Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/12/2001

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Gerda Hasselfeldt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie bei vielen anderen Steuergesetzen stimmen auch bei diesem Gesetz Verpackung und Inhalt überhaupt nicht überein. ({0}) In der Überschrift steht „Terrorbekämpfung“; inhaltlich geht es aber um Steuererhöhungen. Warum schreiben Sie dann nicht auch in der Überschrift: Gesetz zur Erhöhung der Tabaksteuer und der Versicherungsteuer? Damit wären Sie wenigstens ehrlich und würden nicht täuschen und tarnen. ({1}) Die Täuschung setzt sich auch bei den veranschlagten Zahlen fort. Es war von 3 Milliarden DM Finanzbedarf die Rede. In Ihrem eigenen Gesetzentwurf veranschlagen Sie bei der Versicherungsteuer im nächsten Jahr 1 Milliarde DM Mehreinnahmen und bei der Tabaksteuer im nächsten Jahr 2 Milliarden DM Mehreinnahmen. Schon ein Jahr später gehen Sie - mit steigender Tendenz - davon aus, dass aus diesen 3 Milliarden DM 4 Milliarden DM werden. Selbst wenn wir annehmen, dass diese Zahlen richtig errechnet sind - was sie im Übrigen nicht sind; darauf komme ich gleich noch zu sprechen -, geben Sie damit selbst zu, dass Sie mehr Geld einnehmen werden, als Sie benötigen. ({2}) Tatsächlich werden die Einnahmen noch wesentlich höher ausfallen. Im Jahr 2000 hatten wir einen Verbrauch an Zigaretten in Höhe von 140 Milliarden Stück. Nun planen Sie eine Erhöhung um 2 Cent, das heißt von fast 4 Pfennig, pro Stück. Das bedeutet für jede Schachtel eine Erhöhung um etwa 80 Pfennig - nur, damit man sich die Größenordnung einmal vor Augen halten kann. Wenn Sie diesen Betrag auf der Basis des Verbrauchs des Jahres 2000 hochrechnen, dann nehmen Sie 2,8 Milliarden Euro, also etwa 5,5 Milliarden DM, ein. Hinzu kommt noch - das wird ja sowieso verschwiegen - zusätzlich die Mehrwertsteuer. Das bedeutet, dass Sie mehr als 6 Milliarden DM allein aus der Tabaksteuer einnehmen. ({3}) - Aber selbst wenn Sie solche Verhaltensänderungen einkalkulieren, wissen Sie genau, dass diese nur kurzfristig sind und dass manche Menschen vielleicht kurzfristig auf einige Zigaretten verzichten. Aber sehr schnell wird der Konsum das vorherige Niveau wieder erreichen. ({4}) Aber, meine Damen und Herren, selbst wenn Sie diese Verhaltensänderungen einkalkulieren, müssen Sie feststellen: Zwischen den Beträgen von 2 Milliarden DM und 6 Milliarden DM ist ein sehr großer Unterschied, den man nicht mit Verhaltensänderungen begründen kann. ({5}) Sie nehmen unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung einen kräftigen Schluck aus der Pulle, ({6}) weit mehr, als Sie für den von Ihnen angegebenen Zweck brauchen, um Ihre selbstverschuldeten Haushaltslöcher zu stopfen. Das ist nämlich der eigentliche Grund, warum Sie so schnell zu einer Steuererhöhung in diesem Ausmaß greifen. ({7}) Wissen Sie, es war doch schon bei der Haushaltsdebatte klar, dass Ihr Haushalt auf Sand gebaut ist ({8}) und dass er Makulatur ist. Ihre Annahmen sind nicht realistisch. Sie gehen nach wie vor von 2 Prozent Wachstum aus. Aber wir müssen froh sein, wenn wir 0,8 Prozent erreichen. Das wissen Sie genau. Damit sind wir Schlusslicht in Europa. Allein in diesem Jahr müssen Sie für die Bundesanstalt für Arbeit nicht - wie vorgesehen und eingeplant - 1,2 Milliarden DM, sondern 4 Milliarden DM ausgeben, ({9}) und zwar nicht aus irgendwelchen Gründen, die mit den Ereignissen des 11. September dieses Jahres zu tun haben, sondern wegen Ihrer falschen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Dies ist die Ursache für Ihre Haushaltslöcher. ({10}) Anstatt diese Situation nun herumzudrehen und die Rahmenbedingungen für echtes Wirtschaften zu verbessern, ({11}) tun Sie das, was am schnellsten und am einfachsten möglich ist: Sie greifen in die Taschen des Steuerzahlers. Das ist wirtschaftspolitisch nicht richtig und auch unredlich. Im Übrigen ist es schon ein Armutszeugnis und auch ein Offenbarungseid des Finanzministers, ({12}) wenn wegen eines Betrags von 3 Milliarden DM, 0,6 Prozent des Haushaltsvolumens, sofort zu Steuererhöhungen gegriffen wird. ({13}) Daran sieht man auch, mit welch heißer Nadel dieser Haushalt gestrickt ist, wenn Sie nicht einmal diese 3 Milliarden DM durch vernünftige Prioritätensetzung und durch Umschichtung finanzieren können. Denn dann wäre keine Erhöhung der Neuverschuldung notwendig, Herr Poß. ({14}) Wenn Sie diesen Betrag nicht durch eine vernünftige Umschichtung finanzieren können, dann ist das ein Armutszeugnis, wie es schlimmer nicht sein kann. ({15}) - Herr von Larcher, ich muss Sie an Folgendes erinnern: Der Finanzminister, der ja heute nicht anwesend ist, hat auf dem Kongress des Bundes der Steuerzahler am 18. September dieses Jahres - damit wurde er im „Handelsblatt“ vom 19. September dieses Jahres zitiert; diese Aussage ist wörtlich nachzulesen - gesagt, Eichel will „zusätzliche Ausgaben des Bundes für innere und äußere Sicherheit allein durch Umschichtungen im Haushalt finanzieren“. ({16}) Genau einen Tag später fand hier vormittags eine Debatte zur Terrorbekämpfung statt. Am Nachmittag des gleichen Tages, wenige Minuten nach Schluss dieser Debatte, ({17}) in der weder von Steuererhöhungen noch von der Finanzierung die Rede war, ({18}) hat das Kabinett entgegen den Äußerungen des Finanzministers vom Tag zuvor auf dem Kongress des Bundes der Steuerzahler ({19}) genau diese Steuererhöhung beschlossen. ({20}) Es war keine Rede mehr von Umschichtungen. Meine Damen und Herren, wer soll denn einem Mitglied dieser Regierung noch glauben und vertrauen? Herr Poß, mit dem Motto „Kurs halten“, wie Sie es gesagt haben, ist nicht sehr viel zu machen. ({21}) - Ich habe es doch ganz konkret gesagt: Umschichtungen im Haushalt. ({22}) Jede Menge können Sie umschichten. Sie geben viel zu viel aus, nur weil Sie nicht mutig genug sind, echte Reformen zum Beispiel beim Arbeitsmarkt und bei der Sozialpolitik durchzuführen. ({23}) Man kann leicht den Sparminister spielen, wenn man beim geringsten Finanzbedarf nicht ans Sparen denkt, ({24}) sondern zuerst zum Geld der Steuerpflichtigen greift, die sich nicht wehren können. Das hat doch mit einem Sparminister nichts zu tun. ({25}) Die Mär vom Sparminister glaubt Ihnen ohnehin niemand mehr. ({26}) Die Defizitquote ist nicht gesunken, die Abgabenquote ist nicht gesunken, die Steuerquote ist nicht gesunken. Das Einzige, was in Ihrer Regierungszeit gestiegen ist, sind die Ausgaben des Bundes. Was ist da vom Sparen eigentlich übrig geblieben? Es ist überhaupt keine Frage, dass die von Ihnen beabsichtigten Erhöhungen der Versicherungsteuer und der Tabaksteuer Gift für die wirtschaftliche Entwicklung sind. ({27}) Auch in anderen Ländern in Europa und darüber hinaus sind verstärkte Anstrengungen bei der inneren und äußeren Sicherheit notwendig. Kein einziges anderes Land denkt aber bei diesen notwendigen Maßnahmen an Steuererhöhungen. ({28}) Sie jedoch haben als allererste Maßnahme nur an Steuererhöhungen gedacht und wollen sie im Hauruckverfahren realisieren. Gerade in unserem Land, das ohnehin das niedrigste Wachstum aller europäischen Länder hat, ist dies besonderes Gift. Der EU-Währungskommissar hat erst vor wenigen Wochen, nachzulesen in der „FAZ“ vom 9. Oktober, in Bezug auf die Wachstumsentwicklungen der Euroländer wörtlich gesagt: „Deutschland ist ein Problem.“ ({29}) Meine Damen und Herren, wenn Sie die wirtschaftliche und konjunkturelle Entwicklung in unserem Land nicht nur aktuell, sondern über die letzten Monate hinweg objektiv betrachten und dann, wie es Herr Poß vorhin getan hat, Steuererhöhungen als die richtige konjunkturpolitische Antwort ansehen, dann kann ich nur sagen: Einen größeren Amateurökonom habe ich noch nicht gehört. ({30}) - Natürlich hat er das gesagt. Lesen Sie es nach! ({31}) Das Problem ist hausgemacht; das wissen Sie ganz genau. Ursache ist Ihre falsche Wirtschafts- und Finanzpolitik. Durch die Maßnahme, die Sie jetzt vorsehen, vergrößern Sie das Problem noch, weil sie das konjunkturpolitisch völlig falsche Signal ist. Das Problem sind die fehlenden Binneninvestitionen und die gesunkene Binnennachfrage. Eine Schlüsselrolle spielt dabei der private Verbrauch. Mit Ihrer Steuererhöhung würgen Sie diesen noch mehr ab, als es ohnehin schon der Fall ist. ({32}) Wenn Sie die Erhöhung dieser Steuern, die mit einer Erhöhung der Inflationsrate in Höhe von etwa 0,5 Prozent verbunden ist - ich beziehe hier die Ökosteuer ein, deren Erhöhung zum 1. Januar 2002 schon beschlossen ist -, damit abtun, dass das nicht so schlimm sei, weil die Inflationsrate jetzt wieder zurückgegangen sei, ({33}) dann wird auch deutlich, wes Geistes Kind Sie sind. In dem Moment, in dem die Inflationsrate durch Einflüsse von außen, die Sie nicht verursacht haben, ein wenig zurückgeht, sehen Sie sofort Spielraum für Steuererhöhungen, womit Sie die Inflationsrate wieder erhöhen. So einfach können Sie es sich nicht machen. Die Bürger merken, dass dies der falsche Weg ist. Sie werden von Ihrer Politik nur abgezockt. ({34}) Sie treffen damit ja nicht nur die Raucher. Mit der Versicherungsteuer treffen Sie jeden Haushalt und jeden Betrieb: bei der Kfz-Versicherung, bei den Gebäudeversicherungen, bei den Brandversicherungen und allen sonstigen Sachversicherungen. Dies tun Sie in einer Zeit, in der die Versicherungsbeiträge wegen der vielen Schadensfälle ohnehin steigen. Damit steigt übrigens auch das Steueraufkommen aus der Versicherungsteuer. Wenn Sie nun durch Ihre gesetzliche Maßnahme die Versicherungsteuer zusätzlich erhöhen, werden die Menschen nicht nur durch die Prämienerhöhung und die darauf ohnehin anfallende höhere Versicherungsteuer, sondern auch noch ein drittes Mal durch Ihre Steuererhöhung getroffen, ganz zu schweigen von der damit verbundenen zusätzlichen Mehrwertsteuer. Von den technischen Schwierigkeiten in Bezug auf die Umstellungen bei den Automaten, auch von den technischen Schwierigkeiten der Versicherungen wegen der kurzfristigen Erhöhungen will ich hier gar nicht reden. Sie wissen auch, dass das beispielsweise enorme Auswirkungen auf die Mitarbeiter, auf die Beschäftigten in der Tabakwirtschaft hat. Aber das scheint Ihnen alles völlig egal zu sein. Sie haben nicht einmal allen betroffenen Verbänden den Gesetzentwurf zugeschickt. Da wird schon deutlich, dass Sie das in einem Hauruckverfahren möglichst schnell und geräuschlos, ohne dass die Betroffenen Stellung nehmen können, durchziehen wollen. ({35}) Auch das wirft ein Licht auf Ihre Unseriosität. ({36}) Nun hat Herr Kollege Poß die Steuererhöhungen im Jahre 1991 anlässlich des Golfkrieges angesprochen. ({37}) Herr Poß, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das ein bisschen detaillierter und objektiver betrachten würden. ({38}) Sie wissen genau, dass dies erstens eine völlig andere Dimension war, dass es zweitens auch mit den großen Anstrengungen bei der Herstellung der deutschen Einheit verbunden war ({39}) und dass wir drittens damals ein wesentlich höheres Wachstum hatten, als wir es heute haben. Auch die ökonomische Bewertung war eine völlig andere als jetzt. Hier Äpfel mit Birnen zu vergleichen und das Handeln jetzt so zu rechtfertigen ist ein völlig falscher Schluss. ({40}) Es ist im Übrigen eine billige Ausrede und sonst nichts. Es ändert nichts daran, dass diese Steuererhöhung, die Sie jetzt vorhaben, nicht notwendig ist, und es ändert auch nichts daran, dass sie ökonomisch verfehlt ist. Deshalb werden Sie unsere Zustimmung dazu nicht bekommen. ({41})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erste Feststellung: Ich gehe davon aus, dass es keine einzige politische Partei in diesem Raum gibt, die nicht die Auffassung vertritt, dass unverzüglich mehr finanzielle Mittel für verstärkte Anstrengungen zur wirksamen Bekämpfung des internationalen Terrorismus und zur Erhöhung der inneren, aber auch der äußeren Sicherheit der Bürger und Bürgerinnen der Bundesrepublik Deutschland aufgewandt werden müssen. Zweite Feststellung: Durch die im vorgelegten Gesetzentwurf vorgesehene Erhöhung der Versicherungs- und Tabaksteuer mit einem geplanten Einnahmevolumen von rund 3 Milliarden DM sollen ab 2002 Maßnahmen im Bereich des Katastrophenschutzes, des Bundesgrenzschutzes, des Bundeskriminalamtes, aber auch der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe finanziert werden. Wir haben bereits jetzt zur Verbesserung der wirtschaftlichen Perspektiven der betroffenen Länder verstärkt Mittel bereitgestellt und auch im Bereich der humanitären Hilfe finanzielle Anstrengungen unternommen. Am Geld scheitert - das muss man ganz klar sagen -, die humanitäre Unterstützung von deutscher Seite aus nicht. Wir sind allerdings der Überzeugung, dass im Haushalt 2002 keine Möglichkeiten für Umschichtungen zulasten anderer Ausgaben bestehen. Es ist auf der einen Seite schwer, das zuzugeben. Auf der anderen Seite ist es für viele Bürgerinnen und Bürger schwer nachvollziehbar, dass bei einem Haushaltsvolumen von rund 485 Milliarden DM kein Spielraum für Einsparungen gegeben sein soll. Ich möchte Sie daran erinnern, dass selbst die Haushaltsexperten der Opposition, Herr Austermann und Herr Kalb, wissen müssen, dass es im Haushalt, Frau Hasselfeldt, eben keinen Spielraum mehr gibt. Ich finde, dass die Union sich endlich sortieren muss, dass sie klar bekennen muss, wie sie Haushaltspolitik, Finanzpolitik und Wirtschaftshilfe in der Zukunft gestalten will. ({0}) Sie haben hier Anfang September Erklärungen abgegeben, dass im Haushalt angeblich ein Finanzloch von rund 12 Milliarden DM bestehe. Wir haben gesagt: Das stimmt nicht. Wir haben einen soliden Haushalt - vernünftig durchgerechnet - aufgestellt. ({1}) Sie haben gesagt, es gebe eine Unterdeckung von 12 Milliarden DM. Fast zum gleichen Zeitpunkt - in den vorherigen Wochen und auch jetzt wieder in den letzten Tagen - kommen Forderungen, die nächsten Steuerreformstufen, vor allem die Senkung des Spitzensteuersatzes, vorzuziehen, ({2}) was bedeutet, dass wir im nächsten Jahr weniger Einnahmen in einer Größenordnung von rund 45 Milliarden DM hätten. ({3}) Gleichzeitig sagt Herr Merz, wir müssten die Familien fördern; das klingt ja immer gut. ({4}) Das kostet 50 Milliarden DM. Dann sagen Sie: Der Haushalt ist zwar nicht richtig gedeckt - da haben Sie eine Riesenlücke -, aber gleichzeitig brauchen wir im Bereich der Bundeswehr, im Bereich der Landwirtschaftssubventionen usw. Mehrausgaben von rund 13,5 Milliarden DM. ({5}) Wenn man das alles zusammennimmt, Frau Hasselfeldt, haben wir es hier, abgeleitet von Ihren Forderungen, mit Mehrausgaben bzw. Steuermindereinnahmen - wenn man es so herum betrachtet - in einer Größenordnung von rund 115 Milliarden DM zu tun. Das heißt: absolutes gedankliches Chaos in Ihren Vorschlägen! ({6}) Sie glauben doch wohl nicht, dass die Leute so doof sind, Ihnen abzunehmen, dass Sie auf der einen Seite Steuersenkungen finanzieren wollen, die Ökosteuer aussetzen wollen, gleichzeitig die Arbeitslosenversicherungsbeiträge senken wollen - das finden wir übrigens richtig und das wollen wir ebenfalls tun, aber auf einem anderen Weg, als Sie ihn vorschlagen - und auf der anderen Seite aus dem Haushalt heraus auch noch 13,5 Milliarden DM Mehrausgaben für die Bundeswehr und andere Einrichtungen zur Verfügung stellen wollen. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass Ihnen die Leute abnehmen, dass all dies ohne gigantische Steuererhöhungen an irgendeiner anderen Stelle ({7}) oder eben ohne eine massive Neuverschuldung funktionieren soll. Was Sie hier an Forderungen aufstellen, ist vom Volumen her ein Viertel des gesamten Haushaltsvolumens. ({8}) Da kann ich nur sagen: Gott sei Dank sind Sie nicht an der Regierung; sonst würden wir den Schuldenstaat, den wir leider übernommen haben, fortführen müssen. ({9}) Das wäre eine Katastrophe für die Wirtschaft. Das würde bedeuten, dass wir einen verfassungswidrigen Haushalt hätten, dass die Länder Pleite gingen, die Kommunen pleite wären und der Bund dazu. Das ist die Konsequenz Ihrer Politik. Sie wissen ganz genau, dass Ihre eigenen Ministerpräsidenten - dazu gehört auch der bayerische, der ja im Hinblick auf die nächsten Wahlen so ein bisschen im Startloch sitzt - ganz genau wissen, dass diese Forderungen nur gestellt werden können, solange man in der Opposition ist. Aber ich finde, zur Politik gehört auch eine gewisse Ehrlichkeit. Man darf den Leuten nicht Sand in die Augen streuen - nach dem Motto, man könnte irgendwo im Haushalt umschichten, das sei ja alles überhaupt kein Problem - und gigantische Mehrausgaben fordern, die niemand schultern kann, von denen wir alle ganz genau wissen, dass das völlig unsolide ist. Die Haushalts- und Finanzpolitik, die Sie betreiben wollen, darf man nicht ernst nehmen. Wir sind endlich so weit, dass wir sagen: Wir gehen von den Schulden herunter, aber leisten trotzdem die Ausgaben, die notwendig sind für die Konjunktur, für Bildung und für Wissenschaft und im ökologischen Bereich bis hin zu Anschubfinanzierungen und Finanzierungen, die im Infrastrukturbereich, auch bei der Bahn, auch im Straßenbau usw. sinnvoll sind. ({10}) Wir haben jetzt im Verhältnis zum Gesamtvolumen des Bundeshaushalts zwar nicht unerhebliche Steuererhöhungen beschlossen - das ist richtig -, aber wir haben sie auf der Grundlage des Ziels einer sehr soliden, einer ehrlichen und einer an der Konsolidierung der Staatsfinanzen orientierten Finanzpolitik beschlossen. Das ist die Richtschnur unseres Handelns und die Rückführung der Nettokreditaufnahme in diesem und im nächsten Jahr soll auch im Rahmen eigener Handlungskompetenz fortgesetzt werden. Wir haben das Problem, dass im Jahr 2001 - das wissen Sie - die Weltkonjunktur rückläufig ist. ({11}) Das wird die Planung für das nächste Jahr nicht vereinfachen. Erst die Konjunkturprognosen der fünf Forschungsinstitute und des Sachverständigenrates werden die Bundesregierung insbesondere im Rahmen des Jahreswirtschaftsberichts veranlassen, eigene Konjunkturerwartungen zu formulieren. Grundsätzlich ist jede Konjunkturprognose angesichts der Militäreinsätze gegen den Terrorismus von psychologisch begründeter Unsicherheit geprägt. ({12}) Die Psychologie ist jetzt „Herr des Verfahrens“. Alle Wirtschaftsforscher sagen, dass die Psychologie zumindest 50 Prozent ausmacht. Jeder weiß, dass es sehr enge wirtschaftspolitische Zusammenhänge zwischen den Entwicklungen in den USA, in Japan und in Europa gibt. ({13}) Wir wissen, dass sich in Japan ein realer Schrumpfungsprozess mit Raten von 0,5 bis 1 Prozent abzeichnet. Wir wissen auch, dass die Prognose für das reale Wirtschaftswachstum in den USA für das Jahr 2001 bei rund 1,5 Prozent liegt. Insgesamt ist aber eine rückläufige Wachstumsentwicklung zu verzeichnen. ({14}) Wir wissen, dass in allen Ländern Europas die Wachstumserwartungen nach unten korrigiert werden mussten. Wir sehen aber auch, dass in diesem zweiten Halbjahr, vor allem im vierten Quartal, die Talsohle der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa erreicht ist und dass es jetzt aufwärts geht. Die Tendenz ist in vielen Branchen europaweit steigend. Dass dieses gute Ergebnis trotz der negativen gesamtweltwirtschaftlichen Situation erreicht werden konnte, hängt auch damit zusammen, dass der Konsolidierungskurs in anderen europäischen Ländern gut durchgehalten werden konnte. Die Inflationsrate ist nach den starken Rohölpreissteigerungen im letzten Jahr und den aktuell fallenden Rohölpreisnotierungen stark rückläufig. Die Europäische Zentralbank hat bereits die Geldmarktzinsen gesenkt. Weiterer Spielraum für Zinssenkungen ist vorhanden, sodass auch Investitionen kostengünstig finanziert werden können. Die Bürgerinnen und Bürger haben durch die Steuerreform, durch die Anhebung des Kindergeldes und durch die angehobenen Freibeträge, die die rot-grüne Regierung im Rahmen des Familienförderungsgesetzes beschlossen hat, mehr Kaufkraft in einer Höhe von rund 47 Milliarden DM. ({15}) Auch die Einführung des Euro im Rahmen des europäischen Binnenmarktes wird zusätzliche Impulse für mehr wirtschaftliche Aktivitäten freisetzen. Die Lohnstückkosten haben sich im Rahmen der moderaten Tarifabschlüsse laut Bundesbankbericht leicht rückläufig entwickelt. Auch die nächsten Tarifrunden sollten sich, so meinen wir, am Produktivitätsfortschritt orientieren, um eine stetige wirtschaftliche Entwicklung gewährleisten zu können. Die weitere wirtschaftliche Entwicklung auf den Exportmärkten hängt von äußeren Einflussfaktoren ab, die mit der Terrorismusbekämpfung in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Wie gesagt, der Weltmarktpreis für Öl ist gegenwärtig auf einem niedrigen Niveau, was für die Devisenbilanz eine stark entlastende Wirkung hat, aber ebenso auch für die Verbraucher und Verbraucherinnen, weil die Preise entsprechend niedrig sind. Wir wissen aber nicht, ob dieses Preissignal morgen noch gilt, da der Kampf gegen den Terrorismus grundsätzlich auch den Nachschub von Öl für die Weltwirtschaft infrage stellen kann. Die Bundesregierung setzt im Kampf gegen den Terrorismus vor allen Dingen auf internationale Zusammenarbeit gerade auch mit den arabischen Ländern. Sie setzt sich insbesondere durch unseren Außenminister, Joschka Fischer, aktiv für eine friedliche Lösung des Palästinakonfliktes ein. Auch das ist ein Beitrag zu einer möglichst günstigen Weltkonjunkturentwicklung. Man muss einmal auch diesen Zusammenhang betrachten. ({16}) Keinem Land der Erde ist in Zeiten der Globalisierung der Weltwirtschaft mit einer Rezession gedient. Vielmehr würden die Mittel für aktive Armutsbekämpfung, wirtschaftliche Hilfen, vermehrte humanitäre Aufgaben in vielen Teilen der Erde mit einer Rezession schwerer finanzierbar. Aus diesem Grund sollte die Politik alles dafür tun, dass die Unsicherheit überwunden wird und dass Zuversicht greift. Gegenwärtig ist aber nicht der Zeitpunkt gekommen, um Konjunkturankurbelungsprogramme aufzulegen bzw. zu fordern. Mehrere Konjunkturforschungsinstitute rechnen für nächstes Jahr bereits wieder mit einer Wiederbelebung des Wirtschaftswachstums. Selbst der Präsident des DIHK, Herr Ludwig Georg Braun, sieht wie wir keine Rezessionsgefahr. Er rät - wörtlich -, „sich nicht verrückt machen zu lassen“. Auch er sieht Konjunkturprogramme als gefährlich für die Stabilität des Euros an - und das mit Recht. Diese Einschätzung möchte ich Ihnen mitgeben, da Sie immer die Forderung aufstellen, locker mehr Geld auszugeben. Dafür würden Sie sogar eine Neuverschuldung in Kauf nehmen. Das werden wir im Hinblick auf die Wirtschaftspolitik in diesem Land mit Recht nicht tun. ({17}) Wir haben, um das in Erinnerung zu rufen, noch immer einen Schuldenberg von fast 1,5 Billionen DM - das sind 1 500 Milliarden DM -, eine kaum vorstellbare Summe. Wir müssen jährlich Zinslasten von rund 80 Milliarden DM tragen. Deswegen werden wir nichts tun, wodurch diese Zinslast weiter steigt. Alle Vorschläge, die vor allem vonseiten der FDP gekommen sind und auf die die CDU/CSU jeden Tag aufsattelt, würden dazu führen, dass die Zinslasten der Bundesrepublik Deutschland weiter steigen. Diese Politik wollen wir nicht und wir machen sie nicht mit. ({18}) Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Im Vergleich zu den USA haben wir eine andere Situation. Das möchte ich einmal sagen. Es heißt immer, in den USA werde alles wunderbar geregelt, es gebe Entlastungs- und Konjunkturprogramme. ({19}) Die USA haben aber auch Budgetüberschüsse zu verzeichnen und können somit andere Entscheidungen treffen. Sie haben bei weitem keine Steuerentlastungen in der Höhe vorgenommen wie wir in den letzten Jahren. Deswegen ist dieser Vergleich vollkommen falsch. Ich bitte Sie, ein bisschen mehr Ehrlichkeit walten zu lassen. Streuen Sie den Bürgern nicht Sand in die Augen und suggerieren Sie nicht, wir hätten Freiraum für alle möglichen Maßnahmen. Den haben wir nicht. Deswegen nehmen wir einmalig diese Steuererhöhungen vor, die wir hier beschlossen haben. Wir machen dies, weil wir eine ehrliche Politik wollen. Wir wollen nicht zulasten der nächsten Generationen weitere Schulden aufnehmen. Danke schön. ({20})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Günter Rexrodt von der FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zwei Vorbemerkungen machen. Erstens. Wir reden hier heute über Steuererhöhungen. Dem Bürger wird dadurch in die Tasche gegriffen. Und was muss ich feststellen: Nicht ein einziger Minister hält es für notwendig, bei solch einem Thema auf der Regierungsbank zu erscheinen. Das ist ein unmöglicher Vorgang. ({0}) Zweitens. Herr Poß, Sie haben hier ja schon so manche Posse aufgeführt, aber spätestens heute morgen habe ich verstanden, warum Herr Clement dabei ist, Sie politisch des Landes zu verweisen. Das ist leider kein Zugewinn für die Bundespolitik. ({1}) Sie werden von Herrn Clement gebraucht, Herr Poß. Gehen Sie nach Nordrhein-Westfalen. Wir können gern auf Sie verzichten. ({2}) Dass jemand derartige Wolken um einen wirtschafts- und finanzpolitisch verfehlten Schritt macht, habe ich selten erlebt. Ich komme zur Sache. Ich möchte keine weiteren Ausführungen darauf verwenden, um klarzustellen, dass es notwendig ist, Maßnahmen gegen den Terror zu verabschieden, die die innere und die äußere Sicherheit erhöhen. Es war immer unsere Partei, die dafür eingetreten ist, die Bundeswehr besser auszustatten und deren Etat nicht als Steinbruch zur Sanierung des Haushalts zu benutzen. Wir waren immer diejenigen, die gesagt haben: Freiheit ist ohne Sicherheit nicht möglich. Frau Scheel, Sie, die Grünen, waren und sind diejenigen, die sich in Ihrem Programm von 1998 dafür aussprechen, dass der Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst und der Militärische Abschirmdienst abgeschafft werden. ({3}) Diesen Beitrag zur Sicherheit leisten Sie bis zum heutigen Tag. Ich habe nichts dagegen, dass Geld bereitgestellt wird, und das schnell. Ich bin aber strikt dagegen, dass bei einem Bundeshaushalt von 490 Milliarden DM 3 Milliarden DM dadurch aufgebracht werden müssen, dass man die Steuern erhöht. Das ist ein Armutszeugnis für die Finanzpolitik. Das ist Ausdruck dessen, dass diese Bundesregierung ihre Schularbeiten nicht gemacht hat, insbesondere wenn es darum ging, die Ausgabenseite des Haushalts zu sanieren. ({4}) Wir befinden uns in einer wirtschaftlich schwierigen Situation. Diese Steuererhöhung ist das falsche Signal zum schlechtesten Zeitpunkt, den man sich nur vorstellen kann. Diese Steuererhöhung wird hier handstreichartig präsentiert. Am Morgen des 19. September hält der Bundeskanzler eine Regierungserklärung an dieser Stelle und sagt kein Wort von einer Steuererhöhung. Nachmittags um zwei erfahren wir über die Ticker, dass eine Steuererhöhung vorgesehen ist. So geht man mit dem deutschen Parlament nicht um! ({5}) Diese Steuer wird in Ihrer Argumentation in ihrer Wirkung bagatellisiert und bei Ihrer Begründung wird manipuliert, und zwar erstens, indem der Finanzminister so tut - auch Sie, Frau Scheel, haben eben in Ihrer Begründung so getan -, als wäre die Alternative zu dieser Steuererhöhung der Schuldenstaat. ({6}) Es ist doch lächerlich, bei einer Haushaltssumme von 490 Milliarden DM nicht in der Lage sein zu wollen, 2 oder 3 Milliarden DM durch eine pauschale Minderausgabe oder durch Umschichtung aufzubringen. ({7}) Das wird in ganz anderen Zusammenhängen x-mal getan. Sie haben die „Gunst der Stunde“ genutzt, um den Steuerzahler, den Verbraucher, den mittelständischen Investor zusätzlich zur Kasse zu bitten; nichts anderes ist geschehen. ({8}) Dann bringen Sie zweitens diese lächerliche Begründung, konjunkturell sei die Steuererhöhung ohne Wirkung. ({9}) - Lassen Sie sich Folgendes sagen: Sie sind der größte Wirtschaftsexperte aller Zeiten, Herr von Larcher; das ist weltweit bekannt. ({10}) Sie sagen, das seien ja nur 3 Milliarden DM, geraucht werde im Übrigen immer und eine Sachversicherung müsse es sowieso geben, das Auto müsse versichert werden. Wissen Sie denn nicht: Wer zwangsweise sparen muss, der gibt weniger aus. Er gibt weniger aus für Möbel und Einrichtungsgegenstände, beim Besuch von Gaststätten und bei Textil und Bekleidung und er verschiebt auch die Anschaffung eines Autos. Das ist dann nicht mehr spaßig; von Spaß kann gar keine Rede mehr sein. ({11}) Gehen Sie in dieser Zeit einmal in ein Warenhaus und sprechen Sie mit dem Geschäftsführer. Die Warenhäuser sind leer; es wird nichts mehr gekauft. ({12}) Offensichtlich sind Ihnen nicht einmal die neuesten Zahlen bekannt. Die Einzelhandelsumsätze - so ist es heute in der Statistik ausgewiesen - sind im September um 0,9 Prozent zurückgegangen. Darin spiegelt sich noch nicht die Reaktion auf den 11. September vollständig wider. Sie sind ja nicht einmal über die Fakten informiert. Dass das bei Ihnen zu dieser Reaktion führt, das werden die Menschen, die Handwerksbetriebe, diejenigen, die im Einzelhandel Verantwortung tragen, sehr wohl registrieren. Lassen Sie sich das sagen. ({13}) Schauen Sie sich einmal die Bemühungen der Autobranche an, die sie unternehmen muss, um in dieser Zeit in diesem Land überhaupt noch Autos loszuwerden. Dies alles ist nicht nur, aber auch darauf zurückzuführen, dass Sie in Ihrer Steuerpolitik und in Ihrer Wirtschaftspolitik falsche Signale gesetzt haben. ({14}) Dann kommt am 1. Januar - das ist das kritische Datum - noch einmal eine Erhöhung der Ökosteuer hinzu. ({15}) Sie reden groß von Entlastung, aber merken Sie denn nicht, wie die Menschen draußen denken? Auf der einen Seite gibt es eine irgendwie angesetzte Entlastung und auf der anderen Seite wird in mindestens demselben Umfang durch eine Steuererhöhung wieder zugegriffen, in diesem Fall sogar durch eine Steuererhöhung, die überhaupt nicht notwendig war. ({16}) Es leidet nicht nur der private Konsum, es leidet auch das Investitionsklima; denn Investitionen und Konsum hängen immer zusammen. Das lernt man im zweiten Semester, Herr von Larcher. Sie haben es nach so vielen Jahren noch nicht gelernt, weil Sie von Wirtschaft null Ahnung haben. ({17}) In der Wirtschaft hat 50 Prozent dessen, was passiert, psychologische Gründe. Die Steuererhöhung mag in Ihren Augen noch so klein sein: Psychologisch gesehen haben Sie wirtschaftspolitisches Vertrauen verspielt, haben Sie die Investoren und die Mittelständler erneut vor den Kopf gestoßen. ({18}) Dabei hätte die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik doch Ihr Highlight sein sollen. Sie haben von einer Senkung der Arbeitslosenzahlen um mindestens 1 Million gesprochen. Die magische Zahl ist 3,5 Millionen im Jahresdurchschnitt. Wir werden wahrscheinlich 3,9 Millionen Arbeitslose haben. Wir haben jetzt schon 3,85 Millionen. Davon sprechen die Institute. Beim Wirtschaftswachstum sind wir nicht mehr Lokomotive, sondern wir sind im europäischen Zug im Gepäckwagen angelangt. ({19}) Die Arbeitslosigkeit ist viel, viel höher als im europäischen Durchschnitt und darin sind schon die Länder im Süden des Kontinents mit traditionell hoher Arbeitslosigkeit eingerechnet. Deutschland sitzt im Gepäckwagen, ist Schlusslicht. Nach drei Jahren können Sie nicht mehr mit dem Schuldenberg, mit der Wiedervereinigung und diesen Dingen kommen. ({20}) Dies ist Ergebnis einer total verfehlten Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. ({21}) Die Menschen draußen erkennen das immer mehr, meine Damen und Herren. Dann sagt Frau Scheel und sagen andere: Die Weltwirtschaft ist daran schuld. Frau Scheel, Sie sind doch meilenweit weg von Ihrer Partei. Sie wissen es eigentlich besser, aber was tragen Sie hier vor? Wenn die Weltwirtschaft, vielleicht nur die europäische Wirtschaft, daran Schuld hätte, dann müssten kleine Länder wie Belgien, die Niederlande oder Dänemark, die prozentual sehr viel stärker in die Weltwirtschaft integriert sind, erheblich mehr in den konjunkturellen Rückgang involviert sein. Sie sind es aber nicht. Ihnen geht es besser. Deutschland ist Schlusslicht in der konjunkturellen Entwicklung und das kann nur Ergebnis einer verfehlten hausgemachten Politik sein. ({22}) Wenn Sie das Vertrauen des Mittelstandes, das Vertrauen der Bürger - in diesem Fall ohne Not - mit einer Erhöhung der Steuern enttäuschen, wenn Sie die Menschen davon abhalten, Vertrauen in die künftige Entwicklung zu haben und wie geplant zu disponieren - durch die Anschaffung langlebiger Konsumgüter mit Auswirkungen auf den Einzelhandel - dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, dass wir in dieser Position sind. Die Erhöhung der Tabak- und der Versicherungsteuer ist ein schwerer wirtschafts- und finanzpolitischer Fehler. Das ist Ausdruck der Fantasielosigkeit des Finanzministers, ({23}) aber auch ein Stück Ausdruck von Arroganz und Selbstherrlichkeit der Bundesregierung, ({24}) wenn sie die „Gunst der Stunde“ nutzt, um den Steuerzahler zur falschen Zeit an der falschen Stelle zur Kasse zu bitten. Herzlichen Dank. ({25})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Christa Luft von der PDS-Fraktion das Wort.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der PDS-Bundestagsfraktion unstrittig, dass zur wirksamen Bekämpfung des internationalen Terrorismus und zur Erhöhung der öffentlichen Sicherheit notwendige Mittel aufgebracht werden müssen. ({0}) Das Sicherheitsbedürfnis in der Bevölkerung darf man weder ignorieren noch bagatellisieren; man muss es ernst nehmen. Das steht für uns fest. Dabei werden wir uns sicherlich noch darüber zu streiten haben, was auf diesem Gebiet notwendig sein wird. Eine Erhöhung der Neuverschuldung für diesen Zweck lehnen wir allerdings ab. ({1}) Es war schon erstaunlich, aus Unionskreisen vor Tagen zu hören, dass man sich dort die Finanzierung der Terrorismusbekämpfung durch Aufnahme neuer Schulden durchaus vorstellen konnte. Jedenfalls habe ich in der „Welt“ Ausführungen des Kollegen Merz so gelesen. Vom Kollegen Austermann war Entsprechendes zu lesen und auch der hessische Ministerpräsident Koch hat sich in dieser Weise geäußert. ({2}) Eine höhere Neuverschuldung war für Unionspolitikerinnen und -politiker in den vergangenen drei Jahren stets ein Sündenfall. Man sehe, wie schnell auch in der CDU in dieser Frage jähe Wendungen möglich sind! Ich will noch einmal sagen: Wir als PDS haben die Neuverschuldung nie zu einem Tabu erklärt, wenngleich wir uns Schuldensenkung auch sehr wünschen. Aber wenn über Neuverschuldung geredet wird, dann wollen wir, dass daraus wachstumsfördernde, Beschäftigung schaffende und wieder Steuereinnahmen generierende Maßnahmen finanziert werden. Für das, worüber wir jetzt reden, brauchen wir andere Quellen. ({3}) Ausdrücklich lehnen wir auch das Ansinnen von Union und FDP, eben nochmals von der Kollegin Hasselfeldt und vom Kollegen Rexrodt vorgetragen, ab, die Mittel für ein Sicherheitspaket durch Umschichtungen im Haushalt aufzubringen, jedenfalls wenn damit ein Aderlass für Arbeit und Soziales gemeint ist - und das ist ja wohl gemeint, wie man den entsprechenden Äußerungen entnehmen kann. Ich sage Ihnen: Wer arbeitslos oder in einem prekären Beschäftigungsverhältnis ist, der lebt alltäglich sozial unsicher. Ihn darf man durch öffentliches Spekulieren über weitere Reduzierungen der Mittel für Arbeitsförderung und soziale Leistungen nicht noch mehr verunsichern. ({4}) Diese Bürgerinnen und Bürger, Herr Kollege Rexrodt, die sich in einer solchen Situation befinden, kaufen ohnehin keine Autos und keine teuren Schrankwände. Wenn das verwirklicht wird, was Sie vorhaben, müssen diese Menschen fürchten, für den täglichen Bedarf immer weniger Geld zu haben. Hinzu kommen noch die Preiserhöhungen, die sich durch die Euroumstellung schon jetzt in jedem Laden täglich erleben lassen. Die Bundesregierung hat für meine Begriffe zunächst wie eine Art Hausnummer die Zahl von 3 Milliarden DM genannt, die für ein Sicherheitspaket notwendig seien. Bislang kennen wir die Struktur, wie also das Geld ausgegeben werden soll, noch nicht im Einzelnen. Insofern muss man diesen 3 Milliarden DM nicht unbedingt euphorisch zustimmen. Die Bundesregierung hat willkürlich zwei Steuerarten herangezogen, die sie für diesen Zweck erhöhen will, nämlich die Tabaksteuer und die Versicherungsteuer. Wir haben gegen dieses Vorhaben prinzipielle Einwände. Sicherheit brauchen alle, aber nicht alle rauchen. Wir wollen überhaupt keinen Schutzzaun um Raucherinnen und Raucher ziehen, aber man darf doch wohl daran erinnern, dass die Tabaksteuer schon heute fast so viel aufbringt wie die veranlagte Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer zusammengenommen. Das lässt aufhorchen. Wenn man diese Steuer weiter erhöhen will, würden wir dazu nur dann Ja sagen, wenn die zusätzlichen Einnahmen für die Gesundheitsvorsorge aufgewendet würden, aber nicht für den Zweck, der jetzt in Rede steht. ({5}) Bei der Versicherungsteuer ist schon heute auf dem Gebiet der Sachversicherungen die Lage in den Haushalten und in den Unternehmen außerordentlich differenziert. Es gibt viele Fälle von Unterversicherung. Ich sage Ihnen: Die Zahl dieser Fälle wird angesichts der Verteuerung der Versicherungen weiter zunehmen. Dabei müsste eigentlich die Möglichkeit, sich sachgerecht zu versichern, gerade in unsicheren weltpolitischen Zeiten durch die Bundesregierung gestärkt statt geschwächt werden. Diese Gefahr der Unterversicherung wird für das Gemeinwesen teuer werden, wenn für diese Fälle der Ausgleich ansteht. Da sich die vorgesehenen Steuererhöhungen, wie wir aus dem vorgelegten Tableau ersehen, ab 2003 auf eine Summe belaufen werden, die das anvisierte Ziel von 3 Milliarden DM weit überschreiten wird, fragt man sich, ob dann vorgesehen ist, das Sicherheitspaket aufzustocken oder wofür sonst die überschüssigen Einnahmen verwendet werden sollen. Der Finanzminister schweigt dazu. Offensichtlich will er die zusätzlichen Milliarden als Manövriermasse in seinem Haushalt zur freien Verfügung haben. Hier beginnt die ganze Angelegenheit noch anrüchiger zu werden. Angesichts der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit - wir nähern uns leider fast wöchentlich der Zahl von vier Millionen Arbeitslosen - wächst die Belastung des Haushalts. Um eine höhere Neuverschuldung zu vermeiden, werden unter der Hand Steuererhöhungen durchgeführt. Dadurch wird die missliche finanzielle Lage der Regierung kaschiert. ({6}) Das eherne Versprechen von Rot-Grün, nach der Ökosteueranhebung keine weiteren Steuererhöhungen vorzunehmen, ist gebrochen worden; das muss deutlich ausgesprochen werden. ({7}) Wir wollen zur Terrorismusbekämpfung nicht neuen Steuererhöhungen das Wort reden. Aber wir halten es in Anbetracht der neuen Herausforderungen für dringend geboten, auf bereits beschlossene, jedoch noch nicht in Kraft getretene Steuererleichterungen zu verzichten. Das betrifft konkret die Steuerfreistellung für Veräußerungsgewinne von Kapitalgesellschaften, die ab Januar 2002 gelten soll. Sie wissen, dass es dagegen von Anfang an große Einwände gab. Im Bundesrat wird bis zur Stunde dagegen Widerstand geleistet. Ich habe sehr große Sympathie für einen Satz, den der Außenminister in der gestrigen Debatte gesagt hat: Wir müssen angesichts der neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen über bisherige Vorstellungen vom Niedrigsteuerstaat neu diskutieren. Das ist für meine Begriffe nicht nur ein Appell an Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern auch an Unternehmerinnen und Unternehmer, über diesen Satz nachzudenken. ({8}) Angebracht wäre in diesem Zusammenhang auch der Verzicht auf die geplante weitere Senkung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer ab dem Jahre 2003. Wenn diese Senkung des Spitzensteuersatzes vollzogen wird, wird es immer unverständlicher, wie Sie von RotGrün erklären wollen, dass Sie sich nicht mit den Bundesländern über die Wiedererhebung der Vermögensteuer verständigen können. Auch die Bundesländer brauchen mehr Geld für die Verbesserung der Sicherheit. Wir glauben, dieses Thema gehört endlich wieder auf die Tagesordnung. Danke. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Detlev von Larcher von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Detlev Larcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001290, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hoffentlich schmeckt Ihnen der Kaffee. Ich wünsche Ihnen das jedenfalls. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hauser hat in seiner Rede in der Bundestagsdebatte zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz am 25. September dieses Jahres gesagt: „Wir unterstützen sinnvolle Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerverkürzungen.“ Dann kam lange nichts außer Kritik an unserem Gesetzentwurf. Und dann habe ich gefragt, was er an Positivem unterstützen wolle. Auch da kam nichts. Heute geht das wieder so. CDU/CSU und FDP beschwören die Einigkeit bei der Bekämpfung des Terrorismus mit großen Worten. Gestern haben Sie unserem Innenminister Otto Schily bestätigt, seine Vorschläge seien gut. Nur, mit der Finanzierung der Kosten dieses wahrscheinlich jahrelangen Kampfes gegen den Terrorismus - für die Maßnahmen zur Verbesserung der äußeren und inneren Sicherheit, für die weltweiten Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut, Hunger, Elend und Ungerechtigkeit - wollen Sie nichts zu tun haben. Das ist wirklich scheinheilig. Sie sagen, die Mehrkosten seien aus dem laufenden Haushalt zu finanzieren. Gleichzeitig verlangen Sie ein Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform, eine Steigerung der investiven Ausgaben des Bundes und viele andere Dinge, die heute schon genannt worden sind. Ihre zusätzlichen Forderungen zum Haushalt 2002 - völlig ohne Finanzierungsvorschläge - betragen 36,5 Milliarden DM. Darin sind Ihre Forderungen zur Familienförderung noch gar nicht enthalten. ({0}) Das ist ein derart deutliches parteitaktisches Verhalten, dass Sie damit niemanden, weder im Parlament noch bei den Bürgerinnen und Bürgern, überzeugen können. ({1}) Sie machen Sprüche, aber es steht nichts dahinter. Das ist ein konzeptionsloses Neinsagen. Die Maßnahmen, die jetzt erforderlich sind, kosten Geld, und zwar viel Geld. Für uns sind 1 Milliarde DM keine Peanuts wie anscheinend für Herrn Rexrodt. Wenn wir das Konzept so breit anlegen, wie es notwendig ist, wenn wir unsere Anstrengungen zur Armutsbekämpfung und zur Beseitigung von Ungerechtigkeit und Benachteiligungen auf der Welt - mit den wohlhabenden Staaten zusammen - wirksam und effektiv verstärken müssen und wollen, dann kostet das wahrscheinlich noch mehr Geld als die Summe, über die wir heute sprechen. Gerade dieser rot-grünen Steuersenkungskoalition fällt es besonders schwer, in einem kleinen Bereich, nämlich bei Tabak und den Sachversicherungen, Verbrauchsteuern - ich sage: leicht - zu erhöhen. Wir müssen der Bevölkerung aber klar sagen: Angesichts der seit dem 11. September neuen ungeahnten Bedrohungen ist Sicherheit nicht kostenlos zu haben. Deswegen müssen wir diese Operation machen. Wir wollen die Steuern auf Zigaretten um 2 Cent und auf den Feinschnitt um den gleichen prozentualen Anteil erhöhen. Außerdem wollen wir die Versicherungsteuer für Sachversicherungen - also nicht für Lebensversicherungen - um einen Prozentpunkt von 15 Prozent auf 16 Prozent erhöhen. Dies ist notwendig, weil die Maßnahmen zur Verbesserung der inneren und äußeren Sicherheit, die wir jetzt ergreifen müssen, anders nicht zu finanzieren sind. Dies muss allen verständigen Menschen angesichts der Haushaltslagen von Bund, Ländern und Gemeinden deutlich sein. Wer sagt, es ginge anders, versucht, den Menschen etwas vorzumachen. Gleichzeitig muss gesagt werden, dass die geplanten Erhöhungen maßvoll und für die Menschen zumutbar sind, nachdem sich ihr Nettoeinkommen durch unsere Steuerreform und unsere Familienförderung so deutlich verbessert hat und bis zum Jahre 2005 noch weiter verbessern wird. Ich rufe in Erinnerung: Am Ende der Regierungszeit Kohl lag der Grundfreibetrag bei 12 365 DM. 2005 wird er 14 989 DM betragen. Der Eingangssteuersatz lag am Ende Ihrer Regierungszeit bei 25,9 Prozent. 2005 wird er 15 Prozent betragen. Der Spitzensteuersatz betrug bei Ihnen zuletzt 53 Prozent. 2005 wird er 42 Prozent betragen. Das Kindergeld lag bei Ihnen zuletzt bei 220 DM; bei uns wird es auf 300 DM erhöht. Das alles ist schon Gesetz. Eine vierköpfige Familie zahlt im Jahr 2005 gut 4 000 DM weniger an Steuern als 1998. ({2}) Herr Rexrodt, ein verheirateter mittelständischer Unternehmer mit einem Jahresgewinn von 150 000 DM zahlt im Jahr 2005 gut 10 000 DM weniger an Steuern als 1998. Bürger und Unternehmen werden um insgesamt mehr als 100 Milliarden DM entlastet. Dabei profitieren private Haushalte, Familien und mittelständische Unternehmen am meisten von dieser Steuerentlastung. Dazu kommt die kräftige Erhöhung des BAföG und die Anhebung der Einkommensgrenzen dafür. Das ist die bisherige Bilanz rot-grüner Steuer- und Familienpolitik. Die kann sich wahrhaftig sehen lassen. ({3}) Die Erhöhung der Tabak- und Versicherungsteuer, wie wir sie vorhaben, ist im Übrigen so konzipiert, dass es keine schädlichen Auswirkungen auf die Konjunktur gibt, Herr Rexrodt. Das wäre bei einer Erhöhung anderer Verbrauchsteuern, beispielsweise bei der Mehrwertsteuer, die Sie erhöht haben, oder gar bei der Einkommensteuer, ganz anders. Was die Tabaksteuer anbelangt, liegen wir im unteren Bereich der inzwischen in Kraft getretenen EURichtlinie. Es gibt Länder, in denen Zigaretten sehr viel teurer sind; denken Sie zum Beispiel an Großbritannien. ({4}) Im Übrigen möchte ich Sie von der 1998 abgewählten Regierungskoalition daran erinnern, dass Sie die Versicherungsteuer in Ihrer Regierungszeit viermal erhöht haben: von 5 Prozent auf 15 Prozent. Die Erhöhung der Tabaksteuer, die Sie vorgenommen haben, betrug 0,8 Pfennig pro Zigarette. Was sollen also die heutigen Krokodilstränen? Ihre Kritik nimmt Ihnen niemand ab. ({5}) Selbstverständlich haben wir mit der Tabak- und Zigarettenindustrie, mit der Versicherungswirtschaft und den zuständigen Gewerkschaften gesprochen, bevor wir unseren Gesetzentwurf heute eingebracht haben. ({6}) Natürlich sind diese Gesprächspartner von unserem Vorhaben nicht begeistert. Uns begeistert die Notwendigkeit dieses Vorhabens ja selbst nicht. Aber unsere Gesprächspartner haben uns gesagt, dass sie das Vorhaben angesichts der heutigen Situation tolerieren können. Sie haben uns ihrerseits Vorschläge für die Ausgestaltung des Gesetzentwurfs gemacht. ({7}) Sie haben uns beispielsweise gebeten, Zigarren von der Steuererhöhung auszunehmen, weil die einheimischen Zigarren- und Zigarillohersteller sonst vor die Existenzfrage gestellt würden. ({8}) - Darauf habe ich gewartet. Genau diese Bemerkung, die aus den Reihen der CSU kam und die sich jetzt die FDP zu Eigen macht, ist unsinnig und geht an der Sache völlig vorbei. Außerdem ist diese Bemerkung lächerlich. ({9}) - Hören Sie zu! Sie haben offenbar keine Ahnung. Unsere einheimischen Zigarrenhersteller verlangen in ihrem Marktsegment einen Preis von 30 Pfennig bis 1,10 DM. Um die geht es. ({10}) - Nur kein Neid, Herr Rexrodt. - Wir denken nun darüber nach, ob wir einen Weg finden, die Besteuerung der Zigarren so zu gestalten, dass sie unseren Zigarrenherstellern nicht schadet. Das gilt auch für Pfeifentabak. Wir denken auch darüber nach, ob wir die Erhöhung der Tabaksteuer möglicherweise in zwei Stufen vornehmen, um so die technischen Probleme bei der Umstellung der Zigaretten- und Automatenindustrie zu erleichtern. Wir wollen über diese Probleme in der Sitzung des Finanzausschusses in der kommenden Woche in einem kleinen Expertengespräch noch einmal diskutieren und uns dann entscheiden, und zwar schnell, weil Eile geboten ist. Denn die Betroffenen haben ein Anrecht darauf, schnell zu erfahren, was ganz konkret auf sie zukommt, damit sie die notwendigen Umstellungen zum 1. Januar 2002 noch einigermaßen rechtzeitig vornehmen können. Ich sage es noch einmal: Wir erhöhen die Steuern auf Tabak und Versicherungen nicht gerne. Aber wir müssen uns der Notwendigkeit beugen, die Maßnahmen zu finanzieren, die jetzt unerwartet auf uns zugekommen sind, die aber unabdingbar für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger und für den erfolgreichen Kampf gegen den Terrorismus geworden sind. ({11}) - Ich bin ja auch nicht im Wahlkampf wie Sie, Herr Rexrodt. ({12})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Barthle von der CDU/CSUFraktion.

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zuerst eine Vorbemerkung machen. Mir ist aufgefallen, dass heute, wo wir über Steuererhöhungen reden, auf der Regierungsbank und in den Reihen der Koalition große Lücken klaffen. Offensichtlich will sich mit diesem Thema niemand identifizieren. Offensichtlich mag der Herr Bundeskanzler keine Fernsehbilder von Sitzungen sehen, in denen es um Steuererhöhungen geht. Das gibt mir schon zu denken. ({0}) Herr Kollege Poß ist heute Morgen als Speerspitze vorgeschickt worden, um die jetzt anstehenden Steuererhöhungen zu begründen. Dazu kann ich nur sagen - das kann ich Ihnen nicht ersparen, Herr Kollege -: Nach Ihrer Rede weiß ich, warum Sie in Ihrem eigenen SPD-Landesverband als Bezirksvorsitzender abgemeiert wurden und auch auf der Regierungsbank keinen Platz gefunden haben. Mir wird jetzt einiges klar. ({1}) Sie haben nur in einem Punkt Recht behalten, als Sie gesagt haben: Wir halten Kurs. In der Tat treffen wir in der heutigen Diskussion auf ein durchgängiges Gestaltungsmerkmal rot-grüner Regierungspolitik, das sich mit Aktionismus und Arroganz beschreiben lässt. ({2}) Denn in Ihrem Gesetzentwurf heißt es unter Punkt B - Lösung - ganz lapidar: Durch die Erhöhung der Tabaksteuer und der Versicherungsteuer werden die notwendigen Einnahmen zur Erhöhung der inneren und äußeren Sicherheit zur Verfügung gestellt. Welche Auswirkungen dies auf die Konjunktur in Deutschland haben wird, welche psychologischen Folgen dies für die Wirtschaft und die Verbraucher haben wird und wie die betroffenen Branchen mit den Steuererhöhungen umzugehen haben werden, hat Sie nicht interessiert. Das nenne ich arrogant. ({3}) - Wir haben mit den Vertretern der von den Steuererhöhungen betroffenen Branchen gesprochen. Während wir alle die besonnenen Reaktionen der Amerikaner auf den 11. September loben und insbesondere aus den Reihen der Grünen und der SPD-Linken die Befürchtung zu hören war, Präsident Bush könnte „aus der Hüfte schießen“, handelt Rot-Grün genauso. Sie schießen finanzpolitisch aus der Hüfte. ({4}) Der Finanzminister glaubt, mit diesem finanzpolitischen Schnellschuss Haushaltslöcher stopfen zu können, ohne dass die Menschen draußen im Land das in diesen aufgeregten Tagen merken. Das nenne ich schäbig. ({5}) Meine Kollegin Gerda Hasselfeldt hat schon dargestellt, wie unfair und unseriös der Herr Bundesfinanzminister mit dem Thema Steuererhöhung umgegangen ist. Innerhalb von 24 Stunden hat er sich fundamental widersprochen. Auch der Herr Bundeskanzler meinte, dieses Thema in seiner gestrigen Rede ausklammern zu können. Auch dieses Vorgehen hat wenig Stil. Das muss man deutlich zur Sprache bringen. ({6}) - Ich denke schon. ({7}) - Wie nennen Sie denn ein solches Vorgehen, wenn man sich während der Beratungen über die Steuern zuerst für die eigentlich richtige Aussage, man müsse Umschichtungen vornehmen, feiern und sich dann 24 Stunden später im Kabinett Steuererhöhungen absegnen lässt? Nennen Sie das tricksen, die Unwahrheit sagen oder lügen? Ich nenne das schäbig. ({8}) Man sollte an dieser Stelle darüber nachdenken, was es eigentlich ist, das unseren Bundesfinanzminister dazu treibt, sich so zu verhalten. Wie groß sind eigentlich die Brocken, die er stemmen muss? Sie lassen sich gerade einmal auf 3 Milliarden DM beziffern. Das sind 0,618 Prozent des Bundeshaushalts, der ein Volumen von rund 485 Milliarden DM hat. Ein ehemaliger Banker der Deutschen Bank würde Peanuts dazu sagen. Das möchte ich nicht tun. Wer aber angesichts dieser Tatsachen glaubt, trotz interner Umschichtungen könnten die geplanten Maßnahmen nicht mit Haushaltsmitteln finanziert werden und müssten Steuern erhöht werden, der hat jeden politischen Gestaltungsanspruch aufgegeben. ({9}) Im Grunde genommen ist der vorliegende Gesetzentwurf eine Bankrotterklärung der Finanzpolitik dieser Bundesregierung. ({10}) - Herr Larcher, eines muss ich Ihnen noch sagen: Wir wissen aufgrund der in den letzten Tagen veröffentlichten Arbeitsmarktdaten - selbst Herr Riester gibt es zu -, dass die Zahl der Arbeitslosen auf über 4 Millionen ansteigen wird. Sie wissen genau, dass Sie die Bundeszuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit um fast 3 Milliarden DM erhöhen müssen. Wäre Ihre Argumentation logisch und stringent, müssten Sie auch dafür Steuern erhöhen. Aber das kann man offensichtlich durch Umschichtungen finanzieren. Also, seien Sie einmal ehrlich und sagen Sie den Leuten, um was es geht! ({11}) Im Grunde genommen ist es auch falsch, diese Steuererhöhungen isoliert zu betrachten. Isoliert betrachtet sind es nur 1 Prozentpunkt mehr Versicherungsteuer und 4 Pfennige mehr pro Zigarette, aber die eigentliche Botschaft, die damit einhergeht, lautet ganz anders: Unser Sparhansel Eichel ist nicht länger der Sparminister, der er ohnehin nie war; er ist jetzt Steuererhöhungsminister. ({12}) Darin wird er sogar noch von Außenminister Fischer unterstützt. ({13}) Wir haben gestern seine Rede hier gehört. Darin stellte Herr Fischer die Frage, ob wir es uns denn angesichts der anstehenden Herausforderungen leisten können, weiterhin ein Niedrigsteuerland zu sein. Herr Fischer, erstens sind wir kein Niedrigsteuerland und zweitens lässt diese Aussage ahnen, wohin die Reise gehen soll. ({14}) Wenn diesem Finanzminister schon bei 3 Milliarden DM nichts anderes einfällt, als die Steuern zu erhöhen, ist die Frage: Wie wird das erst sein, wenn die Herausforderungen größer werden? ({15}) Der Golfkrieg hat unter dem Strich 17 Milliarden DM gekostet. ({16}) Die aktuelle Krise ist, meine ich, wesentlich gravierender. Nebenbei bemerkt: Im kommenden Jahr steht Ihnen ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Rentenbesteuerung ins Haus - mit einem geschätzten Steuerausfall von roundabout 50 Milliarden DM. Ich bin gespannt, was Ihnen dann einfällt. Sie haben es mit Umschichtungen, mit Sparen noch nicht einmal versucht. Wie aus dem Finanzministerium zu hören ist, lagen die Pläne schon seit Monaten in den Schubladen. Sie haben sich bewusst eine Steuer ausgesucht, zu deren Erhöhung Sie keine Zustimmung des Bundesrats brauchen. ({17}) Es ist zynisch, meine ich, in dieser Situation diese Pläne aus der Schublade zu ziehen und der staunenden Öffentlichkeit zu präsentieren. Dass Sie die Steuermehreinnahmen nur zur Terrorbekämpfung verwenden wollen, glaubt Ihnen ohnehin niemand mehr; da können Sie tricksen und schönrechnen, wie Sie wollen. Selbst wenn der Zigarettenkonsum von derzeit 140 Milliarden Stück auf 120 Milliarden Stück zurückgehen sollte, fließen zusammen mit der zusätzlichen Mehrwertsteuer und der erhöhten Versicherungsteuer deutlich mehr als 6 Milliarden DM in die Kassen des Bundes. ({18}) Die überschüssigen Milliarden werden Sie verwenden, um Ihre Haushaltslöcher zu stopfen, die sich aus der lahmenden Konjunktur, aus der wieder steigenden Arbeitslosigkeit und aus Ihrer unseriösen Wirtschafts- und Finanzpolitik ergeben. ({19}) - Von wegen! ({20}) Die Botschaft, die Herr Eichel aussendet, lautet klipp und klar: Weitere Steuererhöhungen drohen. Was sagen die Experten aus der Regierungskoalition dazu? Herr Metzger meinte, wir müssten wieder Wachstumsmotor in Europa werden, aber nicht mit Steuererhöhungen. Da hat er Recht. Aber dann knickt er in typischer Manier wieder ein und bezeichnet das als lässliche Sünde, als Ausnahme. Frau Scheel, können Sie uns garantieren, dass das eine Ausnahme bleibt? Sind die Grünen so stark? Wir alle wissen es: Sie sind es nicht. Der Kollege Poß von der SPD ist da schon etwas ehrlicher. In einem Schreiben an seine Fraktion behauptet er, dass die negativen konjunkturellen Effekte begrenzt und die Auswirkungen auf das Preisniveau überschaubar sind. Darin hat er Recht. Diese Steuererhöhungen haben negative konjunkturelle Effekte. Sie sind in der derzeitigen Situation grundfalsch und werden die Krise verstärken. ({21}) Das Statistische Bundesamt geht von einer um fast 0,5 Prozentpunkte höheren Inflationsrate aus. Das hängt auch mit der Ökosteuererhöhung zusammen, die zum 1. Januar kommt. Sie entziehen den Bürgern 10 Milliarden DM Kaufkraft. Das wird sich auswirken. ({22}) Betroffen sind nicht nur die Raucher, die unter Ihrer Steuererhöhung leiden; betroffen ist auch die Branche der Versicherungswirtschaft, ist die Tabakindustrie, ist der Einzelhandel. Diese werden durch Ihren Schnellschuss vor große Probleme gestellt. Mit der Erhöhung der Versicherungsteuer bestrafen Sie genau die Menschen, die verantwortungsvoll handeln, die, indem sie Versicherungen abschließen, vorsorgen anstatt zu konsumieren. Dabei haben wieder einmal die Autofahrer über die Kfz-Steuer die Hauptlast zu tragen. Auch die deutsche Wirtschaft wird erneut belastet. Die Versicherungsteuer ist anders als zum Beispiel die Mehrwertsteuer nicht vorsteuerabzugsfähig. Damit werden die Produkte unmittelbar verteuert, die Mehrkosten unmittelbar an die Kunden weitergegeben. ({23}) Das schadet nicht nur den Unternehmen in Deutschland, sondern das vergrößert auch die schon bestehenden Standortnachteile weiter. Die Steuer ist in kaum einem anderen Land so hoch wie in Deutschland. In der EU sind wir, was die Höhe der Versicherungsteuer angeht, einsame Spitze. ({24}) Mein Kollege Peter Rauen hat, Herr von Larcher, allein für seinen Betrieb in der Baubranche Mehrkosten von über 2 200 DM errechnet. ({25}) Jede weitere Steigerung würde die schon bestehende Gefahr erhöhen. Es wird Ausweichstrategien geben und es wird sicherlich zu einer Neubewertung der Risiken kommen. Das kann doch nicht Ihr Ziel sein, meine Damen und Herren von der Koalition. Überlegen Sie also in Ruhe und stoppen Sie diesen unproduktiven, schädlichen Schnellschuss! ({26}) Für die Tabakindustrie und für den Einzelhandel gilt Gleiches. Auch dort haben Sie nicht an die Folgen gedacht. Für Sie ist es eine Kleinigkeit, die Tabaksteuer um 30 Prozent zu erhöhen. Nach Aussage eines Betroffenen ist das die höchste Steuererhöhung, seit Christoph Kolumbus dieses Kraut nach Europa gebracht hat. ({27}) An dem Ganzen hängt ein Rattenschwanz von Problemen. Eines der Hauptprobleme besteht für die Tabakwarengroßhändler und für die Automatenaufsteller. Seit diesem Frühjahr werden 830 000 Automaten in Deutschland auf die Annahme von Euromünzen umgerüstet. ({28}) - Eben. - Schon diese Umstellung war eine enorme logistische Leistung. Die jetzige Erhöhung auf 3,50 Euro verteuert nicht nur die Schachtel Zigaretten um knapp 1 DM, sondern sie stellt auch die Automatenhersteller vor unlösbare Probleme. Ein Großteil der Automaten wird von kleinen und mittleren Familienunternehmen betrieben. Ein Tabakwarenhändler aus meinem Wahlkreis hat mir gesagt, dass er 90 Prozent seines Gewinns darüber erwirtschaftet. Er sieht sich vor existenzielle Probleme gestellt. ({29}) Mit dieser Verteuerung treffen Sie auch die Tabakwirtschaft. Die von Herrn Eichel eingerechnete Reduzierung von 20 Milliarden Zigaretten pro Jahr entspricht in etwa der Dimension der Jahresproduktion eines Werkes. Eines wird geschlossen werden, vielleicht in Berlin, vielleicht in Brandenburg oder vielleicht in Baden-Württemberg. Daran hängen Arbeitsplätze. Sie haben offensichtlich auch vergessen, dass es in Baden-Württemberg und in anderen Bundesländern Tabakbauern gibt. Allein in meiner Heimat sind 1 900 Arbeitsplätze gefährdet. ({30}) Lassen Sie mich zum Abschluss anmerken: Wenn Sie schon meinen, die Mehrkosten durch Steuererhöhungen erwirtschaften zu müssen, dann frage ich Sie, weshalb Sie die Lasten nur von einer Gruppierung tragen lassen. ({31}) Wenn es um die Stärkung der inneren Sicherheit geht, dann ist das doch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es wäre doch fairer, ehrlicher und gerechter, wenn zu dieser Finanzierung die gesamte Bevölkerung und nicht nur eine einzige Gruppe herangezogen würde. Das ist nicht korrekt. ({32})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Offensichtlich ist das Ihre Strategie. Vielleicht sollten Sie auf den Zigarettenschachteln künftig aufdrucken lassen: Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit, doch mit jeder Zigarette unterstützen Sie Ihre innere Sicherheit. - Das ist, wie Herr Westerwelle gesagt hat, gaga. Danke. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Bundesregierung spricht jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir waren uns in diesem Hause fraktionsübergreifend einig, dass wir national und international Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus ergreifen müssen. Offenbar hört eine Seite dieses Hauses auf, Verantwortung für dieses Land zu übernehmen, wenn es ein bisschen unangenehm wird. ({0}) Wir sind bereit, auch für die etwas unangenehmeren Seiten Verantwortung zu tragen. Das gehört dazu, weil wir an der Regierung sind. Sie von der rechten Seite dieses Hauses mögen aber bitte nicht behaupten, dass Sie in der Lage sind, regierungsfähig zu sein. Sie sind es nicht. ({1}) Zur Regierungsfähigkeit gehört die Übernahme der gesamten Verantwortung. Dazu gehört auch, den Bürgerinnen und Bürgern zu sagen, dass die Erhöhung der inneren und äußeren Sicherheit durch öffentliche Schutzmaßnahmen hergestellt werden muss. ({2}) Infolgedessen müssen öffentliche Gelder bereitgestellt werden. Öffentliche Gelder können - das ist schon der Definition nach so - keine privaten Gelder sein. Wir haben also logischerweise einen höheren Finanzbedarf. Wir bitten die Bürgerinnen und Bürger mit diesem Gesetzentwurf - wir haben ihn nicht heimlich oder versteckt auf den Weg gebracht, wie es uns gerade vorgeworfen worden ist - darum, einen Beitrag zur Erhöhung der inneren Sicherheit zu leisten, die ihnen notwendigerweise zugute kommt. Wir haben gar keine andere Wahl, als alle Maßnahmen zu ergreifen, die wir für notwendig erachten. Wir sind nicht sicher, ob sie ausreichend sind. Wir können die Bedrohungen, die vielleicht noch auf uns zukommen, nicht recht ermessen. Nach bestem Wissen und Gewissen tun wir jetzt alles, was wir tun können.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Hendricks, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Ja, bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Schauerte, bitte.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, unter diesen fürchterlichen Terroranschlägen haben die Amerikaner am heftigsten gelitten und noch zu leiden. Deutschland ist ungefähr in gleicher Weise betroffen wie die anderen europäischen Nationen auch. Die Belastung dürfte in etwa gleich sein. Können Sie mir erklären, warum Deutschland in dieser Situation weltweit das einzige und damit logischerweise auch das erste Land ist, welches, bevor irgendetwas anderes beschlossen worden ist, Steuererhöhungen festlegt?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Dies haben wir getan, weil wir auch im Interesse zukünftiger Generationen keine weitere Neuverschuldung zulassen wollten. ({0}) Wir halten das für nicht verantwortbar. In den acht Jahren der Clinton-Administration ist in den USA ein erheblicher Haushaltsüberschuss aufgebaut worden. Im Vergleich dazu ist festzustellen, dass der Bundeshaushalt einen Schuldenstand von 1,5 Billionen DM hat. Ich brauche nicht zu sagen, wo er herkommt. Wir wissen es alle. ({1}) Aus Ihrer Richtung wird natürlich immer wieder gesagt, wir sollten aufhören, darüber zu reden. Es ist Ihnen unangenehm. Der Schuldenstand von 1,5 Billionen DM bedeutet aber, dass wir 82 Milliarden DM Zinsen im Jahr zu zahlen haben. Hätten wir diese zur Verfügung, bräuchten wir auch keine Steuern zu erhöhen. ({2}) Diese 82 Milliarden DM Zinsen werden wir auch in Zukunft noch leisten müssen. ({3}) - Herr Dautzenberg, hören Sie doch auf! Natürlich wollten wir die deutsche Einheit. ({4}) Wir müssen diesen Zinsendienst leisten. Es lässt sich nun einmal nicht ändern. Deswegen werden Sie sich auch noch etwas länger, nämlich so lange, wie wir diesen Zinsendienst zu leisten haben, mit dieser unangenehmen Tatsache konfrontiert sehen müssen. Wir haben eben keinen Spielraum im Haushalt. Es tut mir Leid, dass ich Ihnen das noch einmal sagen muss. Ich will Sie ja gar nicht persönlich beleidigen, Sie dürfen es aber auch nicht vergessen. ({5}) Es wurde eben davon gesprochen, die Grünen hätten gesagt, es müsse alles abgebaut werden und es stehe in deren Wahlprogramm, die Ausgaben für die innere Sicherheit zu verringern und den ganzen Verfassungsschutz abzubauen. Dazu möchte ich feststellen: Mir liegt eine aktuelle Vorlage aus dem Haushaltsreferat des Bundesinnenministeriums vor. ({6}) Seit 1996 hat es ein Abbau- und Strukturprogramm beim Bundesamt für Verfassungsschutz gegeben. ({7}) Die Zielvorstellung lautete, 500 Stellen einzusparen, 20 Prozent des gesamten Stellenbedarfs. Dies lag - wenn ich das richtig im Kopf habe - in der Verantwortung unseres ehemaligen Kollegen Kanther. ({8}) - Ja, der Herr Kanther, genau. Es war vorgesehen, ab1993 beim Bundesgrenzschutz 760 Planstellen einzusparen. Auch dies lag in der Verantwortung von Kanther bzw. seines Vorgängers. Im Bundeskriminalamt sollten - auch seit 1993 - 252 Planstellen eingespart werden. Diese vorgesehenen Einsparungen sind noch nicht alle realisiert worden. Nach meinem Kenntnisstand hat der Bundesinnenminister angewiesen, den vorgesehenen Abbau, der während Ihrer Regierungsverantwortung eingeleitet worden ist, jetzt zunächst einmal zu stoppen. ({9}) Das ist also nicht dieser Bundesregierung anzulasten. Im Gegenteil: Wir stoppen den vorgesehenen Abbau. Das ist natürlich angesichts der jetzigen Sicherheitslage auch notwendig. ({10}) Herr Rexrodt hat eben mitgeteilt, dass er nicht mehr anwesend sein könne, weil er - er ist ja im Wahlkampf - zu einer Pressekonferenz müsse. Ich habe Verständnis dafür, dass er jetzt nicht mehr da ist. Ich hatte Gelegenheit, vor Beginn dieser Plenarsitzung gemeinsam mit Herrn Rexrodt eine Viertelstunde im Sender Phoenix zu diskutieren. Ich hatte gedacht, er sei, noch aufnahme- und lernfähig. ({11}) Er hat aber den gleichen Unsinn, den er im Sender Phoenix gesagt hat, hier wiederholt. ({12}) Wir haben Argumente ausgetauscht und ich dachte, es sei etwas hängen geblieben. Aber es nützt ja nichts. Dabei ist das nur eine Viertelstunde vorher gewesen. ({13}) Es ist wirklich problematisch: Auf der einen Seite bewegt sich diese Steuererhöhung nach Argumentation vonseiten der Union und der FDP in einer solchen Größenordnung, dass sie die ganze Konjunktur zerstört. Auf der anderen Seite handelt es sich um solch geringe Beträge, dass man sie leicht durch eine Umschichtung im Bundeshaushalt hätte aufbringen können. ({14}) Wenn man nur ein bisschen logisch damit umgeht, muss man doch sagen: ({15}) Einerseits stehen die 3 Milliarden DM im Verhältnis zum Bundeshaushalt in Höhe von 485 Milliarden DM. ({16}) Andererseits stehen die 3 Milliarden DM im Verhältnis zum gesamten Bruttoinlandsprodukt. Diese Relation ist sehr viel geringer als das Verhältnis zum Bundeshaushalt. Trotzdem soll eine Umschichtung im Bundeshaushalt ganz einfach sein, bezüglich des Bruttoinlandsprodukts aber soll die Steuererhöhung Verwüstungen anrichten. ({17}) Irgendwann müssen Sie sich einmal entscheiden, welche Argumentationslinie Sie aufrechterhalten wollen. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Dr. Hendricks, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bonitz?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Ja, bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Bonitz, bitte.

Sylvia Bonitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, die Steuermehreinnahmen in Höhe von 3 Milliarden DM sollen ja zur Finanzierung zusätzlicher Sicherungsmaßnahmen verwandt werden. Beabsichtigt denn die Bundesregierung, möglicherweise darüber hinausgehende Steuermehreinnahmen, die den Betrag von 3 Milliarden DM übersteigen, auch für zusätzliche Sicherungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen, oder würden diese in den allgemeinen Haushalt zur Schuldentilgung fließen?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Bonitz, für das Jahr 2002 erwarten wir tatsächlich Steuermehreinnahmen in der Größenordnung von 3 Milliarden DM. Natürlich gibt es da gewisse Schätzunsicherheiten. Es ist richtig, dass in den Folgejahren aufgrund sich wieder ändernden Verbraucherverhaltens beim Rauchen etwas mehr Steuern eingenommen werden könnten. ({0}) Aber das ist nicht sicher, weil man nie genau weiß, wie sich das Verbraucherverhalten entwickeln wird. In den Folgejahren wird der Haushaltsgesetzgeber, also die Mehrheit dieses Hauses - vielleicht auch das ganze Haus zusammen; das erwarte ich aber eher nicht -, zu entscheiden haben, wie mit den Finanzmitteln umzugehen ist. Alle Steuereinnahmen - alle, nicht nur diese fließen immer in den Einzelplan 60. Aus diesem werden sie zum Ausgeben in die verschiedenen Einzelpläne transponiert, die in der Verantwortung des Haushaltsgesetzgebers liegen. Wenn es dann notwendig sein sollte, noch weitere Maßnahmen zur Erhöhung der inneren und äußeren Sicherheit vorzunehmen, wird der Haushaltsgesetzgeber das tun. ({1}) Wenn dann andere Aufgabenbereiche vordringlicher zu sein scheinen, wird sich der Haushaltgesetzgeber diesen zuwenden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Hendricks, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Dr. Höll von der PDS-Fraktion? ({0})

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Ja, bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Staatssekretärin, es freut uns natürlich, dass Sie uns hier mit Ihrer Fachkompetenz die Meinung der Regierung kundtun. Trotz allem habe ich die Frage, wo die Ministerinnen und Minister der Regierung sind. Denn wir befinden uns in der Kerndebattenzeit und debattieren die doch sehr grundlegende Frage der Finanzierung des Antiterrorprogramms. Wir meinen, bei einem solch wichtigen politischen Thema in der Kerndebattenzeit wäre eine Präsenz von Ministerinnen und Ministern doch angebracht. Deshalb stelle ich Ihnen diese Frage. Dies hat nichts mit Ihrer Fachkompetenz und Ihrer Stellungnahme in dieser Debatte zu tun.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Höll, gerade weil ich Sie schätze, verwundert es mich, dass Sie diese Frage, die eben schon aus den Reihen der anderen Seite dieses Hauses gestellt wurde, noch einmal stellen. ({0}) Ich weiß, dass die Ministerinnen und Minister ihren Dienstgeschäften nachgehen. Ich weiß natürlich nicht - jedenfalls nicht von allen -, wo sie dies tun. Vom Bundesfinanzminister weiß ich, dass er sich zurzeit in Argentinien befindet, und zwar zu politischen Gesprächen mit dem dortigen Finanzminister, dem Staatspräsidenten, dem Notenbankpräsidenten und anderen. Die Bundesregierung ist vertreten durch den Parlamentarischen Staatssekretär beim Innenminister, der den Aspekt der inneren Sicherheit abdeckt, und durch die Parlamentarische Staatssekretärin beim Wirtschaftsminister, die die Frage möglicher konjunktureller Wirkungen abdeckt sowie durch die Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die die internationale Entwicklungszusammenarbeit abdeckt. Im Übrigen bitte ich Sie, sich weiterhin auf mich zu verlassen. ({1}) Wir haben also wirklich sehr überschaubare Steuererhöhungen vorgeschlagen. Folgendes möchte ich noch einmal sagen: Die Anhebung der Versicherungsteuer um einen Prozentpunkt bedeutet für eine normale Familie, dass sie im gesamten Jahr - ich wiederhole: pro Jahr etwa 15 DM mehr bezahlen muss. ({2}) Wenn Herr Rauen sagt, das werde ihn 2 200 DM kosten, dann müsste er - ich überschlage das einmal kurz im Kopf - in seinem mittelständischen Bauunternehmen Versicherungspolicen in einer Größenordnung von 500 000 DM haben. Das halte ich eher für unwahrscheinlich. Ich glaube vielmehr, dass Herr Rauen hier - wie schon des Öfteren - falsch gerechnet hat. ({3}) - Wenn sein Unternehmen ein so großes mittelständisches Unternehmen ist, dass es Versicherungen in einem so großen Umfange braucht, dann ist es auch im Hinblick auf die Belastungen nicht so problematisch. ({4}) Ich bitte einfach darum, zu versuchen -

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Entschuldigen Sie, Frau Kollegin Hendricks. - Herr Göhner, ich habe bereits viele Zwischenfragen zugelassen. Heute ist Freitag und die Debatten werden sich bis in den Nachmittag hineinziehen. Viele Kolleginnen und Kollegen wollen nach Hause. Daher bitte ich, auf Zwischenfragen zu verzichten. ({0})

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Präsident, ich fasse mich jetzt kurz und nehme die Zeit nicht mehr weiter in Anspruch. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, sich zu überlegen, ob die Verantwortung teilbar ist. Angesichts der Tatsache, dass man für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger mehr tun muss, als bisher notwendig zu sein schien, sollte eigentlich das ganze Haus in der Lage sein, auch den zweiten Teil der Verantwortung zu übernehmen. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Klaus-Peter Willsch von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Staatssekretärin, ich war schon einigermaßen überrascht, als ich am 19. September nach einer dreistündigen Debatte, in der wir einvernehmlich feststellten, dass wir der Bedrohung durch den Terrorismus gemeinsam widerstehen müssten, die geheimen Steuererhöhungspläne der Regierung auf dem Weg zum Flughafen im Radio hörte. Das war schon ein starkes Stück. Ich bin ja sehr dafür, dass man in militärischen Angelegenheiten nicht alles offen zu Markte trägt. Aber dass man Steuererhöhungen wie geheime Kommandosachen behandelt, halte ich für sehr ungewöhnlich. Damit kündigen Sie die Gemeinsamkeit auf, die wir an jenem Tag gemeinsam bekundeten. ({0}) Man hat einfach den Eindruck - das kann man angesichts der Wirtschaftsdaten, die Sie zu verantworten haben, durchaus verstehen -, dass Sie auf eine Gelegenheit gelauert haben, eine Steuer zu erhöhen, ({1}) und die Gelegenheit sofort ergriffen haben, weil Sie das Gefühl hatten, dass es mit dieser Begründung keinen großen Protest geben werde. ({2}) Sie wissen, dass Ihnen die Zahlen in diesem Jahr abschmieren. Bei der Arbeitslosigkeit werden Sie zum Jahresende bei 4 Millionen liegen, beim Wachstum werden Sie deutlich unter 1 Prozent liegen, bei der Preissteigerung werden Sie deutlich über 2 Prozent liegen, bei den Sozialversicherungsbeiträgen werden Sie deutlich über 40 Prozent liegen; die nächste Erhöhungsrunde ist durch die AOK in Bayern schon angekündigt worden. Das ist die miserable wirtschaftspolitische Bilanz, die Sie zu vertreten haben. Nun wollen Sie auch noch mittels eines Vorzieheffektes - das sage ich mit Blick auf die Erhöhung der Tabaksteuer, weil die Leute in diesem Jahr noch bunkern - versuchen, Ihre Bilanz zu schönen. Das ist nicht der richtige Weg. Wir halten es für psychologisch völlig abwegig, dass Sie angesichts einer Bedrohung, hinsichtlich derer andere sich Gedanken machen, wie sie Zeichen von Optimismus aussenden und der Bevölkerung deutlich machen können, dass es sich zwar um eine ernste Gefahr handele, die aber beherrscht werde, als Erstes daran denken, in kleinkrämerischer Manier Steuern zu erhöhen. Damit senden Sie ein völlig falsches wirtschaftspolitisches Signal aus, mit dem eine weitere Verunsicherung einhergeht. Im Übrigen führt dies zu einer Erhöhung der Staatsquote. ({3}) Das ist eine falsche Politik, die wir nicht mittragen werden. Das werden wir in den nächsten Wochen auch bei vielen Diskussionen in unserem Lande deutlich machen. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/7062 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist offenkundig nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungnungspunkt 17 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dagmar Wöhrl, Christian Schmidt ({1}), Wolfgang Börnsen ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Strukturpolitische Verantwortung für Bundeswehrstandorte übernehmen, die die Bundesregierung schließen oder verkleinern will - Drucksachen 14/5550, 14/6930 Berichterstattung: Abgeordneter Wolfgang Börnsen ({3}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Christian Müller von der SPD-Fraktion das Wort.

Christian Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dies ist wohl die vorerst letzte Debatte zu dem Thema, das wir hier bereits im März behandelt haben. Lassen Sie mich daher zuerst noch einmal unterstreichen: Es ist für keine Region leicht, mit den Folgen eines tief greifenden Strukturwandels, gleich welcher Art, fertig zu werden. Dazu liegen bekanntlich aus den letzten zehn Jahren, nicht zuletzt in den ostdeutschen Regionen, aber eben nicht nur dort, umfangreiche Erfahrungen vor. Das gilt natürlich auch für die Folgen einer Schließung von Bundeswehrstandorten. Die Berichte von BMWi und BMVg, die im Ausschuss vorgelegen haben, haben uns meiner Meinung nach gezeigt: Strukturpolitische Verantwortung hat bei dem jetzigen Standortkonzept eine wichtige Rolle gespielt. ({0}) Es gibt keinen Zweifel: Konversion führt in der Regel zu strukturpolitischen Herausforderungen. Insofern steht Konversion in einer Reihe mit den Folgen von Globalisierung an sich, dem überregionalen Wettbewerb der Standorte, der im Zuge der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion eine Beschleunigung erfahren hat, dem Strukturwandel im ländlichen Raum, der Umorientierung der Agrarpolitik und der noch nicht vollendeten Behebung der strukturellen und wirtschaftlichen Defizite in Ostdeutschland. Im Übrigen dürfen wir einen weiteren Schub des Strukturwandels in der Folge der Erweiterung der Europäischen Union erwarten. Keines dieser Probleme tritt für sich alleine auf. Folglich sind sie auch nicht durch die isolierte Auflage einzelner Sonderprogramme behebbar. Vielmehr haben wir die bewährten Instrumente zu nutzen und zu verstärken, über die wir verfügen können. Natürlich ist die Frage, ob gerade die schwächsten Regionen den Strukturwandel aus eigener Kraft zuwege bringen, sehr berechtigt. Deswegen halten wir es für sinnvoll, dass Bund und Länder eine verstärkte Verantwortung für Moderation, Koordinierung und Begleitung des Strukturwandels in den Regionen übernehmen. Derartige Ansätze haben wir bereits in der jüngsten Zeit in unseren diversen europapolitischen Anträgen zum Ausdruck gebracht. Wir verfügen über eine bewährtes strukturpolitisches Instrumentarium, das wir zur Anwendung bringen können. Ich erwähne in diesem Zusammenhang noch einmal ausdrücklich alle bekannten Gemeinschaftsaufgaben, natürlich an erster Stelle die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Es ist also nicht erforderlich, Neues zu erfinden. Wir sollten vielmehr darauf achten, dass uns bewährte, bundesweit gültige und regelgebundene Systeme wie eben insbesondere die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstrukturen“ nicht abhanden kommen. In diesem Zusammenhang darf erwähnt werden, dass die Ministerpräsidenten der Länder im Zuge der Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich ihren Willen zur Abschaffung der Gemeinschaftsaufgaben bekundet haben. Wir werden also in den nächsten Jahren erheblich darüber nachzudenken haben, wie dies mit den vorhandenen Erkenntnissen zusammenpasst, dass durch den sich beschleunigenden Impuls zum Strukturwandel der regionalpolitische Handlungsbedarf zunimmt, während Handlungsmöglichkeiten und Instrumente, natürlich auch in der Folge des Wirkens der Kommission in Brüssel, abnehmen bzw. zunehmend begrenzt sind. Darüber hinaus geht es nach wie vor darum, diese bewährten Förderinstrumente in Brüssel beihilferechtlich abzusichern. Wir unterstützen deshalb ausdrücklich alle Bemühungen der Bundesregierung, in einer vernünftigen Interpretation des Subsidiaritätsprinzips Spielräume für eigenes Handeln zu behalten bzw. wiederzugewinnen. ({1}) Erfolge bei der Regionalentwicklung - also auch in der Folge der Konversion - werden sich am ehesten durch eine vernünftige regionale Koordinierung auf Projektebene erreichen lassen. Dies dürfte der richtige Weg sein, um dem erkennbaren Mangel in der Zusammenführung der verschiedenen raumwirksamen Politiken des Bundes und der Länder zu begegnen. Natürlich müssen wir die wirksamen Instrumente auch finanziell leistungsfähig halten und Förderprogramme besser aufeinander abstimmen. Die Mittelausstattung wird allerdings dort an Grenzen stoßen, wo die Haushaltslage des Bundes und der Länder mehr Mittel nicht zulässt. Sinnvoll sind nach wie vor Umschichtungen von konsumtiven zu investiven Ausgaben und der Übergang von strukturkonservierenden zu strukturverbessernden Maßnahmen. Derartige Ansätze stehen selbst dann noch zur Verfügung, wenn wir Haushaltskonsolidierung als ein wesentliches Prinzip unserer Politik festschreiben müssen. ({2}) Mehr Klarheit in Förderprogrammen und die Beseitigung von Parallelförderungen und Überschneidungen können ebenfalls einen Beitrag dazu liefern. Es sollte doch wohl deutlich genug sein: Nicht neue Programme sind der notwendige Lösungsansatz zur Bewältigung des Strukturwandels, sondern die bessere Koordinierung unserer bewährten strukturpolitischen Instrumente. Deswegen kann der noch immer im Raum stehenden Forderung nach einem gesonderten Konversionsprogramm so nicht zugestimmt werden. ({3}) Erinnert werden soll außerdem noch einmal an die Erhöhung des Anteils der Länder am Mehrwertsteueraufkommen von 35 auf 37 Prozent, wobei 2 Prozent für Konversion verwendet werden können, und auch daran, dass die Länder die Möglichkeit erhielten, Mittel aus der Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes von 14 auf 15 Prozent zusätzlich für diese Zwecke einzusetzen. Ingesamt stehen noch immer, neben den Instrumenten der Gemeinschaftsaufgabe, 39 Milliarden DM für Konversion zur Verfügung. Diese Mittel sind nicht gestrichen worden. Hinsichtlich der hier zur Debatte stehenden wirtschaftlichen Folgen der Schließung von Bundeswehrstandorten werden wir uns - das ist im Wirtschaftsausschuss so vereinbart worden - zu Beginn des nächsten Jahres von der Bundesregierung einen aktuellen Bericht geben lassen und uns auf seiner Grundlage dann mit diesem sehr wichtigen Thema weiter auseinander setzen. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Wolfgang Börnsen von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und KolleChristian Müller ({0}) gen! Ich möchte es trotz der sachlichen Rede von Christian Müller noch einmal klarstellen: Es gibt keine Sondermittel für die Konversion. ({1}) Deshalb haben auch die SPD-Bundesländer ein eigenes Konversionsprogramm beantragt und sind von ihrer Forderung noch nicht zurückgetreten. Mit dem 11. September 2001 hat sich die Sicherheitslage weltweit, auch bei uns, radikal geändert. Die zusätzlichen Risiken machen vielen Menschen Angst und verantwortliche Politik hat darauf zu reagieren. Unser Land tut es - und das weitgehend übereinstimmend -; das festigt bei vielen Bürgern ihren Glauben an unsere Demokratie. Auf dem Prüfstand stehen bei uns seit dem Terroranschlag besonders die Konzeptionen für die äußere wie für die innere Sicherheit; hier ist in den vergangenen Jahren gesündigt worden. Deshalb muss wenigstens jetzt gehandelt werden. Das gilt für die Verstärkung der personellen Sicherheit, das gilt für die Sicherheitstechnik, das gilt für den Umfang der Finanzmittel für mehr Sicherheit, das gilt aber auch für das hier zur Diskussion stehende Ressortkonzept des Verteidigungsministers. ({2}) Die dramatischen und tragischen Bilder dieser Tage zwingen zu folgenden Fragen: Ist der Rückzug der Bundeswehr aus fast 100 Standorten wirklich verantwortbar? Ist die Aufgabe stragisch optimaler Standorte vertretbar? Gehört nicht auch dieser Teil der Bundeswehrreform wieder auf den Prüfstand? Ich meine: ja. 61 000 Dienstposten sollen in kürzester Zeit abgeschafft, 45 000 zivile Mitarbeiter weniger beschäftigt werden. Auf über 100 000 Sicherheitskräfte will die Bundesregierung trotz einer Weltlage verzichten, die durch einen unberechenbaren Terrorismus, durch Krieg und neue Gefahren für die gesamte Menschheit gekennzeichnet ist. Es darf deshalb keine Reform im Handstreich geben. ({3}) - Die Regierung ist abgetaucht. Schade, dass sie bei dieser Debatte so schwach vertreten ist. ({4}) Eine besonnene Aufbereitung des Ressortkonzeptes vor diesem Hintergrund ist ein Gebot verantwortlichen Handelns. Doch noch gibt es kein Signal für einen Stopp dieser vorhandenen Pläne und Programme; noch hält man fest an der Ausdünnung der Bundeswehr; noch hält man fest am Abbau von Sicherheit. Deshalb möchte ich mich neben den grundsätzlichen Bedenken auch mit den Schwachstellen des aktuellen Ressortkonzeptes auseinander setzen. Strukturschwache Regionen werden unverhältnismäßig hoch belastet. Bayern wird übermäßig ausgedünnt. ({5}) Gegenüber den neuen Ländern wird das Wort gebrochen. Auch hier schafft man jetzt soldatenfreie Zonen. 47 Prozent, also fast 50 Prozent, aller betroffenen Bundeswehrstandorte befinden sich in benachteiligten Regionen. Über 55 000 Dienstposten sollen hier nach dem Willen des Verteidigungsministers abgezogen werden - hier, wo die Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich hoch ist. Aber einen fairen Ausgleich für die neuen, unverschuldeten Verluste soll es nach Auffassung der Regierung nicht geben: weder für fehlende Kaufkraft noch für Defizite bei den Einrichtungen bei der Daseinsfürsorge von Schulen über Kindergärten bis hin zu Schwimmbädern. Auch staatliche Aufträge für die regionale Wirtschaft sollen nicht ersetzt werden. Es erfolgt ein Kahlschlag ohne neue Aufforstung. ({6}) Fast 40 Jahre waren Städte und Gemeinden gute Partner der Bundeswehr. Sie werden jetzt mit ihren Sorgen allein gelassen. Dieser Vorgang ist einmalig in unserem Land. Bisher erfolgte Truppenreduzierungen wurden stets mit Sonderprogrammen begleitet: Anfang der 90er-Jahre durch höhere Länderanteile an den Verbrauchsteuern und Mitte der 90er-Jahre durch mehr Mittel im Rahmen des Finanzausgleichs. Aber diesmal gibt es keine Direkthilfen. Das ist fatal für die betroffenen Gebiete. ({7}) So bedeutet der Abzug von 1130 Dienstposten aus dem historischen Bundeswehrstandort Schleswig - er liegt in meinem Wahlkreis -, dass damit fast jeder zehnte Arbeitsplatz in dieser Kreisstadt wegfällt und dass damit jährlich ein Kaufkraftverlust von 22 Millionen DM eintritt. Eine Alternative ist für diesen Raum aber nicht erkennbar. Was für die Schleistadt gilt, trifft für fast alle der 100 Standorte gleichfalls zu. Die Bundesregierung ist in diesem Zusammenhang an ihren Verfassungsauftrag zu erinnern. Nach Art. 72 und 106 unseres Grundgesetzes ist sie zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse verpflichtet. Durch nationale Bundesentscheidungen ist es zur Festlegung von Bundeswehrstandorten gekommen. Jetzt hat auch der Bund die Pflichten zu tragen, wenn das Vertragsverhältnis durch ihn einseitig aufgekündigt wird. ({8}) Doch der Bund schleicht sich aus seiner Verantwortung. Die Regierung empfiehlt den betroffenen Regionen, frühzeitig eine zivile Anschlussnutzung von Konversionsflächen zu planen. Gleichzeitig lehnt sie die Einräumung von Vorzugskrediten rigoros ab. Das ist nicht fair. Die Regierung empfiehlt, regionalpolitische Förderinstrumente des Bundes zu nutzen. Gleichzeitig ist sie aber nicht bereit, im Haushalt 2002 zusätzliche Mittel für die Förderung der Regionalwirtschaft einzusetzen. Das ist unverantwortlich. Doch da die Kassen leer sind, bleiben bei den Städten viele dieser Forderungen unerfüllt. Es werden keine Arbeitsplätze geschaffen und es erfolgt keine Wirtschaftsförderung. Die Finanzkraft vor Ort sinkt dramatisch. Wolfgang Börnsen ({9}) Auch der Bundesrat hat sich mit dieser konfliktreichen Sachlage befasst. Er erwartet noch immer ein Konversionsprogramm von der Bundesregierung. Niedersachsen ist dafür als Wortführer Anfang des Jahres eingetreten. Doch nichts ist daraus geworden. ({10}) Die Regierung hat ihre Genossen vor Ort abblitzen lassen. Die fast 100 betroffenen Bundeswehrstandorte sind ohne Hilfen geblieben. Was bleibt, ist ein Scherbenhaufen für die betroffenen Regionen, für die betroffenen Städte und Gemeinden. Die Bürger haben bei diesem Ressortkonzept das Nachsehen. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Josef Fell vom Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine Bundeswehrreform ist notwendig. Ich denke, Herr Börnsen, darüber sind wir uns alle einig. Oder meinen Sie, man bräuchte keine Modernisierung, da Sie eine solche Bundeswehrreform abgelehnt haben? Eine Reform der Bundeswehr - notwendig auch deshalb, um sie den jetzigen Aufgaben gerecht werden zu lassen kann angesichts der aktuellen schwierigen Haushaltslage nur durch eine Verkleinerung der Mannschaftsstärke verwirklicht werden. Eine solche Verkleinerung hat zwangsläufig die Reduzierung der Zahl von Bundeswehrstandorten zur Folge. Sie, meine Damen und Herren von der Union, wissen das nur zu genau; denn Anfang der 90er-Jahre hatten Sie eine entsprechende Reform in Gang gesetzt, die auch eine drastische Reduzierung der Zahl der Liegenschaften umfasste. Eine Reduzierung der Mannschaftsstärke um 700 000 Soldaten unter Ihrer Regie hatte damals weitaus gravierendere Folgen als die momentane Reduzierung um 90 000 Soldaten. Viele Regionen in Deutschland hatten durch Ihre Bundeswehrreform mit viel größeren wirtschaftlichen und umweltpolitischen Problemen zu kämpfen als heute. Ich will die heutigen regionalen Probleme nicht klein reden, aber Ihre jetzigen Forderungen ins rechte Licht rücken: Sie fordern heute Finanzierungshilfen vom Bund für das Auffangen von wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Ich erinnere mich, dass Sie damals einen Konversionsfonds, wie er von Bündnis 90/Die Grünen gefordert wurde, ablehnten. Sie haben auch das von uns Grünen 1994 eingebrachte Bundeskonversionsgesetz abgelehnt. ({0}) Der von der damaligen Bundesregierung den Ländern pauschal überlassene um 2 Prozent höhrere Umsatzsteueranteil wurde nicht nach der Betroffenheit durch den Truppenabbau oder nach der Strukturschwäche der Region ausgegeben. Nein, Sie verteilten diese Mittel nach Einwohnerzahlen. So wurde Bayern mit einer damaligen unterproportionalen Anzahl von Standortschließungen überproportional begünstigt. ({1}) Allerdings sind diese Mittel in Bayern kaum in die betroffenen Regionen geflossen. Das habe ich als Stadtrat von Hammelburg, einem Bundeswehrstandort, der von der Reduzierung stark betroffen war, bitter miterleben müssen. Erfolgreiche Landeskonversionskonzepte gab es dagegen in rot-grün-regierten Ländern, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen oder Brandenburg. Also, meine Damen und Herren von der Union, wer heute so laut nach regionalen Konversionsmitteln ruft, der muss sich an den eigenen Fehlleistungen der Vergangenheit messen lassen. ({2}) Auch wenn die heute geplanten Reduzierungen bei der Bundeswehr den Umfang der vergangenen Standortschließungen bei weitem nicht erreichen, so sind aus der Sicht von Bündnis 90/Die Grünen die betroffenen Regionen dennoch nicht alleine zu lassen. Ihre Vorschläge, meine Damen und Herren von der Union, können wir aber nicht mittragen, da Sie wie immer keine Vorstellungen haben, wie Ihre Wünsche finanziert werden sollen. Wir empfehlen den betroffenen Kommunen, zunächst die Chancen, die in einer Standortschließung liegen können, klar zu analysieren und gegebenenfalls zu nutzen. Durch den Wegfall von Flug- und Schießlärm und anderer militärischer Belastungen können innerstädtische oder touristische Liegenschaften an Attraktivität gewinnen. Eine Folgenutzung für Betriebe oder Gebäude kann so erleichtert werden. In neu angesiedelten Betrieben können neue Arbeitsplätze entstehen. Damit kann die Wirtschaftskraft der Region gestärkt werden. Eine Fülle von Wirtschaftsförderprogrammen steht dafür zur Verfügung. Ich verweise beispielsweise auf die vielen Programme der Bundesregierung zur Unterstützung des Aufbaus von Technologieunternehmen, für erneuerbare Energien, für Umweltschutz oder für naturverträgliche Landwirtschaft bzw. für die Touristikbranche. Diese Chancen aktiv zu nutzen kann gerade über eine Stärkung des Mittelstandes einen Teil der Nachteile von Standortschließungen oder -reduzierungen auffangen. Hierfür sind Kreativität und aktives Anpacken der betroffenen Kommunen gefordert. Wir von Bündnis 90/Die Grünen sind auch der Auffassung, dass solche Unterstützungen sogar verstärkt und gezielt durch Umschichtungen in bestehenden Regionalstrukturprogrammen des Bundes und der Länder oder aus Privatisierungserlösen zugunsten der betroffenen Regionen eingesetzt werden sollten. Bereits heute - Herr Börnsen, hören Sie gut zu - hat der Bund gehandelt. Er schleicht sich nicht aus seiner Verantwortung, wie Sie behauptet haben. Wolfgang Börnsen ({3}) Der CDU/CSU-Antrag ist deshalb überflüssig. Ein Drittel der GA-Mittel fließt in die Infrastruktur und ein überproportionaler Anteil davon in Konversionsgebiete. ({4}) Lassen Sie mich in der Kürze der Zeit das bestehende Instrumentarium aufzeigen, das auch zur Flankierung des Anpassungsprozesses in den von den Reduzierungen oder Schließungen betroffenen Standorten eingesetzt werden kann. Hierzu gehören insbesondere die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, ({5}) die europäischen Strukturfonds, die Städtebauförderung ({6}) sowie die Maßnahmen der Arbeitsmarktspolitik, natürlich auch für Konversionsaufgaben verplant. Darüber hinaus ist für die infolge der Reform betroffenen Zivilbeschäftigten der Bundeswehr ein Tarifvertrag abgeschlossen worden, der weitreichende sozialverträgliche Begleitmaßnahmen enthält, insbesondere den Ausschluss von betriebsbedingten Beendigungskündigungen, eine zusätzliche kostenfreie Qualifizierungsförderung für Anschlussbeschäftigungen auch außerhalb des öffentlichen Dienstes, Elemente zur Einkommenssicherung für wegfallende Zulagen, pauschale Abgeltungsbeträge und Abfindungen, Einkommensverbesserungen im Rahmen der Altersteilzeit bei Wegfall des Arbeitsplatzes sowie eine Härtefallregelung. ({7}) Weiterhin hat das Verteidigungsministerium bereits Anfang Juli eine Übersicht über alle im Rahmen der Reform voraussichtlich frei werdenden Bundeswehrliegenschaften veröffentlicht. Damit haben die Kommunen und die potenziellen Investoren eine frühzeitige Planungsgrundlage über den Zeithorizont sowie über die Größe der Flächen und der Anlagen. ({8}) Im Übrigen strebt der Bund wie auch bei den bisherigen Standortfreigaben an, die ehemaligen Militärliegenschaften so schnell wie möglich einer zivilen Anschlussnutzung zuzuführen. Die bestehenden Altlastenregelungen tragen dazu bei, Befürchtungen von Investoren hinsichtlich etwaiger Kontaminationen abzubauen. Um potenzielle Investoren und Kommunen gezielt über das Verwertungsverfahren und die Fördermöglichkeiten zu informieren, erstellt das Wirtschaftsministerium gemeinsam mit dem Finanzministerium und dem Verteidigungsministerium sowie den Länderwirtschaftsministerien ein Liegenschaftsschema. Darin werden alle regionalen Ansprechpartner zu Fragestellungen hinsichtlich Konversion und Wirtschaftsförderung gebündelt sowie die Modalitäten für das Veräußerungsverfahren erläutert. Die Übersicht wird voraussichtlich noch in diesem Monat vorgelegt. ({9}) Bündnis 90/Die Grünen stehen zu der im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Verantwortung des Bundes, Konversion auch als Element regionaler Strukturpolitik zu begreifen. Wir halten es auch weiterhin für sinnvoll, einen Bundeskonversionsbeauftragten als Vermittler und Koordinator zwischen Bund, Ländern, Kommunen und Investoren zu berufen. Wir halten es für sinnvoll, Konversionsflächen für den Städtebau, für das Gewerbe oder für Natur- und Landschaftsschutz zu verwenden. Wir lassen die betroffenen Kommunen nicht alleine. Wir werden weiter an Vorschlägen für bezahlbare Konversionshilfen arbeiten. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich darauf hinweisen, dass laut Protokoll vom vorherigen Tagesordnungspunkt bei der Rede des Kollegen Poß der Kollege Dr. Peter Ramsauer folgenden Zwischenruf gemacht hat: „Diese Verleumdung nehmen Sie zurück! Sie sind ein Brandstifter, ein Brunnenvergifter! Sie sind ja halbkriminell!“ Auch in Anbetracht der bayerischen Sprachgewohnheiten überschreitet das deutlich die Grenzen der Sprache, deren wir uns hier im Parlament befleißigen sollten. Ich rüge diesen Zwischenruf ausdrücklich. Das Wort hat jetzt der Kollege Günther Nolting von der FDP-Fraktion. ({0})

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Fell, als ich Ihre Rede gehört habe, habe ich mich gefragt, wann Sie in der letzten Zeit einen Standort besucht haben, der von der Reduzierung oder Schließung betroffen ist, wann Sie mit den betroffenen Menschen vor Ort gesprochen haben, die darauf warten, dass es konkrete Hilfen gibt und konkrete Maßnahmen ergriffen werden. Das, was Sie heute hier gemacht haben, war Schönrederei. Ich halte mich lieber an den Kollegen Müller, der die Probleme aufgezeigt hat. Wenn Sie aber, Herr Kollege Müller, diese Probleme so sehen, wie wir sie ja auch sehen, wie sie in dem Antrag der Union wiedergegeben werden, wie wir sie im Antrag der FDP aufgezeigt haben, warum werden dann nicht entsprechende Maßnahmen im Haushalt umgesetzt? Das ist doch die Frage! ({0}) Diese Fragen müssen Sie beantworten. Ich hoffe, dass einer der Nachredner aus der Koalition darauf noch eingeht. Wir haben eine drastisch unterfinanzierte Bundeswehr, wir haben eine katastrophale Materiallage, wir haben eine unausgewogene Personalstruktur, wir haben unmittelbar bevorstehende, zwingend notwendige Konversionsmaßnahmen und - ich muss das an dieser Stelle sagen - wir haben einen Verteidigungsminister, der diesen Herausforderungen ganz und gar nicht gewachsen ist, ({1}) sondern der, wie in den letzten Tagen mehrfach geschehen, mit verantwortungslosen Äußerungen durch die Medien schwadroniert. Mit einem nominal sinkenden Verteidigungshaushalt wird keine Liegenschaft der Bundeswehr so zurückgebaut oder so saniert werden, dass sie verkauft werden kann. Personalmaßnahmen können nicht sozialverträglich umgesetzt werden, geschweige denn, dass ein Sonderprogramm für die von Schließungen und Verkleinerungen besonders betroffenen Kommunen eingeleitet werden kann. Wir alle wissen: Eine Verkleinerung der Bundeswehr hat Standortreduzierungen und auch -schließungen zur Folge. Die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Maßnahmen müssen für die betroffenen Kommunen abgemildert werden. ({2}) Viele Gemeinden befinden sich durch den Personalabbau, der zum Beispiel auch in meiner Region, in Augustdorf, über 2 700 Dienstposten umfasst, in einer existenziell bedrohlichen Situation. Dies kann und darf die rot-grüne Bundesregierung, Herr Minister, nicht ignorieren, auch und gerade angesichts der Lage in den neuen Bundesländern. Herr Kollege Müller, ich frage Sie noch einmal - Sie kommen aus den neuen Bundesländern -: Wenn Sie das so sehen, warum tun Sie dann nichts? Darf ich Sie zum Beispiel an Eggesin erinnern, darf ich Sie an Stavenhagen erinnern, wo wir heute schon in der Region eine Arbeitslosenquote von 26 Prozent haben - und Sie tun nichts! Jetzt sind Steuerentlastungen und arbeitsmarktpolitische Impulse für die Regionen gefragt. Aber was tun Sie? Sie erhöhen die Steuern, wie wir es heute Morgen hier wieder gehört haben. Das ist der falsche Weg. Lassen Sie mich eines auch als Bürger dieser Bundesrepublik Deutschland dazu sagen: Es erschreckt mich, wenn Maßnahmen für die äußere und innere Sicherheit angeblich nicht mehr finanziert werden können. ({3}) Für die FDP-Bundestagsfraktion, Herr Minister Scharping, sage ich Ihnen: Beenden Sie die haushaltspolitischen Schildbürgerstreiche und kehren Sie zu einer soliden Finanzpolitik für die Bundeswehr zurück. Ich sage hier ganz bewusst: Wenn Ihnen dazu die Kraft fehlt, dann treten Sie zum Wohle dieser Bundeswehr zurück. ({4}) Für die FDP-Bundestagsfraktion fordere ich die rotgrüne Bundesregierung und auch die rot-grüne Koalition auf, erstens sofort ein Sonderprogramm einzuleiten, das den von Standortschließung bzw. -reduzierung betroffenen Kommunen hilft, die wirtschaftlichen und strukturellen Folgen zu mildern, zweitens ein über die betroffenen Gemeinden hinausgehendes regionales Ausgleichskonzept in die Förderung mit einzubeziehen, drittens Härtefallfonds einzurichten, viertens im Zuge der Standortschließungen bzw. -reduzierungen betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden, sozialverträgliche Lösungen für die betroffenen Zivilbediensteten zu finden und notwendige Arbeitsplatzveränderungen sozial abzufedern, fünftens Verfahren zur Freigabe von Liegenschaften durch die Bundesvermögensverwaltung zu beschleunigen und sechstens bei der Entwicklung der Konversionsprogramme insgesamt verstärkt mit dem internationalen Konversionszentrum in Bonn zu kooperieren. ({5}) Die FDP-Bundestagsfraktion erwartet, dass die rotgrüne Bundesregierung und die rot-grüne Koalition eine aktive Politik betreiben, die die Belange der Bundeswehr genauso wie die der betroffenen Kommunen und der mittelständischen Wirtschaft berücksichtigt, sonst sind diese rot-grüne Bundesregierung und die rot-grüne Koalition dafür verantwortlich, dass ganze Landstriche veröden, gerade in den neuen Bundesländern. Dies darf nicht sein. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rolf Kutzmutz.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Bundeskonversionsprogramm halte ich für ausgesprochen sinnvoll. Eine entsprechende Initiative hat das Land Brandenburg im Bundesrat eingebracht. Es geht doch nicht nur um die Schließung von Kasernen. Es geht um zukunftsfähige Lösungen für Menschen, Kommunen und Regionen. ({0}) Fest steht: Die Bundeswehr muss umgebaut werden, aber nicht zu einer Streitmacht, die globale Interventionen lange durchhalten kann, sondern zu einer jederzeit handlungsfähigen regionalen Verteidigungskraft. Dafür braucht man weniger als die bisher geplanten Mittel, womit auch Geld für die laufende Konversion verfügbar wäre. ({1}) An dem Nebengedanken im CDU/CSU-Antrag, ein Bundeskonversionsprogramm sofort, aber nicht zulasten des Verteidigungsetats aufzulegen, müssen sich allerdings die Geister scheiden. Den Widerspruch, einerseits mehr Geld für Konversion, andererseits auch mehr Geld für die Umrüstung zu verlangen - das Ganze steht zudem unter dem herzhaft vertretenen politischen Primat der Haushaltskonsolidierung -, müssen Sie erst noch auflösen. Wir stimmen Ihrem Antrag dennoch zu, weil sein Kern, das schon mehrfach erwähnte Bundeskonversionsprogramm, jetzt unverzichtbar ist. Bei dieser strukturpolitisch vielerorts existenziellen Frage bewegen sich Regierung und Koalition nicht. Das hat sich auch bei dem ersten Diskussionsbeitrag wieder gezeigt. In einem Brief an den Vorsitzenden der PDSStadtratsfraktion der Reuterstadt-Stavenhagen - Herr Nolting hat die Stadt schon erwähnt - schrieb das Bundeskanzleramt im Mai 2001 - ich zitiere -: Die Bundesregierung hat natürlich Verständnis für die Sorgen und Ängste der Bürgerinnen und Bürger im Zusammenhang mit der beschlossenen Bundeswehrstrukturreform und nimmt diese Sorgen ernst. Allein das Ernstnehmen der Sorgen bringt den Leuten dort überhaupt nichts. ({2}) Natürlich haben auch wir registriert, dass mittlerweile betriebsbedingte Arbeitslosigkeit für nicht mehr benötigte Zivilbeschäftigte der Bundeswehr durch einen neuen Tarifvertrag ausgeschlossen wurde. Die Lösung des personalpolitischen Problems ist das eine die strukturpolitischen Verwerfungen jedoch sind das andere. Bemerkenswert ist, wenn vom Wirtschaftsministerium zu den Haushaltsberatungen 2002 zur Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ mitgeteilt wird - ich zitiere, weil dies vorhin meiner Ansicht nach falsch dargestellt worden ist -: Die jetzigen Ansätze für 2002 enthalten keine finanziellen Reserven, aus denen spezielle strukturelle Probleme wie Auswirkungen der EU-Osterweiterung oder der Bundeswehrreform oder der Umorientierung in der Agrarpolitik auf einzelne Standorte regionalpolitisch abgefedert werden könnten. Sie alle wissen, dass bisher mit dem Verweis auf diese Gemeinschaftsaufgabe ein Bundesprogramm abgelehnt wurde. Wie sollen denn nun die strukturpolitischen Fragen bundespolitisch beantwortet werden? Über Eggesin ist schon beim letzten Mal gesprochen worden, auch heute wurde es wieder erwähnt. Mecklenburg-Vorpommern hat zwar in den letzten Monaten knapp 8 Millionen DM für den dortigen Stadtumbau mobilisiert, aber dies war nur ein Darlehen, womit das Problem finanziell letztlich nur in die Zukunft verschoben wird. Gerade an Orten wie diesen - ich möchte hierzu den stellvertretenden Ministerpräsidenten, Helmut Holter, der dies immer wieder betont, zitieren - geht es nicht um starre Standortkonversion, sondern um flexible Raumkonversion. Herr Fell, ich schätze Sie sehr, aber ich habe bei Ihrer Rede den Eindruck gehabt, Sie haben von den Kommunen ein völlig falsches Bild. ({3}) Vielleicht waren Sie in letzter Zeit nicht mehr in dem Bereich tätig. Sie haben so getan, als ob die Kommunen im Geld schwämmen und verlassene Bundeswehrstandorte einfach in Besitz nehmen, in sie investieren und für neue Unternehmen attraktiv machen könnten. Dazu muss ich Ihnen sagen: Selbst eine geschenkte Anlage kann schon zu einem Stein am Hals werden. Im Osten ist dies oft der Fall. Sicherlich gibt es auch Beispiele im Westen. ({4}) Es geht um die Stärkung der Region, damit das Geld für eine nachhaltige, langfristig selbst tragende Entwicklung wirksam wird. Auch der Verweis auf die zusätzlichen Umsatzsteuerpunkte vom Anfang der 90er-Jahre hilft den betroffenen Gebieten heute überhaupt nichts mehr. Zum einen kostet - insbesondere im Osten mit den großen früheren Standorten der Westgruppe und der NVA - der damalige Umbruch auch heute noch das seinerzeit bewilligte Geld und zum anderen geht Strukturschwäche - das macht solche Steuerinstrumente von vornherein untauglich - mit niedriger Nachfrage, niedrigen Umsätzen und entsprechend geringeren Steuereinnahmen einher. Aus diesem Teufelskreis hilft nur eine Bundesfinanzierung - eine Finanzierung durch den Verursacher -, deren Umfang sich vor allem an der tatsächlichen Strukturschwäche der betroffenen Regionen orientieren muss, also: ein Konversionsprogramm nach GA-Kriterien, aber nicht als Gemeinschafts-, sondern als Bundesaufgabe. Darüber sollten wir gemeinsam nachdenken. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Kollege Rossmanith.

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Lieber Kollege Christian Müller, ich schätze Sie sehr, aber nach den ersten Sätzen Ihrer Rede bin ich davon überzeugt: Es ist in der jetzigen Zeit ganz gut, dass es Menschen gibt, die ihren Humor noch nicht verloren haben. Ihre Bemerkung, bei dieser so genannten Bundeswehrreform sei auf den Arbeitsmarkt und auf Wirtschaftsregionen Rücksicht genommen worden, gehört in den Bereich des Humors, aber nicht in dieses Parlament; denn nichts davon stimmt. ({0}) Allerdings wurden Sie noch vom Kollegen Fell übertroffen. Kollege Fell sagte: Wir modernisieren die Bundeswehr. - Gleichzeitig wird der Verteidigungshaushalt permanent nach unten gefahren. Lieber Kollege Fell, Sie müssen erläutern, wie Sie es machen wollen, mit nichts oder weniger als nichts die Bundeswehr zu modernisieren. ({1}) Das ist die Quadratur des Kreises und gehört auf eine Fastnachtsveranstaltung, aber nicht in dieses Parlament. Denn wir sollten hier bei derWahrheit und der Ehrlichkeit bleiben. Vor dem Hintergrund der Situation, in der wir seit dem 11. September sind, bin ich der Meinung, dass diese Bundesregierung - vor allem Sie, Herr Bundesverteidigungsminister - nichts anderes - ({2}) - Ich rede gerne weiter, wenn Sie zuhören. ({3}) Ich bin der Meinung, dass Sie Ihre so genannte Reform - ich sehe das als allerletzte Warnung - überdenken müssen. ({4}) Tag für Tag müssen wir sehen, dass die Bürger verunsichert sind. In Großbritannien, den USA und bei uns wird die Gefahr biologischer und chemischer Waffen heraufbeschworen. Sie dagegen schließen - nur um ein Beispiel zu bringen - die ABC-Schule in Sonthofen. Es wird nicht darüber nachgedacht, diese Entscheidung zurückzunehmen. Ich frage Sie: Was lernen Sie denn aus den brutalen und menschenverachtenden Anschlägen auf die freiheitliche, zivilisierte Welt vom 11. September? Sie wollen 100 000 Stellen für Soldaten und zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter streichen. Ich bin dem Kollegen Börnsen sehr dankbar dafür, dass er darauf hingewiesen hat, dass ein Drittel davon Standorte in Bayern betrifft. Es steht doch außer Frage, dass solche Pläne gravierende Folgen für die betroffenen Regionen haben. In der Debatte vom 29. März habe ich bereits darauf hingewiesen, dass Ihr SPD-Parteikollege Dr. Ivo Holzinger, Oberbürgermeister in Memmingen gesagt hat: Allein die Schließung des Standortes Memmingerberg - rund 2 500 Beschäftigte, also Soldaten und zivile Mitarbeiter wird für die Region eine Minderung des Investitions- und Konsumrahmens von 250 Millionen DM pro Jahr bedeuten. Die Schließung hat auch Auswirkungen auf Handwerk, Handel, Industrie, Kindergärten, Schulen und vieles andere mehr. Sie sind überhaupt nicht bereit, den Kommunen entgegenzukommen. In der Debatte vom 29. März dieses Jahres, die ich schon erwähnt habe, hat der Parlamentarische Staatssekretär Mosdorf gesagt, Ihr Parlamentarischer Staatssekretär Walter Kolbow, Herr Bundesverteidigungsminister, habe ihm zugesagt, er wolle prüfen lassen, ob den betroffenen Gemeinden ein vorrangiges Zugriffsrecht auf die Flächen eingeräumt werden kann. Seitdem habe ich davon nichts mehr gehört. Es genügt auch nicht, im Sommer dieses Jahres eine Liste darüber herauszugeben, welche Flächen frei werden. Eine solche Liste brauchen die Gemeinden nicht. Diese Arbeit hätten Sie sich und Ihren Mitarbeitern ersparen können. Denn aufgrund Ihres so genannten Schließungsprogramms war doch klar, welche Standorte geschlossen werden. Um festzustellen, welche Flächen aufgrund der Standortschließungen frei werden, brauche ich doch nicht noch einmal eine ganze Stabsabteilung in Gang zu setzen. Zum Schluss meiner Rede muss ich zum einen deutlich feststellen: Es ist mir unverständlich und sogar meiner Meinung nach unverantwortlich, dass man aufgrund der Ereignisse seit dem 11. September dieses Jahres nicht bereit ist, noch einmal über diese so genannte Reform nachzudenken. Zum anderen ist auf Folgendes hinzuweisen: Wie die beiden Koalitionsfraktionen mit unserem Antrag, der nur darauf abzielt, den Kommunen Hilfen an die Hand zu geben, umgehen, ist unverständlich. Auf die Schwierigkeiten der Kommunen wurde ja bereits hingewiesen. ({5}) Sie haben unseren Antrag ohne eine Begründung abgelehnt. Sie haben wieder die alte Leier gebracht, die nicht einmal der Wahrheit entspricht. Bleiben Sie bei der Wahrheit und überdenken Sie das, was wir in diesem Antrag vorgeschlagen haben! Heute wäre noch Zeit dazu. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Johannes Kahrs.

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich gleich zu Anfang feststellen, dass große Teile des Antrages der CDU/CSU inzwischen von der Wirklichkeit eingeholt worden sind ({0}) und keiner Diskussion mehr bedürfen. ({1}) Die CDU/CSU fordert in ihrem Antrag - Kurt, du solltest euren Antrag kennen -, dass der Bundesminister der Verteidigung seiner Fürsorgepflicht nachkommen solle und es keine betriebsbedingten Kündigungen geben dürfe. ({2}) Hierzu stelle ich fest, dass mit Schreiben vom 16. Mai dieses Jahres - Kurt, lesen kannst du - der Bundesminister der Verteidigung allen Abgeordneten des Deutschen Bundestages den neuen Tarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Bundeswehr zugesandt hat. Dieser Tarifvertrag, den du hoffentlich gelesen hast, ist bereits in Kraft. Zu seinen wesentlichen Inhalten zählt unter anderem der Vorrang der Arbeitsplatzsicherung im Zusammenhang mit der Bundeswehrreform und das Verbot der betriebsbedingten Kündigung. ({3}) Die CDU/CSU fordert Umschulungsmaßnahmen. Ich stelle fest, dass ein weiteres Kernstück dieses Tarifvertrages das Angebot kostenloser Qualifizierung ist. Darüber hinaus beinhaltet der gleiche Tarifvertrag auch eine Härtefallregelung, die in besonderen Fällen greift und den Arbeitnehmern einen umfangreichen Schutz bietet. Während Sie hier längst überholte Forderungen stellen, hat die Regierung bereits gehandelt und die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vertraglich abgesichert. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Kahrs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rossmanith?

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich, Kurt.

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Kahrs, ich bedanke mich sehr herzlich. - Vielleicht können Sie mir einmal erklären - ich lade Sie gerne einmal in meinen Wahlkreis ein -, was Sie angesichts des Tarifvertrages, den Sie erwähnt haben und den ich natürlich kenne, einer Mitarbeiterin sagen wollen, die in der Küche in Memmingerberg oder Sonthofen - das ist nur ein Beispiel; das gilt auch für alle anderen betroffenen Standorte - arbeitet und keine Möglichkeit hat, an einen anderen Standort zu wechseln, da diese mindestens 50 bis 70 Kilometer entfernt sind.

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Als wir diesen Tarifvertrag abgeschlossen haben, haben wir unter anderem darauf geachtet, dass in bestimmten Fällen Ausnahmeregelungen möglich sind; darum bemühen wir uns. Gerade bei einer solch großen Anzahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gibt es problematische Einzelfälle. Diese Einzelfälle werden bearbeitet. In den meisten Fällen haben wir es auch geschafft, eine vernünftige Regelung zu finden. In meiner weiteren Rede werde ich darauf zu sprechen kommen, dass wir darauf geachtet haben, nur solche Bundeswehreinrichtungen zu schließen, in deren unmittelbarer Nähe sich, wenn irgend möglich, andere Bundeswehreinrichtungen befinden. ({0}) Ich glaube, dass wir das im Rahmen der jetzigen Reform entsprechend berücksichtigen. Ich möchte gerne noch darauf hinweisen, dass Sie bei Ihren Versuchen, die Bundeswehr zu reformieren, dem, was Sie in Ihrer Zwischenfrage angemerkt haben, überhaupt nicht Rechnung getragen haben. Die Beispiele dafür kann ich ihnen nennen, abgesehen von der Tatsache, dass Bayern, das in der Vergangenheit durch die von Ihnen geführte Bundesregierung bevorzugt behandelt worden ist. Deswegen sind Sie in Bayern besser weggekommen. ({1}) - Stimmt, in Bayern sind sie geduldet; aber in Hamburg werden sie geschätzt. Dies zeigt, dass der Bundesminister der Verteidigung seine Fürsorgepflichten sehr ernst nimmt - Kurt, hör genau zu - und die notwendigen Maßnahmen ergriffen hat. Dafür hat er sich den Respekt aller Abgeordneten dieses Hauses verdient. - Also, Kurt. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, zu der von Ihrer Fraktion geforderten verbilligten Abgabe von Liegenschaften stelle ich fest, dass bereits während Ihrer Regierungszeit die anfängliche Zahl der Verbilligungsmöglichkeiten erheblich heruntergefahren worden ist. Da aber die derzeitige Reform in ihren Auswirkungen bei weitem nicht das Ausmaß der bereits erfolgten bundesweiten Truppenreduzierung hat, ist es müßig, über weitere Verbilligungen zu diskutieren. Ich erinnere auch in diesem Zusammenhang daran, dass der Bund allein in diesem Jahr im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ Barmittel in Höhe von 2 Milliarden DM und Verpflichtungserklärungen in Höhe von 1,8 Milliarden DM zur Verfügung stellt, die auch dafür genutzt werden können. ({3}) Sie sagen doch immer, dass man Schwerpunkte setzen und umschichten muss. Genau das ist hier geschehen. Natürlich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass im Rahmen der bereits bestehenden Programme der Städtebauförderung, der Agrarpolitik, der Arbeitsmarktförderung und der Mittelstandsförderung - der Kollege Müller hat schon darauf hingewiesen - die Länder entsprechend umschichten können. ({4}) Es bedarf keiner zusätzlicher Finanzmittel. Es geht darum, die bestehenden Möglichkeiten auszuschöpfen. In diesem Zusammenhang ist es einmal mehr bezeichnend für Ihre Art von Politik, dass Sie die Höhe Ihrer Forderungen weder genau benennen noch Möglichkeiten der Finanzierung aufzeigen. Statt anständig und redlich den konkreten Finanzierungsbedarf und die entsprechende Deckung aufzuzeigen, wollen Sie mit einer wolkigen Umschreibung wie - ich zitiere aus Ihrem Antrag - „muss durch Umschichtungen im Rahmen des Gesamthaushalts ermöglicht werden“ die Bürgerinnen und Bürger auf das Glatteis führen. In der vorangegangenen Debatte wollten Sie auch alles durch Umschichtungen im Rahmen des Gesamthaushalts ermöglichen. In den letzten Wochen war es immer das Gleiche: ({5}) Die Zahl Ihrer Forderungen ist unendlich und Sie wollen sie durch Umschichtungen im Gesamthaushalt finanzieren. Aber nie hat einer Ihrer Kolleginnen und Kollegen auch nur einen einzigen Vorschlag gemacht, aus dem ersichtlich wird, wo gestrichen werden soll. ({6}) Herr Kollege Rossmanith, ich möchte noch etwas zu Ihrem Zwischenruf sagen. Es ist natürlich erfreulich, dass Sie zumindest in dem jetzt vorliegenden Antrag darauf verzichtet haben, die staatliche Neuverschuldung hochzufahren. Ich finde, das ist ein geradezu richtungsweisender Aspekt für Ihre zukünftige Oppositionspolitik. Den sollten Sie beibehalten; denn hinsichtlich der Neuverschuldung haben Sie in der Vergangenheit kein rühmliches Bild abgegeben. ({7}) - Selbstverständlich! Auch wir haben sie begrüßt! Ich möchte noch Folgendes sagen, Herr Kollege. Wenn Sie hier schon Forderungen aufstellen - über die kann man im Einzelfall durchaus diskutieren -, dann müssen Sie, bitte schön, auch sagen, wie Sie sie finanzieren wollen. Werden Sie ausnahmsweise einmal konkret. Merken Sie sich: Tatsachen schafft man nicht aus der Welt, indem man sie ignoriert. Das sollte inzwischen auch in Bayern angekommen sein. Zu den Verfahren der Freigabe von Liegenschaften: Die Verfahren zur Freigabe der Liegenschaften, die schon angesprochen worden sind, wurden bereits in der Vergangenheit angepasst. Wir haben erhebliche Vereinfachungen in den Verwertungsverfahren geschaffen und deutliche Beschleunigungseffekte erreicht. Aber ich weise in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass insbesondere den Kommunen eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Anschlussnutzung zukommt. Hier geht es darum, dass die Kommunen die rechtlichen Rahmenbedingungen für die weitere Nutzung schaffen müssen. Zu Ihrem Antrag möchte ich des Weiteren feststellen, dass Sie mit Ihrer Behauptung, Standortschließungen und -reduzierungen fänden vorwiegend in strukturschwachen Gebieten statt, der tatsächlichen Situation nicht gerecht werden. Das Gegenteil ist zutreffend. Es ist vielmehr richtig, dass insbesondere die strukturschwachen Regionen von Veränderungen unterdurchschnittlich betroffen worden sind. Wir lassen uns da von einigen Wolkenschiebern der CDU/CSU die Sonne nicht verdunkeln. Es ist das Verdienst dieser Reform, die Bundeswehrpräsenz da zu verringern, wo es möglich und sinnvoll war, eben in strukturstarken Gebieten. Ich nenne Ihnen als Beispiele die Städte Koblenz, München und Hamburg, die eine Reduzierung natürlich eher verkraften können als andere, auch wenn es uns im Einzelfall jedes Mal schwer fällt. Natürlich schmerzt es insbesondere mich als Hamburger und Hauptmann der Panzergrenadiertruppe, dass der Standort Fischbek mit dem Panzergrenadierbataillon 72 in meiner Heimatstadt geschlossen wird. Die Alternative jedoch, eine Kaserne in einer strukturschwachen Region zu schließen, ist für einen Sozialdemokraten noch weniger akzeptabel. ({8}) Sie wissen ebenso gut wie ich, dass die Reduzierung der Standorte eben nicht proportional zur personellen Verringerung der Streitkräfte und ihrer Angestellten erfolgte. Aus Verantwortung gegenüber den Kommunen haben wir schon bei der Konzeption der Bundeswehrreform den Sorgen und Ängsten in höchstem Maße Rechnung getragen; denn vor dem Hintergrund einer funktionalen Betrachtung hätte die Hälfte aller Standorte bundesweit geschlossen werden müssen. Lassen Sie mich das verantwortungsvolle Handeln mit zwei Zahlen belegen. Betrachtet man die zu schließenden Standorte im regionalen Zusammenhang, kommt man zu dem Ergebnis, dass bei einem Drittel dieser Standorte der nächste aufrechterhaltene Standort - mancherorts sind es sogar mehrere solcher Standorte - bereits in einem Umkreis von 10 Kilometern zu finden ist. Bei den übrigen von Schließung betroffenen Standorten liegt die nächste Präsenz der Bundeswehr im Umkreis von lediglich 20 Kilometern. Damit werden die Auswirkungen im regionalen Zusammenhang schon der Konzeption nach abgemildert. An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf den Kern der Reform zu sprechen kommen. Während die Bundeswehr in Ihrer Regierungszeit - auch in deiner, Kurt - von einer Reform in die nächste stolperte und mit den Folgen noch heute kämpfen muss, wird diese Reform zu Recht als Erneuerung von Grund auf bezeichnet. Die Ergebnisse der Bestandsaufnahme der Bundeswehr waren für Ihre verfehlte Politik bezeichnend. - Ich hoffe, du hast das gelesen. Bundesminister Scharping hat es in vorzüglicher Weise verstanden, sowohl die Öffentlichkeit als auch die Politik und die Betroffenen selbst an der Gestaltung dieser Reform teilhaben zu lassen. ({9}) - Merken Sie sich: Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, ist einer, der die Sache regelt. In diesem Fall ist das Rudolf Scharping. ({10}) Zusammenfassend stelle ich fest, meine Damen und Herren von der CDU/CSU: Ihr Antrag war vielleicht gut gemeint, aber das heißt noch lange nicht, dass er auch gut gemacht ist. Seit der letzten Bundestagswahl sollten Sie wissen: Im Zweifel entscheidet die Wirklichkeit. ({11}) Wir Sozialdemokraten werden diese Bundeswehrreform weiterhin solide und reell umsetzen; denn wir wisJohannes Kahrs sen: Der größte Feind des Kaufmanns ist die Hoffnung. Wir dürfen nicht die Armee erhalten, die wir gewohnt sind, sondern müssen die Armee aufstellen, die wir benötigen - und genau das tun wir. Vielen Dank. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Susanne Jaffke.

Susanne Jaffke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001008, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, dass sehr viele Bürger zum Beispiel aus den Regionen Eggesin und Stavenhagen diese Rede des Kollegen Kahrs gehört haben; denn dann wird es ({0}) im nächsten Jahr für die Bundesrepublik Deutschland mit Sicherheit sehr gut aussehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke vor allem meinen Kollegen Börnsen und Rossmanith dafür, dass sie so klar und eindeutig über die Sicherheitsanforderungen gesprochen haben, die unserer Meinung nach schon vor dem 11. September bestanden haben, die seit dem 11. September noch stärker geworden sind und denen mit diesem neuen Konzept für die Bundeswehrstruktur mitnichten Genüge getan wird. ({1}) Der Antrag, den wir vorgelegt haben, zielt in die Richtung, die Kommunen, die jetzt im Stich gelassen werden, ein Stückchen zu berücksichtigen, was die Aufgaben angeht, die sie zu erfüllen haben. In vielen Diskussionsbeiträgen, vor allem in dem Beitrag vom Kollegen Fell, wurde darauf abgehoben, was schon alles geleistet worden ist. Lassen Sie mich das anhand einiger Beispiele, vor allem aus den neuen Bundesländern, betrachten. Im Land Mecklenburg-Vorpommern waren zur Wendezeit am Standort Eggesin 21 000 und am Standort Basepohl mehr als 5 000 NVA-Soldaten stationiert. Dazu kommen die Angehörigen der Marine in Dranske, die der Luftwaffe in Peenemünde und die dort stationierten sowjetischen Streitkräfte. Insgesamt waren in MecklenburgVorpommern mehr als 150 000 Armeeangehörige stationiert. Dadurch, dass die Anzahl der Dienstposten am Standort Eggesin von mehr als 20 000 auf 4 800 reduziert worden ist, hat diese Region eine besondere Kraftanstrengung vornehmen müssen. 1998 - CDU und SPD stellten die Landesregierung - dachte man in der Region, man könne sich darauf verlassen, dass sich diese Kraftanstrengung nach acht Jahren endlich auszahlt. Dann fuhren der Bundeskanzler und der Verteidigungsminister durch die Gegend und erklärten den Leuten, dass das Standortkonzept, wie es die vorherige Bundesregierung entwickelt hatte, durch die jetzige Bundesregierung aufrechterhalten werde. Das waren die Worte dieser beiden Personen vor Ort. Anschließend wurde dieses Standortkonzept vorgestellt, woraufhin die Anzahl der Dienstposten am Standort Eggesin um weitere 1 800 gekürzt wurde. ({2}) In dieser Region, die an der polnischen Grenze liegt, haben die Menschen immer mit der Armee gelebt und sie wollen dort ihren Frieden und ihr Leben finden. Daher ist es einfach unanständig, wenn Sie so handeln. ({3}) In dieser Region sind allein in die Sanierung der Infrastruktur der Bundeswehr und der Truppenübungsplätze mehr als 109 Millionen DM geflossen. Vor diesem Hintergrund halte ich es für einen Treppenwitz der Geschichte, wie Sie auf die Haushaltskonsolidierung abgehoben haben. Erst haben Sie in den Gesamtstandort mehr als 300 Millionen DM investiert und nun ziehen Sie große Teile der Armee ab. ({4}) Die Bundesrepublik Deutschland hat dort mit den Kommunen Verträge geschlossen, und zwar im Bereich Wohnungsfürsorge. Ich habe diesbezüglich mehrfach Anfragen an die Bundesregierung gerichtet. Sie sind nichts sagend beantwortet worden. An die Adresse der PDS möchte ich Folgendes sagen: Was der Kollege Holter - ich war anwesend - von sich gegeben hat, war das Hinterletzte; es war gar nichts. Die Kommunen bekommen nichts, schon gar nicht von der Landesregierung. Aber ich will Sie an den Taten messen: Durch den Haushalt 2002 werden sämtliche Verbilligungstatbestände der Kommunen für Investitionen in die soziale Infrastruktur - und damit für den Erwerb von Bundesliegenschaften - der Jahre 2000 und 2001 sang- und klanglos abgeschafft. ({5}) Bei allen drei Verbilligungstatbeständen, die den Kommunen beim Erwerb von Bundesgrundstücken für gemeinnützige Einrichtungen gewährt wurden, steht expressis verbis, dass der entsprechende Haushaltsvermerk nicht für den Fall der Veräußerung von bisher militärisch genutzten Liegenschaften, die nach dem 14. Juni 2002 zum Verkauf anstehen, gilt. ({6}) Wo ist also bitte schön die Verantwortung dieser Regierung gegenüber den Ländern und gegenüber den Kommunen, wenn sie so mit diesen Standorten umgeht? ({7}) Abgesehen davon kann ich Ihnen, was die neuen Bundesländer angeht, nur Folgendes sagen: Ich wage zu bezweifeln, dass es gelingt, die für ein deutsch-dänischpolnisches Korps im Rahmen der NATO entwickelte Konzeption - die Soldaten, die eine bestimmte Tradition aufgebaut haben, werden jetzt abgezogen; Stichwort Stargarder Regiment in Polen - aufrechtzuerhalten. Ich weiß nicht, wie den Verpflichtungen gegenüber der NATO und anderen damit verbundenen Aufgaben nachgekommen werden soll. Sie haben jetzt noch die Chance, unserem Antrag zuzustimmen. Ich bitte Sie darum. Alles andere wird die Bevölkerung entsprechend würdigen. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe da- mit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Strukturpolitische Verantwortung für Bundeswehrstand- orte übernehmen, die die Bundesregierung schließen oder verkleinern will“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5550 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gegen- stimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und b sowie 18 e auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale ({0}) - Drucksache 14/5986 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({1}) Verteidigungsausschuss b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({2}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der PDS zu der vereinbarten Debatte Entscheidung des US-Senats zum Atomteststoppvertrag - Drucksachen 14/1894, 14/3812 Berichterstattung: Abgeordnete Petra Ernstberger Hans Raidel Rita Grießhaber Hildebrecht Braun ({3}) Wolfgang Gehrcke e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({4}) zu dem Antrag der Fraktion der PDS Neue nukleare Abrüstungsinitiativen statt neuer Raketenabwehrprojekte - Drucksachen 14/3875, 14/5852 Berichterstattung: Abgeordnete Petra Ernstberger Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Helmut Lippelt Ulrich Irmer Wolfgang Gehrcke Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Petra Ernstberger.

Petra Ernstberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002648, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle stehen noch immer unter dem Eindruck der terroristischen Anschläge vom 11. September und der daraufhin erfolgten Gegenmaßnahmen, die im Rahmen eines bis dahin noch nie gekannten Bündnisses, auch eines Bündnisses über die NATO hinaus, eingeleitet wurden. Diese Anschläge haben Auswirkungen auf unser Thema: Auswirkungen auf den Fortgang von Abrüstung und Rüstungskontrolle, Auswirkungen vor allem aber aufgrund der Konsequenzen, die die Vereinigten Staaten aus den Terroranschlägen gerade für ihr Land gezogen haben. Sie haben sich von der Überzeugung leiten lassen, dass die Herstellung von Sicherheit vor Terrorismus eine gemeinsame Aufgabe der Staatenwelt ist, dass Erfolge nicht durch unilaterale Maßnahmen, vielmehr am ehesten im Zusammenwirken aller Staaten erzielt werden könne. ({0}) Das Zusammenschmieden dieser großen Antiterrorkoalition ist der Ausdruck eines neuen Engagements für eine multilaterale Sicherheitspolitik. Kollektive Sicherheitsanstrengungen und vertragliche Vereinbarungen zur Reduzierung von Bedrohungen waren und bleiben politische Ansätze der Rüstungskontrolle. Gerade diese Ansätze sind aber in den letzten Jahren zunehmend infrage gestellt und zugunsten einseitiger Sicherheitsmaßnahmen ausgehöhlt worden. Eine einseitige Kündigung des ABMVertrages und eine einseitige Stationierung von Raketenabwehrsystemen hätten Rüstungskontrollbemühungen im Bereich der strategischen Rüstung die Basis entzogen. Dazu ist es Gott sei dank bislang nicht gekommen. Es gibt Grund zur Hoffnung, dass es künftig nicht nur bei der Bekämpfung des Terrorismus, sondern auch bei der Frage der Raketenabwehr zu Vereinbarungen und Regelungen kommt, die die Interessenslagen der Nuklearmächte und aller anderen Staaten berücksichtigen, die sich potenziell einer Bedrohung durch Raketen ausgesetzt sehen. Unser Interesse besteht nach wie vor darin, die Proliferation von Massenvernichtungswaffen und deren Trägersystemen durch internationale verifizierbare Übereinkommen zu verhindern. ({1}) Es gibt berechtigten Anlass zu der Erwartung, dass dies nun auch im Interesse der USA, Russlands und Chinas liegt und von ihnen mitgetragen wird. Präsident Putin hat ja gerade an diesem Ort seine Bereitschaft zu einer Stabilitätskoalition erklärt. Auch Indien und Pakistan gehören in eine solche Koalition. Die neuen Umstände müssen jetzt genutzt werden, um die bisherige Stagnation bei den Verhandlungen über nukleare Abrüstung und der Durchsetzung eines umfassenden nuklearen Teststoppvertrages zu überwinden. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, bei der Weiterentwicklung von Raketentechnologie tätig zu werden. Als ein Beispiel nenne ich den Umgang mit Nordkorea. Wir begrüßen es, dass Präsident Bush den Dialog mit diesem Land wieder aufgenommen hat. Wir sehen reale Chancen, dass durch ein Zusammenwirken der Staaten der ganzen Region - Südkorea, Japan, China -, aber auch der Europäischen Union Bedingungen zur Beendigung der Raketenproliferation aufgestellt und ein andauernder Stopp der Entwicklung weit reichender Raketen erreicht werden können. Ein zweiter Ansatz besteht darin, die MTCR-Verhandlungen, die die Verbreitung von Risikotechnologie unter internationale Kontrolle bringen sollen, wieder zu intensivieren. Diese Verhandlungen waren in letzter Zeit festgefahren und das Interesse daran, sie erfolgreich abzuschließen, war zunehmend geschwunden. Jetzt gibt es neue Gründe für neue Anstrengungen, bei denen auch Staaten wie der Iran mit einbezogen werden sollten. Auch die Frage, wie waffentaugliches Plutonium aus abgerüsteten Kernsprengköpfen sicher entsorgt wird, muss auf die Tagesordnung. Es ist ein prioritäres Interesse aller Staaten, dass dieses Plutonium nicht in irgendwelche falschen Hände gerät. Für meine Fraktion ist die Frage, wie das Plutonium entsorgt wird und welche Technologie damit verbunden ist, sekundär. Primär ist, dass das Plutonium für seinen weiteren Einsatz als Waffe unbrauchbar gemacht wird. Auffassungsunterschiede über die zu verwendende Technik und Finanzen waren aber gerade die Gründe, die dieses wichtige Thema international auf Eis gelegt haben. ({2}) Angesichts der dringenden Frage der Terrorismusbekämpfung können wir uns eine derartige Vernachlässigung nicht mehr leisten. Aber wir können sie uns auch aus Abrüstungsgründen nicht leisten. Wer nämlich möchte, dass künftig noch mehr Atomwaffen verschrottet werden, der muss auch eine Antwort auf die Frage geben, was aus dem dadurch frei werdenden Plutonium und dem hoch angereicherten Uran in den Atomsprengköpfen werden soll. Ohne eine solche Antwort wäre eine weitere Atomabrüstung nur schwer verantwortbar. Denn sie würde das Risiko, dass sich gerade die Falschen dieses Materials bemächtigen, mit jedem weiteren Abrüstungsschritt steigern. Was multilaterale Rüstungskontrolle für den Aufbau der Sicherheit zu leisten vermag, zeigt in meinen Augen auf besondere Weise der „Eckstein der europäischen Sicherheit“, wie ihn der Abrüstungsbericht bezeichnet, nämlich der KSE-Vertrag. Der im November 1990 geschlossene Vertrag hat dafür gesorgt, dass über 50 000 schwere konventionelle Waffen abgerüstet worden sind. Durch ihn wurde die Fähigkeit zu Überraschungsangriffen und zur Einleitung groß angelegter militärischer Offensiven in Europa vollständig beseitigt. Keine noch so große einseitige militärische Maßnahme Deutschlands oder der NATO hätte eine derart durchgreifende Verbesserung unserer Sicherheit erzielen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist doch der Erfahrungshintergrund dafür, dass wir auch in anderen Bereichen der militärischen Sicherheit so beharrlich an der Rüstungskontrolle und den Abrüstungsregimen festhalten. Allerdings gibt es auch beim KSE-Vertrag noch Defizite. Russland ist wegen Tschetschenien seinen KSEVerpflichtungen immer noch nicht ausreichend nachgekommen. Deshalb appellieren wir an die Bundesregierung, weiterhin auf unseren russischen Partner einzuwirken, damit die Bedingungen für die Ratifizierung des angepassten KSE-Vertrages sobald wie möglich erfüllt werden. ({3}) Zum Schluss möchte ich noch auf das Thema Minen eingehen, das bereits bei der gestrigen Debatte eine Rolle gespielt hat. Es gibt Vorschläge, das Ottawa-Übereinkommen zu einem Verbot von Antipersonenminen auszuweiten und auch ein Verbot von Antipanzerminen in den Vertrag aufzunehmen. ({4}) Dazu ist ja gestern der Antrag der FDP diskutiert worden. Aus meiner Sicht wäre eine solche Vorgehensweise dann zweckmäßig, wenn die Ziele des Ottawa-Vertrages, bei denen es ausschließlich um Antipersonenminen geht, bereits erreicht wären. Das ist leider längst nicht der Fall. Die größte Schwäche des Ottawa-Abkommens besteht nämlich darin, dass die wichtigsten Länder, die Produzenten und Exporteure sind, nämlich Russland, China, Pakistan, Indien und auch die USA, dem Übereinkommen nicht beigetreten sind. Darüber hinaus hat das Übereinkommen in den realen Krisenregionen dieser Welt bisher noch keine sehr nachhaltigen Wirkungen erzielt. In allen Krisengebieten - ob in Jugoslawien, Mazedonien, Kaschmir oder jetzt in Pakistan und Afghanistan - wurden und werden weiterhin Minen gelegt. Das Ottawa-Abkommen hat daran nichts ändern können. ({5}) Aus diesem Blickwinkel erscheint es wenig erfolgversprechend, die Thematik auszuweiten, solange der erste Schritt, nämlich die Ächtung der Antipersonenminen, noch nicht zufrieden stellend vollzogen ist. Deshalb drängen wir die Bundesregierung, sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln für die Universalität des OttawaAbkommens einzusetzen ({6}) und sich mit eigenen Beiträgen weiterhin an der Minenräumung zu beteiligen. Auch unser Unterausschuss wird sich mit dieser Thematik weiterhin befassen. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, bei aller Dramatik der gegenwärtigen Entwicklungen müssen wir verstärkt an unserem Thema Abrüstung und Rüstungskontrolle arbeiten. Jetzt müssen und werden wir auf die neuen Anforderungen reagieren. Aufgrund der neuen internationalen Zusammenarbeit gegen Terrorismus ist nun eine neue Chance gegeben, wieder in Gespräche zu kommen. Diese neuen internationalen Konstellationen bieten uns auch Chancen für Abrüstung. Lassen Sie uns bitte gemeinsam diese Chancen nutzen! ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ruprecht Polenz.

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich bei der Debatte um den Jahresabrüstungsbericht aus dem aktuellen Anlass des 11. September ebenfalls auf die Gefahren der Proliferation, also der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, konzentrieren. Hier müssen wir unsere Anstrengungen verstärken; dieses Thema hat seit dem 11. September eine größere Dringlichkeit bekommen. ({0}) Es geht nicht nur um die Gefahr der Verbreitung dieser Systeme an Staaten, sondern auch um die Gefahr einer Verbreitung an Terroristen. Wir müssen deshalb mehr dafür aufwenden; ich füge gleich hinzu: auch mehr Geld. Das wird uns nur gelingen, wenn wir das öffentliche Bewusstsein für diese neue Dringlichkeit nutzen. ({1}) Die Debatte heute findet aber als eine Art Nischendebatte statt. ({2}) Wir müssen diese Debatte aus der Expertendiskussion herausholen - wir sollten gemeinsam überlegen, wie uns das gelingen kann -, damit die Grundlagen dieser Debatte auch für eine breitere Öffentlichkeit nachvollziehbar werden. ({3}) Ich wäre froh, wenn die Bundesregierung Vorschläge dazu vorlegen könnte. Wir werden die notwendige Verschiebung von Prioritäten mit den entsprechenden finanziellen Konsequenzen nicht ohne Rückhalt in der Öffentlichkeit erreichen. Herr Minister, wir werden deshalb weniger Geld für andere Dinge zur Verfügung haben. Wir werden nicht einfach die Steuern erhöhen können, wie Sie es in Ihrem gestrigen Beitrag angekündigt haben und wie die Bundesregierung es bei den ersten Maßnahmen zur Terrorbekämpfung mit der Tabaksteuer gemacht hat. ({4}) Meine Damen und Herren, der 11. September hat gezeigt, dass wir die Proliferationsgefahren noch ernster als bisher nehmen müssen. Ein besonderes Risiko bei der Weiterverbreitung sind die Bestände der ehemaligen Sowjetunion. Hier geht es zum einen - das sagt auch der Jahresabrüstungsbericht - um die Beseitigung von chemischen Waffen, zum anderen um die Beschäftigung von Wissenschaftlern aus den GUS-Staaten, ({5}) die in ehemals sensiblen militärischen Forschungs- und Entwicklungsbereichen tätig waren. Die Programme beschäftigen insgesamt 36 700 Wissenschaftler. Die Hauptfinanzlast dieser Programme tragen die USA; die Europäer tragen einen kleinen Bruchteil und wir sind daran kaum beteiligt. Die Programme zur Beschäftigung dieser Wissenschaftler sind außerordentlich wichtig, denn es gibt, wie wir wissen, Versuche zu ihrer Anwerbung aus Staaten wie dem Irak, dem Iran oder Pakistan. Wir müssen uns, wenn die Programme ausgelaufen sein werden, hier stärker engagieren und dafür mehr Mittel bereitstellen, auch weil noch nicht alle Wissenschaftler erfasst sind. Das gilt nach meiner festen Überzeugung auch für die Beseitigung von chemischen Waffen der ehemaligen Sowjetunion. Hier gewähren wir technische Unterstützung bei der Planung und Errichtung einer Pilotanlage zur Vernichtung chemischer Kampfstoffe in Gornyj. Das Ziel ist, dass Russland mit der Vernichtung im Jahre 2002 beginnt, damit seine Verpflichtungen aus dem Chemiewaffenüberprüfungsabkommen bis zum Jahre 2007 erfüllt sein werden. Aber auch hier, meine Damen und Herren, könnten und sollten wir mehr tun; je eher diese Waffen vernichtet sein werden, desto besser. Solange sie noch existieren, können sie auch in falsche Hände geraten. ({6}) Jetzt komme ich zum Geld in diesem Zusammenhang. Insgesamt gaben wir als Bundesrepublik Deutschland zur vorbeugenden Bekämpfung der Proliferationsgefahren auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und zur Abrüstungszusammenarbeit mit Russland und der Ukraine im Jahre 2000 ganze 15 Millionen DM aus. Das ist weniger, als dem Fußballer Sebastian Deisler als Anzahlung für seinen bevorstehenden Wechsel von Hertha BSC zu Bayern München gezahlt worden ist. ({7}) Zum Vergleich: Die USA geben für diesen Zweck seit 1992 jedes Jahr 1 Milliarde US-Dollar aus dem Nunn-Lugar-Funds aus, an dem auch die Briten und die Franzosen beteiligt sind. Sie sehen an diesen Zahlen: Die USA, aber auch Großbritannien und Frankreich nehmen das Proliferationsrisiko in diesem Fall wesentlich ernster als wir. Es ist höchste Zeit, dass wir das ändern. Darüber hinaus gibt es ein besonderes Proliferationsrisiko, nämlich das waffenfähige Plutonium in der ehePetra Ernstberger maligen Sowjetunion betreffend. Die Vernichtung dieses Plutoniums ist eines der größten abrüstungspolitischen Probleme, die der Kalte Krieg hinterlassen hat. Ein amerikanisch-russisches Abkommen in diesem Zusammenhang sieht nun vor, zunächst insgesamt 34 Tonnen des Plutoniums auf beiden Seiten zu entsorgen, also einschließlich des Anteils, den die USA haben. Wir wissen: Das ist nur ein Anfang. Die Bestände sind etwa dreimal so groß. Jedes Jahr sollen 2 Tonnen entsorgt werden. Man will spätestens am 31. Dezember 2007 beginnen, wenn möglich noch früher, und hat vereinbart, dass das entsorgte Plutonium nicht mehr für Waffenzwecke verwendet werden darf. Die Sache eilt, das wissen wir, denn das Plutonium ist in Russland - ich will es mal so ausdrücken - in zweifelhaftem Gewahrsam. Es ist nicht auszudenken, was passieren würde, wenn davon etwas in terroristische Hände fiele. Angesichts der dringend gebotenen abrüstungspolitischen Hilfe für Russland stolpert die Bundesregierung über die ideologischen Hürden ihrer Kernenergiepolitik. ({8}) Frau Ernstberger hat gerade selber darauf hingewiesen, dass das Projekt droht, auf Eis gelegt zu werden. Wie sieht die Situation konkret aus? Russland will waffenfähiges Plutonium vernichten, sieht das Plutonium jedoch als einen energiehaltigen Wertstoff, will es also durch Umwandlung in Mischoxidbrennelemente verarbeiten und damit Strom erzeugen, auch durch den Export an Kernkraftbetreiber im Westen. Die sollen die Brennelemente kaufen und später gegen Bezahlung wieder nach Russland schaffen. Die Russen könnten so die Vernichtung des Plutoniums bezahlen, die Kernkraftbetreiber bekämen ihren Brennstoff etwas billiger, weil die Investitionskosten vom westlichen Steuerzahler aufgebracht werden und nicht voll in die Preise eingehen. Die USA, Großbritannien, Frankreich und Japan, die das Umwandlungsprogramm mitfinanzieren, haben dagegen keine Bedenken. Nur die rot-grüne Bundesregierung hat energiepolitische Bauchschmerzen. Die werden nun dadurch verstärkt, Herr Minister, dass für die Umwandlung des Plutoniums die Hanauer Brennelementefabrik von Siemens gebraucht wird, weil sonst alles viel teurer würde oder weitere Verzögerungen eintreten würden. Gebraucht wird also die Anlage, die Minister Fischer als hessischer Umweltminister einst stillgelegt hat. ({9}) Es ist ein Eiertanz, es sind halbherzige Lösungen, die die Regierung hier vollzieht. Die Politik ist mehr an den grünen Scheuklappen orientiert als an der Notwendigkeit, Proliferationsgefahren umfassend und schnellstmöglich zu beseitigen. ({10}) - Sie kommen gleich noch dran, Herr Minister! Wie soll nun die Lösung aussehen? Zur Beruhigung der grünen Basis hat der Wirtschaftsminister festgestellt, der Export der Hanauer Anlage sei zwar genehmigungspflichtig, aber bedauerlicherweise bestehe ein Rechtsanspruch auf Genehmigung. Keinesfalls werde man aber diesen Export mit einer Hermesbürgschaft absichern. ({11}) Damit erklärt die rot-grüne Bundesregierung die abrüstungspolitisch höchst erwünschte Verwendung der Hanauer Anlage gleichsam zur Privatsache der Firma Siemens. Sie nimmt möglicherweise eine erhebliche Verzögerung, vielleicht sogar ein Scheitern des gesamten Projektes in Kauf, einschließlich einer Brüskierung unserer Partner in der G 8, die an dem Projekt beteiligt sind. Auf der anderen Seite möchte man sich aber doch beteiligen, weil man der grünen Basis auch abrüstungspolitisch etwas vorweisen möchte. Hier gibt es 100 Millionen DM von der EU, und Sie, Herr Außenminister, haben für Deutschland einen signifikanten Beitrag in Aussicht gestellt, Bedingung allerdings: nicht für die Herstellung von MOX-Brennstäben, stattdessen für eine Immobilisierung durch Verglasung oder Keramisierung. Jetzt kommt der Punkt: Weil Russland das Plutonium wiederverwerten will, wird für diese Immobilisierung nur Atommüll zur Verfügung gestellt, der mit Plutonium verseucht ist, also plutoniumhaltige Schlämme. Damit ist der deutsche Beitrag, der hier in Aussicht gestellt wird, eher ein Beitrag zum Umweltschutz als zur Abrüstung. Deshalb sollte dieser Beitrag im Haushalt von Minister Trittin statt unter „Abrüstungshilfe“, Herr Außenminister, etatisiert werden. Trotz dieser Klimmzüge ist Rot-Grün hier nicht aus dem Schneider, meine Damen und Herren. Die 4 Tonnen Plutonium pro Jahr, die über die MOX-Brennstäbe weggeschafft werden sollen, lassen sich nämlich ohne deutsche Kernkraftwerke nicht verbrennen. Dazu wären die deutschen Betreiber wohl auch bereit. Nach Auskunft der Kernkraftwerksbetreiber in Deutschland ist bis zum Ablauf der Restlaufzeiten noch Platz für 14 Tonnen Plutonium. Washington und Moskau drängen auf Klarheit, ob die Bundesregierung dazu die Genehmigung erteilt. Sie werden also noch vor der Bundestagswahl Farbe bekennen müssen, Herr Lippelt. ({12}) Lassen Sie mich zum KSE-Vertrag kommen. Der angepasste KSE-Vertrag konnte - Frau Ernstberger hat darauf hingewiesen - auch im Jahre 2000 nicht in Kraft treten, da die Bedingungen für die Ratifikation unverändert nicht gegeben sind. Das Problem ist: Russland erfüllt die neu vereinbarten Flankenobergrenzen in Tschetschenien nicht. Es bleibt eine Kernforderung an Russland auch im Jahre 2001, wie es im Jahresabrüstungsbericht heißt, dies zu ändern. Nun war Herr Putin zu Besuch in Berlin, und wir sollten das gute Klima nutzen, um erneut darauf hinzuwirken. Das Hindernis: Russland überschreitet im Zusammenhang mit dem Tschetschenien-Konflikt die regionalen Flankenobergrenzen. In diesem Zusammenhang möchte ich doch darauf hinweisen: Es gibt keinen Anlass für eine so genannte „differenzierte Bewertung“ des russischen Vorgehens in Tschetschenien, wie der Bundeskanzler meint. ({13}) Wir haben das russische Vorgehen immer differenziert bewertet. Wir haben das Recht Russlands anerkannt, gegen Terrorismus vorzugehen, und das Recht Russlands auf territoriale Integrität. Aber es gibt kein Recht Russlands, dabei in schwer wiegender Weise die Menschenrechte zu verletzen. ({14}) Es gibt Berichte von Menschenrechtsorganisationen über Folter, über Vergewaltigungen, über entwürdigende Behandlung von Gefangenen und über Repressalien gegen die Zivilbevölkerung. Hier ist keine „differenzierte“, sondern weiterhin eine klare Bewertung angebracht. ({15}) Lassen Sie mich ein Wort zum Raketenabwehrsystem und zum ABM-Vertrag sagen. Ungeachtet der präventiv angelegten Nichtverbreitungs- und Rüstungskontrollregime gibt es weiterhin eine Besorgnis erregende weltweite Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und Trägersystemen, und bei den Staaten oder internationalen Akteuren, die heute oder künftig in Besitz von Massenvernichtungswaffen sind, wird das Prinzip der Abschreckung durch gegenseitige gesicherte Vergeltung nicht mehr aufrechtzuerhalten sein, das zur Zeit des Kalten Krieges den Einsatz dieser Waffen verhinderte. Mit den amerikanischen Plänen zur Schaffung einer Raketenabwehr zeichnet sich die Möglichkeit ab, die militärische Abschreckung und Prävention durch eine Verteidigung gegen Raketenangriffe zu ergänzen. Es ist deshalb auch moralisch geboten, zu prüfen, inwieweit durch Raketenabwehr die Chance besteht, die Abhängigkeit von Offensivwaffen durch eine gemeinsame Abhängigkeit von Defensivwaffen zu reduzieren und damit eine umfassende Abrüstung auf wenige hundert Nuklearsysteme zu ermöglichen. Gegen die Entwicklung eines solchen Systems zur Raketenabwehr spricht nicht, dass auch damit die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon nicht hätten verhindert werden können, genauso wenig, wie es gegen Anstrengungen zur Rüstungskontrolle und Abrüstung spricht, dass weder Teppichmesser noch Passagiermaschinen jemals in Abrüstungsvereinbarungen aufgenommen werden. Wir brauchen einen umfassenden Ansatz unserer Außen- und Sicherheitspolitik: Verteidigungspolitik, Abrüstung, Rüstungskontrolle, Nonproliferation, Krisenprävention und Terrorbekämpfung. Bei der Krisenprävention und Terrorbekämpfung hat auch die Entwicklungszusammenarbeit einen besonderen Stellenwert. Hier gibt es zwar keinen unmittelbaren, aber einen mittelbaren Zusammenhang; denn Armut ist der Nährboden für den Terrorismus. Armut, Verzweiflung und Perspektivlosigkeit sind auch ein Grund dafür, dass viele die reichen Länder hassen. Dieser Hass macht anfällig dafür, sich von Ideologen und Volksverhetzern einspannen zu lassen. Es war deshalb falsch, dass die Bundesregierung ihre Mittel zur Armutsbekämpfung gekürzt hat. ({16}) Es war auch falsch, dass die Bundesregierung in den vergangenen Jahren Botschaften, Konsulate und Goethe-Institute geschlossen hat; ({17}) denn wir müssen unsere Anstrengungen verstärken, Demokratie, Freiheit und Achtung der Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit weltweit zu etablieren. Es ist falsch, dass die Bundesregierung die Mittel für die politischen Stiftungen kürzt, die in vielen Ländern gerade in diese Richtung besonders erfolgreich arbeiten. ({18}) Es ist außerdem falsch, dass die Bundesregierung die Mittel für die deutschen Schulen im Ausland kürzt; denn in diese Schulen gehen ja nicht nur die Kinder der deutschen Diplomaten, sondern auch die Kinder vieler Einheimischer, die später zu den Eliten ihrer Länder gehören. Wir vergeben durch die Kürzung der Mittel für deutsche Schulen im Ausland die Chance, dass diese Kinder auch zu demokratischen Werten erzogen werden. Es ist deshalb doppelt falsch, dass die Bundesregierung die Mittel für Bildung in der Entwicklungszusammenarbeit im Haushaltsentwurf 2002 um 60 Millionen Euro kürzt. ({19}) Mit diesen Bildungsmitteln wird vielen Kindern und Jugendlichen ein Schulbesuch überhaupt erst ermöglicht. Damit wird der Anfälligkeit für die Ideen von Terroristen entgegengewirkt. Kurz gesagt: Es ist falsch - gerade auch angesichts der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus -, dass die Bundesregierung die Entwicklungshilfe im Haushalt 2002 um 5,3 Prozent herunterkürzt. ({20}) Sie hat jetzt nur noch einen Anteil von 0,2 Prozent am Bruttosozialprodukt. Wir sind weit von dem Ziel entfernt, 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe auszugeben. Wir hatten im Frühjahr eine gemeinsame Anhörung des Finanz-, des Auswärtigen und des AWZ-Ausschusses mit dem Präsidenten des Internationalen Währungsfonds, Horst Köhler. Er hat uns dazu aufgefordert, dieses 0,7-Prozent-Ziel in zehn Jahren zu erreichen und uns dazu gesetzlich zu verpflichten. Ich fordere die Bundesregierung auf, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzuleRuprecht Polenz gen und die mittelfristige Finanzplanung des Bundesfinanzministers entsprechend zu korrigieren. ({21}) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Wir haben keine Alternative zum jetzigen Vorgehen gegen die Terroristen und diejenigen, die sie unterstützen und ihnen Unterschlupf gewähren. Das schließt auch militärische Mittel ein. Aber die Anwendung von Gewalt, der trotz aller Vorsicht auch Unschuldige zum Opfer fallen können, bleibt ein Übel, auch wenn sie in bestimmten Situationen unvermeidbar ist. Umso dringender ist die Aufgabe, alles zu tun, um solche Dilemmasituationen in Zukunft möglichst zu vermeiden: durch Gewaltprävention, Nonprofileration, Abrüstung, Rüstungskontrolle und Verstärkung der Entwicklungszusammenarbeit. Das Recht, jetzt so zu handeln, macht es erforderlich, dass die anderen Maßnahmen der Gewaltprävention folgen. Vielen Dank. ({22})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat die Abgeordnete Angelika Beer.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich teile die bisher geäußerte Einschätzung aller Rednerinnen und Redner, dass der 11. September eine große Auswirkung auf die Bedeutung unseres Unterausschusses haben wird, gerade wenn es um Fragen wie die Verhinderung der Proliferation von chemischen, biologischen und atomaren Stoffen geht. Da Bundesaußenminister Joschka Fischer gleich noch selber zu diesen Bereichen Stellung nehmen wird, möchte ich in der kurzen Zeit auf zwei Aspekte zu sprechen kommen, die wir unter abrüstungspolitischem Blickwinkel nicht vergessen dürfen, weil sie auch wichtige humanitäre Fragen berühren. Diese betreffen die Landminen und Kleinwaffen und sind für die Zivilbevölkerung und für die Entwicklung der Gesellschaft der auch heute genannten Regionen wie zum Beispiel Afghanistan von wesentlicher Bedeutung. Landminen und Kleinwaffen sind zentrale Themen in der Abrüstungspolitik unserer Bundesregierung. Die Bundesregierung versucht aktiv, die jeweiligen Ansätze in Zusammenarbeit mit den Partnerländern der Europäischen Union und womöglich im Rahmen anderer internationaler Organisationen weiter zu entwickeln. Wenn ich heute das Thema Landminen anspreche, so nehme ich auch Bezug auf ein Forum, das gestern Abend stattgefunden hat, nämlich auf das Lew-Kopelew-Forum zur Problematik Landminen und Afghanistan. In Afghanistan ist seit Jahren Krieg. Nur 25 Prozent der Landesfläche sind noch nutzbar, also nicht vermint. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig - darüber gibt es keinen Streit -, die Universalisierung des Ottawa-Abkommens weiter zu betreiben. Universalisierung meint, dass die Ächtung der Antipersonenminen, die auf Druck der internationalen Kampagne durchgesetzt werden konnte, erst dann wirklich wirksam sein wird, wenn wichtige Staaten wie Russland, China oder die USA hier aktive Unterstützung bieten. Spätestens seit gestern Abend, seit dem Vortrag des Vertreters von Medico International, wissen wir aber auch, dass seit der Ächtung von Antipersonenminen in diesen Regionen vermehrt Antipanzerminen mit einem so genannten Aufhebeschutz verwendet und ausgelegt werden. Wieder sind Zivilisten die Opfer, weil eine Antipanzermine nicht zwischen einen Minenräumer und einem Gegner, nicht zwischen einem Panzer, einem Schulbus und anderen zivilen Fahrzeugen unterscheiden kann. So sehr ich dieses Ottawa-Abkommen und die Versuche, die anderen Staaten zu überzeugen, dass diese Abrüstungsinitiative der richtige Schritt ist, begrüße, so bin ich doch sicher, dass wir den Aspekt der Ächtung der Antipanzerminen nicht vernachlässigen dürfen. Ich glaube, es stünde uns gut an, gerade in dieser Zeit parallel eine Initiative zu untenehmen und zusammen mit anderen Staaten, wie zum Beispiel mit Italien, dafür zu werben, dass auch die Antipanzerminen ohne Aufhebeschutz geächtet gehören, eben weil sie eine undifferenzierte Waffe sind, die sich gegen alle richtet.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nolting?

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, natürlich.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Beer, es liegt hierzu ja ein entsprechender Antrag der FDP-Fraktion vor, der gestern eingebracht wurde. Wird die Koalition und werden speziell Sie diesem Antrag zustimmen? ({0})

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Nolting, dieser Antrag ist wie jede Initiative zu begrüßen. Es auch zu begrüßen, dass die FDP den Stand, den wir im Rahmen der internationalen Verhandlungen durchgesetzt haben, durch den Bundestag gerne festschreiben möchte. Das wird die Bundesregierung nicht stören und uns erst recht nicht. Es stellt sich hier aber die Frage, ob wir im Rahmen unserer humanitären Aufgaben jetzt nicht einen Schritt weiter gehen sollten. Wir sollten prüfen, ob Bereitschaft vorhanden ist, jene Minen, die wie die Antipanzerminen unterschiedslos wirken, ebenfalls perspektivisch zu ächten. Deswegen werden wir hier im Parlament gründlich beraten und dabei möglicherweise etwas weiter gehen als Sie in Ihrer Initiative. Ich glaube, das ist die humanitäre Verantwortung, der wir uns nicht nur als Politiker und Regierung zu stellen haben. Dazu haben wir uns auch im Koalitionsvertrag verpflichtet. ({0}) Deswegen, Herr Kollege Nolting, werden wir auch eigene Vorschläge unterbreiten. ({1}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass Sie das alles als illusorisch bezeichnen. ({2}) Als ehemalige Koordinatorin der internationalen Kampagne gegen Landminen für Medico International möchte ich hier kurz Folgendes berichten: Als ich anfing, mit den Verteidigungsministerien der europäischen Staaten zu beraten, unsere Kampagne vorstellte und fragte: „Was halten Sie davon?“, war ich spätestens nach fünf Minuten mit dem Kommentar wieder vor der Tür, das sei vollkommen illusorisch, sie bräuchten diese Antipersonenminen. Letzten Endes erhielt diese Kampagne den internationalen Friedenspreis. Das Ergebnis ist Ottawa I. Deswegen sind wir hoffungsvoll, dass wir zusammen mit den Hilfsorganisationen - das sind die Experten in diesem Bereich - einen Schritt weiterkommen hin zu Ottawa II, hin zur Ächtung aller Landminen. Lassen Sie mich zum Schluss noch eine nachdenkliche Anmerkung machen. Wenn es stimmt, dass jetzt auch im Rahmen der von uns mitgetragenen militärischen Einsätze gegen Terrorzentralen in Afghanistan Streubomben und Bomben, die Antipersonenminen beinhalten, abgeworfen werden, dann müssen wir überlegen, ob das der richtige Weg ist. ({3}) Ich habe da große Zweifel; denn wir wissen: Auch wenn Kriege beendet sind, bleiben Minen scharf. Sie bleiben scharf, bis ein Zivilist, ein Flüchtling, der Nahrung sucht, auf sie tritt und damit zu einem weiteren Opfer eines beendeten Krieges wird. Darüber sachlich zu diskutieren und Auswege zu suchen ist unser aller Verantwortung. Vielen Dank. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hildebrecht Braun.

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dies ist also die große Abrüstungsdebatte des Deutschen Bundestages im Jahr 2001, die Debatte im Parlament eines der wichtigsten Staaten dieser Welt, eines Staates, der wie kein anderer zur Abrüstung und zum Frieden beitragen könnte; denn er hat schon lange freiwillig auf den Besitz von Atomwaffen sowie von biologischen und chemischen Waffen verzichtet. Er hat schon lange Obergrenzen seiner Streitkräfte akzeptiert und seit Jahren eine sehr zurückhaltende Rüstungsexportpolitik betrieben. ({0}) Abrüstung und die Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen sind eigentlich zentrale Themen unserer Zeit. Nur, die Bundesregierung zeigt ihr besonderes Interesse in der besonderen Art: Der Verteidigungsminister schickt noch nicht einmal seinen Staatssekretär. Die Entwicklungsministerin glänzt durch Abwesenheit, als hätte dieses Thema mit den Lebenschancen der Menschen in den Entwicklungsländern schlicht gar nichts zu tun. ({1}) Der Wirtschaftsminister weiß wahrscheinlich gar nicht, dass sein Ressort für Rüstungsexporte primär zuständig ist. Der Staatssekretär für Verbraucherfragen unterhält den gelangweilten Außenminister während der Hälfte der Debatte. Das ist unsere große Abrüstungsdebatte - tolle Sache! ({2}) Dabei hätten wir bei einer der zentralen Schicksalsfragen der Menschheit durch unsere politische und wirtschaftliche Bedeutung, aber eben auch durch die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten betriebene Politik besonderen Einfluss, wenn wir ihn nur geltend machten. Wir alle wissen, dass unser Partner, die USA, sich bei der Abrüstung besonders schwer tut. Atomteststoppvertrag, National Missile Defense, Ottawa-Abkommen über die Ächtung von Minen, Bedenken gegen den ABM-Vertrag - wo man hinschaut, sitzen die USA im Bremserhäuschen. Abrüstung ist in den USA wenig populär. ({3}) Hier hätte ein selbstbewusster Partner, der den USA aus gutem Grunde solidarisch beistand und beisteht, wenn es darauf ankommt, großen Einfluss. Nur, wird er genutzt von denjenigen, die unser Land in der internationalen Politik vertreten? Eines der wichtigsten Themen gerade in unserer Zeit muss sein, mit allen Mitteln zu verhindern, dass Atombomben in die Hände von Terroristen oder auch von Staaten wie dem Irak, dem Iran oder Libyen geraten. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn die Attentäter des 11. September 2001 Atombomben in ihrer Verfügungsgewalt gehabt und an Bord der Flugzeuge gebracht hätten. Wir würden von New York nur noch in der Vergangenheitsform sprechen können. Es glaube doch keiner, dass Attentäter, die ihr eigenes Leben und das von Hunderten von mitfliegenden Menschen und Tausenden von völlig unbeteiligten friedlichen Bürgern riskieren, auf den Einsatz von Massenvernichtungswaffen verzichten würden, wenn diese nur ihrem Ziel des Kampfes gegen die Amerikaner, gegen den Kapitalismus, gegen den Westen, gegen die Demokratie, gegen das Christentum oder gegen die Ungläubigen dienen könnten. Mehr als 15 000 Atomsprengköpfe mit mehr als 50 Tonnen waffenfähigem Plutonium lagern in Russland. Keiner von uns weiß, ob diese Plutoniummengen wirklich sicher bewacht und kontrolliert werden. Wir wissen aber, dass Russland den größten Teil davon gerne loswerden und für die friedliche Atomenergie nutzen will. Wie Herr Polenz vorhin schon sagte: Amerika, England, Frankreich und Japan wollten sich an dem Programm beteiligen, nur die Bundesregierung ging und geht davon aus, es sei wichtiger, dass bestehende russische Atomkraftwerke nicht zusätzliche Brennstoffe erhalten, als dass vagabundierende Atombomben von ihrer Gefährlichkeit befreit werden. ({4}) Die Bundesregierung weigert sich, Russland auf seinem Weg zur Konversion von Waffen in friedliche Energie beizustehen, und besteht darauf, dass Plutonium, welches für Russland von größtem wirtschaftlichem Wert sein kann, verglast und dann immobilisiert werden soll. Dass dieses Glas auch wieder aufgebrochen werden kann, sodass man letztlich wieder an das Plutonium herankommt, wurde als nicht so wesentlich angesehen. Statt den Export der Nukem-Fabrik ({5}) zur Umwandlung von Waffenplutonium in MOX-Brennelemente zu fördern, gibt man sich distanziert und im Grunde abweisend. Kann es denn richtig sein, wenn diese Regierung mit dem Blick auf grüne Wähler, denen der Ausstieg aus der Kernenergie versprochen wurde, die Augen vor den großen Nöten dieser Welt verschließt, ({6}) die sehr viel mehr mit der Gefahr der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen als mit dem Abschalten sicherer deutscher Atomkraftwerke zu tun haben? ({7}) In der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit will ich noch auf ein Thema zu sprechen kommen. Wir sprechen heute über Abrüstung. Über Jahre und Jahrzehnte wurde jeweils der Gegner des Gegners aufgerüstet. Nicht zuletzt die USA haben die Taliban mit Boden-Luft-Raketen ausgestattet, als diese noch gegen die Sowjets kämpften. Jetzt richten sich diese Raketen gegen die eigenen Flugzeuge. Diese Beobachtung sollte all denen die Augen öffnen, die allzu leichtfertig Waffen an Streitparteien liefern, deren Verlässlichkeit alles andere als gesichert ist. ({8}) Wenn jetzt die Nordallianz mit Waffen vollgepumpt wird, ohne dass eine Absicherung über die Rückgabe oder die Vernichtung der Waffen nach einem eventuellen Sieg über die Taliban gewährleistet ist, dann sät man damit bereits wieder für den nächsten Krieg mit einem noch unbekannten Gegner. Dass es bei der UCK gelang, 3 000 Waffen durch freiwillige Abgabe und weitere 3 000 Waffen bei illegalen Grenzübertritten einzusammeln und der Vernichtung zuzuführen, ist ein ermutigendes Zeichen. ({9}) Ähnliches muss aber mit der Nordallianz und allen möglichen ähnlichen Partnern der Zukunft vereinbart werden, wenn wir nicht gleich den nächsten Waffengang in Kauf nehmen wollen. Über die vordergründigen Interessen in einer momentanen Interessenkonstellation hinaus müssen auch immer die Wirkungen der Waffenlieferungen für die Zukunft beachtet werden. Vielen Dank. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Heidi Lippmann.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie alle haben darauf hingewiesen, dass wir nicht zur Tagesordnung übergehen können. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch noch einmal daran erinnern, dass die NATO genau heute vor einem Monat erstmals das In-Kraft-Treten des Art. 5 des NATOVertrages erklärt hat. Ich möchte auch daran erinnern, dass in den vergangenen Tagen der Bundeskanzler in Washington ganz im Gegensatz zu dem Tenor dieser Debatte, die wir führen, weitreichende Zusagen zur militärischen Unterstützung bei den Angriffen auf Afghanistan und eventuell weitere Staaten, die noch folgen werden, gemacht hat. Auch der Bundesverteidigungsminister ist mehr denn je davon entfernt, dem Thema Abrüstung auch nur eine nennenswerte Beachtung zu schenken. Sie sagten zu Recht: Wenn man auf die Regierungsbank schaut, sieht man, wer hier ist und wer nicht hier ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin sehr dankbar für die Besonnenheit, die wir in der jetzigen Debatte hatten; aber die haben wir als Abrüster immer schon gehabt. Ich wünschte mir - darin kann ich dem Kollegen Braun nur Recht geben -, dass wir nur ein Minimum an Aufmerksamkeit dessen bekämen, was den Aufrüstern und den Militärdiskutanten hier widerfährt. Wenn wir uns über Abrüstung unterhalten, können wir das nur unter den aktuellen Gesichtspunkten tun. Da möchte ich Ihnen widersprechen, Herr Kollege Polenz: Die aktuelle Debatte, die im Moment in den USA zur National Missile Defense geführt wird, ist sehr weit heruntergefahren worden. Denn dort sieht man ganz klar, dass Raketenabwehr die Anschläge vom 11. September eben nicht verhindert hätte. Deswegen ist im Moment dort niemand mehr ernsthaft in der Lage, dieses Programm voranzutreiben. Wir sind sehr dankbar dafür, weil wir - eigentlich fraktionsübergreifend - immer wieder gefordert haben, das nationale Raketenabwehrprogramm zu stoppen. Schauen wir uns die aktuellen Ängste in der Bevölkerung an, zum Beispiel angesichts der Milzbranderkrankungen in den USA, dann wird das bestätigt, was NATOGeneralsekretär Robertson vor zwei Tagen in Ottawa Hildebrecht Braun ({0}) gesagt hat: dass B-Waffen die „Atombomben des kleinen Mannes“ seien. Bei der NATO-Versammlung in Ottawa hat man sehr besonnen darüber diskutiert, wie Proliferation verhindert werden könnte, welche Auswirkungen nicht nur konventionelle Systeme, sondern natürlich auch A-, B- und C-Waffen haben. Wir können heute nur ahnen, wie viele Tonnen chemischer Kampfstoffe in den Lagern der GUS lagern. Wir können allenfalls erahnen, wie viele Tonnen den Weg hinaus in die seit kurzem wieder als „Schurkenstaaten“ bezeichneten Länder gefunden haben. Wir können nur erahnen, in welchem Ausmaß biologische Waffen vorhanden sind, nicht nur in Staaten, sondern auch bei terroristischen Gruppen oder bei Einzelpersonen. Wir wissen auch nicht erst seit dem 11. September 2001, dass es möglich ist, B-Waffen-Erreger mit Flugzeugen, die normalerweise Pestizide versprühen, zu verteilen, sondern das wussten wir schon früher, weil es die USA in Kolumbien vorgeführt haben, indem sie Kokafelder mit „Agent Green“ besprüht haben. Doch darüber, wie wir aus dieser Spirale herauskommen, sollten wir nicht nur gemeinsam in diesem Kreis nachdenken, sondern darüber hinaus. Wir sollten vor allen Dingen über die Relation zwischen Aufrüstung und Abrüstung massiv nachdenken. Ich als Raucherin wäre persönlich gerne bereit, eine Mark mehr zu bezahlen, wenn ich wüsste, dass die 1,5 Milliarden DM, die Herr Scharping jetzt bekommt, in den Bereich der Abrüstung und nicht in den Bereich der Aufrüstung investiert würden. ({1}) Wenn Länder wie die USA nicht bereit sind, den Atomteststoppvertrag zu ratifizieren, dann hat das natürlich eine Wirkung, ebenso, wenn Sie nicht bereit sind, ihre Chemieproduktion für unabhängige Kontrollorgane zu öffnen. Wenn wir es schaffen, Abrüstung in eine nennenswerte Relation zu den Aufrüstungsprogrammen zu setzen, die wir gerade dieser Tage erleben, dann schaffen wir es auch, entsprechende Mittel in den Etat der Entwicklungszusammenarbeit zu investieren, die Chemiewaffenlager in Russland und den anderen GUS-Staaten durch entsprechende Maßnahmen zu sichern und abzubauen und damit aus dieser Spirale der militärischen Gewalt auszubrechen. Liebe Kollegin Beer, ein Wort an Sie. Sie haben Ottawa angesprochen und von den humanitären Verpflichtungen geredet. Wir alle sind der Meinung, dass wir nicht nur Antipersonenminen, sondern auch Antifahrzeugminen ächten müssen. Doch angesichts dessen, was gerade dieser Tage in Afghanistan passiert, möchte ich Sie aus humanitärer Verpflichtung heraus bitten, einmal lautstark darüber nachzudenken, welchen Sinn es macht, gleichzeitig Lebensmittelpakete und Bomben in Gebiete abzuwerfen, die nachweislich vermint sind. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin Lippmann, Ihre Redezeit ist vorbei. Ihr letzter Satz war doch ein sehr guter Schluss.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Noch einen Satz: Wenn wir die Spirale der Gewalt durchbrechen wollen, dann müssen wir aktiv Friedenspolitik gestalten. Friedenspolitik bedeutet Entwicklungspolitik. Friedenspolitik bedeutet nicht die Bombardierung von Ländern wie Afghanistan im Rahmen der Terrorbekämpfung. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainer Arnold.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der 11. September 2001 und seine tief greifenden Folgen könnten zu dem Trugschluss führen, dass wir uns mehr mit Aufrüstung als mit Abrüstung auseinander setzen müssen. Der richtige Weg ist aber die Verstärkung der bisherigen Abrüstungsbemühungen. Deshalb ist es gut, dass Fortschritte bei Abrüstung, Rüstungskontrolle und besonders bei der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen ein wichtiges Ziel deutscher Sicherheitspolitik waren und bleiben. ({0}) Wenn dieser Prozess im Jahr 2000 gelegentlich leider ins Stocken geraten ist, dann liegt das auch an NMD. Herr Polenz, darin sind wir anderer Meinung. NMD ist keine Chance, sondern es ist ein Risiko. ({1}) Wenn das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und Russland von Irritationen geprägt ist, dann fallen die entscheidenden Akteure für den Abrüstungsprozess aus. ({2}) Jetzt hat die aktuelle weltpolitische Lage zu intensiven Dialogen über mögliche Bedrohungsszenarien geführt und eine breite Basis gemeinsamer Interessen geschaffen. Das Ziel ist klar: mehr Sicherheit für alle durch verstärkte Abrüstungsbemühungen. Ein Thema, mit dem wir uns immer wieder im Unterausschuss beschäftigt haben, findet in den letzten Tagen besondere Aufmerksamkeit: die Gefahren, die von chemischen und biologischen Kampfstoffen ausgehen. Trotz internationaler Ächtung bedrohen sie die Menschheit und - wir wissen es - viele Menschen sind besorgt. Wir wissen, dass kriminelle Terroristen die Substanzen in größerem Umfang nicht in der Badewanne oder im Küchenlabor basteln können. Die Herstellung solcher Stoffe und vor allem deren weite Streuung ist komplex und wird wohl nur mit der Unterstützung verantwortungsloser Staaten möglich sein. Der Irak taucht dabei seit Jahren in der Arbeit unseres Unterausschusses als einer der Hauptakteure auf. Der vorliegende Abrüstungsbericht beschäftigt sich mit dem Chemiewaffenübereinkommen, das bis zum Jahre 2007 zu einer Vernichtung aller C-Waffen und C-Waffen-Produktionsstätten führen soll. Wir haben geHeidi Lippmann meinsam die Beseitigungsanlage im russischen Gorny besichtigt; ich darf daran erinnern, dass wir diese Anlage finanziell unterstützen. Der Ansatz hierzu wurde im laufenden Haushaltsjahr erhöht. Allerdings wünschen wir uns auch, dass die russischen Partner eine baldige Inbetriebnahme mit mehr Vehemenz verfolgen, um ihre Vertragszusagen termingerecht erfüllen zu können. 141 Staaten sind bis zum Ende des Berichtsjahres dem Abkommen beigetreten. Allerdings bleiben im Mittleren und Nahen Osten Besorgnis erregende Lücken. Wir begrüßen die Bestrebungen der Bundesregierung, eine universelle Geltung des CWÜ zu erreichen. ({3}) Das Problem der biologischen Waffen wird seit 1975 im Biologiewaffenübereinkommen berücksichtigt. Die bisherigen Vereinbarungen müssen allerdings mehr als Gentleman’s Agreement aus der Zeit des Kalten Krieges bewertet werden; ({4}) denn es besteht ein grundsätzliches Problem: Leider fehlen beim BWÜ nach wie vor konsequente Verifikationsregeln. Die Entwicklung der letzten Tage in den Vereinigten Staaten zeigt, wie notwendig denkbar strengste Überprüfungen wären. Gerade unter verlässlichen Freunden muss dieses Anliegen auch gegenüber den Vereinigten Staaten klar formuliert werden. Ich bin froh, dass unsere Bundeswehr bei ihrer präventiven Forschung in den Bereichen biologischer und chemischer Kampfstoffe nichts zu verbergen hat. Die Kritiker in den Medien und aus diesem Haus müssen zwischenzeitlich anerkennen: Auch unser Land braucht diese Forschung zur Abwehr möglicher Gefahren dringend. ({5}) Es sind allerdings nicht Massenvernichtungswaffen, die Jahr für Jahr 500 000 Menschen töten. Die grauenhaft hohe Zahl der Opfer ist Folge von 100 Millionen Kleinwaffen, die unkontrolliert zirkulieren. ({6}) Die Bundesregierung hat im Jahr 2000 intensive Bemühungen unternommen, um die Masse an Kleinwaffen unter Kontrolle zu bringen. Sie hat eine Resolution der Vereinten Nationen mit auf den Weg gebracht, die zu einer internationalen Staatenkonferenz zum Handel mit Kleinwaffen geführt hat. Diese Konferenz konnte trotz gemeinsamer Interessen die gesteckten Ziele nicht erreichen. Innenpolitische und kulturelle Differenzen - auch die Frage einer möglichen Unterstützung von Bürgerkriegsparteien - haben eine Einigung leider verhindert. Auch wir wollen Kleinwaffen nur unter staatlicher Kontrolle. Das heißt konkret: Einschränkung des privaten Waffenbesitzes, Begrenzung des Verkaufs an nicht staatliche Akteure und Markierung aller Kleinwaffen zur Kontrolle der Vertriebswege. ({7}) Mit der Reduzierung illegaler Kleinwaffen und der Kontrolle der Beschaffungsmöglichkeiten entziehen wir auch dem internationalen Terrorismus und den Warlords in Afrika eine ihrer wichtigen Grundlagen. Nachdem wir schmerzhaft erfahren mussten, dass die größten Risiken für den Frieden von nicht staatlicher Gewalt ausgehen, sollte auch der Prozess der Rüstungskontrolle neu justiert werden. Im Mittelpunkt muss dabei die Unterbindung der Weitergabe von Waffen, aber auch von technologischem Know-how stehen. In diesem Bereich sehen wir Wirtschaftsgüter, die Dual-Use-Zwecke haben, zunehmend kritisch. Dies gilt vor allem, soweit es um die Produktion biologischer und chemischer Waffen geht. ({8}) Wir wissen: Langfristig wird die Welt nur dann sicherer, wenn Waffen nicht in die falschen Hände geraten. Danke schön. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Bundesaußenminister, Joschka Fischer.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit zwei Vorbemerkungen beginnen. Erste Vorbemerkung. Herr Polenz, Opposition ist ein hartes Geschäft; aber Sie sollten eine gewisse Logik beibehalten: Sie können nicht sagen, dass wir Steuern senken und Kürzungen unterlassen und gleichzeitig Leistungen wesentlich anheben sollen. Da begeben wir uns in einen Bereich, in dem nur noch der Glaube an Wunder hilft. Reines Wunschdenken gehört aber nicht in den Bereich der Politik. ({0}) Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Sie sollten einmal ordentliche Finanzierungsvorstellungen auf den Tisch legen. Zweite Vorbemerkung. Ich schätze Sie ja sehr; aber von der Hanauer Anlage verstehen Sie nun wirklich wenig. Das damalige Unternehmen hieß nicht Nukem, sondern Alkem. Außerdem wissen Sie doch ganz genau, dass einmal in Betrieb genommene Anlagen überhaupt nicht exportiert werden können, weil sie kontaminiert sind. Jetzt kommt das für Sie Erstaunliche: Diese Anlage war nie in Betrieb. Sie hatte gar keine Genehmigung. Denn diese ist von einem Gericht kassiert worden. Die damals vorhandene Genehmigung ist von einem CDU-Kollegen unterschrieben worden, der so unter politischen Druck gesetzt wurde, in kürzester Zeit eine Genehmigung zu erhalten, dass er in seiner Verzweiflung die Firma Siemens die Genehmigung hat schreiben lassen. Das ging - dagegen wurde geklagt - nach dem deutschen Verwaltungsrecht nicht. Das heißt, eigentlich war die CDU sehr erfolgreich im Verhindern dieser Anlage. Das wollte ich Ihnen nur sagen. ({1}) - Nein, das ist nicht der Punkt. Siemens hat jetzt erklärt, dass es von dieser Anlage keinen Gebrauch mehr macht. Auch weitere Aussagen von Ihnen teile ich nicht: Punkt eins. Natürlich wäre eine Verglasung die einzig sinnvolle Maßnahme. Denn die Plutoniumwirtschaft halte ich angesichts der sowieso schwer bis gar nicht kalkulierbaren nuklearen Risiken für überhaupt nicht mehr tragbar. Ich finde, Russland begibt sich hier in eine völlig falsche Richtung, was Sie in Ihrer Rede auch noch unterstützt haben. Ich halte das für eine ganz verderbliche Entwicklung. Punkt zwei. Russland erbrütet täglich neues waffenfähiges Plutonium. Das heißt, wir würden hier einen zusätzlichen Kreislauf bewirken. Das ist eine schlechte Idee. Punkt drei. Wie kommen Sie auf die Idee, dass wir mit unserem hohen Plutoniumvorrat in Europa - das betrifft auch die deutsche Nuklearwirtschaft - ausgerechnet auch noch russisches Waffenplutonium in Form von MOXBrennelementen bräuchten? Dieses müsste sonst wohin in die Welt exportiert werden. Aber Europa - ich meine hier die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und vor allen Dingen die nuklear arbeitende Stromwirtschaft bei uns, in Frankreich und in anderen Ländern - sitzt auf ganz großen Vorräten. Ihre Argumente stimmen also hinten und vorne nicht. ({2}) Lassen Sie mich nun zum aktuellen Thema kommen. Erstens. Angesichts der Krise nach dem 11. September 2001, die hier erwähnt wurde, und der aktuellen Situation ist die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen eine ganz entscheidende Frage, wobei es hier nicht nur um biologische und chemische Waffen geht. Für mich ist, gerade wenn ich an den Nahen und Mittleren Osten und an Südasien denke, das Problem der Trägersysteme und des nuklearen Rüstungswettlaufs alles andere als beruhigend. Die politischen und vertraglichen Instrumente der Nichtverbreitung gilt es zu stärken und Schwachstellen zu beseitigen. Im nuklearen Bereich bleibt die Verpflichtung des Nichtverbreitungsvertrages zu vollständiger atomarer Abrüstung entscheidend. Die konkreten Schritte sind auf der Überprüfungskonferenz im Frühjahr 2000 festgelegt worden. Auf diesem Weg müssen wir vorangehen. Das Chemiewaffenübereinkommen muss voll operativ werden. Bei den Biowaffen muss es uns angesichts der realen Bedrohungen gelingen, endlich wirksame internationale Kontrollmechanismen zu schaffen. Ich denke, diese Chance besteht jetzt mehr denn je. Insgesamt muss die Verhinderung des Erwerbs solcher Waffen durch nicht staatliche Gruppen stärker in den Vordergrund rücken. Bei den Trägersystemen - diese sollten wir nicht vergessen - treiben wir gemeinsam mit Frankreich und unseren anderen EU-Partnern seit Monaten die Erarbeitung eines internationalen Verhaltenskodex gegen ballistische Raketenproliferation voran, der alle wichtigen Länder einbezieht. Nun gilt es, die internationale Staatengemeinschaft für diese Vereinbarung zu gewinnen. Wir wollen noch im nächsten Jahr den ersten greifbaren weltweiten Schritt gegen diese besonders gefährliche Form der Proliferation verwirklichen. Zweitens wollen wir eine Eindämmung konkreter Proliferationsgefahren durch eine Verstärkung der praktischen Abrüstungszusammenarbeit bewirken. Hier geht es um die Zerstörung gewaltiger Bestände an nuklearen und chemischen Waffen, vor allem in der ehemaligen Sowjetunion. Damals waren das ja noch Nuklearwaffen in des Volkes Hand. Daneben gilt es, den Abfluss von technischem Know-how für die Herstellung von Massenvernichtungswaffen zu verhindern. Die Bundesrepublik hat zwar in den letzten Jahren mit ihrer Hilfe bei der umweltschonenden Beseitigung von ehemals sowjetischen chemischen und nuklearen Waffen Wichtiges geleistet. Aber die Dimension der Aufgabe erfordert - hier stimme ich zu -, dass die dafür zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel deutlich erhöht werden, allerdings im Rahmen der Prioritätensetzung. ({3}) - Ich bin dafür, dass wir darüber reden, aber - ich sage es noch einmal - nur im Rahmen der entsprechenden Prioritätensetzung. Drittens. Ein neuer Impuls für die weltweite Kooperation in Fragen der Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung ist wichtig. Kein verantwortliches Mitglied der Völkergemeinschaft darf bei dieser Anstrengung abseits stehen, die sowohl nationale Maßnahmen, wie etwa verschärfte Exportkontrollen, als auch internationale Verpflichtungen umfasst. Wir führen deshalb einen intensiven Dialog über Abrüstung und Nichtverbreitung. Ich wage die Prophezeiung, dass gerade die Frage der Nichtverbreitung eine wesentlich größere Rolle in der internationalen Politik spielen wird. Ich halte das auch und gerade vor dem Hintergrund der neuen Bedrohungssituation für einen sehr wichtigen Ansatz. Wir dürfen aber in diesem Zusammenhang, wie gesagt, regionale Rüstungswettläufe nicht vergessen. Wir haben es mit einer Kumulation von Krisenfaktoren zu tun. Zu diesen gehören regionale Rüstungswettläufe, „failing states“, also zusammengebrochene Staatsstrukturen, sowie die Verbreitung der Unterentwicklung, der Unterdrückung der Menschenrechte und des Terrorismus. Das alles kumuliert in bestimmten Regionen und macht einen breiten Ansatz notwendig, wenn man dem entgegensteuern will. ({4}) - Ich war wirklich überrascht, als ich Ihre Rede gehört habe; denn sie strotzte ja nur so vor neuen Erkenntnissen. ({5}) Die breite internationale Koalition, die die USA geschmiedet haben, bietet Chancen für kooperative Sicherheitsstrukturen auch auf strategischer Ebene, die wir nutzen sollten. Bei all den Tragödien - darauf habe ich schon gestern hingewiesen - gibt es jetzt auch und gerade im Zusammenhang der Abrüstung, der Rüstungskontrolle und der Nichtverbreitung eine neue Chance, die wir unbedingt nutzen sollten, zumal hier der neue Konsens zwischen den USA und Russland in der Tat Möglichkeiten eröffnet. Wenn es gelingt, noch eine andere Großmacht, zum Beispiel China, sowie die Frage der Rüstungskontrolle und der Rüstungsbegrenzung etwa im indischpakistanischen Konflikt miteinzubeziehen, dann wären wir in der Tat einen ganz entscheidenden Schritt weiter. ({6}) - Darauf habe ich vorhin schon ausführlich geantwortet. Ich bin gerne bereit, Ihnen ein Privatissimum angedeihen zu lassen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte nicht im Rahmen der angemeldeten Redezeit, die bald zu Ende ist.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Wir stehen an einer Wegscheide. Die alten Feindschaften sind überwunden. Neue Bedrohungen sind aufgetaucht. Allerdings werden die Abrüstung, die Rüstungskontrolle, die Abrüstungspolitik und die Rüstungsbegrenzung in der Welt des 21. Jahrhunderts wichtiger denn je sein. Die alten Instrumente zu schärfen, neue Instrumente vor allen Dingen für die Abwehr neuer Gefahren zu entwickeln und eine wirksame operative Politik gegen die Proliferation von Massenvernichtungsmitteln zu finden - damit müssen wir uns intensiv auseinander setzen - gehört zu den Hauptaufgaben. Aber ich unterstreiche auch, dass die konventionelle Bedrohung - ich denke an die Kleinwaffen und die Antiminenprogramme - nicht vergessen werden darf. Ich bedanke mich. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe da- mit die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/5986 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstan- den? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be- schlossen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Ent- schließungsantrag der Fraktion der PDS zu der vereinbar- ten Debatte über die Entscheidung des US-Senats zum Atomtteststoppvertrag. Der Ausschuss empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 14/1894 abzuleh- nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Ge- genstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfeh- lung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen worden. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Neue nukleare Abrüstungsinitiativen statt neuer Raktenabwehrpro- jekte“. Der Ausschuss empfiehlt, auch diesen Antrag auf Drucksache 14/3875 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen worden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Versorgungsänderungsgesetzes 2001 - Drucksache 14/7064 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Beamtenrechtsrahmengesetzes ({1}) - Drucksache 14/6717 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 19. September dieses Jahres hat die Bundesregierung einen so genannten zweiten Versorgungsbericht beschlossen, der dem Parlament zugeleitet worden ist. Diesem Versorgungsbericht kann man eine Entwicklung entnehmen, die man notwendigerweise im Kopf haben muss, wenn man über das Thema Versorgungsänderungsgesetze redet, nämlich: Wir werden einen ungeheuer dynamischen Anstieg der Versorgungsleistungen erleben. Wir geben derzeit 43 Milliarden DM für Versorgungsleistungen aus. Aller Voraussicht nach wird es einen Anstieg bis auf 164 Milliarden DM im Jahr 2040 geben. Das ist die eigentliche Herausforderung. Man kann natürlich sagen, dass solche Zahlen spekulativ sind; aber wichtig ist die Entwicklung. Die Entwicklung gründet sich auf zwei Dinge: einmal auf den demographischen Wandel - darin liegt ein Teil der Ursache - und zum anderen auf die Einstellungspraxis von Bund, Ländern und Gemeinden - auch das ist ein Teil der Ursache -, insbesondere von Mitte der 60er- bis Mitte der 70er-Jahre. Aus einem einfachen Grund sage ich das in einer Vorbemerkung: Ich will deutlich machen, dass wir heute nicht so tun können, als ob kein Handlungsbedarf bestünde. Handlungsbedarf ist gegeben, damit auch noch zukünftig - das, denke ich, ist ganz wichtig - ein solch bewährtes System wie das der Versorgung erhalten bleibt. ({0}) Von daher ist all das, was kritisch gesagt wird, nämlich dass es nichts zu tun gebe, im Grunde genommen falsch. Der vorliegende Gesetzentwurf ist natürlich ein Stück an dem orientiert, was wir zur Rentenreform beschlossen haben. Es ist der Versuch unternommen worden, eine wirkungsgleiche Harmonisierung dieser beiden Systeme vorzunehmen. Meine Damen und Herren, ich will vor einem falschen Eindruck warnen und deshalb deutlich sagen: Bei der Umsetzung dieses Gesetzentwurfs wird keine Pension gekürzt. Das ist für die öffentliche Diskussion in aller Deutlichkeit festzuhalten. ({1}) - Es ist richtig, dass keine Pension gekürzt wird. Der Zwischenruf macht meine Aussage nicht falsch. Niemand erhält aufgrund der vorgesehenen Maßnahmen weniger Pension, als er derzeit bezieht. Ebenso wie künftig in der gesetzlichen Rentenversicherung wird aber der zukünftige Anstieg der Versorgungsbezüge - ich betone das, um das System deutlich zu machen - geringer. Das geschieht, indem die an die Besoldungserhöhungen der aktiven Beamten und Beamtinnen gekoppelten Erhöhungen der Versorgungsbezüge bei den nächsten acht Anpassungen nach dem 31. Dezember 2002 um jeweils circa 0,5 Prozent geringer ausfallen. Nach diesen acht fällt die Versorgung damit um circa 4,33 Prozent geringer aus. Diese Abflachung zukünftiger Versorgungserhöhungen ist niedriger als bei den Rentnerinnen und Rentnern, bei denen die Erhöhungen in der ersten Phase der Rentenreform um circa 5 Prozent reduziert sind. Allerdings haben die Beamtinnen und Beamten in den Jahren von 1999 bis 2002 bereits Vorleistungen erbracht. Das hängt mit der Versorgungsrücklage zusammen. Als Vorsorge für die absehbaren künftigen Belastungen durch die erhöhten Versorgungskosten wird die Hälfte der Ersparnisse aus dieser ersten Übertragungsstufe den Versorgungsrücklagen von Bund und Ländern zugeführt. Auch das halten wir für systematisch richtig. ({2}) Um Doppelbelastungen zu vermeiden, werden die Leistungen der Versorgungsrücklage in Höhe von 0,2 Prozent der Besoldungs- und Versorgungsanpassungen für die Zeit von 2003 bis 2010 ausgesetzt. Ab dem Jahr 2011 wird der Aufbau der Versorgungsrücklage wieder aufgenommen und bis in das Jahr 2017 fortgesetzt. Diese Regelung ist im Lichte der ab dem Jahr 2011 absehbaren Entwicklung zu überprüfen. Das ist die so genannte Revisionsklausel. Ich denke, auch das ist richtig. Ich will deutlich zum Ausdruck bringen, dass die Beamtinnen und Beamten zukünftig genauso wie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an der freiwilligen Vorsorge beteiligt werden und von den steuerlichen Vergünstigungen Gebrauch machen können. Das ist meiner Meinung nach im Sinne einer wirkungsgleichen Harmonisierung der beiden Systeme. Wir sehen auch kinderbezogene Verbesserungen, zum Beispiel die Kinderkomponente beim Witwengeld, vor. Wir wollen mit unseren Maßnahmen das Versorgungssystem zukunftssicher machen. Ich lade Sie zu einer konstruktiven Diskussion über unseren Vorschlag ein. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Meinrad Belle.

Meinrad Belle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000138, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Heimlich, still und leise erfolgt jetzt, am Freitag Mittag um 13 Uhr - die meisten Kolleginnen und Kollegen sind bereits auf der Rückfahrt in die Wahlkreise; ({0}) die Berichte für die Wochenendausgaben der Tageszeitungen sind weitgehend geschrieben -, die erste Lesung des von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Entwurfs eines Versorgungsänderungsgesetzes 2001. ({1}) Zur Fristwahrung wurde dieser Gesetzentwurf in den Sitzungen der Koalitionsfraktionen am Dienstag eingebracht. Möglichst ohne großes Aufsehen, ohne Widerstand und Ärger bei den Beamten und bei den Pensionären zu entfachen, beginnt die Beratung dieses Gesetzesvorhabens - es hat die verniedlichende Bezeichnung „Versorgungsänderungsgesetz“ -, das gewaltige Einschnitte in die Bezüge bzw. Pensionen der Beamten und der Versorgungsempfänger mit sich bringt. In der ersten Stufe bis 2010 sollen Minderausgaben in den öffentlichen Haushalten in Höhe von circa 12 Milliarden DM erwirtschaftet werden. Diese Art der Behandlung wird der Bedeutung und den Auswirkungen dieses Gesetzentwurfs nicht gerecht. ({2}) Diese Verfahrensweise ist unangemessen und muss beanstandet werden. Ich erinnere an Folgendes: Nach jahrelangen Beratungen, nach der Bildung vieler Kommissionen, nach unzähligen Verhandlungsrunden, nach intensiven öffentlichen Diskussionen wurde Ihre Reform der gesetzlichen Rentenversicherung in diesem Jahr mit dem Altersvermögensgesetz und dem Altersvermögensergänzungsgesetz abgeschlossen. Die Weiterführung der Versorgungsreform kann doch nicht im Eilzugtempo und quasi per Federstrich realisiert werden. Auch dieses Reformvorhaben muss mit der notwendigen Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit angepackt werden. In der letzten Legislaturperiode hat die CDU/CSUFDP-Koalition die erste Dienstrechts- und Versorgungsrechtsreform verabschiedet. Ich will gerne bestätigen, dass Sie diese Reformen in weiten Bereichen mitgetragen haben. Die Versorgungsrechtsreform erfolgte zeit- und wirkungsgleich mit der von uns damals realisierten Rentenreform, die Sie nach der Bundestagswahl allerdings zurückgenommen haben. Die Dienst- und Versorgungsrechtsreform mit Auswirkungen auf die aktiven Beamten und die Versorgungsempfänger in Milliardenhöhe blieb aber unverändert. Seit über drei Jahren erbringen also aktive Beamte und Versorgungsempfänger Vorausleistungen auf Ihre Reform 2001. Was wird von Ihnen beabsichtigt? Sie wollen, wie im Entwurf formuliert, die Reformmaßnahmen der gesetzlichen Rentenversicherung wirkungsgleich und systemgerecht auf die Beamtenversorgung übertragen. Ich will jetzt nicht auf Einzelheiten des Entwurfs eingehen; dafür bleibt noch genug Zeit. Bereits heute muss ich Ihnen aber den grundlegenden Vorwurf machen, dass Sie die Vorleistungen der Beamten und Versorgungsempfänger in Milliardenhöhe in Ihrem Gesetzentwurf nicht ausreichend berücksichtigt haben. Das ist ein Skandal und dürfte Ihnen als erfahrenen Beamtenpolitikern nicht passieren. ({3}) Sie müssten sich eigentlich nicht nur ein bisschen, sondern sehr schämen. Sagen Sie heute nicht, dass Sie es nicht wussten oder dass jedes Gesetz den Bundestag in einer anderen Fassung verlässt, als es eingebracht worden ist. Das wäre zu billig. In fast allen meinen Redebeiträgen der letzten beiden Jahre zu Besoldungs- und Beamtenfragen habe ich Sie auf diese Vorleistungen hingewiesen. Aus den Reformen der letzten Legislaturperiode wurde nur die Versorgungsrücklage in Höhe von 0,6 Prozent, die bei den Versorgungsempfängern einbehalten und danach abgeführt wird, berücksichtigt. Unberücksichtigt blieb dabei insbesondere die Tatsache, dass auch die aktiven Beamten in diesen drei Jahren an der Versorgungsrücklage beteiligt waren. Dies wird in der Endstufe zu einer tatsächlichen Gehaltskürzung von bis zu 3 Prozent führen. Durch Ihre Rentenreform 2001 wird bei den aktiven Arbeitnehmern aber eher ein positiver Effekt erreicht, da der Beitragssatz zur Rentenversicherung ja stabil gehalten werden soll. Auf jeden Fall tritt bei Ihrer Rentenreform bei den aktiven Arbeitnehmern keine Verringerung der Löhne und Gehälter ein. Außerdem haben Sie außer Betracht gelassen, dass durch die weiteren versorgungsrechtlichen Einsparmaßnahmen im Dienstrechtsreform- und Versorgungsrechtsreformgesetz, wie zum Beispiel die Anhebung der allgemeinen Antragsaltersgrenze auf 63 Jahre, das Vorziehen des Versorgungsabschlages, der Wegfall des Erhöhungsbetrages, der Wegfall, die Kürzung und die Beseitigung der Ruhegehaltsfähigkeit von Zulagen, die Verlängerung der Wartefrist für die Versorgung aus dem Beförderungsamt usw., zusätzliche Vorleistungen von hochgerechnet etwa 4,4 Milliarden DM bis Ende dieses Jahres von den Versorgungsempfängern und den Beamten erbracht wurden. Hinzu kommt dann natürlich auch noch der Betrag aus der verspäteten Besoldungs- und Versorgungsanpassung 2000 - der tatsächlichen Nullrunde für die Pensionäre - in Höhe von circa 3 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, damit wir uns richtig verstehen: Wir wehren uns nicht gegen eine wirkungsgleiche und systemgerechte Übertragung der Ergebnisse der Rentenreform auf die Versorgung der Beamten und Pensionäre. Sie muss dann aber auch tatsächlich wirkungsgleich und systemgerecht erfolgen. ({4}) Bei Ihnen werden die Beamten und Versorgungsempfänger aber nicht nur doppelt, sondern, wenn Sie die verspätete Besoldung- und Versorgungsanpassung 2000 mit berücksichtigen, sogar dreifach zur Kasse gebeten. Bei dem objektiven Beobachter muss einfach der Eindruck entstehen, dass es Ihnen nicht so sehr um eine gerechte Übertragung der Rentenreform in das Beamtenrecht und damit um eine Gleichbehandlung der verschiedenen Gruppen im öffentlichen Dienst geht. Sie wollen Ihre ideologischen Vorbehalte gegen das Berufsbeamtentum erneut vor allem im Geldbeutel der Beamten und Pensionäre ausleben. ({5}) - Sie alle. ({6}) Zu diesen ungerechten und unsozialen Vorschlägen können Sie unsere Zustimmung nicht erwarten. In den weiteren Beratungen werden wir Ihre Vorschläge an folgenden Punkten messen: Reformen der verschiedenen Alterssicherungssysteme müssen zu wirkungsgleichen Ergebnissen für die Betroffenen führen. Sonderopfer für die eine oder andere Gruppe darf es nicht geben. ({7}) Die Besonderheiten der jeweiligen Systeme sind zu berücksichtigen und die Vorleistungen der aktiven Beamten und der Pensionäre aus der Dienstrechts- und Versorgungsrechtsreform der letzten Legislaturperiode müssen voll berücksichtigt werden. Ich appelliere heute an Sie: Kehren Sie wieder zu einer gerechten, soliden und leistungsfördernden Besoldungsund Versorgungspolitik zurück. ({8}) Dann werden auch wir künftig unpopuläre und einschneidende Maßnahmen mittragen. Vielen Dank. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Helmut Wilhelm für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Helmut Wilhelm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002825, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn heute die Änderung der Versorgung von Beamten, Richtern, Soldaten, Parlamentarischen Staatssekretären und Ministern - auch diese gehören dazu - auf den Weg gebracht wird, geschieht dies aus zwei Gründen: Zum Ersten ist das geboten angesichts der abzusehenden Probleme, die mit den erheblich steigenden Ausgaben für das Alterssicherungssystem des genannten Personenkreises einhergehen. Auch hier ist der Handlungsbedarf, ebenso wie in der Rentenversicherung, auf die allgemeine demographische Entwicklung zurückzuführen. Die gestiegene Lebenserwartung, verbunden mit einem sinkenden Ruheeintrittsalter und damit verlängerten Laufzeiten, ist für die enormen Kostensteigerungen der öffentlichen Haushalte verantwortlich. Ich möchte trotzdem an dieser Stelle dafür plädieren, den Begriff „Versorgungsberg“ in diesem Zusammenhang nicht zu verwenden. Hier geht es nicht um Dinge, sondern um Menschen, die ein Anrecht auf Versorgung haben. ({0}) Dass die Finanzierung eine wirkliche Herausforderung darstellt, ist unbestritten. Dafür können aber am wenigsten die Menschen, die als Beamte eingestellt wurden. Der Reformbedarf zur Sicherung der Altersversorgung der aktuellen, vor allem aber der zukünftigen Pensionäre und ihrer Familien steht außer Frage. Auch ich bin Beamter, also selbst betroffen. ({1}) - Richter, das ist richtig. Dies ist ein dem Beamtenrecht angenäherter Zustand. - Herr Kollege Belle, was ich daher ganz bestimmt nicht habe, sind ideologische Vorbehalte gegenüber Beamten. Zum Zweiten ist zwischen Rot-Grün im Koalitionsvertrag festgeschrieben worden, nach der Reform der gesetzlichen Rentenversicherung auch die Beamtenversorgung entsprechend und im Einklang mit der Rentenreform, also wirkungsgleich, fortzuentwickeln. Wirkungsgleiche Übertragung bedeutet einerseits eine den Einsparungen bei den Rentenversicherungsträgern vergleichbare Entlastung der öffentlichen Haushalte und andererseits eine äquivalente monetäre Auswirkung bei Beamten und Pensionären so wie bei Arbeitnehmern und Rentnern auch. Dass Minister und Staatssekretäre in gleicher Weise einbezogen sind, ist hier wohl selbstverständlich. Dies alles ergibt sich bereits aus dem Gleichheitsprinzip. Dabei darf die wirkungsgleiche Übertragung der Rentenreform auf die Beamtenversorgung wegen der besonderen verfassungsrechtlichen Stellung nur systemkonform erfolgen. Die Schwerpunkte des Gesetzentwurfs bezüglich des Versorgungsniveaus sind bereits genannt und dargestellt worden: der Aufbau einer steuerlich geförderten ergänzenden privaten Altersversorgung als staatliches Angebot, die Abflachung des Anstiegs der Versorgungsbezüge und das Absinken des Höchstversorgungssatzes. Ich will hier nicht alle Punkte wiederholen. An dieser Stelle möchte ich aber etwas näher auf die Hinterbliebenenversorgung eingehen. Das Witwengeld wird bekanntlich ebenso wie die Witwenrente reduziert. Dies gilt, ebenso wie in der Rentenversicherung, grundsätzlich nur für nach dem 31. Dezember dieses Jahres geschlossene Ehen. Dabei bleibt - wegen des Grundsatzes der Alimentation - die Mindestversorgung erhalten. Die Hinterbliebenenversorgung der Beamten stellt aber gemäß dem Alimentationsgrundsatz aus Art. 33 des Grundgesetzes einen eigenständigen Alimentationsanspruch dar. Hier verbietet sich wegen des Verfassungsrangs eine vollständige Übertragung der Grundsätze, so zum Beispiel bei den Anrechnungen von Hinzuverdiensten. Besonders wichtig ist hier ein sozialer Ausgleich bei Witwenrente und Witwengeld durch einen Kinderzuschlag. Kindererziehungszeiten werden dadurch berücksichtigt. Auch hier werden Grundsätze der Rentenversicherung in das Beamtenversorgungssystem übernommen. Berücksichtigt werden muss insbesondere Folgendes: Die Beamten haben Vorleistungen erbracht. Während Einschränkungen der früheren Regierung im Rentenversicherungssystem bei Regierungsantritt dieser Bundesregierung aufgehoben wurden, verblieb es bei den Beamten beim entsprechenden Einschnitt des 0,2-prozentigen Versorgungsabschlags. Eine wirkungsgleiche Umsetzung der Rentenversicherung auf das Beamtenversorgungssystem bedeutet aber ganz klar, dass diese Vorleistung berücksichtigt werden muss. Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine Bemerkung in Richtung Opposition: Ich habe mir einmal den einschlägigen Antrag der CSU für den Bayerischen Landtag besorgt. Dort teilt man immerhin den akuten Handlungsbedarf. Auch die Vorschläge der CSU im Landtag sind, wenngleich sie keinerlei konkrete Ansätze zur Lösung des Problems beinhalten, in ihrer Generalität beachtenswert; denn sie entsprechen, wenn auch verallgemeinert, gänzlich dem vorliegenden Gesetzentwurf von Rot-Grün. Zum Schluss noch ein Wort zur Änderung des Beamtenrechtsrahmengesetzes. Es war ja nun wirklich nicht mehr einzusehen, weshalb bei der willkürlich gezogenen Altersgrenze von 50 Jahren bei nur begrenzter Dienstfähigkeit ältere Beamte weiterbeschäftigt werden konnten, jüngere aber in den Ruhestand zu versetzen waren. Hier muss Rehabilitation Vorrang vor Versorgung haben. Auch eine erneute Berufung in das Beamtenverhältnis ist in diesen Fällen nunmehr möglich. Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Max Stadler für die FDP-Fraktion.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute stehen zwei Gesetzentwürfe zur Debatte, die allerdings nach Auffassung der FDP-Fraktion sehr unterschiedlich zu bewerten sind. Der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Beamtenrechtsrahmengesetzes greift zwei berechtigte Anliegen auf. Die Möglichkeit, Beamte bei begrenzter Dienstfähigkeit weiterzubeschäftigen, ist bisher an die Vollendung des 50. Lebensjahres geknüpft. Die Streichung dieser Altersgrenze soll eine Gleichbehandlung aller begrenzt dienstfähigen Beamten sicherstellen. Dem kann man zustimmen. Im Dienstrechtsreformgesetz, das die frühere Koalition aus CDU/CSU und FDP in der letzten Legislaturperiode beschlossen hat, war der Grundsatz „Rehabilitation vor Versorgung“ betont worden. Dieser richtige Gedanke wird nun durch den Gesetzentwurf des Bundesrates konsequent fortgeführt, indem die erneute Berufung in ein Beamtenverhältnis auch in den Fällen der begrenzten Dienstfähigkeit möglich werden soll. Bei dem großen Anstieg vorzeitiger Ruhestandsversetzungen darf der Gesetzgeber nicht tatenlos zusehen; das hat ja erhebliche Konsequenzen für die öffentlichen Haushalte. Daher ist diesem Vorschlag des Bundesrates aus Sicht der FDP zuzustimmen. Dagegen lehnen wir Ihren Entwurf zum Versorgungsänderungsgesetz 2001 weiterhin entschieden ab. Herr Staatssekretär Körper hat sich heute auf den Versorgungsbericht berufen, den die Bundesregierung im September beschlossen hat und der wohl dem Parlament zugeleitet ist, beim Parlament aber noch nicht angekommen ist. Deswegen ist es ein etwas schwieriges Unterfangen, auf der Basis von Herrschaftswissen über eine Versorgungsrechtsreform zu diskutieren. ({0}) Klar ist, dass Sie sich in der Vergangenheit ohnehin nicht auf diesen Versorgungsbericht bezogen haben, da Sie bereits seit Monaten ankündigen, dass Sie die Reformmaßnahmen der gesetzlichen Rentenversicherung „wirkungsgleich“, wie es heißt, auf die Beamtenversorgung übertragen wollen. Dabei haben Sie außer Betracht gelassen, dass mit der Einführung der Versorgungsrücklage durch die alte Koalition die notwendige Vorsorge für die Erfüllung der Pensionsansprüche bereits getroffen worden war. Der Reformbedarf war von uns in der letzten Legislaturperiode längst erkannt. Der Einschnitt, den wir bei der Beamtenversorgung vorgenommen haben, ist von Ihnen nicht rückgängig gemacht worden, die Rentenreform dagegen sehr wohl. ({1}) Deswegen ist es eine verquere Logik, wenn Sie jetzt behaupten, man müsse im Beamtenrecht das nachvollziehen, was im Rahmen Ihrer Rentenreform von Bundestag und Bundesrat beschlossen worden ist. Vielmehr ist die Reform in der Beamtenversorgung längst von CDU/CSU und FDP vollzogen worden. Es besteht daher nach Auffassung der FDP kein Anlass, erneut in die Beamtenversorgung einzugreifen. Es wäre sachgerecht gewesen, es bei der Versorgungsrechtsreform der letzten Legislaturperiode zu belassen. ({2}) Meine Damen und Herren, die FDP will weder eine Besserstellung noch eine Schlechterstellung der Beamten. Entgegen allgemeiner Meinung in der Öffentlichkeit gibt es aber im Versorgungsrecht längst keine Besserstellung der Beamtenschaft mehr. Deswegen kann das, was Sie heute auf den Weg bringen, nur als ungerechtfertigte Schlechterstellung bezeichnet werden. Ich möchte zum Schluss noch einen Gedanken aus der aktuellen politischen Situation einbringen. Bei den Debatten um die innere Sicherheit wird allseits gesagt, dass wir einen leistungsfähigen, hoch motivierten und mit kompetenten Beamten ausgestatteten Sicherheitsapparat brauchen würden. Um diesen zu erhalten und zu bekommen, muss der Staat aber auch die Bedingungen für das Beamtenverhältnis attraktiv gestalten und attraktiv halten. Dazu passt das, was Sie jetzt zur Versorgungsreform vorschlagen, überhaupt nicht. Auch aus diesem Grund kann die FDP bei einer solchen Politik nicht mitmachen. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat die Kollegin Petra Pau für die PDS-Fraktion.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, Sie begannen mit dem Wort „Herausforderung“. Ich dachte schon mit Blick auf die Debatten, die wir in den letzten Tagen hier hatten, was die Herausforderungen an den öffentlichen Dienst betrifft, aber auch mit Blick auf die tatsächliche Herausforderung, Gerechtigkeit herzustellen, Sie hätten umgedacht und würden uns heute veränderte Gesetzentwürfe vorstellen. Fehlanzeige! ({0}) Was hier vorliegt, ist insofern eine Herausforderung, besser: eine Zumutung, für die betroffenen Beamten, auch Helmut Wilhelm ({1}) für diejenigen, die vielleicht darüber nachdenken, in ein solches Dienstverhältnis zu gehen. ({2}) Sie meinten ja, Sie würden mit diesen Gesetzesentwürfen Gerechtigkeit herstellen, da Sie die Beamtenversorgung nur an die Rentenreform anpassen oder diese nachvollziehen würden. Nun kennen Sie meine Auffassung zur Rentenreform, welche hier beschlossen wurde: Sie ist weder gerecht noch hat sie etwas mit Zukunftsfähigkeit zu tun. ({3}) Das, was Sie jetzt vorgelegt haben, ist insofern eine Zumutung, da die Beamtinnen und Beamten noch schlechter behandelt werden als diejenigen, welche in Zukunft eine Rente beziehen werden. Sie haben keine Übergangsfrist in Ihren Gesetzentwurf für die eingefügt, die in den nächsten zwölf Jahren in den Ruhestand gehen. Das heißt, Sie haben das Vertrauen derjenigen, die im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, missbraucht. Sie werden nämlich unzumutbare Abschläge bei ihren Pensionen hinnehmen müssen. Sie haben keine Chance mehr, privat zusätzlich vorzusorgen. ({4}) Das widerspricht meines Erachtens übrigens auch Art. 3 Grundgesetz, in dem es um die Gleichbehandlung geht. Sie haben außerdem all diejenigen nicht berücksichtigt, welche den Höchstruhesatz nicht erreichen können, das heißt die Beamten im Osten, die beispielsweise aus der NVA in die Bundeswehr übernommen wurden. Aber das trifft insbesondere auch Beamte bei der Bahn. Auch dort Fehlanzeige bei der Suche nach Gerechtigkeit in Ihrem Gesetzentwurf! Diejenigen, die im einfachen und mittleren Dienst beschäftigt sind, fallen in großen Teilen unter die Mindestversorgung. Sie haben das trotz Zusage des Bundesinnenministers in einem Gespräch mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund von Anfang September, das noch einmal zu prüfen ist, nicht nachgebessert. Zu den Versorgungsrücklagen haben meine Vorredner schon gesprochen. Das muss ich nicht wiederholen. Ein Satz noch zum Beamtenrechtsrahmengesetz - Kollege Stadler sprach schon dazu -: Es wäre gut gewesen, den zweiten Versorgungsbericht der Bundesregierung nicht nur zu berücksichtigen, sondern ihn dem Parlament auch rechtzeitig vorzulegen. Wir sind mit Ihnen im Grundsatz einig, dass Rehabilitation vor Versorgung gehen muss. Aber dann fehlen in diesem Gesetzentwurf Anreize für diejenigen, die bei Teildienstfähigkeit tatsächlich aktiv bleiben wollen, im Hinblick auf diejenigen, die die Pension in Anspruch nehmen. Ich denke, hier muss nachgebessert werden. Etwas, was in beiden Gesetzen nicht gelöst werden kann, sondern nur durch aktive Politik: Wir sollten darüber nachdenken, warum so viele Beamte teildienstfähig sind, das heißt, was an den Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst zu verändern ist. Danke schön. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzter Redner dieser Debatte ist der Kollege Hans-Peter Kemper für die SPDFraktion.

Hans Peter Kemper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001083, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst dem Kollegen Meinrad Belle ({0}) in vielen Punkten Recht geben: Heimlich, still und leise machen wir die Reform nicht. Aber es ist ärgerlich: Wir haben im Vorfeld mit fast allen Berufsorganisationen gesprochen. Es hat sich einiges geändert, und wir sind weiterhin im Gespräch. Die Sache ist aber noch nicht abgeschlossen. Es hat mich aber auch geärgert, dass wir diese Diskussionen ständig in den Abendstunden oder am Freitagmittag führen. Umso mehr freut es mich, dass Sie mit der ganzen Wucht Ihrer großen Fraktion anwesend sind, um die berechtigten Interessen der Beamten zu verteidigen. ({1}) Es geht um die Versorgungsreform. Die Versorgungsreform ist ein Stück Sicherheit. Wir haben in der letzten Zeit ständig über Sicherheit gesprochen, über innere Sicherheit allerdings mehr als über die soziale Sicherheit. Aber ich sage Ihnen: Auch die soziale Sicherheit gehört dazu. Das, was wir heute hier beraten, dient dazu, ein Stück Leben ohne Angst zu gewährleisten; ein Stück Leben ohne Angst ist auch ein Stück Lebensqualität. Wenn die Menschen, die im öffentlichen Dienst oder sonst wo ihre Arbeit geleistet haben, in den Ruhestand gehen, müssen sie sich darauf verlassen können, dass sie nachher nicht mit der letzten Mark rechnen müssen, dass sie das Geld bekommen, das sie sich verdient haben. Dafür sorgen wir. Wir machen die Versorgung berechenbar und bezahlbar, und zwar sowohl im Interesse der heutigen Ruheständler als auch und gerade im Interesse künftiger Ruheständler. Es ist richtig, dass wir einen motivierten und engagierten öffentlichen Dienst brauchen. Ich denke da an die vielen Polizeibeamten und Beamten des Bundesgrenzschutzes, die gerade in dieser Zeit bis zur Höchstgrenze der Belastbarkeit ihren Dienst versehen. Wir sehen sie draußen, wie sie Streife laufen, wie sie auch für unsere Sicherheit sorgen. Es ist nicht zumutbar, dass sie später mit Unsicherheit belastet in den Ruhestand gehen. ({2}) Deswegen legen wir die Reform so an. Aber wenn das von Ihnen, Herr Belle, und von Herrn Stadler - lieber Max! - kritisiert wird, dann muss ich allerdings sagen: Es war die letzte Koalition, die die Ruhegehaltsfähigkeit der Polizeibeamten - gerade derjenigen, die diese Arbeit heute leisten müssen - abgeschafft hat ({3}) und sie damit um 150 bis 200 DM ihrer Pension gebracht hat. Wenn man heute also solche Krokodilstränen vergießt, muss man auch einmal daran denken, was man früher selbst angerichtet hat. ({4}) Ich will es mir jetzt verkneifen, die beliebten Spielchen zu treiben, also die Versäumnisse der letzten 16 Jahre aufzuzählen, auf die Verschuldung, die Sie uns hinterlassen haben, hinzuweisen und zu sagen: Damit haben Sie uns erst gezwungen, das alles so zu machen. Ich will stattdessen auf die Prognosen eingehen, die wir haben. Das sind die gleichen Prognosen, die auch Sie in der letzten Legislaturperiode gehabt haben. Die vermehrten Einstellungen in den öffentlichen Dienst in den 60er- und 70erJahren haben zur Folge, dass diese Menschen nun zunehmend in den Ruhestand gehen und zunehmend Versorgungskosten verursachen. Bis zum Jahre 2040 werden die Versorgungslasten - ohne Bahn und Post - um das 3,8fache steigen. Diese Folge ist nicht in den letzten drei Jahren entstanden, sondern während der gesamten Laufzeit. ({5}) Das haben wir erkannt. Wir haben Sie ja in der letzten Legislaturperiode in kleinen Teilbereichen, die Sie in Angriff genommen haben, unterstützt, weil das vernünftig war. Da auch wir etwas Vernünftiges machen, werden Sie uns - da bin ich sicher - im Endeffekt ebenfalls unterstützen. Wir haben deutlich gemacht, dass wir die Rentenreform wirkungsgleich auf die Beamten übertragen werden. Das geschieht in acht kleinen Schritten in den Jahren von 2003 bis 2010. Für diese Zeit wird die Versorgungsrücklage ausgesetzt; danach wird sie bis zum Jahre 2017 wieder eingeführt. Nun weiß ich, dass die Berufsverbände zu dem ersten Vorschlag gesagt haben, hier finde eine Überkompensation statt, hier würden von den Beamten Sonderopfer verlangt. Deswegen ist es zu Änderungen gekommen. Deswegen wird die Versorgungsrücklage vier Jahre lang nicht erhoben und das Versorgungsniveau weniger abgesenkt. Auf welches Niveau wird man noch sehen. Jedenfalls erfolgt die Absenkung nicht auf die Weise, wie sie zunächst im Gespräch war. Die Beamten haben die Möglichkeit, eine freiwillige Zusatzversorgung zu den gleichen Bedingungen, wie sie für die rentenversicherten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelten, abzuschließen. Zur Hinterbliebenenversorgung ist schon einiges gesagt worden. Ich will das nicht wiederholen. Wir haben eine Reihe von Prüfaufträgen im Rahmen dieses Gesetzesvorhabens auf den Weg gebracht. Das Gesetzgebungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Dies ist erst die erste Lesung; wir werden noch über den Gesetzentwurf beraten. Ich bin aber ganz sicher, dass wir eine Lösung finden werden, sodass das Gesetz mit einer breiten Mehrheit verabschiedet werden kann. Der Bundesrat wird noch einige Vorschläge in die Beratung einbringen. Ich bin ganz sicher, dass er uns noch einige Hinweise geben wird. Wir werden zu diesem Thema wahrscheinlich am 7. oder am 8. November eine Anhörung durchführen. Dazu werden Sachverständige eingeladen, die in der Materie stecken und die uns vielleicht den einen oder anderen Hinweis geben werden. Ein Punkt ist aber klar - davon können Sie und auch alle Beamtinnen und Beamten ganz sicher ausgehen, die heute noch ihren Dienst verrichten oder die sich bereits im Ruhestand befinden -: Es wird keine Sonderopfer für Beamte geben. Es wird keine Überkompensation bei der wirkungsgleichen Übertragung geben. Es wird vielmehr einen sozial ausgewogenen und einen gerechten Übertrag geben. Der eine oder andere Punkt wird sicherlich noch zur Disposition gestellt. Wir werden über den einen oder anderen Punkt noch diskutieren. Aber die grobe Richtung stimmt. Die Weichenstellung ist richtig. Ich lade Sie ein, bei den Beratungen mitzumachen. Ich bitte Sie, dieses Gesetzesvorhaben, das für eine sichere Versorgung der Beamtinnen und Beamten wichtig ist, zu unterstützen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie sich diesen vernünftigen Einsichten verschließen werden. Das haben Sie wie auch wir in der Vergangenheit nicht getan. Ich gehe daher zuversichtlich in die nächsten Beratungsrunden. Schönen Dank. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aus- sprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent- würfe auf den Drucksachen 14/7064 und 14/6717 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- schlagen. - Ich sehe Einverständnis im gesamten Hause. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 c auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für die Erhaltung, die Modernisierung und den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung ({0}) - Drucksachen 14/7024, 14/7086 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1}) Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2}) zu dem Antrag der Abge- ordneten Dr. Christian Ruck, Hartmut Schauerte, Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Kraft-Wärme-Kopplung im Wettbewerb stär- ken - Drucksachen 14/4753, 14/6518 - Berichterstattung: Abgeordnete Michaele Hustedt c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Walter Hirche, Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Kraft-Wärme-Kopplung auf dem Prüfstand - Drucksachen 14/4614, 14/6519 Berichterstattung: Abgeordneter Volker Jung ({4}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Dr. Werner Müller.

Werner Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11005300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat nach langen und schwierigen Verhandlungen, die insbesondere von Herrn Trittin und mir über viele Monate geführt wurden, am 25. Juni 2001 mit der deutschen Wirtschaft eine Selbstverpflichtungsvereinbarung zur Verminderung der CO2Emissionen und zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung paraphiert. Mit der Vorlage des Gesetzes für die Erhaltung, die Modernisierung und den Ausbau der KraftWärme-Kopplung, kurz: Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, erfüllt die Bundesregierung die Verpflichtung, die sie im Rahmen dieser Vereinbarung zum Klimaschutz mit den Vertretern der Wirtschaft eingegangen ist. Wir sind damit bei einem oftmals auch etwas kontrovers diskutierten Thema einen großen Schritt vorangekommen. Ich begrüße das sehr. Denn bei den langwierigen und schwierigen Diskussionen hat der eine oder andere schon einmal das eigentliche Ziel aus den Augen verloren. Mitunter standen auch Forderungen im Raum, die klar an dem eigentlichen Ziel des CO2-Sparens vorbeigingen und die, was die Forderung nach öffentlichen Subventionen anbelangt, gelegentlich schlicht über das Ziel hinausgeschossen sind. ({0}) Lassen Sie mich noch einmal deutlich machen, was der Ausgangspunkt war. Ausgangspunkt war, dass die wirtschaftliche Situation für die Kraft-Wärme-Kopplung durch die Folgen der Liberalisierung im Strommarkt in eine ungünstige Situation geraten ist; denn die Strompreise sind gesunken. Dies ist ein für die Stromverbraucher angestrebtes Ergebnis des Liberalisierungsprozesses. Aber die Betreiber von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen gerieten in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Folge dieser wirtschaftlichen Schwierigkeiten wäre gewesen, dass Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen innerhalb relativ kurzer Frist vor der Stilllegung gestanden hätten. Deswegen haben wir vor einiger Zeit für solche Anlagen ein Hilfsprogramm beschlossen, in dem auch festgelegt wurde, dass bis zum 1. Januar 2002 eine generelle Kraft-Wärme-Kopplungsregelung gefunden werden soll. Dies ist insbesondere auch deswegen notwendig, weil wir nicht nur die bestehenden Anlagen in vernünftigem Ausmaß vor den Folgen der Liberalisierung zu schützen haben, sondern auch weil wir bei solchen Anlagen einen Zubau erreichen wollen, damit die klimapolitischen Ziele der alten und der neuen Bundesregierung verwirklicht werden können. Für die Erreichung dieser klimapolitischen Ziele sind Erhalt und Ausbau ökologisch effizienter Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen ein wichtiger Baustein. Im Kabinettsbeschluss vom Juli 2000 hat die Bundesregierung den Minderungsbeitrag der Kraft-WärmeKopplung zur Erfüllung des Klimaschutzziels mit 23 Millionen Tonnen weniger CO2 pro Jahr bis 2010 beziffert. In Politik und Wirtschaft gibt es einen breiten Konsens darüber, dass dieses Ziel mit einer ökologisch effizienten Kraft-Wärme-Kopplung prinzipiell erreichbar ist. Bei der Umsetzung dieses Zieles gilt es, einerseits die Interessen der stromverbrauchenden Industrie und andererseits die Interessen der Anlagenbetreiber an der Absicherung vorhandener Anlagen im Auge zu behalten. Die beteiligten Verbände sind den Vorstellungen der Bundesregierung gefolgt und haben sich entschieden, den Weg einer Selbstverpflichtung zu gehen, um die klimapolitischen Ziele zu erreichen. Wir haben - das möchte ich kurz einflechten - mit dem Mittel der Selbstverpflichtung der Wirtschaft in Kombination mit flankierenden Maßnahmen der Politik bisher insgesamt sehr gute Erfolge erzielt. Deswegen wollen wir diesen Weg auch fortsetzen. Mit der im Juni paraphierten Vereinbarung soll eine Emissionsreduktion um insgesamt bis zu 45 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr bis 2010 verwirklicht werden. Dazu ist in dieser paraphierten Vereinbarung ein umfangreiches Maßnahmenpaket verabredet worden. Neben dem Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung umfassen die Zusagen der Wirtschaft beispielsweise Maßnahmen zur Modernisierung des Kraftwerksparks, den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien sowie die Modernisierung der Heizungs- und Warmwasserversorgung. Bei der Kraft-Wärme-Kopplung hat die Bundesregierung zugesagt, die Modernisierung des KWK-Bestandes mit gesetzlichen Maßnahmen zu unterstützen. Mit dem Gesetz, das heute eingebracht wird, löst die Bundesregierung diese eingegangene Verpflichtung ein. Zweck des Gesetzes ist der befristete Erhalt und vor allem die Modernisierung des Bestandes der Kraft-Wärme-KoppVizepräsidentin Petra Bläss lungsanlagen in Deutschland. Deshalb belohnt das Gesetz eine schnelle Modernisierung. Über die Erhöhung der Stromausbeute durch Modernisierung kann der Betrag der Begünstigung ferner verdoppelt bis verdreifacht werden. Ich will deutlich sagen: Das Hauptziel dieses Gesetzes liegt auf der Modernisierung bestehender Anlagen. Wir wollen also verhindern, dass durch übermäßige Subventionierung relativ wenig umweltwirksame Altanlagen im Bestand viel zu lange weiter betrieben werden, einfach deshalb, weil sie Subventionen genießen. Wenn wir hier auf ein Hilfssystem durch Umlage über den Strompreis zurückgreifen, dann müssen wir dabei beachten, dass wir die Strompreise in Deutschland durch diese Umlagesysteme nicht zu sehr nach oben treiben dürfen. Wie wir wissen, ist das von dieser Bundesregierung eingangs ihrer Tätigkeit gefertigte Stromeinspeisungsgesetz überaus erfolgreich. Wir haben exorbitante Zuwächse bei der Verstromung erneuerbarer Energien, sodass wir im Jahre 2005 mit etwa 5 Milliarden DM Umlage auf den Strompreis durch das Stromeinspeisungsgesetz rechnen. Das von der Bundesregierung hier und heute eingebrachte Gesetz wird zu Belastungen für den Strompreis von insgesamt rund 1 Milliarde DM bis 2010 führen. Es wird aber zu keiner Strompreiserhöhung kommen, weil durch das Gesetz die Hilfsverpflichtung, die ebenfalls gesetzlich geregelt ist, abgelöst wird. Ich will noch einmal deutlich sagen: Mir scheint damit das erreicht, was wir an Belastungen des Strompreises durch Umlagesysteme gesamtwirtschaftlich in etwa für verkraftbar halten. Ich füge hinzu, dass neben der Unterstützung kleiner Blockheizkraftwerke ein weiteres wichtiges Ziel des jetzt eingebrachten Gesetzes die Markteinführung der Brennstoffzelle ist. Die Brennstoffzelle wird mit diesem Gesetz in einer besonderen Weise gefördert, sowohl was den Betrag als auch was den Zeitraum angeht; denn sie wird als Einziges über den Zeitpunkt 2010 hinaus gefördert. Das trägt dem Umstand Rechnung, dass die Brennstoffzelle einschließlich der in diesem Gesetz geregelten Beihilfen zurzeit noch relativ deutlich von der Wirtschaftlichkeit entfernt ist, dass wir aber die sichere Überzeugung haben, dass Brennstoffzellen 2005 und später mit den im Gesetz angebotenen Hilfen in den Bereich der Wirtschaftlichkeit kommen. Deswegen haben wir hier eine Ausnahme gemacht und fördern Brennstoffzellen maximal bis 2019/2020. Alles in allem bildet das vorgesehene Gesetz eine wichtige Voraussetzung für den langfristigen Erhalt der Kraft-Wärme-Kopplung und die Realisierung der Klimaschutzziele dieser Bundesregierung bis zum Jahre 2010. Daher sollte der mit der Wirtschaft gefundene Kompromiss auch so rasch wie möglich umgesetzt werden. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Gesetzentwurf in der von der Bundesregierung vorgelegten Form unterstützten. Vielen Dank. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Christian Ruck.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz der Bundesregierung, das wir heute in erster Lesung beraten, hat gute und schlechte Seiten. Positiv ist wenigstens, dass wir die Vorstellungen der Bundesregierung endlich hier im Parlament und sogar bei Tageslicht diskutieren können. Nach meinem parlamentarischen Verständnis sind wir Abgeordnete nämlich nicht nur zum Abnicken von Vorlagen gewählt, die die Bundesregierung mit Verbänden und Organisationen außerhalb des Hauses ausgemauschelt hat. Das gilt umso mehr, als die Maßnahmen die Menschen in diesem Land viel Geld kosten. ({0}) - Danke, Herr Müller. Gut ist auch, Herr Müller - ich bin gerade dabei, die Vorlage zumindest in einigen Teilen zu loben; das sollten Sie sich nicht entgehen lassen -, dass Rot-Grün mit dem neuen Gesetz das unselige KWK-Vorschaltgesetz beerdigt. Schon dieses Vorschaltgesetz kam unsere Bürger teuer zu stehen und war und ist ökologisch völlig wirkungslos, also in jeder Hinsicht eine Missgeburt. Wir begrüßen auch, dass Rot-Grün in der neuen Gesetzesvorlage auf einige frühere Pläne verzichtet hat, die wir für falsch gehalten haben, zum Beispiel die starre Zielvorgabe einer Verdoppelung von KWK als Handlungsauftrag oder ein wie immer geartetes Quotenmodell. Wir begrüßen auch, dass der neue Gesetzentwurf nun tatsächlich die gleichzeitige Produktion von Strom und Wärme honoriert, dass die Förderung degressiv gestaffelt und zeitlich begrenzt wird - auch das haben wir immer gefordert - und dass mit dem Anreiz zur Modernisierung und zur Förderung von Blockheizkraftwerken und Brennstoffzellenanlagen Innovation und technischer Fortschritt angeregt werden. Auch das politische Instrument der freiwilligen Selbstverpflichtung halten wir generell für richtig, wenn es denn auch wirklich freiwillig ist und nicht nur die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub. Aber der neue rot-grüne KWK-Gesetzentwurf bietet leider auch viel Anlass zur Kritik. Wie beim EEG und dem KWK-Vorschaltgesetz wird wieder der Weg einer Umlagefinanzierung durch die Verbraucher gewählt, das heißt eine heimliche Steuererhöhung ohne die Transparenz und die Kontrolle durch ein ordentliches parlamentarisches Haushaltsverfahren. Die Wettbewerbsverzerrung zwischen öffentlichen und industriellen KWK-Anlagen ist zwar gemildert, aber längst nicht beseitigt. Ich frage mich schon, wie unter den Bedingungen dieses Gesetzes der Zubau durch die private Wirtschaft, der zugesagt wurde, garantiert werden kann, wenn weder der Zubau noch der Eigenverbrauch gefördert werden. Der Entwurf bringt an mehreren Stellen auch riskante Unklarheiten, rechtliche Risiken und den völlig unnötigen Zwang zu einem gewaltigen bürokratischen Mehraufwand, vor allem für die betroffenen Unternehmen. Darauf hat auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme hingewiesen. Wir fordern Sie auf, Herr Müller, auch diese Hinweise ernst zu nehmen. Ich möchte ein Beispiel für diese Unklarheiten und Unschärfen nennen. Die Deutsche Bahn befürchtet, dass sie nicht in die zweite Vergünstigungsstufe des Gesetzes fallen könnte, obwohl das Unternehmen sehr stromintensiv arbeitet und 7,5 Prozent des Konzernumsatzes aus Energiebeschaffungskosten bestehen. Aber die umweltfreundliche Bahn ist eigentlich kein produzierendes Unternehmen im Sinne des Gesetzes und müsste damit erneut die als umweltschützerische Maßnahmen deklarierten Mehrkosten des KWK-Gesetzes voll tragen. Das würde zum Beispiel für die Dauer des Gesetzes einen Betrag von 170 Millionen DM im Vergleich zu dem Zustand ausmachen, den die Bahn hätte, wenn man sie logischerweise in die höchste Vergünstigungsstufe hereinnähme. Hier muss eine Klarstellung zugunsten der Bahn erfolgen. Schließlich ist auch die Klimaschutzkomponente nach wie vor unterbelichtet. Die Förderung der KraftWärme-Kopplung ist erklärtermaßen Teil der Klimaschutzstrategie der Bundesregierung. So ist sie auch begründet worden. Aber auch im neuerlichen Anlauf ist es nicht gelungen, die Förderung tatsächlich an ökologischen Kriterien, insbesondere an der Reduktion von Treibhausgasemissionen, festzumachen. Sie entscheiden in Ihrem Gesetz die Frage des Ob und Wie einer Förderung nach den Kriterien, wie alt eine Anlage ist, ob sie modernisiert wird und ob die Anlage in das öffentliche Netz einspeist oder nicht, aber nicht nach der Frage, welchen Beitrag sie zum Klimaschutz leistet. Damit ist der ökologische Effekt der 8 Milliarden DM, die Sie den Bürgern aus der Tasche ziehen, gering. ({1}) Die Ausgestaltung Ihres Gesetzentwurfes lässt nur einen Schluss zu: Es geht Ihnen auch diesmal weniger um den Klimaschutz als um die stranded investments bei öffentlichen Energieerzeugern. Darüber kann man natürlich diskutieren. Aber das ist kein schlüssiges Klimaschutzkonzept, das ist hoher ökonomischer Aufwand für wenig Ökologie - genau wie bei der Ökosteuer, dem EEG und dem 100 000-Dächer-Programm. Deswegen lehnen wir auch diesen Gesetzentwurf - zumindest in der vorliegenden Form - ab. Wir haben zur KWK-Förderung eigene Vorschläge auf den Tisch gelegt, die sicherlich auch nicht perfekt sind, die wir aber für schlüssiger halten: erstens die Förderung bestehender Anlagen nach einem hohen ökologischen Effizienzkriterium, zum Beispiel einem Monatsnutzungsgrad von mindestens 60 Prozent, zweitens eine Intensivierung von Forschung und Entwicklung innovativer, dezentraler Energieumwandlungsanlagen, drittens ein 100 000-Keller-Programm zur Markteinführung innovativer KWK-Anlagen, zum Beispiel - aber nicht nur mit Brennstoffzellentechnologie. Solche Technologien - das haben Sie zumindest schon gesagt, Herr Müller könnten ihre Marktreife in drei bis vier Jahren erreichen. Bei einem solchen gezielten Markteinführungsprogramm wäre der CO2-Minderungseffekt um ein Vielfaches höher als zum Beispiel beim 100 000-Dächer-Programm für Photovoltaik. ({2}) Unseren Antrag haben Sie im Umweltausschuss fälschlicherweise abgelehnt - und nicht nur das: Sie haben fälschlicherweise auch andere gute Klimaschutzanträge der CDU/CSU mit Ihrer Mehrheit abgeschmettert, darunter ein detailliertes Konzept zur Komplettsanierung des deutschen Gebäudebestandes mit dem Ergebnis einer Minderung des CO2-Ausstoßes um jährlich über 90 Millionen Tonnen. Im Vergleich: Ihr KWK-Gesetz soll im Jahr 2010 knapp über 20 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß einsparen. Wir haben auch Vorschläge für einen wirksamen Klimaschutz durch verstärkte Forschungs- und Entwicklungspolitik unterbreitet. Sie haben sowohl die Mittel für die Forschungs- als auch für die Entwicklungspolitik zusammengestrichen. Ihre Klimaschutzpolitik, dessen Bestandteil das KWKGesetz sein soll, ist ein jährliches zweistelliges Milliardengrab, mit dem Sie den Klimaschutz aber nicht voranbringen. Die ökologischen Herausforderungen im Klimabereich für die nächsten Jahre und Jahrzehnte sind gewaltig. Deswegen können wir uns keine ideologisch begründete Verschwendung volkswirtschaftlicher Ressourcen leisten. Mit ihrer Umwelt- und Energiepolitik wird die Bundesregierung ihrer Verantwortung, eine nachhaltige Politik zu betreiben, in keiner Weise gerecht. ({3}) Stimmen Sie unseren Vorschlägen zu, dann sind wir schon einen konkreten Schritt weiter. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Michaele Hustedt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach langer Beratung haben wir jetzt das KWK-Modernisierungsund Ausbaugesetz in der parlamentarischen Beratung. Damit haben wir nach dem Gesetz zur Förderung der erneuerbaren Energien weltweit das beste Gesetz, das es auf dem Markt gibt, und neben dem Altbausanierungsprogramm sowie der Wärmeschutzverordnung einen weiteren Baustein einer neuen umweltfreundlichen Energiepolitik auf den Weg gebracht. ({0}) Dieses Gesetz löst gleichzeitig das KWK-Vorschaltgesetz ab und macht dabei Fehler wieder gut, die wir aus meiner Sicht im KWK-Vorschaltgesetz gemacht haben. ({1}) - Das habe ich immer gesagt. ({2}) Herr Ruck, es ist in keiner Weise so, wie Sie es behaupten. In dem neuen KWK-Gesetz werden klare ökologische Effizienzkriterien zur Vergabe der Förderung genannt. ({3}) - Lesen Sie es genau durch. Viele unökologische Anlagen, die im KWK-Vorschaltgesetz aufgeführt sind, werden aus der Förderung herausfallen. ({4}) Das bedeutet unterm Strich, dass das neue KWK-Gesetz günstiger wird als das KWK-Vorschaltgesetz. Wir werden mit diesem Gesetz hauptsächlich die Modernisierung fördern. Mit Blick auf Anlagen, die Fernwärme produzieren und ökologisch nicht effizient sind, wollen wir einen Anreiz geben, moderne, ökologisch effiziente Anlagen zu bauen. Zum anderen werden wir den Ausbau kleiner BHKWs und der Brennstoffzelle fördern. Herr Ruck, Sie müssen sich klar machen, wie die Position der CDU/CSU-Fraktion zu diesem Gesetz ist. Sie wollen andere Wege gehen. Ich sage Ihnen dazu: Das machen wir alles schon. Die Forschung für die Brennstoffzelle - das sollte Ihnen nicht entgangen sein - haben wir mit Mitteln aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen deutlich aufgestockt, und zwar mit dem Schwerpunkt Brennstoffzelle. ({5}) - Nein, das ist gerade für den Bereich Brennstoffzelle dauerhaft. Die Markteinführung - das ist doch bekannt - ist mit Instrumenten wie der Einspeisevergütung oder den Zertifikatshandelsmodellen wesentlich leichter als über Förderprogramme zu erreichen, die jedes Jahr auf dem Prüfstand stehen. Förderprogramme bedeuten immer stop and go und geben keine Investitionssicherheit und damit die Voraussetzung einer Planung für die Markteinführung. Wenn Sie der Markteinführung zustimmen, dann müssten Sie dieses Gesetz eigentlich begrüßen. Einige aus der CDU/CSU-Fraktion tun dies sogar. Ich habe zum Beispiel heute eine Pressemitteilung des kommunalpolitischen Sprechers Ihrer Fraktion, Herrn Götz, vorliegen. ({6}) - Doch. - Er fordert uns auf, dieses Gesetz deutlich über das Jahr 2010 hinaus zu verlängern, weil es für die Kommunen tatsächlich ein guter Weg ist, um ökologisch effizient einen Beitrag für den Klimaschutz zu leisten. ({7}) Die Aufforderung, dieses Gesetz bis über das Jahr 2010 zu verlängern, zeugt nicht gerade von einer Ablehnung des Gesetzes. Was also nun? Welche Position hat die CDU/CSU in dieser Frage? ({8}) Wenn Sie fordern, dass wir das Gesetz ausweiten und die Industrie einbeziehen sollen, dann muss ich Ihnen dazu sagen: Wer die Ausweitung fordert, kann nicht gleichzeitig das Gesetz ablehnen. ({9}) Überlegen Sie sich, welche Position Sie in diesem Bereich haben! Herr Hirche, es ist merkwürdig, dass gerade von der FDP der Vorwurf kommt, Gesetze im Dialog mit der Industrie zu entwickeln sei Mauschelei. ({10}) - Der Bundestag ist die gesetzgebende Instanz und wir gehen jetzt in die Beratung. Ich finde, es ist völlig richtig, dass man Gesetze auch im Dialog mit der Industrie entwickelt. Wir unterstützen den Gesetzentwurf; wir haben für ihn gekämpft, weil KWK ein Baustein ist, um die dezentrale Energieversorgung weiter voranzutreiben. Wir erwarten von der Umsetzung des Entwurfs einen Schub für neue Technologien. Wirtschaftlich ist die Technologie spannend, weil die Investitionen sehr flexibel der Nachfrage angepasst werden können. KWK ist aber auch sehr ökologisch, weil wir mit ihr einen Beitrag zur Effizienzrevolution schaffen. Die BHKWs sind bei der Ausnutzung der Primärenergie wesentlich effizienter. Dies gilt für die großen KWK-Anlagen, aber erst recht für die kleinen Brennstoffzellen, die eine Effizienzsteigerung von 15 bis 30 Prozent bringen. KWK ist gleichzeitig ein idealer Baustein für den Übergang vom fossilen und atomaren Zeitalter zum solaren Zeitalter, weil wir mit dem System eine Struktur aufbauen, die optimal mit den erneuerbaren Energien zu kombinieren ist. Die Brennstoffzelle, die BHKWs sowie die KWK-Anlagen können perspektivisch - das dauert allerdings noch ein bisschen - mit solar erzeugtem Wasserstoff betrieben werden. Gleichzeitig ist diese Form der Energieerzeugung ein großer Beitrag zur aktiven Beschäftigungspolitik. Wir bauen mit diesen innovativen Technologien, die große Zukunftsmärkte haben - ebenso wie bei den erneuerbaren Energien -, ein neues Innovationszentrum auf. Die technischen Veränderungen kosten ein bisschen was. Die Kosten sind aber niedriger, als sie nach dem KWK-Vorschaltgesetz, das wir durch das neue Gesetz ablösen wollen, gewesen wären. ({11}) Außerdem fügen wir eine Regelung in das Gesetz ein, die die Kosten für die Industrie zusätzlich begrenzt. Insgesamt wird die Industrie mit 0,1 Pfennig pro Kilowattstunde belastet. Auf der anderen Seite wird die Branche der Anlagenbauer in Deutschland unterstützt, um innovative Techniken auf den internationalen Markt zu bringen. Zu diesen Zielen stehen wir. Wenn man den Begriff Nachhaltigkeit ernst nimmt, muss man diesen Weg gehen. ({12}) Klimaschutz ist nicht umsonst zu haben. Wir hätten uns natürlich gewünscht, dass die Industrie einbezogen wird. Wir werden ein knallhartes Monitoring in Bezug auf die Selbstverpflichtung der Industrie machen. Ich bin mir nicht sicher, ob es für die Industrie nicht Möglichkeiten gibt, auch ohne zusätzliche finanzielle Unterstützung durch ein Gesetz zuzubauen. Dies wird davon abhängen, ob die Strompreise in der Zukunft steigen und die Gaspreise sinken werden. Von dem Verhältnis zwischen Strom- und Gaspreisen wird es abhängen, ob bei einem neuen Investitionsbedarf auf dem Energiesektor die Industrie tatsächlich die hochmodernen Anlagen zubaut. Es ist wichtig zu kontrollieren, ob dies geschieht, und im Jahre 2004 eine Bilanz zu ziehen, um zu sehen, ob es im Bereich der Industrie den Zubau, zu dem sich die Industrie selbst verpflichtet hat, gegeben hat. Wenn er nicht vorgenommen worden ist, müssen daraus Konsequenzen - eventuell auch hinsichtlich einer Ausweitung der gesetzlichen Regelungen - gezogen werden. Ich finde, wir haben einen gangbaren Weg des Kompromisses gewählt, der eigentlich auch in Ihrem Sinne sein sollte. Abschließend: Wir reden hier über einen wichtigen Bestandteil einer neuen Energiepolitik, die umweltverträglich und wirtschaftlich ist sowie - auch nach den Ereignissen des 11. September - eine wesentlich höhere Versorgungssicherheit als unser jetziges System garantiert. Wir sind auf dem besten Weg zu einer nachhaltigen Energiewirtschaft. ({13})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht der Kollege Walter Hirche für die FDP-Fraktion.

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beschäftigen uns gewissermaßen mit dem Lieblingsthema unseres Wirtschaftsministers. Er hat in vielen öffentlichen Erklärungen deutlich gemacht, wie sehr es ihm am Herzen liegt - ich hoffe, die Ironie ist nicht zu verkennen -, dass die Kommunen deutlich mehr Geld für ihre Stadtwerke in die Kassen bekommen. Ich habe bei der Debatte über das Vorschaltgesetz gesagt, das sei ein „Jung-Brunnen“ für die Kommunen. Im Rahmen der jetzt vorliegenden Gesetzesfassung kann man die Abkürzung KWK ganz neu auflösen: K wie Kommunen, W wie wollen und K wie kassieren. Also: Kommunen Wollen Kassieren. Ihr Gesetz ist kein Beitrag, so wie wir ihn uns vorstellen, nämlich dass man versucht, eine gute Technologie und eine klima- und energiepolitisch wichtige Energieform effizient zu fördern. Ich gebe zu, dass der heute vorliegende Gesetzentwurf deutliche Verbesserungen im Vergleich zum Vorschaltgesetz enthält, das nicht zu einer umfangreichen Senkung der CO2-Emissionen beigetragen hat. Ich will in aller Deutlichkeit sagen: Ich freue mich, dass Frau Hustedt - natürlich etwas verklausuliert - unsere Kritik am Vorschaltgesetz bestätigt hat. Auch der neue Gesetzentwurf ist gut gemeint, aber schlecht gemacht. Zwei wesentliche Aspekte müssen kritisiert werden. Erstens. Es entsteht eine Ungleichbehandlung von KWK-Anlagen je nach Verbrauch. Man muss in aller Deutlichkeit sagen: KWK-Strom wird gemäß dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf nur dann begünstigt, wenn er in öffentliche Anlagen eingespeist wird. Was ist denn eigentlich schlecht an einem solchen KWK-Strom, den die Industrie selber verbraucht, um Arbeitsplätze zu sichern? ({0}) Was soll dieser Quatsch einer Differenzierung und der Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz? Ich habe mir heute noch einmal eine entsprechende Stellungnahme des Bundesverbandes Kraft-WärmeKopplung durchgelesen, der auf diesem Gebiet tätig ist. Schon in der Einleitung steht, dass „ohne sachliche Rechtfertigung KWK-Strom außerhalb des Eigentums öffentlicher Netzbetreiber und von Neuanlagen diskriminiert“ wird. Ich füge aus der Seite 4 dieser Stellungnahme hinzu: Klimapolitisch ist ein Ausschluss von selbst verbrauchtem KWK-Strom von der Förderung nicht zu rechtfertigen, da hinsichtlich CO2-Emissionen kein Unterschied zwischen dem vor Ort verbrauchten und dem in das öffentliche Netz eingespeisten Strom besteht. Das ist Tatsache. Von daher, Herr Wirtschaftsminister, kann ich nachvollziehen, warum dies Ihr „Lieblingsgesetz“ ist. Zweitens. Wir werden uns im zuständigen Ausschuss über folgendes Problem unterhalten müssen: Eine fundamentale Schwäche ist - Herr Kollege Ruck hat das soeben ausgeführt -, dass es keine strengen technischen und wirtschaftlichen Effizienzkriterien und keine ökologischen Mindeststandards für die zu fördernden Anlagen gibt. Interessant ist im Übrigen, dass Sie immer damit argumentieren, dass die Industrie dann, wenn eine Energieform modern ist, den Anteil an dieser selber erhöht. Die Industrie ist die Selbstverpflichtung eingegangen, eine entsprechende Senkung der CO2-Emissionen vorzunehmen. Sie will in diesem Zusammenhang ein Monitoring durchführen. Ich verstehe das so, dass auf diesem Gebiet kein Fördergesetz nötig ist. ({1}) Wenn es in einem Wirtschaftsbereich eine Selbstverpflichtung gibt, warum muss ich dann eine Förderung vorsehen? Sie schneidern die Förderung so zu, dass sie im Wesentlichen bei den Kommunen und bei der Verbundwirtschaft ankommt, die Privatindustrie aber ausgenommen wird. Das bedeutet wiederum: Arbeitsplätze stehen bei Ihnen nicht im Mittelpunkt und, wie ich eingangs gesagt habe, der Klimaschutz spielt für Sie überhaupt keine Rolle. In der Industrie gibt es - das ist eine sehr interessante Tatsache - in starkem Maße eine isolierte Wärmeerzeugung. Dabei denke ich zum Beispiel an die Chemie, die unwahrscheinlich viel Dampf für ihre Prozesse benötigt. Wenn man eine Förderung vorsehen will, dann wäre es interessant zu sagen: Dort, wo dauerhaft Wärme gebraucht und abgegeben wird, ist unser Ausgangspunkt; zusätzlich zu dieser Wärme erzeugen wir Strom. Sie aber tun das Umgekehrte. ({2}) Sie sagen: Es wird Strom erzeugt und zusätzlich produzieren wir Wärme. Dabei nehmen Sie keine Rücksicht darauf, ob diese Wärme das ganze Jahr über abgenommen und gebraucht wird. ({3}) Das ist falsch. Ihr Weg ist der klimapolitisch und im Übrigen auch wirtschaftspolitisch schlechtere. Ich empfehle Ihnen sehr nachdrücklich, in der Anhörung, die noch ansteht, und während der diesbezüglichen Ausschussberatungen zur Kenntnis zu nehmen, welche Position der in diesem Jahr wegen der dilettantischen Vorbereitungen dieses Gesetzes neu gegründete Bundesverband Kraft-Wärme-Kopplung einnimmt. Gespräche mit Vertretern dieses Verbandes führen nämlich zu einem ganz anderen Ergebnis, als es Frau Hustedt hier ausgeführt hat. Ich habe keine Hemmungen, zuzugeben, dass ich mit Vertretern von bestimmten Firmen gesprochen habe, unter anderem einer, die am Rande Bayerns, und zwar im Ausland, ihren Sitz hat. Ich möchte das nicht näher ausführen, weil ich keine Werbung für diese Firmen machen möchte. Jedenfalls haben mir diese Firmenvertreter gesagt, dass sie wegen der Konstruktion des Gesetzes zurzeit gar keine Anlagen verkaufen könnten, dass die Anlagenbauer zutiefst verunsichert seien, weil nur die Modernisierung bestehender Anlagen angestrebt werde und nicht verlangt werde, dass die Industrie ihrer Selbstverpflichtung, die KWK in einem bestimmten Umfang auszubauen, nachkomme. Aus diesem Grunde unterstelle ich zwar, dass Sie das alles gut meinen. Aber ich muss feststellen, dass Sie das handwerklich ganz schlecht umgesetzt haben. Es ist nicht ohne Grund so schlecht gemacht worden. Frau Hustedt, Ihre Rede hat mir erst die Möglichkeit gegeben, dies zu sagen. Wenn der Sprecher, der für die Kommunalpolitik der Union zuständig ist, erklärt, er finde das Ganze besonders gut, dann wird deutlich - Herr Fromme schaut mich zwar etwas streng an, aber es ist so; das ist in diesem Zusammenhang auch legitim -, dass hier bestimmte kommunalpolitische Interessen ausschlaggebender sind als die Klimapolitik und die Arbeitsplätze. Mit dieser Art von Prioritätensetzung werden Sie die Zukunft nicht gewinnen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Hirche, ich muss Sie bremsen.

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Klimapolitik und Arbeitsplätze müssen an erster Stelle stehen. Unter dieser Prämisse werden wir die weiteren Gesetzesberatungen begleiten. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht der Kollege Rolf Kutzmutz für die PDS-Fraktion.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Minister Müller hat gesagt, das Ziel des Gesetzentwurfes sei die Modernisierung der bestehenden Anlagen. Frau Hustedt, von Ausbau war bei Herrn Müller nicht die Rede. Dabei bleiben nach meiner Auffassung der vorgelegte Gesetzentwurf und die in ihm favorisierte Variante selbst hinter der halbherzigen Lösung zurück, die von den meisten Energiewirtschaftsverbänden Ende Juni - Herr Minister, Sie haben es schon angesprochen - angeboten wurde. Selbst die ist bis heute nicht unterzeichnet worden. Es scheint fast so zu sein, dass die Verbände ihren eigenen Forderungen nicht mehr trauen. Ich möchte vier kritische Anmerkungen machen. Dass sich die von den kritischen Anmerkungen, die Herr Hirche gemacht hat, unterscheiden, liegt einfach daran, dass wir die KWK unterschiedlich betrachten. Erstens. Der Gesetzentwurf enthält keinerlei praktische umweltpolitische Bezüge. Er erscheint deshalb als bloßes Investitionsschutzgesetz. Er kann sich daher nicht auf die mittlerweile ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes stützen, die den Umweltschutz höher als die Warenverkehrsfreiheit gewichtet. ({0}) Zumindest müssten konkrete Ziele zur Reduzierung des Kohlendioxidumfangs im Gesetz festgeschrieben und müsste deren Überprüfung viel früher als geplant durchgeführt werden. Das vorgesehene Verbot der Erschließung neuer Wärmeabsatzpotenziale durch Anlagenmodernisierung muss fallen. Zweitens. Der Entwurf diskriminiert industrielle KWK-Stromerzeugung, obwohl diese nachgewiesenermaßen die größten Klimaschutzeffekte brächte. Für diese Anlagen muss ein diskriminierungsfreier Anschluss an die Netze der allgemeinen Versorgung gesetzlich vorgeschrieben werden. Nur so haben die Betreiber solcher Anlagen überhaupt eine Chance auf Vergütung ihres Stroms. Drittens. Die erhebliche Entlastung bestimmter Stromkundengruppen ist in der vorgeschlagenen Form unpraktikabel und dürfte sogar gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verstoßen. Kleinkunden, vor allem die Haushalte, kann man jedenfalls nicht derart diskriminieren wie vorgesehen. Es wäre doch sozial- und umweltpolitisch verrückt, wenn die Stromkosten der Bürgerinnen und Bürger desto mehr steigen würden, je mehr umweltfreundlicher KWK-Strom auf den Markt käme. Außerdem verbaut die Entlastung der großen Stromverbraucher gerade die Chancen auf Erhalt und Ausbau der industriellen KWK. Schließlich mindern sich damit die wirtschaftlichen Anreize, vom Fremdstrombezug zur Eigenstromversorgung überzugehen. Viertens. Vor allem das im Bereich des KWK-Stroms propagierte Alleinkäufermodell verstärkt die Vormachtstellung der regionalen und der überregionalen Netzbetreiber. Die entscheiden letztlich darüber, ob der Strom auf dem Markt eine Chance hat. Das ist auch europarechtlich angreifbar. Schließlich sollen Stromhandel und Netzbetrieb zunehmend getrennt werden. Der Regierungsentwurf würde das Gegenteil bewirken. Der vorliegende Gesetzentwurf belegt einmal mehr, dass ein Handel mit Zertifikaten auf der Basis einer Quote nicht nur unbürokratischer und zielführender, sondern offenbar auch volkswirtschaftlich günstiger wäre. In der vorliegenden Form jedenfalls ist der eingebrachte Entwurf nicht zustimmungsfähig. Wir setzen hier - wie viele andere Befürworter von KWK auch - auf die Ausschussberatungen. Insofern ist die von der FDP beantragte Vorlage eines Berichts der Bundesregierung aktueller denn je. Wie schon in den Ausschüssen werden wir diesem Anliegen zustimmen, auch wenn ich natürlich weiß, lieber Herr Kollege Hirche, dass Sie mit dem Bericht ein gänzlich anderes Ziel verfolgen als wir. ({1}) Aber letztlich ist der Bericht wichtig als Entscheidungsgrundlage. ({2}) Was den CDU/CSU-Antrag angeht, können wir nur die Koalition unterstützen. Die Christdemokraten waren und sind gegen KWK, weil sie für die großen Verbundunternehmen sind. ({3}) Sie beweisen Kontinuität - vom durch sie betriebenen Energiewirtschaftsgesetz 1998 bis zum jüngsten Antrag. ({4}) Klimaschonende Stromerzeugung ist auf diese Art und Weise nicht zu erreichen. Danke schön. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht der Kollege Volker Jung für die SPD-Fraktion.

Volker Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Müller und Herr Trittin, wir begrüßen es sehr nachdrücklich, dass die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur Modernisierung und zum Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung fristgerecht vorgelegt hat. ({0}) Das gibt uns nämlich die Chance, das Gesetz, wie vorgesehen, zum 1. Januar 2002 in Kraft treten zu lassen. Nach der langen und streckenweise auch kontroversen Diskussion, auf die der Bundeswirtschaftsminister hingewiesen hat, ist das, meine ich, ein recht bemerkenswertes Ergebnis. Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetz schließen wir die letzte große Lücke unseres Energiewendeprogramms, das wir am Anfang der Legislaturperiode verabredet haben. Nach dem 100 000Dächer-Programm, nach dem Einstieg in die ökologische Steuerreform, nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, nach dem Markteinführungsprogramm, nach dem Kernenergieabwicklungsgesetz und auch dem KWK-Soforthilfegesetz schließen wir dieses Programm jetzt mit einem fundierten Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz ab. ({1}) Der Ansatz ist die Kombination einer Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft und einer gesetzlichen Begleitung. Anders ist das bei dieser Materie gar nicht vorstellbar. Die Wirtschaft hat eine zusätzliche Reduzierung der CO2-Emissionen im Umfang von 45 Millionen Tonnen bis zum Jahre 2010 zugesagt; durch die Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung soll in diesem Zeitraum eine Minderung um 20 Millionen Tonnen bis 23 Millionen Tonnen erreicht werden. Auf der anderen Seite muss die Umlagefinanzierung organisiert werden und das geht nur auf gesetzlichem Wege. Dabei konzentrieren wir uns auf den Bestandsschutz und auf die Modernisierung der Kraft-Wärme-Kopplung in der öffentlichen Versorgung. Außerdem fördern wir die Markteinführung der Brennstoffzellen. Herr Hirche, Sie haben den Unterschied zwischen der öffentlichen Versorgung und der industriellen KWK hervorgehoben; das ist ja ein Lieblingsthema von Ihnen. Dazu muss ich Ihnen in aller Klarheit sagen: Die Gleichstellung dieser beiden Anlagenkategorien ist von der Wirtschaft verhindert worden. Wir sind mit dem Ansatz hineingegangen, auch die industrielle Kraft-WärmeKopplung zu fördern, und zwar adäquat; ({2}) denn sie hat erhebliche Wettbewerbsvorteile. Das ist aber von der deutschen Wirtschaft verhindert worden, und zwar unter Einschluss des VIK, des Verbandes der IndusRolf Kutzmutz triellen Energie- und Kraftwirtschaft, die intern zerstritten war. ({3}) Das ist der Punkt an der ganzen Sache, der, wie ich finde, nicht unterschlagen werden darf. ({4}) Durch den Diskussionsprozess hat sich doch, meinen wir, ein ganz erheblicher Konsens zwischen Wirtschaft und Politik herausgebildet, den man festhalten und nicht zerreden sollte. Der Konsens bezieht sich darauf - so würde ich das umschreiben -, dass Kraft-Wärme-Kopplung tatsächlich einen wirksamen und kostengünstigen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Auch die begleitenden wissenschaftlichen Studien kommen letztlich zu dieser Schlussfolgerung. ({5}) Wir leisten mit dem Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung auch einen erheblichen Beitrag zur Stärkung der dezentralen Energieversorgung. Wenn man die heutige Entwicklung beobachtet, dann stellt man fest, dass es ein ganz entscheidender Gesichtspunkt ist, dass sich insbesondere die großen Energieverbundunternehmen in zunehmendem Maße international organisieren, damit auch ihre Produktionsstrukturen international werden, weswegen die Gefahr groß ist, dass in Zukunft der Umfang des Stromimports und nicht die Wertschöpfung in unserem Lande erheblich wachsen wird. ({6}) Dieser wichtige Aspekt wird in der Diskussion in der Regel unterschlagen. ({7}) Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir mit dem Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung einen Beitrag dazu leisten, die Wertschöpfung und die Beschäftigung in diesem Lande zu stärken und zu verhindern, dass Arbeitsplätze exportiert werden. Um diese Ziele zu erreichen, ist der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung ein geeignetes Instrument. ({8}) Wir müssen - diese Frage darf man ebenfalls nicht außen vor lassen - die Kernenergie - die Atomkraftwerke gehen in absehbarer Zeit vom Netz - in der Zukunft substituieren, genauso wie wir veraltete Kraftwerke erneuern müssen. Die Vertreter der Elektrizitätswirtschaft sagen uns, dass der Reinvestitionszyklus im Kraftwerkspark ab dem Jahre 2005 einsetzen wird. Auch von daher ist es wichtig, dass es politische Signale gibt, in welche Richtung die Entwicklung gehen soll. ({9}) Die Kernenergie wird im Jahre 2020 oder 2022 vollständig vom Netz genommen sein. Das bedeutet, dass bis dahin immerhin ein Drittel der Stromerzeugungskapazität in unserem Lande wegfällt. Die Kernenergie wird vor allen Dingen in der Grundlast eingesetzt. Im Jahre 2010 werden die Atomkraftwerke bereits 40 Terawattstunden - das entspricht 8 Prozent unserer Stromversorgung - weniger liefern. Man muss sich Gedanken darüber machen, in welche Richtung Investitionen zur Substitution dieser Energie gelenkt werden sollen. Ich füge den Hinweis hinzu, dass die KraftWärme-Kopplung grundlastfähig ist. Sie kann also, was in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung ist, auch in der Grundlast eingesetzt werden. Wenn wir die Kraft-Wärme-Kopplung nicht ausbauen, dann gäbe es im Hinblick auf die Zukunft der Fernwärmeversorgung in unserem Lande zwei Alternativen: Entweder müssten wir - das ist ökologisch absolut unsinnig - reine Heizwerke bauen oder es käme - darüber diskutieren viele Unternehmer schon - zu einem Desengagement auf diesem Gebiet. Ich möchte das Ganze folgendermaßen zusammenfassen: Die Kombination von einer Vereinbarung und einer gesetzlichen Flankierung hat eine völlig neue Qualität bezüglich der Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft. Sie ist zielgenau. Sie ist branchenscharf und technologiespezifisch angelegt. ({10}) Ich meine, dass wir damit im Prinzip gar nichts anderes machen, als das einzulösen, was Sie einmal entschieden haben. Da Sie es mit Sicherheit vergessen haben, möchte ich gerne § 4 a des Energiewirtschaftsgesetzes zitieren: ({11}) Die Bundesregierung wirkt darauf hin, dass die Elektrizitätsversorgungsunternehmen im Wege freiwilliger Selbstverpflichtung zusätzliche Maßnahmen zur Steigerung des Anteils der Elektrizitätserzeugung aus erneuerbaren Energien und aus Kraft-WärmeKopplung treffen. ({12}) Die Bundesregierung kann nach Anhörung der beteiligten Kreise Ziele festlegen, die in angemessener Frist erreicht werden sollen. Dieses Gesetz ist 1998 von Helmut Kohl und Günter Rexrodt unterschrieben worden. In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Gesichtspunkt wichtig - meine Kollegin Hustedt hat darauf hingewiesen -: Durch die neue Ausrichtung des Gesetzes, also durch die ausschließliche Förderung des KWK-Stromes, wird sich die Belastung der Industrie von 0,5 Pfennig pro Kilowattstunde, wie beim KWK-Soforthilfegesetz, auf 0,1 Pfennig pro Kilowattstunde absenken lassen. Wir werden die Belastung der stromintensiven Industrie auf 0,05 Pfennig pro Kilowattstunde verringern. ({13}) Das ist doch ein in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigender Fortschritt. Das bedeutet - das muss man Volker Jung ({14}) auch hinzufügen -, dass wir andere Kreise möglicherweise etwas mehr belasten müssen. ({15}) Ich möchte in dieser Debatte als Letztes noch einen weiteren Gesichtspunkt in Erinnerung rufen: Die Wirtschaft muss sich bewusst sein, dass sich, wenn wir ein solches System neu konzipieren - dazu gibt es sehr eindeutige Signale aus Brüssel -, die Beihilfekontrolle der Europäischen Kommission in Zukunft auch verstärkt diesen Selbstverpflichtungen zuwenden wird. Das bedeutet, dass sehr deutlich erkennbare Beiträge zum Klimaschutz von der Wirtschaft erbracht werden müssen, wenn diese Ansatzpunkte vor der Beihilfekontrolle der Europäischen Kommission Bestand haben sollen. Ansonsten könnte es nämlich passieren, dass die Privilegierung der Wirtschaft, beispielsweise bezüglich der Belastung durch die ökologische Steuerreform, unter Druck geraten und möglicherweise untersagt wird. Die Beträge, um die es dabei geht, sind nicht gerade klein; es geht um Beträge von 5 Milliarden DM aufwärts. Insofern bin ich überzeugt davon, dass dieser sich neu andeutende Konsens zwischen Wirtschaft und Politik zustande kommen wird und wir auf dieser Grundlage letztlich ein gutes Gesetz verabschieden können. Schönen Dank. ({16})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege Kurt-Dieter Grill für die Fraktion der CDU/CSU.

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will zunächst den Versuch der Kollegin Hustedt, den Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Kommunalpolitik der CDU/ CSU-Fraktion zum Kronzeugen für dieses Gesetz zu machen, zurückweisen und bitte sie, noch einmal zu prüfen, ob sie bei der Wahrheit geblieben ist. ({0}) Die vorliegende Presseerklärung von Peter Götz unterstützt in keiner Weise den Gesetzentwurf, den wir hier heute beraten. Es heißt nämlich schon in der Überschrift: „KWK-Modernisierungsgesetz - lauwarme rot-grüne Energiepolitik lässt Kommunen im Regen stehen“. ({1}) Weiter heißt es: Zur ersten Lesung des Kraft-Wärme-Koppelungsgesetzes der rot-grünen Bundesregierung … erklärt der kommunalpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion …: Der rot-grüne Gesetzentwurf ist ein fauler Kompromiss im Zielkonflikt zwischen billiger Energie auf einem liberalisierten Markt und dem Umweltschutz. Den Kommunen hilft er nicht weiter. ({2}) Herr Götz ist also weiß Gott kein Kronzeuge. Ich finde, Sie sollten doch etwas wahrhaftiger mit den Dingen, die draußen geschehen, umgehen. ({3}) Das Zweite ist: Ich habe immer danach gesucht, worin denn die Revolution besteht, die Sie hier jetzt verkündet haben. Wir werden einmal schauen, ob es Ihnen, ebenso wie es uns in den letzten zehn Jahren gelungen ist, gelingt, eine 2-prozentige Energieeffizienzsteigerung pro anno mit Ihrer Politik hinzubekommen. Angesichts dieses Gesetzes ist jedenfalls nicht sichergestellt, dass Sie eine Effizienzrevolution hinbekommen. Sie werden aber auf jeden Fall erreichen, dass mehr Geld von den Bürgern in die Kassen von Leuten, die auf Ihren Wunsch hin KraftWärme-Kopplung ausbauen, fließt. ({4}) - Eine Subventionsrevolution; das ist ein netter Zuruf, ich bin dafür dankbar, Walter Hirche. Wer gegen diesen Gesetzentwurf etwas sagt, meine Damen und Herren, muss nicht zwangsläufig gegen Kraft-Wärme-Kopplung sein. Er muss schon gar nicht gegen Brennstoffzellen sein. Es muss vielmehr gestattet sein, in diesem Hause darüber zu diskutieren, ob das, was hier auf dem Tisch liegt, den Ansprüchen einer in sich konsistenten Energiepolitik gerecht wird. ({5}) Frau Hustedt hat von einem weiteren Baustein gesprochen. Es wäre ja schön, wenn wir endlich einmal erkennen könnten, wie der Konstruktionsplan, sozusagen die Architektur dieses Energiehauses von Rot-Grün, denn aussieht. Nach dem Energiebericht des Bundeswirtschaftsministers liegt er bisher überhaupt nicht vor. Eine in sich schlüssige Konzeption werden wir von der rot-grünen Koalition bis Ende der Legislaturperiode auch nicht bekommen. Insofern ist eine Einordnung dieses Bausteins schlicht und einfach gar nicht möglich. Ich denke, dass wir uns darüber einig sind, dass die Erforschung von Brennstoffzellen keine Erfindung von RotGrün ist. Die Erprobung und der Einsatz der Brennstoffzelle, so wie heute schon bei Daimler-Chrysler und vielen anderen Industriebetrieben und Lieferanten, erfolgen doch nicht erst seit den letzten drei Jahren. Im Gegenteil, die Energieforschung läuft bei Ihnen Gefahr, auf Null reduziert zu werden. Es gibt einen zweiten Punkt, über den ich in diesem Zusammenhang gerne einmal mit Ihnen streiten würde. Es geht darum, dass Sie in den energiepolitischen Diskussionen draußen eigentlich immer den Vorwurf erheben, wir würden eine zu stark angebotsorientierte Energiepolitik betreiben. Volker Jung ({6}) Es bestehen - das wird von Ihnen auch nicht bestritten Überkapazitäten. Sie selber schwärmen immer von den hier bestehenden Einsparpotenzialen. Die entscheidenden Einsparpotenziale - in diesem Punkt widersprechen wir Ihnen ja gar nicht - liegen nicht nur im Strombereich, sondern insbesondere im Wärmebereich. Durch Ihre Energieeinsparverordnung in Fortsetzung der Wärmeschutzverordnung besteht heute in den kommunalen Fernwärmenetzen eine mangelnde Auslastung. Der Wärmeverbrauch sinkt ja aufgrund von Nachrüstungen in Altbauten und vielen anderen Dingen. ({7}) Dies stützt das Argument, das Walter Hirche hier vorgetragen hat, sich bei dem Thema KWK nicht an der Stromproduktion, sondern am Wärmeverbrauch zu orientieren. Dann kämen wir zu ganz anderen Ergebnissen; denn dieses Kriterium ist ausschlaggebend für die ökonomische und ökologische Effizienz der Kraft-Wärme-Kopplung. ({8}) Ich möchte einen weiteren Punkt aufgreifen. Herr Jung, auch durch Ihre Bemerkung über das Vorschaltgesetz können Sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sie hier wieder eher eigentümerorientiert als anlagenorientiert fördern. ({9}) - Das ist nicht völliger Quatsch. Lesen Sie einmal all die Stellungnahmen, die bei uns auf dem Tisch liegen. Sie können dann zwar sagen, dass Sie sie nicht zur Kenntnis nehmen oder dass Sie die Einwände nicht ernst nehmen; das kann ich Ihnen zubilligen, das bleibt Ihnen überlassen. Aber zu sagen, dies sei völliger Quatsch, ist vollkommen inakzeptabel. Denn es geht Ihnen nicht um KWK im Ganzen, sondern um ganz spezifische Anlagen bei ganz spezifischen Eigentümern. Das ist der Konstruktionsfehler. Denn wenn die KWK, von der Sie immer behaupten, sie sei ökonomisch und ökologisch überlegen, wirklich eine solche Überlegenheit vorweisen könnte, dann bräuchte sie keine Förderung in diesem Umfang. Das ist der Widerspruch an dieser Stelle. ({10}) Die Stellungnahme des Bundesrates zeigt eine große Fülle handwerklicher Schwächen dieses Gesetzentwurfes auf, die seine Umsetzung erschweren und nicht erleichtern. Die Klimaziele werden Sie damit nicht erreichen. Ich bin Herrn Kollegen Jung allerdings dankbar, dass er am Schluss seiner Rede etwas deutlich gemacht hat, was der Bürger draußen begreifen muss. Die entsprechende Aussage liegt ungefähr auf der Linie durchaus energieintensiver Betriebe, deren Vertreter sich bei einer Anhörung über die zusätzliche Belastung beschweren, aber nicht sagen, dass sie gegen die Subventionen sind. Vielmehr sagen sie: Senkt unsere Belastungen ab und verteilt sie auf die Bürger! Dann sind wir zufrieden. - Meine Damen und Herren, das ist eine Politik, die wir nicht unterstützen können. Herr Kollege Jung, Sie haben hier ganz deutlich gesagt, dass der normale Tarifverbraucher, der einzelne Bürger, die Zeche dafür bezahlt, dass Sie die Belastung aus der Subvention der KWK-Förderung nicht an die energieintensiven Betriebe weitergeben, sondern einen Deal zulasten der normalen Verbraucher gemacht haben. Das heißt: Wer Ihrer Politik folgt, der wird - im Vergleich zu der Zeit, bevor wir die Regierungsverantwortung abgeben mussten - am Ende dieser Legislaturperiode eine Mehrbelastung von etwa 6 Pfennig pro Kilowattstunde einschließlich Stromsteuer feststellen. Dabei sprechen wir ja nicht nur über die normalen Tarifverbraucher draußen im Lande, sondern auch über die große Breite des Mittelstandes, die sich Ihrer Subventionspolitik und den daraus folgenden Belastungen nicht entziehen können. Sie betreiben eine Politik, die Sie selber nicht bezahlen wollen, die aber der Bürger zu bezahlen hat. Es schert Sie im Grunde genommen einen Teufel, ob das sozial und ökonomisch zu verantworten ist. ({11}) Noch ein letztes Wort: Sie haben gesagt, dass dieses Gesetz auch zum Ziel habe, Auslandsinvestitionen und eine Flucht der deutschen Stromwirtschaft ins Ausland zu verhindern. Herr Jung, eine solche Zumutung sollten Sie uns in Zukunft ersparen. Wenn die deutsche Stromwirtschaft außerhalb Deutschlands investiert, dann tut sie es nicht deswegen, weil sie nicht in der Lage wäre, den Ersatz von 30 000 Megawatt in Deutschland bereitzustellen - bis zum Ende diesen Jahrzehnts werden wir darüber ja entscheiden müssen -, sondern deswegen, weil Sie die Weichen im Grunde genommen so stellen, dass niemand mehr Lust hat, in Deutschland zu investieren. Herzlichen Dank. ({12})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf den Drucksachen 14/7024 und 14/7086 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe im gesamten Hause keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 14/6518 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Kraft-Wärme-Kopplung im Wettbewerb stärken“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4753 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Günter Rexrodt, Hans-Joachim Otto ({0}), Rainer Brüderle, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des GesetKurt-Dieter Grill zes über die Ausprägung einer 1-DM-Goldmünze und die Errichtung der Stiftung „Geld und Währung“ und zur Unterstützung der Rekonstruktion der Museumsinsel ({1}) - Drucksache 14/5274 ({2}) a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({3}) - Drucksache 14/6563 Berichterstattung: Abgeordnete Ingrid Arndt-Brauer Diethard Schütze ({4}) Gisela Frick b) Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 14/7092 Berichterstattung: Abgeordnete Hans Jochen Henke Hans Georg Wagner Oswald Metzger Jürgen Koppelin Dr. Uwe-Jens Rössel Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die FDP fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer für die SPD-Fraktion.

Ingrid Arndt-Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf lautet vereinfacht „Museumsinselunterstützungsgesetz“. Da wir uns in der heißen Phase des Berliner Wahlkampfes befinden, werde ich eher neutral erläutern, worum es geht. Es geht der FDP darum, ein Gesetz auszuhebeln, das der Bundestag beschlossen hat und das zum Gegenstand hat, eine 1-DM-Goldmünze zu prägen, vom Verkaufserlös 100 Millionen DM in eine Stiftung mit dem Namen „Geld und Währung“ zu überführen und mit dem Rest die Sanierung der Museumsinsel in Berlin zu betreiben. Es handelt sich um ein sehr gutes Gesetz. Die FDP fordert, stattdessen das gesamte Geld für die Museumsinsel zu verwenden. Lassen Sie mich Ihnen erläutern, warum dies nicht sinnvoll ist. Ab Januar 2002 werden wir, 320 Millionen Menschen in Europa, mit dem Euro bezahlen können. Nicht nur uns fällt der Abschied von der alten Währung schwer. Wir hängen an unserer D-Mark und wollen einen ebenso stabilen Euro. Es muss mit allen Mitteln versucht werden, die Stabilität des Euro sicherzustellen. In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, auch Forschung zu Fragen und Aufgabenstellungen zu betreiben, die die neue Währung mit sich bringt. Im Moment leistet der Sachverständigenrat gute Arbeit bei der Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und die Bundesbank ist federführend zuständig, gesellschaftliche und wirtschaftliche Fragestellungen mit finanzpolitischen Fragestellungen zu verbinden. Darüber hinaus müssen aber auch Fragen, die sich im europäischen Währungsraum neu stellen, untersucht werden. ({0}) Zu diesem Zweck brauchen wir eine unabhängige Stiftung, die Forschung, vor allem Grundlagenforschung, betreibt. Mit diesem Wunsch stehen wir nicht allein; ursprünglich wurde er sogar aus Kreisen der Wirtschaft formuliert. Das Stiftungsprojekt wird von der EZB wohlwollend begleitet; die EZB erklärt auch in Öffentlichkeit immer wieder, wie sinnvoll diese Forschung ist. In diese Stiftung fließen ungefähr 100 Millionen DM. Über diese 100 Millionen DM hinaus werden - je nach Goldwert - weitere 50 bis 60 Millionen DM erlöst werden. Diese meiner Meinung nach große Menge Geld werden wir sofort in die Sanierung der Museumsinsel stecken. Wie wir alle wissen, ist die Museumsinsel ein ganz besonderes „Schätzchen“. Sie ist UNESCO-Weltkulturerbe und unbedingt schützens- und erhaltenswert. Neben diesen 50 bis 60 Millionen DM stellt die Bundesregierung im Rahmen der Hauptstadtkulturförderung in den nächsten 10 Jahren noch circa 250 Millionen DM als Kofinanzierungsmittel zur Herrichtung der Museumsinsel zur Verfügung. Dies verdeutlicht, dass sie für uns sehr wertvoll ist ({1}) und dass wir sie unbedingt erhalten wollen. Trotzdem kann es nicht Ziel sein, das gesamte Geld in die Museumsinsel zu stecken. Der eingeschlagene Weg ist unserer Meinung nach nicht beliebig erweiterbar und auch nicht übertragbar. Jeder von uns kennt eine Fülle von Vorhaben, die er gerne finanziert hätte. Wir haben mehrere erhaltenswerte Gebäude nicht nur in Berlin, sondern auch in vielen Teilen der Bundesrepublik. Wir sollten hier nicht Tür und Tor öffnen, sondern bei dem bestehenden Rahmen bleiben, 100 Millionen DM in die wirklich sehr sinnvolle Stiftung zu überführen und das Geld, das darüber hinaus erlöst wird, für die Erhaltung der Museumsinsel bereitzustellen. Das ist einleuchtend; das wird jeder verstehen. Wenn Sie den Nachrednern intensiv zuhören und den Wahlkampf ein bisschen außer Acht lassen, dann werden Sie feststellen, dass auch sie nicht zu anderen Ergebnissen kommen. Vielen Dank. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Diethard Schütze.

Diethard Schütze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002789, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir treten ebenso wie die FDP-Fraktion dafür ein, dass der Erlös aus der Ausprägung einer 1-DM-Goldmünze uneingeschränkt zur Sanierung der Museumsinsel eingesetzt wird. Dort wird jeder Pfennig bitter benötigt. ({0}) Vizepräsidentin Petra Bläss Die Stiftung „Geld und Währung“, die von meiner Vorrednerin im Einzelnen vorgestellt worden ist, in die nach dem Willen von Rot-Grün ein Großteil des Erlöses fließen soll, ist dagegen nach unserer Ansicht überflüssig. ({1}) Die Grundlagenforschung, die in dieser Stiftung ab 1. Januar 2002 betrieben werden soll, kann ebenso gut von der Deutschen Bundesbank oder auch von der Europäischen Zentralbank selbst erbracht werden. Außerdem verfügt die Bundesrepublik Deutschland bekanntlich über zahlreiche Hochschulen und wissenschaftliche Institute, die ebenfalls hervorragende Arbeit auf diesem Gebiet leisten. Im Übrigen dürfte deren Neutralität und Unabhängigkeit im Zweifel größer sein als die einer von RotGrün eingesetzten Stiftung. Zweck der Stiftung „Geld und Währung“ soll sein - ich zitiere -, „das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Bedeutung stabilen Geldes zu erhalten und zu fördern“. Meine Damen und Herren von der Koalition, wenn es in einem Land in Europa ein ausgeprägtes Bewusstsein für Geldwertstabilität gibt, dann doch ganz bestimmt in Deutschland. Das deutsche Volk musste die leidvolle Erfahrung machen, dass Börsencrash und andauernde Inflation mit politischer Instabilität und Armut einhergehen. Demgegenüber steht für die Erfolgsstory der Bundesrepublik Deutschland nicht zuletzt die hervorragende Stabilität der D-Mark. ({2}) Allerdings kann ich nicht verhehlen, dass ich gerade in den letzten Monaten schon darüber nachgedacht habe, ob es nicht doch einer Institution bedarf, die das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Bedeutung stabilen Geldes erhält und fördert. Denn angesichts der katastrophalen Wirtschafts- und Finanzpolitik von Rot-Grün ({3}) kann man tatsächlich vom Glauben abfallen und sich fragen, was aus unserer einst stabilen Währung möglicherweise noch werden wird. Meine Damen und Herren, die Gedenkmünze soll immerhin 250 DM kosten. Sie lässt sich sicherlich besser verkaufen - es sollen ja breite Bevölkerungsschichten angesprochen werden -, wenn der Käufer weiß, dass sein Geld ausschließlich für einen guten Zweck verwendet wird, statt überwiegend einer unbekannten neu gegründeten Stiftung zuzufließen, deren Erfolg noch völlig ungewiss ist. Außerdem liegt es nicht völlig fern, anzunehmen, dass mit der Einrichtung dieser neuen Stiftung in bewährter Manier noch kurz vor der Bundestagswahl ein paar verdiente Genossen versorgt werden könnten. Wir werden sehen. ({4}) Möglicherweise erwartet Rot-Grün von der geplanten Gründung der Stiftung „Geld und Währung“ Erhellendes für ihre Politik; denn gerade in diesen Wochen wird wieder einmal deutlich, dass Rot-Grün von solider Finanzpolitik, von effizienten Haushalten und von einer soliden Währung nichts versteht, was der jüngste Haushaltsentwurf, der in diesen Tagen hier besprochen worden ist, wieder einmal eklatant offenbart hat. Vor diesem Hintergrund kann ich schon verstehen, dass sich die Damen und Herren der Regierung eine Stiftung leisten wollen, von der sie das eine oder andere Sinnvolle über den Umgang mit Geld und über den Umgang mit der Währung erfahren können. ({5}) Die Frage ist nur, ob das tatsächlich etwas bringt; denn bei Rot-Grün haben wir immer wieder erfahren müssen, dass nur das richtig ist, was ins ideologische Weltbild passt; ansonsten ist man beratungsresistent. ({6}) Nachdem Sie sich beruhigt haben, meine Damen und Herren, kann ich vielleicht noch einen weiteren Punkt ansprechen. War es nicht Ihr Bundeskanzler, der mit viel Getöse bereits im letzten Wahlkampf der angeblich so vernachlässigten Kultur zu neuer Größe und Schönheit verhelfen wollte? Mit der Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf der FDP könnte Rot-Grün ein Gutteil ihrer vollmundigen Versprechen einlösen. Rot-Grün sind es doch, die im Berliner Wahlkampf als die angeblichen Retter der Stadt auftreten. Jetzt hätten sie mit der Annahme des Gesetzentwurfs die Möglichkeit, ihren Sprüchen auch konkrete Taten folgen zu lassen. ({7}) Das sage ich nicht nur als Berliner Abgeordneter, dem diese Stadt naturgemäß besonders am Herzen liegt, sondern auch deshalb, weil es sich bei der Museumsinsel um ein von der UNESCO anerkanntes kulturelles Welterbe handelt, für dessen dringende Sanierung bisher nicht genug Geld bereitstand. Wenn der volle Erlös aus dem Verkauf der Goldmünzen an die Stiftung „Preußischer Kulturbesitz“ fließt, kann der Masterplan in den kommenden zehn Jahren erfolgreich umgesetzt werden. Dies soll natürlich nicht bedeuten - um auch dies sehr deutlich zu sagen -, dass sich die öffentliche Hand damit aus der Verantwortung für die Museumsinsel zurückzieht. Das möchte ich hier als Vertreter der Union deutlich unterstreichen. Wir könnten aber mit dem Erlös aus dem Verkauf der D-Mark-Goldmünze sicherstellen, dass mit der Restaurierung der Museumsinsel ein außerordentlicher touristischer Anziehungspunkt in Berlin wieder erstehen kann, der auch eine wichtige Ausstrahlung auf ganz Deutschland haben wird. Danke schön. ({8}) Diethard Schütze ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion des Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin Dr. Antje Vollmer das Wort.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Schütze, dass gerade Sie uns über Integrität und den korrekten Umgang mit Geld belehren wollen! Ich denke, da fehlt es Ihnen ein wenig an Taktgefühl. ({0}) Aber kommen wir zur Sache. Die Museumsinsel ist schon jetzt ein Wahrzeichen von Berlin. In New York schwärmt man von ihr als einem Phänomen in der Tradition der sieben Weltwunder und selbst in Paris ist man sich bewusst, dass sie eines Tages möglicherweise den Louvre an Schönheit übertreffen wird. Der Bundeskanzler persönlich, Gerhard Schröder, die SPD, die Grünen - auch ich wiederholt - haben immer darauf hingewiesen, dass uns der Wiederaufbau der Museumsinsel sehr am Herzen liegt und Chefsache ist. Deshalb begrüßen wir im Prinzip jede Initiative zur Unterstützung. Allerdings verärgert mich die Art, lieber Herr Rexrodt, wie die FDP mit ihren Entwürfen in Hase-und-Igel-Manier auf die fahrenden Züge springt, die wir sorgfältig vorbereitet haben. ({1}) Von daher scheint es Ihnen mit der heutigen Debatte am frühen Freitagnachmittag wohl eher um eine Unterstützungsaktion zur Rekonstruktion der Berliner FDP zu gehen, jedenfalls in der Vorphase des Wahlkampfes. ({2}) Es war nämlich nicht die FDP, sondern die rot-grüne Regierung, ({3}) die überhaupt erst dafür gesorgt hat, dass die Gelder dieser Stiftung, die ursprünglich nämlich nicht für die Museumsinsel vorgesehen waren, ab einem Betrag von 100 Millionen DM genau diesem Zwecke zugute kommen. Wir also hatten diese intelligente Idee und Sie kommen jetzt und sagen: Könnte man denn nicht alles dafür nehmen? - Ich finde, Sie sollten sich in Zukunft Ihren eigenen Kopf zerbrechen und nicht unsere Ideen und unsere Konzepte besetzen. ({4}) Generell wäre es ganz gut, wenn Sie überhaupt einmal ein Konzept hätten. ({5}) Schauen wir uns doch einmal an, was mit der Museumsinsel und überhaupt mit der Berliner Kulturpolitik geschehen ist. Wenn ich es richtig sehe, war es die CDU/FDP-Regierung, die in den Einigungsverhandlungen genau dies unterlassen hat: nämlich die Berliner Kulturpolitik, die anerkanntermaßen besondere Finanzierungsschwierigkeiten hat, überhaupt sicherzustellen. War es nicht die Misere der großen Koalition in Berlin, ständig in Finanzierungsschwierigkeiten zu geraten? Es ist mit dem neuen rot-grünen Berliner Senat erstmals gelungen, aus der ewigen Finanzierungsmisere der Museumsinsel herauszukommen. Der schon geplante Baustopp und der Stopp für das Architektenbüro konnten abgewendet werden. ({6}) Die Berliner Lage hat sich zwar nicht geändert; sie ist weiterhin schwierig. Aber jetzt herrscht Planungssicherheit, weil es Politiksicherheit gibt. Denn der Berliner Senat hat begriffen, dass man mit der Museumsinsel und ihrer Finanzierung nicht spielen kann. Wir haben die Finanzierung gesichert und werden das auch in Zukunft weiter tun. Sie werden uns den Erfolg bezüglich des Erhalts des Ruhms und des Glanzes der Museumsinsel nicht streitig machen können, Herr Rexrodt. ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Da der Kollege Dr. Heinrich Fink, PDS-Fraktion, seine Rede zu Protokoll gibt1), ist der Kollege Dr. Günter Rexrodt, der für die FDP spricht, der letzte Redner in dieser Debatte. ({0})

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Vollmer, dass Sie sich dazu hergeben, eine solche Rede zu halten und die Fakten dermaßen in ihr Gegenteil zu verkehren - ich sage es einmal sehr höflich an diesem Freitagnachmittag -, habe ich eigentlich nicht für möglich gehalten. Faktum ist, dass es hier um einen sehr vernünftigen, praktikablen und eleganten Weg geht, die Wiederherrichtung der Museumsinsel voranzubringen, Baustopps zu vermeiden und die sich ergebenden Schwierigkeiten aus der Welt zu schaffen. Jeder, der diesen Vorschlag kennt, unterstützt ihn. ({0}) 1) Anlage 2 Ich behaupte, Herr Nida-Rümelin wäre heilfroh, wenn er den Erlös aus der Prägung der Münze vollständig in die Finanzierung der Museumsinsel stecken könnte. ({1}) Rot-Grün lehnt einen Vorschlag - um nichts anderes geht es Rot-Grün -, der vernünftig und gut ist, nur deshalb ab, weil er von der FDP und nicht von Rot-Grün stammt. ({2}) Wir halten hier große Reden - an dieser Stelle müssen wir uns nicht streiten, Frau Vollmer - über das Gewicht und die Bedeutung der Museumsinsel, dieses Kleinods, das auch von der UNESCO entsprechend gewürdigt wird. Da sind Schätze zu finden, die mit den Schätzen vergleichbar sind, die man in Museen in Paris, New York und London finden kann. Die Museumsinsel war nach dem Zweiten Weltkrieg und während der DDR-Zeit in schlechter Verfassung. Aber langsam tut sich etwas. Frau Vollmer - damit komme ich zu dem entscheidenden Punkt -, Sie sprachen vorhin vom derzeitigen Berliner Senat. Ihre Kultursenatorin Goehler hat zur Unterstützung der Museumsinsel partout nichts beigetragen. ({3}) Sie geht zu Eröffnungen von Kunstausstellungen. ({4}) Sie paraphiert längst verhandelte Verträge und lässt sich auf Diskussionen mit antiamerikanischem Tenor ein. ({5}) Sie spricht davon, dass es eigentlich gut nachvollziehbar ist, dass das World Trade Center in New York kaputtgegangen ist. Das ist Frau Goehler, die auf Ihrem Ticket Kultursenatorin geworden ist. ({6}) Sie tut für klassische Kultur rein gar nichts; sie hat einen ganz anderen Kulturbegriff. ({7}) - Die jetzige Kultursenatorin hat doch Frau Vollmer in die Debatte gebracht. Drehen Sie mir doch nicht das Wort im Munde herum! Wenn Frau Vollmer nicht von dieser Frau gesprochen hätte, hätte ich kein Wort dazu gesagt. ({8}) Es geht nur darum: Ein guter Vorschlag soll deswegen abgelehnt werden, weil er von der FDP stammt. ({9}) Berlin ist in einer ganz prekären Situation. Der Haushalt 2002 kann frühestens im Frühjahr 2002 aufgestellt werden. Vorher ist eine Kofinanzierung angesichts der über alle Maßen angespannten Haushaltslage gefährdet. Dadurch können große Gefahren für die Planungssicherheit und für den Planungsfortschritt entstehen. ({10}) Mit der Bereitstellung der gesamten Mittel wäre diese Gefahr aus der Welt geschafft. ({11}) Es wird argumentiert: Weil wir für die Stabilität des Euro sind, brauchen wir die Stiftung „Geld und Währung“. Ich frage Sie: Wer ist denn nicht für die Stabilität des Euro? Müssen wir uns das hier vorhalten lassen? Das ist eine Selbstverständlichkeit. Gibt es in dieser Bundesrepublik Deutschland nicht Institutionen und Gremien wie den Sachverständigenrat - Sie haben ihn eben angesprochen -, die Bundesbank, Forschungsinstitute und Universitäten, die sich um die Stabilität der Währung kümmern? Gibt es nicht ein allgemeines Bewusstsein in diesem Land? Gibt es nicht eine europäische Währungskultur, die zu einem großen Teil aus dem deutschen Verständnis von Währungsstabilität gespeist ist? Warum muss ich zusätzlich noch eine Stiftung „Geld und Währung“ gründen, die zwar mit einem riesigen Kapitalstock ausgestattet ist, aber noch nicht einmal einen definierten Auftrag hat? Das war eine Idee der Bundesbank, die schon sehr frühzeitig in die Welt gesetzt wurde. Die Bundesregierung oder die Koalition hätten jede Möglichkeit gehabt, sich darüber hinwegzusetzen; sie tun es aber nur deshalb nicht - und dabei bleibt es -, weil der Vorschlag nicht von Ihnen, sondern von uns gekommen ist. ({12}) Das ist kleinkariert und schäbig. Das hat mit Kultur nichts zu tun. Frau Vollmer, das ist nicht einmal eine gute Parlamentskultur. Herzlichen Dank. ({13})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Museumsinselunterstützungsgesetzes auf Drucksache 14/5274. Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/6563, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Dr. Günter Rexrodt Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP und PDS in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ ({0}) - Drucksache 14/7063 Überweisungsvorschlag: Sonderausschuss Maßstäbe-/Finanzausgleichsgesetz ({1}) Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Die Kolleginnen und Kollegen Horst Schild, Jochen- Konrad Fromme, Antje Hermenau, Jürgen Türk, Dr. Barbara Höll sowie die Parlamentarische Staatssekre- tärin Dr. Barbara Hendricks haben ihre Reden zu Proto- koll gegeben1). - Ich sehe Freude im gesamten Hause. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 14/7063 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Auch hier sehe ich Einverständnis bei allen Kolleginnen und Kollegen. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 24 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Christina Schenk, Dr. Ilja Seifert, Rosel Neuhäuser, Dr. Ruth Fuchs und der Fraktion der PDS Forschungen zur Lebenssituation intersexueller Menschen - Drucksache 14/6259 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS fünf Minuten Redezeit erhalten soll. - Ich höre auch hier keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Die Kolleginnen Margot von Rennesse und Dr. Sabine Bergmann-Pohl sowie der Kollege Hildebrecht Braun ha- ben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Christina Schenk von der PDS-Fraktion.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn ein Kind geboren wird, lautet die erste Frage von Eltern, Großeltern, Freunden und Bekannten zumeist: Ist es ein Junge oder ein Mädchen? Erwartet wird eine klare Antwort. Was aber, wenn diese nicht gegeben werden kann, weil sich das Kind nicht eindeutig einem der beiden Geschlechter zuordnen lässt? Was, wenn bei dem Kind körperliche Merkmale beider Geschlechter vorhanden sind, die inneren Geschlechtsorgane zum Beispiel weiblich und die äußeren männlich sind oder umgekehrt? In der Tat kommt auf 1 000 Neugeborene ein Kind mit - wie die Mediziner sagen - uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen. Im Volksmund werden sie Zwitter oder Hermaphroditen genannt. In der Fachsprache hat sich der Begriff Intersexuelle durchgesetzt. Das Allgemeine Preußische Landrecht hatte Zwittern im 18. Jahrhundert immerhin noch das Recht zugestanden, selbst zu entscheiden, ob sie als Männer oder als Frauen leben wollen. Im neuen deutschen Recht findet sich hingegen nichts dazu. Die Politik hat sich der Zuständigkeit mit der Konsequenz entledigt, dass Intersexualität heute ausschließlich als medizinisches Problem verstanden wird. Die Folgen sind fatal. Für die Medizin ist Intersexualität ein zu beseitigender Zustand. So werden in Deutschland seit den 50er-Jahren geschlechtszuweisende Behandlungen an Kindern durchgeführt. Die systematische chirurgische und hormonelle Behandlung beginnt bereits im Alter von wenigen Monaten. Dabei wird in der Regel die Klitoris stark verkleinert, gegebenenfalls werden Penis und Hoden entfernt und eine Vaginaplastik angelegt. Für die Betroffenen beginnt hier eine jahre- oder jahrzehntelange Tortur. Ziel dieser Prozedur ist lediglich, dem intersexuellen Kind frühzeitig ein äußeres Geschlecht als Junge oder Mädchen zuzuweisen und äußerliche körperliche Eindeutigkeit herzustellen. Zu 90 Prozent fällt die Entscheidung dabei für das weibliche Geschlecht. Der Grund dafür ist rein technischer Natur: Ein Penis ist erheblich schwieriger herzustellen als eine Vagina. Hinzu kommt ein weiteres, sehr schwerwiegendes Problem: Oft genug erweist sich das zugewiesene Geschlecht dann als das falsche. Gewiss, in einer Gesellschaft, die so tut, als ob es nur zwei Geschlechter gäbe, ist es weder für die Kinder noch für die Eltern einfach, mit Intersexualität zu leben. Aber angesichts der schwer wiegenden Beeinträchtigung sowohl der physischen als auch der psychischen Integrität durch die medizinischen Eingriffe und angesichts der Tatsache, dass eine Geschlechtszuweisung nach operativen Machbarkeitskriterien in sehr vielen Fällen eben nicht der subjektiven Befindlichkeit entspricht, ist eine Fortsetzung der bisherigen Praxis in keiner Weise akzeptabel. ({0}) Immer mehr Betroffene setzen sich öffentlich zur Wehr und brechen die um sie errichtete Mauer des Schweigens. Sie kritisieren die an ihnen in der Kindheit vorgenomme- nen schwersten operativen Eingriffe als Folter und als Verletzung ihres Rechts auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung. Sie wollen als das anerkannt wer- den, was sie sind: als Menschen, die nicht in das gewohnte und - seien wir uns darüber klar - kulturell konstruierte Schema der zwei Geschlechter passen und dieses spren- gen. Sie wollen das Recht, selbst zu entscheiden, ob sie Vizepräsidentin Petra Bläss 1) Anlage 3 2) Anlage 4 sich einem Geschlecht zuordnen oder als Zwitter leben wollen. Sie fordern die Zulassung geschlechtsindifferenter Vornamen und die Möglichkeit der Eintragung „Zwitter“ in Geburtsurkunde und Ausweise. Sie wollen, dass die Verfügungsgewalt von Eltern sowie Ärzten und Ärztinnen in Bezug auf operative Eingriffe an intersexuellen Kindern eingeschränkt wird. So erlaubt das Bürgerliche Gesetzbuch eine Sterilisation bei Kindern oder anderen einwilligungsunfähigen Menschen nur, wenn ein Vormundschaftsgericht ihr zustimmt. Die Klitorisverstümmelung, wie sie in manchen afrikanischen Kulturen verlangt wird, gilt hierzulande ohne Wenn und Aber als Körperverletzung im Sinne des Strafgesetzbuches und wird dementsprechend verfolgt. Aber die teilweise oder völlige operative Entfernung der Klitoris oder die vollständige Beseitigung der Hoden bei intersexuellen Kindern können Eltern in Zusammenarbeit mit den Chirurgen ohne weiteres beschließen. Wohlgemerkt, es handelt sich hier nicht um eine behandlungsbedürftige Krankheit. Ziel der schweren und - das betone ich - nicht mehr rückgängig zu machenden Eingriffe ist lediglich, dem intersexuellen Kind frühzeitig ein äußerlich eindeutiges Geschlecht zu geben und es als Mädchen oder Junge zu normieren. Die Bundesregierung - das ist das Problem - billigt diese menschrechtsverletzende Praxis. Sie tut dies, wie sie in der Beantwortung einer Kleinen Anfrage meiner Fraktion eingestehen musste, in völliger Unkenntnis der Lebenssituation von Intersexuellen. Weder hat sie Daten zur Zahl intersexuell geborener Kinder noch Kenntnisse über die Art, den Umfang, die Dauer und die Ergebnisse der Behandlung. Die Bundesregierung lehnt eine Änderung des jetzigen Rechts ab, solange - das ist vielleicht ein kleiner Lichtblick - nicht bewiesen ist, dass eine Nichtfestlegung des Geschlechts dem Wohl der Betroffenen dient. Sie tut aber nichts - das ist mein Vorwurf -, um sich die von ihr eingeforderten gesicherten Erkenntnisse zu verschaffen. Intersexuelle müssen zu ihrer Lebenssituation befragt und die medizinische Praxis muss evaluiert werden. Genau darauf zielt unser Antrag; das ist der Gegenstand unserer Vorlage. Es geht letztendlich darum, der menschenrechtsverletzenden Praxis der geschlechtszuweisenden Maßnahmen an nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen schnellstmöglich ein Ende zu setzen. ({1}) Deshalb beantragt die PDS-Fraktion als Einbringerin des Antrags die Federführung des Menschenrechtsausschusses. Der Gesundheitsausschuss, der hier offensichtlich von einigen favorisiert wird, ist meines Erachtens dazu nicht geeignet; denn es ist keine gesundheitspolitische Fragestellung, da es hier nicht um die politischen Rahmenbedingungen für den Umgang mit kranken Menschen geht. Es handelt sich hier um etwas anderes; ich habe es dargelegt. Vielen Dank. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns heute mit einem Thema, das auch im 21. Jahrhundert noch immer mit einem Tabu belegt ist: der Intersexualität. Eines von 2 000 Neugeborenen ist intersexuell, das heißt, es sind männliche und weibliche Geschlechtsmerkmale vorhanden. Circa 20 000 Menschen leben unter uns, denen, meist im Säuglingsalter, operativ ein bestimmtes Geschlecht zugewiesen wurde, zu 90 Prozent das weibliche, weil es chirurgisch leichter herstellbar ist, wie uns leider Ärzte und Ärztinnen selbst bescheinigen. Häufige operative Eingriffe, Hormonbehandlung und die falsche Geschlechtszuweisung führen nicht nur zu körperlichen Beschwerden, sondern haben immense psychische Auswirkungen für die Betroffenen. Daher ist es wichtig, dass sich das Parlament dieser Probleme annimmt. Wir müssen gemeinsam darüber nachdenken, wie die Politik die Lebenssituation von intersexuellen Menschen verbessern kann. Was heute als Intersexualität bezeichnet wird, umfasst ein breites Spektrum an Variationen zwischen den beiden biologischen Geschlechtern. Schon die Bandbreite des Phänomens „Intersexualität“ macht es nötig, sehr differenziert an die Problemlage heranzugehen. Diese Differenzierung fehlt mir leider, verehrte Kollegin Schenk, im PDS-Antrag. Mit reiner Polemik kommen wir hier nicht weiter. ({0}) - Ich sage das gleich, keine Aufregung! Die Bundesregierung ist ja für vieles verantwortlich zu machen. Dass sie aber „entscheidend mitverantwortlich“ am bipolaren Zustand zwischen den Geschlechtern sein soll, scheint mir doch sehr weit hergeholt. Ich finde, dieses Thema eignet sich auch nicht für einen Parteienstreit. Hier sollten wir schauen, ob wir nicht interfraktionell etwas hinbekommen. Ich habe den Eindruck, das gelingt uns. ({1}) Ich bin mir auch nicht sicher, ob alle Problemstellungen bei Intersexualität allein auf den gesellschaftlichen Zuschreibungen beruhen und damit auch gelöst wären, wenn diese entfielen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind erschütternde Berichte bekannt, dass Mediziner besonders in den früheren Jahren sehr selbstherrlich an die Geschlechtszuweisung herangegangen sind - mit schlimmen Folgen für die Betroffenen. Aus dieser Erfahrung heraus gibt es heutzutage in der Medizin weitaus differenziertere Empfehlungen zur Intersexualität, die mehr Flexibilität ermöglichen und weitaus stärker auf Begleitung, Beratung und auch Therapie setzen. Trotzdem stellt sich die Frage: Reicht das bereits aus? Denn wir wissen auch, dass es zumindest in einem Teil der Fälle weiterhin schief geht. Ich nehme die Berichte von intersexuellen Menschen sehr ernst, wenn sie im Kindesalter vorgenommene Eingriffe auch als Verletzung ihrer Menschenrechte verstehen, als Angriff auf ihre Würde, als Angriff auf ihre Integrität. Es gibt intersexuelle Menschen, die sagen: Wir fühlen uns verstümmelt. Die Medizin hat bei der Geschlechtszuweisung einen Fehler gemacht; Geschlechtsidentität und medizinisch hergestelltes Geschlecht passen nicht zusammen. Diese Schicksale müssen uns Anlass geben, sehr genau hinzuschauen, was in diesem Bereich der medizinischen Geschlechtszuweisung passiert. Alle Maßnahmen müssen immer wieder kritisch reflektiert werden, müssen auf den Prüfstand unter medizinischen, sexualwissenschaftlichen, aber auch ethischen Gesichtspunkten. Und genau hier, bei der ethischen Bewertung, sind wir als Bundestag gefragt. Deshalb ist es sehr zu begrüßen, wenn immer mehr Erkenntnisse über die Lebenssituation Intersexueller gewonnen werden können. Insofern stimme ich dem PDSAntrag zu, dass wir da noch Forschung brauchen. Zu vielen Fragen ist der wissenschaftliche Kenntnisstand noch nicht sehr weit gediehen. Das hat die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der PDS ja auch dargelegt. Ich begrüße es, dass es nun auch in Deutschland Forschung gibt, insbesondere seit dem September des Jahres 2000 an der Universität Kiel. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schlage vor, dass wir, bevor wir den PDS-Antrag in den Ausschüssen beraten, eine Sachverständigenanhörung des Deutschen Bundestages zu diesem Thema durchführen, zu der wir auch die Betroffenen und ihre Organisationen als Expertinnen und Experten in eigener Sache hinzuziehen. Wir müssen die ethischen Probleme medizinischer Geschlechtszuweisungen im Bundestag beraten. Eine Engführung auf rein medizinische Aspekte - da gebe ich Ihnen Recht - wäre diesem Problem nicht angemessen. Es gibt weitere Fragen zu diskutieren, zum Beispiel: Was kann flankierend in der Aufklärung und Beratung getan werden? Welche Möglichkeiten der Unterstützung gibt es für Menschen, die sich nicht einem Geschlecht zuordnen möchten? Welche Maßnahmen sind nötig, um intersexuelle Menschen besser vor Diskriminierung zu schützen? Das Schlimmste ist das Schweigen - so bezeichnen Betroffene ihre Situation. Dieses Schweigen sollte mit dem heutigen Tage ein Ende finden. Ich danke Ihnen. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/6259 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse sowie an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP wünschen, abweichend von der Tagesordnung, die Federführung beim Ausschuss für Gesundheit, die Fraktion der PDS wünscht Federführung beim Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion der PDS abstimmen, das heißt über die Federführung beim Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist gegen die Stimmen der PDSFraktion abgelehnt worden. Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der Fraktion der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP, das heißt für die Federführung beim Ausschuss für Gesundheit? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen worden. Damit liegt die Federführung beim Ausschuss für Gesundheit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 17. Oktober 2001, 13 Uhr, ein. Ich bedanke mich ausdrücklich für die Geduld bei den Besucherinnen und Besuchern auf der Tribüne und wünsche Ihnen allen ein arbeitsreiches, aber auch erholsames Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.