Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Danke, Herr Minister.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem aufgerufenen Themenkomplex zu stellen, und bitte um Wortmeldungen. Ich erteile Herrn Kollegen Eckart von Klaeden das Wort.
Herr Minister,
zunächst herzlichen Dank für Ihren Bericht.
Ich habe zwei Fragen, und zwar zunächst eine rechtliche Frage: Es gibt ja Streit darüber, wie ein dem Anschlag
auf das World Trade Center vergleichbarer Fall in
Deutschland verfassungsrechtlich zu fassen wäre. Also:
Wie kann ein Angriff mit einem zivilen Flugobjekt auf ein
ziviles Ziel verhindert werden? Das ist meine erste Frage.
Meine zweite Frage bezieht sich auf die Regelanfrage
beim Verfassungsschutz bei Einbürgerungen oder bei der
Erteilung eines längeren Aufenthaltstitels. Wird es diese
Regelanfrage geben oder nicht?
Vielleicht
darf ich zunächst Ihre zweite Frage beantworten: Sie wissen, dass wir im Rahmen der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts eine Verschärfung vorgesehen haben. Ich will
mich auch noch einmal dafür bedanken, dass Herr Kollege
von Klaeden dieses Vorhaben positiv begleitet hat.
Ich glaube, es ist notwendig, Ausländern nur unter der
Voraussetzung, dass sie eine klare Loyalität zu unserem
Grundgesetz, zu unserer Verfassung, unter Beweis stellen,
den Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang haben wir mehrere
Maßnahmen vorgesehen: eine Loyalitätserklärung und
zugleich eine Überprüfung, ob die Verfassungstreue gewährleistet ist. Wir haben es den Ländern überlassen, in
welcher Form sie das bewerkstelligen wollen. Viele Länder haben eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz vorgenommen. Inzwischen ist das praktisch ausnahmslos der
Fall, und zwar aufgrund einer Verabredung im Kreise der
Innenminister. Eine Ausnahme bilden die Länder, bei denen eine gesetzliche Regelung fehlt. Zu diesen Ländern
gehört beispielsweise Sachsen. Aber Sachsen hat inzwischen diese gesetzliche Lücke geschlossen und wird
aufgrund einer gesetzlichen Neuregelung die Regelanfrage beim Verfassungsschutz einführen.
Zu Ihrer ersten Frage: Ich weiß nicht, welches verfassungsrechtliche Problem Sie meinen.
({0})
- Sie meinen das also unter dem Gesichtspunkt des Einsatzes der Bundeswehr.
Ich glaube nicht, dass wir über das Thema der Terrorismusbekämpfung unter diesem Gesichtspunkt diskutieren sollten. Wir sollten - das habe ich mehrfach öffentlich
gesagt - unsere Bemühungen nicht darauf konzentrieren,
was zu tun ist, wenn sich ein Zivilflugzeug einem Hochhaus bedrohlich nähert. Meine persönliche Auffassung
ist: Dann ist es zu spät. Wir sollten unsere Bemühungen,
wie gesagt, nicht auf diesen Fall konzentrieren.
Ich möchte die Bundeswehrleitung nicht in die schwierige Situation hineinmanövrieren, in der sie entscheiden
muss, ob sie ein entführtes Flugzeug abschießen soll oder
nicht; denn die Erfahrung zeigt: Viele Entführungsfälle
sind glimpflich abgelaufen. Nicht auszudenken wäre es,
wenn ein entführtes Flugzeug abgeschossen würde und
man hinterher feststellen müsste, dass man den Entführer
hätte entwaffnen können. Ich glaube, die Diskussion über
die Möglichkeit, entführte Flugzeuge abzuschießen, führt
uns auf den falschen Weg.
Wir sollten unsere gesamten Bemühungen auf die Verhinderung von Flugzeugentführungen konzentrieren.
Deshalb ist es richtig, wenn wir uns sehr intensiv um die
Beantwortung der Frage bemühen: Wie kann ein tief gestaffeltes Sicherheitssystem im Flugverkehr funktionieren? Wir können uns in Deutschland rühmen, dass wir im
internationalen Vergleich mit das beste Sicherheitssystem
haben. Trotzdem reicht uns das natürlich nicht. Wir müssen einen internationalen Verbund zustande bringen, damit die Sicherheitsstandards, die in unserem Land gelten
und die wir noch weiter entwickeln werden, im gesamten
internationalen Flugverkehr zur Regel werden.
Tief gestaffeltes Sicherheitssystem heißt, dass wir Redundanz schaffen, Herr von Klaeden. Ich wähle in diesem
Zusammenhang immer gerne den Vergleich mit einem
Kernkraftwerk: Wenn das erste Kühlsystem ausfällt, dann
muss sich ein zweites einschalten. Wenn auch das zweite
ausfällt, muss es ein drittes geben. Es ist eine Frage des
Sachverstandes und der Wahrscheinlichkeitsrechnung,
wie viele Kühlsysteme hintereinander geschaltet werden
müssen, um den höchsten Sicherheitsgrad, der gewährleistet werden kann, zu erreichen.
Ähnliches gilt auch für den Flugverkehr. Deshalb haben wir mehrere Maßnahmen auf den Weg gebracht, und
zwar schon bevor ich dieses Sicherheitspaket vorgelegt
habe: Das Personal auf den Flughäfen wird gründlich und
sorgfältig überprüft. Die Gepäckkontrollen sind verschärft worden. Es werden bereits jetzt im Rahmen dessen, was rechtlich möglich ist, Flugbegleiter eingesetzt,
ohne dass natürlich vorher bekannt gegeben wird, auf
welchen Flügen sie eingesetzt werden. Wir haben auch
dafür gesorgt, dass das Fluggerät - für Fragen der Technik ist eher der Kollege Bodewig zuständig - technisch
ertüchtigt wird. Es geht hierbei zum Beispiel um die Kabinentür. Des Weiteren sollen beim Transponder Vorkehrungen getroffen werden, die verhindern, dass ein entführtes Flugzeug den Radarbereich verlassen kann.
Manche technischen Neuerungen, die jetzt vorgeschlagen werden, halte ich persönlich für nicht nützlich, beispielsweise dass durch einen Automatismus, der nur noch
von der Bodenkontrolle gestoppt werden kann, ein Flugzeug auf den Geradeausflug zurückgeführt wird. Alle
Sachverständigen, mit denen ich gesprochen habe - darunter waren auch Piloten -, waren der Meinung, dass ein
solcher Automatismus nur die Gefährdung vergrößern
würde.
Ich glaube, dass diese Maßnahmen eher geeignet sind
als beispielsweise das Aufstellen von Flak neben dem
Potsdamer Platz oder die Bereithaltung eines Geschwaders von Jagdflugzeugen für den Fall, dass sich ein entführtes Flugzeug nähert.
Herr von Klaeden hat
das Wort für eine kurze Nachfrage. Ich muss aber auf die
Uhr gucken, weil es eine Reihe von Wortmeldungen gibt.
Ohne dass ich hier
öffentlich Anregungen geben möchte, will ich nur feststellen: Eine solche Gefährdungssituation kann natürlich
auch eintreten, ohne dass eine Flugzeugentführung stattfindet, und dann sind die Sicherungsmaßnahmen, die Sie
genannt haben, zum großen Teil nicht wirksam.
Nur damit
wir uns jetzt richtig verstehen, Herr von Klaeden: Meinen
Sie eine Gefährdung für Hochhäuser allgemein?
Es müssen nicht
unbedingt Hochhäuser sein, es können auch andere besonders gefährdete Einrichtungen sein. Es muss auch
nicht unbedingt ein großes Passagierflugzeug sein, das
dazu verwandt wird.
Wenn es sich
zum Beispiel um einen Bomber handelt,
({0})
dann stellt sich natürlich die Frage: Wie ist die Überwachung des Flugverkehrs? In einem solchen Fall hat die
Bundeswehr meiner Meinung nach bereits nach geltendem Recht die Möglichkeit, einzugreifen. - Wenn es da
Unklarheiten geben sollte, bin ich gern bereit, darüber zu
reden; wir haben darüber im Bundestag auch schon debattiert.
({1})
Das, was wir an Sicherheitsstrukturen aufbauen, müssen wir so ordnen, dass der Gefahr damit am ehesten begegnet werden kann. Darüber, dass wir nicht in der Lage
sind, nun jedes Gebäude mit einem Sicherheitsschirm,
vielleicht einem Raketenschirm oder etwas Ähnlichem
- was immer man sich da ausdenkt -, zu versehen, besteht, glaube ich, Übereinstimmung. Wir tun alles, was
möglich ist, übrigens auch unter Einbeziehung der Bundeswehr, um heute sicherheitsgefährdete Bereiche, auch
Gebäudekomplexe, zu schützen.
Die Polizeien des Bundes und der Länder - das darf ich
an dieser Stelle einmal sagen - leisten in dieser Situation
wirklich hervorragende Arbeit, und zwar unter Anspannung aller Kräfte. Man muss in dem Bereich auch sehr auf
der Hut sein: Was den Einsatz unserer Sicherheitskräfte
angeht, können wir nicht immer sozusagen das Gaspedal
ganz durchtreten, sondern wir müssen sehen, dass wir einen Zustand gewisser Normalität erreichen - obwohl die
Zeiten alles andere als normal sind -, damit nicht nachher
eine Ermüdungstendenz eintritt.
Die nächste Fragestellerin ist die Kollegin Petra Pau.
Herr Minister, ich gebe Ihnen natürlich Recht darin, dass wir alle nach dem 11. September vor
der Frage stehen, ob die bisherigen gesetzlichen Regelungen ausreichen, um mit der Herausforderung des Terrorismus umzugehen, Schuldige zu erkennen oder, noch
besser, präventiv tätig zu werden und Schuldige, sofern
sie erkannt werden, auch zu bestrafen. Sobald uns das,
was Sie heute beraten haben, vorliegt, werden wir es deshalb daraufhin überprüfen, inwieweit es zweckmäßig und
inwieweit es bürgerrechtsverträglich ist, inwieweit es also
geeignet ist, die Freiheit zu sichern. In diesem Zusammenhang habe ich drei Fragen.
Erstens. Sie sprachen von den Kontrollen des Personals. Ich gehe sicherlich recht in der Annahme, dass Sie
damit nicht nur das Personal im Flugwesen meinen, sondern auch das in Infrastrukturbereichen, die ganz konkret
bedroht sein könnten. Deshalb möchte ich gern wissen,
welcher Personenkreis in den von Ihnen geplanten gesetzlichen Maßnahmen ganz konkret vorgesehen ist und
welche konkreten Regelungen Sie zur Absicherung dieser
Kontrollen beabsichtigen.
Ein Zweites. Sie sprachen von Kompetenzen der Dienste in Bezug auf die Kontrolle oder Beobachtung von Finanztransaktionen. Im Allgemeinen wird das in der Öffentlichkeit unter dem Stichwort „Bankgeheimnis“
debattiert, ohne dass in der Öffentlichkeit so richtig
darüber aufgeklärt wird, was hier konkret vorgesehen ist.
Ich möchte gern wissen, wie Sie mit diesen Dingen umgehen wollen.
Der dritte Komplex. Sie sprachen über die Möglichkeit
der Aufnahme von weiteren biometrischen Merkmalen in
Pässe und Ausweise; ich meine jetzt nicht den Fingerabdruck, der ja schon in der allgemeinen Debatte ist. Auch
wenn Sie das in die Kompetenz des Bundestages gegeben
haben, möchte ich gern wissen, welche Merkmale Ihres
Erachtens zweckmäßigerweise aufgenommen werden
sollten. Außerdem möchte ich gern wissen, auf welche Art
und Weise Sie mit diesen Daten umgehen wollen. Hier
stellt sich wieder die Frage der Zweckmäßigkeit. Ich habe
nichts von der Einrichtung einer entsprechenden Sammelund Vergleichsdatei gehört. Solche Dateien wären, denke
ich, auch nicht verfassungskonform.
({0})
- Herr Kollege, ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen. Auch Ihr Kollege durfte ausführlich fragen. - Wie
wollen Sie einen entsprechenden Vergleich vornehmen?
Frau Kollegin Pau, Sie wollten in Ihrer Eingangsbemerkung den Gegensatz zwischen Sicherheit und Freiheitsrechten herausarbeiten. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass die
bürgerlichen Freiheitsrechte am stärksten durch den internationalen Terrorismus bedroht sind. Diejenigen, die im
World Trade Center ihr Leben eingebüßt haben, haben ihr
wichtigstes Recht - auch das Grundgesetz garantiert es verloren. Gleiches gilt für Opfer von Geiselnahmen und
Ähnlichem. Deshalb sehe ich den von Ihnen angesprochenen Gegensatz nicht. Ein Staat, der die Rechte der
Bürgerinnen und Bürger schützt, tut etwas für und nicht
gegen die Freiheitsrechte der Bürger.
({0})
Wer etwas anderes behauptet, der führt die Öffentlichkeit
in die Irre.
Im Hinblick auf die Sicherheitsüberprüfung möchte
ich darauf verweisen, dass die Kernkraftwerke natürlich
einen sehr empfindlichen Bereich darstellen. Wir müssen
dafür sorgen, dass sich auf diesem Gebiet keine Personen
Zugang verschaffen, die nichts Gutes im Schilde führen.
Diesen Anspruch erheben auch die Kernkraftbetreiber.
Wir müssen dafür sorgen, dass der entsprechende Personenkreis sicherheitsüberprüft wird. Es ist eine Ermessensfrage, zu entscheiden, wie weit man diesen Kreis
zieht. Man muss zum Beispiel entscheiden, ob auch die
Reinigungskräfte oder ob nur Personen, die Zugang zu
Steuerungselementen oder Ähnlichem haben, in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen werden. Die Praxis
wird zeigen, was zu tun ist.
Sie haben auch nach dem Bankgeheimnis gefragt. Das
Bankgeheimnis wird selbstverständlich gewahrt. Man
wird keinen unmittelbaren Einblick in die Kontenbewegungen selbst nehmen können. Es geht vielmehr beispielsweise darum, festzustellen, wer welche Konten
eröffnet. Eine solche Beobachtung der finanziellen Bewegungen ist notwendig. Wenn strafrechtliche Ermittlungen es erforderlich machen, dann kann es sich im Einzelfall ergeben, dass der Zugang zu kontenspezifischen Daten möglich ist.
Die Vorstellung, dass das Bankgeheimnis strafrechtliche Ermittlungen behindert, ist falsch. Selbstverständlich hat eine ermittelnde Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, Bankkonten zu überprüfen. Meistens gibt es dabei
mit den jeweiligen Banken gar keine Probleme.
Die dritte Frage bezog sich auf die biometrischen Daten. Ich persönlich bin der Meinung, dass Fingerabdrücke
- auch unter praktischen Gesichtspunkten - am tauglichsten sind. Mir erscheinen die anderen Möglichkeiten noch
nicht ausgereift. Die Tauglichkeit in der Praxis sollte darüber entscheiden, welches biometrische Merkmal wir
wählen.
Wir wissen - ich habe das im Deutschen Bundestag
schon einmal vorgetragen -, dass entsprechende Verfahren in anderen Ländern bereits praktiziert werden. Ich erinnere mich, dem Hohen Haus schon einmal einen Ausweis gezeigt zu haben, nämlich die „resident alien card“.
In Amerika ist es üblich, dass Personen, die dort eine Arbeit aufnehmen, eine solche Karte haben. Das gilt für alle
Personen aus dem Ausland - Geschäftsleute, abhängig
Beschäftigte, wer auch immer -, die in Amerika eine Arbeitserlaubnis erhalten. Eine solche Karte enthält ganz
selbstverständlich einen Fingerabdruck. Ich habe bislang
noch nie gehört, dass sich irgendjemand deswegen über
die Verletzung seiner Menschenwürde beklagt hat.
Mir leuchtet auch nicht ein, warum der Abdruck eines
Fingers schützenswerter als das Bild eines Gesichtes sein
soll und daher dem besonderen Schutz durch Art. 1 des
Grundgesetzes unterliegt. Ich kann diese Haltung zwar
emotional nachvollziehen; denn wir sind daran gewöhnt,
dass Fingerabdrücke im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens - die Kriminalpolizei spricht vom so genannten
Klavierspielen - abgegeben werden. Aber diese emotionale Schwelle müssen wir allmählich überwinden und uns
an neue Verhältnisse gewöhnen.
Im Übrigen werden in Spanien - das ist eine Information, die ich erst in jüngster Zeit bei den deutsch-spanischen Konsultationen bekommen habe; ich wusste das
vorher auch nicht - bei Gewährung von längerfristigem
Aufenthalt generell Fingerabdrücke von den entsprechenden Personen genommen, um die Identität zu sichern. Es
kann ja niemand etwas dagegen haben, dass wir uns vergewissern, wenn jemand in unser Land hinein möchte,
wen wir wirklich vor uns haben, damit nicht, wie wir es
leider im Fall Atta und in anderen Fällen erlebt haben, mit
mehreren Identitäten gearbeitet wird und wir in den
entsprechenden Dateien nicht einmal entdecken, dass jemand mit verschiedenen Namen operiert und sich damit
in Deutschland bewegt.
Den Abgleich kann man ähnlich wie beim Foto durchaus mit dezentralen Dateien vornehmen. Die Frage der
zentralen Dateien muss man sicherlich diskutieren, weil
manche Bedenken haben und meinen, dass hier Probleme
entstehen könnten, die über die Frage der Identitätssicherung hinausreichen. Diese Frage ist noch nicht endgültig zu beantworten.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, angesichts der Brisanz des Themas ist es
erklärlich, dass es eine Vielzahl von Fragen gibt. Im Interesse der sieben Kolleginnen und Kollegen, die noch Fragen angemeldet haben, bitte ich sowohl die Fragestellerinnen und -steller als auch den Minister um etwas kürzere
Beiträge. Wir müssen uns eventuell interfraktionell verständigen, ob es ausnahmsweise eine Verlängerung geben
kann.
Frau Präsidentin, ich verstehe, dass Sie kurze Antworten wünschen.
Ich kann Ihnen aber nur im Rahmen der vorgesehenen
Zeit zur Verfügung stehen, weil ich noch zur Innenministerkonferenz muss, bei der ich ohnehin zu spät eintreffen werde. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die
Befragung auf die vorgesehene Zeit begrenzen könnten.
Jetzt ist der Kollege
Dehnel dran.
Herr Minister, Sie
haben viel davon gesprochen, wie Sie in Zukunft verhindern wollen, dass verdächtige Personen ins Land hineinkommen. Mich interessiert nun, wie Sie mit Personen verfahren wollen, die hier offensichtlich in religiösen
Vereinigungen oder auch in Moscheen Hass gegenüber
Christen und Juden predigen und damit Leute anstiften,
Taten, wie wir sie erlebt haben, zu begehen. Wie wird mit
diesen Personen in Zukunft verfahren werden?
Wir haben in
unserem Entwurf eine Regelung vorgesehen, die es uns
ermöglicht, die Ausweisungstatbestände auf diesen Personenkreis zu erweitern und eine Regelausweisung einzuleiten. Diese Regelung stimmt in etwa mit der in dem
Antrag der Länder Niedersachsen und Bayern vorgesehenen überein, die im Bundesrat eine entsprechende Initiative eingebracht haben.
Um Äußerungen, die, wie von Ihnen angesprochen, in
Moscheen oder ähnlichem Kontext getätigt werden, ahnden zu können, müssen zunächst einmal die entsprechenden Erkenntnisse gewonnen werden. Nicht immer ist das
möglich. Wir erfahren davon zwar zum Teil aus den Berichten unserer Verfassungsschutzbehörden, aber nicht
immer sind die von diesen gewonnenen Erkenntnisse
ohne weiteres verwertbar. Es ist also notwendig, diese
Erkenntnisse auf eine beweiskräftige Grundlage zu stellen. Es ist zunächst einmal eine praktische Frage, die sich
hier stellt.
Das Nächste ist - auch das bitte ich immer zu beachten, Herr Kollege -, dass eine Ausweisungsverfügung die
eine Seite der Medaille ist, deren Vollzug aber eine andere. Größere Schwierigkeiten gibt es in vielen Fällen
beim Vollzug der Abschiebung. Wir und auch die Länder,
die ja in erster Linie dafür zuständig sind, haben da einige
Probleme - das will ich Ihnen gar nicht verschweigen -,
in Kooperation mit dem Herkunftsland eine solche Verfügung auch umzusetzen.
Jetzt kommt die Frage
des Kollegen Siemann.
Herr Minister, auch
die Geheimdienste sind Gegenstand in dem von Ihnen
vorgestellten Gesetzentwurf. Ist es vor diesem Hintergrund zutreffend, dass auf Betreiben von Bündnis 90/Die
Grünen sehr kurzfristig der MAD, der ursprünglich im
Gesetzentwurf erwähnt wurde, davon ausgenommen
wurde? Wenn ja, warum ist das geschehen?
Ist es weiterhin richtig, dass aufgrund allein dieser Tatsache das Verteidigungsministerium dem Regierungsentwurf im Rahmen der Ressortabstimmung nicht zugestimmt hat?
Das ist
schlichtweg falsch. Der Militärische Abschirmdienst ist in
dem Gesetzentwurf enthalten. Ich weiß nicht, welche
Gerüchte zu Ihnen gedrungen sind. Man sollte solchen
Gerüchte nicht trauen.
({0})
- Ja. Ich bedanke mich für die Frage und habe die Gelegenheit wahrgenommen, sie Ihnen zu beantworten. Das
Gerücht ist aber falsch.
Der nächste Fragesteller ist der Kollege Weiß.
Herr Minister, hat sich das Kabinett heute auch etwas umfassender mit dem Thema Terrorismusbekämpfung beschäftigt,
also nicht nur mit den Fragen, die wir im Inland zu regeln
haben? Ich denke zum Beispiel daran, was wir tun können, um den florierenden Drogenhandel aus Afghanistan
unter Kontrolle zu bringen und um den illegalen Diamantenschmuggel, mit dem sich al-Qaida derzeit munter finanziert, zu unterbinden.
Herr Kollege, wir haben uns heute auf die Fragen konzentriert, die
ich Ihnen vorgetragen habe. Die Fragen, die Sie aufwerfen, sind nicht erst mit dem 11. September aktuell geworden. Der internationale Drogenhandel ist ein Thema, das
uns über Jahre hinweg begleitet, übrigens auch schon die
alte Regierung.
Dass es gerade bei Afghanistan gar nicht so einfach ist,
den internationalen Drogenhandel unter Kontrolle zu bekommen, ist eine Tatsache, die ich gar nicht bestreiten
kann. Das gilt aber für andere Regionen in der Welt auch.
Es könnte ein - wenn Sie so wollen - positiver Spin-off
der jetzigen Militäraktionen gegen das Netzwerk al-Qaida
und die Taliban, die dort quasi als Gastgeber fungieren,
sein, dass wir jetzt auch diesen Drogenhandel bekämpfen.
Herr Kollege, Sie wissen im Übrigen, dass es, gerade
bezogen auf die finanziellen Transaktionen - dazu gehört
auch der Diamantenhandel -, eine Financial Action Task
Force auf internationaler Ebene gibt, die sich mit diesen
Themen beschäftigt. Wir werden unsere Bemühungen in
Deutschland auf diesem Gebiet verstärken. Deshalb wird
auch die Financial Investigation Unit beim BKA weiter
ausgebaut. Sie können darauf vertrauen, dass die Bundesregierung alles tut, um ihre Erkenntnisse auf diesem Gebiet zu verbessern.
Das ist auch ein Thema, das in den Bereich der Aktionen gehört, die die UNO-Sicherheitsratsresolution 1373
vorsieht. Zu deren Zustandekommen haben auch wir
beigetragen. Ich habe kürzlich Gelegenheit gehabt,
mit dem britischen Botschafter bei den Vereinten Nationen, der diese Kommission leitet, über die UNOSicherheitsratsresolution 1373 und deren Verwirklichung
zu sprechen.
Ich glaube, dass wir zu den Ländern gehören, die sich
am aktivsten an den Bemühungen beteiligen, solche Finanzströme trockenzulegen und eine Finanzierung des
Terrors zu verhindern.
Die nächste Frage
kommt vom Kollegen Scherhag.
Herr Minister,
Sie sprachen von der Sicherheit in den Flugzeugen und
auf den Flughäfen sowie von den Kontrollen. In der letzten Woche ist mir bei einer Kontrolle auf dem Frankfurter
Flughafen die Nagelschere abgenommen worden. Diese
wurde vernichtet. Anschließend wurden im Flugzeug
Stahlmesser und Stahlgabeln verteilt. Meine Frage lautet:
Wo bleibt da die Sicherheit der Passagiere?
Ich höre
natürlich immer wieder von solchen Fällen. Man muss
diesen Fragen nachgehen. Geben Sie mir bitte die Details.
Ich weiß nicht, um welche Fluggesellschaft es sich gehandelt hat.
({0})
Im Bundeswehrflugzeug Challenger, mit dem ich
manchmal unterwegs bin, wird nur Plastikbesteck verwendet, wahrscheinlich weil ich so besonders gefährlich bin.
({1})
Sie sehen, dass wir bei diesem Thema sehr konsequent
sind. Sie haben aber Recht: Wir müssen dafür sorgen, dass
Metallbesteck nicht mehr verwendet wird. Nennen Sie
mir dazu die Details, dann werden wir der Sache nachgehen.
Sie haben noch eine
ganz kurze Nachfrage? Ich bitte Rücksicht auf die Kollegen zu nehmen, die noch eine Frage stellen wollen.
Ja. - Herr Minister, es war die Lufthansa. Es ist offiziell. Es passiert auf
den Flügen nach und von Italien und es waren viele Gäste
in dem Flugzeug. Ich habe mich schon darüber gewundert, dass man in einer Zeit, in der wir über Sicherheit
sprechen, in solcher Weise vorgeht.
Ich nehme
diese Feststellung entgegen. Ich möchte aber darauf
hinweisen, dass es gerade mit der Lufthansa eine sehr
enge Kooperation gibt. Die Lufthansa nimmt die
Sicherheitsvorkehrungen sehr ernst. Ich darf daran erinnern, dass es bei bestimmten Flugverbindungen doppelte
Gepäckkontrollen gibt, die unser aller Sicherheit dienen.
Ich bin ja bereit, solche Kritik entgegenzunehmen. Wir
sollten aber keinen Sport daraus machen, einzelne Vorkommnisse ins Lächerliche zu ziehen, die auf die große
Anspannung zurückzuführen sind, unter der alles getan
wird, um die Sicherheit der Passagiere zu gewährleisten.
Ich will auch dick unterstreichen, dass diese Anstrengungen mit erheblichen finanziellen Belastungen verbunden
sind. Ich bin deshalb Herrn Weber, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Lufthansa, und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Lufthansa dafür sehr dankbar,
wie ernst sie die Sicherheitsaufgaben nehmen und wie
sorgfältig sie sie durchführen.
Frau Bonitz, bitte.
Herr Minister, ich habe
zwei kurze Fragen. Die erste Frage: Beabsichtigt die Bundesregierung angesichts einer neuen Gefährdungsabschätzung nach den Terroranschlägen, von ihrem Konzept
zur Errichtung dezentraler Zwischenlager an Atomkraftwerksstandorten Abstand zu nehmen?
Zweite Frage: Soweit ich informiert bin, gibt es inzwischen im Bundesinnenministerium Bestrebungen, zumindest die Computereinheiten der Krisenstäbe mit einer
zweiten Einheit abzusichern. Wird diese Sicherheitseinheit unabhängig von dem zentralen Server sein? Was passiert, wenn eine Cyber-Attacke stattfinden sollte?
Frau Bonitz,
wir bemühen uns selbstverständlich um die Sicherheit der
Kommunikationsnetze. Das ist eine pure Selbstverständlichkeit. Auch im Informationsverbund soll eine
Redundanz herbeigeführt werden. Wie sie im Einzelnen
aussehen wird, kann ich Ihnen im Detail nicht schildern.
Wenn es Ihnen recht ist, werde ich darüber im Innenausschuss gerne berichten. Dass diese Maßnahme notwendig ist, steht außer Frage. Auch in Bezug auf das
Kanzleramt und in die Ministerien kümmern wir uns um
bessere Sicherheitsvorkehrungen. Der Kommunikationsbereich muss so ausgestaltet sein, dass bei Ausfall eines
Computerverbundes wir nicht völlig lahm gelegt sind. Ich
glaube, das wird jeder einsehen.
Was die Zwischenlager angeht, sind mir keine Bestrebungen bekannt, die in die von Ihnen geschilderte Richtung gehen. Die öffentliche Debatte, es könnten auch auf
diese Objekte Angriffe erfolgen, spiegeln kein realistisches Szenario wider. Wenn beispielsweise bezüglich
der Kernkraftwerke selbst behauptet wird, auf die UmBundesminister Otto Schily
hüllung könnte ein entführtes Flugzeug im Steilflug gestürzt werden, dann muss ich sagen, dass dieses ein extrem unwahrscheinliches Szenario ist. Das Flugzeug
müsste nämlich erst einige Kühltürme umfliegen, um
dann im Steilflug auf das Kraftwerk zu stürzen. Selbst
wenn die Entführer eine Pilotenausbildung in Florida gehabt hätten, könnte ich mir kaum vorstellen, dass sie solche Kunstflugmanöver durchführen können.
An dieser Stelle sollten die Bestrebungen eher an der
offensiven und defensiven Sicherheit der Kernkraftwerke
orientiert sein. Ich war mir mit den Vertretern der Kernkraftwerksunternehmen völlig einig, wie wir die Sicherheit der Kernkraftwerke verbessern können und dass andere Maßnahmen nicht erforderlich sind. Es sind auch
nicht die Maßnahmen erforderlich, die Sie mit Ihrer Frage
angedeutet haben.
Es gibt noch eine Frage
des Kollegen Zeitlmann und der Kollegin Ostrowski.
Lassen Sie diese Fragen noch zu, Herr Minister?
Gut. Zwei
Fragen beantworte ich noch.
Ich bitte beide Kollegen, sich kurz zu fassen.
Herr Minister, ich
komme zurück auf die Regelanfrage bei der Einbürgerung. Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, dass es
jetzt in allen Ländern die Regelanfrage gibt. Meine Frage
bezieht sich auf die Vergangenheit: Wie viele Einbürgerungen gab es in Ländern ohne Regelanfrage seit InKraft-Treten des neuen Staatsbürgerschaftsrechts? Es
kann sein, dass Sie diese Zahl im Moment nicht präsent
haben. Sind Sie mit mir der Meinung, dass die Einbürgerungen ohne Regelanfrage im Lichte der Ereignisse des
11. September jetzt daraufhin überprüft werden müssen,
ob es darunter die Einbürgerung eines zweiten „Atta“ geben könnte?
Herr Kollege
Zeitlmann, ich habe, wie Sie schon vermuten, die Zahl
natürlich nicht im Kopf. Wir können der Frage gern einmal nachgehen. Wenn sich Anlass zu einer solchen Maßnahme, wie Sie sie gerade angedeutet haben, ergeben
sollte, werden die Länder dem sicherlich zugänglich sein.
Ich will nur darauf verweisen, dass es im Kreise der Verdächtigen einige oder einen - ich weiß es nicht genau gibt, der die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hat, allerdings unter dem alten Recht. Deshalb können wir uns
nur dazu gratulieren, dass wir diese neue Regelung geschaffen und den Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft im Zuge der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts
reformiert haben.
Kollegin Ostrowski
mit der letzten Frage an den Herrn Bundesminister.
Herr Minister, erste
Frage: Welche Maßnahmen zur Koordinierung von Zivilschutz und Katastrophenschutz und zur Ausrüstungsproblematik sind in Ihrem Sicherheitspaket vorgesehen?
Zweite Frage: Vorausgesetzt, Ihr Sicherheitspaket wird
beschlossen und gut realisiert, welche Garantien können
Sie abgeben, dass Deutschland vor Terroranschlägen
gleich welcher Art tatsächlich sicher ist? Ich frage das
deshalb, weil der Fingerabdruck auf den Ausweisen ja bekanntermaßen Amerika auch nicht vor dem Anschlag auf
das World Trade Center geschützt hat.
Zu Ihrer
zweiten Frage muss ich Ihnen sagen: Nach den Erkenntnissen, die wir heute haben, hatten diejenigen, die diesen
schrecklichen Anschlag verübt haben, keine „Resident
alien card“, meines Wissens jedenfalls. Insofern geht Ihre
Frage an der Realität vorbei.
Im Übrigen kann ich Ihnen natürlich nicht irgendeine
notariell beurkundete Versicherung abgeben, dass aufgrund eines Sicherheitspaketes jeglicher terroristischer
Anschlag ausgeschlossen werden kann. Das kann niemand tun. Aber wir tun alles Menschenmögliche, um - ich
wiederhole mich - die Früherkennung terroristischer Aktionen zu ermöglichen oder das zu verbessern und identitätssichernde Maßnahmen herbeizuführen, die es uns erlauben, besser zu erkennen, wer zu uns kommt und wer
uns verlässt.
Die Fragen des Zivilschutzes sind nicht Teil des
Sicherheitspaketes; hier geht es um gesetzgeberische
Maßnahmen. Daneben gibt es aber eine Fülle von administrativen Maßnahmen. Dazu gehört das, was Sie angesprochen haben. Wir haben schon frühzeitig damit begonnen, in Zusammenarbeit mit den Ländern, die für den
Katastrophenschutz zuständig sind, den Zivilschutz zu reorganisieren. Sichtbares Ergebnis dieser Reorganisationsmaßnahmen ist die Tatsache, dass wir ein satellitengestütztes Warnsystem eingeführt haben. Das ist übrigens
nicht erst nach dem 11. September geschehen, sondern
das haben wir schon seit langem vorbereitet. Dass es nach
dem 11. September arbeitsfähig wurde, ist, wenn Sie so
wollen, ein Zufall.
Auch andere Dinge haben wir auf dem Gebiet getan.
Wir haben die Koordination verbessert, ein gemeinsames
Datensystem geschaffen und die Akademie für Notfallplanung und Zivilschutz besser ausgestattet, damit auch
die Ausbildung verbessert wird. Wir sind gerade dabei,
die Länder mit dem notwendigen Fahrzeugmaterial zu
versehen. Dazu gehören 340 Erkundungsfahrzeuge zum
Einsatz bei ABC-Gefahren und auch Fahrzeuge zur
Dekontaminierung oder Sanitätsfahrzeuge. Insgesamt
stellen wir den Ländern 650 Fahrzeuge in diesem Bereich
zur Verfügung.
Wir sind auch bemüht, unsere Struktur insofern zu verbessern, dass wir sie in einen europäischen Verbund eingliedern. Auch dafür haben wir organisatorische Vorkehrungen getroffen. Wir sind damit noch längst nicht am
Ende. Wir setzen auch mehr Geld ein. Sie wissen, dass uns
der Finanzminister eine durchaus ansehnliche Summe in
Aussicht gestellt hat, von der ich hoffe, dass sie der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages endgültig
beschließen wird, damit wir unseren Aufgaben auch im
Zivilschutz noch besser gerecht werden können, als es in
der Vergangenheit der Fall war.
Ich danke dem Herrn
Minister. - Bevor ich die Fragestunde aufrufe, lasse ich
noch eine seit längerem angemeldete Frage des Kollegen
Niebel zu. Diese Frage betrifft nicht den Geschäftsbereich
des Innenministers, sondern geht an das Bundeskabinett
insgesamt. Die Damen und Herren Staatsminister und
Staatssekretäre entscheiden dann, wer antwortet.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich möchte wissen, ob sich das Kabinett auch mit einem
Themenkomplex beschäftigt hat, über den in der morgigen Ausgabe des „Stern“ berichtet wird. Diesem Bericht
zufolge soll im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung eine freihändige Vergabe im Umfang von über
50 Millionen DM an ein Bonner Unternehmen stattgefunden haben. Auch soll der EU-Kommissar Frits Bolkestein
gegenwärtig prüfen, inwieweit ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik einzuleiten ist. Ist
darüber im Kabinett gesprochen worden? Wenn ja: Wie
geht die Bundesregierung mit diesen Vorwürfen um?
Wenn nein: Ist eine freihändige Vergabe von Steuermitteln in diesem Umfange nicht doch wert, im Kabinett besprochen zu werden?
Zur Beantwortung,
Herr Staatsminister Bury, bitte.
Herr Kollege Niebel, das von Ihnen angesprochene
Thema ist heute im Kabinett nicht besprochen worden.
Damit ist die Regierungsbefragung beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksache 14/7265 Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung
steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara
Hendricks zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Thomas Strobl
auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass sich die finanzielle Situation der Städte und Gemeinden in Deutschland zum dritten
Quartal 2001, insbesondere durch einen Rückgang der Gewerbesteuereinnahmen, erneut verschlechtert hat?
Herr Kollege Strobl, der
Bundesregierung ist bekannt, dass es im kommunalen Bereich finanzielle Probleme gibt. Eine sichere Bewertung
dieser Entwicklung wird allerdings erst möglich sein,
wenn die Ergebnisse des dritten Quartals 2001 der Kassenstatistik für Kommunalfinanzen sowie die neue Steuerschätzung vorliegen werden.
Herr Kollege Strobl,
zu einer ersten Nachfrage, bitte.
Frau
Staatssekretärin, warum hält sich die Bundesregierung,
wenn ihr die Verhältnisse bekannt sind, nicht an ihre eigene Koalitionsvereinbarung, die eine Entlastung der Gemeindehaushalte vorsieht?
Herr Kollege Strobl, es ist
Ziel der Bundesregierung, sichere Kommunalfinanzen
auch in Zukunft zu gewährleisten. Andererseits sind Steuersenkungen, wie wir sie in großem Umfange schon vollzogen haben und in den nächsten Jahren weiterhin vollziehen werden, natürlich nur dann möglich, wenn alle drei
Ebenen des Staates entsprechend ihren Anteilen am Steueraufkommen auch an den Steuereinnahmeverzichten
teilhaben. Dies trifft dann selbstverständlich auch die
Kommunen. Allerdings haben wir die Kommunen unterproportional an den Steuereinnahmeausfällen infolge des
Steuersenkungsgesetzes 2000 beteiligt. Ich nenne Ihnen
die wichtigsten Zahlen aus dem Kopf: Die Kommunen
hatten im vergangenen Jahr - das wird auch in diesem
Jahr im Prinzip so geblieben sein - ein Aufkommen von
rund 12 Prozent des Gesamtsteueraufkommens der Bundesrepublik Deutschland und sind mit unter 9 Prozent an
den Steuereinnahmeausfällen beteiligt gewesen, sodass
man sagen kann, dass die Bundesregierung und die sie
tragenden Koalitionsfraktionen auf die Verhältnisse in
den Kommunen in besonderer Weise Rücksicht genommen haben.
Herr Kollege Strobl zu
einer zweiten Nachfrage, bitte.
Frau
Staatssekretärin, stimmen Sie mir zu, dass die Bundesregierung gerade in den vergangenen zwei Jahren den Kommunen in besonderem Maße Lasten aufgebürdet hat? Ich
denke hier an die Rentenreform, die die Kommunen mit
15,5 Milliarden DM belastet, sowie an die Gewerbesteuerverluste, die im Zuge des Verkaufs der UMTS-Lizenzen
entstanden sind und eine Größenordnung von 14 Milliarden DM ausmachen. Viele andere Maßnahmen wie die
Steuerreform und Sozialhilfeleistungen für Langzeitarbeitslose als Zuschuss zur Arbeitslosenhilfe wären zu
nennen. Stets handelt es sich um Beträge in Milliardenhöhe, mit denen der Bund durch seine Politik die Kommunen belastet hat.
Herr Kollege Strobl, einige
der von Ihnen genannten Beispiele kann ich so nicht beBundesminister Otto Schily
stätigen. Beispielsweise wüsste ich nicht, wie die Rentenreform die Kommunen belasten sollte. Sinkende Steuereinnahmen aufgrund der UMTS-Versteigerungen sind
natürlich nicht vollständig von der Hand zu weisen. Wenn
keine Gewinne erzielt werden, weil die Abschreibung dieser Aufwendungen über zehn Jahre vollzogen werden
kann, so mag dies einzelne Kommunen, in denen sich der
Sitz der jeweiligen Unternehmen befindet, in diesem Zeitraum durchaus tangieren, aber es kann nicht die Rede davon sein, dass die Gesamtheit der kommunalen Familie
durch die Bundesregierung durch überproportionale Belastungen oder Einschränkungen belastet worden sei. Das
Gegenteil ist der Fall.
Herr Kollege von
Klaeden hat noch eine Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, meine Nachfrage bezieht sich auf zwei Punkte. Der
erste betrifft die Finanzierung der Rentenreform, deren
Bestandteil die Ökosteuer ist.
Nach Ihrer Antwort bestehen zwei Möglichkeiten.
Wenn Sie meinen, die Kommunen würden durch die Rentenreform nicht belastet, dann ist es lediglich ein politischer Vorwand, wenn Sie sagen, die Ökosteuer zur Finanzierung der Rentenreform herangezogen zu haben. Wenn
jedoch tatsächlich der Zusammenhang, der von Ihrer Regierung immer wieder behauptet wird, besteht, dann entsteht durch die Ökosteuer in Verbindung mit der Rentenreform natürlich auch eine Belastung für die Kommunen.
In diesem Zusammenhang frage ich, ob die Untersuchung und die Prognose des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, der von Mindereinnahmen für die Kommunen ab dem Jahr 2001 von sage und schreibe
11,279 Milliarden DM ausgeht, also einer Einbuße von
fast 10 Prozent, nach Ansicht der Bundesregierung völlig
aus der Luft gegriffen sind.
Herr Kollege von Klaeden,
Kollege Strobl hatte auf die Rentenreform abgehoben.
Deswegen habe ich eben erklärt, dass ich keinen Sachzusammenhang zwischen Kommunalfinanzen und Rentenreform sehen kann. Wenn Sie in diesem Zusammenhang
auf die Ökosteuer abheben,
({0})
so ist das ein anderer Aspekt. Die Ökosteuer dient nicht
der Finanzierung der Rentenreform, sondern der Stabilisierung und der Absenkung der Rentenversicherungsbeiträge. Die Rentenreform greift in die Struktur der
Rentenversicherung ein und umfasst das Altersvermögensgesetz, das vorsieht, dass die Kommunen in der Zukunft mit einem geringfügigen Anteil, nämlich mit
15 Prozent, an den damit verbundenen Steuereinnahmeausfällen bei der Einkommensteuer beteiligt sein werden.
Das beginnt im Jahr 2002 mit einer kleinen Stufe und
kann also nicht dafür maßgebend sein, dass sich die Kommunalfinanzen in diesem Jahr schlecht entwickelt haben.
Ich kann nicht bestätigen, ob die von Ihnen gerade angesprochene Zahl von 11,2 Milliarden DM zutreffend ist.
({1})
- Ich kann es aus dem Kopf nicht bestätigen. Es müsste
aber in dem Zusammenhang zunächst geklärt werden, ob
diese Summe über die schon geplanten, notwendigerweise mit der Steuersenkung verbundenen Einnahmeverminderungen hinaus entstanden ist oder ob zusätzliche
Steuereinnahmeausfälle aufseiten der Kommunen damit
gemeint sind. Die kommunalen Spitzenverbände waren
jedenfalls von Anfang an bereit, ihren Teil im Hinblick auf
die Steuersenkungspolitik der Bundesregierung zu tragen.
Wir bleiben beim
Thema Finanzausstattung der Kommunen. Wir kommen
zur Frage 2 des Abgeordneten Thomas Strobl:
Inwieweit sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf, die
Städte und Gemeinden finanziell zu entlasten, und ist die Bundesregierung in diesem Zusammenhang konkret bereit, durch eine
Rücknahme der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage ({0}) zum 1. Januar 2001 eine finanzielle Entlastung der Kommunen zu ermöglichen?
Herr Kollege Strobl, der
vom Kabinett verabschiedete Entwurf eines Gesetzes zur
Fortentwicklung des Unternehmensteuerrechts belegt,
dass die Bundesregierung die kommunalen Interessen
berücksichtigt. Er wird im Übrigen heute, etwa zum jetzigen Zeitpunkt, abschließend im Finanzausschuss beraten
und dieses Hohe Haus für die zweite und dritte Lesung am
Freitag erreichen. Allein die dort vorgesehene Regelung
zur Mehrmütterorganschaft führt zur Sicherung eines Gewerbesteueraufkommens von mehr als 800 Millionen DM. Damit werden bisher bei der Bemessung der
Gewerbesteuerumlage nicht berücksichtigte Mindereinnahmen aus der Gewerbesteuerfreiheit von Dividenden ab
dem Jahr 2002 ausgeglichen.
In den derzeit laufenden parlamentarischen Beratungen ist ferner die Angleichung der gewerbesteuerlichen
Organschaft an die körperschaftsteuerliche Organschaft
im Gespräch und wird heute sicherlich verabschiedet werden. Dies würde für die Kommunen nochmals erhebliche
Mehreinnahmen bei der Gewerbesteuer zur Folge haben.
Der Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens bis zum
Freitag bleibt allerdings abzuwarten.
Herr Kollege Strobl zu
einer Nachfrage.
Frau
Staatssekretärin, entweder habe ich es nicht verstanden
oder Sie haben meine Frage, die ja sehr konkret war, nicht
beantwortet, nämlich ob Sie bereit sind, die Erhöhung der
Gewerbesteuerumlage, sprich: die Anhebung des Vervielfältigers, zum 1. Januar 2001 zurückzunehmen.
Nein, Herr Kollege Strobl,
die Bundesregierung ist dazu nicht bereit. Wir haben im
Gesetz als Überprüfungszeitpunkt das Jahr 2004 verankert. Daran werden wir uns auch halten. Es gibt bei der
Gewerbesteuer eine aktuelle Entwicklung, die nicht auf
gesetzgeberisches Handeln zurückzuführen ist. Wir haben
das eindeutig überprüft. Es liegt nicht an der Steuersenkungspolitik der Bundesregierung, dass wir bei der Gewerbesteuer in diesem Jahr mit Mindereinnahmen, die so
nicht zu erwarten waren, werden auskommen müssen.
Die Ursachen für diese Entwicklung sind sehr vielfältiger Natur. Eine Ursache dürften zum Beispiel die
besonderen Verhältnisse in einzelnen Wirtschaftszweigen, beispielsweise der Banken, Versicherungen und
Stromversorger, sein. Das ist nicht ursächlich mit dem gesetzgeberischen Handeln verbunden. Deswegen sieht die
Bundesregierung auch keinen Anlass, die im Gesetz vorgesehene Änderung der Gewerbesteuerumlage vor dem
Überprüfungszeitpunkt 2004, der ja schon im Gesetz
steht, zurückzunehmen.
Auf der anderen Seite sieht die Bundesregierung
durchaus Bedarf, die kommunalen Finanzen zu stärken.
Ich habe Ihnen dafür zwei Beispiele genannt, die heute
Nachmittag - ganz aktuell - im Finanzausschuss im
Zusammenhang mit der Fortentwicklung des Unternehmensteuerrechts abschließend beraten werden. Diese
Maßnahmen werden insgesamt zu einer Erhöhung des
Gewerbesteueraufkommens zugunsten der Kommunen
führen. Die Bundesregierung und auch die Länderregierungen werden vor diesem Hintergrund darauf verzichten,
das Gewerbesteueraufkommen durch die Zurücknahme
der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage zusätzlich zu beeinflussen. Wir haben eine Maßnahme ins Auge gefasst,
die den Kommunen im ersten Jahr ihrer Geltung ein Plus
von 1 Milliarde DM bei der Gewerbesteuer zubilligt. Auf
der anderen Seite müssen die Länder und der Bund durch
dieselbe Maßnahme auf 250 Millionen DM Körperschaftsteuer verzichten. Sie werden dies nicht zum Anlass
nehmen, die Gewerbesteuerumlage noch einmal anzugehen, sodass die Kommunen aufgrund des gesetzgeberischen Handelns gerade im Bereich der Fortentwicklung des Unternehmensteuerrechts mit einem
Mehraufkommen bei der Gewerbesteuer ab dem nächsten
Jahr werden rechnen können.
Wie sich die konjunkturelle Lage entwickelt und ob
Umstrukturierungen in einzelnen Unternehmensbereichen, zum Beispiel durch zusätzliche Bildungen von
Organschaften zwischen Unternehmen, stattfinden - das
unterliegt unternehmerischem Handeln und kann natürlich auch Auswirkungen auf die Gewinnsituation in einzelnen Regionen haben -, darauf hat der Gesetzgeber keinen Einfluss.
Eine letzte Nachfrage
des Kollegen Strobl.
Verehrte
Frau Staatssekretärin, wir wollen die Debatte, wer für die
schlechte wirtschaftliche Entwicklung in diesem Land
verantwortlich ist, hier nicht führen, wobei es schon sonderbar anmutet, dass nach Ihrer Ansicht für gute Entwicklungen der Bundeskanzler und für schlechte Entwicklungen offenbar keinesfalls die Bundesregierung
verantwortlich gemacht werden kann.
({0})
Gleichwohl nochmals konkret eine Frage. Die Gewerbesteuerumlage wurde durch diese Bundesregierung erhöht, und zwar unter Zugrundelegung konkreter Zahlen in
Bezug auf die Einnahmen aus der Gewerbesteuer, die eine
bestimmte wirtschaftliche Entwicklung voraussetzten,
die nicht eingetreten ist. Wäre es vor diesem Hintergrund
nicht fair gegenüber den Kommunen, jetzt zu sagen, die
Geschäftsgrundlage ist eine andere geworden - von wem
auch immer verschuldet - und deswegen sehen wir davon
ab, die Kommunen erneut in Milliardenhöhe zu belasten?
Herr Kollege Strobl, ich
habe gerade darauf hingewiesen, dass wir die Kommunen
nicht erneut in Milliardenhöhe belasten, sondern dass wir
im Gegenteil mit der Fortentwicklung des Unternehmensteuerrechts an anderer Stelle dafür sorgen werden, dass
die Kommunen zusätzliche Einnahmen aus der Gewerbesteuer erhalten werden. Das Steuersenkungsgesetz, mit
dem die Gewerbesteuerumlage zugunsten der Länder und
des Bundes verändert worden ist, ist nicht ursächlich für
den Rückgang des Gewerbesteueraufkommens, sondern
dafür sind andere, im ökonomischen Bereich liegende
Maßnahmen verantwortlich, zum Beispiel auch solche,
die nichts mit konjunkturellen Fragestellungen zu tun haben, sondern im Bereich von Umstrukturierungen in Unternehmen, Bildungen von Organschaften und Ähnliches,
liegen, ohne dass diese Unternehmen tatsächlich schwierigere ökonomische Bedingungen hätten. Andererseits
gibt es aber auch Gewinneinbrüche in einzelnen Bereichen. Zum Beispiel in der Energiewirtschaft hat es eine
gewisse Preisentwicklung gegeben, die die Gewinne der
Unternehmen mindert. Das wirkt sich natürlich deutlich
aus, weil diese Unternehmen normalerweise sehr gewinnstark und infolgedessen auch gewerbesteuerstark sind.
Das hat mit dem gesetzgeberischen Handeln der Bundesregierung nichts zu tun. Deswegen sieht die Bundesregierung auch keinen Anlass, Abstriche an ihrem gesetzgeberischen Handeln zu machen.
Jetzt hat die Kollegin
Ina Lenke noch eine Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, es ist gerade
die Rede davon gewesen, dass die Gewerbesteuereinnahmen für die Gemeinden bei schwacher Konjunktur
sinken. Hat die Bundesregierung über eine Alternative zur
derzeitigen Ausgestaltung der Gewerbesteuer nachgedacht, um dieses zyklische Geschehen, das heißt geringere Gewinne der Unternehmen bedeuten geringere
Gewerbesteuereinnahmen - eigentlich müssen die Gemeinden bei schwacher Konjunktur Investitionen tätigen,
was bei dieser Konstruktion der Gewerbesteuer aber nicht
der Fall ist -, zu verändern, sodass die Gemeinden durch
eine entsprechende Umwandlung der Gewerbesteuer
annähernd gleich bleibende Einnahmen haben?
Frau Kollegin Lenke, Sie
sprechen ein Grundsatzproblem der Gewerbesteuer an. Es
ist nicht in Abrede zu stellen, dass dann, wenn die Gewinne zurückgehen, auch die Gewerbesteuereinnahmen
sinken. Das ist normalerweise bei einer schlechten konjunkturellen Lage der Fall. Gerade in einer solchen Situation - Sie haben es richtig ausgeführt - sollten die Kommunen in der Lage sein, sozusagen antizyklisch mehr zu
investieren. Sie haben mit dieser Analyse völlig Recht.
Der Bundesregierung sind die Schwächen in Bezug auf
die Gewerbesteuer bekannt. Sie beabsichtigt, zur Erarbeitung eines Alternativkonzeptes zur Gewerbesteuer noch
in dieser Legislaturperiode eine Kommission einzusetzen.
Das wird also im nächsten Jahr der Fall sein. Vorher werden wir mit den kommunalen Spitzenverbänden und mit
den Ländern natürlich noch den Auftrag abstimmen müssen, den diese Kommission hat; denn das Feld „Gemeindefinanzen“ ist ein weites. Ein Punkt dabei ist die
Einnahmeseite. Andere Punkte betreffen die Ausgabeseite, die Verknüpfungen, das Konnexitätsprinzip und vieles andere, was Sie sich denken können. Das Bundesfinanzministerium würde den Auftrag dieser Kommission
gerne etwas enger und überschaubarer gestalten, sich also
im Wesentlichen an die Besteuerungsgrundlagen halten.
Wir werden die Definition des Auftrages in den nächsten
Monaten abschließen können, sodass die Kommission sicherlich im ersten Quartal des kommenden Jahres mit der
Arbeit beginnen kann.
Wir sind zuversichtlich, in der nächsten Legislaturperiode eine Alternative zur Gewerbesteuer vorlegen zu
können, die gleichwohl nicht zu ungebührlichen Belastungen durch eine Verschiebung in Richtung anderer
Personengruppen führt. Der Vorschlag des BDI zum Beispiel würde dazu führen, dass bisher nicht belastete Privatpersonen für die Entlastung der Wirtschaft aufkommen
müssten. Einen solchen Vorschlag kann man nicht einfach
kritiklos übernehmen. Dass es im wissenschaftlichen Bereich schon viele Vorschläge und selbstverständlich auch
Vorüberlegungen im Bundesfinanzministerium dazu gibt,
kann ich Ihnen bestätigen.
Wir kommen jetzt
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Margareta Wolf zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Martin
Hohmann auf:
Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über die Menge des in
der ehemaligen DDR abgebauten und in die Sowjetunion verbrachten Urans und welchen Wert haben diese Lieferungen nach
heutigen Weltmarktpreisen?
Herzlichen
Dank, Frau Präsidentin! - Herr Kollege Hohmann, ich beantworte Ihnen die Frage wie folgt: Nach Angaben der
Wismut GmbH haben die ehemalige Sowjetische und spätere Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft Wismut von
1946 bis 1990 insgesamt 231 000 Tonnen Uran produziert. Alleiniger Abnehmer war die Sowjetunion.
Die Uranlieferungen bis zur Gründung der SDAG Wismut im Jahre 1954 zählten zu den Reparationsleistungen.
Später wurden die Uranlieferungen im planwirtschaftlichen System zwischen Sowjetunion und ehemaliger
DDR verrechnet. Berechnungen des Wertes für diese Lieferungen nach heutigen Weltmarktpreisen wären daher
rein spekulativ. Ich kann Ihnen aber sagen, dass der jetzige Weltmarktpreis bei 10 US-Dollar pro Pfund Urankonzentrat liegt.
Herr Kollege
Hohmann, Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Habe ich Sie richtig
verstanden, Frau Staatssekretärin, dass zumindest ab 1954
finanzielle Rückflüsse in den Staatshaushalt der DDR
festzustellen sind?
Sie haben mich
richtig verstanden. Diese Rückflüsse wurden als Reparationsleistungen gewertet.
Wenn ich das richtig
verstanden habe, dann waren das bis 1954 Reparationen
und ab 1954 gab es möglicherweise eine Art Gegenrechnung und galt das als Lieferung aus der DDR.
Es wurde verrechnet zwischen der Sowjetunion und der ehemaligen
DDR. So hat uns das die Wismut GmbH mitgeteilt.
Danke schön.
Dann kommen wir
jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Zur
Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Ulrich Heinrich auf:
Sind der Bundesregierung die Ergebnisse der vom bayerischen
Umweltministerium in Auftrag gegebenen Studie zu Schäden im
Bergwald bekannt, die vom Lehrstuhl für Bodenkunde und Standortlehre der Technischen Universität München in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Forstbotanik erstellt wurde, und welche Schlüsse zieht sie aus den Resultaten der Untersuchungen der
Münchner Forstwissenschaftler in Bezug auf den jährlichen Waldschadensbericht der Bundesregierung?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege Heinrich! Die Studie liegt der
Bundesregierung vor. Sie bezieht sich auf einen Standort
mit sehr speziellen, insbesondere witterungstypischen
Bedingungen, nämlich den Bergwald in den bayerischen
Kalkalpen. Die Ergebnisse dieser Studie lassen sich daher
nicht verallgemeinern oder gar auf die Bundesebene übertragen.
Gleichwohl wird an diesem Beispiel deutlich, was inzwischen nach nunmehr 30 Jahren Luftreinhaltepolitik
der Bundesregierung für fast ganz Deutschland gilt: Die
Luftqualität, insbesondere hinsichtlich Schwebstaub und
Schwefeldioxid, hat sich im Laufe der Jahre so verbessert,
dass die Schadstoffkonzentration in der Luft nur noch an
wenigen Standorten Werte erreicht, die direkt Vegetationsschäden hervorrufen.
Allerdings gibt es nach wie vor durch Luftverunreinigung hoch belastete Standorte sowie solche, bei denen die
Einträge aus der Vergangenheit noch auf absehbare Zeit
eine kritische Altlast darstellen. Dabei geben vor allem die
noch hohen Stickstoffeinträge Anlass zur Sorge. Die Heterogenität in der Belastungssituation der Böden einerseits sowie regional auftretende kritische Schadstoffeinträge andererseits werden noch längere Zeit anhalten und
sich weiterhin auf den Gesundheitszustand der Wälder
auswirken. Die Bundesregierung hält daher nach wie
vor eine konsequente Luftreinhaltepolitik für dringend
geboten.
Herr Kollege
Heinrich, bitte.
Herr Staatssekretär, vielen
Dank für die Beantwortung der Frage. - Ich habe eine
Nachfrage. Sie heben auf den speziellen Standort der
Kalkalpen ab. Das ist richtig. Aber wie kommt es, dass in
dem Waldschadensbericht dieser Standort als schwer geschädigt dargestellt wird? Ist die Bundesregierung nicht in
der Lage, aufgrund der Besonderheit des Standortes, die
Sie selber eben herausgestellt haben, dies auch im Waldschadensbericht entsprechend darzustellen? Denn dieser
Standort erscheint dort als schwer geschädigt.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Herr Kollege Heinrich, die Ergebnisse
des Waldschadensberichtes bzw. die Daten, auf denen der
Waldschadensbericht beruht, werden europaweit nach einem Rastermaß festgestellt. Die Untersuchungsergebnisse, auf die diese Studie Bezug nimmt, müssen nicht
unbedingt die gleichen wie an den Standorten sein, wo
über das Rastermaß der Waldschadenserhebung am Ende
der Zustand der Bäume hinsichtlich ihrer Schäden festgestellt wird.
Insofern machen wir in jedem Waldschadensbericht
darauf aufmerksam, wie die Daten erhoben werden und
dass die Ergebnisse oder Schlussfolgerungen nicht unbedingt regional zugeordnet werden können.
Eine zweite Nachfrage, bitte, Herr Heinrich.
Herr Staatssekretär, vor dem
Hintergrund der regionalen Besonderheit, die in diesem
Forschungsbericht deutlich zutage getreten ist, möchte
ich noch einmal nachfragen: Teilen Sie die Ergebnisse
dieses Forschungsberichtes?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Wir gehen davon aus, dass die Daten in
diesem Forschungsbericht im Auftrag der Bayerischen
Staatsforstverwaltung ordnungsgemäß erhoben worden
sind.
Was aus der Beantwortung meiner Frage hervorging,
war: Diese Ergebnisse, die punktuell in den bayerischen
Kalkalpen erhoben worden sind, sind nicht ohne weiteres
auf größere Regionen oder vielleicht ganz Deutschland zu
übertragen. Das ist der Punkt. Ansonsten bewerten wir es
durchaus als ein gutes Ergebnis, dass sich die Luftqualität
im Erhebungsgebiet so positiv darstellt.
Wir bleiben beim
Thema Waldsterben. Ich rufe Frage 5 des Kollegen
Heinrich auf:
Wird die Bundesregierung die Öffentlichkeit, die die Frage des
Waldsterbens sehr stark bewegt, über die Untersuchungsergebnisse unterrichten, und wenn ja, in welcher Weise?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Die Bundesregierung verfolgt die Ergebnisse aus der Waldökosystemforschung intensiv. Immerhin ist sie auch einer der größten Auftraggeber für Forschungsarbeiten in diesem Bereich. Die Bundesregierung
sieht aus den vorgenannten Gründen jedoch keine Veranlassung, die Ergebnisse dieser Studie besonders herauszustellen.
Herr Kollege
Heinrich, Ihre erste Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, besteht
nicht ein öffentliches Interesse daran, von der pauschalen
Beurteilung des Waldsterbens zu einer differenzierteren
Beurteilung der Waldschadenserhebung überzugehen? Ist
die Bundesregierung nicht bereit, ihre eigenen, von mir
aus auch international anerkannten, Standards zu überprüfen, um gegebenenfalls auf regionale Besonderheiten
eingehen zu können und damit auch mehr Transparenz
und mehr Informationen - und zwar ehrlichere Informationen - in die Öffentlichkeit zu bringen?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Die Bundesregierung sieht - insbesondere auch vor dem Hintergrund dieser Studie - hinsichtlich der Schadenserhebung oder anderer Aspekte des Zustandsberichts keinen Anlass zu Änderungen.
Ich will die Gründe dafür ganz klar darlegen: Wir wissen, dass es sich bei der Schadensproblematik, gerade
auch in Bezug auf die Luftreinhaltung, fast ausschließlich
Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
um grenzüberschreitende Phänomene handelt. Aus diesem Grunde ist es nicht angebracht, Einzelerhebungen
- wie in diesem Fall - zu bewerten. Das wäre gewissermaßen eine Überinterpretation, wenn wir diese Studie besonders herausstellten. Die Studie ist öffentlich gemacht
worden. Selbst der Auftraggeber, die Bayerische Staatsregierung, hat meines Wissens bisher keine Veranlassung
gesehen, diese Studie in besonderer Weise in der Öffentlichkeit hervorzuheben; denn es ist davon auszugehen,
dass die Ergebnisse nur für diese Region zutreffen.
Weiter ist anzumerken, dass der gute Zustand sicherlich auf die erreichten Ergebnisse in der Luftreinhaltungspolitik, die auch langfristig angelegt ist, zurückzuführen ist. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die
Schadstoffe auch in die Böden eingetragen worden sind
- bei der Bodenversauerung muss man fast im Generationenzeitalter rechnen, bevor sie wieder zurückgeführt werden kann -, sind wir nach wie vor der Auffassung, dass
kaum die Notwendigkeit zu einer anderen Herangehensweise besteht.
Wir kommen jetzt
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit
und Sozialordnung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres zur Verfügung.
Ich rufe Frage 6 des Abgeordneten Dr. Michael Luther
auf:
Betrachtet die Bundesregierung vor dem Hintergrund des stetigen Rückgangs der Baubranche in Deutschland und der damit
verbundenen sinkenden Zahl von Leistungserbringern und relativ
dazu wachsenden Zahl von Leistungsempfängern die ständig steigenden Beitragssätze der Berufsgenossenschaft Bau als eine Entwicklung, die die Bauunternehmen, aber auch die ebenfalls in der
Berufsgenossenschaft pflichtversicherten Gebäudereiniger mittlerweile über Gebühr belastet, und wenn ja, sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf?
Herr Abgeordneter Dr. Luther, die schwierige wirtschaftliche Lage
der deutschen Bauindustrie wirkt sich aufgrund der
branchenspezifischen Gliederung der gewerblichen Unfallversicherung besonders nachteilig auch bei den
Bauberufsgenossenschaften aus. Die Ursache dieser Entwicklung liegt aber nicht im System der Unfallversicherung, sondern in der allgemeinen wirtschaftlichen
Situation und in den Strukturproblemen der Bauwirtschaft. Dies wird auch daran deutlich, dass die Beiträge in
der Unfallversicherung gegenläufig zur Entwicklung bei
den Bauberufsgenossenschaften allgemein nicht gestiegen, sondern seit 1995 um über 10 Prozent gesunken
sind.
Zur Bewältigung der Schwierigkeiten sollte deshalb
nach Auffassung der Bundesregierung zunächst auf
Instrumentarien zurückgegriffen werden, die bereits das
geltende Unfallversicherungsrecht zum Ausgleich von
Beitragsschwankungen enthält. Die Berufsgenossenschaften haben zunächst ihre Betriebs- und Rücklagenmittel einzusetzen. Diese sind gerade zur längerfristigen
Beitragsstützung in konjunkturschwachen Zeiten bestimmt. Entsprechende Mittel sind bei den Bauberufsgenossenschaften auch noch vorhanden. Darüber hinaus
existiert in der Unfallversicherung bereits ein branchenübergreifender Solidarausgleich in Form eines Gemeinlastverfahrens. Übersteigt das Verhältnis der Aufwendung
zu den beitragspflichtigen Arbeitsentgelten bei einer
Berufsgenossenschaft einen bestimmten Höchstsatz im
Vergleich zum durchschnittlichen Satz aller Berufsgenossenschaften, sind die Übrigen verpflichtet, den überschießenden Anteil auszugleichen.
Dieses in der Unfallversicherung 1963 eingeführte Verfahren und die Belastungsgrenzen haben sich bisher als
tragfähig und zweckmäßig erwiesen. Die Bau-Berufsgenossenschaften erfüllen die hierzu notwendigen Voraussetzungen bisher nicht.
Selbstverständlich verschließt sich die Bundesregierung nicht weiteren Anregungen und Vorschlägen, die einer nachhaltigen und systemgerechten Entspannung der
Situation bei den Bau-Berufsgenossenschaften dienen
können. Insbesondere die Auswirkungen von illegaler
Beschäftigung und Schwarzarbeit haben bereits zu entsprechenden Gesetzesinitiativen der Bundesregierung geführt.
Änderungen im Finanzierungssystem der Unfallversicherung bedürfen sehr sorgfältiger Prüfung. Auch in den
Gremien des Spitzenverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften wird derzeit das Thema „strukturwandelbedingte Altlasten“ erörtert. Lösungsansätze, die dort
unter Beteiligung der Selbstverwaltung erarbeitet werden,
werden bei künftigen Überlegungen der Bundesregierung
zu eventuellen Gesetzesänderungen eine besondere
Berücksichtigung finden.
Herr Kollege Luther
zu einer ersten Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär
Andres, das System des Ausgleichs zwischen den Unfallgenossenschaften ist bekannt. Die Baubeteiligten beklagen, dass die Schwellenwerte relativ hoch sind, sodass die
Beitragslast erst relativ hoch sein muss, bevor der Ausgleich einsetzt. Deswegen frage ich an dieser Stelle: Wie
hoch ist dieser Schwellenwert? Wann würde die Bau-Berufsgenossenschaft diesen Schwellenwert erreichen?
Herr Abgeordneter
Luther, sie liegt jetzt unter dem Schwellenwert.
Ich habe einmal nachsehen lassen, wie hoch die durchschnittliche Beitragsbelastung für die Bauwirtschaft ist.
1990 betrug die Belastung je 1 000 DM Entgelt
31,17 DM. Bis 1995 sank sie um 11,5 Prozent auf
27,59 DM. Dann aber stieg sie bis 2000 um 16,26 Prozent.
Sie hat im Ergebnis im Jahr 2000 bei 32,07 DM je 1 000
DM Entgeltsumme gelegen. Sie ist also gegenüber dem
Status von 1990 nur leicht erhöht.
Den Schwellenwert kann ich Ihnen jetzt aus dem Stand
nicht sagen, weil ich ihn nicht parat habe. Aber ich bin
gerne bereit, Ihnen den nachzureichen.
Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
Danke schön. Dann noch eine zweite Nachfrage. Aus der Antwort, die
Sie jetzt gegeben haben, wird deutlich, dass in den letzten
Jahren ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen war. Bei der
momentanen konjunkturellen Lage in der Bauwirtschaft
insbesondere in den neuen Bundesländern, aus denen ich
komme, ist zu erwarten, dass die Beitragssätze noch weiter steigen werden. Sehen Sie trotzdem keinen Handlungsbedarf?
Nein. Ich will noch einmal darauf verweisen: Das Problem liegt nicht im System
der Unfallversicherung, sondern in der konjunkturellen
und strukturellen Krise, in der sich die Bauwirtschaft befindet. Rückläufige Beschäftigtenzahlen führen natürlich
dazu, dass immer weniger Beiträge für das Auffangen bestimmter Risiken und Lasten gezahlt werden. Für diesen
Fall sieht das Gesetz bestimmte Mechanismen vor. Solange Vermögen vorhanden ist, muss es aufgebraucht
werden; es ist ja dafür angelegt worden, solche konjunkturellen Schwankungen auszugleichen. Wenn das nicht
mehr greift, springt die Solidargemeinschaft aller Berufsgenossenschaften ein. Von daher gibt es eine Lösungsmöglichkeit innerhalb des Unfallversicherungssystems.
Handlungsbedarf für die Bundesregierung ergibt sich
nicht.
Wir kommen jetzt zur
Frage 7 des Kollegen Dr. Michael Luther:
Hält die Bundesregierung es für sachgerecht, dass auch die
Gebäudereiniger pflichtversichert in der Bauberufsgenossenschaft sind und damit zum einen zum Beispiel im Verhältnis zu
den kommunalen Gebäudereinigern, die nicht in der Bauberufsgenossenschaft pflichtversichert sind, Wettbewerbsnachteile
haben und zum anderen als ein Bereich mit einem wesentlich geringeren Unfallrisiko, abweichend vom Prinzip der Gruppennützigkeit, zur Finanzierung der Unfallrisiken des Bauhauptgewerbes herangezogen werden?
Wir bleiben im selben Themenkomplex. Jetzt geht es
um die Pflichtversicherung der Gebäudereiniger.
Herr Dr. Luther, meine
Antwort auf Ihre Frage 7 lautet wie folgt: Beschäftigte in
Gebäudereinigungsfirmen sind, wie alle anderen Beschäftigten auch, kraft Gesetzes unfallversichert. Die
Bundesregierung hält die sachliche Zuständigkeit der
Bau-Berufsgenossenschaft auch für sachgerecht. Unternehmen sind derjenigen gewerblichen Berufsgenossenschaft fachlich zuzuordnen, der sie nach Art und Gegenstand am nächsten stehen. Dabei hat die Frage, welche
Berufsgenossenschaft die branchenspezifisch wirksamste
Unfallverhütung leistet, eine entscheidende Bedeutung.
Wettbewerbsvorteile von kommunalen Gebäudereinigern sind für die Bundesregierung nicht ersichtlich. Erwerbswirtschaftlich betriebene Gebäudereinigungsunternehmen müssen nach dem Gesetz grundsätzlich Mitglied
der Bau-Berufsgenossenschaft sein. Sie dürfen nicht in
die Zuständigkeit der kommunalen Unfallversicherungsträger übernommen werden. Dies regelt § 129 Abs. 3
Satz 2 des Sozialgesetzbuches VII. Soweit hiervon in Einzelfällen abgewichen werden sollte, wäre dies mit der geltenden Rechtslage nicht zu vereinbaren.
Das relativ geringe Unfallrisiko der Gebäudereiniger
wird von den Bau-Berufsgenossenschaften bei der Beitragshöhe entsprechend berücksichtigt; denn die Beiträge
sind nach dem Gefährdungsrisiko der einzelnen Unternehmensgruppen abgestuft. Danach haben die Gebäudereiniger einen erheblich niedrigeren Beitrag pro 1 000 DM
Lohnsumme als etwa ein Hochbauunternehmen zu zahlen. Für die Gebäudereiniger gilt die Gefahrenklasse 2,5
statt wie beim Hochbau 8,5. Als Mitglieder der BauBerufsgenossenschaft leisten die Gebäudereiniger allerdings ihren Beitrag an den Lasten aller Unternehmen dieser Solidargemeinschaft.
Herr Kollege Luther,
eine Nachfrage?
({0})
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 der Kollegen Ina Lenke auf:
Mit welchen ehemals in bundeseigener Verwaltung geführten
Unternehmen hat der Bund bislang gesellschaftsvertragliche Vereinbarungen welchen Inhalts zur Durchsetzung des § 3 Abs. 2
Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz getroffen, um die Gleichstellung von Männern und Frauen auch in den nunmehr privatisierten
Unternehmen zu gewährleisten?
Frau Kollegin Lenke, das Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz ist bekanntlich noch nicht in Kraft getreten.
Dementsprechend können noch keine gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen im Sinne des Art. 1 § 3 Abs. 2
des Gleichstellungsdurchsetzungsgesetzes existieren.
Art. 1 § 3 Abs. 2 des Gleichstellungsdurchsetzungsgesetzes stellt dem Wortlaut nach auf den Zeitpunkt der Umwandlung eines vormals bundeseigenen Unternehmens in
die Rechtsform des privaten Rechts ab. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift kann sich darum nur auf
künftige und nicht rückwirkend auf bereits abgeschlossene Privatisierungen bundeseigener Unternehmen erstrecken.
Zu einer ersten Nachfrage erteile ich der Kollegin Lenke das Wort.
Frau Staatssekretärin, Sie haben mit
diesem Gesetz bewusst Vorschriften, die den öffentlichen
Dienst betreffen, auf einen Teil der Privatwirtschaft ausgedehnt. Ich bin der Meinung, dass dies aus Gründen der
Konkurrenzfähigkeit einfach nicht geht.
Sie wissen, welche Unternehmen und Institute Sie privatisieren wollen, und haben sicherlich schon Vorstellungen davon, wie diese Vorschriften im nächsten Jahr bei
den Unternehmen und Instituten umgesetzt werden sollen. Wie viele Unternehmen werden es im nächsten Jahr
sein?
Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich möchte
zunächst einmal sagen, dass ich mit Ihnen überhaupt nicht
darin übereinstimme, dass private Unternehmen, die
Gleichstellungspläne haben, nicht mehr konkurrenzfähig
sind. VW ist ein privates Unternehmen und hat Gleichstellungspläne. Es ist konkurrenzfähig.
In dem Gesetz steht nicht, dass die Unternehmen, die
privatisiert werden, einen bestimmten Vertrag abschließen müssen. Vielmehr soll darauf hingewirkt werden,
dass die Vorschriften des Gleichstellungsgesetzes vertraglich vereinbart Anwendung finden. Schon aus diesem
Grunde kann ich Ihnen nicht sagen, welche Unternehmen
im nächsten Jahr betroffen sein werden.
Frau Lenke hat eine
zweite Nachfrage, bitte.
Ich stelle fest, dass dies freiwillige
Abmachungen sind, die Unternehmen wie VW anwenden. Dies finde ich sehr gut und begrüße es. Als FDP sind
wir gegen Zwangsgesetze.
Sie hingegen haben mir gerade gesagt, dass § 3 Abs. 2
des Gleichstellungsdurchsetzungsgesetzes ein zahnloser
Tiger ist.
Was war jetzt die
Frage?
Wann habe ich das gesagt? Das müssen Sie mir erläutern,
damit ich dazu Stellung nehmen kann.
§ 3 Abs. 2 dieses Gleichstellungsgesetzes ist ein sehr weich formulierter Paragraph; es ist
keine Muss-, sondern eine Sollbestimmung. Auch wenn
Sie einen entsprechenden Vorschlag machen, kann er von
den Unternehmen also abgelehnt werden. Erwarten Sie
das?
Nein, das erwarte ich nicht, weil ich denke, dass unsere
Unternehmen mittlerweile ein modernes Management betreiben. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, Frau
Lenke, dass ein modernes Management auf diejenigen,
die im Durchschnitt nachweislich qualifizierter als andere
sind, nämlich die Frauen im Vergleich zu Männern, verzichtet. Insofern ist es kein Zwangsgesetz.
Bei anstehenden Privatisierungen werden die Unternehmen, die einmal der öffentlichen Hand angehörten und
daran gewöhnt sind, nach gleichstellungspolitischen Regeln vorzugehen, keine Veranlassung haben, auf diese Regeln zu verzichten.
Es gibt Beispiele: Die Deutsche Telekom hat in ihrem
tariflichen Mantelvertrag seit dem 1. Juli alles stehen, was
das gleichstellungspolitische Herz begehrt. Insofern teile
ich die Befürchtungen, die Sie haben, dass bei Privatisierungen diejenigen, die an Gleichstellung gewöhnt sind,
darauf verzichten werden, nicht.
({0})
Wir kommen nun zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Wolfgang
Meckelburg auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, für Sozialhilfeempfänger,
die nicht als Pflichtmitglied oder als freiwilliges Mitglied bei einer gesetzlichen Krankenkasse versichert sind und die damit im
Krankheitsfall die freie Wahl unter den Ärzten und Zahnärzten haben und von denen wiederholt über eine bevorzugte Behandlung
- und damit verbundenen überhöhten Arztabrechnungen - in der
Presse berichtet wurde, eine Erweiterung der gesetzlichen Versicherungspflicht einzuführen?
Herr Kollege
Meckelburg, im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens
zum SGB IX, Art. 15, hat die Bundesregierung das Recht
der „Hilfe bei Krankheit, vorbeugende und sonstige
Hilfe“ nach dem Bundessozialhilfegesetz bereits eng mit
dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung verknüpft. Mit Wirkung vom 1. Juli 2001 entsprechen diese
gesundheitlichen Hilfen den Leistungen der gesetzlichen
Krankenversicherung. Die neuen Regelungen sind klarer
als bisher und lassen grundsätzlich keine Ausweitung des
Leistungsrahmens der Sozialhilfe über den der gesetzlichen Krankenversicherung hinaus zu.
Eine für die Sozialhilfeempfänger notwendige Ausnahme musste für die - nicht abschließend aufgezählten Fälle geregelt werden, in denen die Versicherten bei notwendigen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung finanzielle Eigenleistungen erbringen. Das trifft zum
Beispiel für den Bereich der Zuzahlungen in den Fällen
zu, in denen die Vorschriften des SGB V über Härtefälle
und die Befreiungstatbestände nicht greifen. Da die Eigenanteile von den Sozialhilfeempfängern nicht aus dem
Regelsatz getragen werden können, muss die Sozialhilfe
die entsprechenden Leistungen in voller Höhe erbringen.
Auch bei der Arztwahl ist eine Gleichstellung von nicht
versicherten Sozialhilfeempfängern und Versicherten erfolgt. Künftig dürfen Sozialhilfeempfänger nur noch die
Vertragsärzte und Vertragszahnärzte der gesetzlichen
Krankenversicherung in Anspruch nehmen. Die Frage einer möglichen Erweiterung des versicherungspflichtigen
Personenkreises auf die Empfänger von laufenden Hilfen
zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz
wirft neben dem Problem der angemessenen Höhe der für
diesen Personenkreis zu entrichtenden Krankenversicherungsbeiträge auch wichtige finanzpolitische und verfassungsrechtliche Fragen auf, die einer intensiven Abklärung bedürfen.
Ich erteile Herrn Kollegen Meckelburg das Wort zu einer Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, nach dem Gesundheitsstrukturgesetz von 1992
war vorgesehen, bis 1997 eine Regelung zu finden, um die
Sozialhilfeempfänger direkt in die gesetzliche Krankenversicherung zu übernehmen. Ich nehme an, dies ist nicht
umgesetzt worden oder nicht mehr vorgesehen; ich bin
nicht vom Fach, deswegen weiß ich das nicht so genau.
Mich würde interessieren, wie sich die jetzt vorgesehene
Regelung im Vergleich zu der damals beabsichtigten in
Bezug auf die Aufteilung der Kosten zwischen den Beteiligten auswirken wird; beispielsweise, ob die Kommunen
demnächst stärker betroffen sein werden, als sie es nach
dem ursprünglichen Plan gewesen wären.
Ich möchte
zunächst sagen, warum trotz des gesetzlichen Auftrages
ab 1997 keine Umsetzung der Pläne erfolgt ist. Der Grund
liegt darin, dass sich die Bundesländer und die Bundesregierung nicht über den Personenkreis und die dafür zu entrichtende Beitragshöhe haben verständigen können. Das
zeigt im Prinzip das Problem, das wir haben. Die Belastung der einzelnen Kommunen hängt von dem Anteil der
nicht versicherten Sozialhilfeempfänger und Sozialhilfeempfängerinnen ab. Für manche Kommunen würde der
Mindestbeitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung eine höhere Belastung als die Übernahme der
tatsächlich entstandenen Kosten darstellen, soweit sich
diese auf dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung bewegen.
Deshalb kann ich nicht sagen, welche Unterschiede
sich tatsächlich ergeben. Da aber ein Unterschied besteht
und man sich in der gesetzlichen Krankenversicherung
nicht damit einverstanden erklären kann, Beiträge, die
nicht dem durchschnittlich notwendigen Beitragssatz entsprechen, zu erhalten, gehe ich davon aus, dass es noch
eine Weile dauern wird, bis sich Bund und Länder in dieser Frage geeinigt haben und die Kommunen mitziehen.
Herr Kollege
Meckelburg, bitte, Ihre zweite Zusatzfrage.
Heißt das - ich
möchte nur noch einmal kurz nachfragen -, dass die
kommunalen Haushalte durch die jetzt angepeilte Regelung nicht entlastet werden, sondern im Gegenteil eine Erhöhung ihrer Kosten erfahren?
Die Haushalte der
Kommunen, in denen bisher die Krankenversorgung der
Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger
teilweise nach Privattarifen der Ärzteschaft abgerechnet
worden ist, werden jetzt entlastet werden, weil nach der
Neuregelung nur noch nach den Honorarsätzen in der gesetzlichen Krankenversicherung zu vergüten ist. Die Kosten für eine Privatliquidierung werden nicht mehr erstattet. Insofern gibt es eine Entlastung.
Wir kommen jetzt
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 10 der Abgeordneten Sylvia Bonitz
auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die bisherige Abschiebepraxis ausgewiesener Ausländer im Hinblick auf die Umsetzung
der UN-Resolutionen Nr. 1368 vom 12. September 2001 und
Nr. 1373 vom 28. September 2001, die alle Staaten auffordern, sicherzustellen, dass Terroristen keine Zuflucht mehr gewährt wird,
und welche konkreten Veränderungen plant die Bundesregierung,
um die deutsche Abschiebepraxis den neuen Anforderungen anzupassen?
Frau Kollegin Bonitz, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Im Rahmen des Terrorismusbekämpfungsgesetzes beabsichtigt die Bundesregierung,
auch die Regelungen über die Ausweisung und den Abschiebeschutz zu ändern. Unter Berücksichtigung des
Rechtsgedankens in Art. 1 F der Genfer Flüchtlingskonvention soll die Einschränkung des Abschiebeschutzes
nach § 51 Abs. 3 des Ausländergesetzes bereits dann ermöglicht werden, wenn nur anzunehmen ist, dass der Ausländer etwa ein Verbrechen gegen den Frieden, ein
Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat. Es bräuchte dann nicht mehr, wie
es die zurzeit geltende Rechtslage vorsieht, eine rechtskräftige Verurteilung zu mindestens einer dreijährigen
Freiheitsstrafe abgewartet zu werden. Zudem wäre auch
nicht allein auf eine unmittelbare Bedrohung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzustellen.
Mit dieser Rechtsänderung - danach haben Sie gefragt - werden die Resolutionen 1269 und 1373 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen umgesetzt, in denen
gefordert wird, Personen, die terroristische Handlungen
planen, vorbereiten oder unterstützen, den Flüchtlingsstatus nicht zuzuerkennen.
Daneben sollen Ausweisungstatbestände geschaffen
werden, die sich spezifisch auf den internationalen gewaltbereiten Extremismus beziehen. Nach dem Entwurf
des Terrorismusbekämpfungsgesetzes ist eine Ausweisung im Regelfall zulässig, wenn der Ausländer den neu
geschaffenen Grund für eine Versagung der Aufenthaltsgenehmigung nach dem neuen § 8 Abs. 1 Nr. 5 des Ausländergesetzes erfüllt. Die Ausweisung im Regelfall soll
damit für die Ausländer vorgesehen werden, die Gewalttaten befürworten oder androhen und dadurch die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder die Sicherheit
der Bundesrepublik Deutschland gefährden.
Die Neuregelung wird auch die Ausweisung von Ausländern ermöglichen, die sich zwar nicht selbst an entsprechenden Taten beteiligt haben, die aber Organisationen und Vereinigungen unterstützen, die entsprechende
Ziele verfolgen.
Jetzt hat die Kollegin
Bonitz eine erste Nachfrage, bitte.
Herzlichen Dank! - Herr
Staatssekretär, wird die Bundesregierung demzufolge die
Initiative der Länder Niedersachsen und Bayern im Bundesrat unterstützen, die beinhaltet, dass Ausländer, die
sich verdächtig gemacht haben, terroristischen Tendenzen
Vorschub zu leisten, schon dann ausgewiesen werden
können, wenn sie zu einer Freiheitsstrafe von mindestens
zwei Jahren verurteilt worden sind, also nicht erst ab einer Freiheitsstrafe von drei Jahren? Es geht um die Senkung dieser Grenze.
Diese Frage möchte ich quasi umgekehrt beantworten: Ich hoffe, dass sich der Bundesrat
- ich hoffe, auch die beiden von Ihnen genannten Länder
werden das tun - unserer Gesetzesinitiative anschließen
sowie unserem Terrorismusbekämpfungsgesetz und all
den von mir gerade vorgetragenen Änderungen, die wir
vorzunehmen beabsichtigen, zustimmen wird.
Frau Kollegin Bonitz,
die zweite Zusatzfrage, bitte.
Dann frage ich anders.
Die Ausweisung ist das eine, die Abschiebung ist das andere. Oft gibt es hierbei Schwierigkeiten im Vollzug.
Richtig.
Ausweisungsverfügungen können häufig nicht vollzogen werden, weil Abschiebehemmnisse vorliegen. Wie will die Bundesregierung
gewährleisten, dass ausländische Extremisten, die einen
terroristischen Hintergrund haben, unser Land tatsächlich
verlassen, also abgeschoben werden können, insbesondere in den Fällen, in denen bisher ein Abschiebehemmnis vorlag, etwa dann, wenn dem Betreffenden im Heimatland Folter oder Tod droht?
Bestimmte Prinzipien können wir
nicht auf den Kopf stellen. Sie haben völlig Recht darin,
dass Ausweisung und Abschiebung voneinander zu trennen sind. Bestimmte Hemmnisse, die es heute gibt, wird
es auch in Zukunft geben. Vor allem das, was wir jetzt
verändern - eine rechtskräftige Verurteilung muss nicht
mehr vorliegen, sondern schon die Annahme eines infrage
kommenden Verbrechens kann den Vollzug rechtfertigen;
das ist eine wesentliche Veränderung -, wird, denke ich,
zu deutlicheren Praktiken führen.
Wir kommen jetzt zur
Frage 11 des Kollegen Dr. Hans-Peter Uhl:
Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung beim Katastrophenschutz-Fachdienst bzw. -Fachbereich Sanitätsdienst für
die Kommunen in Bayern, insbesondere für die Landeshauptstadt
München, angesichts der Tatsache, dass zum Beispiel in München
nur noch rund 50 Bundesfahrzeuge - Arzttruppkraftwagen, Krankentransportwagen - zur Verfügung stehen, von denen in den
nächsten zwei Jahren auch noch einige ausgesondert werden müssen?
Herr Kollege Uhl, der Bund setzt
in der Zeit von 1999 bis 2001 mit einem Volumen von
circa 196 Millionen DM für rund 1 500 Fahrzeuge das
größte Beschaffungsvorhaben seit der Neuordnung des
Zivilschutzes um. Die Fahrzeuge gehören einer neuen
Fahrzeuggeneration an und verfügen über einen hohen
technischen Stand. Bis Januar kommenden Jahres werden
noch rund 300 ABC-Erkundungskraftwagen an die Länder ausgeliefert. Damit wird ein flächendeckendes System
zur Aufspürung, Messung, Erfassung und Meldung radiologischer und chemischer Stoffe zur Verfügung stehen.
Ich will gezielt auf Ihre Frage eingehen. Was Arzttruppkraftwagen anbelangt, so besteht in Bayern ein Soll
von 126, ein Ist von 126 und somit ein Fehl von null. Was
Krankentransportwagen anbelangt, so ist die Situation in
Bayern derzeit wie folgt: Soll: 252, Ist: 236, Fehl: 16, wobei dieses Fehl nicht unbedingt eine ganz neue Entwicklung ist.
Der Bund ergänzt aus seiner Zivilschutzverantwortung
den Katastrophenschutz des Freistaates Bayern mit folgender Ausstattung: Herr Minister Schily hat am 20. Oktober 2001 in Nürnberg sechs ABC-Erkundungskraftwagen sowie zwei Krankentransportwagen an den Freistaat
Bayern übergeben. Ein weiterer ABC-Erkundungskraftwagen konnte in der Zwischenzeit übergeben werden.
Nach Rücksprache mit dem Bayerischen Staatsministerium des Innern werden diese Fahrzeuge landesintern wie
folgt verteilt: sieben ABC-Erkundungskraftwagen für die
Feuerwehren der Städte Fürth, Schweinfurt und Nürnberg
sowie der Landkreise Deggendorf, Mühldorf am Inn,
Aichach-Friedberg und Aschaffenburg sowie zwei Krankentransportwagen für die Kreisverbände in den
Landkreisen Kitzingen und Aichach-Friedberg.
Der Freistaat Bayern erhält aus den noch laufenden Beschaffungen neun ABC-Erkundungskraftwagen und fünf
Krankentransportwagen. Wenn die Zeitplanung der Zulieferfirma für die Einsatzausstattung eingehalten wird,
sollen diese Fahrzeuge bis Januar nächsten Jahres ausgeliefert werden.
Aufgrund der aktuellen Situation sollen die für 2002
und 2003 ursprünglich ausgesetzten Programme, unter
anderem zur Ersatzbeschaffung des Krankenkraftwagens,
für 2002 wieder aufgenommen werden. Über die Höhe der
Mittel, die aus dem Sonderprogramm für die innere Sicherheit im Haushalt zur Verfügung stehen, ist, wie Sie
wissen, noch nicht abschließend entschieden. Hierzu müssen noch die entsprechenden Gespräche geführt werden.
Ganz deutlich möchte ich festhalten: Auf die Stationierungsplanung selbst und die Zuweisung der Fahrzeuge
auf die einzelnen Standorte nimmt der Bund keinen Einfluss. Das ist in diesem Falle allein Sache des Freistaates
Bayern.
Herr Kollege Uhl zu
einer ersten Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär
Körper, das waren ganz eindrucksvolle Zahlen. Wir alle
wissen, dass der Umfang des gesamten Fuhrparks des Katastrophenschutzes in den vergangenen Jahren verringert
wurde. Ich stelle das fest, ohne Ihnen damit einen Vorwurf
zu machen; schließlich müssten wir uns aufgrund der politischen Verantwortlichkeiten der vergangenen Jahre
selbst Vorwürfe machen.
Die Dinge haben sich weiterentwickelt. Wir wissen,
dass massiv nachgebessert werden muss. Neue Fahrzeuge
müssen beschafft werden. In Ihrer Statistik ist von Fahrzeugen die Rede, die teilweise stark überaltert sind und
ausgetauscht werden müssen. Wenn sich eine Kommune,
zum Beispiel München, bereit erklärt, Fahrzeuge, deren
Anschaffung vom Bund bezuschusst oder gar ganz finanziert wird, in Absprache mit dem Bund unbürokratisch
selbst zu beschaffen und vorzufinanzieren: Würden Sie
ein solches Verfahren akzeptieren? Würden Sie der jeweiligen Kommune zusichern, dass ihr die entsprechenden
Mittel nachträglich zur Verfügung gestellt werden, wenn
die Details der Finanzierung feststehen? Sind Sie zu einer
Vorfinanzierung auch in diesem Bereich bereit, wie wir
sie von anderen Gebieten der öffentlichen Daseinsvorsorge her längst kennen?
Nach meinem bisherigen Kenntnisstand kann ich Ihnen eine solche Vorgehensweise nicht
empfehlen. Ich habe zum Schluss meiner Ausführungen
deutlich darauf hingewiesen, dass die Entscheidung über
Verteilung und über die Auswahl des Standorts der jeweiligen Fahrzeuge in der Hoheit der Länder liegt. In diesem
Falle liegt sie beim Freistaat Bayern. Man kann die
Angelegenheit nicht so angehen, wie Sie es mit Ihrer
Frage nahe gelegt haben. Man muss ein bisschen Vorsicht
walten lassen.
Herr Kollege Uhl, zu
einer zweiten Nachfrage.
Herr Staatssekretär,
teilen Sie meine Auffassung, dass die Entscheidung darüber, für welchen Standort welche neuen Fahrzeuge beschafft werden, der neuen Bedrohungssituation - sie besteht darin, dass die Ballungsräume einer größeren
Bedrohung ausgesetzt sind - gerecht werden muss? Teilen Sie meine Auffassung, dass es falsch ist, sozusagen
nach dem Gießkannenprinzip überall die gleiche Anzahl
von Einheiten einzurichten?
Herr Kollege Uhl, ich weiß, dass
Sie in München wohnen. Dort sind die Bayerische Staatskanzlei und das bayerische Innenministerium zu Hause.
Es wäre sehr sinnvoll, insbesondere diese Fragen dort zu
stellen und sie dort miteinander zu diskutieren. In einem
haben Sie völlig Recht: Die Standorte müssen auch nach
den Kriterien der Effektivität und der Effizienz ausgesucht werden; sonst macht das keinen Sinn.
Das, was wir an Beschaffung derzeit gewährleisten und
vielleicht auch zukünftig gewährleisten können, kann sich
sehen lassen. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen,
dass der Fahrzeugbestand relativ überaltert ist. Sie haben
fairerweise keine einseitige Zuweisung der politischen
Verantwortung vorgenommen. Auch das war korrekt und
gut. Wir müssen diese Aufgabe gemeinsam angehen. Mit
dem Ziel, Effektivität und Effizienz zu erreichen, sollten
wir einen entsprechenden Standort aussuchen.
Sämtliche Fragen zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz - es
handelt sich um die Fragen 12 bis 18 - werden schriftlich
beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Verteidigung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht
Frau Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte
zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 19 des Kollegen Georg
Janovsky - es geht um zusätzliche Kosten der militärgeographischen Dienststelle im Wehrbereich VII -:
Welche zusätzlichen Kosten entstehen für Umzüge, Trennungsgelder, Dienstreisen der militärgeographischen Dienststelle
im Wehrbereich VII?
Liebe Frau Präsidentin, ob es
um Mehrkosten geht, wird sich zeigen.
Herr Kollege Janovsky, an der militärgeographischen
Dienststelle in Leipzig leisten zurzeit vier Offiziere, neun
Unteroffiziere, 17 Mannschaftsdienstgrade sowie 21 Angestellte und vier Arbeiter ihren Dienst. Eine Aussage
über mögliche Kosten im Zusammenhang mit der Verlegung der militärgeographischen Dienststelle ist erst nach
dem Abschluss der Detailplanung hinsichtlich des Personalbedarfs für das zukünftige Amt für Geoinformationswesen der Bundeswehr abgeschlossen.
Herr Kollege Janovsky,
zu einer Nachfrage.
Frau Staatssekretärin,
es ist klar, dass man erst dann, wenn man das letzte Detail
weiß, auch den Betrag bis auf den letzten Pfennig genau
kennt. Aber es müsste doch überschlagmäßig ermittelbar
sein, in welcher Höhe Kosten bei der Versetzung von diesem von Ihnen genannten Personenkreis in etwa entstehen. Solche Überlegungen gibt es, wie ich Ihrer Aussage
entnommen habe, nicht bei Ihnen?
Nun warten Sie es einmal ab.
Im Moment kann man das wirklich nicht differenzieren;
das können Sie, Herr Kollege Janovsky, schnell nachvollziehen. Wenn es bei einer Veränderung bzw. einer völligen Auflösung für die wegfallenden Arbeitsplätze keine
Alternative gäbe, müssten wir in der Tat versuchen, einen
Teil des Personals in der Region unterzubringen. Nun wissen Sie selbst, dass es in Leipzig einige militärische Einrichtungen gibt. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass die
vier Offiziere und die neun Unteroffiziere kein großes
Problem darstellen werden. Die 17 Mannschaftsdienstgrade sind von Soldaten auf Zeit besetzt, die sich für maximal vier Jahre verpflichtet haben. Diese werden danach
wahrscheinlich ausscheiden. Probleme wird es bei den
21 Angestellten und den 4 Arbeitern geben.
({0})
- Nun warten Sie es erst einmal ab. - Ich habe gesagt, dass
sich bei der Ausplanung möglicherweise eine Lösung für
diese Leute ergibt, weil wir ja in Leipzig auch andere Einrichtungen der Bundeswehr haben.
({1})
Ich rufe jetzt die
Frage 20 des Kollegen Janovsky auf:
Kann der Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping,
dem gegebenenfalls von der Verlegung bzw. Auflösung betroffenen Personal einen noch mehrjährigen Erhalt der Außenstelle in
Leipzig ermöglichen und einen sozialverträglichen Übergang zusichern, und wenn ja, in welcher Form?
Im Rahmen der Einrichtung
des Geoinformationsdienstes wird in der Streitkräftebasis
zum 1. April 2003 das Amt für Geoinformationswesen der
Bundeswehr, in dem dann die Produktions- und Versorgungsaufgaben zentral wahrgenommen werden, neu aufgestellt. Damit wird aus dem Amt die Unterstützung laufender Einsätze und Überlegungen der Bundeswehr sowie
die Versorgung der Bundeswehr mit militärgeographischen Unterlagen und Daten zentral sichergestellt. Hierzu
wird, soweit möglich, das Fachpersonal der aufzulösenden Topographietruppe und damit auch der militärgeographischen Stellen der Wehrbereiche herangezogen. Nach den derzeitigen Planungen ist die Aufstellung
eines Vermessungselementes, das alsAußenstelle desAmtes für Geoinformationswesen im Wehrbereich III ({0}),
also in den neuen Bundesländern, dient, vorgesehen. Als
mögliche Stationierungsorte werden - das wird Sie vielleicht nicht überraschen; ich sage es in alphabetischer Reihenfolge - Erfurt oder Leipzig in Erwägung gezogen.
Herr Kollege
Janovsky, zu einer Nachfrage, bitte.
Vielen Dank. Wir
wollen hoffen, dass die Prüfung positiv ausfällt, Frau
Staatssekretärin.
Ich hätte trotzdem noch eine Frage: In Leipzig und
auch an anderen Stellen gibt es ja eine intensive fachliche
Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen; durch die
Zentralisierung wird diese ja viel schwieriger. Ist das bei
den Entscheidungen zur Zentralisierung auch berücksichtigt worden? Wie wird das Problem einer Lösung zugeführt?
Erstens bemühen wir uns stark
darum - das sage ich Ihnen persönlich zu -, dass die Reduzierung von zivilem wie militärischem Personal in den
neuen Bundesländern so gering wie möglich ausfällt.
Zweitens ist es aufgrund neuer technischer Arbeitsbedingungen, durch die Kommunikationstechniken und damit auch durch neue Formen in dem hier behandelten Bereich, natürlich so, dass wir einen Teil der Arbeitskräfte
in Zukunft nicht mehr benötigen. Das gilt aber für viele
Stellen.
Drittens glaube ich schon, dass durch eine enge Zusammenarbeit mit der Stadt Leipzig - der Oberbürgermeister, Herr Tiefensee, hat sich natürlich auch mehrfach
gemeldet - garantiert wird, dass sich die Situation auf
diese Region, soweit es nur irgendwie möglich ist, nicht
negativ auswirkt.
({0})
Jetzt rufe ich die
Frage 21 des Kollegen Hartmut Koschyk auf:
Trifft eine Pressemeldung zu, wonach der Bundesminister der
Verteidigung, Rudolf Scharping, im Hinblick auf die Auflösung
des Luftwaffenausbildungsbataillons in Bayreuth „die Sache neu
überdenken“ will - vergleiche „Nordbayerischer Kurier“ vom
19. Oktober 2001 -, oder ist die Aussage verbindlich, die der Bundesminister der Verteidigung auf das Schreiben der Abgeordneten
Hartmut Koschyk, Dr. Gerhard Scheu, Dr. Bernd Protzner und
Dr. Hans-Peter Friedrich ({0}) mit Datum vom 15. Oktober 2001
mitgeteilt hat?
Herr Kollege Koschyk, das
Thema Auflösung des Luftwaffenausbildungsbataillons
in Bayreuth beschäftigt Sie persönlich, Ihre Kolleginnen
und Kollegen und mich im Verteidungsministerium ja
sehr.
({0})
Die Aussagen von Minister Scharping in seinem Schreiben vom 15. Oktober 2001 an Sie wie auch an die Kollegen Dr. Gerhard Scheu, Dr. Bernd Protzner und auch Dr.
Hans-Peter Friedrich entsprechen den gültigen Planungen. Ich selbst habe Ihnen mehrfach die Gründe genannt,
warum die Luftwaffe die Aufgabe des Standortes empfiehlt.
({1})
Wie Sie hat allerdings auch Frau Kollegin Christa
Müller-Feuerstein das Zusammentreffen mit dem Bundesverteidigungsminister, das nicht so häufig möglich ist
wie bei Ihnen, genutzt, um sich für den Erhalt des Standortes Bayreuth einzusetzen.
Auch hier gibt es
natürlich eine Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, Frau Christa Müller-Feuerstein zitiert in der Zeitung,
die ich in meiner Anfrage erwähnt habe, den Verteidigungsminister dahin gehend, dass er die Sache neu überdenken werde.
Das habe ich auch gelesen. Sie
haben uns das freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Sie sagt gleichzeitig - das müssen Sie dann fairerweise
auch zitieren -: Ich will keine falschen Erwartungen
wecken.
Heißt das, dass die
Aussage, die der Bundesverteidigungsminister gegenüber
den erwähnten Kollegen und mir gemacht hat, die letztendlich definitive ist?
Es ist - deswegen habe ich das
ausdrücklich gesagt - der jetzige Planungsstand. Herr
Koschyk, nun weiß niemand von uns, was sich alles möglicherweise noch ereignen wird. Nach dem jetzigen
Stand - ich werde das auch bei der Beantwortung der
nächsten Frage noch sagen - gibt es viele Gründe, den
Standort Bayreuth infrage zu stellen.
Sie haben jetzt eine
Äußerung bezüglich des derzeitigen Standes gemacht.
Was könnten Überlegungen bzw. Rahmenbedingungen
sein, die noch einmal zu einer Überprüfung dieser Entscheidung führen könnten?
Die Überprüfung der Entscheidung wird, weil es sich um einen Ausbildungsbereich handelt, wahrscheinlich zu keinem anderen Ergebnis
kommen. Die Frage der Zeit, ob es also früher oder später
zu einer Schließung kommt, wird bei den verschiedenen
Standorten möglicherweise unterschiedlich beantwortet.
Für Bayreuth gibt es im Moment aber keinen anderen
Stand als den, den ich Ihnen eben erklärt habe.
Bei Frage 22 des Kollegen Hartmut Koschyk, die ich jetzt aufrufe, bleiben wir
noch in Bayreuth:
Wie stellt sich konkret die mangelnde Auslastung und damit
einhergehend die Unwirtschaftlichkeit der Belegung der Markgrafenkaserne in Bayreuth seit der Verlegung eines Ausbildungsbataillons der Luftwaffe nach Bayreuth dar und in welcher
Größenordnung sind zum Beispiel Leerstände zu verzeichnen?
Frau Präsidentin, Herr Kollege
Koschyk, nach der Raum- und Flächennorm der Bundeswehr weist die Markgrafenkaserne in Bayreuth mit der
derzeitigen Belegung Flächenüberhänge in folgender
Höhe aus - Sie erinnern sich, dass es dazu entsprechende
Maßstäbe gibt -: Im Unterkunftsbereich haben wir
33 Prozent mehr als wir brauchten, wobei - das sei hinzugefügt - heute eine großzügigere Belegung vorhanden
ist als früher, als es zwei Panzerbataillone gab. Im Funktionsbereich haben wir 55 Prozent zu viel, im Lehrsaalbereich sind es 91 Prozent der Kapazitäten und im technischen Bereich 27 Prozent. Das Wirtschaftsgebäude war
für ziemlich genau die doppelte Zahl von Soldaten ausgelegt, als heute dort verpflegt werden.
Bitte, Herr Kollege
Koschyk, zur Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, wenn dies alles von Anfang an, also seit der Belegung
der Markgrafenkaserne durch das Luftwaffenausbildungsbataillon, der Fall gewesen ist, dann frage ich mich,
warum man noch im letzten Jahr die Sanierung der Truppenküche in Angriff genommen hat und auch hier im
Bundestag auf mehrmalige Nachfragen hin gesagt hat,
dass es bei dieser Sanierung bleiben solle, weil man an
dem Standort festhalten wolle. Wie konnte man sich überhaupt zu einer Sanierung der Truppenküche an einem
Standort entschließen, der, wie Sie jetzt sagen, nach Meinung dieser Bundesregierung von Anfang an unwirtschaftlich gewesen ist?
Mein zweiter Punkt: Der Bundesrechnungshof hat in
seinen Prüfungsbemerkungen zur Haushalts- und
Wirtschaftsführung für das Jahr 2001 in Kap. 80 - Infrastrukturbedarf der Bundeswehr - kritisiert, dass das Bundesverteidigungsministerium die Außenstelle der Standortverwaltung, die sich außerhalb der Kaserne befindet,
ebenfalls nicht hinreichend genutzt hat. Er hat das Verteidigungsministerium aufgefordert, die Außenstelle der
Standortverwaltung in die Kaserne hineinzuverlegen. Ich
frage noch einmal, warum man dann nicht zum Beispiel
die Verlegung der Standortverwaltung und des Kreiswehrersatzamtes in die Kaserne, wie es auch der Bundesrechnungshof gefordert hat, geprüft hat, um insgesamt die
Überhänge von Lehrsälen und Flächen, die Sie gerade genannt haben, zu korrigieren.
Herr Koschyk, da Planungen
der Vergangenheit auch von der neuen Bundesregierung
umgesetzt werden, fordert der Minister mit aller
Entschiedenheit mehr Wirtschaftlichkeit und mehr Privatisierung in diesem Bereich. Sie finden in der gesamten
Bundesrepublik zum einen Infrastruktur vor, die man
nicht braucht, und zum anderen gibt es Infrastruktur, die
dringend saniert werden muss.
Es gibt langfristige Planungen, die ich zum Teil nicht
nachvollziehen kann. Der Bundesrechnungshof hat bei
der Prüfung bezüglich des Standortes Bayreuth sicherlich
eine Prüfung vorgenommen, bevor die Standortpläne des
Ministers der Verteidigung vorlagen; denn sonst wäre es
zu diesen Entscheidungen nicht gekommen. Auch die
Standortverwaltung wird in der Zukunft eine andere
Struktur haben. Ich will dennoch nicht verkennen - das
sage ich in Richtung der Kollegin Kastner; ich habe mir
den Standort in ihrem Wahlkreis angesehen -, dass es für
bestimmte Regionen schmerzlich ist, wenn man sieht,
dass die hervorragende Infrastruktur nicht mehr genutzt,
sondern aufgegeben wird.
({0})
Eine weitere Nachfrage des Kollegen Koschyk.
Frau Staatssekretärin, hat man ernsthaft geprüft und wenn ja, mit welchem
Ergebnis, ob die Flächenüberhänge und die Raumleerstände, die Sie gerade genannt haben und die vom Bundesrechnungshof moniert wurden, nicht dadurch abgebaut werden können, dass man die Standortverwaltung
und das Kreiswehrersatzamt, das in einem anderen Gebäude in der Stadt untergebracht ist, auf das Areal der
Markgrafenkaserne verlegt. Damit könnte eine höhere
Auslastung erreicht werden, sodass die hohen Leerstände,
die Sie jetzt monieren, abgebaut werden könnten.
Herr Koschyk, es war von Anfang an ein Fehler, das Luftwaffenausbildungsbataillon
dorthin zu verlegen. Diese Kaserne war für zwei
Panzerbataillone ausgelegt. Angesichts einer kleiner werdenden Bundeswehr haben wir keinen weiteren Bedarf an
Ausbildungskapazitäten für Wehrpflichtige der Luftwaffe
gehabt. Das ist auch verständlich: Die Stärke der Bundeswehr ist von 495 000 über 370 000 bis auf - das geschah noch unter der Verantwortung von Herrn Rühe 340 000 Soldaten gesunken.
Die Verlegung eines Standortes - das war eine Maßnahme, mit der schon Reduktionen verbunden waren war natürlich nur eine Goodwill-Aktion, wobei aber nicht
bedacht wurde, dass sowohl das Flächen- als auch das
Raumangebot überdimensioniert ist. Die Leerstände kann
man nicht durch die Verlegung der Standortverwaltung
und des Kreiswehrersatzamtes auf dieses Gelände beseitigen. Ihnen ist doch auch klar, dass mit dem Wegfall des
Ausbildungsbataillons eine Standortverwaltung in dieser
Größenordnung nicht mehr gebraucht wird.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, es verbleiben noch sieben Fragen in der
Fragestunde, sodass es durchaus möglich sein kann, dass
die Aktuelle Stunde etwas früher anfängt. Ich bitte die
Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen, sich darauf
einzustellen, dass wir unter Umständen eher als geplant
mit der Aktuellen Stunde beginnen. Im Anschluss daran
wird es eine Fraktionssitzung der SPD geben.
Die Frage 23 des Kollegen Hildebrecht Braun ({0}) wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe nun die Frage 24 des Kollegen Werner
Siemann auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Rückzug Italiens aus
dem europäischen Beschaffungsprojekt des militärischen Transportflugzeugs A 400 M und welche Konsequenzen ergeben sich
daraus für die verbleibenden kooperierenden Staaten?
Lieber Herr Kollege Siemann,
am 19. Juni 2001 haben Belgien, Frankreich, Großbritannien, Spanien, die Türkei und Deutschland die
Regierungsvereinbarung zur Beschaffung des A 400 M
auf der Grundlage einer Gesamtstückzahl von 212 Flugzeugen in Le Bourget unterzeichnet. Portugal und Italien
haben nicht, Spanien und Deutschland haben unter Vorbehalt unterschrieben. Portugal will das Memorandum of
Understanding in Kürze unterschreiben.
Italien hat am 16. Oktober 2001 ohne Angaben von
Gründen erklärt, nicht mehr weiter am Programm teilzunehmen. Es hat jedoch anlässlich einer Konferenz der
Rüstungsdirektoren am 31. Oktober 2001 in Berlin erklärt, wieder für eine Beteiligung offen zu sein und die
endgültige Entscheidung bis Mitte November treffen zu
wollen. Durch einen italienischen Rückzug würde sich die
Gesamtstückzahl auf 196 Flugzeuge reduzieren.
Die Vertragsverhandlungen mit Airbus Military Company sind inzwischen nahezu abgeschlossen. Alle Punkte
bis auf den Preis - das ist eigentlich der entscheidende
Punkt - wurden für uns zufriedenstellend gelöst. Die bisher in den Verhandlungen erzielten Preisreduzierungen
würden durch den italienischen Ausstieg leider zunichte
gemacht werden.
Das Programm bietet der europäischen Luftfahrtindustrie die Chance, auf dem Sektor der strategischen Transportflugzeuge leistungsfähige Kapazitäten aufzubauen.
Es wird damit nachhaltig zur Konsolidierung und Effektivierung der europäischen Luftfahrtindustrie beitragen.
Insgesamt werden - das gilt Ihnen und allen Kollegen direkt und indirekt in diesem Hochtechnologiesegment
bis zu 40 000 Arbeitsplätze in Europa gesichert werden.
Der italienische Anteil liegt bei etwa 7,5 Prozent und
würde dann auf die verbleibenden Nationen verteilt, wodurch Deutschland einen Arbeitsanteil von circa 37 Prozent erhalten würde.
Herr Kollege Siemann
zu einer ersten Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin,
wenn es tatsächlich bei dem Ausstieg Italiens bleibt, kann
man ja wohl damit rechnen, dass das ganze System teurer
wird.
({0})
Der Verteidigungsminister hat in der Vergangenheit immer wieder betont, die Beschaffung dieses Transportflugzeuges müsse oder könne teilweise oder hauptsächlich
außerhalb des Einzelplans 14 finanziert werden. Nun soll
es im nächsten Jahr 1,5 Milliarden DM zusätzlich geben.
Jetzt wird kolportiert, dass eine Finanzierung der Beschaffung des Transportflugzeuges außerhalb von Einzelplan 14 endgültig vom Tisch sei. Ist das richtig?
Nein. Die 1,5 Milliarden DM,
die wir im Jahr 2002 möglicherweise im Rahmen der aktiven Terrorbekämpfung im Einzelplan 60 bekommen,
werden wir auch dringend für diese Einsätze benötigen.
Sie wissen, Herr Siemann, wir wollen das Flugzeug, das
sich in der Entwicklung befindet, 2006 oder 2008 kaufen.
Wir brauchen es im Grunde jetzt schon. Den Kollegen
dürfte eigentlich klar sein, dass die Transall - sie stammt
aus dem Jahre 1968 - wegen der geringen Reichweite
dringend ersetzt werden muss. Wir werden dieses Geld
wirklich für den Einsatz der Streitkräfte und für die Vorbereitung dieses Einsatzes verwenden müssen.
Die Frage, wie hoch in der Zukunft die Verpflichtungsermächtigung für das Transportflugzeug ist - wir
wollen ja nicht gleich bezahlen -, wird eine entscheidende
Frage der Zukunft sein. Ich gehe davon aus, dass wir die
vorgezogene Stückzahl auch innerhalb des Einzelplans finanzieren können. Noch müssen wir das Geld ja nicht veranschlagen.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Sie sehen also keine
Möglichkeit mehr, wie es der Minister immer wieder angesprochen hat, eine Finanzierung außerhalb des Einzelplans 14 vorzunehmen?
Zunächst einmal sind wir in
der Situation, dass wir es jetzt nicht finanzieren müssen,
wenn unsere Vorstellung aufgeht, dass die Industrie in einem weitgehend marktgerechten Bereich die Entwicklung und die Vorbereitung zum Teil vorfinanziert und wir
ihr das später bezahlen. Ich spekuliere nicht über die Höhe
des Verteidigungshaushalts zu einem Zeitpunkt, wenn die
ersten Flugzeuge wirklich bezahlt werden müssen. Ich
hoffe, dass die Lage dann friedlicher sein wird und das
Flugzeug im Rahmen unseres Haushalts, des
Einzelplans 14, bezahlt werden kann.
Ich rufe die
Frage 25 des Kollegen Werner Siemann auf:
Wann wird die Bundesrepublik Deutschland den Beschaffungsvertrag für den A 400 M unterzeichnen?
Nach den Empfehlungen der
Price Working Group mit Teilnehmern aller Partnernationen besteht noch Spielraum bei der Preisverhandlung
mit der Industrie. Eine weitere Preisverhandlung wird
zurzeit durchgeführt. Die Partnernationen, insbesondere
Frankreich und Großbritannien, wollen am Rande der
Festveranstaltung anlässlich des fünfjährigen Bestehens
der gemeinsamen europäischen Rüstungsagentur OCCAR
auf dem Petersberg in Bonn am 16. November 2001 den
Industrievertrag unterschreiben.
Erst wenn die Vertragsverhandlungen beendet sind,
kann die parlamentarische Behandlung in Deutschland
eingeleitet werden. Die Bundesregierung strebt einen Vertragsabschluss in 2001 an.
Eine erste
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
es liegt mittlerweile ein Papier des Bundesrechnungshofes vor. Dieser rechnet uns vor und hat auch der
Hardthöhe vorgerechnet, dass man aufgrund der größeren
Kapazität dieses neuen Transportflugzeugs und auch der
technischen Gegebenheiten mit 40 Einheiten wird auskommen können. Hat dieser Bericht noch Auswirkungen
auf die weiteren Verhandlungen oder auf die Vertragsunterschrift durch die Regierung?
Ich hätte beinahe gesagt: Wir
haben auch einen anderen Bericht zu einem anderen Fahrzeug, dem Dingo, der im Moment hervorragende Leistungen auf dem Balkan erbringt. Auch dazu hat der Rechnungshof einen Bericht geschrieben, der durch die
Realität überholt worden ist. Ich glaube nicht, dass es Aufgabe des Rechnungshofs ist, zu entscheiden, wie viele
Flugzeuge die deutsche Luftwaffe und die Bundeswehr
benötigen. Dies ist in der Tat eine politische Entscheidung, die die Bundesregierung zusammen mit dem Parlament zu treffen hat.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Bundesrepublik
Deutschland mit ihren rein konventionellen Streitkräften
keine angemessene Lufttransportkapazität zur Verfügung
stehen sollte. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir
diese 73 Luftfahrzeuge benötigen.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
ist es eigentlich richtig, dass der Bericht des Bundesrechnungshofes dem Bundesverteidigungsministerium am
14. März 2001 mit der Bitte zugeleitet wurde, innerhalb
von zwei Monaten Stellung zu nehmen, und die
Hardthöhe daraufhin mit Schreiben vom 4. April um stillschweigende Terminverlängerung bis Ende Mai gebeten
hat, bis heute aber eine Stellungnahme zu dem Bericht des
Bundesrechnungshofes diesem gegenüber noch nicht abgegeben hat?
Der Rechnungshof weiß genau, dass er bei seinen Ausführungen zu der Frage, ob 40
oder 73 Flugzeuge erforderlich sind, ein bisschen über
seine Kompetenz hinausgeht. Er muss sich darüber Gedanken machen, ob unser Beschaffungswesen wirtschaftlich ist. Aber die Entscheidung, wie viele Flugzeuge notwendig sind, möchte ich, wie gesagt, auch in Zukunft dem
Parlament und der Bundesregierung überlassen.
({0})
- Der Bundesrechnungshof hat von uns mehrfach gesagt
bekommen, dass unsere Vorstellung von seiner abweicht.
Wir können unsere Auffassung auch gut begründen. Es
gibt ausreichend Hintergrundinformationen, die deutlich
machen, dass wir 73 Flugzeuge benötigen. Sie verfügen
ebenfalls über diese Informationen, Herr Kollege.
Ich rufe die
Frage 26 des Kollegen Martin Hohmann auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die Gelöbnis- bzw. Eidesformel für die deutschen Soldaten und Soldatinnen angesichts der
neuen Aufgabenzuweisungen und weltweiter Einsatzmöglichkeiten zu ändern, und welche konkreten Textalternativen gibt es gegebenenfalls?
Herr Präsident! Lieber Herr
Kollege Hohmann, die Bundesregierung beabsichtigt
nicht, die Gelöbnis- bzw. Eidesformel zu verändern. Das
in der Eides- und Gelöbnisformel zum Ausdruck kommende Bekenntnis des Soldaten umfasst jeden Einsatz,
der mit unserer Verfassung, dem Grundgesetz, in Einklang steht. Der in der gesetzlichen Regelung der Treuepflicht - das steht in § 7 des Soldatengesetzes - und in der
Eides- und Gelöbnisformel des § 9 des Soldatengesetzes
in gleicher Weise enthaltene Passus „... und das Recht und
die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“
beschränkt die Einsatzmöglichkeiten des Soldaten der
Bundeswehr weder auf die Verteidigung des Gebiets der
Bundesrepublik Deutschland noch auf das deutsche Volk.
Die Formulierung hatte den Zweck, als ein grundlegendes
Wesensmerkmal des soldatischen Dienens die Tapferkeit,
die vom Soldaten bei der Erfüllung eines jeden Verfassungsauftrages verlangt wird, besonders hervorzuheben.
Weil diese Pflicht zur Tapferkeit aus dem reinen Wortlaut
der Pflicht zum treuen Dienen nicht ohne weiteres hervorgeht, sah sich der Gesetzgeber veranlasst, diesen
Aspekt der Treuepflicht mit der gewählten Formulierung
ausdrücklich zu normieren.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Hohmann.
Frau Staatssekretärin,
vielen Dank. Zunächst einmal spreche ich Ihnen meine
Anerkennung dafür aus, dass Sie trotz einer erkennbaren
Erkältung so tapfer Ihr Ressort vertreten.
Danke, aber das sind Folgen
der Haushaltsberatungen.
Die Frage ist von
Wehrpflichtigen an mich herangetragen worden, die vor
allem vor dem Hintergrund des Kosovo-Einsatzes
nachgefragt haben. Ich kann mich an meine Zeit bei der
Bundeswehr in den 60er-Jahren erinnern, als wir von den
Vorgesetzten sehr logisch erklärt bekamen, hier seien wir,
dort die anderen; dies sei die Frontstellung. Nur scheint
mir dies im Hinblick auf den Kosovo-Einsatz eine
gewisse Überinterpretation zu sein.
Ich danke Ihnen sehr für diese
Frage, weil sie für die Zuhörer von Interesse sein dürfte.
In diese Einsätze gehen keine Wehrpflichtigen, sondern
nur diejenigen, die freiwillig länger Wehrdienst leisten
und dafür auch anders bezahlt werden. In solche
Einsätze - das gilt auch für die neue, noch schwierigere
Aufgabe - gehen Zeit- und Berufssoldaten, also Professionelle. Wenn ein Wehrpflichtiger den Wunsch äußert, an
einem solchen Einsatz teilzunehmen, muss er länger dienen. Das gilt auch weiterhin; darüber gibt es überhaupt
keine Diskussion. Man könnte es auch nicht verantworten, junge Menschen in solche Einsätze zu schicken, wenn
man sie nicht speziell darauf vorbereitet hätte.
Die
Frage 27 des Kollegen Dietrich Austermann wird ebenso
schriftlich beantwortet wie die beiden Fragen 28 und 29
des Kollegen Günther Friedrich Nolting.
Wir kommen zur Frage 30 der Abgeordneten Sylvia
Bonitz:
Wie beurteilt die Bundesregierung die aktuelle Sicherheitslage
in Mazedonien angesichts der neuerlichen Schießereien und wie
beurteilt sie die Gefährdungslage für die deutschen Soldaten vor
Ort?
Frau Kollegin Bonitz, die
Sicherheitslage in Mazedonien ist unverändert fragil. In
den vergangenen Wochen und Monaten kam es in Tetovo
und in seiner Umgebung zu Zwischenfällen. Vertreter der
internationalen Gemeinschaft und insbesondere Angehörige von KFOR, die sich ebenfalls in Mazedonien
aufhalten, und der Task Force Fox sind nach wie vor keinen Angriffen in Mazedonien ausgesetzt. Sowohl die
Streitkräfte und Sicherheitskräfte als auch für die ehemalige mazedonische UCK werden gegenüber den internationalen Truppenverbänden nicht gewalttätig.
Gleichwohl gibt es bei den Konfliktparteien natürlich
extreme Splittergruppen, die sich der Kontrolle durch die
jeweilige Führung entziehen. Deswegen muss auch in Zukunft mit Einzelaktionen durch Kleingruppen oder radikalisierte Einzeltäter bis hin zu gewaltsamen Übergriffen
gerechnet werden. Unsere Soldaten sind auf solche
Szenarien eingestellt. Aber das Verhalten gerade unserer
deutschen Soldaten wird von sämtlichen Ethnien respektiert. Es gab bis zum heutigen Tag keine Übergriffe.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, das
Mandat läuft am 27. Dezember dieses Jahres aus. Infolge
der Verschiebung der ersten Sitzungswoche im Januar
wird der Deutsche Bundestag aber voraussichtlich erst ab
21. Januar 2002 wieder eine Sitzungswoche haben. Daher
frage ich Sie: Wann beabsichtigt die Bundesregierung,
den Bundestag erneut mit dem Mandat für den Einsatz in
Mazedonien zu befassen, vor allem vor dem Hintergrund,
dass dort im Januar Parlamentswahlen stattfinden und damit möglicherweise erneut Unruhen einhergehen?
Das ist jetzt alles spekulativ.
Wir sind sehr bemüht - Sie wissen das und können es auch
verfolgen -, im Rahmen von EU und NATO auf die
Hauptgruppen der beiden Konfliktparteien, also die
Slawo-Mazedonier und die albanischen Mazedonier,
einzuwirken, um sie zu bewegen, hinsichtlich der entsprechenden Gesetzgebung voranzukommen.
Ich gehe auch davon aus, dass wir im Dezember überschauen können, ob die weitere Anwesenheit der Task
Force Fox notwendig ist. Ich gehe ebenfalls davon aus,
dass sich das Parlament damit beschäftigen wird. Zum jetzigen Zeitpunkt habe ich keinen Grund für die Annahme,
dass die betroffenen Parteien nicht bereit seien, zu einem
vernünftigen verfassungsrechtlichen Vorgehen zu kommen.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Eine andere Frage: Wird der geplante Einsatz
deutscher Streitkräfte im Rahmen der Unterstützung der
USA bei der Terrorbekämpfung - darüber werden wir in
den nächsten Tagen zu diskutieren und auch zu befinden
haben -Auswirkungen auf die derzeit auf dem Balkan stationierten deutschen Soldaten haben, gegebenenfalls bis
hin zu einer vorzeitigen Abberufung einzelner Truppenteile?
Davon ist im Moment überhaupt keine Rede.
Das war die
Antwort?
Ja.
Danke.
Wir kommen zur Frage 31 des Abgeordneten Dr. HansPeter Uhl:
Hält die Bundesregierung die derzeit gültigen Vorschriften für
den Einsatz von Spezialisten der Bundeswehr im Inland, insbesondere von ABC-Zügen, für ausreichend bzw. welche konkreten
Änderungen der Vorschriften sind geplant angesichts der Tatsache, dass sich am 12. Oktober 2001 ein ABC-Zug der Bundeswehr
auf Nachfrage wegen angeblich fehlender Kompetenz geweigert
hatte, zwei beim Briefpostamt in Nürnberg aufgetauchte Briefe zu
untersuchen, aus denen weißes Pulver rieselte und die in auffallend falscher Rechtschreibung die Aufschrift trugen: „Der heilige
Krieg hat begonnen“?
Sehr geehrter Herr Kollege
Dr. Uhl, im Zusammenhang mit den am 12. Oktober 2001
beim Briefpostamt in Nürnberg aufgetauchten verdächtigen Briefen hat es keine Anfrage bei einem ABC-Zug der
Bundeswehr mit der Bitte um Unterstützung gegeben.
Von einer Verweigerung der Unterstützung wegen angeblich fehlender Kompetenzen kann deshalb nicht die Rede
sein.
Aus Ihrer langjährigen beruflichen Erfahrung wissen
Sie, dass das Grundgesetz eine funktionale Trennung zwischen den Aufgaben der Polizei und denen der Streitkräfte
vorsieht. Sie hat sich normalerweise bewährt; denn solche
Dinge sind auch in der Vergangenheit vorgekommen.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, darf ich Sie dennoch fragen - losgelöst von diesem
Einzelfall, ob es eine Anfrage gab oder die Mitarbeit verweigert wurde -, ob Sie es für richtig halten, dass man
sich, obwohl in Ballungsräumen wie Nürnberg oder auch
München, wo ich herkomme, in den Kasernen hoch spezialisierte ABC-Spezialisten der Bundeswehr sitzen, die
eventuell dringend benötigt werden, auf die Zuständigkeit
beruft und sagt: Nein, die müssen in der Kaserne sitzen
bleiben und dort - flapsig formuliert - auf den nächsten
Krieg warten; sie dürfen nicht in dem Postamt eingesetzt
werden, in dem ein entsprechender Brief ankommt. Halten Sie es für richtig, dass Bundesmittel in dieser Weise
verschwendet werden und außerdem über das Bundesinnenministerium mit anderen Bundesmitteln eine
Parallelorganisation aufgebaut wird, damit Deutschland
noch einmal flächendeckend mit ABC-Schutzeinheiten
versorgt wird?
Herr Dr. Uhl, ich habe extra
Ihre berufliche Tätigkeit nachgelesen. Ich selbst war viele
Jahre lang Vorsitzende des Gesprächskreises „Kommunalpolitik“. Ich kenne nicht die Ausrüstung der Polizei
und der entsprechenden kommunalen Einrichtungen in
München. Ich kenne allerdings sehr genau die Ausstattung in Bayern und vor allen Dingen die unserer Feuerwehren, die inzwischen häufiger zu Verkehrsunfällen
von größeren LKWs, die chemische Substanzen geladen
haben, geholt werden als zu Bränden. Ich komme aus einem Wahlkreis, in dem es relativ viel chemische Industrie
und Glasindustrie gibt.
Ich kann Ihnen nur eines sagen: Die Vorstellung, dass
die Bundeswehr bei jedem verdächtigen Brief - auch
wenn wir natürlich im Moment eine erhöhte Sensibilität
haben und es leider zu viele Trittbrettfahrer gibt - mit
ihren Kapazitäten beschäftigt würde, ist völlig abwegig.
Die Länder und die Kommunen haben hier selbstverständlich ihre Pflichten. Sie haben auch Wert darauf gelegt, gerade der Freistaat Bayern und ebenso Niedersachsen. Ich sehe deswegen überhaupt keinen Bedarf, die
Bundeswehr in diesen Fällen in Anspruch zu nehmen.
Sollte es eine besondere Situation geben und es wirklich
zu ernsthaften Anschlägen kommen - wovon wir hoffentlich alle nicht ausgehen -, könnte ich mir vorstellen, dass
im Rahmen der Möglichkeiten nach Anforderung durch
die Länder Hilfe geleistet wird.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass in einem Ballungsraum wie München lediglich ein ABC-Zug
bei den Feuerwehren vorhanden ist Brigitte Schulte, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Verteidigung: Aha!
- ja - und dass man
zweitens davon ausgehen muss, dass ein solcher ABCZug im Schadensfall pro Stunde maximal 60 kontaminierte Personen behandeln kann? Das heißt, der Gedanke,
dass zusätzlich zu den vorhandenen kommunalen Kapazitäten Bundeswehr-ABC-Züge zum Einsatz kommen, ist
durchaus vorstellbar und gar nicht abwegig, weswegen
sich doch die Frage stellt, ob Sie sich darauf vorbereitet
haben, dass man bei solchen oder anders gelagerten Fällen durch Ihr Bundesministerium finanzierte ABC-Einheiten zum Einsatz bringt.
Nein, die Bundeswehr ist auf
die internationalen Aufgaben vorbereitet. Art. 35 Abs. 1
des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland erlaubt aber Amtshilfe; das wissen Sie ja. Das heißt, es kann
in der Tat nach entsprechender Anforderung durch die
Behörden der Länder an irgendeiner Stelle Amtshilfe geleistet werden. Nehmen wir einmal den Fall, es würde ein
großes chemisches Unternehmen explodieren. Dann kann
nach Anforderung Amtshilfe durch die Bundeswehr geleistet werden. Ansonsten ist es nicht die Aufgabe der
Streitkräfte, die Lage im Innern abzusichern; sie haben
andere Aufgaben. Das werden sie auch in der Zukunft
nicht können; denn es gibt zu viele chemische Betriebe,
zu viele Möglichkeiten, sich Verrücktheiten auszudenken,
zu viele Kernkraftwerke und Ähnliches; das ist flächendeckend nicht möglich. Wenn aber ein größerer Störfall
als Einzelfall auftritt, werden wir die Probleme, glaube
ich, gemeinsam lösen können.
Wir sind am
Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke Ihnen, Frau
Staatssekretärin.
Die Fragen 32 und 33 des Kollegen Hans-Michael
Goldmann und die Frage 34 des Kollegen Thomas
Dörflinger aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen werden
schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum letzten Geschäftsbereich, dem
des Auswärtigen Amtes. Die Fragen 37 und 38 des Kollegen Carsten Hübner werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 35 des Kollegen Wolfgang Gehrcke
auf:
Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung zum derzeitigen Stand des Friedensprozesses in Kolumbien, insbesondere
unter Berücksichtigung der Verhandlungen zwischen FARC
({0}) und ELN
({1}) mit der kolumbianischen Regierung?
Herr Kollege Gehrcke, der Friedensprozess in
Kolumbien durchläuft derzeit eine sehr schwierige Phase.
Der Verhandlungsprozess mit den FARC ruht seit dem
7. Oktober. Die Regierung hatte sich am 5. Oktober in
dem Abkommen von San Francisco mit den FARC
zunächst auf die inhaltliche Fortsetzung des Verhandlungsprozesses geeinigt, einschließlich des Zieles eines
allgemeinen Waffenstillstands und des Verzichts der
FARC auf Massenentführungen, nicht aber auf Einzelentführungen.
Am 7. Oktober verlängerte die Regierung die so genannte Verhandlungszone der FARC bis zum 20. Januar
2002. Zugleich verhängte Maßnahmen zur verstärkten
Kontrolle des Zugangs zu der Zone haben die FARC jedoch am 17. Oktober veranlasst, die anstehenden Sitzungen des Verhandlungsprozesses zu boykottieren.
Der Verhandlungsprozess mit dem ELN ist seit dem
19. April unterbrochen. Damals hatte der ELN den Verhandlungsprozess mit der Behauptung abgebrochen, die
Regierung tue nicht genug, um die Paramilitärs in der vorgesehenen Verhandlungszone des ELN zu bekämpfen.
Regierung und ELN gelang es in mehreren Treffen im
Juni/Juli in Genf und in Venezuela nicht, diesen Dissens
zu überbrücken. Als Folge erklärte auch die Regierung am
7. August ihrerseits den Verhandlungsprozess für suspendiert. Die Aussichten für die Fortsetzung des Friedensprozesses werden derzeit zurückhaltend eingeschätzt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ich
möchte Sie zu Anfang darum bitten, den Beamten Ihres
Hauses, die sich, wie ich meine, sehr umsichtig, sensibel
und erfolgreich für die Freilassung der beiden deutschen
Geiseln, der von der FARC entführten Entwicklungshelfer, eingesetzt haben, herzlich zu danken, und zwar nicht
nur im Namen meiner Fraktion, sondern sicherlich auch
für einen größeren Kreis von Kolleginnen und Kollegen.
Meinen Sie nicht, dass dieser Weg, sensibel, vernünftig und ruhig auf die Konfliktparteien einzuwirken, ein
Weg ist, der zu Erfolgen im Friedensprozess führen kann,
und dass hierin auch eine Chance für die deutsche Bundesregierung liegt?
Ich bedanke mich für die anerkennenden Worte und
gebe sie gern an die entsprechenden Beamten weiter.
In der Tat ist es Politik der Bundesregierung - wie
übrigens auch der anderen Europäer, mit denen wir in engem Austausch darüber stehen -, in erster Linie die Regierung Pastrana zu unterstützen, weil wir das Hauptproblem in Kolumbien darin sehen, dass der Staat als solcher
zwar in der Hauptstadt Bogotá und in einzelnen anderen
Städten und Regionen stark ist, aber nicht in der Fläche
des gesamten Staates seine Wirksamkeit, auch als Gewaltmonopol, entfaltet. Gleichwohl unterstützen wir die
Regierung Pastrana bei ihrem Versuch, über Gespräche
und Verhandlungen mit den drei Guerillagruppen, ELN,
FARC und Paramilitärs, zu einem Friedensprozess zu
kommen. Das scheitert aber daran, dass - anders als die
Regierung - diese drei Organisationen offensichtlich bis
jetzt kein wirkliches Interesse an einem Friedensschluss
hatten.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Wäre die Bundesregierung bereit, ihre Erfahrungen mit dem von Ihnen geschilderten sensiblen Umgang an die Regierung der Vereinigten Staaten weiterzugeben und ihr zu empfehlen, ähnlich
vorzugehen?
Wir befinden uns mit den Vereinigten Staaten im
Gespräch. Sie kennen den Plan Columbia, der von der
amerikanischen Seite entwickelt worden ist, und auch die
Stellungnahmen der Europäer dazu. Die Europäer haben
parallel zu den amerikanischen Vorstellungen eigene
Vorstellungen dazu entwickelt, wie man den Friedensprozess fördern kann und wie man insbesondere dann, wenn
man die Drogenproduktion und den Drogenhandel
zurückdrängen will - das muss man; das ist unser politisches Ziel -, gleichzeitig den Campesinos, den Bauern,
andere Erwerbsquellen zur Verfügung stellen kann. Das
wirkt sich etwa in unserer Entwicklungshilfe aus, die über
einzelne Entwicklungsprojekte hinaus so etwas wie Regionalentwicklung, Gemeindeentwicklung, einschließlich des Aufbaus von Zivilgesellschaft und demokratischen staatlichen Strukturen zum Ziel hat.
Ich rufe die
Frage 36 des Kollegen Gehrcke auf:
Sieht die Bundesregierung das Vorhaben der US-Regierung,
für die Anführer der großen Guerillaorganisationen die Auslieferung zu einem Gerichtsverfahren wegen Terrorismus in den USA
zu beantragen, als kontraproduktiv für den Friedensprozess in
Kolumbien an ({0})?
Herr Kollege Gehrcke, der Artikel in der „Berliner
Zeitung“, nach dem Sie fragen, geht auf öffentliche Äußerungen der US-Botschafterin in Bogotá zurück, in denen
sie auch auf eine Auslieferung von Mitgliedern der Guerillagruppen FARC und ELN sowie der diese bekämpfenden Paramilitärs, soweit ihnen eine Verstrickung in den
Drogenhandel oder Geldwäschedelikte nachgewiesen
werden können, Bezug nimmt.
Bereits seit Anfang September, das heißt vor den Terroranschlägen vom 11. September, standen die drei genannten Gruppierungen auf der vom State Department
geführten Liste ausländischer terroristischer Organisationen. Es handelt sich dabei um reguläre, nicht auf den kolumbianischen Friedensprozess zielende staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen Straftäter, die sich nach
US-Recht strafbar gemacht haben. Das kolumbianische
Recht sieht die Möglichkeit der Auslieferung ins Ausland
nach Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahren ausdrücklich
vor. Ob ein Auslieferungsersuchen bezüglich einzelner
Mitglieder dieser Organisation seitens der USA gestellt
und wie darauf von kolumbianischer Seite reagiert wird,
ist eine Frage der bilateralen Beziehungen zwischen den
betroffenen Staaten.
Eine Zusatzfrage.
Eigentlich möchte ich Sie
ja gerne fragen, ob Sie es in Anbetracht der sowieso vorhandenen internationalen Spannungen als diplomatisch
geschickt erachten, eine solche Forderung via Presse an
die kolumbianische Regierung zu richten. Da werden Sie
sich aber sicherlich zurückziehen. Deswegen frage ich
Sie, ob Sie nicht auch Sorge haben, dass die Antiterrordebatte und die Benennung terroristischer Strukturen und Länder nunmehr auf Lateinamerika übergreift
und den schwierigen, von Ihnen geschilderten Friedensprozess nachhaltig stören kann.
Wir haben ja zwei Problemkomplexe, einmal den
Problemkomplex, wie man Terrorismus definiert, was
insbesondere im Zusammenhang mit der in Aussicht genommenen umfassenden Antiterrorismuskonvention der
UNO zu klären sein wird. Der zweite Problemkomplex
betrifft die Einstufung dieser drei Organisationen in Kolumbien, die nach amerikanischer Meinung Terrororganisationen sind und die übrigens auch nach unserer Meinung, nach Meinung der Bundesregierung, alles andere
darstellen als das, was wir in den 70er- oder 80er-Jahren
als legitime Emanzipations- und Befreiungsbewegung gefördert und unterstützt haben oder womit wir zumindest
sympathisiert haben. Wir neigen ebenfalls dazu, ELN und
FARC als verbrecherische Organisationen einzustufen,
die vielleicht noch in ihren Begründungszusammenhängen eine gewisse soziale Bezugnahme mitschleppen,
deren Ziele aber letztlich darauf gerichtet sind, territoriale
Gewinne zu erzielen und sich über den Drogenhandel zu
bereichern.
Ich finde es - Herr Kollege Gehrcke, ich weiß, dass Sie
oder Ihre Partei in ähnlicher Richtung diskutieren außerordentlich wichtig, dass die eher linken Kräfte Europas, die in der Vergangenheit Emanzipationsbewegungen in Lateinamerika unterstützt haben, ganz deutlich machen: ELN und FARC gehören nicht in diese Kategorie,
sondern in die Kategorie Verbrecherorganisation.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Wir haben uns, soweit das
in unseren Kräften stand, ebenfalls darum bemüht, einen
Beitrag zur Freilassung der deutschen Geiseln zu leisten,
wie Ihnen bekannt ist.
Ich möchte abschließend daran die Frage knüpfen, wie
hoch die Bundesregierung die Gefahr einschätzt, dass es
über den bestehenden Bürgerkrieg hinaus in Kolumbien
zu einer militärischen Intervention von außen kommen
kann, die dann in der Gesamtregion - wobei Friedensprozesse auch in angrenzenden Ländern außerordentlich instabil sind - möglicherweise zu Verwerfungen führen
wird.
Zum einen sehen wir nicht, dass es bis zur Wahl in
Kolumbien im nächsten Jahr noch zu Durchbrüchen kommen wird. Auf der anderen Seite sehen wir aber auch
nicht, dass im Moment konkrete Planungen zu einer Intervention im Gange sind. Ansonsten haben die Europäer,
was diese militärische Ebene angeht, ihre Meinung deutlich gemacht. Wir sehen dort nicht so viel Nutzen wie unsere transatlantischen Partner.
Vielen
Dank, Herr Staatsminister.
Wir sind am Ende der Fragestunde. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Anspruch des Bundeskanzlers, die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent senken zu wollen, angesichts der Wirklichkeit steigender Beiträge
Ich sehe mit Befriedigung, dass wenigstens die Redner
anwesend sind, und eröffne die Aussprache.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Horst Seehofer für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil die schlechte Lage unserer
Sozialversicherungszweige in Deutschland mittlerweile
bedrohliche Ausmaße erreicht hat. In allen Bereichen - in
der Krankenversicherung, in der Pflegeversicherung, in
der Arbeitslosenversicherung, in der Rentenversicherung - ist jetzt, im Jahre 2001, die Lage der Sozialversicherung signifikant schlechter als vor drei Jahren. Dies ist
nicht auf die Folgen der Ereignisse des 11. September
zurückzuführen, sondern das ist das Ergebnis einer verfehlten Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik in den letzten drei Jahren.
({0})
Wir werden Anfang 2002 in der Sozialversicherung
eine gesamte Beitragsbelastung von über 41 Prozent haben. Dazu kommen Bundeszuschüsse zur Alters- und Arbeitslosenversicherung aus dem Bundeshaushalt in Höhe
von rund 140 Milliarden DM. Wenn man diese 140 Milliarden DM in Beitragspunkte umrechnet,
({1})
dann kommt man zu dem Ergebnis, dass wir zur Finanzierung unserer Sozialversicherung jetzt eine effektive
Belastung der Arbeitnehmer und Arbeitgeber von
annähernd 50 Prozent haben.
({2})
In den nächsten Jahren droht noch ein weiterer Beitragsund Ausgabenschub. Wir bewegen uns auf eine Beitragsbelastung von 55 Prozent zur Finanzierung unserer Sozialsysteme zu.
({3})
Das ist eine Besorgnis erregende Entwicklung, vor allem vor dem Hintergrund, dass die wirklichen Herausforderungen zur Finanzierung unserer Sozialsysteme noch
vor uns liegen, nämlich die Probleme, die aus der Altersentwicklung unserer Bevölkerung erwachsen und die aus
dem kostenintensiven Fortschritt in der Medizin und der
Pflege entstehen. Ursache für diese Entwicklung ist eine
Kette von Fehlentscheidungen, die die Bundesregierung
zu verantworten hat, insbesondere die beiden federführenden Minister Riester und Ulla Schmidt.
Die Fehlerkette begann erstens damit, dass man nach
der Bundestagswahl 1998 Reformen der Regierung Kohl
zurückgenommen und damit eine massive finanzielle Belastung der Sozialversicherung ausgelöst hat. Der zweite
Grund ist eine Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierung Schröder, die in der Bundesrepublik Deutschland
- das zeigen die Arbeitslosenzahlen des gestrigen Tages in den letzten drei Jahren Beschäftigung nicht geschaffen,
sondern vernichtet hat.
({4})
Das hat ebenfalls negative Auswirkungen auf die Finanzen der Sozialversicherung, und zwar auf der Einnahmenwie auf der Ausgabenseite.
Der dritte Punkt in dieser Kette von Fehlentscheidungen sind die angeblichen Strukturreformen in der Sozialversicherung, die entweder unterblieben sind oder
schlampig gemacht wurden. Man kann heute, nach drei
Jahren rot-grüner Reformpolitik, sagen, dass ständige unrealistische und geschönte Prognosen, die mit der Realität
nicht im Einklang stehen,
({5})
eine bürokratische Regelungswut und in diesen Tagen und
Wochen eine unglaubliche Zahl von Tricksereien Kennzeichen und Inbegriff rot-grüner Reformpolitik geworden
sind.
({6})
Meine Damen und Herren, diese Regierung steht vor
einem sozialpolitischen Scherbenhaufen.
({7})
Die verantwortlichen Minister Riester und Schmidt haben
das Vertrauen der Bevölkerung in die sozialen Sicherungssysteme massiv beschädigt.
({8})
Die Arbeitslosigkeit ist unvermindert hoch. Die Finanzen
der Arbeitslosenversicherung laufen aus dem Ruder. Es
gibt niemanden, der nicht zu dem Ergebnis käme, dass die
deutsche Arbeitsmarktpolitik in hohem Maße ineffizient
ist und dass wir Milliarden ausgeben mit wenig Ertrag.
Die Krankenversicherung steht vor dem finanziellen
Ruin. Ich kenne kein Jahr in den letzten 40 Jahren, in dem
so viele Negativergebnisse - schlechtere Qualität plus
höhere Beiträge - in einer Sozialversicherung erreicht
wurden. Die finanziellen Reserven der Pflegeversicherung werden aufgezehrt. Die Rentenreform ist bereits vor
ihrem In-Kraft-Treten reine Makulatur.
({9})
Wir haben es deshalb bei den beiden federführenden
Ministern mit Kurpfuschern im reinsten Sinne des Wortes
zu tun.
({10})
Sie haben mit Fehlentscheidungen die Sozialversicherung
in die Krise gestürzt und versuchen nun mit falschen Rezepten, die Sozialversicherung aus dieser Krise zu führen.
Der Sozialminister und die Gesundheitsministerin haben
dazu beigetragen, dass aus dem Aushängeschild des deutschen Sozialstaats, unserer Sozialversicherung, ein riesiges Problemkind geworden ist.
({11})
Ich erteile
das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, dem Kollegen Gerd Andres.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es außerordentlich pikant, dass ausgerechnet Herr Kollege Seehofer
diese Debatte eröffnet.
({0})
Ihm müsste eigentlich die Schamröte ins Gesicht steigen.
({1})
Während Ihrer Mitgliedschaft in einer Bundesregierung
als Parlamentarischer Staatssekretär und als Gesundheitsminister stiegen die gesetzlich definierten Lohnnebenkosten um sage und schreibe 6,2 Prozentpunkte an. Schämen
Sie sich für das, was Sie hier erzählt haben!
({2})
Wir wollen hier Tacheles reden. In Ihrer Zeit als Gesundheitsminister stieg der Krankenversicherungsbeitrag
von 12,5 auf 13,6 Prozent an. Schämen Sie sich für das,
was Sie hier gesagt haben!
Sie reden hier von Murks. Wir haben ein paar Urteile
kassiert, die mit dem Murks zu tun haben, den Sie als Regierungsmitglied in der Zeit von 1989 bis 1998 angerichtet haben - damit Sie wissen, worüber wir reden.
({3})
- „Jetzt zur Sache“? Das gehörte schon zur Sache. Das
kann ich handfest sagen. Wir haben nämlich den Schrott
von Ihnen übernommen - damit Sie das genau wissen,
Herr Seehofer.
({4})
Die neue Bundesregierung wird dafür sorgen, dass
die Sozialabgaben gesenkt werden.
({5})
Die Entlastung der Arbeit durch eine Senkung der gesetzlichen Lohnnebenkosten ist ein Eckpfeiler unserer Politik für neue Arbeitsplätze.
({6})
Dazu werden wir zum einen Strukturreformen durchführen, um die Zielgenauigkeit und Wirtschaftlichkeit der sozialen Sicherungssysteme zu verbessern.
({7})
Zum anderen werden wir die gesetzlichen Lohnnebenkosten im Rahmen einer ökologischen Steuerund Abgabenreform senken.
({8})
Wir werden die Sozialversicherungsbeiträge von
heute
- gut zuhören, Herr Seehofer! 42,3 Prozent des Bruttolohns durch die Einnahmen
aus der ökologischen Steuerreform auf unter 40 Prozent senken. Das entlastet Beschäftigte und Unternehmen.
Alles, was ich jetzt vorgetragen habe, war ein Zitat aus der
Koalitionsvereinbarung zwischen der SPD und dem
Bündnis 90/Die Grünen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist wieder
einmal so weit: Man ist uneins mit sich selbst, dieses Mal
über die Kanzlerkandidatur.
({9})
Also muss der kleinste gemeinsame Nenner herhalten: der
Angriff auf den Bundeskanzler und die Bundesregierung.
({10})
Nun kann man die Bundesregierung für alles Mögliche
verantwortlich machen, meinetwegen auch für das Wetter
heute. Doch sollte man vorsichtig sein, dass man dabei als
Opposition kein klassisches Eigentor schießt, wie Sie es
bei den so genannten Lohnnebenkosten tun.
Herr Seehofer, hören Sie gut zu! Schon Ihre Formulierung des Themas dieser Aktuellen Stunde ist Unsinn. Ich
werde Ihnen jetzt auch sagen, warum sie Unsinn ist.
Das Ziel der Bundesregierung, die Sozialversicherungsbeiträge - darum geht es und nur die können gemeint sein - auf unter 40 Prozent zu senken, wurde in der
Koalitionsvereinbarung zwischen der SPD und dem
Bündnis 90/Die Grünen festgelegt.
({11})
Dieses quantitative Ziel bezieht sich allerdings nur auf
Beitragssätze der gesetzlichen Sozialversicherung, also
der gesetzlichen Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Hierbei werden die Beitragssätze sowohl für die Arbeitgeber als auch für die Arbeitnehmer
berücksichtigt.
({12})
Deshalb ist das Thema dieser Aktuellen Stunde schon
falsch formuliert. Es geht nicht darum, die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent zu senken. Wer sich in der Materie
auskennt, weiß, dass dies völliger Blödsinn ist.
({13})
Vielmehr geht es darum, durch eine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge auf unter 40 Prozent auch die
Lohnnebenkosten zu verringern.
({14})
Dies ist etwas ganz anderes.
({15})
Ich gratuliere Ihnen als ehemaligem Minister ganz
herzlich. Herzlichen Glückwunsch! Sie können nicht einmal das Thema einer Aktuellen Stunde korrekt formulieren.
({16})
Deshalb ein paar Fakten, um die Sachverhalte einmal
klarzustellen. Zu mehr als der Hälfte beruhen die Lohnnebenkosten bzw. die Personalnebenkosten, wie es in der
amtlichen Statistik heißt, auf tariflichen und betrieblichen
Vereinbarungen. Darauf hat die Bundesregierung keinen
Einfluss. Worauf die Bundesregierung Einfluss hat, sind
die gesetzlichen Lohnnebenkosten. Nur hierauf könnte
sich ein quantitatives Ziel beziehen. Die gesetzlichen Personalnebenkosten betrugen im westdeutschen verarbeitenden Gewerbe im Jahre 2000 rund 37,4 Prozent des Direktentgeltes für geleistete Arbeit.
Im ostdeutschen verarbeitenden Gewerbe waren es
rund 37,8 Prozent. Damit es klar ist: Das sind Zahlen des
Instituts der deutschen Wirtschaft. Die können Sie dort
nachlesen - damit uns die Damen und Herren der Opposition nicht wieder voreilig vorwerfen, wir würden Zahlen manipulieren.
({17})
Sie sehen also: Das Ziel von 40 Prozent kann sich gar
nicht auf die Personalnebenkosten beziehen. Welchen
Sinn würde eine politische Zielmarke machen, die längst
erreicht ist?
Bei den gesetzlichen Personalnebenkosten entfallen
wiederum nur drei Viertel auf die Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber. Gerade wegen des Gewichts der
Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung an den gesetzlichen Personalnebenkosten konzentriert sich die
Politik der Bundesregierung auf die Beitragssätze zur Sozialversicherung. Bei den Beitragssätzen zur Sozialversicherung macht eine Zielmarke von 40 Prozent Sinn. So
steht es auch in der Koalitionsvereinbarung zwischen der
SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen.
Blicken wir zurück: Die konservativ-liberale Bundesregierung verfolgte nach eigenem Bekunden über die gesamte Regierungszeit hinweg ebenfalls das Ziel, die
gesetzlichen Personalnebenkosten möglichst zu vermindern, sie zumindest nicht weiter steigen zu lassen.
({18})
Die Realität sah leider anders aus. Dazu habe ich schon
ein paar Sätze gesagt. Ich habe den Eindruck, Sie haben
das alles schon vergessen.
In der praktischen Politik hat die damalige Bundesregierung nämlich genau das Gegenteil gemacht. 1982 betrugen die Beitragssätze zur Sozialversicherung noch
34 Prozent.
({19})
1998 waren es über 42 Prozent. Das war ein historischer
Höchstwert, der uns hinterlassen wurde. Nicht alles an
dieser Entwicklung ist der damaligen Regierung anzulasten, aber immerhin einiges. So wurden zum Beispiel die
sozialen Lasten der deutschen Wiedervereinigung überwiegend über die Sozialversicherungssysteme finanziert,
was wesentlich zum Anstieg der Beitragssätze beitrug.
Der Finanztransfer von West nach Ost im Rahmen der
gesetzlichen Rentenversicherung und der Bundesanstalt
für Arbeit betrug einschließlich des Bundeszuschusses für
die BA allein 1998 rund 46 Milliarden DM. Selbst wenn
der Bundeszuschuss für die Bundesanstalt herausgerechnet würde, verbliebe durch die Beitragszahler ein Finanztransfer von immerhin rund 38 Milliarden DM. Dies
entsprach rund 2 bis 3 Prozentpunkten des Gesamtbeitragssatzes zur Sozialversicherung.
Ein Eckpfeiler der Politik der jetzigen Bundesregierung war und ist auch weiterhin die Entlastung des Faktors Arbeit durch eine Senkung der gesetzlichen Personalnebenkosten.
({20})
Dazu wurden und werden zum einen Strukturreformen
durchgeführt, um die Zielgenauigkeit und Wirtschaftlichkeit der sozialen Sicherungssysteme zu verbessern. Die
Rentenreform als herausragendes Beispiel oder das heute
im Ausschuss beratene „Job-Aqtiv-Gesetz“ seien in diesem Zusammenhang erwähnt.
Zum anderen wurden und werden die gesetzlichen
Personalnebenkosten im Rahmen einer ökologischen
Steuer- und Abgabenreform gesenkt. Hierfür wurde als
erster Schritt zum 1. April 1999 der Beitragssatz zur
Rentenversicherung um 0,8 Prozentpunkte gesenkt. Zu
Beginn der Jahre 2000 und 2001 wurde der Beitragssatz
um weitere 0,4 Prozentpunkte reduziert. Der gesamte Beitragssatz zu den sozialen Sicherungssystemen ist dadurch
von seinem westdeutschen Rekordstand in Höhe von über
42 Prozent auf 40,9 Prozent gesunken. Ich stelle fest: Die
richtigen Schritte wurden gemacht.
({21})
Ziel der Bundesregierung ist es weiterhin, die
Sozialversicherungsbeiträge auf unter 40 Prozent zu senken. Hier sollten keine Missverständnisse aufkommen.
Ich sage Ihnen: Wir haben, gemessen an dem, was Sie uns
hinterlassen haben, schon Wesentliches erreicht. Wir werden im Rahmen der Möglichkeiten weiter daran arbeiten,
die Sozialversicherungsbeiträge zu senken.
({22})
Ich denke, hierzu ist es notwendig, dass wir zu einer
entsprechenden wirtschaftlichen Erholung kommen. Es
ist unbestreitbar, dass es gegenwärtig Beschäftigungsprobleme gibt. Sie hängen mit der Konjunktur und nicht mit
den Ereignissen vom 11. September dieses Jahres zusammen.
({23})
- Herr Seehofer, das wissen wir selber. Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Erkenntnis.
Die konjunkturelle Abschwächung in den Vereinigten
Staaten und in anderen Ländern setzte zu Beginn dieses
Jahres, nicht am 11. September ein.
({24})
Wir müssen abwarten, wie sich die Folgen des 11. September weiterentwickeln. Wir werden weiter an der Senkung der Beitragssätze arbeiten. Ich denke, wir haben
gute Erfolge erreicht.
Schönen Dank.
({25})
Für die
FDP-Fraktion spricht der Kollege Dr. Heinrich Kolb.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! So viel Leichtigkeit des Versprechens wie im Oktober 1998 war nie. Ich finde es recht
dreist, Herr Staatssekretär, dass Sie sich trauen, aus der
Koalitionsvereinbarung von damals zu zitieren. Ich darf
das wiederholen. Es hieß im Oktober 1998:
Die neue Bundesregierung wird dafür sorgen, dass
die Sozialabgaben gesenkt werden. Die Entlastung
der Arbeit durch eine Senkung der gesetzlichen
Lohnnebenkosten ist ein Eckpfeiler unserer Politik
für neue Arbeitsplätze.
({0})
Herr Staatssekretär, ich finde, es ist ziemlich blamabel,
wenn Sie sich hier auf Rabulistik beschränken. In dem
Antrag, eine Aktuellen Stunde durchzuführen, ist zugegebenermaßen von Lohnnebenkosten die Rede. Das ist genau der Begriff, den Sie auch in Ihrer Koalitionsvereinbarung verwendet haben; dort heißt es - wenn es darum
geht, fügen Sie „gesetzlich“ hinzu - „gesetzliche Lohnnebenkosten“. Stellen Sie sich der Diskussion!
({1})
Jetzt wollen wir sehen, was aus der beabsichtigten Senkung der Lohnnebenkosten geworden ist. Im Oktober
1998 betrugen die Lohnnebenkosten deutlich unter
40 Prozent. Eine Grafik aus dem „Spiegel“, die auf eine
Schätzung des Finanzwissenschaftlers und Wirtschaftsweisen Professor Rürup zurückgeht, zeigt, dass für 2002
die Prognosen für die Sozialabgaben pro 100 DM Bruttoarbeitslohn bei 41,20 DM liegen. Das sind - Prozentrechnung, Herr Staatssekretär - 41,2 Prozent. Das ist der
Stand, der sich nach der Einschätzung Ihres Wirtschaftsweisen Professor Rürup ergibt. Das heißt: Sie sind mit
Ihren großspurigen Ankündigungen vom Oktober 1998
gescheitert.
({2})
Sie sind auch gescheitert, weil Sie es versäumt haben,
Ihren Worten Taten folgen zu lassen und Ihre Hausaufgaben zu machen. Papier ist geduldig, aber Probleme kann
man damit nicht lösen. Deswegen, Herr Staatssekretär,
zum Mitschreiben: Man kann auf drei Arten Beitragssätze
senken, und zwar zunächst einmal, indem man den Kreis
der Beitragszahler erweitert. Hierzu muss man sagen,
dass Sie mit Ihren so genannten Strukturreformen für den
Arbeitsmarkt alles andere als günstige Rahmenbedingungen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze gesetzt haben.
Ich nenne in diesem Zusammenhang die Regelungen zu
den 630-DM-Verträgen, der Scheinselbstständigkeit, die
Erschwerung befristeter Arbeitsverhältnisse, den Anspruch auf Teilzeitarbeit und die restriktiven Schwellenwerte im Betriebsverfassungsgesetz. Das alles führt dazu,
dass keine neuen Arbeitsplätze entstehen werden.
({3})
- Die negativen Wirkungen sind uns heute morgen im
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung von der Bundesregierung vorgetragen worden.
({4})
Wir haben gehört, dass der interministerielle Arbeitskreis gesamtwirtschaftliche Schätzungen am 25. Oktober
festgestellt hat - nehmen Sie das bitte zur Kenntnis -: Im
Jahresdurchschnitt 2002 werden wir 3,9 Millionen Arbeitslose haben.
({5})
Ich betone: im Jahresdurchschnitt. Das bedeutet, in einer
Reihe von Monaten des nächsten Jahres wird die Arbeitslosenzahl weit über 4 Millionen liegen. Das ist eine Bankrotterklärung Ihrer Politik.
({6})
- Schlimm genug, dass Sie das nicht erkennen.
Sie haben aber auch versäumt, als zweite Möglichkeit
zur Beitragssenkung Kosteneinsparungen vorzunehmen.
Das gilt sowohl - Kollege Seehofer hat das deutlich gemacht - für die Rentenreform, die ihren Namen nicht verdient und die im günstigsten Fall eine Haltbarkeitsdauer
von zwei Jahren hat - wobei ich befürchte, dass wir uns
schon vorher mit einer neuen Rentenreform beschäftigen
werden müssen -, als auch für die Krankenversicherung.
Wir werden uns am Freitag mit Ihren Vorschlägen zum
Risikostrukturausgleich zu befassen haben. Ich kann nur
sagen: Die Richtung, in die Sie steuern, macht den Wettbewerb in der gesetzlichen Krankenkasse zu einer Farce
und bereitet den Weg zu einer Einheitskasse.
({7})
Die Krankenkassen werden zukünftig ihre Energien
auf das Aufspüren von Subventionstöpfen lenken
({8})
und nicht auf die Verbesserung der Versorgung oder das
Aufdecken von Wirtschaftlichkeitsreserven, um damit die
Beiträge zu senken.
Ich finde, der größte Skandal - man muss sich anhören,
wie das 1998 klang - ist, dass es in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers hieß, die Einnahmen aus der
Energiesteuer würden nur zur Senkung der gesetzlichen
Lohnnebenkosten verwendet; er hat das damals als Kernpunkt bezeichnet.
({9})
Auch der Finanzminister sagt: Wir müssen die Lohnnebenkosten senken, wenn wir Chancen für Arbeit schaffen
wollen. Sie haben es aber nicht getan. Wir werden im
Jahre 2002 Einnahmen aus der Ökosteuer - Quelle: Bundesministerium der Finanzen - von 28 Milliarden DM haben. Das heißt, der Beitrag müsste eigentlich auf 18,6 Prozent gesenkt werden.
({10})
Heute Morgen haben wir im Ausschuss gehört, dass er
nächstes Jahr bei 19,1 Prozent liegen wird. Auch diesen
Beitragssatz erreichen Sie nur durch einen Kunstgriff, indem Sie sich durch die Neubestimmung der Schwankungsreserve der Peinlichkeit entziehen, eine Beitragserhöhung um 0,3 Prozentpunkte auf dann 19,4 Prozent beschließen zu müssen.
({11})
Das, meine Damen und Herren von der Koalition,
macht deutlich: Sie sind mit Ihrem Ansatz gescheitert. Der
Bundeskanzler hat gesagt: „Wenn wir es nicht schaffen,
die Arbeitslosigkeit deutlich zu senken, haben wir es nicht
verdient, wiedergewählt zu werden.“ Da kann ich nur sagen: Treten Sie ab!
Vielen Dank.
({12})
Für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht die Kollegin Dr. Thea Dückert.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist
eigentlich schade, dass über ein beschäftigungspolitisch
so wichtiges Thema wie die Senkung der Sozialabgaben
zum hundertsten Mal rückwärts gewandt diskutiert wird.
({0})
Richtig ist - das ist allerdings noch nicht einmal im Titel der Aktuellen Stunde korrekt aufgegriffen worden -,
dass sich nicht nur der Bundeskanzler, sondern auch die
Koalition, auch der grüne Koalitionspartner, vorgenommen hat, in dieser Legislaturperiode den Anteil der Sozialabgaben auf unter 40 Prozent zu senken.
({1})
Wir haben uns das zum Ziel gesetzt - Herr Kolb, ich kann
hier nur das wiederholen, was Sie gesagt haben -, weil für
uns die Sozialabgaben in der Tat ein wichtiger Eckpfeiler
für die Entwicklung der Beschäftigung und des Arbeitsmarktes sind.
({2})
Die Senkung der Sozialabgaben ist gerade wichtig für gering Qualifizierte, die nur über kleine Einkommen verfügen.
Wir haben im Gegensatz zu Ihnen - Sie haben sich in
den letzten zehn Jahren nur als Steuer- und Beitragssatzsteigerer geriert - bereits in den letzten zwei Jahren Steuern, Beiträge und Sozialabgaben gesenkt.
({3})
Die Aussage von Herrn Seehofer, dass vor drei Jahren alles besser gewesen sei, ist falsch. Vor drei Jahren waren
der Eingangsteuersatz und der Spitzensteuersatz höher als
jetzt. Wir haben den Eingangsteuersatz gesenkt. Vor drei
Jahren waren die Sozialabgaben wesentlich höher, und
zwar in allen Bereichen.
({4})
- Sie rufen: Wo denn? Ich kann Ihnen die Zahlen vortragen: 1990 lag der Anteil der Sozialabgaben bei 35,8 Prozent. 1998 lag dieser Anteil bei 42,1 Prozent.
({5})
Ich weiß nicht, was Sie rechnen. Für mich ist das allerdings eine Steigerung des Anteils der Sozialabgaben um
6,3 Prozentpunkte. Der aktuelle Anteil der Sozialabgaben
liegt bei 40,9 Prozent. Das ist im Vergleich zu 1998 eine
deutliche Senkung. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, worüber Sie reden. Möglicherweise schlägt sich die Tatsache,
dass Sie in der Opposition sitzen, auf Ihr Gedächtnis nieder.
In der Zeit, in der Sie die Sozialabgaben hochgefahren
haben, haben Sie gleichzeitig die Mehrwertsteuer erhöht,
um den Beitragssatz in der Rentenversicherung bei
20,3 Prozent zu stabilisieren. Heute liegt dieser Beitragssatz bei 19,1 Prozent. Das ist die Realität. Ich finde es
schade, dass Sie bei einer solch wichtigen Diskussion
über die Senkung der Lohnnebenkosten und der Sozialabgaben mit falschen Daten aus der Vergangenheit aufwarten.
Es wird aber noch schlimmer. Ausgerechnet Sie, die
das alles in der Vergangenheit zu verantworten hatten,
wollen sich nun zum Ratgeber machen, und zwar mit Vorschlägen, die genauso untauglich sind wie das, was Sie in
der Vergangenheit vorgeschlagen haben. Sie schlagen
zum Beispiel die Abschaffung der Ökosteuer vor.
({6})
Was würde das denn bedeuten? Das würde bedeuten, dass
zum Beispiel der Beitragssatz in der Rentenversicherung
um mindestens 1 Prozentpunkt steigen müsste. Das wäre
eine weitere Steigerung der Sozialabgaben und der
Rentenbeiträge. Genau das wollen wir vermeiden.
({7})
Sie haben den Vorschlag, den der Minister in die Debatte eingebracht hat - darüber wird in der Sitzung des
Bundestages am kommenden Freitag und im Ausschuss
noch diskutiert werden -, abgelehnt, die Schwankungsreserve dafür zu nutzen, wofür sie da ist, nämlich Schwankungen bei den Beitragssätzen in der Rentenversicherung,
die in diesem Jahr konjunkturell bedingt auftreten werden, abzufedern. Wenn wir auf Ihren Vorschlag, die
Schwankungsreserve unangetastet zu lassen, eingehen
würden, dann hätten wir eine weitere Steigerung des Beitragssatzes zu verantworten.
({8})
Das wollen wir nicht. Deswegen wollen wir Sie auch
nicht als Ratgeber. Wir wollen zum Beispiel Herrn
Rürup - Sie haben seinen Namen schon genannt - als Ratgeber. Herr Rürup hat uns nachvollziehbar vorgerechnet,
dass mithilfe der Schwankungsreserve der Beitragssatz in
der Rentenversicherung im nächsten Jahr bei 19,0 Prozent
liegen könnte. Das wäre eine Senkung.
({9})
Wir werden diese Debatte führen. Zu diesem Thema
wird es auch Anhörungen geben. Das ist also ein Ziel, das
wir weiterhin anstreben. Ob es dann wirklich zu erreichen
ist, werden wir sehen.
({10})
Unter dem Strich: Sie hatten in der Vergangenheit Beitragssteigerungen und eine höhere Arbeitslosigkeit zu
verantworten
({11})
und Sie schlagen jetzt verantwortungslose Konzepte für
die Zukunft vor, die wieder zu genau dem führen würden,
was Sie uns hinterlassen haben, nämlich Beitragssteigerungen.
({12})
Meine Damen und Herren, zu Beitragssteigerungen
werden wir es nicht kommen lassen.
({13})
Wir werden jeden Spielraum aufspüren und ausnutzen,
({14})
übrigens auch in der Arbeitslosenversicherung, um weiterhin den Pfad zu gehen, den wir eingeschlagen haben,
({15})
nämlich die Beiträge zu senken.
Danke schön.
({16})
Ich erteile
das Wort der Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner für die
PDS-Fraktion.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Häme und Panikmache,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und
von der FDP, sind genauso wenig angebracht
({0})
wie die Verkündung froher Botschaften, Herr Staatssekretär, angesichts der ausgesprochen schwierigen sozialen
Lage. Wenn die rot-grüne Bundesregierung es nicht
schafft, bis zum Wahltag ihr Wahlversprechen einzulösen,
({1})
nämlich die Sozialversicherungsbeiträge nachhaltig zu
senken, dann kann das, finde ich, niemanden in diesem
Hause wirklich freuen. Dahinter verbirgt sich nämlich ein
Wust an falschen politischen und finanziellen Weichenstellungen, deren Folgen in der Regel die abhängig Beschäftigten und diejenigen auszubaden haben, die auf
staatliche Leistungen angewiesen sind.
Nun kann man der Bundesregierung nicht vorwerfen,
dass sie nicht versucht hätte, die gesetzlichen Lohnnebenkosten zu senken - sozusagen als Morgengabe an die
Unternehmer. Mehr Arbeitsplätze sollte es bringen. Leider Fehlanzeige, wie uns inzwischen Monat für Monat
von der Bundesanstalt bescheinigt wird. Dass Sie heute
im Ausschuss Ihre Angaben auf durchschnittlich
3,89 Millionen Arbeitslose im Jahr 2002 korrigieren
mussten, ist doch hochgradig dramatisch. Ich kann nicht
begreifen, warum Sie das schönreden.
Ebenso schlimm ist, dass die bisherige Senkung der
Lohnnebenkosten nur erreicht werden konnte erstens um
den Preis einer Ökosteuer, die mit ökologischer Umsteuerung nichts, aber auch gar nichts zu tun hat - ausdrücklich
nicht! -, und zweitens um den Preis einer Rentenreform,
die die Rente weder sichert noch armutsfest macht, was
wir auch scharf kritisiert haben.
({2})
Wir wissen heute, dass dies alles nicht ausgereicht hat,
um die Stabilität der Beitragssätze in der Sozialversicherung zu garantieren, wie Sie es gern hätten. Die aktuelle
Debatte um die Kürzung der Beitragsrücklagen der
Rentenversicherung und um die Beiträge zur Krankenversicherung verunsichert tief und untergräbt das Vertrauen in die gesetzlichen Sozialversicherungssysteme
weiter. Dass Sie von der CDU/CSU genau diese Verunsicherung der Rentnerinnen und Rentner auch noch bedienen, ist alles andere als ein politisches Glanzstück.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die spannende Frage
ist doch, warum die Regierung es nicht schafft, ihr Wahlversprechen einzulösen. Hierfür sind aus meiner Sicht
zwei Gründe ausschlaggebend. Erstens hat es diese
Regierung nicht vermocht, die Arbeitslosigkeit nachhaltig
abzubauen
({4})
und einen Abbau der Arbeitslosigkeit hinzubekommen,
der begleitet ist von einem stärkeren Zuwachs bei der Erwerbstätigkeit und - das ist der Knackpunkt - gleichzeitig auch bei der beitragspflichtigen Erwerbstätigkeit.
({5})
Niedriglohnjobs - das sage ich in Richtung der Bündnisgrünen - helfen in dieser Situation gar nichts.
Zweitens hat die Regierung den vorhandenen
Reformbedarf auf der Einnahmeseite verkannt. Auch das
haben wir schon lange kritisiert. Die Einnahmen der Sozialversicherung lassen sich eben nicht allein über die
Ausweitung der Beschäftigung und den Abbau der Arbeitslosigkeit konsolidieren. Seit nahezu 20 Jahren erleben wir, dass die Beschäftigung dem Wirtschaftswachstum hinterherhinkt und dass die Bruttolohnsumme
im Durchschnitt wesentlich langsamer steigt als die Produktivität und die volkswirtschaftliche Wertschöpfung.
Deshalb schlägt die PDS schon seit langem vor, für einen
Mechanismus zu sorgen, der die Einnahmen der Sozialversicherung stärker an die Produktivität und an die
Wertschöpfung koppelt. Wir - einige aus Ihren Reihen
sehen das genauso - halten eine Wertschöpfungsabgabe
für eine geeignete Möglichkeit. Vielleicht gibt es auch
andere Vorschläge. Fakt ist jedenfalls: Es muss eine
Regelung geben, um eine langfristig wirksame Stabilisierung der Einnahmen der Sozialversicherung zu gewährleisten.
({6})
Die im DAX vertretenen großen Unternehmen kündigen in der „Wirtschaftswoche“ für das Jahr 2002 an,
80 000 Stellen zu streichen. Der Deutsche Industrie- und
Handelskammertag geht noch weiter und spricht von
200 000 bis 240 000 Stellenstreichungen. Ein Abbau von
Arbeitsplätzen in dieser Größenordnung bedeutet für die
Sozialversicherungssysteme immense Einnahmeverluste - das wissen Sie - und zusätzliche Kosten für die
Bundesanstalt für Arbeit. Diese Mehrbelastungen müssen
die verbleibenden Beschäftigten und die Unternehmen
zahlen. Seit der Rentenreform wissen wir, dass die Beschäftigten dadurch sehr viel nachdrücklicher belastet
werden. Das ist und bleibt sozial ungerecht.
Auf der anderen Seite kündigen genau diese Großunternehmen für das kommende Jahr trotz zurückgehender
Beschäftigung keine Wertschöpfungsverluste an. Mit anderen Worten: Diese Unternehmen sanieren ihre Bilanz
auf Kosten der Allgemeinheit und insbesondere auf Kosten der kleinen und mittelständischen Unternehmen. Das
Bruttosozialprodukt nimmt zu, die Volkswirtschaft
wächst, aber die Sozialversicherungen werden ärmer.
Frau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit schon längst überzogen.
Das ist ein Teufelskreis, der mit neuen Antworten und nicht mit alten Hüten,
also mit Vorschlägen aus der Mottenkiste, durchbrochen
werden muss.
({0})
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht die Kollegin Dagmar Wöhrl.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Vor kurzem wurde ein Regierungsbeamter in der Presse mit den Worten zitiert:
Das Kanzleramt brennt schon im Erdgeschoss; nur
oben haben sie es noch nicht gemerkt.
({0})
Ich denke, dass Sie das schon gemerkt haben, denn man
versucht zu „löschen“. Aber Sie legen dabei allenfalls eine
gewisse hilflose Hektik an den Tag.
Die Bundestagswahl ist in elf Monaten.
({1})
Was hat der Kanzler vorzuweisen? Das Wirtschaftswachstum befindet sich im Sturzflug, die Lohnnebenkosten explodieren auf bald über 41 Prozent
({2})
und vor den Arbeitsämtern steht bald eine 4-MillionenArbeitslosen-Schlange. Wo ist Ihre soziale Romantik
geblieben? Herr Schröder hat geschworen, die Arbeitslosenzahlen unter 3,5 Millionen zu drücken und die Lohnnebenkosten auf unter 40 Prozent zu senken. Diese großspurigen Versprechungen sind geplatzt wie Seifenblasen.
({3})
Die Institute sprechen inzwischen von einem Wirtschaftswachstum von nur noch 0,7 Prozent. Selbst diese
kleinlaute Prognose ist vielen Ökonomen immer noch viel
zu optimistisch. Das Einzige, was zurzeit wirklich steigt,
sind leider die Arbeitslosenzahlen.
({4})
Deutschland hat keinen Konjunkturschwächeanfall, sondern ein langfristiges Wachstumsproblem, das Sie ausgelöst haben. Dafür ist nicht der 11. September verantwortlich, wie Sie uns glauben machen wollen. Die
Talfahrt hat schon vorher begonnen. Das wissen Sie auch.
({5})
Wenn die Wirtschaft kaum noch wächst und die Zahl
der Arbeitslosen steigt, gehen natürlich auch die Lohnnebenkosten in die Höhe. Dies verteuert die Arbeit und
dadurch steigen die Arbeitslosenzahlen wiederum. So geraten wir in eine Spirale, aus der man nicht mehr herauskommt.
({6})
Dramatische Konsequenz ist der Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge. Das Schlimmste ist, dass unter Ihrer
Regierung kein Ende der Abwärtsspirale in Sicht ist.
({7})
- Der ist zwar ganz ruhig; aber der kommt schon noch,
keine Sorge.
Den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von derzeit
6,5 Prozent zu senken hat sich genauso als Illusion erwiesen wie Ihr Glaube, dass Sie mit Ihrer Politik die Krankenversicherungsbeiträge stabil halten können. Wir haben
inzwischen ein Gesundheitswesen, das aufgrund Ihrer Politik wirklich akut erkrankt ist und das auch Frau Ministerin Schmidt nicht wird gesundbeten können. Auch die
drohenden 14 Prozent Krankenversicherungsbeitrag wird
sie nicht „weglächeln“ können. Es rächt sich - das wissen
Sie auch -, dass Sie Fehler gemacht haben.
({8})
Der erste große Fehler war die Rücknahme unserer Reformen, der nächste Fehler war der Slalomkurs, den Sie
aufgrund Ihrer Konzeptionslosigkeit in der Gesundheitspolitik fahren.
Nun schauen Sie sich die Rentenversicherung an. Deren Lage ist genauso desolat. Riester muss jetzt schon in
die Trickkiste greifen und Geld aus der gesetzlich vorgeschriebenen Schwankungsreserve locker machen. Was
macht er damit? Er geht an die Notgroschen der Rentner,
um diese Misere bewältigen zu können.
({9})
Was ist aus Ihrem Versprechen geworden, die Rentenversicherungsbeiträge mithilfe der Einnahmen aus der Ökosteuer auf 18,8 Prozent zu senken?
({10})
Wo sind denn Ihre weitreichenden Strukturreformen in
dem Bereich, um langfristig den Generationenvertrag abzusichern?
({11})
Meine Damen und Herren, Sie kennen bestimmt den
wunderschönen Song: „Parole, parole, parole“. Er passt
wunderbar auf Ihre Politik.
({12})
Schon jetzt ist die Belastung durch Steuern und Abgaben
unerträglich. Von jeder Mark bleiben unseren Bürgern nur
noch 45 Pfennig in der Tasche, der Rest geht für Steuern
und Sozialabgaben an den Staat drauf. Das Schlimmste
dabei ist, dass wir im internationalen Wettbewerb ganz
hinten stehen.
({13})
Ich meine im internationalen Vergleich, nicht nur im europäischen. Schauen Sie sich die neue Studie des IMD in
Lausanne an, die kürzlich herausgekommen ist. Dort landet Deutschland bei den Sozialversicherungsbeiträgen
abgeschlagen auf Platz 46 von 49 Ländern.
({14})
Das ist eine Schande, das ist blamabel für unser Land. Die
größten Defizite werden von den IMD-Ökonomen bei den
deutschen Arbeitsmarktregeln gesehen: zu starr, zu bürokratisch und zu kostspielig.
({15})
Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass wir eine
Jobkrise in Deutschland haben. Sie ist hausgemacht. Wir
haben einen sklerotischen Arbeitsmarkt, der nicht flexibilisiert wird. Sie schaffen es nicht, stärkere Anreize für die
Arbeitsaufnahme zu schaffen und einen Niedriglohnsektor einzurichten. Ihre Sündenliste ist immens lang. Ich
will jetzt nicht alles aufzählen: 630-Mark-Gesetz, Teilzeit, Betriebsverfassungsgesetz usw.
({16})
Man muss es wirklich wiederholen, damit man sieht, was
Sie alles auf den Weg gebracht haben.
Ihr Minister Eichel benutzt die Bundesanstalt für Arbeit als politische Manövriermasse.
({17})
Öffentliche Infrastrukturmaßnahmen werden inzwischen
aus den Beiträgen für die Arbeitslosenversicherung bezahlt, und das Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit,
das eigentlich aus dem Bundeshaushalt finanziert werden
muss, lassen Sie von der Bundesanstalt für Arbeit bezahlen, obwohl es sich hierbei um gesamtgesellschaftliche
Aufgaben handelt.
({18})
Dafür dürfen nicht die Beiträge der Versicherten benutzt
werden.
({19})
Sie verlagern Milliardenlasten auf die Bundesanstalt für
Arbeit, obwohl diese Aufgaben aus dem Bundeshaushalt
und nicht mit den Beiträgen der Arbeitnehmer zu bezahlen sind, Herr Kollege Schösser.
({20})
Frau Kollegin Wöhrl, auch Sie müssen zum Schluss kommen.
Sie meiden unpopuläre
Maßnahmen, obwohl Sie genau wissen, dass sie notwendig werden. Zwischendurch legen Sie kurzatmigen Aktionismus an den Tag.
({0})
Genau das ist aber der Königsweg in eine wirtschaftliche
und soziale Sackgasse.
Vielen Dank.
({1})
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Thomas Sauer; er spricht für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Wenn wir heute über die Entwicklung der
Beitragssätze in den sozialen Sicherungssystemen diskutieren, dann laufen wir Gefahr - das hat die Debatte gezeigt -, nur auf eine Seite zu blicken, wenn auch auf eine
ökonomisch sehr wichtige. Hierbei handelt es sich um die
Beitragsseite. Es gibt aber auch eine andere Seite, das ist
die Leistungsseite. Ich möchte hier als Sozialdemokrat
vorweg klarstellen: Den Belastungen, die die Beiträge sicherlich für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie für die Arbeitgeber darstellen, stehen auch Leistungen
gegenüber, die wir nicht missen wollen: anständige Rentenzahlungen an die ältere Generation
({0})
und die soziale Absicherung im Falle von Arbeitslosigkeit, Pflegebedürftigkeit und Krankheit.
({1})
Dass Sie, Herr Seehofer, hier die Errungenschaften unseres sozialen Sicherungssystems infrage stellen, wundert
mich gar nicht.
({2})
Was war denn Ihre Politik? Sie haben die sozialen Sicherungssysteme massiv mit versicherungsfremden Leistungen belastet. Sie haben die Beiträge bis zum Gehtnichtmehr nach oben geknüppelt, und zwar zu einem einzigen
politischen Zweck, nämlich die sozialen Leistungen peu à
peu zurückzufahren. Diesen Kurs machen wir nicht mit.
({3})
Ich glaube, wir Sozialdemokraten haben auch deshalb
bei den letzten Bundestagswahlen eine so große Zustimmung erfahren. Sie, meine Herren und Damen von der
CDU/CSU und der FDP, sind in die Opposition geschickt
worden, weil die Wähler uns zutrauen,
({4})
dass wir die sozialen Sicherungssysteme sozial gerecht
weiterentwickeln
({5})
und die unbestreitbar vorhandenen enormen strukturellen
Probleme, vor denen die Sozialversicherungen standen
und stehen, aus dem Weg räumen.
Die Regierung und die sie tragenden Parteien sind gut
beraten, diesen Wunsch der Bevölkerung nach sozialer
Absicherung auch in praktische Politik umzusetzen. Ich
glaube, wir haben bei der Reform der Alterssicherung diesen Anspruch auch weitgehend erfüllt.
({6})
Die Menschen erwarten allerdings natürlich genauso,
dass mit den Beiträgen, die sie leisten,
({7})
ökonomisch, das heißt effizient umgegangen wird und
dass die Belastung des Faktors Arbeit mit diesen Beiträgen zurückgeführt wird. Dass die Nettolöhne in den letzten Jahren der Kohl-Regierung deutlich absanken, war
doch auch eine Folge der Politik, die die Sozialversicherung für alles mögliche in Haft nahm und dadurch die Beitragssätze in Rekordhöhen trieb.
({8})
Allein von 1995 bis 1998 sanken die realen Nettolöhne je
Arbeitnehmer in Deutschland im Durchschnitt pro Jahr
um 420 DM.
({9})
Dieses Geld haben Sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus der Tasche genommen. Meine Damen
und Herren auf der rechten Seite dieses Hauses, das war
eine Folge Ihrer arbeitnehmerfeindlichen Steuerpolitik
({10})
und des drastischen Anstiegs der Beiträge während Ihrer
Regierungszeit auf zuletzt über 42 Prozent. Damit wollten wir Schluss machen und das haben wir auch getan.
({11})
Seitdem SPD und Bündnis 90/Die Grünen regieren,
steigen die realen Nettolöhne wieder an und es sinken die
Steuerbelastungen sowie die Sozialversicherungsbeiträge, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen.
({12})
Jeder, der sich mit den komplexen Problemen unserer
sozialen Sicherungssysteme im Einzelnen befasst, weiß,
das jede Reform auf schwierige Fragen nach ihren sozialen Auswirkungen, aber auch auf vielfältige ökonomische
Eigeninteressen stößt. Dies vernünftig und im Sinne einer
zukunftsfesten sozialen Absicherung zu gestalten ist eine
sehr schwierige Aufgabe,
({13})
die durch die aktuelle ökonomische Situation weiter erschwert wird.
Die Eintrübung der Weltkonjunktur, von der wir hoffen, dass sie schon im kommenden Jahr überwunden wird,
hat natürlich auch Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum bei uns.
({14})
Es wäre ganz falsch, in dieser Situation den eingeschlagenen wirtschaftspolitischen Kurs zu verlassen. Die
Rückführung der Schwankungsreserve um 20 Prozent ist
aus meiner Sicht deshalb eine richtige Maßnahme. Dadurch kann der Beitragssatz bei 19,1 Prozent stabil gehalten und können die Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer
und deren Arbeitgeber vor einer drohenden Belastung von
immerhin fast 2,5 Milliarden DM bewahrt werden, ohne
dass die Auszahlung der Renten in irgendeiner Weise betroffen wäre.
Frau Wöhrl, ich muss Ihnen sagen, dass ich es einigermaßen unverantwortlich finde, hier den Eindruck zu erwecken, als würden die Rentenzahlungen an die Rentnerinnen und Rentner in irgendeiner Weise gefährdet. Wir
können mit der Schwankungsreserve immer noch eine
höhere Reserve, als Blüm sie jemals hatte, anbieten.
({15})
Dass dies eine angemessene Reaktion ist, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der FDP, zeigen
auch die positiven Reaktionen, die wir von den Gewerkschaften und auch von der BfA dafür bekommen.
({16})
- Das sind bessere Vertreter der sozialen Belange der
Rentnerinnen und Rentner, als Sie es sind.
({17})
Wenn bei der Krankenversicherung trotz der Gegenmaßnahmen geringe Beitragssatzsteigerungen notwendig
werden, ist dies angesichts sonst möglicherweise drohender Leistungseinschränkungen aus meiner Sicht vertretbar. Die Forderungen der Arbeitgeberverbände gehen in
eine falsche Richtung, wenn sie verlangen, den BeitragsThomas Sauer
satz einfach festzuschreiben, und im Kern eine Zweiklassenmedizin einfordern, bei der die Krankenkassen lediglich Kernleistungen im Sinne einer Basismedizin finanzieren sollen.
({18})
Ich bin Frau Ministerin Schmidt dankbar, dass sie klargestellt hat, dass sie diesen Weg nicht gehen will.
Für mich zeigt sich an dieser aktuellen Debatte auch,
dass wir im Gesundheitswesen noch einen erheblichen
Reformbedarf haben. Das ist nicht zu verschweigen.
({19})
Herr Seehofer hat aus meiner Sicht zu Recht gesagt, dass
im System erhebliche Effizienzreserven stecken, die im
Sinne der Zukunftsfähigkeit der Krankenversicherung erschlossen werden müssen.
Dieses Schließen der Effizienzreserven wird Verteilungsprobleme aufwerfen und harte Kämpfe erfordern.
Ich meine aber, dass alle Akteure in diesem Wirtschaftsbereich mithelfen müssen, eine zukunftsfeste Krankenversicherung zu initiieren. Frau Ministerin Schmidt hat
unsere volle Unterstützung für ihre Bemühungen.
Vielen Dank.
({20})
Der Kollege
Karl-Josef Laumann spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist
eigentlich traurig, dass wir heute diese Aktuelle Stunde
durchführen müssen.
({0})
Sie ist notwendig, weil wir - das kann doch keiner leugnen - in allen Sozialversicherungen schwere Finanzierungsprobleme haben.
({1})
Wir haben heute Morgen im Ausschuss für Arbeit und
Sozialordnung erlebt, wie die Bundesregierung den Haushalt des Arbeitsministeriums im Bereich der Arbeitslosenversicherung um große Beträge nach oben verändern
musste,
({2})
weil sie davon ausgeht - das hat sie heute zugegeben -,
dass wir nächstes Jahr 415 000 Arbeitslose mehr haben
werden, als sie selber bei der Aufstellung dieses Haushaltes vor zwei Monaten geglaubt hat.
({3})
Wir werden auch bei der Arbeitslosenhilfe große Finanzierungsprobleme bekommen. Die Entlastung, die es
auf dem Arbeitsmarkt für ältere Arbeitnehmer gibt, erkaufen wir uns mit der Einführung von Teilzeitarbeit. Im
Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit müssen jedes Jahr
etwa 500 Millionen DM mehr für Altersteilzeit aufgebracht werden. Jeder weiß, dass das Instrument zwar
greift; aber wir wissen auch, dass wir damit unserem Ziel
der Beschäftigung für Ältere nicht näher kommen.
In dieser Woche erleben wir in Deutschland eine Debatte um die Schwankungsreserve der Rentenversicherung. Das hat mich veranlasst, mich mit der Geschichte
der Schwankungsreserve zu beschäftigen. Es ist schon interessant, dass sie 1969 unter Beteiligung der SPD an der
Bundesregierung von 12 Monaten auf drei Monate abgesenkt worden ist. 1977 hat die sozialliberale Koalition sie
von drei Monaten auf einen Monat weiter abgesenkt.
Sie sagen jetzt, dass in der Rentenversicherung nicht
einmal mehr eine Reserve von einem Monat vorhanden
sein müsse und dass man mit dieser Maßnahme mit der
Konjunkturentwicklung, die anders verläuft als gedacht,
besser fertig werden könne. Sie wollen eine turbulente
Debatte in der Öffentlichkeit über die Finanzierung der
Renten vermeiden und senken deshalb die Schwankungsreserve auf 0,8 Monate. Dieses Vorgehen beweist für mich
die Richtigkeit eines Spruches: Bevor die Sozialdemokraten in irgendeiner Sozialversicherung Geld übrig lassen, werden unsere Hunde ein Stück Wurst liegen lassen.
({4})
Das macht mir große Sorgen.
Überlegen Sie sich doch einmal, was Sie mit der Absenkung der Schwankungsreserve anrichten könnten.
Wenn die Absenkung erfolgen würde, hätten wir in der
Rentenkasse demnächst eine Rücklage in Höhe von gut
20 Milliarden DM. Das entspricht den Rentenzahlungen
für 0,8 Monate.
({5})
Stellen Sie sich einmal vor - das erleben wir ja zurzeit -,
die Situation auf dem Arbeitsmarkt verschärft sich aufgrund der Anschläge weiter, wovon zuvor niemand
ausgehen konnte! Dann würden wir im November des betreffenden Jahres erleben, dass sich die Rentenversicherung zum ersten Mal in ihrer Geschichte Geld auf dem
Kapitalmarkt besorgen müsste oder dass das Kabinett beschließen müsste, den Bundeszuschuss vorzuziehen, damit die Renten pünktlich ausgezahlt werden können. Wissen Sie, was Sie damit anrichten? Sie sorgen dafür, dass
das Vertrauen in die Idee der Sozialversicherung schwersten Schaden nehmen wird.
({6})
Sie leisten damit einer Entwicklung in unserem Land weiter Vorschub, die ich sozialpolitisch für sehr schwierig
halte. Wir sind uns unter den Sozialpolitikern fraktionsübergreifend einig, dass die Idee der Sozialversicherung
damit immer mehr in Misskredit kommt. Deswegen sollten Sie sich gut überlegen, ob man an den Sparstrumpf der
Rentenversicherung geht.
Ich weiß, wie die Menschen denken. Ich kenne viele
kleine Leute, die sich ganz bewusst eine eiserne Reserve
vom Mund abgespart haben für den Fall, dass etwas passiert, womit man nicht rechnen konnte. Gerade die, die auf
die Sozialversicherung angewiesen sind, handeln so.
Wenn diese Menschen hören, dass Sie nicht einmal mehr
in der Lage sind, eine Monatsrente im Voraus in der Kasse
zu haben,
({7})
dann werden sie schlicht und ergreifend sagen, dass dies
keine seriöse Politik ist.
({8})
Das werden wir als Union den Menschen so sagen, und
damit werden wir sehr genau und sehr nah bei den Gefühlen der Leute liegen.
({9})
Deswegen überlegen Sie sich gut, ob Sie diesen Schritt
wirklich durchhalten wollen, auch wenn Sie Verbände finden, die Ihnen vorschwafeln, das sei alles verantwortbar
und richtig.
Wahr ist auch, dass Sie zugeben müssen, dass Sie jetzt
vor den Scherben Ihrer Rentenreform stehen. Wissen Sie,
warum? Weil die Zahlen und Fakten, die Sie angenommen haben,
({10})
sehr optimistisch angesetzt waren und weil zum Schluss
der Rentenreform getrickst worden ist, indem man die
Leistungen verbessert und einfach gesagt hat: Dann machen wir ein bisschen mehr Zuwanderung. Dann stimmt
es zwar am Rechenschieber,
({11})
aber dass es nicht stimmt, sehen Sie jetzt, in den Stunden,
in denen Sie anscheinend diese Entscheidungen treffen
wollen. Das ist schlicht und ergreifend ein Versagen Ihrer
Politik. Aber mich ärgert einfach, dass Sie die gute Idee
der Sozialversicherung damit immer mehr in Misskredit
bringen. Das sollten Sie sich noch einmal überlegen.
Schönen Dank.
({12})
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Franz Thönnes.
({0})
Es ist ja schon sehr merkwürdig, dass man Ihnen heute, da Sie die Aktuelle Stunde
selbst schon beantragt haben, sagen muss: Die Schonfrist,
drei Jahre nicht mehr an der Regierung zu sein, kann Sie
noch lange nicht veranlassen, zu glauben, man säße nicht
mehr im Glashaus. Sie sitzen immer noch im Glashaus.
({0})
Deswegen sollten Sie sehr vorsichtig sein, wenn Sie
meinen, Sie müssten nun Steine werfen.
({1})
Sie sitzen immer noch in dem Glashaus, in dem Sie nahezu 16 Jahre lang gearbeitet haben. Am Ende Ihrer Regierungszeit waren die Sozialkassen ruiniert, die Steuerbelastung war immer weiter gestiegen und die
Arbeitslosigkeit hatte immense Höhen erreicht. Deswegen haben die Menschen Sie abgewählt, und das war eine
richtige Entscheidung.
({2})
Herr Seehofer, in Ihrer Zeit ist die Belastung allein
durch die Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge
um 21 Milliarden DM gestiegen.
({3})
In Ihrer Zeit ist die Arzneimittelzuzahlung erhöht worden,
Krankenhausbehandlung mit Zusatzleistungen musste
von den Menschen bezahlt werden, stationäre Rehabilitation wurde mit Zuzahlungen behaftet, auch immer mehr
Fahrtkosten und Heilmittel mussten von den Menschen
bezahlt werden.
({4})
Ich erinnere nur daran, wie schäbig es war, die Zahnersatzbehandlung für Kinder aus dem Leistungskatalog
herauszunehmen.
({5})
Das haben Sie zu verantworten gehabt. Die Sozialdemokraten und die Grünen haben das korrigiert.
({6})
Der Kollege Sauer hat schon Recht, wenn er hier sagt, mit
der Steigerung der Lohnnebenkosten, die Sie zu verantworten hatten, ist immer eine Einschränkung der Leistungen einher gegangen.
({7})
Sie haben es am Ende damit auch nicht erreicht, dieArbeitslosigkeit zu senken, sondern die Arbeitslosigkeit ist weiter
gestiegen und hat die Sozialkassen immer mehr belastet.
In der Rentenversicherung
({8})
ist von 1991 bis 1998 der Beitrag von 17,7 Prozent auf
20,3 Prozent angestiegen.
({9})
Allein durch unsere gemeinsame Arbeit und durch unsere
Zustimmung zur Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes ist
es gelungen, den Beitrag bei 20,3 Prozent zu halten. Sonst
hätten wir bei 21,3 Prozent gelegen.
({10})
Das ist wirklich passiert: Wir haben mit dazu beigetragen, dass in der Zeit danach durch die Absenkung im
Bereich der Rentenversicherung auf 19,1 Prozent die
Lohnnebenkosten um 1,2 Prozent minimiert worden sind
und 19 Milliarden DM an Entlastung für die Menschen da
waren.
({11})
- Auch Ihr Geschrei stimmt die Menschen nicht anders.
Die wissen ganz genau: Die Täter von gestern taugen
nicht als Ankläger von heute und schon gar nicht als Sanitäter für morgen, Herr Kolb, damit das auch klar ist.
({12})
Herr Kolb, betrachten wir das, was Sie in der Rentenversicherung gemacht haben - die Menschen wissen das
doch noch -: Sie haben die Altersgrenze für langjährig
Versicherte schrittweise von 63 auf 65 Jahre angehoben.
Sie haben die Altersgrenze für Frauen angehoben.
({13})
Sie haben zu verantworten, dass die Abschläge in Höhe
von 18 Prozent eingebracht worden sind. Sie haben eine
Rentenreform vorgelegt, die am Ende dazu beigetragen
hätte, das Rentenniveau auf 64 Prozent zu senken - mit
Beitragssätzen von 24 Prozent.
({14})
Ich empfinde es als ausgesprochen schäbig, Kollege
Laumann, von dieser Stelle aus zu behaupten, wir würden
nun an die Notgroschen herangehen.
({15})
- Nein, nein. Ich halte einmal in aller Ruhe fest, wie es in
der Vergangenheit war: 1995 0,9 Prozent in der Kasse,
1996 0,6 Prozent, 1997 0,6 Prozent, 1998 0,7 Prozent.
Nun tun Sie mal nicht so!
({16})
Der Vorsitzende des Sozialbeirates sagt deutlich, dass die
Schwankungsreserve genau für solche Situationen da ist,
wie wir sie jetzt möglicherweise vorfinden. Wenn es darum geht, die Beiträge zu stabilisieren, dann ist dies das
höhere Ziel.
Es mag sein, dass wir nicht ganz so schnell, wie wir es
gerne hätten, bei den Lohnnebenkosten unter die 40 Prozent kommen; das bedaure auch ich.
({17})
Aber wir können hier leider nicht so schnell unter 40 Prozent kommen, wie Sie bei Wahlen in Hamburg und Berlin
unter 30 Prozent gekommen sind,
({18})
was immer noch Ausdruck der Tatsache ist, dass die Menschen in diesem Lande Ihnen keine soziale Kompetenz
zutrauen.
({19})
Diese Aktuelle Stunde stellt eine gute Gelegenheit dar,
erneut darauf hinzuweisen, dass trotz der momentan
schwierigen Situation 39 Monate lang die Arbeitslosigkeit Monat für Monat gesunken ist,
({20})
dass wir im Jahresdurchschnitt immer noch 400 000 Arbeitslose weniger haben, dass die Beschäftigung um
1 Million angestiegen ist
({21})
und dass wir eine Absenkung der Lohnnebenkosten und
der Steuersätze in der Form erreicht haben, dass die Privathaushalte 1999 um 9,7 Milliarden DM,
({22})
im Jahr 2000 um 8 Milliarden DM und im Jahr 2001 um
19,9 Milliarden DM entlastet worden sind.
({23})
Der durchschnittlich verdienende Arbeitnehmer mit zwei
Kindern und einem Einkommen von 60 000 DM wird bis
zum Jahr 2005 merken, dass er um 2 900 DM jährlich entlastet wird.
({24})
Dies alles macht deutlich, dass die Menschen eines
ganz genau wissen: während Ihrer Regierungszeit steiFranz Thönnes
gende Lohnnebenkosten, Reduzierung der Leistungen,
steigende Arbeitslosigkeit,
({25})
in unseren drei Jahren dagegen sinkende Lohnnebenkosten, Leistungsverbesserungen, Rücknahme der von Ihnen
bewirkten Einschnitte
({26})
und Steuerentlastungen in einer Höhe, wie es sie in der
Bundesrepublik Deutschland noch nie gegeben hat. Deswegen bleibt am Ende wirklich der Satz: Die Täter von
gestern taugen nicht als Ankläger von heute und schon gar
nicht als Sanitäter für morgen.
({27})
Ich gebe das
Wort der Kollegin Annette Widmann-Mauz für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Thönnes, was Sie gerade
von sich gegeben haben, zeigt einmal mehr - die Wiederholungen häufen sich leider -, wie sehr Sie in Ihrer Wahrnehmung unter Realitätsverlust leiden. Allerdings halte
ich Ihnen zugute, dass Sie heute zum ersten Mal von diesem Pult aus öffentlich zugegeben haben, dass Sie die
Menschen nicht nur hinsichtlich der Senkung der Arbeitslosigkeit, sondern auch hinsichtlich der Senkung der Sozialversicherungsbeiträge getäuscht haben, wenn man
Ihre Versprechungen bei Regierungsantritt zum Maßstab
nimmt.
({0})
Damit hier etwas klarer wird, was wir Ihnen übergeben
haben und was nicht, zeige ich Ihnen die Tatsachen bei der
Krankenversicherung auf. Die unionsgetragene Bundesregierung und Horst Seehofer haben Ihnen in der gesetzlichen Krankenversicherung ein bestelltes Haus hinterlassen.
({1})
- Das müssen Sie sich sagen lassen. Es gab in der GKV
ein Finanzpolster. 1997 haben die Überschüsse mehr als
1 Milliarde DM betragen, 1998 ebenfalls mehr als 1 Milliarde DM; in jenem Jahr machten die Rücklagen 9 Milliarden DM aus.
({2})
- Das kann man nicht wegdiskutieren; das ist eine Tatsache. Sie haben mit Ihrer Politik die Situation verschlimmert.
({3})
Ich nenne Ihnen noch einmal die Gründe, wie das, was
wir heute zu verkraften haben, zustande gekommen ist. Es
tut weh - ich weiß es -; aber die Menschen müssen dies
klar und deutlich wissen.
({4})
Sie haben Budgetierung, Rationierung, Reglementierung,
Leistungsausweitung und Unterfinanzierung in die gesetzliche Krankenversicherung gebracht - ein chaotisches
Konstrukt. Wegen Eichels Selbstbedienung wurden neue
Verschiebebahnhöfe geschaffen.
({5})
Insoweit ist die heutige Situation selbstverständlich: allein im ersten Halbjahr 2001 ein Defizit von 5,5 Milliarden DM.
({6})
Die Horrormeldungen gehen weiter: Die Maßnahmen, die
die Betriebskrankenkassen für den Beginn des nächsten
Jahres angekündigt haben, sind verhängnisvoll. Das sind
hausgemachte Schwierigkeiten. Das wird bei den Arzneimittelausgaben, die jetzt auf 42 Milliarden DM geschätzt
werden, am deutlichsten. Sie haben den Deckel vom
Dampfkochtopf genommen, ohne ein sinnvolles Regulativ eingeführt zu haben. Jetzt wundern Sie sich, dass dieser Topf überkocht, aber das muss niemanden wundern.
({7})
Wenn Sie eine sinnvolle Politik betreiben würden, wäre
Ihnen dies bekannt gewesen.
Die Arbeitslosigkeit steigt weiter. Sie tun hier so, als sei
das alles auf die Geschehnisse des 11. September zurückzuführen.
({8})
Seit dem Frühjahr steigt die saisonbereinigte Zahl der Arbeitslosen an, aber seit dem Frühjahr tun Sie nichts Sinnvolles; Sie tun überhaupt nichts. Es ist keine Struktur, kein
wirklicher Plan, keine wirkliche Reform zu erkennen.
Es ist völlig logisch, welches Kalkül dahinter steht: Sie
wollen die Gesundheitspolitik über die Wahl retten - mit
kleinen Tricksereien, mit Verschiebungen, die zulasten
der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, zulasten der
Patientinnen und Patienten gehen.
({9})
Wenn Sie uns vorhalten, unsere Regelung zur Selbstbeteiligung sei sozial nicht gerecht gewesen, so sage ich Ihnen: Eine sozial abgefederte Eigenbeteiligung ist allemal
besser als Selbstbezahlung und ein Leistungsausschluss
für chronisch Kranke.
({10})
Von einer solchen Politik, wie Sie sie gerade betreiben,
werden sich die Menschen in unserem Land nicht hinters
Licht führen lassen.
({11})
Eine Emnid-Umfrage belegt dies. Auf die Frage „Tut die
Bundesregierung das ihr Mögliche, um die Gesundheitsreform so schnell wie möglich zu beschließen, oder spielt
sie auf Zeit?“ antworteten 71 Prozent der Befragten, sie
spielte auf Zeit.
Jetzt kommt der neueste Vorwurf; auch dieser darf uns
nicht kalt lassen. Wir haben gehört und wissen, wie die
Bundesregierung bei der Rentenreform mit geschönten
Zahlen getrickst hat. Der in der „FAZ“ vom Montag dieser Woche geäußerte Vorwurf steht im Raum. Dazu haben
wir von Ihnen heute kein Wort gehört.
({12})
- Ja. Der Krankenversicherungsbeitrag soll erst nach der
Bundestagswahl erhöht werden.
({13})
Angeblich planen die Krankenkassen jetzt in ihre Haushalte für 2002 ein Defizit ein, um die Beiträge zunächst
noch nicht erhöhen zu müssen.
({14})
Die Schätzungen für die Ausgaben sollen nach unten und
die Schätzungen für die Einnahmen nach oben korrigiert
werden.
({15})
Ich frage die Bundesregierung: Können Sie uns in diesem
Hohen Haus eindeutig bestätigen, dass Sie nicht mit dem
Ziel, die Versicherten durch solche Luftbuchungen bis zur
Wahl zu täuschen, politischen Druck auf die Kassen ausgeübt haben? Kurz: Soll hier wie bei Riesters Rentenreform mit geschönten Zahlen gearbeitet werden?
Wir sehen doch schon heute die steigende Arbeitslosigkeit und die sinkenden Einkommen.
({16})
Das schlägt sich auch bei den Kassen mit niedrigen Einnahmen nieder; das ist doch völlig klar. Dies müsste bei
der Berechnung des Ausgleichsbedarfssatzes berücksichtigt werden; dies müsste zu steigenden Sätzen führen. Das
wissen Sie; das wurde heute im Ausschuss auch offiziell
bestätigt. Wir gehen davon aus - so dürfen wir das wohl
lesen -, dass erst im Dezember in den entsprechenden
Gremien beraten werden soll und dann die Anhebung des
Ausgleichsbedarfssatzes um 0,1 Prozent ins Haus steht.
Die Kassenhaushalte für das Jahr 2002 und die Beitragssätze der Versicherten werden wohl aber bis Ende
November beschlossen sein, und zwar auf Basis des niedrigeren Ausgleichssatzes. Diese politische Fehlkalkulation werden Sie bis zur Wahl, bis in den Herbst 2002, mitschleppen.
Das ist keine solide Politik der Nachhaltigkeit.
({17})
Das ist die Fortsetzung der Politik mit den altbekannten
rot-grünen Mitteln: Verschleiern und Verschieben, Tarnen, Tricksen und Täuschen. Ich sage Ihnen: Wenn die
Kameras ausgeschaltet sind, bestehen die Probleme in unserem Land fort.
({18})
Die Kollegin Doris Barnett spricht für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Wir sind Abgeordnete, keine Zeitungskommentatoren. Was Sie hier
heute abgeliefert haben, war in der Tat schlechter Wein in
mürben Schläuchen.
({0})
Es scheint, als freue sich die Opposition direkt darüber,
dass die konjunkturelle Lage schlechter wird, dass die Arbeitslosigkeit zunimmt, nachdem sie bis zum August über
39 Monate hinweg Monat für Monat abgenommen hat. Es
ist mir klar, dass Ihnen das nicht passt, aber passen Sie
einmal auf: Die Arbeitslosigkeit nimmt zurzeit auch in
den USAund sogar in Japan zu. Zwei große Märkte in diesem globalen Wirtschaftsgefüge erleben wirtschaftliche
Einbrüche,
({1})
Sie aber tun so, als seien wir in Deutschland davon überhaupt nicht betroffen. Was glauben Sie denn, wo wir leben? Auf der Insel der Glückseligen? - Sie leben vielleicht dort, wir nicht. Wir leben in der Realität.
Da hilft auch nicht Ihr Ruf nach Konjunkturprogrammen. In den USA hinterließ der demokratische Präsident
Clinton seinem republikanischen Nachfolger Bush ein gemachtes Haus mit riesigen Überschüssen.
({2})
Deswegen konnten jetzt Konjunkturprogramme starten.
Aber nun hat Präsident Bush wieder eine Negativbilanz.
Aber was haben Sie uns 1998 hinterlassen? - Sie haben uns einen Schuldenberg, Massenarbeitslosigkeit und
eine lahmende Wirtschaft hinterlassen. Haben Sie das alles schon vergessen, Herr Kolb? Alles, was nach der Regierungsübernahme im Herbst 1998 zu tun war, haben wir
getan. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht,
({3})
auch wenn Sie jetzt nur wieder rumnölen können.
Jetzt hören Sie einmal gut zu; denn ich bringe Ihnen ein
Zitat - vielleicht kommen Sie darauf, wer der Autor
war -:
Es bedarf einer grundsätzlichen Umgestaltung unseres gesamten Steuer- und Abgabensystems unter
ökologischen Gesichtspunkten. Den Grundgedanken
einer ökologischen Steuerreform halte ich nach wie
vor für richtig. Unser Steuer- und Abgabensystem
macht wider alle ökonomische Vernunft gerade das
besonders teuer, wovon wir gegenwärtig im Überfluss haben: Arbeit. Dagegen ist das, woran wir sparen müssen, viel zu billig: Energie- und Rohstoffeinsatz.
({4})
Dieses doppelte Ungleichgewicht müssen wir wieder
stärker ins Lot bringen. Der Einsatz des Faktors Arbeit muss durch eine Senkung der Lohnzusatzkosten
relativ verbilligt werden, der Energie- und Rohstoffverbrauch durch eine schrittweise Anpassung der
Energiepreise relativ verteuert werden,
({5})
beides zu einer aufkommensneutralen Lösung intelligent verbunden werden. So lautet die Aufgabe.
({6})
Diese Sätze hätten von uns 1998 sein können, aber sie waren
({7})
vom Herrn Kollegen Schäuble.
({8})
Da kann ich nur sagen: Recht hatte der Mann! Was er
gefordert hat, selbst aber mit seiner Regierung nicht auf
den Weg bringen konnte - vielleicht Ihretwegen, Herr
Kolb -, das haben wir jetzt geschafft. Wir haben die Steuern für die Arbeitnehmer und die Unternehmer nachhaltig
reformiert
({9})
und nach unten gedrückt.
({10})
Wir sind nicht davor zurückgeschreckt, die richtige Rentenreform anzugehen. Ihre Rentenreform hat zwar die
Leistungen abgesenkt - das ist wohl wahr -, aber keinerlei Kompensation wenigstens in Aussicht gestellt. Diese,
nämlich den Aufbau einer zusätzlichen Altersvorsorge mit
staatlicher Unterstützung, haben wir auf den Weg gebracht. Alle, die etwas davon verstehen, haben uns dafür
gelobt, auch wenn es die Arbeitgeberverbände geschmerzt hat.
({11})
Außerdem haben wir eine ökologische Steuerreform eingeführt, genau so, wie Herr Schäuble sie gefordert hat.
Damit haben wir den Standort Deutschland attraktiv
und wettbewerbsfähig gemacht, den Arbeitnehmern angesichts der demographischen Entwicklung eine zukunftsweisende Perspektive gegeben, natürliche Ressourcen geschont und die Abgabenlast gesenkt.
({12})
Nicht vergessen werden darf, dass wir auch in Sachen Arbeitsmarktpolitik so viel bewegt haben, dass heute 1 Million mehr Menschen in Arbeit sind,
({13})
obwohl aus der stillen Reserve ständig mehr Menschen
auf den Arbeitsmarkt drängen.
Sie aber stellen sich hierhin und kritteln erbsenzählerisch daran herum, dass das ehrgeizig gesteckte Ziel, die
Lohnnebenkosten im Jahr 2002 auf 40 Prozent zu senken,
besser noch darunter, vielleicht nicht erreicht werden
kann!
({14})
Statt sich hier aufzuplustern, sollten Sie lieber Ihrer Verantwortung gerecht werden und mithelfen. Haben Sie
schon vergessen, dass wir, die Sozialdemokraten, besonders die aus den Ländern, 1998 Ihren Hintern gerettet haben,
({15})
als wir der Mehrwertsteuererhöhung zugestimmt haben,
damit der Rentenversicherungsbeitrag nicht auf 21 Prozent klettert? Damals haben Sie es fertig gebracht, die
Schwankungsreserve auf 0,6 herunterzufahren. Bei Ihnen
ist das eine Schwankungsreserve. Bei uns sagen Sie seltsamerweise im gleichen Fall, wir würden an den Spargroschen der Leute gehen. So viel zu Ihrer Seriosität, Herr
Laumann.
({16})
Sie, die Sie die Arbeitslosigkeit bis 2000 von durchschnittlich 4,3 bis 4,5 Millionen Menschen um die Hälfte
reduzieren wollten, konnten nur mit Steuererhöhungen
die unter Ihrer Regierung dramatisch in die Höhe geschnellten Lohnnebenkosten einigermaßen halten.
({17})
Dickfellig muss man sein und dazu einen vorzüglich
funktionierenden Gedächtnisverlustknopf im Hirn haben,
um all das zu vergessen.
({18})
Beides scheint bei Ihnen bestens zu funktionieren; Sie
pflegen das ja auch.
Das hält uns nicht davon ab, aktive Arbeitsmarktpolitik, gute Steuer- und Wirtschaftspolitik und eine Forschungs- und Bildungspolitik zu machen, die zusammenwirken, für eine Erholung der Wirtschaft und für mehr
Beschäftigung sorgen und damit auch eine Entlastung der
Beiträge, also der Lohnnebenkosten, bringen.
Vielen Dank.
({19})
Es gibt noch
zwei Redner in dieser Aktuellen Stunde. Zunächst hat der
Kollege Wolfgang Lohmann für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wenn das, was wir hier zum Teil gehört haben, nicht so
traurig wäre, wäre es zum Lachen: Wir werden es nicht zu
einer Steigerung der Beitragssätze kommen lassen, sondern die gesetzlich festgesetzten Lohnnebenkosten senken. Man kann eigentlich auch sagen - das ist schon angedeutet worden -: Wenn wir nicht alle möglichen Tricks
angewendet hätten, dann wäre der Beitragssatz noch viel
stärker angestiegen.
({0})
Was sind das eigentlich für Verdrehungen und Wortschöpfungen? Sie haben vorhin einmal von Wertschöpfung gesprochen. Sie aber sind schon längst von der Wertschöpfung weg und bei der Wortschöpfung angekommen.
({1})
Das erinnert mich an die Zeiten, als ein sehr bekannter
Bundeskanzler Ihrer Fraktion auch ein großes Wort geschöpft hat. Er hat aus dem nicht vorhandenen Wachstum
ein Minuswachstum gemacht. Hauptsache, es kam das
Wort „Wachstum“ vor, auch wenn es ein Minuswachstum
war. Auf diese Weise begeben Sie sich jetzt in die Diskussion und tun dies sehr lautstark.
Ich möchte jedoch ein anderes Thema ansprechen, das
heute nur in einem Nebensatz erwähnt worden ist, obwohl
es wirklich ernst ist. Es geht nämlich um die Pflegeversicherung. Nun könnte man ja sagen - das werden Sie wahrscheinlich tun -: Damit haben wir keine Probleme, weil es
einen gesetzlich festgelegten Beitragssatz von 1,7 Prozent
gibt. Er kann nicht erhöht werden. Infolgedessen wird das
gesamte Problem nicht berührt.
({2})
Aber es passt hinten und vorne nicht; denn der Schein
trügt. Die Pflegeversicherung hatte vor einigen Jahren
Reserven, wovon Sie heute noch zehren. 1998 waren
10 Milliarden DM in der Pflegeversicherung.
({3})
1997 konnte die Pflegeversicherung noch einen Überschuss von 1,6 Milliarden DM erwirtschaften. 1998 waren es nur noch 250 Millionen DM, aber immerhin war es
noch ein Überschuss.
({4})
- Jetzt schreit der Herr Schösser wieder dazwischen. Sie
sind ja gleich dran! - 1999 ist die Pflegeversicherung
erstmals in die roten Zahlen geraten und hat ein Defizit
von 74 Millionen DM ausgewiesen. Für 2003 - das ist alles seriös errechenbar - muss man mit einem Defizit von
1,7 Milliarden rechnen.
Hinzu kommt, dass der Pflegeversicherung durch die
Absenkung der Beiträge für Empfänger von Arbeitslosenhilfe im Rahmen des Haushaltssanierungsgesetzes
- auch das ist hier im Laufe der letzten Wochen schon
mehrfach gesagt worden - 400 Millionen DM jährlich
entzogen werden. Die drängenden Probleme aber, die es
gibt, werden nicht oder nur unzulänglich angegangen.
Die demographische Entwicklung - auch das wissen wir
alle - wird die Sache noch verschärfen.
Durch das so genannte Pflege-Qualitätssicherungsgesetz, mit dem ein ungeheuer großer bürokratischer Aufwand verbunden ist, werden personelle Ressourcen gebunden, die auch nicht weiterhelfen. Manche Pflegende
sagen, sie müssten eine drittklassige Pflege erstklassig beschreiben. So ist der Zustand.
Auch der Entwurf des Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetzes löst die Probleme nicht. Die zusätzlichen Leistungen im Rahmen der ambulanten Pflege von 2,47 DM täglich sind doch geradezu lächerlich.
Wie gesagt, mit der Absenkung der Beitragsbemessungsgrenze für die Empfänger von Arbeitslosenhilfe entzieht die Bundesregierung der Pflegeversicherung
400 Millionen DM. Jetzt rächt sich dieser Fehler.
Sie fragen nun, was wir für eine Position haben. Wir
haben einen eigenen Entwurf vorgelegt, der beispielsweise eine Förderung der ambulanten und stationären
Hospizarbeit vorsieht. Dadurch wird eine bessere Versorgung der dementen Personen erreicht, die dringend notwendig ist, und die Versorgungsstruktur wird positiv verändert.
Unser Vorschlag wird aber abgelehnt. Wir fordern Sie
auf: Nehmen Sie doch wenigstens die Politik der Haushaltssanierung zulasten der Pflegeversicherung zurück.
Dann wären die erforderlichen Mittel da, um den altersverwirrten und betreuungsbedürftigen Menschen in
Deutschland in Zukunft ein menschenwürdiges Leben zu
sichern. Wir meinen, dass wir ihnen das schuldig sind.
Vielen Dank.
({5})
Der Kollege
Fritz Schösser macht für die SPD-Fraktion den Abschluss.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie
mich zu Beginn das Stichwort „bestelltes Haus“ aufgreifen, Herr Seehofer.
({0})
Mir liegt ein Schreiben der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen an die Mitglieder des
Bundestagsausschusses für Gesundheit vom 20. September vor.
({1})
- 2001! - Ich zitiere aus diesem Schreiben:
So haben die vor 1999 initiierten, von 1992 bis 1998
initiierten Verschiebebahnhöfe allein in den zurückliegenden sechs Jahren zu einer Belastung der gesetzlichen Krankenversicherung von insgesamt
50 Milliarden DM geführt.
({2})
Das ist das „bestellte Haus“, das Sie hinterlassen haben.
({3})
Zum Zweiten. Dass der Haushalt der Krankenversicherungen - dass beschwören Sie immer wieder - in den
Jahren 1997 und 1998 tatsächlich mit positiven Zahlen
abgeschlossen hat, haben Sie dadurch erreicht, dass Sie in
diesen beiden Jahren die Versicherten mit 11 Milliarden
- man höre und staune: mit 11 Milliarden DM - Eigenbeteiligung belastet haben. Da ist also nicht gespart worden,
sondern Sie haben schlicht und einfach Gelder verschoben: zum einen zwischen den Versicherungen, zum anderen - das ist am schäbigsten - zulasten der Kranken, und
zwar insofern, als sie mehr zahlen mussten.
({4})
Nun zum Kollegen Laumann. Kollege Laumann, es
mag ja sein, dass wir im Augenblick darüber nachdenken,
die Schwankungsreserve gesetzlich zu ändern.
({5})
Eines aber ist der Wahrheit wegen schon erforderlich zu
sagen: Sie haben zwar nie die Schwankungsreserve verändert, aber Sie haben sich grob verschätzt, und zwar in
mehreren Jahren. Ich nenne einmal die Zahlen mit den
entsprechenden Jahren, da Sie ständig unter der Schwankungsreserve lagen:
({6})
In der zweiten Jahreshälfte 1995 0,9, in der zweiten Jahreshälfte 1996 0,6, in der zweiten Jahreshälfte 1997 0,6
und in der zweiten Jahreshälfte 1998 0,7! Sie sollten erst
einmal ihre eigenen Bilanzen betrachten, bevor Sie hier
Aktuelle Stunden beantragen.
({7})
Im Übrigen ist mir nicht ganz klar, welches Ziel Sie
heute eigentlich verfolgen.
({8})
Ich habe den Eindruck, es geht Ihnen mehr um die Belastung der Versicherten als um die Frage, wie hoch letztlich
der Beitrag ist.
Ich kann Ihnen nur klar und deutlich sagen: Für Ihre
drei Ziele - mehr Konkurrenz im Bereich der Krankenversicherung, höhere Belastung der Kranken, Kürzungen
bei den Leistungen - werden Sie von uns keine Handreichungen erhalten.
Sie plädieren für die Einführung von mehr Konkurrenz. Wenn ich mir genau betrachte, Herr Seehofer, was
Sie in Ihrer Zeit an mehr Konkurrenz auf den Weg gebracht haben, dann stelle ich schlicht und einfach fest: Sie
haben mehr Konkurrenz unter den Kassen geschaffen.
Die Kassen kämpfen heute um die Gesunden.
({9})
Deshalb ist es heute erforderlich, eine Reform des RSA
vorzunehmen. Wir müssen endlich wieder gleiche Bedingungen für die Kassen schaffen. Sie haben nämlich Räubertum unter den Kassen hergestellt und nicht für Ordnung gesorgt. Unser Ziel ist das nicht.
({10})
- Ich sehe ja Ihre Aufregung. Wenn Sie fragen wollen,
verlängere ich gerne meine Redezeit.
Sie wollen eine höhere Belastung der Kranken. Ich
kann Ihnen nur sagen: Wir wollen diese höhere Belastung
nicht. Sie haben bis heute eine gewisse Sehnsucht nach
mehr Eigen- und Selbstbeteiligung. Aber mehr Eigen- und
Selbstbeteiligung ist keine kostendämpfende Maßnahme,
sondern stellt schlicht und einfach eine höhere Belastung
von Familien, Arbeitnehmern und Kranken dar. Das ist es,
was Sie wollen.
({11})
Sie sind im Grunde überhaupt nicht daran interessiert,
mehr Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen zu erzielen.
Sie wollen Leistungskürzungen. Auch da kann ich Ihnen nur sagen: Kürzungen wollen wir nicht. Wir wollen,
dass das Gesundheitswesen erstklassig bleibt, und dafür
werden wir auch die notwendigen Reformen auf den Weg
bringen.
({12})
Im Übrigen sollten Sie noch einen Blick auf das
Verhältnis der Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung zum Bruttoinlandsprodukt werfen. Herr
Seehofer, wenn man das genau betrachtet, dann waren die
Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, in Ihrer Zeit am höchsten. Sie lagen nämlich satt bei über 20 Prozent.
({13})
Wir liegen heute bei 19,4 Prozent. Ich kann Ihnen nur sagen: Allein dieser Schnitt ist entscheidend. Es wäre viel
besser, Sie würden mit uns gemeinsam darüber diskutieren, wie man auch die Einnahmenseite verbessern kann.
Wenn nämlich die Lohnsummen, gemessen am Bruttosozialprodukt, immer kleiner werden und die Ausgaben wegen älterer Bevölkerungsstrukturen immer höher, dann
wird man auch an diesen Bereich denken müssen. Dazu
höre ich aber von Ihrer Seite kein einziges Argument.
({14})
Ich kann Sie also nur bitten: Kommen Sie zur Besinnung! Statt solcher unnützen Aktuellen Stunden sollten
Sie lieber darüber nachdenken, wie Sie mit uns gemeinsam eine vernünftige Reform des Gesundheitswesens und
der Sozialversicherungsstrukturen auf den Weg bringen.
Herzlichen Dank.
({15})
Die Aktuelle
Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 8. November 2001,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.