlich den öffentlich-rechtlichen und den Raiffeisenbanken, über die Einführung von Globaldarlehen für Mittelstandskredite nach. Kreditinstitute würden auf diese Weise in bestimmten Segmenten eine Rahmenzusage erhalten. Nach vorgegebenen Regeln entscheiden sie dann selbst und legen auch Laufzeit und Tilgungsmodalitäten fest. Ich denke, dass diese Globaldarlehen grundsätzlich mehr Flexibilität in der Ausgestaltung von neuen, kostengünstigeren Finanzierungsmöglichkeiten für den Mittelstand schaffen würden. Der hohe Kapitalbedarf wachstumsstarker Unternehmen lässt sich - das wissen wir inzwischen alle - nur mit echtem Eigenkapital finanzieren. Hier brauchen wir die organisierten Kapitalmärkte. Die brauchen wir mehr denn je. Damit die Börsen ihre Finanzierungsfunktion wahrnehmen können, muss das Vertrauen der Anleger wieder gewonnen werden. Es muss im Falle des Neuen Marktes neu gewonnen werden. Dazu dient in erster Linie der vom Finanzminister vorgelegte Entwurf des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes, der sowohl auf eine Verbesserung des Anlegerschutzes als auch auf eine erhöhte Funktionsfähigkeit der Börsen abzielt, diese auch wettbewerbsfähig macht. Darin werden auch die von meinem Haus angeregten Vorschläge zur Einbeziehung der Arbeit der Analysten enthalten sein, die zu mehr Markttransparenz und Marktintegrität beitragen werden. Ich möchte an dieser Stelle aber auch sagen, ich finde es ausgesprochen bedauerlich, dass der Deutsche Presserat, wie ich finde, seiner Verantwortung gegenüber dem Neuen Markt nicht gerecht wird, wenn er sich aus diesem Verfahren ausgeklinkt hat. Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Abschluss vielleicht noch das eine oder andere Wort zur Bürokratie. Die Kollegin Hoffmann hat ja schon relativ viel gesagt. Vorab vielleicht ein Satz zu dem Gesetzentwurf der CDU/CSU, den wir heute beraten. Ehrlich gesagt, verehrte Kollegen, ich hätte mir unter einer Überschrift, die da heißt „Bürokratieabbau für kleine und mittelständische Betriebe“, mehr erwartet als lediglich die Änderung der Buchführungsgrenzen in § 141 der Abgabenordnung. Das steht in Ihrem Antrag drin. Erstens ist das nicht schrecklich neu; ich habe bereits im März dieses Jahres im Bericht „Abbau bürokratischer Hemmnisse“ angekündigt, dass wir die Anhebung der Buchführungspflichtgrenzen beabsichtigen. Möglicherweise ist Ihnen bekannt, dass der BMF ({3}) - hören Sie erst einmal zu Ende zu - die Länder mit Schreiben vom 19. April dieses Jahres um Stellungnahme gebeten hat und es wird nunmehr eine Entscheidung getroffen. In der Sache stimmen wir hier ganz grundsätzlich überein. Wir machen das auch. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Steuerpolitik und der Abbau von Bürokratie sind Beispiele dafür, was wir gemacht haben. Die 80 Punkte hat Frau Hoffmann schon angesprochen. Für meine Begriffe ist das Schlimmste, was wir jetzt machen können - das tun Sie leider im Moment -, Konjunkturpessimismus zu verbreiten, Schlechtreden der wirtschaftlichen Lage zu verbreiten. Wir sind hier alle gefordert, gemeinsam die Verantwortung für die kleinen und mittleren Unternehmen zu übernehmen. Eine letzte Bemerkung, Herr Präsident, zu den 630ern. Meine Fraktion wie auch das Wirtschaftsministerium sowie Herr Schartau aus NRW, wir werden mit dem Bundesarbeitsministerium, mit allen Akteuren Gespräche über eine Erleichterung führen, über den Abbau von Bürokratie in diesem Bereich. Ich könnte mir vorstellen, dass kurzfristig die Versicherungsbeiträge von einer zentralen Stelle eingezogen und dann nach einem vorher festgelegten Schlüssel von dieser Stelle an die Krankenkassen weiter verteilt werden können. Ich kann mir auch vorstellen, dass man von den monatlichen Kontrollmeldungen weg zugunsten einer Halbjahres- oder Jahresfrist kommt. Wir sind hier im Gespräch. Ich finde es wichtig, wenn uns die BfA sagt, der Verwaltungsaufwand sei für diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dreimal so hoch wie für normale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deshalb werde ich mich als Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung hier für eine Vereinfachung einsetzen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne haben der Präsident der Republik Malta und seine Delegation Platz genommen. Ich heiße Sie im Namen des Hauses herzlich willkommen. ({0}) Es ehrt uns, dass Sie im Rahmen Ihres Besuches Gelegenheit nehmen, den Deutschen Bundestag hier im Reichstagsgebäude zu besuchen. Sie vertreten ein Land, das mit Geschichte und Kultur in der europäischen Tradition tief verankert ist. Auch deswegen freuen wir uns darauf, Malta in naher Zukunft im Kreise der Mitglieder der Europäischen Union begrüßen zu können. Ich hoffe, dass Ihre Gespräche und Begegnungen hier in Deutschland dazu beitragen, die guten und vertrauensvollen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern weiter zu vertiefen. Wir wünschen Ihnen noch einen angenehmen Aufenthalt in unserem Lande und eine gute Rückkehr. ({1}) Nun liegen zwei Wünsche auf Kurzintervention vor. Ich gebe zunächst dem Kollegen Dr. Heinrich Kolb das Wort, dann dem Kollegen Ernst Hinsken. Wenn sie das möchte, kann die Parlamentarische Staatssekretärin anschließend erwidern. - Herr Kollege Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin Wolf, auch ich möchte die Gelegenheit nehmen, zunächst Ihrem Minister die besten Genesungswünsche zu überbringen. Sagen Sie ihm aber auch: Es genügt nicht, dass er gesund wird, sondern es ist an der Zeit, dass er sich wieder einmal in die wirtschaftspolitische Debatte einmischt. Das nämlich ist das Problem: In dieser Bundesregierung gibt es keine Stimme des Mittelstandes mehr. Wenn sich einmal jemand äußert - so wie Sie in der 630-MarkFrage, unterstützt von meinem Kollegen Rainer Brüderle -, dann wird das im Nachhinein als Privatmeinung hingestellt. Das ist einer der Gründe, warum die Frustration im Mittelstand in Deutschland so ausgeprägt ist: weil diese Regierung keine Ahnung mehr von den Problemen hat und sich nicht mehr damit identifiziert. ({0}) Wir müssen hier auch nicht schlechtreden, Frau Kollegin Wolf. Die Bundesregierung hat gestern im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung die Karten auf den Tisch gelegt: Sie gehen davon aus, dass wir im nächsten Jahr im Jahresdurchschnitt 3,9 Millionen Arbeitslose haben werden. Zu der Bildung eines solchen Durchschnitts gehört ganz zwangsläufig, dass die Arbeitslosigkeit in einzelnen Monaten des Jahres deutlich oberhalb von 4 Millionen liegen wird. Darüber hinaus gehen Sie in Ihren Prognosen davon aus, dass es praktisch keinen Zuwachs bei der Beschäftigung geben wird. Das ist die nackte Realität. Wir wollen Sie nur sensibilisieren, damit Sie sich endlich der Realität stellen. Das ist auch der Hintergrund dieser Debatte. ({1}) „Debatte“ heißt im Übrigen, miteinander zu reden, auch Widerspruch zuzulassen. Ich finde es schon dreist, Frau Staatssekretärin - bei allem Respekt vor der Bundesregierung -, wenn Sie sich hier hinstellen und sich, um es deutlich zu sagen, mit fremden Federn schmücken, aber gleichzeitig Zwischenfragen ausweichen. So geht es nun wirklich nicht. Wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit will ich dies nur an wenigen Punkten deutlich machen. Sie haben gesagt, wir hätten in der letzten Legislaturperiode nichts für die Existenzgründung getan. Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben die Existenzgründungsförderung auch für Unternehmensübernahmen geöffnet. Das war ein ganz entscheidender Schritt dafür, dass Unternehmensübernahmen - die ja in der Regel mit einer umfassenden Finanzierung verbunden sind - möglich geworden sind. Zum Thema Existenzgründungslehrstühle: Wenn Sie ehrlich sind, Frau Staatssekretärin, geben Sie zu, dass deren Einrichtung auf eine Initiative Ihres Vorgängers im Amt, nämlich des damaligen Staatssekretärs Heinrich Kolb, FDP, zurückzuführen ist ({2}) und dass schon in der letzten Legislaturperiode die ersten dieser Lehrstühle erfolgreich gegründet wurden. Ich sage Ihnen noch ein Letztes: Wir brauchen uns über Existenzgründungen und Unternehmensübernahmen überhaupt keine Gedanken mehr zu machen, wenn wir es nicht schaffen, in diesem Land ein Klima herbeizuführen, in dem Menschen bereit sind, sich zu engagieren und unternehmerisch tätig zu werden. Das ist das Hauptproblem der rot-grünen Politik: dass Sie zwar kokettieren mit den Unternehmen, aber nach wie vor ein klassenkämpferisch motiviertes Problem mit dem Unternehmer haben. Das eine lässt sich aber von dem anderen nicht trennen. Unternehmen ohne Unternehmer gibt es nicht. Solange Sie das nicht einsehen, haben Sie ein Problem. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Kollege Ernst Hinsken.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, wenn Sie meine Zwischenfrage zugelassen hätten, dann bräuchte ich mich jetzt nicht einzubringen. Gerade heute haben Sie wieder Dinge angesprochen, die für den Mittelstand als nachrangig zu sehen sind. Die neuralgischen Punkte aber, die den Mittelstand belasten, haben Sie einfach außen vor gelassen. Deshalb möchte ich Sie als Erstes fragen, verehrte Frau Wolf - persönlich schätze ich Sie ja -: Was haben Sie bislang - Sie sind jetzt fast ein Jahr im Amt als Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung - konkret für den Mittelstand geleistet? Als Zweites: Warum haben Sie in Ihrer Rede - Sie hatten ja eine Menge Redezeit - nicht darauf verwiesen, dass die Steuerbelastungsquote, im Gegensatz zu dem, was vorher gesagt wurde, nicht sinkt, sondern insbesondere für die Betriebe nach wie vor bei über 40 Prozent liegt? Es kann nicht sein, dass der Mittelstand hier außen vor gelassen wird. Warum haben Sie nichts zu dem Versprechen der Bundesregierung gesagt, die Sozialquote auf unter 40 Prozent zu senken? Warum haben Sie nicht angesprochen, dass die Bundesregierung, insbesondere Bundeskanzler Schröder, vor drei Jahren zugesagt hat, die Staatsquote zu senken? Überall gibt es Erhöhungen; ansonsten tut sich beim Mittelstand nicht viel. Sie bringen, wie ich eingangs sagte, sehr viele unbedeutende Dinge ein; ich möchte sie nicht noch einmal der Reihe nach vortragen. Warum haben Sie nichts zu den großen Themen gesagt, die insbesondere den Mittelstand belasten, zum Beispiel zur 630-DM-Regelung, zur Verschlechterung der Bedingungen befristeter Arbeitsverhältnisse, zu den von dieser Regierung zurückgenommenen Kürzungen bei der Lohnfortzahlung, zur weiteren Senkung der Schwellenwerte im Rahmen der Kleinbetriebsregelung, zu dem den Mittelstand sehr belastenden Betriebsverfassungsgesetz - Kollege Doss hat bereits darauf hingewiesen -, das einfach durchgepaukt wurde und ein Schlag in das Gesicht des Mittelstandes ist, oder zur Einführung eines Rechtsanspruches auf Teilzeitarbeit? Frau Wolf, ich frage Sie: Was haben Sie konkret für den Mittelstand getan? Auf öffentlichen Veranstaltungen werden wir immer wieder gefragt, was wir für den Mittelstand tun. Wir müssen dann immer kleinlaut darauf verweisen, dass wir in der Opposition sind und dass sich die Menschen noch ein bisschen gedulden müssen, Herr Staffelt, bis wir wieder an der Regierung sind, um dann erneut eine Mittelstandspolitik aufzulegen, die der Mittelstand benötigt. Diese wird die Bundesrepublik Deutschland nach vorne bringen und nicht dazu führen, dass, wie allein im letzten Jahr geschehen, 50 000 mittelständische Betriebe in Insolvenz gegangen sind. Das waren übrigens 18 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Das berührt den Mittelstand. Dazu haben Sie nichts gesagt. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin Wolf, bitte.

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Herr Hinsken, ich würde gerne einmal von Ihnen zu einer solchen Veranstaltung eingeladen werden, auf der Sie kleinlaut darauf verweisen, dass Sie leider nicht an der Regierung sind. Ich würde gerne einmal erleben, dass Sie kleinlaut sind. ({0}) Aber dies nur als Vorbemerkung, Herr Kollege. Auch ich schätze Sie. Herr Kollege Hinsken, Sie haben gerade wieder den gesamten Katalog von der Teilzeitarbeit bis hin zur Betriebsverfassung heruntergebetet. Ich werde schriftlich darauf eingehen. Denn wir sprechen hier andauernd darüber. In jeder Sitzungswoche gibt es eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema. Aber auf zwei Punkte möchte ich eingehen: Zunächst zur Betriebsverfassung. Das entsprechende Gesetz gibt es - das wissen Sie - seit 1921. Das haben nicht wir erfunden. ({1}) Es wurde regelmäßig modifiziert. ({2}) - Es ist einfach so. Dass in kleinen und mittleren Unternehmen Betriebsräte gebildet werden, steht seit 1921 im Gesetz. ({3}) - Herr Hinsken, wenn Sie mir jetzt nicht zuhören, werden Sie mir in der nächsten Woche die gleiche Frage stellen. Für die kleinen und mittleren Unternehmen ändert sich tatsächlich nur das Wahlverfahren. Für größere Unternehmen mit mehr als 200 Arbeitskräften - Stichwort: Schwellenwertabsenkung - ändert sich wirklich etwas. Das ist richtig. ({4}) - Er hat ja über die kleinen und mittleren Unternehmen gesprochen. Nächster Punkt: die Teilzeitarbeit. Sie haben mich gefragt, was ich durchsetzen konnte. Das Ministerium konnte durchsetzen, dass nach zwei Jahren überprüft wird, ob das Teilzeitgesetz tatsächlich eine taugliche Grundlage dafür ist, in den Betrieben mehr Teilzeitbeschäftigung durchzusetzen. ({5}) Wenn es dies nicht ist, wird darüber zu diskutieren sein, ob dieses Gesetz nicht abgeschafft werden sollte. ({6}) Im Vergleich zu allen anderen europäischen Staaten hatten wir bis 1998 ein geringes Volumen an Teilzeitarbeitskräften. Deshalb haben wir dieses Gesetz beschlossen. Es greift aber erst bei Betrieben ab 16 Mitarbeitern. Auf den Rest Ihres Kataloges, Herr Hinsken, werde ich schriftlich eingehen - denn ich habe ja nur eine geringe Redezeit -, damit Sie auf Ihren Veranstaltungen nicht mehr kleinlaut sein müssen. Eines möchte ich noch im Hinblick auf den Bürokratieabbau feststellen: In Zusammenarbeit mit den Ländern haben wir durchgesetzt - Sie können sich vorstellen, dass das relativ schwierig war -, dass man Handelsregistereintragungen, Lohnsteuer- und Einkommensteuererklärungen, Gewerbeanmeldungen jetzt online, das heißt über das Internet, vornehmen kann. Wir verhandeln mit den Ländern über eine einheitliche Wirtschaftsnummer. Das würde ein erhebliches Maß an Bürokratie abbauen. Wir haben das Land Bayern dankenswerterweise dafür gewinnen können, mit uns einen Probelauf hinsichtlich der Einführung einer einheitlichen Wirtschaftsnummer durchzuführen. Meinem Hause und meiner Fraktion möchte ich auch das zugute halten, was gestern im Finanzausschuss im Zusammenhang mit den Begriffen Reinvestitionen, Mitunternehmererlass und Realteilung beschlossen worden ist. Das ist den mittelstandspolitischen Aspekten der Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung ganz maßgeblich im positiven Sinne anzulasten. ({7}) - Herr Kolb, stellen Sie mir eine Frage und ich beantworte sie. Das Krakeele, das Sie in jeder Debatte anfangen, ist kein Beitrag. Man kann kaum sein eigenes Wort verstehen. Was haben wir gemacht? ({8}) Herr Kolb, Sie haben Recht: Sie haben sich in der Zeit, in der Sie den Job hatten, den ich heute habe, um die Frage der Finanzierung bei einer Unternehmensnachfolge wirklich gekümmert. ({9}) Aber Unternehmensübernahmen sind ein breit angelegtes Problem. Dem haben wir uns zugewandt. Es ist weniger eine Frage des Geldes als vielmehr ein psychologisches Problem. Herr Hirche, lachen Sie ruhig, aber es ist so, dass unser alter guter Mittelstand mit der Herr-im-Haus-Mentalität die Übergabe eher als einen Verlust von Lebensleistung wahrnimmt. ({10}) Deshalb müssen wir diese Frage aus ihrer Nische herausholen. Der Verlust der Lebensleistung tritt erst dann ein, wenn der Betrieb nach dem Ausscheiden nicht qualifiziert weitergeführt wird. Daher müssen wir dem Mittelständler vornehmlich mit den Steuerberatern helfen und ihm sagen: Dein Lebenswerk lebt nur dann weiter, wenn du dich frühzeitig um eine Nachfolge kümmerst. Das ist ein schwerwiegendes psychologisches Problem, mit dem wir uns beschäftigen. Es ist richtig, dass das Bundeswirtschaftsministerium meines Wissens ab 1996 mit der DtA in Richtung Existenzgründungen etwas angeschoben hat. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, hatten wir 1998 zwei Existenzgründerlehrstühle. Jetzt sind es 42. ({11}) Wir haben hier sehr viel getan. Wir führen inzwischen auch Unternehmenswettbewerbe in den Schulen durch, um damit die Schulen für die Wirtschaft zu öffnen, weil wir genau diese neue Unternehmenskultur für mehr Selbstständigkeit in diesem Land etablieren wollen. Ich bedanke mich. ({12})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der PDS erteile ich dem Kollegen Rolf Kutzmutz das Wort.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben im März dieses Jahres über einen Teil der heute vorliegenden Anträge geredet. Weitere Anträge sind hinzugekommen. Während die Koalition erklärt, alles was sie tue, sei gut und diene dem Mittelstand, kommt aus der CDU/CSU und der FDP permanent der Ruf nach Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform. Aus meiner Sicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, geht Ihre Forderung am Leben vorbei. 30 Milliarden DM an vorgenommenen Steuersenkungen haben nicht zu einer Stabilisierung oder gar zu einem Aufschwung in der Wirtschaft geführt. Die Rezession ist da oder zumindest in Sicht. Ostdeutschland trifft sie besonders hart. Woher nehmen Sie die Gewissheit - das frage ich mich immer wieder, wenn Sie Ihre Anträge vorstellen -, dass weitere Steuersenkungen das Handeln der Wirtschaft im gewünschten Maße beeinflussen? ({0}) Steuerausfälle wären in jedem Fall die Folge. Dann würden Sie wieder nach Geld vom Staat zur Förderung des Mittelstandes rufen, das nicht vorhanden ist. In bewegten Zeiten wie jetzt sind Verlässlichkeit auch der fiskalischen Rahmenbedingungen gerade für die Wirtschaft wichtiger als ungedeckte Schecks auf die Zukunft. ({1}) Was haben denn Bushs milliardenschwere Steuerschecks wie auch die Zinspolitik der Fed in den USA bisher gebracht? Nichts. Der 11. September dieses Jahres hat die Welt verändert. Angst und Unsicherheit schlagen ebenso wie der Krieg in Afghanistan auf die Wirtschaft durch. Für diesen Krieg werden Sie sich mit haftbar machen, wenn Sie dem Antrag folgen, der heute früh gestellt wurde. Er fördert weder Zuversicht noch Vertrauen. ({2}) Unsicherheit ist die eine Seite der Wirtschaftslage. Wer aber jetzt, wie es bei den Vorrednern Herrn Doss und Herrn Brüderle zu hören war, wieder darüber philosophiert, Spitzensteuersätze zu senken, der kurbelt nicht die Wirtschaft an, sondern nur die Umverteilung von unten nach oben. Soziale Netze werden zwangsläufig zerrissen. Noch mehr Menschen geraten ins gesellschaftliche Aus. Von deren Kaufkraft aber hängen gerade die Mittelständler ab. Den Mittelstand gibt es nicht, obwohl wir uns das immer wieder vormachen. Es gibt eine Vielfalt an Definitionen. Viele ziehen die Grenze bei 500 Beschäftigten. Die EU hat schon 1996 die Obergrenze bei 250 Beschäftigten festgelegt. Herr Schauerte hat eine eigene Definition. Er sagt - ich zitiere aus dem Kopf, Sie können mich berichtigen -: Jeder, der Pleite gehen kann, ohne dass der Staat eingreift, ist ein Mittelständler. ({3}) Es gibt noch eine weitere Definition. Ich habe sie in der vergangenen Woche von einem Herrn der Dresdner Bank gehört. Diese Definition hat mich wirklich fasziniert. Er hat gesagt: Bei uns ist jeder ein Mittelständler, der eine Mark Umsatz macht. Ich sage Ihnen: Ausgerechnet die Dresdner Bank, die sich von den Mittelständlern verabschiedet hat und diese bittet, die Bank zu wechseln, weil sie zu viel Arbeit machten, bietet eine solche Definition zum Mittelstand. Deshalb ist es falsch, vom Mittelstand an sich zu sprechen. Wir müssen die Differenziertheit des Mittelstandes zur Kenntnis nehmen. ({4}) Ich selbst bin im Offenen Wirtschaftsverband kleiner und mittlerer Unternehmer, Selbstständiger und Freiberufler organisiert. In diesem Verband sind Unternehmer organisiert, in deren Betrieben zwei, drei, zehn und - darauf bin ich ganz stolz - 30 Mitarbeiter beschäftigt sind. Solche Betriebsgrößen sind in Ostdeutschland der Regelfall. Sie selber haben immer auf die 500 000 Selbstständigen und die 3,2 Millionen Beschäftigten hingewiesen. Man braucht keine Eins in Mathematik und kein Abitur, das man erst nach 13 Schuljahren machen kann, um den Durchschnitt auszurechnen. Ich sage Ihnen eines: Diese Selbstständigen haben nichts von der Diskussion über die Höhe des Spitzensteuersatzes. Die haben auch keine Anteile an Kapitalgesellschaften, die sie verkaufen könnten, um einen Vorteil zu erzielen, der sich in einer kleinen, begrenzten steuerfreien Investitionsrücklage ausdrückt. Wie viele Mittelständler kennen Sie, die, gemessen an der Zahl der Beschäftigten und der geschaffenen Arbeitsplätze, unter diese Regelung fallen? ({5}) Mittelständischen Betrieben in der Größenordnung, wie ich sie vorhin aufgelistet habe, hilft höchstens eine befristete steuerfreie Investitionsrücklage für ihre laufenden Einkünfte. Aber vor allem muss es um eine dezentrale Strukturpolitik, um mehr Aufträge, um eine bessere Zahlungsmoral und um weniger Bürokratie gehen - darin stimmen wir überein -, wenn die öffentliche Hand den Mittelstand tatsächlich fördern will. ({6}) Da helfen keine Selbstbeweihräucherung, kein Aussitzen und auch keine Kampagnen. In der gestrigen Sitzung des Unterausschusses ERP wurde zum Beispiel festgestellt, die Nachfrage nach Existenzgründer- und Mittelstandsdarlehen sei dramatisch rückläufig. Aber es wird nicht als Erstes darüber nachgedacht, wie man schnellstens neue Förderinstrumente entwickeln kann, damit in diesem Bereich wieder Arbeitsplätze geschaffen werden. Nein, es wird konstatiert: Es gibt keine Liquiditätsprobleme, um den Anteil von Daimler-Chrysler an den milliardenschweren Kosten für die Entwicklung eines Superjumbos zu einem Drittel vorzufinanzieren. Allein dieses kleine Beispiel zeigt: In der Ordnungspolitik muss umgesteuert werden. Dazu gehört für uns natürlich auch das Austrocknen der Schwarzgeldströme der Terroristen. Aber auch Steuerbetrug muss bestraft und vor allen Dingen gesellschaftlich geächtet werden; denn aus gesetzlichen Steuerlasten tatsächliche zu machen hilft, öffentliche Haushalte zu konsolidieren und verlässlich in Arbeitsplätze mündende Investitionen zu organisieren. Solche Arbeitsplätze, meine Damen und Herren von der Koalition, entstehen jedoch kaum auf sechsspurigen Autobahnen. Da hat ein Mittelständler keine Chance. Die hat er vielmehr vor Ort, bei der Befriedung des regional ermittelten Infrastrukturbedarfs. Es muss also über wachsende statt sinkende kommunale Investitionspauschalen geredet werden. Nehmen wir ein Beispiel für eine mittelstandsfreundliche Energiepolitik. Statt um das für den Jahreswechsel geplante „Verhinderungsgesetz“ für Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen muss es um eine konsequent vorangetriebene Energiewende gehen. ({7}) Noch mehr erneuerbare Energien und dezentrale KWKAnlagen wären nicht nur praktizierte Sicherheitspolitik, wenn ich an die seit dem 11. September zu Recht stärker gewordenen Ängste vor den Gefahren der Atomkraftwerke und ihrer Abfälle denke. Sie wären auch nicht nur praktizierte Umweltpolitik, sondern eben auch Mittelstandspolitik. Sie hilft nicht nur den überwiegend mittelständischen Anlagenbauern, sondern schafft und sichert viel mehr Arbeit für Wartungsunternehmen und andere Dienstleister, als es in bestehenden Großanlagen möglich ist, und das ohne einen einzigen Steuercent; denn die Beschaffung und Verteilung öffentlicher Mittel sind nur eine Seite der Medaille. Bessere Zahlungsmoral - darauf habe ich schon hingewiesen; Herr Hinsken hat mir sogar zugestimmt - und ein neue Chancen schaffendes Insolvenzrecht beispielsweise würden Kreativität für neue zusätzliche Arbeitsplätze ebenfalls viel eher als noch so niedrige Steuern freisetzen. Ebenso sollten Vorschläge zur Entbürokratisierung wie der heute in erster Lesung beratene CDU/CSU-Antrag zur steuerlichen Buchführungspflicht von der Koalition ernsthaft und ohne Ansehen ihrer Herkunft geprüft werden. Wenn die Staatssekretärin sagt: „Wir sind in einem Boot; wir stimmen darin überein“, dann halte ich es für notwendig und richtig, das kurzfristig umzusetzen. Das gilt natürlich auch für Anträge der PDS. Ich finde es schon bemerkenswert, wenn die „Berliner Zeitung“ in ihrer Ausgabe vom 31. Oktober, also nach der Wahl in Berlin, unter der Überschrift „Berliner Wirtschaft fordert transparente Verwaltung“ den Chef eines Berliner Wirtschaftsklubs mit folgenden Worten zitiert: Um Verfahren effektiv zu gestalten, können wir uns gut an Mecklenburg-Vorpommern orientieren. In der Tat arbeitet das seit April bestehende neue Tandem aus Arbeitsminister Helmut Holter und Wirtschaftsminister Otto Ebnet vergleichsweise gut, auch und gerade für die Mittelständler und die Existenzgründer. ({8}) - Das ist doch ein Minister Ihrer Partei. Sie können aufstehen, wenn Sie wollen. Er ist übrigens ein Bayer. Dann können die anderen auch noch aufstehen. Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Strukturpolitik werden von beiden Ministern als Beschäftigungspolitik praktiziert. Deshalb entstehen Netzwerke. Deshalb werden Existenzgründungen unterstützt. Deshalb gibt es auch den Vorschlag zu einem Bündnis für Arbeit, für Aufträge und Ansiedlungen. ({9}) Mein letzter Satz, Herr Präsident: „Wenn wir den Mittelstand nur vom Materiellen her begreifen, wenn man die Zugehörigkeit zum Mittelstand sozusagen nur aus der Steuertabelle ablesen kann, ist dem Mittelstandsbegriff meiner Meinung nach eine sehr gefährliche Wendung gegeben.“ Das hat Ludwig Erhard 1956 gesagt. Ich sage Ihnen: Was 1956 richtig war, ist auch heute richtig. Es geht um verlässliche Rahmenbedingungen, die man überprüfen muss, und es geht um tatsächliches, praktisches Handeln. Danke schön. ({10})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun gebe ich dem Kollegen Dr. Ditmar Staffelt für die Fraktion der SPD das Wort.

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist leider wenig begeisternd, wenn wir die Debatte alle Monate wieder - so kann ich fast sagen - mit ähnlichen Argumenten führen, ({0}) ohne dass es eine notwendige sachliche Auseinandersetzung mit den derzeitigen Problemen auf makroökonomischer Ebene gibt. Ich bin entzückt von Herrn Brüderle, der gestern im Wirtschaftsausschuss in der ihm eigenen Art die neue Sachlichkeit und Nachdenklichkeit betont hat, heute aber wieder genau das gemacht hat, was wir seit Monaten von ihm kennen, nämlich ein kleines Affentheater für die Wählerinnen und Wähler der FDP. ({1}) Das ist nicht ausreichend, Herr Brüderle. Wenn das alles so einfach wäre, hätten Sie in all den Jahrzehnten, in denen Sie die Bundesrepublik Deutschland politisch geführt haben, alle Probleme des Mittelstandes lösen können. Das haben Sie augenscheinlich nicht gemacht. Vielmehr waRolf Kutzmutz ren wir nach der Übernahme der Regierung gehalten, eine Vielzahl von Verbesserungen vorzunehmen, die unmittelbar den kleinen und mittleren Unternehmen zugute gekommen sind. ({2}) Lassen Sie mich etwas zu den Rahmendaten sagen: Wir können zwar im Moment - das müssen Sie wissen noch so viele kleine Schritte vorbereiten und Entscheidungen treffen, aber wichtig ist der Gesamtrahmen. Für die Gestaltung des Gesamtrahmens hat diese Regierung unendlich viel mehr getan als Sie in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit. ({3}) Das ist auf internationaler Ebene unbestritten. Sowohl im Hinblick auf die OECD als auch den IWF gilt: Die Bundesrepublik Deutschland hat den Einstieg in die Modernisierung durch Haushaltskonsolidierung, Steuer- und Rentenreform realisiert. ({4}) Ihnen wird in den Gesprächen mit Experten in den Vereinigten Staaten von Amerika immer wieder gesagt: Ihr müsst auch etwas bei der Deregulierung eurer Arbeitsmärkte tun. ({5}) Zu diesem Thema sagen wir: Die Tarifpartner sollen gemeinsam mit der Bundesregierung ihren Beitrag dazu leisten, die notwendigen Spielräume zu schaffen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Staffelt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hirche?

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, das möchte ich nicht. Ich möchte hinzufügen, dass alleine das Job-Aqtiv-Gesetz bereits einen Rahmen bietet, um vielzählige Möglichkeiten und Räume für neue Formen der Beschäftigung zu finden. ({0}) Sie ignorieren immer alles, was wir liefern. Wir haben den bekannten Brief von Herrn Müller und Herrn Riester an die Vertreter der großen Verbände in Deutschland gelesen. In diesem Brief wird minutiös aufgeführt, was das Job-Aqtiv-Gesetz bietet, was die Verbände fordern und welche Möglichkeiten das Job-Aqtiv-Gesetz vorsieht. ({1}) Das alles nehmen Sie gar nicht zur Kenntnis. Sie sind nicht bereit, sich auf den Weg zu begeben, der die einzige Chance bietet, gemeinsam an den richtigen Stellschrauben zu drehen. Zur Frage des Vorziehens der Steuerreform kann ich Ihnen nur sagen: Wir sind doch nicht ideologisch vernagelt und wollen dies deshalb nicht tun, weil wir keine weitere Senkung der Steuern oder keine weiteren Vorteile für die Arbeitnehmerschaft oder die Selbstständigen in unserem Lande wünschten. Ganz im Gegenteil! Wir fragen uns nur, ob weitere Steuersenkungen tatsächlich die Effekte an den Märkten erzielen, die zu einer wirklichen Belebung der Konjunktur insgesamt beitragen. Viele wirtschaftswissenschaftliche Institute unterstützen uns in der Auffassung, dass das im Moment nichts brächte. Herr Brüderle hat gerade gestern, wie bekannt, im Ausschuss gesagt, wir seien in einer schwierigen Zeit, in einer Zeit der weltwirtschaftlichen Anspannung und Krise. Da ist es natürlich, dass viele - seien es Privathaushalte oder auch Unternehmen - das, was sie an zusätzlichen Einnahmen aus der Steuerreform haben, sparen, zurücklegen, daraus Reserven bilden; Sie nannten das Eichhörncheneffekt. Das ist ein Effekt, der auch dann, wenn wir die Steuerreform vorziehen, nicht ohne weiteres außer Kraft gesetzt werden kann, der weiter wirkt, weil er in hohem Maße psychologisch bedingt ist. Lassen Sie mich noch eines zum Thema Verantwortung sagen. Ich finde es ziemlich verantwortungslos, dass Sie die derzeitige Gesamtsituation so herunterreden - ich sage ganz ausdrücklich: herunterreden - und damit genau einen Effekt erzielen, den wir heutzutage gar nicht gebrauchen können: Die Hoffnungen, die auch die wirtschaftswissenschaftlichen Institute für die Belebung der Konjunktur im nächsten Jahr sehen, werden wieder kaputtgemacht. Maßnahmen wie die heutige Zinssenkung um 50 Basispunkte seitens der EZB laufen sozusagen wieder ins Leere. Wir tragen hier Verantwortung. Sie haben gar nicht das Recht, nur parteipolitische Polemik zu betreiben. ({2}) Auch Sie haben Verantwortung für dieses Land, selbst wenn Sie in der Opposition sind, meine Damen und Herren. Lassen Sie mich noch einmal darauf verweisen, dass wir in den letzten Monaten eine Vielzahl von Maßnahmen getroffen haben. Sie wissen das sehr genau. Ich könnte alle diese Maßnahmen noch einmal aufzählen und vielleicht muss man es ja auch tun. Also: Reinvestitionszulage, Aussetzung der Abschreibungstabellen, Solidarpakt II - für Ostdeutschland von zentraler Bedeutung -, Job-Aqtiv-Gesetz - ich habe davon gesprochen -, Stadtumbau Ost - wesentlicher Punkt zur Belebung der Bauwirtschaft -, Vergaberecht - die Novellierung steht an und Zukunftsinvestitionsprogramm. Das ist schon ein Maßnahmenpaket, das sich sehen lassen kann. Deshalb sehe ich überhaupt keinen Grund, die Kritik, die von Ihnen hier vorgetragen wird, ernst nehmen zu müssen. Wir können sehr selbstbewusst auf das verweisen, was wir in den letzten Monaten für kleine und mittlere Unternehmen, für den Mittelstand getan haben. ({3}) - Auch damit kann ich Sie konfrontieren. Sie reden einfach irgendetwas daher. ({4}) Das ist etwas, was ich nicht vertragen kann. Schauen Sie sich einmal die Steuerquote im internationalen Vergleich an! Deutschland 22,9, Dänemark 48,5, Schweden 38,5, Italien 30,3, Großbritannien 30,3 Prozent. Was sollen wir denn noch alles machen? ({5}) Schauen Sie sich die Belastung des Mittelstands an! Frankreich 46,8 Prozent, Niederlande 32 Prozent, USA 32 Prozent, Deutschland 31 Prozent. Das kann sich im internationalen Vergleich doch sehen lassen! ({6}) Unternehmensgründungen: Im Jahr 1996 gab es klägliche 137 000 Unternehmensgründungen, 1997 nur 129 000. In diesem Jahr sind es 202 000 Unternehmensgründungen. Meine Damen und Herren, Sie gehen einfach darüber hinweg, ignorieren alles und sagen: Die gehen serienweise Pleite. So kann man in Fragen der deutschen Wirtschaft doch nicht ernsthaft debattieren. ({7}) Ich will Ihnen noch etwas sagen: Auch bei den freien Berufen, bei den Selbstständigen - Sie behaupten ja immer, das sei Ihre Klientel; das hat sich glücklicherweise nachhaltig geändert - gibt es eine Zunahme um mehr als 20 000 mit dem Effekt, dass insgesamt weitere 80 000 Menschen bei diesen Selbstständigen beschäftigt werden. Es ist also Quatsch, hier nur von einer Negativbilanz zu reden. Wir können eine Vielzahl von Indikatoren aufweisen, die besagen: Wir haben die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt. Da, wo es möglich ist, und da, wo es erforderlich ist, werden wir diese Rahmenbedingungen - davon können Sie ausgehen - auch weiter verbessern. Schließlich will ich an dieser Stelle ein Wort zu einem Punkt sagen, der für Sie ganz typisch ist. Die Schwarzarbeit ist ein wesentliches Thema, das uns drückt. Kaum haben wir damit begonnen, Maßnahmen zur Bekämpfung von Schwarzarbeit einzuleiten - Ähnliches gilt für andere Bereiche, wo Steuerhinterziehung praktiziert wird; Herr Kutzmutz hat das angesprochen -, schon sind die FDP und im Zweifel auch die CDU/CSU die Ersten, die schreien. Wenn Sie nicht einmal bereit sind, Maßnahmen zur Herstellung ordentlicher Wettbewerbsbedingungen mitzutragen - es geht darum, im wirtschaftlichen Wettbewerb die Ehrlichen besser als die Unehrlichen zu stellen -, dann sollten Sie sich nicht über Verzerrungen wundern, die einen Einfluss auf die Arbeitslosenzahlen haben und die Unternehmen kaputtmachen. ({8}) In dieser Hinsicht sind Sie gegenüber dem braven Handwerksmeister, der sich bemüht, Steuern zu zahlen und sich an Recht und Gesetz zu halten, nicht wirklich ehrlich. ({9}) Das sollten Sie einmal nacharbeiten, Herr Brüderle. Summa summarum: Wir sollten weiterhin über Mittelstand reden. Halten Sie sich ein Stück mehr daran, Sachlichkeit zu üben! Wir sind immer gesprächsbereit, gerade in Bezug auf Fragen der Wirtschaft. ({10}) Sie kennen mich: Ich bin immer bereit, mit Ihnen und allen, die daran interessiert sind, diesen Dialog zu führen. Um es ehrlich zu sagen: Es kommt mir zum Halse heraus, dass ich mir anhören muss, wie Sie gebetsmühlenartig dieselben Provokationen vortragen. ({11}) Das bringt uns keinen Schritt weiter. Ändern Sie Ihre Art! Vielleicht helfen die Koalitionsverhandlungen in Berlin ein bisschen dabei, dass Sie auf den Teppich zurückkehren. Herr Brüderle, in diesem Sinne! Danke. ({12})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege Dr. Peter Ramsauer.

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Staffelt, was wir uns von Ihnen soeben haben anhören müssen, war mehr als eine mittelstandspolitische Geisterbahnfahrt. Das, was Sie hier alles erzählt und als Bündel von Maßnahmen für den Mittelstand bezeichnet haben, ist nichts anderes als die Gesamtheit der Folter- und Marterinstrumente, die Sie in den letzten drei Jahren zur Traktierung des Mittelstands eingeführt haben. ({0}) Dass Sie einige Maßnahmen mittlerweile zurückgenommen haben, liegt daran, dass Sie eingesehen haben, wozu das Ganze führt. ({1}) Das nennen Sie dann Maßnahmenbündel. Lieber Herr Kollege Staffelt, wenn es wirklich so wäre, wie Sie gesagt haben und wie es uns die Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung, die Kollegin Wolf, in ihren regierungsamtlichen Verlautbarungen hat wissen lassen, dann hätte sie kein mittelstandspolitisches Papier, das das Datum 30. Oktober trägt, vorlegen müssen. Darüber wurde leider in viel zu wenigen Zeitungen berichtet. Ich komme auf dieses Papier noch zu sprechen. Schlimm ist, dass die rot-grüne Bundesregierung mit dieser Politik die gesamte mittelständische Wirtschaft in Deutschland in den verheerenden Sog ihrer katastrophalen Wirtschafts- und Sozialpolitik hineinzieht. Dass Sie jetzt versuchen, diese Entwicklung hinter der Außenpolitik zu verstecken, lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Die Rutschbahn, auf der wir in die wirtschaftspolitische Katastrophe geraten, besteht nicht erst seit dem 11. September, sondern schon viel länger, nämlich seit mehr als drei Jahren. ({2}) Sie können das von Ihnen produzierte wirtschaftliche Chaos nicht hinter dem 11. September verstecken. Sie sind seit drei Jahren an der Regierung und seit drei Jahren geht das Wachstum massiv zurück. Im Oktober wurde eine verheerende Arbeitslosenstatistik vorgelegt. Die Beratungen des Bundeshaushalts für das nächste Jahr sind, weil die Grundannahmen nicht mehr stimmen, nur noch Makulatur. Das i-Tüpfelchen ist Ihre Reaktion: Sie erhöhen die Steuern. Eine aberwitzigere Idee hätten Sie nicht haben können. Sie bewirken dadurch nämlich das Gegenteil von dem, was wir brauchen. Was Sie tun, ist Gift für die Konjunktur, denn es hemmt die Investitionsbereitschaft der Unternehmen und es hemmt den privaten Konsum. ({3}) Freilich ist es nichts anderes als eine Schwäche des Finanzministers, wenn er es nicht einmal fertig bringt, ganze 0,6 Prozent des geplanten Haushaltsvolumens an anderer Stelle einzusparen. ({4}) Indem Sie das jetzt dadurch hereinholen wollen, dass Sie die Mittel für Investitionen im Haushalt kürzen, machen Sie wiederum genau das Falsche. Sie haben in den letzten drei Jahren die Investitionsquote im Bundeshaushalt ohnehin laufend zurückgefahren. Wer bei den Investitionen kürzt, der nimmt diesem Land ein Stück seiner Zukunft. Investitionen kürzen heißt Zukunft verbauen. Genau das werfen wir der rot-grünen Bundesregierung vor. ({5}) Dass die Konjunktur schwächelt, hat seine Gründe. Man darf sich darüber nicht wundern, wenn man sieht, dass gerade der Wachstumsmotor Mittelstand regelrecht abgewürgt wird. Es ist verschiedentlich auf das lange Sündenregister hingewiesen worden. Sie haben mit der Neuregelung der 630-Mark-Verträge ein flexibles Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsinstrument praktisch vollkommen unbrauchbar gemacht. Genauso schlimm ist, dass Sie mit dem Gesetz zur Scheinselbstständigkeit auch die Möglichkeit, flexibel in die Selbstständigkeit hineinzugleiten, verbaut haben. Was soll da noch Ihr Gerede von mehr jungen Unternehmen und mehr jungen Menschen, die sich selbstständig machen sollen? ({6}) Kündigungsschutz, Rechtsanspruch auf Teilzeit - man kann nicht oft genug sagen, dass mit dem Teilzeitgesetz die Personalplanung gerade für mittelständische Unternehmen zu einem Lotteriespiel verkommen ist. ({7}) Das haben Sie zu verantworten, da Sie durch eine völlig falsche Sozialpolitik leider Gottes noch zusätzliche Beschäftigungshürden in den Betrieben errichten. ({8}) Der Mittelstand, der bei der letzten Bundestagswahl von Gerhard Schröder nicht ganz ohne Erfolg umworben wurde, ist schwer enttäuscht. Er ist weder gefördert noch gestärkt oder unterstützt worden. Er ist vielmehr abgezockt, getäuscht und gemolken worden. Meine Damen und Herren, man spürt so richtig, dass es in dieser Bundesregierung, angefangen beim Wirtschaftsminister über die Mittelstandsbeauftragte bis hin zum Bundeskanzler, niemanden gibt, der sich in das Geschehen in einem mittelständischen Betrieb hineindenken kann und sich mit dem Mittelstand wirklich identifiziert. ({9}) - Sie als Allerletzter, Herr Staffelt. - Weil Sie sich nicht wirklich mit dem Mittelstand identifizieren, kann auch keine glaubwürdige Mittelstandspolitik von Ihnen gemacht werden. ({10}) Das beste Beispiel hierfür haben wir in dieser Woche vorgelegt bekommen, als der Sozialminister Walter Riester über Sie, Frau Wolf, hergefallen ist und auf Sie wegen Ihrer Vorschläge eingedroschen hat. Ich habe bisher immer geglaubt, dass man von Ihnen als Mittelstandsbeauftragte, liebe Frau Kollegin Wolf, überhaupt nichts hören wird, und habe in Ihnen deswegen eigentlich immer das personifizierte mittelstandspolitische Desinteresse dieser Bundesregierung gesehen. Jetzt haben Sie endlich - das finde ich toll - mit Datum vom 30. Oktober ein Papier mit der Überschrift „Gedanken zur Mittelstandspolitik“ vorgelegt. Darin sind hochinteressante Ansätze enthalten, die wirklich diskussionswürdig sind. Sie nehmen zum Beispiel unter der Überschrift „Steuerpolitik“ Bezug auf die Reinvestitionsrücklage, deren Einführung im Rahmen des Gesetzes zur Fortentwicklung der Unternehmensteuerreform geplant ist. Ich zitiere aus dem Papier: Durch eine in der Debatte befindliche Deckelung bei 100 000 DM - für diese Rücklage wird die notwendige Wirkung bei den mittelständischen Unternehmen verfehlt, ({11}) der Vorwurf der Ungleichbehandlung gegenüber den Veräußerungsgewinnen der Kapitalgesellschaften geradezu bestätigt. ({12}) Klarer kann man nicht unter Beweis stellen, wie falsch Ihr Gesetzentwurf ist. Liebe Frau Wolf, ich stimme Ihnen hier zu. ({13}) - Klar, dass Sie das anders sehen. Es ist nämlich so, dass die grüne Frau Wolf mit einem glühenden mittelstandspolitischen Spieß in Ihren mittelstandspolitischen Wunden und Defiziten herumstochert. Das soll sie ruhig tun, gerade auch auf diesem Feld. ({14}) Unter dem Stichwort „Absenkung der Lohnnebenkosten“ heißt es: Es ist gelungen, die Rentenbeiträge um 1,2 Prozentpunkte abzusenken. Dabei dürfen wir nicht stehen bleiben. ({15}) Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, im nächsten Jahr das Ziel der Sozialversicherungsbeiträge von 40 Prozent zu erreichen. Wenn es so wäre, wäre es schön, liebe Frau Wolf. Ich glaube aber, Sie verwechseln die Richtung der Entwicklung beim Gesamtsozialversicherungsbeitrag. Wir werden nächstes Jahr bei 41,5 oder 41,6 Prozent landen. Zu den 630-DM-Beschäftigungsverhältnissen schreiben Sie: Die 630-DM-Beschäftigungsverhältnisse müssen für Beschäftigte und Arbeitgeber attraktiver werden. ({16}) Wie kommt mir das denn vor? Das klingt ja so, als ob wir dieses Instrument kaputtgemacht hätten. Nein, diese Regierung hat es kaputtgemacht. Wenn man weiter liest - dazu fehlt leider die Zeit -, merkt man: Ihr ganzes mittelstandspolitisches Papier, liebe Frau Wolf, ist eine Anklageschrift gegen die Wirtschafts- und Mittelstandspolitik dieser Bundesregierung. ({17}) Ich wünsche mir, dass dieses Papier, liebe Frau Wolf, zu großer Berühmtheit kommt. Ich habe dann in einer Agenturmeldung gelesen - ich zitiere auch daraus -: Müllers - der Wirtschaftsminister ist gemeint Sprecherin Regina Wierig erklärte am Montag in Berlin, bei Wolfs Vorstoß handele es sich um ein persönliches Papier der Staatssekretärin als Grünen-Abgeordnete und nicht um ein Papier des Wirtschaftsministeriums. Wenn Sie sich vom eigenen Wirtschaftsminister zurückpfeifen lassen würden, dann hätte ich dafür noch Verständnis. Dass er das aber nicht einmal selber macht, sondern eine Sprecherin beauftragt, ist mehr als eine Beleidigung, die ich mir an Ihrer Stelle nicht gefallen ließe. ({18}) Meine Damen und Herren, die paar Beispiele allein zeigen schon, dass in der Politik dieser Regierung jegliche Mittelstandskomponente fehlt. Der Bundeskanzler, der Wirtschaftsminister und die Staatssekretärin können sich noch so verstellen: Es nützt nichts. Diese Lippenbekenntnisse und Sonntagsreden, die wir heute wieder gehört haben - auch von Ihnen, Herr Staffelt -, nimmt Ihnen niemand mehr ab. Was vor uns liegt, steht in der Kontinuität dieser bisher schon falschen Wirtschaftspolitik und Mittelstandspolitik: Erhöhung der Ökosteuer, weitere angekündigte Steuerreformschritte, die gerade dem Mittelstand wehtun, die Abschreibungsbedingungen, die Sie verschlechtert haben, das Betriebsverfassungsgesetz, das gerade die mittelständischen Betriebe - Ihre Argumente haben den Vorwurf nicht entkräftet, Frau Wolf - mit Bürokratiekosten belastet, und - das ist das Allerbeste in Ihrer Pipeline - das von Ihnen vorgelegte Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz - es ist schon schwierig, das auszusprechen. Dieses Gesetz ebnet den Weg für die Rollkommandos der Finanzämter hinein in die mittelständischen Betriebe und - noch schlimmer - es stellt alle Mittelständler unter den Generalverdacht, Steuerhinterzieher zu sein. ({19}) Auch das dürfen wir nicht durchgehen lassen. Das fördert nicht gerade das Vertrauen in die Regierungspolitik. ({20}) Meine Damen und Herren von der Bundesregierung und der Koalition, Sie kennen leider Gottes nur Unternehmen ab einer bestimmten Größenordnung. Der Bezug zu kleinen Betrieben fehlt Ihnen. Der Fall Holzmann hat vor Jahren schon eindrucksvoll bewiesen, dass Ihnen nur daran liegt, mitbestimmte Großbetriebe unter staatlichen Schutz zu stellen und den Mittelstand an den Rand zu drängen. Anders wäre es nicht möglich, dass der Unterschied zwischen einem Industriebetrieb wie Holzmann und einem Mittelständler der ist: Wenn Holzmann Pleite macht, kommt der Bundeskanzler selbst nach Frankfurt; wenn das Gleiche einem Mittelständler passiert, dann kommt der Gerichtsvollzieher. Auch das dürfen wir Ihnen nicht durchgehen lassen. ({21}) Wo man bei einer Bundesregierung wenigstens ein bisschen mittelstandspolitische Seele erwarten würde, haDr. Peter Ramsauer ben Sie von Rot-Grün von jeher nur Hornhaut gehabt. Leider Gottes deutet auch alles darauf hin, dass dies so bleibt. Wir wollen eine Offensive für den Mittelstand. Die Anträge, die wir heute vorgelegt haben, beinhalten dies; nicht zuletzt, weil Mittelstandspolitik auch Arbeitsplatzförderung ist. Ein Mittelständler denkt nicht wie derzeit viele Industrie- und Großbetriebe. Er überlegt nicht: Wie kann ich Arbeitsplätze abbauen? Vielmehr überlegt er, da er ein intensives Verhältnis zu seiner Belegschaft hat: Wie kann ich die Arbeitsplätze in meinem Betrieb erhalten? Bei einem Mittelständler geht es vielleicht weniger um den Shareholder-Value. Er überlegt aber: Wie kann ich meine Belegschaft vergrößern und wie kann ich in meiner Region, draußen auf dem flachen Land, attraktive Arbeitsplätze bieten und auch im Niedriglohnsektor denjenigen von Nutzen sein, die auf der Straße stehen? Wir von der CSU haben das Credo unserer Wirtschaftspolitik auf folgenden Nenner gebracht: 3 mal 40. Das heißt, die Staatsquote unter 40 Prozent drücken, den Spitzensteuersatz unter 40 Prozent drücken und den Gesamtsozialversicherungsbeitrag unter 40 Prozent drücken. Mit Rot-Grün werden wir das leider Gottes nicht erreichen. Die Bilanz dieser rot-grünen Bundesregierung sieht auf mittelstands- und wirtschaftspolitischem Gebiet miserabel aus. Man muss sagen, dass alle Ziele und damit das Klassenziel - ein Vorrücken ist eigentlich nicht möglich verfehlt wurden. Sie haben den Arbeitsmarkt verkommen und verlottern lassen. ({22}) Sie haben Reformen vertagt. Wenn Sie jetzt wenigstens noch etwas anpacken würden! Ihre Haltung ist durch Feigheit und durch Angst vor dem Wähler geprägt. Deswegen ist Ihre Mittelstandspolitik noch nicht einmal ein Placebo. Der Bundeskanzler hat in seiner ersten Regierungserklärung am 10. November 1998, also fast auf den Tag genau vor drei Jahren, erklärt: Vor uns liegen gewaltige Aufgaben. Die Menschen erwarten, dass eine bessere Politik für Deutschland gemacht wird. Wir wissen: Ökonomische Leistungsfähigkeit ist der Anfang von allem. Ich sage dazu: Ihre ökonomische Unfähigkeit ist der Anfang vom Niedergang. ({23}) Für den Mittelstand ist diese Bundesregierung leider zum Langzeithärtetest geworden. Der Mittelstand empfindet die Wirkung Ihrer Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik so wie die Wirkung, die die Brandrodung auf den tropischen Regenwald hat. Mittelständer sagen immer häufiger: Wir halten es unter diesen Rahmenbedingungen nicht mehr aus. Sie erkennen mehr und mehr, dass sie verheizt werden und dass sie als Stimmvieh missbraucht worden sind. Deswegen gehen wir ganz sicher davon aus, dass Sie bei der nächsten Bundestagswahl für diese Politik vom Mittelstand die Quittung erhalten werden. ({24})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile dem Kollegen Klaus Lennartz für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Klaus Lennartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001319, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Ramsauer, während Ihrer Rede habe ich Ihren neuen wirtschaftspolitischen Sprecher, Herrn Wissmann, beobachtet. Ich habe gesehen, wie er kopfschüttelnd den Saal verließ. Ich kann mir das nur so erklären, dass er mit Ihrer Rede nicht einverstanden war. Er hat demonstrativ den Saal verlassen. Ich würde mich an Ihrer Stelle einmal bei ihm erkundigen, woran das wohl gelegen haben könnte. Ich habe Verständnis für sein Verhalten. ({0}) Ich habe eine Frage an Sie, Herr Kollege Ramsauer. Sie haben eben vom Mittelstand gesprochen. Sie haben Zahlen genannt, die zeigen, dass 46 Prozent aller Bruttoinvestitionen durch den Mittelstand geleistet werden, dass der Mittelstand 70 Prozent aller Ausbildungsplätze und 80 Prozent aller Arbeitsplätze stellt. Sind Ihnen diese Zahlen erst seit den Jahren 1998/99 bekannt geworden oder gab es diese Zahlen schon vorher? Warum haben Sie Ihre Politik nicht an diesen Zahlen ausgerichtet, Herr Kollege Ramsauer? Sie machen in Verbalradikalismus. Dabei hatten Sie 16 Jahre lang Zeit, praktische Politik zu machen. Warum haben Sie das nicht getan? ({1}) Wenn Sie in dieser Frage mit dem Finger auf uns zeigen, dann zeigen vier Finger auf Sie zurück, Herr Kollege. Wenn es um den Mittelstand geht, dann verfährt die Opposition gerne nach dem Ballonprinzip: ({2}) Es gibt viel heiße Luft für den Auftrieb. Aber bei der ersten Berührung mit der Realität des Machbaren platzt der Ballon. Zurück bleibt nur heiße Luft und Sie fallen auf den Boden der Tatsachen zurück. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat vor drei Wochen Basel II öffentlich als nicht akzeptabel für unseren Mittelstand bezeichnet ({3}) und offenen Widerstand dieser Regierung bei der EU angekündigt. Wo waren Sie eigentlich? ({4}) Wo waren Sie? Wer hat sich dazu geäußert? Wo war Frau Merkel? Wo war Herr Merz? Wo war Herr Stoiber? Wo war Herr Schäuble? Wo waren Sie? Waren Sie noch in der Unterhaltung darüber, wer etwas sagen darf? Gab es Kompetenzgerangel um die Frage: Wer darf diese Position des Kanzlers unterstützen? - Das war Politik für den Mittelstand. Ich hätte gern von Ihnen ein klares Wort gehört, dass Sie in diesen den Mittelstand betreffenden Grundsatzfragen die Position der Bundesregierung unmittelbar unterstützen würden. Sendepause bei Ihnen! Das ist Ihre Politik. ({5}) Ihre Blaupausenpolitik ist schon Makulatur, bevor sie die Werkstatt erreicht. Das macht Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, bei den Menschen nicht gerade glaubwürdig. Sie haben in Ihrer 16-jährigen Regierungszeit mehr Probleme als Lösungen hinterlassen; das kann man Ihnen nicht oft genug sagen. Sie befinden sich in einem psychologischen Verdrängungsprozess. 1 500 Milliarden DM Schulden haben Sie in dieser Republik hinterlassen. Fast 5 Millionen Menschen haben Sie in die Arbeitslosigkeit getrieben. Wir hatten die höchste Steuer- und Abgabenlast, meine Damen und Herren. Das ist Ihre Politik. ({6}) - Lieber Herr Kollege, der Sie hier als ehemaliger Staatssekretär sprechen: Ich habe Verständnis dafür, dass man versucht, seine positiven Ergebnisse darzustellen. Aber es gehört auch ein Stück Redlichkeit dazu, selbstkritisch zu sein und Fehler, die man gemacht hat, einzugestehen. Sie haben mit Ihrer Regierung Fehler genug gemacht. ({7}) - Nein, wir schauen nach vorn. Wir kommen noch dazu, keine Sorge. - Wir müssen diese Fehler Schritt für Schritt abbauen, das heißt, wir müssen unseren Konsolidierungskurs beibehalten. Falls Sie es nicht verstehen: Das heißt Ordnung schaffen bei dem, was Sie uns hinterlassen haben. ({8}) Das ist eine Herkulesarbeit, die von uns durchgeführt werden muss. Das ist kein einfacher Weg, aber wir gehen ihn konsequent und zielorientiert. Meine Damen und Herren, die Wiedergewinnung der Zukunftsfähigkeit in Deutschland erfordert Verantwortung, auch und gerade über den Tag hinaus. Deshalb sind die Reformvorhaben dieser Bundesregierung als langfristige Prozesse angelegt. ({9}) Wir gehen einen geraden Weg, auch wenn er manchmal steil ist. Zukunftsinvestitionen statt Zinszahlungen, Zukunftsinvestitionen statt Neuverschuldung - das sind die Wege, die wir gehen. ({10}) Durch unsere Steuerpolitik werden Bürger und Wirtschaft, Handwerk, Handel und Gewerbe im Jahr 2005 im Vergleich zu 1998 um rund 93 Milliarden DM entlastet, ({11}) Privathaushalte um rund 68 Milliarden DM, und über 30 Milliarden DM geben wir zugunsten des Mittelstandes. ({12}) - Ich sage Ihnen ganz offen: 30 Milliarden Mittelstandsentlastung. Herr Brüderle, haben Sie diese Zahlen irgendwann in Ihren letzten Regierungsjahren aufweisen können? Sie haben davon gesprochen, aber nicht gehandelt. Reden ersetzt nicht das Handeln, auch bei Ihnen nicht. ({13}) Meine Damen und Herren von der Opposition, wir haben Steuersenkungen nicht auf Pump durchgeführt, so wie Sie es gemacht haben. ({14}) Unsere Steuersenkungen sind lang erwartete Entlastungen, die im Mittelstand bestehende Arbeitsplätze sichern und neue schaffen. Wir handeln und schaffen günstige und verlässliche Rahmenbedingungen, die Mittelstand, Handwerk, Handel und Gewerbe helfen. Beispielhaft nenne ich den Eingangssteuersatz, der von 25,9 Prozent im Jahre 1996 auf den historischen Tiefstand von 15 Prozent im Jahr 2005 sinkt. Das hätten Sie ebenfalls machen können. Die Steuerquote sinkt bereits 2001 auf den historischen Tiefstand von 21,5 Prozent. Kennen Sie eigentlich noch Ihre Zahlen, Herr Ramsauer? Oder ist das auch wieder ein psychologischer Verdrängungsprozess? 24 Prozent Steuerquote, das waren Ihre Zahlen. ({15}) Der Spitzensteuersatz sinkt von 53 Prozent im Jahre 1998 auf 42 Prozent im Jahr 2005. Das ist der niedrigste Spitzensteuersatz seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Durch unsere Steuerreform stehen sich rund 90 bis 95 Prozent aller persönlich haftenden Einzel- und Personenunternehmer besser als Kapitalgesellschaften. Denn um die Steuerbelastung einer Kapitalgesellschaft zu erreichen, müsste ein verheirateter Unternehmer im Jahr 2005 ein Einkommen von rund 480 000 DM erzielen, ein lediger ein Einkommen von fast 250 000 DM. ({16}) Jetzt kommen wir einmal zur Realität: Fast 80 Prozent - genau gesagt: 78 Prozent - aller unserer Unternehmer verdienen nur circa 100 000 DM im Jahr. Das heißt konkret, also in der Realität: Das, was wir durchführen, bedeutet Entlastung. Herr Ramsauer, ich lese Ihnen einmal aus der Drucksache 14/5551 einen Satz vor, den Sie als Begründung eingefügt haben. Sie schreiben: Umfragen haben ergeben, dass viele mittelständische Unternehmen, welche mit einem Einkommensteuerspitzensatz von bis zu 48,5 Prozent belastet werden, vor dem Hintergrund des niedrigen Körperschaftsteuersatzes von 25 Prozent und der Steuerbefreiung bei Veräußerungsgewinnen beim Verkauf von Beteiligungen in die Rechtsform der Kapitalgesellschaft „flüchten“. Hören Sie mal: Mit welchen Attributen soll ich diesen Satz belegen? - Unkenntnis? Lüge? Hirngespinst? Vergessen Sie einfach, Herr Kollege, dass zu dieser Körperschaftsteuer auch noch die Gewerbesteuer addiert werden muss? ({17}) Denn dann kämen Sie auf ungefähr 39,6 Prozent. Wir haben den Spitzensteuersatz auf 42 Prozent gesenkt. Wenn Sie dann noch die Grundfreibeträge einrechnen, sehen Sie, dass wir für die Personengesellschaften mehr getan haben, als Sie jemals auch nur zu tun gedacht haben. Aber damit müssen Sie sich selber auseinander setzen. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Lennartz, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ramsauer?

Klaus Lennartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001319, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Ramsauer, bitte.

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Lennartz, sind Sie wenigstens bereit einzugestehen, dass Sie eine wesentlich umfangreichere Steuerreform für den Mittelstand, die Wirtschaft und die Bürger auch noch wesentlich früher hätten haben können, ({0}) wenn Sie nicht vor 1998 zwei fertige Steuerreformen mit einer unverantwortlichen Obstruktionspolitik à la Lafontaine verhindert hätten? Sie stellen sich hierher und tun so, als hätten Sie das steuerpolitische Rad neu erfunden. Unter dem Finanzminister Theo Waigel haben wir unsere Steuerreformen durchgeführt. Aber Sie haben sie im Bundesrat mit einer roten Mehrheit kaputtgemacht. Deswegen ist das, was Sie machen, Heuchelei. Sind Sie wenigstens bereit zuzugestehen, dass Sie im Bundesrat ein paar Mal alles kaputtgemacht haben? ({1})

Klaus Lennartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001319, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, Sie hatten zu einer Zwischenfrage angesetzt und sind zu einem umfangreichen Wortbeitrag gekommen. ({0}) - Ein bisschen Contenance muss noch sein. Hören Sie sich lieber meine Antwort an. Ich habe mir Ihre Frage ja auch angehört. Man sollte schon die mitteleuropäischen Gepflogenheiten einhalten. ({1}) Herr Ramsauer, was haben wir denn verhindert? Herr Kollege Spiller hat Ihnen von diesem Pult aus doch schon mehrfach gesagt, dass wir Ihrer Steuerreform damals natürlich nicht zustimmen konnten. Denn Sie hatten nur die Großunternehmen im Fokus. Nur, wir wollten den Mittelstand entlasten, wie wir es auch getan haben. ({2}) Das ist der entscheidende Punkt. Wir haben das Gröbste im Interesse des Mittelstandes verhindert. Genau das, was Oskar Lafontaine und wir alle damals zugesagt haben, setzen wir jetzt durch diesen Gesetzentwurf um. ({3}) - Frau Kollegin, darauf komme ich noch einmal zurück. Herr Ramsauer, ich gehe noch auf Ihre Frage ein. Wenn Sie schon eine Frage stellen, dann müssen Sie auch meine Antwort ertragen. Ich frage Sie: Wo sind Ihre Vorlagen, aus denen hervorgeht, dass Sie den Steuersatz auf 42 Prozent und den Eingangssteuersatz auf 15 Prozent senken wollen? Wo sind sie? Ich habe das nirgendwo gelesen. ({4}) Herr Ramsauer, ich war immer noch bei Ihnen. Aber ich entlasse Sie jetzt. Ich kann mir vorstellen, dass Sie unter der Bürde dieser Worte zusammenbrechen. Dafür habe ich Verständnis. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Unternehmer, von denen ich sprach, sparen im Vergleich zu 1998 im Jahre 2005 rund 25 Prozent ihrer Steuerbelastung. Die von der Opposition häufig vorgebrachten Behauptungen, dass unsere Steuerreform eine Benachteiligung des persönlich haftenden Mittelständlers zur Folge hätte, sind mit den Zahlen, die ich eben vorgetragen habe, eindrucksvoll widerlegt. Ich sage Ihnen: Das Gegenteil ist der Fall. Herr Kollege Spiller, Ihnen gebührt ein ausdrücklicher Dank von uns allen. Denn gestern haben wir im Finanzausschuss die Fortentwicklung des Unternehmensteuerrechtes verabschiedet. Ich bin Herrn Philipp, dem Präsidenten des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, der dies sehr gelobt hat, äußerst dankbar. Sie wissen ja selbst, Herr Spiller, wie schwer es war, bestimmte Punkte noch einzubringen. Deshalb verstehe ich es nicht, wenn Sie von Union und FDP die erreichten Erleichterungen beispielsweise hinsichtlich der Umwandlung und Umstrukturierung von Personenunternehmen mit Wirkung zum 1. Januar 2002 oder hinsichtlich der Reinvestition von Erlösen aus der Veräußerung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften, die gegenüber dem Regierungsentwurf auch dank Ihrer Mithilfe erweitert wird, schlecht reden. Glauben Sie nicht, dass Frau Staatssekretärin Wolf ebenso wie wir beim reinvestierten Gewinn einen Betrag von 1 Million oder 300 000 Euro lieber gesehen hätte als die jetzt festgelegten 50 000 Euro? ({6}) Meine Damen und Herren, akzeptieren Sie doch bitte, dass dieses Gesetz ein Anfang war. Wir hätten noch mehr getan, wenn Sie uns nicht eine solche Verschuldung hinterlassen hätten. Sie müssen doch die Kausalität sehen. ({7}) Ich sage in diesem Hause sehr offen: Das war hinsichtlich der reinvestierten Gewinne der Einstieg. Da wir die Regierung im Jahr 2002 wiederum stellen werden - es kommt kein Einspruch von Ihnen; ich bedanke mich -, werden wir diese Bemühungen fortsetzen, ({8}) sodass wir dann auch die nächsten Schritte auf diesem Gebiet realisieren können.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Lennartz, kommen Sie bitte zum Schluss. ({0})

Klaus Lennartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001319, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich werde Ihren Worten aufmerksam folgen. Meine Damen und Herren, um Ihnen die gestern beschlossene Zahl noch nachzuliefern: Zu den 30 Milliarden DM, um die wir bereits entlastet haben, kommt eine zusätzliche Entlastung von circa 450 Millionen DM hinzu. Mit dieser deutlichen Entlastung haben wir finanzielle Freiräume geschaffen. Herr Präsident, gestatten Sie mir noch zwei Bemerkungen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nein, ich kann Ihnen leider keine Bemerkungen mehr gestatten.

Klaus Lennartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001319, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann nur noch eine Bemerkung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Sie haben Ihre Redezeit schon um zwei Minuten überschritten. ({0}) Bitte, Herr Kollege Lennartz, kommen Sie zum Schluss.

Klaus Lennartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001319, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren, durch diese Politik - dies nur noch als letzte Bemerkung und die Freiräume, die wir dadurch geschaffen haben, ist die Zahl der Patentanmeldungen in der Bundesrepublik auf rund 110 000 angestiegen. Wir wissen, dass wir nur drei Ressourcen haben: Braunkohle, Steinkohle und Salz. Die wichtigste Ressource ist unser Wissen. In diese Ressource investieren wir. Die Mittel für diese Investition werden durch unsere Steuerreform freigesetzt. Ich bedanke mich bei Ihnen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Hartmut Schauerte von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Lennartz, ich habe mir gerade vorgestellt, ein Mittelständler hätte Sie hier reden hören. Ihm wäre durch den Kopf gegangen: Uns brennt der Dachstuhl, unsere Sorgen sind enorm, und hier wird von einem Charakterdarsteller - ich will nicht beschreiben, welcher Art von Charakter - ein Schauspiel in theatralischen Einzelstückchen vorgeführt, das mit der Wirklichkeit nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. ({0}) So sollten wir mit dem Thema nicht umgehen. ({1}) Wir stehen am Beginn einer schweren Rezession. Sie wird heftiger sein, als wir im Moment sagen und beschreiben wollen, denn auch wir wollen nicht unnötig Angst verbreiten. ({2}) Man könnte auf Angstmacherei und die Beschreibung einer schlimmen Wirklichkeit ein Stück weit verzichten, wenn wir den Eindruck haben könnten, dass die SozialKlaus Lennartz demokraten und die Regierung das Problem genauso ernst nehmen, wie es das verdient. Wenn man aber den Eindruck hat, dass sie diese Tatsache eher als fast normal und unausweichlich ansehen, dann muss man den Druck erhöhen und beschreiben, was denn droht; sonst kommt man nicht weiter. Ich will jetzt überhaupt nicht streiten, ob wir mit unseren Vorschlägen oder Sie mit Ihren Vorschlägen Recht haben. Es ist aber immer wichtig, zunächst einmal den Tatbestand zu verdeutlichen. Wir können feststellen: Infolge dessen, was Sie in den letzten drei Jahren beschlossen haben, gibt es einen konkreten, jetzt messbaren Befund, der sich bei der Arbeitslosigkeit zeigt. Sie liegt heute um 160 000 Personen niedriger als im Oktober 1998. Die Arbeitslosigkeit ist also in drei Jahren um 160 000 gesunken. Ich will gar nicht die Versprechungen des Bundeskanzlers in Erinnerung rufen, der noch im Frühjahr von 3 oder 3,5 Millionen Arbeitslosen sprach. Im Moment steigt diese Zahl. Dieser Rückgang der Arbeitslosigkeit um 160 000 bedeutet, dass sie im Jahr um durchschnittlich etwa 50 000 abgebaut wurde, obwohl altersbedingt 200 000 Arbeitnehmer mehr ausgeschieden als nachgewachsen sind. Wenn Sie in dem Tempo weitermachen - Sie wollen ja Ihren Kurs, den Sie als richtig beschreiben, fortsetzen -, werden Sie 15 Jahre brauchen, um auf die 3 Millionen zu kommen, die der Kanzler als Ziel am Ende dieser Legislaturperiode im nächsten Jahr noch für richtig gehalten hat. ({3}) Das kann Sie doch nicht zufrieden stellen! Das ist eine Situation, die Ihnen Angst machen muss. Das Wirtschaftswachstum ist an keiner Stelle zufrieden stellend und macht auch uns nicht froh. Wir können zwar sagen, dass dort, wo die CDU in Deutschland regiert, die Wachstumsraten doppelt so hoch sind wie dort, wo die SPD regiert; aber das macht uns nicht froh, denn Sie regieren in vielen Gegenden. Deswegen ist das Wachstum unter jedem akzeptablen Niveau. Es gilt leider die Aussage: Je röter eine Regierung, desto schlechter sind die Wachstumsraten, ({4}) im Osten wie im Westen unseres Vaterlandes. Das können Sie nicht wegdefinieren. ({5}) Baden-Württemberg hat eine halb so hohe Arbeitslosigkeit wie Nordrhein-Westfalen und ein doppelt so hohes Wirtschaftswachstum wie Nordrhein-Westfalen, und die halb so hohe Arbeitslosigkeit in Baden-Württemberg nimmt doppelt so schnell ab wie in Nordrhein-Westfalen. Nordrhein-Westfalen hat 18 Millionen Einwohner. Das sind 3 Millionen Einwohner mehr, als alle neuen Länder zusammen haben - das als kleinen Einwurf zur Begründung, warum wir in Deutschland nicht vom Fleck kommen. Da können Sie doch nicht sagen: Alles, was wir gemacht haben, ist gut, wir sind sehr zufrieden, die Dinge laufen, worüber regen sich die Leute eigentlich auf? Ich könnte Ihnen das mit Prozentzahlen belegen. In Nordrhein-Westfalen droht jetzt ein Nullwachstum in der Wirtschaft. So schreibt es Herr Klemmer vom RWI-Institut, ein durchaus angesehener Mann. Was erzählen Sie denn hier, Herr Lennartz, über die Steuerquote und die Abgabenquote? Die Abgabenquote in Deutschland betrug im Oktober 1998 42,3 Prozent. Bis Februar 2001 - eine andere Zahl haben wir nicht - ist sie auf 43 Prozent gestiegen. Die volkswirtschaftliche Steuerquote lag am Ende unserer Regierungszeit bei 22 Prozent. Heute liegt sie bei 23,1 Prozent. Das heißt, die Abgaben und die Steuern sind gestiegen. Jetzt können Sie sagen, Sie hätten doch alles Mögliche gemacht. In Ordnung, aber das Ergebnis ist eher schlechter denn besser geworden und das kann uns doch nicht zufrieden stellen. ({6}) Mich interessiert eine Fragestellung vor dem Hintergrund der Diskussion über den Terroranschlag. Wir haben auf diesen Anschlag in Bezug auf die Sicherheitspolitik umfassend reagiert, konsequent und weitgehend übereinstimmend. Sie hatten dabei eine ausgesprochen verantwortungsvolle Opposition. Eine solche Opposition hätten wir uns in den zurückliegenden Jahren in der einen oder anderen Fragestellung wirklich gewünscht. ({7}) Aber das tun wir aus eigenem Antrieb. Wir haben in allem, was die Sicherheit betrifft, so grundlegend reagiert, Frau Scheel, dass zum Beispiel die eigentlich eingetragenen Pazifisten mittlerweile Ja zum Kriegseinsatz sagen. So viel ist in unseren Köpfen angesichts einer konkreten Bedrohung verändert worden. Wir haben jetzt eine Bedrohung durch den Abschwung, durch die Rezession, die unsere Menschen existenziell erfassen wird, möglicherweise mehr als der Terroranschlag; denn da geht es wirklich um ihre tägliche Situation. Aber Sie sind nicht bereit, darüber nachzudenken, ob Sie etwas ändern müssen, sondern Sie sagen: Wir haben doch alles richtig gemacht, was regt ihr euch denn eigentlich auf? Ich will unsere Vorschläge gar nicht einzeln einbringen und sagen, das und das müsst ihr tun, sondern nur feststellen: Die Situation ist atemberaubend schlecht und wir können nicht einfach so weitermachen. Wir warten auf Vorschläge, wo Sie etwas ändern wollen. Sonst müssen Sie sich gefallen lassen, dass wir sagen: Sie sind mit der Situation so zufrieden, dass Sie meinen, dass alles so bleiben kann, wie es ist. Das kann doch wohl nicht wahr sein. ({8}) - Aber die Ergebnisse, die ich benannt habe, sind doch zutreffend beschrieben und Sie beschleunigen sie eher in die negative Richtung! Aber Sie erklären hier: Was habt ihr eigentlich? Greift uns nicht an! Wir haben Maßnahmen über Maßnahmen vorgeschlagen. Jede einzelne wurde abgelehnt und von Ihnen kommt fast nichts, und das vor einem Hintergrund, der wirklich bedrückend ist. Die einzige Reaktion auf den Terroranschlag, die Sie weltweit als Erster und Einziger praktiziert haben, war eine Steuererhöhung - das hilft. Sie erhöhen die Steuern insgesamt: die Versicherungsteuer um 2 Milliarden DM, die Tabaksteuer um 4 Milliarden DM, die nächste Stufe der Ökosteuer bedeutet eine Erhöhung um 7 Milliarden DM. Das macht insgesamt 13 Milliarden DM. Allein mit diesen Maßnahmen zerstören Sie die Konsumpotenziale im kommenden Jahr um 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist Ihre Methode. Ich garantiere Ihnen: Die Dinge werden noch viel schlimmer, wenn Sie nicht umsteuern, auch im Sinne des Mittelstandes. ({9}) Dass Sie umsteuern, wollten wir mit dieser Debatte erreichen. ({10}) 3,3 Millionen Mittelständler werden keine Menschen mehr einstellen, wenn sie Angst haben. Ihre Politik macht ihnen mittlerweile Angst. ({11}) - Ja, was denn sonst? ({12}) Alles andere ist doch dummes Zeug. Herr Philipp, der ein enger Freund von mir ist, hat Ihnen geschrieben, dass er dankbar dafür ist, dass Sie einen eigenen Fehler korrigieren. Sie können doch aber nicht erwarten, dass Sie dafür besonders gelobt werden. Es ist die Korrektur Ihrer Fehler, für die er sich bei Ihnen bedankt. Es ist ein Dank dafür, dass Sie im Ansatz vernünftig geworden sind und von unvernünftigem Tun ablassen. Nun loben Sie sich doch nicht für einen solchen selbstverständlichen Vorgang! Gehen Sie in den Mittelstand hinein, dann werden Sie feststellen: Er hat Angst. Er stellt nicht ein, sondern er entlässt. Im Handwerk drohen 200 000 zusätzliche Arbeitslose. Das ist die Wirklichkeit. Die Verantwortung dafür können Sie nicht auf die damalige Regierung oder die Verschuldung schieben; das ist auf Ihre dreijährige Regierungskunst zurückzuführen. Sie aber ändern nichts.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Schauerte, kommen Sie bitte zum Schluss.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Einen Schlussgedanken möchte ich noch äußern. Jeden Tag gehen mehr als 150 Unternehmen Konkurs. Jeden Tag verlieren dabei mehr als 1 500 Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz. Es brennt unter dem Dachstuhl. Sie aber sitzen hier, verteidigen Ihre Linie und sagen: Wir haben nichts zu tun. - Tun Sie endlich etwas und werden Sie den Menschen mit ihren Sorgen gerecht. Es ist höchste Zeit, ernsthaft Korrekturen vorzunehmen. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Simone Violka von der SPD-Fraktion das Wort.

Simone Violka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003250, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ramsauer, ich habe die ersten beiden Seiten meiner vorbereiteten Rede beiseite gelegt, weil ich zu Ihnen noch etwas sagen möchte. Was die Wirtschaftskompetenz anbelangt, so empfehle ich Ihnen, einfach einmal die Biografien in den Handbüchern zu lesen. Sie werden in allen Reihen einige Leute finden, die über Wirtschaftskompetenz verfügen. Ich kann Ihnen einiges von wirtschaftskompetenten Leuten erzählen, die noch vor der Regierungsübernahme mit wehendem Mantel in die Betriebe gekommen sind und als Erstes gefragt haben, wie groß denn ihr Dienstwagen sei, und erst als Zweites gefragt haben, was die Firma überhaupt herstellt. ({0}) - Das kann ich Ihnen sagen. ({1}) Die Leute hatten - das muss ich Ihnen leider sagen - auch Ihren Dialekt. Aber der Generalverdacht kam vorher von einer anderen Seite. Die Kompetenz habe ich am eigenen Leib erlebt. Ich habe auch erlebt, dass sich Leute plötzlich Wirtschaftskompetenz holen mussten, um zu überleben. Gucken Sie einmal in die Bücher hinein; da werden Sie sicherlich einige Biografien dazu finden. Was das Thema Holzmann angeht, so fragen Sie doch einmal nach, wie viele kleine Mittelständler bei Holzmann drangehangen haben. Glauben Sie vielleicht, ein einziger von den Parkettlegern oder Fensterbauern hätte eine müde Mark gesehen? Denken Sie vielleicht, die Banken hätten auf ihren Anteil an der ganzen Sache verzichtet? Sie sind die Ersten. Die Banken kriegen bei einem Konkurs immer die großen Brocken - das wissen Sie ganz genau - und für die kleinen Mittelständler bleibt überhaupt nichts mehr übrig. Das müssten Sie eigentlich wissen, wenn Sie für sich Wirtschaftskompetenz in Anspruch nehmen. Gehen Sie einmal durch das gesamte Land und fragen Sie, wie viele Mittelständler - im Osten wie im Westen drangehangen haben, die heilfroh waren, dass es diese Finanzspritze gab, weil sie dadurch die Möglichkeit hatten, ihr Geld zu bekommen. ({2}) Wir haben den Eingangssteuersatz bis zur letzten Stufe um 11 Prozent gesenkt. Davon profitieren vor allem kleine und mittlere Einkommen und natürlich auch viele kleine, weniger ertragsstarke Unternehmen und FamilienHartmut Schauerte betriebe. Dazu kommt noch die Entlastung durch die pauschalierte Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuerschuld. Die Abschaffung der Gewerbesteuer ist eine Forderung vieler Mittelständler. Aber das ist nicht machbar - das wissen Sie ganz genau -, weil dann auch die Städte und Gemeinden laut schreien. Durch die pauschalierte Anrechnung werden die Mittelständler jedoch zumindest entlastet. ({3}) Wichtig für den Mittelstand ist auch die Absicherung im Alter. Häufig ist die Betriebsveräußerung ein elementarer Bestandteil. In diesem Fall wurde der Steuerfreibetrag von 60 000 DM auf 100 000 DM erhöht. Es sind also 40 000 DM mehr steuerfrei. Außerdem wird alternativ zur Fünftelungsregelung einmal im Leben der halbe Steuersatz gewährt. Diese Regelung gilt ab dem Veranlagungszeitraum 2001 für Unternehmer mit Vollendung des 55. Lebensjahres, bei dauernder Berufsunfähigkeit auch früher. Somit können ausscheidende Unternehmer Gewinne aus Veräußerung und Aufgabe von landwirtschaftlichen, gewerblichen und freiberuflichen Betrieben und Mitunternehmeranteilen mit dem halben durchschnittlichen Steuersatz besteuern lassen. Dies geschieht noch unter Berücksichtigung des Freibetrags von 100 000 DM. Neuerdings behauptet die CDU/CSU auch noch, es gebe bei der Aufgabe von Gewerbebetrieben eine Verschärfung; Teile des Mitunternehmeranteils seien nicht mehr steuerbegünstigt. Richtig ist, dass diese Änderung lediglich eine Verwaltungsanweisung ausräumt, für die es nie eine Rechtsgrundlage gab. Das betrifft aber nicht den Bäckermeister oder den Fliesenleger, der seinen Betrieb an den Sohn oder an die Tochter übergibt, sondern eher den Rechtsanwalt, der sich nicht sofort total aus seiner Kanzlei zurückziehen will und daher nur Anteile aufgibt, sich also nur stückchenweise zurückzieht. Wenn er sich dann endgültig aus dieser Kanzlei zurückzieht und auch all die stillen Reserven aufgedeckt werden, stehen natürlich auch ihm alle Steuervergünstigungen zur Verfügung. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass die CDU/CSU-Fraktion gestern im Ausschuss keinen Änderungsantrag zu genau diesem Punkt eingebracht hat. Da kam nichts! ({4}) Dann kommen wir noch einmal zu dem aufflackernden und immer wieder unterstellten Vorwurf der Opposition, der Mittelstand würde gegenüber den Kapitalgesellschaften immens benachteiligt. Das ist schlicht und einfach falsch. Herr Lennartz hat es Ihnen doch vorhin vorgerechnet. In der letzten Stufe müsste ein verheirateter Einzelunternehmer ein zu versteuerndes Einkommen von 480 000 DM haben und ein Lediger eines von 250 000 DM. Erst dann hätte er den gleichen Steuersatz wie eine Körperschaft, nämlich 38,6 Prozent. Jetzt verraten Sie mir doch bitte mal, welcher Mittelständler so einen Gewinn hat. Das ist ja kein Jahresumsatz, das ist Gewinn. Herr Hinsken, wie viele Ihrer Kollegen im Konditoreigewerbe haben denn solche Gewinne im Jahr? ({5}) Fragen Sie doch einmal! Ich kenne viele Mittelständler, die wären heilfroh, wenn sie nur die Hälfte davon hätten. Schauen Sie doch einmal in die Einkommensteuerstatistik hinein. 95 Prozent der Steuerpflichtigen mit gewerblicher Tätigkeit machen Einkünfte unter 250 000 DM geltend und 78 Prozent sogar unter 100 000 DM. Das heißt, Sie vertreten an dieser Stelle den Mittelstand, allerdings nur in Größenordnungen von 5 Prozent. Dann sagen Sie doch aber auch den Mittelständlern vor Ort, dass Sie hier nur 5 Prozent der Mittelständler vertreten wollen. ({6}) Wir brauchen alle den Mittelstand. Es ist Aufgabe von allen, diesen Mittelstand auch in Land und Kommune zu unterstützen, so weit es geht. Wenn Sie jetzt auch noch einwerfen, dann senkt doch die Steuern für den Mittelstand weiter, dann muss ich leider auf den Konsolidierungskurs verweisen. ({7}) - Wenn wir so mit Geld umgehen würden wie Sie, hätten wir wahrscheinlich in ein paar Jahren noch ein paar Millionen oder Milliarden Schulden mehr. ({8}) Aber die Steuerreform steht nicht auf tönernen Füßen, sondern sie ist real kalkuliert und da ist für Steuersenkungen kein Spielraum mehr. Weitere Schritte würden die Konsolidierung gefährden. Das würde bedeuten: keine Absenkung der Staatsverschuldung, keine Absenkung der Zinsausgaben und keine größer werdenden Ausgabenspielräume in Zukunft. Es gibt aber nicht nur eine zukünftige Generation, die mit dem Bundesetat zurecht kommen muss, es gibt auch eine zukünftige Generation der Mittelständler, die entweder den Familienbetrieb weiterführen oder auch neue Unternehmen gründen. Diese zukünftigen Unternehmergenerationen brauchen auch dann existenzfördernde Rahmenbedingungen. Die können nur gewährt werden, wenn wir jetzt mit der Haushaltskonsolidierung den Grundstein dafür legen. Daher werden wir nicht vom Kurs abweichen und diesen Weg auch weitergehen. Vielen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Zu Tagesordnungspunkt 5 a: Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksa- che 14/6633 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vor- schläge? - Das ist nicht der Fall; dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 5 b: Wir kommen zur Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- logie auf Drucksache 14/6094 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Chancen des Mittelstandes in der globalisierten Wirtschaft stärken“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksa- che 14/5545 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stim- men der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 5 c: Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksa- che 14/6687. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5551 zur steu- erlichen Gleichstellung des Mittelstandes abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschluss- empfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koali- tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP. Weiterhin empfiehlt der Finanzausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/5962 mit dem Titel „Steuerliche Benachteiligung des Mittel- stands beseitigen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den gleichen Mehrheitsver- hältnissen angenommen. Tagesordnungspunkt 5 d: Wir kommen jetzt zur Be- schlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur „Wiederherstellung des umfassenden Rechts auf Vorsteuerabzug“, Drucksache 14/6448. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck- sache 14/5223 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS. Tagesordnungspunkt 5 e: Schließlich stimmen wir ab über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirt- schaft und Technologie auf Drucksache 14/5973 zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Neue Mittelstandspolitik - Motor für Beschäftigung und Innovation“. Der Ausschuss emp- fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5485 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von CDU/CSU, FDP und PDS. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a bis g und Zu- satzpunkt 4 a bis 4 f sowie Zusatzpunkt 18 auf: 33. Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ ({0}) - Drucksache 14/7256 Überweisungsvorschlag: Sonderausschuss Maßstäbe-/ Finanzausgleichsgesetz ({1}) Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der Leistungen bei häuslicher Pflege von Pflegebedürftigen mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf ({2}) - Drucksache 14/7154 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({3}) Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortsetzung der Dienstrechtsreform - Drucksache 14/3458 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({4}) Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 98/8/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten ({5}) - Drucksache 14/7007 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({6}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Gesundheit e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 19. September 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen und schweren Unglücksfällen - Drucksache 14/7096 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({7}) Ausschuss für Tourismus f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Fleischhygienegesetzes - Drucksache 14/7153 ({8}) - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land- wirtschaft Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Finanzierung von Umschulungsmaßnahmen - Drucksache 14/5692 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({9}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Versorgungsänderungsgesetzes 2001 - Drucksachen 14/7223, 14/7257 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({10}) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuss Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes - Drucksache 14/7207 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({11}) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2002 ({12}) - Drucksache 14/7259 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({13}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Haushaltsausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela Schröter, Eckhardt Barthel ({14}), Hans-Werner Bertl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Grietje Bettin, Rita Grießhaber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Reform der deutschen Filmförderung - Drucksache 14/7178 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({15}) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Wiesehügel, Dieter Maaß ({16}), Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Werner Schulz ({17}), Franziska Eichstädt-Bohlig, Kerstin Müller ({18}), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Zukunft der deutschen Bauwirtschaft - Drucksache 14/7297 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({19}) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.-Ing. Rainer Jork, Dr. Gerhard Friedrich ({20}), Thomas Rachel, weiterer Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU Lehrstellenmangel in den neuen Bundesländern bekämpfen - Reformen in der beruflichen Bildung vorantreiben - Drucksache 14/7281 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({21}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder ZP 18 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Juli 2001 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China über Sozialversicherung - Drucksache 14/7246 Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit China über Sozialversicherung, Drucksache 14/7246 - Zusatzpunkt 18 -, soll zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Ausschuss für Gesundheit überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 34 a bis 34 l sowie zu den Zusatzpunkten 5 a und 5 b. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Zunächst Tagesordnungspunkt 34 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umstellung von Vorschriften aus den Bereichen des Verkehrs-, Bau- und Wohnungswesens sowie der Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf den Euro ({22}) - Drucksache 14/6810 ({23}) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({24}) - Drucksache 14/7251 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Hermann Kues Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 34 b: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens vom 14. Juli 1967 zur Errichtung der Weltorganisation für geistiges Eigentum - Drucksache 14/6260 ({25}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({26}) - Drucksache 14/7273 Berichterstattung: Abgeordnete Dirk Manzewski Dr. Norbert Röttgen Volker Beck ({27}) Rainer Funke Dr. Evelyn Kenzler Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/7273, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 34 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Euro im Berufsrecht der Rechtspflege, in Rechtspflegegesetzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit und in Gesetzen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts - Drucksache 14/6371 ({28}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({29}) - Drucksache 14/7349 Berichterstattung: Abgeordnete Alfred Hartenbach Dr. Norbert Röttgen Hans-Christian Ströbele Rainer Funke Dr. Evelyn Kenzler Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 34 d: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Wahlstatistikgesetzes - Drucksache 14/6538 ({30}) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({31}) - Drucksache 14/7125 Berichterstattung: Abgeordnete Barbara Wittig Erwin Marschewski ({32}) Dr. Max Stadler Der Innenausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/7125, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU gegen die Stimmen von FDP und PDS angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU gegen die Stimmen von FDP und PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 34 e: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. März 2001 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Malta zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Drucksache 14/7039 ({33}) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Zweite und dritte Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. April 2001 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und bestimmter anderer Steuern, zur Verhinderung der Steuerverkürzung und zur Amtshilfe in Steuersachen - Drucksache 14/7041 ({34}) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({35}) - Drucksache 14/7353 Berichterstattung: Abgeordnete Heidemarie Ehlert Heinz Seiffert Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7353, den Gesetzentwurf auf Drucksache 14/7039 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7353, den Gesetzentwurf auf Drucksache 14/7041 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 34 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({36}) Sammelübersicht 304 zu Petitionen - Drucksache 14/7161 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 304 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der FDP bei Enthaltung der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 34 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({37}) Sammelübersicht 305 zu Petitionen - Drucksache 14/7162 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 305 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der FDP bei Enthaltung der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 34 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({38}) Sammelübersicht 306 zu Petitionen - Drucksache 14/7163 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 306 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der FDP bei Enthaltung der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 34 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({39}) Sammelübersicht 307 zu Petitionen - Drucksache 14/7164 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 307 ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 34 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({40}) Sammelübersicht 308 zu Petitionen - Drucksache 14/7165 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 308 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von CDU/CSU, FDP und PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 34 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({41}) Sammelübersicht 309 zu Petitionen - Drucksache 14/7166 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 309 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS bei Gegenstimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 34 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({42}) Sammelübersicht 310 zu Petitionen - Drucksache 14/7167 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 310 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen der PDS angenommen. Wir kommen zum Zusatzpunkt 5 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms über elektronische Register und Justizkosten für Telekommunikation - ERJuKoG - Drucksache 14/6855 ({43}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschlusses ({44}) - Drucksache 14/7348 Berichterstattung: Abgeordnete Alfred Hartenbach Dr. Wolfgang Götzer Volker Beck ({45}) Rainer Funke Dr. Evelyn Kenzler Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Wir kommen zum Zusatzpunkt 5 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschlusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({46}) zu der Verordnung der Bundesregierung Verordnung zur Umsetzung des Europäischen Abfallverzeichnisses - Drucksachen 14/7091, 14/7195 Nr.2.1, 14/7339 Berichterstattung: Abgeordnete Ulrike Mehl Georg Girisch Michaele Hustedt Birgit Homburger Eva Bulling-Schröter Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf Drucksache 14/7091 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit einstimmig angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS Massive Mehrkosten bei den Baumaßnahmen im Parlaments- und Regierungsviertel in Berlin sowie Verantwortung der Bundesbaugesellschaft Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner für die antragstellende Fraktion hat der Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel von der PDS-Fraktion das Wort. ({47})

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach vorliegenden Informationen verursachen der Umbau des Reichstagsgebäudes, der Neubau des Bundeskanzleramtes sowie die neuen Gebäude für den Deutschen Bundestag Mehrkosten in einem Umfang von insgesamt etwa einer halben Milliarde DM. Geplant waren Gesamtkosten in einem Umfang von 3,0 Milliarden DM. Zum Vergleich: Diese Mehrkosten machen die Hälfte des Bundesumwelthaushaltes im Jahr 2001 aus. Das zeigt die Größenordnung. Auf der Grundlage der bislang geprüften Abrechnungen werden beispielsweise beim Neubau des Bundeskanzleramtes die geplanten Kosten in Höhe von 398 Millionen DM auf mindestens 513 Millionen DM anwachsen. Das sind 115 Millionen DM mehr, als ursprünglich genehmigt. In der Kostenexplosion der Bundesbauten ist aber längst noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Es muss mit weiteren 300 Millionen DM bis 500 Millionen DM Mehrkosten gerechnet werden. Nach wie vor sind nämlich Rechnungen zwischen bauausführenden Firmen und der Bundesbaugesellschaft Berlin in dreistelliger Millionenhöhe strittig. Vielen Firmen, die am Bau der Bundesbauten beteiligt waren, drohen wegen nicht bezahlter Rechnungen seitens der Bundesbaugesellschaft weiterer Arbeitsplatzabbau, weitere Kurzarbeit und sogar Insolvenzen. Dies geschieht in einer Zeit, in der die Lage bei der Bauwirtschaft, beim Bauhandwerk und beim Baunebenhandwerk zusehends dramatischer wird. Bereits jetzt, so die Zahlen, gibt es über 650 000 arbeitslose Bauleute in Deutschland. Das ist eine fürwahr unverantwortliche Situation. ({0}) - Herr Kollege Kampeter, ich freue mich, dass Sie sich schon jetzt so aktiv an der Debatte beteiligen. Ich will Ihnen an dieser Stelle sagen: Die genannten Baumaßnahmen haben selbstverständlich das Antlitz im Spreebogen und das Stadtbild verändert. Die Glaskuppel auf dem Reichstagsgebäude ist in der Tat ein Besuchermagnet. Aber die von der Bundesbaugesellschaft Berlin mit beschränkter Haftung gemanagten Bauvorhaben sind auch von Gigantismus - ich verweise nur auf das Bundeskanzleramt -, von akuten Qualitätsmängeln, von damit einhergehenden, teilweise erheblichen Terminüberschreitungen und schließlich von hohen Mehrkosten begleitet. Die Bauleistungen der Bundesbaugesellschaft, deren 100prozentiger Gesellschafter der Bund ist, können - etwas salopp formuliert - als Management von Pleiten, Pech und Pannen charakterisiert werden. Die PDS hatte 1992 im Bundestag die Bildung der Bundesbaugesellschaft - diese war schon damals sachlich nicht gerechtfertigt - vehement abgelehnt und sieht sich in dieser Entscheidung bis heute bestätigt. Ich möchte auch nicht verhehlen, dass die Privatisierung damals vor allem von CDU/CSU und FDP massiv vorangetrieben worden ist. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Anlässlich der Unterzeichnung des Gesellschaftervertrages am 10. September 1993 erklärte die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung, dass „mit der Wahl der privaten Rechtsform“ anstelle der Bundesbaudirektion - die jetzt folgenden Worte sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen - „eine flexiblere Planung und Untersuchung der Baumaßnahmen möglich“ ist. Aufgabe der privaten Gesellschaft sei es, „für eine zügige und insbesondere auch sparsame“ - ich betone: sparsame - „Umsetzung der Baumaßnahmen zu sorgen“. Die jetzt vorliegende Bilanz hinsichtlich der Bauten am Spreebogen zeigt, dass die Bundesbaugesellschaft selbst und ihre Aufsichtsgremien, darunter auch das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und das Bundesministerium der Finanzen, so manche der ihr übertragenen Aufgaben mit Füßen getreten haben. Die Privatisierung hat auch in diesem Falle - die Fakten liegen auf dem Tisch - zu einem Fiasko geführt. Zu offensichtlich ist, dass sie damals wohl in erster Linie veranlasst worden ist, um den Spitzenmanagern der Baugesellschaft Topgehaltskonditionen zu verschaffen, die nach dem öffentlichen Dienstrecht nicht, und zwar auch nicht annähernd, möglich gewesen wären. Für diese erheblichen Mehrkosten sollen wiederum die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aufkommen. Wir meinen: Kein Kavaliersdelikt! Unverantwortliche Lage! Die PDS-Fraktion verlangt, dass die Bundesregierung den gesamten Vorgang gründlich auswertet. Dem Deutschen Bundestag sind umgehend kontrollfähige Schlussfolgerungen vorzulegen. Auch die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses ist denkbar und sollte geprüft werden. ({1}) Die Verantwortlichen sind unter anderem auch mithilfe der vorhandenen Haftungsregelungen persönlich zur Rechenschaft zu ziehen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Achim Großmann.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat am 20. Juni 1991 beschlossen, seinen Sitz von Bonn nach Berlin zu verlegen. ({0}) Dies bedeutete, dass in kurzer Zeit ein immenses Bauvolumen realisiert werden musste. Uns stellte sich eine einzigartige Aufgabe in einer bisher völlig unbekannten Größenordnung. Die damalige Bundesregierung und der Deutsche Bundestag diskutierten und überlegten gemeinsam, wie diese Herausforderung am effektivsten zu bewältigen wäre. Die vorhandenen Kapazitäten der Bauverwaltung - darüber bestand über alle Parteigrenzen hinweg Einigkeit - waren jedenfalls für diese einmalige Aufgabe nicht ausgelegt und so wurde unter Leitung der damaligen Bundesbauministerin Irmgard Schwaetzer von der FDP die Gründung einer privatrechtlichen Gesellschaft auf Zeit favorisiert. Im zweiten Zwischenbericht der Konzeptkommission des Ältestenrates des Deutschen Bundestages vom 17. Juni 1992 wird auf Folgendes hingewiesen: Zur zügigen Bewältigung der Baumaßnahmen von Bundestag und Bundesregierung im Wettbewerbsgebiet Spreebogen soll eine Bau-GmbH im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland gegründet werden, die die grundsätzlich vorgeschriebene Verantwortung des zuständigen Bundesministers gegenüber dem Deutschen Bundestag wahrt … Weiter heißt es, dass „alle grundlegenden Entscheidungen für Bauvorhaben des Deutschen Bundestages von diesem selbst getroffen ... werden“. - Dies ist unter anderem Aufgabe der Baukommission des Ältestenrates des Deutschen Bundestages, die zugleich als Beirat der Bundesbaugesellschaft fungiert und in der auch - nur zur Information - Mitglieder der PDS-Fraktion sitzen. Im selben Zwischenbericht steht - das ist ein ganz wichtiger Satz -: Die Einflussmöglichkeiten des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, namentlich auch durch die baufachlichen Prüfungen, müssen im Interesse der Effektivität auf ein Mindestmaß zurückgeführt werden und im Rahmen des haushaltsrechtlich Erforderlichen auf Stichproben und Plausibilitätskontrollen beschränkt sein. Das war ein klarer Hinweis auf das, was damals vom Parlament und von der alten Bundesregierung gewollt war, nämlich möglichst wenig Einfluss auf das Agieren der Bundesbaugesellschaft. ({1}) Auch im dritten Zwischenbericht der Konzeptkommission des Ältestenrates vom 17. Januar 1994 werden unter Nummer 4, Bundesbaugesellschaft Berlin mbH, die soeben zitierten Ausführungen des zweiten Zwischenberichts deutlich hervorgehoben. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ist der Baugesellschaft gegenüber nicht weisungsbefugt und auch ist nicht - im Unterschied zur Bauverwaltung - deren oberste technische Instanz. Die somit reduzierten Aufgaben nimmt die Bundesregierung, dem privatwirtschaftlichen Charakter der Bundesbaugesellschaft und den zugrunde liegenden Verträgen entsprechend, verantwortungsvoll wahr. Alle Verträge des Bundes mit der Bundesbaugesellschaft - also Gesellschaftsvertrag, Rahmenvertrag und die Projektverträge - sind erst nach Zustimmung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages geschlossen worden. Somit war der Deutsche Bundestag an allen maßgeblichen Entscheidungen bezüglich seiner Bauvorhaben intensiv beteiligt. Nun einige Worte zur zeitlichen Entwicklung. Die Bundesbaugesellschaft Berlin wurde am 19. September 1993 in Berlin gegründet. Entsprechend dem Gesellschaftervertrag obliegt der BBB „die Organisation und die Koordination der Planung und Durchführung von Baumaßnahmen“. Die Bundesbaugesellschaft handelt eigenverantwortlich. Zu ihren Baumaßnahmen gehört zum Beispiel der Umbau des Reichstagsgebäudes, termingerecht fertiggestellt zur Eröffnung im April 1999. Herr Rössel, da Sie alles zusammengefasst haben, sollten wir auch noch sagen, dass nach dem jetzigen Stand die Kosten für das Reichstagsgebäude, die ursprünglich auf 600 Millionen DM veranschlagt wurden, auf 607 Millionen DM geschätzt werden. Allerdings sind noch einige Rechnungen strittig, sodass wir unter Umständen punktgenau bei 600 Millionen DM landen könnten. Man muss also die einzelnen Gebäude, die Sie alle in einen Topf geworfen haben, sehr unterschiedlich beurteilen. Zu den Baumaßnahmen zählen weiter die Betriebskindertagesstätte und die Neubauten des Bundeskanzleramtes, des Paul-Löbe-Hauses, des Jakob-Kaiser-Hauses und des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses. Die meisten dieser Gebäude sind in Betrieb genommen; beim JakobKaiser-Haus hat der Umzug im Oktober 2001 begonnen. Das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus wird am spätesten fertig gestellt. Hinzu kommen natürlich auch die Infrastrukturmaßnahmen, die parallel dazu durchgeführt werden. Wie Ihnen bekannt ist, standen alle Baumaßnahmen terminlich unter höchstem Zeitdruck. Die Terminpläne waren von Anfang an sehr ehrgeizig und die Bundesbaugesellschaft hat alle Anstrengungen unternommen, diese einzuhalten. So schlug sie zum Beispiel ein Überlappen der einzelnen Leistungsphasen vor. Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hat am 20. September 1995 einvernehmlich der teilweise überlappenden Planung - Entwurfs- und Ausführungsplanung - und der vorgezogenen Bauausführung der Baugruben für die großen Neubaumaßnahmen zugestimmt. Zusätzlich wurden alle diese Neubaumaßnahmen durch unvorhersehbare Gründungsprobleme bzw. -schäden - unterschiedlich in Ursache und Umfang - belastet, die einen gestörten Bauablauf zur Folge hatten. Teilweise wird gesagt, man hätte sich den Boden genauer ansehen müssen. Hätte man das getan, so hätte das nur zur Folge gehabt, dass man schon damals zu höheren Kostenschätzungen gekommen wäre. Im Ergebnis hätten sich ähnliche Summen ergeben. Die Klärung der Ursachen und Haftungsfragen in zeitaufwendigen Gutachter- und Gerichtsverfahren sind beim Jakob-Kaiser-Haus und beim Marie-Elisabeth-Lüders-Haus noch nicht abgeschlossen. Dies bezieht sich auf die gestörten Bauabläufe. Ich will auch anmerken, dass wir über Regressforderungen an Firmen nicht nur nachdenken, sondern der Aufsichtsrat darüber schon entschieden hat. Ein Wort zu den Mehrkosten. Ein detaillierter Bericht der Bundesbaugesellschaft zu den Mehrkosten und deren Ursachen wurde dem Haushaltsausschuss seitens der Bundesregierung vorgelegt und von ihm gestern, also in seiner Sitzung am 7. November 2001, zur Kenntnis genommen. Am Vortag haben wir den Berichterstattern die Möglichkeit gegeben, auch mit den Verantwortlichen der Bundesbaugesellschaft darüber ausführlich zu sprechen. Herr Rössel, Sie haben sich wegen eines Fraktionstermins vorzeitig verabschiedet. Wenn Sie bei der Informationsveranstaltung geblieben wären, dann hätten Sie sich Ihre Rede heute hier sparen können. ({2}) Nach diesem Bericht ist voraussichtlich mit insgesamt rund 200 Millionen DM Mehrkosten wegen Baugrundschäden und des dadurch bedingten gestörten Bauablaufs bei den Baumaßnahmen zu rechnen. Diese Baugrundschäden waren aus den vor Baubeginn aufgestellten Baugrundgutachten - ich habe schon darauf hingewiesen nicht vorherzusehen. Unabhängig davon werden seitens der Bundesbaugesellschaft bei den einzelnen Bauvorhaben Mehrkosten in Höhe von 374 Millionen DM erwartet. Dabei ist das Restrisiko schon eingerechnet, das Sie gerade noch draufgesattelt haben. Ihre Zahlen stimmen also nicht. ({3}) Es hat sich übrigens herausgestellt, dass bei den Verhandlungen die Firmen Forderungen in dreistelliger Millionenhöhe zurückgezogen haben. Das zu Ihrem Vorwurf, Rechnungen würden nicht bezahlt. Hätten wir denn unberechtigt gestellte Rechnungen bezahlen sollen? Wäre das für die Steuerzahler der richtige Weg gewesen? Nein, der richtige Weg ist, mit den Firmen knallhart zu verhandeln; denn nicht alle Firmen legen Rechnungen vor, an die man direkt einen Haken machen kann. ({4}) Das hat dem Steuerzahler Kosten in dreistelliger Millionenhöhe erspart. ({5}) Ich möchte an dieser Stelle noch einmal hervorheben, dass die Baukostensteigerungen ihre Ursache weder in zusätzlichen Nutzerwünschen noch in einer qualitativ höheren Bauausführung hatten. Die Mehrkosten hatten verschiedene Ursachen: Im Bereich der Planung und Ausschreibung wurden Planungsfortschreibungen, Massenmehrungen und Bauumstellungen erforderlich. Es gab Störungen im Bauablauf. Daraus resultierten Verschiebungen der Fertigstellungstermine. Schließlich dauert dadurch der erforderliche Interimsbetrieb länger und auch das kostet Geld. Grundsätzlich sind erst nach Vorliegen und Endabrechnung der Schlussrechnungen, was noch geraume Zeit nach Baufertigstellung in Anspruch nehmen wird, abParl. Staatssekretär Achim Großmann schließende Angaben zu den endgültigen Kosten möglich, aber vom Bauablauf her sind bei fertig gestellten Gebäuden keine Risiken mehr vorhanden. Der Haushaltsausschuss hat in seiner Sitzung am 16. Mai 2001 den Bundesrechnungshof gebeten, zur Vertragsgestaltung sowie zu Fragen der Haftung der Bundesbaugesellschaft wegen der Nichteinhaltung von Kosten und Terminen Stellung zu nehmen. Auch dieser Bericht des Rechnungshofs ist dem Haushaltsausschuss in der gestrigen Sitzung vorgelegt und dort zur Kenntnis genommen worden. Zusammenfassend ist festzustellen, dass es keine Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten der Geschäftsführer oder der Aufsichtsratsmitglieder der Bundesbaugesellschaft gibt. Wir alle ärgern uns über die Mehrkosten, die mit so großen Bauwerken nun einmal zusammenhängen. Wir haben einige Gebäude ohne Mehrkosten, einige mit deutlichen Mehrkosten fertig gestellt. Über die Ursachen habe ich gesprochen. An dieser Stelle müssen wir, meine ich, Gerechtigkeit walten lassen. Die Bundesbaugesellschaft hat weitestgehend gut gearbeitet und das sollte man an dieser Stelle auch einmal festhalten. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dietmar Kansy von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ein Glück für dich, dass du nicht auf meine Landesliste musst! Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist wohl wahr: Es läuft etwas nicht gut mit der BBB. Wenn etwas nicht gut läuft, werden Schuldige gesucht. Das ist überall im Leben so. Das ist auch im deutschen Parlament so, ({0}) auch bei den Bundestagsbauten, Herr Kollege Wagner, und bei der Entwicklung der Kosten für diese Bauten. Aber wenn man dabei in Kenntnis der derzeitigen Sachlage Showdebatten anzettelt, ({1}) dann ist das nicht zielführend, dann ist das nicht aufklärend, dann ist das eher vernebelnd. Wenn Sie auch noch gleichzeitig weniger Geld für mehr Bauarbeiter ausgeben wollen, wie beantragt, dann ist das nicht mehr nachzuvollziehen. ({2}) Meine Damen und Herren, wir sollten uns einmal daran erinnern, wie das alles begann. Staatssekretär Großmann hat es angedeutet. Ich will noch etwas mehr Klartext reden. Als wir 1993 nach zweijähriger Diskussion die BBB gegründet haben, war eine Hoffnung, die lange Klagelitanei über die damalige Bundesbaudirektion, mit der wir unsere Parlamentsbauten in Bonn gebaut haben, in Berlin nicht erneut anstimmen zu müssen. ({3}) - Ja, das war unsere Hoffnung. - Hauptkritikpunkte an der Bundesbauverwaltung waren damals nicht ausreichende Termintreue, nicht ausreichende Kostentreue ({4}) und nicht ausreichende Mängelbeseitigung vor Übergabe der Gebäude. Ich erinnere Sie an die spektakuläre Übernahme unseres Parlamentsneubaus in Bonn. Während der Haushaltsrede von Theo Waigel traten derartige technische Probleme auf, dass wir für ein halbes Jahr wieder ins Wasserwerk ziehen mussten. Wir haben etwas Neues versucht. Die BBB hat nun Probleme, unter anderem mit den Baukosten. Wie auch der Bericht des Bundesrechnungshofes an den Haushaltsausschuss zeigt, ist es jetzt dennoch zu früh, Vorverurteilungen vorzunehmen. Wenn man den Bericht des Bundesrechnungshofes an den Haushaltsausschuss mit dem Bericht, den der Bundesminister für Verkehr, Bau und Wohnungswesen in gleicher Sache dem Parlament zukommen ließ, vergleicht, dann ist man ausreichend sachkundig, um zu dem Ergebnis zu kommen: Man sollte natürlich weiterhin zielstrebig daran arbeiten, endgültige Klarheit zu schaffen. Das gilt auch in Bezug auf die Mehrkosten, die die PDS pauschal als „massiv“ bezeichnet. Weil es gerade so schön passte - der Staatssekretär hat schon darauf hingewiesen -, haben Sie in Ihrer Rede auch angesprochen, dass für das Reichstagsgebäude statt 600 Millionen DM 607 Millionen DM ausgegeben wurden. Der Anstieg der Kosten um ungefähr 1 Prozent geht auf die Mehrwertsteuererhöhung während der Bauzeit zurück. Das wurde noch gar nicht erwähnt. ({5}) Gerade angesichts des Ergebnisses, das wir im Hinblick auf den Umbau des Reichstagsgebäudes erzielt haben, hätte ich Ihnen wirklich den guten Rat gegeben, dieses Gebäude in dieser Debatte überhaupt nicht in den Mund zu nehmen. ({6}) Neben dem Reichstagsgebäude gibt es das JakobKaiser-Haus, unser Sorgenkind, was die Parlamentsbauten angeht. Ich darf auf Folgendes hinweisen: Die Kostenschätzung stammt aus dem Jahr 1994. In diesem Zeitraum wurde das Berlin/Bonn-Gesetz verabschiedet. Seitdem sind mehr als sieben Jahre vergangen. Bei der Errichtung des Jakob-Kaiser-Hauses, unseres Problemkindes - Sie können es den Berichten entnehmen -, kam es - wenn man die Kosten für die einzelnen Gewerke zusammenfasst - zu Mehrkosten in der Größenordnung von 12 bis 16 Prozent. Zwar sind die Kosten in diesen Jahren für Rohbauten nicht so stark angestiegen, wie es früher immer der Fall war; allerdings entfallen mehr als 50 Prozent der Kosten für unsere Bauten auf die technischen Gewerke. Wer davon redet, dass es in dem Zeitraum von mehr als sieben Jahren Kostensteigerungen von über 12 Prozent gab, der hat das alles nicht berücksichtigt. Es wäre zielführender, in der Debatte ein Stückchen Fairness walten zu lassen, als nur deswegen populistisch auf dem politischen Gegner herumzuhauen, weil es gerade in die Landschaft passt. Mit der Konstruktion der BBB hat sich das ganze Parlament die Möglichkeit genommen - Staatssekretär Großmann hat es bereits gesagt -, irgendjemandem in dieser Gesellschaft direkte Anweisungen zu geben. ({7}) Wir haben uns aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. ({8}) - Ja, so war es. Nachdem wir beim Umbau des Parlamentsgebäudes in Bonn mit den Beamten sehr große Probleme hatten, haben wir uns gedacht, dass wir es beim Umbau des Parlamentsgebäudes in Berlin mit einer neuen Konstruktion versuchen. Nachdem wir alles aufgeklärt haben, sollten wir den Mut haben zu bilanzieren. Wir wissen dann vielleicht, wie wir es in der Zukunft besser machen. Ich wehre mich nur gegen billige Vorverurteilungen - von wem auch immer -, bevor der Bundesrechnungshof und andere die Kosten unserer Bauvorhaben endgültig beurteilt haben. ({9}) Langer Rede kurzer Sinn: Lassen Sie uns auf dem Teppich bleiben! ({10}) Erst sollte man sich informieren, dann sollte man nachdenken und erst dann sollte man Aktuelle Stunden beantragen! Besser noch ist es, Aktuelle Stunden dieser Art gar nicht zu beantragen. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Franziska EichstädtBohlig von Bündnis 90/Die Grünen das Wort. ({0})

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was die Schuldfrage angeht, sollten wir es uns nicht ganz so einfach machen. Als Erstes möchte ich ganz deutlich sagen: Ich glaube nicht, dass wir hier über das Thema der privatrechtlichen Konstruktion streiten müssen. Wir sollten nicht der Rechtskonstruktion die Schuld in die Schuhe schieben. Wenn noch mehr Zeit vergangen ist, dann sollte der Rechnungshof einmal in einer sehr ernsten Form und auf der Grundlage vernünftiger Kriterien einen Vergleich zwischen der Arbeitsweise des Bundesbauamtes und der Arbeitsweise der BBB im Hinblick auf die von diesen Behörden durchgeführten Projekte vornehmen. Man könnte dann sehen, ob wir aus den Erfahrungen mit der privatrechtlichen Konstruktion à la longue Konsequenzen ziehen müssen. Das könnte dabei helfen, die Effizienz der Arbeit des Bundesbauamtes zu hinterfragen. Ich bitte darum, das Thema „privatrechtliche Konstruktion“ gesondert zu behandeln. Jedes Unternehmen, das Projektmanagement bei Bauten solcher Größenordnung betreibt, hat es mit unerwarteten Kostensteigerungen, mit Terminplänen und mit Mängeln zu tun. Von daher halte ich es für richtig, die Effizienzfrage zu stellen. Aber ich bin nicht dafür, gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten. Da gerade ich, seitdem ich an dem ganzen Verfahren beteiligt bin, am deutlichsten Kritik ausgesprochen habe und immer wieder gewarnt und geschimpft habe sowie der Bundesbaugesellschaft Berlin sehr viele Vorhaltungen gemacht habe, möchte ich an dieser Stelle angesichts der enormen Bauvolumina und Probleme, die abzuwickeln und zu bewältigen waren, der BBB meinen Dank aussprechen. Ich bin der Meinung, dass sich Kritik auf der einen Seite und Anerkennung auf der anderen Seite nicht ausschließen müssen. Wir sollten vielmehr die richtige Relation bei beidem bewahren. ({0}) Ich möchte die Gelegenheit nutzen - von daher ist diese Aktuelle Stunde gar nicht einmal so schlecht -, auf ein paar Punkte hinzuweisen. Hierbei spielt der Aspekt eine Rolle, dass ich glaube, dass es falsch wäre, einseitig alles nur der BBB in die Schuhe zu schieben; ({1}) vielmehr tragen auch wir als Parlament und unsere Baukommission - ich sage bewusst: wir - und der damalige Haushaltsausschuss ein Stück Mitverantwortung für eine Reihe von wirklichen Fehlentscheidungen, die damals schon hätten erkannt werden können. Als Erstes nenne ich die Zeitplanung. Es ist zu viel Zeit in der Vorentscheidungsphase vertan worden, ({2}) während die eigentlich geplante Bauzeit vom ersten Tag an - das haben Leute, die davon Ahnung hatten, sofort gesehen - zu knapp bemessen war. ({3}) Der zweite Punkt ist, dass die Kostenobergrenze in Höhe der berühmten 20 Milliarden DM, die vom Haushaltsausschuss gesetzt worden war, meines Erachtens sehr großzügig bemessen war; aus meiner damaligen Sicht war sie zu hoch angesetzt. Einen aus meiner Sicht entscheidenden Fehler im Zusammenhang damit habe ich den Architekten und der BBB bis heute nicht verziehen, nämlich dass sie mit der Kostenplanung für die jeweiligen Projekte gnadenlos bis knapp an die Obergrenze gegangen sind. Es wurde teilweise nicht einmal ein Sicherheitseinbehalt von 10 Prozent vereinbart. Angesichts derartig komplizierter Projekte hätten mindestens 20 Prozent Sicherheitseinbehalt vorgesehen werden müssen. Die Schuld dafür sollte man nicht nur einer Seite anlasten, sondern sie muss sowohl der Auftraggeber- als auch der Auftragnehmerseite angerechnet werden. ({4}) Der dritte Fehler war, dass die BBB der Meinung war, dass über das Vergabeverfahren Kosten eingespart werden könnten. Es war ein großer Fehler zu hoffen, dass die Kosten durch Konkurrenz so gedrückt werden könnten, dass die Gesamtkosten abnähmen. Stattdessen ist gleich beim ersten Anlauf, weil die BBB die Gründungsprobleme nicht ernst genommen hat, das ganze auf dem Vergabeverfahren beruhende Vertragssystem mit den verschiedenen Auftragnehmern wie Dominosteine zusammengebrochen. Dadurch entstand eine Kette von Kostensteigerungen, Zeitverzögerungen und Nachtragsverfahren, die uns heute noch belasten. Insofern liegt aus meiner Sicht der Grund für diesen Fehler in der Anfangsphase, als diese Projekte festgelegt worden sind. Ich spreche noch einen Punkt deutlich an, der mich damals sehr geärgert hat: Dass die Bundesbaugesellschaft Berlin die Gründungsprobleme schon in der Planungsphase nicht ernst genommen hat, halte ich wirklich für ein sehr ernstes Versäumnis; denn von den Fachleuten vor Ort hat es deutliche Warnungen gegeben. Aber die BBB meinte - in dieser Frage war sie wohl sehr westdeutsch geprägt -, dass der Berliner Baugrund und das hier vorhandene Urstromtal keine ernst zu nehmenden Faktoren seien und dass sie deshalb diesbezügliche Warnungen in den Wind schlagen könnte. Auf diese Auffassung sind wir alle gemeinsam hereingefallen. Darauf gehen ja auch die Kostensteigerungen hauptsächlich zurück und auch die Folgeeffekte haben sehr viel damit zu tun. Ich weiß, dass meine Redezeit gleich zu Ende ist. Trotzdem möchte ich noch deutlich meine Kritik bei den Architekten anmelden. Diese haben zu sehr auf Design und zu wenig auf den Gebrauchswert geachtet ({5}) und ihrerseits die Gelegenheit genutzt - wohl in der Meinung, dass man es bei einem so noblen Bauherrn, den man nur einmal in seinem Berufsleben bekommt, machen könnte -, praktisch bis an die Oberkante Unterlippe zu gehen. Wir spüren das ja auch heutzutage - ich möchte das deutlich sagen -, dass der Architektenkollege Braunfels die Länge der Wegstrecken, die wir vom Reichstag bis zu unseren Büros zurücklegen müssen, nicht beachtet hat. Ich finde, das sind schon schlimme Architektenfehler. Last but not least ein weiterer Fehler, den sich das Parlament selbst zuschreiben muss: Das sind die zu kleinen Arbeitsräume. Da ist einfach aus der Angst heraus das alte Maß - 18 Quadratmeter - aus dem Schürmann-Bau fortgeschrieben worden. ({6}) Insofern wird alle Parlamentarier - uns selbst und unsere Nachfolger - das Problem verfolgen, dass wir Luxusdesign in Foyers, in Fluren und in Treppenhäusern haben, dass wir als Arbeitsräume aber kleine Buchten haben, deren Gebrauchswert wirklich nicht den Aufgaben angemessen ist, die wir und unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu erledigen haben. Das halte ich für den gröbsten Fehler. Den sollten wir aber auch gemeinsam schultern; daran ist nicht die BBG schuld. Ich danke Ihnen allen. Wir haben da viel nachzuarbeiten. Das sollten wir gemeinsam tun und nicht rechthaberisch gegeneinander. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Jürgen Koppelin von der FDP-Fraktion das Wort.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man darf hier noch einmal daran erinnern: Aufgabe der Bundesbaugesellschaft sollte es sein, für eine zügige und insbesondere auch sparsame Umsetzung der Baumaßnahmen hier in Berlin zu sorgen. Das war die Leitlinie. Nun muss man vergleichen und abchecken, ob wirklich alles so gelaufen ist. Ich sage einmal an Bündnis 90/Die Grünen und an die PDS gerichtet: Es ist richtig, Sie haben früher eine andere Haltung gehabt, auch zu dieser Bundesbaugesellschaft. ({0}) - Das hat sich nicht geändert. - Ich muss Ihnen allerdings auch sagen: Ich halte ein Parlament, ich halte Abgeordnete für völlig überfordert, wenn sie solche Baumaßnahmen in der Form begleiten sollten, wie Sie das damals vorgesehen hatten. ({1}) Insofern war es schon richtig, eine solche Gesellschaft zu gründen. Das Parlament selbst konnte doch eigentlich nur zusammen mit dem damaligen und dem jetzigen Bundesbauministerium sowie mit der Bundesbaugesellschaft Rahmenrichtlinien für termingerechtes Bauen erstellen und die Kostenentwicklung entsprechend begleiten. Heute müssen wir feststellen, dass diese gute Zielsetzung, die wir damals hatten, enttäuscht worden ist. Die Bundesbaugesellschaft hat uns deutlich gemacht: Sie ist weder in der Lage, termingerecht zu bauen, noch ist sie in der Lage, den Kostenrahmen einzuhalten. ({2}) Die Bundesbaugesellschaft - besonders das werfe ich ihr vor - hatte sich allerdings auch verpflichtet, den Bund unverzüglich zu unterrichten, wenn absehbar wäre, dass die Kostenobergrenze und die vereinbarten Termine nicht eingehalten werden könnten. Lieber Herr Kollege Kansy - ich spreche Sie als Vorsitzenden der Baukommission an -, wir alle müssen uns vorwerfen lassen, dass wir zu lange all das geglaubt haben, was uns in schriftlichen Berichten von der Bundesbaugesellschaft präsentiert worden ist; dazu haben Sie leider nicht Stellung genommen. Wir sind doch alle völlig überrascht gewesen - da haben wir selber nicht so hinterfragt, wie es in unserer Verantwortung gestanden hätte; ich schließe mich da mit ein -, dass wir 14 Tage vorher noch einen Bericht von der Bundesbaugesellschaft bekommen hatten und dann auf einmal das Chaos herrschte. Das kann doch alles nicht wahr sein. Sie haben uns schlecht informiert; sie haben uns falsch informiert. Vor allem das werfe ich ihnen vor. Wir konnten das teilweise nicht begleiten, weil wir falsche Informationen hatten. Sie, auch Sie persönlich, haben das alles leider zu oft geglaubt. ({3}) Es reicht nicht, dem Präsidenten bei der Einweihung den goldenen Schlüssel zu überreichen; vielmehr muss man das in seinem Job auch entsprechend begleiten. Insofern ist das Ganze zu einem Trauerspiel geworden. Wir haben eine Kostenexplosion; die Bundesbaugesellschaft deutet selber an, dass die Mehrkosten über 500 Millionen DM betragen. Ich befürchte allerdings, dass sie sich in einer Sache wieder vertan haben: Es sind nicht D-Mark, sondern Euro. Wir kommen also fast an 1 Milliarde DM heran, befürchte ich. ({4}) Ich sage Ihnen ganz offen: Wenn ich mir die Berichte noch einmal anschaue, die wir von der Bundesbaugesellschaft bekommen haben, dann muss ich feststellen, dass ich denen heute kein Wort mehr glaube - kein Wort mehr! Die Umzugstermine sind zigmal gekippt worden. Warum sind sie nicht realistisch gewesen? Lieber Herr Kansy, ich spreche Sie auch noch einmal persönlich an. ({5}) - Trotzdem müssen Sie sich das anhören. Ich will Sie ja nicht persönlich angreifen. Daran sind noch mehrere Abgeordnete aus allen Fraktionen beteiligt; ich sehe Sie aber gerade und Sie haben es zu sehr verteidigt. Wir haben nebenan das Gebäude eingeweiht. Das sollte eine Einweihung sein? Ich hatte eher den Eindruck, es war eine Feierstunde wie auf einem Richtfest. So sah es dort jedenfalls aus. Das sind doch Dinge, die wir uns nicht bieten lassen können. ({6}) Es sind so viele Berichte geschrieben worden. Sie haben alle nicht gestimmt. Das werfe ich der Bundesbaugesellschaft vor. Dann kommt plötzlich der Hammer: die großen Beträge, die großen Nachforderungen. Was ist mit den vielen Verfahren? Natürlich weiß jeder: Bei einer so großen Bauangelegenheit wird es auch Prozesse geben. Wir haben bereits jetzt weit über 20 Prozesse. Schauen Sie sich einmal die Summe an, um die es dabei geht. Wir sprechen alle auch sehr viel von Privatwirtschaft. Glauben Sie denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass ein Privatunternehmer so bauen könnte, wie der Bund hier gebaut hat, dass ein privater Unternehmer Kostenüberschreitungen in dieser Größenordnung akzeptieren könnte? Er wäre längst pleite! Die Gesellschaften, die für uns bauen, und auch die Bundesbaugesellschaft wissen natürlich, dass der Bund nicht Pleite gehen kann und dass man alles machen kann, weil das schon irgendwie zurechtgebogen werden wird und weil zum Schluss diverse Kommissionen und Gremien alles abnicken werden. ({7}) Man kann diese Mängel nicht mit Wasserschäden und mit Störungen in der Bauanfangsphase entschuldigen. Ich habe die Befürchtung, dass schon von Anfang an einiges schief gelaufen ist, worüber uns die Bundesbaugesellschaft nicht informiert hat. ({8}) Wenn hier davon gesprochen wurde, es sei knallhart verhandelt worden - so hat es der Herr Staatssekretär gesagt -, dann frage ich mich, warum der Bundestagspräsident teilweise persönlich mit den Unternehmen verhandeln musste, um noch einiges in Gang zu bringen. ({9}) Das soll knallhartes Verhandeln gewesen sein? Wir Freien Demokraten hätten es deshalb begrüßt, wenn ein Untersuchungsausschuss eingesetzt worden wäre. ({10}) Ich sage Ihnen ganz offen: Wir alle tragen Verantwortung. Es geht nicht darum, zu sagen, dieser und jener hat Schuld. Das gesamte Parlament trägt die Verantwortung. Wir hätten der deutschen Öffentlichkeit zeigen können, dass wir zu unserer Verantwortung stehen und dass wir aus Fehlern lernen. Im Vorgespräch - der Kollege Rössel war dabei - haben CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen unseren Vorschlag nicht unterstützt. Ich gebe zu, dass die PDS bereit war, die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu unterstützen. ({11}) Eine solche Maßnahme wäre besser gewesen. Dann hätten wir der Öffentlichkeit zeigen können, dass wir als Parlament zu unseren Fehlern stehen. Ich kann nur festhalten: Das Kapitel Bundesbaugesellschaft ist für uns nicht abgeschlossen. ({12}) Wir werden Konsequenzen ziehen müssen. Es werden personelle Konsequenzen bei der Bundesbaugesellschaft gezogen werden. Es werden Fragen nach der Haftung von Geschäftsführern der Bundesbaugesellschaft zu stellen sein. Die Bundesbaugesellschaft hat den Bund als Bauherrn lächerlich gemacht und ihn bis auf die Knochen blamiert, indem sie ihn als unfähigen Bauherrn in der Öffentlichkeit vorgeführt hat. Das Ergebnis können wir heute sehen. Vielen Dank. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Gabriele Iwersen von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Gabriele Iwersen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000998, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine Freude, zuzuhören, wie hier ein Haufen Blinder von der Farbe redet. Anders kann man es wirklich nicht bezeichnen. ({0}) Es mag ja sein, dass der eine oder andere von Ihnen lesen kann. Aber von der Planung und von der Bauausführung haben offensichtlich alle, die bisher geredet haben - mit Ausnahme der Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig -, keine Ahnung. ({1}) - Dietmar Kansy schwebt über allen Dingen. Ihn kann man wirklich nicht dazu zählen. ({2}) Ein Punkt ist jedenfalls klar: Es bedurfte einiger Zeit für die vorbereitende Planung, da zum Beispiel eine entsprechende Bauleitplanung fehlte. Wettbewerbe mussten durchgeführt und entschieden werden. Dafür musste zugegebenermaßen viel Zeit aufgewendet werden. Auf denjenigen, die daran gearbeitet haben, lastete ein gewaltiger Druck. Aus der Sicht von Außenstehenden sind fünf Jahre für die Verwirklichung eines solchen Projektes und die Durchführung des Umzuges viel Zeit. Das stimmt im Grunde genommen auch. Wenn man die Vorlaufzeit, also die Planungsphase und die Genehmigungsphase, abzieht, dann kommt man auf Bauzeiten von fünf bis sechs Jahren. Das ist eigentlich eine angemessene Zeit für die Erstellung von Gebäuden dieser Größenordnung. Ich komme auf den Reichstag zu sprechen. Früher wurde er als ein alter, grauer Kasten, der finster und abweisend ist, eingestuft. Er hat aber durch den Umbau sehr an Qualität gewonnen und hat sich zu einem Symbol für diese Demokratie entwickelt. Das wäre unter der Regie der PDS niemals möglich gewesen. Da können Sie sicher sein. ({3}) Eines ist klar: Es ist ein Meisterstück, einen Umbau dieser Größenordnung mit einer Kostenüberschreitung von nur etwa 2 Prozent durchzuführen. Wenn Sie ein bisschen Ahnung von der Materie hätten, dann könnten Sie das auch würdigen. ({4}) - Ich habe Ahnung. Sie werden sich noch wundern. ({5}) - Nun reicht es langsam! ({6}) Eines ist jedenfalls völlig klar und eindeutig: Die Bevölkerung sieht es anders als Teile dieses Parlaments. Über die Frage, ob es ein alter, grauer Kasten ist oder nicht, wurde mit den Füßen abgestimmt. So verhält es sich auch mit anderen Teilbereichen dieses Parlamentsviertels. Aus dem Innern, von denen, die jeden Tag gucken, ob die Klopapierrolle richtig hängt, geschmäht und mit Kritik überzogen, hat sich das Reichstagsgebäude ganz eindeutig zu einem Anziehungspunkt für die Berliner und für ihre Gäste und vor allen Dingen für unsere Gäste entwickelt. Das ist eine hervorragende Leistung. Die Baukommission hat es begleitet aus der entsprechenden Distanz, die uns zugemutet worden ist. Trotzdem haben wir kräftig gestritten und durchaus auch Veränderungen herbeigeführt, ({7}) Frau Eichstädt-Bohlig hauptsächlich gegen Waschbecken kämpfend und ich für Behindertentoiletten kämpfend. Da hatten wir ausnahmsweise sogar die Unterstützung von Herrn Dr. Seifert. Das ist die einzige Stelle, an der wir über diese Kommission bewusst Mehrkosten verursacht haben, weil wir die Barrierefreiheit dieser Gebäude herbeiführen wollten. Es war sicherlich schon ein bisschen spät; aber es ist noch relativ gut gelungen und es hat natürlich auch Geld gekostet. Wir haben ja nicht nur dieses Gebäude vorzuweisen. Das Kanzleramt ist genauso mit unheimlich viel Kritik überzogen worden; Sie haben es vorhin schon gesagt. Es wird von Gigantomanie und dergleichen mehr gesprochen. ({8}) Das Gebäude ist seiner Nutzung angemessen. Es hat natürlich auch eine gewisse Symbolkraft. Die Tatsache, dass trotz der kritischen Würdigung die Leute sich ganz schlicht und einfach darum reißen, auch nur einen Blick in das Gebäude werfen zu können, ist ein Glücksfall für diese Demokratie. Das muss ich Ihnen sagen. ({9}) Man hat mit den Bauten tatsächlich Neugier und Interesse am Regieren und an der Arbeit dieses Parlaments erzeugt. Dafür sollten wir dankbar sein. ({10}) Dass die BBG ihre Arbeit nicht in jeder Hinsicht so gemacht hat oder so hat durchführen können, wie wir es uns erhofft haben, steht außerhalb jeder Diskussion. Der Bundesrechnungshof hat dazu seine Meinung geäußert und sicherlich ist es auch noch nicht das Ende der Untersuchungen. Für uns ist vor allen Dingen die Gegenüberstellung der beiden Systeme wichtig - das hat auch Frau EichstädtBohlig schon erwähnt -, um daraus Konsequenzen für spätere öffentliche Baumaßnahmen zu ziehen. Ich glaube, wir haben mit dieser Aktuellen Stunde der Öffentlichkeit wieder einmal gezeigt, wie unzufrieden deutsche Parlamentarier mit allem sind, was man ihnen präsentiert. Dem einen ist das Zimmer mit 18 Quadratmetern zu klein. In Bonn hatten fast alle eineinhalb Zimmer, à 18 Quadratmeter. ({11}) Als die Grünen auftauchten und das Gebäude voll war, bekamen sie Plätze in einem größeren Haus mit größeren Räumen. Sie haben hinter dem Museum gesessen. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Iwersen, kommen Sie bitte zum Schluss. Wir sind in der Aktuellen Stunde und Sie haben ihre Redezeit schon um eine Minute überschritten.

Gabriele Iwersen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000998, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie können sich jedenfalls darauf verlassen, dass alle, die vorher größere Räume hatten, ({0}) die neuen Räume jetzt als zu klein erachten. Diejenigen aber, die vorher in gleich großen Räumen arbeiten mussten, sind höchstgradig zufrieden damit, dass sie so schöne Büros haben. Ich möchte mich glattweg noch beim Architekten bedanken. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Bartholomäus Kalb von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin, ich fand es nicht sehr charmant, dass Sie den hier anwesenden Kollegen vorwerfen, sie würden von den Dingen reden wie die Blinden von der Farbe. Ich nehme nicht an, dass Sie den Fachkollegen Wagner, Frau Kollegin EichstädtBohlig, den Kollegen Kansy und Ihre Staatssekretärin persönlich beleidigen wollten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist ja richtig, dass die Bundesbaugesellschaft gegründet wurde, um die Maßnahmen im Spreebogen abzuwickeln. Durch die Gründung der Bundesbaugesellschaft sollte vermieden werden, dass wir ähnliche Erfahrungen machen müssten wie bei einer Reihe von Baumaßnahmen in Bonn. Wir haben mit der Gründung der Bundesbaugesellschaft Hoffnungen und Erwartungen in Bezug auf Zeitdisziplin und Kostendisziplin verbunden. Diese Erwartungen haben sich so nicht erfüllt, vielleicht zum Teil auch nicht erfüllen lassen. Ich tue mich persönlich schwer, wenn ich jetzt in der Begründung für die Kostensteigerungen lesen muss, dass ein ganz wesentlicher Teil, nämlich rund 200 Millionen DM, mit so genannten baugrundbedingten Mehrkosten begründet werden. Jeder, der die Verhältnisse in Berlin ein wenig kennt, weiß, wie hoch das Grundwasser hier steht, und auch, wie ungünstig die Bodensituation für Bauvorhaben ist. Das war vorhersehbar und nicht etwa unvorhersehbar. Allerdings wäre es auch nicht ganz fair, der Baugesellschaft allein die Schuld zu geben. ({0}) Die dramatische Entwicklung der Bauwirtschaft in den zurückliegenden Jahren hat zu einem ruinösen Wettbewerb geführt. Die Unternehmen kauften und kaufen sich die Aufträge - so sagt man in der Branche - und kalkulieren Preise, die von vornherein kein Auskommen garantieren können. ({1}) Umso schlechter die Angebotspreise und die Submissionsergebnisse sind, umso stärker ist natürlich der Drang, das fehlende Geld über Nachtragsforderungen und Nachtragsangebote wieder hereinzubekommen. Das ging und geht dann zu Lasten des Steuerzahlers und so mancher mittelständischer Betriebe, die als Subunternehmer tätig waren. Das ist im Übrigen auch nicht nur ein Problem bei den Bauten des Bundes und des Bundestages, sondern mittlerweile auch bei fast allen öffentlichen Aufträgen. Ein öffentlicher Bauherr - ein Parlament allzumal - ist in einer ungleich ungünstigeren und schwächeren Situation als jeder andere Bauherr. Auch das muss man bedenken. Das liegt natürlich auch an der Dichte der Regelungen und des Regelwerkes - angefangen bei der HOAI über die VOB, die VOL, die EU-Koordinierungsrichtlinie, die besonderen Richtlinien zur Durchführung von Bauten des Bundes bis hin zu dem, was es in diesem Bereich sonst noch alles gibt. Wir sollten die Gelegenheit zum Anlass nehmen, intensiv darüber nachzudenken, wie dieses Regelwerk und auch die Vergabepraxis geändert werden müssen. Gerade gestern haben wir im Haushaltsausschuss die Frau Präsidentin des Bundesrechnungshofes gebeten, uns in dieser Frage noch einmal mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Frau Kollegin, bei Ihnen hat vorhin etwas durchgeschimmert, das mich ein wenig an die Arroganz mancher Leute erinnert. Wir müssen über die Macht der Planer und Architekten mit ihren tatsächlichen und vermeintlich sehr weit reichenden Rechten am Bauwerk nachdenken. ({2}) Ich bin nämlich schon der Meinung, dass wir nicht für die Architekten bauen, sondern die Architekten für uns. ({3}) Natürlich ist es gut, wenn sich ein Architekt etwas einfallen lässt und ein Bauwerk bzw. ein Gebäude schön ist - was immer man subjektiv darunter verstehen mag. Die Anforderungen der Nutzer und die Nutzerfreundlichkeit - Frau Kollegin, dafür haben Sie auch meine Zustimmung - sollten bei Baumaßnahmen im Mittelpunkt stehen und nicht zur Nebensächlichkeit verkommen. Genau diesen Eindruck haben aber viele Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses. Wenn Parlamentarismus funktionieren soll, müssen auch die Arbeitsbedingungen des, - ich betone - einfachen Abgeordneten - Helmut Esters hätte früher gesagt: der Abgeordneten zu Fuße - in Ordnung sein. Funktionalität und Attraktivität eines Bauwerkes müssen sich nicht gegenseitig ausschließen. Ich persönlich finde es im Sinne unseres Parlaments und unserer parlamentarischen Demokratie beispielsweise sehr gut - das ist vorhin schon angeklungen -, dass der Sitz unseres Parlaments, der Reichstag mit seiner Kuppel, so interessant, imposant und attraktiv geworden ist. Wenn ich die Zahlen recht in Erinnerung habe, dann haben mittlerweile mehr als 5 Millionen Besucher hier Zugang gefunden; sie haben sich das Bauwerk angesehen und sind in die Kuppel gegangen. Ich denke, es ist auch für uns, für die Demokratie und für die Arbeit des Parlaments sehr positiv, wenn das Parlamentsgebäude eine solche Aufmerksamkeit erfährt, wie es offensichtlich der Fall ist. ({4}) Der Reichstag mit seiner Kuppel - ich erinnere daran, dass die sehr nachdrückliche Anregung dazu aus dem Parlament kam - ist mittlerweile unbestritten zum Wahrzeichen Berlins und auch des wiedervereinigten Deutschlands geworden. ({5}) Das ist gut für unsere parlamentarische Demokratie. Ich habe nicht gesagt: Das ist gut so. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nächster Redner ist der Kollege Hans Georg Wagner von der SPDFraktion.

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Peter Conradi dem Parlament noch angehörte - das ist ja leider nicht der Fall -, stünde Kollege Kansy nicht so allein da. ({0}) - Herr Kansy, ich kann Sie beruhigen. Die Tatsache, dass von den neun Rednern - außer Herrn Staatssekretär Großmann, der dem Haushaltsausschuss nicht angehört sechs Redner Mitglied des Haushaltsausschusses sind, bedeutet natürlich auch, dass wir ein schlechtes Gewissen haben. An der Schaffung der Bundesbaugesellschaft waren wir seinerzeit nicht ganz unbeteiligt. Es ist zwar nicht das herausgekommen, was wir uns vorgestellt hatten, aber wir standen in Kenntnis der in Bonn entstandenen Bauten der Sache in den vorangegangenen Jahren immer sehr kritisch gegenüber. Man sollte die ganze Angelegenheit einmal aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Ich bin stolz auf das, was wir hier in Berlin gebaut haben. Ich bin auch froh darüber, dass wir einen internationalen Architekten- und Ingenieurwettbewerb dazu ausgeschrieben haben. Alle Bauten sind auf der Grundlage von Wettbewerbsergebnissen entstanden. Deshalb unterscheidet sich das moderne Berlin, die jetzige Bundeshauptstadt, auch von dem Zuckerbäckerstil auf der anderen Seite, in der ehemaligen Hauptstadt der DDR. Die Stalinallee war ein Komplex, der den Bauten in Moskau nachempfunden war. Sie von der PDS kennen den stalinistischen Zuckerbäckerstil noch aus eigener Anschauung. ({1}) Wenn ich das transparente Gebäude des Deutschen Bundestages mit dem Palast der Republik vergleiche, dessen Außenhaut noch steht, dann erscheint der Reichstag, der Sitz des Deutschen Bundestages, als transparentes Gebäude einer lebendigen Demokratie. ({2}) Wir können stolz darauf sein, dass das so ist und wir damals für Weltoffenheit und Transparenz gesorgt haben. Mich als einen der Vertreter der deutschen Architekten freut, dass junge deutsche Architekten Wettbewerbe in Berlin gewonnen haben. Das zeigt die Qualitäten meines Berufsstandes und das ist erfreulich und gut so. ({3}) In einem Punkt teile ich völlig die Auffassung, die Bartholomäus Kalb geäußert hat. Es geht um die Haltung der Bauwirtschaft, aber nicht nur in Bezug auf die Bauten des Bundes. Das bezieht sich in gleicher Weise auf die Bahn; sie ist privatisiert und somit ein privater Bauherr. Als solcher erlebt es auch die Bahn, dass bei den Ausschreibungen Preise angeboten werden, die nicht gehalten werden können. ({4}) Es ist sehr schwierig, die wirtschaftliche Prüfung nach der VOB vorzunehmen. Bei den später eingehenden Nachträgen legen die Firmen eine Unverschämtheit an den Tag, die man nicht akzeptieren kann. ({5}) Verschiedene Bauten sind innerhalb des vorgegebenen Preislimits errichtet worden. Zum Beispiel wurde das von uns zu verantwortende Gebäude der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft unterhalb des vereinbarten Preises erstellt. Wenn sich der Bauherr intensiv darum kümmert, kann man ein Gebäude also durchaus auch zu geringeren Kosten als vorgesehen errichten. Ansonsten muss die Moral in der Bauwirtschaft wieder besser werden, denn ich kann es nicht akzeptieren, dass in der deutschen Bauwirtschaft Firmen mit ganz großen Namen, die ja auch die von Präsidenten sind, auf ihrer Baustelle acht deutsche Bauarbeiter beschäftigen, während alle anderen aus dem Ausland stammen, für 3 oder 4 DM pro Stunde arbeiten und bei uns schon die Tariflöhne infrage gestellt werden. ({6}) Das ist nicht zu akzeptieren. Bekanntlich wird man aus Schaden klug. Wir werden also versuchen, auch dies künftig noch etwas intensiver zu untersuchen, obwohl das ganz schwierig ist. Nun zur Bundesbaugesellschaft selbst. In der Tat dachten wir damals, wenn wir eine private Bundesbaugesellschaft mit der Durchführung eines solchen Baus beauftragen, die Mitsprache des Parlaments auf die Mitwirkung einer Baukommission reduzieren, dann läuft das alles viel besser. Das Ergebnis ist meiner Meinung nach eine Wiedergutmachung an der Bundesbaudirektion. Es wurde gesagt, dabei komme nichts Gutes heraus. Beispiele dafür sind das Hotel Petersberg, der Schürmann-Bau und das Parlamentsgebäude. Bei allem, was in Bonn entstanden ist, kritisierten wir, dass sie es einfach nicht hinkriegen. Aber siehe da - das ist ein Grund, darüber nachzudenken -, die privaten Firmen, die Bundesbaugesellschaft haben die gleichen Probleme wie die Bundesbaudirektion. Das spricht also nicht unbedingt gegen die Qualität der Bundesbaudirektion. Vielleicht ist es auch ein Teil Wiedergutmachung, dass dies so ist. Nun müssen wir natürlich sehen, wie das alles bezahlt wird. Denn es gab ja doch Baupreisexplosionen, zum Teil natürlich auch bedingt durch die Umstände, die „Gründungsverhältnisse“ genannt worden sind, die allerdings bei der Gründung hätten vorhersehbar sein müssen. Nach meiner Einschätzung war das nicht der Fall. Es ist auch nicht entsprechend gehandelt worden. Ich sage zusammenfassend: Ich freue mich, dass wir eine so große Transparenz in das Gebäude gebracht haben und dass das Gebäude wirklich angenommen wird. Sie hören vermutlich genau wie ich, dass viele, nicht nur die Besuchergruppen, unbedingt in die Kuppel wollen; denn die Kuppel ist das Wahrzeichen der deutschen Demokratie nach der Wiedervereinigung geworden. Das wird anerkannt und man versteht, dass das auch etwas mehr kosten muss. In dieser Größenordnung hätte es nicht sein müssen, aber es ist nun einmal so. Wo gehobelt wird, da fallen Späne und dann bleiben Baukostensteigerungen nicht aus. Wir sollten insgesamt zufrieden sein, der Bevölkerung danken, dass sie diese Bauwerke annimmt, und uns freuen, dass das demokratische Leben hier transparent dargestellt werden kann. Schönen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Ilja Seifert von der PDS-Fraktion.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden heute über Baupreissteigerungen und über die Verantwortung der Bundesbaugesellschaft, nicht über 18-Quadratmeter-Räume und nicht über die Schönheit der Kuppel. Das ist ein anderes Thema und darüber können wir ein anderes Mal reden. Aber dass wir hier auf morastigem Boden stehen, das lernt jeder Berliner Schüler und jede Berliner Schülerin im Heimatkundeunterricht. Man hätte es also wissen können. Der Grund dafür, dass das jetzt noch als Hauptargument für alle weiteren Verzögerungen genannt wird, liegt darin, dass die Baugesellschaft, als der Fehler passierte, sich nicht getraut hat, alle Verträge zu kündigen und neue zu schließen. Das hätte etwas gekostet, aber es wäre besser gewesen. Bis heute ist noch nicht einmal klar: War es der Gutachter, war es die Baugesellschaft, war es die BauHans Georg Wagner firma, die Fehler gemacht haben? Das ist ja wohl ziemlich lächerlich. Aber das Problem liegt eigentlich woanders. Der Beschluss 1991 lautete - Herr Kansy hat daran erinnert -, dass der Umzug von Bonn nach Berlin innerhalb von fünf Jahren stattfinden sollte. ({0}) - Innerhalb von vier Jahren; ich war schon etwas großzügig. - Nach fünf Jahren waren gerade mal die Planungen abgeschlossen, weil mit sehr großer Energie verhindert wurde, dass der Umzug schnell stattfinden konnte. Wenn der Umzug schnell stattgefunden hätte, dann wären solche Prachtbauten überhaupt nicht möglich gewesen, dann hätte es - von der baulichen Substanz her - ein anderes Parlament und eine andere Regierung gegeben. Dann wäre Berlin hier in Mitte nicht zugebaut worden. Wir haben, als wir noch in Bonn waren, immer gesagt, es soll keine Stadt in der Stadt entstehen. Was haben wir denn jetzt hier? Wir haben eine Stadt in der Stadt. Man kann hier nicht mehr wohnen. ({1}) - Es ist eine Stadt, die ein Magnet ist, aber hier wohnen keine Menschen mehr, sie arbeiten hier nur; das hatten wir schon zu DDR-Zeiten so. ({2}) - Ich kann mich sehr gut daran erinnern, Frau Iwersen. Das ändert nichts an der Tatsache, dass man hier eine andere städtebauliche Variante hätte finden können als diese Klotzhäuser, die - das ist ja nun eine Tatsache - keine vernünftigen Arbeitsbedingungen für uns und für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bieten, mit denen aber die Stadt zugebaut wurde. Das ist das Problem, vor dem wir stehen: Die Verzögerungen, die am Anfang durch Konzeptkommissionen, durch Beamte, die umzugsunwillig waren, usw. stattgefunden haben, führen zu einem großen Teil der Mehrkosten, die wir jetzt haben. Dass die privatwirtschaftlich organisierte Bundesbaugesellschaft nicht in der Lage war, diese Mehrkosten und diese Verzögerungen zu verhindern - wie es alle von Ihnen, mit Ausnahme der PDS, vermutet haben -, kommt dann noch erschwerend hinzu. Ich finde es ziemlich unanständig von den Geschäftsführern der Baugesellschaft, wenn sie immer sagen, dass sie auch das zahlen. Nein, das bezahlt nicht die Bundesbaugesellschaft, das bezahlen die Frauen und Männer in diesem Lande, die Steuern zahlen. Das ganze Geld wird von Steuern finanziert. Insofern hätte es auch die Bundesbaudirektion ausgeben können; das wäre kein Unterschied gewesen. Ein Unterschied hätte lediglich darin bestanden, dass die Gehälter der Chefs der Bundesbaugesellschaft etwas üppiger sind als die von hochrangigen Beamten der Bundesbaudirektion, die jedoch auch gut bezahlt werden. Mir geht es um Folgendes: Wenn wir eine ehrliche Schlussbilanz ziehen - ich gebe Herrn Dr. Kansy Recht: Wir dürfen keine voreiligen Schlüsse ziehen -, dann müssen wir sagen: Große Fehler wurden aufgrund der Verzögerungstaktik innerhalb des Bundestages, der Regierung und der Beamtenschaft gemacht. Man muss jedoch feststellen, dass sie wirkungsvoll gearbeitet haben. Es haben Schlampereien stattgefunden, indem Gegebenheiten in der Stadt einfach nicht zur Kenntnis genommen wurden. Wie gesagt, das mit dem Baugrund ist das Lächerlichste, was man sich vorstellen kann. Eine Schlamperei ist vor allem, dass man nicht den Mut aufgebracht hat zu sagen: Wenn sich sowieso schon alles so weit verzögert, dass wir keinen Zeitplan mehr einhalten können, keine Firma mehr an ihren Zeitplan erinnern können, auch kein Vertrag mehr eingehalten werden muss, weil ohnehin alle Zeitpläne durcheinander sind, dann machen wir einen Neuanfang. Wir kündigen die Verträge, schreiben neu aus und schließen neue Verträge ab. - Das aber hat nicht stattgefunden. Jetzt können wir nur noch Schadensbegrenzung betreiben. Dies wird - das will ich deutlich sagen - in der Baukommission mit großem Verantwortungsbewusstsein versucht, wenn auch der Erfolg nur begrenzt möglich ist, weil wir uns jeglichen Eingriffs in die Baugesellschaft selbst beraubt haben, indem Sie sie privatwirtschaftlich organisiert haben. Das ist nun einmal so. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Kampeter von der CDU/CSU-Fraktion.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte nähert sich dem Ende. ({0}) Jeder, der zugehört hat, wird wissen, dass Bauen in der Demokratie ein ausgesprochen komplexer und schwieriger Vorgang ist. Wenn ich in die Runde schaue, dann stelle ich fest, dass hier eine Reihe von Expertinnen und Experten sitzt. Bezogen auf das gesamte Parlament wird deren Zahl die Größe einer Hundertschaft überschreiten. Bauen in der Demokratie ist für jeden, der baut, ein ungewöhnlich schwieriger Vorgang. Bei aller Mäkelei, die vonseiten der PDS vorgetragen wird, ({1}) müssen wir uns einfach einmal überlegen, was dabei herausgekommen ist. Wenn ich mir das Regierungsviertel mit dem Kanzleramt und den Neubauten anschaue und sehe, wie viele Menschen tagtäglich zum Teil ein bis zwei Stunden Schlange stehen und sich am Bundeskanzleramt die Nasen platt drücken, dann muss ich sagen: Trotz dieses komplexen Vorganges, Bauen in der Demokratie, ist das Ergebnis eine gute Visitenkarte für die Bundesrepublik Deutschland, auf die wir wirklich stolz sein können. ({2}) Die Frage, die hier aufgeworfen worden ist, lautet: Gehen wir beim Bauen in der Demokratie verantwortungsvoll mit den Steuergeldern um, die uns die Menschen anvertraut haben? ({3}) Das ist die zentrale Frage. Es hat in den Beiträgen der PDS keinen Beleg dafür gegeben, dass das anders ist. ({4}) Auch der Bericht des Rechnungshofs belegt nicht, dass vonseiten des Parlaments Schickimicki gemacht worden ist, durch Mehrforderungen Geld verschwendet worden ist. Es gibt unabweisbare Mehrkosten und solche, die hätten verhindert werden können. Die Mehrkosten, von denen heute gesprochen worden ist, waren in der Regel unabweisbar und sind nicht durch irgendwelche Sperenzchen aus dem parlamentarischen Bereich hervorgerufen worden. Das muss an dieser Stelle einmal festgehalten werden. Es hat mich schon etwas betroffen gemacht, dass der Kollege Seifert hier von Prachtbauten gesprochen hat. Herr Kollege Seifert, vor etwas mehr als zehn Jahren war hier der Todesstreifen, war hier Wüste. Das, was jetzt entstanden ist, ist das Ergebnis einer normalen demokratischen Entwicklung, ({5}) die Sie nicht mit der Gigantomanie totalitärer Systeme und dem Begriff „Prachtbauten“ denunzieren können. ({6}) Den Menschen, die hier oben sitzen und uns besuchen, scheint es insgesamt zu gefallen. Sie kommen gerne hierher. Ich höre gelegentlich Kritik, aber das betrifft Geschmacksfragen. Auch ich finde nicht alles super. Aber im Grunde ist das zu unterstützen, was der Kollege Wagner gesagt hat: Wir können stolz darauf sein, wie offen und transparent sich die Demokratie hier im Spreebogen zeigt. ({7}) Ich will darauf hinweisen, dass der Anlass unserer Debatte ein Rechnungshofbericht ist. Im Rechnungshofbericht muss man die Frage stellen: Hat da irgendeiner einen Fehler gemacht? Als Mitglied des Haushaltsausschusses sage ich: Wir sind sehr daran interessiert, dem auf die Finger zu klopfen und ihm die Hammelbeine lang zu ziehen, wenn irgendjemand einen Fehler gemacht hat, ob es nun der Geschäftsführer der Bundesbaugesellschaft ist oder ob es die ausführenden Firmen sind. Wir müssen aber rechtlich dazu in der Lage sein. Daran müssen wir nicht erst durch die Aktuelle Stunde der PDS erinnert werden, sondern es ist die ureigenste Aufgabe des Haushaltsausschusses, sorgfältig darauf zu achten, dass wir sparsamer mit den Steuergeldern umgehen und die Aufgaben ehrlich erledigt werden. Wir sind dabei nicht ohne Fehler. Aber wenn wir Hinweise bekommen, wo wir etwas besser machen können, nehmen wir sie begierig auf und setzen sie um. Ich glaube zwar nicht, dass wir noch einmal einen solchen Umzug veranstalten können, aber für zukünftige Bauvorhaben und für zukünftige komplexe Bauaufgaben werden wir als Haushaltsausschuss im Interesse aller Steuerzahlerinnen und Steuerzahler über alle Parteigrenzen hinweg darauf achten, dass mit der Mark oder zukünftig mit dem Euro der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler vernünftig umgegangen wird. Ich will auch einmal eine Lanze für den Rechnungshof brechen. Der Rechnungshof ist ein wichtiger Partner des Parlaments. Er gibt uns Hinweise, er kontrolliert überall da, wo öffentliche Gelder in Anspruch genommen und ausgegeben werden, er gibt uns Ratschläge. Er ist manchmal unangenehm. Insbesondere wenn man in der Regierungsverantwortung ist, möchte man den Rechnungshof gelegentlich abschaffen, weil er unangenehme Fragen stellt. ({8}) Aber er ist ein unverzichtbares Hilfsinstrument. Deswegen glaube ich, dass der Rechnungshof - besser als jeder Untersuchungsausschuss, weil er dauerhaft für uns tätig ist - Informationen geben kann, wie wir das Sparsamkeitsgebot umsetzen können. Ich will abschließend darauf hinweisen: Dies war eine Aktuelle Stunde, die ausschließlich vom Populismus der PDS geprägt worden ist. ({9}) Sie war nicht von sachlichen Erwägungen getragen. Wenn heute der Kollege Rössel hier beklagt hat, dass zu große Kosten entstanden sind, und im gleichen Satz erklärt, dass die Rechnungen noch nicht bezahlt sind, dann zeigt das, wie schizophren die politische Argumentation der PDS ist. Abschließend will ich einen Sparvorschlag machen. Wir haben vorhin vom Palast der Republik gesprochen. Die PDS verlangt, dass wir ihn restaurieren. Weder will ich das Gesellschaftssystem restaurieren, noch glaube ich, ({10}) dass wir nach der Asbestsanierung irgendeine zusätzliche Mark geben sollten, um den Palast der Republik so herzustellen, dass er uns an die SED-Herrschaft erinnert. Dies ist ein Sparvorschlag, von dem ich mir wünschen würde, dass ihn auch die PDS rasch aufgreift. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt noch einmal die Kollegin Franziska EichstädtBohlig von Bündnis 90/Die Grünen. ({0}) - Sie darf auch zweimal reden. ({1})

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Weil wir unsere Redezeit nicht ausgeschöpft haben, habe ich mich doch noch einmal gemeldet, und zwar zum Beitrag des Kollegen Koppelin. Aber jetzt möchte ich auch dem Kollegen Kampeter antworten. ({0}) - Egal, mit und ohne Ehre. Sie fordern einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, Kollege Koppelin. Da möchte ich nur sagen: Wohlan! Ich glaube, wir werden als Erstes die Entscheidung von Frau Schwaetzer zu untersuchen haben; ({1}) denn sie hat praktisch Mitverantwortung. Das Folgende möchte ich in Ihrer beider Richtung für die Zeit ab 1994, wo ich dabei war, ganz deutlich sagen - deswegen habe ich mich noch einmal gemeldet -: Sie, Kollege Kampeter, haben eben erklärt: Wenn wir im Haushaltsausschuss Hinweise bekommen, wo wir etwas besser machen können, dann nehmen wir sie ernst. - Da wollte ich hier noch einmal deutlich sagen: In der letzten Legislaturperiode hat unsere Fraktion und habe ich persönlich sehr viele Hinweise gegeben und Sie haben sie nicht ernst genommen. Wir haben einen Unterausschuss beantragt, weil wir wussten, dass nicht nur unsere Parlamentsbauten, sondern auch die Regierungsbauten insgesamt ein riesiges Volumen ausmachen. Da war Kostenkontrolle dringend erforderlich. Sie haben es abgelehnt. ({2}) Sie haben den Unterausschuss abgelehnt; Sie haben die Kostenkontrolle abgelehnt. Ich habe intensiv dafür geworben, von diesem Tunnelprojekt Abschied zu nehmen, weil wir wussten, dass dieses Tunnelprojekt wesentlich teurer werden würde, als uns damals von der BBB gesagt worden ist. Es ist mehr als doppelt so teuer geworden. Wir wissen bis heute nicht, welche Kosten in den anderen Projekten versteckt sind. Sie haben es abgelehnt, diese Argumente ernst zu nehmen. Sie haben damals als Mehrheit im Haushaltsausschuss alle Warnungen in den Wind geschlagen, die wir Ihnen gegeben haben. Von daher muss ich sagen: Es ist schon eine Ironie der Geschichte, wenn Sie meinen, jetzt einen Untersuchungsausschuss beantragen zu sollen, um nachträglich noch einmal zu prüfen, warum die Gründung schief gegangen ist. Da machen Sie sich wirklich selbst lächerlich. Sie sollten sich an Ihre eigene Nase fassen, statt im Nachhinein selbstgefällig die Schuld auf andere schieben zu wollen. Das finde ich echt nicht fair. Sie sollten sich überlegen, wo Sie selbst Verantwortung haben, und nicht große Sprüche machen, dass Sie allen Hinweisen nachgegangen seien. Seien Sie also bitte etwas ehrlicher! (Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Fünfter Tätigkeitsbericht der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik - 2001 - Drucksache 14/7210 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Rechtsausschuss Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Bundesminister Otto Schily.

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Die Vorlage des diesjährigen Berichtes der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR fällt in die zeitliche Nähe des zehntes Jahrestages des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Das ist Grund genug, über den üblichen Zweijahresbericht hinaus eine Zwischenbilanz zu ziehen. Ich beschränke mich für meinen Teil auf einige wesentliche Punkte, die in dem Bericht angesprochen werden. Es dürfte weder in diesem Hohen Hause noch in der Öffentlichkeit ernst zu nehmenden Widerspruch geben, wenn wir feststellen, dass sich das Stasi-Unterlagen-Gesetz in den letzten zehn Jahren im Ganzen bewährt hat. Es hatte sich zum Ziel gesetzt: erstens dem Einzelnen zu ermöglichen, den Einfluss der Stasi auf sein Schicksal aufzuklären; zweitens den Einzelnen davor zu schützen, durch den Umgang mit MfS-gespeicherten Informationen in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt zu werden; drittens die historische, politische und die juristische Aufarbeitung der Stasi-Tätigkeit zu fördern und viertens für öffentliche und nicht öffentliche Stellen die erforderlichen Informationen für die Zwecke des Gesetzes bereitzustellen. Diese Ziele sind als überparteilicher Konsens formuliert worden. Sie sind in der Praxis auch in großem Umfang erreicht worden. Das lässt sich schon anhand einiger Zahlenangaben verdeutlichen. Insgesamt sind bei der Gauck-Behörde - wenn ich das so sagen darf; ich müsste sie besser „Birthler-Behörde“ nennen - bis heute knapp 5 Millionen Anträge auf Auskunft, Einsicht in und Herausgabe von Unterlagen durch Bürger, von Medien, für Zwecke der Wissenschaft und politischen Bildung und auf Ersuchen öffentlicher und nicht öffentlicher Stellen eingegangen. Im Monatsdurchschnitt gingen in den letzten beiden Jahren 10 000 Anträge auf private Akteneinsicht ein, davon rund die Hälfte Erstanträge. Die Zahl der Einsichtsanträge für Forschungszwecke - insgesamt über 5 200 - nimmt zu. Was sich in diesen Zahlen manifestiert, ist ein nach wie vor anhaltendes gesellschaftliches Interesse an der Aufarbeitung der Stasi-Hinterlassenschaft, sowohl auf der Ebene der individuellen Klärung der jeweiligen Lebenssituation als auch auf der Ebene der gesellschaftlichen Diskussion. Hier verlagert sich das Interesse inzwischen von der Klärung bestimmter Einzelfälle zunehmend auf eine vertiefte, auch wissenschaftlich gesicherte Analyse des DDR-Repressionsapparates und des SED-dominierten Staates allgemein. Diese Entwicklung bestätigt die Erwartung derer, die vor zehn Jahren darauf drängten, diese Akten nicht unter Wahrung der üblichen 30-jährigen Schutzfrist unter Verschluss zu halten, sondern sie nach einem geregelten Verfahren der Aufarbeitung zugänglich zu machen. Es waren insbesondere die Mitglieder von Bürgerrechtsgruppen aus der damals untergehenden DDR, die sich für dieses Ziel eingesetzt haben. Insofern kann dieses Gesetz mit Recht als ein Erbe des Volksaufstandes in der ehemaligen DDR vom Herbst 1989 angesehen werden. Es ist aber mehr als das: In diesem Gesetz verbinden sich die rechtsstaatlichen Traditionen des freiheitlichen demokratischen Staates mit den Notwendigkeiten, die Erblasten einer totalitären Diktatur - der zweiten auf deutschem Boden - aufzuarbeiten. Dadurch ist das Gesetz ein wichtiges Element des inneren Einigungsprozesses in Deutschland geworden. Sie werden sich daran erinnern, dass es anfangs mancherlei Besorgnisse dahin gehend gab, die Akteneinsicht für Betroffene werde gesellschaftlichen Unfrieden stiften. Zum Glück ist nichts dergleichen eingetreten. Im Gegenteil: Die Akteneinsicht hat nach allgemeiner Überzeugung eher zu einer innergesellschaftlichen Befriedung beigetragen. Die Stasi-Unterlagen-Behörde, der die Umsetzung dieses Gesetzes obliegt, hat in diesen Jahren eine beeindruckende, im In- und Ausland anerkannte Leistung erbracht, besonders auch in unseren Nachbarstaaten, beispielsweise in Polen und in den anderen Staaten dieser Region. Daher nutze ich gern die heutige Gelegenheit, um den beiden Bundesbeauftragten, dem früheren Bundesbeauftragten Herrn Dr. Gauck und der jetzigen Bundesbeauftragten Frau Birthler, aber vor allem auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Behörde in der Zentrale und in den Außenstellen den Dank und die Anerkennung der Bundesregierung für die bis heute geleistete Arbeit auszusprechen. ({0}) Ausdruck für diese Anerkennung war auch die Tatsache, dass Bundeskanzler Schröder vor nicht allzu langer Zeit die Behördenzentrale in Berlin besucht und sich unmittelbar einen Eindruck von der Leistungsfähigkeit der Behörde verschafft hat. Die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit bleibt auch in Zukunft eine notwendige innenpolitische Aufgabe. Der Zeitablauf mag die Akzente verändern, aber er mindert nicht die Bedeutung, im Gegenteil: Je größer die Zahl derer wird, die keine eigene Erinnerung an die DDR haben, und je weiter die Erinnerung der Mitlebenden durch neue Erfahrungen und Probleme überlagert wird, umso wichtiger wird es, Ursachen, Verläufe und Strukturen auch der totalitären Staatsstruktur der ehemaligen DDR wissenschaftlich zu erhellen und gesellschaftlich zu erörtern. Die Überwindung der Folgelasten - auch der materiellen - der ehemaligen DDR wird umso erfolgreicher sein, je mehr es zugleich gelingt, eine gesellschaftliche Verständigung über die untergegangene Diktatur und die aus ihr zu ziehenden Konsequenzen zu finden. Die quellengestützte Kenntnis der historischen und ideologischen Wurzeln der Diktatur, ihrer Durchsetzungsmechanismen und ihrer Herrschaftspraxis beugt nachträglichen Legendenbildungen vor und immunisiert gegen neue totalitäre Gefahren. Die Einsicht, die die beiden Enquete-Kommissionen zur DDR-Aufarbeitung formuliert haben und der der Deutsche Bundestag zugestimmt hat, bleibt richtig - ich zitiere -: Zu den geistigen Grundlagen einer innerlich gefestigten Demokratie gehört ein von der Gesellschaft getragener antitotalitärer Konsens. Die Aufarbeitung der Diktatur ist somit politische Bildung für die Demokratie. Darum bleibt sie auch weiterhin notwendig. Die Aufarbeitung der Vergangenheit dient, wenn sie richtig betrieben wird, aber auch der inneren Verständigung in der Gesellschaft. Denn diese Verständigung setzt zwei Dinge voraus: zum einen die Bereitschaft zur Wahrheit und zur Ehrlichkeit, zum anderen die Bereitschaft zum Verständnis der sehr unterschiedlichen Bedingungen, unter denen die Menschen im West- und Ostteil Deutschlands 45 Jahre lang ihr Leben zu gestalten hatten. Zur Veranschaulichung: Ende der 80er-Jahre - auch das belegen die Stasi-Akten - kamen in der DDR auf 180 Einwohner ein hauptamtlicher und zwei inoffizielle StasiMitarbeiter. - Es kommt darauf an, zu verstehen, dass die Verurteilung des diktatorischen Systems keine Verurteilung der Menschen bedeutet, die genötigt waren, in diesem System zu leben. Es kommt darauf an, denjenigen Gehör zu verschaffen, die unter diesem System gelitten haben, die durch Verlust von Leben, Gesundheit, Freiheit oder Eigentum, aber auch durch Verlust von Bewegungsund Entfaltungschancen zu Opfern und zu Geschädigten dieses Systems geworden sind. Zu einer Zwischenbilanz der Aufarbeitung der StasiUnterlagen gehört gewiss auch die Beantwortung der Frage, inwieweit durch die bisherige Praxis Unklarheiten im Stasi-Unterlagen-Gesetz oder bei seiner Anwendung erkennbar geworden sind. In den zurückliegenden Monaten hat eine lebhafte Diskussion über die Frage stattgefunden, inwieweit StasiUnterlagen über Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amtsträger für Forschung, politische Bildung und Medien zur Verfügung zu stellen sind. Die Diskussion entzündete sich zwar an einem prominenten Einzelfall, aber sie hat darüber hinaus grundsätzliche Bedeutung. Es geht dabei den Beteiligten - das nehme ich auch für mich in Anspruch - nicht um eine Einschränkung der Aufarbeitung. Es geht vielmehr allein um die Frage der rechtsstaatlichen Sicherung der Persönlichkeitsrechte derer, über die die Stasi Informationen zusammengetragen hat. Die Persönlichkeitsrechte von Personen der Zeitgeschichte sowie Funktions- und Amtsträgern, die zu Opfern von Stasi-Maßnahmen geworden sind, müssen beachtet werden. Man darf nicht vergessen, dass die meisten der dort zusammengetragenen Informationen auf rechtsstaatswidrigem Wege gewonnen sind. Das Verwaltungsgericht Berlin hat mit seinem noch nicht rechtskräftigen Urteil vom 4. August 2001 bestätigt, dass solche Informationen grundsätzlich nur mit Einwilligung der Betroffenen zugänglich gemacht werden dürfen. Es ist notwendig, dass Betroffene von Stasi-Maßnahmen davor geschützt werden, dass unrechtmäßig gewonnene vertrauliche Informationen über sie ohne ihre Zustimmung verwendet werden. Es ist allerdings auch notwendig, dass der Schutz, den das Stasi-UnterlagenGesetz den Betroffenen, - untechnisch gesprochen: den Opfern von Stasi-Maßnahmen - gewährt, nicht solchen Personen zugute kommt, die das Unterdrückungssystem mitgestaltet und mitgetragen haben. Ich bin der Auffassung, dass wir in der Frage der Herausgabe personenbezogener Informationen die notwendige Austarierung zwischen Persönlichkeitsschutz einerseits und Aufarbeitungsinteresse andererseits im Lichte der inzwischen vorliegenden Erfahrungen nochmals überdenken sollten. Das könnte im Rahmen einer Anhörung des Deutschen Bundestages geschehen. Dabei könnte auch die weitere Frage geprüft werden, ob diese Austarierung auch bei der Regelung des § 14 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes gelungen ist, die die Anonymisierung oder Vernichtung archivierter Unterlagen vom 1. Januar 2003 an ermöglicht. Auf diese Frage haben in letzter Zeit wieder namhafte Historiker hingewiesen, obwohl ich natürlich nicht der Auffassung bin, dass die Historiker dankbar sein sollten, dass es die Stasi gegeben hat, ohne die sie ihre historischen Forschungen nicht leisten könnten. ({1}) Zum weiteren Vorgehen ist geplant, dass eine fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe, an der sich das BMI und die Behörde beteiligen, diese Fragen erörtern und dabei die Ergebnisse der bevorstehenden Anhörung auswerten wird. Auf der Grundlage der Überlegungen und Empfehlungen dieser Arbeitsgruppe wird dann zu entscheiden sein, ob eine Novellierung des Gesetzes erforderlich ist, um für die Arbeit der Behörde die notwendige Rechtssicherheit und für die Betroffenen den notwendigen Persönlichkeitsschutz zu gewährleisten. ({2}) Lassen Sie mich abschließend auf Folgendes hinweisen: Vor zwölf Jahren, im Herbst und im Winter 1989/1990, wurden in der DDR und in Ostberlin StasiQuartiere besetzt, MfS-Akten vor der Vernichtung gerettet und für die Aufarbeitung sichergestellt. Den Zugang zum Herrschaftswissen der Geheimpolizei zu öffnen war ein Akt der Selbstbefreiung. Der Prozess der Befreiung setzt sich seither in der nunmehr gesetzlich geregelten Nutzung dieses Wissens fort. Wir brauchen dieses Wissen für den gesellschaftlichen Dialog über Ursachen, Strukturen und Konsequenzen der Diktatur. Wir können für die innere Einigung und die demokratische Stabilisierung unseres Landes nichts Besseres tun, als diesen gesellschaftlichen Dialog mit Offenheit, dem Willen zur Ehrlichkeit - auch da, wo sie schmerzt - und mit wechselseitiger Aufgeschlossenheit fortzuführen. ({3}) Aufgabe der Politik bleibt es, hierfür die notwendigen Grundlagen und Mittel weiterhin sicherzustellen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hartmut Büttner.

Hartmut Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000303, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir behandeln heute ganz bewusst gemeinsam den Fünften Tätigkeitsbericht der Bundesbeauftragten mit der Erinnerung an die Verabschiedung des Stasi-UnterlagenGesetzes vor zehn Jahren. Es war der wichtigste Auftrag der DDR-Bürgerbewegung, die Hinterlassenschaft des untergegangenen Ministeriums für Staatssicherheit nicht zu vernichten, sondern sie den ehemals Unterdrückten zu öffnen. Diese Grundsätze hatte zuerst die frei gewählte Volkskammer und dann auch der Deutsche Bundestag aufgegriffen. Schließlich wurde nach intensiven Beratungen das Stasi-Unterlagen-Gesetz am 20. Dezember 1991 mit großer Mehrheit verabschiedet. Dieses Gesetz ist nach Geist und Buchstabe zuallererst ein Gesetz zugunsten der Bespitzelten. Dem Einzelnen sollte Klarheit über das Einwirken der Stasi auf seinen Persönlichkeitsbereich gegeben werden. Die Chance, die eigene Biografie in Ordnung zu bringen, haben immerhin gut 1,8 Millionen Menschen genutzt. Allein 1992 prasselten 520 000 Anträge auf Akteneinsicht auf die damals neu errichtete Behörde nieder. Aber das Interesse hat sich auch heute noch nicht erschöpft. Jeden Monat - Herr Schily hat schon darauf hingewiesen - gehen durchschnittlich 10 000 neue Anträge ein. Die Opfer sollten weiterhin davor geschützt werden, noch heute durch Stasi-Materialien in ihren Persönlichkeitsrechten beeinträchtigt zu werden. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz ist außerdem ein Veröffentlichungsgesetz, das ausdrücklich die historische, politische und juristische Aufarbeitung der Tätigkeit des MfS gewährleisten und fördern will. Schließlich gibt die Behörde der Bundesbeauftragten an alle öffentlichen und nicht öffentlichen Stellen die erforderlichen Informationen für die vielfältigen, im Gesetz genannten Verwendungszwecke. Bei zahlreichen Fragen der Rehabilitierung bieten häufig allein die Stasi-Akten die Möglichkeit eines Beweises. Strafverfolgungsbehörden erhalten Informationen über Straftaten und Verbrechen, die im Zusammenhang mit dem SED-Regime begangen worden sind. Vor allem wurden bisher 1,6 Millionen Anträge von öffentlichen und nicht öffentlichen Stellen auf Überprüfung einer etwaigen Tätigkeit im Staatssicherheitsdienst gestellt. Das Gesetz erfüllt aber auch eine nachgewiesene Funktion des Schutzes vor ungerechtfertigten Beschuldigungen. Ein negativer Beweis ist häufig nur mithilfe der Stasi-Unterlagen möglich und kann mittlerweile sehr rasch erbracht werden. Wie viele Menschen sind bei uns politisch hingerichtet worden, als die Behörde noch nicht über entsprechende Möglichkeiten verfügte! Das Wort „Stasi“ reichte vollkommen aus, um so manchen politisch unmöglich zu machen. Andere Zahlen belegen, wie enorm die Arbeitsbelastung der circa 3 000 Mitarbeiter der Behörde der Sonderbeauftragten ist und wie intensiv die im Gesetz vorgesehenen Möglichkeiten genutzt worden sind. Auch hierzu hat Herr Schily etliche Zahlen und Daten genannt. Interessant ist, dass in den letzten zehn Jahren 4 907 267 Anträge und Ersuche - Stand September dieses Jahres - an die Behörde herangetragen wurden. Viele Abgeordnete des Deutschen Bundestages hatten bei der Erarbeitung des Gesetzes große Bedenken hinsichtlich der Nennung der Klarnamen der Täter gegenüber den Opfern. Heute kann ich durchaus mit etwas Stolz verkünden: Unser Vertrauen in den Gerechtigkeitssinn der Menschen war richtig. Bisher ist kein einziger Fall bekannt geworden, in dem sich ein Opfer an dem nunmehr identifizierten Täter gerächt hat. Die Menschen sind also verantwortlich mit dem Wissen um ihre eigene Vergangenheit umgegangen. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Der Tätigkeitsbericht zeigt aber auch sehr deutlich, dass die Stasi kein reines DDR-, sondern durchaus ein gesamtdeutsches Problem war. ({0}) Immer mehr Menschen wird heute bewusst, dass das Ministerium für Staatssicherheit auch im alten Bundesgebiet sehr aktiv war. Das wachsende Interesse in den westlichen Bundesländern ist auch daran zu erkennen, dass etwa ein Fünftel aller Anträge auf Akteneinsicht von Bürgern aus dem Westen Deutschlands gestellt wird. Wir wissen jetzt auch, dass die Gleichung „Opfer gab es in West und Ost; aber der Stasi-Täter kam ausschließlich aus Deutschland Ost“ nicht nur zu undifferenziert, sondern einfach falsch ist. ({1}) Im Laufe der Jahre haben 20 000 bis 30 000 Westdeutsche als inoffizielle Mitarbeiter für das MfS gearbeitet. Manch ein westdeutscher Redakteur wird hoffentlich etwas demütiger, wenn er sich an eine seiner oft sehr reißerischen Berichterstattungen über die Stasi-Verseuchung im Osten Deutschlands erinnert. Eine solche undifferenzierte Betrachtungsweise hat nicht nur das Selbstwertgefühl der Menschen aus den neuen Ländern hart getroffen. Es hat auch dazu beigetragen, den Graben in den Herzen und Hirnen der Deutschen zu vertiefen. Sie ließ auch keinen Raum für die Wahrheit, die durch diesen Tätigkeitsbericht ans Licht kommt. In der DDR waren die Menschen, die Anstand bewahrten und Zivilcourage zeigten, in der Mehrheit. Trotz schwierigster Umstände in einer Diktatur scheiterten drei von fünf Anwerbeversuchen des Staatssicherheitsdienstes. In Westdeutschland wurde eine Stasi-Mitarbeit zumeist freiwillig - ohne die vielfältigen Pressionen des SED-Staates - erklärt. ({2}) Vielfach wird geringschätzig gemeint, wir hätten auch dieses schwierige Problem unserer Geschichte typisch deutsch geregelt, und zwar mit Akribie, mit Sorgfalt und mit einer Behörde. Viele von denen, die uns dafür gescholten oder auch nur belächelt haben, stehen heute in einer Reihe von interessierten Besuchern. Wir erleben derzeit ein gewaltiges Interesse aus allen Teilen der Welt an diesem deutschen Lösungsweg. Das Erbe der Diktaturen war in allen postkommunistischen Ländern Mittel- und Osteuropas ähnlich. Es wurden aber sehr unterschiedliche Wege beschritten, um die Diktatur der kommunistischen Parteien und Repressionsorgane aufzuarbeiten. Die Berliner Normannenstraße und die 15 Außenstellen der Behörde der Sonderbeauftragten wurden zu Pilgerstätten für ausländische Besucher. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz ist zu einem Exportschlager geworden. Mittlerweile gibt es kaum noch eine politische Kraft, die die Richtigkeit der Entscheidung des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 1991 anzweifelt. Im Gegenteil: Fast jeder will dabei gewesen sein. Das ist eine ganz ausgezeichnete Entwicklung - das ist wirklich gut so -, zeigt sie doch, dass wir mit den damals getroffenen Grundaussagen richtig lagen. Die getroffenen Regelungen waren ohne Beispiel und Vorbild. Hingegen betrachten viele gestandene westdeutsche Juristen das Stasi-Unterlagen-Gesetz auch zehn Jahre nach dessen In-Kraft-Treten als Fremdkörper in der deutschen Rechtsordnung. Dabei wäre es gänzlich unmöglich gewesen, mit rein westlich juristischen Maßstäben der Aufarbeitung einer menschenfeindlichen Diktatur gerecht zu werden. Wenn ein ganzer Hartmut Büttner ({3}) Staat auf rechtswidrigen Grundlagen basiert, dann konnte im Nachhinein niemand allein die Messlatte des Rechtsstaates anwenden wollen. Die mögliche Alternative wäre die Vernichtung der Stasi-Akten gewesen. Nur, dann hätten die Opfer niemals erfahren, ob und wann sie Ziel von Maßnahmen des Staatssicherheitsdienstes gewesen waren. Es war für die Akzeptanz dieses Gesetzes in der Bevölkerung sehr wichtig, dass wir uns über Parteigrenzen hinweg einigen konnten. Außer der PDS und einigen Abgeordneten der Grünen stimmten alle Mitglieder des Deutschen Bundestages 1991 für das Stasi-UnterlagenGesetz. 1991 bildete sich eine Koalition der Vernunft aus SPD, FDP, Grünen und der Union, welche auch die bisherigen fünf Novellierungen dieses Gesetzes einvernehmlich erarbeitet und politisch getragen haben. Im Jahr 10 seines Bestehens steht das Stasi-Unterlagen-Gesetz vor einer großen - vielleicht seiner größten Belastungsprobe. Die Aufgeregtheit dieser Tage über die Auswirkungen des Urteils des Berliner Verwaltungsgerichts zur Verwendung von Stasi-Unterlagen für Forschung und Medien droht die großartige Akzeptanz des Stasi-Unterlagen-Gesetzes in der Bevölkerung in den Hintergrund zu drängen. Die Gefahr der heutigen Diskussion ist, dass einige, denen die ganze Richtung nicht passt, Morgenluft wittern und am liebsten das ganze Gesetz über Bord werfen würden. Ich kann in diesem Zusammenhang nur zu Besonnenheit und Augenmaß raten. Von dem Rechtskonflikt sind etwa 1 400 der 2 000 vorliegenden Anträge von Forschern und Medien betroffen. Alle anderen Bereiche der Arbeit der Stasi-UnterlagenBehörde sind vom Berliner Urteil nicht tangiert. Die Akteneinsicht, die Überprüfung auf eine mögliche StasiMitarbeit und andere Formen der Aufarbeitung der Arbeit des Staatssicherheitsdienstes können weiter so durchgeführt werden wie bisher. Insoweit sind auch Äußerungen unseres Kollegen und Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse, das Urteil bedeute das Ende des öffentlichen Umgangs mit den Stasiakten, falsch und, wie ich meine, auch ein wenig fatalistisch. Ich finde es gut, dass durch das Urteil der Persönlichkeitsschutz der Bespitzelten und Abgehörten verstärkt wird, auch wenn diese Menschen Politiker, Amtsträger oder Personen der Zeitgeschichte sind. Damit ist die auch von mir seit langem vertretene Interpretation durch das Berliner Verwaltungsgericht als richtig anerkannt worden. Für einen Nichtjuristen ist das eigentlich gar nicht schlecht. Sollte das Urteil unverändert Rechtsgültigkeit erlangen, dann brächte meiner Meinung nach ein Wirkungsbereich allerdings größte Schwierigkeiten mit sich. Die Aufarbeitung der Akten von früheren DDR-Funktionären, beispielsweise von Richtern, Bürgermeistern oder Abgeordneten, wäre dann ebenfalls von deren Einwilligung abhängig. Sie bekämen damit die Macht, bestimmte Informationen zurückzuhalten oder Zeitgeschichte in ihrem Sinne zu beeinflussen. Ich hoffe, dass die Koalition der Vernunft die Kraft und die Kreativität hat, auch für diesen Problemkreis eine einvernehmliche Lösung zu erarbeiten. Dieser inhaltliche Konflikt darf keinesfalls sämtliche anderen Aufgaben überdecken und die Aufarbeitungskräfte völlig lähmen. Leider, Frau Präsidentin, sind durch diese Diskussion auch die ursprünglich geplanten Beratungen des Deutschen Bundestages kräftig zurückgeschnitten worden. Von dem geplanten zweitägigen Symposium ist lediglich diese Debatte am späten Donnerstagnachmittag übrig geblieben. Schade! Ich hätte gerade im Interesse der Millionen von Opfern eine etwas ausführlichere Behandlung durch den Deutschen Bundestag für angemessener gehalten. ({4}) Wir hätten dann sicherlich auch vielen Menschen in angemessenerer Form Dank sagen können, die sich um die Aufarbeitung und die Bewältigung der zweiten deutschen Diktatur verdient gemacht haben. Danken müssen wir zuerst den mutigen, couragierten Menschen in der DDR. Danken müssen wir all den beteiligten Kollegen, denen in der frei gewählten Volkskammer ebenso wie denen im Deutschen Bundestag, welche die Grundlagen für ein bürgerfreundliches Stasi-Unterlagen-Gesetz gelegt haben. Danken müssen wir vor allem auch Joachim Gauck, der diese Behörde entscheidend geprägt hat. Was für ein größeres Kompliment über seine Verdienste kann es noch geben, als wenn man auch heute noch von der GauckBehörde spricht? Danken möchten wir aber ebenso der engagierten und im guten Sinne des Wortes streitbaren Nachfolgerin Marianne Birthler. ({5}) Nicht zuletzt danken wir den 3 000 Mitarbeitern der Behörde. Sie alle haben sich um die Aufarbeitung der Diktatur und für das friedliche Zusammenleben der Menschen in Deutschland verdient gemacht. Ich darf feststellen: Das Stasi-Unterlagen-Gesetz hat sich grundsätzlich bewährt. Der 20. September 1991 war ein guter Tag für Deutschland und ein guter Tag für unsere Demokratie. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Cem Özdemir.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Marianne Birthler! Sie werden sich vielleicht darüber wundern, dass zu diesem Tagesordnungspunkt ein anatolischer Schwabe spricht. In meiner Fraktion gab es einige Diskussionen darüber, wer dazu sprechen soll, und wir Hartmut Büttner ({0}) haben uns ganz bewusst dafür entschieden, nicht einen Abgeordneten aus den neuen Ländern sprechen zu lassen; denn Herr Büttner hat Recht mit dem, was er gesagt hat, nämlich dass es um ein gesamtdeutsches Anliegen geht, dass es nicht ausschließlich ein Problem der neuen Länder ist. Vielmehr ist dieses Gesetz ein Gesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Damit ist in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland eine neue Seite geschrieben worden. Darauf können Ossis wie Wessis, Nordis wie Südis, alle gemeinsam stolz sein. Dieses Gesetz hat sich bewährt und es gibt keinerlei Veranlassung, diese Seite zu schließen oder zu sagen, dass wir die Aufarbeitung beendet hätten. Im Gegenteil, meine Damen und Herren. Ich möchte diese Gelegenheit auch nutzen, um namens meiner Fraktion Marianne Birthler, ihrem Vorgänger Joachim Gauck, aber auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Behörde herzlich zu danken. Die Bitte geht an Sie, diesen Dank wohl namens aller Fraktionen an all Ihre Mitarbeiter weiterzugeben. Wir sind stolz auf die Arbeit dieser Behörde und sind der Meinung, dass sich diese Behörde nicht nur bewährt hat, sondern dass ihre Arbeit fortgesetzt werden muss. ({1}) Ich möchte nicht vergessen, in meinen Dank diejenigen Parlamentarierinnen und Parlamentarier einzuschließen, die an der Erarbeitung des Gesetzes beteiligt waren. Ich will nicht diejenigen aufzählen, die noch heute im Bundestag sind. Stellvertretend für andere möchte ich aber diejenigen nennen, die heute nicht mehr im Bundestag sind: Ich denke an Ingrid Köppe vom damaligen Bündnis 90, aber auch an Burkhard Hirsch von der FDP-Fraktion, die maßgeblich dazu beigetragen haben, dass es dieses Gesetz heute gibt. Das sollte man heute nicht vergessen, denn wir verdanken ihnen, dass dieses Gesetz, das sich bewährt hat, heute ein fester Bestandteil der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland ist. Der Kollege Büttner hat bereits auf die große Zahl derer hingewiesen, die bis heute Anfragen stellen, um Einblick in die Akten zu nehmen. Die Zahl von fast 5 Millionen Antragstellerinnen und Antragsteller zeigt, dass diejenigen, die die Akten damals heimlich vernichten, die sie schließen wollten, die sie bunkern oder den Betroffenen auf andere Weise entziehen wollten, nicht Recht hatten. Diese Enteignung der Menschen ist gescheitert und sie wird auch in Zukunft scheitern. Wir alle stehen in der Verpflichtung gegenüber denjenigen, die damals die friedliche Revolution in den neuen Ländern möglich gemacht haben. Es gilt heute auch derjenigen zu gedenken, die dazu beigetragen haben, dass wir heute ein vereinigtes Deutschland haben, dass Ost und West zusammenwachsen konnten. Ich möchte die Gelegenheit aber auch nutzen, mich an die Kolleginnen und Kollegen von der Union zu richten. Ich weiß, dass der Fall Helmut Kohl sehr kontrovers diskutiert wird. Ich möchte alle bitten - das gilt für alle Fraktionen -, keine unzulässige Vermischung zwischen dem Parteispendenskandal, der mit dem Fall Helmut Kohl verbunden ist - er muss bei anderer Gelegenheit aufgearbeitet werden -, und der Arbeit der so genannten Stasi-Unterlagen-Behörde vorzunehmen. Wir würden der Behörde und dem Gesetz mit einer solchen Vermischung nicht gerecht werden. ({2}) Das gilt sowohl für diejenigen, die ein Interesse an der Aufklärung dieses Falls haben, als auch für diejenigen, die ein Interesse an der Weiterarbeit der Behörde haben. Ich habe die Rede vorhin so verstanden, dass es interfraktionell ein Bemühen gibt, eine Verständigung zu erzielen. Für meine Fraktion kann ich sagen - das gilt sicherlich auch für die anderen Fraktionen -, dass wir im Interesse der Behörde bereit sind, eine vernünftige Lösung zu finden. Wir müssen all diejenigen zurückweisen, die versuchen, anhand dieses Falles die Arbeit der Behörde einzuschränken oder gar zu beenden. ({3}) Eine gesetzliche Klarstellung ist nach dem, was wir gegenwärtig wissen, sicherlich notwendig. Wir müssen die Ergebnisse der geplanten Anhörung im Innenausschuss abwarten. Namens meiner Fraktion sage ich: Wir müssen darauf achten, dass wir bei einer Neufassung keine neuen Gräben zwischen Ost und West aufreißen. ({4}) Mich hat die Darstellung von Marianne Birthler sehr beeindruckt. Sie hat darauf hingewiesen - das wusste ich als jemand, der im Westen aufgewachsen ist, bisher nicht -, dass es auch in den neuen Ländern auf lokaler Ebene Funktionäre gab, die sich dem Missbrauch durch die Stasi entzogen haben. ({5}) Nicht jeder Funktionär hat sich durch die Stasi missbrauchen lassen. Auch das muss man in diesem Kontext erwähnen und deutlich machen. ({6}) Deshalb wäre eine Beschränkung auf Funktionäre nicht gerechtfertigt und falsch. Wir müssen auch heute darauf achten, dass wir keine Gesetze machen, die denjenigen, die kein Interesse daran haben, dass die Gräben zwischen Ost und West zugeschüttet werden, die Arbeit erleichtern. Zum Schluss möchte ich namens meiner Fraktion den Opfern der Verfolgung durch die Stasi danken, die auf beeindruckende Art und Weise der Versuchung widerstanden haben, Rache zu nehmen. Unter den Opfern befinden sich auch einige Kolleginnen und Kollegen aus unserem Hause; eine Kollegin wird nachher noch selbst sprechen. Sie widerstanden der Versuchung, obwohl Schreckliches mit ihnen gemacht wurde, Rache zu üben. Vergebung kann nur von den Opfern ergehen, nicht vom Staat. Die Einzigen, die das Recht haben, zu vergeben, sind die Opfer. Auf deren Stimme müssen wir heute hören. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Schmidt-Jortzig.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002781, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Fünfte Tätigkeitsbericht der - früher des - so genannten StasiUnterlagen-Beauftragten - der volle Titel ist, wie der Bericht zu Recht vermerkt, etwas sperrig - stellt ein besonderes Ereignis dar. Er gibt Anlass für eine Zwischenbilanz. Dies nicht nur, weil dieser Bericht der erste ist, den Sie, verehrte liebe Frau Birthler, während Ihrer Amtszeit hier vorlegen, sondern auch, weil gemäß unserem Dezimalbewusstsein ein Jubiläum zu beachten und zu begehen ist. Auch ich will mich dieser Zwischenbilanz stellen. Insgesamt kann man sicherlich - das ist in den Beiträgen bisher in hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gekommen - sagen, dass sich Auftrag und Arbeit der Stasi-Unterlagen-Behörde in hohem Maße bewährt haben. Das können und dürfen auch Streitigkeiten nicht verdecken, die sich an Einzelpunkten entzündet haben und gewiss immer wieder einmal entstehen mögen. Das Geheimnis für dieses erfolgreiche Wirken ist nach meiner Sicht der ganz überwiegende Bezug aller Bemühungen auf die Opfer bzw. - wie es im Stasi-Unterlagen-Gesetz heißt - die Betroffenen der systematischen staatlichen Bespitzelung in der DDR, genauer könnte man vielleicht noch von den Getroffenen sprechen. Eben deren Verletzungen, Schädigungen, Traumatisierungen und Gerechtigkeitsenttäuschungen sind ja Punkte, welche einen rechtsbewussten, republikanischen, demokratischen Staat wie die Bundesrepublik Deutschland auf den Plan rufen mussten. Denn die Empfindungen und Bedürfnisse seiner Bürger bezüglich dieser Punkte machen seine Legitimationsgrundlage aus und die Ernstnahme und Verarbeitung eben dieser psychologischen wie atmosphärischen Bedingungen können Integration der bisher Ausgegrenzten bewirken. Ganz offenbar hat auch gerade dieser Punkt so beispielgebend gewirkt, dass sich verschiedene Staaten, deren Ordnung sich aus einer totalitären in eine freiheitlichdemokratische gewandelt hat, an Auftrag, Einrichtung und Arbeit des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen zu orientieren versuchten. Darauf ist ja auch schon Bezug genommen worden. Ich denke da nicht nur an die vielen Konversionsstaaten in Mittel- und Osteuropa, sondern auch und speziell etwa an Südafrika oder an Chile. Erst vorgestern haben wir in der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe von einem Polen, der die dortigen Verhältnisse genauestens kennt, gehört, dass die Brüche, die Uneinheitlichkeit, das öffentliche Desinteresse oder - das würden wir sagen - die Politikverdrossenheit der polnischen Gesellschaft, die sich zuletzt etwa auch in der niedrigen Wahlbeteiligung niedergeschlagen hat, mit darauf zurückzuführen seien, dass man eben eine Aufarbeitung, wie sie in Deutschland die Stasi-UnterlagenBehörde leistet, dort nicht vorgenommen hat. Mir scheint, meine Damen und Herren, die Besinnung auf dieses Kernanliegen der Gesetzgebungsinitiative von vor zehn Jahren ist angesichts der Tatsache, dass - womöglich wegen Zunahme des zeitlichen Abstandes oder auch kurzfristiger anderer Aktualitäten - die Konstellationen auch zu anderen Zwecken stärker genutzt werden sollen, besonders wichtig. § 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1991 hat eindeutig die Ermöglichung des Zugangs durch die betroffenen Einzelnen zu den von der Stasi über sie gesammelten Informationen und den Schutz der Persönlichkeitsrechte dieser Opfer seinen Regelungen als Ziel vorgegeben. Die allgemeine wissenschaftliche Aufarbeitung der Stasi-Tätigkeit und die öffentliche Information darüber sind erst danach aufgeführt worden und dürfen die Grundintention nicht verwischen. Wenn ich es richtig sehe, hat bisher die Tätigkeit der Stasi-Unterlagen-Behörde diesen Vorgaben auch in aller Regel Rechnung getragen. Wo man einmal die Persönlichkeitsrechte des betroffenen Einzelnen gegenüber dem öffentlichen Informationsbedürfnis und -interesse hintanstellen wollte, ist das rasch beanstandet worden. Das geschah etwa 1995 durch das Kieler Landgericht gegen den bekannten Untersuchungsausschuss des SchleswigHolsteinischen Landtages; in einem anderen Fall ist das 1996 durch den Bundesbeauftragten für Datenschutz moniert worden und hat jüngst - darauf wurde schon hingewiesen - das Berliner Verwaltungsgericht einschreiten lassen. Bei circa 5 Millionen Benutzungsanträgen, davon über 250 000 solchen auf Herausgabe von Unterlagen, war das aber stets die absolute Ausnahme. Die Behauptung jedenfalls, es habe eine langjährige Gegenpraxis der Behörde gegeben, ist augenscheinlich falsch; denn wo immer sonst das allgemeine Informationsinteresse die Offenlegung auch von Persönlichkeitsdaten bewirkt hat, geschah dies immer mit Zustimmung der betroffenen Einzelnen. Diese Linie - das soll mein Fazit sein - muss auch künftig durchgehalten werden, und zwar natürlich selbst dann - das richte ich insbesondere an Sie, Herr Özdemir, der Sie richtigerweise von Gräben, die wir nicht aufreißen, sondern zuschütten sollen, gesprochen haben -, wenn die Betroffenen respektive die Opfer der Bespitzelung damals wie heute bekannte Personen sind oder waren, und völlig unabhängig davon, ob sie damals oder heute ihren Wohnsitz im Westen oder im Osten hatten oder haben. ({0}) Im Übrigen begrüßen wir es - auch das sei noch angemerkt, ist aber selbstverständlich; wir haben das auch schon persönlich ausgedrückt -, dass demnächst noch eine Sachverständigenanhörung die fortdauernde Gediegenheit der in ihrem Großteil immerhin schon zehn Jahre alten Gesetzestatbestände und die Entwicklungsperspektiven der Stasi-Behörden-Arbeit ausführlich ausleuchten soll. Wenn es auch noch gelingt, dass die Behörde selber eine etwas breiter angelegte, durchaus repräsentative Veranstaltung zu diesem Thema plant, dann ist das nicht nur der Sache dienlich, sondern würde gleichfalls sehr begrüßt werden. Danke sehr. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ulla Jelpke.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Birthler! Frau Birthler, Sie haben die Bitte geäußert, dass wir uns zehn Jahre nach In-Kraft-Treten des Stasi-Unterlagen-Gesetzes Gedanken über die Erfahrungen und über die Probleme machen müssen. Ausgangspunkt ist hierbei der Rechtsstreit zwischen Ihrer Behörde und dem früheren Bundeskanzler Kohl bzw. dem Innenminister Schily. Wir halten diese Auseinandersetzung auf jeden Fall für notwendig; denn wir meinen auch, dass sich eine ganze Reihe von Problemen, deren Aufarbeitung jetzt angesagt ist, in diesen zehn Jahren angehäuft haben. Dabei muss von vornherein klar sein, dass Betroffene auch in Zukunft ein uneingeschränktes Recht auf Einsicht in ihre Akten haben. Daran darf auf gar keinen Fall gerüttelt werden. Wir erleben aber jetzt im Fall Kohl den Versuch einer Änderung des Umgangs mit den Stasi-Akten. Ich plädiere dabei keineswegs für ein Vorgehen nach dem Muster „Gleiches Unrecht für alle“. Ganz im Gegenteil: Es darf nicht sein, dass jetzt nur für Kohl verboten wird, was vorher jahrelang für Menschen mit Ostbiografien erlaubt war und möglicherweise auch in Zukunft erlaubt sein wird. ({0}) Fakt ist nämlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, dass die Stasi-Unterlagen-Behörde in der Vergangenheit bei Personen aus der ehemaligen DDR durchaus locker mit personenbezogenen Informationen an die Öffentlichkeit getreten ist, obwohl diese Personen Opfer oder Betroffene im Sinne des Stasi-Unterlagen-Gesetzes waren. ({1}) - Herr Büttner, Sie wissen ganz genau, auf welchen Fall ich hier anspiele. Dieser Fehler sollte von der Behörde meines Erachtens auch eingestanden werden, wenn es um die Aufarbeitung geht. Ansonsten bleibt der bittere Eindruck, dass erneut Westprominente gegenüber Ostprominenten privilegiert werden bzw. dass durch Westprominente diese Diskussion überhaupt erst möglich geworden ist. Das können Sie wohl nicht bestreiten. Des Weiteren stellt sich die Frage nach der Aufarbeitung der deutsch-deutschen Geschichte. Im Streit zwischen Kohl und der Stasi-Unterlagen-Behörde geht es auch um den Konflikt zwischen dem Recht der Öffentlichkeit auf Aufklärung des Regierungshandelns und dem Anspruch des Einzelnen auf Schutz seiner Persönlichkeit. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat deutlich gemacht - das ist schon gesagt worden -, dass es eine Rechtsunsicherheit bei der Anwendung von § 32 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes gibt. Dieser Paragraph ist beispielsweise für die Forschung nicht ohne Bedeutung. Hier müssen einige Punkte geklärt werden. Wörtlich heißt es in § 32: ... stellt der Bundesbeauftragte folgende Unterlagen zur Verfügung: ... Unterlagen mit personenbezogenen Informationen über Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amtsträger in Ausübung ihres Amtes, - jetzt folgt der Halbsatz, der diesen Streit ausgelöst hat soweit sie nicht Betroffene oder Dritte sind. In diesem Zusammenhang möchte ich sagen: Wenn Kohl abgehört wurde, dann ist er ein Betroffener. Das haben wir immer gesagt. Die Daten, die durch illegales Abhören gesammelt wurden, haben unserer Meinung nach nichts in der Öffentlichkeit zu suchen, auch nicht angesichts der Tatsache, dass Kohl eine Person der Zeitgeschichte ist. Trotzdem bleibt das Problem in der Auseinandersetzung, in der es um Erkenntnisse über das Denken und Handeln der Spitzenpolitiker der Bundesrepublik geht. Ich denke, wer die deutsch-deutsche Geschichte vernünftig aufarbeiten und ausleuchten will, der muss die Akten von zeitgeschichtlicher Relevanz insgesamt auf den Tisch legen. Mit diesem Konflikt, wie weit geforscht werden kann, und mit den vorhandenen zeitgeschichtlichen Interessen muss man sich meiner Meinung nach auseinander setzen; denn auch in den Akten, die über Kohl existieren, gibt es politisch interessante Punkte, die für die Aufarbeitung sehr wichtig sein können. Es darf ebenfalls nicht zu einer einseitigen Aufarbeitung kommen. Im Moment besteht die Gefahr im doppelten Sinne des Wortes. Bei anderen Archiven gibt es Sperrfristen von zum Teil mehreren Jahrzehnten, während die Akten der früheren DDR offen liegen. Problematisch ist auch, dass die Stasi-Unterlagen-Behörde im Augenblick die Akten zusätzlich sortiert - es gibt Wissenschaftler, die das zurzeit kritisieren - und nur die Akten herausgibt, von denen sie meint, sie herausgeben zu können. Ob die Behörde will oder nicht, übt sie auch hier einen indirekten Einfluss auf die Aufarbeitung der Geschichte aus. Wir stehen hier also vor einem doppelten Problem der Gleichbehandlung. Was für den Umgang mit staatlichen Akten der früheren DDR gilt, muss auch für die Akten der früheren Bundesrepublik Deutschland gelten. Persönlichkeitsrechte für Menschen mit Westbiografien müssen auch für Menschen mit Ostbiografien gelten. ({2}) Das gilt es aufzuarbeiten, wenn die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Fall Kohl gefallen ist. Wir begrüßen es, dass es hierzu, wie der Innenminister angekündigt hat, eine Anhörung geben soll. Dabei ist nicht nur das Stasi-Unterlagen-Gesetz zu prüfen. Viel wäre geholfen, wenn wir die Fristen für die Geheimhaltung aller Regierungsakten verkürzen und den Zugang dazu verbessern würden. Dazu würde auch gehören, den Zugang der Öffentlichkeit zu den Akten aller Geheimdienste, also auch der westdeutschen, zu korrigieren. ({3}) Das sage ich ganz bewusst als Westdeutsche, die der Meinung ist, dass diese einseitige Aufarbeitung nicht weiter bestehen darf. Das wäre unserer Meinung nach ein Schritt zu mehr demokratischer Transparenz und zur besseren Kontrolle der Regierung mit Auswirkungen auch auf die aktuelle Politik. Das wäre auch ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit und Gleichbehandlung im Umgang mit der deutsch-deutschen Geschichte. In diesem Sinne danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gisela Schröter.

Gisela Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002086, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute den Fünften Tätigkeitsbericht der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Wir tun dies in einer Zeit, in der wir zugleich innen- und außenpolitische Antworten von größter Tragweite auf die Ereignisse des 11. September finden müssen. Ich wünsche mir, dass die öffentliche Aufmerksamkeit für unsere heutige Debatte trotzdem nicht geschmälert wird. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir nehmen heute nicht nur einen jährlichen Tätigkeitsbericht zur Kenntnis; alle meine Vorredner haben schon darauf hingewiesen. Ich möchte mich dem Dank an die Behörde und an sämtliche Mitarbeiter, auch in den Außenstellen, die in den letzten Jahren eine ganz wichtige und sehr gute Arbeit geleistet haben, anschließen. Gestern haben wir den ersten Bericht von Marianne Birthler entgegengenommen. Ich freue mich, sie heute hier begrüßen zu können. Allmählich gewöhnt man sich auch an den Namen Birthler-Behörde, ich denke, auch dank des entschiedenen Auftretens von Frau Birthler. ({1}) Eine Bemerkung am Rande: Wenn wir in der letzten Zeit die Frage einer Novellierung des Stasi-UnterlagenGesetzes auch kontrovers diskutiert haben, sind wir uns, denke ich, in einem auf alle Fälle einig. Eine Gesetzesänderung ist unstrittig: Überall, wo im Gesetz „der Bundesbeauftragte“ steht, sollte jetzt „die Bundesbeauftragte“ oder „der oder die Bundesbeauftragte“ stehen. ({2}) Ich denke, dass wir das bei der nächsten Gelegenheit erledigen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir blicken auf zehn Jahre Erfahrung mit einem Gesetz zurück. Meine Vorredner haben aus ihrer jeweiligen Position darauf zurückgeblickt. Gestatten Sie mir, auch einmal meine Gedanken dazu hier zu sagen. Auf der Grundlage dieses Gesetzes konnten bereits Hunderttausende - das ist richtig - Aufschluss über die näheren Umstände und Hintergründe ihrer individuellen Lebens- und oftmals auch Leidensgeschichte bekommen. Ich möchte auch hier daran erinnern, dass es einige gibt - unter anderem zwei Freunde von mir -, die es nicht mehr erlebt haben, weil sie sich aufgrund des Drucks, der auf sie ausgeübt wurde, das Leben genommen haben. Diese Opfer standen nicht im Mittelpunkt oder in der Öffentlichkeit. Meine Freunde kamen aus einem kleinen thüringischen Städtchen, wo man nicht die Möglichkeit hatte, irgendetwas zu mobilisieren, um auf sich aufmerksam zu machen. Es ist mir wichtig, heute an sie zu erinnern, weil es mir wirklich ein Bedürfnis ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Stasi-Unterlagen-Gesetz ist auch mit entscheidend dafür, dass die Menschen aus den neuen Ländern in der Gesellschaft des vereinten Deutschlands angekommen sind. Mehr noch, die Aufarbeitung der eigenen Geschichte ist eine Voraussetzung dafür, dass die Menschen nicht nur in der Demokratie ankommen, sondern auch den Blick auf die gemeinsame Zukunft richten und an ihrer Gestaltung teilnehmen können. Als Ostdeutsche möchte ich an dieser Stelle aber auch die Bilanz von zehn Jahren Stasi-Unterlagen-Gesetz betonen, weit über den integrativen und die Einheit festigenden Beitrag hinaus. Dass wir uns mit den MfS-Unterlagen beschäftigen und uns fragen, wie wir damit umgehen wollen, darf nicht zu einer lästigen Aufgabe werden, die sich in wenigen Jahren von selbst erledigt. Nein, in der Auseinandersetzung mit einem diktatorischen Regime liegt die große Chance, die Grundpfeiler unseres freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens zu stärken. Liebe Kollegen und Kolleginnen, 1989 und 1991 haben wir uns ganz bewusst dafür entschieden, aus den Fehlern nach 1945 zu lernen, wo man die Geschichte nicht sofort richtig aufgearbeitet hat, wo man bestimmten Konfrontationen aus dem Wege gegangen ist. Wir wissen, diese Vergangenheit hat uns immer wieder eingeholt. Diese Erfahrungen wollten wir mit dem Stasi-UnterlagenGesetz vermeiden. Heute, nach zehn Jahren, können wir sagen: Das ist uns gelungen. ({3}) Auf diesem Wege, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir weiter gehen. Ganz bewusst haben wir uns dafür entschieden, die Unterlagen des MfS nicht, wie vorhin schon gesagt worden ist, dem Bundesarchivgesetz zu unterwerfen, in dem lange Sperrfristen vorgesehen sind. Wir wollten die Offenlegung, die direkte Konfrontation mit den Zeugnissen eines menschenverachtenden Regimes. Heute, nach zehn Jahren, können wir sagen: Dieses Stasi-Unterlagen-Gesetz ist kein Auslaufmodell. Vielmehr ist es nach wie vor im positivsten Sinne des Wortes eine ostdeutsche Mitgift für die Festigung der freiheitlichdemokratischen Zukunft der Bundesrepublik. ({4}) Ich denke, dem entspricht auch das breite Spektrum der Aufgaben der Behörde, die ich hier nicht alle zu wiederholen brauche. Schon ein flüchtiger Blick in den vorliegenden Tätigkeitsbericht gibt ein anschauliches Bild von der Vielfalt und der Notwendigkeit dieser Aufgaben. Über die Zahl der Bürger, die nach wie vor dort Einsicht nehmen wollen und auch können, ist vorhin schon gesprochen worden. Die jüngste Geschichte des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ist - auch darauf wurde hingewiesen - von einer Verunsicherung über die Anwendung seiner Normen - es geht um bestimmte Paragraphen - gekennzeichnet. Es gibt Paragraphen, über die neun Jahre lang nicht diskutiert wurde, die in jüngster Vergangenheit aber um so heftiger infrage gestellt worden sind. Die Beauftragte selber hat den Gesetzgeber um eine Präzisierung gebeten. Ich denke, dass wir dieser Bitte auch nachkommen werden. Es ist darauf hingewiesen worden, dass wir eine Expertenanhörung durchführen werden. Wir sollten auch darüber diskutieren, wie wir weiter damit umgehen. Ich meine: Zehn Jahre Erfahrungen mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz sind ein guter Anlass, um eine umfassende Bestandsaufnahme zu machen. Wir sollten uns dann unabhängig von noch ausstehenden Rechtsprechungen darüber unterhalten, ob es einen Novellierungsbedarf gibt und wenn ja, wo und in welcher Weise. Das sollten wir vollkommen offen diskutieren. Ich denke, hier sind wir auf einem guten Weg. Dabei werden wir natürlich nach den Intentionen des Gesetzgebers fragen müssen, als er 1991, nach einer fast zweijährigen Debatte, das StasiUnterlagen-Gesetz beschlossen hat. Diese Intentionen dürfen wir nicht außer Acht lassen. ({5}) Ich weiß, dass wir damals ganz heftig darum gestritten haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ob es dabei zu einer Akzentverschiebung kommt, wird sich erst am Ende der Debatte und nicht schon am Anfang, also erst nach der Anhörung, zeigen. Ich bitte, dass wir ganz offen mit dieser schwierigen Problematik umgehen. Gleichgültig, ob und in welchen Punkten es am Ende zu einer Novellierung kommt: Für mich ist entscheidend, dass die eminent wichtigen Aufgaben des Stasi-Unterlagen-Gesetzes für die innere Verfassung unserer Gesellschaft dadurch nicht infrage gestellt werden. Der Beitrag dieses Gesetzes für die politische Kultur in unserem Land ist beträchtlich. Damit kein Raum für Missverständnisse bleibt, möchte ich noch einmal klarstellen: Hierbei geht es nicht nur um die Aufarbeitung von DDR-Geschichte. Ich bin meinen Kollegen dankbar, die darauf hingewiesen haben. Es ist ein Teil deutscher Geschichte. Deshalb haben hier nicht nur Ostdeutsche die Aufgaben zu erledigen; es geht uns alle an. ({6}) In einer Zeit, in der der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat seine Wehrhaftigkeit gegen terroristische Bedrohungen verstärken muss, bekommen die MfS-Unterlagen und der Umgang mit ihnen eine zusätzliche Bedeutung. In seiner Monströsität ist dieses Erbe Mahnung dafür, wohin es führen kann, wenn das Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit aus der Balance gerät. ({7}) Damit sind das Stasi-Unterlagen-Gesetz und - auf seiner Grundlage - die Arbeit der Behörde beständige Aufforderung, dass wir dieses Spannungsverhältnis ebenso wie das Verhältnis zwischen den Persönlichkeitsrechten und dem öffentlichen Informationsinteresse immer wieder ausbalancieren. Dieser Prozess spiegelt rechtsstaatliche Normalität wider. Wenn die Balance gelingt, festigen wir auch die freiheitlich-demokratischen Grundlagen unseres Zusammenlebens im Osten wie im Westen: in unserer gemeinsamen deutschen Demokratie. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Vera Lengsfeld.

Vera Wollenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002721, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der größte Teil der Mitglieder dieses Hauses ist sich einig, dass das Stasi-UnterlagenGesetz eine Erfolgsgeschichte ist. Ich erinnere noch einmal daran, dass diese Akten geöffnet worden sind, damit die Opfer von Stasiverfolgung ihre Akten einsehen können. Sie haben das in einer verantwortungsvollen Art und Weise getan. Jedenfalls ist es nicht zu dem vor der Aktenöffnung prophezeiten Bürgerkrieg gekommen, auch nicht zu allen anderen Gräueltaten, aber sie hat natürlich zu einem geführt: Mit der Öffnung der Stasi-Akten wurde das Gerüst einer Diktatur bloßgelegt und es wurden die Täter, die dieser Diktatur gedient haben, kenntlich gemacht. Bevor ich auf diesen Punkt zu sprechen komme, weise ich auf eines ganz entschieden hin. Da die Akten vor allen Dingen für die Opfer geöffnet worden sind, muss auch der Opferschutz in der Weise, wie er zu Beginn intendiert war, erhalten bleiben. Ich persönlich würde mich gegen alles wehren, was diesen Opferschutz einschränkte, unabhängig davon, ob es sich bei diesen Opfern um unbekannte Personen oder so genannte Personen der ZeitgeGisela Schröter schichte handelt. Das ist kein Ost-West-Problem, sondern ein Täter-Opfer-Problem. Diese Tatsache darf in dieser Debatte nicht verwischt werden. ({0}) Ich bin auch im Zweifel, ob diese Stasi-Unterlagen vordergründig als Material für Geschichtsaufarbeitung geschützt werden müssen, denn sie sind zum Beispiel hinsichtlich der Stasi-Vermerke über die Opfer eher unzuverlässig. In anderer Hinsicht sind sie sehr zuverlässig. Sie sind sehr hilfreich für die Identifikation der Täter. Auch das ist bei vermuteten 20 000 bis 30 000 Westspionen kein Problem von Ost oder West. ({1}) Ich nutze die Gelegenheit, um einmal vorzuführen, welches Demagogenstück uns heute von der PDS zugemutet wurde. Jetzt sind nur noch drei Abgeordnete dieser Fraktion anwesend. Zwei davon waren inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit. Frau Abgeordnete Jelpke, Sie zelebrierten hier das Klagelied der geschundenen Ostbiografie. Ich zeige Ihnen jetzt eine exemplarische Ostbiografie eines im Plenarsaal anwesenden Abgeordneten auf. Ich spreche von Professor Heinrich Fink, IM „Heiner“. Als er Chef der Christlichen Friedenskonferenz war und Bärbel Bohley, Freia Klier und andere, unter anderem auch ich, im Stasigefängnis saßen und anschließend abgeschoben wurden, hatte IM „Heiner“ von der Staatssicherheit den Zersetzungsauftrag, diese Abgeschobenen in Kirchenkreisen des Westens zu diffamieren. Er hat diesen Auftrag zuverlässig erfüllt. Dieser Mann sitzt heute im Bundestag und kann hier sprechen. Von geschundener Ostbiografie kann in diesem Zusammenhang überhaupt nicht die Rede sein. Eher frage ich mich, wie dem berechtigten Anliegen der Bürgerbewegung, dass inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit zumindest nicht mehr in herausragenden politischen Funktionen tätig sein sollen, in diesem Falle Rechnung getragen wurde. ({2}) Ich führe gleich ein noch viel bekannteres Beispiel an, weil man dieses Lied von der PDS immer hört. ({3}) In dieser ganzen Stasi-Diskussion wird immer gesagt, Politiker aus dem Osten mussten sich gefallen lassen, was man Kohl nicht zumuten will. In diesem Zusammenhang wird immer von Dr. Gregor Gysi gesprochen. An dieser Stelle verlese ich, was der Bundestag festgestellt hat und was in diesem Hohen Hause noch nicht verlesen worden ist. ({4}) Nach dem Ergebnis einer sorgfältigen Recherche unter Auswertung von über 1 000 Blatt IM-Akten hat der Immunitätsausschuss Folgendes festgestellt: ({5}) Dr. Gysi hat nach Überzeugung des Ausschusses seine Anwaltstätigkeit in der DDR dazu benutzt, um im Rahmen seiner inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS Informationen über seine Mandanten zu liefern und Arbeitsaufträge des MfS auszuführen. Die Überprüfung der verschiedenen Mandatsverhältnisse hat in jedem der genannten Fälle ergeben, dass Rechtsanwalt Dr. Gysi personenbezogene Informationen, Einschätzungen und Bewertungen zu seinen Mandanten an das MfS weitergegeben hat. Aber er hat noch mehr gemacht: Dr. Gregor Gysi hat in der Zeit seiner inoffiziellen Tätigkeit Anweisungen seiner Führungsoffiziere über die Beeinflussung seiner Mandanten ausgeführt und über die Erfüllung seiner Arbeitsaufträge berichtet. Er hat sich hierauf nicht beschränkt, sondern auch eigene Vorschläge an das MfS herangetragen. Dr. Gysi hat seine herausgehobene berufliche Stellung als einer der wenigen Rechtsanwälte in der DDR genutzt, um als Anwalt auch international bekannter Oppositioneller die politische Ordnung der DDR vor seinen Mandanten zu schützen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat er sich in die Strategien des MfS einbinden lassen, selbst an der operativen Bearbeitung von Oppositionellen teilgenommen und wichtige Informationen an das MfS weitergegeben. Auf diese Erkenntnisse war der Staatssicherheitsdienst zur Vorbereitung seiner Zersetzungsstrategien dringend angewiesen. Das Ziel dieser Tätigkeit unter Einbindung von Dr. Gysi war die möglichst wirksame Unterdrückung der demokratischen Opposition in der DDR. Dieser Mann sitzt heute nicht nur im Bundestag, sondern auch in allen Talkshows. Die große Frage ist immer: War er es oder war er es nicht? Ich sage es Ihnen hier von diesem Pult aus: Er war es. Leider ist meine Redezeit zu Ende; sonst hätte ich Ihnen noch einmal erklärt, wie die Zersetzungspläne der Staatssicherheit ausgesehen haben, die jetzt durch die Aktenöffnung offensichtlich geworden sind. Diese Zersetzungspläne gingen bis hin zur Planung von Morden. Mein Freund Jürgen Fuchs hat drei solcher Mordanschläge überstanden; einer davon betraf seine ganze Familie. In diese Zersetzungspläne der Staatssicherheit eingebunden zu sein war kein Kavaliersdelikt, sondern ist eine Sache, zu der man, wenn man sich als Volksvertreter und vor allen Dingen als Vertreter ostdeutscher Interessen aufspielt, wenigstens ehrlich stehen sollte. Das tut Dr. Gregor Gysi leider nicht. ({6}) - War das jetzt eine Zwischenfrage? Dann würde ich sie gerne noch beantworten. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Die Redezeit ist zu Ende.

Vera Wollenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002721, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darüber habe ich immer und überall offen geredet. Jeder, der mich kennt, und jeder, der das liest, was ich veröffentlicht habe - das können auch Sie in meinen Büchern nachlesen -, weiß, dass ich das immer ganz offen sage. Es besteht, bitte schön, ein Unterschied, ob man in irgendeiner Partei gewesen ist - das waren Sie ja auch ({0}) oder ob man für die Staatssicherheit gearbeitet hat und sich in die Zersetzungspläne der Staatssicherheit hat einbinden lassen. Das ist Ihr Problem. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich weise darauf hin, dass Kollegen dieses Hauses, die persönlich angesprochen worden sind, das Recht haben, zu ihrer Person Stellung zu nehmen, wenn sie das möchten. Als Nächste hat die Bundesbeauftragte für die StasiUnterlagen, Marianne Birthler, das Wort. Marianne Birthler, Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zehn Jahre sind seit der Verabschiedung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes vergangen. Das ist ein guter Anlass für mich, zu Ihnen zu sprechen. Sie haben am 14. November 1991 den Weg dafür frei gemacht, dass die Aufarbeitung des Unrechts einer Diktatur so erfolgen konnte, wie es historisch und weltweit bisher nie möglich war. Sie haben seither parteiübergreifend dafür Sorge getragen, dass nicht nur die rechtlichen Grundlagen, sondern auch die nötigen Ressourcen für die Arbeit meiner Behörde zur Verfügung standen. Dies hier zu würdigen ist mir eine große Freude. ({1}) Der Bundestag war damals, wie schon einmal in der deutschen Geschichte, herausgefordert, mit der Hinterlassenschaft einer Diktatur umzugehen, mit den Wunden der Opfer und ihrer Hoffnung auf Gerechtigkeit, mit Verbrechen, für die es kein Strafrecht gab, mit Staatsdienern, denen ihr Staat abhanden gekommen war, mit den politischen und kulturellen Schäden einer Gesellschaft nach fast sechs Jahrzehnten in zwei Diktaturen. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz ist ein eindrücklicher Beleg für das Bemühen, 17 Millionen Menschen nicht nur in die Bundesrepublik zu integrieren, sondern sich auch ihrer Geschichte zu stellen. Grundlage dafür war die Entschiedenheit, mit der die Abgeordneten der Volkskammer zuvor die Öffnung der Stasi-Akten - im Übrigen gegen die Skepsis beider Regierungen - durchgesetzt hatten. Niemand konnte damals wissen, welche Wirkungen dieses Gesetz entfalten würde. Ob den Opfern der Stasi die erhoffte Genugtuung zuteil werden würde, ob Menschen überhaupt wünschten, ihre Akten zu sehen, auch ob die Stasi-Akten für die zeitnahe Aufarbeitung durch Medien und Wissenschaft genutzt würden, musste sich erst erweisen. Und: Welche Folgen würde es haben, wenn die Namen der Täter offenkundig würden? Um es kurz zu sagen: Das Gesetz hat sich als überaus praxistauglich erwiesen und wurde in einem unerwarteten Maß in Anspruch genommen. Die Zahlen sind heute schon mehrfach genannt worden. Abgesehen von den Überprüfungen vor allem im öffentlichen Dienst deutet nichts auf einen Rückgang der Nachfrage hin. Letzteres ist die einzige Aufgabe nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz, die zeitlich befristet wurde. Wichtigstes Ziel der Aktenöffnung war, es den Opfern der Diktatur zu ermöglichen, ihr Schicksal aufzuklären. Die Begegnung mit der Wahrheit war und ist oft schmerzhaft. Manche wagen es erst jetzt, nach jahrzehntelangem Abstand, ihre Akte einzusehen. Billiger aber als mit diesem Schmerz ist die Überwindung von Unrecht, ist die von vielen ersehnte individuelle oder auch gesellschaftliche Versöhnung nicht zu haben. ({2}) Mit der Aktenöffnung war auch die Hoffnung darauf verbunden, dass das Personal in öffentlichen Ämtern, in Behörden, Schulen oder auch Rundfunkanstalten zumindest hinsichtlich einer Zusammenarbeit mit der Stasi unbelastet sein sollte. Eine glückliche Entscheidung des Gesetzgebers war es, dass die Behörde darauf beschränkt ist, auf Antrag Auskünfte zu erteilen. Die Bewertungsmaßstäbe, auch die Verfahren, sind in der Praxis von Ländern und Kommunen sehr unterschiedlich. Überprüfungsverfahren verlangen Augenmaß und viel Mühe. Gute Erfahrungen werden überall dort gemacht, wo zum einen Verfahren und Maßstäbe transparent waren und wo zum anderen eine differenzierte Einzelfallüberprüfung erfolgte. Die Erforschung von Struktur und Wirkungsweise des MfS schließlich erbrachte wichtige Erkenntnisse über das Wesen von Diktaturen. Überwachung und Repression waren Schlüsselfunktionen für den Machterhalt der SED. Die Arbeit im Archiv, die Publikationen, die Öffentlichkeitsarbeit, die Ausstellungen und Veranstaltungsreihen, die neuen Ansätze für die politische Bildungsarbeit in Schulen und mit Jugendlichen können hier nur erwähnt, aber nicht beschrieben werden. Wichtig ist mir - gerade im Hinblick auf die Frage, wie diese Akten auch für Jugendliche nutzbar gemacht werden können - der Hinweis darauf, dass die Akten eben nicht nur Beispiele für Verrat und Schande enthalten, sondern auch zahllose Beispiele für Mut und für ganz alltägliche Anständigkeit Hunderttausender. ({3}) Wenig bekannt in der Öffentlichkeit ist die Tatsache, dass sich in den Unterlagen des MfS erhebliche Bestände an NS-Akten befanden. Sie sind im Übrigen auch ein Beleg dafür, dass die SED recht instrumentell mit diesem Erbe umgegangen ist. Mit ihrer Hilfe ist die Aufarbeitung mancher Verbrechen aus der Zeit des nationalsozialistischen Regimes erst heute ermöglicht worden. Zu den Aufgaben der Behörde in diesem Zusammenhang gehört auch ein Antrag von Yad Vashem. Auf diesen Antrag hin wurden bislang 90 000 Kopien herausgegeben. Herr Büttner hat schon darauf hingewiesen: Im Zuge der Erfüllung all dieser Aufgaben nimmt das Interesse an der Aufarbeitung der kommunistischen Diktaturen über Ländergrenzen hinweg zu. Die Stasi-UnterlagenBehörde der Bundesrepublik Deutschland gilt aufgrund ihres Erfahrungsvorlaufs als Modell und ist gefragter Partner für Informationsaustausch und Kooperation. Genauso wie mein Vorgänger Joachim Gauck pflege ich diese Kontakte sehr gern, nicht zuletzt mit Blick auf die Perspektive eines gemeinsamen Europas. Wenn wir ein europäisches Gemeinwesen begründen wollen, so gehört dazu auch die Beschäftigung mit der europäischen Geschichte. ({4}) Der Kommunismus war ja nicht nur ein nationales, sondern ein europäisches Phänomen. Ich persönlich meine, dass die Zeit für eine europäische Institution, die sich der Erforschung des Kommunismus in Europa widmet, bald gekommen sein müsste. ({5}) Nachdem das Verwaltungsgericht Berlin im Juli dieses Jahres der Klage von Dr. Helmut Kohl stattgegeben hat, liegt das Verfahren nun beim Bundesverwaltungsgericht. Aber wie auch immer die Entscheidung ausfallen wird, deutlich geworden ist längst, dass die Frage, wessen Akten unter welchen Bedingungen an wen herausgegeben werden dürfen, der politischen Klärung bedarf. Ich freue mich deshalb, dass sich der Bundestag dieser Frage annehmen wird. Die Hinterlassenschaft der Stasi ist nun einmal so beschaffen, dass die für die Aufarbeitung wichtigen Informationen auf das Engste mit personenbezogenen Informationen verwoben sind. Genau dies war der Grund dafür, dass der Gesetzgeber die Nutzung personenbezogener Daten ermöglicht hat, obwohl diese nahezu ausschließlich rechtswidrig erhoben wurden. Ihre Nutzung freilich ist an strenge Restriktionen gebunden, die seitens meiner Behörde seit Jahren peinlichst beachtet werden. Eine dieser Bindungen ist die Zweckbindung aus dem § 1 des Gesetzes. Nun kann man ja Verständnis für sehr viel Neugierde haben, auch Verständnis dafür, dass der Aufklärungswille sehr groß ist. Aber ich sage hier eindeutig: Das Stasi-Unterlagen-Gesetz ist für die Aufklärung der MfS-Tätigkeit - wenn Sie so wollen: für die Aufklärung der DDR-Diktatur - gemacht worden und nicht für die Aufklärung der bundesdeutschen Spendenaffären. ({6}) Dass die Herausgabe von Daten sowohl bei Mitarbeitern wie auch bei Betroffenen stets unter der Maßgabe überwiegend schutzwürdiger Belange erfolgt, haben wir in vielen Fällen erlebt. Wenn wir in den letzten zehn Jahren in der Behörde Klagen oder Beschwerden bekommen, so bezogen sie sich im Allgemeinen fast ausschließlich darauf, dass wir zuviel anonymisiert, zuviel gestrichen oder abgedeckt haben und nicht zu wenig. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch noch auf einen Zungenschlag eingehen, der gelegentlich im Zusammenhang mit dem Aktenstreit in der Öffentlichkeit zu hören ist, der aber meines Erachtens der Richtigstellung bedarf. Man kann sicherlich nicht abstreiten: Die Tatsache, dass die Stasi auch im Westen sehr aktiv war, hat die Sensibilitäten auch im Westteil unseres Landes erhöht. Aber eines ist einfach nicht wahr: dass wir in der Vergangenheit Unterlagen nach unterschiedlichen Maßstäben herausgegeben hätten, je nachdem ob es sich um Ost- oder Westdeutsche handelte. ({7}) Das Stasi-Unterlagen-Gesetz sieht einfach verschiedene Verfahren vor, je nachdem ob es sich um Mitarbeiter oder Betroffene handelt. Und das macht den Unterschied aus. ({8}) - Ich bin gar nicht sicher, ob ich auf Zwischenrufe reagieren darf. Ich glaube nicht. Ich würde es gerne tun. ({9}) Trotz dieser Klagen über eine zu restriktive Handhabung bei der Herausgabe der Akten muss ich darauf hinweisen: Das Gesetz, auf dessen Grundlage wir arbeiten, lässt nichts anderes zu, denn es ist eben beides. Es ist zugleich Aktenöffnungs- und Datenschutzgesetz. Ich bin sehr froh, dass die Debatte aus Anlass des Fünften Tätigkeitsberichtes nicht hinter der zum Teil heftig geführten Debatte über die Herausgabe von Unterlagen nach §§ 32 und 34 verschwindet. Das hätte die Arbeit, die seit zehn Jahren in dieser Behörde geleistet wird, nicht verdient. ({10}) Trotzdem wird uns diese Frage noch reichlich beschäftigen. Zehn Jahre nach seiner Verabschiedung ist festzustellen, dass das Interesse an den Stasi-Akten nicht nur bei den einzelnen Bürgerinnen und Bürgern wach und lebendig geblieben ist. In diesen Wochen und Monaten gibt es zahlreiche Veranstaltungen, Tagungen und Diskussionen zum Thema und ich darf Sie natürlich auch von hier aus schon zur Festveranstaltung der Behörde aus Anlass des Marianne Birthler zehnten Jahrestages der Verabschiedung des Gesetzes am 28. November sehr herzlich einladen. Das Ende der Aufarbeitung, der berühmte Schlussstrich, ist nicht in Sicht. Er wäre auch weder wünschenswert noch machbar; denn die Erfahrung mit der ersten deutschen Diktatur zeigt, dass sich nach dem Ende einer Diktatur im Laufe der Jahrzehnte immer neue Fragen stellen und nach Antwort verlangen. Elf Jahre, das ist keine lange Zeit. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Wir sind damit am Ende der Debatte. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/7210 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: 7. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Klaus Brähmig, Ernst Hinsken, Anita Schäfer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Rahmenbedingungen für die Tourismuswirtschaft innerhalb der Europäischen Union - Drucksachen 14/5841, 14/6955 Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Klaus Brähmig.

Klaus Brähmig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000240, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Glaube, Liebe und Hoffnung zeichnen die momentane Wirtschaftspolitik der rot-grünen Bundesregierung aus. Die rot-grüne Bundesregierung glaubt an die Omnipotenz des Staates. Auch für die Wirtschaftspolitik gilt das Motto: Alle Macht geht vom Staate aus. Die rot-grüne Bundesregierung liebt ein Jahr vor der Bundestagswahl wieder die unbrauchbaren wirtschaftspolitischen Ansätze der Gewerkschaftslobby. Das Motto lautet: Tausche neue Mitte gegen alte Linke. ({0}) Die rot-grüne Bundesregierung hofft auf einen erneuten Aufschwung der Weltwirtschaft. Das Motto lautet: Lieber die Politik der ruhigen Hand als aktive Wirtschaftspolitik mit handwerklichem Können. ({1}) Die Hoffnung auf den Aufschwung wird allerdings spätestens in der Sonne des Spätsommers 2002 dahinschmelzen. Warum? Weil Sie mit dem Job-Aqtiv-Gesetz den zweiten und dritten Arbeitsmarkt zusätzlich subventionieren, anstatt mit Kombilöhnen Bewegung in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen; weil Sie mit dem neuen Mitbestimmungsrecht den Faktor Arbeit zusätzlich um mehrere Milliarden DM belasten und ausschließlich die Arbeitnehmerrechte ausweiten, anstatt die unternehmerische Freiheit zu stärken; weil Sie durch die Erhöhung der Tabak-, Versicherung- und Ökosteuer die Kauf- bzw. Investitionskraft von Bürgern und Unternehmen zusätzlich abschöpfen, anstatt eine schnelle und umfassende Steuererleichterung durchzusetzen. ({2}) Ich bin davon überzeugt: Am 22. September 2002 werden Sie die Quittung für vier verlorene Jahre bei der Entwicklung Deutschlands im weltweiten Wettbewerb erhalten. ({3}) Neben diesen grundsätzlichen Fehlern, die Sie in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik begehen, lassen Sie aber auch den Mut vermissen, in die Wachstumsbranche Tourismus zu investieren, die weltweit als Jobmotor gilt. Eine Expertenkommission der Europäischen Union errechnete für den Zeitraum bis 2010 allein innerhalb der EU ein Potenzial von 3,3 Millionen neuen Arbeitsplätzen in der Tourismuswirtschaft. Auch nach dem 11. September 2001 gilt der Tourismus als Hoffnungsträger bei der Sicherung bestehender und der Schaffung neuer Arbeitsplätze - übrigens nicht exportierbarer Arbeitsplätze in Deutschland. Durch kreative Entscheidungen und die richtige Festlegung der Prioritäten könnte auch Deutschland von der Leitökonomie des 21. Jahrhunderts profitieren. Während in anderen Ländern Europas der Entwicklung des Tourismus und anderer Dienstleistungssektoren eine sehr hohe Priorität eingeräumt wird, führt dieser Bereich in Deutschland vergleichsweise ein Schattendasein. Genau aus diesem Grund hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion diese Große Anfrage zu den Rahmenbedingungen für die Tourismuswirtschaft innerhalb der Europäischen Union eingebracht. Die uns vorliegende Antwort der Bundesregierung dokumentiert mit umfangreichem Zahlenmaterial, dass die deutsche Tourismuswirtschaft bei wichtigen Kennzahlen der europäischen Konkurrenz hinterherhinkt. Deutschland sitzt nicht im Führerhaus der Lokomotive, sondern im Bremserhäuschen. ({4}) An folgenden Beispielen möchte ich das verdeutlichen. Spanien und Großbritannien stellen aus öffentlichen Kassen jährlich 151 bzw. 114 Millionen DM für nationale Tourismuswerbung zur Verfügung. Selbst das kleine Österreich investiert hier 68 Millionen DM. ({5}) Deutschland fällt mit 42 Millionen DM deutlich zurück. Beim Vergleich der Pro-Kopf-Ausgaben sind wir sogar das absolute Schlusslicht der Europäischen Union. ({6}) Marianne Birthler Während die Schweiz und Österreich nach den Terroranschlägen auf New York und Washington sogar noch zusätzliche Finanzmittel für das Auslandsmarketing bereitstellen, wurde der Antrag der CDU/CSU-Fraktion, die Mittel für die DZT um bescheidene 6 Millionen DM aufzustocken, von den Koalitionsfraktionen in den Ausschüssen brüsk abgebügelt. Die Begründung lautet, es sei kein Geld für dieses dringend notwendige Standortmarketing vorhanden bzw. die Union habe keine Deckungsvorschläge eingebracht. ({7}) Gleichzeitig werden innerhalb von kürzester Zeit 500 Millionen DM für die Erhöhung der Kosten der Bundesbauten in Berlin als überplanmäßige Ausgaben deklariert und durch den Haushaltsausschuss abgenickt. Dasselbe geschieht bei den EXPO-Kosten sowie bei den Kosten für andere aktuelle Ereignisse. Das Totschlagargument, es sei kein Geld für Standortmarketing vorhanden, gilt also nur für gewisse Teilbereiche der Etatplanung. ({8}) Aber nicht nur bei der Etatplanung scheinen andere europäische Regierungen die richtigen Prioritäten zu setzen. Auch die Steuerpolitik wird von allen anderen europäischen Regierungen innovativ zur Tourismusförderung eingesetzt. Der in Deutschland gültige normale Mehrwertsteuersatz von 16 Prozent ist im Vergleich zu anderen EU-Ländern niedrig. Betrachten wir aber das personalintensive Hotel- und Gaststättengewerbe und die Freizeitwirtschaft, dann wenden fast alle europäischen Konkurrenten einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf diese Dienstleistungen an. Der Vorteil für unsere unmittelbaren Nachbarn bei den Kosten für die Beherbergung beträgt in Österreich 6 Prozent, in den Niederlanden 10, in Frankreich 11,5 und in Luxemburg sogar 13 Prozent. Dort wird nationale Steuerpolitik zum Standortmarketing genutzt. Ich frage die rot-grüne Bundesregierung: Wo bleibt die versprochene Initiative zur Harmonisierung der Mehrwertsteuersätze? Wo bleibt die Initiative für einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz in Deutschland? ({9}) Wie andere europäische Regierungen ihre Freizeitwirtschaft stützen bzw. wie sie mit hohen Subventionen zur weiteren Wettbewerbsverzerrung beitragen, ({10}) sieht man am Beispiel der Freizeitparks: Der EuropaPark Rust der mittelständischen Unternehmerfamilie Mack steht unter anderem in direkter Konkurrenz mit dem Freilichtmuseum Ecomusée in Ungersheim im Elsass. Der französische Konkurrent erhielt im Gegensatz zum Europa-Park eine Startspritze von 30 Millionen DM. Euro-Disney in Paris erhielt vom französischen Staat sogar 500 Millionen DM. Auch beim ebenfalls in Ungersheim geplanten Bioscope-Freizeitpark beteiligt sich die französische Regierung mit 120 Millionen DM. Zusätzlich übernimmt Paris eine Beteiligung von 49 Prozent und damit auch 49 Prozent der Anlaufverluste. Nach der Anlaufphase soll die Beteiligung an die Betreibergesellschaft Parc Asterix abgetreten werden. Unser deutscher Mittelstand geht bei Investitionsvorhaben auf Bittstellertour bei den Banken und die französische Konkurrenz wird mit Subventionen hochgepäppelt. ({11}) Unser Mittelstand will keine Subventionen, aber er möchte Chancengleichheit im europäischen Wettbewerb. ({12}) Ich frage Herrn Wirtschaftsminister Müller: Wo bleibt die Initiative zur Beseitigung dieser eklatanten Wettbewerbsnachteile für unsere mittelständischen Unternehmen? ({13}) Meine Damen und Herren, Sie sehen: Fragen über Fragen, aber es gibt leider keine Antworten. ({14}) Genau in 54 Tagen, am 1. Januar 2002, erhalten Deutschland und elf weitere Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine einheitliche Währung: den Euro. Dies ist ein historischer Augenblick. Dieses Datum stellt gerade für die europäische Tourismusbranche eine große Chance dar. Denn von Görlitz bis zur Algarve und von Sizilien bis nach Helsinki sorgt der Euro ab dem 1. Januar 2002 für einzigartige Preistransparenz. Mein Vorwurf an die rot-grüne Bundesregierung lautet: Durch wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen und Untätigkeit beim Abbau von Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU betrügen Sie Deutschland um seine Chance auf neue Arbeitsplätze. ({15}) Selbst das von uns initiierte Jahr des Tourismus in Deutschland haben Sie leider ungenutzt verstreichen lassen. ({16}) Meine Forderung an die Bundesregierung lautet: Sorgen Sie endlich für fairen Wettbewerb in Europa! Sorgen Sie endlich für Chancengleichheit in Europa! Sorgen Sie endlich für die Interessen des deutschen Mittelstandes! ({17})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Brähmig, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Klaus Brähmig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000240, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Birgit Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003214, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, würden Sie mir bitte einmal erklären, wie Sie denn auf die Idee kommen, dass die Bundesregierung im Bereich des Tourismus im Bremserhäuschen sitzt? Ich möchte Sie nur darauf hinweisen, dass Sie in Ihrer Regierungszeit die Zahlungen an die DZT, die in Millionenhöhe erfolgen, gnadenlos herabstufen wollten. Darf ich Sie darauf hinweisen, dass wir es trotz der von Ihnen übernommenen Staatsverschuldung geschafft haben, die Zahlungen an die DZT Jahr für Jahr zu erhöhen und dass wir heute bei 45 Millionen DM liegen? Sie haben eben von wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen gesprochen. Ich wäre Ihnen dankbar gewesen, wenn Sie heute bei der Mittelstandsdebatte anwesend gewesen wären. Dann hätten Sie erfahren, was in den letzten drei Jahren alles gemacht wurde. Ich möchte Ihnen gern ein Beispiel geben, zu dem Sie Stellung beziehen sollten.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, Sie tun etwas, was Sie bei einer Zwischenfrage nicht machen dürfen, nämlich eine Rede halten. Sie haben sich zu einer Zwischenfrage gemeldet, die in der Regel aus einer einzigen Frage besteht. ({0})

Birgit Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003214, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Würden Sie mir bitte erklären -

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nein, Frau Kollegin, Sie dürfen nicht weiter fragen. Sie müssen stehen bleiben, während Sie jetzt Ihre Antwort bekommen. ({0})

Klaus Brähmig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000240, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zu dem Vorwurf, ich sei bei der Mittelstandsdebatte nicht dabei gewesen: Ich habe sie mir im Fernsehen in meinem Büro angesehen. Ich denke, meine Kollegen haben mich bei der Diskussion gut und seriös vertreten. Sie haben den Finger in die offene Wunde gelegt und die Defizite aufgezeigt. Ich habe angesprochen, was der Wirtschaftsstandort Deutschland dringend braucht. Frau Kollegin Roth, ich habe einen längeren Brief an Herrn Staatssekretär Mosdorf zu dem Thema DZT geschrieben. Ich hoffe, dies mildert Ihre Einstellung zu der Problematik der Förderung. Das ist eine Schallplatte, die Sie seit dem Dezember 1998 auflegen. Wenn Sie es wünschen, kann ich dies gern noch einmal darstellen. Sie wissen genau wie ich, dass wir uns in der Bundesregierung 1996 dafür eingesetzt haben, dass die DZT fortbesteht. Wir haben das damals mit Herrn Dr. Kaub und mit seiner Nachfolgerin, der Geschäftsführerin Frau Schörcher, vernünftig geregelt. Es hat Überlegungen gegeben, die Mittel des Bundes für die Deutsche Zentrale für Tourismus zu reduzieren. ({0}) Allerdings müssen Sie wissen, dass der damalige Verwaltungschef der DZT, Herr Klein, bei uns im Ausschuss zu Protokoll gegeben hat, er brauche kein Geld vom Steuerzahler, sondern er bringe 50 Millionen DM aus der Portokasse der Wirtschaft mit. ({1}) Natürlich war der damalige Wirtschaftsminister, Herr Rexrodt, aber auch Finanzminister, Herr Waigel, darüber nicht böse. Herr Waigel hat schon damals dafür Sorge getragen, dass die Staatsfinanzen konsolidiert werden. ({2}) Das ist keine Erfindung der Regierung Schröder/Fischer. Nicht erst seit dem Oktober 1998 wird versucht, die Staatsfinanzen zu konsolidieren, sondern dies war eine klare Option der Regierung von Helmut Kohl. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Sie können dies bei jeder Gelegenheit in die öffentliche Diskussion bringen. Ich bin gern bereit, noch einmal einen detaillierten Brief an Herrn Wirtschaftsminister Müller, an Frau Kollegin Irber oder Herrn Mosdorf zu schreiben, wenn dies gewünscht wird. Allerdings habe ich mich mit Herrn Staatssekretär Mosdorf insofern geeinigt, als wir das Thema nach einer gründlichen Klärung im beiderseitigen Interesse bei dem jetzigen Sachstand belassen. Ich hoffe, dass Sie sich an diese Abmachung halten. Wenn Sie das nicht wollen, kann ich mich darauf einstellen. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Staatssekretär Mosdorf.

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedaure sehr, Herr Brähmig, dass Sie sich zu Beginn Ihrer Rede darauf konzentriert haben, bei einem so wichtigen Thema Parteipolemik zu betreiben. ({0}) Ich muss sagen: Sie müssen sich einmal entscheiden, ob Sie mehr oder weniger Staat wollen. Am Anfang haben Sie uns vorgeworfen, der Staat würde zu sehr eingreifen. Nachher haben Sie pausenlos mehr Eingriffe vom Staat gefordert. Was wollen Sie denn nun? Sie müssen sich schon entscheiden. Es geht nur eines von beiden. ({1}) Es ist wichtig, dass wir uns mit dem Thema Tourismus seriös beschäftigen. Seriös heißt, dass wir nicht nur die Große Anfrage der CDU/CSU gewissenhaft beantworten, Herr Brähmig. Sie haben sich schließlich nachhaltig auf die Fakten gestützt, die wir Ihnen als Antwort gegeben haben. Vielmehr müssen wir uns in der jetzigen Situation mit Sonderfaktoren beschäftigen. Es ist klar, dass in der Zeit nach dem 11. September weniger interessant ist, wie viele Mitarbeiter Frankreich oder Italien in ihrer Tourismusbehörde beschäftigen. Von größerem Interesse ist, wie die weltweiten Auswirkungen der Ereignisse vom 11. September aussehen werden. Dazu haben Sie wenig gesagt. ({2}) - Das mache ich auch. Warten Sie doch einmal ab! Ich merke, wie gespannt Sie darauf warten, endlich etwas Neues zu hören, nachdem Sie von Ihrem Kollegen nichts Neues erfahren haben. Nach der Rede von Herrn Brähmig kann ich Ihre Ungeduld verstehen. Der 11. September bedeutete für die gesamte Dienstleistungswirtschaft, insbesondere für die Tourismus- und Luftverkehrswirtschaft, einen erheblichen Einschnitt. Die jetzt vorliegenden Daten belegen, dass das Aufkommen im Luftverkehr deutlich zurückgegangen ist. So ist beispielsweise das Flugverkehrsaufkommen in Europa seit dem 11. September um 18,9 Prozent zurückgegangen. Das hat natürlich auch etwas mit der Entwicklung im Tourismus zu tun. Viele touristische Ziele sind unmittelbar von den Folgen der Anschläge vom 11. September betroffen. Viele Hotels stehen leer und müssen um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen. Eines muss man aber klar sagen: Die ersten Zahlen, die nach dem 11. September veröffentlicht wurden und die uns jetzt vorliegen, signalisieren, dass jetzt sehr viel mehr Deutsche im Inland Urlaub machen. Das wollen wir doch eigentlich - ohne jemanden davon abhalten zu wollen, drei- oder viermal im Jahr nach Mallorca zu fliegen; das ist die private Entscheidung jedes Einzelnen -: dass mehr Deutsche im Schwarzwald, in der schönen Gegend rund um den Bodensee, an der Ostsee oder im Bayerischen Wald Urlaub machen. Warum sollen die Deutschen das nicht tun? Die ersten Zahlen - das ist ganz wichtig - signalisieren einen positiven Trend beim Inlandtourismus. Sie wissen, dass diese Bundesregierung in den letzten drei Jahren sehr viel für den Tourismus getan hat. Das hat sich übrigens in der Tourismusbranche auch herumgesprochen. Sie ist für uns ein wichtiger Partner. Diese Branche erkennt an, dass wir trotz der erheblichen Konsolidierungsanstrengungen, die wir unternehmen müssen, weil uns ansonsten die Staatsverschuldung schier zu erdrosseln droht, sehr viel für die Förderung des Tourismus getan haben. Die Zahlen sind durchaus positiv. Mit 19 Millionen Ankünften von Touristen aus dem Ausland lag Deutschland weltweit auf Rang zehn der beliebtesten Reiseländer. Unter den EU-Mitgliedstaaten belegt es Platz 5, wobei man nicht vergessen darf, dass es in Europa sehr wichtige und interessante Reiseländer wie Spanien, Frankreich und Italien gibt, die sehr hohe Touristenzahlen aufweisen. Der Zuwachs von 10,5 Prozent im Jahr 2001 - bezogen auf die internationale Reisetätigkeit - lag deutlich über dem von der Welttourismusorganisation ermittelten Durchschnittswert von 7,4 Prozent. Trotz dieser hohen Vorgabe aus dem vergangenen Jahr, die hauptsächlich auf die EXPO zurückzuführen ist, gab es bis August dieses Jahres einen Zuwachs von 1 Prozent. Ich finde, das ist ein positiver Grundtrend, der gerade unserer heimischen Wirtschaft sehr hilft. Das wird auch bestätigt. Die touristischen Regionen merken, dass sich viele für Deutschland interessieren. ({3}) Wir haben die Absicht, dies auszubauen. Das ist der Grund, Herr Brähmig, warum wir seit unserem Regierungsantritt die DZT gestärkt haben. Deshalb sollten Sie nicht von Einigung mit mir sprechen, wenn es um die Sache geht; denn die DZT bekam - das ist völlig unstrittig 1997 Zuwendungen in Höhe von 35 Millionen DM. ({4}) Das ist Fakt. Theo Waigel hat damals angekündigt - dafür kann Herr Brähmig nichts -, dass die Höhe der Zuwendungen auf 20 Millionen gesenkt werden müsste. ({5}) - Dafür könnt ihr Herrn Brähmig keine Schuld geben. Er hat doch auf Theo Waigel gar keinen Einfluss gehabt. Wenn man keinen Einfluss auf die Politik hat, dann darf man sich auch nicht wundern.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Feibel?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Nein, ich möchte gerade die Ungeduld des Abgeordneten mit neuen Fakten befriedigen. Deshalb möchte ich fortfahren. Wir haben die Zuwendungen an die DZT um über 20 Prozent erhöht. Im nächsten Jahr werden 44 Millionen DM an die DZT fließen. ({0}) Das ist eine Riesenleistung, wenn man bedenkt, dass wir gleichzeitig einen Haushalt mit einer enormen Staatsverschuldung sanieren. Das wird auch fortgesetzt werden, weil wir der Auffassung sind, dass die enormen Potenziale der Tourismusbranche international stärker vermarktet werden müssen. Das werden wir weiterhin engagiert tun. Die DZT ist für uns eine wichtige Agentur. Die Probleme, die die DZT während Ihrer Regierungszeit hatte, sind - Gott sei Dank - überwunden. Ich bin froh darüber; denn wir haben mit der DZT einen Partner in der wichtigen Tourismusbranche, den wir dringend brauchen, gerade wenn wir viele unserer Freunde aus Amerika und Asien für Deutschland interessieren wollen. Im Bereich des Welttourismus ist auch in Zukunft mit guten Wachstumsraten zu rechnen; davon bin ich überzeugt. Wir werden alles tun müssen, um unseren Anteil an diesem Welttourismus weiter zu erhöhen. Die Bundesregierung wird deshalb ihre Konzeption weiter verfolgen: Stärkung des Mittelstands, Fortführung der Steuerreform mit den entsprechenden Wirkungen, weitere Entlastung des Staates mit der gleichzeitigen Chance, auch investiv etwas zu tun, und Fortsetzung der Investitionsförderung mittels Gemeinschaftsaufgabe. Das betrifft gerade die Tourismusbranche. Sie wissen, dass wir auf diesem Feld sehr viel investiert haben. Es handelt sich um einen dreistelligen Millionenbetrag, der der Tourismusbranche zugute kommt. Auch für die neuen Bundesländer spielen diese Maßnahmen eine große Rolle; ich denke speziell an die Ziel-1-Gebiete. Unsere Kollegen aus den neuen Bundesländern wissen das; auch Sie, Herr Brähmig, wissen das. Wir machen eine Menge. Sie sollten unsere Aktivitäten nachhaltig unterstützen. Dann haben wir eine gute Chance voranzukommen. Das Jahr des Tourismus hat inzwischen positive Ergebnisse. Wir haben das Projekt gemeinsam auf die Schiene gesetzt und daran gearbeitet; das war nicht einfach. Ich möchte mich ausdrücklich bei allen Mitgliedern des Hauses herzlich dafür bedanken, dass sie das Jahr des Tourismus nachhaltig unterstützt haben. Es handelt sich um ein ganz wichtiges Projekt. ({1}) Aus der Idee ist eine starke Gemeinschaftsaktion geworden. Insbesondere durch das Sponsoring der Bahn, der Post und der Reisebranche wird es ein erfolgreiches Jahr werden. Wenn wir nächstes Jahr das Jahr des Ökotourismus ausrufen - auch als UNO-Thema, das uns ebenso in Bezug auf Nachhaltigkeit berührt; es handelt sich um eine besondere Qualität von Tourismus, auf die gerade Gäste in Deutschland Wert legen -, dann ist das eine Verlängerung der Aktivitäten, die wir eingeleitet haben, um den Tourismusstandort Deutschland zu stärken. Wir glauben, dass wir exzellente Angebote haben, und zwar sowohl in den neuen als auch in den alten Bundesländern. Wir sollten alles tun, um diese Angebote international zu vermarkten; nach dem 11. September zwar in einem schwierigeren Umfeld, aber in einem Umfeld, in dem die Menschen gerade auf Nachhaltigkeit und Qualität Wert legen. Vielen Dank. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Feibel das Wort.

Albrecht Feibel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003433, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär Mosdorf, Sie haben leider keine Zwischenfrage zugelassen. Deshalb bin ich dafür dankbar, meine Meinung zu Ihren Auslassungen auf diese Weise kundtun zu können. Die Sondersituation nach dem 11. September - es gibt wirklich eine Sondersituation - hätte es angebracht erscheinen lassen, dass Sie heute auf diese Problematik eingegangen wären. ({0}) Das haben Sie leider nicht gemacht. Die Sondersituation für die Reisebranche in Deutschland bedeutet, dass sowohl bei den Reiseveranstaltern als auch bei den Reisemittlern derzeit ein Einbruch von 25 bis 30 Prozent festzustellen ist. Das sind gigantische Zahlen. Vor allen Dingen gilt das, wenn man nicht - wie Sie und Ihr Minister - immer nur die Umsatzzahlen, sondern auch die Renditezahlen dieser Branche betrachtet. Die Renditerate liegt seit Jahren bei 0,6 bis 0,8 Prozent. ({1}) Ich kenne kaum eine andere Branche, die eine so geringe Umsatznettorendite hat. Man muss sich vorstellen, was es vor dem Hintergrund einer solch geringen Rendite bedeutet, wenn der Umsatz um 25 bis 30 Prozent einbricht. Die betroffenen mittelständischen Unternehmen erwarten keine Subventionen, wie das hier ständig in Zwischenrufen behauptet wird. Die Bundesregierung muss sich aber überlegen, in welcher Weise sie diesem Gewerbe behilflich sein kann. Die Reisebranche will keine Bürgschaften oder Hilfen in Höhe von 100 Millionen DM, wie das bei der Bauwirtschaft geschehen ist, wo der Bundeskanzler als Retter erschienen ist. Das muss auf diesem Feld nicht sein. Aber irgendwo hat auch die Tourismusbranche in Deutschland eine gewisse Gleichbehandlung einzufordern. Eine solche Gleichbehandlung haben Sie heute leider nicht in Aussicht gestellt. Deshalb würde ich Sie darum bitten: Vielleicht nutzen Sie die Gelegenheit der Erwiderung auf meine Intervention dazu, einmal darzulegen, was die Bundesregierung nun wirklich zu tun gedenkt, um in dieser außerordentlich schwierigen Situation insbesondere den mittelständischen, aber auch den großen Unternehmen das Überleben zu sichern. Es geht in dieser Branche auch um etliche tausend Arbeitsplätze und es geht natürlich auch darum, dass die ganze Hotellerie und Gastronomie in Europa in Mitleidenschaft gezogen wird. Sicherlich ist es erfreulich, dass in Deutschland die Umsätze steigen, und es ist sicherlich auch erfreulich, dass bei den erdgebundenen Transportmitteln Umsatzzuwächse zu verzeichnen sind. Aber insgesamt haben Sie das eigentliche Problem, nämlich das Problem der Zeit nach dem 11. September, nicht angesprochen und Sie haben keine Perspektiven eröffnet. Darum möchte ich Sie jetzt sehr herzlich bitten. ({2})

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Verehrter Herr Kollege Feibel, Sie sind erst seit Ende 1999 in diesem Hohen Hause. ({0}) - Sie wissen doch noch gar nicht, was ich sagen will. Seien Sie nicht so aufgeregt, seien Sie ganz ruhig! - Ich freue mich sehr darüber, dass wir mit Ihrem Sachverstand im Tourismusausschuss eine gute Ergänzung bekommen haben. Sie kommen aus der Branche und kennen sich da gut aus. ({1}) Das ändert nichts daran, dass wir heute eine Große Anfrage Ihrer Fraktion zu beantworten hatten, in der es um viele Detailfragen geht, aber nicht um die eigentlich wichtige Frage der Situation nach dem 11. September. Wir müssen uns in der Regierung damit pausenlos beschäftigen. In den neun Minuten meiner Redezeit konnte ich nicht alle Details darlegen. Das werden Sie verstehen. Ich bin aber gern bereit, Ihnen das noch einmal im Detail darzulegen. Sie haben jetzt vor allem die Reiseveranstalter angesprochen, die in der Tat am meisten davon betroffen sind. Wir wissen, dass es in der heimischen Tourismuswirtschaft eher positive Signale gibt. Da bemerkt man auch leichte Gesteinsverschiebungen, indem manche sagen: Bevor ich dahin oder dorthin fliege, mache ich lieber Urlaub zu Hause. - Das ist ein positiver Trend, den wir eigentlich erreichen wollten. ({2}) Bei den Reiseveranstaltern und den Reisemittlern spielt diese Frage der Buchung von Fernreisen, insbesondere von Flugreisen, aber in der Tat eine ganz große Rolle. Das ist keine Frage. Deshalb noch einmal meine Bitte: Lassen Sie uns die Branche insgesamt betrachten. Die Branche insgesamt umfasst auch unsere Hotellerie und Gastronomie und diejenigen, die in der heimischen Tourismusbranche tätig sind und die jetzt positive Zahlen verspüren. Auch dies registrieren wir. Wir sind dabei, uns an vielen Fronten mit einer Reihe von schwierigen Fragen, auch wirtschaftlich schwierigen Fragen der unmittelbaren Auswirkungen des 11. September zu befassen. Gegenstand der heutigen Debatte ist jedoch die Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU, auf die wir sehr faktenreich, zum Beispiel auch mit einer ganzen Reihe von Umfragen, die in europäischen Nachbarstaaten durchgeführt worden sind, antworten. Was Herr Brähmig und Sie angesprochen haben, sind alte Themen, zum Beispiel die Steuerharmonisierung. - Herr Brähmig, schütteln Sie nicht den Kopf! Sie haben uns keine harmonisierten Steuern hinterlassen. Wir und auch der Bundesfinanzminister arbeiten an vielen Fronten und in vielen Bereichen an der Harmonisierung. Da brauchen wir Ihre Unterstützung, aber nicht Ihre Polemik. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ernst Burgbacher.

Ernst Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003063, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Wort zum 11. September beginnen. Die FDP-Fraktion hat gestern einen Antrag im Deutschen Bundestag eingebracht, in dem ein ganzes Bündel von Maßnahmen zur Abfederung der Folgen des 11. September vorgeschlagen wird. In den fünf Minuten Redezeit habe ich jetzt keine Möglichkeit, das alles hier darzustellen. Auf einen einzigen Punkte möchte ich aber schon eingehen. Sicherheit ist eine staatliche Hoheitsaufgabe. Es kann nicht sein, dass wir auf der einen Seite eine höhere Sicherheit vorschreiben, höhere Standards verlangen und dass wir auf der anderen Seite das alles auf die Reisebüros, Veranstalter und Kunden überwälzen. Der Staat hat die Aufgabe, hier einzutreten. ({0}) Ich möchte jetzt auf das Thema der heutigen Aussprache kommen. Verehrter Herr Staatssekretär Mosdorf, Sie haben am Thema vorbei argumentiert. Das Thema heißt: Rahmenbedingungen für die Tourismuswirtschaft in der Europäischen Union. Worum geht es denn? Zum 1. Januar 2002 wird der Euro als Bargeld eingeführt. Das wird die Landschaft im Tourismus, den Wettbewerb im Tourismus selbstverständlich verändern. Dem Kunden, auch dem Privatkunden, ist es dann ziemlich egal, ob er in Kehl oder in Straßburg, in Maastricht oder in Aachen, in Lindau oder in Bregenz übernachtet. Das wird Folgen für die stark mittelständisch geprägte Tourismuswirtschaft haben. Der Hinweis von vorhin war schon richtig. Ich habe die Mittelstandsdiskussion, die heute stattfand, hier im Plenarsaal verfolgt. Wir können an das, was da gesagt wurde, unmittelbar anknüpfen: Es geht nicht um irgendwelche tollen Programme oder um das Leeren des Subventionstopfes, sondern darum, dass unsere mittelständische Wirtschaft Wettbewerbsbedingungen vorfindet, die einen fairen Wettbewerb mit unseren Nachbarländern ermöglichen. Das ist die Kernfrage. ({1}) Ich bin überzeugt, dass unser Mittelstand in diesen Wettbewerb eintreten wird. Er ist leistungsfähig und er verfügt über eine hohe Qualität. Jetzt ist die Politik gefordert, auf das Datum 1. Januar 2002 hin bestimmte Dinge zu verändern. Erstens. Wenn in unseren Nachbarländern, zum Beispiel in Frankreich - Kollege Brähmig hat es erwähnt -, Freizeitparks mit Subventionen in Millionenhöhe beglückt werden, ({2}) was bei uns zum Glück nicht der Fall ist, dann hat unsere Bundesregierung die Aufgabe, durch ein entsprechendes Eintreten bei der EU dafür zu sorgen, dass das nicht länger der Fall ist. ({3}) Zweitens. In den Ländern der Europäischen Union gibt es unterschiedliche Mehrwertsteuersätze. Das war zwar in der Vergangenheit hinzunehmen, ist es aber nicht mehr nach der Euroeinführung. Deshalb muss für die Hotellerie jetzt ein reduzierter Mehrwertsteuersatz eingeführt werden. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mosdorf?

Ernst Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003063, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Eine Frage des Abgeordneten Mosdorf gestatte ich immer gern.

Siegmar Mosdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege Burgbacher, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass das Bundesfinanzministerium und damit unsere Bundesregierung bei der EU-Kommission die Überprüfung dieser Subventionen veranlasst hat? ({0})

Ernst Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003063, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Abgeordneter Mosdorf, wenn das so ist, dann begrüße ich das ausdrücklich. ({0}) Ich nehme das sehr gern zur Kenntnis. ({1}) Wir diskutieren hier allerdings über Rahmenbedingungen. Ich bitte Sie wirklich, dieses Anliegen zu verfolgen; denn die jetzige Situation ist für unsere privaten Unternehmer ein riesiges Problem. ({2}) Ich komme auf einen weiteren Punkt zu sprechen. In allen 15 Mitgliedsländern der Europäischen Union wird theoretisch das Trinkgeld besteuert. Faktisch findet diese Besteuerung aber in 10 von 15 EU-Ländern überhaupt nicht statt. Ich finde die entsprechende Antwort der Bundesregierung interessant; denn auf meine Anfrage vor zwei Jahren hat die Bundesregierung noch etwas ganz anderes gesagt. ({3}) Was bedeutet die unterschiedliche Steuerpraxis für die heimische Wirtschaft? Bei uns bekommt ein Kellner einen Steuerbescheid - ich habe das neulich in Berlin wieder erfahren -, der ihn zu einer Nachzahlung in Höhe von 7 000 DM verpflichtet. Ein anderes Beispiel: Ein Hotel mit Restaurantbetrieb am Rhein hat einen Bescheid über eine Nachzahlung in Höhe von 26 000 DM Sozialbeiträge plus 11 000 DM Säumniszuschlag bekommen, beruhend auf Schätzungen über die Höhe von Trinkgeld. In den anderen Ländern lacht man darüber, weil dergleichen bei ihnen überhaupt nicht kontrolliert wird. ({4}) Das geht nicht. Deshalb sage ich: Die Trinkgeldbesteuerung muss weg, und zwar lieber heute als morgen. ({5}) Den Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU muss ich sagen: Ich bitte Sie wirklich, endlich über Ihren Schatten zu springen und dem FDP-Antrag zuzustimmen. ({6}) Es gibt ein weiteres Problem. Es gibt in der Europäischen Union sehr viele unterschiedliche Auflagen, Standards und Normen, unter denen gerade kleine und mittlere Betriebe sehr leiden. Fragen Sie einmal in einem deutschen Hotel oder in einem Restaurant am Rhein, was kontrolliert wird, und dann tun Sie dasselbe im angrenzenden Ausland. Wir müssen ganz einfach zur Kenntnis nehmen, dass es für die Betriebe um unterschiedliche Kosten geht. Dieses Problem muss untersucht und Änderungen müssen vorgenommen werden. Selbstverständlich muss auch noch anderes getan werden. Herr Staatssekretär Mosdorf, Sie haben darauf hingewiesen. Wir müssen die Strukturen beim Deutschlandtourismus verändern. Wir müssen auch mehr Geld für die Deutsche Zentrale für Tourismus aufbringen. Noch eines sei zu diesem Thema gesagt: Ich möchte nicht, dass ein Einstieg in eine europäische Tourismuspolitik stattfindet. Ich bin sehr wohl dafür, einheitliche Daten zu erheben und aussagefähige Statistiken zu erstellen. Ich wende mich aber dagegen, etwa Kompetenzen an Brüssel abzugeben. ({7}) Die entsprechenden Aufgaben können wir sehr gut alleine und im internationalen Wettbewerb bewältigen. Ich komme zum Schluss. Die FDP hat im Zusammenhang mit der Beratung der Beantwortung der Großen Anfrage einen Entschließungsantrag vorgelegt. Er beinhaltet, Herr Staatssekretär, eine ganz konkrete Auflistung von Dingen, die jetzt zu tun sind und auch in der Debatte angesprochen wurden, um unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen fit für den Euro zu machen. Ich bitte Sie sehr herzlich, das aufzugreifen, und Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, diesem Antrag zuzustimmen. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Die Kollegin Sylvia Voß hat gebeten, Ihre Rede zu Protokoll geben zu können.1) Sind Sie damit einverstanden? - Dann verfahren wir so. Jetzt hat das Wort die Abgeordnete Rosel Neuhäuser.

Rosel Neuhäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002744, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon oft gesagt wor- den, dass wir heute über die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage „Rahmenbedingungen für die Tou- rismuswirtschaft innerhalb der Europäischen Union“ und einen Entschließungsantrag der FDP diskutieren. Ich kann vorneweg sagen, dass wir die Antwort zur Kenntnis neh- men, den Antrag der FDP aber leider aus verschiedenen Gründen ablehnen werden. Beim Durchlesen der Großen Anfrage haben wir oft darüber nachgedacht, ob wir die Antworten kommen- 1) Anlage 2 tieren sollen oder ob wir nicht lieber überlegen sollten, inwieweit wir die Rahmenbedingungen für die Tourismuswirtschaft innerhalb der EU verbessern und die Tourismuswirtschaft unterstützen können. Wir sind uns sicherlich darüber einig, dass, obwohl sich die Tourismuswirtschaft in den letzten Jahren als sehr krisenfest erwiesen hat, nach dem 11. September nichts mehr ist, wie es einmal war, denn die Tourismusbranche wurde von diesen Ereignissen besonders betroffen. Viele Destinationen auf allen fünf Kontinenten verzeichnen riesige Einbrüche. Einige Zahlen hat Herr Mosdorf hier dargestellt. Fluggesellschaften, Reiseveranstalter, die Hotellerie und weitere nachfolgende bzw. angegliederte Dienstleistungsunternehmen sehen sich einer schwierigen Situation gegenüber. Diese Situation macht es notwendig, dass die für den Tourismus zuständigen nationalen und europäischen Institutionen einen wirksamen Beitrag zur Entwicklung des Tourismus leisten. Das heißt, dass sich die europäischen Länder möglichst an gemeinsamen Zielen bei der Entwicklung des Tourismus orientieren. Das bedeutet aber auch, dass man sich darüber klar werden muss, wie die Akteure aller Ebenen des europäischen Tourismus die nachhaltige Entwicklung der Branche durch Verbesserung der föderalen Zusammenarbeit unterstützen können. Obwohl die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Tourismus, die Chancen, die er bietet, und seine zunehmend grenzüberschreitenden Verflechtungen analysiert wurden, bleibt sein Potenzial oft noch ungenutzt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wussten Sie eigentlich, dass innerhalb der Europäischen Union die technischen Standards - Herr Burgbacher hat darauf hingewiesen - und nicht nur diese so weit auseinander driften, dass beispielsweise im grenzüberschreitenden Schienenverkehr zwischendurch die Loks gewechselt werden müssen, weil die nationalen Eisenbahnsysteme untereinander nicht kompatibel sind? Wissen Sie auch, wie oft ich umsteigen muss, um von meinem Heimatort Seebach oder aus Eisenach nach Bordeaux zu kommen, um vielleicht einmal einen guten Rotwein zu trinken? Das gilt auch für andere Richtungen, zum Beispiel für die Verbindung nach Oslo. Wussten Sie, dass die Qualifikationsmerkmale sehr unterschiedlich und die sozialpolitischen Bedingungen sowie Gesundheits- und Arbeitsschutzbestimmungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überall anders sind? Genau diese Details stehen aber nicht im Vordergrund, wenn man Europa nur als Reiseland sieht, an dessen inneren Grenzen man keinen Pass mehr zeigen muss und in dem es ein einheitliches Zahlungsmittel gibt. Offensichtlich geht es aber in der europäischen Politik um weit mehr. Wohin soll also die Reise gehen? Wenn man über Rahmenbedingungen und über Wettbewerbsbedingungen im Euroland spricht, dann können wir nicht nur an betriebswirtschaftliche Probleme wie höchste Qualität der Produkte, gleiche Marktzugangsbedingungen für alle Unternehmen oder umweltfreundliche Produkte denken. Es geht nämlich in diesem Bereich um mehr. Es muss auch um den Wettbewerb um die geringste Arbeitslosigkeit und um hohe soziale Standards gehen. Nur in dieser Kopplung sehe ich eine Chance, in den unterschiedlich entwickelten Regionen regionale Wirtschaftskreisläufe aufzubauen, die dazu führen, dass die Menschen sozial abgesichert werden und dadurch natürlich auch die Kaufkraft gestärkt wird. Wenn wir über die Rahmenbedingungen der Tourismuswirtschaft in einem gemeinsamen Europa reden, dann ist es sicherlich auch notwendig, über eine Harmonisierung der Steuern nachzudenken. Entsprechend einer Initiative des Europaparlaments war es möglich, unter anderem arbeitsintensive Leistungen mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu belegen. Tatsächlich entschied sich ein Großteil der europäischen Länder - darunter allerdings nicht Deutschland -, diese Möglichkeit mit ihren eventuellen positiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt wenigstens zu testen. Selbstverständlich könnten wir einer Erhöhung des Freibetrags für freiwillig gegebene Trinkgelder zustimmen. Es müssen aber durchgängige Regelungen für alle betroffenen Branchen getroffen werden. Das Gastgewerbe darf nicht bevorteilt werden. Es gibt auch noch andere Branchen in diesem Dienstleistungsgewerbe. ({0}) Wir plädieren für eine Anhebung der bisherigen Niedriglöhne, die gerade in diesem Bereich geläufig sind. Wir sind für gesicherte Einkünfte der Beschäftigten statt steuerfreier Trinkgeldgeschenke. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Kollege Hinsken.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Werte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als die CDU/CSUFraktion diese Anfrage eingereicht hat, wussten wir nicht, was auf uns zukommt. Damals war die Welt noch in Ordnung. Seit dem 11. September hat sie sich verändert. Gerade im Tourismusbereich müssen wir feststellen, dass dieser 11. September ein besonders schwarzer Tag war. Er wirkt sich katastrophal auf das Reisegeschehen und auf alles, was dazugehört, aus. Wir können und müssen täglich feststellen, dass immer neue Hiobsbotschaften über uns hereinbrechen. So hörten wir gestern, dass wieder eine der ältesten europäischen Fluggesellschaften, die belgische Sabena, Pleite gemacht hat. ({0}) Wir nehmen zur Kenntnis, dass allein in den ersten sechs Wochen seit dem 11. September die Buchungen in den Reisebüros um 75 000 zurückgegangen sind; das entspricht 15 Prozent. Das sind fundierte Zahlen, die von Start Amadeus, einer Buchungsgesellschaft, geliefert wurden. Wir müssen feststellen, dass gerade die Deutschen ihre Ferienplanung für die Wintermonate ausgesetzt haben und eine kleine Pause einlegen. Ich meine aber auch, dass ein kleiner Hoffnungsschimmer vorhanden ist. Wir können jetzt feststellen, dass die Buchungen seit einigen Tag wieder anziehen. Gerade wir Deutsche als Reiseweltmeister haben allen Anlass, alles zu tun, um den Mitbürgern die schönsten Tage, die schönsten Wochen des Jahres zu verschönern und sie teilhaben zu lassen, damit sie diese Zeit so verbringen können, wie sie das wünschen. Deshalb sind jetzt nicht nur die Reisewirtschaft, die Carrier und alle, die in diesem Bereich beschäftigt sind, sondern auch wir Politiker aufgefordert, die Ängste zu nehmen und vor allen Dingen den Verunsicherungen zu begegnen. ({1}) Allerdings muss ich sagen, dass Patentrezepte für den Umgang mit der Krise bislang noch nicht gefunden worden sind. Wenn wir aber alles daran setzen, das Vertrauen in das Reisen wieder herzustellen, dann leisten wir einen großen Beitrag dazu, dass sich die Tourismuswirtschaft wieder erholen und weiterentwickeln kann. Ich möchte das aufgreifen, was Staatssekretär Mosdorf hier gesagt hat. Er hat ohne Zweifel gerade auf dem Tourismussektor einige Akzente gesetzt und gute Arbeit geleistet. ({2}) Darum bedauere ich es, dass er in den nächsten Deutschen Bundestag nicht mehr einziehen möchte. Die SPD wird durch diesen Verlust ärmer. Das sage ich, weil ich so empfinde. Ich meine schon, Herr Staatssekretär Mosdorf, sagen zu dürfen, dass die Bundesregierung richtig gehandelt hat, weil sie sich bereit erklärt hat, die übernommene Haftungsgarantie für die Airlines bis Ende Januar zu verlängern. Es handelt sich aber um eine weitere Wettbewerbsverzerrung, wenn deutsche Fluggesellschaften künftig für die Garantie ein Entgelt zahlen müssen, aber andere Länder wie Großbritannien oder Portugal den Unternehmen eine kostenlose Haftungsübernahme anbieten. Renommierte Verkehrspolitiker wie der Vorsitzende des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages, Herr Kollege Oswald, sind hier anwesend. Ich bitte deshalb darum, dass man gerade vonseiten der Verkehrspolitik Einfluss nimmt, dass in diesem Bereich die Wettbewerbsverzerrungen innerhalb Europas nicht weiter verschärft werden, sondern dass man endlich harmonisiert, was insbesondere die deutsche Tourismuswirtschaft dringend braucht. ({3}) Herr Staatssekretär Mosdorf hat bezüglich des Tourismus von der Erdgebundenheit gesprochen; Klaus Brähmig und Ernst Burgbacher haben diesen Punkt ebenfalls angesprochen. Wenn wir aus der aktuellen Situation Kapital schlagen wollen - wir wissen nämlich, dass die Menschen zwar nicht mehr so viel fliegen, aber auf den Urlaub nicht verzichten wollen -, dann müssen wir alles tun, um die vielen Wettbewerbsverzerrungen, die wir in der Bundesrepublik Deutschland haben, endlich zu beseitigen. ({4}) Ich fordere deshalb, dass die Rahmenbedingungen verbessert werden. Sonst kann sich unser Land als Reiseziel gegenüber den Mitkonkurrenten auf der europäischen Ebene nicht behaupten, weil die Urlauberströme an unserem Land vorbeiführen. ({5}) Ich sage das deshalb, weil innerhalb Europas und auch innerhalb der Bundesrepublik Deutschland 83 Prozent der Urlaubsreisen und der Tagesausflüge mit dem PKW bzw. mit dem Omnibus unternommen werden. Ich möchte dazu anmerken, verehrte Frau Kollegin Irber, dass die Bundesrepublik Deutschland das Land ist, das innerhalb der Europäischen Union, ja weltweit mit Abstand die höchsten Steuern auf Benzin hat, nämlich 72 Prozent. Nehmen wir uns ein Beispiel an Österreich. Dort liegt die Steuerbelastung um 10 Prozentpunkte niedriger, nämlich bei 62 Prozent. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Roth?

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich gerne.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte.

Birgit Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003214, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, Sie beschweren sich über die Wettbewerbsverzerrungen. Würden Sie mir bitte einmal erklären, wie es sein kann, dass die Bundesregierung das Rabattgesetz und die Zugabeverordnung abgeschafft hat, weil sie für unsere Unternehmen wettbewerbsschädigend waren, dass aber die CDU/CSU-Fraktion dagegen gestimmt hat? Sie hat in diesem Punkt die Bundesregierung nicht unterstützt und nicht klar gesagt, dass das Rabattgesetz und die Zugabeverordnung wettbewerbsschädigend waren. Sie haben der Abschaffung nicht zugestimmt. ({0})

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Kollegin Roth, gerade im Hinblick auf die Abschaffung des Rabattgesetzes haben wir immer wieder gesagt, dass einige positive Aspekte zu verzeichnen sind. Wir haben aber auch mit Vertretern von Verbänden, beispielsweise von Reisebüroverbänden, gesprochen, die von der Abschaffung negativ betroffen sind. Solange es in der Europäischen Union keine Harmonisierung auf diesem Gebiet gibt und solange es zu weiteren Wettbewerbsverzerrungen kommt, ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die Union dagegen stimmt; denn wir sind nur für ganze und nicht für halbe Sachen. ({0}) Ich habe eben gesagt, dass die steuerliche Belastung von Benzin in Österreich viel niedriger ist als bei uns. ({1}) Gerade bezogen auf die Ökosteuer haben Sie ja die Möglichkeit, diejenigen, die mit dem Auto in Urlaub fahren möchten, zu entlasten. 28 Pfennig sind es ab dem 1. Januar kommenden Jahres. Das bedeutet für einen Norddeutschen, der Urlaub in Süddeutschland verbringen möchte, oder für einen Süddeutschen, der Urlaub an der Nord- oder Ostsee verbringen möchte, bei 200 Liter Sprit, die er benötigt, eine Mehrbelastung von weit über 50 DM. 50 DM entsprechen bei uns in Bayern: einem Mittagessen für eine vierköpfige Familie. ({2}) Das muss in dieser Debatte einmal gesagt werden. In keinem anderen Land greift der Staat als Fiskus dem einzelnen Bürger und dem Autofahrer tiefer in die Tasche als bei uns. ({3}) Das ist aber noch nicht alles. Wir müssen leider feststellen, dass die Ökosteuer für die Hotellerie und die Gastronomie weitere negative Auswirkungen hat. Es kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass ein mittelständischer Betrieb mit 40 bis 50 Betten durch die Ökosteuer Jahr für Jahr mit 10 000 DM belastet wird. Das Geld fällt für ihn nicht als Manna vom Himmel, sondern er muss es erwirtschaften. Er kann es nur erwirtschaften, indem er die Öktosteuer umlegt. Dies führt zu einem höheren Preis. Und aufgrund des höheren Preises sind die Leute dann nicht mehr bereit, den Urlaub bei ihm zu verbringen. Sie gehen dann ins Ausland, wo diese Belastungen nicht zu tragen sind.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Irber?

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr.

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Hinsken, ist Ihnen bekannt, dass wir im Jahr 2000 die höchsten jemals statistisch erfassten Übernachtungszahlen in Deutschland zu verzeichnen hatten, nämlich 326 Millionen Übernachtungen, und dies trotz Ökosteuer? ({0})

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie sagen es selbst, Frau Kollegin Irber, trotz Ökosteuer. Es wären nämlich viel mehr gewesen, gäbe es diese Ökosteuer nicht, ({0}) weil dann Urlaub bei uns in der Bundesrepublik Deutschland interessanter geworden wäre. Ich bin Ihnen für diese Zwischenfrage, die Sie ja teilweise schon selbst beantwortet haben, dankbar. ({1}) Meine Damen und Herren, es ist ja nicht nur diese Wettbewerbsverzerrung festzustellen. Es geht auch um verschiedene andere Dinge, die uns belasten, die uns bewegen müssen. Ich frage Sie und frage uns alle: Erstens. Warum ist in zwölf Ländern der Europäischen Union - das ist auch Thema unserer Anfrage - die Mehrwertsteuer im Beherbergungsbereich niedriger als bei uns? ({2}) Zweitens. Warum ist in zehn Ländern der Europäischen Union die Mehrwertsteuer im Freizeitbereich niedriger als bei uns? ({3}) Drittens. Warum ist in acht Ländern der Europäischen Union der Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie niedriger als bei uns? ({4}) Das ist doch deshalb so, weil die Bundesregierung hier nicht schaltet und weil sie das Interesse der Tourismuswirtschaft nicht so im Auge hat, wie es sein könnte. ({5}) Ich frage des Weiteren, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Worauf führen Sie es zurück - und ist das EU-konform? -, dass die Griechen jetzt ein Kopfgeld von 78 DM pro Urlauber einführen? ({6}) - Passen Sie auf, sonst wissen Sie nicht Bescheid, und wenn Sie nicht Bescheid wissen, können Sie nicht mitreden! Nur, damit das klar ist. Durch Schreien allein wird man nicht klug. ({7}) - Sie müssen zuhören und überlegen. Sie können auch aufstehen und sich zu einer Zwischenfrage melden. Dann bekommen Sie auch eine Antwort von mir. Ist es EU-konform, meine Damen und Herren, wenn, wie ich vor vier Wochen in Erfahrung brachte, in Spanien Senioren über 60 Jahre in Ein-, Zwei-, Drei- und VierSterne-Hotels in saisonschwachen Zeiten den Urlaub um 20 bis 30 Prozent billiger verbringen dürfen als sonst? Das ist doch wettbewerbsverzerrend. Wenn bei uns ein Vorschlag kommt, der in diese Richtung geht, dann wird das verneint. Bei uns heißt es immer: Das geht nicht. ({8}) Geht nicht gibt’s nicht. Wir müssen überlegen, was wir tun können und was wir tun müssen, um der Tourismuswirtschaft auf die Beine zu helfen. ({9})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit weit überschritten.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin, ich danke Ihnen herzlich für Ihre Nachsicht. Aber das war notwendig, damit ich vor allen Dingen den Kolleginnen und Kollegen auf der linken Seite einiges an Nachhilfeunterricht erteilen konnte. Unser aller Aufgabe ist es - gerade jetzt vor dem Wechsel von der D-Mark zum Euro -, alles zu tun, damit sich die deutsche Tourismuswirtschaft in Europa und auch weltweit behaupten kann. Herzlichen Dank. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat der Kollege Eckhard Ohl das Wort für die SPD-Fraktion.

Eckhard Ohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003202, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Hinsken, um Sie kennen zu lernen, würde ich selbst dann nach Bayern fahren, wenn die Ökosteuer 50 Pfennige betrüge, so sympathisch sind Sie mir durch Ihren Vortrag eben geworden. ({0}) Sehr verehrte Damen und Herren der CDU/CSU-Fraktion, Sie stellen eine merkwürdige Große Anfrage, indem Sie in der Einleitung bereits mit Unterstellungen und Schlussfolgerungen arbeiten, das dazu gehörige Faktenwissen dann aber erst abfragen. ({1}) Deshalb ist sicherlich kein Böser, wer da Schlimmes denkt. Trotzdem sind die Fragen zum Tourismus im umfassenden Sinne sehr informativ ({2}) und eine gute politische Möglichkeit, um ein positives Resümee unserer Tourismuspolitik zu ziehen und auf durchaus vorhandene Reserven aufmerksam zu machen. Die Welttourismusorganisation ermittelt - trotz hoher Schwankungen in den vergangenen Jahren - stets ein über den anderen Branchen liegendes Wachstum und prognostiziert dies auch für die kommenden Jahre. ({3}) So ist weltweit die Zahl der Touristen im Jahr 2000 um 7,4 Prozent auf fast 700 Millionen gestiegen. Die von der Europäischen Union eingesetzte High-Level-Group schätzt anhand der aktuellen Entwicklung, dass die Zahl der internationalen individuellen Touristenbewegungen in Europa zwischen 1995 und 2010 um 57 Prozent zunehmen werde. Das ist für 2,8 Millionen Beschäftigte in Deutschland eine erfreuliche Prognose, die sich in den letzten Jahren mehr als bewahrheitete. Weil der Anteil Deutschlands im Jahre 2000 die europäische Durchschnittsrate deutlich übertraf, was der Opposition verborgen blieb, war das Jahr 2000 das Rekordjahr überhaupt; die Steigerungsrate war in Deutschland um 10,5 Prozent höher als die des weltweiten Tourismus. ({4}) Dieser positive Trend aus den Vorjahren fand im Jahre 2000 erfreulicherweise auch in den neuen Bundesländern seine Fortsetzung. So erhöhten sich die Touristenankünfte um 8 Prozent und die Übernachtungen um 10 Prozent, was zeigt, dass die Gäste länger als früher bleiben, wenngleich gerade in den neuen Bundesländern große Reserven und regionale Unterschiede zu verzeichnen sind, denen ich mich noch kurz zuwenden werde. Den Anteil der rot-grünen Bundesregierung an dieser positiven Entwicklung und die perspektivische Sichtweise, die uns erwarten lässt, dass es noch besser wird, hat der Staatssekretär soeben erläutert. Der geringe gestalterische Spielraum, der Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren der Opposition, neben der Beschäftigung mit sich selbst, wie täglich den Medien zu entnehmen ist, politisch noch bleibt, sollte von Ihnen konstruktiver und ehrlicher genutzt werden, als Sie es mit Ihrer Großen Anfrage getan haben. ({5}) Die Welttourismusorganisation, die Europäische Union und sämtliche nationalen Fachgremien bestätigten zum Zeitpunkt Ihrer Anfrage eine erfolgreiche nachhaltige Entwicklung der Tourismuswirtschaft. Im Gegensatz dazu stellten Sie am 3. April eine Große Anfrage, in der Sie als Binsenweisheit einen sich verschärfenden Wettbewerb entdecken, schlechtere wirtschaftliche Standortfaktoren herbeireden, was den Bemühungen der Tourismuswirtschaft vollkommen zuwider läuft, und damit unser Produkt, den Tourismus, auch in der Europäischen Union schlechtreden. ({6}) Damit verdienen Sie sich die Einschätzung, an der Realität vorbei nicht konstruktiv und ehrlich zu agieren. ({7}) Ich bezweifle, dass der Vorspann Ihres Fragenkatalogs in seinem Wortlaut dem Interesse unserer Tourismuswirtschaft entspricht. ({8}) Unter vollkommener Negierung der Zusammenhänge, die eine zunehmend globalisierte Weltwirtschaft mit sich bringt, unter Negierung schneller durchschlagender Schwankungen auf der Grundlage wesentlich vergrößerter Wettbewerbszonen verfolgen Sie die Strategie, den deutschen Wirtschaftsstandort schlechtzureden. ({9}) Weder begreifen Sie durchaus vorhandene Probleme, die diese Entwicklung mit sich bringt, als Herausforderung noch helfen Sie bei der Lösung; vielmehr stellen Sie sie als national hausgemacht dar, um so auf billige und primitive Weise daraus politisch Kapital zu schlagen. ({10}) Leider hat uns der 11. September mit etwas konfrontiert, was in keiner Kalkulation, auch nicht in der der Tourismuswirtschaft, mehr vorkam, nämlich mit der Angst um Frieden und Sicherheit. Dadurch verliert - leider - Ihr Argument, dass andere EU-Mitgliedstaaten niedrigere Flugtransportkosten haben und somit eine profitablere Art der Ausweitung zu neuen Zielorten als bessere Rahmenbedingungen in Anspruch nehmen können. Uns alle erschreckt, dass es auf einmal nicht mehr nur um Wettbewerb, sondern um Solidarität unter Wettbewerbern geht, um den Terrorismus erfolgreich zu bekämpfen. Auf 39 Fragen erhalten Sie 39 Antworten, die belegen, dass eine Benachteiligung der deutschen Tourismuswirtschaft durch die nationalen Rahmenbedingungen in keiner Weise gegeben ist. ({11}) Wäre dies deutlich geworden, kämen Sie, gemessen am Zeitraum rot-grüner Regierungsverantwortung - nach 16 Jahren Regierungsverantwortung in arge Erklärungsnot. ({12}) Daran, dass der Tourismus in Deutschland einen gleich großen Anteil am Bruttoinlandsprodukt hat wie in Frankreich mit seinen langen Küsten und der Weltmetropole Paris, wird deutlich, dass mittlerweile sogar Standortvorteile ausgeglichen werden. Im Messe- und Kongressgeschehen setzt Deutschland sogar Führungsansprüche. Hinsichtlich der Entwicklung der Beschäftigung in dieser Branche liegen nur Spanien, Griechenland und Italien vor uns. Mit 8 Prozent liegen wir weit vor Österreich mit 4,8 Prozent und Frankreich mit 2,9 Prozent. ({13}) Wir gestehen aber ein, dass Sie in Ihrer Regierungszeit die Auseinandersetzung mit Sonne und Wärme nicht gewinnen konnten und uns dieses Erfolgserlebnis ebenfalls versagt bleiben wird. ({14}) Als Nachteile hinsichtlich der nationalen Rahmenbedingungen führen Sie immer wieder die unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze an. Richtig, in einem Hotel in Frankreich zahlen Sie für eine Übernachtung nur 5,5 Prozent Mehrwertsteuer, aber trotzdem allgemein einen höheren Preis als in Deutschland. ({15}) Für Essen und andere Konsumgüter zahlt man dann aber 19,6 Prozent Mehrwertsteuer. Worauf stützen Sie diesbezüglich Ihr Argument der schlechteren Rahmenbedingungen? Meine sehr verehrten Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen, ich sprach vorhin von den in den letzten Jahren erreichten großen Fortschritten, aber auch von den territorialen Unterschieden und großen Reserven in der Entwicklung der Tourismuswirtschaft in den ostdeutschen Bundesländern. Nach dem Grundgesetz sind der Tourismus und seine Förderung Ländersache. Er bleibt aber selbstverständlich in die allgemeinen Förderprogramme der Bundesregierung einbezogen. Besonders in den neuen Ländern gilt es, mit deren Hilfe den Bekanntheitsgrad der ostdeutschen Tourismusgebiete zu erhöhen und im In- und Ausland verstärkt ein positives Image aufzubauen. Die touristischen Angebote müssen parallel dazu weiter profiliert und vervollkommnet werden. Dazu zählen Angebote wie Urlaub auf dem Bauernhof oder das Kurgewerbe, das seit 1997/98 auf Beschluss der alten Bundesregierung durch geringere Zuschüsse und kürzere Kurdauern mit einer Stagnation bzw. mit leichten Rückgängen leben musste und nur allmählich Verbesserungen verzeichnen kann. ({16}) Gerade für Thüringen, wo in Heiligenstadt, Bad Salzungen und Bad Langensalza Kureinrichtungen vorhanden sind, die durchaus mit Karlsbad konkurrieren können, haben Sie während der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung die Rahmenbedingungen verschlechtert. ({17}) Deutschland wird nach Erschließung dieser Reserven im europäischen Vergleich noch besser dastehen, wenngleich ich weiß, dass dieser Entwicklungsprozess noch einige Jahre in Anspruch nehmen wird. Voraussetzung dafür sind nicht gesonderte Rahmenbedingungen - auch Geld halte ich nicht für eine ausschließlich notwendige Voraussetzung -, sondern ein Nichtnachlassen von Patriotismus und Solidarität. Zu den unverzichtbaren materiellen Kriterien zählen die Festschreibung des Solidarpaktes und die Festlegung, Förderschwerpunkt der EU zu sein; die ideellen Kriterien sind andere. Als Bundestagsabgeordneter aus Thüringen weiß ich, dass nach zehn Jahren Harz noch lange nicht gleich Harz ist, dass der Thüringer Wald noch lange keinem Vergleich mit dem Bayerischen Wald standhält und Ostsee noch lange nicht Ostsee ist. Das schmerzt, kann aber objektiv noch nicht anders sein und spornt an. ({18}) Schmerzlich ist aber, wenn zehn Jahre nach der Wende jeder Ostdeutsche in Westdeutschland war, aber erst jeder sechste bis achte Westdeutsche in Ostdeutschland. Hier liegen große Reserven. ({19}) Die ostdeutschen Bundesländer waren vom westlichen internationalen Tourismus abgekoppelt; vom Osten kamen nur Dauerurlauber bei freier Kost und Logis. Die Erhöhung des Bekanntheitsgrades bzw. die bessere Vermarktung unserer landschaftlichen Schönheiten und des kulturellen Erbes verlangen noch große Anstrengungen, um den ostdeutschen Bundesländern Chancengleichheit innerhalb der Europäischen Union und besonders hinsichtlich der Osterweiterung zu gewähren. Ich weiß, wovon ich rede, habe ich doch in den zurückliegenden Jahren circa 60 Botschaftsbesuche absolviert und dabei erschreckende Unkenntnis über den östlichen Teil unseres Vaterlandes hinnehmen müssen. 25 Botschafter haben in der Zwischenzeit Nordthüringen besucht, wissen mit den Namen Nordhausen, Eichsfeld, Unstrut-Hainich oder Wartburgkreis umzugehen, konnten sich durch Leistungspräsentationen in Berlin oder vor Ort ein Bild von unserer schönen Heimat machen und sind seit ihren Besuchen begeisterte Thüringen-Fans. An dieser Stelle möchte ich mich beim Bundeswirtschaftsministerium, bei Herrn Staatssekretär Mosdorf sowie unserer Sprecherin Kollegin Irber für die großzügige Unterstützung dieses Tuns und Handelns in Thüringen bedanken. Hocherfreut bin ich über die Ankündigung des Staatssekretärs, verstärkt Bemühungen zu einem Bündnis unter den Bundesländern zugunsten der Tourismuswirtschaft, aber hauptsächlich mit dem Hintergrund, die von mir angesprochenen Niveauunterschiede am Standort Deutschland abzubauen, zu betreiben. ({20}) In Ihrer Anfrage vermisse ich jegliche Ansatzpunkte zu Problemen der neuen Länder. Ich hätte mich gern länger mit Ihnen darüber unterhalten, wie gut die Rahmenbedingungen in den neuen Ländern inzwischen sind. ({21}) 8 500 Beherbergungsbetriebe, davon 6 000 Hotels, wurden in den letzten Jahren zum größten Teil auf moderne technische und bauliche Standards gebracht. Diese enormen Kapazitäten müssen sich tatsächlich zu einer Jobmaschine für den Mittelstand entwickeln. ({22}) Das funktioniert aber nicht, wenn Sie nach allem, was nach Bundespolitik riecht, angefangen bei der Mehrwertsteuer, über 630-Mark-Jobs bis hin zum Betriebsverfassungsgesetz, mit der Lanze stechen wie Don Quichotte bei den Windmühlen, sondern auch die Landesregierungen müssen Verantwortung erkennen und ihre Hausaufgaben machen, Herr Brähmig. ({23}) Elf Jahre nach der Wende gelingt es in Thüringen noch immer nur äußerst mangelhaft, die Vernetzung der Wirtschafts- und Politikbereiche zugunsten der Tourismusentwicklung auf lokaler, regionaler und Landesebene zu gestalten. Ein Berg, ein See, ein Spaßbad und ein Hotel ergeben noch keinen Tourismus.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Eckhard Ohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003202, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zwei Sätze noch. - Wir stehen damit nur mit vielen im Wettbewerb. Wettbewerb heißt verkaufen und das tun wir auch nach elf Jahren noch schlecht. Die deutsche Tourismuswirtschaft hat Reserven und diese liegen zum Teil in den neuen Ländern. Das hat die Bundesregierung erkannt. Ebenso hat sie erkannt, wie man helfen kann. Mäkeln Sie als Opposition nicht an Rahmenbedingungen herum, die in den Ländern der EU keinesfalls hintanstehen! ({0}) Nehmen Sie Einfluss auf die von Ihnen regierten neuen Bundesländer, um einfach und pragmatisch mitzuhelfen, diese Reserven zu erschließen! ({1}) Herr Brähmig, davon habe ich in Ihrer Rede kein Wort vernommen. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/7329. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes ({0}) - Drucksache 14/7094 Eckhard Ohl Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Bundesministerin Edelgard Bulmahn.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kollegen und Kolleginnen! Eine Berufsausbildung reicht heute nicht mehr für ein ganzes Leben aus. Mit der Reform des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes geben wir deshalb allen jungen Menschen, die interessiert und qualifiziert sind, die Chance, sich fortzubilden und ihren Meister zu machen. ({0}) Die Reform, die wir heute vorlegen, ist familienfreundlich und sozial. Sie ist aber nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Qualifizierung, sie ist auch ein wichtiger Beitrag zur Mittelstandsförderung und zur Gründung neuer Unternehmen. Damit schaffen wir gerade für diese Unternehmen bessere Entwicklungsmöglichkeiten sowie neue Ausbildungs- und Arbeitsplätze vor allem in kleinen und mittleren Betrieben. ({1}) Wir können nicht bis morgen warten, sondern müssen uns schon heute Gedanken darüber machen, wie wir in Zukunft unseren Bedarf an qualifizierten Fachkräften decken können. Deshalb hat die Bundesregierung eine breit angelegte Qualifizierungsoffensive ins Leben gerufen. Wir modernisieren die berufliche Bildung und schaffen neue Berufe in wachsenden Zukunftsbranchen. Wir haben mit dem Programm JUMP 330 000 Jugendliche von der Straße geholt und ihnen eine zweite Chance auf Ausbildung und Beschäftigung gegeben. ({2}) Wir können sagen, dass das Erfolg zeigt; denn auch in diesem Jahr wird jeder Jugendliche, der arbeiten kann und arbeiten will, einen Ausbildungsplatz erhalten. Diesen Kurs werden wir in den kommenden Jahren konsequent fortsetzen. Mit der Reform des AFBG, dem so genannten MeisterBAföG, motivieren wir vor allem junge Fachkräfte, sich fortzubilden und den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Das ist zugleich ein ganz wichtiger Beitrag zur Verwirklichung der Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung. Der Erfahrungsbericht zum alten AFBG, zum alten Meister-BAföG, den die Bundesregierung im September 1999 vorgelegt hat, zeigt ganz deutlich, dass die Förderleistungen in der Vergangenheit häufig nicht ausreichten, um den Lebensunterhalt zu sichern. Manch einer verzichtete deshalb gänzlich auf Fortbildung. Viele Maßnahmen wurden überhaupt nicht gefördert. Das Antrags- und Bewilligungsverfahren war zu langwierig und zu kompliziert. Das alles ändern wir mit der Novellierung des Gesetzes. Wir werden den Kreis der Geförderten erweitern. Wir werden die Leistungen verbessern, das Verfahren unbürokratischer gestalten und mehr Maßnahmen als bisher fördern. ({3}) Davon, liebe Kolleginnen und Kollegen, profitieren vor allem junge Fachkräfte, die eine Familie haben, künftige Existenzgründer und nicht zuletzt ausländische Fachkräfte, die bei uns leben und arbeiten. Wie sieht das neue AFBG genau aus? Für Förderleistungen nach dem neuen AFBG stellen Bund und Länder im Jahre 2002 rund 190 Millionen DM zur Verfügung. Das ist fast doppelt so viel wie heute. Bis zum Jahre 2005 werden wir die Mittel für das neue Meister-BAföG bis auf über 222 Millionen DM weiter steigern. ({4}) Der Unterhaltsbeitrag für eine Vollzeitfortbildung steigt bei Alleinstehenden auf maximal 1 195 DM. Das sind 10 Prozent oder in der Summe 110 DM mehr. Außerdem sorgen wir mit einem Zuschuss von 35 Prozent zu den Lehrgangs- und Prüfungsgebühren dafür, dass die Darlehensbelastung sinkt, und zwar deutlich. Der gewährte Kredit muss also nicht mehr voll zurückgezahlt werden. Wir verbessern die familienbezogenen Leistungen erheblich. Die Unterhaltsbeiträge für Kinder steigen von 250 DM auf 350 DM. Darüber hinaus wird der Kinderbetreuungszuschuss für Alleinerziehende von 200 DM auf 250 DM erhöht und das Kindergeld wird zukünftig nicht mehr auf das Einkommen angerechnet. Gerade für diejenigen, die Kinder haben, verbessern wir die Leistungen also spürbar. ({5}) Das ist meiner Ansicht nach genau richtig, weil es sich eben häufig um junge Familien handelt, die vor dieser Situation stehen. Ein weiterer Kritikpunkt an dem alten AFBG war, dass viele Fortbildungen überhaupt nicht gefördert wurden. Ich teile diese Kritik und deshalb haben wir das geändert. Nach dem neuen Gesetz können Fortbildungen in Gesundheits- und Pflegeberufen, Qualifizierungsmaßnahmen an staatlich anerkannten Ergänzungsschulen und mediengestützte Fortbildungen gefördert werden. 70 Prozent aller Arbeitsplätze und 80 Prozent aller Ausbildungsplätze werden bei uns von mittelständischen Unternehmen, von Handwerksbetrieben und Selbstständigen im Handel, im Dienstleistungsgewerbe oder in den Vizepräsidentin Anke Fuchs freien Berufen geschaffen. Deshalb verbessern wir die Förderung von Existenzgründern, und zwar in erheblichem Umfang. Wir schaffen damit insbesondere für den Generationenwechsel im Mittelstand eine bessere Grundlage; denn vor einem solchen stehen wir. Das Institut für Mittelstandsforschung schätzt, dass bei uns allein in den nächsten fünf Jahren in circa 380 000 Betrieben ein Generationenwechsel stattfinden wird. Wenn wir sicherstellen wollen, dass genügend junge Leute zur Verfügung stehen, die diese Betriebe übernehmen können, dann ist eine Novellierung dieses Gesetzes zum gegenwärtigen Zeitpunkt außerordentlich wichtig. Deshalb wird es auch gemacht. ({6}) Wir erleichtern den Fortbildungsabsolventen den Schritt in die Selbstständigkeit, indem wir ihnen künftig fünf anstatt bisher drei Jahre Zeit geben, um ein Unternehmen zu gründen und die ersten zwei Beschäftigten einzustellen. Unter diesen Voraussetzungen greift dann der Darlehenserlass. Der Darlehenserlass für Existenzgründer wird von 50 Prozent auf 75 Prozent angehoben. Ein Existenzgründer zum Beispiel, der 20 000 DM an Lehrgangs- und Prüfungsgebühren bezahlt hat, muss zukünftig unter Berücksichtigung des Zuschusses von 35 Prozent nur noch 3 250 DM zurückzahlen. Das zeigt, welche Verbesserungen dieses Gesetz für junge Leute, gerade für Existenzgründer mit sich bringt. Schließlich erhöhen wir den Vermögensfreibetrag für Existenzgründer von 10 000 DM auf 70 000 DM. Existenzgründer erhalten damit gerade in der schwierigen Anfangsphase eine wesentlich bessere Unterstützung. Ferner sorgen wir mit diesem Gesetz dafür, dass ausländische Fachkräfte, die sich fortbilden wollen, mit ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen gleichgestellt werden. Sie können künftig schon nach dreijähriger statt wie bisher nach fünfjähriger Erwerbstätigkeit gefördert werden. Meine sehr geehrten Herren und Damen, mit der Reform dieses Gesetzes erhalten Fachkräfte, die sich fortbilden wollen, die Unterstützung, die sie brauchen. Unsere Betriebe bereiten wir damit auf den bestehenden demographischen Wandel, auf den Generationenwechsel, vor. Außerdem schaffen wir so neue Arbeits- und Ausbildungsplätze. Diese Reform ist daher ein ganz wichtiger Beitrag zur Mittelstandsförderung. Sie ist aber auch ein zentraler Baustein unserer Bildungspolitik, einer Politik, die den Menschen nützt, die ihnen hilft und die sich auch sehen lassen kann. Vielen Dank. ({7})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat das Wort der Kollege Werner Lensing, CDU/CSU-Fraktion.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung hat, Frau Ministerin, seit Beginn dieser Legislaturperiode tausend und einen Tag verstreichen lassen, um einen einzigen Gesetzentwurf zur Änderung des so genannten Meister-BAföG einzubringen. ({0}) Genauso wie die Erzählungen aus Tausenundeiner Nacht märchenhaft sind, ebenso realitätsfern sind bei Ihnen immer noch Ihre Vorstellungen über die Höhe der tatsächlich benötigten finanziellen Mittel. ({1}) - Sie aus den Reihen der SPD wollen mich durcheinander bringen, aber das kriegen Sie nicht zustande. Ich sage Ihnen nur eines: Wenn Sie nicht zuhören, dann lernen Sie auch nichts. Es ist ja Fortbildung, wie wir heute Abend gehört haben. Gleichwohl - das möchte ich ausdrücklich anerkennen, sind die Mittel erhöht worden. Das soll deutlich gesagt werden. ({2}) Ebenso deutlich muss aber gesagt werden - ich hoffe, der Beifall hält an -, dass der eigentliche Bedarf höher sein dürfte und sein wird, als dies der Haushaltsplan zulässt. Über drei Jahre sind - ich wiederhole es - seit der letzten Wahl ergebnislos vergangen. Zwei CDU/CSU-Anträge und sogar ein Bericht der Bundesregierung waren vonnöten, ehe Sie darangingen, sich konkret dieser drängenden Problematik anzunehmen. ({3}) So haben Sie sich eine lange Zeit nicht darum gekümmert, die sogar durch Ihren eigenen Bericht erkannten Fehler schnellstens zu korrigieren und damit die Attraktivität der Aufstiegsfortbildung zu fördern. Auch blieb von Ihnen völlig unbeachtet, dass für Meisterschüler aus Industrie und Handel die Fördermaßnahmen keine echte Hilfe darstellen, da sich diese zumeist berufsbegleitend weiterbilden und nur in den wenigsten Fällen beabsichtigen, sich, wie erhofft, tatsächlich selbstständig zu machen. Deswegen freut es mich schon, dass Sie seinerzeit offensichtlich unseren sinnvollen Anregungen im Plenum so andächtig gelauscht, sich diese zu Herzen genommen und nunmehr als Ihre Vorschläge zu einem großen Teil in den vorliegenden Gesetzentwurf aufgenommen haben. ({4}) Doch leider haben Sie, wie immer, den Gesamtzusammenhang nur unzureichend verstanden und deswegen ist das Gesamtkonzept nur halbherzig umgesetzt. Bedauerlicherweise ist somit eine wirkliche Reform bei allen Verbesserungen nicht geglückt. Hätten die Damen und Herren in der Bundesregierung sich beispielsweise mit den Aussagen der Verbände aus Industrie und Handel sowie dem Handwerk auseinander gesetzt, wüssten sie inzwischen, wo der Schuh wirklich drückt. ({5}) Es nützt nämlich überhaupt nichts, die Fördermaßnahmen hier und dort ein wenig anzuheben und naiv zu hoffen, dass nunmehr der große Ansturm auf die Meister- und Technikerausbildung geradezu automatisch folgt. Es dürfte Ihnen allen bekannt sein, dass das Interesse am Meister-BAföG im Jahr 2000 noch im Vergleich zum Vorjahr - da waren Sie ja, ich konnte es leider nicht verhindern, schon in der Regierung - um weitere 3,3 Prozent zurückging, weil die Förderung weder von der Höhe noch von den Bedingungen her für den angesprochenen Personenkreis reizvoll war. Die Zahl der Geförderten sank nicht von ungefähr auf - laut Angaben des Statistischen Bundesamtes 52 000 Personen. ({6}) - Hätten wir unser Gesetz nicht gemacht, Herr Rossmann, wären Sie noch längst nicht so weit; dann hätten Sie noch nicht einmal eine Anregung für das, was Sie jetzt weiterführen. ({7}) Wir waren die Meister dieses Gedankens; das ist überhaupt nicht zu leugnen, wenn man es historisch sauber, objektiv - wie das die Art der CDU ist - bewertet. Die Zahlen verdeutlichen hinsichtlich unserer derzeitigen Konjunkturdaten eine trübe Bilanz. Traurigerweise werden wir in den nächsten Jahren voraussichtlich einen weiteren Rückgang der Zahl von Meisterschülern verzeichnen müssen; zudem werden derzeit noch berufstätige Meister in den Ruhestand gehen. Genau bei dieser Problematik greift der Regierungsentwurf entschieden zu kurz. Er ist halbherzig und lückenhaft. Zu einer echten Reform fehlen dem Gesetzentwurf: erstens der vollständige Erlass des Gesamtdarlehens bei Existenzgründung, zweitens die Streichung der Vermögensanrechnung und drittens die bessere Berücksichtigung von Teilnehmerinnen und Teilnehmern an berufsbegleitenden Teilzeitmaßnahmen und damit zugleich die Berücksichtigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus Industrie, Handel und Dienstleistungen. Viertens fehlt - es ist mir schon fast unangenehm, das alles aufzählen zu müssen - die Senkung des Mindestumfangs auf 2 000 Lehrgangsstunden, um so auch modulare Lehrgänge förderfähig zu machen. Fünftens fehlt die Abschwächung der Beschäftigungsbedingungen für Kleinstbetriebe auf eine Umsatzgrenze von 100 000 Euro pro Jahr. Schließlich, sechstens, fehlt - es ist kaum zu glauben - die Erhöhung des maximalen Förderbetrages auf mindestens 12 500 Euro. Es ist also - dies als Fazit - ein grundsätzliches Problem, das zugleich in der prinzipiellen Anlehnung der Aufstiegsfortbildung an das BAföG und in einer angeblichen Gleichbehandlung der beruflichen mit der akademischen Ausbildung liegt. Dabei ist der Unterschied sehr groß. Während das BAföG einen berufsqualifizierenden Abschluss bei Studentinnen und Studenten anstrebt, richtet sich das neue Gesetz an Berufstätige mit einer bereits abgeschlossenen Berufsausbildung. Ich gehe aber davon aus - weil wir uns an den demnächst stattfindenden Beratungen beteiligen werden -, dass die grundlegenden Fehler bei der Fortbildungsförderung im bevorstehenden Gesetzgebungsverfahren noch beseitigt, unsere sechs Aspekte berücksichtigt werden und die Schwachstellen des vorliegenden Entwurfs dadurch eine Chance haben, ausgebessert zu werden. Geben Sie, Frau Ministerin, den mittelständischen Betrieben eine Chance zum Überleben, indem Sie noch geeignetere Voraussetzungen für eine Ausbildung des benötigten Führungspersonals für die kommende Generation schaffen! Ein letzter, aber dringender Wunsch: Meine Damen und Herren von der Koalition, machen Sie aus diesem ängstlichen Entwurf endlich eine durchgreifende Reform! ({8}) Dann wird auch Herr Tauss sich erstmalig berechtigt freuen können. ({9})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat jetzt der Kollege Christian Simmert für die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen.

Christian Simmert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003237, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege, ängstlich sind wir nicht bei diesem Entwurf. Wir haben etwas vorgelegt, was Sie nicht geschafft haben. Wir haben Fehler korrigiert, die Sie in Regierungszeiten - jetzt sind Sie ja in der Opposition - hätten beseitigen sollen. Die rot-grüne Bundesregierung setzt mit der Novelle des AFBG die dringend notwendige „Qualifizierungsoffensive“ in der beruflichen Bildung fort. Die Aufstiegsfortbildung wird wieder ein zentrales Förderinstrument zur gezielten beruflichen Weiterbildung. Das ist die Auffassung meiner Fraktion. Bündnis 90/Die Grünen setzen sich nämlich grundsätzlich für eine bessere Verzahnung von Erst- und Weiterbildung sowie für eine bessere Durchlässigkeit zwischen den Bildungseinrichtungen ein. Die Novelle des Meister-BAföG schließt hier eine Lücke. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von der CDU/CSUund FDP-Vorgängerregierung, der verflossenen, haben wir folgende Probleme in der Aufstiegsförderung übernehmen müssen: Die Gefördertenzahl und die für die Förderung bereitgestellten finanziellen Mittel waren absolut zu niedrig. Die förderberechtigten Berufsgruppen waren auf einen zu engen Kreis beschränkt. Qualifizierung und familiäre Verpflichtung waren kaum vereinbar. Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern waren aufgrund der Zugangshindernisse kaum Migrantinnen und Migranten vertreten. Der Darlehensteilerlass bot für Existenzgründerinnen und Existenzgründer keinen Anreiz. Der Verwaltungsaufwand für die Antragsbearbeitung war überdimensioniert. Mit der Novelle zum Meister-BAföG werden wir diese Hindernisse beseitigen. ({1}) Wir stellen die Förderung des Fachkräftenachwuchses und die von angehenden Existenzgründern auf eine neue Grundlage. Dafür stellen die rot-grüne Koalition und die Länder im kommenden Jahr rund 90 Millionen DM zur Verfügung. Die rot-grüne Bundesregierung setzt mit dieser Novelle ein sehr deutliches Zeichen: Mehr Menschen mit Kindern - Frau Ministerin, Sie haben dies gerade erwähnt - haben durch unser neues Meister-BAföG Chancen, sich zu qualifizieren. Familien mit Kindern und Alleinerziehende erhalten nämlich künftig bessere Förderkonditionen bei Vollzeitund Teilzeitfortbildungen. ({2}) Wir erhöhen den Kinderzuschlag beim Unterhaltsbeitrag von 250 auf 350 DM und den Kinderbetreuungszuschuss auf 250 DM. In Härtefällen wird Alleinerziehenden ein Darlehen gestundet oder erlassen. Das Kindergeld wird nicht auf das Einkommen angerechnet. An dieser Stelle berücksichtigt Rot-Grün ganz gezielt die Lebensumstände von Familien und Alleinerziehenden und erhöht ihre Beteiligungsmöglichkeiten in der beruflichen Weiterbildung. ({3}) Es kann nicht um Kind oder Karriere gehen. Wir wollen Eltern beides ermöglichen. Bundesweit werden ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer inländischen gleichgestellt. Sie können durch unsere Reform in verstärktem Maße gefördert werden. Das bedeutet, dass sie bereits nach dreijähriger Erwerbstätigkeit gefördert werden können. Wir begreifen Migrantinnen und Migranten als Teil der Gesellschaft und wollen an dieser Stelle - anders als die Opposition in den vergangenen Jahren - einen Beitrag zur Integration leisten. Das Bündnis 90/Die Grünen will die Beseitigung von Zugangshindernissen erreichen. ({4}) Darüber hinaus werden wir die geförderten Berufsfelder deutlich erweitern: Gesundheits- und Pflegeberufe und die Abschlüsse an staatlich anerkannten Ergänzungsschulen werden uneingeschränkt in die Förderung einbezogen. Teilzeitfortbildung und die Fortbildung über softwaregestützte Lernmodule werden ermöglicht. Gerade mit der Teilzeitfortbildung werden wir auch Alleinerziehenden helfen können. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir machen mit dieser Novelle zum Meister-BAföG deutlich, dass sich die Koalition ihrer Verantwortung und der Modernisierung in der beruflichen Bildung stellt. Die Förderung von Fachkräften bei der Aufstiegsfortbildung wird so zu einer zentralen Bildungsaufgabe, bei der der einzelne Mensch mit seinen Möglichkeiten wieder im Mittelpunkt steht. Sie könnten dieser Reform des Meister-BAföG eigentlich zustimmen. Ich freue mich auf die Debatten im zuständigen Ausschuss. Wir werden uns hier zur zweiten und dritten Lesung wiedersehen. Dann erwarten wir Ihre freudigen und mutigen Zustimmungen und keine ängstlichen Gegenstimmen. Vielen Dank. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die FDP-Fraktion spricht die Kollegin Cornelia Pieper.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Simmert, Sie haben gesagt, die alte Koalition habe es nicht erreicht, die Defizite beim Meister-BAföG abzubauen. ({0}) Ich darf Sie daran erinnern, dass es 1996 war, als unter der Regierungskoalition, an der die FDP und die Union beteiligt waren, das Meister-BAföG auf den Weg gebracht worden ist. ({1}) Während die Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von den Grünen immer noch der alten Regelung, der Förderung der beruflichen Fortbildung nach dem alten Arbeitsförderungsgesetz, nachtrauerten, haben wir für die Herstellung der Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung, was eigentlich unser gemeinsames Ziel ist, einen wichtigen Reformschritt getan. ({2}) - Jörg Tauss [SPD]: Also, das geht so nicht!)

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, der Kollege Tauss möchte eine Zwischenfrage stellen. Ich möchte diese ungern zulassen, weil eine Kollegin gleich weg muss; die sitzt hier wie auf glühenden Kohlen. Herr Tauss, ich gestatte Ihnen danach aber eine Kurzintervention. Können wir uns so einigen? - Gut. ({0})

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, ich bedanke mich für Ihren guten Vorsitz und den Hinweis. Ich weiß, dass sich Herr Tauss gern in Debatten einmischt. Das kann er auch tun, aber wir sollten die Fachberatungen lieber im Ausschuss führen. Dann müssen wir seine Polemik hier nicht ertragen. ({0}) In der mittelständischen Industrie und im Handwerk steht ein Generationswechsel an. Frau Ministerin Bulmahn hat darauf hingewiesen: In über 300 000 Unternehmen werden in den nächsten fünf Jahren die Führungsstrukturen völlig ausgetauscht bzw. werden die Betriebe von neuen Eigentümern übernommen. Es wird oft beklagt, dass der hierfür benötigte Nachwuchs nicht in vollem Umfang zur Verfügung steht. Betriebsaufgaben wären eine Folge, die wir nicht tatenlos hinnehmen können. Selbst in den neuen Bundesländern würde eine solche Entwicklung demotivierend wirken und dem zarten Pflänzchen des Aufschwungs das Wasser entziehen. Gerade hier leisten kleine und mittelständische Unternehmen den wichtigsten Beitrag zur Schaffung von neuen Ausbildungs- und Arbeitsplätzen und damit auch für das Funktionieren unserer sozialen Sicherungssysteme. ({1}) Ohne Unternehmensgründungen gibt es keine Arbeitsplätze. Umso besorgniserregender ist die Tatsache, dass die Anzahl der Existenzgründungen in den neuen Ländern seit Mitte der 90er-Jahre wieder rückläufig ist. Der Anteil der Selbstständigen an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen insgesamt liegt in Deutschland immer noch unter dem OECD-Durchschnitt. Die Aufstiegsfortbildung schafft eine wesentliche Grundlage dafür, damit diese Defizite abgebaut werden können, damit junge Frauen und Männer den Weg in die Selbstständigkeit gehen können. Und das ist gut so. ({2}) Wir sind seit Mitte der 90er-Jahre mit dem MeisterBAföG einen mutigen Schritt vorangegangen und haben den Rechtsanspruch auf Förderung einer beruflichen Höherqualifizierung mit dem AFBG gesetzlich gesichert. Natürlich haben wir mit dem im Januar 1996 in Kraft getretenen AFBG Neuland betreten. Schon bald zeigten sich strukturelle und technische Defizite des Gesetzes. Allein das Antragsverfahren erwies sich als sehr bürokratisch. Ich habe Ihnen die Anträge mitgebracht. Das sind neben dem Antrag auf Förderung sechs Zusatzanträge und die circa 18 zu erbringenden Bescheinigungen. ({3}) Natürlich schreckte das viele Ausbildungsteilnehmer ab. Wissen Sie, der Vorteil von Politikern besteht darin, dass sie zugeben können, Fehler gemacht zu haben. Das kann ich allerdings bei Ihnen, Herr Tauss, nicht erkennen; sonst würde ich nicht solche Sprüche hören. ({4}) Die Gefördertenzahl stieg von circa 43 000 im Jahre 1996 bis zum heutigen Tag auf 50 000. Das sind natürlich noch immer zu wenig. Wir alle haben nach eingehender Analyse des Berichtes über die Umsetzung und Inanspruchnahme des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes im Sommer 1999 die Probleme erkannt. Doch die Bundesregierung unternahm außer einer Ankündigung erst einmal nichts. Erst der Gesetzentwurf der Union zur Änderung des AFBG im Oktober 2000 und die nachfolgende Ausschussanhörung im Mai 2001 weckten die Bundesministerin Bulmahn aus ihrem Dornröschenschlaf auf. Es war Gefahr im Verzuge. Es überrascht mich nicht, dass genau einen Tag vor der Anhörung der Öffentlichkeit der Referentenentwurf des Bildungsministeriums vorgestellt wurde. Es hat sich gezeigt, dass er weit hinter unseren Vorschlägen zurückbleibt. ({5}) Die Messlatte, die wir an ein geändertes Gesetz anlegen, sieht folgendermaßen aus - wir werden das in den Ausschussberatungen mit entsprechenden Änderungsanträgen verstärken -: Erstens. Das Antragsverfahren muss für den Antragsteller grundlegend vereinfacht werden. Zweitens. Der Unterhaltsbeitrag muss deutlich erhöht werden. Dazu ist mit dem Vorschlag ein wesentlicher Schritt getan. Drittens. Die Vermögensfreibeträge müssen gestrichen werden. Viertens. Die Prüfungsgebühren und die Kosten für das Meisterstück bzw. modernere Formen der praktischen Prüfung müssen den Meisterschülern im Rahmen des Darlehens zu 50 Prozent erlassen werden. Fünftens. Die Zeit zwischen Lehrgangsende und der letzten Prüfung muss als Ausbildungszeit angerechnet werden. ({6}) Sechstens. Existenzgründungen während der Meisterausbildung müssen berücksichtigt werden. Last, but not least siebtens. Die Bedingungen für einen hundertprozentigen Darlehenserlass - das hat auch schon die Union gefordert - müssen geändert werden, der Zeitraum muss auf mindestens zwei Jahre verlängert werden. ({7}) Fazit: Es liegt uns ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, der zu verbessern ist. Darauf kommt es an. Die FDP wird daran mitarbeiten. Vielen Dank. ({8})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat das Wort die Kollegin Maritta Böttcher für die PDS-Fraktion.

Maritta Böttcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002631, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen Einbringung des Gesetzentwurfs ist die Bundesregierung um ein Jahr in Verzug, wenn ich ihre eigenen Versprechungen zugrunde lege. Das ist kein nebensächlicher Aspekt; denn durch diese Verzögerung kommen den prognostizierten 60 000 nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz Geförderten ein Jahr später die finanziellen Verbesserungen zugute, deren Höhe die Bundesregierung mit 46 Millionen Euro im ersten Jahr des In-Kraft-Tretens beziffert. Wegen des Fortbestands der bestehenden Regelungen sind circa 10 000 Fortbildungswillige daran gehindert worden, bereits in diesem Jahr eine Fortbildung aufzunehmen. Der Entwurf stellt ohne Zweifel eine Verbesserung gegenüber dem Istzustand dar. Aus meiner Sicht sind neben den höheren finanziellen Zuwendungen, die sich aufgrund der Gesetzesänderung ergeben, die wichtigsten Fortschritte: die Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf weitere Berufsgruppen, die Verbesserung der Teilnahmebedingungen für Fortbildungswillige mit Familie, für Alleinerziehende sowie für Ausländerinnen und Ausländer sowie die verbesserten Bedingungen für mehr berufsbegleitende Fortbildung in Teilzeitform. Jedoch können die grundlegenden Mängel des Gesetzes mit diesen Verbesserungen noch nicht überwunden werden. Selbst die CDU/CSU-Fraktion geht mit ihrem Gesetzentwurf in einigen Punkten weiter. ({0}) Aber zu dieser sachlichen Feststellung - hören Sie erst zu! - gehört auch die ebenso sachliche Feststellung dazu, dass der gegenwärtige unbefriedigende Zustand hauptsächlich von der CDU/CSU zu verantworten ist ({1}) und dass alle Mängel, die auch sie jetzt beklagt, schon vor In-Kraft-Treten des Gesetzes von 1996 absehbar waren. ({2}) Wir halten den mit dem Gesetzentwurf vorgesehenen Schritt vor allem deshalb nicht für ausreichend, weil er drei grundlegenden Anforderungen nicht hinreichend gerecht wird: Erstens. Er leistet nicht den Beitrag für das viel beschworene lebensbegleitende Lernen möglichst vieler Menschen, der für die berufliche Weiterbildung notwendig und möglich wäre. Zweitens. Die berufliche Fortbildung wird weiterhin einseitig auf einen vertikalen Karriereaufstieg begrenzt. Damit gibt es keinen Raum für Qualifizierung im Sinne von horizontaler Aufgabenerweiterung bis hin zu Qualifikationen für Branchen- und Berufswechsel. Drittens. Die Gleichrangigkeit von akademischer und beruflicher Bildung wird zwar postuliert, aber nicht tatsächlich erreicht. Unterschiedliche Lebenssituationen von Studierenden und Meisterschülern - ich nenne sie einmal so - werden nicht hinreichend berücksichtigt. ({3}) Um diesen Kriterien mehr Geltung zu verschaffen, stellt die PDS-Fraktion folgende Hauptforderungen: Erstens. Alle noch verbliebenen Einschränkungen, durch die bestimmte Berufsgruppen vom Förderanspruch ausgeschlossen sind, müssen aufgehoben werden. Zweitens. Eine Zweitförderung muss generell und nicht nur im Ausnahmefall ermöglicht werden. ({4}) Drittens. Die Teilnahme an den Maßnahmen zur beruflichen Fortbildung muss gebührenfrei sein. Viertens. Wir sind für eine Unterhaltsregelung, bei der die eine Hälfte als Zuschuss und die andere Hälfte als zinsloses staatliches Darlehen gewährt wird. ({5}) Längerfristig halten wir eine Entkopplung des AFBG vom BAföG ohnehin für unumgänglich. Das wäre die Voraussetzung dafür, dass die Fortbildungswilligen wieder auf einen höheren Unterhalt zurückgreifen könnten, wie das übrigens bis 1993 bereits üblich war. Wenn sich also die Bundesregierung bei der strukturellen Umgestaltung der Weiterbildung im Ganzen weitgehend zurückhalten will, so sollte sie wenigstens bei diesem in ihrer Verantwortung liegenden Teilbereich nicht kleckern, sondern klotzen. Wir werden unsere Vorschläge im Ausschuss noch einmal auf den Tisch bringen, damit in der nächsten Woche ein neues Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz verabschiedet werden kann, das seinen Namen wirklich verdient. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat das Wort der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Chancen im Wandel, Chancen durch Bildung“, das war das Motto der Jugenddebatte heute Morgen. Wir finden, es ist hervorragend, dass wir nicht nur heute Morgen Ansprüche formuliert haben, sondern heute Nachmittag ein Gesetz verabschieden können, das diese fundamentalen Ansprüche verwirklichen kann. ({0}) Es ist ein fulminanter Erfolg für unsere Ministerin und die Bundesregierung, nicht nur das BAföG verbessert zu haben, sondern nun auch eine Änderung des Meister-BAföG zu erreichen. Man muss sich vor Augen führen: Wann hat es das in einer Legislaturperiode jemals gegeben, dass die Mittel für das BAföG um 50 Prozent oder über eine Milliarde gesteigert wurden? Beim Meister-BAföG haben wir eine Steigerung um 100 Prozent. Wann hat es das jemals gegeben? ({1}) Angesichts dieser Zahlen - Herr Kollege Lensing ist leider nicht mehr da -, muss man schon eine gewisse karnevalistische Beckmesserei betreiben können, um diese Zahlen kritisieren zu wollen. Frau Pieper, ein bisschen Respekt vor den Bemühungen, diese Mittel bereitzustellen, müssten Sie doch haben, wenn Sie sich vor Augen führen, wie schwer es Ihnen gefallen ist, damals einen kleinen Schritt mitzutun. ({2}) Umso mehr Achtung könnten Sie jetzt vor den Anstrengungen dieser Regierung haben. An die Adresse von Frau Böttcher muss ich sagen: Revolutionäre Ungeduld in diesem Gewande trifft die Sache nicht ganz. Man muss wissen, dass nicht nur Geld mobilisiert worden ist, sondern tatsächliche strukturelle Reformen auf den Weg gebracht wurden. Ich will das gerne an ein paar Beispielen verdeutlichen. Die Ministerin hat auf den Nachholbedarf bei den notwendigen Reformschritten verwiesen; nunmehr wird ein echtes Weiterbildungsgesetz daraus. Es gibt endlich eine erweiterte Förderung für alle. Konnten bisher Maßnahmenkosten nur über Darlehen unterstützt werden, ohne dass es irgendeine Förderung für das Meisterstück gab, so gibt es jetzt Zuschüsse, die von 0 auf 35 Prozent steigen. 0 Prozent waren Sie, 35 Prozent sind wir. ({3}) Es gibt in Bezug auf das Meisterstück eine Darlehensbezuschussung von 3 000 DM. 0 DM waren Sie, 3 000 DM sind wir. ({4}) Die Förderung gibt es darüber hinaus nicht mehr nur für eine Vollzeitausbildung, sondern auch für eine Teilzeitausbildung. Nur Vollzeitförderung waren Sie, Förderung in jedem Fall sind wir. ({5}) Das ist doch etwas, bei dem man dem Kollegen Lensing und anderen Kritikern wirklich sagen muss: Mit kleiner Münze aufrechnen zu wollen lässt außer Acht, um was es in der Substanz geht. Um es drastischer auszudrücken: Wenn wir wissen, dass Meisterkurse bis zu 30 000 DM kosten können, dann sind 10 000 DM eine Summe, die die Betroffenen sehr wohl zu schätzen wissen werden - 10 000 DM, haben oder nicht haben! ({6}) Frau Böttcher hat ja angesprochen, dass es in Bezug auf den strukturellen Unterschied zwischen BAföG und Meister-BAföG angeblich keine Verbesserung gebe. Wir erweitern den Umfang des nicht anrechenbaren Vermögens auf 70 000 DM. Wissen Sie, wo Sie standen? - Bei 10 000 DM. Jochen Steffen, ein alter Sozialist, hätte gesagt: „Nun kommen Sie!“ Bezüglich der Punkte, die neu sind, möchte ich einen weiteren Aspekt ansprechen: Das Gesetz wird eine erweiterte Förderung in allen Zukunftsbereichen, die bisher ausgespart waren, schaffen. Es war an der Zeit - Sie waren hinter der Zeit -, dass endlich eine mediengestützte Fortbildung, eine angemessene Förderung von Zweitfortbildung sowie die Förderung der Fortbildung im differenzierten System der Ergänzungsschulen mit einbezogen werden. Vor allen Dingen war es sträflich von Ihnen, in einem so wichtigen Zukunftsbereich wie Gesundheit und Pflege in Deutschland einen Flickenteppich zuzulassen. Dies kam zustande, weil Sie keine bundeseinheitliche Förderung gewollt haben. Es war ein Skandal, dass NRW, Bayern und Baden-Württemberg - die drei größten Bundesländer - nicht mit in die Förderung für Gesundheitsund Pflegeberufe einbezogen werden konnten. Wenn wir diesen Zustand ändern, wer will das dann kritisieren oder kleinreden? Sie könnten mit uns zusammen in Krankenhäuser, Schulen und andere Ausbildungsstätten gehen und für die geplanten Änderungen werben, wenn es Ihnen um die Sache geht. Ich möchte auf einen weiteren Punkt aufmerksam machen: Mit Recht beklagen wir in unserer Gesellschaft, dass es immer noch zu wenig Spitzenwissenschaftlerinnen, zu wenig Professorinnen und zu wenig weibliche Führungskräfte in der Wirtschaft gibt. Das wollen wir gemeinsam ändern. Nur ist es wichtig, zu wissen, dass diese Umstände genauso für den Bereich des Handwerks, des Mittelstandes und der kleinen selbstständigen Unternehmen gelten. Lassen Sie uns das deshalb nicht nur beklagen, sondern gemeinsam ändern! Ich möchte ein paar Zahlen nennen: Beim BAföG machen Frauen 50 Prozent aller Geförderten aus; gegen ein Verhältnis 50 zu 50 wird man nichts sagen können. Beim Meister-BAföG machen Frauen 20 Prozent der Geförderten aus; gegen das Verhältnis von 80 zu 20 muss man etwas sagen. Diese Tatsache ist ein Skandal; man muss an diesem Punkt ansetzen und etwas tun. Das zeichnet diese Regierung aus, dass sie an der Stelle etwas tut, indem durchgängig auch in vielen anderen Bereichen - Frau Bulmahn und Herr Simmert haben es angesprochen - Verbesserungen für Frauen erreicht werden: mit Zuschüssen zur Kinderbetreuung, mit Unterhaltsbedarf für Kinder, mit der Erhöhung der Förderungshöchstdauer von fünf auf zehn Jahre, wenn Kindererziehungszeiten einzubeziehen sind. Natürlich bedeutet es auch eine Verbesserung, wenn zudem Teilzeitmaßnahmen gefördert werden; denn gesellschaftliche Realität ist immer noch, dass Frauen eher in Teilzeit Aufstiegsfortbildung betreiben können. Genauso ist dies der Fall, wenn Gesundheits- und Pflegeberufe fair einbezogen werden. Das ist also eine Chance, gesellschaftliche Gleichstellung in einem zentralen Bereich von Fortbildung und auch von wirtschaftlicher Tätigkeit zu erreichen. Unser Appell, unsere Bitte an Wirtschaft, Handwerk, Verbände lautet dementsprechend: Machen Sie mit und tun auch Sie alles dafür, dass diese Aufstiegsfortbildung für Frauen populär und damit zu einer Chance wird, und werben Sie überhaupt dafür, dass dieses Gesetz jetzt angenommen wird! Das können wir zusammen erreichen, das kann das Handwerk tun, das können die Wirtschaftsverbände tun, indem sie in Schulen und in Fachschulen gehen, indem sie in die Handwerksversammlung gehen. Ich möchte Herrn Lensing, auch wenn er nicht mehr hier ist, Folgendes sagen: Wenn wir zu den Innungsobermeistern in die Handwerksversammlung gehen, dann hören wir häufig den folgenden Dreiklang: Mit euch Sozialdemokraten und Grünen haben wir nicht unbedingt viel am Hut, aber das Meister-BAföG, das ihr vorhabt, ist exzellent. Das macht ihr wirklich gut. ({7}) Weshalb sagen sie uns das? - Das sagen sie, weil sie noch wissen, was ehrliche politische Arbeit ist, und weil sie auch wissen, was ein Meisterstück ist. Dieses neue Meister-BAföG ist so etwas wie ein Meisterstück. In der Vergangenheit wurden die Mittel nicht abgerufen. Das Glas blieb bei Ihnen, um ein Bild zu gebrauchen, zu zwei Dritteln voll. Sie stellten als Anspruch mehr bereit, als dann abfloss. Mit dem neuen Gesetz haben wir die Chance, dass wir mehr Menschen erreichen, dass mehr Mittel ausgegeben werden können, dass das Glas völlig leer wird, um in dem Bild zu bleiben. Frau Ministerin, ein leeres Glas, das wird dann ein voller Erfolg für Sie. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Gesetz! ({8})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich das Wort der Kollegin Ilse Aigner für CDU/CSU-Fraktion.

Ilse Aigner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich hier mit einer Augenbinde erscheine, dann brauchen Sie nicht zu meinen, dass ich unter die Piraten gegangen bin. Das ist auch keine vorzeitige Maskerade, sondern Folge einer kurzfristigen Erkrankung. Aber man könnte meinen, dass die Bundesregierung vielleicht unter die Piraten gegangen ist, weil sie den Meisterschülern und den sonstigen Aufstiegsfortbildungswilligen die Reform drei Jahre lang vorenthalten hat. ({0}) Wenn ich Ihre Ausführungen vorhin richtig verstanden habe, dann haben Sie nämlich schon bei Ihrer Regierungsübernahme festgestellt, dass alles, was 1996 von der CDU/CSU und von der FDP eingeführt worden ist, falsch war. Sie hätten damals schon eigentlich alles besser gewusst. Wenn das so ist, dann hätten Sie die Reform eigentlich auch schon zum Zeitpunkt Ihrer Regierungsübernahme einleiten können. ({1}) Das haben Sie aber nicht gemacht. Sie haben es auch nicht gemacht, als Sie, Frau Ministerin, im Jahre 1999 Ihren ersten selbst erstellten Bericht vorgetragen haben. Sie haben es auch nicht gemacht, als die CDU/CSU-Fraktion einen entspechenden Antrag eingebracht hat. Sie haben es auch nicht gemacht, als die CDU/CSU-Fraktion vor einem Jahr den Gesetzentwurf eingebracht hat. ({2}) Sie haben das also über drei Jahre verschleppt. Deshalb ist das ein negatives Beispiel in diesem Bereich. ({3}) Herr Rossmann, Sie haben gesagt, die Mittel seien um 100 Prozent gesteigert worden. Ich habe auch Ihre heutige Pressemitteilung gelesen. Darin heißt es, dass der Ansatz von 89 Millionen DM auf 113 Millionen DM gesteigert worden sei. Ich weiß nicht, wo Sie da 100 Prozent sehen. Von 89 Millionen DM auf 113 Millionen DM ist keine Steigerung um 100 Prozent. Soweit beherrsche ich die Prozentrechnung noch und Sie können das sicherlich auch. Insofern haben Sie mit Nebelkerzen geworfen. Aber das macht nichts, ich wollte das nur klarstellen. Im Übrigen muss man auch immer von der Basis ausgehen. Herr Rossmann, als Sie die Regierung übernommen haben, standen im Haushalt 167 Millionen DM, verteilt auf zwei Haushaltsjahre. Statt zu reformieren, haben Sie die Ansätze sofort gekürzt, und zwar ordentlich. ({4}) - Herr Tauss, das ist alles schön und gut. Aber warum haben Sie es dann erst jetzt geändert? Sie hätten es schon vor zwei Jahren ändern können. Das ist genau die Messlatte: Warum haben Sie es nicht schon eher gemacht? ({5}) Frau Ministerin, ich bedanke mich aber dafür, dass das Gesetz jetzt, wenigstens endlich nach drei Jahren, auf den Weg gebracht worden ist - ein Jahr nachdem wir unseren Gesetzentwurf vorgelegt haben. Ich bedanke mich auch dafür, dass Sie viele Teile unseres Gesetzentwurfs aufgenommen haben. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Dafür bedanke ich mich auch im Namen all derjenigen, die in diesem Bereich tätig sind. Frau Ministerin, ich möchte Sie direkt ansprechen - es handelt sich um eine Bitte unserer Fraktion -: Wenn man es rückwirkend zum September einführte, dann wäre das ein wichtiges Signal und ein tolles Zeichen für den Mittelstand. Wenn man es erst für die Zeit danach einführt, dann bedeutet das zusätzliche Schwierigkeiten in der Umstellungsphase. ({6}) Auf die Gemeinsamkeiten möchte ich nicht weiter eingehen; sie sind hier schon mehrfach angesprochen worden. ({7}) Ich möchte nun die Unterschiede deutlich darstellen. Sie haben ausgeführt, dass bei Existenzgründungen der Erlassanteil des auf Prüfungs- und Lehrgangsgebühren entfallenden Restdarlehens bei 75 Prozent liegt. Unser Gesetzentwurf sieht einen Erlassanteil von 100 Prozent vor. Das wäre für die Existenzgründer das richtige Zeichen gewesen. ({8}) Ich komme auf die Kosten des Meisterstücks zu sprechen. Auch wir haben ein entsprechendes Darlehen vorgesehen und man kann sich mit Sicherheit darüber streiten, ob 3 000 DM oder 5 000 DM eine angemessene Höhe darstellen. Wir haben 5 000 DM vorgeschlagen, weil nur so die Kosten in vielen Bereichen wirklich gedeckt werden können. Für jemanden, der in einer Ausbildung steht, ist das eine Menge Geld. Das wäre zwar nur ein kleiner Beitrag zur Unterstützung; aber auch das wäre ein Zeichen. Sie hätten da durchaus mitmachen können. Was den Zuschuss beim Maßnahmebeitrag für Lehrgangs- und Prüfungsgebühren angeht, haben Sie 35 Prozent vorgeschlagen, während unser Gesetzentwurf einen Zuschuss in Höhe von 50 Prozent vorsieht. Der Unterschied liegt also bei 15 Prozent. Wenn Sie die Mittel so eingesetzt hätten, wie sie im Haushaltsgesetz ursprünglich gestanden haben, dann hätten Sie unserem Vorschlag folgen können. Im Hinblick auf den Zuschussanteil am Unterhaltsbeitrag für Alleinstehende ohne Kind nehmen Sie sogar eine Reduzierung vor. Nach dem Istzustand liegt der Zuschussanteil bei 37 Prozent, während der Regierungsentwurf 35 Prozent vorsieht. Im Unionsentwurf sind dagegen 50 Prozent vorgesehen. Das haben wir ausgerechnet. Das können Sie in den Ausschussberatungen ja widerlegen. Ich komme zur Erhöhung des Unterhaltsbedarfs für Teilnehmer und deren Ehegatten: Der Istzustand liegt bei 100 DM für Teilnehmer und bei 420 DM für Ehegatten. Der Unionsentwurf sieht eine Anhebung des Unterhaltsbedarfs für Teilnehmer auf 300 DM und für Ehegatten auf 440 DM vor. Da der Regierungsentwurf keine Anhebung vorsieht, bleibt er unter dem, was wir vorschlagen. Die Ausdehnung des Förderungszeitraums nach Beendigung der Maßnahme und vor der Prüfung, wenn Teilnehmer durch Anfertigung des Meisterstücks vom Verdienst abgehalten werden, ist eigentlich ein ganz wichtiger Punkt, den Sie überhaupt nicht beachtet haben. Viele müssen nach Abschluss der Schule erst ihr Meisterstück erstellen, ohne in dieser Zeit gefördert zu werden. Wir haben gefordert, dass für maximal drei Monate eine Förderung per Darlehen erfolgt. Sie haben nichts dergleichen vorgesehen. Ich halte das für falsch, weil die betroffenen Menschen gerade in dieser Zeit dringend eine Unterstützung brauchen. Hinsichtlich der Vermögensanrechnung möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Obwohl Sie die Beträge aufgestockt haben, ist der Verwaltungsaufwand nach wie vor riesig. Seit Ihrer Regierungsübernahme ist ein wesentlicher Bestandteil, nämlich die Vermögensteuer, weggefallen. Die eigentliche Zielgruppe, nämlich die Kinder reicher Eltern, erfasst man gar nicht mehr, weil das Vermögen der Eltern nicht einbezogen wird, sondern ausschließlich das Vermögen derjenigen, die in den entsprechenden Maßnahmen sind. Egal, wie man es dreht und wendet: Es ist auf alle Fälle richtig, dass derjenige, der Geld angespart hat - ob über eine Lebensversicherung, über einen Bausparvertrag oder wie auch immer -, sein Guthaben auflösen muss, wenn er eine gewisse Grenze überschreitet. Andernfalls kann er an der Maßnahme überhaupt nicht mehr teilnehmen oder keine Bezuschussung erhalten. Wir meinen, dass der Verwaltungsaufwand nicht gerechtfertigt ist. Aus diesem Grunde sollte die Vermögensanrechnung komplett fallen gelassen werden. Frau Ministerin, ich hoffe, dass in den Ausschussberatungen das eine oder andere nachgebessert wird. Das ist unser Interesse. Ich glaube, dass die Mitglieder unserer Fraktion und die Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen ein gemeinsames Ziel haben. Ich hoffe, dass wir uns, bayerisch gesagt, zusammenraufen. Vor allen Dingen diejenigen, die diese Maßnahmen betreffen, wären Ihnen außerordentlich dankbar, wenn bestimmte Maßnahmen rückwirkend zum 1. September in Kraft träten. Herzlichen Dank. ({9})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eigentlich wollte der Kollege Rossmann jetzt eine Frage stellen. Da die Kollegin Aigner jedoch weg muss, bitte ich damit einverstanden zu sein, dass wir nachher zwei Kurzinterventionen durchführen. Jetzt hat der Kollege Christian Lange, SPD-Fraktion, das Wort.

Christian Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003168, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute Abend ist - im wahrsten Sinne des Wortes - eine Sternstunde für Meisteranwärter und für das Handwerk in Deutschland. ({0}) Ich empfehle daher, statt den komplizierten Begriff AFBG zu benutzen, einfach zu sagen: Wir novellieren das Meister-BAföG. ({1}) Mit dem Meister-BAföG wollen wir erreichen, dass wieder mehr Menschen den Mut haben, sich selbstständig zu machen, weil sie denken: Das Handwerk hat wieder goldenen Boden und ist daher unsere Zukunft. Das ist der Grund, warum das Änderungsgesetz zum Meister-BAföG heute Abend in erster Lesung hier eingebracht wird. ({2}) Meine Damen und Herren von der Opposition, ich spreche insbesondere den Kollegen Lensing an, der leider nicht mehr da ist: Ich wundere mich schon über die Geschichtsklitterung, die Sie in Sachen Meister-BAföG hier zum Besten geben. ({3}) Wir wollen es uns in Erinnerung rufen: Es gab einmal ein AFG. Nach diesem AFG wurde wunderbar gefördert. Die Förderung von Meisterinnen und Meistern gemäß diesem AFG wurde von Ihrer Regierung ausgesetzt. Warum? Sie wurde ausgesetzt, weil Sie den Meisterinnen und Meistern kein Geld zur Verfügung stellen wollten. Dann gab es einen Proteststurm vonseiten des Handwerks und der Länder, insbesondere von Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen. Just diese drei Länder haben dafür gesorgt, dass es ein Jahr später erstmals wieder eine neue Förderung im Bereich des Handwerks gab. Was hat Ihre Regierung getan? - Sie hat nicht die alte Regelung wieder eingesetzt, sondern ein AFBG eingeführt, das sich am Studenten-BAföG orientiert. Dadurch entstanden Probleme, deshalb müssen wir heute dieses Gesetz novellieren. ({4}) Ich sage Ihnen: Wie die Kollegin Aigner zu sagen, wir würden sogar noch Mittel vorenthalten, finde ich schon mehr als dreist, da sie als CDU/CSU-Politikerin einer Fraktion angehört, die die Mittel gestrichen hat und den Meisterinnen und Meistern keine länger als ein Jahr dauernde Förderung bewilligen wollte. ({5}) Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen: Wenn Sie - das tun Sie immer wieder - sagen, wir hätten in diesem Bereich gestrichen, dann geht das ebenfalls an der Wahrheit vorbei. Die Haushaltsansätze sind in der Vergangenheit nicht ausgeschöpft worden, auch nicht der aus dem Jahre 2001, den wir um 10 Millionen auf 80 Millionen DM erhöht haben. Sie wurden wegen der Probleme im Bereich des Antragsverfahrens und aufgrund der unattraktiven Rahmenbedingungen nicht ausgeschöpft. Der einzige Vorteil des AFBG im Unterschied zur vorherigen Förderung war: Es gibt seitdem einen Rechtsanspruch. Es geht an der Rechtslage vorbei, hier zu sagen, dass Förderung vorenthalten wurde. Es wurde zwar nicht ausgeschöpft, aber selbst wenn ausgeschöpft worden wäre, hätte ein weiterer Bewerber die Förderung erhalten können. Das war der einzige qualitative Sprung beim AFBG. Deshalb ist Ihre hier ansetzende Kritik völlig an der Wirklichkeit vorbeigegangen. Ohne Meister-BAföG fehlt es in vielen Fällen an der notwendigen Finanzierungsgrundlage, um den Lebensunterhalt und die Lehrgangsgebühren für die Meisterkurse aufzubringen. Das Gesetz der früheren Regierung hat genau hier erhebliche Mängel gehabt. Deshalb wird die Förderung nunmehr ausgeweitet und in wesentlichen Punkten verbessert. Wir setzen damit die Erfahrungen über die Inanspruchnahme des AFBG durch die dargestellten strukturellen und technischen Änderungen im Gesetz um und tragen außerdem der wachsenden Bedeutung der beruflichen Weiterqualifizierung und des lebensbegleitenden Lernens Rechnung. Um potenziellen Existenzgründerinnen und Existenzgründern den Schritt in die Selbstständigkeit zu erleichtern, werden die Fristen für die Existenzgründung und zur Einstellung von zum Beispiel zwei Beschäftigten als Voraussetzung für den Darlehenserlass auf zwei Jahre verlängert. Wir wissen, dass, wer anfängt, sehr klein anfängt. Genau weil er ganz klein anfängt, mussten wir an dieser Stelle Ihr altes Gesetz verändern, damit es an die tatsächlichen Bedingungen von Existenzgründerinnen und Existenzgründern angepasst wird. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir den Darlehenserlass auf 75 Prozent angehoben haben. Vorgezogene Existenzgründungen aufgrund von Ausnahmebewilligungen entsprechend der Handwerksordnung sind künftig beim Darlehenserlass zu berücksichtigen. Der Vermögensfreibetrag - wir haben es vorhin gehört - wurde von 10 000 auf 70 000 DM erhöht, um für Existenzgründungen angespartes Vermögen zu schonen. Das ist für diejenigen, die sagen, dass sie ihres Glückes eigener Schmied sein und in die Selbstständigkeit gehen wollen, ein pragmatischer Ansatz. Deshalb ist er von so großer Bedeutung. ({6}) Damit setzen wir einen deutlichen Akzent bei der Förderung von Existenzgründungen im Mittelstand und bauen die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Weiterbildung aus. Dies schafft eine gute Basis für die berufliche Fortentwicklung des Einzelnen und wird auch neue Arbeits- und Ausbildungsplätze in kleinen Unternehmen schaffen. Die berufliche Fortbildung ist auch Voraussetzung für die Übernahme von qualifizierten Tätigkeiten als Fach- und Führungskraft und zur Gründung einer selbstständigen beruflichen Existenz. Gerade in den mittelständischen Unternehmen, im Handwerk, ist die Qualifikation als Meister nicht nur die Basis des eigenen Unternehmens, sie ist auch ein Qualitätssiegel. Deshalb will ich Ihnen, Frau Ministerin, an dieser Stelle - gerade auch als Wirtschaftspolitiker - besonders herzlich dafür danken, dass es gelungen ist, diese Novelle auf den Weg zu bringen und dass sie zum 1. Januar 2002 in Kraft treten wird. Damit hält die Bundesregierung ihr Versprechen aus der Koalitionsvereinbarung. Wir werden damit zum Motor der Meisterausbildung in Deutschland. Lassen Sie mich zum Schluss noch an ein Wort unseres Bundespräsidenten Johannes Rau anknüpfen. Er sagte: Existenzgründungen haben im Handwerk Tradition. Ich sage: Jetzt haben sie auch Zukunft. Herzlichen Dank. ({7})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Wie angekündigt, hat jetzt der Kollege Jörg Tauss - wenn er noch will - das Wort zu einer Kurzintervention. ({0}) Christian Lange ({1}) - Wir sind eben nicht dazu gekommen, weil die Kollegin unter Zeitdruck war. Ich hatte den Eindruck, Sie sind damit einverstanden. Herr Kollege Tauss, bitte.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Insofern muss es sein, Frau Präsidentin. Da Frau Pieper uns verlassen musste, nachdem sie hier Darstellungen abgegeben hat, die schlicht nicht der Wahrheit entsprachen, muss ich das hier noch richtigstellen. Herr Kollege Lange hat gerade schon darauf hingewiesen, daher kann ich mich jetzt kurz fassen. Ich halte es wirklich - ich sage dies ausdrücklich an die Adresse der FDP gerichtet - für ein Höchstmaß an Unredlichkeit, wenn von Ihrer Seite verschwiegen wird - vielleicht liegt das daran, dass Frau Pieper nicht genau weiß, was vor ihrer Zeit im Bundestag geschehen ist -, dass Sie ein Gesetz abgeschafft und ein Jahr lang überhaupt keine Förderung gewährt haben. Daraufhin haben Sie ein Gesetz gemacht, das so schlecht war, dass Sie hier den ganzen Abend daran herummäkeln - es war Ihr eigenes Gesetz -, um dann diejenigen zu kritisieren, die Ihr Werk verbessern. Ich halte dies, mit Verlaub, für eine Unverschämtheit. Berichten Sie das Frau Pieper. Ich bin von ihr nichts anderes gewohnt und habe auch nichts anderes erwartet; dass sie mir dies allerdings als Polemik unterstellt, ist der Höhepunkt der Chuzpe. Diese Form des Umgangs ist inakzeptabel und noch nicht einmal der Liberalen würdig. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat zu einer Kurzintervention der Kollege Rossmann das Wort. Bitte sehr.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich hätte Frau Kollegin Aigner gerne darauf hingewiesen - ich tue das jetzt für das Haus -, dass jeder Kollege in der Vorlage der Regierung nachlesen kann, dass auf Seite 4 dargelegt wird, dass gegenwärtig 45 Millionen Euro von Bund und Ländern gemeinsam für das Meister-BAföG zur Verfügung gestellt werden. Auf Seite 5 sind für das Jahr 2002 unter „Mehrkosten der Novelle“ 46 Millionen Euro angegeben. Das sind 100 Prozent Plus. Deshalb wäre der Kollegin Aigner zu sagen: Es schadet nicht, manches zu lesen und dann auch Prozentrechnung zu üben. Danke. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/7094 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse sowie an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Es gibt keine anderen Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich ({0}), Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Punktekatalog überarbeiten - Verkehrssünderkartei entrümpeln - Bonussystem ausbauen - Drucksache 14/6963 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen, wobei die FDP sieben Minuten erhalten soll. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Horst Friedrich für die FDP-Fraktion.

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir, zu Eingang meiner Rede eine kleine Korrektur vorzunehmen. Wie Sie alle beim Lesen des ersten Absatzes sicherlich gemerkt haben, ist das Kraftfahrt-Bundesamt natürlich nicht 40 Jahre, sondern 50 Jahre alt geworden. Ich nehme an, dass Sie alle das festgestellt haben. So etwas passiert eben. Die FDP legt Ihnen heute Abend den ersten Teil eines mehrstufigen Programms vor, das dazu dienen soll, die Verkehrssicherheit in Deutschland weiter zu verbessern. Wir wollen die Belastungsgrenze für den deutschen Autofahrer nicht weiter nach oben ausdehnen; sie ist erreicht. ({0}) Wir wollen sicherstellen, dass der deutsche Autofahrer nicht die Milchkuh der Nation ist und bleibt, sondern dass das besser wird. Wie Sie alle sicherlich gelesen haben, besteht der heute vorliegende Antrag aus vier Teilen. Der erste und sicherlich wichtigste und aufwendigste Teil - wenn man es mit der Umsetzung ernst meint - ist mit Sicherheit, den Verwarnungs-, Bußgeld- und Punktekatalog so zu entrümpeln und zu überarbeiten, dass die Punktewertigkeit und die Gewichtung an der Unfallträchtigkeit des jeweiligen Vergehens zu messen sind. ({1}) Die Punkteverteilung erfolgt derzeit nach dem Prinzip Zufall. Es kann nicht sein, dass jemand, der einem anderen aus dem Auto heraus den Vogel zeigt und dabei erwischt wird, mehr Punkte in Flensburg erhält als derjenige, der bei Rot über die Ampel fährt; denn die Unfallträchtigkeit des zweiten Vergehens ist deutlich höher als die des ersten. Da muss es einen Gleichklang geben. Diese RegeVizepräsidentin Anke Fuchs lungen müssen endlich entrümpelt und vom Kopf auf die Füße gestellt werden. ({2}) Wir haben im Übrigen allen im Zuge der Novellierung des Führerscheinrechtes zugesagt, dass das Punktesystem überarbeitet werden soll. Wir haben es damals nicht mehr umgesetzt, weil es arbeitsmäßig nicht mehr zu schaffen war. Aber es ist hohe Zeit, dies endlich anzugehen. Zweitens sind wir der Meinung - das ist aus unserer Sicht genauso wichtig -, dass das Bonussystem bei freiwilliger Nachschulung ausgebaut werden muss, ({3}) damit Ersttätern die Möglichkeit eingeräumt wird, bei Delikten, die mit bis zu drei Punkten geahndet werden, den Eintrag durch eine freiwillige Nachschulung entweder ganz zu verhindern oder wenigstens zu reduzieren. ({4}) Drittens. Die Registrierungsfrist für Verkehrsdelikte bis zu drei Punkten - das sind dann nach einer Überarbeitung und Überprüfung sicherlich die weniger sicherheitsrelevanten Vergehen - soll von zwei Jahren auf ein Jahr reduziert werden, um das Mitschleppen ganzer Datensätze zu verhindern. Es ist nämlich nachweisbar: Nur 300 000 der rund 7 Millionen registrierten Verkehrssünder in Flensburg bilden tatsächlich den Kernbereich, auf den wir uns eigentlich konzentrieren müssten. Davon wiederum sind rund 73 000 tatsächlich von dem Entzug des Führerscheins bedroht und 300 000 haben mehr als acht Punkte. Der Datenbestand für den Rest, der nicht mehr auffällig wird, wird sozusagen mitgeschleppt. Wir als Liberale sind der Meinung, dass dieses System endlich entstaubt und überarbeitet werden muss. Das kann es eigentlich nicht sein. ({5}) Als Sahnehäubchen - das regt Sie sicherlich am meisten auf - und gewissermaßen als positives Signal sind wir der Meinung, dass aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums des Kraftfahrt-Bundesamtes eine Amnestie für Sünder mit einem Punktekonto von bis zu drei Punkten eingeführt werden sollte. ({6}) Um gleich Einwürfen der Union entgegenzutreten, die ich gelesen habe: Amnestie ist durchaus ein probates Mittel in der Regierungsform Demokratie und nicht nur auf Königreiche beschränkt. Für uns steht dieses Programm nicht alleine. Es ist, wie gesagt, nur der erste Teil. Wir gehen weiter. Der nächste Schritt wird unser Vorschlag sein, den Katalog der Prüfungstätigkeit für Prüfeinrichtungen nach § 29 StVZO, also die Arbeitsgrundlage für TÜV, Dekra und freiberufliche Ingenieure, zu überarbeiten. Dieser Paragraph stammt aus der Zeit vor 30 Jahren. Mittlerweile hat sich allerdings die Technik des Autos deutlich verändert. In diesem Paragraphen ist noch enthalten, dass auch Fahrzeuge, die noch keine drei Jahre alt sind, auf Durchrostung zu überprüfen sind. Drei Jahre alte Autos haben heutzutage keine Rostschäden mehr. Aber der TÜV, Dekra und andere Prüfeinrichtungen müssen es noch überprüfen, weil es im Katalog steht. Umgekehrt gilt: Probleme, die etwa hinsichtlich der Stoßdämpfer bekannt sind, werden überhaupt nicht im Prüfkatalog aufgeführt, weil es noch keine Prüfverfahren gibt. Andererseits steht fest, dass bis zu 14 Prozent aller Autos mit nicht ausreichend funktionierenden Stoßdämpfern unterwegs sind. Das ist eine der größten Ursachen für Verkehrsunfälle und für mangelnde Verkehrssicherheit. ({7}) - Bevor Sie sich aufregen, schauen Sie sich doch lieber einmal die vorliegende Statistik an. Dann unterhalten wir uns in aller Ruhe. ({8}) Aus unserer Sicht soll das gesamte Paket durch eine komplette Neubearbeitung der Fahrlehrerausbildung abgerundet werden. ({9}) Wenn wir die Verkehrssicherheit wirklich ernst nehmen, dann muss man von Beginn an die Grundlagen legen. Herr Schmidt, warum regen Sie sich eigentlich so auf? Es steht doch in Ihrem eigenen Verkehrsbericht, dass der Beruf des Fahrlehrers vom Fortbildungsberuf zum Ausbildungsberuf umgestellt werden soll. Sie erwähnen dies zwar im Bericht, aber Sie handeln nicht dementsprechend. Das ist das eigentliche Problem. ({10}) Der Fahrlehrer braucht eine deutlich bessere Ausbildung im pädagogischen Bereich. Nur wenn er in der Lage ist, das, was er lernt, tatsächlich so rüberzubringen, dass damit eine Verhaltensveränderung einhergeht, werden wir in der Lage sein, bezüglich der mangelnden Verkehrssicherheit nicht nur die Auswirkungen, sondern endlich die Ursachen zu bekämpfen. Deswegen müssen wir in diesem Punkt nacharbeiten. ({11}) Wir werden Ihnen entsprechende Vorschläge machen. ({12}) In diesem Gesamtzusammenhang ist dieser erste Schritt von uns zu sehen. Ich freue mich auf die sachlich hoch stehende Diskussion im Ausschuss und gehe davon Horst Friedrich ({13}) aus, dass es eigentlich keine Argumente gegen unseren Antrag gibt. Herzlichen Dank. ({14})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat die Kollegin Rita Streb-Hesse das Wort für die SPD-Fraktion.

Rita Streb-Hesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003242, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das 50-jährige Jubiläum des Kraftfahrt-Bundesamtes, das die Eingeweihten eigentlich als Flensburger Verkehrssünderkartei kennen, sollte ein Anlass sein zum Feiern für alle, die an der Verkehrssicherheit interessiert sind und daran arbeiten, für die Verbände, die Organisationen, die Verwaltung und auch und gerade für uns in der Politik. Wir wissen, dass diese Bundesbehörde entscheidend dazu beiträgt, dass die im Straßenverkehrsrecht festgelegten Regeln zur Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer eingehalten werden und bei einer Übertretung oder einem Verstoß die angemessene Sanktion erfolgt. ({0}) Dort werden alle Verkehrsordnungswidrigkeiten und Straftaten erfasst und je nach ihrer Schwere und Bedeutung im Rahmen des 1974 eingeführten Punktesystems bewertet. ({1}) Dass im Laufe der Jahre - Kollege Friedrich, Sie sind länger in diesem Haus als ich - eine Anpassung des Verwarnungs-, Bußgeld- und Punktekatalogs an neue Verkehrsvorschriften, Unfallhäufigkeiten und -ursachen erfolgen musste und dies auch geschieht, zeigt die in der letzten Legislaturperiode 1998 vorgenommene Novellierung, die seit dem 1. Januar 1999 gilt. ({2}) Damals wurde das Punktesystem in § 4 des Straßenverkehrsgesetzes verankert und damit eine bundesweit einheitliche Grundlage geschaffen. Darüber hinaus ermöglicht ein Bonussystem den Abbau von Punkten. Betroffene können bei einem Punktestand von bis zu acht Punkten mit der freiwilligen Teilnahme an einem Aufbauseminar eine Minimierung um vier Punkte erreichen. Bei einem Punktestand von 9 bis 13 Punkten können sie ebenfalls noch durch die Teilnahme an einem Seminar eine Reduzierung um zwei Punkte erreichen. Sogar noch bei einem Punktestand von 14 Punkten - da sind ja schon jede Menge Verkehrsdelikte zusammengekommen - kann man mit der Teilnahme an einem Aufbauseminar und an einer verkehrspsychologischen Einzelberatung auch Punkte tilgen. ({3}) Ich verdeutliche es für alle hier noch einmal. Es ist ganz gut, dass man die Tabelle kennt, wenn ich auf Ihre drei Punkte komme. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Das Punktesystem mit seiner Präventivwirkung hat sich bewährt und ist breit akzeptiert. Es intendiert und bewirkt ein faires und sicheres Verkehrsverhalten und bietet Angebote und Hilfestellung, die dies auch unterstützen. Die aktuellen Zahlen, die ich aus dem Haus und auch aus dem Amt habe, sprechen für sich: Von den 50 Millionen Führerscheininhabern sind heute lediglich 12 Prozent in Flensburg registriert und von diesen erreichen nur 0,3 Prozent - das bestätigt Ihre Zahl - 18 Punkte und mehr. ({4}) Diese positive Wirkung wird nun mit Ihrem Antrag - das überrascht uns schon alle - infrage gestellt. ({5}) - Doch. Denn nach Ihrer Vorstellung wollen Sie, Herr Kollege Friedrich, eine Stärkung des Rechtsbewusstseins im Verkehr dadurch erreichen - jetzt kommt es -, dass wir eine Generalamnestie bekommen. Für die, die das nicht gelesen haben: Das Jubiläum ist für die FDP ein Anlass, alle Daten für im Zentralregister erfasste Verkehrssünder mit bis zu drei Punkten zu löschen. ({6}) Sie haben eine Presseerklärung der CDU erwähnt. Ich würde das Gleiche sagen: Generalamnestien passen zu feudalistischen Systemen, ({7}) zu Diktaturen, zu Herrschersystemen, aber sie passen nicht zu einer Demokratie. ({8}) Kollege Friedrich, ich denke, das ist auch nicht im Interesse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort im Amt. Es passt nicht zu einer Bundesbehörde, die rechtsstaatlich arbeitet. ({9}) Sie wissen aber, dass das zutiefst ungerecht wäre, weil mit diesem „Ablass“, wie ich ihn nenne, nur denjenigen die Punkte gestrichen würden, die gerade im Register eingetragen sind. So denkt die FDP folgerichtig auch an ein Weniger an Sanktionen bei zukünftigen Verstößen und Horst Friedrich ({10}) fordert die Reduzierung der zweijährigen Tilgungsfrist auf ein Jahr. Diese Halbierung würde die anerkannte Präventivwirkung schwächen, wie zahlreiche Untersuchungen belegen. Zum einen bemühen sich die Betroffenen, in diesem Zeitraum keine weiteren Verkehrsverstöße zu begehen, zum anderen werden gerade Mehrfachtäter im zweiten Jahr erneut auffällig. Dann müsste man Ihre Statistik aber jedes Mal neu eröffnen. Meine Damen und Herren, glauben Sie nicht, dies wäre schon das Ende der liberalen Großzügigkeit. „Freie Fahrt für freie Bürger“ habe ich schon vor ein paar Jahren gehört. ({11}) - Das unterstelle ich Ihnen aber. - Damit es nun überhaupt nicht erst zu einer Eintragung ins Zentralregister kommt, möchte die FDP auch schon hier ein Bonussystem anwenden. Das hätte zur Konsequenz, dass mit einer freiwilligen Nachschulung der Verstoß gleichsam als nicht geschehen abgehakt werden könnte. ({12}) - Wunderbar, Herr Kollege, wenn man nicht wüsste und tagtäglich erfahren müsste, dass gerade die Häufigkeit dieser Verstöße schwächere Verkehrsteilnehmer wie Kinder und Fußgänger gefährdet. Zu den Vergehen, die mit bis zu drei Punkten geahndet werden, gehören zum Beispiel das Überschreiten von innerörtlichen Geschwindigkeitsbegrenzungen mit bis zu 20 Stundenkilometern, die Nichtbeachtung von Stoppschildern, Warnanlagen und Zebrastreifen sowie zu dichtes Auffahren. Meine Damen und Herren von der FDP, Sie - ich denke hier insbesondere an den Kollegen Friedrich - versuchen mit populistischen Scheinbegründungen wie „eingeschlichene Registrierungsbürokratie“, „Entrümpelung“ und „Maßstab der Unfallträchtigkeit“ zu bemänteln, dass Sie und die FDP einen Teil der Verkehrsvergehen weiterhin als Kavaliersdelikte einstufen. ({13}) Sie versuchen, dies mit Begriffen wie „Verkehrssünder“, Einmaltäter oder „Genusstrinker“ - ich erinnere an die Diskussion zur Promillegrenze - auch den Verkehrsteilnehmern zu suggerieren. In Fortführung dieser Einstellung müssten wir dann allerdings auch für die 88 Prozent der Führerscheininhaber, die sich gesetzeskonform verhalten, ein Bonussystem einführen. Man könnte sagen: Wer fünf Jahre unfallfrei gefahren ist, darf einmal bei Rot über die Ampel fahren. ({14}) - Nein, das haben Sie vorgeschlagen. ({15}) Sie haben einen neuen Koalitionspartner in Hamburg, der diese Auffassung von Rechtsstaatlichkeit sicherlich nicht teilen wird. Aber vielleicht gelingt es Ihnen ja, Kollege Friedrich, Herrn Schill für ein solches Bonussystem zu gewinnen. ({16}) Auch im Verkehr gilt das Prinzip Sicherheit. Unsere Aufgabe in diesem Hause ist es, das Verkehrsrecht so fortzuschreiben, dass es ein Mehr an Sicherheit und ein faires Miteinander aller Verkehrsteilnehmer gewährleistet. Das haben wir zu Beginn dieses Jahres mit einer weiteren Novellierung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Vorschriften getan. Das Punktesystem wurde und wird den aktuellen Notwendigkeiten angepasst, ist praxistauglich und leistet einen wesentlichen Beitrag zur Verkehrssicherheit. Die SPD-Fraktion sieht derzeit keinen Anlass für eine erneute Überarbeitung. Vielmehr möchten sich meine Fraktion und ich an dieser Stelle bei allen, die im KraftfahrzeugBundesamt und den ihm angeschlossenen Dienststellen arbeiten, mit einem herzlichen Glückwunsch zum 50jährigen Jubiläum bedanken. ({17})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat der Kollege Wolfgang Börnsen für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Punkteinhaber ebenso wie Nichtpunkteinhaber! In den Wochen vor den Präsidentschaftswahlen in Frankreich laufen die französischen Verkehrsorganisationen regelmäßig Sturm. Und warum? - In unserem charmanten Nachbarland ist es Tradition, dass ein neuer Präsident als eine der ersten Amtshandlungen eine Generalamnestie für Verkehrssünder erlässt; ({0}) schön für die Wähler, aber schlecht für die Sicherheit. ({1}) Die dortige Erfahrung zeigt: So kurz vor den Wahlen geht mancher Franzose gern etwas mehr Risiko ein. Da weiß man, dass mögliche Sanktionen nur von kurzer Dauer sind. Die Unfallstatistik weist - um das ganz seriös zu sagen - in dieser Zeit steil nach oben. Polizei und Politessen werden offen ausgelacht. Die Freien Demokraten und Kollege Horst Friedrich - mit ein wenig Schalk im Nacken - fordern in ihrem AnRita Streb-Hesse trag eine Amnestie aus Anlass des fünfzigjährigen Bestehens des Kraftfahrt-Bundesamtes in Flensburg. Natürlich ist dieses Jubiläum ein Grund zum Feiern, gerade für eine Bundesbehörde, die in meinem Wahlkreis ihren festen Standort hat, in der tüchtige Frauen und Männer tätig sind, ({2}) eine Behörde, die es verdient, als europäische Behörde ausgebaut zu werden. Seit fünf Jahrzehnten sorgt das KBA in Flensburg für mehr Sicherheit, Struktur und Überblick im Straßenverkehr unseres Landes. Doch ein Überblick reicht nicht aus, wenn es um mehr Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer geht, sondern man braucht einen Durchblick. Nicht nur Verkehrsexperten aller Couleur fragen sich mit Sorge und Zweifel, lieber Horst Friedrich, ob dieser Durchblick gewährleistet ist, wenn dieser liberale Vorschlag, bei fast 3 Millionen Autofahrern durch den Wegfall von Anfangspunkten für eine weiße Weste zu sorgen, in die Tat umgesetzt wird. ({3}) Die Polizei, die ich gefragt habe, argumentiert: Freibriefe dieser Art schaden unserer Autorität. ({4}) Vom Verkehrssicherheitsrat wird die Auffassung vertreten: Wehret den Anfängen. Wer in Flensburg mit Punkten belastet sei, habe sie verdient, denn er habe sich in irgendeiner Weise rücksichtslos verhalten. ({5}) Von der Verkehrswacht kommt die Warnung, keinen Wahlgag auf Kosten von Sicherheit im Straßenverkehr zu landen. Als ich in meinem ersten Bundestagsjahr als Flensburger Abgeordneter den Vorschlag einer Bonusregelung für Autofahrer einbrachte, erntete ich hier im Plenum Hohn und Spott aus allen Reihen, auch und ganz besonders von den Freien Demokraten. ({6}) Damals galt nur ein Grundsatz: Wer sich verkehrsgefährdend verhält, der muss bestraft werden. Eine Gnade für ein solches Vergehen darf es nicht geben. Heute, gut zehn Jahre später, hat sich diese Auffassung erfreulich gewandelt. Wer sich als Verkehrsteilnehmer um vorbildliches Verhalten bemüht, der muss die Chance haben, dass Besserung belohnt wird, doch - diese Einschränkung ist bisher von allen Fraktionen geteilt worden dieser Wille muss dauerhaft sein und von eigenen Bemühungen begleitet werden. Ein treuer Augenaufschlag reicht für das Aussetzen von Strafe nicht aus. ({7}) Abgesehen davon: Wir, der Gesetzgeber, würden unsere eigenen Auflagen, Ansprüche und Anforderungen, die wir mit dem Punktesystem verbunden haben, unterlaufen. Dem Ansehen des Deutschen Bundestages dient eine Hauruckaktion dieser Art keinesfalls. Trotzdem hat die FDP-Idee Charme. Oder um es mit Arthur Schopenhauer zu sagen: Der Spleen ist oft das Beste an einem Menschen, sein kreativster Teil, mit dem große Energien freigesetzt werden können, ein Stück Utopie zu verwirklichen. ({8}) Der Antrag sollte Anstoß sein, darüber nachzudenken, wie sich das gängige Verfahren durch weniger bürokratischen Aufwand, weniger Formalismus und weniger Gängelung für die Verkehrsteilnehmer optimieren lässt. Es lässt sich optimieren. ({9}) Das Punktesystem in Deutschland gilt bisher in seiner Kombination aus Strafe und Belohnung als vorbildlich. Wer sich nicht an die Verkehrsregeln hält und sich und andere in Gefahr bringt, wird belangt. Punkte bremsen den Übermütigen. Punkte machen Fehlverhalten deutlich. Neben den Bußgeldern bekommt der Verkehrsregelverletzer bei Ordnungswidrigkeiten einen bis vier Punkte, bei Straftaten fünf bis sieben Punkte. Von den 48 Millionen Führerscheinbesitzern ist derzeit jeder neunte Fahrer in der Sünderkartei in Flensburg registriert. 80 Prozent davon sind Männer, 20 Prozent davon Frauen. ({10}) Wer häufiger die Verkehrsregeln bricht, wird härter bestraft. Wer Punkte sammelt zeigt, dass er nichts gelernt hat. Er erhält zusätzlich Verwarnungen oder Anordnungen, an Aufbauseminaren teilzunehmen. Wer stur und völlig uneinsichtig bleibt, dem wird der Führerschein entzogen. Die Aufgabe des Führerscheins erfolgt - Horst Friedrich und meine Vorrednerin haben das bereits gesagt bei 0,3 Prozent der Autofahrer. Das ist ein Beleg dafür, dass es gelingt, notorische Wiederholungstäter herauszufischen. Diese Zahl ist darüber hinaus aber auch ein Beleg dafür, dass sich die überwiegende Anzahl der Autofahrer in Deutschland verantwortlich im Straßenverkehr verhält. Das gilt für die junge Generation wie für die anderen Generationen. ({11}) Wer einsichtig ist, wird belohnt. Die Punkte für eine Ordnungswidrigkeit verfallen für denjenigen, der zwei Jahre vorbildlich fährt. ({12}) Das ist pädagogisch vertretbar und psychologisch vernünftig. Ein Konto von weniger als acht Punkten reduziert Wolfgang Börnsen ({13}) man um vier Punkte, nimmt man freiwillig an Aufbauseminaren teil. Persönlicher Einsatz zur Besserung wird vorausgesetzt. Das ist richtig. Die Reduzierung von Punkten ist so an das positive Verhalten der Einzelnen im Verkehr gebunden und nicht an das Jubiläum einer Behörde. Ziel dieses Bonus-Malus-Systems ist die Unfallvermeidung. Es ist nicht nur eine Teilmaßnahme, es zeigt auch Wirkung. Was in unserer Republik jedoch fehlt - das beklagen wir noch immer -, ist ein Gesamtkonzept für mehr Sicherheit im Straßenverkehr. Das wurde von den drei bisher tätigen sozialdemokratischen Verkehrsministern zwar angekündigt, doch gibt es bis heute noch keine Konkretisierung dieser Ankündigung. Ganz anders dagegen handelt die Europäische Union. Sie hat ein Zehnjahresprogramm aufgelegt. Sie zeigt Betroffenheit. Das ist praktizierte Mitverantwortung. Europas Unfallbilanz - wir in Deutschland tragen dazu bei ist bitter, bedrückend und belastend. ({14}) Man darf bei einem solchen Thema, das so eingeführt worden ist, nicht vergessen: Täglich sterben in Europa 123 Menschen im Straßenverkehr. Verkehrsunfälle in der EU sind, wie bei uns, die Haupttodesursache für Bürger unter 45 Jahren. Einer von 20 Bürgern in unseren 15 Ländern wird jährlich durch einen Verkehrsunfall getötet oder zu einem Invaliden. Einer von drei Bürgern muss im Laufe seines Lebens wegen eines Autounfalls ins Krankenhaus. Einer von 80 Bürgern beendet sein Leben durch einen Unfall 40 Jahre zu früh. In der EU haben wir jährlich 42 500 Verkehrstote zu beklagen. Über 3,5 Millionen Menschen werden Jahr für Jahr Opfer von Verkehrsunfällen mit schweren Schädigungen. Dies darf nicht als Preis der Mobilität hingenommen werden. ({15}) Zwei Entwicklungen fallen in der Unfallbilanz auf - sie gelten für Europa ebenso wie für Deutschland -: Zum einen geht die Anzahl der schweren Unfälle seit über 30 Jahren deutlich, aber immer langsamer zurück. Zum anderen ist die Zahl der Verkehrsunfälle, parallel zur steigenden Anzahl der Fahrzeuge, bei uns dramatisch gestiegen. In unserem Land registrierte man 1970 1 Million Unfälle, heute sind es 2,4 Millionen. Neben dem menschlichen Leid, neben Schmerz und persönlichem Schaden sind dafür nicht nur von den Betroffenen, sondern von allen Bürgern unermessliche Kosten zu tragen. Der Europäische Verkehrssicherheitsrat beziffert die Höhe der Unfallschäden auf jährlich 160 Milliarden Euro, also auf das Doppelte des gesamten EU-Haushaltes. Die EU bilanziert nicht. Doch sie handelt konsequent. Ihre Absicht ist es, die Anzahl der Verkehrstoten bis 2010 auf 25 000 zu senken. In unserem Land gibt es noch kein Ziel dieser Art und auch kein Sicherheitskonzept mit einer festen Ausrichtung. Die EU arbeitet aktuell an einer Richtlinie, bei der es darum geht, wie Straßen sicherer gemacht werden können und insbesondere Unfallschwerpunkte beseitigt werden können. Bei uns stellt der Dekan der Universität Gießen, Professor Aberle, fest, dass jährlich 80 Milliarden DM an Steuern und Gebühren von der Straße kassiert werden, davon aber nur 35 Milliarden DM zur Verbesserung der Infrastruktur eingesetzt werden. Gezielte Verkehrsplanung kann Gefährdungen von vornherein verhindern. Der Verkehr in Deutschland nimmt von Jahr zu Jahr zu. Die Regierung trägt dem aber nicht Rechnung. Die Zweckentfremdung von 45 Milliarden DM, die nicht zur Erhöhung der Sicherheit auf den Straßen eingesetzt werden, ist nicht gerechtfertigt. Das darf so nicht bleiben. ({16}) Die EU setzt auf sichere Frontpartien, besonders bei Geländewagen, um einen besseren Schutz für Fußgänger und Radfahrer zu erreichen. Bei uns zögert und zaudert man bei dieser Frage noch, und dies trotz der Aufforderung der Kinderkommission, trotz des Appells von Experten aus allen Fraktionen und trotz des Wissens, dass diese Kuhfänger voller Risiken sind und dass nach Auffassung des Europäischen Verkehrssicherheitsrats in jedem Jahr 2 000 Menschenleben gerettet werden könnten und mehr als 15 000 Unfallopfern die schweren Verletzungen erspart bleiben könnten, würde man die passive Sicherheit der Fahrzeuge querbeet endlich auch bei uns verbessern. ({17}) Ein Zusammenstoß mit einem Geländewagen mit Frontschutzbügeln bei 20 Kilometern pro Stunde hat die gleiche Aufprallwirkung wie ein Zusammenstoß mit einem Fahrzeug mit einer normalen Frontpartie bei 40 Kilometern pro Stunde. Das ist verheerend für Fußgänger und tödlich für Kinder. Anstatt die Autokonzerne zu mehr Fahrzeugsicherheit zu verpflichten und sie auf die Selbstbindung aufmerksam zu machen, weicht man den Hinweisen aus Brüssel aus, verweist darauf, dass es noch europäischer Regelungen bedarf und macht auf nationaler Ebene nichts. Das geht nicht. Da muss auch in Deutschland konsequent gehandelt werden. ({18}) Die EU packt das Thema Tagesfahrtlicht an. Unserer Auffassung nach muss dieses Thema wegen der Erfahrungen in Skandinavien im Zusammenhang mit der Frage der Verkehrssicherheit stärker beachtet werden. Das gilt auch für die intelligenten akustischen Sitzgurtwarnvorrichtungen. Auch sie können, wenn sie angemessen eingebaut werden, dazu beitragen, dass Menschenleben gerettet werden. Wir brauchen - damit nehme ich Bezug auf den Antrag der Freien Demokraten - keine Generalamnestie. Wir brauchen eine neue Diskussion über die Verkehrssicherheit und die entsprechenden Gesetze, Bestimmungen und Regelungen in Deutschland. ({19}) Wolfgang Börnsen ({20}) Wir brauchen eine Mobilisierung des Gedankens, dass wir alle mitverantwortlich dafür sind, zu mehr Verkehrssicherheit zu kommen. ({21}) Ich bin schon der Auffassung, dass es richtig ist, die Sache hier im Parlament quer durch alle Fraktionen anzupacken, solange die Regierung in dieser Frage noch immer zögert. Ich könnte mir sehr wohl vorstellen, dass man, ausgehend von der Initiative der Liberalen, zu einer nationalen Verkehrssicherheitskampagne kommt, in die alle gesellschaftlichen Gruppen eingebunden werden, vom Kindergarten über die Schulen ({22}) - die haben wir noch nicht - bis hin zum Bundespräsidenten, und dazu beitragen, dass der Verkehrssicherheitsrat, die Verkehrswacht, die Polizei, der ADAC und alle anderen, die täglich für Sicherheit im Verkehr da sind, in ihrem Bemühen gestärkt und unterstützt werden. Es bleibt - damit komme ich zum Schluss - aber leider die Tatsache, dass Jahr für Jahr einer von 100 Mitbürgern in Deutschland im Straßenverkehr tödlich verunglückt bzw. zum Invaliden wird. Es bleibt auch die Tatsache, dass dieser traurige Tatbestand nicht unabänderlich ist, dass es an uns allen liegt, dagegen Front zu machen. 50 Jahre Kraftfahrt-Bundesamt in der schönen Fördestadt Flensburg sollten deshalb ein Anstoß für eine nationale Verkehrssicherheitskampagne, aber nicht Anlass dafür sein, generell intensiver über eine weiße Weste für Autofahrer nachzudenken. Danke schön. ({23})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich dem Kollegen Albert Schmidt für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kaiser hat Geburtstag, da dürfen alle kleinen Ganoven aus dem Knast. Nach diesem Muster ist Ihr Antrag gestrickt, den Sie uns heute hier in dieser Debatte zumuten. ({0}) - Lieber Horst Friedrich, das ist nicht Liberalismus, das ist Feudalismus. ({1}) Ich frage mich: Warum beantragt ihr eigentlich nicht, dass anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des KraftfahrtBundesamtes auch noch den Straftätern ihre Strafgelder zurückgezahlt werden? Das wäre doch einmal ein Wahlgeschenk. Ich frage mich: Warum beantragt ihr nicht, das anlässlich des 40-jährigen Bestehens des Kaufhofes alle Diebe freigelassen werden oder ihre Strafgelder zurückgezahlt bekommen? Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, so kann man mit dem ernsthaften Thema Verkehrssicherheit nun beim besten Willen nicht umgehen. ({2}) Schauen wir uns doch einmal an, was in diesem Punktesystem, wie wir es heute haben, wirklich geschieht, nach welchem Prinzip es funktioniert. Es ist im Grunde schon ausgeführt worden, ich brauche es nur noch einmal zusammenzufassen. Das Punktesystem enthält natürlich Sanktionen, das heißt Bewertung von Straftaten, von Ordnungswidrigkeiten mit bestimmten Strafpunkten. Es enthält weiter einen Katalog von abgestuften Maßnahmen, die die Verwaltungsbehörden zu treffen haben. Aber es enthält eben nicht nur Strafen, sondern es enthält auch ein Anreiz-, ein Bonussystem, das sehr differenziert ist und keineswegs nur dem Erstauffälligen, sozusagen dem Ersttäter, eine Chance gibt, sondern selbst bei hohen Punkteinträgen die Möglichkeit bietet, durch freiwillige Teilnahme an Aufbauseminaren das Punktekonto in Flensburg zu entlasten. ({3}) Wenn ich freiwillig an einem Aufbauseminar teilnehme, mache ich deutlich, dass ich einsehe, einen Fehler begangen zu haben, und nicht nur darauf warte, bis mir die Allgemeinheit hier großzügig entgegenkommt. Ich zeige, dass ich bereit bin, dafür auch etwas zu tun, nämlich mich nachschulen zu lassen. Dann bekomme ich bis zu vier Punkte erlassen, wenn mein Konto unter acht Punkten liegt, und ich bekomme sogar, wenn ich über neun liege, bei einer solchen freiwilligen Maßnahme immer noch zwei Punkte abgezogen. ({4}) Wenn man 14 Punkte hat, wird man erst einmal zu einem obligatorischen Aufbauseminar verdonnert; aber man hat durch freiwillige Teilnahme an einer psychologischen Beratung immer noch die Möglichkeit, einen Abzug von zwei Punkten zu bekommen. ({5}) Das ist doch ein Anreizsystem, das im Grunde genommen dazu führt, sein persönliches Punktekonto, wenn man im unteren Bereich ist, auf null zu bekommen. Ich verstehe also überhaupt nicht, was hier noch für Handlungsbedarf sein soll. ({6}) - Das ist sehr wohl der Fall, lieber Kollege Friedrich, nämlich dann, wenn das Punktekonto bei vier oder weniger liegt. Dann kann ich sehr wohl auf null kommen. Wolfgang Börnsen ({7}) Die Präventivwirkung dieses Systems hat sich bewährt - das ist mehrfach angesprochen worden -, es funktioniert. ({8}) Nur 0,3 Prozent der betroffenen Kraftfahrerinnen und Kraftfahrer in Deutschland fallen mit einem Punktekonto von 18 oder mehr Punkten auf. Alle anderen liegen deutlich darunter. ({9}) - Richtig, aber ihr tut so, als ob man etwas erfinden müsste, was es im Grunde schon gibt. ({10}) Die Hälfte eures Antrags will Dinge, die es schon gibt, und die andere Hälfte ist Quatsch. ({11}) Quatsch ist zum Beispiel, dass die Tilgungsfrist auf ein Jahr verkürzt werden soll. Das heißt im Klartext, dass die Präventivwirkung des ganzen Systems halbiert wird. Das ist doch nicht verantwortliche Sicherheitspolitik, das kann man doch nicht im Ernst wollen. ({12}) Ich möchte zum Schluss kommen und die Redezeit nicht ausschöpfen, weil im Wesentlichen alles bereits gesagt worden ist, nur noch nicht von allen. Ich finde, die FDP macht mit diesem Antrag hier eine Show, und zwar - das ist jetzt nicht mehr lustig - letztlich zulasten der Verkehrssicherheit, wie es der Kollege Börnsen zu Recht ausgeführt hat. Sich angesichts der noch immer zu verzeichnenden Zahlen - hinter jeder Zahl verbirgt sich ein persönliches Schicksal, ein Schicksal von Menschen, von Kindern womöglich, die Opfer von Verkehrsunfällen wurden, Opfer von Ordnungswidrigkeiten, Opfer auch von Straftaten im Straßenverkehr - nicht um einen einzigen sachlichen Grund zu bemühen, sondern leichtfertig zu sagen: „Weil das Amt 50 Jahre alt wird, gibt es eine Generalamnestie“, das ist nicht Politik, das ist Show. So muss das genannt werden. ({13}) Abschließend nenne ich einen weiteren Grund, lieber Kollege Horst Friedrich, aus dem ich diesem Antrag nicht zustimmen werde: Ich selbst habe nämlich ein Konto mit null Punkten. Und was bekomme ich zu dem famosen Jubiläum? Ich bin im Straßenverkehr bisher nicht auffällig geworden und werde daher nicht belohnt. Alle anderen jedoch, die auffällig wurden, erhalten noch eine Gratifikation, nur weil das Kraftfahrt-Bundesamt 50 Jahre alt wird? Das ist nicht Politik, sondern wirklich Quatsch. ({14})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat der Kollege Winfried Wolf für die PDS-Fraktion das Wort.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen! Werte Kollegen! Werter Kollege Friedrich, ich glaube, wir können nichts dagegen haben, dass Bürokratie abgebaut und dass entrümpelt wird. Ich glaube aber, dass von den letzten drei Rednern das Wichtigste gesagt wurde: dass der Antrag gnadenlos populistisch und rechtsstaatlich gesehen zumindest fragwürdig ist. ({0}) Ich glaube, dass Ihr Wort, Herr Friedrich, wonach der deutsche Autofahrer die Melkkuh der Nation sei, aus dem Munde eines Abgeordneten, der 16 Jahre als - nach eigenen Worten - „Melker vom Dienst“ regiert hat, etwas skurril klingt. ({1}) Der ACE - der Auto Club Europa - hat am 5. November dazu - ähnlich, wie sich Kollegin Rita Streb-Hesse äußerte - Folgendes geschrieben - ich zitiere -: Mittels Nachschulungen besteht bereits heute die Möglichkeit, den Punktestand in Flensburg abzutragen. Dieses sinnvolle System wird mit dem FDP-Antrag durch eine Amnestie hinfällig. ({2}) Er schreibt weiter: Die FDP will offenbar den Kreuzungsverkehr bei gelb geschalteter Ampel salonfähig machen. ({3}) Apropos Rechtsstaat: Man muss sich wirklich einmal überlegen, was es bedeutet, wenn man sagt, der Anlass sei das 50-jährige Bestehen der Flensburger Verkehrssünderkartei. Ein Register gibt sich die Ehre, wegen seines 50-jährigen Bestehens eine Teillöschung vorzunehmen. Man fragt sich: Was ist in 60 Jahren, was in 75 Jahren? ({4}) Gibt es dann vielleicht eine Verdoppelung der Bonuspunkte oder einen Tag mit Alkohol am Steuer straffrei, einen „Wiesheu-Rabatt“? Das alles sind Fragen, die sich der ernsthafte Zuhörer hier stellt. ({5}) Albert Schmidt ({6}) Ich glaube, dass der Kollege Börnsen richtigerweise auf die Situation in Frankreich und auf die nachweisbare Statistik hingewiesen hat, wonach, da Chirac jetzt klassischerweise wieder ankündigt, dass er im Falle seiner Wahl eine Amnestie veranlassen werde, schon jetzt Macho-Gehabe an den Tag gelegt wird, die Aggressivität steigt und der gewöhnliche sterbliche Franzose bzw. die Französin auf der Straße die Sau rauslässt. ({7}) Ich glaube, es gäbe genügend Gründe, Kollege Friedrich und andere, in Bezug auf das Thema Verkehr ernsthafte Fragen aufzuwerfen, auch in dem Bereich, der hier genannt wurde. Gerhard Mauz, der berühmte Gerichtskorrespondent, hat sich jüngst im „Tagesspiegel“ mit dem Satz zu Wort gemeldet: Der Tod im Verkehr ist längst zum Absterben des Gefühls für Recht und Unrecht geworden. Und er stellt die Frage, wie es kommen kann, dass unsere Zivilgesellschaft die meisten Toten, die nicht auf natürliche Weise aus dem Leben scheiden, im Verkehrssektor hat, während es bis 1918 die durch Ertrinken zu Tode Gekommenen waren. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg waren die durch Mord und Totschlag Verstorbenen noch weit zahlreicher als die im Straßenverkehr Getöteten. Jetzt haben wir trotz Rückgang der Gesamtzahl der Getöteten sechs- bis siebenmal mehr im Verkehrssektor als durch Mord und Totschlag Getötete. Man könnte auch den Aspekt der beteiligten Geschlechter, den Herr Börnsen genannt hat, ausbauen und sagen: Nicht nur in der Kartei zeichnet sich ein Verhältnis von 20 Prozent Frauen zu 80 Prozent Männern ab, sondern auch bei den im Straßenverkehr Getöteten waren nur 20 Prozent Frauen, die am „gegnerischen“ Steuer saßen, 80 Prozent jedoch Männer. Das heißt: Töten im Straßenverkehr ist Männersache. Die Frage ist allerdings nicht: „Ist das genetisch bedingt?“, sondern das hat konkret etwas mit der Gesellschaft zu tun und könnte auch entsprechend geändert werden. Ich glaube, dass Sie, Herr Kollege Friedrich, und die anderen Kollegen der FDP ein weites Feld vor sich haben. Über manche Unterschrift unter dem vorliegenden Antrag - auch über die von Ihnen, Herr Kollege van Essen habe ich mich gewundert; denn ich finde diesen Antrag wirklich unsinnig. Die Aufgabe, auf dem Gebiet des Verkehrs etwas zu ändern, ist ein Feld, das beackert werden sollte. Dem vorliegenden Antrag aber sollte man ein Begräbnis erster bzw. zweiter Klasse angedeihen lassen. Danke schön. ({8})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/6963 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Damit sind Sie einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modulation von Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik ({0}) - Drucksache 14/7252 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land- wirtschaft Ich eröffne die Aussprache. Alle Reden sind zu Proto- koll gegeben1). Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 14/7252 an den in der Tagesordnung aufgeführten Ausschuss vorgeschlagen. Damit sind Sie einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 sowie Zusatzpunkt 7 auf: 11. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Adam, Wolfgang Börnsen ({1}), Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Abschaffung der Kapazitätsbeschränkungen für Werften in Mecklenburg-Vorpommern - Drucksache 14/6950 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2}) Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel, Dr. Ditmar Staffelt, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Andrea Fischer ({3}), Werner Schulz ({4}), Kerstin Müller ({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Faire Wettbewerbsbedingungen für die Werftindustrie in Mecklenburg-Vorpommern - Drucksache 14/7295 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({6}) Auswärtiger Ausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss 1) Anlage 3 Ich eröffne die Aussprache. Alle Reden sind zu Proto- koll gegeben1). Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/6950 und 14/7295 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Damit sind Sie einverstanden? - Dann ist die Überwei- sung so beschlossen. Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf: 12 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung - Drucksache 14/5429 ({7}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({8}) - Drucksache 14/7279 Berichterstattung: Abgeordnete Margot von Renesse Ronald Pofalla Volker Beck ({9}) Rainer Funke Sabine Jünger b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({10}) - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen - zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Eichhorn, Ilse Falk, Renate Diemers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Ankündigungen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen umsetzen - zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Bläss, Monika Balt, Maritta Böttcher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Frauenrechte sind Menschenrechte - Gewalt gegen Frauen effektiver bekämpfen - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Entschließung des Europäischen Parlaments zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament „Weitere Maßnahmen zur Bekämpfung des Frauenhandels“ KOM ({11}) 726 - C5-0123/1999 - 1999/2125 ({12}) ({13}) - Drucksachen 14/2812, 14/5093, 14/5455, 14/4170 Nr. 1.1, 14/6902 - Berichterstattung: Abgeordnete Renate Gradistanac Irmingard Schewe-Gerigk Christina Schenk Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Ent- schließungsantrag der Fraktion der PDS vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre kei- nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Der Kollege Pofalla sowie Frau Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2) Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPDFraktion der Kollegin Anni Brandt-Elsweier das Wort.

Anni Brandt-Elsweier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000247, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wo Menschen miteinander leben, da streiten sie auch. Leider geht es dabei nicht immer gewaltfrei zu. Dabei ist das Phänomen der Gewalt in allen gesellschaftlichen Schichten zu finden. Es tritt sowohl bei Deutschen als auch bei Ausländern auf und ist weder ein Unterschichtproblem noch ein spezifisch großstädtisches Phänomen. Meist sind Frauen die Hauptbetroffenen. Sie sind auch die Leidtragenden von Prostitutionstourismus und internationalem Frauenhandel, den zu bekämpfen wir alle aufgerufen sind. Deshalb freue ich mich, dass gestern in den Ausschüssen der Koalitionsantrag „Prävention und Bekämpfung von Frauenhandel“ einstimmig verabschiedet worden ist. ({0}) Die betroffenen Frauen, die in der Regel aus Not und Verzweiflung zu uns kommen, werden häufig ausgebeutet und von skrupellosen Geschäftemachern wie Ware gehandelt. Hier gilt es, die Frauen zu schützen und die Täter zu verurteilen. ({1}) Da dies ohne die Zeugenaussagen der Opfer nicht möglich ist, ist es notwendig, dass die betroffenen Frauen, die den Mut zur Aussage haben, einen Abschiebeschutz und unter bestimmten Voraussetzungen auch ein Bleiberecht erhalten. ({2}) Für ausländische Frauen ist die Situation häufig dop- pelt belastend, da sie oft einen ungeklärten Aufenthalts- status haben. Die Novellierung des § 19 des Ausländerge- Vizepräsidentin Anke Fuchs 1) Anlage 4 2) Anlage 5 setzes, in dem das eigenständige Aufenthaltsrecht von Ehegatten geregelt wird, stellt hier eine eindeutige Verbesserung dar. Die allgemeine Wartefrist wurde von vier auf zwei Jahre herabgesetzt und die Härteklausel so umgestaltet, dass unerträgliche Lebenssituationen der Betroffenen berücksichtigt werden können. Die Zeiten, in denen eine Ausländerin neben ihrem prügelnden Mann ausharren musste, weil sie bei einer Trennung von ihm eine Ausweisung zu befürchten hatte, sind also endgültig vorbei. Ich möchte hier auch an die weltweiten Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen, wie zum Beispiel Massenvergewaltigung im Kriegsfall, genitale Verstümmelung oder die gnadenlose Unterdrückung der Frauen durch die Taliban in Afghanistan erinnern. Es ist deshalb notwendig, dass in einem Zuwanderungsgesetz zukünftig auch Opfer von nicht staatlicher Gewalt oder geschlechtsspezifischer Verfolgung einen besseren Flüchtlingsschutz erhalten. Es ist wirklich an der Zeit, die Entschließung des Deutschen Bundestages vom 31. Oktober 1990 umzusetzen. Wir werden die weltweiten Probleme nicht einfach lösen können, aber wir können jetzt dazu beitragen, dass den Frauen, die zu uns kommen und unsere Hilfe suchen, diese Hilfe gewährt wird. ({3}) Leider gehört auch für deutsche Frauen Gewalt noch zu ihrem Alltag: sei es am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit oder in der Partnerschaft. Mit dem Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen haben wir erstmals ein ressortübergreifendes, umfassendes Gesamtkonzept erfolgreich umgesetzt, um die unterschiedlichen Arten von Gewaltanwendung wirkungsvoll und nachhaltig bekämpfen zu können. Dabei geht es nicht nur um individuelle Hilfsangebote, sondern vor allem darum, strukturelle Veränderungen in unserem Rechtssystem, aber auch in der Gesellschaft zu erreichen. ({4}) Ich kann mit einiger Genugtuung sagen, dass wir in den letzten drei Jahren gute Arbeit geleistet haben. Im Rahmen der gesetzgeberischen Kompetenz haben wir zum Beispiel durch den Täter-Opfer-Ausgleich und das Gesetz zur gewaltfreien Erziehung eine deutliche Verbesserung für Gewaltopfer erreicht. ({5}) Das Kernstück des Aktionsprogramms ist das heute zu verabschiedende Gewaltschutzgesetz. Wir haben damit endlich eine wirksame Norm, die den misshandelten Frauen die Möglichkeit gibt, sich aus einer Gewaltsituation zu lösen, ohne ins Frauenhaus flüchten zu müssen. ({6}) Dieses Gesetz ist kein „Vorschlaghammer“, wie es der Sachverständige Bock in der Anhörung zu bezeichnen pflegte, sondern, verehrte Frau Justizministerin, für die Frauen ein Meilenstein in der Rechtsgeschichte. Dafür sind wir Ihnen dankbar. ({7}) Besonders wichtig finde ich, dass auch bei Belästigungen und Nachstellungen außerhalb einer Partnerschaft in Form des so genannten Stalking in Zukunft gerichtliche Schutzanordnungen die betroffenen Frauen wirksamer schützen können. Hier wird noch zu prüfen sein, ob die Regelung im Zivilrecht ausreicht oder eventuell noch eine strafrechtliche Ergänzung vorgenommen werden muss. Es wird für die Zukunft sicherlich noch viel zu tun bleiben. Aber wir haben eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um insbesondere Frauen in Zukunft besser gegen Gewalt und Misshandlung zu schützen. Wir sind damit auf einem guten Weg. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ilse Falk von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Ilse Falk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000513, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jährlich suchen circa 50 000 Frauen mit ihren Kindern Schutz in einem der bundesweit 453 Frauenhäuser bzw. in Frauenschutzwohnungen. Die gesellschaftlichen Kosten der Gewalt in engen sozialen Beziehungen werden auf 29 Milliarden DM geschätzt. Diese Zahlen sind übrigens aus dem SOLWODI-Rundbrief aus dem April letzten Jahres. Es ist daher keineswegs Ausdruck einer einäugigen Perspektive, wenn wir uns heute erneut mit der Gewalt gegen Frauen und Kinder beschäftigen, ohne zu verkennen, dass es ganz sicher auch Fälle gibt, in denen umgekehrt Männer von häuslicher Gewalt betroffen sind. Jeder von uns kennt die schrecklichen Schilderungen von Frauen, die oft nach jahrelangem Martyrium endlich den Mut gefunden haben, sich aus gewalttätigen Beziehungen zu befreien, und Schutz im Frauenhaus gesucht haben. Sie mussten aus der familiären Beziehung fliehen, die eigentlich für sie und ihre Kinder ein Hort der Geborgenheit sein sollte, und haben sich in die Obhut von Dritten geflüchtet, von denen sie Hilfe erhofften und auch bekamen. Das Gewaltschutzgesetz, dem auch unsere Fraktion ihre Zustimmung gibt, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Mit dem Platzverweis setzt der Staat ein Zeichen und unterstreicht: Gewalttätigkeit ist keine innerfamiliäre Angelegenheit und auch kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat. ({0}) Als Familienpolitikerin freut es mich, dass es in den Beratungen noch gelungen ist, in den vorliegenden Entwurf des Gesetzes explizit auch die Berücksichtigung des Kindeswohls aufzunehmen, das heißt, nach § 2 Abs. 6 des Gewaltschutzgesetzes kann die bedrohte Person die Überlassung der Wohnung auch verlangen, wenn das Wohl von im Haushalt lebenden Kindern beeinträchtigt ist. Kinder leiden sehr unter dem Miterleben der Gewalt gegen die Mutter. Da häufig in der Praxis der Gerichte und auch in der der Jugendämter so lange kein Zusammenhang zwischen der Gewalt gegen die Mutter und einer möglichen Gefährdung des Kindes gesehen wird, wie die Kinder nicht selbst geschlagen werden, wird mit dieser klarstellenden Regelung anerkannt, dass das Kindeswohl bereits durch das Leben in gewaltgeprägten Lebensumständen beeinträchtigt wird. So wichtig die Möglichkeit ist, gegen den Täter einen Platzverweis auszusprechen: Sie ersetzt das Schutzangebot der Frauenhäuser nicht. Diese sind mit ihren Beratungs- und Begleitangeboten auch künftig unverzichtbar. Dies entspricht nicht nur den Erfahrungen in Österreich, sondern zum Beispiel auch den Modellversuchen in einzelnen Bundesländern, wie sie zum Beispiel in BadenWürttemberg durchgeführt werden. Uns allen ist bewusst, dass dieses Gesetz allein Gewalt gegen Frauen nicht verhindern kann und Frauen und Kinder weiterhin die Hauptleidtragenden in gewaltgeprägten Beziehungen bleiben. Aber es wird helfen, den gewalttätigen Familienvätern sehr deutlich zu machen, dass sie durch ihr eigenes Versagen auch selbst - schmerzlich spürbar - zu Leidtragenden werden. So ist zu hoffen, dass diese Maßnahmen zusätzlich eine präventive Wirkung entfalten werden. Zur wirksamen Bekämpfung der Gewalt gehört ein Gesamtkonzept, das bereits von der alten Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP auf den Weg gebracht wurde und das die rot-grüne Bundesregierung aufgegriffen hat und in ihrem Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen zusammengefasst und weiterentwickelt hat. Dieses Gesamtkonzept findet ausdrücklich unsere Billigung und Unterstützung. ({1}) Wir werden wie in der Vergangenheit so auch künftig darauf achten, dass die im Aktionsplan angekündigten Maßnahmen auch umgesetzt werden. Zu diesem Zweck hat meine Fraktion ihren Antrag eingebracht, der heute mit zur Entscheidung ansteht. Wir möchten so von der Bundesregierung erfahren, welche Pläne umgesetzt, welche angestoßen wurden und welche noch verwirklicht werden müssen. Wir wissen, dass vieles bereits auf den Weg gebracht wurde, möchten aber auch über die weiteren Ergebnisse informiert werden. Schwerpunkt im Gesamtkonzept ist für uns die Gewaltprävention. Dabei geht es in erster Linie nicht um Gesetze, sondern um die Verankerung von Werten und Handlungsoptionen, die für das Zusammenleben in der Gesellschaft wichtig sind. Hier fehlt es Eltern häufig an Kompetenz und Konfliktlösungsstrategien. Die Stärkung der Elternkompetenz ist einer der drei Punkte des Familienkonzepts der CDU/CSU. Welche Bedeutung diesem Vorhaben zukommt, zeigt sich immer stärker. Erzieher und Lehrer beklagen das mangelnde Unrechtsbewusstsein bei Anwendung von Gewalt. Kinder akzeptieren oft keine Grenzsetzung hinsichtlich ihres eigenen Handelns und können mit Verboten und Misserfolgen nicht umgehen. Eltern fühlen sich überfordert, ihren Kindern Grenzen zu setzen, weil sie selbst ohne Grenzsetzung aufgewachsen sind. Hier müssen wir in Zukunft verstärkt und vor allem frühzeitig Maßnahmen ergreifen. Wir lassen uns aber nicht entmutigen. Wir werden weiter kämpfen und mit kommunalen und regionalen runden Tischen gegen Gewalt und anderen Initiativen die Probleme aufdecken und bewusst machen. Mit der heutigen Verabschiedung des Gewaltschutzgesetzes bringen wir einen weiteren wichtigen Mosaikstein des Gesamtkonzepts auf den Weg. So viel aus meiner Sicht zu diesem Thema. Ich möchte noch ergänzen, dass der Kollege Pofalla aus der Sicht des Rechtspolitikers Stellung genommen hat. Er musste seine Rede zu Protokoll geben, weil er aufgrund der gewaltigen Verschiebung der Tagesordnung in große Terminkonflikte gekommen ist. Wir haben uns also auch aus rechtspolitischer Sicht dazu geäußert. Das ist nicht vergessen worden. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk vom Bündnis 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gewalt gegen Frauen ist keine Privatsache. Gewalt gegen Frauen ist ein Problem der inneren Sicherheit. Das wurde allerdings nicht immer so gesehen. Viel zu lange waren Justiz und Polizei auf einem Auge blind und haben entsprechende Fälle als Privatangelegenheit oder Familienstreit angesehen. Wenn sie eingegriffen haben, waren sie nicht selten parteilich, meist zugunsten der Männer. Dass dies heute in den meisten Fällen nicht mehr so ist, haben wir unter anderem den Interventionsprojekten wie zum Beispiel der Berliner Initiative „Gewalt gegen Frauen“, aber auch den Frauenhäusern und Beratungsstellen zu verdanken, die das Thema nicht nur aus der Tabuzone geholt haben, sondern auch sehr konkrete Vorschläge zur Prävention und Hilfsangebote gemacht haben. So war es naheliegend, dass die rot-grüne Bundesregierung kurz nach Beginn ihrer Amtszeit einen Aktionsplan zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen beschlossen hat, der den unterschiedlichen Formen von Gewalt Rechnung trägt. Der gesetzgeberische Schwerpunkt liegt dabei in dem verbesserten Schutz von Frauen im familiären Nahbereich. Ein solcher Schutz tut Not, denn nach Untersuchungen des Frauenministeriums wird geschätzt, dass es in jeder dritten Partnerschaft zu Gewalt kommt. Obwohl sich die Angst der meisten Frauen oftmals ausschließlich auf den öffentlichen Raum bezieht, sieht die statistische Realität anders aus: Die meisten Gewalttaten finden zu Hause in den Wohnungen statt, und zwar durch den Ehemann oder den Partner. Das heißt: Die eigenen vier Wände sind für die Frau der gefährlichste Ort. Gewalttaten in der Familie werden häufig aus Furcht oder Scham, aber auch aufgrund der bisherigen unklaren rechtlichen Lage polizeilich oder gerichtlich nicht bekannt. Die Folge ist: Viele Täter bleiben ohne Strafe. Ich sage hier bewußt „Täter“, obwohl mich in den letzten Monaten viele Briefe von Männern erreicht haben, die mir mitteilten, dass mehr Frauen ihren Männern körperliche Gewalt antun als umgekehrt. In der Anhörung zu dem Gesetzentwurf hatten wir das Vergnügen, dazu das wissenschaftliche Pendant zu hören. Die Männer entwickeln in diesem Zusammenhang plötzlich ein ganz sensibles Sprachempfinden. Sie sagen, das Gesetz sei ein reines Frauenschutzgesetz und diskriminiere Männer, da ja immer nur von Tätern, nicht aber von Täterinnen die Rede sei. Sicherlich gibt es auch Frauen, die ihren Partnern Gewalt antun. Ich finde das genauso verwerflich wie umgekehrt. Vielleicht sollten wir deshalb im Gesetz festhalten, dass Täter im Sinne des Gesetzes auch Täterinnen sind. ({0}) Fakt bleibt jedoch: Bei den Erwachsenen sind fast ausschließlich Frauen die Opfer und Männer die Täter sexueller Gewaltdelikte; soweit das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen 1998. Das Gesetz, das wir heute verabschieden, zeigt einen Perspektivwechsel: Nicht mehr die Frau und ihre Kinder müssen ihre Wohnung und die gewohnte Umgebung verlassen, sondern der Gewalttäter. Er erhält die rote Karte. Die Polizei sollte sich aber auch künftig in Fällen häuslicher Gewalt direkt mit den Beratungsstellen in Verbindung setzen, damit die gefährdete Frau unmittelbar Unterstützung und Beratung erhalten kann. Durch ein effektives polizeiliches Vorgehen in Zusammenarbeit mit den psychosozialen Beratungsstellen kann eine gelungene Interventionskette entstehen. Das sollte in jedem Fall Inhalt der Ländergesetze sein. In der Vergangenheit waren die Aktivitäten der Polizei bei häuslicher Gewalt auf Streitschlichtung und Deeskalation ausgerichtet. Der Fortbestand der Gewaltbeziehung zwischen Täter und Opfer wurde nicht in Frage gestellt. Bereits mehrere Länder haben ihre Polizeigesetze dem neuen Gewaltschutzgesetz angepasst. Ich nenne als Beispiele die Länder Mecklenburg-Vorpommern und BadenWürttemberg. In Nordrhein-Westfalen geht ein entsprechender Gesetzentwurf in die zweite und dritte Lesung. Wie ich höre, will auch Bayern ab dem nächsten Jahr neue Polizeirichtlinien für ein verändertes polizeiliches Verhalten einführen. ({1}) - Ja, auch Bayern. Applaus. Insofern wird den berechtigten Anliegen des PDS-Antrages Rechnung getragen. Wir haben uns im Laufe der Verhandlungen dafür stark gemacht, dass auch Kinder, wenn sie Opfer häuslicher Gewalt werden, durch das neue Gesetz geschützt werden. Unserer Meinung nach ist eine ausdrückliche „go-order“ auch in diesem Fall vorzusehen. Darum werden wir bei der Neuregelung des Kinderrechteverbesserungsgesetzes entsprechende Regelungen aufnehmen. Das wird sehr bald geschehen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, im Ausschuss haben wir dieses Gesetz einstimmig verabschiedet. Das ist nicht nur der guten Zusammenarbeit zwischen allen Fraktionen, sondern auch der Justizministerin und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihres Hauses zu verdanken. Ich finde, es ist ein gutes Zeichen, dass die Opfer nun das Recht auf ihrer Seite haben. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat nun die Kollegin Ina Lenke von der FDP-Fraktion.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir beraten heute über das Gesetz zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung. Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Es gibt Schätzungen, nach denen jede dritte Frau von häuslicher Gewalt betroffen ist und jede siebente in ihrem Leben sexuelle Gewalt erfährt. Gerade die eigenen vier Wände - das ist hier schon gesagt worden - können also für Frauen zu einem sehr gefährlichen Ort werden. Die Vorläufer des Gesetzentwurfs stammen aus Österreich. Dort hat das Parlament bereits 1996 ein ähnliches Gesetz verabschiedet, das Regelungen gegen Gewalt gegen nahe Angehörige und zum Verlassen der gemeinsamen Wohnung durch den gewalttätigen Partner enthält. Wir, die FDP-Bundestagsfraktion, begrüßen das Gesetz und werden ihm zustimmen. Wenn in Deutschland jährlich mehr als 40 000 Frauen in 450 Frauenhäusern Zuflucht suchen, dann ist die Dunkelziffer im Bereich häuslicher Gewalt wirklich sehr hoch; denn erst dann, wenn der Leidensdruck für die Frauen nicht mehr auszuhalten ist, flüchten sie ins Frauenhaus. Als ich mich in den 90er-Jahren in meinem Landkreis für die Einrichtung eines Frauenhauses eingesetzt habe, waren die Widerstände noch groß. Durch die Einrichtung von Frauenhäusern in allen Teilen des Bundesgebiets wurde häusliche Gewalt aus der Tabuzone herausgenommen. Wenn das Gewaltschutzgesetz, das wir heute verabschieden wollen, in Kraft tritt, wird es zum Aufenthalt in den Frauenhäusern noch eine Alternative geben. Das Gewaltschutzgesetz gibt den Opfern von häuslicher Gewalt nämlich das Recht, im persönlichen Umfeld zu verbleiben. Das hilft ganz besonders den Kindern. Nach Erlebnissen, die sicherlich traumatisch sind, können die Kinder nun in ihrem häuslichen Umfeld verbleiben und damit in der Nähe zur Schule wohnen oder den nahe gelegenen Kindergarten besuchen. Das Gesetz stärkt Kinder, die Gewalt miterleben müssen. Sie erfahren, dass Gewalt nicht siegt, sondern dass die vermeintlich Schwache Rechte hat und diese Rechte dann auch erhält. ({0}) Sie erleben dann, dass unser Staat sichtlich Schutz gewährt. Meine Damen und Herren, über das Gewaltschutzgesetz hinaus werden wir auf nationaler und internationaler Ebene Gewalt gegen Menschen, insbesondere gegen Frauen und Kinder, weiterhin ächten und aktiv an Problemlösungen arbeiten müssen: durch Prävention, durch Kooperation zwischen Institutionen sowie durch Vernetzung von Hilfsangeboten und durch andere wirksame Maßnahmen. Der Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ist das Versprechen der Bundesregierung, hier mehr zu tun. Hier hat die Bundesregierung in ihrem Verantwortungsbereich weiter gearbeitet. Aber auch die FDP-Bundestagsfraktion hat sich, wie die Kolleginnen von SPD und Grünen wissen, bei § 19 Ausländergesetz für Frauen mit Kindern für den in manchen Fällen so notwendigen Sozialhilfebezug eingesetzt. Aber Sie sind sicherlich einig mit mir, dass es da noch viel zu tun gibt. Hier sind ganz besonders die Maßnahmen gegen Frauenhandel oder gegen Zwangsprostitution zu nennen, welche meiner Meinung nach nur im Rahmen der Europäischen Union erfolgreich sein werden. Für mich sage ich Ihnen hier aber auch, dass ich Möglichkeiten für eine echte, nachhaltige Lösung dieses schwierigen Problems in absehbarer Zeit kaum sehe, dass wir also auch hier wahrscheinlich nur step by step etwas machen können. Der eingeschlagene Weg zeigt das ja auch. Meine Damen und Herren, Frauenrechte sind Menschenrechte. Alle Maßnahmen, die dies zum Ziel haben, wird die FDP-Bundestagsfraktion unterstützen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Bläss von der PDS-Fraktion.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen Verabschiedung des Gewaltschutzgesetzes wird in der Tat ein Tabu gebrochen. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass damit ein jahrzehntelanger Kampf für den Schutz von Frauen vor Gewalt ein Stück weit belohnt wird. ({0}) Dieses Gesetz ist ein wichtiger Beitrag dazu, dass gesellschaftlich endlich anerkannt wird, dass Gewalt im häuslichen Bereich - einige Kolleginnen haben es in dieser Debatte schon gesagt - nichts ist, was niemanden angeht. Dieses Gesetz ist ein Instrument, das Frauen in den eigenen vier Wänden besser vor der Gewalt ihrer Partner schützt; denn die Wegweisung aus der gemeinsamen Wohnung kann für den Täter in der Tat spürbare Folgen haben. Wir alle verbinden mit der Verabschiedung dieses Gesetzes die Hoffnung, dass mehr Frauen als bisher ermuntert werden, sich gegen Gewalttäter zur Wehr zu setzen. Über die Bedeutung dieses Gesetzes herrscht Konsens im Hohen Hause. Ich halte es für ein sehr gutes Signal, dass das Gesetz tatsächlich parteiübergreifend verabschiedet werden wird. Ich möchte auch hervorheben, dass die ressortübergreifende Zusammenarbeit mit dem Bundesjustizministerium und mit dem Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - auch für andere Gesetzgebungsverfahren - wirklich beispielgebend war. ({1}) Die Anhörung hat deutlich gemacht, dass es viele juristische Einzelregelungen gibt, die nicht so einfach sind. Es kann durchaus sein, dass sich in der Praxis Änderungsnotwendigkeiten ergeben und noch Klarstellungen vorzunehmen sind. Ich möchte dies anhand von sechs Punkten erläutern. Erstens. Es gibt Zweifel, ob die vorsätzliche Verletzung als Tatbestand ausreicht. Gerichtliche Maßnahmen müssten schon bei einer erheblichen Beeinträchtigung der Schutzgüter greifen. Zweitens. Neben der physischen Gewalt muss meines Erachtens auch psychische Gewalt als Wegweisungsgrund ins Gesetz aufgenommen werden. Wir haben hier schon über den erweiterten Gesundheitsbegriff diskutiert. Drittens. Die Dreimonatsfrist für Opfer, in der sie die Überlassung der Wohnung schriftlich verlangen können, kann unter Umständen zu kurz sein, insbesondere bei jahrelangen Gewaltbeziehungen. Man sollte über eine Verlängerung auf sechs Monate nachdenken. Viertens. Es ist schon hervorgehoben worden, dass die Berücksichtigung des Kindeswohls in viele Paragraphen Einzug gehalten hat. Das wäre auch im Hinblick auf die Verlängerung der Frist für die Wohnungsüberlassung wichtig. Nötig ist eine entsprechende Anpassung im Kindschaftsrecht. Fünftens. Die Last, eine neue Wohnung zu suchen, sollte in der Regel beim Täter liegen - das ist eigentlich Konsens gewesen -; das betrifft auch die Übernahme der Kosten bei der Wohnungssuche und beim Umzug. Sechstens. Verstöße gegen das Rückkehrverbot bzw. Belästigungen durch Nachstellungen sollten ebenfalls unter Strafe gestellt werden. ({2}) Mit dem Gewaltschutzgesetz sind die notwendigen zivilrechtlichen Regelungen auf Bundesebene getroffen worden. Jetzt sind die Länder gefordert, und zwar auf zwei Ebenen: zum einen hinsichtlich der Änderung der Polizei- und Sicherungsgesetze - hierbei ist es wichtig, auf die österreichischen Erfahrungen zurückzugreifen -, zum anderen hinsichtlich der finanziellen Ausstattung der Frauenhäuser. Frau Kollegin Falk hat auf den hohen Auslastungsgrad dieser Einrichtungen schon aufmerksam gemacht. Es geht nicht um die Alternative „Wegweisung oder Frauenhaus“; es muss vielmehr beides geben. Es stimmt mich durchaus optimistisch, dass wir diesen Gesetzentwurf an demselben Tag verabschieden, an dem wir das Fakultativprotokoll zum CEDAW-Abkommen endlich ratifizieren. Das ist ein hoffnungsvolles Signal für uns alle. Danke. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung, Drucksachen 14/5429 und 14/7279. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. ({0}) Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/7327. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung der PDS-Fraktion gegen die Stimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt. Tagesordnungpunkt 12 b: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 14/6902. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, in Kenntnis des Aktionsplans der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen auf Drucksache 14/2812 und der Entschließung des Europäischen Parlaments zu der Mitteilung der Kommission mit dem Titel „Weitere Maßnahmen zur Bekämpfung des Frauenhandels“, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Entschließung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Entschließung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP und der PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5093 mit dem Titel „Ankündigungen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen umsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/5455 mit dem Titel „Frauenrechte sind Menschenrechte - Gewalt gegen Frauen effektiver bekämpfen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU gegen die Stimmen der PDS und bei Enthaltung der FDP angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau - Drucksache 14/7009 ({1}) - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Entschließung vom 22. Mai 1995 zur Änderung des Übereinkommens vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau - Drucksache 14/7011 ({2}) - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Fakultativprotokoll vom 6. Oktober 1999 zum Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau - Drucksache 14/7012 ({3}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4}) - Drucksache 14/7334 - Berichterstattung: Abgeordnete Renate Gradistanac Renate Dietmers Ina Lenke Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre ge- rade, dass alle Reden zu Protokoll gegeben werden sol- len.1) Gibt es dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau auf Drucksache 14/7009. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7334, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Beides ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Wir stimmen nun über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu der Entschließung vom 22. Mai 1995 zur Änderung des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau auf Drucksache 14/7011 ab. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7334, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist wiederum einstimmig angenommen. Schließlich stimmen wir über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Fakultativprotokoll vom 6. Oktober 1999 zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau auf Drucksache 14/7012 ab. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7334, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist wiederum einstimmig angenommen. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({5}) - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Friedrich Bohl, Peter Letzgus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Klaus Kinkel, Hildebrecht Braun ({6}), Rainer Brüderle, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Klaus Riegert, Friedrich Bohl, Peter Letzgus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Doping im Spitzensport und Fitnessbereich - Drucksachen 14/2769, 14/2918, 14/1032, 14/1867, 14/7004 - Berichterstattung: Abgeordnete Dagmar Freitag Klaus Riegert Dr. Klaus Kinkel Auch hier sollen alle Reden zu Protokoll gegeben wer- den2). Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Sportausschusses auf Drucksache 14/7004. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Entschließungsantrages der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/2769 zu ihrer Großen Anfrage mit dem Titel „Doping im Spitzensport und Fitnessbereich“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP bei Enthaltung der PDS angenommen. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Entschließungsantrages der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/2918 zu der eben genannten Großen Anfrage. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS angenommen. Schließlich empfiehlt der Sportausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7004 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU und FDP angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Medizinproduktegesetzes ({7}) - Drucksache 14/6281 ({8}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({9}) - Drucksache 14/7331 - Berichterstattung: Abgeordnete Monika Knoche Auch hier sollen alle Reden zu Protokoll genommen werden3). Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Medizinproduktegesetzes, Drucksachen 14/6281 und 14/7331. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms 1) Anlage 6 2) Anlage 7 3) Anlage 8 zeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Ge- setzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig an- genommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Ge- genstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Tierschutzbericht 2001 der Bundesregierung - Drucksache 14/5712 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({10}) Rechtsausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marianne Klappert, Brigitte Adler, Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi Lemke, Kerstin Müller ({11}), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Verbesserungen im Tierschutz national und europaweit vorantreiben - Drucksache 14/7180 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({12}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung Alle Reden sollen zu Protokoll genommen werden1). Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/5712 und 14/7180 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 c sowie Zusatzpunkt 8 auf: 17.a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Blank, Dr. Hans-Peter Uhl, Dagmar Wöhrl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Instandhaltungswerke der Deutschen Bahn AG in Nürnberg und München erhalten - Drucksache 14/7147 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({13}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung b) Beratung des Antrags der Abgeodneten Horst Friedrich ({14}), Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Neues Konzept für Ausbesserungswerke der Deutsche Bahn AG vorlegen - Drucksache 14/7158 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({15}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heide Mattischeck, Reinhard Weis ({16}), Karin Rehbock-Zureich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert Schmidt ({17}), Franziska Eichstädt-Bohlig, Helmut Wilhelm ({18}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Zukunft der Instandhaltungswerke der Deutschen Bahn AG - Drucksache 14/7179 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({19}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael Luther, Wolfgang Dehnel, Dirk Fischer ({20}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Instandhaltungswerke der Deutschen Bahn AG in Delitzsch, Chemnitz, Opladen und Zwickau erhalten - neue Investoren für Stendal, LeipzigEngelsdorf und Neustrelitz - Drucksache 14/7282 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({21}) Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für. Angelegenheiten der neuen Länder Auch hier sollen alle Reden zu Protokoll genommen werden2). Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/7147, 14/7158, 14/7179 und 14/7282 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor- geschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms 1) Anlage 9 2) Anlage 10 Gesetzes zur Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes - Drucksache 14/5927 ({22}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({23}) - Drucksache 14/7244 - Berichterstattung: Abgeordneter Peter Bleser b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({24}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Ulrike Flach, Marita Sehn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Innovationspotenzial moderner Technologien für mittelständische Pflanzenzüchter erhalten - Drucksachen 14/2297, 14/5907 Berichterstattung: Abgeordneter Heino Wiese ({25}) Alle Reden sollen zu Protokoll genommen werden1). Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes, Drucksachen 14/5927 und 14/7244. Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernäh- rung und Landwirtschaft empfiehlt unter Nummer I sei- ner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol- len, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegen- stimmen von CDU/CSU und FDP sowie bei Enthaltung der PDS angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Ge- genstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor ange- nommen. Unter Nummer II seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7244 empfiehlt der Ausschuss die An- nahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent- hält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS bei Gegenstimmen von CDU/CSU und FDP. Tagesordnungspunkt 18 b: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf Drucksache 14/5907 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Innovationspotenzial moderner Technologien für mittelständische Pflanzen- züchter erhalten“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/2297 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthal- tungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS bei Gegenstimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Heidemarie Ehlert, Dr. Uwe-Jens Rössel, Roland Claus und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes - Drucksache 14/4438 ({26}) aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({27}) - Drucksache 14/5215 - Berichterstattung: Abgeordnete Heinz Seiffert bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({28}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 14/5218 - Berichterstattung: Abgeordnete Hans Jochen Henke Oswald Metzger Dr. Günter Rexrodt Dr.Uwe-Jens Rössel b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Heidemarie Ehlert, Dr. Uwe-Jens Rössel, Roland Claus und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes - Drucksache 14/4437 ({29}) aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({30}) - Drucksache 14/5211 - Berichterstattung: Abgeordnete Nina Hauer bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({31}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 14/5212 - Berichterstattung: Abgeordnete Hans Jochen Henke Oswald Metzger Dr. Günter Rexrodt Dr.Uwe-Jens Rössel Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms 1) Anlage 11 Alle Reden bis auf eine sollen zu Protokoll genommen werden1). Die Kollegin Barbara Höll möchte Ihre Ausführungen mündlich vortragen. Dazu gebe ich ihr jetzt das Wort.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eigentlich eine komfortable Situation für mich: Ich kann Ihnen zwei Gesetzentwürfe der PDS zur Änderung des Einkommensteuergesetzes vorstellen. Sie können sich von mir überzeugen lassen und diesen Gesetzentwürfen zustimmen. ({0}) In unserem ersten Gesetzentwurf geht es um Änderungen bei den Arbeitnehmerabfindungen. Wir wollen die Freigrenzen so hoch setzen, dass 48 000 DM bei Abfindungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steuerfrei bleiben. Bei denjenigen, die bereits das 50. Lebensjahr vollendet haben, wollen wir die Freigrenze auf 60 000 DM anheben. Der zweite Gesetzentwurf beinhaltet, die zweijährige Befristung der Absetzbarkeit der doppelten Haushaltsführung aufzuheben. Ich denke, unsere Gesetzentwürfe sind relativ übersichtlich und auch für Nichtfinanzpolitikerinnen und Nichtfinanzpolitiker, die derzeit nicht so zahlreich im Plenum vertreten sind, nachzuvollziehen. ({1}) Sie können deshalb auch zustimmen. ({2}) Zum ersten Gesetzentwurf. Wir erhalten ständig Botschaften aus der Wirtschaft, die belegen, dass die Arbeitslosenzahlen nicht zurückgehen, sondern ansteigen. Siemens plant den Abbau von 12 000 Stellen und Privatbanken von 20 000 Stellen. Das Handwerk rechnet damit, dass in diesem Jahr insgesamt 200 000 Stellen wegfallen. Diese aktuellen Zahlen belegen eindeutig, dass es für Menschen immer schwerer wird, überhaupt Arbeit zu finden. Das gilt erst recht für Arbeit an ihrem Wohnort. Das heißt, dass viele Menschen darauf angewiesen sind, flexibel zu sein. Sie müssen herumfahren und schauen, wo sie überhaupt eine Arbeit erhalten können. Sie müssen deshalb oftmals eine Arbeit annehmen - sie sind froh, wenn sie es können - eben nicht an ihrem Wohnort, sondern in Gebieten, die weit von ihrem Wohnort entfernt sind. Derzeit betrifft das fast 400 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Bundesrepublik. Natürlich entstehen ihnen hohe Kosten, wenn sie eine zweite Wohnung unterhalten müssen. Diese Kosten für eine zweite Wohnung sind steuerlich geltend zu machen, aber leider nur für zwei Jahre. Genau darum geht es. Es ist eine unsoziale Regelung, die erst 1996 unter der schwarzen Regierung ins Steuerrecht eingeführt wurde. Rot-Grün hat jetzt die Möglichkeit, diese unsoziale Regelung endlich aus dem Steuerrecht zu streichen. ({3}) Wir haben darüber im Ausschuss und auch hier im Plenum bereits diskutiert. Oftmals wird gesagt, innerhalb von zwei Jahren könne man den Wohnort wechseln. Das geht eben nicht so einfach, aufgrund des föderalen Systems der Bundesrepublik. Ich selber komme aus Sachsen. Meine beiden Kinder sind schulpflichtig, besuchen das Gymnasium und werden ihr Abitur nach zwölf Jahren ablegen. Wenn ich jetzt nach Baden-Württemberg ziehen würde, müssten sie auf einmal 13 Jahre zur Schule gehen. Umgekehrt würde es natürlich noch schwieriger. Wenn Sie mit schulpflichtigen Kindern aus Baden-Württemberg nach Sachsen oder Thüringen ziehen wollen, haben Sie ein Riesenproblem, weil dann die zwölfjährige Schulpflicht gar nicht zu realisieren ist. Das ist ein Beispiel dafür, wie schwierig es ist, eine solche Umzugsmentalität zu fördern. Zweitens ist es auch wichtig und richtig, wenn wir akzeptieren, dass Menschen in ihrem gewohnten sozialen Umfeld bleiben wollen. Es geht oftmals um die Betreuung und Pflege von Verwandten, der Eltern zum Beispiel. Das ist etwas, was wir auch fördern möchten. Es geht darum - auch das fordern wir mit unserem Entwurf -, dieses Recht auch für Singles zu verwirklichen; denn auch sie haben, auch ohne den Trauschein nachweisen zu können, solche sozialen Beziehungen und Bindungen, die sie an ihrem Wohnort halten. Wir meinen, es kann nicht sein, dass durch das Steuerrecht genau die Menschen bestraft werden, von denen oftmals Mobilität und Flexibilität gefordert werden. Das ist unsozial und falsch und sollte endlich gestrichen werden. ({4}) Der zweite Punkt unseres Antrags betrifft die Abfin- dungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Hier muss ich leider meine Kollegen und Kolleginnen der SPD daran erinnern, dass sie uns im Rahmen der Beratungen zur Unternehmensteuerreform und zur Reform der Ein- kommensteuer versprochen haben, das, was sie für Un- ternehmer im Steuerrecht verwirklicht haben, schnellst- möglich auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nachzuvollziehen. Wir haben nach der Unternehmensteu- erreform die Rechtssituation, dass Unternehmerinnen und Unternehmer beim Ausscheiden aus dem Berufsleben ei- nen Freibetrag von 100 000 DM haben und der Betrag, der bei der Veräußerung oder Aufgabe des Betriebes darüber hinausgeht, nur mit dem halben Steuersatz belegt wird. Dem kann man folgen, weil es hier auch für Unterneh- merinnen und Unternehmer um Alterssicherung geht. Wenn man das einmal im Leben verwirklicht, ist das steuerrechtlich zu vertreten. Bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sind die steuerlichen Freibeträge seit 1999 massiv nach unten ge- gangen. Sie betragen nur noch 16 000 DM. Wenn man das 50. bzw. 55. Lebensjahr erreicht hat, steigen sie etwas gestaffelt, aber auch nur bis auf 24 000 DM. Für Beamte gibt es sogar noch die Regelung, dass man einen langen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren im Beamtendienstverhält- nis nachweisen muss. Es kann ja wohl nicht sein, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch Sie wesentlich schlechter behan- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms 1) Anlage 12 delt werden als Unternehmer und Unternehmerinnen. Wir wissen alle, dass es ab dem 50. Lebensjahr extrem schwierig wird, wieder eine Arbeit zu erhalten. Oft sagen mir Bekannte, ich bin 48 Jahre alt und habe gar keine Chance, mir etwas anderes zu suchen, obwohl ihre Arbeitsbedingungen, gerade in den neuen Bundesländern, oft an Mobbing grenzen. Sie sagen, ich bin froh, noch hier sein zu dürfen. Wenn Menschen in solch einer Situation aus verschiedensten Gründen ihre Arbeit verlieren, haben sie vielleicht noch das Glück, dass sie mit ihrem Arbeitgeber über eine Abfindung verhandeln können. Vielfach heißt das aber - wie Sie wissen -, dass sie auf einen Aufhebungsvertrag eingehen müssen, um überhaupt eine Abfindung zu bekommen. Das bedeutet aber, dass sie drei Monate kein Arbeitslosengeld erhalten. Diese Menschen müssten dann zumindest die Möglichkeit haben, einen größeren Teil der Abfindung steuerfrei behalten zu können. Das wäre nur ein Gleichziehen, das sich sowohl steuerrechtlich als auch in sozialer Hinsicht begründen ließe. Ich erwarte, dass Rot-Grün das Versprechen einlöst, das Sie uns in den Beratungen zur Reform der Unternehmensteuer gegeben haben, und hier endlich die Ungleichbehandlung beendet wird. Insoweit müssten Sie unserem Gesetzentwurf zustimmen können. Ich bedanke mich. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der PDS zur Änderung des Einkommensteuergesetzes auf Drucksache 14/4438. Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/5215, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Zustimmung der PDS-Fraktion und Gegenstimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 19 b: Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der PDS zur Änderung des Einkommensteuergesetzes auf Drucksache 14/4437. Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/5211, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Zustimmung der PDS-Fraktion, Enthaltung der FDP-Fraktion und Gegenstimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSUFraktion abgelehnt. Damit entfällt auch hier nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe Zusatzpunkt 9 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung des Gesetzes zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau - Drucksache 14/7238 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0}) Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Alle Reden sollen zu Protokoll genommen werden1. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/7238 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes - Drucksache 14/7283 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({1}) Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Auch hier sollen alle Reden zu Protokoll genommen werden2. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/7283 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 9. November 2001, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.