Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich erteile das Wort
Kollegin Angela Merkel von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Heute vor einem Monat haben
die schrecklichen Terroranschläge auf New York und
Washington die Welt verändert. Ich glaube, wir sind uns
alle einig, dass dieser 11. September 2001 ein Wendepunkt ist, ein Wendepunkt im Zusammenleben der Völker
auf dieser Welt. Spätestens seit dem 7. Oktober, seit Sonntagabend, wissen wir: Dies hat viele Konsequenzen, auch
militärische.
Ich sage dazu: Diese Konsequenzen sind alternativlos.
Mit Recht - ich verstehe das - stellen sich viele Menschen
in den letzten Wochen die bange Frage: Was bedeuten
diese Terroranschläge für meine eigene Zukunft, für
meine Familie, für meine Kinder? Denn schlagartig sind
für uns alle die Bedrohungen des 21. Jahrhunderts sichtbar geworden. Schlagartig ist klar geworden: Die Illusion
von einer friedlichen Welt bleibt eine Illusion.
Angst darf nicht unser Ratgeber sein. Ein Wendepunkt
des 11. September hat Konsequenzen. Es wäre aber falsch
zu sagen: Dieser Wendepunkt bedeutet, dass nichts mehr
so bleibt, wie es war. Es bleiben unsere Werte, die Achtung der Würde des Menschen, das Eintreten für Freiheit
und Gerechtigkeit und es bleibt vor allen Dingen die
Chance, sie in ihrer Bedeutung stärker zu achten und stärker durchzusetzen.
Sie, Herr Bundeskanzler, waren - wie ich finde, leider
recht spät - in dieser Woche in den Vereinigten Staaten.
({0})
Sie waren an der Stätte des Grauens, an der Stätte des Terrors, an der Stelle, an der Tausende von Menschen ihr Leben verloren haben. Sie haben dort den Ort gesehen, an
dem Hass und Gewalt gewütet haben. Jedem muss klar
sein: Es gibt keine Form der Erklärung für solche Taten
und es darf sie auch nicht geben. Ich sage dies, weil ich
spüre, dass mit dem Abstand von dem Ereignis immer
wieder versucht wird, solcherlei Erklärungen doch auf die
verschiedenste Art und Weise zu finden. Ich sage dies vor
allen Dingen mit großer Bedrückung, weil das selbst im
öffentlich-rechtlichen Fernsehen vorkommt. Das dürfen
wir auf keinen Fall zulassen.
({1})
Wir dürfen das nicht zulassen, weil wir es den Opfern
schuldig sind. Wenn dieser schreckliche Tod von Tausenden und Abertausenden von Menschen einen Sinn haben
soll, dann müssen wir es entschlossen in die Hand nehmen, unsere Welt von den Wurzeln dieses Terrors zu befreien. Das ist die Aufgabe, die sich für uns aus diesem
11. September ergibt.
({2})
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Der 11. September hat uns gezeigt: Wir, unsere offenen
Gesellschaften - das gilt für jeden einzelnen Menschen brauchen die Bereitschaft, diesen Kampf einzugehen. Wir
haben erlebt, dass es nicht ausreicht, gleichgültig gegenüber uns selbst zu sein. Vielmehr müssen wir uns darüber
klar werden, wofür wir kämpfen. Ansonsten werden der
Krake des Terrors, der Krake der Angst die Menschen
handlungsunfähig machen. Ich werde in diesen Tagen,
wie Sie alle, oft gefragt: Müssen wir nicht noch mehr
Angst haben, wenn es Reaktionen der freien Welt gibt?
Ich sage: Die Angst müsste größer sein, wenn es keine Reaktionen gäbe. Deshalb müssen wir handeln.
({3})
Der 11. September hat noch etwas anderes deutlich gemacht: Unsere eine Welt ist eine überschaubare Welt und
wir leben gemeinsam. Wer geglaubt hat, Deutschland
könne sich aus dieser Welt in irgendeiner Weise ausklinken, ist eines Besseren belehrt worden. Terroristen haben
unter uns gelebt oder leben vielleicht noch unter uns. Deshalb haben wir die Verantwortung, gemeinsam darüber
nachzudenken, wie wir ein Konzept nicht nur im wirtschaftlichen Bereich, sondern genauso im Bereich der Innenpolitik als Weltinnenpolitik aufstellen.
Ein solches Konzept muss verschiedene Aspekte
berücksichtigen. Der erste Aspekt ergibt sich im Grunde,
seitdem es die deutsche Einheit gibt. Damals hat der Vater des heutigen amerikanischen Präsidenten dem
Bundeskanzler Helmut Kohl partnership in leadership
angeboten. Heute ist die Zeit da, in der wir diese Verantwortung einlösen müssen. Geradezu vorausschauend hat
uns der Leiter des Jüdischen Museums in Berlin, Herr
Blumenthal, anlässlich der Einweihung dieses Museums
ins Stammbuch geschrieben: Wir Deutschen haben im
21. Jahrhundert die Aufgabe, eine führende Rolle im
Kampf um Menschenrechte und gegen den Terrorismus
zu spielen. Diese Aufgabe müssen wir einlösen.
({4})
Wir müssen diese Aufgabe auch als ein wichtiges, als
ein großes Land in der Europäischen Union einlösen.
Die Wertegemeinschaft der Europäischen Union muss
sich in diesen Stunden und Tagen bewähren. Die Antwort
auf die Frage, wie die Europäische Union und in ihr
Deutschland agieren und wie wir die Vertiefung unserer
Zusammenarbeit ausgestalten, wird entscheiden, welche
Rolle Europa in der Welt des 21. Jahrhunderts spielt. Es
zeigt sich mit großem Drängen, dass die Ausgestaltung einer gemeinsamen europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik nicht auf sich warten lassen sollte. Es
zeigt sich mit großem Drängen, dass das Schmieden von
Allianzen nicht ohne die Europäische Union vonstatten
gehen darf; vielmehr wird sie dabei eine wichtige Rolle
spielen müssen.
({5})
Meine Damen und Herren, selten hat es einen Monat so
vieler diplomatischer Aktivitäten gegeben. Wer geglaubt
hat, nach dem 11. September könnte es das Primat der Politik nicht mehr geben, ist eines Besseren belehrt worden.
Das ist eine gute Erfahrung. Wir müssen aber auch aufpassen, dass neue Allianzen nicht über unterschiedliche
Wertvorstellungen hinwegtäuschen. Der russische Präsident hat an dieser Stelle eine bemerkenswerte Rede gehalten. Er hat uns alle darauf hingewiesen, dass der Kalte
Krieg lange vorbei ist. Er hat festgestellt, dass wir alle
noch dazu neigen, in den Strukturen des Kalten Krieges
zu denken. All das ist richtig. Aber ich möchte hinzufügen: Der Kalte Krieg ist zu Ende; dies hat aber nicht zu einer neutralen Wertebasis geführt. Er ist nämlich zu Ende,
weil die Werte von Freiheit und Demokratie gegen Diktatur und Unterdrückung gesiegt haben. Dies ist eine wichtige Erfahrung.
({6})
Ich sage dies nicht aus nachträglicher Besserwisserei
- ich habe nämlich auf der anderen Seite gelebt -, sondern
weil wir uns über diesen Punkt im Klaren sein müssen,
wenn wir die Fundamente für eine neue Ordnung des
21. Jahrhunderts legen wollen. Es mag ja sein, dass wir
die Erfahrungen und Geschehnisse in Tschetschenien
auch unter einem anderen Blickwinkel sehen müssen. Es
muss aber auch ausgesprochen werden, dass in Tschetschenien Menschenrechtsverletzungen passiert sind und
passieren, die wir auch angesichts neuer Allianzen nicht
dulden dürfen.
({7})
Ich sage Ja zu neuen Allianzen und zu neuen Partnerschaften in allen Bereichen, wo dies möglich ist. Aber das
darf beispielsweise im Zusammenhang mit Russland
nicht dazu führen, dass wir auf dem Standpunkt stehen,
Russland könne sofort Mitglied der NATO werden. Wir
tun uns alle keinen Gefallen, wenn wir diese Dinge nicht
mehr aussprechen würden; sie müssen auch nach dem
11. September ausgesprochen werden.
({8})
Wir brauchen einen Dialog der Religionen und Kulturen, entschlossener und offener als bisher. Ich glaube
im Übrigen, dass wir, die Deutschen und die Europäer,
über unsere eigenen Grundlagen sehr viel stärker nachdenken werden, wenn wir in einen solchen Dialog der
Kulturen offensiv eintreten. Es ist aber auch wichtig, dass
wir uns mit der Frage auseinander setzen, warum viele der
Terroristen nicht aus der Schicht der Ärmsten der Armen
kommen, sondern Mitglieder der gebildeteren und reicheren Schichten ihrer Länder sind. Deshalb sage ich: Der
Dialog der Kulturen und Religionen ist wichtig. Aber er
findet dort seine Grenzen, wo Religion für politische
Machtstrukturen missbraucht wird.
({9})
Für die Bekämpfung des Terrorismus brauchen wir
eine Doppelstrategie wie die, die zum Untergang des Sozialismus und des Kommunismus geführt hat. Diese Strategie muss auf der einen Seite hart, unerbittlich und kompromisslos mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen,
gegen bestimmte Werteverletzungen angehen. Auf der anderen Seite muss sie denjenigen Menschen eine Perspektive geben, die sich für die Werte von Freiheit und Demokratie einsetzen.
Wenn wir diese Strategie durchführen wollen, dann
muss das Konsequenzen für die Prioritäten unserer Politik haben. Herr Bundeskanzler, ich kann Ihnen deshalb
diese Bemerkung nicht ersparen: Der Haushalt des Jahres
2000 mit den dramatischen Kürzungen im Bereich der
Entwicklungshilfe war genau das falsche Signal für eine
solche notwendige Politik des 21. Jahrhunderts.
({10})
Auch die 200 Millionen DM, die jetzt aus den zusätzlich
aufgebrachten 3 Milliarden DM zusätzlich für die Entwicklungshilfe ausgegeben werden, sind nicht mehr als
ein Tropfen auf den heißen Stein. Der 11. September muss
stärkere Konsequenzen nach sich ziehen - beispielsweise
hinsichtlich der Verhandlungen bei der Welthandelsorganisation -, weil es notwendig ist, den armen Ländern auf
der Welt zu helfen. Wenn wir dies nicht bedenken, sind
unsere Worte nur Lippenbekenntnisse.
({11})
Für mich hat der 11. September gezeigt, dass die Grenzen von innerer und äußerer Sicherheit zunehmend verschwimmen. Bei ganz nüchterner Betrachtung müssen
wir zu dem Schluss kommen, dass plötzlich aus dem Inneren offener Gesellschaften nicht staatliche Akteure
quasi militärisch agieren. Dies ist eine Form von Bedrohung, die wir nicht gekannt haben. Deshalb kann ich mich
mit Ihrem Satz: An der Unterscheidung von innerer und
äußerer Sicherheit werden wir festhalten nicht einverstanden erklären. Dieser Satz beschreibt das, was wir gemeinsam erlebt haben, nicht ausreichend. Dieser Satz beschreibt nicht die eigentliche Veränderung. Denn es gibt
nicht die äußere Sicherheit und die innere Sicherheit, sondern es gibt die Frage der Bedrohung. Wir leben in einer
gemeinsamen Welt. Das ist doch die Erfahrung; das sagen
Sie doch selber auch.
({12})
In gewisser Weise haben Sie sich selbst in Ihren weiteren Ausführungen widersprochen, als Sie darüber redeten,
dass es natürlich ganz neue Verzahnungen geben werde.
Niemand in dieser Bundesrepublik Deutschland, jedenfalls nicht in meiner Partei, wird in irgendeiner Weise Polizei und Bundesgrenzschutz durch Kräfte der äußeren
Sicherheit ersetzen wollen. Vielmehr geht es um die
Frage, ob in bestimmten Bedrohungssituationen, ergänzend zu dem, was wir von Polizei und Bundesgrenzschutz
brauchen, und ergänzend zu dem, was bereits heute das
Grundgesetz ermöglicht, vielleicht bestimmte Dinge zusätzlich angewandt werden sollten. Es geht um die Frage,
ob wir es schaffen, nicht immer in rechtlichen Grauzonen
zu arbeiten. Denn auch das ist kein politisches Handeln
auf Dauer.
({13})
Nun hat der Bundeskanzler selbst eben - deshalb brauchen Sie sich doch auch gar nicht aufzuregen - davon gesprochen, dass man über diesen und jenen Artikel des
Grundgesetzes noch einmal nachdenken müsse. Ich lade uns
alle ein, dies ohne alle ideologischen Scheuklappen zu tun
({14})
und dabei eines zu beachten: Bundeswehr, Polizei und
Bundesgrenzschutz müssen finanziell ausreichend ausgestattet sein.
({15})
Herr Bundeskanzler, es ist eine zweite Rechnung nicht
aufgegangen. Sie haben gedacht, mit Ihrer Konzeption
der Haushaltskonsolidierung könnten Sie vor allen Dingen die Bereiche herunterfahren, in denen sich die Schäden nicht so schnell zeigen würden. Sie haben sich die
Entwicklungshilfe vorgenommen. Sie haben sich die
Bundeswehr vorgenommen. Sie haben sich Teile der
inneren Sicherheit vorgenommen.
({16})
Es hat sich gezeigt, dass die 20 Milliarden DM, die Sie gegenüber unserer ursprünglichen Finanzplanung bei der
Bundeswehr einsparen, genau die 20 Milliarden DM sind,
die fehlen, um die Bundeswehr auf die Aufgaben vorzubereiten,
({17})
die sie im Bereich der europäischen Verteidigungs- und
Sicherheitspolitik, im Bereich der neuen internationalen
Herausforderungen hat. Das werden wir auch immer wieder ansprechen.
({18})
Diese neuen Bedrohungen haben einen weiteren
Aspekt: Sie stellen uns vor die Aufgabe - die CDU/CSUBundestagsfraktion hat dazu ein umfassendes Konzept
vorgelegt -,
({19})
mit neuen Mitteln und Möglichkeiten auf bestimmte
Dinge zu reagieren. - Herr Struck, wenn Sie hier von abgeschrieben reden,
({20})
dann muss ich Ihnen wirklich sagen: Sie sollten sich einmal die Freude machen, die Reden Ihres Bundesinnenministers
({21})
und anschließend die Kommentierung durch die Bundesjustizministerin im öffentlichen Radio
({22})
sowie das Herumeiern über die Frage zu hören, ob man
nun Fingerabdrücke in Pässen braucht. Da haben wir eine
ganz klare Haltung.
({23})
Ich sage Ihnen: Sicherlich will niemand die Freiheit in
unserem Land beschränken oder aufheben.
({24})
Aber lassen Sie uns bitte in voller Klarheit deutlich machen: Die Freiheit von Millionen Menschen kann nur gesichert sein, wenn die wenigen, die aus dieser Freiheit negativ Profit ziehen wollen, energisch und mit aller
Konsequenz bekämpft werden. Deutschland ist dafür bis
jetzt weltweit nicht bekannt. Daran muss sich etwas ändern.
({25})
Meine Damen und Herren, wir werden in der Verzahnung der Aufgaben, aber vor allen Dingen auch in der Koordination von Informationen voranschreiten müssen.
Wir werden sehr deutlich machen müssen, dass die vielen
Informationen, die in einer offenen Gesellschaft gesammelt werden, aber heute völlig unabhängig voneinander
existieren, im internationalen Kampf gegen den Terrorismus gebündelt werden müssen. Dies wird sich nicht auf
die Dienste beschränken, wo das natürlich heute schon
vollzogen wird. Vielmehr wird sich dies auf eine Vielzahl
von Informationen ausdehnen, die in verschiedenen Bundes- und Landesbehörden ermittelt werden. Ich bin dafür,
dass diese Informationszusammenführung institutionalisiert wird, und zwar an einer Stelle, an der mit diesen Informationen kein Missbrauch betrieben werden kann.
Das sage ich im Hinblick auf den Bundesfinanzminister.
({26})
Ich glaube schon, dass wir eine stärkere Kontrolle aller
Geldbewegungen brauchen. Die Geldbewegung ist eine
wesentliche Indizienkette. Dadurch können wir die Beziehungen zwischen den Terroristen erfassen. Aber ich
persönlich bin dagegen, dass all diese Daten direkt beim
Bundesfinanzminister erhoben werden und ihm zugänglich sind. Denn dann kann der Missbrauch immer wieder
Triumphe feiern.
({27})
- Ich muss ehrlich sagen: Das müsste doch auch Ihnen
recht sein.
({28})
Diese Aufregung verstehe ich wirklich nicht.
Auch die globale wirtschaftliche Ordnung wird auf
dem Prüfstand stehen.
({29})
Herr Bundeskanzler, Sie sprechen davon, dass die Bundesrepublik Deutschland im internationalen Bereich einen wichtigen Beitrag leisten will und muss; das wollen
auch wir. Wenn das so ist, dann muss eine so große Nation
wie wir auch ihren Beitrag zur Stabilität der weltweiten
Wirtschaftsordnung leisten.
({30})
Es ist sicherlich richtig, dass wir in einer globalen Welt
leben, die zu gegenseitigen Abhängigkeiten führt. Es ist
mit Sicherheit richtig, dass wir heute nicht mehr das Wirtschaftswachstum der einen völlig von dem der anderen
separieren können. Aber dass wir, die Bundesrepublik
Deutschland, mit unseren Möglichkeiten und den Fähigkeiten der Menschen in unserem Land innerhalb der Europäischen Union in diesem Zusammenhang den letzten
Platz belegen, hat nichts mit den Amerikanern zu tun, sondern mit unserer nationalen Politik - und die, Herr Bundeskanzler, muss sich schlagartig ändern.
({31})
Ich spreche deshalb über die wirtschaftliche Lage,
weil die globale Wirtschaftsordnung, die Freiheit gewährleisten soll, und unsere soziale Marktwirtschaft in
der Bundesrepublik Deutschland immer die eine Seite
der Medaille waren. Auf der anderen Seite stand immer
die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Die Überzeugungskraft der freiheitlichen Demokratien entwickelt
sich auch aus ihrer Dynamik im Bereich des Wirtschaftswachstums und des Lebensstandards der Menschen in
diesen Gesellschaften. Wenn es uns in Deutschland nicht
gelingt, an dieser Stelle vorne zu liegen und die Maßnahmen einzuleiten, die wirklich notwendig sind, und nicht
solche, die kontraproduktiv sind, dann werden wir in der
Weltgemeinschaft nicht die Rolle einnehmen, die wir
einnehmen könnten.
Herr Bundeskanzler, ich halte es nach dem 11. September 2001 für eine massive Fehlentscheidung strategischer Art,
({32})
dass Sie das erste Mehr an Sicherheit durch ein Mehr an
Steuern erkauft haben.
({33})
Die Vereinigten Staaten von Amerika haben in einer vergleichbaren Situation genau das Gegenteil getan.
({34})
Die Bundesregierung hätte dem deutschen Parlament
mühelos den Auftrag geben können, im Rahmen der
anstehenden Haushaltsberatungen Einsparungen von
3 Milliarden DM vorzunehmen.
({35})
Dies ist möglich und oft geschehen. Die Bereitschaft dazu
wäre da gewesen. Der Weg der Steuererhöhung ist falsch.
Dabei bleiben wir!
({36})
Die Bedrohungen haben sich verändert. Neue Bedrohungen erfordern neues Denken und entschlossenes Handeln. Neue Bedrohungen erfordern vor allen Dingen auch
entschiedenes und in sich konsistentes Handeln. Herr
Bundeskanzler, es hat in den vergangenen Wochen in diesem Hause eine große Einigkeit über die strategischen,
politischen Notwendigkeiten einer gemeinsamen Politik
nach außen gegeben. Wir alle haben die Erfahrung gemacht, dass eine einzige Partei in diesem Hause zu dieser
Gemeinsamkeit nicht bereit ist: Dies ist die PDS. Herr
Bundeskanzler, ich muss es deshalb noch einmal sagen:
({37})
Ich halte es für vollkommen inakzeptabel, dass Sie als
Parteivorsitzender zulassen, dass es im Augenblick in der
deutschen Hauptstadt einen Regierenden Bürgermeister
gibt, der mit den Stimmen dieser Partei gewählt ist.
({38})
Sie können Ihr politisches Handeln nicht auf die Ebenen
der Länder und des Bundes und des Handelns nach außen
aufteilen. Die Aufgabe für Deutschland im 21. Jahrhundert wird sein, konsistent, besonnen und konsequent zu
handeln, und dies ohne Kompromisse.
Deshalb sage ich Ihnen: Die Union ist dafür präpariert.
Die Union ist bereit, diesen Beitrag für die Bundesrepublik
Deutschland zu leisten. Die Union ist bereit, dann mit Ihnen zusammenzustehen, wenn Sie die Interessen der Bundesrepublik Deutschland nach außen vertreten. Aber die
Union ist auch bereit, ein unbequemer Gesprächspartner
zu sein, wenn es um die Interessenvertretung nach innen
und um das Wohl der Menschen in diesem Lande geht.
Herzlichen Dank.
({39})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Peter Struck, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich Ihnen, Herr
Bundeskanzler, für die großartige und große Rede danken, die Sie hier gerade gehalten haben.
({0})
Diese Bewertung gilt nicht für die Rede meiner Vorrednerin. Das war eine kleinkarierte, innenpolitische
Rede, Frau Merkel, die der Vorsitzenden einer großen Partei völlig unwürdig und unangemessen ist.
({1})
Als wir am 12. September, einen Tag nach den brutalen Angriffen auf New York und Washington, hier zusammengekommen sind, waren wir uns einig, dass uns die
schrecklichen Bilder nie mehr loslassen werden. Heute,
nur einen Monat später, habe ich den Eindruck, dass es
schon notwendig geworden ist, manchen an diese Bilder
zu erinnern, daran zu erinnern, dass die brutalen Massenmorde in den USA die Ursache für jene Bilder sind, die
uns seit Sonntag aus Afghanistan erreichen, und daran zu
erinnern, dass die amerikanisch-britischen Luftangriffe auf die militärische Infrastruktur der Taliban ein unerlässlicher Bestandteil des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus sind.
({2})
Sie sind ein Akt der Selbstverteidigung.
Die amerikanische Regierung geht dabei besonnen vor.
Sie ist daran interessiert, die breite internationale Koalition gegen den internationalen Terrorismus fortzuführen.
Wer bisher an der Urheberschaft von Osama Bin Laden
und seiner Terrororganisation al-Qaida an den Anschlägen gezweifelt hat, ist in den zurückliegenden Tagen eines
Besseren belehrt worden.
({3})
Das Videoband mit einem Kampfaufruf Bin Ladens gegen
die USA und die Ankündigung weiterer Terrorakte
- Attacken durch Flugzeugangriffe - durch einen Sprecher von al-Qaida sind das Eingeständnis der grausamen
Anschläge und sie belegen auch die enge Verflechtung
und wechselseitige Abhängigkeit zwischen Bin Laden
und den Taliban.
Zweifellos hat die NATO in den letzten Wochen richtig gehandelt, als sie nach Unterrichtung durch die amerikanische Regierung den Bündnisfall festgestellt hat; denn
die kollektive Verteidigung der USA gegen kriegerische
Terrorangriffe ist für die Verbündeten nicht nur eine Frage
der Solidarität. Sie ist zugleich für jedes NATO-Mitglied,
also auch für unser Land, ein Akt der Selbstverteidigung;
denn angegriffen wurde die tolerante, freiheitliche Lebensform aller westlichen Demokratien.
({4})
Im Visier der islamischen Terroristen sind Deutschland
und auch andere EU-Staaten. Deswegen unterstützt die
SPD-Fraktion ohne Wenn und Aber die Bereitschaft der
Bundesregierung, den USA AWACS-Flugzeuge zur
Überwachung des amerikanischen Luftraums zur Verfügung zu stellen. Die Mehrheit in diesem Haus ist mit uns
der Meinung, dass diese Maßnahme nicht vom Parlamentsvorbehalt betroffen ist. Deshalb bedarf es für die
Entsendung auch allein der Entscheidung der Bundesregierung.
Seit dem 11. September 2001 ist das ganze Ausmaß des
Kampfes gegen den internationalen Terrorismus immer
deutlicher geworden. Es ist eine äußerst komplexe und
komplizierte Strategie notwendig, die sich auf politische,
wirtschaftliche, finanzielle, entwicklungspolitische, kulturelle und militärische Elemente stützen muss.
Bezüglich der finanziellen Elemente möchte ich von
Ihnen, Frau Kollegin Merkel, dann aber schon einmal
Klarheit haben, ob Ihnen das Bankgeheimnis tatsächlich
noch wichtiger ist als das Leben von Menschen, die von
terroristischen Anschlägen bedroht sind.
({5})
Es ist schon peinlich, wenn Sie die Maßnahme der Bundesregierung, eine Stelle im Finanzministerium einzurichten, an der Person des Bundesfinanzministers scheitern lassen wollen. Das ist ja absolut lächerlich, was Sie
hier vorgetragen haben.
({6})
Sie sollten nicht vergessen, meine Damen und Herren,
dass die Taliban Afghanistan okkupiert haben. Sie sind
nicht die legitime und völkerrechtlich anerkannte Regierung. Zur Durchsetzung ihrer Macht haben sie grausamste Menschenrechtsverletzungen begangen und die Frauen
in dem Land regelrecht versklavt. Sie haben Afghanistan
zu einer Brutstätte des Terrorismus und der organisierten
Kriminalität gemacht. Sie destabilisieren mit ihren fundamentalistischen Glaubenskriegern die gesamte Region.
Unter der Herrschaft der Taliban wird das afghanische
Volk unterdrückt, und es leidet Hunger und große soziale
Not. Es ist deshalb sehr wichtig, bei allen Aktionen zwischen den Taliban und dem afghanischen Volk streng zu
unterscheiden.
({7})
Die Taliban und nicht das afghanische Volk machen mit
den Terroristen gemeinsame Sache.
Wir begrüßen daher sehr die amerikanische Initiative,
die militärischen Angriffe mit Hilfen für die darbende
Bevölkerung zu flankieren. Das ist Bestandteil einer umfassenden Initiative der westlichen Staaten und der Afghanistan Support Group, dem afghanischen Volk mit humanitärer Hilfe beizustehen.
Kollege Struck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Repnik?
Nein, im Augenblick nicht.
Ich bitte um Entschuldigung.
Allein die europäischen Staaten und die Europäische
Union haben 314 Millionen Euro für diesen Zweck zur
Verfügung gestellt. Ich danke der Bundesregierung, dass
sie darüber hinaus weitere 51 Millionen DM für humanitäre Hilfe in der Region bereitgestellt hat.
({0})
Wir müssen auch die Zukunft Afghanistans im Auge
haben. Es ist völlig klar, dass ein wirtschaftlicher und politischer Aufbau unter einer legitimen Regierung mit breiter internationaler Unterstützung nur möglich ist, wenn
die Taliban nicht mehr an der Macht sind. Bei der Schaffung neuer politischer Strukturen in diesem Land soll den
Vereinten Nationen eine entscheidende und besondere
Rolle zukommen.
Diese neuen politischen Strukturen können sich nur
entwickeln, wenn sie die Akzeptanz der afghanischen
Stammesgesellschaft finden. Aus ihr heraus muss eine legitime Übergangsregierung gebildet werden, die den
schwierigen und mühevollen Wiederaufbau Afghanistans
beginnen kann.
Ich stimme Bundeskanzler Gerhard Schröder und Innenminister Otto Schily ausdrücklich darin zu, dass der
Kampf gegen den internationalen Terrorismus nicht allein
mit Militär, Strafverfolgungsbehörden und Gerichten zu
gewinnen ist.
({1})
Wir brauchen eine geistig-politische Auseinandersetzung
mit einem Denken, das alle freiheitlich-demokratischen
Werte infrage stellt.
({2})
Wir dürfen die Lüge nicht zulassen, hier werde ein
Kampf für die Unterdrückten der Welt geführt. Bin Laden
ist nicht Robin Hood.
({3})
Er und seine Helfershelfer in aller Welt betreiben organisierte Kriminalität in bisher nicht vorstellbarer Brutalität.
({4})
Sie kämpfen nicht für unterprivilegierte Muslime, sondern sie benutzen sie, um ihre weltzerstörerische Aktivität
zu rechtfertigen. Sie wollen die Werte zerstören, die die
Welt menschlich gemacht haben. Wer bei uns die Religionsfreiheit ausnutzt und in Moscheen auch hier in
Deutschland predigt, um in Wahrheit unsere freiheitlichdemokratische Grundordnung anzugreifen, hat keinen
Anspruch darauf, dass ihn diese freiheitliche Grundordnung gewähren lässt.
({5})
Ebenso falsch ist es - wie geschehen -, Bin Laden bei öffentlichen Diskussionen als Freiheitskämpfer zu verherrlichen.
Deutschland muss und wird ein weltoffenes Land bleiben. Wir haben es nicht hingenommen, dass Rechtsradikale diese Weltoffenheit untergraben. Und wir werden es
nicht hinnehmen, dass uns terroristische Feinde des freiheitlich-demokratischen Westens dieser Weltoffenheit berauben wollen.
({6})
Wir wollen, dass die drei Millionen Muslime in
Deutschland eine sichere Heimat haben. Aber wir wollen
auch, dass alle, deutsche wie ausländische Mitbürger, wissen: Diese Sicherheit gibt es nur auf der Grundlage unserer Gesetze und unserer Verfassung. Daran lassen wir
nicht rütteln.
({7})
Der Bundesinnenminister ist dabei, die nötigen Maßnahmen einzuleiten, um die Sicherheitsrisiken zu minimieren. Im Anschluss an diese Debatte werden wir über
das erste Antiterrorpaket beraten, das zweite wird noch
Ende dieses Monats im Kabinett und anschließend in den
Koalitionsfraktionen behandelt.
Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Arbeit von Otto Schily ist so groß, dass es der Opposition
keinen realen Raum lässt, um sich zu profilieren. Deshalb
wirken Ihre Versuche, Frau Merkel, daran etwas herumzureden, eher hilflos. Sie tun mir in diesem Zusammenhang Leid.
({8})
Der Innenminister kündigt nicht an, sondern er handelt. Er
handelt so, dass den Sicherheitsinteressen Rechnung getragen wird, ohne die freiheitliche Ordnung über Gebühr
zu strapazieren. Die innere Sicherheit in Deutschland hat
in Otto Schily einen guten Anwalt.
({9})
Nun haben Sie, Frau Kollegin Merkel, Ihre eigenen
Sicherheitsvorstellungen offenbar in dieser Woche in Ihrer Fraktion diskutiert und abgestimmt. In den Teilen, die
Sie von Otto Schily abgeschrieben haben, gebe ich Ihnen
Recht. Hier sind Sie auf dem richtigen Weg. Aber ich kann
- das will ich für meine Fraktion deutlich sagen - Ihrer
Forderung, die Bundeswehr im Innern einzusetzen, nicht
zustimmen. Im Übrigen habe ich Ihren Versuch einer Begründung dessen nicht verstanden. Dies wird nicht die Zustimmung meiner Fraktion finden.
({10})
Wenn wir in wenigen Wochen über die Pakete zur
Terrorbekämpfung abstimmen, haben alle Fraktionen in
diesem Haus die Möglichkeit, zu zeigen, ob sie es mit der
Unterstützung der Regierung bei dieser schwierigen Aufgabe ernst meinen. Ich bedanke mich ausdrücklich - ich
will das unterstreichen, was der Kanzler in diesem Zusammenhang gesagt hat ({11})
für die große außenpolitische Zusammenarbeit, die wir in
Krisengesprächen auch von Vertretern der Oppositionsfraktionen, die PDS ausgenommen, erfahren haben.
({12})
Für uns ist die Unterstützung der Maßnahmen der Bundesregierung überhaupt keine Frage. Sie wird auch keine
Frage der Koalitionsfraktionen sein. Beide Fraktionen
werden den Kurs der Bundesregierung unterstützen, um
unsere internationale Freiheit nicht durch Terrorismus
zerstören zu lassen.
({13})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Hans-Peter Repnik das
Wort.
Herr Kollege
Struck, da Sie meine Zwischenfrage nicht zugelassen haben, möchte ich Sie hiermit auf folgenden Sachverhalt
hinweisen. Wir begrüßen ganz ausdrücklich Ihre Aussage,
dass durch die Videoaufnahmen Bin Ladens seine Schuld
als Verursacher der Terroranschläge anerkannt ist.
Die Frage an Sie lautet: Wie verhält es sich mit der
Aussage, die Ihr Erster Parlamentarischer Geschäftsführer Wilhelm Schmidt heute in der Frankfurter Rundschau getroffen hat? Ich darf zitieren:
Vor einem Einsatz der Bundeswehr im aktuellen
Afghanistankonflikt erwartet die SPD-Bundestagsfraktion von der Bundesregierung die Offenlegung von Beweisen gegen das Terrornetzwerk von
Osama Bin Laden.
Die Abgeordneten des Bundestages würden mehr Informationen von der Bundesregierung bekommen,
wenn sie
- Zitat Wilhelm Schmidt über einen Einsatz der Bundeswehr abstimmen sollen. Derzeit weigert sich die Bundesregierung, das
von den USA vorgelegte Beweismaterial vorzulegen.
Meine konkrete Frage an Sie: Ist das die Auffassung
der SPD-Bundestagsfraktion oder stimmt Ihre Aussage
von vorhin, dass die Videoaufnahmen Bin Laden eindeutig der Schuld überführt haben?
Darüber hinaus habe ich eine Bitte an den Bundesminister der Verteidigung, der anschließend noch das Wort
ergreifen wird: Mich würde interessieren, wie die Bundesregierung zu diesem Sachverhalt steht, das heißt, ob
sie die Beweise als gegeben betrachtet bzw. welche Probleme sie noch sieht.
({0})
Herr Kollege Struck,
Sie haben die Möglichkeit zu einer Antwort.
Herr Kollege Repnik, um Ihnen eine Antwort zu geben: Ich kommentiere nicht ÄußeDr. Peter Struck
rungen meines Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers
({0})
- ja, langsam! -, die in der Presse wiedergegeben worden
sind. Ich sage nur: Die Bundesregierung hat - Sie konnten leider nicht dabei sein, aber Ihr Fraktionsvorsitzender
war dabei - in den Besprechungen, die wir mit allen Vertretern unserer Sicherheitsorgane zur aktuellen Lage geführt haben, deutlich gemacht, dass es eigene Erkenntnisse der Bundesregierung über die Urheberschaft
Bin Ladens gibt. Das steht für mich außer Frage. Diese
Urheberschaft ist im Übrigen nach den Ereignissen vom
vergangenen Sonntag von den Taliban und von Bin Laden
selbst bestätigt worden. Wir erinnern uns alle an das Video, das offenbar vor den Angriffen aufgezeichnet und
später veröffentlicht wurde.
Die Bundesregierung informiert die Fraktionen - nicht
nur die Koalitionsfraktionen, sondern auch die Oppositionsfraktionen - in umfassendem und ausreichendem
Maße, Herr Kollege Repnik. Ich habe in diesem Punkt
nichts zu beanstanden und werde die Bundesregierung in
diesen Fragen nach wie vor uneingeschränkt unterstützen.
Davon können Sie ausgehen.
({1})
Ich erteile dem Kollegen Wolfgang Gerhardt, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Die Freien Demokraten sind
mit großen Teilen der vom Bundeskanzler abgegebenen
Regierungserklärung einverstanden. Was er zum Bündnis, zur Solidarität, zur Lage in Afghanistan und zu den
militärischen Notwendigkeiten gesagt hat, trifft auf unsere Zustimmung. Seine Aussagen sind eine Konsequenz
aus den Verabredungen, den vertrauensvollen Gesprächen
und deren Ergebnissen. Damit ist dies ein Stück konstante
deutsche Außenpolitik. Ich muss das nicht weiter ausführen.
Herr Bundeskanzler, wir stimmen Ihnen ausdrücklich
zu, dass die gezielten Militärschläge gegen terroristische
Einrichtungen, gegen Ausbildungscamps und gegen Infrastruktureinrichtungen richtig sind. Es ist entscheidend
- darum bemühen sich die Vereinigten Staaten -, logistische Ziele zu treffen und die Zivilbevölkerung zu schonen.
Im Übrigen begrüßen wir es, dass die Angriffe durch
Beschluss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
völkerrechtlich abgesichert sind. Sie sind legitim.
({0})
Es ist auch richtig, dass gleichzeitig eine Versorgung mit
humanitären Gütern erfolgt. In wenigen Wochen beginnt in dieser Gegend der Winter. Dort lebt eine geschundene Zivilbevölkerung, die außerdem noch niemals
gefragt worden ist, wie ihr Land aufgebaut werden und
wer sie regieren soll. Die humanitäre Hilfe sollte ein erstes Zeichen der freien Welt sein, auf politische Lösungen
hinzuwirken, die wir nicht nur dort, sondern auch an anderen Orten dieser Welt, zum Beispiel im Nahen Osten,
brauchen.
Natürlich gibt es Konfliktlagen, die einen solchen Terrorismus speisen, ohne ihn direkt verantworten zu wollen.
Deshalb gibt es keine Notwendigkeit, eine Diskussion
über diesen Teil Ihrer Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler, zu führen. Ihre Ausführungen treffen auf unsere
Zustimmung. Wir sind zu internationaler Verantwortung
bereit. Wir kennen das und dabei soll es auch, soweit es
nach den Freien Demokraten geht, bleiben. Wir werden
unsere Bereitschaft in den vertrauensvollen Gesprächen,
die demnächst sicher wieder stattfinden müssen, zeigen.
Darüber gibt es keinen Zweifel.
Aber, Herr Bundeskanzler - bei aller Zurückhaltung -:
Die Hausaufgaben in der Bundesrepublik Deutschland
dürfen darunter nicht leiden. Darauf muss jetzt aufmerksam gemacht werden.
({1})
Die Übereinstimmung in der Außenpolitik ist das eine,
aber ebenso notwendig sind die sachlichen Kontroversen
in der Innenpolitik, soweit sie mit Ihrer Regierungserklärung zusammenhängen.
Sie sagen, Deutschland könne nicht immer alle Risiken
vermeiden, wenn es international Verantwortung übernehme. Das sei eine neue Situation in der deutschen
Außenpolitik. - Richtig, das ist eine Veränderung. Aber
dann muss ich Sie fragen: Was tun Sie und die rot-grüne
Koalition, um die Voraussetzungen für die Bewältigung
der neuen außenpolitischen Aufgaben zu schaffen? Sie
wissen genauso gut wie ich, dass die deutsche Bundeswehr stark unterfinanziert ist. Sie haben einen europäischen Vertrag mitbeschlossen, mit der Absicht, eine europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität zu
schaffen. Trotzdem lassen Sie nicht die geringsten Anzeichen erkennen, wie Sie die sich aus diesem Vertrag ergebenden neuen Sicherheitsaufgaben im Verteidigungshaushalt zu finanzieren gedenken. Sie sagen: weiter so,
obwohl Sie genau wissen, dass durch Ihre so finanzierte
Sicherheitspolitik die Glaubwürdigkeit Deutschlands in
der Außenpolitik bei seinen Partnern leidet. Das wird so
nicht gehen. Sie können nur in begrenztem Umfang solche Erklärungen abgeben, wenn Sie im Innern Ihren Worten nicht auch Taten folgen lassen. Das wissen Sie genauso gut wie wir.
({2})
Sie haben zu Recht erklärt, dass sicherheitspolitische
Entscheidungen im Bereich der Gesetzgebung zwar notwendig seien, dass aber auch die Vollzugsdefizite im Bereich der inneren Sicherheit beseitigt werden müssten.
Wir folgen Ihnen auf diesem Weg. Aber ich möchte den
Bundesinnenminister, den Bundesfinanzminister, die Bundesjustizministerin sowie die zuständigen Landesministerinnen und -minister auffordern, zuallererst die bestehenden Defizite zu beseitigen. Wenn beispielsweise 2 000
DNA-Analysen nicht bearbeitet werden können und wenn
es nur 16 Beschäftigte im Bundesaufsichtsamt für das
Kreditwesen gibt, die im Hinblick auf die Geldwäsche die
Aufsicht über rund 3 000 Banken haben, dann stimmt etwas nicht und dann beraten wir gerne mit Ihnen über entsprechende gesetzliche Änderungen. Es darf jedenfalls
kein Tag verloren werden, hier für Verbesserungen zu sorgen. Das ist die Aufgabe, die zuallererst zu erledigen ist.
({3})
Wir werden konstruktiv über Gesetzesänderungen
beraten. Wir wissen, dass die Teilhabe an der Freiheit Sicherheit voraussetzt. Sie finden uns bei der Entscheidung
über die Abschaffung des Religionsprivilegs an Ihrer
Seite. Das wollten wir übrigens schon früher einmal abschaffen, und zwar gegen Widerstände in der Bundesrepublik Deutschland. Wir beraten gerne konstruktiv über
die Straftatbestände, die terroristische Aktivitäten, die
vom Ausland ausgehen, betreffen. Wir werden auch konstruktiv über eine rechtstaatlich einwandfreie, verbesserte
Kronzeugenregelung beraten. Darüber wird es keinen
Streit geben.
Ich als Bürger bin aber nicht bereit, mich als gläserner
Mensch zur Verfügung des Staates zu halten.
({4})
Deshalb sage ich Ihnen, Herr Kollege Struck: Durch das
Bankgeheimnis wird kein Terrorist geschützt. Eine solche
Behauptung wäre völlig falsch. Wer in Deutschland ein
Bankkonto hat und darauf mindestens 30 000 DM in bar
einzahlt, muss identifiziert werden. Bei Geldwäscheverdacht ist die Bank zur Anzeige verpflichtet. Deshalb interessiert mich, wie die von Ihnen geplante Kontenevidenzzentrale letztlich aussehen soll. Ich sage Ihnen als
Bürger der Bundesrepublik Deutschland: Ich möchte,
dass mein Konto auch nach der Einrichtung einer solchen
Zentralstelle noch immer bei einer Bank und nicht beim
Bundesfinanzminister geführt wird, so treuherzig er auch
dreinschauen mag.
({5})
Es sei mir an dieser Stelle auch eine Bemerkung in Richtung unserer Freunde in den Vereinigten Staaten gestattet.
Ich kann mich gut erinnern, dass der US-amerikanische
Finanzminister noch in diesem Sommer die Financial
Action Task Force kritisiert hat. Das ist eine Gruppe aus
Schwellenländern und Ländern der freien Welt, die sich der
Bekämpfung der Geldwäschekriminalität an Offshoreplätzen und in Steueroasen widmet. Das hat der US-amerikanische Finanzminister noch im Sommer als Angriff auf
souveräne Staaten betrachtet. Deshalb sage ich unseren
amerikanischen Freunden: Sie müssen sich manchmal angesichts dessen, was sie früher gesagt und getan haben, an
die eigene Nase fassen. Es ist wichtig, dass sich die Bundesregierung zusammen mit anderen Ländern - die Vereinigten Staaten scheinen jetzt auch so weit zu sein - jetzt der
Bekämpfung der Geldwäsche an den Finanzplätzen in der
Welt intensiv widmet und entsprechende internationale
Vereinbarungen schließt.
({6})
Herr Bundeskanzler, ich muss Sie auch daran erinnern,
dass durch die dramatischen Ereignisse der letzten Woche
die ökonomische Situation in Deutschland überlagert
worden ist. Das wollen wir nicht zulassen. Ich muss feststellen: Sie sind mit Ihrem wirtschaftspolitischen Latein
am Ende. Die terroristischen Anschläge haben Ihnen zwar
ein Zeitguthaben verschafft, das Sie aber nicht nutzen
sollten. Sie müssen von Ihrer Politik der ruhigen Hand
wegkommen. Sie müssen ganz entschieden die Beschäftigungsdynamik in Deutschland wieder auf Touren bringen. Sie müssen einen wirtschaftspolitischen Kurs fahren,
der die Menschen ermutigt. Angst ist nicht nur Angst vor
terroristischer Bedrohung. Soziale Sicherheit für Menschen - die größte soziale Sicherheit ist ein Arbeitsplatz gehört dazu, wenn man freie Gesellschaften stabil halten
will.
({7})
Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen. Sie sagen in jeder Erklärung: Notwendig ist Solidarität mit
den Vereinigten Staaten. - Dem stimmen wir zu. Diese
Solidarität ist selbstverständlich. Sie haben das oft wiederholt und es ist auch gut, wenn Sie es wiederholen. Wir
sind alle Amerikaner, hat uns neulich der Kollege Struck
hier gesagt. Das ist ein kluger Satz gewesen. Darauf baut
Amerika. Darauf schaut Amerika. Amerika schaut im
Übrigen dann auch auf diese Stadt, auf Berlin. Deshalb
sage ich Ihnen, Herr Bundeskanzler: Lassen Sie Ihren
Worten Taten folgen! Keine Koalition mit der PDS in
Berlin ist die notwendige Konsequenz aus Ihrer Erklärung.
({8})
Wir stimmen weiten Teilen Ihrer Regierungserklärung
zu. Wir vermissen aber deren Konsequenz für innenpolitische Taten in der Bundesrepublik Deutschland - sicherheitspolitisch und wirtschaftspolitisch. Das zu sagen ist
die Aufgabe einer Opposition. Unsere Institutionen funktionieren. Die demokratische Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition funktioniert ebenfalls.
Sie schadet auch nicht. Wenn man sich über die Konstanten deutscher Außenpolitik, die Sie vorgetragen haben,
klar ist und wenn man die Staatsräson der Bundesrepublik
Deutschland, die das Land aus der größten Katastrophe
herausgebracht hat, beherzigt, dann finden Sie uns an Ihrer Seite. Ansonsten melden wir uns als Opposition zu
dem, was Sie hier vorgetragen haben - trotz jener Ereignisse -, weil auch danach das politische Leben in der
Bundesrepublik Deutschland weitergehen muss.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Ich erteile das Wort
dem Bundesminister Joseph Fischer, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der 11. September hat uns einen Kampf aufgezwungen, den niemand
von uns wollte, nicht die Menschen in den USA, nicht die
Regierung der USA, nicht die Führung der NATO, auch
nicht die Bundesregierung und die Menschen in Deutschland. Dieser 11. September war ein Angriff auf die Menschen in New York, auf die Regierung der Vereinigten
Staaten, er war ein Angriff auf unseren wichtigsten Bündnispartner. Insofern ist Solidarität, umfassende Solidarität, eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Er war auch
ein Angriff auf die offene Gesellschaft, ein Angriff auf
unsere Demokratie. Insofern sind es unsere elementaren
Interessen, die uns zwingen, hier zu widerstehen, ja Widerstand zu leisten.
({0})
Es ist eine mörderische, eine totalitäre Herausforderung, vor der wir stehen. Wer gestern im Fernsehen gesehen hat, wie neue Massenmorde angekündigt werden, und
wer weiß, dass es sich hierbei nicht mehr nur um Rhetorik handelt, der stellt nicht mehr die Frage nach den Beweisen, die ja vorliegen, die vorhanden sind. Alles zieht
sich dorthin zu. Es gibt keine alternativen Erkenntnisse,
nicht nur bei uns nicht, sondern auch im gesamten Bündnis und bei anderen Diensten nicht. Nach den vorbereiteten Erklärungen von Bin Laden und nach dem gestrigen
Aufruf zu neuen Massenmorden ist völlig klar: Wir stehen
hier vor einer internationalen totalitären Herausforderung, die den Islam missbraucht, die die religiösen Gefühle von Menschen missbraucht, um ihre totalitären
Ziele mit dem Mittel des Massenmordes durchzusetzen.
Und das darf nicht siegen, meine Damen und Herren.
({1})
Die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus ist kein
Kampf der Kulturen - das anzunehmen wäre der größte
Fehler, den wir innen- wie außenpolitisch machen könnten -, aber sie ist ein Wertekonflikt. Die Grundwerte der
Demokratie, die Grundwerte der Menschenrechte werden
hier infrage gestellt - auf mörderische Art und Weise.
Deswegen geht es um die Verteidigung dieser Grundwerte
und nicht um ihre Infragestellung. Wie der Bundeskanzler in seiner, wie ich finde, großen Rede heute Morgen
klar gemacht hat,
({2})
muss die Linie sein: Festigkeit und Besonnenheit, Entschlossenheit im Kampf gegen den Terrorismus, Entschlossenheit aber auch in der Verteidigung der offenen
Gesellschaft, der Demokratie sowie - ich betone dies des multikulturellen Charakters der offenen Gesellschaft,
den wir haben.
({3})
Ich finde, das verdient nachdrücklich Unterstützung.
Die Antwort auf den Terrorismus muss umfassend sein.
Das Militärische steht jetzt sehr stark im Vordergrund. Ich
kann hier nur unterstreichen, was der Bundeskanzler in
seiner Regierungserklärung gesagt hat: Die Antwort muss
auf die Lösung ökonomischer und politischer Probleme
ausgerichtet sein und wird sehr stark auch des kulturellen
Dialogs bedürfen. Die eine Welt ist eben nicht nur eine
Sonntagsveranstaltung, sondern sie ist auch voller Konflikte und voller Gefahren.
({4})
Aber die eine Welt ist unsere Zukunft. Die Pluralität der
Kulturen bedarf nicht der kulturellen Konfrontation, sondern des interkulturellen Dialogs im Zentrum der internationalen Politik.
({5})
Wir reden hier über nichts Geringeres als über den Entwurf einer Friedenspolitik im 21. Jahrhundert. Anders als
zu Zeiten des Kalten Krieges bedeutet Friedenspolitik in
der einen Welt im 21. Jahrhundert internationale Ordnungspolitik im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Das heißt, es geht darum, eine Weltordnung zu
schaffen, die Zonen der Ordnungslosigkeit oder gar, wie
es in weiten Teilen der Fall ist, des völligen politischen
Ordnungsverlustes nicht mehr zulässt. Ich sage das nicht
nur unter dem Gesichtspunkt der Bedrohungen, die durch
Zonen der Ordnungslosigkeit für uns erwachsen können;
die eigentliche Gefahr besteht vielmehr in dem Leid der
betroffenen Zivilbevölkerung. Das ist der entscheidende
Punkt.
({6})
Wenn wir uns in letzter Zeit, was die Schaffung einer
Weltordnung angeht, alle miteinander selbstkritisch etwas
vorzuwerfen haben, dann vielleicht, dass wir der Illusion
einer friedlichen Welt zu sehr erlegen waren. Für die Europäer gilt das zwar weniger, weil der Balkan so nahe ist aber nur deswegen! Wenn Sie dem zustimmen, dann
komme ich - völlig unpolemisch - zu der Frage, ob angesichts der neuen Herausforderungen über das Ziel eines
Niedrigsteuerstaats nicht völlig neu diskutiert werden
muss. Ich möchte einmal sehr ernsthaft die Frage diskutieren, ob das neue Engagement für eine auf Pluralität
gründende Weltordnung, das ein Mehr an Sicherheit im
Inneren und Äußeren erfordert und mehr Einsatz in der
Außenpolitik, in der Friedenspolitik und in der Entwicklungspolitik notwendig macht, mit den Vorstellungen von
einem Niedrigsteuerstaat, denen wir alle angehangen haben, tatsächlich noch vereinbar ist.
({7})
Eine Weltordnung schaffen, die allen Völkern die Perspektive voller Teilhabe ermöglicht, das klingt zwar sehr
ambitioniert, ist aber nur die Konsequenz aus einem erfolgreichen Kampf gegen den Terrorismus. Lassen Sie
mich hier unterstreichen: Multilateralismus und nicht
Unilateralismus wird die Welt im 21. Jahrhundert zu bestimmen haben. Auch das ist eine wichtige Konsequenz
dessen, was wir erlebt haben.
({8})
Dabei gewinnen die Vereinten Nationen eine völlig
neue Bestimmung. Bei all den Tragödien, die sich ereignet haben, müssen wir auch das Positive herausarbeiten:
dass der Sicherheitsrat jetzt geschlossen handelt, dass
das Völkerrecht fortentwickelt wird, und zwar auf eine
sehr robuste, handlungsfähige Art und Weise, wie es immer gefordert worden ist. Ich erinnere mich an all die
Auseinandersetzungen über die Einsätze auf dem Balkan.
Jetzt handelt der Sicherheitsrat geschlossen.
Ich stimme auch Frau Merkel völlig zu - wir haben das
schon vorher nachdrücklich unterstrichen -, dass diese
Koalition der Staaten die Gemeinsamkeit in den Grundwerten nicht vergessen machen darf: Menschenrechtsverletzungen sind Menschenrechtsverletzungen, auch wenn
sie von Koalitionspartnern begangen werden; Unterstützung von Terrorismus ist Unterstützung von Terrorismus,
auch wenn sie durch Koalitionspartner erfolgt. So wichtig
es ist, dass wir in dieser Auseinandersetzung Festigkeit
bewahren, so wichtig ist es auch, dass wir mehr und nicht
weniger an Menschenrechtsorientierung brauchen, wenn
wir diesen Kampf bestehen wollen.
({9})
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen, der in
vielen Reden, vor allen Dingen sonntags, diskutiert wird
- allerdings weiß ich von vielen Kollegen, dass sie auf
diesem Gebiet auch werktags sehr praktische Arbeit geleistet haben -: Was sind die Ziele des islamistischen
Terrorismus? Ziel ist die Befreiung der islamischen Welt
von äußerem Einfluss, was sich aktuell an den USA festmacht. Ziel ist aber auch - das ist eines der wichtigsten
Ziele - die Zerstörung Israels. Hier sind wir besonders gefordert, wenn all die Erklärungen, die wir fraktionsübergreifend immer abgegeben haben und die ich immer ernst
genommen habe, ernst gemeint waren. Hier haben wir
eine besondere, auch historische Verantwortung und Verpflichtung. Eine Politik, die mit den Mitteln des Terrorismus und des Massenmordes auf die Zerstörung Israels
zielt, verdient unseren energischsten Widerstand und den
Einsatz aller Möglichkeiten, die wir haben.
({10})
Terror gegen Israel ist von uns ohne Wenn und Aber zu
verurteilen, egal, ob dieser von Bin Laden, von Hamas,
von einem islamischen Dschihad, von der Hisbollah oder
von wem auch immer ausgeht. Terrorismus gegen Israel
wird von uns nicht akzeptiert. Hier wissen wir uns mit
dem Staate Israel und den Menschen dort einig.
({11})
Wir betonen hier noch einmal ausdrücklich das Existenzrecht Israels und seinen Anspruch auf sichere Grenzen und Frieden. Hier möchte ich als Freund Israels auch
betonen, dass wir, weil wir das Existenzrecht Israels
sichern wollen, den Friedensprozess wollen und alles tun
werden, um diesen Friedensprozess weiter voranzubringen. Dazu gehört auch die Berücksichtigung der legitimen
Interessen des palästinensischen Volkes; das schließt sein
Selbstbestimmungsrecht und die Option auf einen eigenen Staat ein, wie es in der Berliner Erklärung der Europäischen Union während der deutschen Präsidentschaft
hier geheißen hat; allerdings unter Wahrung des Existenzrechtes und der Sicherheitsinteressen Israels.
({12})
Herr Westerwelle, ich möchte hier keine falsche Polemik betreiben; ich fände es aber gut, wenn Sie die doch
sehr merkwürdigen Äußerungen des Kollegen Möllemann
für die FDP wirklich einmal klarstellen würden.
({13})
Kollege Westerwelle,
ich unterstelle, dass Ihre Meldung bedeutet, dass Sie eine
Zwischenfrage stellen wollen.
Selbstverständlich
möchte ich eine Zwischenfrage stellen, Herr
Bitte schön.
Herr Minister, sind
Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass dies bereits am
Montag unverzüglich durch den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und früheren Außenminister, der auch
jetzt hier anwesend ist, erfolgt ist? Ich erkläre hier auch
noch einmal ausdrücklich, dass das, was Herr Kinkel gesagt hat, auch die Meinung der Freien Demokraten ist.
({0})
Dafür bedanke ich mich. Ich denke, das war eine wichtige
Klarstellung, denn in Israel schaut man schon sehr genau
danach, wie geschlossen unsere Haltung in diesem Punkt
ist. Mir geht es hier gar nicht um kleinliche parteipolitische Aufrechnung. Was wir hier, und zwar alle Fraktionen, in Deutschland bezüglich Israel sagen, tun oder nicht
tun, wird dort aufgrund der tragischen historischen Beziehungen besonders wahrgenommen. Ich erlebe das als
Außenminister. Insofern weiß ich, wie wichtig es ist, dass
wir hier einen partei- und fraktionsübergreifenden Konsens im Deutschen Bundestag haben.
({0})
Für mich ist, meine Damen und Herren, neben der Lösung der Regionalkonflikte noch ein anderer Punkt ganz
entscheidend: Die Lösung des Nahostkonflikts wird von
ganz entscheidender Bedeutung für das Gelingen des
Kampfes gegen den Terrorismus sein, nicht aufgrund
eines unmittelbaren Zusammenhangs, sondern weil die
Gefühle von Millionen von Menschen in der Region missbraucht werden können. Andere Regionalkonflikte, zum
Beispiel in Zentralasien oder auch im südlichen Kaukasus, spielen ebenfalls eine Rolle; der Maghreb wird miteinzubeziehen sein. Das sind alles Regionen, die nicht in
unmittelbarer Nachbarschaft zu Deutschland, aber zu Europa liegen.
Gestatten Sie mir, dass ich hier eine Entwicklung anspreche, die ich mit einer gewissen Sorge betrachte. Wir
erleben gegenwärtig die Verschiebung der zentralen Achsen der internationalen Politik. Russland wird sich völlig
neu aufstellen. Das liegt in unserem Interesse. Die ernsthafte Öffnung Russlands, die sich, wie Präsident Putin
hier in seiner Rede zum Ausdruck gebracht hat, in einer
neuen russischen Politik niederschlägt, liegt im deutschen
und im europäischen Interesse. Wenn wir nicht Acht geben, könnte das ungewollte Konsequenzen haben. Ich
halte überhaupt nichts davon, hier eine Entwicklung negativ zu bewerten, die in unserem Interesse liegt und
eigentlich positiv ist. Wenn wir sie allerdings national betrachten und in einem rückwärts gewandten Sinne missverstehen, das heißt, wenn wir gewissermaßen diesen
Schönheitswettbewerb der europäischen Nationalstaaten
mitmachen, ohne zu begreifen, wie kurzsichtig ein solcher ist, und die Europäische Union dafür verbal kritisieren oder ihr sogar mit einer gewissen Arroganz entgegentreten, weil sie noch nicht so weit ist, wie sie sein müsste,
dann laufen wir Gefahr, einem historischen und strategischen Irrtum zu unterliegen. Wir müssen nämlich sehen,
dass in der Welt des 21. Jahrhunderts, in der sich die Zentralachsen verschieben, nicht Deutsche, Franzosen oder
Briten eine Rolle spielen werden, sondern nur ein integriertes Europa.
({1})
Deswegen wird es von entscheidender Bedeutung sein,
jetzt das europäische Engagement zu stärken. Wir werden
weniger Zeit haben, als viele von Ihnen und ich bisher
dachten, weil sich die Welt jetzt dramatisch verändert.
Das ist ein weiteres Argument dafür, dass Deutschland
nicht abseits stehen darf. Wir sind im europäischen Konzert zu groß und zu wichtig. Es geht hier nicht um Schönheitswettbewerbe, sondern es geht neben der Solidarität,
die sehr wichtig ist, auch um Humanität, Menschenrechte
und ein neues Engagement in einer globalen Welt. All das
wird nur eine Zukunft haben, wenn wir den europäischen
Integrationsprozess mit dem ganzen Gewicht unseres
Landes in der Außen- und Sicherheitspolitik und durch
die Schaffung einer europäischen Demokratie voranbringen. Wenn wir jetzt am nationalen Denken festhielten,
würden wir einen großen Fehler machen.
Meine Damen und Herren, Kampf gegen den Terrorismus bedeutet deswegen nicht nur das Eintreten für eine
neue, humanere Weltordnung und ein neues Engagement,
mit dem wir ein Mehr an Leistungen aufzubringen und ein
Mehr an Risiken zu schultern haben, es müssen auch Regionalkonflikte gelöst und interkulturelle Dialoge geführt
werden. Er bedeutet vor allen Dingen auch, dass wir bei
der europäischen Integration vorankommen müssen.
Wenn wir getrennt bleiben, werden die Europäer in der
neuen Weltordnung marginalisiert.
Ich bedanke mich.
({2})
Ich erteile dem Kollegen Roland Claus, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was erwarten die Menschen in
diesen Tagen von der Politik, also von ihrem Parlament
und ihrer Regierung? Ich denke, sie erwarten, dass sie vor
terroristischer Bedrohung geschützt, somit auch die Täter
vom 11. September bestraft und die von den terroristischen Strukturen ausgehenden Gefahren andauernd und
wirksam überwunden werden.
({0})
Sie erwarten, dass ihr Leben nicht durch Terror und Angst
entwürdigt wird. Das Bekennervideo von Bin Laden ist
nichts anderes als der Versuch, die Würde der Welt, die
Würde aller Kulturen und Religionen mit Mitteln jenseits
jeder Achtung vor dem Leben anzugreifen. Regierung und
Opposition müssen sich diesen Erwartungen gemeinsam
stellen, sie müssen dabei aber nicht zwangsläufig die gleichen Antworten geben.
({1})
So hat sich, finde ich, die ja nicht nur die von der PDS
immer wieder vorgetragene Mahnung zur Besonnenheit
im Handeln der Regierenden durchaus widergespiegelt.
Ich sage aber auch in aller Deutlichkeit und ausdrücklich:
Die am Sonntag begonnenen militärischen Aktionen halten wir für den falsch Weg.
({2})
Der Kampf gegen den Terrorismus, auch ein langwieriger Kampf, ist gewinnbar, ein Krieg nicht. Auch lange
Wege beginnen mit dem ersten Schritt. Entschieden wichtig ist darum, in welche Richtung dieser erste Schritt gegangen wird. Bomben auf Afghanistan, die bekanntlich
nicht nur terroristische Strukturen getroffen haben, sind
falsche erste Schritte in die falsche Richtung.
({3})
Diese Kritik an den Militäreinsätzen in Afghanistan bedeutet für die PDS nicht das Ende der kritischen Solidarität mit Amerika, obwohl uns das häufig unterstellt wird.
Günter Grass sagte vorgestern, dass ein wirklicher Freund
auch die Kraft aufbringen müsse, einem Freund in den
Arm zu fallen, wenn er der Überzeugung ist, dass dieser
falsch handelt.
Nach den nun begonnenen Militäreinsätzen haben wir
nicht kurzschlüssig oder antiamerikanisch reagiert, sondern wir haben gefragt: Sind diese Mittel geeignet, den
Terror zu bekämpfen? Führen sie zu mehr Sicherheit in
Amerika oder Deutschland? Besteht nicht eher die Gefahr, dass in der Logik des Wahnsinns Gegenschläge
infolge des 11. September einkalkuliert sind? Werden die
Terroristen die Bomben auf Afghanistan nicht dazu benutzen, neuen Fanatismus anzuheizen? Natürlich ist eine
kritische Minderheit hier im Parlament in schwieriger
Lage, weil ihr unterstellt wird, sie wolle nichts tun,
während die hinter der Regierung Stehenden für sich öffentlich durchaus in Anspruch nehmen: Wir tun wenigstens etwas! Nur, meine Damen und Herren, wird ihr Tun
dem angestrebten Ziel gerecht? Das glaube ich nicht.
({4})
Diese Bomben schaffen weder mehr Sicherheit in den
USA und in Europa noch wird damit das internationale
Netzwerk des Terrorismus erreicht. Aber ich glaube, dass
es noch nicht zu spät ist, einen anderen Weg einzuschlagen. Ein von der UNO legitimierter internationaler Polizeieinsatz gegen die Strukturen des Terrors wäre geeigneter. Ein souveränes Agieren der Vereinten Nationen
anstelle der nachträglichen Befassung steht noch aus. Den
Flüchtlingen, die aus Afghanistan kommen, könnte mit
geöffneten Grenzen und einem kombinierten Handeln
von Polizeikräften und Hilfsorganisationen wirksamer
geholfen werden. Das hätten die Flüchtlinge auch bitter
nötig. Denn Hilfsorganisationen kritisieren, dass die Hilfe
mit Nahrungsmitteln nach den Angriffen nicht vermehrt,
sondern verringert wurde. Deutschland sollte seine Versprechen bei der Flüchtlingshilfe und nicht bei Militäroperationen einlösen.
({5})
Afghanistan braucht nach 23 Jahren Krieg die Hoffnung auf ein vertrauensbildendes Aufbauprogramm. Die
Nordallianz birgt diese Hoffnung nicht. Schließlich muss
die Weltöffentlichkeit über das militärische Vorgehen
tatsächlich informiert werden. Denn Solidarität kann nur
als informierte Solidarität, nicht aber als blindes Vertrauen gedeihen.
({6})
Auch wir, meine Damen und Herren, wollen die offene
Gesellschaft sicherer gestalten. Sie sollten der PDS nicht
unterstellen, sie sei zum radikalen Pazifismus übergegangen. Sie wissen wie wir, dass das nicht stimmt. Die PDS
ist keine pazifistische Partei, gleichwohl Pazifistinnen
und Pazifisten und deren grundsätzlicher Widerstand gegen Waffengewalt in den Reihen der PDS geachtet sind.
({7})
Es sind eben mehr Dinge zwischen Himmel und Erde,
also auch in der Politik, als purer Pazifismus einerseits
und uneingeschränkter Bündnisfall andererseits.
({8})
Politik hat die Aufgabe, aufzuklären und nicht in der Gesellschaft zu polarisieren. Wenn die Bundesregierung den
SPD-Generalsekretär in dieser Situation erklären lässt,
dass eine kritische Minderheit im Parlament weniger als
andere informiert wird, sagt das nichts anderes, als dass
sie eine andere Meinung nicht ertragen kann.
({9})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren, die Hoffnungen der Menschen auf ein Leben ohne Terror und
Angst wollen wir alle nicht enttäuschen. Es ist noch nicht
zu spät, andere als kriegerische Wege zu gehen.
Ich danke Ihnen.
({10})
Ich erteile dem Bundesminister Rudolf Scharping das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seitens der
Bundesregierung haben wir hier immer wieder darauf
aufmerksam gemacht, dass im Rahmen einer umfassenden Antwort auf die Herausforderung des Terrorismus militärische Maßnahmen notwendiger und unerlässlicher
Bestandteil sein würden. Seit Sonntag ist das so. Umso
mehr fragen sich die Menschen in Deutschland: Mit welcher Art von Bedrohung haben wir es zu tun? Wie können
wir uns wirksam und gemeinsam dagegen schützen?
In diesem Zusammenhang taucht immer wieder das
Wort Krieg auf. Wir sind nicht im Krieg; jedenfalls
dann nicht, wenn uns mit diesem Wort immer noch die
alten Assoziationen und Vorstellungen vom Krieg zwischen Staaten mit dem Ziel, ein Territorium zu erobern
und zu beherrschen, verbinden. Die Bedrohung richtet
sich nicht gegen ein Territorium. Sie zielt nicht auf die Beherrschung. Sie zielt auf etwas ganz anderes. Sie zielt auf
die innere Stabilität, auf den inneren Frieden und auf den
inneren Zusammenhalt der demokratischen Gesellschaft.
Man spürt übrigens, dass die Verwendung des Wortes
Krieg in der bloßen, nackten Übersetzung des Wortes
war zwischen uns und unseren amerikanischen Freunden aufgrund anderer historischer Erfahrungen schon zu
Missverständnissen führen kann. Deshalb diese Bemerkungen.
Im Übrigen wird deutlich, dass die klassische Trennung zwischen äußerer und innerer Sicherheit angesichts dieser Bedrohungen, angesichts dieser Herausforderungen nicht mehr völlig tauglich ist.
({0})
Daraus den Schluss zu ziehen, dass über die notwendige
Kooperation aller, die für innere und äußere Sicherheit
verantwortlich sind, in der Vergangenheit praktizierte, für
die Zukunft zu gewährleistende Zusammenarbeit hinaus
eine Änderung der Verfassung oder der Gesetze erforderlich ist, ist schlicht falsch.
({1})
Denn - ohne alle Einzelheiten aufzublättern -: Wir haben
in der Vergangenheit genügend Erfahrungen damit gesammelt, dass die Bundeswehr im Innern in der Lage ist,
den für die innere Sicherheit unseres Landes verantwortlichen Institutionen dann zu helfen, wenn diese Hilfe erforderlich wird. Wir sollten eine Grenze nicht überschreiten, gar nicht den Eindruck entstehen lassen, wir wollten
sie überschreiten, dass nämlich niemand anders als die für
die innere Sicherheit unseres Landes verantwortlichen Institutionen darüber entscheiden, ob sie der Hilfe bedürfen
oder nicht, ob sie sie anfordern oder nicht.
({2})
Auf diese Grenze sollten wir unverändert, so wie der Bundeskanzler das in seiner Regierungserklärung gesagt hat,
Wert legen.
In diesen Zusammenhang gehört auch ein anderer, wie
ich finde, falscher Widerspruch,
({3})
nämlich der irreführende Widerspruch, ein Element der
Antwort für die gesamte Antwort zu halten, so wie Herr
Claus das eben wieder getan hat. Umfassend lässt sich Sicherheit nur gewährleisten, wenn die wirtschaftlichen, die
ökologischen, die kulturellen, die sozialen, die humanitären Dimensionen der Sicherheit mit betrachtet werden. Das wird mit Blick auf diese Region überdeutlich.
Wir wissen doch alle, dass zum Beispiel die weltwirtschaftliche Stabilität und die weltwirtschaftliche Sicherheit von dieser Region sehr stark beeinflusst werden
können, von jener Region, in der 70 Prozent der Erdölreserven des Globus und 40 Prozent der Erdgasreserven des
Globus liegen.
({4})
Wir wissen, dass in dieser Region nicht nur beachtliche
natürliche Ressourcen sind, sondern, wie mir das ein indischer Gesprächspartner sagte, ein unverändert risikoreicher, wahrscheinlich der gefährlichste Mix von Risiken,
den man auf der ganzen Erde finden kann: Fanatismus,
Hass, der Besitz von Massenvernichtungswaffen, der Versuch, solche zu erwerben, und zwar jeder Art von Massenvernichtungswaffen, bis hin zu dem Versuch, sie entweder terroristisch oder als Bedrohung der Integrität von
Staaten und ihrer Territorien einzusetzen. Wir wissen
- der Bundesaußenminister hat darauf hingewiesen -,
dass der Nahostkonflikt, gelingt seine Lösung nicht, zur
Antriebskraft dafür werden könnte, dass die in den arabischen Gesellschaften relativ isolierten terroristischen
Gruppierungen genau jenen Katalysator, jenes Ferment
gewinnen könnten, aus dem dann mehr entstehen wird als
eine terroristische Bedrohung. Es darf also - das will ich
mit diesen Bemerkungen deutlich machen - keine Dominanz des Militärischen in einer politischen Strategie geben. Es darf aber auch keine Vernachlässigung des Militärischen in einer politischen Strategie geben.
Wir werden uns also der Frage zuwenden müssen, dass
die Erneuerung der Bundeswehr von Grund auf nicht
nur reflektiert, was im strategischen Konzept der NATO
über politischen Terror und seine Herausforderungen
steht, was wir uns gemeinsam an Fähigkeiten vorgenommen haben. Man wird angesichts dessen, was man verallgemeinernd Kontinuum an Fähigkeiten nennt, von der
Landes- und Bündnisverteidigung über die Krisenprävention und Krisenreaktion bis hin zur Bekämpfung terroristischer Bedrohungen, auch überlegen müssen, diese
Fähigkeiten schneller und zum Teil sogar neu zu erwerben. Dem dient das Paket der Bundesregierung zur Verbesserung der inneren und äußeren Sicherheit. Ich füge
hinzu: Man wird diese Fähigkeiten in angemessener Zeit
und vollständig nur erwerben können, wenn über dieses
Paket hinaus alle Schritte im Zusammenhang mit der vereinbarten Erneuerung der Bundeswehr gegangen werden.
Die Soldaten leisten für die Sicherheit unseres Landes das
Beste. Sie haben auch das Beste verdient.
({5})
- Ich habe mir schon gedacht, dass Sie nie ganz frei sind
von dem, was Sie jetzt wieder dokumentiert haben. Das
ist mir im Moment aber ein bisschen zu klein.
({6})
Ich will Ihnen nur eins sagen: In diesem Zusammenhang sollten wir nicht gering schätzen, aber auch nicht
überbewerten, was zwischen 1993 in Somalia und heute
tatsächlich geschehen ist. Es wurden nämlich nicht nur
schrittweise die praktischen Konsequenzen aus einer
grundlegend veränderten sicherheitspolitischen Situation
gezogen, sondern es wurde auch die Erkenntnis gewonnen - mit ihren praktischen Konsequenzen -, dass diese
Veränderung der sicherheitspolitischen Lage in Europa
die Welt nicht unbedingt sicherer gemacht hat. Wir dürfen
nicht nur die Vorteile beanspruchen, sondern müssen für
die dauerhafte Gewährleistung der Sicherheit auch die
notwendige Verantwortung übernehmen. Wir dürfen nicht
nur die Rechte beanspruchen, sondern müssen auch die
Verpflichtungen akzeptieren, die sich daraus ergeben. Kosovo, Mazedonien und anderes sind die Stichworte dafür.
Damit bin ich bei meinem letzten Hinweis. Wir machen die Erfahrung, dass das alte Muster des zwischenstaatlichen Krieges immer weiter in den Hintergrund tritt, jedenfalls im euroatlantischen Raum und
hoffentlich zunehmend auch auf der gesamten gemeinsamen Erde. Wenn Terrorismus - wie jener glasklar bewiesene von Osama Bin Laden und al-Qaida - von Staaten
beheimatet, unterstützt und geduldet wird oder gar Staaten in den Händen von Terroristen sind, dann ist das Verwenden des Militärischen gegen den Terrorismus und gegen die Staaten, die Terroristen Unterstützung oder Hafen
bieten, nicht etwa der klassische Krieg, sondern im Kern
eigentlich eine Polizeiaktion mit den Mitteln des Militärischen.
({7})
Vor diesem Hintergrund zeigt sich, warum im Rahmen
der gemeinsamen Antwort auf die Herausforderung des
internationalen Terrorismus die Bundesregierung uneingeschränkt unterstützt, was zurzeit von den USA und
Großbritannien getan wird. Darüber hinaus hat die
Bundesregierung in den Vereinten Nationen, in der NATO
und im bilateralen Verkehr deutlich gemacht, dass sie sich
weder duckt noch drängelt. Die fundamentale Veränderung bei der Entwicklung des Völkerrechts ist vermutlich
noch gar nicht so gut erfasst, wie wir alle sie in Zukunft
werden erfassen müssen; denn dass der Weltsicherheitsrat
zum ersten Mal gesagt hat, internationaler Terrorismus sei
eine Bedrohung des Weltfriedens und der weltweiten Stabilität, dass er die Staaten mit sehr konkreten Hinweisen
aufgefordert hat, etwas zu tun, und dass er im Übrigen
eine Frist gesetzt und diese Frist zu überwachen sich
entschlossen hat, ist eine weit reichende Veränderung.
Diese Veränderung bietet eine sehr starke Legitimation
für das jetzt gewählte Vorgehen - das ist im Weltsicherheitsrat ausdrücklich so beschlossen worden. Mit den
praktischen Konsequenzen dieser Veränderung müssen
wir uns bei der Verbesserung der inneren wie der äußeren
Sicherheit unseres Landes sehr konkret beschäftigen und
müssen entsprechende Entscheidungen treffen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der PDS. Wer stimmt für
den Entschließungsantrag auf Drucksache 14/7079? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die
Stimmen der PDS abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 f auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Vereinsgesetzes
- Drucksache 14/7026 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Rechtsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - § 129 b StGB ({1})
- Drucksache 14/7025 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({2})
Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung
- Drucksache 14/7008 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({3})
Innenausschuss
d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Norbert
Geis, Erwin Marschewski ({4}),
Wolfgang Bosbach, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der
Bekämpfung von Straftaten der organisierten
Kriminalität und des Terrorismus
- Drucksache 14/6834 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({5})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
e) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der Kronzeugenregelungen im Strafrecht ({6})
- Drucksache 14/5938 Überweisungsvorschläge:
Rechtsausschuss ({7})
Innenausschuss
f) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung ({8})
- Drucksache 14/6079 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({9})
Innenausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Bundesministerin Herta Däubler-Gmelin.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
schrecklichen Anschläge in New York und Washington
vor einem Monat stellen uns vor ganz neue Herausforderungen und in eine neue Verantwortung. Es ist dabei völlig klar, dass unser Mitleiden mit den ermordeten Menschen und mit ihren Angehörigen fortbesteht. Es wurden
so viele Lebenspläne zerstört und so viel Leiden verursacht. Auch unser Entsetzen über den Hass und über das
Ausmaß der Zerstörungswut bleibt natürlich weiter bestehen.
Neben unserem Mitgefühl und neben der Solidarität
mit den USA müssen gerade wir hier uns der Verantwortung stellen, im Lichte dessen, was wir heute über die Täter und über die Unterstützer wissen, diesen Terrorismus
zu bekämpfen, die Täter, die Schuldigen und die Unterstützer zur Rechenschaft zu ziehen und unsere Bevölkerung dort zu schützen, wo wir das können und wo das erforderlich ist. Das tun wir.
({0})
Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, aber auch der
Landesregierungen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen und auch die Aufgabe des Deutschen Bundestages. Deshalb sprechen wir heute im Rahmen des ersten
Sicherheitspaketes, das die Bundesregierung vorgelegt
hat, auch über Vorschläge für Gesetzesänderungen.
Sie werden festgestellt haben, dass sich nur relativ
knappe Gesetzesänderungen unter den Vorschlägen der
Bundesregierung befinden. Das ist beabsichtigt. Dennoch
sind diese Änderungen wichtig. Dabei handelt es sich um
die Einführung des neuen § 129 b des Strafgesetzbuches
und um eine Nachfolgeregelung für § 12 des Gesetzes
über Fernmeldeanlagen im Rahmen der Strafprozessordnung. Ergänzt werden wird das Paket um das, was in der
Öffentlichkeit als Kronzeugenregelung bezeichnet
wird. Wir werden Ende des Monats gemeinsam eine neue
Regelung vorlegen, die unter bestimmten Voraussetzungen Strafmilderung für Täter beinhaltet, denen selbst
schwerste Verbrechen zur Last gelegt werden, die aber zur
Aufklärung oder Verhinderung schwerer Straftaten wesentlich beigetragen haben.
Lassen Sie mich zu allen drei Punkten ganz kurz etwas
sagen. Der Vorschlag der Bundesregierung, den neuen
§ 129 b in das Strafgesetzbuch einzuführen, macht es
möglich, die Mitglieder und Unterstützer terroristischer
Vereinigungen, die ihre Verbrechen in anderen Staaten begehen, in die Strafbarkeit in Deutschland einzubeziehen.
Das ist richtig und wichtig. Die schrecklichen Anschläge
in New York und Washington vor einem Monat haben jedem gezeigt - das wurde durch die Videoaufnahmen von
Erklärungen aus den Reihen von al-Qaida bestätigt -, dass
sich dieser Terrorismus gegen alle offenen Gesellschaften
und nicht nur gegen die der Vereinigten Staaten von Amerika richtet.
({1})
Es ist besonders augenfällig, dass die Bekämpfung
speziell dieses Terrorismus nicht in einem Lande allein
durchgeführt oder auf ein Land beschränkt werden kann.
Es handelt sich hierbei vielmehr - dies haben auch die Erklärung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und
die Erklärungen auf europäischer Ebene sehr deutlich
gemacht - um ein Anliegen der gesamten Völkergemeinschaft.
({2})
Täter und Unterstützer terroristischer Vereinigungen
sollen in jedem Land mit Bestrafung rechnen müssen.
Ruhe- und Rückzugsräume darf es nicht geben. Deshalb
erweitert der Vorschlag der Bundesregierung den strafrechtlichen Schutz und wendet das umfangreiche Instrumentarium des § 129 StGB einschließlich der flankierenden
verfahrensrechtlichen Vorschriften an. Deshalb überprüfen
wir zurzeit im Zusammenhang damit weitere Folgeänderungen.
Lassen Sie mich zum zweiten Punkt etwas sagen, nämlich zur Nachfolgeregelung zu § 12 des Fernmeldeanlagengesetzes. Er gestattete es den Strafverfolgungsbehörden, von den verpflichteten Diensteanbietern Auskunft
über die zulässigerweise gespeicherten Daten über Telekommunikationsverbindungen zu verlangen. Das ist genauso kompliziert, wie es klingt. Aber für die notwendige
Arbeit der Strafverfolgungsbehörden handelt es sich dabei um ein wichtiges Ermittlungsinstrument beispielsweise zur Beschaffung von Beweismitteln, zur Bestimmung des Tatorts und der Tatzeit eines Verbrechens oder
zur Klärung des Aufenthaltsortes oder auch zur Abklärung, ob und bezüglich welcher Personen eine Telekommunikationsüberwachung erforderlich und unabdingbar
ist. Diese Regelung brauchen wir auch weiterhin.
Wir halten die bloße Verlängerung des § 12 FAG, so
wie er heute besteht, indes nicht für richtig, weil die Vorschrift wegen der zunehmenden Digitalisierung des Telekommunikationsverkehrs einfach zu wenig differenziert
ist.
({3})
Genau diese Differenzierung nehmen wir mit dem Vorschlag der Bundesregierung vor. Er bringt Verbrechensbekämpfung und den notwendigen Datenschutz in die
nötige Balance und berücksichtigt beide Gewichte da, wo
sie berücksichtigt werden müssen.
Außerdem fügt der neue Vorschlag die Regelung in die
rechtsstaatliche Systematik der Strafprozessordnung ein
und ist so insgesamt eine wesentliche Verbesserung gegenüber der geltenden Rechtslage.
Sie werden gesehen haben, dass wir auch diese Vorschrift - bis zum 31. Dezember des Jahres 2004 - befristen wollen. Der Grund dafür liegt nicht nur darin - das
wird gerade in den Reihen der Kolleginnen und Kollegen
der Opposition immer wieder diskutiert -, dass es manchmal ganz vernünftig ist, Regelungen zu befristen. Vielmehr liegt der Grund darin, dass es wichtig ist, in Zukunft
zu einem in sich stimmigen und harmonischen Gesamtsystem der strafprozessual zulässigen heimlichen Ermittlungsmaßnahmen zu kommen.
({4})
- Ja, und es war auch schon zu der Zeit, als Sie die Regierung hier verantworteten, Herr Stadler, natürlich erforderlich. Aber die Vorarbeiten sind halt nicht in dem Maße
geleistet worden,
({5})
wie wir es jetzt unter dem Aspekt der Sicherheit und der
Freiheit, also der Balance zwischen innerer Sicherheit und
Rechtsstaatlichkeit, brauchen. Deswegen arbeiten wir daran, übrigens mithilfe von zahlreichen Experten und
Sachverständigen. Ich denke, wir werden das auch hier im
Bundestag sehr detailliert diskutieren müssen.
Auch die übrigen Vorschläge zur Änderung der Strafprozessordnung, die von verschiedenen Seiten kommen,
sollten wir in aller Ruhe, aber nicht überhastet diskutieren.
({6})
Ich habe den Eindruck, dass eine Menge ältere Überlegungen mit vorgetragen werden, die übrigens die Veränderungen durch die terroristischen Anschläge von Anfang
September noch nicht berücksichtigen konnten. Diese
aber müssen wir analysieren und diskutieren. Ich denke,
auch dazu wird in den kommenden Monaten Zeit sein,
wenn wir das mit einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts verbinden.
Lassen Sie mich jetzt noch etwas zu dem dritten Punkt
sagen, der in der Öffentlichkeit unter der nicht immer
ganz richtigen Bezeichnung Kronzeugenregelung bekannt ist. Die alte Regelung haben wir auslaufen lassen,
weil sie erheblichen Bedenken tatsächlicher und rechtsstaatlicher Art gegenüberstand. Das ist ja bekannt. Deshalb halten wir es übrigens auch nicht für richtig, jetzt einfach zu dieser alten Regelung zurückzukehren.
({7})
Wir wollen auch den vorliegenden Entwürfen des Bundesrates und der Opposition, denen man gelegentlich ansieht, dass sie ganz schnell zusammengeflickt wurden,
nicht näher treten, sehr geehrter Herr Geis.
({8})
Wir werden darüber im Detail noch ausführlich diskutieren können. Man merkt einfach, dass da die eine Vorschrift mit der anderen und die eine Intention mit der vorhergehenden nicht so ganz zusammenpasst.
({9})
Wir werden Ende dieses Monats einen neuen Entwurf
vorlegen, der den Grundsatz berücksichtigt, dass es sich
hierbei um Straftäter handelt, denen schwerste Verbrechen zur Last gelegt werden. Dass deshalb natürlich
das Angebot einer Strafmilderung bestimmter Voraussetzungen, Regelungen, Begründungen und Sicherungen,
die gerade unter rechtsstaatlichen Aspekten sehr sorgfältig abgewogen werden müssen, bedarf, darüber sollte in
diesem Hause kein Zweifel bestehen. Wir werden mit Ihnen darüber diskutieren.
({10})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu einem
anderen Punkt kommen, der viele Menschen beschäftigt.
Wir werden in der Öffentlichkeit häufig gefragt, ob die im
Rahmen des Antiterror- bzw. des Sicherheitspaketes vorgeschlagenen Gesetze und Maßnahmen nicht zu einer zu
starken Einschränkung des Rechtsstaats, wie es formuliert
worden ist, führen würden. Ich antworte, bezogen auf die
Vorschläge, die wir vorlegen, mit einem eindeutigen
Nein. Wir halten die erforderliche Balance zwischen Sicherheit auf der einen und Rechtsstaatlichkeit und Freiheit auf der anderen Seite.
({11})
Dies ist nicht ganz leicht. Ich darf in diesem Zusammenhang an die Rede erinnern, die der Bundespräsident
vor wenigen Tagen in Leipzig gehalten hat. Er hat davon
gesprochen, dass die gelungene Verbindung von Freiheit
und Sicherheit nichts Selbstverständliches sei. Er hat
Recht. Gerade in dieser neuen Situation, in der wir uns
jetzt befinden, diese Verbindung herzustellen ist unsere
Aufgabe. Dieser Aufgabe müssen wir uns stellen. Ich will
Ihnen sehr deutlich sagen: Wir tun das auch.
Dabei halte ich die öffentliche Diskussion und die von
vielen geäußerte Sorge darüber, ob diese Balance auch erhalten bleibt, für im Prinzip gut.
({12})
Es ist ein Kennzeichen einer offenen Gesellschaft, dass
immer wieder sehr sorgfältig darauf geschaut wird, ob
eine Maßnahme bzw. eine Gesetzesänderung geeignet, erforderlich und im Sinne unserer freiheitlichen Grundordnung verhältnismäßig ist.
Nur, wir haben in unserem Land bereits Erfahrungen
mit der Terrorismusbekämpfung gemacht. Auch damals, als dies aktuell war, gab es diese Diskussionen. Wir
sollten uns nicht nur an die damals geführten Diskussionen erinnern, sondern auch an die Erfahrungen, die wir im
Anschluss an die in diesem Zusammenhang durchgeführten Gesetzesänderungen gemacht haben. Die sind nämlich außerordentlich positiv. Wir haben den Terrorismus
besiegen können, ohne den Rechtsstaat oder die Freiheit
zu beschädigen und ohne die Balance zwischen Sicherheit
und Freiheit in unserer Gesellschaft aus dem Gleichgewicht zu bringen.
({13})
Das gibt mir die Zuversicht, dass wir dann, wenn wir die
derzeit anstehenden Maßnahmen sorgfältig erwägen,
diese Balance auch dieses Mal erhalten können.
Allerdings muss man immer wieder auf die Klarheit
der Ziele hinweisen. Ich füge hinzu: Durch das ständige
Wiederholen von Befürchtungen erreicht man diese Ausgewogenheit von Sicherheit und Freiheit noch nicht.
({14})
Das Ziel ist klar: Wir wollen eine offene Gesellschaft auf
der Grundlage unserer Verfassung. Denn wir leben gerne
in einer solchen Gesellschaft. Genau diese offene Gesellschaft greifen Terroristen an. Klarheit muss auch dahin
gehend bestehen, dass wir den Terrorismus bekämpfen,
Unterstützer zur Rechenschaft ziehen und keine Ruheräume zulassen werden.
({15})
Ich habe erwähnt, dass das eine Aufgabe ist, deren Bewältigung wirklich schwierig wird, und dass dies nicht
nur in einem Land vollbracht werden kann. Das ist der
Grund dafür, warum wir uns so außerordentlich stark im
Bereich der Europäischen Union und im Bereich des Europarates engagieren.
Im Bereich der Europäischen Union arbeiten wir mit
Nachdruck an einer gemeinsamen Grundlage zur strafrechtlichen Bekämpfung des Terrorismus. Das fängt bei
einer Definition des Terrorismusbegriffes an und geht
dann bis zu einem europäischen Haftbefehl weiter, den
der Bundeskanzler schon angesprochen hat und den wir
benötigen. In diesem Zusammenhang werden auch die
Institutionen Europol und Eurojust, die wir befürworten,
genutzt. Auch hier besteht übrigens diese Balance zwischen innerer Sicherheit, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und
der Bekämpfung von Straftaten und des Terrorismus, und
zwar auf der Basis dessen, was die Europäische Grundrechte-Charta für den Raum der Europäischen Union vorsieht.
Im Bereich des Europarates ist ein gemeinsames Vorgehen nicht ganz so leicht. Aber wir gehen mit Nachdruck
in diese Richtung, auch wenn hier noch viel zu tun bleibt.
Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei Dinge erwähnen. Das eine ist die Abscheu vor und die Ablehnung von
irgendwelchen Trittbrettfahrern und Nachahmertaten, mit
denen die Öffentlichkeit derzeit immer stärker verunsichert wird. Dass das schwerste Straftaten sind, die wir
ablehnen, ist völlig klar. Aber in diesem Zusammenhang
richte ich auch an die Medien die Bitte, sich zu überlegen,
wie sie mit solchen Erscheinungen umgehen.
({16})
Auch hier muss man Besonnenheit und Entschlossenheit
miteinander verbinden.
Der zweite Punkt ist der Dank, den ich denen abstatten
möchte, die heute nicht nur bei uns vor der Türe stehen,
sondern in den letzten Tagen und Wochen verstärkt für die
Sicherheit aller sorgen: Das sind die Polizeibeamten und
natürlich auch die Beamten der Staatsanwaltschaften, die
über ihre Dienstzeit hinaus eine Menge tun. Ich glaube,
sie verdienen nicht nur unseren Dank, sondern auch den
Dank der Öffentlichkeit. Herzlichen Dank!
({17})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wolfgang Bosbach.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Diese Debatte findet zu einem
entscheidenden Zeitpunkt statt. Denn wir befinden uns
mitten in der Phase drei des folgenden Ablaufs, den wir in
den vergangenen Jahren und Jahrzehnten schon oft - wie
wir meinen, zu oft - hatten:
Erste Phase: Es geschieht ein fürchterliches Verbrechen. Die Menschen sind entsetzt. Die Folgen sind Trauer,
Wut, Empörung. Wir alle sind uns einig, dass sich eine
solche Katastrophe nicht wiederholen darf.
Es folgt dann die Phase zwei: Die Politik wird aufgefordert, nun endlich die notwendigen Konsequenzen zu
ziehen; so jedenfalls gehe es nicht mehr weiter.
Sobald die ersten Vorschläge erarbeitet und konkrete
Maßnahmen ergriffen werden, beginnt dann die Phase
drei: In düsteren Farben wird das Bild eines Furcht erregenden Polizei- und Überwachungsstaates an die Wand
gemalt. Angeblich sind die Bürgerrechte in akuter Gefahr.
Der Staat dürfe jetzt nicht überreagieren; die Gesetze würden ausreichen, man müsse sie nur anwenden.
Zum Schluss kommt dann die Phase vier: Alles bleibt
beim Alten, und zwar genauso lange, bis wiederum ein
fürchterliches Verbrechen geschieht. Dann beginnt alles
wieder von vorne.
Diesen Teufelskreis müssen wir diesmal durchbrechen.
({0})
An starken Worten hat es seit dem 11. September nicht
gefehlt, im Gegenteil. Entscheidend sind jetzt starke Taten. Wenn wir in dieser schwierigen Situation nicht unverzüglich die Maßnahmen ergreifen würden, die notwendig und zum Teil längst überfällig sind, um die Bürger
wirksamer vor dem Terrorismus und anderen Formen der
Kriminalität zu schützen, würden wir unverantwortlich
handeln. Seit dem 11. September ist genau ein Monat vergangen. Es ist jetzt nicht nur unsere Aufgabe, sondern es
ist unsere Pflicht, das im wahrsten Sinne des Wortes Notwendige zu tun.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat lange vor dem
11. September einen Gesetzentwurf zur Verbesserung
der Bekämpfung von Straftaten der organisierten Kriminalität und des Terrorismus vorgelegt
({1})
und darüber hinaus vor wenigen Tagen ein Konzept für
mehr innere und äußere Sicherheit. Wenn Sie sagen, er sei
abgeschrieben, dann können Sie ihm ja zustimmen, dann
gibt es keinen einzigen Grund, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.
({2})
Es gibt kein Patentrezept für einen allumfassenden
Schutz vor Anschlägen oder anderen Formen der Kriminalität. Daher muss eine Fülle von einzelnen Maßnahmen
ergriffen werden. Das Entscheidende aber ist, dass jetzt
Schluss gemacht werden muss mit der Diffamierung derjenigen, die für mehr äußere und innere Sicherheit plädieren.
({3})
CDU und CSU wollen keinen allmächtigen Staat, keinen Überwachungsstaat, aber einen starken Staat, der
seine Bürger wirksam vor Verbrechen zu schützen weiß.
({4})
Sicherheit und Freiheit sind keine Gegensätze. Ohne ausreichende Sicherheit gibt es keine wirkliche Freiheit.
Mehr noch: Weniger Sicherheit bedeutet niemals mehr
Freiheit, sondern mehr Schutzlosigkeit gegenüber Verbrechen aller Art. Vor allem die Grünen werden sich entscheiden müssen, ob sie bei ihren traditionellen politischen Positionen bleiben
({5})
oder ob sie spät, aber immerhin, einsehen, dass ihre Haltung in vielen Fragen der Sicherheitspolitik unverantwortlich ist.
({6})
Eigentlich müssten mittlerweile wir alle wissen, dass
wir von unseren Diensten mehr sicherheitsrelevante Informationen benötigen und nicht etwa weniger.
({7})
Im Programm der Grünen noch für die letzte Bundestagswahl heißt es wörtlich:
Geheimdienste haben fast alle Aufgaben verloren.
Zwecks Arbeitsbeschaffung werden krampfhaft neue
Betätigungsfelder gesucht, zum Beispiel Scientology ... Die Geheimdienste sind schrittweise aufzulösen.
Wo stünden wir eigentlich in Deutschland heute, wenn
sich die Grünen in diesem Punkt bei den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt hätten?
Deswegen die Frage an die Grünen mit der Bitte um
eine klare Antwort: Ist das nach wie vor Ihre Auffassung,
was ich aus Ihrem Programm für die Bundestagswahl zitiert habe, oder sind Sie mittlerweile auf dem Weg der
Besserung?
({8})
Anderes Beispiel: Der Innenminister will zukünftig in
den Personalausweis oder Reisepass zum Bild des Inhabers einen Fingerabdruck aufnehmen.
({9})
Es sollen keine neuen personenbezogenen Daten darüber
hinaus gespeichert werden. Der Kollege Özdemir lässt
sich in der Welt von gestern wie folgt ein:
Es blüht die Gefahr, dass man aus dem Fingerabdruck auch noch andere Daten ablesen kann.
({10})
Dabei geht es allein um die Erhöhung der Fälschungssicherheit. Herr Kollege Özdemir, hier blüht in der Tat einiges, und zwar blüht hier Unsinn. Wenn es so wäre, dass
man aus einem in Folie eingeschweißten Fingerabdruck
andere sensible personenbezogene Daten ablesen könnte,
dann müsste man konsequenterweise jeden Fingerabdruck verbieten.
({11})
Dann müsste man im Übrigen auch nach jeder Trunkenheitsfahrt die Abnahme einer Blutprobe verbieten; denn
aus einer Blutprobe könnten Sie auch mehr Informationen
herausfiltern als nur die Blutalkoholkonzentration. Das ist
blühender Unsinn!
({12})
Die innere Unsicherheit der Koalition über das, was
jetzt zu tun ist, darf nicht die innere Sicherheit des Landes
gefährden.
({13})
Auch Teile der SPD - ich sage ausdrücklich: Teile der
SPD - müssen sich fragen lassen, ob sie noch auf der
Höhe der Zeit sind. Im gleichen Moment, in dem diese
Bundesregierung einen neuen § 129 b StGB kreiert, um
auch die Unterstützung ausländischer Terrorgruppen im
Inland strafrechtlich verfolgen zu können, startet der rotgrüne Übergangssenat in Berlin eine Gegeninitiative
mit dem Ziel, die Werbung für eine terroristische Vereinigung zukünftig straffrei zu stellen.
({14})
Gibt es hier im Hause tatsächlich irgendjemanden, der
ernsthaft glaubt, man könne den Terrorismus dadurch
wirksamer bekämpfen, dass man Werbung für terroristische Gruppen zukünftig nicht mehr strafrechtlich verfolgt?
Wenn einzelne Politiker solche Thesen vertreten, ist es
schlimm. Wenn Regierungen solche Thesen vertreten,
dann müssen sie abgewählt werden!
({15})
Zum Thema Einsatz der Bundeswehr im Innern.
Schon diese Formulierung löst ja bei einigen Empörung
aus. Aufgabe der Bundeswehr sei die Landes- und die
Bündnisverteidigung und dabei müsse es bleiben. Das ist
richtig und falsch. Natürlich hat die Bundeswehr die Aufgabe der Landes- und der Bündnisverteidigung. Deswegen müssen wir sie personell und technisch so ausstatten,
dass sie bündnisfähig wird und auf Dauer bleibt. Aber
schon nach jetzt geltender Rechtslage kann sie im Inland
eingesetzt werden, ohne dass dies bislang für Aufregung
gesorgt hätte: nach Art. 35 GG im Wege der Amtshilfe,
zum Beispiel bei der Bewältigung von Naturkatastrophen,
und nach Art. 87 a GG im Spannungs- und im Verteidigungsfall sowie beim inneren Notstand.
Richtig ist auch: Wenn es Defizite im Bereich der Sicherheit gibt, dann müssen wir die Dienste, Polizeien und
Strafverfolgungsbehörden so ausstatten, dass sie ihre Aufgaben wahrnehmen können. Die Bundeswehr kann nicht
eine Art zweiter Bereitschaftspolizei sein, zumal sie ja
nicht nur andere Aufgaben, sondern auch eine andere Ausrüstung hat und die Soldaten eine andere Ausbildung als
unsere Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten haben.
Aber es gibt zwei Fragen, die wir ernsthaft prüfen und
rasch beantworten müssen:
Erstens. Ist es richtig, dass die Bundeswehr außerhalb
des Verteidigungs- und des Spannungsfalles nicht zum
Schutz ziviler Objekte, zum Beispiel lebenswichtiger Infrastruktureinrichtungen, eingesetzt werden kann, auch
wenn wir eine ganz konkrete Gefährdungslage haben und
die Polizeien und der Grenzschutz nicht mehr in der Lage
sind, die notwendigen Aufgaben zu erledigen, weil sie
schon jetzt an ihrer Kapazitätsgrenze angelangt sind?
Wollen wir auf den Schutz, den die Bundeswehr in diesen
Situationen bieten kann, verzichten? Die Bundeswehr
kann und soll Polizei und Bundesgrenzschutz nicht ersetzen. Es geht ausdrücklich und ausschließlich um deren
Unterstützung in einer besonderen Gefährdungslage, wie
wir sie ganz unzweifelhaft heute haben.
Zweitens. Müssen wir die Bundeswehr nicht dann einsetzen dürfen, wenn nur sie über diejenigen Fähigkeiten
verfügt, die notwendig sind, um eine ganz konkrete Gefahr abzuwehren? Eigentlich müsste bekannt sein, dass in
bestimmten Situationen, zum Beispiel bei inländischen
Angriffen aus der Luft, nur die Bundeswehr über diejenigen Fähigkeiten verfügt, die benötigt werden, um die Gefahr abwehren zu können. Es soll niemand glauben, dass
solch fürchterliche Anschläge, wie wir sie vor einem Monat in den USA erlebt haben, ausgerechnet in unserem
Land nicht stattfinden könnten. Eine solche Annahme
wäre irreal.
Ich empfehle jedem, das 12. Kapitel in Georg Lebers
Buch Vom Frieden zu lesen. 11. September 1972:
Schlussfeier der Olympischen Spiele in München. Wenige
Tage zuvor hatte es das fürchterliche Massaker auf dem
Flugplatz von Fürstenfeldbruck gegeben. Leber beschreibt
eindrucksvoll die Lage, als ihn die Nachricht ereilte, dass
ein gestohlenes Flugzeug Kurs auf das Olympiastadion genommen habe, um dort Bomben abzuwerfen. Von der Polizei in München sei er gebeten worden, die Luftwaffe zur
Abwehr eines solchen Vorhabens einzusetzen. In dem
Buch von Georg Leber heißt es wörtlich:
Der Vorgang war ungewöhnlich und gleichzeitig
schaffte er einen zeitlichen Zwang, der langes Nachdenken ausschloss. Dass jede Entscheidung, die zu
treffen war, eine Fülle staatsrechtlicher und politischer Probleme in sich barg, war mir sofort klar ...
Als feststand, dass das Flugzeug den angegebenen
Kurs in Richtung München fortsetzte, gab ich den
Befehl zum Start einer Alarmrotte mit scharfen Waffen und weitere Befehle abzuwarten ... Kurz vor dem
Punkt, an dem ich nach meiner Einschätzung nicht
mehr warten durfte, wenn der Waffeneinsatz nicht in
der Nähe des Olympiastadions erfolgen sollte, kam
die Meldung, das unbekannte Flugzeug habe sich
verirrt und bitte um die Erlaubnis zur Landung in
München-Riem. Höchstens zwei Minuten später
hätte dieser Vorgang, der sich jetzt wie eine Episode
anhört, einen anderen Verlauf genommen ... Seit diesem Tag sind Jahre vergangen. Vor dem Vorfall blieb
vieles im Dunkeln. Es wäre aber gut, wenn er einmal
juristisch und politisch aufgearbeitet würde. Niemand kann ausschließen, dass es sich in ähnlicher
Form wieder einmal ereignet. Wieder wäre derjenige, der dann - ohne sich in der Kürze der Zeit mit
Krisenstäben beraten zu können - zu entscheiden
hätte, neben der Last der direkten Verantwortung in
der Sache auch noch mit einer außerordentlich komplizierten Rechtslage konfrontiert.
Seit diesem Vorfall sind 29 Jahre vergangen, seit dem
Erscheinen des Buches 20 Jahre. Die Kritiker unserer Vorschläge sollten sich einmal gut überlegen, ob sie angesichts unserer Erfahrungen bei ihrer Kritik bleiben.
Herr Kollege,
bitte denken Sie an Ihre Redezeit.
Es könnte nämlich
sein, dass diesmal ein Gesinnungswandel zu spät wäre.
Danke fürs Zuhören.
({0})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Volker Beck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Geschätzter
Kollege Bosbach, wir befinden uns eben nicht in der eben
von Ihnen beschriebenen Phase 3. Die Phase 3 gibt es bei
dieser Bundesregierung nicht, sondern wir sind gerade dabei, den ersten Teil der notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Deshalb stimmt es nicht, dass sich hinterher
nichts geändert haben wird.
Die rot-grüne Koalition hat zügig eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht, um der neuen Dimension
des internationalen Terrorismus auch in Deutschland gerecht zu werden. Rot-Grün stellt damit unter Beweis: Wir
sind im Kampf gegen diese in ihrem Ausmaß und in ihrer
Brutalität völlig neue Form des Terrorismus nicht hilflos.
Wir sind entschlossen, als Teil der internationalen Staatengemeinschaft gemeinsam mit den USA die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
Mit dem so genannten Sicherheitspaket 1, das wir
heute beraten, knüpfen wir die Verbindung zwischen der
notwendigen Effektivität bei der Kriminalitätsbekämpfung einerseits sowie der strengen Beachtung rechtsstaatlicher Prinzipien andererseits, beispielsweise des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.
Denn eines ist klar: Wir lassen uns von den Terroristen
nicht dazu verleiten, Freiheits- und Bürgerrechte in unserem Land abzubauen.
({0})
Diesen Gefallen werden wir ihnen nicht tun. Die Freiheit
zu sichern und zu verteidigen ist die Aufgabe des Rechtsstaates in unserer Demokratie. Deshalb werden sich sämtliche Maßnahmen, die diese Regierung bereits auf den
Weg gebracht hat und in absehbarer Zeit noch auf den
Weg bringen wird, an folgenden Kriterien orientieren: Sie
müssen geeignet, erforderlich, zielgerichtet, verhältnismäßig, effektiv und zugleich praktikabel sein, um das
Ziel der Terrorismusbekämpfung zu erreichen.
({1})
Es wird in Zukunft möglich sein, extremistische Gruppen, die sich bisher im Schein der bei uns zu Recht verbürgten Religionsfreiheit gesonnt haben, nach den Vorschriften des Vereinsgesetzes zu verbieten. Wir begrüßen
es sehr, dass uns zahlreiche muslimische Organisationen
hierfür ihre Zustimmung erklärt haben. Die ganz überwiegende Anzahl der bei uns lebenden Muslime weiß:
Unsere Maßnahmen richten sich nicht gegen sie und nicht
gegen den Islam, sondern gegen diejenigen, die Religion
instrumentalisieren, um Terror, Gewalt und Schrecken zu
säen. Für solche Gruppen gilt künftig das Privileg der Religionsfreiheit zu Recht nicht mehr.
Herr Bosbach, Sie haben vorhin die Frage der Geheimdienste angesprochen. Unsere Fraktion und unsere
Partei spricht sich dafür aus, nicht eine Abschaffungsdebatte, sondern eine Qualitätsdebatte über die Arbeit der Geheimdienste zu führen. Ich meine, eine solche
Debatte ist - trotz aller Erfolge, die die Geheimdienste in
den letzten Wochen seit dem 11. September haben durchaus angebracht, denn wir müssen uns fragen:
Warum haben wir so spät von dem Anschwellen rechtsextremistischer Gewalt in den letzten Jahren Warnungen
erhalten, warum gab es keine Hinweise auf die Anschläge
vom 11. September? Wenn Sie mit Geheimdienstleuten
sprechen - ich habe das in den letzen Wochen getan; ein
Grüner tut dies vielleicht nicht jeden Tag -, dann können
Sie erkennen, dass es in bestimmten Bereichen der Geheimdienste personelle und strukturelle Versäumnisse
gibt, die man aufarbeiten muss.
({2})
Allein die Forderung nach mehr Geld bringt kein Mehr an
Qualität. Wir müssen vielmehr genau hinsehen und das
werden wir auch tun.
Ein weiterer Punkt: In der Gesellschaft gibt es eine Debatte über die Kronzeugenregelung. Sie wollen mit Ihren
Initiativen im Prinzip zurück zur alten Kronzeugenregelung.
({3})
- Sie wollen den schmutzigen Deal des Staates mit
Schwerverbrechern einführen. Dazu sagen wir als Koalition ganz klar Nein.
({4})
Die alte Kronzeugenregelung hat schon bei der
Bekämpfung des deutschen Linksterrorismus nichts bewirkt. Nicht in einem einzigen Fall ist es gelungen, einen
aktiven Terroristen aus dem terroristischen Zusammenhang mit den Verlockungen der Kronzeugenregelung herauszubrechen.
({5})
Wir sollten der Öffentlichkeit nicht sagen, dass so
etwas bei islamisch verblendeten, zum Selbstmord entschlossenen Kamikaze-Terroristen gelingen könnte.
Gleichwohl sagen wir: Eine rechtsstaatlich vernünftige
und vertretbare Regelung, die kein Sondergesetz schafft,
sondern eine neue Strafzumessungsregel für Aufklärungsund Präventionsgehilfen vorsieht, ist sinnvoll. Darüber
werden wir in der Koalition reden und über dieses Thema
führen wir bereits Fachgespräche. Ich bin sicher, dass wir
- auch unter Zuhilfenahme des Rats der Fachleute bei der
Anhörung im Rechtsausschuss, die wir gestern beschlossen haben - zu einem vernünftigen Gesetz kommen
werden.
Ihre Aufregung zeigt: Die Kompetenz und Entschiedenheit dieser Koalition auf dem Feld der inneren
Sicherheit steht außer Frage. Der Stern schreibt, das
Thema Sicherheit werde von der Regierung so gut abgedeckt, dass die Gegner von der Union keinen Ball sehen,
obwohl es eigentlich ein Heimspiel für sie sein müsste.
Der Stern hat Recht, sehr verehrte Damen und Herren
von der Union. Soweit sie nicht unsere Vorschläge begrüßen, sind die Rezepte, die Sie selber vorlegen, gänzlich unbrauchbar und purer Aktionismus.
({6})
Ihre Parteivorsitzende Angela Merkel stolpert derzeit
nur so durch die innenpolitische Landschaft. Mit Vorschlägen nach einem Bundessicherheitshauptamt oder
Polizeibefugnissen für die Bundeswehr macht sie sich
von Woche zu Woche lächerlicher. Es ist nur zu leicht zu
durchschauen, wozu der Prüfauftrag in Sachen vermehrter Einsatz der Bundeswehr im Inland und Grundgesetzänderung, den Ihre Gremien vorsichtig erteilt haben,
dienen soll: Sie wollen Ihre taumelnde Parteivorsitzende
stützen, obwohl Herr Stoiber längst das Ruder übernommen hat.
({7})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, sollte
Ihnen jemals Kompetenz in Sachen innere Sicherheit zugeschrieben worden sein: In den letzten Tagen und Wochen haben Sie die endgültig verspielt.
Mittlerweile hat man bei der Union längst den
Überblick verloren, welches Sicherheitspapier gerade aktuell ist; denn wöchentlich gibt es ein neues. Im Paper, das
Herr Bosbach Ende September vorgelegt hat, steht kein
einziges Wort zur internationalen Dimension des Terrors.
In der letzten Woche haben Sie einige diesbezügliche Vorschläge von der Koalition übernommen. Das ist auch gut
so. Selbstverständlich sind auch wir für den Ausbau von
Europol und Eurojust. Wir wollen den Ausbau zwar ausdrücklich. Aber wir wollen auch, dass die Fundamente
stimmen. Wir wollen, dass es hier eine justizielle und
parlamentarische Kontrolle gibt. Manche bestehenden Regelungen bezüglich Europol sind - das muss ich deutlich
sagen - ein Hindernis, um die erforderliche Ausweitung
der europäischen Kooperation im Bereich der Polizei
voranzutreiben. Wir wollen diese Hindernisse beseitigen.
Ein weiterer Punkt ist die Bekämpfung der Geldwäsche. Diese scheint Teilen des Hauses große Sorgen zu bereiten. Ich muss Ihnen ganz deutlich sagen: Wer den
Terroristen nicht durch Lockerung des Bankgeheimnisses den Geldhahn zudrehen will, stellt ein Sicherheitsrisiko für diese Republik dar.
({8})
Das, was Herr Eichel dazu vorgelegt hat, ist in keiner
Weise zu kritisieren. Das ist wohl abgewogen und klug
durchdacht. Es muss niemand Angst haben, dass unbescholtenen Bürgern in die Konten geschaut wird. Mich
verwundert in diesem Zusammenhang nur: Sie haben
zwar keine Scheu, den Lausch- und Spähangriff einzuführen, um Menschen in ihren Privatwohnungen abhören
zu können,
({9})
aber wenn es an das heilige Konto und das Bankgeheimnis geht,
({10})
dann stehen Union und FDP auf einmal auf den Bänken,
dann gibt es Proteststürme und dann sind die Bürgerrechte
in Gefahr.
({11})
Ich glaube, angesichts der terroristischen Gefahr setzen
Sie die falschen Prioritäten. Ich bin deshalb froh, dass wir
eine so kooperative, vernünftige, entschlossene, aber auch
besonnene Bundesregierung haben.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Jörg van Essen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP sagt ein klares Ja zur
notwendigen Verbesserung der inneren Sicherheit. Für
uns Liberale ist es selbstverständlich, dass die Freiheit des
Bürgers wirksam geschützt werden muss. Sicherheit und
Freiheit gehören für die FDP eng zusammen.
({0})
Der Staat muss die Grundrechte und die Freiheit seiner
Bürger gewährleisten. Nur ein Staat, der in der Lage ist,
die Grundrechte seiner Bürger zu schützen, wird auch als
Rechtsstaat akzeptiert.
({1})
Es gibt einen doppelten Anlass, über das Thema Sicherheit neu nachzudenken. Es ist zum einen die bisher
nicht gekannte Herausforderung durch den internationalen Terrorismus und zum anderen auch das Hamburger
Wahlergebnis, das signalisiert, dass eine große Zahl unserer Bürger mit der Behandlung des Themas innere Sicherheit nicht zufrieden ist. Die Bestandsaufnahme macht
für die FDP deutlich, dass die notwendige Verbesserung
der inneren Sicherheit auf zwei Säulen fußen muss: der
Beseitigung des Vollzugsdefizits auf der einen und der
Prüfung der Frage auf der anderen Seite, welche gesetzgeberischen Konsequenzen zusätzlich notwendig sind.
Wer sich die Frage des Vollzugsdefizits stellt, muss
feststellen, dass die alte Koalition unter maßgeblicher Beteiligung der FDP in über 50 Gesetzen zwischen 1990 und
1998 zusätzliche Instrumentarien geschaffen hat, um besser gegen Rauschgifthandel, Geldwäsche, Korruption und
organisierte Kriminalität vorgehen zu können.
({2})
Viele dieser Gesetze haben schon deshalb auch bei der
Bekämpfung des internationalen Terrorismus Bedeutung,
weil sich Terroristen häufig durch Drogenhandel und andere Delikte der Schwerstkriminalität finanzieren.
({3})
Die in Afghanistan hergestellten Heroinmengen sind
dafür ein Beispiel.
({4})
Diese Gesetze bleiben auf weiter Strecke unwirksam,
weil bundesweit bei der Polizei 30 000 Stellen unbesetzt
sind und bei den Nachrichtendiensten und Katastrophenschutzorganisationen Stellen in unverantwortlicher Weise
abgebaut worden sind. Wenn im rot-grün-regierten Berlin
aus Personalmangel zum Beispiel 2 000 genetische Fingerabdrücke nicht bearbeitet und 60 - ich wiederhole:
60 - richterlich angeordnete Telefonüberwachungen nicht
umgesetzt werden können,
({5})
dann ist das ein unerträglicher Skandal.
({6})
Das 1992 beschlossene polizeiliche Informationssystem
INPOL neu ist trotz der Ausgabe dreistelliger Millionenbeträge immer noch nicht realisiert und es ist auch nicht
abzusehen, wann dies jemals umgesetzt werden kann.
Personal- und Ausstattungsverbesserungen bei den
Strafverfolgungsbehörden und den Nachrichtendiensten
sind deshalb - diese Beispiele machen es deutlich - für die
FDP unverzichtbar.
({7})
Noch so viele Gesetzesänderungen, die beschlossen werden, können nicht umgesetzt werden, wenn das Personal
nicht vorhanden ist, das diese Gesetze anwendet. Hier ist
nicht nur der Bund, hier sind in besonderer Weise auch die
Länder gefordert.
Die FDP ist darüber hinaus selbstverständlich auch bereit, die Bundesregierung bei all den Vorstellungen zu unterstützen, die notwendig und geeignet sind, die innere Sicherheit zusätzlich zu verbessern. Wir sprechen uns für
die Wiedereinführung einer rechtsstaatlichen Kronzeugenregelung aus. Ich erinnere an die Debatte, die wir hier
Volker Beck ({8})
geführt haben. Ich habe noch sehr genau im Ohr, was die
Kollegen aus der SPD-Fraktion und insbesondere aus der
Fraktion der Grünen gegen die Kronzeugenregelung gesagt haben. Ich bin froh darüber, dass es jetzt hier ein vernünftiges Umdenken gibt; denn die Kronzeugenregelung
ist ein wichtiges Mittel.
({9})
Was der Kollege Beck hier wieder aufzeigen wollte,
nämlich dass die alte Kronzeugenregelung nichts gebracht hat, ist schlicht falsch
({10})
und macht für mich deutlich, dass es bei Ihnen offensichtlich immer noch Widerstände gegen diese notwendige Kronzeugenregelung gibt. Wer beispielsweise sieht,
welchen Erfolg wir mit dieser Regelung im Bereich der
Terrororganisation PKK hatten,
({11})
der weiß, wie viel sie gebracht hat, auch an Aufklärung
und an Überführung von Schwersttätern.
({12})
Das macht deutlich, dass sie offensichtlich auch - Sie haben das bestritten - in ethnisch abgeschotteten Strukturen
wirkt.
Für uns als Liberale ist aber auch klar, dass wir eine
Kronzeugenregelung wollen, bei der es keine Verurteilung allein auf der Grundlage der Aussage eines Kronzeugen geben darf; es müssen weitere Gesichtspunkte
hinzukommen.
({13})
Wir begrüßen es ganz außerordentlich, dass die auf gesetzlicher Grundlage, nämlich in der Strafprozessordnung
und in vielen Polizeigesetzen, klar geregelte Rasterfahndung jetzt zum Einsatz kommt. Es ist schlicht falsch zu
behaupten, dass die Rasterfahndung in der Vergangenheit
keine Erfolge gebracht hat. Sie hat Erfolge in vielfältiger
Form gebracht.
({14})
Wir haben übrigens - das muss in diesem Zusammenhang
auch erwähnt werden - einen erheblichen Zeitverlust dadurch, dass einige Länder jetzt erst überhastet gesetzliche
Regelungen für die Rasterfahndung einführen müssen.
({15})
Die Aufhebung des Religionsprivilegs im Vereinsrecht ist ein weiterer Vorschlag, der von uns unterstützt
wird. Ich übersehe nicht, dass er durchaus verfassungsrechtliche Fragen aufwirft. Es macht uns große Sorgen,
dass sich extremistische Vereinigungen als Religionsoder Weltanschauungsgemeinschaften tarnen. Es ist auch
im Interesse der Kirchen und der vielen rechtstreuen Muslime in unserem Land, dass Religion nicht missbraucht
wird.
({16})
Wir als FDP sind auch für die Schaffung eines § 129 b
StGB, der die Tätigkeit und Unterstützung für ausländische terroristische Organisationen unter Strafe stellt. Wer
die dringende Notwendigkeit dieser Vorschrift sieht, ärgert sich umso mehr darüber, dass noch im März dieses
Jahres die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, und die
Bundesministerin Renate Künast in einer Zeitungsanzeige die Aufhebung des Terrorismusparagraphen 129 a
des Strafgesetzbuches gefordert haben.
({17})
Man muss es sich noch einmal vor Augen führen: Eine
Ministerin dieser Regierung forderte im März dieses Jahres in einer Zeitungsanzeige, dass Terroristen in Deutschland nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden können.
Unerträglich!
({18})
Aber die Bürger erwarten von der FDP auch ein klares
Nein da, wo wir uns von einem Vorschlag keine Verbesserung der Sicherheit erwarten.
({19})
Das gilt zum Beispiel für die hochgespielte Frage des Einsatzes der Bundeswehr im Inneren. Der Kollege Bosbach
hat zu Recht gesagt: Die Bundeswehr wird bereits jetzt im
Rahmen der geltenden Verfassung im Innern eingesetzt und das ist auch gut so. Sie hilft bei Naturkatastrophen
wie dem Oderhochwasser und sie leistet Amtshilfe, wenn
beispielsweise Aufklärungsflugzeuge nach verschwundenen Kindern suchen.
Ich möchte auch klar stellen - Herr Bosbach, Sie haben
daran sozusagen ein Fragezeichen angebracht -: Es
gehört beispielsweise zu den klassischen Aufgaben der
Bundeswehr, für die Luftverteidigung in ganz Deutschland zuständig
({20})
und deshalb mit Flugzeugen und Flugabwehrstellungen
im Inneren präsent zu sein.
({21})
Es ist völlig wurscht, woher diese Flugzeuge kommen und
wohin sie fliegen. Wir brauchen keinerlei neue Regelung.
({22})
Wer die Bundeswehr zusätzlich zu den immer neuen
Aufgaben auf dem Balkan und bei der Bekämpfung des
Terrorismus zum Lückenfüller, zur billigen Hilfspolizei
machen will, der hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden.
({23})
Polizei und Bundeswehr müssen gleichzeitig für ihre eigentlichen Aufgaben gestärkt werden.
Das Gleiche gilt für den Vorschlag zur Einführung eines Sicherheitsamtes.
({24})
Nicht neue Bürokratie ist gefragt, sondern bessere Koordinierung und Zusammenarbeit. Das erwartet die FDP
auch auf europäischer Ebene, weil sonst angesichts der offenen Grenzen viele Maßnahmen ins Leere laufen würden.
Wir wenden uns auch - Frau von Renesse, Sie haben
danach schon gefragt - gegen die Abschaffung des Bankgeheimnisses.
({25})
Im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen - darauf
darf ich als Oberstaatsanwalt hinweisen - gibt es gar kein
Bankgeheimnis.
({26})
Beim Verdacht auf eine Straftat, auch steuerlicher Art,
sind Banken ganz selbstverständlich auskunftspflichtig.
({27})
Wir wünschen uns auch in diesem Punkt einen besseren Vollzug. Wer sich anschaut, dass beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen lediglich 16 Beschäftigte
die Geldwäscheaufsicht über rund 3 000 Banken und
1 700 Finanzdienstleistungsinstitute wahrnehmen müssen, der sieht, dass es auf diesem Gebiet Defizite gibt, die
dringend beseitigt werden müssen.
({28})
Das würde auch die flächendeckende Registrierung von
Bankkonten überflüssig machen.
Dass dies nicht erforderlich ist, zeigt im Übrigen ein
weiterer Umstand: Nach wenigen Tagen waren alle deutschen Banken in der Lage, die Konten beispielsweise von
Bin Laden und anderen zu benennen, sodass sie danach
gesperrt werden konnten. Das ist gut und richtig so.
Aus all dem folgt, dass der Bundesinnenminister auf
die Unterstützung der FDP bei vielen seiner Überlegungen für die Verbesserung der inneren Sicherheit rechnen
kann. Wir erwarten von ihm aber auch, dass er sich innerhalb der eigenen Koalition schnell durchsetzt. Wer die,
insbesondere aufgrund des Widerstandes der Grünen, immer wiederkehrenden Verschiebungen der Verabschiedung der verschiedenen Terrorpakete sieht, der ärgert sich
über den Zeitverlust. Wir brauchen dringend eine Verbesserung der inneren Sicherheit. Die FDP ist zu konstruktiven Gesprächen bereit.
Vielen Dank.
({29})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Petra Pau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit den Terroranschlägen vom
11. September haben wir eine neue Lage. Eine neue Lage
erfordert neues Nachdenken, auch über die öffentliche Sicherheit. Unsere Fraktion beschäftigt sich mit diesem
Thema sehr intensiv. Wir kennen die Sorgen, die Ängste
und ebenfalls die Verunsicherungen, die es in der Bevölkerung gibt. Wir teilen sie im Wortsinne; denn auch wir
haben Ängste und Sorgen.
Unser Nachdenken und unser Prüfen geschieht nicht
ideologisch, sondern sehr pragmatisch. Wir stellen uns bei
jedem neuen Vorschlag drei Fragen: Bringt dieser Vorschlag mehr Sicherheit oder gibt er dies nur vor? Stärkt er
den Rechtsstaat oder unterläuft er seine Regeln? Was
überwiegt, der Heilstoff oder die Nebenwirkungen?
Ich möchte Ihnen das gerne an einem Beispiel illustrieren: In allen Bundesländern ist inzwischen eine
Rasterfahndung angelaufen, also ein umfangreicher Abgleich persönlicher Daten. Das sei unumgänglich, drängen CDU und CSU.
({0})
Das sei eine normale Ermittlungsmethode, beschwichtigt
mein Berliner SPD-Innenminister. Das sei gerade noch
hinnehmbar, knurren Bündnis 90/Die Grünen.
({1})
Ganz anders der Präsident des Landeskriminalamtes
Sachsen, also offenbar ein Mann vom Fach. Er sagte dieser Tage: Die Rasterfahndung ist untauglich. Auf die
Nachfrage, warum sie denn trotzdem durchgeführt werde,
meinte er: Nun, wir haben kein besseres Mittel.
Das heißt, obwohl das Ganze untauglich ist, wird der
Datenschutz ausgehöhlt und werden viele Bürgerinnen
und Bürger ob ihrer Herkunft unter Generalverdacht gestellt. Das ist ein klassischer Fall, in dem die Nebenwirkungen die positiven Effekte eher erdrücken.
Dasselbe wird eintreten, wenn Sie den Fingerabdruck
von ausländischen Mitbürgern in den Pass prägen lassen
und sie damit diskriminieren. Nun habe ich heute Morgen
mit großer Sorge vernommen, dass der Herr Bundeskanzler noch weitere erkennungsdienstliche Daten in Pässe prägen lassen will. Ich sage für die PDS: Wir lehnen beides ab.
({2})
Diese Vorschläge bringen nämlich nicht mehr Sicherheit,
sondern unterlaufen nur rechtsstaatliche Ansprüche. Jene,
die das trotzdem tun wollen, sollten doch dann wenigstens
den Mut aufbringen, dies ehrlich zu sagen, anstatt, wie
heute Morgen Frau Merkel, zu behaupten, dass das alles
alternativlos und ungefährlich sei.
Nun zu unserer Positivliste. Es steht ja außer Frage,
dass es Handlungsbedarf, und sogar sehr dringenden, gibt.
Wir brauchen erstens eine Polizeireform. Wir brauchen
zweitens einen effektiven Katastrophenschutz. Wir brauchen drittens eine bessere internationale Kooperation.
Viertens brauchen wir mehr Prävention, übrigens weltweit. Fünftens schließlich brauchen wir mehr öffentliche
Sicherheit in der offenen Gesellschaft.
Mehr öffentliche Sicherheit in einer offenen Gesellschaft verträgt allerdings dreierlei nicht: erstens die Kappung von Bürgerrechten, zweitens das Unterlaufen von
Rechtsstaatsprinzipien und drittens die Privatisierung
öffentlicher Sicherheit. Damit zu den konkreten und aktuellen Vorschlägen, die auf dem Tisch dieses Hauses liegen.
Stichwort Flugsicherheit: Es liegt nahe und ist richtig,
die Flugsicherheit zu erhöhen. Dazu sollten natürlich verbesserte Gepäck- und Personenkontrollen und auch die
Sicherung des Cockpitbereichs gehören. Sofern es sich
um ausgebildete Polizeibeamte handelt, spricht meines
Erachtens auch nichts gegen so genannte Skymarshals,
also Flugbegleiter mit Sicherheitskompetenzen. Gerade
am Beispiel Flugwesen zeigt sich dann aber auch: Der
Teufel steckt im Detail. Immer mehr Leistungen werden
in diesem hochsensiblen Bereich inzwischen von Beschäftigten in prekären Arbeitsverhältnissen erbracht,
wenn sie nicht sogar auf Billigjobbasis arbeiten. Das ist
nicht nur ein sozialer Skandal, sondern auch ein Sicherheitsproblem.
({3})
Das gilt übrigens nicht nur für das Flugwesen. Ich
denke da nur an U- und S-Bahnhöfe, auf denen inzwischen kein Personal mehr eingesetzt wird. Hier ist Umdenken gefragt. Das ist nicht nur eine Frage der Innenpolitik, sondern wir müssen in allen Ressorts prüfen, wo wir
mehr öffentliche Sicherheit herstellen können.
({4})
Die FDP ist nicht nur deshalb ein Sicherheitsrisiko,
weil sie ihre Abteilung Bürgerrechte derzeit in den Koalitionsverhandlungen mit dem Herrn Schill entsorgt,
({5})
sondern auch deshalb, weil ihr hemmungsloser Privatisierungskurs in der Wirtschaftspolitik soziale und öffentliche
Sicherheit beseitigt.
Stichwort Kronzeugenregelung: Wer Straftaten begeht und danach sagen kann, er wisse noch etwas, wird
mit Straferlass belohnt.
({6})
Das ist und bleibt mittelalterlicher Ablasshandel.
({7})
Kollege Stadler, auch deshalb und weil sie nichts erbracht
hat, wurde die Kronzeugenregelung 1999 zu Recht ad acta
gelegt. Nun soll sie neu aufgelegt und - so sagen es die
Grünen - in Strafzumessungsregelung umbenannt werden.
Liebe Kerstin Müller, ich verrate Ihnen, was eine Kollegin aus Ihrer Regierungskoalition, die sich noch SPDlinks fühlt, dieser Tage zu solchen Vorschlägen und Verrenkungen zu mir sagte. Sie meinte: Wir können gar nicht
so schnell aufstehen, wie die Grünen umfallen.
({8})
Mit Rechtsstaatlichkeit, Bürgerrechten und Terrorbekämpfung hat das gar nichts zu tun - ganz im Gegenteil.
Dasselbe trifft auf § 129 b des Strafgesetzbuches zu.
Trotzdem - wider besseres Wissen - wollen Sie ihn. Sie
wissen hoffentlich wenigstens, warum und zu welchem
Preis Sie ihn einführen wollen.
Damit komme ich zum dritten Stichwort, nämlich der
Bundeswehr im Innern. Zu Beginn des Jahres habe ich
aus SPD-berufenem Mund, von einer Staatssekretärin,
gehört: Wer sich künftig bei der Bundeswehr bewirbt,
muss wissen, dass sein Arbeitsplatz im Ausland ist. Nun
höre ich dazu keinen Widerruf, wohl aber eine neue Drohung aus den Reihen der CDU/CSU: Die Bundeswehr
solle nicht nur weltweit, sondern auch zu Hause eingreifen, vor allem dort, wo sie besser gerüstet sei als die Polizei.
Kritische Stimmen haben es derzeit schwer. Selbst vom
öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird nur noch eingeladen, wer Kaiser Wilhelm II. folgt oder - wie die FDP verkündet, dass man keine Parteien mehr kenne. Dieser
Tage fand ich in der Basler Zeitung doch noch eine kritische und obendrein liberale - nämlich von der FDP Stimme, und zwar die von Burkhard Hirsch. Er warnte
- meines Erachtens zu Recht - dringend davor, die Bundeswehr über das ohnehin mögliche Maß hinaus im Innern einzusetzen.
({9})
Dies sei in der Sache falsch und obendrein ein Einfallstor
für nicht absehbaren Missbrauch. Sie wollen es trotzdem.
Wir werden es ablehnen.
({10})
Ich nenne ein letztes Stichwort, nämlich das Bankgeheimnis. Jeder weiß, dass der internationale Terrorismus viel mit Geld zu tun hat. Dies gilt übrigens nicht nur,
um ihn auszuüben, sondern auch, um mit Terror Kasse zu
machen. Es liegt doch nahe, Geldströme zu kontrollieren.
Wir - aber nicht nur die PDS - fordern das seit langem.
Ich lese und höre heute, dass die FDP dagegen sei, weil
damit die Privatsphäre unbescholtener Bürger betroffen
werde. Ich frage die Herren Westerwelle und Rexrodt, ob
sie vergessen haben, dass das so genannte Bankgeheimnis
für Millionen Betroffene hierzulande längst nicht mehr
gilt, nämlich für die Sozialhilfeempfänger und all diejenigen, die mit ihnen verwandt sind. Wollen Sie denen durch
die innenpolitische Brille etwa sagen, sie seien bescholtene Bürger, nur weil sie arm sind?
({11})
Ich komme zu meinem Schlussgedanken. Ich kann uns
alle nur warnen und zugleich werben: Auch im Parlament
der USA wird über Maßnahmen gegen den Terrorismus
gestritten und werden Wege für mehr öffentliche Sicherheit gesucht. Auch dort werden Antiterrorpakete geschnürt und geprüft. Das muss auch sein. Aber selbst in
den USA haben jene, die sich als Liberale engagieren, in
dieser Woche ein klares Stoppzeichen gesetzt. Sie haben
sortiert, was der Sicherheit dient und was mit Sicherheit
falsch läuft. Sie wollen alles, was ihnen im Wortsinne
fragwürdig erscheint, zumindest unter einen Prüfvorbehalt stellen und zugleich all diese Maßnahmen zeitlich begrenzen. Ich finde, zur kritischen Solidarität gehört es,
nicht schlechter, sondern möglichst besser sein zu wollen
als die liberalen Innenpolitiker in den USA. Die PDS, die
Opposition zur Linken, ist dazu bereit.
({12})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Jürgen Meyer.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Rechtsstaat
lebt von Reformen. Daran sollten wir denken, wenn wir
neuen oder größer werdenden Gefährdungen der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger durch neue Gesetze
zu begegnen versuchen. Wir sollten aber auch daran denken, dass die Reformen den Rechtsstaat am Leben erhalten sollen und nicht ruinieren dürfen. Denn das wäre der
größte Triumph der Terroristen, mit dem wir uns auseinander zu setzen haben.
({0})
Deshalb bin ich froh, dass wir uns verständigt haben,
keinen der vielen Vorschläge für neue Gesetze übereilt
umzusetzen.
({1})
Wir werden diese Vorschläge zum Gegenstand einer kritischen Überprüfung und einer öffentlichen Sachverständigenanhörung am 7. November dieses Jahres machen.
Bis dahin gilt es, die bereits geltenden Gesetze konsequent anzuwenden. Wie notwendig eine kritische Prüfung
ist, will ich mit zwei Beispielen belegen.
Mein erstes Beispiel: Unter den hier Anwesenden bin
ich wohl einer, der sich länger als andere, nämlich seit
mehr als 25 Jahren, mit rechtsvergleichenden und kriminologischen Argumenten gegen die missbräuchliche Verwendung von Kronzeugen im Strafverfahren engagiert.
Dabei stört mich weniger die gedankenlose Übersetzung
des englischen Begriffs crown witness, obwohl wir die
Monarchie vor immerhin 83 Jahren abgeschafft haben.
({2})
Mehr stört mich schon die Verwendung des Begriffs als
einer Art Ehrenbezeichnung, einer Nobilitierung für Verbrecher, welche die gewiss dringend benötigten Informationen über ihre Komplizen vor allem um ihres Vorteils
willen liefern. Die italienische Bezeichnung pentiti, die
so etwas wie Reue unterstellt, ist da schon erträglicher,
wenn auch sehr euphemistisch. Am schlimmsten aber ist
der Kuhhandel um Gerechtigkeit mit Straftätern, die nicht
selten zur Erlangung von Vergünstigungen das Blaue vom
Himmel herunterlügen.
({3})
Deshalb haben wir die alte Kronzeugenregelung auslaufen lassen.
({4})
So wird sie auch nicht wiederkehren.
Ich vertraue darauf, dass wir uns auf eine neue Regelung verständigen werden, die den bereits geltenden § 46
des Strafgesetzbuches für Verhalten nach der Tat konkretisiert und keine Straffreistellung für Verbrecher oder eine
absurd niedrige Strafe, etwa für Mord, vorsieht,
({5})
sondern sich charakterisieren lässt als Strafzumessungsregel für Aufklärungshelfer. Das dient dem Interesse potenzieller Verbrechensopfer und ist in Fällen des so genannten Ermittlungsnotstandes ausnahmsweise sehr wohl
zu rechtfertigen.
({6})
Mein zweites Beispiel ist der Vorschlag der CDU/
CSU-Fraktion, die Gewinnabschöpfung durch erweiterten Verfall auch für solche Fälle vorzusehen, in denen Gewinne nur mittelbar aus rechtswidrigen Taten stammen.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, übersehen dabei
wohl, dass in dem von Ihnen genannten Fall der Einnahmen eines Restaurants, das mit Drogengeldern finanziert
wird,
({7})
längst mit dem vor über fünf Jahren auf meine Initiative
weiterentwickelten § 443 StPO geholfen werden kann;
({8})
übrigens auch mithilfe der vom Bundesgerichtshof verfassungskonform interpretierten Vermögensstrafe mit
vorausgehender Beschlagnahme. Ihr Vorschlag gehört
also - gestatten Sie diese Charakterisierung - in das Kapitel Aktivismus.
({9})
Schlimmer allerdings ist, das Sie bisher den ins Zentrum der organisierten Kriminalität zielenden Vorschlag,
({10})
die gewerbsmäßige oder durch Banden begangene Steuerhinterziehung zur Vortat des Geldwäschetatbestandes zu machen, ablehnen.
({11})
Ich zitiere zwei Sätze aus dem Minderheitenvotum der
CDU/CSU im Zwischenbericht der Enquete-Kommission
Globalisierung der Weltwirtschaft:
Eine Einbeziehung der schweren Steuerhinterziehung
in den Vortatenkatalog der Geldwäschestrafnorm
wäre wegen der damit verbundenen automatischen
Erweiterung der Anzeigepflicht des Geldwäschegesetzes nicht nur für die Adressaten dieses Normgefüges höchst bedenklich. Selbst die ganz überwiegende
Anzahl redlich handelnder Bürger müsste befürchten, nicht nur bewacht, sondern rein zufällig den
Strafverfolgungsbehörden gemeldet zu werden.
({12})
Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU-Fraktion, übersehen bei Ihren Einwänden,
dass redlich handelnde Bürger nur höchst selten in den
Verdacht schwerer Steuerhinterziehung geraten
({13})
und dass es geradezu unerträglich ist,
({14})
die Anlage und den Transfer von Schwarzgeld im großen
Stil durch Kreditinstitute schönzumalen. Das ist Geldwäsche. Ohne die Mitwirkung von Kreditinstituten sind organisierte Kriminelle und auch Terroristen nicht lebensfähig.
({15})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns also
gemeinsam das Übel bei der Wurzel packen und mit Augenmaß für den Rechtsstaat arbeiten, getreu dem Motto
von Willy Brandt aus dem Jahre 1969: Wer morgen sicher
leben will, muss heute für Reformen kämpfen.
Ich danke Ihnen.
({16})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Norbert Geis.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der ersten Debatte nach dem 11. September sagte unser Fraktionsvorsitzender, als über den Angriff auf New York und
Washington diskutiert wurde: Dies war ein Angriff aus
der Hölle! - In der Tat, wir haben eine derartige Konzentration des Bösen erlebt, dass sie unser Fassungsvermögen übersteigt. Nie hätten wir glauben mögen, dass Menschen zu solchen Taten fähig sind, dass sie ihr Leben
wegwerfen und damit Tausende anderer Menschen in den
Tod reißen.
Die Attentäter haben sich auf den heiligen Krieg berufen. In Wirklichkeit haben sie sich wie Besessene verhalten. Bei einer solchen Tat kann man sich auf keine Religion berufen. Keine Religion wird je eine solche Tat
rechtfertigen. Das entspringt einem Wahn, hat mit Religion nichts zu tun, sondern vielleicht mit Krankheit, mit
einer eingeschränkten Denkweise oder auch mit Besessenheit. Das ist es, was uns beunruhigt.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach dem
11. September müssen wir mit allem rechnen. Der Wahn
der Terroristen ist die eine Seite. Aber die andere Seite ist,
dass sie von Ländern unterstützt werden, die arm sind und
nicht an dem Ölreichtum teilhaben. Dort wachsen Neid
und Wut. Dort wächst die Atmosphäre, die zur Unterstützung solcher terroristischen Taten notwendig ist. Dorthin
ziehen sich die Terroristen zurück. Dort bilden sie ihre
Zellen. Dort haben sie ihre Basen, in denen sie neue Anschläge vorbereiten. Wir müssen deswegen in einer klugen Weise versuchen, diese Länder von einem solchen
Verhalten abzuhalten, und das kann auch mit Hilfe wirtschaftlicher Unterstützung geschehen.
Wir müssen aber auch mit dem Islam ins Gespräch
kommen. Das ist Aufgabe der westlichen Welt. Der Papst
hat von Kasachstan aus unmittelbar nach diesen Anschlägen dazu aufgerufen, dass die Kulturen miteinander ins
Gespräch kommen. Es muss in der Welt eine Atmosphäre,
eine Zivilisation des Verständnisses herrschen. Es muss,
wie Paul VI. es Mitte der 70er-Jahre gesagt hat, eine Zivilisation der Liebe entstehen, damit die Völker und die
Menschen in Zukunft überhaupt noch in Freiheit leben
können.
({1})
Auch das sollten wir uns in diesen Tagen einmal durch
den Kopf gehen lassen.
Jetzt kommt es darauf an, die unmittelbare Gefahr des
Terrorismus zu bekämpfen. Es geht darum, dass wir die
Gruppen der Terroristen, die Zellen in den fraglichen
Ländern, auch mit Waffengewalt bekämpfen. Es geht aber
auch darum, dass wir solche terroristischen Erscheinungen in unserem Land genau beobachten und entschieden
bekämpfen. Die Toleranz gegenüber ausländischen Extremisten und die mangelnde Entschlossenheit, gegen diese
Dr. Jürgen Meyer ({2})
vorzugehen, waren gewiss falsch. Eine solche Nachlässigkeit können wir uns in Zukunft nicht mehr leisten.
Wir haben schon vor dem 11. September lange über
diese Fragen diskutiert. Wir haben uns sowohl hier als
auch im Ausschuss sehr kontrovers damit auseinander gesetzt. Aber ich glaube, dass nun, nach dem 11. September,
ein anderes Bewusstsein, auch in der Regierungskoalition, entstanden ist. Wir jedenfalls werden alle Maßnahmen unterstützen, die der Sicherheit unserer Bevölkerung
dienen. Wir werden auch, lieber Herr Meyer, über alle
Maßnahmen diskutieren; wir sind keinen Vorschlägen gegenüber verschlossen.
Allerdings dürfen wir auch nicht verschweigen, dass
die Regierungskoalition in den letzten drei Jahren keinen
einzigen zählbaren Gesetzentwurf vorgelegt hat, der im
Kampf gegen den Terrorismus und gegen die Kriminalität
eine Rolle gespielt hätte.
({3})
Jetzt sind Sie endlich aufgewacht.
So bei der Kronzeugenregelung: Wir können hier
doch nicht verschweigen, dass Sie die Kronzeugenregelung einfach haben auslaufen lassen, ohne sich Gedanken
darüber zu machen, wie es danach weitergehen soll. Es
gab vielleicht wenige unter Ihnen, die sich doch Gedanken gemacht haben - das will ich nicht verschweigen -;
sicherlich haben Sie, Herr Innenminister, sich darüber Gedanken gemacht und sich auch dazu geäußert. Es gab in
den vergangenen zwei Jahren aber keinen Vorschlag - von
Ihnen nicht und von der Koalition nicht -, die Kronzeugenregelung wieder - wenn auch vielleicht in Ihrem Sinne
in einer verbesserten Weise - wieder einzuführen.
Jetzt machen Sie diesen Vorschlag; wir werden ihn prüfen. Wir selbst haben diesen Vorschlag bereits in unserem
Gesetzentwurf gemacht, den wir vor der Sommerpause
eingebracht haben. Wir differenzieren im Übrigen in diesem Gesetzgebungsvorschlag; wir übernehmen nicht einfach die alte Kronzeugenregelung. Wir sind der Meinung,
dass sich ein Straftäter, der das Blaue vom Himmel herunterlügt, nicht auf die Kronzeugenregelung berufen können darf. Vielmehr muss er, wenn sich seine Lügen als solche herausstellen, auch nachträglich verurteilt werden
können. Da differenzieren wir also. Was immer Sie aber
auch vorschlagen werden: Es wird besser sein als die
zweijährige Gesetzeslücke, mit der wir bislang auskommen mussten.
Nun mag jemand sagen - vielleicht hat er damit auch
gar nicht Unrecht -, der 11. September wäre auch durch
die Kronzeugenregelung nicht verhindert worden; aber
darum geht es doch gar nicht. Es geht darum, dass die
Terroristen in unserem Land gelebt und hier einen Ruheraum gesucht und gefunden haben. Sie haben sich unter
dem Dach unserer Rechtsordnung gewissermaßen sicher
gefühlt.
({4})
Das kann aber nicht die Aufgabe unserer Rechtsordnung
sein. Deswegen müssen wir jetzt - da bleibt kein anderer
Weg; es sind auch entsprechende Maßnahmen von Ihrer
Seite, also vonseiten des Innenministeriums und des Justizministeriums, vorgeschlagen worden - versuchen, unsere Rechtsordnung so auszurichten, dass solche terroristischen Machenschaften aufgedeckt werden können. Wir
sehen ebenfalls die rechtsstaatlichen Bedenken gegen die
Kronzeugenregelung; das wollen wir nicht verschweigen.
Dort aber, wo es um die Sicherheit unserer Bevölkerung
geht, dort, wo es darum geht, Terror und schwere Kriminalität zu bekämpfen, hat die Sicherheit, hat der Kampf
gegen schwere Kriminalität Vorrang vor dem Strafanspruch des Staates.
({5})
Wer die Verhältnisse hier umkehren wollte, würde den
Strafanspruch überhöhen. Das will hoffentlich keiner von
uns. Diese Zeit haben wir längst überwunden.
Einen wichtigen Punkt hat Herr Meyer eben angesprochen: Es geht natürlich darum, der organisierten Kriminalität, aber auch dem Terrorismus den Geldhahn abzudrehen. Hier gibt es, auch von Ihnen, viele Vorschläge. Wir
haben sogar gemeinsam Ihre und unsere Vorschläge noch
am Ende der letzten Legislaturperiode umgesetzt. Das
war aber nicht vollständig genug. Ich weiß auch, wie
schwierig es ist, an den Gewinn der Verbrecher heranzukommen. Ich bin allerdings nicht Ihrer Auffassung, was
das Bankgeheimnis angeht. Ich glaube, in diesem Punkt
wird die Diskussion zu sehr aufgeplustert. Wir wissen
doch alle - Sie wissen es genauso gut wie ich -, dass bei
der Strafverfolgung - Herr van Essen hat es gesagt - das
Bankgeheimnis keine Rolle spielt. Natürlich können wir
im Ermittlungsfall schon jetzt die Geldströme verfolgen.
Die Staatsanwaltschaften können schon jetzt die Bankbebediensteten und deren Mitarbeiter vor Gericht zitieren
und als Zeugen oder Sachverständige vernehmen. Deswegen glaube ich, dass diese Diskussion ein wenig überzogen ist. Aber bitte, wir werden darüber im Ausschuss
beraten und versuchen, auf einen gemeinsamen Nenner zu
kommen.
Wir meinen schon, Herr Meyer, dass der Weg, den wir
jetzt vorschlagen - vielleicht ist es nicht der letzte Vorschlag, den wir im Rahmen der Gewinnabschöpfung machen -, eine Möglichkeit ist. Wir müssen zu einer präziseren gesetzlichen Formulierung kommen, damit wir besser
an den mittelbaren Gewinn, wie Sie ihn richtig bezeichnet
haben, herankommen. Das gelingt uns im Moment nicht.
({6})
Die Gewinnabschöpfung klappt nicht. Sie führt nicht zu
den gewünschten Zielen. Deswegen müssen wir uns immer wieder aufs Neue Gedanken machen. Insoweit bin ich
für jeden Vorschlag dankbar.
Wir brauchen im Rahmen der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, aber auch des Terrorismus - das haben wir uns immer vorgenommen - eine Verbesserung der
Telefonüberwachung. Wir haben schon lange gefordert,
Delikte wie Kreditkartenfälschung und Fälschung von
Euroschecks sowie Bestechung, Menschenhandel, Computerbetrug, Investitionsbetrug und den betrügerischen
Bankrott in die Überwachung einzubeziehen. Wir halten
dies für notwendig und bitten Sie, sich in dieser Frage offen zu zeigen.
Ich weiß aber nicht, ob die von Ihnen vorgeschlagene
Hochstufung der schweren Steuerhinterziehung zu einem Verbrechen wirklich zum Erfolg führt. Wir werden
darüber diskutieren. Aber es ist zu bedenken, dass die
Steuerhinterziehung nicht das klassische Betätigungsfeld
der Mafia und der Terroristen ist. Deswegen sollte man mit
solchen Vorschlägen vorsichtig sein. Aber, Herr Meyer,
wir werden diese Vorschläge diskutieren und werden versuchen, zu einer gemeinsamen Regelung zu kommen.
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Meyer?
Bitte sehr.
Herr Kollege Geis,
stimmen Sie mit mir darin überein, dass die von Ihnen genannten Gruppen wie Mafia und Terroristen ihre Einkommen nicht versteuern, die sie aus Drogenhandel, aus illegalem Waffenhandel und aus Frauenhandel beziehen? Diese
Gruppen betreiben zwangsläufig Steuerhinterziehung
großen Stils, weil sie sich ansonsten durch eine entsprechende Steuererklärung der Staatsanwaltschaft als Straftäter zu erkennen geben würden. Meinen Sie nicht, dass Ihre
Auffassung, die schwere Steuerhinterziehung sei keine
klassische Straftat der Mafia und der Terroristen, überdacht
werden muss, weil sie für die organisierte Kriminalität sogar notwendig ist, um ihre Gewinne zu sichern?
({0})
Herr Meyer, wir überdenken alles. Einen Punkt sollten aber auch Sie dabei bedenken, nämlich dass die eigentliche Straftat der Drogenhandel ist, aus dem die Gelder fließen. Wir müssen in erster
Linie also die Ursprungstat und nicht die Steuerhinterziehung - ich gebe zu, dass sie daraus folgt - bekämpfen. Wir
müssen die aus dem Drogenhandel fließenden Gelder einziehen, die wir im Übrigen jetzt schon einziehen können,
da für diesen Fall der erweiterte Verfall gilt. Ich bleibe
deswegen dabei: Wir sollten uns nicht so schnell dort auf
neue Strafnormen einlassen, wo es sich nach meiner
Auffassung nicht um ein klassisches Betätigungsfeld der
Mafia und des Terrorismus handelt.
Wir brauchen eine Erweiterung der Möglichkeit, die
Bewegungsabläufe von Tätern festzustellen, die den Mobilfunk benutzen. Wir brauchen die Einführung der
Speicherungspflicht von Daten - wer telefoniert wann
und wo -, die bei Telekommunikationsgesellschaften anfallen. Das könnte für die Polizei interessant sein. Wir
brauchen eine bessere rechtliche Grundlage, an solche
Daten heranzukommen. § 12 des Gesetzes über Fernmeldeanlagen darf nicht in seiner Wirkung geschmälert werden. Wir sind froh, dass er verlängert wird.
({0})
Der Zugriff der Ermittler auf diese Daten, wie er jetzt nach
§ 12 FAG möglich ist, muss natürlich erhalten bleiben.
Ich möchte noch eine Bemerkung zum verdeckten Ermittler machen. Dieser Punkt ist ebenfalls in unserem
Gesetzentwurf enthalten. Wir sind der Meinung, dass es
ein wichtiges Mittel ist, verdeckte Ermittler in terroristische Organisationen einzuschleusen. Wir wissen, dass es
möglich ist. Das gilt für die organisierte Kriminalität genauso wie für den Terrorismus. Wir müssen die Situation
der verdeckten Ermittler - das sind Menschen, die bereit
sind, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um die Rechtsordnung zu schützen - rechtlich anders werten. Wer bereit ist,
sein Leben einzusetzen, um die Rechtsordnung zu schützen, und dabei geringfügige Straftaten begeht, durch die
andere nicht geschädigt werden, der handelt nicht gegen
die Rechtsordnung. Dieses Vorgehen ist nach unserer Auffassung gerechtfertigt. Darüber sollten wir nachdenken.
Danke schön.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf dem Gang ist ein Brillenglas gefunden worden. Es scheint ein rechtes Brillenglas zu sein.
({0})
Schauen Sie bitte einmal nach, ob es jemandem von Ihnen
fehlt.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Cem Özdemir.
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Gespräche in
Sachen zweites Sicherheitspaket sind in vollem
Gange. Für uns ist die Bekämpfung des Terrorismus in
drei Richtungen von entscheidender Wichtigkeit:
Erstens. Wir müssen - klassisch repressiv - die Täter
und ihre Helfer festnehmen, sie vor Gericht bringen
({0})
und sie der Strafe zuführen, die sie verdient haben.
Herr Geis, ich glaube, Sie waren es, der laufen lassen
rief.
({1})
- Gut. Ich entschuldige mich bei Herrn Geis und wende
die Kritik an den Freiherrn von Stetten.
({2})
Alles Unterirdische kann noch unterboten werden.
Freiherr von Stetten, großes Kompliment für das Unterirdische.
Zweitens. Wir müssen polizeilich-präventiv alles tun,
um Anschläge bei uns zu verhindern und die Sicherheit
für alle Bürgerinnen und Bürger zu verbessern.
Drittens. Wir müssen die Ursachen bekämpfen und den
Nährboden des Terrorismus bei uns wie in den Herkunftsländern trockenlegen. Gestatten Sie an dieser Stelle
mir als Innenpolitiker einen Hinweis, der sich vielleicht
etwas fachfremd anhört. Ich glaube aber, dass ich für alle
Innenpolitiker sagen kann, dass dazu auch gehört - nicht
weil darin die unmittelbare Ursache besteht, sondern weil
dies als Nährboden dienen kann; der Kanzler hat in seiner
Rede darauf hingewiesen -, mehr für die Entwicklungspolitik und für die Beseitigung der Ursachen in den Entwicklungsländern zu tun, weil das unsere Arbeit in der Innenpolitik dramatisch erleichtern würde.
({3})
Meine Damen und Herren, ich bin froh, dass der Kollege Geis darauf hingewiesen hat - uns verbindet in der
Auseinandersetzung in der Innenpolitik nicht immer so
viel; aber in diesem Punkt sind wir uns einig -, dass wir
dazu beitragen müssen, dass die Integration des Islam in
unsere Gesellschaft weitergeht und dass wir ein Feindbild
Islam, aber andersherum auch ein Feindbild Christentum verhindern.
Wir sind uns einig darin, dass wir entschlossen vorgehen. Auf die Frage der Finanzströme ist bereits hingewiesen worden. Auch das ist ein wichtiger Teil der
Bekämpfung der Kriminalität.
Allerdings wundere ich mich schon darüber, dass der
Kollege Bosbach - er ist jetzt leider nicht mehr da; deshalb möchte ich Sie bitten, ihm das bei Gelegenheit auszurichten; ich kann es ihm aber auch gerne noch einmal
persönlich sagen - hier so locker über die Bedenken hinweggegangen ist, die nicht von uns, nicht von den Grünen, sondern von einem der Hersteller von Fingerabdrücken in Personalausweisen kommen. Ich darf aus
der Newsweek zitieren, die in diesem Zusammenhang
eher unverdächtig ist. Dort sagt ein Hersteller, dass genetische Dispositionen heute bereits aus Fingerabdrücken
technisch herzuleiten sind. Ich will nicht dramatisieren,
aber ich glaube schon, dass es zu den Aufgaben von Parlamentariern gehört, auf solche Gefahren hinzuweisen
und dies in diesem Zusammenhang zu diskutieren. Auf
die Kritik und die Anregungen des Datenschutzbeauftragten, der der Fraktion der FDP angehört,
({4})
möchte ich hier nicht weiter eingehen. Sie kennen sie: Er
warnt vor der Referenzdatei.
({5})
Auch das sollte man in diesem Zusammenhang ernst nehmen.
Weil von Ihnen, Herr Geis, gerade die rot-grüne Landesregierung in Berlin diskutiert wurde, möchte ich Folgendes sagen: Es ist der Innensenator des Landes Berlin,
der auf die Bedeutung der Flugsicherheit hingewiesen
hat und als eine seiner ersten Maßnahmen angeordnet hat,
dass beispielsweise von Tegel auch Privatflieger künftig
nicht mehr ohne Kontrolle starten können. Dreimal dürfen Sie raten, wie der Innenminister des Landes Brandenburg heißt und welcher Fraktion er angehört, der dies
nicht für notwendig erachtet, was die Flughäfen in Brandenburg angeht. Vielleicht, meine Damen und Herren von
der Union, reden Sie noch einmal mit dem Innenminister
von Brandenburg und sagen ihm, dass die Stellungnahme,
dass besondere Sicherheitsvorkehrungen auf Privatflughäfen Brandenburgs nicht notwendig seien, nach dem
11. September angesichts der Tatsache, dass die Bürgerinnen und Bürger auch in Fragen der Flugsicherheit
Angst haben, vielleicht etwas unangemessen ist und dass
wir das ernst nehmen sollten.
Meine Damen und Herren, ich möchte - um das Gesagte nicht zu wiederholen - zum Schluss auf einen
Aspekt eingehen, der in der Debatte zur inneren Sicherheit bislang nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat, der
aber, wenn man die Ängste der Bevölkerung ernst nehmen möchte, eine zunehmend wichtige Rolle spielen
sollte. Dabei geht es nicht um Panikmache; alle haben darauf hingewiesen, dass wir da vorsichtig sein müssen.
Vielmehr geht es darum, dass wir konkrete Sicherheitsrisiken auch konkret bekämpfen müssen. Ich rede von der
Frage der Sicherheit der Atomkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland. Dass der Innenminister, gleich
nachdem uns die Nachrichten von den schrecklichen Ereignissen in den USA erreicht hatten, Gespräche mit den
Betreibern geführt hat, war notwendig und ein wichtiger
Schritt. Aber ich glaube, dass wir jetzt einen Schritt weiter gehen müssen. Nicht nur die Bürgerinnen und Bürger
an den Standorten von Atomkraftwerken haben Angst,
wie es aussieht, wenn das eintritt, was niemand von uns
bisher für möglich gehalten hat: dass Passagiermaschinen
als Waffen eingesetzt werden.
Was heißt das für die Standorte von Atomkraftwerken?
Was heißt es im konkreten Bedrohungsfall? Es muss gesichert werden, dass Atomkraftwerke sofort heruntergefahren werden können. Vielleicht braucht man sogar eine
Art rotes Telefon im Zusammenhang mit den Atomkraftwerken. Wir müssen schauen, ob die bestehenden rechtlichen Grundlagen dafür ausreichen. Lange Diskussionen
mit den Betreibern kann es in einer solchen Situation nicht
geben.
Lassen Sie mich zum Schluss - ich möchte meine Redezeit nicht überziehen - einen Liberalen zitieren, den wir
alle in diesem Haus sehr schätzen, den ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, der meiner
Meinung nach etwas sehr zutreffend formuliert hat, was
ich uns allen ins Stammbuch schreiben möchte: Die
äußere Freiheit der vielen beruht auf der inneren Freiheit
des Einzelnen. - Dies sollte die Leitlinie unseres Handelns sein, wenn es um die Frage der Sicherung der inneren Freiheit der Bundesrepublik Deutschland geht.
({6})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Joachim Stünker.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in erster
Lesung ganz konkret ein Konglomerat von sechs Gesetzentwürfen, die zwar von unterschiedlichen Verfassern, die
aber alle mit der Zielsetzung eingebracht worden sind,
eine noch effektivere Strafverfolgung in unserem Land zu
gewährleisten und den Menschen ein Mehr an innerer Sicherheit zu bringen. Jeder dieser Entwürfe bedarf daher
einer gründlichen und vor allen Dingen - das möchte ich
betonen - vorurteilsfreien Beratung. Von daher, Herr
Geis, war ich über die moderaten Töne in Ihrer Rede heute
Morgen sehr erfreut. Ich denke, wir sollten bei dem
Thema der inneren Sicherheit den parteipolitischen Streit
wirklich hintanstellen.
Dem Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit, nach
Schutz vor Kriminalität und vor Terrorismus nachzukommen ist nämlich ein hohes Gut. Wir als Gesetzgeber haben uns dieser Aufgabe daher mit großem Ernst und sehr
viel Verantwortung zu widmen. Dazu werden wir in den
vor uns liegenden Wochen und Monaten sicherlich noch
in vielen Bereichen Gelegenheit haben.
Der Gesetzgeber hat bei dieser Aufgabe - es ist mir gerade heute wichtig, darauf hinzuweisen - das Normenund Wertesystem unseres Grundgesetzes nicht nur zu beachten, sondern auch strikt einzuhalten. Wir müssen uns
bei jeder einzelnen Regelung immer wieder bewusst machen, dass jegliche Strafverfolgung an den Geboten der
Rechtsstaatlichkeit auszurichten ist.
({0})
Die zu beratenden Vorschläge sind daher samt und sonders an diesem Normen- und Wertesystem zu messen. Ich
bin sehr froh darüber, dass der Herr Bundeskanzler heute
Morgen in seiner Regierungserklärung deutlich darauf
hingewiesen hat, dass es keine Schnellschüsse geben darf.
Vor diesem Hintergrund möchte ich kurz zu drei Regelungen Stellung nehmen: Der Entwurf der Bundesregierung zur Einführung eines § 129 b in das Strafgesetzbuch
wird von den Koalitionsfraktionen uneingeschränkt begrüßt. Nach heute geltendem Recht ist die Bildung einer
kriminellen Vereinigung ebenso wie die Bildung einer
terroristischen Vereinigung nämlich nur dann strafbar,
wenn diese Vereinigungen - zumindest in Form einer Teilorganisation - im Bereich des Bundesgebietes bestehen.
Sind daher Mitglieder einer ausländischen kriminellen
oder terroristischen Vereinigung im Inland tätig, machen
sie sich nach den geltenden Gesetzen nur unter diesem
Gesichtspunkt strafbar. Die Ereignisse des 11. September
2001 und das Ausmaß des Terrorismus, das sich in der
Folgezeit gezeigt hat, haben uns allen aber deutlich gemacht, dass die generelle Erstreckung der genannten Vorschriften auf im Ausland tätige kriminelle oder terroristische Vereinigungen, deren Mitglieder bei uns im Inland
tätig sind, notwendig ist.
In diesem Gesetzgebungsverfahren darf bei der konkreten Ausgestaltung der Norm jedoch eine Problemstellung nicht übersehen werden - sie bedarf sogar unserer
besonderen Beachtung -: Die Neuregelung darf in ihrer
endgültigen Fassung im Ergebnis nicht so ausgelegt werden können, dass andere Widerstandsbewegungen in der
Welt, die diktatorische oder verbrecherische Regime
bekämpfen, ihrerseits zu kriminellen oder terroristischen
Vereinigungen im Sinne des Gesetzes werden.
({1})
Denn jede Unterstützung einer derartigen Widerstandsbewegung auf deutschem Boden würde dann nach dem
Kontext der gesetzlichen Bestimmungen, der ein bisschen
kompliziert ist, ebenfalls strafbar werden. Es ist schade,
dass Herr Bosbach jetzt nicht mehr hier ist, der diesen
Problembereich heute Morgen angesprochen, aber, wie
ich glaube, nicht ganz zu Ende gedacht hat. Denn es gibt
eine ganze Reihe von Vorstellungen und Vorschlägen, die
dazu dienen, dies nicht eintreten zu lassen.
Wir werden im Gesetzgebungsverfahren Vorschläge
hierzu unterbreiten. Zum Beispiel könnte man schon in
Abs. 4 der Vorschrift, auf die Bezug genommen wurde,
das Tatbestandsmerkmal Werben durch das Tatbestandsmerkmal Anwerben ersetzen, um derartige Folgen zu umgehen. Ich hoffe daher auf eine fruchtbare Beratung.
({2})
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung der §§ 100 g und 100 h in die Strafprozessordnung hat die Frau Bundesjustizministerin umfassend
Stellung genommen. Ich denke, dem ist nichts hinzuzufügen. Hieran ist von allen Fraktionen des Hauses keine Kritik geäußert worden. Es ist notwendig, dass die Ermittlungsbehörden an derartige Daten kommen können. Die
Vorschrift genügt dem Bestimmtheitsgebot der Verfassung. Ich denke, deshalb werden wir schnell einig darüber
werden.
Ein dritter Punkt ist mir wichtig. Das ist ein Entwurf,
der bisher, soweit ich die Debatte verfolgt habe, noch
nicht diskutiert worden ist, und zwar der Entwurf des
Bundesrates zur Änderung der Strafprozessordnung. Diesem Entwurf vermag ich - ich denke, auch meine Fraktion - nicht ohne Einschränkung vollinhaltlich zuzustimmen. Denn dieser Entwurf zielt fast ausschließlich auf
eine Verlagerung von Kompetenzen der Staatsanwaltschaft auf die Polizei im Ermittlungsverfahren. Nun ist
es selbstverständlich keine Frage, dass eine effektive und
zugleich an den Geboten der Rechtsstaatlichkeit ausgerichtete Strafverfolgung der guten und auch vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Polizei und Justiz bedarf. Darum geht es nicht. Andererseits aber ist gerade in
der jüngsten Zeit deutlich geworden, dass die Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens durch die
Strafprozessordnung gestärkt werden muss und nicht geschwächt werden darf.
({3})
Von daher werden wir die Vorschläge des Bundesrates zu
diesen Punkten sehr sorgfältig zu prüfen haben.
Einen Vorschlag des Bundesrates - das kann ich,
glaube ich, schon heute hier sagen - halten ich und meine
Fraktion für verfehlt. Er wird mit Sicherheit keine Mehrheit finden können. Es geht um den Vorschlag, dass Zeugen zukünftig auf Ladung der Polizei verpflichtet sein sollen, zu erscheinen und auch auszusagen. Das ist ein
Grundsatz der Strafprozessordnung und das kann nur Aufgabe der Staatsanwaltschaft sein. Dem werden wir mit Sicherheit nicht zustimmen können.
({4})
Man sieht an diesen wenigen Beispielen, dass wir
Sach- und Fachpolitiker, die wir uns mit Rechtspolitik
und Sicherheitspolitik zu beschäftigen haben, bei den
Neuregelungen, die jetzt notwendig sind und denen wir
uns auch nicht verweigern, sehr gründlich und genau im
Detail hinsehen müssen. Ich wünsche daher uns allen, die
wir in diesem Hohen Hause für Rechtspolitik und Sicherheitspolitik zuständig sind, in den vor uns liegenden Wochen und Monaten in jedem Einzelfall abgewogene Urteile und Beurteilungen und vor allen Dingen den
notwendigen Mut zur Entscheidung.
Schönen Dank.
({5})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Volker Kauder.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema Sicherheit für die Menschen in unserem Land hat in diesen Tagen auch im Deutschen Bundestag die Bedeutung bekommen, die ihm eigentlich schon immer hätte
zukommen sollen.
({0})
Bedauerlich ist, dass es für diese Diskussion und für die
Fragen sowie manche Gemeinsamkeiten, die sich jetzt
zwischen Opposition und Koalition abzeichnen, eines
furchtbaren Ereignisses in Amerika bedurfte. Dies müssen wir einmal ausdrücklich feststellen.
Die Union, CDU und CSU, hat dieses Thema immer
wieder auf die Tagesordnung gebracht und hat noch vor
der Sommerpause Vorschläge eingebracht. Sie sind immer so beschieden worden, dass das Thema im Augenblick nicht auf dem ersten Platz der Agenda stehe.
({1})
So kann man sich täuschen, lieber Herr Stünker.
({2})
Sie haben ja Recht, Herr Kollege Stünker, wenn Sie sagen: Wir müssen jede einzelne Maßnahme, um die es
geht, sehr genau prüfen. Was aber manchen in unserem
Lande und die Menschen, die dieser Debatte folgen, sicherlich nachdenklich macht, ist, dass Sie von Wochen
und Monaten sprechen, um notwendige Regelungen
durchführen zu können. Wir wären schon wesentlich weiter, wenn wir auch vonseiten der Regierungskoalition
manche Frage schon früher mit größerem Ernst beantwortet bekommen hätten.
({3})
Freiheit und Sicherheit heißt das eine Thema, mit
dem wir antreten, Rechtsstaat und konsequente Bekämpfung des Terrorismus das andere. Herr Kollege Stünker,
Sie haben genauso wie ich heute Morgen die Rede des
Bundeskanzlers gehört. Ich denke, dass sich der Bundeskanzler zu Recht an die linke Seite des Hauses gewandt
hat, als er gesagt hat, nicht jede Maßnahme, die jetzt vorgeschlagen werde, bedeute gleich den Untergang des
Rechtsstaates.
({4})
Das hat er sicher nicht an unsere Seite, an die Opposition
gewandt, gesagt.
({5})
Wir vonseiten der CDU/CSU haben eine Reihe von
Vorschlägen vorgelegt. Sie haben Vorschläge vorgelegt.
Ich habe den Worten des Bundeskanzlers entnommen,
dass die Vorschläge, die Sie vorgelegt haben, nicht ausreichend sind, um dem Problem gerecht zu werden; denn
der Bundeskanzler hat angekündigt, dass in der nächsten
Woche ein zweites umfangreiches Sicherheitspaket vorgelegt wird. Dem kann ich doch nur entnehmen, dass es
dieses grässlichen Anschlages in Amerika bedurfte, um
offenkundig werden zu lassen, welche Sicherheitslücken
in unserem Lande bestehen.
({6})
Deswegen sind wir bereit, mit Ihnen zusammen jetzt in
Verhandlungen über ganz konkrete Vorstellungen einzutreten, um diese Sicherheitslücken zu schließen.
Ich mache mir natürlich schon die eine oder andere
Sorge, wenn ich höre, dass zu den konkreten Vorstellungen, die von der Bundesregierung - auch von der
Bundesjustizministerin, vor allem vom Bundesinnenminister - vorgetragen werden, schon in den eigenen Reihen
Diskussionen darüber beginnen, was möglich und was
nicht möglich ist. Der Herr Bundesinnenminister kann
froh sein, dass er eine Opposition wie die CDU/CSU hat,
die ihn in vielen Punkten unterstützt.
({7})
Wie der Bundeskanzler bei Einsätzen der Bundeswehr, so
kann in diesem Fall der Bundesinnenminister nicht sicher
sein, ob er sich auf eigene Mehrheiten verlassen kann.
({8})
Herr Kollege Ströbele wird ja nach mir reden. Ich wundere mich über manche Diskussion, die jetzt gerade von
der Fraktion der Grünen und von deren Landesverbänden
geführt wird. Während hier die Grünen so tun, als ob sie
schon immer Sicherheitspartei Nummer eins gewesen
wären, lese ich heute in Zeitungen aus Baden-Württemberg die Auffassung von Kreis- und Ortsverbänden der
Grünen, dass das, was die Bundestagsfraktion vorhabe,
ein Anschlag auf grünes Gedankengut sei; das werde nicht
mitgemacht. Sie müssen einmal klären, ob Sie wirklich
bereit und in der Lage sind und ob Sie die Macht haben,
diese Positionen überhaupt zu vertreten.
({9})
Die Grünen waren - dies darf man ausdrücklich sagen noch nie eine Partei, die die innere Sicherheit mit Herzblut auf ihr Banner geschrieben hat.
({10})
Neue Herausforderungen an die innere Sicherheit
zwingen uns zu neuen Sichtweisen bei so mancher Sachfrage. Ich hoffe sehr, dass bei den Grünen jetzt nicht nur
über die Notwendigkeit der Verbesserung der Sicherheit
gesprochen wird, sondern dass sich auch die Einstellung
geändert hat; denn wirklich gute Gesetze kann man nur
machen, wenn man auch die entsprechende Einstellung
hat: Es muss etwas getan werden, um die innere Sicherheit in Deutschland zu verbessern.
Wo die Bundesregierung vernünftige gesetzgeberische
Maßnahmen durchsetzen möchte, kann sie mit der uneingeschränkten Unterstützung durch unsere Fraktion rechnen. Die Union wird aber - das möchte ich nachdrücklich
betonen - darauf bestehen, dass ein sauberes und faires
Gesetzgebungsverfahren durchgeführt wird, in dem wir
auch die Gelegenheit haben, unsere Anliegen und Anregungen einzubringen.
Der vorgelegte Gesetzentwurf zur Einführung eines
§ 129 b in das Strafgesetzbuch wurde bereits angesprochen. Er hat die Ausdehnung des Strafbarkeitstatbestandes krimineller und terroristischer Vereinigungen
zum Ziel und ist ein Beispiel für eine gesetzgeberische
Maßnahme, der wir vonseiten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zustimmen können. Damit kann der internationale Terrorismus in Deutschland mit einer angemessenen Strafrechtsreform endlich effektiv bekämpft werden.
Dies ist eine richtige und wichtige Regelung. Ich freue
mich, dass sich die rot-grüne Bundesregierung über die
Empfehlung des europäischen Aktionsplanes zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität hinaus zu dieser
Erkenntnis hat durchringen können. Die Einsicht kommt
spät, aber immerhin kommt sie.
Diese grundsätzliche Freude über einen Sinneswandel
bei Rot-Grün hin zu mehr innerer Sicherheit wird allerdings sofort getrübt. Ich finde, es ist schon ein bemerkenswerter Vorgang: Während wir hier alle - damit
schließe ich bis auf die PDS wirklich alle ein - unter dem
Eindruck dessen, was in New York passiert ist, über eine
Stärkung der inneren Sicherheit sprechen, die Bundesregierung ein Antiterrorpaket schnürt und die Terrorbekämpfung weltweit an die erste Stelle der Prioritätenliste gerückt ist, wagt es die rot-grüne Übergangsregierung
des Landes Berlin tatsächlich, einen Antrag einzubringen, der genau das, was wir mit dem § 129 b des Strafgesetzbuches erreichen wollen, im Kern zurücknimmt.
({11})
- Herr Kollege Ströbele, dass Ihnen das gefällt, glaube ich
sofort.
Man könnte darüber hinweggehen, wenn es sich nicht
um den Regierenden Bürgermeister der Stadt Berlin handelte, der in besonderer Weise Sicherheitsinteressen vertreten muss. Vor dem Hintergrund, dass wir besonders
ausländische Einrichtungen in Berlin schützen müssen, ist
dies ein ungeheuerlicher Vorgang.
({12})
Es wird nicht nur deutlich, dass die Sicherheit des Landes und der Stadt Berlin bei der rot-grünen Übergangsregierung in Gefahr ist;
({13})
es wird auch deutlich, welch Geistes Kind noch viele bei
Rot-Grün in Berlin sind. Die Herren Schröder und Schily
können noch so viel Aktionismus präsentieren: Die SPD
führt hier in Berlin vor, dass sie noch nicht verstanden hat,
worum es geht.
({14})
- Es geht um die innere Sicherheit. Herr Kollege Stünker,
ich sage Ihnen jetzt, worum es wirklich geht. Ich werde
den Eindruck nicht los, dass dieser Antrag auch gestellt
worden ist, um der PDS entgegenzukommen, mit der man
nach dem 21. Oktober 2001 eine gemeinsame Regierung
bilden will. Darin sehe ich Gefahren.
({15})
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat Vorschläge gemacht. Wir werden den Vorschlägen der Bundesregierung
dann zustimmen, wenn wir der Meinung sind, dass sie
vernünftig und richtig angelegt sind. Die Bürgerinnen und
Bürger in diesem Land können sich darauf verlassen: Die
Union wird der Regierung bei den notwendigen Maßnahmen beistehen, wenn sie auf dem richtigen Weg bleibt.
Bei der Aufgabe, Sicherheit für die Menschen zu schaffen, brauchen wir im Gegensatz zu Rot-Grün keine Nachhilfe und haben sie auch noch nie gebraucht.
({16})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hans-Christian Ströbele.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kauder, ich finde es bemerkenswert,
dass Sie sich um das Herzblut der Bündnisgrünen so
große Sorgen machen; aber ich kann Sie beruhigen: Für
uns und auch für mich persönlich ist es selbstverständlich,
dass wir nach solchen Ereignissen wie den schrecklichen
Anschlägen in Washington und New York darüber nachdenken, was wir in Deutschland tun können, um zusätzliche Sicherheit für die Bevölkerung zu schaffen. Das ist
selbstverständlich; darüber brauchen wir nicht zu reden.
({0})
Herr Kollege Kauder, wir haben uns in Berlin darauf
verständigt, die Anschläge und mögliche Konsequenzen
nicht zum Wahlkampfthema zu machen. Sie haben es
trotzdem versucht. Ich will Ihnen kurz darauf antworten,
weil Ihre Bemerkung sehr unanständig war. Das, was vom
Land Berlin im Bundesrat vorgeschlagen wurde, war genau das, was der Kollege Stünker angesprochen hat. Es
geht um das schwierige Problem - mit ihm schlagen sich
auch die UNO, der Sicherheitsrat und die Vollversammlung, seit Jahren und auch jetzt wieder herum -, dafür zu
sorgen, dass der § 129 b StGB in Deutschland - sofern er
denn kommen sollte - zum Beispiel nicht auf Vertreter
von Befreiungsbewegungen, die in ihren Heimatländern
gegen Diktaturen und unmenschliche Regime kämpfen,
angewandt wird.
Stellen Sie sich doch einmal vor, jemand von der Nordallianz käme nach Deutschland und Sie würden ihn vor
Gericht stellen, weil er einer terroristischen Vereinigung
seines Heimatlandes angehört. Stellen Sie sich vor, Menschen aus dem Nahen Osten kämen hierher und wären in
Gefahr, hier strafrechtlich verfolgt zu werden. Außerdem
- Kollege Stünker hat schon darauf hingewiesen -: Wenn
sie in einem Stadtteil Berlins oder Stuttgarts eine Solidaritätskundgebung für die Nordallianz, für den Befreiungskampf gegen die Taliban machen, könnte eine solche
Handlung als Werbung für eine terroristische Vereinigung ausgelegt werden. Das wollen wir verhindern.
Das bedeutet aber nicht, dass wir es nicht für richtig halten, Menschen, die in den USA Anschläge verüben oder
in anderen Ländern Europas Anschläge vorbereiten, auch
in Deutschland wegen des Organisationsdelikts zu verfolgen.
({1})
Ich darf im Übrigen darauf hinweisen, dass immer wieder unterschlagen wird, dass die betroffenen Personen
selbstverständlich weiterhin wegen Mordes, Totschlags
oder anderer schwerer Straftaten in Deutschland verfolgt
werden können. Es geht allein um die Verfolgung wegen
des Organisationsdelikts. § 129, § 129 a und § 129 b betreffen lediglich die Mitgliedschaft in einer terroristischen
oder kriminellen Vereinigung.
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kauder?
Ja, wenn sie kein Beitrag zum Wahlkampf in Berlin ist.
({0})
Herr Kollege Ströbele,
habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie mit Ihrer jetzigen
Aussage der Bundesregierung unterstellt haben, sie habe
keinen sauberen und präzisen Gesetzentwurf vorgelegt?
Ich habe in meiner Auskunft Ihnen gegenüber
- auch mehrfach gegenüber der Öffentlichkeit - zum
Ausdruck gebracht, dass ich eine Klarstellung in dieser
Hinsicht für richtig und erforderlich halte, die nach meiner Auffassung auch im Gesetz stehen sollte, um auf diese
Weise jedes Missverständnis zu beseitigen. Wir würden
uns überall in der Welt - nicht nur im Hinblick auf
Afghanistan oder die USA - gerade auch vor dem Hintergrund der Diskussion, die in der UNO über das Thema
Terrorismus stattfindet, abmelden, wenn wir dieses Problem nicht sähen und angingen.
In vielen Bereichen in der Öffentlichkeit findet im Augenblick geradezu ein Wettlauf statt; in vielen Medien lassen sich jeden Tag neue Überlegungen finden, was man
noch tun könnte oder sollte - Erlass neuer Gesetze durch
den Deutschen Bundestag oder Zurverfügungstellen von
Finanzmitteln -, um die Sicherheit zu verstärken. Dabei
betonen alle immer wieder, dass keine absolute Sicherheit
garantiert werden kann; dieser Aussage kann ich mich nur
anschließen.
In einer Situation wie dieser ist es wichtig und richtig,
dass es eine Partei und eine Fraktion sowie Abgeordnete
- nicht nur beim Bündnis 90/Die Grünen; ich nenne auch
die Kollegen Meyer und Stünker - gibt, die genau hinsehen und sagen: Wir wollen nur Gesetze, von denen wir
uns tatsächliche Erfolge bei der konkreten Terrorismusbekämpfung versprechen; wir wollen alle rechtsstaatlichen Regelungen behalten und vermeiden, dass mit
neuen Gesetzen zu viel Freiheit über Bord geht.
({0})
Ich halte das für notwendig und richtig und dafür stehen
wir Bündnisgrünen als Partei, nachdem sich andere Parteien, wie etwa die FDP - von ihr habe ich zumindest
keine Bedenken gehört -, die ein solches Ziel früher auf
ihre Fahnen geschrieben hatten, verabschiedet haben.
Herr Kollege Geis, Sie können doch nicht sagen, die
potenziellen Täter, die in Hamburg gewohnt haben sollen,
wären infolge der Kronzeugenregelung nicht behelligt
worden
({1})
und trotzdem bräuchten wir für den Kampf gegen diese
Art von Terrorismus die Kronzeugenregelung.
({2})
Auf irgendeine Weise müssen die Dinge doch zusammenpassen.
({3})
Ich möchte darauf hinweisen, dass bei der Kronzeugenregelung einiges durcheinander gebracht wird. Tägliche Praxis in allen Gerichten ist, dass Nachtatverhalten,
wie zum Beispiel ein Beitrag zur Aufklärung einer Straftat
oder Verhinderung weiterer Straftaten, strafmildernd
berücksichtigt wird. So etwas geschieht in unendlich vielen Strafverfahren jeden Tag. Das Besondere an der ursprünglichen Kronzeugenregelung war doch unter anderem, dass auch Mördern dieses Privileg zustehen sollte
und sie nicht nach § 211 StGB zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt werden mussten. Es kann Situationen
geben, in denen eine solche Strafmilderung erforderlich
ist; aber diese müssen sehr eng eingegrenzt werden, damit
mit einer solchen Regelung kein Missbrauch getrieben
wird.
({4})
Ein solcher Missbrauch wäre unerträglich für das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung.
Wenn Sie sich die Anschläge von New York vor Augen
führen, können Sie doch nicht allen Ernstes fordern, dass
ein Verdächtiger, der verurteilt wird, weil das Gericht von
einer Tatbeteiligung überzeugt ist, nicht bestraft wird, nur
weil er zur Aufklärung der Straftat beigetragen hat, obwohl er selbst an ihr beteiligt war.
({5})
Hier müssen gesetzliche Grenzen mit Augenmaß eingebaut werden. Wir wollen, dass im Gesetz klargestellt
wird - unter anderem wäre das in § 46 des Strafgesetzbuches möglich -, dass das Nachtatverhalten bei allen Delikten berücksichtigt werden kann, also auch bei Mord,
({6})
das heißt, wenn eigentlich eine lebenslängliche Freiheitsstrafe verhängt werden müsste.
Wenn Sie sich das heute vorgelegte Gesetzespaket genau anschauen, dann werden Sie feststellen, dass es auch
einen Gesetzentwurf des Bundesrates enthält, in dem dieser vorschlägt, die Möglichkeit der Strafmilderung in
mindestens 20 weiteren Vorschriften einzuführen.
({7})
Den Gedanken der Strafmilderung kann man aufgreifen; man kann ihn weiterverfolgen und sich schließlich
der Lösung annähern, die wir vorgeschlagen haben. Diese
halten wir für richtig und für eine Regelung mit Augenmaß. Die alte Kronzeugenregelung, die Ihnen immer vorschwebt, lehnen wir ab.
({8})
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesinnenminister Otto Schily.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich finde, es
ist der gegenwärtigen ernsten Situation angemessen, dass
die demokratischen Kräfte gewillt und entschlossen
sind - das ist erfreulicher Weise erkennbar geworden -,
der terroristischen Herausforderung gemeinsam entgegenzutreten, und dass - bei allem Streit im Detail - die
heute vorliegenden Gesetzentwürfe begrüßt werden. Das
möchte ich als etwas Positives herausstellen. Ich finde,
der jetzige Zeitpunkt ist nicht geeignet, um über die Vergangenheit zu reden.
({0})
Wir sollten in die Zukunft schauen. Auch im Hinblick auf
zukünftige Maßnahmen wird die bisher gezeigte Gemeinsamkeit erforderlich sein.
Es ist manchen in der Vergangenheit zur Gewohnheit
geworden, sich etwas spöttisch über unsere Geheimdienste zu äußern.
({1})
Manchmal fiel die Kritik auch etwas härter aus. Ich
möchte an dieser Stelle - das tue ich sehr bewusst - gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der Landesämter für
Verfassungsschutz und des Bundesnachrichtendienstes
meinen ausgesprochen herzlichen Dank für ihre Tätigkeit
zum Ausdruck bringen,
({2})
weil wir uns ohne deren Tätigkeit wahrlich in einer noch
schwierigeren und risikoreicheren Situation befänden.
Ich darf an etwas erinnern, was vier Jahre zurückliegt
und was manchem seinerzeit vielleicht gar nicht so aufgefallen ist. Anfang 1997 hat der Sozialdemokrat und Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Dr. Peter
Frisch in einem Interview Folgendes ausgeführt - ich betone: 1997 -:
Das Sicherheitsproblem Nummer eins für Deutschland sind die islamischen Fundamentalisten.
Er hat auf Nachfrage Folgendes hinzugefügt:
Das ist ein Problem, das die Sicherheitsbehörden
wahrscheinlich im nächsten Jahrhundert vorrangig
beschäftigen wird.
({3})
Das ist wahrhaft eine nahezu prophetische Äußerung.
Deshalb verbietet sich jede dümmliche Kritik an dem, was
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesamtes
für Verfassungsschutz und der Landesämter für Verfassungsschutz unter sehr schwierigen Voraussetzungen leisten. Sicherlich ist auch deren Arbeit fehlerbehaftet, so wie
jedes menschliche Verhalten fehlerbehaftet und von Unzulänglichkeiten geprägt ist. Aber das eben von mir
vorgetragene Zitat lässt uns ansatzweise erkennen, was
wir solchen Institutionen verdanken.
({4})
Ich will zwar die sachliche Linie der Debatte nicht verlassen. Aber ich muss die Parteivorsitzende der CDU,
Frau Merkel, korrigieren, wenn sie behauptet, wir hätten
in unserer Regierungszeit vor dem 11. September die Sicherheitserfordernisse vernachlässigt. Genau das Gegenteil ist richtig. Wir haben in den zurückliegenden Haushaltsjahren die Ausgaben für die innere Sicherheit
kontinuierlich erhöht und nicht verringert und wir werden
das auch im bevorstehenden Haushaltsjahr tun.
({5})
Wir haben das getan, obwohl wir von Ihnen - auch das
muss man an dieser Stelle einmal erwähnen - einen nahezu konkursreifen Haushalt geerbt haben.
({6})
Diese Politik werden wir fortsetzen.
Ich bin dankbar dafür, dass wir jetzt unabhängig von
den Konsolidierungsbemühungen, die wir fortsetzen werden und auch fortsetzen müssen, durch die Maßnahmen
des Kollegen Eichel in die Lage versetzt werden, an den
Stellen, an denen das notwendig ist, auch die Ausgaben
für die innere Sicherheit zu erhöhen.
({7})
Das werden wir sehr gezielt und sehr konsequent bewerkstelligen, weil wir in der Tat auch einen Personalaufbau im Bundesamt für Verfassungsschutz, im Bundeskriminalamt, beim Bundesgrenzschutz und auch bei
anderen Sicherheitsbehörden benötigen.
({8})
Ich finde es übrigens durchaus begrüßenswert, dass
auch in den Ländern entsprechende Maßnahmen zustande
kommen.
({9})
- Wir reden jetzt nicht über einzelne Landeshaushalte.
Gerade einige Landeshaushalte sind, denke ich, nun
wahrlich in Schwierigkeiten; da kann man die Historie
ebenfalls etwas zurückverfolgen; aber das wollen wir an
dieser Stelle nicht tun.
Meine Damen und Herren, es geht mir darum, in meinem Beitrag auf einige aktuelle Fragen einzugehen, die
heute in der Debatte eine Rolle gespielt haben. Ich teile
die Auffassung des Bundeskanzlers und anderer, dass die
Bundeswehr außerhalb der ihr schon jetzt von der Verfassung gebotenen Möglichkeiten nicht für polizeiliche
Aufgaben im Innern eingesetzt werden kann.
({10})
Es scheint so zu sein, dass einigen die Lektüre des Grundgesetzes noch einmal zu empfehlen ist. Nach einer solchen Lektüre weiß man, welche Möglichkeiten die Bundeswehr hat.
Ich bin sehr dankbar dafür, dass die Bundeswehr in dieser schwierigen Lage, in der wir uns jetzt befinden, in der
die Polizeien der Länder und des Bundes wirklich eine
sehr angespannte Arbeitssituation haben, sehr kooperativ
bestimmte Bewachungsaufgaben übernommen hat. Übrigens hat sich auch der Freistaat Bayern - ich glaube, dass
man das hier einmal berichten sollte - bei der Bundesregierung ausdrücklich dafür bedankt. Da, wo das möglich
ist, etwa bei einem Truppenübungsplatz in Bayern oder
bei militärischen Einrichtungen der US-Streitkräfte in Baden-Württemberg oder in Rheinland-Pfalz, geschieht das
in sehr guter Kooperation. Ich habe auf Anregung des
Oberkommandierenden der US-Streitkräfte in Europa
eine Arbeitsgruppe gebildet, die diese Fragen koordiniert.
Auch ich bin der Meinung, dass wir neben den vorhandenen Institutionen nicht neue Bürokratien aufbauen
sollten.
({11})
Wir haben wirklich, glaube ich, eine gute Sicherheitsarchitektur in Deutschland. Wir dürfen auch sagen, dass
wir im internationalen Vergleich diesbezüglich wirklich
sehr, sehr gut aussehen. Es führt nicht weiter, neue Ämter
zu schaffen. Es ist ja auch ganz interessant, wie beredt beispielsweise einige Innenminister, auch aus CDU- oder
CSU-regierten Ländern, zu diesen Vorschlägen schweigen. Entgegen manchen Regeln im Bürgerlichen Gesetzbuch heißt Schweigen in diesem Fall, glaube ich, eindeutig Ablehnung.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich etwas zu
der Frage sagen, zu der hier Ausführungen gemacht worden sind, nämlich zu der Frage, was denn die Bundeswehr
bei bestimmten Situationen vielleicht zu unternehmen
hätte. Das entspricht einer Frage, die in diesen Tagen des
Öfteren an mich gestellt wird. Ich werde gefragt: Sagen
Sie mal, Herr Schily, was tun Sie eigentlich, wenn ein
Passagierflugzeug auf den Potsdamer Platz zufliegt? Haben Sie da ein Antikollisionssystem geschaffen oder was
wollen Sie tun? Lassen Sie es abschießen? - Darauf antworte ich: Alles das sind falsche Überlegungen; denn
dann ist es zu spät. Wir müssen, was Sicherheit angeht,
viel früher ansetzen, und zwar in einer tief gestaffelten
Form.
({12})
Sicherheitssysteme dürfen nicht so aufgebaut sein, dass
nach dem Versagen der ersten Stufe auch die zweite nicht
funktioniert. Die verbrecherischen Anschläge in New
York und in Washington waren nicht mehr zu verhindern,
als sich die Flugzeuge auf das World Trade Center und auf
das Pentagon zubewegt haben. Sie wären zu verhindern
gewesen, wenn bei der Fluggastkontrolle und auf anderen Gebieten einige andere Möglichkeiten genutzt worden
wären. Wir müssen - das ist nicht als ein Vorwurf gegenüber den US-Behörden zu verstehen, in dieser Hinsicht
versagt zu haben - über die Verbesserung entsprechender
Maßnahmen nachdenken. Wir werden also über viele Fragen diskutieren müssen.
Ich bin - obwohl es in der Federführung meiner Kollegin Däubler-Gmelin liegt, erlauben Sie mir, einige Sätze
dazu zu sagen - sehr dankbar dafür, wie das Thema Kronzeugenregelung heute angesprochen worden ist. Ich
denke, der Kollege Ströbele hat vollkommen Recht, wenn
er sagt: Wir müssen eine rechtsstaatsgetreue Regelung
finden. Wir befinden uns in der Koalition in sehr konstruktiven Gesprächen. Ich bin entschieden dagegen, eine
Kronzeugenregelung zu schaffen, die auf eine unziemliche Weise einen Deal mit einem Verbrecher darüber vorsieht, welche Aussage er vor Gericht macht.
({13})
Eine Kronzeugenregelung kann aber ein wichtiges
Hilfsmittel zur Verhinderung und zur Aufklärung von
Straftaten sein, wenn sie so gestaltet ist, dass jemand im
Hinblick auf Sanktionen strafrechtlich milder behandelt
wird, wenn er dazu beiträgt, eine Straftat zu verhindern
oder sie aufzuklären. Das ist beispielsweise der Fall, wenn
er die Ermittlungsbehörden zu einem Sprengstoffversteck
bzw. zu einer konspirativen Wohnung führt oder in anderer objektiv nachweisbarer Weise dazu beiträgt, bei der
Strafverfolgung zu helfen.
Ein weiteres wichtiges Vorhaben ist die Abschaffung
des Religionsprivilegs. Dieses Vorhaben besteht nicht
erst seit dem 11. September, sondern schon viel länger. Es
ist zuzugestehen, dass es einige Zeit gedauert hat, bis wir
es auf den Weg gebracht haben. Die vorgetragenen Bedenken sind nicht von mir persönlich geltend gemacht
worden, sondern sie kamen aus kirchlichen Kreisen, in
denen man gemeint hat, es handele sich um eine problematische Lösung. Ich freue mich, dass wir diese Bedenken durch lange und geduldige Gespräche haben überwinden können und dass wir jetzt gemeinsam darangehen,
das Religionsprivileg abzuschaffen. Es geht nicht an, dass
wir Vereinen in Deutschland einen Aktionsraum bieten,
die mit Äußerungen operieren, wie ich sie zitieren darf:
Der Islam ist sowohl eine Religion als auch ein Staat,
sowohl Gottesverehrung als auch Politik. Der Islam
erkennt das laizistische Regime nicht an. Der Islam
ist niemals mit der Demokratie vereinbar. Kurzum
läuft das demokratische Regime im Kern, im Grunde
und Endergebnis dem Islam zuwider.
Das ist nur eine von vielen schrecklichen Äußerungen,
auch solchen antiisraelischer bzw. antisemitischer Art.
Solchem Treiben müssen wir in unserer Demokratie ein
Ende machen.
({14})
Ich werde mit der gebotenen Härte vorgehen, damit das
hier nicht weiter geduldet wird.
Wir werden uns in den nächsten Tagen auch auf ein
zweites Paket zu einigen haben. Ich will nicht alle Einzelheiten vorwegnehmen. Wir werden Ihnen das, worum es
geht, zu gegebener Zeit vortragen. Wie es der Bundeskanzler angekündigt hat, werden wir einen entsprechenden
Kabinettsbeschluss noch in diesem Monat herbeiführen.
Ich will vorweg auf zwei Dinge aufmerksam machen.
Heute ist schon die UN-Sicherheitsratsresolution 1373
erwähnt worden. Ich empfehle allen, diese Resolution
nachzulesen. Das ist keine unverbindliche Resolution, die
zu den Akten gelegt werden kann, sondern diese UNSicherheitsratsresolution müssen wir umsetzen; der Zeitraum dazu ist befristet und die Umsetzung wird auch kontrolliert werden.
({15})
Es wird extra ein Gremium eingesetzt werden, das überprüfen wird, ob die einzelnen Mitgliedstaaten sie umgesetzt haben.
Dort findet sich unter anderem ein Passus, in dem die
Staaten aufgefordert werden, bevor sie einer Person
Flüchtlingsstatus im Einklang mit den entsprechenden
Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts und des Völkerrechts einschließlich der internationalen Menschenrechtsnormen gewähren, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, mit denen sichergestellt werden kann, dass der
Asyl Suchende keine terroristischen Handlungen geplant,
erleichtert oder sich daran beteiligt hat. Es findet sich
ferner der Passus, dass in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht sicherzustellen ist, dass diejenigen, die terroristische Handlungen begehen, organisieren oder erleichtern, den Flüchtlingsstatus nicht missbrauchen können
und dass angebliche politische Beweggründe nicht als
Grund anerkannt werden, Anträge auf die Auslieferung
mutmaßlicher Terroristen abzuweisen.
Das sind, meine Damen und Herren, sehr klare Sätze,
mit denen wir uns zu befassen haben werden. Deshalb
kommt es sehr darauf an, dass auch wir unsere Aufklärungsmöglichkeiten in dem Bereich durch Vernetzung
von Daten und Ähnlichem verbessern. Ich kann das jetzt
nur andeuten.
Es gehört auch in diesen Bereich, dass wir uns mit der
Frage befassen, wie wir in einer Welt, in der die technische Entwicklung fortschreitet, die Identität von Menschen sicher klären und feststellen können. Altmodische
Methoden dazu kann man heute in jedem Pass finden.
Dort gibt es ein Lichtbild, da stehen Name, Geburtsdatum
und -ort, die Augenfarbe und die Körpergröße. Das alles
sind Identifizierungsmerkmale. Man kann sagen, dass es
sich schon, wenn der Staat einem abverlangt, im Ausweis
solche Identitätsmerkmale aufzunehmen, irgendwie um
einen Eingriff in die Privatsphäre handelt. Dieses Argument wird aber doch von niemandem ernsthaft vorgetragen.
Wenn wir nun neuere Methoden der Identifizierung
wie Fingerabdrücke hinzunehmen, dann müssen wir uns
darüber klar sein, dass in Deutschland hier eine emotionale Barriere besteht, weil wir es gewohnt sind, dass
Fingerabdrücke nur bei Tatverdacht und ähnlichen Vorfällen genommen und in eine Datei aufgenommen werden. Das entspricht aber keineswegs der Praxis in allen
anderen Staaten. Ich habe Ihnen hier eine Karte Resident
Alien mitgebracht. Das ist ein Ausweis, mit dem man in
Amerika seit Jahrzehnten ausgestattet wird, wenn man
dort als Ausländer einer Arbeit nachgehen darf. In diesem
Ausweis befindet sich ein Fingerabdruck.
({16})
Ich habe noch nie gehört, dass sich irgendeiner, der nach
Amerika gegangen ist - das ist immerhin die Führungsmacht bei Demokratie und Menschenrechten -, in seinen
Menschenrechten verletzt sah, weil er dort diesen Fingerabdruck abliefern musste.
({17})
Wir müssen also versuchen,
({18})
ein wenig Nüchternheit in die Debatte zu bringen.
({19})
Die modernen Identifizierungsmethoden, die es heute
gibt, wurden immer weiter entwickelt und werden längst
in der Privatwirtschaft angewandt. Gehen Sie doch einmal
auf die CeBIT, da werden Sie entdecken, welche biometrischen Methoden heute schon im Interesse von Privatheit - einschließlich des Fingerabdrucks - genutzt werden. Ich bitte doch, so manche krausen Ideen - das sage
ich jetzt einmal meinem Freund Cem Özdemir - wie die,
dass das womöglich noch die genetische Disposition
eines Menschen zu sehr offenbaren könnte, beiseite zu
lassen.
({20})
Ich glaube, dass man die genetische Disposition doch eher
den Gesichtszügen als dem Fingerabdruck entnehmen
kann. Ich finde, man kann alle Sorgen übertreiben. Wenn
es darum geht, verbrecherische Anschläge zu verhindern,
muss man schon einmal gegeneinander abwägen, ob wir
dafür sorgen wollen, dass wir wissen, wer zu uns kommt,
oder ob wir krausen Überlegungen eines so genannten
Sachverständigen folgen wollen.
({21})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss - ich glaube, Frau Kollegin Däubler-Gmelin hat
das schon getan - ausdrücklich noch einmal wiederholen,
weil ich weiß, wie es den Menschen geht: Unsere Polizeien in Bund und Ländern sind in der gegenwärtigen
Lage in einer Weise angespannt, wie es sich mancher von
uns gar nicht vorstellen kann. Der BGS fährt zum Teil
12-Stunden-Schichten. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir
als Deutscher Bundestag einmütig sagen: Diesen Männern und Frauen gebührt wahrlich großer Dank dafür,
dass sie diese Arbeit in einer Ausdauer und Anspannung,
die wirklich ganz ungewöhnlich und nicht alltäglich sind,
leisten.
({22})
Wir stehen vor der großen Aufgabe, diese Ausdauer,
Disziplin und Einsatzbereitschaft fortzuführen. Wir wissen alle: Die jetzige Auseinandersetzung ist nicht auf Tage
oder Wochen und noch nicht einmal auf Monate angelegt,
sondern sie wird über eine sehr lange Zeit anhalten. Eine
solche Einsatzbereitschaft in dieser Größenordnung aufrechtzuerhalten wird besondere Anstrengungen erfordern.
Es erfordert auch von uns viel Ausdauer, Disziplin und
vor allen Dingen Verantwortungsbereitschaft. In diesem
Sinne hoffe ich, dass alle parlamentarischen Fraktionen
- auch mit der Bundesregierung - zusammenwirken.
Dafür bedanke ich mich im Voraus.
({23})
Ich erteile dem Kollegen Erwin Marschewski für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst darf ich mich für meine Fraktion bei den
Diensten für ihre Tätigkeit herzlich bedanken. Wer könnte
das besser wissen als jemand, der Mitglied der Kontrollkommission der Dienste ist? - Herzlichen Dank, meine
Damen und Herren.
({0})
Herr Bundesinnenminister, Sie haben dieser Debatte
entnommen, dass wir Ihre Vorschläge unterstützen. Sie
sind vernünftig, abgewogen und für sich betrachtet gut.
Meine Damen und Herren der Grünen und zum Teil auch
der SPD, diese Gesetzesvorschläge werden den Rechtsstaat nicht beeinträchtigen und sie werden ihn schon gar
nicht aus den Angeln heben. Deswegen verstehe ich die
vorgestrige ARD/ZDF-Frage an Passanten in Berlin nicht.
Die Frage Wollen Sie mehr innere Sicherheit oder weniger Rechtsstaat?, die das deutschen Fernsehen gestellt
hat, ist absurd. Es handelt sich um Unsicherheit und Angst
erzeugende Stimmungsmache
({1})
und entspricht nicht dem Auftrag der deutschen Fernsehanstalten. Herr Ströbele, unsere Antwort ist die: Wer Freiheit gegen Sicherheit ausspielt, wird beides verlieren.
({2})
Hier will niemand Bürgerrechte einschränken. Wir
wollen die freiheitlichste demokratische Ordnung, die
Deutschland je hatte, erhalten und nach dem 11. September besonders stärken. Wir wissen: Freiheit ist ohne Sicherheit nicht denkbar. Deswegen habe ich vor ein paar
Wochen in diesem Hohen Hause gesagt: Unser Gemeinwesen wird mehr für die innere Sicherheit in Deutschland tun müssen. Meine Damen und Herren der SPD und
der Grünen, Sie haben mir übrigens für diese richtige
Äußerung leider keinen Beifall gespendet. Ich habe weiter gesagt: Wir wollen die wehrhafte Demokratie im
Kampf gegen jede Form von Extremismus. Als ich forderte, dass die Regelanfrage beim Verfassungsschutz eingeführt werden sollte, und darauf hinwies, dass in Bayern
seit 1998 rund 200 Einbürgerungen abgelehnt wurden,
({3})
haben Sie, meine Damen und Herren von der SPD, von
Ladenhütern der Union gesprochen.
({4})
Meine Damen und Herren, jetzt wollen Sie einführen:
den verdeckten Ermittler, Fingerabdrücke auf dem Ausweis. Ferner wollen Sie für eine Verschärfung der Bestimmungen beim Kampf gegen die Geldwäsche sorgen.
Das sind Ihre Vorschläge? Ich will in dieser Stunde der
Gemeinsamkeiten nun wirklich nicht nachkarten und
schon gar nicht rechthaberisch sein.
({5})
Herr Bundesinnenminister, meine Parteivorsitzende, Frau
Merkel, hat aber Recht. Sie haben bis vor wenigen Tagen
leider kein einziges neues Gesetz zur wirksamen Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität
vorgelegt. Das ist die Wahrheit. Ich will sicherlich einräumen, dass das - das ist wahr - gar nicht Ausdruck Ihrer
persönlichen Meinung ist. Wenn ich aber zur SPD schaue,
stelle ich fest: Ihr - ich hoffe, Herr Wiefelspütz, dass die
Einsicht nun da ist - hat der Wille gefehlt. Mut und Entschlusskraft waren Ihnen offensichtlich fremd. Bei den
Grünen - von ihnen ganz zu schweigen - ist eine Realitätsbezogenheit überhaupt nicht vorhanden. Ich finde es
schon bemerkenswert, dass der Bundesinnenminister zum
innenpolitischen Sprecher der Grünen sagt, er habe krause
Ideen. Das zeigt die Situation in der Koalition und ihr Verhältnis zur inneren Sicherheit.
({6})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?
Ich möchte mit meinen Ausführungen fortfahren.
({0})
Meine Damen und Herren, ich zitiere aus einer Zeitung
den Herrn Prantl. Er ist wirklich nicht mein Wegbegleiter,
schon gar nicht jener der Union. Ich möchte Ihnen aber
vorlesen, was selbst er geschrieben hat:
Es ist bitter, dass es offensichtlich erst Terror
braucht, um eklatante Missstände abzustellen - Missstände, die mit dem Wirrwarr bei der polizeilichen
Datenverarbeitung beginnen
({1})
und die noch lange nicht damit aufhören, dass es
zwar seit geraumer Zeit maschinenlesbare Personalausweise gibt, aber nicht genügend Maschinen, die
diese Ausweise auch lesen können.
Recht hat der Herr Dr. Prantl hier, meine Damen und
Herren.
({2})
Damit sind wir mitten in der Debatte über unsere
Forderungen. Die neuen Herausforderungen zwingen
zu neuen Sichtweisen. Wir brauchen bei allem Dank an
die Dienste mehr hoch qualifizierte Personen, ein besseres Know-how und eine bessere Ausrüstung der Sicherheitskräfte. Wir müssen mehr als bisher finanzieren.
Wir haben die strategische Kontrolle eingeführt. Sie
bedeutet, dass der Bundesnachrichtendienst Gespräche
auch aus dem Bereich des Terrorismus aufzeichnen kann.
Max Stadler und ich haben das damals in der Koalition
vorgelegt und das Bundesverfassungsgericht hat dies als
verfassungsgemäß - zumindest dem Grunde nach - bestätigt.
({3})
Aber diese Kontrolle ist nicht durchführbar, weil Menschen und Mittel fehlen. Das ist doch skandalös. Die Investitionen in Sicherheit sind Investitionen in die Zukunft.
({4})
Ein zweites Beispiel auf Länderebene: Richtig ist
doch, dass der Verfassungsschutz in Hessen eine Mittelkürzung um 20 Prozent hinnehmen musste und dadurch
weniger Personen einstellen konnte. Richtig ist auch, dass
es eine Reduzierung in Niedersachsen, in Hamburg und in
Rheinland-Pfalz gibt. Wer die Situation kennt, Herr Bundesinnenminister, der muss von einer miserablen Lage der
Dienste sprechen; das wird jeder, der mit den Dingen zu
tun hat, bestätigen. Die Lage ist so, obwohl im Verfassungsschutzbericht des Jahres 2000 85 000 Rechts- und
Linksextremisten, 60 000 Mitglieder in extremen ausländischen Organisationen, 31 000 Mitglieder in islamischen
Gruppen verzeichnet sind. Der Personalabbau bei den
Diensten, meine Damen und Herren, war ein schwerer
Fehler.
({5})
Deswegen ist es kein Wunder, dass das Wissen über die
Islamisten bei den Diensten trotz Herrn Dr. Frisch, den ich
sehr gut kenne, wie Sie wissen, sehr gering ist.
Herr Kollege Ströbele wollte sich gerade zu einer Zwischenfrage melden. Ich möchte ihm etwas sagen: Sie sind
offensichtlich immer noch der Meinung, wie es im Wahlprogramm der Grünen steht, dass wir den Verfassungsschutz abschaffen sollten. Wer einen solchen Unsinn, eine
solche Absurdität verkündet, der verzichtet doch auf das
Erwin Marschewski ({6})
wirksamste Mittel, das es im Einsatz gerade gegen Terroristen gibt.
({7})
Herr Bundesinnenminister, ich begrüße auch, dass wir
- das ist kein neuer Vorschlag - das Religionsprivileg abschaffen. Extremistische Organisationen, die sich unter
dem Deckmantel einer Religionsgemeinschaft terroristisch-kriminellen Machenschaften widmen, müssen verboten werden. Dies hat insbesondere für Islamisten zu
gelten, die eine Gesellschaftsordnung nach den Grundsätzen der Scharia errichten wollen. Dies steht, um es zu wiederholen, in unauflöslichem Widerspruch zum Prinzip der
Volkssouveränität, zum Mehrheitsprinzip und zum
Gleichheitsgrundsatz, also zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung schlechthin.
Deswegen müssen wir auch Verbote aussprechen, Herr
Bundesinnenminister: Es darf keinen Platz für Terroristen
in Deutschland geben. Wer sich extremistisch betätigt,
muss ausgewiesen werden.
({8})
Wer eine Gefahr für die innere Sicherheit in Deutschland
darstellt, weil er schwere Straftaten begeht, darf durch das
deutsche Asylrecht nicht geschützt werden. Sie haben zu
Recht auf die UN-Resolution verwiesen.
Ich habe neulich einen Artikel eines Kollegen, der in
der SPD für Innenpolitik zuständig ist, gelesen. Der Kollege Wiefelspütz, der nach mir redet, schrieb: Die Grundrechte gelten auch für Extremisten. - Meine Damen und
Herren, wer sich extremistisch betätigt, verwirkt diese
Grundrechte; das ist unsere Position.
({9})
Der Bundesinnenminister hat auch den Datenschutz
angesprochen. Ich bin voll Ihrer Meinung. Sie kennen unsere Philosophie: Datenschutz ja, Täterschutz nein! Das
ist keine Leerformel. Können Sie sich vorstellen, dass es
nicht möglich war, in Deutschland die Daten aller Studenten - je nach Ländern getrennt - die in technischen, sicherheitsrelevanten Bereichen studieren, zusammenzufassen? Da legt der Bundesbeauftragte für den Datenschutz
Einspruch ein und den Diensten ist dies untersagt. Das
kann doch nicht sein, gerade angesichts der neuen Erkenntnisse, die wir haben. Datenschutz ja, Täterschutz
nein - das ist unsere Position!
({10})
- Ach, Herr Kollege Stiegler! Es ist nicht einmal ein halbes Jahr her, da habe ich an dieser Stelle das Ausländerzentralregister gefordert. Sie haben Nein gesagt. Ich bedanke mich, dass es jetzt gemacht wird. Bei den
Fingerabdrücken haben Sie vor einem halben Jahr Nein
gesagt - ich kann Ihnen die Rede gleich zeigen -, wir haben Ja gesagt. Wir haben gesagt, wir müssten die Notwendigkeiten im Datenschutz neu definieren. Wir haben
Ja gesagt, Sie haben Nein gesagt.
({11})
Wir haben gesagt, wir wollen ausländische Personen und
Organisationen erfassen. Sie haben Nein gesagt, wir haben Ja gesagt.
Meine Damen und Herren, der Staat darf sich nicht unwissender stellen als er ist. Das ist das Problem. Auch Polizeien und Dienste - wir haben das ebenfalls gefordert müssen noch enger, noch mehr zusammenarbeiten. Auch
da sind Verbesserungen möglich. Ich weiß, dass Sie in der
letzten Zeit Maßnahmen ergriffen haben.
Gemeinsam müssen wir auch den Terrorismus
bekämpfen. Sie, Herr Bundesinnenminister, haben Vorschläge unterbreitet. Wir, die Union, geben Ihnen hierfür
die politische Rückendeckung.
Wir haben ein Programm in den Deutschen Bundestag
eingebracht mit dem Titel: Sicherheit 2001. Wir sagen
darin, was zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu tun ist. Wir hoffen, meine Damen und Herren, sehr
geehrter Herr Bundesminister, insbesondere auf Ihre Unterstützung. Wir bitten auch um die Zustimmung der Mitglieder des gesamten Deutschen Bundestages, weil der
Terrorismus uns alle bedroht.
Herzlichen Dank.
({12})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Häfner vom
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Lieber Herr Marschewski, ich werde es kurz machen, aber
deutlich. Denn Ihr Beitrag hat mich doch
({0})
erschrocken. Ich habe vor allen Dingen folgende Sätze
mitbekommen: Sie haben gesagt: Wer sich extremistisch
bewegt, darf keine Grundrechte genießen. - Damit bewegen Sie sich außerhalb des Konsenses unseres Grundgesetzes, Herr Marschewski.
Die Grundrechte gelten in der Tat für jeden. Extremistische Äußerungen - das gilt auch für das, was Sie heute
vorgetragen haben - sind nach geltendem Recht noch kein
Erwin Marschewski ({1})
Grund, dass diese verwirkt werden. Ein Zweites, möchte
ich deutlich sagen.
({2})
- Herr Geis, Sie kennen das Grundgesetz genauso gut wie
ich. Soll ich Ihnen es vorlesen?
({3})
Da heißt es:
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift
und Bild frei zu äußern... Alle Deutschen haben das
Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich
und ohne Waffen zu versammeln.
({4})
- Alle Deutschen, heißt es hier, auch solche mit extremistischen Gesinnungen. Für diese Rechte werden wir kämpfen. Wir werden mit Gesetzen und darauf gestützten Eingriffsmöglichkeiten verhindern, dass Terror stattfindet
und Gewalt gebraucht wird. Aber wir werden nicht die
Grundrechte zur Disposition stellen.
({5})
- Hören Sie doch einmal einen Moment zu und lassen Sie
es mich in einem zweiten Punkt noch deutlicher sagen. Sie
haben gesagt: Wer Freiheit gegen Sicherheit ausspielt,
wird beides verwirken.
Genau dies ist aber der Auftrag der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, unserer Verfassung, dass Freiheit und Sicherheit immer wieder in jedem einzelnen
Punkt aufs Neue gegeneinander abgewogen werden müssen. Ohne solche Abwägung hätten wir keine freiheitlich-demokratische Grundordnung mehr.
({6})
- Nein, Art. 1 sagt unmissverständlich: Die Würde des
Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen
ist oberste Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Der
Staat hat diese Würde zu achten. Sicherheit muss gegen
Freiheit abgewogen werden.
Wer hier so redet, als könne man auf diese Abwägung
künftig verzichten oder bräuchte sie von heute an nicht
mehr zu treffen, der macht mir Angst.
({7})
Mir sind Sicherheits- und Innenpolitiker, die diese Abwägung maßvoll und besonnen treffen, lieber.
Ich danke Ihnen.
({8})
Herr Kollege
Marschewski, Sie wollen antworten? - Bitte sehr.
Herr Kollege Häfner, der Bundesinnenminister hat vorhin
von krausem Zeug gesprochen. Das war gerade auch
krauses Zeug. Jeder deutsche Bürger hat das Recht, sich
zu versammeln und zu demonstrieren; Versammlungsfreiheit gilt selbstverständlich für alle. In Art. 18 steht
aber: Wer dies zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung missbraucht - das tun Terroristen -, der verwirkt diese Grundrechte. Das sollten Sie als
Parlamentarier zumindest wissen, lieber Herr Kollege.
({0})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Dieter Wiefelspütz von der SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Nach einer weitgehend sachlich geführten Debatte gibt es nun doch noch Aufwallungen. Herr Marschewski, ich schätze Sie durchaus als kernigen, kantigen Kollegen im Innenausschuss. Ich meine
das so, wie ich es sage. Lesen Sie aber bitte später einmal
nach, was Sie gesagt haben. Sie haben zumindest den Eindruck erweckt, als seien Sie es, der einem Menschen
Grundrechte aberkennen könnte. Das ist nicht der Fall.
Das dürfen Sie nicht. Hinsichtlich der Frage, ob Grundrechte verwirkt werden, gilt Art. 18 Grundgesetz. Es steht
ausschließlich dem Bundesverfassungsgericht zu - nicht
Ihnen und auch nicht mir -, Menschen Grundrechte abzuerkennen.
({0})
Das hätten Sie etwas anders formulieren können und auch
müssen. Ich bitte Sie in aller Besonnenheit, da noch einmal nachzuschauen.
Die Bundesrepublik Deutschland war vor dem 11. September ein sehr freies und auch ein sehr sicheres Land. Es
macht überhaupt keinen Sinn, wenn wir uns heute im
Nachhinein vor dem Hintergrund des 11. Septembers
wechselseitig vermeintliche Nachlässigkeiten vorhalten,
die wir vor dem 11. September begangen hätten.
({1})
Wen interessiert denn das eigentlich? Die Bürgerinnen
und Bürger, lieber Herr Geis, haben einen Anspruch darauf, dass der Staat innere Sicherheit verbürgt.
({2})
Wofür haben wir denn den Staat? Wir haben den Staat vor
allem dafür, dass den Bürgern Sicherheit vermittelt wird;
denn Sicherheit ist eine unerlässliche Voraussetzung für
Freiheit.
({3})
- Da sind wir alle einer Meinung, Herr Kauder; das wollen Sie doch nicht bestreiten?
({4})
- Lieber Herr Kauder, auch vor dem 11. September war
die Bundesrepublik Deutschland eines der freiesten und
eines der sichersten Länder der Welt. Wollen Sie das
ernstlich bestreiten? Das können Sie doch nicht ernstlich
bestreiten.
({5})
Daran wird sich auch nach dem 11. September nichts
ändern. Ich füge allerdings hinzu: Weil niemand von uns,
weder hier in Deutschland noch andernorts - bis auf einige schlimme Verbrecher -, sich den 11. September hätte
vorstellen können, werden wir auf die neuen Fragen, die
sich stellen, auch neue Antworten finden müssen. Das tun
wir entschlossen, zielorientiert, kraftvoll, aber auch besonnen. Wir wollen - da haben wir keine Einigkeit - keine
Militarisierung der inneren Sicherheit. Wir brauchen
keine neuen Vorschriften für die Bundeswehr, die vor allen Dingen für die äußere Sicherheit zuständig ist. In Bezug auf ihren Einsatz im Innern haben wir völlig ausreichende Vorschriften.
({6})
Polizei kann Militär nicht ersetzen; Militär kann Polizei
nicht ersetzen.
({7})
Das wissen wir alle doch auch. Das sind Geisterdiskussionen, die da geführt werden. Wir brauchen keine neuen
Behörden,
({8})
sondern da und dort bei bestehenden Behörden mehr Effektivität und auch mehr Geld und Personal, damit sie ihre
Arbeit in den Bereichen, in denen sie überlastet sind, besser machen können.
({9})
Wir brauchen auch keine Nationalgarde - ein Vorschlag,
der übrigens auch aus unseren Reihen kam -, weil das,
was die Amerikaner - durchaus erfolgreich - machen,
nicht mit dem vergleichbar ist, was wir hier in Deutschland machen. Wir haben ein anderes Verfassungsgefüge.
Wir müssen klar und zielorientiert das tun, was nötig
ist. Wir werden keine totale Sicherheit herstellen können.
Das ist aber auch nicht gefragt. Das Menschenmögliche
muss gemacht werden. Das, was notwendig ist - seien wir
doch auch da ganz freimütig -, lieber Herr Marschewski,
werden wir hier in diesem Hause mit breiter Mehrheit tun.
Das Sicherheitspaket 1 hat Ihre Zustimmung, die der FDP
und vielleicht auch die der PDS gefunden. Das Sicherheitspaket 2, das in Vorbereitung ist, wird ebenfalls mit
breitester Mehrheit beschlossen werden. Ich kann nicht
ausschließen, dass noch ein drittes oder viertes Paket folgen wird.
Ich bin der Auffassung, dass die Sicherheitsphilosophie in Deutschland durch den 11. September nachhaltig
beeinflusst werden wird. Wir werden das Rad nicht neu
erfinden müssen. Dennoch muss man feststellen, dass
sich die Lage verändert hat.
({10})
Wir werden noch viele Monate die Maßnahmen abarbeiten müssen, die sich aus den Herausforderungen ergeben.
Wir tun dies aber als freiheitlicher Rechtsstaat, weil wir
dieses kostbare Gut Freiheit nicht gefährden wollen. Wir
werden Antworten finden, die auf den Mitteln eines sich
entschlossen verteidigenden Rechtstaates beruhen. Dazu
gibt es keine Alternative. Das ist die Gemeinsamkeit, die
uns alle eint.
({11})
Wir sollten nicht versuchen, Schlachten der Vergangenheit zu schlagen,
({12})
die uns wirklich nicht weiterbringen.
({13})
Lieber Herr Marschewski und lieber Herr Geis, ob Sie es
glauben oder nicht: Sie werden diesem Kurs der Bundesregierung folgen.
Ein Schlusssatz. Wer glaubt, er könne bei Rot-Grün auf
Streit über die innere Sicherheit spekulieren, den werden
wir enttäuschen; denn Rot-Grün wird gemeinsam handeln.
({14})
Innere Sicherheit ist ein Markenartikel von Rot-Grün.
({15})
Es ist auch ein Markenartikel des Ministers, den wir gemeinsam unterstützen.
({16})
Herr Marschewski, wir haben den Personalabbau beim
Bundesamt für Verfassungsschutz gestoppt.
Herr Kollege, Sie waren doch schon in der Schlussphase Ihrer Rede.
Jawohl. - Herr Ströbele
und der innenpolitische Sprecher einer anderen Regierungspartei, den Sie, Herr Marschewski, gerade angesprochen haben, haben das G-10-Gesetz vor dem 11. September verantwortlich entworfen. Im Übrigen haben auch
Sie diesem Gesetz zugestimmt. Dies ist ein Gesetz, das
wir gerade vor dem Hintergrund weltweiter terroristischer
Herausforderungen dringend benötigen. Sie werden sich
wundern, was uns in Sachen innere Sicherheit noch alles
einfällt, Herr Marschewski.
({0})
Das Wort hat nun der
Kollege Dr. Max Stadler.
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Der erste Teil der Rede von
Herrn Wiefelspütz - danach ist er zum Wahlkampf übergegangen - und die Kurzintervention des Kollegen
Häfner haben wie manche andere Beiträge das Kernproblem der heutigen Aussprache berührt: das Verhältnis von
Sicherheit und Freiheit. Deswegen möchte ich Sie daran
erinnern, dass dieses Hohe Haus im Frühjahr dieses Jahres fraktionsübergreifend einen Beschluss gefasst hat, mit
dem wir uns verpflichtet haben, Rechtsextremismus,
Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt zu bekämpfen. Wir sehen es nämlich als unerträgliche Einschränkung der persönlichen Freiheit an, wenn sich Menschen in so genannten national befreiten Zonen nicht
mehr sicher und frei bewegen können. Unser Grundgedanke war: Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit.
({0})
Dieser Grundgedanke gilt angesichts der Bedrohung
durch den internationalen Terrorismus erst recht. Deshalb unterstützt die FDP als Freiheitspartei ausdrücklich die Bemühungen der Bundesregierung und des
Bundesinnenministers Otto Schily, die innere Sicherheit in Deutschland zu verbessern.
Ein Kriterium für die Zustimmungen im Einzelnen ist
selbstverständlich, dass die Maßnahmen geeignet und
notwendig sein müssen. In diesem Zusammenhang
kommt man sehr rasch zur Frage des Vollzugsdefizits bei
der inneren Sicherheit: Woran liegt es, dass offenkundig
die zahlreichen zum Beispiel von CDU/CSU und FDP in
den beiden letzten Legislaturperioden beschlossenen Sicherheitsgesetze in der Praxis nicht richtig und nicht
ausreichend angewandt werden? Man kommt rasch zu der
Feststellung, dass es den Sicherheitsbehörden an Personal- und Sachausstattung fehlt.
({1})
Die Politik muss bereit sein, den Sicherheitsbehörden das
notwendige Personal und die notwendige Ausstattung zur
Verfügung zu stellen.
({2})
Wir dürfen die Innenminister, die Justizminister und die
Finanzminister von Bund und Ländern aus dieser Verantwortung nicht entlassen. Denn das wäre die wirksamste
Maßnahme, die man sofort ergreifen könnte.
({3})
Darüber hinaus werden nun zahlreiche Gesetzesänderungen diskutiert. Die FDP-Fraktion hat dazu in einem
umfangreichen Thesenpapier bei weitgehender Zustimmung zu den Vorschlägen der Bundesregierung eine
differenzierte Position vertreten. Wir werden den notwendigen Gesetzesänderungen zustimmen. Aber das heißt
nicht, dass wir alles unbesehen unterschreiben werden.
({4})
Zum Beispiel bleibt die FDP dabei, dass jetzt nicht unter
dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung der gläserne
Bürger geschaffen werden darf.
({5})
Meine Damen und Herren, es ist dem Vorschlag zuzustimmen, neue identitätssichernde Maßnahmen vorzusehen, etwa Fingerabdrücke oder vielleicht modernere technische Maßnahmen für die Ausweispapiere.
({6})
Das eigentliche Problem ist doch: Was geschieht mit Daten, die notwendigerweise erhoben werden? Da ist allerdings durch die Datenschutzgesetzgebung und auch durch
die verdienstvolle Tätigkeit der Datenschutzbeauftragten
- zum Beispiel berichtet Herr Jacob jährlich dem Bundestag - sichergestellt, dass diese Daten ausschließlich
zweckgebunden verwandt werden. Darauf kommt es an.
({7})
Herr Minister Schily, wir sind Ihnen dankbar, dass Sie
heute klargestellt haben, dass der Einsatz der Bundeswehr nach innen über das verfassungsmäßig zulässige
Maß hinaus für Sie nicht infrage kommt, ebenso wenig
die Schaffung unnützer Bürokratien wie eines Bundessicherheitsamts. Das deckt sich voll mit der Auffassung der
FDP.
Meine Damen und Herren, zu einer rationalen Sicherheitspolitik gehört auch die ständige Erfolgskontrolle von
gesetzgeberischen Maßnahmen. Die FDP hatte sich dafür
eingesetzt, im Bereich der Telefonüberwachung eine solche Erfolgskontrolle durch den Bundestag einzuführen.
An diesem Modell werden wir uns auch jetzt bei neueren
gesetzlichen Maßnahmen orientieren, weil wir wollen,
dass Gesetzgebung nicht Aktionismus bleibt, sondern
wirklich erfolgsbezogen arbeitet.
({8})
Lassen Sie mich als Letztes noch erwähnen, dass im
Zuge der internationalen Bedrohung vieles Stückwerk
bliebe, wenn Maßnahmen nicht international vereinbart
würden, mindestens EU-weit. Sonst könnte manches, was
jetzt vorgeschlagen wird, zu leicht umgangen werden.
Dies ist ein besonders wichtiger Aspekt aus der Sicht der
Freien Demokraten.
Meine Damen und Herren, ich möchte insofern um
Verständnis für den Kollegen Marschewski werben, als
seine Formulierung zu der Frage, wer Grundrechte hat
und wer sie nicht hat, in der Hitze des Gefechts vielleicht
nicht völlig geglückt war. Es ist doch völlig selbstverständlich, dass jeder Mensch das unveräußerliche Recht
auf Leben und die Menschenwürde hat und dass es unveräußerliche Menschenrechte gibt.
({9})
Weil ein solcher sprachlicher Lapsus eben auch einmal
vorkommen kann, darf ich am Schluss mein ceterum censeo wiederholen: Wir werden die Freiheit und die Sicherheit schützen, aber ausschließlich mit rechtsstaatlichen
Mitteln.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 14/7026, 14/7025, 14/7008,
14/6834, 14/5938 und 14/6079 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Dazu
gibt es keine anderen Vorschläge. Dann ist es so beschlossen.
Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 4 sowie Zusatzpunkt 3 auf:
4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Schnieber-Jastram, Karl-Josef Laumann, Brigitte
Baumeister, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Arbeit vermitteln statt Arbeitslosigkeit verwalten - Mehr Beschäftigung durch Effizienz,
Transparenz und Subsidiarität im Arbeitsförderungsrecht
- Drucksache 14/6162 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Heidi
Knake-Werner, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Klaus Grehn,
Pia Maier und der Fraktion der PDS.
Der Einstieg in einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor ermöglichen.
- Drucksache 14/7070 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Damit sind Sie einverstanden.
Nun warte ich, bis der Schichtwechsel sich erledigt
hat. - Eigentlich können die Innenpolitiker ruhig zuhören;
das kann sie auch interessieren. - Herr Geis bleibt sitzen;
sehr gut.
({2})
- Ich habe gerade eingeladen, zu dem wichtigen Thema
hier zu bleiben.
({3})
Dann darf ich die Aussprache eröffnen. Das Wort hat
die Kollegin Schnieber-Jastram für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man in
diesen Tagen des Terrors und der Bomben an das Rednerpult dieses Hauses tritt, um über Arbeitsmarktpolitik zu
sprechen, dann hat man immer ein bisschen das Gefühl,
man spreche über Nebensächlichkeiten.
({0})
Ich möchte sehr deutlich machen, dass das nicht der
Fall ist. Wir sprechen hier über das Schicksal von knapp
3,8 Millionen Menschen und deren Familien. Es gibt eine
Reihe von Anzeichen, die sehr sorgenvoll stimmen. Man
muss zur Kenntnis nehmen, dass es 73 Prozent mehr
Kurzarbeiter gibt. Hiervon sind 113 000 Menschen betroffen. Wenn vor diesem Hintergrund die stellvertretende
DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer sich eher als
Steigbügelhalterin der Regierung betätigt und vergisst,
dass auch die DGB-Mitglieder Interessen haben,
({1})
dann versetzt mich das in ziemlich großes Erstaunen.
({2})
Was hat der Bundeskanzler in den vergangenen drei
Jahren für den Abbau der Arbeitslosigkeit getan? Was ist
aus seinen vollmundigen Versprechungen geworden?
({3})
Was macht sein Arbeitsminister Riester? Ist es wirklich
ein Zufall, dass man seinen Namen nur noch im Zusammenhang mit dem Altersruhegeld hört?
({4})
Ich zitiere ja immer gerne die Süddeutsche Zeitung
- das tun auch viele andere meiner Kollegen -, weil ihr
keine übertriebene Nähe zur CDU/CSU nachgesagt werden kann.
({5})
Dort heißt es zu den neuesten Arbeitsmarktzahlen:
Die rot-grüne Koalition hat sich längst mit der
Massenarbeitslosigkeit abgefunden. Für den SPDVorsitzenden Schröder ist dieser Umstand ein Armutszeugnis.
({6})
Wenn wir schon von einem Armutszeugnis sprechen,
dann sollte ich auch auf Ihr so genanntes Job-Aqtiv-Programm - es enthält ja dieses neckische Q - eingehen.
({7})
Dazu kann ich nur sagen: Wenn Herr Riester für die Arbeitsmarktpolitik so viel Fantasie aufbringen würde wie
für das Erfinden von Namen, dann würden wir heute ein
Stückchen weiter sein.
({8})
Es sprengt ein wenig den Zeitrahmen, wenn man hier
alle Kritikpunkte aufzählen will. Auch will ich nicht die
für den nächsten Montag geplante Anhörung vorwegnehmen.
({9})
Aber eines möchte ich deutlich machen: Ihr neues Instrument, eine beschäftigungsschaffende Infrastrukturförderung, ist nicht nur beschäftigungspolitisch unwirksam,
sondern auch ordnungspolitisch völlig verfehlt.
({10})
Ich möchte Ihnen hierzu einmal vorlesen, was Ihre
Staatssekretärin Frau Ulrike Mascher
({11})
in der Aktuellen Stunde am 4. April 2001 meiner Kollegin
Dagmar Wöhrl auf die Frage, ob es Überlegungen gebe,
Mittel aus ABM in kommunale Investitionen umzulenken, geantwortet hat. Ihre Staatssekretärin hat dazu
gesagt, eine unmittelbare Förderung kommunaler Investitionen scheide aus. Kommunale Investitionen gehörten
- ich zitiere wörtlich ... zu den gesamtgesellschaftlichen Aufgaben, die
aus Steuermitteln finanziert werden müssen.
({12})
In Ihrem hierzu vorliegenden Gesetzentwurf machen
Sie allerdings eine absolute Kehrtwendung hinsichtlich
dieser Aussage. Ich wäre einem Vertreter der Regierung
bzw. der Regierungsfraktionen wirklich sehr dankbar,
wenn er mir die Ursachen für diese Neuorientierung, die
seit April dieses Jahres erfolgt, erläutern könnte.
({13})
Der Entwurf eines Job-Aqtiv-Gesetzes beinhaltet offensichtliche Fehler. Dennoch bin ich der Meinung, man
sollte das Angebot des Ministers Riester, bei der Reform
des Arbeitsförderungsgesetzes einen Konsens mit der
Opposition zu erzielen, nicht ignorieren. Ich hoffe, das ist
auch Ihre Position. Nehmen wir also einfach unseren vorliegenden Antrag als Grundlage für einen Konsens und ergänzen ihn um die guten Ideen aus dem Entwurf Ihres
Job-Aqtiv-Gesetzes!
({14})
Ich weiß allerdings nicht, ob unser Antrag durch diese Ergänzung bedeutend länger wird. Denn obwohl einige
Denkansätze in Ihrem Entwurf in die richtige Richtung
gehen, sind die daraus folgenden Maßnahmen in der Regel so betulich und so vorsichtig, dass jede Wirkung verpuffen muss.
Es wird so bleiben, wie es bereits seit langer Zeit unter
der Regierung Schröder ist: Deutschland belegt im europäischen Umfeld - Sie wollen das nicht wahrhaben; ich
habe das gestern im Ausschuss gemerkt - sowohl bezüglich des Wirtschaftswachstums als auch bezüglich des Abbaus der Arbeitslosigkeit einen der hinteren Plätze. Daher
muss man die Frage stellen: Warum ist das so? - Weil unter dieser Bundesregierung die drei Kernbegriffe einer
guten Arbeitsmarktpolitik nicht nur vernachlässigt, sondern sogar zurückgedrängt wurden. Diese drei Begriffe
sind: Effizienz, Transparenz und Subsidiarität.
({15})
Ich will diese drei Begriffe hier einmal verständlicher
machen:
Stichwort Effizienz. Die Steuerzahler und diejenigen,
die in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, geben
jährlich 40 Milliarden DM und mehr für Arbeitsförderungsprogramme aus, aber kein Mensch im Hause
Riester weiß letztendlich, wie viele Erwerbslose durch
diese 40 Milliarden DM wieder in Arbeit gekommen sind.
({16})
Wir fordern deshalb eine strikte Kontrolle der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen über eine Auswertung der
vermittelten Personen. Programme, die ihre Wirksamkeit
nicht über eine ausreichende Zahl von Vermittlungen in
den ersten Arbeitsmarkt nachweisen können, müssen entweder verbessert oder eingestellt werden. Arbeitsmarktpolitik bedeutet für uns nämlich Vermittlung in den ersten
Arbeitsmarkt und sie bedeutet sicher nicht Parken der Erwerbslosen in Programmen und Maßnahmen, nicht noch
leichteres Abschieben der älteren Arbeitnehmer in die
Frühverrentung und nicht das Schieben der Langzeitarbeitslosen in die Drehtür zwischen Arbeitslosengeld
und Sozialhilfe.
({17})
Genau dies aber fördert die Bundesregierung mit ihrer
Arbeitsmarktpolitik; zumindest unterbindet sie es nicht.
Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass die im Job-AqtivGesetz enthaltenen Ausweitungen bei ABM und den
Strukturanpassungsmaßnahmen nicht der richtige Weg
sind, und meine Kollegen teilen diese Position.
({18})
Stichwort Transparenz. Ich muss Ihnen ganz ehrlich
sagen: Es kann wirklich nicht angehen, dass ein Handwerksmeister, fähig zum Beispiel zum Tischlern, mindestens drei Semester Jura und ein bisschen Betriebswirtschaft studiert haben muss, um zu wissen, über welchen
der vielen Töpfe im Arbeitsförderungsgesetz er bei der
Einstellung von Langzeitarbeitslosen finanzielle Hilfe erhalten kann.
({19})
Dies muss wirklich dringend vereinfacht werden und die
Subventionsmöglichkeiten müssen so durchschaubar und
praxisnah gestaltet werden, dass auch der Handwerker
dieses Instrument beherrschen kann, sodass sein Frust
über seine hohen Beiträge nicht darin mündet, dass er
sagt: Warum zahle ich immer für andere, kann das Instrument aber nie selbst nutzen?
({20})
Dasselbe gilt natürlich für private und öffentliche Vermittlertätigkeit. Wir brauchen klare Grundsätze. Ein Arbeitsloser, der nach zehn Bewerbungsgesprächen keine
Stelle bekommen hat, erhält zur Unterstützung eine Assistenz an seine Seite, die ihm bei der Arbeitssuche hilft, aber
auch seine Arbeitsbereitschaft überprüft. Private Vermittler, die einen Langzeitarbeitslosen in Arbeit bringen, erhalten eine nach der Schwere der Vermittelbarkeit festgelegte Prämie, die diesen Vermittlerfirmen auch eine
Kalkulationssicherheit gibt. Nötig sind verlässliche und
einfache Grundlagen des Arbeitsförderungsrechts für Erwerbslose, Arbeitgeber und Vermittler.
Als letztes Stichwort möchte ich die Subsidiarität ansprechen. Probleme am Arbeitsmarkt können am besten
vor Ort gelöst werden. Hier können die lokalen Gegebenheiten berücksichtigt werden. Hier kann auch der
zielgenaue Einsatz der Hilfsangebote im Vordergrund
stehen.
So fordern wir beispielsweise einen größeren finanziellen Spielraum für die Arbeitsämter. Wir fordern eine
verbesserte Zusammenarbeit - hier müssen Sie wirklich
in die Puschen kommen und etwas vorlegen, das über das
hinausgeht, was Sie jetzt vorhaben - von Sozial- und Arbeitsämtern und darüber hinaus, dass den Beschäftigten in
den Arbeitsämtern durch eine umfassende Reform des
SGB III die Möglichkeit geschaffen wird, den Erwerbslosen flexibel und zielorientiert zu helfen.
({21})
Effizienz, Transparenz und Subsidiarität, das sind die
Grundsätze, nach denen das Arbeitsförderungsrecht reformiert werden muss. Wir sehen diese Grundsätze - das
werden Sie am Montag in der Anhörung sicher auch aus
dem Munde vieler Experten hören - nur sehr ungenügend
umgesetzt. Deshalb fordern wir diese Bundesregierung
auf, unsere Vorschläge aus dem vorgelegten Antrag zu
übernehmen. Sie sollten dies schnell tun, bevor der Bundeskanzler sein Versprechen, die Arbeitslosenzahl auf
3,5 Millionen zu senken, durch das Versprechen ersetzen
muss, sie bei 4 Millionen zu halten.
Vielen Dank.
({22})
Das Wort hat der Kollege Klaus Brandner für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem Beitrag,
den Frau Schnieber-Jastram gerade geleistet hat,
({0})
fiel mir ein, dass der CDU eigentlich die Luft ausgehen
muss. Denn was sie in der letzten Zeit Woche für Woche
an arbeitsmarktpolitischen Debatten hier vorgetragen hat,
zeugt gerade nicht von Sachverstand und von konkreten
Vorschlägen, die den Arbeitslosen helfen könnten, wieder
neue Beschäftigung zu finden.
({1})
Bei uns steht die Sicherheit in der jetzigen Situation
ganz obenan. Ich meine damit auch die Sicherheit der
Arbeitsplätze. Der Opposition aber - das will ich so deutlich sagen - fällt nichts anderes ein als eine Mischung aus
Miesmachen und unausgegorenen Vorschlägen, die in der
Summe gar nicht zu verkraften sind.
({2})
Zur Panik besteht trotz der gebremsten Dynamik überhaupt kein Anlass. Wir wollen den Menschen Sicherheit
geben.
Rufen wir uns in Erinnerung: gut eine Million Arbeitsplätze mehr als 1998, obwohl gleichzeitig die Zahl der
ABM-Stellen um 150 000 zurückgegangen ist, und gut
220 000 weniger Arbeitslose als im September 1998. Das
sind eindrucksvolle, nachweisbare Zahlen. So etwas wie
die kohlschen Wahlkampf-ABM haben wir in dem Zusammenhang nicht nötig. Über die Zahlen von 220 000 Arbeitslosen und 150 000 ABM-Stellen weniger - das macht
zusammen 370 000 Beschäftigte mehr - sollten wir uns
freuen. Sie sollten nicht ins Miesmachen verfallen. Das
hilft den Arbeitslosen nicht weiter. Das ist keine gute
Stimmung, die Sie im Lande verbreiten.
({3})
Kommen wir zu den Fakten zurück! Das Statistische
Bundesamt hat die Erwerbstätigenzahlen revidiert und
geringfügige Beschäftigungen, von denen Sie so regelmäßig gesprochen haben, auch für die vergangenen Jahre
eingerechnet. Der Zuwachs an Arbeitsplätzen ist also statistisch abgesichert. Wir können trotz des marginalen
Rückgangs im letzten Monat auf eine Million zusätzliche
Arbeitsplätze stolz sein. Das lassen wir uns von Ihnen,
meine Damen und Herren von der CDU/CSU und von der
FDP, nicht nehmen.
Reichlich unverfroren ist auch die Behauptung, dass
die Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt allein demographisch bedingt sei. Wenn wesentlich mehr Arbeitsplätze
entstehen, also Arbeitslosigkeit abgebaut wird, ist nachweislich der Druck auf den Arbeitsmarkt nicht schwächer,
sondern stärker geworden. Das Erwerbspersonenpotenzial steigt nämlich trotz einer Entlastung bei den älteren
Jahrgängen. Hierbei spielen mehrere Faktoren eine Rolle:
Die Jahrgangsstärke der Jugendlichen im Osten nimmt
noch bis 2004 zu und Jugendliche aus der stillen Reserve
treten verstärkt in den Arbeitsmarkt ein. Beides zusammen hat dazu geführt, dass die Jugendarbeitslosigkeit
- wenn auch noch nicht im gewünschten Umfang - abgebaut werden konnte.
({4})
Gerade das insgesamt sehr erfolgreiche JUMP-Programm ist auch ein Beispiel dafür, dass es gelingen kann,
Jugendliche zu motivieren, die nicht als Arbeitslose registriert waren. In der Statistik wirkt sich das zwar nicht
aus. Wir stehen aber - das will ich deutlich sagen - voll
zu dieser Politik; denn wir machen Politik für die Menschen und nicht für die Statistik. Das haben Sie seit 1998
vergessen.
({5})
Die steigende Frauenerwerbstätigkeit ist sehr zu begrüßen, und zwar gerade auch vor dem Hintergrund, dass
in einigen Regionen und in bestimmten Berufen bereits
Engpässe an Fachkräften bestehen. Es gibt am Arbeitsmarkt immerhin eine leichte Zuwanderung aus dem Ausland. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
geht von etwa hunderttausend Personen aus, die zusätzlich Jahr für Jahr auf dem Arbeitsmarkt Erwerbstätigkeit
nachfragen. Selbst bei der Erwerbstätigkeit Älterer zeichnet sich ganz vorsichtig wieder eine Steigerung ab.
Insgesamt geht das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bei der Berücksichtigung der von ihm untersuchten Effekte also davon aus, dass das Angebot an
Arbeitskräften selbst in diesem Jahr noch leicht, um etwa
50 000, zunimmt. In den vergangenen zwei Jahren waren
es jeweils 200 000. Erst ab dem Jahre 2010 ist eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt zu erwarten.
Das belegt meiner Meinung nach, dass wir eine erfolgreiche Arbeit betrieben haben, um zusätzliche Erwerbspersonen in Arbeit zu bringen. Die beschäftigungspolitischen
Erfolge lassen wir uns von Ihnen nicht kleinreden. Sie
haben bisher nicht belegt, dass Sie mit Ihren dauernden
Mitteilungen, der Beschäftigungszuwachs sei rein demographisch bedingt, faktisch Recht haben. Sie haben Luftnummern verbreitet. Die Zahlen habe ich Ihnen gerade
vorgetragen. Das ist der Beweis dafür, dass unsere Politik
erfolgreich gewesen ist.
({6})
Die Konjunktur ist momentan der bestimmende Faktor auf dem Arbeitsmarkt. Gerade deshalb muss man etwas genauer hinsehen, um die strukturellen Verbesserungen zu erkennen. Hier ist eine positive Wirkung unserer
Politik offensichtlich. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen
- auch das müssen Sie sich merken - ist innerhalb von drei
Jahren überaus deutlich, um exakt 202 000 oder um
14 Prozent, zurückgegangen. Ist das denn nichts? Darüber
sollten wir uns gemeinsam freuen, weil dadurch mehr
Menschen eine positive Zukunft haben.
({7})
Noch deutlicher, nämlich um 256 000 oder um 28 Prozent, fällt der Abbau der Arbeitslosigkeit bei älteren Menschen ab 55 Jahren aus. Zugegebenermaßen spielt hier die
Veränderung im Altersaufbau eine Rolle.
({8})
- Da Herr Meckelburg nun schon zum zweiten Mal das
Stichwort Altersteilzeit einwirft, wird er sich daran erinnern, was gerade gestern der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit gesagt hat: Dieser nämlich hat deutlich
gemacht, wie das Bündnis für Arbeit die Altersteilzeit organisiert: Es hat den Tarifvertragsparteien eine Vorlage
geliefert und ein positives Ausgleiten aus dem Arbeitsleben ermöglicht.
({9})
Sie reden das Bündnis für Arbeit jeden Tag klein, obwohl
es positive Belege dafür gibt, wie wichtig die arbeitsmarktpolitischen Impulse sind, die genau aus dieser Institution gekommen sind.
({10})
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang sagen: Es
geht auch darum, dass wir einen deutlichen Rückgang der
Arbeitslosigkeit bei Schwerbehinderten zu verzeichnen haben. 23 600 Arbeitslose weniger bedeuten einen Rückgang
von 12,5 Prozent. Dieser Trend hat bei allen drei Gruppen
auch im letzten Monat angehalten. Wir widmen uns also der
strukturellen Arbeitslosigkeit, die sich in Ihrer Regierungszeit verfestigt hat. Das sind Erfolge, auf die wir stolz sind.
Diese lassen wir uns von Ihnen nicht schlecht reden.
({11})
Das Job-Aqtiv-Gesetz ist in dieser Situation selbstverständlich die richtige Antwort. Öffentliche Beschäftigung bleibt erhalten, aber eindeutig nachrangig. Als neues
Angebot kommt die Beschäftigung schaffende Infrastruktur hinzu. Sie bietet vor allem Kommunen in den neuen
Ländern und strukturschwachen Gebieten die Möglichkeit, Aufträge zu vergeben, indem sie Investitionsförderung und Arbeitsmarktmittel verbindet. Ohne
das neue Förderinstrument käme eine Auftragsvergabe
schlicht nicht zustande. Darüber hinaus gibt es Verfahren
mit klaren Vorgaben, die eine Verdrängung regulärer
Arbeitsplätze verhindern.
Kern des Gesetzes ist ansonsten, eine am Kunden orientierte Arbeitsvermittlung durchzuführen. Die Arbeitsvermittler sollen sich um jeden einzelnen Arbeitslosen individuell kümmern und eine Chancenprognose erstellen,
ein so genanntes Profiling. Danach wird in einer Eingliederungsvereinbarung festgelegt, welche Maßnahmen erforderlich sind. In den meisten Fällen wird eine passgenaue Vermittlung ausreichen.
({12})
Möglich sind aber auch Vermittlungshilfen von kurzfristigen Trainingsmaßnahmen bis zu Eingliederungszuschüssen. In schwierigen Fällen kommen Weiterbildungsmaßnahmen in Betracht. Ganz zuletzt steht die Teilnahme
an Beschäftigungsfördermaßnahmen. Die Koalition setzt
damit einen wesentlichen Vorschlag aus dem Bündnis für
Arbeit um. Auch hier ist der Impuls in dieser funktionierenden Einrichtung zu suchen.
({13})
Die Union und erst recht die FDP wollen hingegen die
Leistungen für Arbeitslose kürzen und Arbeitnehmerrechte abbauen.
({14})
Der Vorschlag, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenzulegen, klingt zwar vordergründig plausibel.
Tatsächlich aber läuft er auf eine Abschaffung der Arbeitslosenhilfe hinaus.
({15})
Wir wollen das nicht. Wir wollen allerdings unnötige
Bürokratie abbauen und die Hilfsangebote so zusammenführen, dass die Betroffenen etwas davon haben.
Sicherheit ist für uns unteilbar. Äußere, innere und soziale Sicherheit gehören zusammen. Wir werden zu solchen Vorschlägen der Opposition daher nicht die Hand reichen. Einsparungen können wir auch auf andere Art und
Weise erreichen, durch schnelle Vermittlung und dadurch,
dass Langzeitarbeitslosigkeit erst gar nicht entsteht.
Herr Kollege, denken
Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich komme zum Schluss.
({0})
Die Koalition hat ein klares Konzept. Die Kernelemente
dieses Konzepts sind Stabilisierung der Sozialversicherungssysteme auf der Leistungsseite, Beitragsgerechtigkeit
und das systematisch wichtige Zusammenführen von Zuschüssen aus öffentlichen Haushalten.
Ich bin davon überzeugt: Spätestens im nächsten Jahr
werden wir bei der Arbeitsmarktentwicklung wieder ein
gutes Stück vorankommen. Sie werden uns daran erinnern
können, dass dank unserer soliden Politik die Arbeitslosigkeit kontinuierlich abgebaut wird.
({1})
Ich erteile dem Kollegen Dirk Niebel für die FDP-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Nach der staatstragenden
Rede des Kollegen Brandner muss man sich darüber
wundern, dass die Arbeitslosenzahlen tatsächlich steigen.
({0})
Neben der äußeren und inneren Sicherheit, Herr Kollege Brandner, ist die Bekämpfung bzw. der Abbau der
Arbeitslosigkeit das wichtigste innenpolitische Problem.
Bei der Lösung dieses Problems hat Rot-Grün eindeutig
versagt. Das bekommen Sie jeden Monat von Herrn
Jagoda aus Nürnberg erneut gesagt.
({1})
Am 9. Juli 1998 hat der Bundeskanzler gesagt:
Der Aufschwung, den wir jetzt haben, ist mein Aufschwung.
Der Abschwung, den Sie, meine sehr verehrten Damen
und Herren von Rot-Grün jetzt haben, ist auch Ihr Abschwung.
({2})
Der Kanzler hat versprochen, die Arbeitslosenzahlen
auf unter 3,5 Millionen zu senken - ich beziehe mich gar
nicht auf den Versprecher vom März, als er von unter
3 Millionen gesprochen hat -, aber diese Zahl wird er
nicht nur dieses Jahr, sondern leider auch nächstes Jahr
nicht erreichen. Das ist eine Katastrophe für die Betroffenen.
({3})
Wir haben im Augenblick 3,743 Millionen Arbeitslose - Tendenz steigend! Seit neun Monaten steigt die Arbeitslosigkeit saisonbedingt. Erst vorgestern haben wir
wieder Zahlen aus Nürnberg bekommen: reale Steigerung um 48 000 Arbeitslose gegenüber dem Vorjahresmonat.
Vor diesem Hintergrund erklärte Werner Schulz, grüner Bundestagsabgeordneter aus dem Osten Deutschlands, gestern in der Aktuellen Stunde: Die Situation am
Arbeitsmarkt ist nicht besorgniserregend.
({4})
Fragen Sie einmal die 3,7 Millionen arbeitslosen Frauen
und Männer in diesem Land, ob die Situation besorgniserregend ist, und erklären Sie ihnen, weshalb das so ist.
Der Bundeskanzler zieht sich darauf zurück, die Arbeitgeber, die Wirtschaft und die konjunkturelle Entwicklung seien für diese Situation verantwortlich. Das ist
aber nicht wahr. Anhand der Entwicklung der Arbeitsmarktdaten können Sie feststellen, dass allein Ihre sture
Gesetzgebung maßgeblich für die Entwicklung am Arbeitsmarkt verantwortlich ist.
({5})
Es ging damit los, dass Sie die guten Korrekturen der
alten Regierung zurückgenommen haben.
({6})
Ich möchte auf das Kündigungsschutzgesetz verweisen.
Allein der Umstand, dass der Schwellenwert in diesem
Zusammenhang von zehn auf fünf Beschäftigte gesenkt
wurde, hat dazu geführt, dass der sechste, siebte, achte
und neunte Arbeitnehmer in kleinen oder mittleren Betrieben nicht mehr eingestellt wird. Diese Maßnahme hat
Arbeitsplätze gekostet. Die Regelung wäre ein Konjunkturprogramm gewesen, das keinen einzigen Pfennig an
Steuergeldern gebraucht hätte, aber Sie haben es kaputtgemacht.
Am 21. September 1998 - also vor fast exakt drei Jahren - hat der Bundeskanzler in einem Interview des Spiegel gesagt:
Wenn wir es nicht schaffen, die Arbeitslosenquote
signifikant zu senken, dann haben wir es weder verdient, wiedergewählt zu werden, noch werden wir
wiedergewählt.
Dazu kann ich nur sagen, lieber Herr Bundeskanzler:
Versprochen ist versprochen! Bei diesen Arbeitsmarktdaten dürften SPD und Bündnis 90/Die Grünen überhaupt
nicht mehr zur Bundestagswahl antreten.
({7})
Sie haben Ihr eigenes Ziel verfehlt. Sie wollten sich am
Abbau der Arbeitslosigkeit messen lassen und müssen
sich nun immer wieder sagen lassen, dass Sie den Abbau
nicht geschafft haben.
({8})
Die Freie Demokratische Partei hat durch ihre Bundestagsfraktion immer wieder gute Vorschläge zur Verbesserung der Arbeitsmarktsituation - vorgelegt: zur Integration
älterer Menschen, von Langzeitarbeitslosen, Sozialhilfeempfängern und Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt. Was
sind Ihre Konzepte?
({9})
Ihr Bundesverteidigungsminister in seiner Funktion als
Vorsitzender Ihrer Grundsatzkommission möchte den Jugendlichen, ohne dass er Arbeits- oder Ausbildungsplätze
zur Verfügung stellt, erst einmal die Leistungen kürzen,
während er selbst für 400 000 DM für eine Nacht nach
Mallorca fliegt.
100 000 Arbeitslose mehr kosten 3 Milliarden DM
mehr und sorgen für Mindereinnahmen in Höhe von
300 Millionen DM. Der Bundesminister für Arbeit und
Sozialordnung hat in der gestrigen Ausschusssitzung einen Haushalt vorgelegt, der auf den überholten Daten
vom Mai dieses Jahres basiert und mit dem angeblich die
Arbeitsmarktpolitik zukunftsweisend gestaltet werden
soll. Das alles ist schon heute Makulatur. Das konnten Sie
spätestens daran erkennen, dass der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit ebenfalls in der gestrigen Sitzung des
Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung erklärt hat, er
könne keinen Haushaltsansatz vorlegen, weil jeder Haushaltsansatz, den er jetzt ohne Kenntnis der Daten von
Ende Oktober vorlegen würde, ebenfalls Makulatur und
somit unredlich wäre. Mit einem solchen Haushalt könne
man keine Politik machen. Ich frage: Weshalb hat nicht
auch der Bundesarbeitsminister diese Konsequenz gezogen? Weshalb zieht er sein Altpapier nicht zurück? Weshalb stellt er nicht auf ehrliche Art und Weise einen Haushalt auf, der transparent ist, und legt dem Deutschen
Bundestag ein Konzept vor, aus dem ersichtlich wird, wie
die Arbeitsmarktpolitik tatsächlich finanziert werden
kann?
({10})
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat mit ihrem Antrag, über den wir heute debattieren, eine gute Ergänzung
zu unseren bisherigen Anträgen vorgelegt, die wir nur unterstützen können.
({11})
Es ist angesichts von über 44 Milliarden DM für die aktive Arbeitsmarktpolitik dringend notwendig, einmal zu
evaluieren, was das Ganze bringt. Es bringt überhaupt
nichts, wenn wir einen Wettbewerb um unterschiedliche
Subventionen in Gang setzen; denn ein solcher Wettlauf
würde nur dazu führen, dass gut gemeinte Maßnahmen
wie beispielsweise die Modellprojekte, die im Niedriglohnsektor gerade erprobt werden, gar nicht erst in Anspruch genommen werden, weil es andere Subventionstatbestände gibt, die einfach günstiger sind.
({12})
- Herr Gilges, Sie können noch so sehr schreien.
({13})
- Dann hat Herr Dreßen geschrien. Ihre beiden Stimmen
klingen sehr ähnlich.
Es gibt einen Subventionsmarathon im Bereich der
steuerfinanzierten Sozialleistungen. Es gibt 153 verschiedene Arten solcher Leistungen, die von 47 verschiedenen
Behörden in Deutschland bewilligt werden. Das Gleiche
ist im Bereich der Arbeitsförderung festzustellen. Diejenigen, die Hilfe brauchen, blicken nicht mehr durch. Diejenigen, die durchblicken, brauchen eigentlich keine Hilfe
mehr. Hier werden Steuern und Beiträge verschwendet.
Sie werden nicht darum herumkommen: Sie müssen
Ihren Versprechungen und nicht Ihren Versprechern Taten
folgen lassen. Sie müssen akzeptieren, dass Ihre Arbeitsmarktpolitik gescheitert ist. Sie müssen eine generelle
Kehrtwende einleiten. Dazu haben Sie jetzt eine Chance;
denn die Union hat ein Angebot gemacht, das unseres gut
ergänzt. Nutzen Sie es, damit wir gemeinsam etwas zum
Abbau der Arbeitslosigkeit beitragen können.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat jetzt die
Kollegin Dr. Thea Dückert für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sicherlich
ist es so, dass die aktuelle Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland - das gab es
auch schon in der Vergangenheit - eine ernsthafte Diskussion über die Beschäftigungssituation notwendig
macht. Das liegt daran, dass der Arbeitsmarkt ungeheuer
viele Gesichter hat. Natürlich sind wir stolz darauf, dass
wir es in den letzten Jahren durch unsere Steuer- und Abgabenpolitik erreicht haben, dass die Arbeitslosigkeit
39 Monate in Folge Stück für Stück gesenkt worden ist.
({0})
Immerhin sind jetzt 500 000 Menschen weniger arbeitslos
und gibt es jetzt 1 Million Arbeitsplätze mehr als 1998, als
wir die Regierung übernommen haben. Übrigens, Herr
Niebel - Sie sind ja noch anwesend -, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass die neuen Arbeitsplätze hauptsächlich in kleinen und mittleren Betrieben entstanden. Es ist
also nicht so, wie Sie gerade suggeriert haben, nämlich
dass sich dort nichts getan hätte. Das ist eines der vielen
Gesichter des Arbeitsmarktes.
Der Arbeitsmarkt hat aber auch ein anderes Gesicht.
Das ist besonders in den letzten zwei Monaten deutlich
geworden, weil die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt stagniert hat. Die Arbeitslosigkeit - man darf
nicht vergessen, dass die Arbeitslosigkeit bereits auf einem enorm hohen Niveau war, als wir die Regierung
übernommen haben - ist noch immer zu hoch. Es gibt zu
viele Langzeitarbeitslose. Die Arbeitslosigkeit ist vor allem in den ostdeutschen Bundesländern viel zu hoch. Das
ist eben das andere Gesicht des Arbeitsmarktes. Deswegen sage ich: Wir wollen ernsthaft diskutieren. Wir haben
auch ernst zu nehmende Vorschläge gemacht. Wir haben
gerade in der letzten Woche das Job-Aqtiv-Gesetz vorgelegt, weil es nach der Untätigkeit der vergangenen Jahre
höchste Zeit wird, dass eine Reform in der Arbeitsmarktpolitik ernsthaft angegangen wird.
({1})
Es lohnt sich in diesen Tagen natürlich darüber zu streiten, ob es noch weitere Brücken in den Arbeitsmarkt für
Personen geben soll, die es besonders schwer haben, in
diesen hineinzukommen. Das tun wir auch.
Was uns die CDU/CSU heute mit ihrem Antrag geliefert hat, sind wirklich alte Kamellen. Es ist schade, dass
Sie so in diese Debatte einsteigen. Ich habe mir heute
Morgen gedacht, Sie hätten vielleicht das Datum verwechselt. Heute ist nicht der 11. November, sondern der
11. Oktober. Heute ist nicht Karnevalsbeginn, bei dem
man sich jeden Unsinn leisten kann.
({2})
Weil ich befürchte, dass gerade Sie von der
CDU/CSU Ihren eigenen Antrag nicht kennen, möchte
ich Ihnen einmal zu Gemüte führen, was darin steht.
Darin steht zum Beispiel in der Überschrift: Arbeit
vermitteln statt Arbeitslosigkeit verwalten. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, was machen wir
denn mit dem Job-Aqtiv-Gesetz? Da haben wir doch gerade angesetzt. Wir haben den Ansatz von Arbeitsmarktpolitik umgedreht, sodass die Vermittlung von Arbeitslosen sofort beginnt, dass Langzeitarbeitslosigkeit
dadurch effektiv abgebaut wird, dass die Menschen gar
nicht erst langzeitarbeitslos werden müssen, um in die
Maßnahmen zu kommen.
({3})
Was soll also diese Forderung? Sie rennen der Realität
hinterher.
Sie fordern des Weiteren mehr Effizienzkontrolle. Das
ist im Job-Aqtiv-Gesetz längst angelegt. Lassen Sie uns
darüber diskutieren!
Ich sage Ihnen noch eines: Das Effektivste am Arbeitsmarkt ist - das war aber auch schon zu Ihrer Regierungszeit klar - die sofortige Vermittlung.
({4})
Das hätten auch Sie schon wissen können. Das sagt Ihnen
jeder Wissenschaftler, auch ohne Effizienzkontrolle.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grehn?
Ja,
sofort.
Das Zweitwichtigste ist die Qualifizierung. Auch darauf hätten Sie mehr Gewicht legen sollen.
Ich gestatte jetzt gern eine Zwischenfrage.
Bitte sehr, Herr Kollege.
Frau Kollegin Dückert, können Sie mir bitte sagen, was das Job-Aqtiv-Gesetz jenen
Millionen Arbeitslosen bringt, die sowohl arbeitsbereit als
auch hinreichend qualifiziert sind, die also sofort in den
ersten Arbeitsmarkt einsteigen könnten?
Lieber Kollege Grehn, vielen, die hier zuhören, ist vielleicht nicht klar, dass Sie auf die ostdeutschen Bundesländer abzielen, in denen die Arbeitsmarktsituation so ist,
dass qualifizierte Arbeitskräfte nicht in den Arbeitsmarkt
hineinkönnen, weil die Arbeitsplätze fehlen. Auch damit,
Herr Kollege Grehn, haben wir uns im Job-Aqtiv-Gesetz
auseinander gesetzt. Das ist der Grund dafür, dass über die
Dezentralisierung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente den regionalen Arbeitsmarktakteuren die Möglichkeit gegeben wird, die Instrumente zu nutzen, die Qualifikation und Integration in der Region am erfolgreichsten
fördern. Obwohl ABM, wie wir wissen, in vielen Regionen nicht die höchste Effizienz haben, sind ABM in
bestimmten Regionen, in denen nämlich der erste Arbeitsmarkt große Lücken aufweist, gerade auch in den ostdeutschen Regionen, unbedingt notwendig. Deswegen
haben wir dafür gesorgt, dass dieses Instrument dort weiterhin angewandt werden kann.
Das ist die Antwort im Job-Aqtiv-Gesetz. Sie wird
nicht reichen, um die konjunkturell bedingte Situation in
den ostdeutschen Ländern abzufedern. Wir halten weiterhin Hilfsmöglichkeiten, gerade auch regional angepasst,
bereit, die die Arbeitsämter nutzen können und nutzen
müssen.
({0})
- Das können Sie ihm nachher sagen. Ich möchte der
CDU/CSU gern noch etwas zu ihrem Antrag sagen.
In dem Antrag wird beispielsweise gefordert, dass auch
Dritte vermitteln sollen. Das ist im Job-Aqtiv-Gesetz enthalten. In dem Antrag wird gefordert, dass Ältere stärker
qualifiziert werden sollen. Das haben wir bereits umgesetzt. Das ist im Job-Aqtiv-Gesetz enthalten. Sie fordern
Jobrotation. Auch das ist bereits im Job-Aqtiv-Gesetz enthalten.
({1})
Sie fordern Erleichterungen bei der Arbeitnehmerüberlassung. Das ist im Job-Aqtiv-Gesetz enthalten.
({2})
Die Liste könnte ich fortsetzen.
({3})
Was Sie uns vorgelegt haben, hinterlässt bei mir wirklich eine gewisse Ratlosigkeit. Es hinterlässt mich auch
ratlos, weil Sie in Ihrem Antrag zum Beispiel behaupten,
dass die Eingliederungsvereinbarungen, die wir vorsehen,
von Ihnen zwar begrüßt werden, in der Realität - das hätten Experten der Bundesanstalt für Arbeit behauptet aber nicht praktikabel sind. Sind Sie eigentlich lernunfähig? Können Sie nicht zuhören?
({4})
Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit hat uns gestern
noch einmal bestätigt, dass sich die Bundesanstalt und die
Arbeitsämter längst darauf vorbereiten, die Eingliederungspläne ab dem 1. Januar erfolgreich umzusetzen.
({5})
Was sie uns hier geboten haben, ist eigentlich etwas
traurig. Ich habe mich gefragt, ob es vielleicht hilft, etwas
genauer hinzusehen, was dieser Antrag sonst noch enthält.
Vielleicht möchten Sie noch etwas anderes zum Ausdruck
bringen und dieser Antrag soll sozusagen als Trojanisches
Pferd eine andere Botschaft transportieren. Ich möchte ein
paar Punkte nennen, durch die ganz deutlich wird, worin
der diametrale Unterschied zwischen Ihren und unseren
arbeitsmarktpolitischen Ansätzen besteht.
Sie fordern, die Meldepflicht wieder einzuführen.
({6})
Was soll eigentlich dieser bürokratische Schnickschnack,
der noch keinem Arbeitslosen zu Arbeit verholfen, sondern die Arbeitsämter beschäftigt hat. Wir schaffen Eingliederungspläne.
({7})
Wir wollen nicht mehr Bürokratie, sondern die Integration
von Arbeitslosen. Was Sie vorschlagen, das ist Schikane
statt Hilfe.
Sie wollen ABM und SAM aus dem Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit ausgliedern. Es handelt sich um einen Betrag in Höhe von 11 Milliarden DM. Dieser Vorschlag ist Teil eines größeren Pakets: 11 Milliarden DM
an dieser Stelle, 80 Milliarden DM für die vorgezogene
Steuerreform, 60 Milliarden DM für Ihr Kindergeld, das
macht insgesamt ungefähr 150 Milliarden DM. Wo steht
Ihr Goldesel? Ich glaube, Ihr Goldesel sind die Steuerzahler. Es ist unredlich von Ihnen, hier zu suggerieren,
über Steuererhöhungen gleichzeitig die Lohnnebenkosten
absenken zu können.
Sie wissen ganz genau - das finde ich viel gravierender -, dass die ABM in den neuen Bundesländern für arbeitslos gemeldete Personen, die versichert sind, nicht
mehr möglich wären, wenn wir Ihren Vorschlag in die
Realität umsetzten. Darauf bin ich eben in meiner Antwort
auf die Frage von Herrn Grehn eingegangen. Dadurch
würde gerade in denjenigen Regionen, wo ABM bitter
nötig sind, ein Kahlschlag betrieben. So sieht eine der Facetten der von Ihnen vorgeschlagenen Arbeitsmarktpolitik aus.
Außerdem schlagen Sie in Ihrem Antrag vor - ich finde
das ausgesprochen interessant, weil es zeigt, welche Debatten uns in der Zukunft hier erwarten -, für Arbeitslosenhilfeempfänger analog dem Bundessozialhilfegesetz
gemeinnützige Arbeiten einzuführen. Ich frage Sie im
Ernst: Was hat das mit dem Vorhaben zu tun, jemanden in
den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren?
({8})
Laubharken ist keine Integration. Gerade anders herum
- das ist der Ansatz unseres Job-Aqtiv-Gesetzes - muss
ein Schuh daraus werden: Es geht darum, dass langzeitarbeitslose Menschen Mittel an die Hand bekommen, die
ihnen den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt ermöglichen
und nicht das Gegenteil bewirken. Deswegen sorgt eine
Klausel des Job-Aqtiv-Gesetzes dafür, dass sich der Prozentsatz von Menschen ohne Lohnersatzanspruch, die in
den Genuss von aktiver Arbeitsmarktpolitik, Qualifizierung, Lohnnebenkostenzuschüssen und vor allen Dingen
ABM kommen, auf 10 Prozent erhöht. Ihre Logik und unsere Logik sind ganz unterschiedlich: Während Sie ausgrenzen wollen, wollen wir integrieren. Deswegen sehen
unsere Instrumente anders aus.
({9})
Ich möchte zwei weitere Beispiele anführen, durch die
deutlich wird, dass sie den Gedanken der Arbeitsmarktpolitik, nämlich die Integration in den ersten Arbeitsmarkt, nicht verstanden haben. Sie haben sowohl in der
gestrigen Debatte als auch im Ausschuss vorgeschlagen,
die Möglichkeit des Zuverdienstes von Sozialhilfeempfängern zu verbessern. Das finde ich vernünftig. Wenn
das, was Sie vorschlagen, zeitlich begrenzt geschieht,
dann kann das für den Weg in den Arbeitsmarkt eine gute
Hilfe sein. Allerdings kombinieren Sie Ihre Idee - Sie haben sie groß gefeiert - mit dem Vorschlag des Herrn Koch,
in Deutschland das Wisconsin-Modell einzuführen.
({10})
Das Einzige am Wisconsin-Modell, was es in der Bundesrepublik Deutschland nicht gibt, ist der in hohem
Maße unsoziale Aspekt, den Anspruch auf Sozialhilfe
zeitlich zu begrenzen. Durch die Umsetzung des Vorschlags, Menschen nach einer gewissen Zeit die Sozialhilfe zu streichen, würde diese Hilfe zur Integration letzten Endes mit dem Damoklesschwert verbunden.
Frau Kollegin, es gibt
den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Gestatten Sie die?
Ja.
Bitte sehr.
Ich frage Sie,
Frau Kollegin, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Kollege Koch zwar über das WisconsinModell geredet hat,
({0})
es aber in der Bundestagsfraktion der CDU/CSU ein sehr
ausgewogenes Konzept der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe mit dem Ziel gibt, gerade diejenigen, die es auf dem Arbeitsmarkt schwer haben, wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dabei sollen
bestimmte Möglichkeiten zugelassen werden, die Sie
nicht bereit sind zuzulassen. Das ist der Unterschied. Reden Sie bitte nicht über Dinge, die in der Fraktion nicht
beschlossen wurden!
({1})
Damit das klar ist, sage ich: Das Wisconsin-Modell hat
negative Begleitumstände, die wir nicht wollen.
Lieber Herr Kollege Meckelburg, ich nehme mit Freude
zur Kenntnis, dass Sie sich offenbar von den Äußerungen
aus dem Vorstand Ihrer Partei und Ihrer Fraktion, die den
Vorschlag des Herrn Koch sehr begrüßt haben,
({0})
und offenbar auch von dem Vorschlag Ihres Fraktionsvorsitzenden Merz aus dem Frühjahr dieses Jahres - es
war sogar im März, wie ich glaube -, die Arbeitslosenhilfe
zu reduzieren und stattdessen Essensmarken zu verteilen,
jetzt distanzieren. Wenn Sie das heute nicht mehr unterstützen,
({1})
ist das gut und ein Anknüpfungspunkt für eine weitere Debatte.
({2})
Auch wenn der Kollege Meckelburg es hier so freundlich vorträgt, habe ich ein gewisses Misstrauen gegenüber
den Vorschlägen, die vonseiten der CDU/CSU kommen.
Das bezieht sich beispielsweise auch auf die Frage der Integration von Teilzeitbeschäftigten durch die Subventionierung der Lohnnebenkosten über 630 DM. Neben
diesem sinnvollen Ansatz des Mainzer Modells schlagen
Sie nämlich gleichzeitig vor, dass die Regelungen bezüglich der 630-DM-Jobs gestrichen werden sollen. Durch
die Streichung der Regelungen zu den 630-DM-Jobs, die
für uns eine soziale Errungenschaft darstellen, haben Sie
letzten Endes im Hinterkopf, wieder und neu ein Heer von
sozial ungesicherten Arbeitnehmern zu schaffen. Das
heißt, Sie kommen mit Zuckerbrot und Peitsche daher.
Diese Methode darf nicht zum Bestandteil von Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik werden.
Ich denke, dass die Vorschläge, die Sie machen, wenn
man sie als Ganzes sieht, sozialpolitisch nicht verantwortbar und arbeitsmarktpolitisch sowieso von gestern
sind.
Schönen Dank.
({3})
Das Wort hat nun die
Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Gründe für diese Debatte zur Arbeitsmarktpolitik gibt es wahrlich mehr als
nur diesen CDU/CSU-Antrag. Es lohnt sich eigentlich
kaum, sich richtig damit auseinander zu setzen. Ich werde
es trotzdem gleich tun.
Die Arbeitslosenzahlen vom September signalisieren
eine bedrohliche Entwicklung. Ich denke, das macht uns
allen hier Sorgen, vor allem auch deshalb, weil dadurch
die Menschen deprimiert werden, die seit Jahren arbeitslos sind oder sich vor neuer Arbeitslosigkeit fürchten.
Diese Menschen erwarten von uns die Lösung dieses Problems und wollen auch ganz persönlich Hilfe in ihrer Situation. Da sind neue Ideen gefragt. Da haben Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, leider gar
nichts zu bieten.
({0})
Ihr Antrag atmet den Geist von vorgestern.
({1})
Sie scheinen wirklich - das ist mir gestern schon aufgefallen - völlig zu vergessen, dass Sie dieser Regierung
4,3 Millionen Arbeitslose hinterlassen haben, trotz reichlich Wahl-ABM.
({2})
Das ist wahrlich eine schwere Bürde.
Nun schreiben Sie einerseits in Ihren Antrag Vorschläge, die Sie während Ihrer 16-jährigen Regierungszeit
längst hätten realisieren können. Ich nenne als Beispiele
nur, dass beschäftigte Sozialhilfeberechtigte 50 Prozent
ihres Einkommens behalten sollen - das hätten Sie doch
umsetzen können ({3})
oder dass die Arbeitsmarktpolitik zukünftig aus Steuergeldern bezahlt werden soll. Danke schön, im Schuldenmachen waren Sie ja schon bisher immer sehr gut.
({4})
Andererseits bieten Sie Rezepte aus der Mottenkiste
an, obwohl Sie selber wissen, dass sie keinen einzigen zusätzlichen Arbeitsplatz bringen. Ich nenne in diesem Zusammenhang als Stichwort nur die Meldepflicht.
Schon die Überschrift Ihres Antrages drückt das ganze
Dilemma dieser Situation aus: Arbeit vermitteln statt Arbeitslosigkeit verwalten .... Nehmen Sie doch einfach
einmal zur Kenntnis, dass die 3,7 Millionen Menschen,
die im September dieses Jahres arbeitslos waren, nicht
deshalb arbeitslos waren, weil die Arbeitsämter ineffizient gearbeitet haben, sondern deshalb, weil man nicht
vermitteln kann, was es nicht zu vermitteln gibt.
({5})
Dieser Zustand wird sich in den nächsten Monaten leider
noch dramatisch verschlechtern, weil zu der schon heute
bestehenden Arbeitslosigkeit wegen Rationalisierung und
weiterer tief greifender Schwierigkeiten im Arbeitssystem
noch andere konjunkturelle Probleme und Einbrüche hinzukommen. Die Situation in der Bauwirtschaft steht
ebenso dafür wie die zahllosen Ankündigungen weiterer
Entlassungswellen. Wie man der Wirtschafswoche entnehmen kann, kündigen dies vor allen Dingen große Unternehmen an, wie Siemens, Daimler-Chrysler. Diese
haben von der Steuerreform der rot-grünen Bundesregierung wirklich sehr profitiert.
In Berlin kommen heute 33 Arbeitslose auf einen offenen Arbeitsplatz. Vor allen Dingen in den anderen ostdeutschen Ländern sieht es nicht wesentlich besser aus.
Was wollen Sie unter diesen Bedingungen eigentlich noch
vermitteln? Ich denke, es geht Ihnen in der Tat um etwas
ganz anderes: Es ist nur ein ganz kleiner Schritt von den
angeblichen falschen Vermittlungsstrategien hin zur Faulenzer-Debatte. Ich muss es Ihnen einfach deutlich sagen:
Die Sündenbocktheorie schimmert an allen Ecken und
Enden deutlich durch Ihren Antrag. Dabei ist die Meldepflicht wirklich nur ein Punkt. Ansonsten geht es um die
Kontrolle der Arbeitsbereitschaft, um effiziente Leistungskürzung und um die Verhängung von Sanktionen.
Die Kolleginnen und Kollegen in den Arbeitsämtern
werden sich ebenso wie die Arbeitslosen dafür, dass Sie
Politik durch Drohgebärden ersetzen, wirklich bedanken.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
Sie brauchen diese Drohgebärden auch, weil Sie den Arbeitslosen eben nichts anderes anzubieten haben als Stellen im Niedriglohnbereich. Sie sollen gezwungen werden,
diese Billigjobs anzunehmen.
({7})
- Ach, bleiben Sie doch ganz gelassen! - Der Niedriglohnsektor ist für Sie das schlummernde Beschäftigungswunder. Für mich ist dies völlig unverständlich.
Ich möchte dazu drei Bemerkungen machen:
Erstens. Im letzten Jahr - das ist richtig - konnten
1 Millionen Arbeitsplätze nicht besetzt werden. Knapp
200 000 standen für gering Qualifizierte zur Verfügung.
Was ist die Schlussfolgerung daraus? Die SchlussfolgeDr. Thea Dückert
rung muss sein: Wir brauchen Qualifikation und noch einmal Qualifikation, aber keine Billigjobs.
({8})
Zweitens. In der Bundesrepublik arbeiten schon heute
7 Millionen Menschen in prekärer Beschäftigung.
({9})
Das wissen Sie sehr gut, denn Sie haben wesentlich dazu
beigetragen. Die Zahl der Menschen, die bitterarm sind,
obwohl sie eine Arbeit haben, nimmt zu. Dabei werden
von den Menschen erbärmliche Löhne in Kauf genommen. Gucken Sie zum Beispiel nach Thüringen, wo Leute,
die im Wachdienst arbeiten, mit einem Stundenlohn von
7 DM nach Hause gehen.
({10})
Damit komme ich zu meiner dritten und letzten Bemerkung: Schauen Sie sich, weil wir in diesen Tagen
- natürlich zu Recht - so viel über Sicherheit reden, einmal an, was durch Privatisierung und Deregulierung gerade im Bereich der öffentlichen Sicherheit, zum Beispiel
bei der Sicherung der öffentlichen Gebäude und an den
Gepäckbändern der Flughäfen, angerichtet worden ist!
Hier sind Löhne auf Sozialhilfeniveau und die ständige
Fluktuation zu einem höchst brisanten Sicherheitsrisiko
geworden. Ich weiß nicht, ob wir uns das länger leisten
können. Ich meine, nein.
Frau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit weit überzogen.
Ich komme sofort
zum Schluss.
Wenn wir Sicherheit wirklich ernst nehmen und sie uns
wirklich etwas wert ist, dann müssen wir auch die Menschen, die sie gewährleisten sollen, anständig bezahlen.
({0})
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehe ich davon aus, dass öffentlich geförderte Beschäftigung auch
zukünftig unverzichtbar sein wird. Ich wünsche mir sehr
- Ihre Zwischenbemerkungen deuten das zwar nicht an,
aber ich gebe die Hoffnung ja nicht auf -, dass wir es vielleicht doch einmal schaffen, den Streit um die besten Konzepte statt um fade Ideologien zu führen. Wir jedenfalls
sind dazu bereit.
({1})
Ich erteile der Kollegin Andrea Nahles, SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht gut, wenn die Opposition Regierung und Regierungsfraktionen so unterfordert, wie es heute hier der Fall ist.
({0})
Außer professioneller Schwarzmalerei haben wir heute
nichts von Ihnen gehört.
({1})
Wenn wir uns die Mühe machen und einen Blick in
Ihren Antrag werfen, dann finden wir in ihm außer Ladenhütern, längst umgesetzten Forderungen wie der nach
mehr Dezentralisierung und Transparenz, undurchführbaren Vorschlägen wie dem, eine Mindestquote für schwer
vermittelbare Arbeitslose einzuführen, und der Schikanierung von Arbeitslosen durch eine Meldepflicht nichts,
was uns eine Realisierung lohnenswert erscheinen lässt.
Darüber sollten Sie sich einmal Gedanken machen, meine
Damen und Herren von der Opposition.
({2})
Das alles wundert mich aber nicht, wenn man Ihre Regierungspolitik Revue passieren lässt. Sie scheinen ja
diese 16 Jahre mit den in der Spitze 4,8 Millionen Arbeitslosen in einem Anfall kollektiver Amnesie völlig verdrängt zu haben. Ich habe das Gefühl - hier müssen wir
ganz ehrlich sein -, dass Sie aus dieser Phase, in der Sie
arbeitsmarktpolitisch massenhaft Konfektionsware geliefert haben - ein Beispiel dafür ist die Wahlkampf-ABM,
({3})
mit der Sie nur Ihre Unfähigkeit zu kaschieren versucht
haben -, nichts gelernt haben. Daher haben Sie heute auch
nichts anzubieten.
Wir hingegen haben in den letzten Jahren gezielte
Schwerpunkte bei Zielgruppen gesetzt. Trotz der gegenwärtig schwierigen konjunkturellen Lage haben wir im
Vergleich zum September 2000 eine deutliche Verbesserung erreicht: bei Langzeitarbeitslosen minus 6,7 Prozent,
bei älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer minus
15,9 Prozent und bei Schwerbehinderten - das war eine
ganz besondere Anstrengung - minus 7,2 Prozent. Das ist
effizient und erfolgreich; das sollten Sie würdigen, statt
hier Schwarzmalerei zu betreiben.
({4})
Diese Zielgruppenarbeit haben wir auch in Bezug auf die
Jugendlichen zu einem Erfolg geführt: 330 000 junge
Menschen sind in Arbeit, in Qualifizierung, weg von der
Perspektivlosigkeit.
Jetzt gehen wir einen weiteren Schritt, mit dem wir die
Zielgruppenorientierung verlassen. Mit dem Job-AqtivGesetz wollen wir an die einzelnen Menschen herankommen. Jeder einzelne Arbeitslose bekommt im Rahmen
einer Eingliederungsvereinbarung, die Rechte und Pflichten nicht nur für die Arbeitslosen, sondern auch für das
Arbeitsamt vorsieht,
({5})
ein individuell auf ihn zugeschnittenes Angebot. Diesen
Quantensprung erreichen wir mit dem Job-Aqtiv-Gesetz.
({6})
Besonders stolz bin ich, dass in diesem Gesetz eine
Gruppe von Arbeitslosen, der Sie sich in den 16 Jahren
kaum gewidmet haben, nämlich die der Frauen, eine ganz
entschiedene Rolle spielt. Wir werden die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf, die für Frauen das Haupthindernis darstellt, in Arbeit zu kommen, erheblich verbessern,
indem wir den Missstand beheben, dass Frauen während
des Mutterschaftsurlaubs aus der Versicherungspflicht
herausfallen. Heute fallen sie während der Erziehung von
Kindern, was eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist,
aus der Versicherungspflicht heraus. Diese Lücke in der
sozialen Sicherung werden wir schließen.
({7})
Das stellt, wie gesagt, einen Quantensprung dar, über den
ich mich ganz besonders freue.
({8})
Aber es geht nicht nur darum, dass hier Leistungslücken geschlossen werden. Man hat danach nämlich
nicht bloß Anspruch auf Leistungen, sondern vor allem
Möglichkeiten, durch Umschulung, Qualifizierung und
andere Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik Brücken gebaut zu bekommen und Hilfen zu erhalten. Deswegen haben wir auch den Berufsrückkehrerinnen im Job-AqtivGesetz die Möglichkeit verschafft, in ABM zu kommen.
Wir haben den Zuschuss zu den Kinderbetreuungskosten,
die bei Weiterbildung anfallen, auf 130 Euro angehoben.
Wir haben es besonders Frauen - für die ist das sehr
wichtig - ermöglicht, nicht nur Vollzeitqualifizierungen
zu machen, mit denen sie ihre familiären Verpflichtungen
auch nicht vereinbaren können, sondern auch Teilunterhaltsgeld bei Teilzeitweiterbildung zu nutzen. Teilzeitweiterbildung wird für Frauen eine Möglichkeit sein, dezidierte Schritte in den ersten Arbeitsmarkt zurück zu
machen, wenn sie die Kindererziehungszeiten hinter sich
haben.
({9})
Insoweit darf ich Ihnen - auch Ihnen, Herr Grehn - sagen,
dass wir glauben, dass für viele Frauen und für viele andere, die arbeitslos sind, in dem Paket Job Aqtiv eine
Menge Chancen sind.
Eines halte ich für eine wichtige Neuerung: Wir werden nicht erst dann, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, im Rahmen des Job-Aqtiv-Gesetzes aktiv.
({10})
Ungelernte und gering qualifizierte Arbeitnehmer, vor allem in Kleinbetrieben, in denen Weiterbildung nicht selbstverständlich ist, können durch Lohnkostenzuschüsse von
bis zu 100 Prozent an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen, und zwar nicht erst, wenn sie arbeitslos geworden
sind - das ist ja nicht die große Kunst -, sondern bereits
dann, wenn im Rahmen unserer Eingliederungsvereinbarung ein erhöhtes Risiko festgestellt worden ist. Das ist nun
wirklich ein gutes Angebot an die Gruppe von Ungelernten
und gering Qualifizierten. Das ist eine echte Chance. Ich
hoffe, dass davon viel Gebrauch gemacht wird.
({11})
Wir reden heute über Arbeitsmarktpolitik. Ich möchte
deswegen auch über die Grenzen von Arbeitsmarktpolitik reden.
({12})
Es werden ja immer wieder Wunderwaffen ausgepackt:
Kombilohn,
({13})
die Zusammenlegung von was auch immer. Ich will Ihnen
einmal etwas sagen: Wir brauchen eine bessere Konjunktur. Wir brauchen Wachstum. Wir können das mit den Mitteln der Arbeitsmarktpolitik nicht erreichen, aber wir können dazu beitragen. Ich wünsche mir, dass zum Beispiel
im europäischen Kontext, was Leitzinssenkungen und anderes angeht, konjunkturelle Entwicklungen begünstigt
werden. Ich erwarte von den Arbeitgebern und auch von
den Gewerkschaften, dass sie in der Frage des Abbaus von
1,8 Milliarden Überstunden ganz konkrete Fortschritte erreichen.
({14})
Das, was wir als Arbeitsmarktpolitiker tun können, haben
wir getan, indem wir das Job-Aqtiv-Gesetz auf den Tisch
gelegt haben. Daran können Sie sich eine Weile abarbeiten. Aber tun Sie uns einen Gefallen: Langweilen Sie uns
nicht weiter mit Ladenhütern!
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat jetzt der
Kollege Karl-Josef Laumann für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer diese
Debatte verfolgt hat, hat verschiedene Eindrücke bekommen.
Frau Dückert, zunächst zu Ihnen. Ich kenne niemanden
unter den Sozialpolitikern im Deutschen Bundestag, bei
dem das, was er in Interviews äußert, derart dem widerspricht, was er im Deutschen Bundestag vertritt, wie bei
Ihnen. In Interviews erklären Sie, dass wir die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe brauchen. In Interviews erklären Sie, dass Sie für Zeitarbeit
und ähnliche Dinge sind. Was Sie dann aber in der politischen Debatte hier letzten Endes mit Vehemenz vertreten,
passt damit überhaupt nicht zusammen.
({0})
Inwieweit das ehrlich ist, darüber mag jeder selber urteilen.
Bei den Ausführungen von Frau Nahles konnte man
vor lauter Quantensprüngen die Politik gar nicht mehr erkennen.
({1})
Warum streiten wir eigentlich über die Arbeitsmarktpolitik? - Wir streiten über die Arbeitsmarktpolitik, weil
wir alle wissen, dass sie in Deutschland große Defizite hat
und wir mit viel Geld nicht das erreichen, was wir uns alle
vorstellen. Wir geben für den zweiten Arbeitsmarkt mittlerweile 48 Milliarden DM aus.
({2})
Die Funktion des zweiten Arbeitsmarktes als Brücke in
den ersten wird auch in den Bereichen, wo das klappt, immer schlechter erfüllt. Jetzt wollen wir einmal überlegen,
woran das liegt.
({3})
Ich glaube, dass man die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik weiterentwickeln muss. Jetzt greifen wir einmal einen Punkt heraus, der in Deutschland offensichtlich
ist: Wir haben die Situation, dass es unbesetzte Stellen
gibt, und zwar dort,
({4})
auch im tarifgebundenen Bereich, wo wir niedrige Löhne
haben. Es ist nun einmal so - Sie brauchen nur einmal mit
Vertreterm des Dehoga zu sprechen -, dass es selbst in
Gebieten, in denen wir eine hohe Arbeitslosigkeit haben,
faktisch unmöglich ist, für Löhne von 12 oder 13 DM Reinigungspersonal für die Gastronomie zu bekommen.
({5})
- Das sind doch abgeschlossene Tarifverträge in dem Bereich, Konrad Gilges.
({6})
50 Prozent der Langzeitarbeitslosen sind ohne abgeschlossene Berufsausbildung.
({7})
Es ist sowieso schon ein Unding, dass wir über die Bundesanstalt für Arbeit für Tausende von jungen Menschen
den Hauptschulabschluss finanzieren müssen, weil unsere Schulen nicht dazu in der Lage sind, die Schüler dorthin zu führen.
({8})
Das ist in Nordrhein-Westfalen, wo Sie seit 30 Jahren die
Politik bestimmen, ein großes Problem.
({9})
Es wäre doch vielleicht sinnvoll - bevor Sie jetzt immer nur schreien -, in aller Ruhe darüber nachzudenken,
ob wir in der Politik nicht ein Mittel in die Hand nehmen
könnten und sollten, mit dem wir in dem Bereich der
niedrigen Löhne die Schere zwischen brutto und netto
wieder stärker schließen, damit die Menschen auch einen
Sinn in einer solchen Beschäftigung sehen.
({10})
Jetzt will ich Ihnen nur einmal ein Beispiel vorrechnen.
In der Steuerpolitik hat die alte Regierung durch relativ
hohe Steuerfreibeträge erreicht, dass bei niedrigen Einkommen die Steuer keine große Rolle spielt; das wissen
Sie auch.
({11})
Wenn wir jetzt einmal von einem Lohn von 13 DM bei normalen Arbeitszeiten ausgehen, dann kommen wir auf einen Bruttolohn von 2 184 DM. Das unsoziale ist, finde ich,
dass wir einem Menschen mit diesem Bruttolohn 436 DM
für die Sozialversicherung wegnehmen - 436 DM! Dann
hat er noch 1 748 DM netto.
({12})
- Die Steuern habe ich nicht eingerechnet. Gehen wir einmal davon aus, dass er aufgrund seiner Familiensituation
so hohe Steuerfreibeträge hat, dass Steuern keine Rolle
spielen.
({13})
Wäre es denn nicht wirklich sinnvoll, das zu tun, was wir
Ihnen jetzt schon seit Jahren sagen? Kombilohnmodelle,
degressive Gestaltung der Sozialversicherungsbeiträge,
höhere Einstiegsgelder - nehmen Sie meinetwegen alle
drei Instrumente, geben Sie sie den Behörden an die Hand
und sagen Sie ihnen: Bitte wendet diese Instrumente an,
damit die untere Lohngrenze nicht so nah an die Sozialhilfe reicht.
({14})
Gehen Sie endlich aus den Modellprojekten heraus.
Herr Kollege
Laumann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte
jetzt im Zusammenhang vortragen.
Ein weiterer Punkt. Wir alle wissen doch, dass uns auf
dem Arbeitsmarkt in Ostdeutschland schlicht und ergreifend die Arbeitsplätze fehlen. Nur, wahr ist auch: Der
Unterschied in der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen West- und Ostdeutschland ist in den letzten drei
Jahren eher größer als kleiner geworden.
({0})
- Frau Rennebach, da können Sie ruhig lachen. Das ist die
Wahrheit. ({1})
Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass die großen
Lohnunterschiede zu Polen, die dort gerade wegen der
Nähe zur deutsch-polnischen Grenze bestehen, faktische
Auswirkungen haben. - Das ist im Übrigen unabhängig
davon, wer regiert. - Wir müssen uns in der Strukturpolitik Mühe geben, dort mehr Arbeitsplätze, vor allem rentable Arbeitsplätze, zu schaffen; denn nur diese werden
auf Dauer überleben. Ich kann in Ihrem Haushalt wirklich
nicht erkennen, dass Sie das Richtige tun.
Ich nehme ein weiteres Beispiel. Wir sind uns in der
Arbeitsmarktdebatte darüber einig, dass Arbeitsplätze
- wenn noch welche geschaffen werden - von den Kleinen geschaffen werden. Erklären Sie mir einmal, warum
Sie eine Steuerreform gemacht haben, die die AGs - das
sind eher die Großen - sehr bevorteilt und dem Mittelstand nichts gebracht hat.
({2})
Warum muss auf der einen Seite die Deutsche Bank keine
Steuern zahlen, wenn sie einen Teil ihres Geschäftsbereichs verkauft, wenn doch auf der anderen Seite der
Gärtnermeister in meinem Dorf - er ist 67 Jahre alt und
hat keine Kinder - den Erlös aus dem Verkauf seines Betriebs an seinen Meister versteuern muss?
({3})
Das ist doch Ihre Politik und Ihr Versagen.
Warum haben Sie bezüglich des Arbeitsrechts so viele
neue Hürden für den Mittelstand aufgebaut? Die größte
Herausforderung ist doch, solche Rahmenbedingungen zu
schaffen, dass mehr Arbeitsplätze entstehen. Da sind wir
in Deutschland seit zwei Monaten leider auf einer radikalen Talfahrt. Ihr Wahlkampfversprechen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen, sollten Sie zurücknehmen.
({4})
Ich nenne Ihnen einen weiteren Punkt, der uns nachdenklich machen muss. Frau Nahles, Sie haben gesagt,
was die Arbeitsämter gemäss dem Job-Aqtiv-Gesetz unternehmen sollen. Das war im Grunde genommen das
Bild der Arbeitsämter nach dem Vorbild Arbeitsamt 2000. Die Arbeitsämter sollten sich schon immer sofort mit den Arbeitslosen beschäftigen und sich direkt darum kümmern, dass sie wieder in Arbeit kommen. Sie
sollten sich schon immer um Menschen kümmern, bei denen die Gefahr besteht, dass sie bald arbeitslos werden.
Ich frage mich mittlerweile, ob die hierarchischen Strukturen der Bundesanstalt für Arbeit wirklich noch die richtige Antwort auf den flexiblen Arbeitsmarkt sind.
({5})
- Ich glaube schon, dass man darüber reden muss.
Angesichts der Situation, dass in vielen Kommunen
und kreisfreien Städten Beschäftigungsgesellschaften
größere Vermittlungserfolge haben als die Bundesanstalt
für Arbeit, werde ich sehr nachdenklich. Ich glaube, dass
Ihr Entwurf des Job-Aqtiv-Gesetzes und in Teilen auch
unser Antrag, der ebenfalls zu stark von administrativen
Aufgaben ausgeht, nicht weit genug führen. Wir müssen
nach meiner Auffassung den Niedriglohnbereich stärken.
Die Arbeitsplätze dort sind nun einmal so, wie sie sind.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir bei jungen Leuten die Unterstützung grundsätzlich mit der Forderung
verbinden sollten, dass sie selbst etwas tun müssen: Ausbildung, Sprachkurse, notfalls auch gemeinnützige Arbeit. Wenn Menschen jahrelang von der Arbeit entwöhnt
sind, dann ist es sehr schwer, sie wieder zu integrieren.
Auch im Schulsystem müssen wir darauf achten, wie
wir die Schüler, die sich in der schulischen Ausbildung
schwerer tun, zu Schulabschlüssen führen, die ihnen die
Möglichkeit geben, im gewerblichen Bereich eine Berufsausbildung zu absolvieren. Ich würde mir sehr wünschen, dass auf Landesebene die Hauptschule gestärkt
wird und dass die Verwissenschaftlichung der Schule in
diesem Bereich ein Stück weit aufgegeben wird.
Ich hoffe, dass ich durch meinen Beitrag deutlich machen konnte, wo die Probleme objektiv liegen, und dass
es uns gar nichts bringt, in einen parteipolitischen Schlagabtausch einzutreten, wer das bessere Instrument in der
Tasche hat. Wir brauchen einen großen Instrumentenkoffer für die örtliche Arbeitsverwaltung. Dies gilt es zu erreichen.
({6})
Ich glaube, dass unsere Überlegungen in der Arbeitsmarktpolitik weitreichender sind als Ihre. Wenn ich die
Interviews mit Frau Dückert richtig lese, dann komme ich
zu dem Schluss, dass sie lieber mit uns als mit Ihnen
zusammenarbeiten würde.
Schönen Dank.
({7})
Jetzt erteile ich der
Kollegin Ute Kumpf, SPD-Fraktion, das Wort.
Lieber Kollege Laumann, ich bin
voller Bewunderung
({0})
für Ihre Wandlungsfähigkeit. Ich habe Sie vor 1998 als einen Kollegen mit anderen Ansichten kennen gelernt, der
auch für die sozialen Belange der Arbeitnehmer gestritten
hat. Ich bin auch voller Bewunderung für die Kollegen
der CDU/CSU - Herr Niebel von der FDP ist nicht mehr
anwesend - aufgrund ihrer Starrköpfigkeit und vor allem
aufgrund ihrer Vergesslichkeit.
({1})
- Ich bewundere, dass Sie nach Ihrem Politikwandel ab
dem Jahre 1998 nicht schlaflose Nächte haben.
({2})
Sie bieten jetzt in Ihrem Antrag Konzepte von gestern
an. Ich will einfach daran erinnern: Diese Konzepte von
gestern haben uns nicht nur einen nie gekannten Berg von
Schulden hinterlassen. Wir erbten 1998 auch ein Chaos
auf dem Arbeitsmarkt: 4,4 Millionen Menschen waren damals als Arbeitslose registriert, über 2 Millionen waren in
der stillen Reserve, 6 Millionen in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Sie haben einen Dschungel hinterlassen: Abschaffung des Kündigungsschutzes, Kürzung
bei der Lohnfortzahlung, Kürzung auf der Leistungsseite
bei den Arbeitslosen.
Jetzt wollen Sie uns in Ihrem Antrag diese alten Denkmuster wieder als Muster für die Zukunft verkaufen. Wir
machen an dieser Stelle nicht mit. Ihr Weg führt in das Abseits, von der Problemlösung weg und in die Sackgasse.
Diesen Weg werden wir nicht mitgehen. Er weist nicht in
die Zukunft und ist nicht zielführend.
({3})
Herr Kollege Laumann hat es eben ausgeführt: Die
Ausweitung des Niedriglohnsektors ist für Sie das Allheilmittel. Auch Ihnen sind die Ergebnisse aus den Bundesländern bekannt. Ich nenne nur das Mainzer Modell
und das Saarbrücker Modell. Diese Konzepte werden
nicht aufgegriffen, weil sie schlichtweg nicht greifen. Wir
werden uns gegen die Ausweitung des Niedriglohnsektors
wehren, weil sie letztendlich dazu führt, dass normale
Beschäftigung subventioniert wird. Dies können wir uns
nicht leisten.
({4})
Wir wollen mit unserem Job-Aqtiv-Gesetz die Probleme konsequent angehen. Wir richten die Arbeitsmarktpolitik neu aus. Wir sorgen dafür, dass besondere Zielgruppen am Arbeitsmarkt - Un- und Angelernte, Ältere
wie Jüngere - zusätzlich gefördert werden, dass die Vermittlung beschleunigt und verbessert wird. Das hat positive Folgen nicht nur für die Arbeitslosen, sondern auch
für die Kassen der Bundesanstalt für Arbeit. Eine um drei
Tage verkürzte Verweildauer in der Arbeitslosigkeit, unter anderem bezogen auf 200 000 Arbeitslose, verringert
die Kosten der Arbeitslosigkeit um rund 2,6 Milliarden DM. Dies ist keine Rechnung von uns und auch keine
Rechnung vom BMA, sondern eine Rechnung von Professor Egle von der Fachhochschule der Bundesanstalt für
Arbeit in Mannheim, nachzulesen in seiner Stellungnahme für die Anhörung am Montag.
Wir machen mit dem Job-Aqtiv-Gesetz Ernst mit dem
lebensbegleitenden Lernen, unterstützen und fördern
eine Kultur des Lernens. Die Unterweisung muss künftig
mehr gelten als die Überweisung.
({5})
Qualifizierung und Beschäftigung hängen eng zusammen.
Wir wissen: je niedriger die berufliche Qualifikation, desto schlechter die Stellung und die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Regelmäßige berufliche Qualifizierung für die
dauerhafte Sicherung und Stärkung der Beschäftigungsfähigkeit, das ist unser Angebot an Arbeitslose wie an Beschäftigte, die womöglich von Arbeitslosigkeit bedroht
sind. Das ist auch unser Angebot an die Arbeitgeber, vor
allem die kleinen und mittleren Unternehmen, denen wir
bei der Qualifizierung mit Job Aqtiv unter die Arme greifen. Das ist eine Antwort auf die Herausforderung, wie
wir uns künftig wettbewerbsfähig in der Wirtschaft bewegen können, sowohl für die Beschäftigten- als auch für die
Arbeitgeberseite.
Dass dieses Konzept erfolgversprechend ist, zeigen die
aktuellen Arbeitslosenzahlen. Trotz der schwierigen Gesamtsituation gibt es Erfolge bei dieser wichtigen Zielgruppe. Die Arbeitslosigkeit Älterer - Menschen über 55 wurde gegenüber dem Vorjahr um mehr als 16 Prozent abgebaut. Das ist ein Minus von 126 000. Ebenso sank die
Zahl der Langzeitarbeitslosen um mehr als 12 Prozent.
Damit haben wir Bewegung in den Abbau auch der strukturellen Arbeitslosigkeit gebracht.
Für uns heißt es, die internen Wachstumskräfte zu stärken. Das haben wir mit einer Politik der Haushaltskonsolidierung, mit deutlichen Steuersenkungen, mit der Rentenreform, mit der Modernisierung der Mitbestimmung
und auch mit dem Erschließen von Talenten getan. Die internen Wachstumskräfte zu stärken heißt vor allem auch,
der Qualifizierung eine Chance und ein solides Fundament zu geben.
Alle hier im Hause fordern immer lebenslanges Lernen
und beschwören dies. Ich spreche lieber vom lebensbegleitenden Lernen. Denn das Wort lebenslang weckt ein
wenig die Assoziation von lebenslänglich und das ist nicht
gerade positiv.
Wer in Zukunft auf dem Arbeitsmarkt Erfolg haben
will, muss sein Wissen immer wieder überprüfen und sich
den veränderten Bedingungen anpassen. Das gilt auch für
uns als Abgeordnete. Diese Feststellung ist nicht neu. Im
Gegensatz zur CDU/CSU und zur FDP reden wir aber
nicht nur darüber, sondern wir handeln auch. Seit 1998 haben wir die berufliche Aus- und Weiterbildung besonders
ausgebaut. Noch nie wurde so viel für Bildung und Forschung ausgegeben wie von dieser Bundesregierung.
({6})
Auch im Bündnis fürArbeit besteht Einigkeit darüber,
alle Qualifikationspotenziale erschließen und fördern zu
müssen. Wir können es uns nicht leisten, das Potenzial der
Frauen nicht voll auszuschöpfen und das Potenzial und
den Erfahrungsschatz älterer Menschen brachliegen zu
lassen. Alt ist man für manchen Arbeitgeber schon mit
40 Jahren. Es ist erschreckend - man kann dies in einer
IAB-Studie nachlesen -, dass in 60 Prozent der Betriebe
keine Beschäftigten mehr vorzufinden sind, die älter als
55 Jahre sind.
Die Klagen über eine Überforderung der Rentenversicherung und das gleichzeitige Hinausdrängen der Älteren aus dem Erwerbsleben sowie die mangelnde Bereitschaft, Ältere einzustellen, passen nicht zusammen.
Dieses Problem ist mit einem gelockerten Kündigungsschutz, so wie vor allem Sie von der CDU/CSU und auch
Sie von der FDP ihn fordern, nicht anzugehen. Wir dagegen wollen eine Vermittlungs- und Qualifizierungsoffensive gerade für Ältere. Im Bündnis für Arbeit haben
sich alle Akteure darauf verpflichtet und die Weichen
dafür wurden gestellt.
Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz erledigen wir unsere Hausaufgaben, neue Rahmenbedingungen zu gestalten: durch
moderne Instrumente der Weiterbildung, und zwar vor allem der Weiterbildung von gering Qualifizierten und älteren Beschäftigten, und durch die Einführung der Jobrotation. Angesichts von 1,8 Milliarden Überstunden in
Deutschland sind nun vor allem auch die Arbeitgeber gefordert, die im Bündnis für Arbeit verabredeten Aktivitäten zur Reduzierung der Mehrarbeit und zur Umwandlung
in neue Beschäftigung umzusetzen.
({7})
Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz liefern wir arbeitsmarktpolitische Instrumente wie zum Beispiel Eingliederungs- und
Lohnkostenzuschüsse und begleitende Hilfen bei der Qualifizierung. Ich kann hier alle im Interesse der Arbeitslosen
nur auffordern: Ergreifen wir die Chancen! Nutzen wir die
Instrumente und gehen wir auf Schatzsuche!
Danke schön.
({8})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 14/6162 und 14/7070 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 j sowie
Zusatzpunkt 4 auf - es handelt sich um Überweisungen im
vereinfachten Verfahren ohne Debatte -:
25 a)Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom
18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form
von Diskriminierung der Frau
- Drucksache 14/7009 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der
Entschließung vom 22. Mai 1995 zur Änderung des Übereinkommens vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau
- Drucksache 14/7011 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Fakultativprotokoll vom 6. Oktober 1999
zum Übereinkommen vom 18. Dezember
1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau
- Drucksache 14/7012 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuordnung des Schuldbuchrechts des Bundes
und der Rechtsgrundlagen der Bundesschuldenverwaltung ({3})
- Drucksache 14/7010 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({4})
Finanzausschuss
e) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rolf
Kutzmutz, Eva Bulling-Schröter, Uwe Hiksch,
Gerhard Jüttemann und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes ({5})
- Drucksache 14/6796 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({6})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes
zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes ({7})
- Drucksache 14/6814 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({8})
Innenausschuss
g) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung
der Verwaltungsgerichtsordnung
- Drucksache 14/6856 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({9})
Innenausschuss
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Rainer Funke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Forschungsstandort Deutschland stärken Zukunftsprojekt TESLA nicht gefährden
- Drucksache 14/4646 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({10})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Förderung der Alterungsforschung
- Drucksache 14/5464 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({11})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss
j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf
Kutzmutz, Eva Bulling-Schröter, Uwe Hiksch,
Gerhard Jüttemann und der Fraktion der PDS
Zugangsverordnung für Stromnetze erlassen
- Drucksache 14/6795 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({12})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 4 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Vermögenszuordnungsgesetzes
- Drucksache 14/7035 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({13})
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist das
so beschlossen.
Wir kommen nun zur Behandlung von Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 a auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Anpassung bilanzrechtlicher Bestimmungen
an die Einführung des Euro, zur Erleichterung der
Publizität für Zweigniederlassungen ausländischer
Unternehmen sowie zur Einführung einer Qualitätskontrolle für genossenschaftliche Prüfungsverbände ({14})
- Drucksache 14/6456 ({15})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({16})
- Drucksache 14/7081 Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Brinkmann ({17})
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Evelyn Kenzler
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 b auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über den Beruf der Podologin und des Podologen
({18})
- Drucksache 14/5593 ({19})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({20})
- Drucksache 14/7107 Berichterstattung:
Abgeordnete Eva-Maria Kors
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der FDP ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Die Podologinnen und Podologen
werden dies kritisch würdigen, meine Damen und Herren
von der FDP.
Dritte Beratung
Vizepräsidentin Anke Fuchs
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der FDP
ist der Gesetzentwurf angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 c auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({21}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Verordnung zur Änderung abfallrechtlicher
Bestimmungen zur Altölentsorgung
- Drucksachen 14/6653, 14/6907 Nr. 2.1, 14/7056 Berichterstattung:
Abgeordnete Rainer Brinkmann ({22})
Georg Girisch
Dr. Reinhard Loske
Eva Bulling-Schröter
Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung zuzustimmen. Wer ist für diese Beschlussempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der FDP
ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 d auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({23}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Verordnung zur Änderung abfallrechtlicher
Nachweisbestimmungen
- Drucksachen 14/6808, 14/6907 Nr. 2.2, 14/7055 Berichterstattung:
Abgeordnete Rainer Brinkmann ({24})
Georg Girisch
Michaele Hustedt
Eva Bulling-Schröter
Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung zuzustimmen. Ich bitte diejenigen, die ihr zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Gegenprobe! - Diesmal ist auch die
FDP dabei. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 e auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Angelegenheiten der
neuen Länder ({25})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Paul
Krüger, Ulrich Adam und der Fraktion der
CDU/CSU ({26})
Ansiedlung einer Produktionsstätte für den
Airbus A 3XX in Mecklenburg-Vorpom-
mern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf
Kutzmutz, Dr. Christa Luft, Dr. Dietmar
Bartsch, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der
PDS
Ansiedlung einerAirbus-Fertigungsstätte in
Mecklenburg-Vorpommern
- Drucksachen 14/161, 14/25, 14/2689 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Christel Deichmann
Dr.-Ing. Paul Krüger
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/25 zur Ansiedlung einer Airbus-Fertigungsstätte in
Mecklenburg-Vorpommern. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? -
Gegen die Stimmen der PDS ist die Beschlussempfehlung
angenommen.
Weiter empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c sei-
ner Beschlussempfehlung die Annahme einer Entschlie-
ßung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die
Gegenprobe! - Das ist einstimmig.
Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach, Hermann Bachmaier,
Bernhard Brinkmann ({27}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den
Abgeordneten Volker Beck ({28}), Grietje Bettin,
Irmingard Schewe-Gerigk, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts
- Drucksache 14/6040 ({29})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({30})
- Drucksache 14/7052 Berichterstattung:
Abgeordnete Hermann Bachmaier
Hans-Joachim Hacker
Alfred Hartenbach
Norbert Geis
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Volker Beck ({31})
Dr. Evelyn Kenzler
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts
- Drucksache 14/6857 ({32})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({33})
- Drucksache 14/7100 Berichterstattung:
Abgeordnete Hermann Bachmaier
Hans-Joachim Hacker
Alfred Hartenbach
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Bernd Wilz
Volker Beck ({34})
Christina Schenk
Es liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU und der Fraktion der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Hermann Bachmaier für die SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Wir diskutieren, wie wir das
auch gerade wieder gesehen haben, und verabschieden im
Bundestag häufig Gesetze, mit denen die Mehrzahl der
Menschen in ihrem Alltag nicht allzu viel zu tun hat. Bei
der heute zu verabschiedenden Modernisierung des
Schuldrechts handelt es sich aber um ein Gesetz, mit dessen Auswirkungen wir praktisch ständig konfrontiert sein
werden. Ob wir Einkäufe im Kaufhaus tätigen, ob wir einen Neu- oder Gebrauchtwagen kaufen, ob wir einen
Handwerker rufen, in einen Verkehrsunfall verwickelt
sind, ein Haus bauen oder eine Eigentumswohnung kaufen, ein Darlehen aufnehmen oder einen Mietvertrag abschließen, immer handelt es sich um Anwendungsfälle
des Schuldrechts.
Als das Bürgerliche Gesetzbuch am 1. Januar 1900 in
Kraft trat, galt es als großer Wurf. Es hat die Rechtszersplitterung auf dem Gebiet des Zivilrechts in Deutschland
beendet; es war das zentrale Gesetz zur Regelung der
zivilrechtlichen Fragen. Das BGB war ein Spiegelbild der
politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse des heraufziehenden industriellen Zeitalters.
Vertragsfreiheit, Gewerbefreiheit, umfassende Eigentumsrechte und Testierfreiheit waren die Schlüsselbegriffe, auf denen sich die Wirtschaftsordnung des beginnenden 20. Jahrhunderts aufbaute.
Zum Teil geistern noch heute typische Vertragsformen
der damaligen Zeit durch unser Zivilrecht, wenn man an
die Verjährung der Ansprüche von Lohnkutschern, Tagelöhnern und Wundärzten denkt. Leitbild des Zivilrechts
war der selbstbewusste, eigenverantwortliche Bürger, von
dem man annahm, dass er seine Interessen im Rechtsleben jederzeit zur Geltung bringen kann. Ein sozialreformerischer Anspruch war dem BGB fremd. An die oft
schwerwiegenden Folgen höchst unterschiedlicher wirtschaftlicher Macht hat der damalige Gesetzgeber mit Sicherheit kaum gedacht. Schon deshalb wurde die soziale
Kälte des Gesetzes, wie es hieß, von Anfang an beklagt.
Das ursprüngliche Familienrecht des BGB mit seiner
patriarchalischen Grundstruktur war erzkonservativ, die
Behandlung der so genannten unehelichen Kinder diskriminierend. Gustav Radbruch hat deshalb zutreffend festgestellt, dass das BGB bei seinem In-Kraft-Treten mehr
das Endprodukt des 19. als der Auftakt des 20. Jahrhunderts gewesen sei.
({0})
Unbestreitbar bleibt aber, dass das Bürgerliche Gesetzbuch als Gesamtkodifikation des Zivilrechtes von großer
dogmatischer Präzision und Konsequenz geprägt ist.
({1})
- Ich komme schon noch dazu; das gefällt Ihnen wohl
nicht so ganz. - Dadurch haben zentrale Rechtsinstitute
unserer Wirtschaftsordnung, wie zum Beispiel das Eigentum, klare Konturen erhalten.
Schon bald wurde jedoch erkannt, dass insbesondere in
zwei Bereichen des Bürgerlichen Gesetzbuches grundlegender Reformbedarf besteht. Das galt zum einen für das
Familienrecht und zum anderen für das Schuldrecht. Es ist
sicherlich kein Zufall, dass es immer sozialdemokratisch
geführte Regierungen waren, die den Reformbedarf nicht
nur sahen, sondern die notwendigen Reformen auch umsetzten.
({2})
Die überfällige Reform des Ehe- und Familienrechts
wurde in den 70er-Jahren durch die sozialliberale Koalition vollzogen, obwohl Sie zuvor fast 20 Jahre regiert hatten.
Nach jahrzehntelangen Vorarbeiten durch Gutachter
und Kommissionen verabschieden wir heute ein modernisiertes Schuldrecht. Wir wollen es nicht weiter hinnehmen, dass das Schuldrecht des BGB wegen seiner offen
zutage liegenden Defizite einer weiteren Erosion ausgesetzt wird. Schon längst haben Richterrecht und eine Vielzahl von Nebengesetzen den Kernbereich schuldrechtlicher Regelungen sukzessive verändert.
({3})
Das Schuldrecht des BGB ist zum Teil einfach lebensfremd, wenn man zum Beispiel an das Recht der Leistungsstörungen, also zum Beispiel an die verschiedenen
Unmöglichkeitsregelungen denkt, die die Examensklausuren vieler Studenten, aber weniger den Alltag prägen.
({4})
Darüber hinaus gibt das Gesetz auf viele drängende
Fragen überhaupt keine Antwort.
({5})
Deshalb mussten die Gerichte beispielsweise für das Verschulden beim Vertragsabschluss, für die positive Vertragsverletzung und auch für den Wegfall und die Veränderung der Geschäftsgrundlage eigenständig Lösungen
entwickeln, die im BGB nicht vorgesehen waren.
({6})
Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat die notwendigen und zeitgemäßen Standards gesetzt, die man im BGB
vergebens sucht.
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Viele Nebengesetze haben inzwischen das Schuldrecht des BGB in den Schatten gestellt und seiner zentralen Bedeutung beraubt. Das gilt vor allem für das Recht
der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, das den Betroffenen bei der erdrückenden Fülle des Kleingedruckten zu
mehr Gerechtigkeit verhilft, für das Verbraucherkreditgesetz und für das Gesetz zum Widerruf von Haustürgeschäften. Es ist gut, dass wir das Verbraucherschutzrecht
jetzt wieder in das BGB integrieren und damit verhindern,
dass es zu einem Sonderprivatrecht wird.
({7})
Die unübersichtlich gewordenen und zerklüfteten Verjährungsregeln lassen inzwischen jedwede innere Logik
vermissen und sind zu Fallgruben für die Betroffenen geworden. Nur noch Spezialisten finden sich in diesem Labyrinth zurecht. Da Richter hier nicht korrigierend eingreifen können, ist der Gesetzgeber gefordert.
Das heute zu verabschiedende Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts ist deshalb zwingend geboten. Wir
schaffen damit transparente und gerechtere Regelungen
für den zivilrechtlichen Alltag. Unbestreitbar ist, dass das
vorliegende Gesetz grundlegende Defizite des geltenden
Schuldrechts beseitigt und das BGB wieder zum zentralen Ort der Regelung der Rechtsgeschäfte des täglichen
Lebens macht. Es ist lange genug und hoch qualifiziert
über diese Reform diskutiert und gestritten worden. Jetzt
gilt es, das umzusetzen, was sich jeweils als eine vernünftige Lösung herauskristallisiert hat.
Über mangelnden Dialog kann sich niemand beklagen.
Wohl deshalb findet dieses Gesetz auch eine so weitgehende Zustimmung in den gesellschaftlichen Gruppierungen und Organisationen, denen die schon lange erkannten
Defizite des Zivilrechts vertraut sind.
({8})
Die Schuldrechtsmodernisierung ist ein Vorhaben, das
1978 von dem damaligen Bundesjustizminister HansJochen Vogel begonnen und von seinen Nachfolgern,
Hans Engelhard und Klaus Kinkel, fortgeführt und weiter
vorangebracht wurde. Es ist dankenswert, dass unsere
Bundesjustizministerin diese Arbeiten jetzt zu einem gelungenen Abschluss gebracht hat.
({9})
Hundert Jahre nach In-Kraft-Treten des BGB war es
höchste Zeit, das Schuldrecht einer gründlichen Renovierung zu unterziehen und es für das 21. Jahrhundert fit zu
machen.
Herzlichen Dank.
({10})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Ronald Pofalla
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Offensichtlich will die
Bundesjustizministerin - dafür habe ich Verständnis - als
die große Reformerin in die Rechtsgeschichte unseres
Landes eingehen.
({0})
Anders kann man sich die rastlose Suche nach vermeintlich reformbedürftigen Gesetzen nicht erklären.
Bewundernswert ist der Elan der Bundesjustizministerin deshalb, weil sie wider besseres Wissen und gegen
noch so vehement und fundiert vorgetragenen fachlichen
Rat jeden noch so falsch eingeschlagenen Weg konsequent und munter zu Ende geht.
({1})
Ermöglicht wird ihr die Tabula rasa des Rechtssystems
einzig durch die Stimmenmehrheit der Regierungskoalition.
Nach diversen Reformen und Reförmchen wird vor allem bei der so genannten großen Reform des Schuldrechts
klar: Sie ist in dieser Form unnötig. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurden circa 200 Änderungen in dem
Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts - sprich: der Schuldrechtsreform - durchgesetzt.
({2})
Diese Änderungen basieren im Wesentlichen auf Anträgen der unionsregierten Länder.
({3})
Hierdurch wurde der Gesetzentwurf im Vergleich zur Ursprungsversion zwar verbessert, aber bereits die Notwendigkeit einer solchen Masse an Veränderungen, die durch
die Regierung und die Regierungskoalition auch bereitwillig akzeptiert wurden, zeigt, welch mangelnde Qualität
der Gesetzentwurf ursprünglich aufwies.
({4})
Hier auf dem Rednerpult liegt das Ergebnis der Beratungen. Eine Zusammenfassung von 369 Seiten mit über
200 Änderungsanträgen macht deutlich, dass der Ausgangsentwurf eben nicht ausgereift war. Das lässt befürchten, dass selbst diese, jetzt zu entscheidende Fassung darauf werde ich näher eingehen - für die Rechtspraxis auf
Dauer nicht zu gebrauchen sein wird.
Die Folge dieser mangelnden Qualität wird sein, dass
es eine Anzahl von unerkannten Fehlern geben wird, die
erst in den nächsten Jahren bemerkt werden dürften. Ein
solch umfangreicher, übers Knie gebrochener Gesetzentwurf
({5})
birgt nun einmal viele Unwägbarkeiten, die offenbar von
der Frau Ministerin und den Kolleginnen und Kollegen
der Regierungskoalition billigend in Kauf genommen
werden. Aber die besonders betroffenen Rechtsanwender Hermann Bachmaier
({6})
vom Kaufmann über den Rechtsanwalt bis hin zum
Richter - werden nicht vergessen, wer ihnen diese Reform - ich bin geneigt, es so zu nennen - eingebrockt hat.
Wäre der Gesetzentwurf zur Modernisierung des
Schuldrechts ein Auto, das neu auf den Markt käme, so
drohte Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, die Produkthaftung; denn Sie hätten zu
verantworten, dass die Serientauglichkeit nicht überprüft
worden ist und das Produkt daher mit mangelnder Qualität auf den Markt kommt. Unter diesen Umständen bedauert man fast, dass es eine Produkthaftung für Gesetzesvorhaben wie dieses nicht gibt.
({7})
Aber die Wähler werden Sie für diese unnötigen und für
andere mangelhafte Reformen schon zur Rechenschaft
ziehen.
Die so genannte große Reform des Schuldrechts weist
einige gravierende Fehler auf. Ich werde einige davon benennen.
Erstens. Nur durch erheblichen Weiterbildungsaufwand werden sich Justiz und Anwaltschaft wie auch die
anderen Rechtsanwender mit den anstehenden Neuregelungen vertraut machen können. Abgesehen davon, dass
Anwaltschaft und die meisten anderen Rechtsanwender
bereits ab dem 1. Januar kommenden Jahres alle neuen
Verträge nach neuem Recht erstellen müssen und somit
die Zeit zur Vorbereitung viel zu kurz bemessen ist, werden auch erhebliche Kosten entstehen.
({8})
- Ich habe gelernt: Wer keine Argumente hat, wird laut.
Ich entnehme Ihrer Lautstärke, dass Sie dem inhaltlich
- das ist für mich nicht überraschend - nichts entgegenzusetzen haben.
({9})
Die Rechtsanwender werden Weiterbildungskurse, Literatur und Ähnliches benötigen, um die umfangreichen
Gesetzesänderungen in der vorhandenen Zeit verinnerlichen zu können. Die hierbei zu erwartenden Kosten für
die Praxis werden erheblich unterschätzt.
Ganz im Gegensatz zur Einschätzung der Frau Ministerin, die in dem Gesetzentwurf für die öffentlichen Haushalte keinerlei Kosten veranschlagt, werden auch auf die
öffentliche Hand nicht unerhebliche Kosten zukommen,
wenn ganze Schuldrechtsbibliotheken in der Nacht vom
31. Dezember 2001 zum 1. Januar 2002 Makulatur werden.
({10})
Zahllose Kommentare, Lehrbücher und Gesetzestexte
müssen in den vorhandenen Bibliotheksbeständen, in denen sonst nur in unregelmäßigen Abständen eine Aktualisierung notwendig ist, ersetzt werden.
({11})
Zweitens. Die vollständige Reform des deutschen
Schuldrechts ist auch deswegen sinnlos, weil es mit allergrößter Wahrscheinlichkeit bald von einem allgemein
gültigen europäischen Schuldrecht abgelöst wird. Überlegungen zu einem europäischen Schuldrecht sind in der
EU-Kommission bereits angelaufen. Im Rahmen der Europäisierung des Schuldrechts wird eine umfassende Kodifizierung und Vereinheitlichung des Schuldrechts der
Mitgliedstaaten angestrebt. Die von der jetzt beabsichtigten Reform betroffenen Rechtsanwender in Deutschland
werden also in einem überschaubaren Zeitraum gleich
zweimal mit erheblichen Umstellungen eines wichtigen
Bereichs des Zivilrechts konfrontiert. Genau das ist unzumutbar.
({12})
Damit wird in unverantwortlicher Weise Rechtsunsicherheit in Kauf genommen.
Drittens. Bereits bei der jetzigen Umstellung wird aufgrund der geplanten gravierenden Änderungen und der
knapp bemessenen Übergangszeit mit erheblicher Rechtsunsicherheit zu rechnen sein, bis sich die Justiz und die
Rechtsanwälte auf das neue Recht eingestellt haben und
Grundsatzurteile in strittigen Fragen gefällt worden sind.
Erst dann werden auch die aufgrund der kurzen Vorbereitungszeit mit Sicherheit vorhandenen rechtstechnischen
Mängel des Entwurfes zutage treten. Bereits das wesentlich sorgfältiger vorbereitete zurzeit geltende Schuldrecht
wies Fehler auf, die in mühevoller Arbeit durch jahrzehntelange richterliche Rechtsfortbildung behoben wurden.
Ich denke, dass Sie den Gerichten mit der Umsetzung dieses Entwurfes erneut viel Arbeit und den Parteien eines
Zivilrechtsstreits viel Frustration bereiten werden.
({13})
Viertens. An dieser Stelle möchte ich auf den Faktor
Zeit - in diesem Punkt verstehe ich Sie, Herr Kollege
Bachmaier, überhaupt nicht - im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf etwas genauer eingehen. Für eine
wissenschaftliche Durchdringung des zur Diskussion stehenden Gesetzentwurfes hat die Zeit nicht ausgereicht.
({14})
Die alten Vorschläge der Schuldrechtskommission, deren
Arbeit überhaupt nicht abgewertet werden soll, sind kein
Beleg für eine gründliche und sorgfältige Vorbereitung
der Reform. Das umso weniger, als vom ursprünglichen
Entwurf nach den bereits erwähnten circa 200 Änderungen nicht mehr viel übrig ist. Die wissenschaftlichen Vorarbeiten der Schuldrechtskommission waren im Hinblick
auf den vorliegenden Entwurf nur in ganz engen Grenzen
verwendbar.
In einem sagenhaften Tempo wurde der Gesetzentwurf
zudem an allen Gremien des Bundestages und den Betroffenen vorbei durch das Gesetzgebungsverfahren gehetzt. Die mangelnde Einbeziehung des Deutschen Bundestages ist eine Entwicklung, die mir am allermeisten
Sorge bereitet und über die wir uns an anderer Stelle
gesondert unterhalten sollten. Angesichts des Umfangs
der Reform habe ich einen solchen Zeitdruck in den letzten mehr als zehn Jahren in diesem Haus noch nicht erlebt.
({15})
Eine solche Eile wird dem hohen Anspruch einer umfassenden Reform des Schuldrechts nicht gerecht. Die
Diskussion wurde am Parlament vorbei geführt. Ich betone: Die in der Verfassung und in der Geschäftsordnung
vorgesehenen Beteiligungen sind formal - in diesem
Punkt gibt es keinen Streit - alle eingehalten worden.
Aber eine wirkliche Beteiligung des Parlamentes hat es
nicht gegeben.
({16})
Bei einer so grundlegenden Reform des Zivilrechtes sollten Sie als Abgeordnete der Koalitionsfraktionen darüber
nachdenken, ob Sie sich von Ihrer Regierung das bieten
lassen, was wir uns angesichts dieser Zeitknappheit haben
bieten lassen müssen.
({17})
Es kann nicht richtig sein, dass die Diskussion über die
fachlichen Aspekte quasi ausschließlich auf der Ebene der
Fachbeamten und der Ländervertreter geführt wurde. Ich
betone noch einmal: Die Länder, insbesondere der CSUregierte Freistaat Bayern, haben sehr gute Vorschläge gemacht, die auch übernommen worden sind.
({18})
Aber es war doch eine Diskussion der Beamten und keine
der Parlamentarier.
Als Sie noch in der Opposition waren, haben Sie - Sie,
Herr Manzewski, waren damals in der Tat noch nicht Mitglied des Bundestages; ich meine die zahlreich vertretenen älteren Kollegen Ihrer Fraktion - immer die mangelnde Beteiligung des Parlamentes beklagt. An manchen
Stellen - das möchte ich im Rückblick zugeben - haben
Sie Recht gehabt. Aber eine solch große Reform wie die
jetzige faktisch an den Parlamentariern des Deutschen
Bundestages vorbei durchzuführen kann nicht im Interesse dieses Hauses und kann schon gar nicht im Interesse
der Bürgerinnen und Bürger sein, deren Repräsentanten
wir im Deutschen Bundestag sind. Damit ist die Diskussion über die Modernisierung des Schuldrechts auch am
deutschen Volk vorbei geführt worden.
({19})
- Herr Bachmaier, ich sage Ihnen ehrlich: Ich hätte von
Ihnen an dieser Stelle etwas mehr Kritikfreudigkeit erwartet.
({20})
Ihre Regierung vertrat im Zusammenhang mit einem bestimmten Ratifizierungsverfahren die Auffassung, dass es
nur der einfachen Mehrheit im Deutschen Bundestag bedürfe. Ich muss Ihnen sagen: Ich habe Hochachtung vor
Herrn Professor Meyer, Ihrem Kollegen, der den Mitgliedern Ihrer Regierung deutlich gemacht hat,
({21})
dass diese Auffassung nicht dem geltenden Recht entspricht, weil eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist.
({22})
Darüber ist nun Konsens erzielt worden. Ich habe mir von
Ihnen, Herr Bachmaier, gewünscht - ich kann mich an die
Kampfreden, die Sie acht Jahre lang gehalten haben, bevor Ihre Partei die Regierung übernommen hat, noch sehr
gut erinnern -, dass Sie wenigstens einmal kritisch angemerkt hätten, dass die Bundesregierung in Zukunft nicht
mehr so mit den Abgeordneten des Deutschen Bundestages verfahren darf.
({23})
Ich verstehe ja, dass sich die Bereitschaft, kritische Anmerkungen zu machen, mit Blick auf mögliche Beförderungen, die hin und wieder anstehen, reduziert.
({24})
Auch die Justizministerin hätte sich, als sie noch Sprecherin der SPD-Arbeitsgruppe im Rechtsausschuss war,
niemals bieten lassen, dass eine Bundesregierung eine
solche Reform am Bundestag vorbei durchzieht. Sie hätte
Recht gehabt.
({25})
Fünftens. Die so genannte große Reform löst zudem
längst nicht alle im Laufe der Rechtsanwendung aufgelaufenen Probleme. Vereinfachungen wurden keineswegs
in allen Bereichen erreicht. Längst nicht alle privatrechtlichen Sondergesetze mit Schuldrechtsbezug wurden
so integriert, wie Sie es vorgeben. Ausgerechnet das
Produkthaftungsgesetz, eines der bedeutendsten Nebengesetze, wurden außen vor gelassen. Es kann also summa
summarum von einer Beseitigung des Wildwuchses der
Sondergesetze überhaupt keine Rede sein. Auch für den
einfachen Rechtsanwender wird das Gesetz nicht verständlicher. Die Bildung abstrakter Begriffe und die schon
legendäre Verweisungstechnik des bisherigen Schuldrechtes werden noch exzessiver genutzt und gleichsam
auf die Spitze getrieben.
Weiterhin sind auch noch grobe Wertungswidersprüche im Gesetz enthalten, die auch im Gesetzgebungsverfahren nicht beseitigt werden konnten. Auf die Beseitigung dieser offensichtlichen Ungereimtheiten zielten
einige Änderungsanträge der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ab; doch stießen diese Änderungsvorschläge unverständlicherweise auf den Widerstand der Regierungskoalition. Um Ihnen einmal vor Augen zu führen, warum
diese Änderungsanträge von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auch ins Plenum eingebracht worden sind,
möchte ich Ihnen zwei offensichtliche Wertungswidersprüche aufzeigen.
Erstens geht es um die viel zu kurze Frist in dem geplanten § 196 BGB. Bereits der Bundesrat hat empfohlen,
die Verjährungsfrist bei Ansprüchen auf Eigentumsübertragung und auf die Übertragung von Rechten an
Grundstücken auf 30 Jahre zu erhöhen. Aufgrund der
bestehenden Praxis und der Unzahl von weiterhin bestehenden derartigen Grundschulden - um solche geht es
ja - ist der Standpunkt der Bundesregierung unverständlich. Krasser Missbrauch könnte im Einzelfall die Folge
sein, wenn Sie hier nur eine kurze Verjährungsfrist vorsehen. Das wird zulasten vor allem von Eigentümerinnen
und Eigentümern von Häusern und Grundstücken gehen,
die entsprechende Eintragungen im Grundbuch vorgenommen haben und diese, selbst wenn Tilgungen vorgenommen worden sind, im Grundbuch stehen lassen, weil
sie Eintragungskosten sparen wollen. Wenn die Banken
dann die Verjährungseinrede erheben, werden diese Eigentümerinnen und Eigentümer von Grundstücken und
Häusern letztlich vor den Gerichten unter Verweis auf
diese kurze Verjährungsfrist abgewiesen werden. Sie richten damit großen Schaden an.
Zweitens. Eine weitere von vielen Unverständlichkeiten ist der Wertungswiderspruch des § 199 Abs. 2 BGB in
der Entwurfsfassung. Hier wird völlig zu Unrecht mit
zweierlei Maß gemessen. Zum einen unterliegen Ansprüche selbst aus geringfügigster Körperverletzung,
auch im Falle leichtester Fahrlässigkeit, der 30-jährigen
Verjährungsfrist des § 199 Abs. 2 BGB in der Entwurfsfassung. Gleiches gilt im Fall der Gefährdungshaftung
ohne jedes Verschulden des Schädigers. Zum anderen verjähren Schadensersatzansprüche wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung oder wegen der vorsätzlichen Begehung einer Straftat nach § 823 Abs. 2 spätestens
nach zehn Jahren. Das heißt: Fahrlässigkeitstaten, zum
Beispiel eine kleine Verletzung durch eine Ohrfeige, verjähren nach 30 Jahren. Wenn aber jemand absichtlich jemanden wirtschaftlich ruiniert, gilt eine kürzere Verjährungsfrist.
Diese Wertungswidersprüche sind in dem Gesetzentwurf enthalten. Deshalb - das will ich noch einmal deutlich machen, da meine Redezeit gleich endet - lehnen wir
diesen Gesetzestext so, wie er in der Ausschussfassung
heute zur Entscheidung ansteht, ab. Sie geben vor, eine
Reform vorzunehmen. Es ist aber keine Reform. Sie werden Rechtsanwender verunsichern, haben neue Wertungswidersprüche eingeführt und einen Teil der alten Probleme nicht gelöst. Sie tragen die Verantwortung dafür.
Wir lehnen diesen Gesetzentwurf deshalb aus innerer
Überzeugung ab.
({26})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Volker Beck
vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr
Kollege Pofalla, manche Argumente nutzen sich durch
ständige Wiederholung ab.
({0})
Bei jedem Gesetzentwurf, ob es zur Lebenspartnerschaft
war, ob es zur Zivilprozessordnung war oder jetzt bei der
Schuldrechtsreform
({1})
- Mietrechtsreform, ja; wenn wir eine Weile nachdenken,
fallen uns noch zehn andere ein -, erzählen Sie uns, es sei
alles zu schnell gegangen, Sie kämen nicht mehr hinterher, Sie kämen nicht mit. In der Tat, die Koalition hat sich
einiges vorgenommen. Wenn Sie das aber bei jeder Reform vortragen, dann muss das Publikum langsam nachdenklich werden und sich fragen, ob das denn sein kann
und wie wir bloß diese Geschwindigkeit aushalten.
Auch ein anderes Argument, das Sie vorgetragen haben, lässt sich eigentlich schlecht gegen diese Reform anführen, nämlich dass durch die Gesetzesänderung neue
Gesetzessammlungen und neue Kommentarliteratur fällig
werden. Wenn man diesem Argument folgt, dann heißt
das natürlich letztlich: Wir machen nichts mehr. Dann
können die Bibliotheken ihre Anschaffungsetats reduzieren. Aber das kann ja wohl nicht ernsthaft gewollt sein.
Nach rund 20 Jahren Diskussion in Wissenschaft und
Praxis über die Modernisierung des Schuldrechts hat RotGrün jetzt gehandelt. Diese Reform ist die lang erwartete
umfassende Generalinventur des Bürgerlichen Gesetzbuches.
({2})
Wir bringen unser angestaubtes BGB auf Vordermann.
Wir werden mit diesem modernen Zivilrecht auf internationaler Ebene wieder ernst genommen. Im Hinblick auf
ein europäisches Zivilgesetzbuch wird unser neues BGB
Vorbildfunktion haben.
({3})
Herr Kollege Pofalla, obwohl sich Ihre Fraktion in den
Ausschüssen - zumindest in den Berichterstattergesprächen - der Mitarbeit an diesem Jahrhundertwerk weitgehend verweigert hat, hat der Kollege Geis in der Debatte
über den Justizhaushalt treffende Worte gefunden. Er
sagte, das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz sei - ich zitiere - zweifellos das bedeutendste zivilrechtliche Vorhaben dieser Legislaturperiode.
({4})
Ausnahmsweise haben Sie Recht, Herr Geis. Ich teile
diese Einschätzung.
Umso bedauerlicher ist es, dass die Fraktion der Union
dieses bedeutende Vorhaben wegen einiger im Detail abweichender Vorstellungen nicht mittragen will.
({5})
Manchmal übertreiben Sie es mit Ihrer Oppositionsrolle
einfach ein bisschen. In der Rechtspolitik verpassen Sie
mit dieser Blockadehaltung den Modernisierungszug.
Dasselbe gilt für die FDP. Obwohl Sie, Herr Kollege
Funke, in den Berichterstattergesprächen, an denen Sie
immerhin teilgenommen und zu denen Sie einiges beigetragen haben, Zustimmung signalisiert haben, wollen Sie
diese Reform nun offensichtlich nicht mehr unterstützen.
Ich finde es wirklich beschämend, wie Sie sich aufgrund
ideologischer Zwänge mit dem Hinweis auf einzelne Vorschriften - offensichtlich haben Sie Angst, mit einer Zustimmung der Banken- und Wirtschaftslobby auf die Füße
zu treten - zu einer Ablehnung durchgerungen haben.
Übrigens tut es mir auch für Ihren Parteifreund Klaus
Kinkel Leid - er ist anwesend -; schließlich hat der Kollege Kinkel noch im Jahre 1991 den Abschlussbericht der
Schuldrechtskommission mit der Hoffnung versehen, es
werde alsbald auch zu einem entsprechenden Gesetzentwurf kommen. Rot-Grün macht jetzt Kinkels Träume
wahr, so wie Rot-Grün bereits bei der ZPO-Reform
die Träume Ihres Kollegen Schmidt-Jortzig verwirklicht
hat; aber das Im-Regen-stehen-Lassen der eigenen
Justizministerin und Justizminister hat bei der FDP ja
durchaus eine gewisse Tradition. Auch die Kollegin
Leutheusser-Schnarrenberger kann aus der Vergangenheit
manches berichten.
Die Resonanz bei den Expertinnen und Experten in der
umfassenden Rechtsausschussanhörung war überwältigend. Nahezu die gesamte Praxis unterstützt die Schuldrechtsmodernisierung. Der von uns gewählten so genannten großen Lösung wurde von der großen Mehrheit der
Verbände gegenüber einer Art Salamitaktik, wie sie die
Opposition vorgeschlagen hat, der Vorzug gegeben, und
das zu Recht. Wir wollen den Bürgerinnen und Bürgern
sowie den Rechtsanwendern in diesem Land nicht jedes
Jahr eine neue Rechtslage zumuten. Wenn wir zunächst
nur die EU-Richtlinien umgesetzt hätten, dann hätten wir
ein unüberschaubares Chaos an geltenden Rechtszuständen bekommen.
Die renommierte Zivilrechtsexpertin Frau Professor
Dauner-Lieb vom Deutschen Anwaltverein hat im letzten
Anwaltsblatt gesagt, der Diskussionsentwurf des BMJ
vom August 2000 sei in einer beispiellosen Kraftanstrengung des BMJ unter Mitwirkung von Wissenschaft und
Praxis überarbeitet, geglättet und auch deutlich verbessert
worden. Ich will mich diesem Lob an dieser Stelle ausdrücklich anschließen. Die Fachebene des Bundesministeriums der Justiz hat in der Tat eine ganz bemerkenswerte
Arbeit geleistet. Mein Respekt gilt den zuständigen Referentinnen und Referenten, die übrigens bis zuletzt auch
gegenüber den Vorschlägen meiner Fraktion aufgeschlossen waren. Herzlichen Dank!
Vielen Dank auch dafür, dass die Referenten des BMJ
jetzt den verschiedenen Berufsgruppen bei den erforderlichen Fortbildungsveranstaltungen mit ihrem Sachverstand zur Seite stehen. Vor dem Hintergrund dieser vortrefflichen und verantwortungsvollen Hilfeleistung durch
das Ministerium bin ich sehr zuversichtlich, dass die
Rechtsanwender im Hinblick auf die neue Rechtslage ab
Januar 2002 bestens gerüstet sein werden.
Die Reform des Schuldrechts ist in erster Linie eine
Reform für die Verbraucherinnen und für die Verbraucher
in unserem Land.
({6})
Das freut die Verbraucherpartei Bündnis 90/Die Grünen.
Die Verbraucher werden ab Januar 2002 von einer ganzen
Reihe von Neuregelungen profitieren. Die spürbarste verbraucherfreundliche Regelung ist sicherlich die Ausweitung der Gewährleistungsfrist im Kaufrecht von sechs
Monaten auf zwei Jahre. Wir haben darauf geachtet, dass
diese Rechtsverbesserung den Verbrauchern an anderer
Stelle des Gesetzes nicht wieder genommen wird. Eine
Pflicht zur Rüge innerhalb der ersten zwei Monate, ähnlich wie unter Kaufleuten, bleibt den Verbrauchern erspart.
({7})
Das ist auch richtig so, weil sich viele Mängel naturgemäß
erst nach viel längerer Zeit herausstellen.
Gleichzeitig wird bei Schadenseintritt innerhalb der
ersten sechs Monate nach Lieferung eine Beweislastumkehr zugunsten der Verbraucher eingeführt.
({8})
Die Haftung der Verkäufer wird auf Herstellerangaben
und fehlerhafte Montageanleitungen erweitert und der
Leistungsverzug - das hat meine Fraktion durchgesetzt tritt bei Verbrauchern nur dann ohne vorangegangene
Mahnung nach 30 Tagen automatisch ein, wenn in der
Rechnung auf diese Rechtslage hingewiesen wurde.
({9})
Meine Damen und Herren, diese Schuldrechtsmodernisierung trägt damit an vielen Stellen eindeutig die grüne
Handschrift. Auch in den letzten Zügen des Gesetzgebungsverfahrens haben wir noch diverse Verbesserungen
im Detail erreichen können. So haben wir dafür gesorgt,
dass die Verjährung von Ansprüchen bei Verletzung des
Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung künftig bis zum
21. Lebensjahr gehemmt ist. Sie ist im Übrigen auch so
lange gehemmt, wie Opfer und Täter in einem Haushalt
leben. Das ist eine vernünftige Regelung, die den tatsächlichen Umständen in solchen Fällen angemessen Rechnung trägt.
({10})
Bislang waren Schmerzensgeldansprüche ja häufig schon
verjährt, bevor das Opfer überhaupt anfing, über solche
Ansprüche nachzudenken.
Bei der Neugestaltung der Verjährungsfristen gelingt dem Entwurf die notwendige, weitgehende Vereinheitlichung des derzeitigen Wirrwarrs. Gleichzeitig wird
dem Gläubiger auch eine faire Chance eröffnet, seinen
Anspruch geltend zu machen. Das Gesetz stellt deshalb
beim Verjährungsbeginn auf die Kenntnis oder die grob
fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Umständen ab.
({11})
Volker Beck ({12})
Meine Damen und Herren, die Schuldrechtsmodernisierung ist nicht nur eine Reform für alle Rechtsanwender,
sondern auch für die Bürgerinnen und Bürger, die in ihrer
täglichen Arbeit nicht mit Paragraphen zu tun haben.
Durch das Gesetz wird das Vertragsrecht wesentlich vereinfacht. Es wird damit auch für die Bürgerinnen und Bürger durchschaubarer. Wir verhelfen dem BGB wieder zu
dem Stellenwert, den es ursprünglich einmal besitzen
sollte. Dies tun wir, indem wir zahlreiche Verbraucher
schützende Nebengesetze in das BGB integrieren. Damit
wird sich die Rechtslage in Zukunft wieder allein aus dem
BGB ergeben. Richterrecht, das bislang nur Juristen und
welche, die es werden wollten, kannten, wird jetzt ausdrücklich in das Gesetz integriert.
({13})
Ich nenne als Stichworte: positive Vertragsverletzung,
Culpa in contrahendo oder Wegfall der Geschäftsgrundlage - all diese Rechtsinstitute stehen jetzt endlich im Gesetz. Das schafft nicht nur mehr Rechtssicherheit, auch
der beliebte Hinweis: Ein Blick ins Gesetz erleichtert die
Rechtsfindung! wird mit dieser Reform wieder uneingeschränkt Geltung beanspruchen können.
Deshalb ist es eine gute und eine bürgerfreundliche Reform. Ich glaube, Sie bieten hierzu einfach keine Alternative.
({14})
Wenn wir Ihrem Weg gefolgt wären, hätten wir jetzt in
schöner Regelmäßigkeit neue Rechtszustände in unserem
Land.
Zu dem, was Sie zur europäischen Entwicklung gesagt
haben, erwidere ich Ihnen, dass ich glaube, dass diese Reform richtungsweisend werden wird, wenn sie denn zustande kommt. Wir können aber den Verbraucherinnen
und Verbrauchern in unserem Land nicht zumuten, noch
länger zu warten und sich auf den europäischen Weg zu
verlassen, nur weil dort Diskussionen begonnen worden
sind.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({15})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Rainer Funke von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Das so genannte Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, das heute in zweiter und dritter Lesung behandelt werden soll, wird - da gebe ich Ihnen völlig
Recht - das Bürgerliche Gesetzbuch grundlegend verändern. Es hat aber noch nie ein so bedeutsames und umfangreiches Gesetz gegeben, bei dem der Bundestag als
zentrales Gesetzgebungsorgan eine solch untergeordnete
Rolle gespielt hat.
({0})
Dafür trägt die Bundesjustizministerin Verantwortung;
dies zeigt aber auch die Schwäche der die Regierung tragenden Koalitionsfraktionen.
({1})
Der Bundestag, der Rechtsausschuss und seine Berichterstatter haben auf dieses Gesetzgebungswerk kaum Einfluss nehmen können, auch wenn Herr Beck meint, dass
er als Grüner besonders Einfluss genommen hätte.
Aus Sicht des Parlaments handelt es sich um einen völlig übereilten Gesetzentwurf. Zwar gab es sicherlich viele
Beratungen zwischen dem Bundesjustizministerium, den
Ländern und auch einem Teil der Wissenschaft, an denen
sich auch die Ministerialbürokratie der Bundesländer
intensiv beteiligt hat, auf der anderen Seite ist aber das
parlamentarische Beratungsverfahren trotz der anerkennenswerten Bemühungen, die Opposition in die Berichterstattergespräche einzubeziehen, von Anfang an ohne
jegliche Auswirkung auf das Gesetzgebungsverfahren geblieben.
({2})
Der heute zu beschließende Gesetzentwurf weist
- ebenso wie die noch geltende Regelung des
§ 284 Abs. 3 BGB - erhebliche Mängel auf. In rund
150 Fällen sind Mängel - das ist unbestreitbar und ausdrücklich zu erwähnen - aufgrund der Korrekturwünsche
des Bundesrates abgestellt worden. Dennoch haben wir
mit Sicherheit in der Kürze der Zeit nicht alle Fehler entdeckt. Vor allem aber wird es neue Fehler gegeben haben.
Die FDP hatte sich zu Beginn der Beratungen stets für
die kleine Lösung ausgesprochen. Eine solche kleine Lösung ist aufgrund des Vorgehens der Bundesregierung
heute nicht mehr möglich. Das Gesetzgebungsverfahren
hätte im Rahmen einer kleinen Lösung, die sich auf die
Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie konzentriert, zu Beginn der Legislaturperiode in Gang gesetzt
werden müssen. Dieses Gesetz wäre dann hier auch zügig
beraten worden. Stattdessen hat man mit einem großen
Gesetzentwurf, der erst zur Mitte der Legislaturperiode
eingebracht wurde, darauf hingearbeitet, dass letztlich nur
noch mittels einer großen Lösung vorgegangen werden
konnte.
Der Entwurf lässt die europäischen Entwicklungen
völlig unberücksichtigt. Ich will hier nicht weiter darauf
eingehen, weil der Kollege Pofalla hierzu schon alles Wesentliche gesagt hat.
Einige Punkte könnte man inhaltlich sicherlich kritisieren. Ich will aber auch positive Aspekte des Gesetzentwurfes hervorheben: Die FDP begrüßt, dass durch den
Gesetzentwurf nunmehr endlich ein weit transparenteres Vertragsrecht entsteht.
({3})
Dies gilt auch für die vereinfachten Bestimmungen im
Leistungsstörungsrecht, das in der Tat im alten BGB zum
Schrecken der Studenten und sonstiger Rechtsanwender
reichlich kompliziert gewesen ist. Auch die HandhabbarVolker Beck ({4})
keit des BGB dürfte in vielen Bereichen durch das Gesetz
verbessert werden. Wir halten es jedoch für einen Irrglauben, dass durch die Aufnahme von bisher nicht gesetzlich
kodifizierten Rechtsregeln, wie etwa der positiven Vertragsverletzung oder des Grundsatzes culpa in contrahendo, eine leichtere Handhabbarkeit des Gesetzes für juristische Laien ermöglicht wird.
Die FDP unterstützt ausdrücklich die Vereinfachung
des in den letzten Jahrzehnten vollkommen unübersichtlich gewordenen Verjährungsrechts. Die Verlängerung
der Gewährleistungsfrist auf zwei Jahre wird von der
Regierungskoalition als großer Erfolg verkauft. Ich weiß
nicht, worin der große Erfolg besteht. Es handelt sich um
eine 1:1-Umsetzung der europäischen Richtlinie. Die Verbraucherfreundlichkeit, die hiermit erreicht werden sollte,
wird dadurch minimiert, dass Industrie und Handel jetzt
dazu übergehen müssen, ihre Preise neu zu kalkulieren,
weil sie inzwischen höhere Haftungsrisiken haben.
Wir halten die Einarbeitung des AGB-Gesetzes in das
Bürgerliche Gesetzbuch für unzweckmäßig - das haben
wir in den Berichterstattergesprächen immer gesagt -,
nachdem das AGB-Gesetz auch durch die Rechtsprechung ein wirksames Instrument für den Verbraucherschutz geworden ist. Bewährtes sollte man nicht ohne
Not verändern.
Auch auf die Einarbeitung bisheriger Nebengesetze
hätte man aus systematischen Gründen verzichten können. Ich glaube, dass es richtig war, was die damalige Oppositionsführerin im Rechtsausschuss, Frau DäublerGmelin, vertreten hat, dass nämlich die Nebengesetze
außerhalb des BGB geregelt werden sollten.
({5})
- Das ist kein Quatsch, Frau Ministerin, das halte ich
wirklich - ({6})
- Das hatten Sie aber gesagt.
({7})
- Dann entschuldige ich mich; das habe ich eben falsch
verstanden.
({8})
- Lieber Herr Hartenbach, Sie wissen doch, wie gerne ich
bei Ihnen bin.
({9})
Ausdrücklich zu kritisieren ist, dass nunmehr nach
§ 310 Abs. 4 BGB das individuelle Arbeitsrecht auch
den Kontrollmechanismen der allgemeinen Geschäftsbedingungen unterliegen wird. Das macht das Verfahren für
die Arbeitgeber, insbesondere die mittelständischen Arbeitgeber, noch schwieriger. Interessanterweise regeln Sie
das kollektivrechtliche Arbeitsrecht nicht im BGB, sondern belassen es außerhalb des BGB. Das ist in meinen
Augen bezeichnend.
({10})
Der Gesetzentwurf wurde, wiewohl die Einflüsse der
Koalitionsfraktionen auf den Entwurf sehr marginal waren, an einigen Stellen in den Beratungen dadurch sogar
noch verschlechtert, dass die Grünen - Herr Beck, hören
Sie ruhig zu, es betrifft Sie; es ist wirklich eine Unverschämtheit, dass Sie sich immer dann, wenn Sie angesprochen werden, mit anderen unterhalten ({11})
sozusagen als Anwalt der Verbraucherverbände Formulierungen in das Gesetz eingebaut haben, die dem System
des bisherigen BGB vollkommen widersprechen.
({12})
Beispielhaft nenne ich hier § 286 Abs. 3 des Entwurfes, der bei einem Schuldner, der Verbraucher ist, einen
Verzugseintritt selbst dann nicht annimmt, wenn dieser
die bestellte Ware bekommen hat - Sie haben es erwähnt und Unsicherheit über den Zugang der Rechnung besteht.
Eine solche Regelung hat noch nicht einmal die EURichtlinie zum Verbrauchsgüterkauf gefordert.
({13})
Es schien aber der Wille der Verbraucherverbände zu sein,
dass ein Schuldner zukünftig bereits durch die schlichte
Behauptung, es habe keine Rechnung beigelegen, einen
Monat kostenlos und ohne die Möglichkeit des Gläubigers, die Forderung beizutreiben, über den Kaufgegenstand verfügen kann.
({14})
Man kann also künftig jedem Verbraucher empfehlen, er
solle sich die Ware liefern lassen und behaupten, er habe
keine Rechnung bekommen, weil er dann erst einen Monat später zahlen muss.
({15})
Wie eine solche Regelung der Behauptung der Bundesregierung, sie wolle die so genannte schlechte Zahlungsmoral bekämpfen, entgegenkommen kann, ist nicht
nachvollziehbar. Das kann auch nicht in ihrem Interesse
sein;
({16})
denn der Käufer, der seine Rechnung bekommen hat und
dann nicht zahlt, indem er behauptet, er habe diese Rechnung noch nicht bekommen, bereichert sich zulasten derjenigen Käufer, die ordnungsgemäß zahlen.
({17})
Das kann auch nicht im Sinne der Marktwirtschaft sein.
Die Justizministerin mutet mit diesem Gesetz, das innerhalb von kürzester Zeit beschlossen und in Kraft treten
wird, den beteiligten Berufsgruppen und Wirtschaftskreisen erhebliche Umsetzungsarbeit zu. Wir beraten dieses
Gesetz dreieinhalb Monate vor seinem In-Kraft-Treten.
({18})
- Es muss auch noch durch den Bundesrat. Ich gehe davon aus, dass es dort weitestgehend unverändert bleibt.
Die Wirtschaft muss sich aber noch auf dieses Gesetz
einstellen. Die AGB-Bestimmungen müssen verändert
werden. Die Wirtschaft muss sich zugleich auf viele andere Dinge einrichten, etwa die Änderung der ZPO und
der Insolvenzordnung, sowie die Formulare und das gesamte Softwareprogramm für den Kaufvertrag verändern.
Dies ist schlicht unzumutbar und zeigt, dass diese Bundesregierung kein Interesse am Gedeihen der Wirtschaft
hat.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({19})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Jella Teuchner von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Wir schließen heute die Beratungen über die Modernisierung des Schuldrechtes ab.
Damit stärken wir gleichzeitig den Verbraucherinnen und
Verbrauchern den Rücken.
({0})
Wir stärken wesentliche Verbraucherrechte, wir vereinheitlichen und vereinfachen das Schuldrecht und wir werten die Verbrauchergesetze durch ihre Integration in das
BGB auf.
Verbraucherinnen und Verbraucher stehen oft vor dem
Problem, dass sie die Eigenschaften und die Qualität von
Produkten nicht oder nur mit sehr hohem Aufwand feststellen können. Sie sind oft auf die Auskünfte von Handel
und Hersteller angewiesen. Auch Mängel sind oft nicht
sofort sichtbar. Hier werden wir die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher stärken: Erstmals wird jetzt im
BGB geregelt, dass der Verkäufer mangelfreie Produkte
übereignen muss; der Käufer bekommt einen Anspruch
auf Nacherfüllung. Die Beweislast wird beim Auftreten
von Mängeln in den ersten sechs Monaten nach Lieferung
zugunsten der Käufer umgekehrt. Insgesamt wird die Verjährungsfrist bei mangelhaften Produkten zugunsten des
Käufers auf zwei Jahre ausgedehnt. Es wird eine Haftung
für Herstellerangaben und Werbeaussagen über bestimmte Eigenschaften der Ware eingeführt.
Ich bin mir sicher: Mit diesen Verbesserungen im
Kaufrecht wird sich auch die Qualität der Produkte in den
Regalen verbessern.
({1})
Die Produktinformation wird besser werden. Dies nützt
den Verbraucherinnen und Verbrauchern, dies nützt aber
genauso den Herstellern, die hochwertige Produkte auf
den Markt bringen.
({2})
Meine Damen und Herren, für die Verbraucherinnen
und Verbraucher sind die Änderungen im Kaufrecht wahrscheinlich die Änderungen, mit denen sie in ihrem täglichen Leben am häufigsten zu tun haben. Die Änderungen
bei den Regelungen zu Darlehensverträgen schützen sie
bei ihrer wahrscheinlich größten Ausgabe. Als Reaktion
auf die Probleme von Verbraucherinnen und Verbrauchern
bei fehlgeschlagenen Immobilienkäufen wurden von der
Rechtsprechung entwickelte Sonderkündigungsmöglichkeiten aufgegriffen. Auch die Formvorschriften zum Verbraucherdarlehensvertrag und zu den Vollmachten zum
Darlehensvertrag helfen, die Informationsvorschriften
zugunsten der Verbraucherinnen und Verbraucher durchzusetzen.
Die Modernisierung des Schuldrechts bringt weitere
Verbesserungen für den Verbraucher mit sich: Die Regelungen über Widerrufsrechte bei den verschiedenen Verbraucherverträgen werden vereinheitlicht. Die Verbraucherzentralen können sich die Ansprüche gegen ein
Unternehmen abtreten lassen und dann gerichtlich durchsetzen. Damit sinkt das Prozesskostenrisiko für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Zudem werden die
Verbandsklagemöglichkeiten des ABG-Gesetzes vereinheitlicht.
Aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher - die
Stellungnahmen der Verbraucherverbände unterstützen
dies - verbessert sich mit dem Projekt, über das wir heute
abstimmen werden, deren Stellung gegenüber den Anbietern. Wir geben ihnen die Möglichkeit, ihren Anspruch
auf mangelfreie Waren, ihren Anspruch auf wahrheitsgetreue Informationen und ihre wirtschaftlichen Interessen
besser durchsetzen zu können, ohne die Anbieter über Gebühr zu belasten. Darüber freue ich mich und darin sehe
ich einen Teil der Modernisierung des Schuldrechts, die
längst notwendig war.
({3})
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Dr. Evelyn
Kenzler von der PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Am 1. Januar des Jahres 1900
trat das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft - ein denkwürdiges Datum für ein außergewöhnliches Gesetz, das im
Laufe von über 100 Jahren mehrere geschichtliche Umbrüche und zwei Weltkriege überlebt hat. Es hat sich aber,
wie wir alle wissen, in bestimmten Teilen im Laufe der
Jahrzehnte schlichtweg überlebt. Nicht umsonst wurde
vor wenigen Jahren das Kindschaftsrecht reformiert. Es
ist deshalb endlich an der Zeit, dass auch die Einzelgesetze und richterlichen Rechtsfortbildungsakte, die das
Schuldrecht weiterentwickelt haben und damit letztlich
das BGB am Leben halten, integriert werden. Dass uns
nach jahrzehntelangen Bemühungen um eine Reform
nunmehr europäische Richtlinien auf die Sprünge helfen,
mag man bemängeln. Wichtig ist jedoch letztlich das Ergebnis und nicht der Anlass.
Positiv werte ich allerdings, dass von der Bundesregierung nicht die kleine, sondern die so genannte große Lösung gewählt wurde. Leider sind die großen Lösungen
trotz Vorarbeiten offenbar selten auch als schnelle Lösungen zu realisieren. Es ist ein Problem, dass der Gesetzentwurf in der endgültigen Fassung sehr spät gekommen ist.
Das dürfte für die Rechtspraxis, die sich erfahrungsgemäß schon aus Zeitgründen erst mit dem Endresultat
des Gesetzgebers vertraut macht, Schwierigkeiten mit
sich bringen. Beim In-Kraft-Treten des BGB waren die
ersten Kommentare schon ein Jahr vorher auf dem Markt.
Auf der Frankfurter Buchmesse dürfte man heute vergeblich nach einem Kommentar oder Lehrbuch suchen.
({0})
Zutreffend hat die Ministerin bei der Beschlussfassung
im Bundeskabinett seinerzeit festgestellt, dass mit dem
vorliegendem Gesetzentwurf sichergestellt werden soll
- ich zitiere -, dass das Schuldrecht im BGB auch
zukünftig eines der wichtigsten Gesetze im Alltag der
Bürgerinnen und Bürger bleibt. Daran dürfte kein Zweifel bestehen. Doch es sollte auch ausgesprochen bürgerfreundlich - nicht nur im Sinne von besser verständlich - und vor allem sozialer werden.
Wer die Entstehungsgeschichte des BGB einigermaßen
kennt, der wird sich an die alte Forderung seiner Kritiker,
zum Beispiel von Anton Menger, erinnern - ich zitiere -:
Unser Privatrecht muss ein Tropfen socialistischen
Öles durchsickern!
Nun trieft der vorliegende Gesetzentwurf keineswegs vor
sozialistischen Rechtsvorstellungen - keine Angst -, doch
er wird ohne Zweifel ein sozialeres Schuldrecht bringen,
ohne gleich eine Rechtsrevolution für den Verbraucher
auszulösen. Nebenbei bemerkt: Der Verbraucher bekommt nichts geschenkt. Die Belastungen, die auf die
Wirtschaft und den Handel zum Beispiel durch die verlängerte Gewährleistungsfrist zukommen, wird er mittragen müssen. Man wird sie auf ihn umlegen. Das Schuldrecht bleibt also bürgerlich.
Auch wenn nicht alle Wünsche gereift sind: Es ist in
der Tat bis zu einem gewissen Grad gelungen, den angestrebten Zuwachs an Übersichtlichkeit, Rechtssicherheit
und Europafähigkeit zu erreichen. Positiv sind grundsätzlich die Schaffung eines einheitlichen Tatbestandes der
Pflichtverletzung, die Verlängerung der gesetzlichen Gewährleistungsfrist, die konsumentenfreundliche Beweislastumkehr in § 476 BGB, die Verpflichtung des Verkäufers, eine mangelfreie Ware zu liefern, einschließlich
seiner Haftung für die versprochenen Eigenschaften, und
die Integration der verstreuten Verbraucherschutzgesetze
in das Schuldrecht zu werten. Auch konnten seit der ersten Lesung einige Verbesserungen gegenüber dem Ursprungsentwurf erreicht werden, zum Beispiel hinsichtlich des Beginns der Verjährungsfrist in § 199 BGB oder
auch der Verlängerung der Verjährung für Mängelansprüche bei Bauwerken nach § 438 BGB.
Problematisch dagegen erscheint mir weiterhin die
Reduzierung der regelmäßigen Verjährungsfrist auf
drei Jahre. Diese Frist ist extrem knapp und wird wohl
nicht selten zum Verlust berechtigter Ansprüche führen.
Schließlich wird die Chance versäumt, auch völlig überholte Vorschriften anderer Titel des BGB der europäischen Rechtslage anzupassen. So ist die Stellung einer
Bürgschaft gemäß § 232 Abs. 2 BGB weiterhin als Ausnahmefall geregelt und § 239 BGB verlangt noch immer
einen inländischen Sitz.
Angesichts der Komplexität des Reformprojektes ist es
sehr schwierig, einzelne Änderungsvorschläge zu machen, da sie zumeist die gesamte Systematik berühren.
Wir haben daher einen Änderungsantrag verfasst, der
einige Teilaspekte erfasst und sich weiterhin um die so genannten Häuslebauer kümmert; denn die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie ordnet eine Reihe von Verträgen, für
die bisher Werkvertragsrecht Anwendung fand, nunmehr dem Kaufrecht zu. Das verbleibende Werkvertragsrecht findet auf die Reparatur- und Wartungsverträge, auf
die Transportverträge, auf das geistige Werk sowie auf
den Bauvertrag Anwendung. Das übrig gebliebene Werkvertragsrecht des BGB bietet jedoch keine verlässliche
Grundlage für die Regelung der Rechtsverhältnisse am
Bau. Der überragenden Bedeutung des Bauens für die
Wirtschaft und für den Verbraucher wird nicht genügend
Rechnung getragen.
Ich weiß, dass die Bundesregierung, so die Wähler es
wollen, in der nächsten Legislaturperiode rechtliche Regelungen im Bereich des Baurechts plant. Nichtsdestotrotz halte ich bereits jetzt die von uns vorgeschlagenen Ergänzungen wie den Schutz vor möglicher Verkürzung der Verjährung im Teil B der Verdingungsordnung für Bauleistungen, die Einfügung eines Rechts auf
Sicherheitsleistung für den Verbraucher, die Verpflichtung zur genauen Beschreibung der Bauleistung durch
den Erbringer, die Aufnahme eines Rechts auf Kündigung des Vertrages, wenn einer Vertragspartei ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zugemutet werden kann,
und die Ablehnung der Nachbesserung, wenn der Unternehmer unzuverlässig war, für nützlich und auch machbar. Ich bitte daher um Zustimmung für unseren Antrag.
Ich möchte zusammenfassen: Wir halten die Schuldrechtsreform, mit der das aus der Jahrhundertwende stammende Schuldrecht modernen Entwicklungen angepasst
wird, grundsätzlich für erforderlich, und zwar über die
Umsetzung der drei EG-Richtlinien hinaus. Wir hätten
uns durchaus noch weiter gehende Änderungen vorstellen
können. Wir sind jedoch mit der eingeschlagenen Grundrichtung trotz Kritik an Einzelpunkten einverstanden. Wir
werden deshalb dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen.
({1})
Das Wort
hat jetzt die Bundesministerin der Justiz, Frau Dr. Herta
Däubler-Gmelin.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts ist wirklich etwas Besonderes. Da sich die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU bei den Berichterstattergesprächen
nie haben sehen lassen,
({0})
hatte ich eigentlich gehofft, wir könnten wenigstens heute
eine inhaltliche Auseinandersetzung führen. Ich hatte
mich auf die Rede von Herrn Pofalla schon richtig gefreut.
Leider Gottes hat er seine Standardrede, die er hier schon
oft gehalten hat, wieder aus der Schublade gezogen. Obwohl Sie mich sozusagen ins Geschichtsbuch einsortieren
- das ist aber mittlerweile auch schon so häufig passiert,
dass es nicht mehr originell ist -, finde ich das ein bisschen schade.
Die Schuldrechtsmodernisierung ist wirklich etwas
Besonderes, weil sie die erste systematische und grundlegende, aber auch dringend notwendige Änderung unseres
Schuldrechtes seit dem In-Kraft-Treten am 1. Januar 1900
ist. Es ist schade, dass die Auseinandersetzung in der Sache fehlt. Hätten Sie diese Modernisierung vollbracht - es
war genügend Zeit während der Regierung von CDU/
CSU und FDP -,
({1})
dann hätten Sie Jubelgesänge angestimmt. Ein bisschen
mehr Beteiligung und ein bisschen mehr Anerkennung
hätte auch der größten Oppositionsfraktion, der CDU/
CSU, nicht schlecht angestanden.
({2})
Sie wissen natürlich ganz genau, dass es kaum ein so
grundlegendes zivilrechtliches Modernisierungswerk gegeben hat, das so breit, so intensiv und - nehmen wir alles zusammen - so lange diskutiert worden ist.
({3})
- Ihre Zwischenrufe gehören zum Geschäft.
({4})
Für die Öffentlichkeit sage ich: Schon 1978 wurde die
Frage der Schuldrechtsmodernisierung - ich war damals
bereits Mitglied des Rechtsausschusses, Herr von Stetten erörtert.
({5})
Dann ist mit Ihrer Beteiligung eine Kommission eingesetzt worden, die 1992 ihre Ergebnisse vorlegte. Sie wurden nicht nur von uns, sondern auch von der CDU/CSU,
vom Deutschen Juristentag und von anderen begrüßt.
Dann ist Ihnen aber die Luft unter dem Hut ausgegangen.
({6})
Offiziell haben Sie erklärt, Sie warten noch auf die europäische Verbrauchsgüterkaufrichtlinie.
Nun liegt diese Richtlinie vor. Sie wissen ganz genau,
dass sie - darüber wurde so furchtbar gejammert - bis
zum 1. Januar 2002 umgesetzt werden muss.
Dann müssen Sie sich einfach entscheiden. Wollen Sie
es machen wie der von mir sehr geschätzte Kollege
Pofalla, der dieses Datum gar nicht erwähnt? Dann wundert es mich aber überhaupt nicht, dass in Ihrer
Regierungszeit die Reisevertragsrichtlinie nicht rechtzeitig umgesetzt wurde, was dazu geführt hat, dass die Bundesrepublik Deutschland Schadensersatz in Millionenhöhe zahlen musste.
Meine Damen und Herren, wenn wir dieses Datum
nicht einhielten, wäre die Schadensersatzverpflichtung
ungleich höher. Aber wenn wir dieses Datum akzeptieren
- das mussten wir, weil es einfach eine Vorgabe war -,
dann hat es überhaupt keinen Sinn, so zu tun, als könne
man das alles ad calendas graecas hinausschieben.
({7})
Ich hätte erwartet, dass jemand von Ihnen, der sich beteiligen will, an den zahllosen Symposien, an den Gesprächen, an den Möglichkeiten, sich im Bereich der
Wissenschaft oder der Öffentlichkeit einzuklinken, teilgenommen hätte. Dies ist nicht erfolgt.
Es gab in der Wissenschaft auch andere Meinungen,
zum Beispiel von den Kollegen Professoren Altmeppen
und Wilhelm. Ich habe ihren fachlichen Standpunkt nicht
geteilt; aber sie hatten wenigstens einen.
({8})
Jetzt will ich Ihnen einmal sagen, was sie geschrieben
haben, nachdem sie ihren Widerstand eingestellt hatten:
Sie seien auch bei den Vertretern der Oppositionsparteien
gewesen. Diese seien naturgemäß einer Kritik aufgeschlossen gewesen, hätten sich aber in grundsätzlichen
und in Detailfragen des Entwurfs als überraschend wenig
informiert präsentiert. Ich zitiere wörtlich:
Sie waren ersichtlich mehr daran interessiert, von
uns irgendwelche Munition gegen die Regierungsarbeit zu erlangen, als dass sie sich für die Problematik einer derartigen Gesetzgebungsarbeit interessieren ließen.
({9})
Ich habe dies mit Abscheu und Empörung zurückgewiesen.
({10})
Allerdings muss ich den Standpunkt überdenken, nachdem ich die Rede von Herrn Pofalla gehört habe.
({11})
- Sie können das Dokument gern haben. Der Punkt ist:
Das ist in der Öffentlichkeit bekannt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns festhalten:
Dieses Gesetz wurde nicht nur mit den Ländern diskutiert
- dafür danke ich übrigens ganz besonders -, sondern
auch von einer sehr breiten wissenschaftlichen - kritischen und auch durchaus unterstützenden - Diskussion
begleitet. Wir haben einen sehr breiten Diskurs organisiert. Deswegen ist es keine Schande, sondern gut, dass
wir die Überlegungen und Anregungen aufgenommen haben, die ja im Vergleich zu denen der Schuldrechtsmodernisierungskommission vernünftiger und besser waren. Nur so kann ein solches Gesetz entstehen. Wir hätten
es aber begrüßt, wenn Sie sich da ein bisschen stärker eingebracht hätten.
Wertvolle Unterstützung erhielten wir übrigens nicht
nur von Wissenschaftlern, von der Schuldrechtskommission, von Gerichten und gerade auch von Praktikern, sondern auch aus den Berufsverbänden. Schauen Sie sich
doch die Stellungnahmen des Richterbundes, des Anwaltvereins, der Anwaltskammern, der Notarkammern oder
der Handwerkskammern an! Sie waren alle der Meinung:
Jawohl, das muss jetzt sein.
({12})
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns noch einmal
den Anlass hervorheben. Dies war zunächst einmal die
Umsetzung von drei wichtigen europäischen Richtlinien.
Eine dieser Richtlinien ist die europäische Verbrauchsgüterkaufrichtlinie. Über das Zeitlimit und über die Folgen
habe ich schon gesprochen. Jetzt ist aber noch die Frage:
Hätte man das sinnvollerweise in zwei oder drei Stufen
umsetzen sollen? Darüber kann man doch reden. Darüber
haben wir auch geredet, auch wenn Sie sich nicht daran
beteiligt haben.
({13})
- Die Zwischenrufe des allseits verehrten und geschätzten
Kollegen Geis! Er weiß es in Wirklichkeit besser.
Aber alle Beteiligten, die hier sehr intensiv mitgewirkt
haben, und gerade die Praktiker, die Anwender und die
Verbände haben gesagt: Wir wollen den Umsetzungsbedarf und die Umsetzungskosten nur einmal. Wir wollen
sie nicht noch einmal haben, nachdem wir sie wegen der
Verbrauchsgüterkaufrichtlinie zum 1. Januar 2002 sowieso haben. Dies muss hier nochmals festgehalten werden.
Das ist auch von der Sache her sinnvoll, und zwar einfach deswegen, weil diese Verbrauchsgüterkaufrichtlinie
zwei Schlüsselvorgaben enthält, die sinnvollerweise mit
einer Modernisierung des Schuldrechts Hand in Hand gehen müssen. Das ist zum einen die Verlängerung der Verjährungsfrist für Mangelansprüche beim Kauf- und beim
Werkvertrag.
({14})
- Entschuldigen Sie, Herr Präsident. Der Kollege wartet,
ich weiß. - Aber wenn Sie sich noch etwas gedulden, Herr
Geis?
({15})
- Danke schön. Bitte setzen Sie sich doch wieder. Ich
brauche noch einen Moment.
Die Verjährungsfrist beträgt also künftig statt bisher
sechs Monate zwei Jahre. Natürlich haben Sie Recht, Herr
Funke: Das ist gut. Auch in einem weiteren Punkt haben
Sie Recht: Das schreibt die entsprechende europäische
Richtlinie vor. Das ist eine Schlüsselvorgabe. Nur, wer
dies gut findet und wer weiß, dass wir diese europäische
Richtlinie umsetzen müssen, der darf nicht dagegenstimmen, sondern muss zustimmen.
({16})
Das heißt, man kann nicht alles haben. Auch das muss
man bedenken.
Jetzt kann der Kollege Geis seine Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege Geis, die Frau Ministerin erlaubt Ihnen, eine Zwischenfrage zu stellen. Bitte schön.
({0})
Ich bedanke mich für die
Erlaubnis zu einer Zwischenfrage.
Frau Ministerin, wenn es richtig ist, dass aufgrund der
Umsetzung der vorliegenden europäischen Richtlinien
zum 1. Januar 2002 sinnvollerweise das gesamte Werk zur
Modernisierung des Schuldrechts verabschiedet werden
soll, wäre es dann nicht richtig gewesen, den entsprechenden Diskussionsentwurf nicht erst ein Jahr vor Verabschiedung, also ungefähr jetzt vor einem Jahr, auf den
Tisch zu legen? Im Übrigen ist von diesem Diskussionsentwurf, wie Sie selber wissen, fast nichts übrig geblieben. Wäre es also nicht sehr viel besser gewesen, diese gesamte Diskussion - besonders im Hinblick darauf, dass
Parlamentarier auch andere Verpflichtungen haben - ein
Jahr früher zu beginnen? Sie sollten bedenken, dass die
Diskussion über das BGB, das vor 100 Jahren rechtskräftig geworden ist, 20 Jahre gedauert hat. Im vorliegenden
Falle haben wir die Diskussion über den konkreten Gesetzentwurf nur ein Jahr lang geführt.
Herr Kollege Geis, Sie wissen wahrscheinlich ganz
genau, dass wir zwischen 1978 und 1980 und dann wieder um das Jahr 1992 über diese Fragen lange diskutiert
haben. In einem Punkt gebe ich Ihnen aber Recht: Ich
hätte es sehr begrüßt, wenn auch der Bundestag während
der Verhandlungen über die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und die beiden anderen damit verbundenen europäischen Richtlinien auf europäischer Ebene mitdiskutiert
hätte. Sie wissen ganz genau: Ich war damals nicht in der
Position, in der ich dies hätte sicherstellen können. Sie
wissen auch, dass ich europäische Richtlinienentwürfe
immer sehr rechtzeitig in die entsprechenden Gremien
dieses Hauses einbringe. Nur, auch wenn eine Richtlinie
innerhalb von nur zwei bis zweieinhalb Jahren umgesetzt
werden soll, muss man erst einmal einen Diskussionsentwurf erarbeiten.
Selbstverständlich weiß ich, dass wir alle sehr viel zu
tun hatten. Sie hatten diesen Gesetzentwurf zum ersten
Mal im September des vergangenen Jahres auf dem Tisch.
({0})
- Nein, im September. Ich habe Ihnen in diesem Zusammenhang einen persönlichen Brief geschrieben. Deswegen weiß ich das ganz genau.
Ich hätte es begrüßt, wenn Sie sich ein bisschen mehr
beteiligt hätten. Unsere Schuld ist es nicht. Die Sache
wäre es wert gewesen. Zudem haben wir nicht nur die
Zahlen der Verjährungsfristen gemäß der ersten Vorgabe,
von der ich bereits gesprochen habe - lassen Sie mich darauf zurückkommen -, ausgetauscht, sondern auch das
Verjährungsrecht wieder stimmig gemacht. Das heißt,
wir haben das System des Verjährungsrechts wieder à jour
modernisiert und damit eine ganze Reihe von Ungereimtheiten, aber auch von Fehlentwicklungen im Schuldrecht
beseitigt.
Auch Sie hätten das in der Zeit nach 1992 tun können.
Sie haben dies nicht gemacht. Sie werden Ihre Gründe
dafür gehabt haben. Seien Sie also so freundlich und greifen Sie uns deshalb nicht an! Sehen Sie vielmehr die deutlichen Vorzüge gerade für die Anwender in der Praxis!
Der zweite strukturell entscheidende Punkt in der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie klingt unscheinbar, ist aber für
eine einheitliche Umsetzung absolut notwendig: Das ist
die Bestimmung in der Richtlinie selber, dass die Kaufsache den vertraglichen Vorgaben entsprechen und frei von
Mängeln sein muss. Sie selber wissen aus der bisherigen
Rechtsprechung und aus dem BGB, dass es hier unglaublich viele Wege gegeben hat. Zusammen mit der Schuldrechtsmodernisierungskommission sind wir der Meinung,
dass eine Antwort genügt. Diese ist jetzt vorgelegt worden. Hierin werden wir im Übrigen von der Wissenschaft
und ganz besonders von der Praxis unterstützt.
Hinzu kommt, dass wir die Gewährleistungsfalle für
das Handwerk abschaffen. Das erklärt, warum der Mittelstand und gerade das Handwerk für diese Reform sind.
Hinter der Gewährleistungsfalle verbirgt sich - für diejenigen, die das nicht wissen - Folgendes: Wenn Sie in
Ihrem Haus oder in Ihrer Wohnung von einem Glaser
Fenster einbauen lassen, dann haftet dieser Ihnen als seinem Kunden gegenüber länger, als er gegenüber seinem
Lieferanten Gewährleistungsrechte geltend machen kann.
Das ist die Gewährleistungsfalle, die wir jetzt ausräumen.
Dafür ist uns gerade das Handwerk dankbar.
Im Leistungsstörungsrecht führen wir einen einheitlichen Pflichtverletzungstatbestand ein; das ist erwähnt
worden. Das case law, das die Rechtsprechung gerade
in diesen Fällen entwickelt hat, führen wir, soweit es sich
zu einem gesicherten Bestandteil des Rechts entwickelt
hat, wieder ins Bürgerliche Gesetzbuch zurück. Das Gleiche gilt für manche Sondergesetze.
Jetzt komme ich zu den, wie ich finde, merkwürdigen
Behauptungen, die hier aufgestellt wurden. Es gibt zwei
Theorien, über die man streiten kann. Die eine Theorie
besagt: Das Bürgerliche Gesetzbuch von 1900 soll als
Leistung der deutschen Rechtskultur sozusagen wie eine
Monstranz in einen Glaskasten gesperrt, gelegentlich ausgepackt, abgestaubt und wieder hineingestellt werden,
während das gesamte wirtschaftliche Leben seit Jahrzehnten neben dem BGB durch case law oder durch
Sondergesetze - insbesondere bei der Umsetzung von
EU-Richtlinien - geregelt wird.
Wir haben gesagt, dass wir das nicht wollen.
({1})
Deshalb machen wir das nur - das ist die zweite Theorie -,
soweit es sinnvoll und nützlich ist. Wir haben das in Bezug auf das Mietrecht getan und wir machen das jetzt in
Bezug auf das Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen.
Sehr geehrter Herr Pofalla, wenn Sie plötzlich der Meinung sind, man solle das auch bei dem Produkthaftungsgesetz machen, warum haben Sie das dann nicht beantragt?
({2})
Ich persönlich halte es für falsch. Sie haben das nie beantragt. Aber uns das dann vorzuwerfen, das entspricht der
Qualität dessen, was Sie hier insgesamt vorgetragen haben. Das ist ziemlich flach.
({3})
Das BGB erhält auf diese Weise als zentrale zivilrechtliche Kodifikation wieder die Bedeutung und die Funktion zurück, die sich mit einer solchen Institution der deutschen Rechtskultur verbinden sollten.
Die Modernisierung bewirkt auch einen fairen Interessenausgleich. Auf der einen Seite steht das Interesse der
Verbraucher - darauf ist schon hingewiesen worden; ich
glaube, das ist eine gute Sache -, und zwar zum Beispiel
im Kaufrecht beim Mangelbegriff und bei den Gewährleistungsfristen. Auf der anderen Seite gibt es nicht nur
Vorzüge für den Mittelstand und das Handwerk, sondern
ebenso profitieren Wirtschaft und Vertrieb von klaren, abgestimmten und teilweise kürzeren Verjährungsfristen
oder Rückgriffsrechten, aber auch von erheblich praxisgerechteren Regelungen sowie von größerer Rechtssicherheit und damit, so hoffe ich, auch von einem erheblichen Rückgang der Zahl der Rechtsstreitigkeiten.
({4})
- Das Bauhandwerk hat mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz nicht unmittelbar zu tun. Das Werksvertragsrecht und das Bauvertragsrecht sollten wir - aber
dann hoffentlich mit mehr Beteiligung der CDU/CSUOpposition - etwas später und gründlicher diskutieren.
({5})
Jetzt komme ich noch einmal zu der europäischen
Ebene. Das schlägt dem Fass den Boden aus.
({6})
Jeder weiß ganz genau, dass die deutschen Schuldrechtler
bei der Aushandlung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie
deswegen so wenig gehört wurden, weil alle Nachbarländer gesagt haben, wir hätten keine modernen Regelungen;
diese Regelungen seien für sie nicht interessant. Nun modernisieren wir das Schuldrecht und gestalten es europakompatibel, damit wir bei der künftigen Erarbeitung eines
europäischen Vertragsrechts den Fuß in der Tür haben.
Aber das ist Ihnen auch wieder nicht recht.
({7})
- Sie wissen ganz genau, dass die EU-Kommission gerade
angefangen hat, einen Fragebogen zu versenden. Die Auswertung dieses Fragebogens wird vielleicht irgendwann
dazu führen, dass die Notwendigkeit eines europäischen
Vertragsrechts von den Mitgliedstaaten bejaht wird. Aber
wir wissen ganz genau, dass in den kommenden Jahren
damit nicht zu rechnen ist.
Deswegen sage ich: Wir schaffen ein europakompatibles Recht, weil wir damit mehr Einfluss in Europa haben. Sie täten gut daran, es zu unterstützen.
Jetzt noch etwas zu der Übergangszeit. Wir haben der
Wirtschaft sehr deutlich angeboten, mit dem, was
man jetzt noch nicht umsetzen muss, zum Beispiel im Bereich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, zu warten.
Sie haben das in den Verbandsanhörungen abgelehnt. Sie
haben unserem Weg zugestimmt und nicht Ihrer Kritik.
({8})
Deswegen ist es auch ein Gebot der intellektuellen Redlichkeit,
({9})
zu sagen, dass es so ist, Herr Pofalla.
({10})
- Herr Pofalla, ich weiß, dass Sie heute nichts anderes sagen können. Aber es ist wirklich traurig. Sie sollten auch
über die Art und Weise, wie Sie sich hier einbringen, noch
einmal nachdenken.
({11})
Das scheint mir langsam ein persönliches Problem zu
werden.
({12})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss noch eines sagen: Sehr viele haben mitgearbeitet.
Ich bedanke mich keineswegs allein bei den vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die konstruktiv
mitgearbeitet haben, ob nun kritisch oder nicht. Ich bedanke mich vielmehr ausdrücklich auch bei den Ländern,
die daran mitgearbeitet haben, auch wenn es diese
Justizministerin und das Bundesministerium der Justiz
waren, die den Diskussionsprozess von Anfang an darauf
angelegt haben. Ich bedanke mich übrigens auch bei den
Berichterstattern dafür, dass sie sich in diese schwierige
Materie so hervorragend eingearbeitet haben, bei allen,
die sich hiervon angesprochen fühlen und die auch angesprochen sind.
Lassen Sie mich noch hinzufügen: Sie gestatten, dass
ich mich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
und insbesondere bei den Verantwortlichen der Abteilung I des Bundesministeriums der Justiz bedanke,
({13})
die in langer und mühevoller Arbeit und zum Teil auch in
Arbeitsprozessen, die der normalen Arbeit eines Ministeriums nicht entsprechen, nämlich in Zusammenarbeit mit
vielen Wissenschaftlern in zahllosen Symposien, diese
schwierige Materie so hervorragend bearbeitet haben.
Herzlichen Dank! Ich glaube, das Ergebnis wird gut.
({14})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ich habe bei der Diskussion, wenn ich die unterschiedlichen Interpretationen höre, den Eindruck, dass wir über
verschiedene Gesetzentwürfe diskutieren.
Das kann man Ihnen, Frau Ministerin, natürlich nicht
absprechen: Mutig sind Sie. Widerstand ermuntert Sie.
Sie gehen notfalls mit dem Kopf durch die Wand und ziehen ihn erst zurück, wenn es wehtut.
({0})
Damit haben Sie schon ganze Generationen Ihrer Parteigenossen und -genossinnen zur Weißglut gebracht. Sie
streiten ja nicht nur mit uns im Rechtsausschuss, sondern
angeblich, so hört man, streiten Sie auch im Kabinett.
({1})
Mit der von Ihnen forcierten Zivilprozessrechtsreform wollten Sie sich ein Denkmal setzen. Das Geschichtsbuch will ich einmal auslassen. Aber noch bevor
Sie sich zur Probe auf das Denkmal setzen konnten, war
der Sockel schon weggestoßen, weil die einhellige Meinung der Anwälte, der Richter und der Professoren so
abenteuerliche Reformen in Grund und Boden verdammte.
({2})
Sie haben dann, wie man so schön sagt, lieber Herr
Stünker, die Kurve gekratzt, und Ihr Reformgesetz bekam eine Beerdigung erster Klasse.
Aber ein Glück: Es gab ja noch eine EU-Richtlinie und
einen Referentenentwurf, auf den Sie sich im Frühjahr mit
Macht stürzen konnten, obwohl noch im März, Frau Ministerin, Staatssekretär Professor Pick auf Anfrage zusicherte, dass dieser Referentenentwurf in dieser Legislaturperiode nicht in das Gesetzgebungsverfahren kommen
sollte, sondern nur die EU-Richtlinien umgesetzt werden
sollten.
Sie haben dann Ihre Mitarbeiter in Tag- und Nachtarbeit einen Gesetzentwurf ausarbeiten lassen. Dass infolge
der Schnelligkeit einige Fehler passierten, liegt nicht an
diesen; aber uns knallten Sie ihn sozusagen auf den Tisch.
Es wurde auch nicht 20 Jahre und auch nicht seit 1978
an dem Entwurf gearbeitet, sondern seit 1992 ruhte das
Gesetzgebungswerk dieser Kommission. Im Grunde genommen hatten wir ihn erst in den letzten vier, fünf Monaten.
Sie haben es sehr geschickt gemacht, Frau Ministerin:
Sie haben die Entrüstung ein wenig gebändigt, indem Sie
sagten, Sie seien nach allen Seiten offen und Veränderungen könne man noch jederzeit vornehmen. Entsprechende
Wünsche kamen zu Hunderten: vom Bundesrat, von Verbänden, von Rechtsgelehrten. Aber die Übersichtlichkeit
nahm zunächst einmal ab. Berichterstattergespräche - Sie
haben es eben erwähnt; man hätte lange diskutieren können - haben Sie uns wie ein Feigenblatt angeboten, weil
uns unmittelbar vor der Sitzung oder direkt zur Sitzung
neue Synopsen, mal als zweite Synopse, mal als Änderung, mal als Schlusssynopse, jeweils im Umfang von bis
zu 450 Seiten, vorgelegt wurden. Sie sollten sich daher
nicht wundern, dass wir teilweise die aufoktroyierten und
diktierten Termine abgelehnt haben.
({3})
Eine der Hauptursachen war, dass Sie unsere Bitte, das
Schuldrechtsmodernisierungsgesetz in Ruhe zu beraten
und der Praxis - sowohl den Anwälten als auch den Richtern, dem Handel und dem Handwerk - einen entsprechenden Vorlauf zur Erarbeitung zu geben, kategorisch
abgelehnt haben. Die wenigen Paragraphen, die wegen
der EU-Richtlinie hätten verändert werden müssen, hätten
fast auf einer Seite Platz gefunden und hätten völlig unabhängig von der Schuldrechtsreform gut zum 1. Januar 2002 in Kraft treten können; das Gesetz - über dieses werde ich nachher noch etwas sagen -, das im Grunde
vernünftig ist, wäre zum 1. Januar 2003 oder zum 1. Januar 2004 rechtzeitig, durchdacht und gründlich beraten
in Kraft getreten.
Diese Chance haben Sie, Frau Ministerin, vertan. Die
Schuldrechtsreform hätte noch immer Ihren Namen getragen. So sind wir mit Sicherheit bereits ab Januar dabei,
viele Reparaturgesetze und Ergänzungen zu erarbeiten
und zu beschließen, um das richtig zu stellen, was in der
Eile nicht durchdacht werden konnte.
Ich kann mich im Übrigen ganz im Gegensatz zu Ihnen
nicht daran erinnern, dass wir ein wichtiges Gesetz im
Rechtsausschuss so dilettantisch wie das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz verabschiedet haben. Es war und
ist bei uns im Rechtsausschuss üblich, dass wir vor der
letzten Beschlussfassung jeden Paragraphen, manchmal
sogar die Absätze einzeln beraten und abstimmen. Bei
diesem angeblichen Jahrhundertgesetz wurden nach kurzen allgemeinen Ausführungen Hunderte von Paragraphen auf einmal beschlossen und durchgeboxt.
({4})
- Wie kann man ein solches Gesetz in zwei Stunden
durcharbeiten? Man hätte dafür zwei Tage gebraucht, um
es vernünftig zu machen.
Die Degradierung des Rechtsausschusses und vor allem
die Degradierung Ihrer eigenen Parteigenossen und Ihrer
Bündnisgenossen, der Grünen, von denen höchstens vier
bis fünf Kollegen daran gearbeitet haben, ist offensichtlich.
Dies ist nicht würdig und zeigt Ihre Wertschätzung.
Frau Ministerin, Sie haben gerade fast schwärmerisch
von der breiten Zustimmung von Verbänden und Professoren gesprochen. Sie müssen eine andere Klientel haben
als wir. Wir erhalten auch heute noch ständig Warnungen
vor dem Gesetz und Anträge auf Veränderungen, insbesondere die eindringliche Bitte, das In-Kraft-Treten des
Gesetzes zu verschieben.
Als ein Beispiel nenne ich die Stuttgarter Rechtsanwaltskammer - ich erwähne sie, weil sie unsere gemeinsame Kammer ist; Sie kennen sie sehr gut -, die
in ihrem aktuellen Kammerreport schreibt: Bei der
Schuldrechtsreform droht Chaos, Die überstürzte Umsetzung der Schuldrechtsreform wird für viele Unternehmer hohe Verluste mit sich bringen und zudem zu einem
rechtlichen Chaos führen, Schaden für den Mittelstand
und für die Verbraucher, Die Anwaltschaft gerät unter
Druck, Experten fordern Verschiebung. - Ich habe mit
der Kammer in Stuttgart nur einen Verband genannt.
Hektisch einberufene Seminare versuchen, das
Schlimmste zu verhindern. Hunderttausende von Betrieben müssen ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen ändern. 100 000 Anwälte und 20 000 Richter werden über
Nacht zu Studenten - das ist nicht unbedingt falsch -, um
das neue Recht richtig anzuwenden.
({5})
Sie waren - auch das muss man sagen -, Frau Ministerin, flexibel, um den Bundesrat mit ins Boot zu bekommen. Von fast 200 Änderungsanträgen haben Sie 120
mehr oder weniger übernommen, um damit einige vernünftige Ansätze in das Gesetz zu bringen. Ich will auf
einige kurz eingehen.
Die Verjährungsbestimmungen mit der regelmäßigen Verjährung von drei Jahren sind eine klare Vereinfachung und Erleichterung für alle. Die schönen Klausurthemen zu § 196 Abs. 1 und 2, § 197 und § 832 BGB mit
der zwei-, drei- und vierjährigen Verjährungsfrist gehören
nun der Vergangenheit an. Aber leider - auch das muss ich
sagen - sind im Gesetz noch zu viele Eigenfristen, zum
Beispiel beim Kauf- und Werkvertrag, vorgesehen. Auch
hier hätte man mit Ausnahme der Gewährleistungsfrist
von zwei Jahren vereinfachen können.
Die Frage der Hemmung ist klar geregelt. Richtigerweise wurde auf Anregung des Bundesrates aufgenommen, wie bisher die Verjährungsfristen mit dem Ende des
Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, beginnen zu
lassen. Ich wäre noch einen Schritt weitergegangen und
hätte unter Verweis auf § 199 Abs. 1 BGB den Beginn der
Verjährung gemäß § 212 BGB am Schluss des Jahres nach
einer Unterbrechung beginnen lassen. Wenn man rechtspolitisch begründet, aber rechtsdogmatisch nicht richtig
den Beginn der Verjährung auf das Jahresende setzt, so
wäre es sicher kein Bruch gewesen, auch bei der Unterbrechung so zu verfahren.
Sie haben unserer Anregung leider nicht entsprochen,
die Verjährung bei Grundstücksgeschäften von zehn auf
30 Jahre heraufzusetzen, obwohl Sie wissen, dass häufig
sehr lange Fristen notwendig sind. Wir werden heute einen entsprechenden Antrag einbringen.
Sie haben auch nicht den Widerspruch zwischen langer
Verjährung für fahrlässig begangene Körperverletzung
und vorsätzlich sowie grob fahrlässig verursachte Vermögensschäden gelöst. Zu diesem Bereich hat Kollege
Pofalla einige Ausführungen gemacht.
Die Bestimmungen des § 207 - Hemmung der Verjährung aus familiären und ähnlichen Gründen - sind,
nachdem die Anregungen berücksichtigt wurden, geglückt und klar.
Für unlogisch halte ich, dass dem alten § 241 BGB ein
Abs. 2 hinzugefügt wurde, der Schutzpflichten, so genannte Nebenpflichten, regeln und auf diese Weise wohl
das Rechtsinstitut der positiven Forderungsverletzung
ersetzen soll, während vorvertragliche Pflichten der culpa
in contrahendo im neuen § 311 Abs. 2 und 3 aufgenommen wurden. Besser und verständlicher wäre es gewesen,
wenn man den guten alten § 242 durch einen Abs. 2 so
ergänzt hätte, dass sowohl die vertraglichen Nebenpflichten als auch Pflichten im Vorfeld - gegebenenfalls auch
zugunsten Dritter - mit aufgenommen worden wären.
Sie haben unnötigerweise die relativ klaren Unmöglichkeitsregelungen, die in Zukunft den Streit zwischen
ursprünglicher und nachträglicher subjektiver oder objektiver Unmöglichkeit, dem subjektiven Unvermögen
und anderen Unmöglichkeitskonstruktionen vermeiden
sollen, mit den Bestimmungen des § 275 Abs. 3 belastet, der eher Soziologen als Juristen Ehre macht. Ich will
diese Bestimmung nicht vorlesen, frage mich aber, ob er
§ 242 BGB ergänzen oder ablösen soll.
Die neuen §§ 280 ff. lassen in der Zukunft sicher noch
manche Fragen aufkommen. Insbesondere ist fraglich, inwieweit ein eventueller Vertrauensschaden, zum Beispiel
durch § 284 BGB begründet, durch das positive Interesse
der Erfüllung begrenzt ist.
({6})
- Es ist interessant, meine Damen und Herren von der
SPD: Sie stimmen nachher einem Gesetzentwurf zu, obwohl Sie nicht einmal der Debatte darüber zuhören wollen. Die Diskussion ist wahrscheinlich ziemlich langweilig.
({7})
Es handelt sich um einen Gesetzentwurf, den Sie in vier
Monaten durchgeboxt haben. Jetzt haben Sie nicht einmal
zwei Minuten Zeit.
({8})
- Danke schön, Frau Kollegin.
Im Zusammenhang mit §§ 280 ff. bleibt fraglich, ob ein
eventueller Vertrauensschaden durch das positive Interesse der Erfüllung begrenzt ist oder ob dies nur bei den
§§ 122 oder 179 gelten soll, nachdem der bisherige
§ 307 BGB beseitigt worden ist.
Bei der Frage der Verzugszinsen wird deutlich überzogen, um ordnungspolitisch die Zahlungsmoral zu verbessern. - Sie haben mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz einen guten alten Brauch und fast alle
Gepflogenheiten, wie sie insbesondere für den Rechtsausschuss galten, ohne Not über Bord geworfen. - Die
EU-Richtlinie fordert Verzugszinsen von 7 Prozent über
dem Basiszinssatz. Das hätte genügt. Wenn ein säumiger
Zahler nun Zinsen zwischen 12 und 15 Prozent über dem
Basiszinssatz zu zahlen hat, könnten unter Umständen sogar die Reglungen über den Wucher greifen. Warum wird
hier ein höherer Zinssatz festgeschrieben, als es die EURichtlinie fordert?
Das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage,
das durch die Rechtsprechung entwickelt wurde, ist nunmehr richtigerweise normiert, und zwar im § 313. Damit
muss als Anspruchsgrundlage nicht mehr auf Treu und
Glauben zurückgegriffen werden.
Der frühere Titel 2 Gegenseitiger Vertrag ist nunmehr im Untertitel 4 Einseitige Leistungsbestimmungsrechte aufgegangen.
Die höchstkomplizierten früheren §§ 323 ff. wurden
zusammengefasst. Die Praxis wird erweisen, ob damit
Klarheit geschaffen wurde oder ob - wie manche sagen alle Klarheiten beseitigt wurden. Das Gleiche gilt im
Übrigen für die Rücktrittsrechte gemäß §§ 346 ff. BGB.
Man kann darüber streiten, ob es richtig ist, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen in das BGB aufzunehmen. Man hätte die Bestimmungen aber so anordnen müssen, dass sie nicht so unübersichtlich sind wie nunmehr
mit den Bezeichnungen a, b, c, d und f. Damit werden die
Bestimmungen derart unübersichtlich, wie wir es bereits
aus dem Reisevertragsrecht kennen.
Bei Nacht und Nebel haben Sie - wohl um den linken
Gewerkschaftsflügel zu befriedigen - die Anwendbarkeit
der Bestimmungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen für Arbeitsverträge mit aufgenommen. Das ist
schlichtweg falsch.
Das Kaufrecht ist zwar in erheblichem Maße auf den
Kopf gestellt, wohl aber letztlich vereinfacht worden. Die
Bestimmungen der §§ 450 und 451 sollen verhindern,
dass Schindluder mit unter Eigentumsvorbehalt gekauften
Waren getrieben werden kann. Die Beweislastumkehr
- sie wurde schon eben angesprochen - ist insoweit abzulehnen, als es für Unternehmer innerhalb der Frist von bis
zu sechs Monaten in der Regel nicht möglich sein wird,
den Gegenbeweis zu führen. Das ist Unfug und wird zu
erheblichen Einbußen bei den Gewerbetreibenden führen.
Die zweijährige Gewährleistungsfrist belastet schon genug.
Kollidieren dürfte in jedem Falle der neue § 478 BGB
- Rückgriff des Unternehmers - mit § 377 HGB, - unverzügliche Untersuchungs- und Rügepflicht -, der wie in
§ 478 Abs. 6 vorgesehen unberührt bleiben soll. Welche
Bestimmung ist nun rechtmäßig, die eine oder die andere?
Die fünf Paragraphen, mit denen im alten BGB die
Darlehensverträge abgespeist wurden, wurden der heutigen Zeit angepasst, und zwar unter Aufhebung bisheriger Einzelgesetze. Dabei wurden klare Regelungen
hinsichtlich des klassischen Darlehens, des Verbraucherdarlehens und auch des Sachdarlehens geschaffen.
Von der Systematik her habe ich Bedenken, dass der so
genannte Existenzgründer nicht als Kaufmann, sondern
als Normalverbraucher gesehen wird. Wenn ich § 507
richtig interpretiere, dann kann der Unternehmensgründer
beliebig viele Darlehen oder Finanzierungshilfen oder
Ratenzahlungskäufe bis zu einem Betrag von jeweils
50 000 Euro in Anspruch nehmen und wird, selbst wenn
er Millionenbeträge schuldet, noch immer als Verbraucher behandelt. Das kann wohl nicht richtig sein und
könnte durch immer wieder begonnene Neugründungen
zu Missbrauch führen. In Zukunft muss jeder, der einem
Unternehmer etwas verkauft, fragen: Bist du Existenzgründer oder nicht? Dies ist, nachdem wir im HGB den
Kaufmannsbegriff klar und deutlich definiert haben, vom
Ansatz her falsch.
Dagegen halte ich die Regelungen bezüglich des
Werkvertrages für geglückt, soweit in der Eile nicht Folgeänderungen vergessen wurden. Unglücklich ist die
Regelung in § 634 a bezüglich der Verjährung der Mängelansprüche, die gegebenenfalls mit den Regelungen des
§ 438 BGB kollidieren kann. Die restlichen Änderungen
sind im Wesentlichen Folgeänderungen. Wir fürchten
aber, dass aufgrund der Schnelligkeit der Beratungen über
den Gesetzentwurf und der ebenfalls im Schnelllauf
durchgeführten Änderungen erhebliche Lücken bestehen
bleiben werden. Die von Ihnen in das Gesetz aufgenommenen zahlreichen Ermächtigungen zu Rechtsverordnungen zeigen, dass Sie selber nicht sicher sind, was noch alles kommen wird.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja.
Dann möchte ich die Liste mit Namen von Professoren
und Verbänden, die beklagen, dass die Beratung über das
Gesetz im Schweinsgalopp durchgeführt worden sei und
dass es keine ordentliche Beratung gegeben habe, nicht
mehr vorlesen. Sie kennen die Namen ohnehin schon.
Es ist schade, dass die Beratung über ein notwendiges
Reformgesetz nicht mit der notwendigen Gründlichkeit,
Genauigkeit und wissenschaftlichen Begleitung durchgeführt wurde und dass die Anwender - das sind nicht nur Anwälte und Richter, die sich von Berufs wegen schnell einarbeiten können und müssen, sondern auch die Bürger keinerlei Zeit haben, sich auf die neuen Rechtsnormen
einzustellen. Es hätte, Frau Ministerin, ein gutes Gesetz
werden können. So ist es nur Stückwerk. Deswegen lehnen wir es ab.
Danke schön.
({0})
Das Wort
zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Dr. Eckhart Pick von der SPD-Fraktion.
Lieber Herr von Stetten, ich
möchte eine Bemerkung, die sich auf mich bezog, richtig
stellen. Wir haben am Anfang der Diskussion in der Tat
darüber gesprochen, wie die drei EU-Richtlinien umgesetzt werden sollen. Ich habe damals - zu einem frühen
Stand der Diskussion - gesagt: Natürlich gibt es Überlegungen im Hause, das auch sukzessive zu machen. Darüber haben wir in der Folgezeit diskutiert. Nach Rücksprache auch mit den Verantwortlichen aus der Wirtschaft sind
wir zu dem Ergebnis gekommen, dass es besser sei, dies
uno acto statt sukzessive zu machen. Insofern ist das, was
ich damals gesagt habe, nicht widersprüchlich gewesen.
Ich möchte noch auf eine andere Bemerkung, die Sie
gemacht haben, eingehen. Manche tun immer so, als sei
das Bürgerliche Gesetzbuch ein Monument, das nicht
mehr verändert werden dürfe, und als sei es 1896 nach einer umfassenden Diskussion im Reichstag verabschiedet
worden. Das ist nicht der Fall. Es waren Diskussionen in
Kommissionen. Sie wissen auch, dass eine Kommission
von Windscheid geleitet worden ist. Deswegen hatte der
erste Entwurf die süffisante Bezeichnung: der kleine
Windscheid. - Daran hat sich im Laufe der Diskussion
nicht viel geändert.
Im Reichstag selbst hat sich die Diskussion auch nicht
um Dogmatik gedreht, sondern - wenn man sich recht erinnert - um den so genannten Wildschaden, der damals
zum Beispiel von der deutschen Försterschaft zu einem
großen Thema gemacht worden ist. Andere Themen haben in der Öffentlichkeit und im Reichstag damals keine
Rolle gespielt.
({0})
Vielen Dank.
({1})
Zur Erwiderung hat das Wort Dr. von Stetten.
Ich darf vielleicht daran erinnern, lieber Herr Staatssekretär, dass inzwischen rund 120 Jahre vergangen sind, wir
eine Demokratie sind und in den Rechten der Reichstag
eigentlich nicht mit dem Deutschen Bundestag verglichen
werden sollte.
({0})
Es ist richtig, dass Sie das Verfahren zur Diskussion gestellt haben. Wir waren dann aber überrascht - insofern
muss ich doch sagen, dass wir nicht rechtzeitig informiert
worden sind -, als es dann plötzlich im April/Mai hieß,
das Gesetz komme im Ganzen. Dann kam die Diskussion
auf und die Berichterstattergespräche wurden angekündigt. Das war im Juni/Juli und im August/September. Da
wurden wir einfach hin zitiert. Deswegen konnten wir
nicht in dem Umfang mitarbeiten, wie es sonst der Fall gewesen wäre.
Der Rechtsausschuss hat diesen Gesetzentwurf nicht
behandelt, sondern ist einfach darüber hinweggegangen.
Das moniere ich und das finde ich bei einem solch wichtigen Gesetzentwurf nicht gut. Ich bin ein glühender Anhänger der Schuldrechtsreform und ich hätte gern noch
manches mehr geändert - so ist das nicht -, aber eben mit
der notwendigen Diskussion, Begründung und wissenschaftlichen Begleitung. Das monieren wir und deswegen
lehnen wir den Gesetzentwurf ab.
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich
jetzt das Wort dem Kollegen Dirk Manzewski.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Am heutigen Tag debattieren wir abschließend über die Schuldrechtsreform.
({0})
Wir setzen hiermit nicht nur drei EU-Richtlinien um, sondern wir haben dies auch zum Anlass genommen, Herr
Kollege Geis, das Schuldrecht umfassend zu modernisieren.
({1})
Wir alle sind uns darüber einig - überhaupt gar keine
Frage -, dass es sich bei dem Bürgerlichen Gesetzbuch
nach wie vor um ein hervorragendes Gesetzeswerk handelt. Niemand wird das bestreiten, jedenfalls kein Jurist,
der es kennt.
({2})
Genauso wenig kann aber bestritten werden, liebe
Kolleginnen und Kollegen, dass das BGB in vielen Bereichen nicht mehr praxisnah ist. Die im BGB so hervorgehobenen vermeintlich wichtigen Unmöglichkeitsvorschriften taugen in der Regel heutzutage eigentlich nur
noch für die Theorie. Die praxisrelevanten Probleme der
Nicht- oder Schlechtleistung sind dagegen nur über die so
genannten Rechtsinstitute geregelt. Ich halte es daher für
eine Farce, wenn hier behauptet wird, mit dem heutigen
BGB ließen sich alle Fälle lösen. Es ist gerade nicht dem
BGB, sondern es ist insbesondere den von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsgrundsätzen und Rechtsinstituten zu verdanken, dass viele der in der Vergangenheit
aufgetretenen und nicht im BGB geregelten Probleme
gelöst werden konnten.
({3})
Dass dies bis vor kurzem noch von allen so gesehen
worden ist, Herr Kollege Geis, zeigt doch nicht zuletzt die
im Jahr 1978 eingesetzte Kommission zur Überarbeitung
des Schuldrechts, die ihren Abschlussbericht immerhin
noch während Ihrer Regierungszeit vorgelegt hat. Man
kann also doch nicht ernsthaft behaupten, meine Damen
und Herren von der Union und von der FDP, dass eine
Modernisierung des BGB nicht notwendig ist.
({4})
Die Behauptung, dass man sich für dieses wichtige Gesetzesvorhaben - es ist ein wichtiges Gesetzesvorhaben zu wenig Zeit genommen hat, kann ich ebenfalls so nicht
gelten lassen. Natürlich stand das Gesetzgebungsverfahren unter einem ehrgeizigen Zeitplan. Ich persönlich hätte
mir auch etwas mehr Zeit gewünscht.
({5})
Aber, meine Damen und Herren: Seit 1978 befinden wir
uns in der Diskussion hierüber. Seit 1992 liegt der Abschlussbericht der Schuldrechtskommission vor.
({6})
Seit August 2000 ist der Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums bekannt. Wer sich also rechtzeitig informieDr. Eckhart Pick
ren wollte, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Union, der hätte dies auch rechtzeitig tun können.
({7})
Dies wird übrigens selbst von den meisten der nur wenigen Gegner dieser Reform eingeräumt.
Mit den vorgenommenen inhaltlichen Veränderungen
des BGB betreten wir auch nicht, wie hier vielfach suggeriert worden ist, juristisches Neuland. Gesetze werden
in das BGB integriert, bestehende Rechtsinstitute endlich
normiert, Fristen überschaubarer gestaltet und im Rahmen der gewohnten Dogmatik neu entwickelte Rechtsgrundsätze eingebaut. Meiner Auffassung nach wird jeder
Anwender ohne größere Probleme mit diesen Vorschriften arbeiten können.
Wenn es im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zu
zahlreichen Änderungen durch das BMJ gekommen ist,
wie vorgetragen wurde, so halte ich das für absolut nicht
ungewöhnlich. Das zeigt doch vielmehr,
({8})
dass das BMJ nicht so borniert gewesen ist, sich gegenüber sachlich vernünftigen Argumenten zu verschließen.
({9})
Dass vor allen Dingen die Verbände, Herr Kollege
Geis, das Verfahren mit zahlreichen weiteren Änderungsvorschlägen begleitet haben, ist ebenfalls nichts Ungewöhnliches. Wenn man sich die Änderungsvorschläge
nämlich etwas genauer anschaut, dann stellt man fest,
dass es sich in der Regel entweder um Prüfbitten oder um
puren Lobbyismus gehandelt hat. Das ist für ein Gesetzgebungsverfahren wirklich nichts Neues.
({10})
Kollege Geis, ich gehe sogar noch weiter: Würde man
die Möglichkeit eröffnen, das geltende BGB kritisch zu beleuchten, würden - so ehrlich muss man doch wohl sein die Aktenbände mit den eingereichten Änderungsvorschlägen den Umfang einer Strecke einmal quer durch
den gesamten Plenarsaal annehmen.
({11})
Was ist das Entscheidende? Entscheidend ist doch
- das ist hier völlig falsch wiedergegeben worden -, dass
die Schuldrechtsreform von der überwältigenden Mehrheit der Verbände, Vereinigungen und Interessensgruppierungen begrüßt und mitgetragen wird, auch wenn das
dem einen oder anderen von Ihnen nicht passen mag.
({12})
Das ist in zwei unserer Anhörungen bestätigt worden.
Kollege von Stetten, vielleicht waren Sie nicht dabei. Mir
ist jedenfalls überhaupt nicht klar, wie man hier etwas anderes behaupten kann.
Um Ihnen das deutlich zu machen, zähle ich Ihnen das
gerne noch einmal auf: Der Deutsche Anwaltverein ist
dafür, die Bundesrechtsanwaltskammer ist dafür, der
Deutsche Richterbund ist dafür, die Verbraucherverbände
sind dafür und der überwiegende Teil der Wirtschaftsverbände ist dafür. Zu denjenigen, die dafür sind, gehört
selbst die Creme der Rechtswissenschaftler. Ich erinnere
daran, dass sich die hoch angesehenen Professoren Medicus, Canaris, Heinrichs und Westermann für die Schuldrechtsreform ausgesprochen haben. Für Nichtjuristen sei
gesagt: Das ist ungefähr so, als wenn Sie Anfang der 70erJahre Fußball spielen und Sie haben Franz Beckenbauer,
Günter Netzer, Uwe Seeler und Gerd Müller in Ihrer
Mannschaft und auf der anderen Seite steht die Truppe
von Rudi Völler vom letzten Wochenende.
({13})
Um es klar zu sagen, liebe Gegner der Reform: Selbst gegen Finnland reicht es nicht. Und wenn man dann keine
vernünftigen Argumente findet, Herr Geis, dann versucht
man eben verzweifelt, sich welche zu basteln.
({14})
- Ich habe mich auf den Anfang der 70er-Jahre bezogen.
Wer behauptet, die Änderungen des BGB belasteten
unsere Unternehmen mit unglaublichen Kosten,
({15})
weil sie unter anderem ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen ändern müssten, der liegt völlig neben der Sache. Meine Vorredner von der Union und von der FDP
haben selbst eingestanden, dass zumindest die EU-Verbrauchsgüterkaufrichtlinie zwingend in deutsches Recht
umgesetzt werden muss. Das ist also die so genannte
kleine Lösung, für die Sie plädieren. Aber allein die Umsetzung der EU-Verbrauchsgüterkaufrichtlinie würde bereits Änderungen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach sich ziehen. Und ob ich nun vier oder acht oder
zehn oder zwölf Geschäftsbedingungen in meinen vorgefertigten Vertragsformularen ändern muss, ist nun wirklich völlig egal, weil die Kosten im Wesentlichen bereits
durch die erste Änderung ausgelöst werden.
Die Unternehmen würde die Umsetzung der Forderungen von Union und FDP vielmehr teuer zu stehen kommen.
({16})
Ich erinnere daran, dass beide Parteien dafür plädierten,
im ersten Schritt zunächst die kleine Lösung zu wählen
und das Schuldrecht erst später umfassend zu reformieren. Es ist doch eigentlich eindeutig, dass die Firmen dann
dadurch mindestens zweimal mit diesen Kosten belastet
würden. Würde später irgendwann einmal noch eine VerDirk Manzewski
einheitlichung des Schuldrechts auf europäischer Ebene
dazukommen, müssten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen ein weiteres Mal geändert werden, wodurch
weitere Kosten entstehen würden.
Und überlegen Sie sich doch einmal - ich sage das insbesondere in Richtung der Juristen -, zu welcher Rechtsunsicherheit das führen würde: Die Juristen müssten sich
binnen kurzer Zeit mindestens zweimal in ein neues Recht
einarbeiten. Der gleiche Kaufgegenstand, der mehrmals
hintereinander verkauft wird, könnte - dieser Gesichtspunkt ist wichtig - bei jedem Verkauf unterschiedlichen
Rechtsanforderungen unterliegen. Das würde nun wirklich niemand mehr verstehen.
({17})
Wer behauptet, dass eine umfassende Reform des
Schuldrechts für Richter und Rechtsanwälte eine zu hohe
Hürde darstellt, der möge mir erklären, wie man diesen
dann dieses verkaufen will.
({18})
Und nicht umsonst - Herr Kollege Geis, und das können
Sie hier nicht abtun - verlangen gerade diejenigen, die das
Recht anwenden müssen, wie eben Rechtsanwälte und
Richter, eine umfassende Reform. Liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Union und von der FDP, verschließen
Sie sich bitte nicht den Wünschen dieser Fachleute!
({19})
Lassen Sie mich noch etwas zum Vorschlag sagen, mit
einer umfassenden Reform zunächst noch abzuwarten, bis
sich die EU hierzu positioniert hat.
({20})
Also, da kann ich wirklich nur lachen; denn die Vereinheitlichung des Schuldrechts wird auf EU-Ebene schon
seit Jahren angekündigt und nichts ist geschehen. Selbst
wenn sich die EU-Kommission jetzt endlich entschließen
sollte, sich mit diesem Thema ausgiebig zu beschäftigen,
dann ist weder gesagt, wie lange sie dafür braucht, noch
ist gesagt, zu welchem Ergebnis sie dann kommt. Aber
was für mich als Rechtspolitiker der SPD noch viel wichtiger ist: Es kann doch nicht Ziel deutscher Rechtspolitik
sein, immer erst auf EU-Richtlinien zu warten, um diese
dann in deutsches Recht umzusetzen.
({21})
Unsere Aufgabe muss es doch vielmehr sein, die EURichtlinien schon im Vorfeld so zu beeinflussen, dass sich
vieles von unserem deutschen Recht in den EU-Richtlinien wiederfindet. Das ist doch das Entscheidende.
({22})
Aber das ist, lieber Kollege Geis, leider nicht möglich
- darüber sind wir uns doch eigentlich einig -, weil wir
kein modernes Schuldrecht haben. Das ist nun einmal so.
Es ist eindeutig so, dass sich die EU in solchen Fällen eher
am niederländischen als am deutschen Recht orientiert.
Ich sehe das als ein Armutszeugnis für unser Recht an.
Deswegen begrüße ich es ausdrücklich, dass nun die Modernisierung des deutschen Schuldrechtes endlich erfolgt.
({23})
- Das will ich jetzt gerade machen, Herr Kollege von
Stetten, ich habe ja noch ein bisschen Zeit.
Von einigen ist es schon gesagt worden - ich teile diese
Auffassung -: Wir beschließen heute hier - ich bin deshalb angenehm überrascht und begeistert, dass so viele
Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion anwesend
sind ({24})
vermutlich das wichtigste Gesetzesvorhaben im Bereich
des Rechts in den letzten 20 bis 30 Jahren. Ich kann die
Justizministerin nur beglückwünschen, dass sie sich entschlossen hat, tatsächlich diese umfassende Schuldrechtsreform anzupacken. Ich möchte mich auch beim BMJ für
die hervorragende Mitarbeit und Unterstützung bedanken. Ich habe mich eingebunden gefühlt; ich war allerdings auch bei fast allen Besprechungen dabei.
Ich würde mir wünschen, wenn Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen, bei der Abstimmung nachher Ihr konstruktives Verhalten aufgeben und dieser hervorragenden
Reform zustimmen würden.
Ich danke Ihnen.
({25})
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Modernisierung des
Schuldrechts auf Drucksachen 14/6040 und 14/7052. Es
liegen je ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU
und der Fraktion der PDS vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/7067? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist damit
bei Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion mit den StimDirk Manzewski
men der Koalitionsfraktionen und der PDS-Fraktion und
bei Enthaltung der FDP-Fraktion abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/7080? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist damit mit
den Stimmen aller Fraktionen mit Ausnahme der PDS, die
zugestimmt hat, abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen
von CDU/CSU und FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf
ist damit bei den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor in dritter Lesung angenommen.
({0})
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Rechts-
ausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
zur Modernisierung des Schuldrechts; Drucksachen
14/6857 und 14/7100. Der Ausschuss empfiehlt, den
Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit
einstimmig angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b sowie
Zusatzpunkt 5 auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Berufsbildungsbericht 2001
- Drucksache 14/5946 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst
Küchler, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Doris
Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr.
Reinhard Loske, Hans-Josef Fell, Grietje
Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Weiterbildung im Bildungssystem verankern - Chancengleichheit stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst
Küchler, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Klaus
Barthel ({3}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Matthias Berninger, Ekin Deligöz,
Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Lebensbegleitendes Lernen für alle - Weiterbildung ausbauen und stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Werner
Lensing, Ilse Aigner, Dr. Maria Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Zukunftsorientierte Weiterbildung durch
Eigenverantwortung und Selbstorganisation - Ein Paradigmenwechsel
- zu dem Antrag der Abgeordneten Maritta
Böttcher, Dr. Heinrich Fink, Dr. Klaus Grehn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
PDS
Für ein Bundesrahmengesetz zur Weiterbildung
- Drucksachen 14/6435, 14/3127, 14/5312,
14/6170, 14/7005 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Ernst Dieter Rossmann
Christian Simmert
Maritta Böttcher
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Ulrike Flach, Birgit Homburger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Anforderungen an die Weiterbildung
- Drucksache 14/7075 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({4})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin spricht
für die Bundesregierung die Bundesministerin Edelgard
Bulmahn. Frau Ministerin, Sie haben das Wort.
Ich bitte diejenigen Kollegen, die dieser Debatte nicht
beiwohnen wollen, den Saal zu verlassen. - Frau Pieper,
ich bitte Sie, das Gespräch zu beenden. - Frau Ministerin,
ich denke, dass genügend Ruhe eingekehrt ist.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Eine gute und qualifizierte Berufsausbildung ist die wichtigste Zukunftsvorsorge, die wir überVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
haupt treffen können. Dabei geht es nicht nur um den formalen Erwerb eines Gesellenbriefs. Es geht darum, dass
junge Menschen frühzeitig Verantwortung übernehmen
und spüren, dass sie in unserer Gesellschaft gebraucht
werden.
({0})
In den nächsten Jahren werden auf dem Arbeitsmarkt
zwei entgegengesetzte Entwicklungen zusammentreffen:
Ich meine damit zum einen die sinkende Zahl junger Menschen, die eine Berufsausbildung beginnen, und die wachsende Zahl älterer Menschen, die aus dem Erwerbsleben
ausscheiden. Deshalb müssen wir schon heute Lösungen
finden, die eine Antwort darauf geben, wie wir auch in Zukunft unseren Bedarf an qualifizierten Fachkräften
decken können.
Es hilft dabei nicht weiter, dass der Zentralverband des
Deutschen Handwerks angesichts des drohenden Lehrlingsnotstandes auf die Abiturienten schaut und sie für
eine Berufsausbildung gewinnen will. Das ist nicht die Lösung; denn in Zukunft werden nicht nur Lehrlinge fehlen,
sondern auch Studierende und Hochschulabsolventen. Das
ist übrigens schon jetzt der Fall. Man braucht sich nur die
Zahl der Studienanfänger in Deutschland anzuschauen.
Sie liegt - wir kennen sie ja alle - bei 28 Prozent. In vergleichbaren OECD-Staaten liegt sie im Durchschnitt bei
45 Prozent. Das alles macht deutlich, dass wir das Problem
durch ein Hin und Her alleine nicht lösen können.
Bei meinem Amtsantritt hatten fast 12 Prozent der
20- bis 29-Jährigen - oder rund 1,3 Millionen junge Menschen - keine Berufsausbildung.
({1})
Der alarmierende Tiefstand bei der Ausbildungsförderung
hat parallel dazu viele junge Menschen vom Studium abgeschreckt. Wir haben diese Probleme angepackt und
nicht nur geredet; wir handeln. Noch nie wurde so viel
Geld für Bildung und Forschung zur Verfügung gestellt.
Damit haben wir in die Köpfe - in Ausbildung und Bildung - von jungen Menschen investiert.
({2})
Mit dem Sofortprogramm haben wir die Jugendlichen
von der Straße geholt und ihnen eine zweite Chance auf
Ausbildung und Qualifizierung gegeben. Wir haben es
- in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal in Folge - mit
dem Ausbildungskonsens im Bündnis für Arbeit gemeinsam mit den Bündnispartnern geschafft, dass erheblich
mehr neue betriebliche Ausbildungsplätze geschaffen
worden sind.
({3})
Gemeinsam mit den Sozialpartnern modernisieren wir die
berufliche Bildung und entwickeln neue Berufe für Zukunftsbranchen. Mit dem neuen Meister-BAföG verbessern wir für junge Fachkräfte aus Handwerk, Industrie
und Dienstleistungen die Möglichkeit, sich fortzubilden
und damit ihre Zukunft zu gestalten.
({4})
Bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit hat diese
Doppelstrategie der Bundesregierung - Sofortprogramm
und Ausbildungskonsens, Modernisierung von Berufen
und Weiterentwicklung der Konzepte - gegriffen. Mehr
als 330 000 Jugendliche haben dadurch eine neue Perspektive erhalten.
Wir gehen aber noch einen Schritt weiter: Bei der bevorstehenden Reform des Sozialgesetzbuches III werden
wir wichtige Elemente aus dem Sofortprogramm als Regelangebot in das Sozialgesetzbuch aufnehmen. Man
kann das Ganze in den Worten Förderung aus einem
Guss zusammenfassen. Dieses Ziel wollen wir erreichen, das werden wir sicherstellen. Dadurch erhalten
junge Menschen erheblich bessere Chancen bei der beruflichen Qualifizierung.
({5})
Diesen Kurs, meine sehr geehrten Damen und Herren,
werden wir konsequent fortsetzen.
Die erste Zwischenbilanz für das Ausbildungsjahr
2001 fällt positiv aus. In diesem Jahr werden alle Jugendlichen einen Ausbildungsplatz erhalten. Wir haben eine
deutliche Zunahme der Zahl von betrieblichen Ausbildungsplätzen - auch das ist ein positives Ergebnis - und
wir haben im zweiten Jahr hintereinander Anfang Oktober mehr offene Lehrstellen als Jugendliche, die noch einen Ausbildungsplatz suchen.
({6})
In Zahlen ausgedrückt heißt das Folgendes - das sind die
Zahlen, die uns heute vorliegen -: Die Zahl der unvermittelten Bewerberinnen und Bewerber ist gegenüber dem
Vorjahr um rund 13,5 Prozent und gegenüber dem Jahr
1998 sogar um 42 Prozent gesunken. Das ist wirklich ein
großer Erfolg.
({7})
Ich will allerdings auch nicht verschweigen, dass es einen Wermutstropfen gibt: Sorge macht mir die Situation
in den neuen Bundesländern. Dort ist es einzig und allein
den staatlichen Programmen zu verdanken, dass alle Jugendlichen eine Chance auf eine Lehrstelle erhalten. An
dieser Stelle möchte ich ganz deutlich sagen, dass das
keine Dauerlösung sein kann.
({8})
Die Betriebe setzen ihre eigene Zukunft aufs Spiel, wenn
sie nicht genügend in Ausbildung investieren; denn in wenigen Jahren werden die Unternehmer und die Betriebe
händeringend nach Fachkräften und auch nach jungen
Leuten, die sie ausbilden können, suchen.
({9})
In der Verantwortung, diese Entwicklung zu sehen und ihr
vorzubeugen, stehen wir alle. Wir alle müssen Zukunft
gestalten, wozu gehört, Jugendlichen eine Ausbildung zu
geben. Aber ich appelliere an erster Stelle an die Betriebe:
Bilden sie aus, insbesondere in den neuen Bundesländern!
({10})
Eine gute Ausbildung, meine sehr geehrten Herren und
Damen, benötigt auch zukunftsfähige Berufe. Allein in
den letzten drei Jahren haben wir 44 Ausbildungsordnungen modernisiert und zehn neue Berufe geschaffen.
Früher lagen die Beteiligten jahrelang im Clinch, bis eine
neue Berufsordnung das Tageslicht erblickte; in vielen
Fällen endeten die Bemühungen sogar ohne Ergebnis.
Heute haben wir für die Entwicklung der Ausbildungsordnungen in den neuen Berufen Sport- und Fitnesskaufmann, Gesundheitskaufmann und Veranstaltungskaufmann nur knapp neun Monate benötigt. Auch das ist ein
Fortschritt und auch das kann sich sehen lassen.
({11})
Das war nur möglich, weil alle im Bündnis eine gemeinsame Anstrengung unternommen haben.
Wir brauchen aber nicht nur moderne, zeitgemäße Ausbildungsordnungen, wir brauchen auch Berufsschulen,
die den veränderten Anforderungen gerecht werden. Also
haben wir gehandelt und Geld in die Hand genommen.
Wir stellen 255 Millionen DM für einen Modernisierungsschub an den Berufsschulen zur Verfügung. Viele
Schulen können jetzt mehr moderne Technik und Geräte
sowie Lernsoftware anschaffen. Dabei haben wir unabhängig von Zuständigkeitsfragen geholfen, damit es in
diesem wichtigen Bereich schneller vorangeht.
({12})
Besondere Aufmerksamkeit hat das Bündnis dem Bereich der IT- und Medienberufe gewidmet, wo sich der
Fachkräftemangel frühzeitig bemerkbar gemacht hat.
Durch die Offensive zum Abbau des IT-Fachkräftemangels haben die Bündnispartner die Zahl der Ausbildungsplätze von 14 000 im Jahre 1998 auf 54 000 im letzten Jahr gesteigert. Die von der Wirtschaft für 2003
zugesagte Zielmarke von 60 000 werden wir voraussichtlich schon in diesem Jahr erreichen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein großer Erfolg.
({13})
Besonders wichtig ist mir persönlich, dass Jugendliche
mit schlechteren Startchancen und junge Erwachsene
ohne Berufsabschluss genauso wie besonders Begabte,
die mir ebenfalls ein wichtiges Anliegen sind, eine
Chance zur beruflichen Qualifizierung und Weiterqualifizierung haben. Diese Zielgruppen müssen deshalb besonders gefördert werden. Auch benachteiligte Jugendliche
sollen eine vollwertige Berufsausbildung erhalten. Einer
Ausbildung light erteile ich eine klare Absage.
({14})
Gerade Jugendliche, die große Lernprobleme haben oder
die in den Schulen gescheitert sind, brauchen mehr und
nicht weniger berufliche Förderung und Betreuung.
({15})
Eben darauf haben wir uns im Bündnis geeinigt. Wir
wollen bei der Entwicklung neuer Ausbildungsberufe
tragfähige Bereiche ausschöpfen, wo es weniger komplexe Anforderungen gibt. Das müssen wir schaffen, das
müssen wir im Interesse der Jugendlichen leisten.
Genauso wichtig sind Maßnahmen, mit denen wir die
Ausbildungsbeteiligung von Jugendlichen ausländischer
Herkunft und von jungen Aussiedlern erhöhen. Sie sind
nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Integration, sie sind
auch eine wichtige Investition in den Fachkräftenachwuchs, den wir so dringend brauchen.
({16})
Viele dieser jungen Menschen verfügen durch ihre Kenntnis anderer Sprachen und Kulturen überdies über Fähigkeiten, die in einer globalisierten Welt immer wichtiger
werden. Und diese Fähigkeiten dürfen wir nicht einfach
brachliegen lassen, wir müssen sie nutzen.
({17})
Qualifizierung, meine sehr geehrten Damen und Herren, bedeutet nicht nur Ausbildung, sie bedeutet auch Weiterbildung, Fortbildung, lebensbegleitendes Lernen und
Anpassung an neue Entwicklungen. Deshalb haben wir
die finanziellen Aufwendungen für Weiterbildung in
Deutschland deutlich gesteigert. In Deutschland werden
im Übrigen dafür insgesamt zweistellige Milliardenbeträge ausgegeben. Trotzdem haben noch nicht immer alle
Personen den gleichen Zugang zur Weiterbildung. Deshalb haben wir auch an diesen Punkten angesetzt.
Ein zentraler Baustein unserer Qualifizierungsoffensive ist die Novellierung des so genannten MeisterBAföG, mit dem wir rund 660 Millionen DM bis 2005
bereitstellen werden. Diese Reform ist sowohl familienfreundlich, weil wir damit gerade auch diejenigen fördern, die eine Familie haben, wie auch sozial und sie ist
ein wichtiger Beitrag zur Qualifizierung, zur Gründung
neuer Unternehmen und zur Schaffung neuer Arbeits- und
Ausbildungsplätze.
({18})
Last, not least werden wir durch Modelle für das informelle Lernen im Arbeitsprozess genauso wie mit unserem
Job-Aqtiv-Gesetz die Ausbildung und Weiterbildung stärken und sie betriebsnah gestalten. Das ist notwendig und
richtig.
Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, kann
ich zusammenfassend sagen: Es ist Bewegung in die berufliche Bildung gekommen.
({19})
Gemeinsam mit den Sozialpartnern haben wir die Stagnation auf diesem Feld überwunden. Was wir bisher erreicht haben, kann sich sehen lassen. Das bedeutet aber
nicht, dass wir uns ausruhen: Unsere Erfolge sind uns Ansporn für die vor uns liegenden Aufgaben.
({20})
Ich erteile
nunmehr dem Kollegen Dr. Rainer Jork von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Umstand,
dass ich heute hier im Plenum den elften Berufsbildungsbericht erlebe, ist für mich Anlass, eingangs zu fragen:
Was ist anders geworden? Was ist vorangegangen? Was
ist zu tun?
({0})
Zuerst fällt mir auf - darauf komme ich gleich zu sprechen -, dass wir erstmalig erst im Herbst über den Berufsbildungsbericht reden.
({1})
Es ist bekanntermaßen so, dass die Situation im Herbst
günstiger ist.
({2})
All die anderen Jahre haben wir darüber bereits im Frühjahr gesprochen. Sie wissen aus eigener Oppositionserfahrung, warum Sie das gemacht haben.
Der Berufsbildungsbericht weist zu Recht auf die problematische Lage in den neuen Bundesländern hin. Hier
ist eine Konzentration nötig.
Herr Kollege Jork, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hans-Werner Bertl?
Ein Satz noch,
weil Sie den zuvor hören müssen: Die besonders desolate
Situation in den neuen Bundesländern bei betrieblichen
Lehrstellen durfte nach dem Willen der Bundesregierung
nicht ins Sommerloch.
({0})
Jetzt können Sie fragen, warum das so ist.
Herr Kollege, Sie verbreiten hier Gerüchte, die sind absurd. Ist Ihnen nicht
bekannt, dass die neuesten Daten des Berufsbildungsberichts vom 30. September sind und dass wir hier eine sehr
aktuelle Bilanz einer erfolgreichen Berufsbildungspolitik
ziehen, die wir sonst erst ein viertel oder ein halbes Jahr
später bekommen haben?
({0})
Ich werde Ihnen
die Freude machen, ein paar aktuelle Daten zu nennen, die
wir von der Bundesanstalt für Arbeit haben, werde Ihnen
berichten, was bei uns in der Zeitung steht - das stimmt
manchmal sogar! -, und werde Ihnen noch von ein paar
Erlebnissen aus dieser Woche erzählen, bei denen auch
die Frau Bundesministerin anwesend war. Dann werden
Sie sich davon überzeugen können, dass das durchaus aktuell ist.
Ich frage also - um nach meinen Vorstellungen fortzufahren -: Was ist denn in den letzten drei Jahren passiert?
Zum Ersten treibt die Bundesregierung die Modernisierung neuer Berufe voran. Das ist notwendig und gut. Zum
Zweiten werden Lehrstellenentwickler und Verbünde
fortgeführt. Das hat sich bewährt. Wir können dafür nur
Dankeschön sagen. Zum Dritten wird die früher scharf
von der SPD verurteilte Mobilitätshilfe nun für gut befunden. Das ist löblich. Viertens wurde die früher von SPD
und Grünen geforderte kontraproduktive Lehrstellenumlage zu den Akten gelegt. Ich freue mich darüber. Fünftens werden Module der Berufsbildung - das war früher
ein Teufelswort - inzwischen endlich in der Praxis akzeptiert. Es geht also vorwärts. Sechstens verdienen damit
endlich Berufe mit geringen theoretischen Anforderungen
eine größere Aufmerksamkeit. Das haben wir eben schon
gehört. Im Interesse der Jugendlichen, die sich in der
Lehre für solche Berufe befinden, wünschte ich mir, dass
die Berufsschullehrer direkt aus der Praxis geholt werden.
Schließlich - das ist eigentlich das erste Neue - stelle ich
fest, dass die Bundesregierung sehr viel Geld in die Hand
nimmt. Ich sage es immer wieder: Das hätte ich mir schon
früher gewünscht. Ich finde aber - auch das wiederhole
ich -: Der Effekt ist unzureichend, und zwar deshalb, weil
die Methode auf beschränkten Denk- und Handlungsansätzen basiert.
({0})
Bei all dem Positiven: Das Grundproblem - die Frau
Ministerin hat es dankenswerterweise angesprochen - ist,
dass die Lehrstellensituation in Ostdeutschland kritischer und problematischer denn je ist. So sieht die Realität aus. Sehen wir uns doch die konkreten Zahlen aus
dem Oktober zur Jugendarbeitslosigkeit an - sie haben
diese angefordert -: In Baden-Württemberg, um ein Beispiel zu nennen, liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei etwa
fünf Prozent, in Sachsen-Anhalt bei 18 Prozent. Insgesamt beträgt die Jugendarbeitslosigkeit in Westdeutschland 7,8 Prozent, im Osten 17,1 Prozent. Das macht klar,
wo der Schwerpunkt liegen, wo man handeln muss und
was zu tun ist. Das sollten wir nicht wegreden, auch wenn
es sich vielleicht nur um 20 Prozent der Bevölkerung handelt.
Die Relation von Bewerbern zu Lehrstellen beschrieb
vorgestern - etwas Aktuelles - im Forum Mobilisierung
neuer Ausbildungsplätze der Konferenz des Bündnisses
für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit hier in
Berlin der stellvertretende Geschäftsführer der Handwerkskammer München und Oberbayern. Er sagte, dass
in dem von ihm vertretenen Bereich auf einen Bewerber
zwei Ausbildungsplätze kommen. Sein Hauptproblem sei
es, den Bewerbern Wohnraum zur Verfügung stellen zu
können. Wir wissen, dass es in den neuen Bundesländern
genau umgekehrt ist: Dort gibt es zwei Bewerber für einen Ausbildungsplatz. Die Abwanderung führt dort zur
Auszehrung, vor allem zur Begrenzung von Selbsthilfe.
Wir wollen - das habe ich wiederholt gesagt - nicht lange
an den Finanztropf. Wir wollen leistungsvolle Lehr- und
Arbeitsplätze. Wir wollen uns selbst helfen. Das ist es,
was wir brauchen. Da sollte der Schwerpunkt der Arbeitspolitik ansetzen.
Aktuelle Zitate, wie gewünscht. Die Sächsische
Zeitung schrieb am vergangenen Wochenende: Konjunkturflaute verursacht Rückgang der Ausbildung 3 000 Lehrstellen weniger. Ich sage an der Stelle: Wo
keine Betriebe sind, da helfen keine Appelle an Betriebe
und auch keine Ermahnungen, wie Sie, Frau Ministerin,
das gesagt haben.
({1})
Wer Sorgen wegen ausstehender Zahlungen, stornierter
Aufträge oder steigender Kosten hat, der denkt kaum längerfristig. Das wäre überall so.
Eine andere Zeitung schrieb gestern:
Desolat ist auch die Lage auf dem Ausbildungsmarkt.
Über 1 800 junge Leute suchten Ende September
noch eine Lehrstelle. Das sind zwar 800 weniger als
ein Jahr zuvor, wie Streich bemerkte.
- Wir wissen, wer das ist. Aber das wurde durch erhöhte Abwanderung erkauft:
5 220 junge Sachsen begannen eine Ausbildung in einem anderen Bundesland, 1 000 mehr als im Vorjahr.
Das sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen. Das
sind die aktuellen Daten, die Sie gerne hören wollten. - Ich
muss feststellen, dass Sie von der SPD im Moment keine
Zeit haben, zuzuhören.
Das ist die Flaute des Bundeskanzlers.
({2})
Für diese Flaute muss er die Verantwortung übernehmen.
Woran liegt es denn, wenn trotz aller genannten Maßnahmen, die ich für positiv halte und die ich mit Dankbarkeit
zur Kenntnis nehme, die Lehrstellensituation in den neuen
Bundesländern so schlimm ist? Ich meine, dass der Zusammenhang zwischen Lehrstellenangebot und Wirtschaftslage völlig ungenügend berücksichtigt wird.
({3})
Die Lehrstellenkrise Ost ist eben keine Routineangelegenheit. Sie ist nicht eine Frage des Geldes und sie ist
auch nicht eine Frage, die allein den Bund angeht. Das ist
mir klar. Sie ist aber in den neuen Bundesländern ein
Grundsatzproblem. Sie zu überwinden ist eine eminent
wichtige Aufgabe, eine Aufgabe für vernetzte Ministeriumsbereiche. Das ist für mich immer wieder der entscheidende Punkt. Sie ist im umfassenden Sinne auch eine
Angelegenheit der Infrastruktur in den neuen Bundesländern. Sie ist eben Chefsache. Ich frage mich daher: Wo
ist der Chef? Will er nicht oder kann er nicht? Warum passiert hier nichts?
Die Bundesregierung hat aus meiner Sicht keinen Mut,
an den Kern des Lehrstellenproblems in den neuen Bundesländern heranzugehen,
({4})
weil es nicht in ihr traditionelles und ideologisches Denken passt,
({5})
durch konsequente Förderung der ausbildenden Betriebe
und ihrer Infrastruktur jene, die das können und wollen, in
die Lage zu versetzen, auszubilden.
({6})
- Als ich vorhin auf Sie eingegangen bin, haben Sie mit
Ihrem Nachbarn geredet. Jetzt rufen Sie dazwischen. Was
soll denn das? Das ist doch kein Stil! Machen Sie das mit
Ihren Leuten!
({7})
Die komplexen Lehrstellenprobleme in Ost und West
sind nur partnerschaftlich und unabhängig von formalen
Zuständigkeiten und Ressorts durch ernsthaft gewollte
und verpflichtend festgelegte Maßnahmen zu lösen. Zum
Beispiel ist das Problem schulischer Vorleistungen natürlich eine Sache der Kultusministerien, aber nicht allein.
Die Bereitstellung betrieblicher Lehrstellen ist natürlich
eine Angelegenheit von Wirtschaft und Mittelstand, aber
eben nicht allein. Das Anliegen, moderne Berufsschulen
zu haben, ist natürlich eine Angelegenheit des BMBF,
aber eben auch nicht allein.
Schröder und unsere Ministerin, Frau Bulmahn, wurden am Anfang der Woche zu Lehrstellenfüchsen
gekürt. Ich habe mich gefreut, dass ich das erleben konnte.
Frau Ministerin, ich sage Ihnen aber: Kommen Sie heraus
aus dem Bau und sehen Sie die Chancen einer gemeinsamen Jagd auf Lehrstellen unter bestimmten konkreten
Bedingungen, so wie sie in den neuen Bundesländern vorliegen! Angesichts der Abwanderung von jungen Menschen fordere ich Sie auf: Erkennen Sie die vernetzte Welt
in der freien Lehrstellenwildbahn, denken und handeln
Sie - das ist der Hauptpunkt; ich sage es immer wieder ressortgrenzenüberschreitend!
({8})
Die Handwerkskammer Chemnitz schrieb mir, dass
das Einstellungsverhalten von der Konjunktur und von
der Auftragslage abhängig ist. Das sind die wahren Auswirkungen der so genannten Ökosteuer,
({9})
der von Ihnen praktizierten mittelstandsfeindlichen Wirtschaftspolitik.
({10})
- Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Es ist so.
({11})
Gehen Sie in die Betriebe und reden Sie mit den Verantwortlichen! Es geht um den direkten Einfluss auf die dualen Lehrstellen.
Die Grünen fordern in einem Antrag Chancengleichheit. Ich frage mich, ob sie eigentlich wissen, worum es
geht.
({12})
Tun Sie etwas dafür! Wenn wir Chancengleichheit im
Sinne der inneren Einheit Deutschlands erreichen wollen,
dann müssen die zukünftigen Lehrlinge eine Chance haben, an ihrem Wohnort eine Lehrstelle zu bekommen. So
einfach ist das.
({13})
Schauen Sie sich Ihren Antrag daraufhin an und überarbeiten Sie ihn!
Es wird viel darüber geredet, ob das duale System
noch eine Existenzberechtigung hat. Diese Woche fand
das 1. VDE-Forum mit dem Thema Technologie und
Wissen als Wirtschaftsfaktoren statt. Ein Teilnehmer der
Podiumsdiskussion sagte, dass die duale Ausbildung - das
betrifft also unser Thema - eine Renaissance erleben
wird. Er forderte dazu auf, sie zu gestalten. Ich bitte Sie,
darüber nachzudenken: Es geht um eine Renaissance, eine
Erneuerung des dualen Systems. Wie in dem vorliegenden
Bericht beschrieben, ist diese teilweise schon erfolgt. Beherzigen wir das, grenzüberschreitend und unverklemmt!
({14})
Es geht darum, das System zu erhalten und auszubauen.
Das System Lernen und Arbeiten muss funktionieren.
Ich muss mich kurz fassen. Ich bitte auch darum - das
steht ebenfalls im Bericht -, dass ausländische Unternehmer in höherem Maße ausbilden.
({15})
Angesichts dessen, was wir in den letzten Wochen erlebt
haben, ist uns klar, was für eine Chance dahinter steht.
({16})
- Ich wollte nicht Gefahrenpotenzial sagen.
Lassen Sie mich drei Kernaussagen zusammenfassen
und sagen, was mir wichtig ist:
Erstens. Im Interesse der inneren deutschen Einheit ist
ein Qualitätssprung in der Lehrstellenpolitik unverzichtbar. Alle Maßnahmen müssen den praktischen, realen und
aktuellen Vernetzungen entsprechen. Man kann nicht von
Globalisierung reden und zu Hause simple Problemvernetzungen ignorieren.
Zweitens. Im Interesse der notwendigen Flexibilität
der Berufe und Benachteiligter sind geeignete Berufe für
Berufsbildung und Weiterbildung praxisbezogen zu
modularisieren.
Drittens. Es liegt in unser aller Interesse, dass die Integrationschancen ausländischer Jugendlicher verbessert
werden, indem mehr ausländische Firmen ausbilden.
({17})
Danke.
({18})
Ich gebe
nunmehr das Wort dem Kollegen Christian Simmert. Er
spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Jork, wenn die Schaffung von Ausbildungsplätzen so
einfach wäre, dann hätten Sie Herrn Rüttgers vielleicht
vor 1998 ein paar Empfehlungen mit auf den Weg geben
sollen ({0})
aber bitte nicht dieser Bundesregierung, die sich ja nicht
nur, wie Sie gerade gefordert haben, ressortübergreifend,
sondern auch im Bündnis für Arbeit als gesellschaftlichem Brennpunkt darum kümmert, was die Schaffung
von zukunftsfähiger Ausbildung und die Diskussion darüber angeht.
Der vorliegende Berufsbildungsbericht trägt dem
Rechnung. Die Zahlen hat Frau Ministerin gerade genannt. Es ist eben nicht ganz einfach, Ausbildungsplätze
zu schaffen, gerade in den neuen Bundesländern nicht.
Aber die Bundesregierung hat im Bündnis für Arbeit in
den letzten drei Jahren Beachtliches geleistet. Ich denke,
auch das sollte die Opposition zur Kenntnis nehmen.
Für Bündnis 90/Die Grünen steht fest, dass Bildung
nicht nur Rohstoff ist. Bildung schafft grundsätzlich die
Voraussetzung für verantwortungsvolles, demokratisches
und selbstbestimmtes Handeln. Bildung ermöglicht es,
Chancen zu nutzen und Herausforderungen zu meistern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist für uns selbstverständlich, dass die Weiterbildungsmöglichkeiten - um
sie geht es in unserem Antrag - für bislang benachteiligte
Gruppen in der Gesellschaft verstärkt ausgebaut werden
müssen. Menschen, die in weniger qualifizierten Berufen
von Arbeitslosigkeit bedroht sind, müssen ebenso wie Migrantinnen und Migranten sowie Frauen befähigt und dabei gefördert werden, sich zu qualifizieren, gerade in der
Weiterbildung.
Für Bündnis 90/Die Grünen steht fest, dass das Recht
auf Bildung - das gilt im Übrigen auch für die Erstausbildung - die neue soziale Frage ist, der sich das gesamte
Haus zu stellen hat.
({1})
Bildung ist der Schlüssel zur Wissensgesellschaft, also
auch zur persönlichen Wissensgestaltung. Die Vorstellung
von einer abgeschlossenen Erstausbildung, in der lebenslang gültiges Wissen erworben wird, ist überholt.
Wir sind aber auch der Überzeugung, dass lebensbegleitendes Lernen keinen Zwang bedeuten muss. Wenn
die Einzelnen den Spaß und den Nutzen des Lernens entdecken, werden die Menschen selbst aktiv und nutzen die
Angebote der Weiterbildung zum beruflichen Aufstieg,
zum Branchenwechsel, zur Qualifikation für einen Arbeitsplatz oder zur eigenen Wissens- und Perspektiverweiterung.
Wir setzen uns daher für eine nachhaltige Bildungspolitik ein. Grundvoraussetzung dafür sind offene Zugangsbedingungen, die Sicherung der Qualität in der Weiterbildung,
die Schaffung eines flächendeckenden Weiterbildungsnetzes und eine nachhaltige Bildungsfinanzierung, an der
sich alle Akteure, der Staat, die Unternehmen und die Teilnehmer an den Maßnahmen, nach ihren Möglichkeiten beteiligen.
Herr Kollege Simmert, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres verehrten Herrn Vorredners?
Ja, gerne.
Herr Kollege, Sie
waren so nett, mir zu empfehlen, darüber nachzudenken,
ob ich dem vorhergehenden Minister eine Empfehlung
bezüglich der Schaffung von Ausbildungsplätzen gegeben habe. Darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass
unsere Fraktion - jeweils im Vierjahresabstand - dreimal
Anhörungen zu der Lehrstellensituation in den neuen
Bundesländern durchgeführt hat, dass die Ergebnisse der
ersten beiden Anhörungen an Herrn Rüttgers und die der
letzten Anhörung auch an Ihre Ministerin weitergeleitet
worden sind? Es handelte sich dabei um Vorschläge zu
Maßnahmenkatalogen, die aus meiner Sicht durchaus
konstruktiv berücksichtigt worden sind. Ist Ihnen das
nicht bekannt?
Meine zweite Frage: Meinen Sie nicht, dass jemand,
der selbst aus der Berufsbildung kommt, weil er einmal
als Mechaniker angefangen hat, vielleicht ganz gut Bescheid weiß? Sie sollten einmal Ihre Berufserfahrung prüfen, anstatt mir zu sagen, wie es bei der praktischen Berufsbildung aussieht.
({0})
Antwort zur ersten Frage: Ja, das ist mir bekannt. Zur
zweiten Frage: Vom Alter her befinde ich mich ein bisschen näher an meiner beruflichen Erstausbildung. Daher
weiß ich auch, worüber ich spreche.
({0})
- Wenn Sie möchten, können Sie noch eine Frage stellen.
Ich habe gerade davon gesprochen, dass wir uns für
eine nachhaltige Bildungspolitik einsetzen. Es geht um
die Bildungsfinanzierung. Diese haben wir auch in den
bestehenden Gesetzen verankert:
Mit der Novelle zum SGB III, in die Jobrotation, Job
Aqtiv und JUMP Eingang finden, öffnen wir den Arbeitsmarkt auch für Weiterbildungsmaßnahmen.
Das neue Betriebsverfassungsgesetz - auch das hört
die Opposition nicht gerne - ermöglicht es, innerbetriebliche Vereinbarungen im Hinblick auf Qualifizierungsmaßnahmen zu treffen, wie es zum Beispiel die Tarifpartner im Südwesten wegweisend gezeigt haben.
({1})
Mit der Novelle zum Meister-BAföG - Frau Ministerin, Sie haben es gerade erwähnt - erweitern wir die Perspektiven und den Personenkreis der Teilnehmer durch
Erleichterungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund und durch die Förderung
von Teilnehmern und vor allen Dingen Teilnehmerinnen
mit Kindern.
Mit der Novelle zum Fernunterrichtsschutzgesetz werden wir die Einhaltung von Angeboten und die Qualität
der Maßnahmen entscheidend verbessern. Dieser Bereich
wird auch für das softwaregestützte Lernen nützlich sein.
Die rot-grüne Bundesregierung erprobt mit dem Aktionsprogramm Lebensbegleitendes Lernen verschiedene Segmente der Weiterbildungspolitik, um sie effizient im Fördersystem verankern zu können. Die
Einbindung von Hochschulen, Schulen, Volkshochschulen und Bibliotheken in das Konzept der Netzwerkförderung Aufbau lernender Regionen macht deutlich, dass
staatlich bereitgestellte Infrastruktur, gekoppelt mit der
Eigenleistung der Lernenden und der Förderung durch die
Wirtschaft, ein flächendeckendes Weiterbildungsnetz darstellt. Dieses Konzept werden wir verstetigen. Dies wird
auch in dem vorliegenden Entschließungsantrag - darauf
habe ich bereits hingewiesen - deutlich.
Grundvoraussetzung für den Erfolg dieser Bemühungen bleibt allerdings die Qualitätssicherung, also der
Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher. Hier sind
im Rahmen der einzelnen Maßnahmen die Entwicklung
von Qualitätsstandards und die Schaffung von Mitbestimmung durch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst
eine entscheidende Komponente der Erfolgssicherung. In
Übereinstimmung mit europäischen Standards sollen erworbene Qualifikationen nachweisbar und zertifizierbar
sein. Dabei können wir uns vorstellen, einen europäischen
Weiterbildungspass einzuführen.
Die Nachhaltigkeit der initiierten Maßnahmen muss
kontrolliert werden. Daher setzen wir uns für die Verstärkung der Weiterbildungsforschung ein und wollen den
Blick gerade auf geschlechtsspezifische Aspekte, auf die
Einbindung noch bildungsferner Zielgruppen und auf das
informelle Lernen richten.
({2})
Auch die Qualifikation der Weiterbildenden selbst und
ihre Arbeitsverhältnisse müssen immer wieder auf den
Prüfstand gestellt werden.
Für Bündnis 90/Die Grünen steht fest, dass der Zugang
zu Bildung keine Frage des Geldbeutels der Einzelnen
sein darf.
({3})
Ohne Beteiligung der Wirtschaft und des Staates darf es
eine Qualifizierungsoffensive nicht geben. Wir wollen sie
nicht ohne die Wirtschaft und schon gar nicht ohne den
Staat planen. Deshalb werden sämtliche Finanzierungsmodelle unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit besonders zu prüfen sein.
Für Bündnis 90/Die Grünen ist Weiterbildung mehr als
die ständige Anpassung der Qualifikation an den Arbeitsmarkt. Weiterbildung trägt ganz wesentlich zur Persönlichkeitsentwicklung bei. Sie ermöglicht es den Menschen, aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft teilhaben
zu können.
Lassen Sie uns gemeinsam den Freiraum gestalten und
den nötigen Rahmen dafür schaffen, damit Weiterbildung
in Zukunft eine sehr starke und zusätzliche Säule in unserem Bildungssystem werden kann.
Vielen Dank.
({4})
Für die
FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin Cornelia Pieper.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte als Erstes mit einer Legende
aufräumen. Von Vertretern der Regierungskoalition ist
hier mehrmals gesagt worden, die Bundesregierung habe
bei der Schaffung von Ausbildungsplätzen Enormes geleistet.
({0})
Nicht die Bundesregierung, sondern die Unternehmen in
diesem Land und die Wirtschaft haben Ausbildungsplätze
geschaffen,
({1})
und das trotz Ihrer Politik; denn Sie haben dem kleinen
Mittelstand und den Freiberuflern mit Ihrer Steuerreform,
zum Beispiel mit den Steuerbelastungen durch die Ökosteuer, immer wieder Knüppel zwischen die Beine geworfen. Ausbildungs- und Arbeitsplätze kosten jetzt mehr
als früher und deswegen kann man es dem kleinen Mittelstand nicht vorwerfen,
({2})
dass nicht noch mehr Arbeitsplätze geschaffen werden.
Das haben Sie zu verantworten, auch aufgrund der Rahmenbedingungen, die Sie gerade durch eine falsche Wirtschafts- und Steuerpolitik in diesem Land geschaffen
haben.
({3})
Von daher, lieber Herr Tauss, ist der Berufsbildungsbericht immer wieder ein Spiegelbild wirtschaftlicher Entwicklung oder Stagnation. Er zeigt, wie politische Instrumentarien greifen und ob sich der gewünschte Erfolg auch
einstellt. Er ist sozusagen eine der beiden Messlatten, an
denen Bundeskanzler Schröder sich messen lassen
möchte. Die drastische Senkung der Jugendarbeitslosigkeit ist das eine, was er sich vorgenommen hat, und die
Reduzierung der Arbeitslosenzahlen unter 3,5 Millionen
das andere.
Ich will Ihnen klar sagen: Ich halte beide Ziele dieser
Bundesregierung für nicht erreicht. Sie haben beide Ziele
verfehlt.
({4})
Die Arbeitslosenquote ist im Vergleich zum Vorjahr um
1,6 Prozent gestiegen und die Jugendarbeitslosigkeit ist
erschreckenderweise mit die höchste in Europa. Im Westen Deutschlands ist letztere im Vergleich zum Vorjahr um
9,7 Prozent gestiegen. Das steht in der Statistik; bitte
schauen Sie hinein. Ich denke, ein Lobgesang der Bundesregierung ist da nicht angemessen.
({5})
Für mich und meine Fraktion ist der Blick in den aktuellen Berufsbildungsbericht eher ernüchternd. Trotz der
enormen Fördermittel des Bundes im Sofortprogramm
der Bundesregierung, das auch im Jahr 2000 fortgeführt
wurde, stagniert die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze. Es gibt faktisch keine Zunahme. Die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze sank 1999 um 13 500 und
stieg 2000 wieder fast um die gleiche Zahl, um 14 000.
Vergleiche ich die Beschäftigungsentwicklung und die
Ausbildungsbereitschaft einiger Branchen, so sehe ich im
Bank- und Kreditgewerbe einen Rückgang der Ausbildungsplätze. Im gesamten Dienstleistungsgewerbe hat
sich die Zahl der Beschäftigten zwar um circa eine halbe
Million erhöht, die Zahl der Ausbildungsstellen ging aber
um 2 800 zurück.
Noch eine Feststellung ist interessant und sie ist meines Erachtens auch alarmierend. Wir müssen aufpassen,
dass der Sinn der dualen Berufsausbildung nicht aufgegeben wird. Der Schwerpunkt muss bei den Ausbildungsplätzen in den Betrieben liegen; dieser Schwerpunkt darf
sich nicht auf die außerbetrieblichen Ausbildungsplätze
verlagern.
({6})
Sogar der DGB warnt inzwischen vor einer schleichenden
Verstaatlichung des dualen Berufsausbildungssystems.
Ich gebe den Kollegen von der Union Recht: Hier ist
vernetztes Denken angesagt. Es ist Aufgabe nicht nur der
Bildungspolitiker, sich mit den richtigen Rahmenbedingungen für Ausbildungsplätze in Deutschland zu beschäftigen, sondern das ist auch Aufgabe der Wirtschaftspolitiker.
({7})
Deshalb sagen wir: Die beste Ausbildungsplatzpolitik
ist immer noch eine aktive und konsequente Mittelstandspolitik. Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer Zwischenbilanz für das Ausbildungsjahr 2001 erklärt: Die Betriebe
setzen ihre eigene Zukunft aufs Spiel, wenn sie jetzt nicht
genügend in die Ausbildung investieren.
({8})
Nein, sage ich. Die Bundesregierung setzt die Zukunft
junger Menschen aufs Spiel, wenn sie zulasten des Hauptausbilders, des Mittelstandes, Steuern erhöht und mit dem
Betriebsverfassungsgesetz oder der Zwangsteilzeit die
Unternehmen stranguliert.
({9})
Zu Recht hat der Präsident des Zentralverbandes des
Handwerks ein Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform gefordert. Das ist immerhin noch die beste Maßnahme, um Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu schaffen.
Dazu gehören auch unsere Vorschläge aus dem Gesamtpaket der FDP für mehr Wachstum und Beschäftigung.
({10})
Als besonders dramatisch wurde hier die Situation der
jungen Menschen in den neuen Bundesländern beschrieben. Ich sehe das genauso. Die Ausbildungsplatzsituation ist dort dermaßen schlecht, dass fast täglich
junge Menschen in die alten Bundesländer auswandern.
Wir haben allein im Jahre 2000 einen Wanderungsverlust
von 61 000 Menschen, insbesondere jungen, kreativen,
gut ausgebildeten Menschen. Das sind 17 000 mehr als im
Jahre 1999. Was das auch für die nächsten Jahre in Bezug
auf Fachkräftemangel und in Bezug auf Nachfrage nach
qualifizierten Arbeitskräften im Osten bedeutet, ist gut
vorstellbar. Dieses Problem wird uns noch gesondert hier
im Deutschen Bundestag zu beschäftigen haben.
Unter diesem Gesichtspunkt frage ich mich: Ist das einzige Konzept, das die rot-grüne Bundesregierung dem
entgegenzuhalten hat, diesen jungen Menschen, die von
Ost nach West abwandern, Mobilitätshilfen zu zahlen und
keine Zukunftsperspektiven in den neuen Bundesländern
zu schaffen?
({11})
Da ist ein Umdenken angesagt, meine Damen und Herren
von der Regierungskoalition. Wir brauchen dringend auch
die Stärkung des Mittelstandes gerade in den neuen Bundesländern.
({12})
In der Tat werden in den nächsten Jahren gerade für die
neuen Länder Sonderprogramme erforderlich sein. Aber
ich sage auch: Gerade in den neuen Ländern wird das Dilemma einer immer weniger differenzierten, nicht auf
Leistung setzenden Schulausbildung deutlich. Zur angemessenen Beurteilung gehört auch, dass immer mehr
Schulabgänger keinen Haupt- oder Realschulabschluss
haben. In Sachsen-Anhalt waren im vergangenen Jahr
13 Prozent ohne Schulabschluss. Deshalb müssen auch
wir als Bundespolitiker unseren Fokus auf eine bessere
Qualität in der Unterrichtsversorgung richten. Was die
Schule an Vermittlung von Kernkompetenzen, traditionellen Kulturtechniken oder sozialer Kompetenz versäumt, kann in der Berufsschule oder im Betrieb nicht
nachgeholt werden.
({13})
Deswegen muss die Ausbildungsfähigkeit junger Menschen grundsätzlich gewährleistet sein.
Ich fordere Sie förmlich auf, auf Ihre Landesregierungen einzuwirken, in der Schulpolitik endlich mit jeglicher
Gleichmacherei aufzuhören und stattdessen mehr auf Differenzierung und Leistungsorientierung zu setzen.
({14})
- Nein. - Das wird nach allen Erfahrungen von Bildungsexperten auch der Förderung praxisorientierter junger
Menschen eher gerecht.
Meine Damen und Herren, im Berufsbildungsbericht
werden auch positive Elemente sichtbar,
({15})
die wir auch in unserem Antrag zur Modularisierung der
Aus- und Weiterbildung vorgeschlagen haben.
Frau Kollegin, Sie haben leider nicht die Zeit, diese ganzen positiven
Seiten darzustellen.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident,
dass Sie mich darauf hinweisen. - Wir werden diesen Antrag zu gegebener Zeit zu beraten haben.
Ich sage als Letztes: Frau Ministerin, es geht beim
Thema Ausbildung, Weiterbildung oder Allgemeinbildung nicht um ideologische Grabenkämpfe.
({0})
Die Modularisierung und die angestrebte zweijährige
Grundausbildung mit einem ordentlichen Berufsabschluss,
wie wir sie vorgeschlagen haben, ist keine Schmalspurausbildung. Es geht darum, dass diese jungen Menschen mit
einem Berufsabschluss überhaupt einen Arbeitsplatz bekommen. Besser einen Arbeitsplatz als keinen Arbeitsplatz,
das war doch immer Ihr Motto, meine Damen und Herren
von der Regierungskoalition.
Frau Kollegin, ich bekomme mit dem Kollegen Hinsken, dem ich
einmal den Saft abgedreht habe, den größten Ärger, wenn
ich jetzt nicht eingreife.
In diesem Sinne: Stimmen
Sie uns zu! Dann werden Sie auch mit dem Thema Ausbildungsplätze besser vorankommen.
Vielen Dank, Herr Präsident.
({0})
Nun gebe
ich der Kollegin Maritta Böttcher für die Fraktion der
PDS das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Zur Zwischenbilanz des Ausbildungsstellenmarktes liefert uns das Bundesbildungsministerium gleich die entsprechende Interpretationshilfe.
Wir erfahren, wie wir Statistiken zu lesen haben: Ausbildung im Aufwind, Jeder bekommt eine Lehrstelle
heißen die Botschaften. Alles scheint also in bester Ordnung zu sein. Wer es genau wissen will, muss sich allerdings schon die Mühe machen, mehr als diese Schlagzeilen zu lesen.
Frau Ministerin, im Osten hat sich leider nichts
grundsätzlich verändert. Das ist nicht Ihre Schuld. Sie haben ein wirklich schweres Erbe übernommen. Dennoch
ist es eine Tatsache.
({0})
- Hören Sie auf mit der Frage: Von wem denn? Seit elf
Jahren sind wir ein Land. Inzwischen gibt es Entwicklungen, die andere zu verantworten haben.
({1})
Der Aufwind ist dort offenbar nicht angekommen.
5 Prozent weniger gemeldete Stellen als im Vorjahr lassen
sich aus einer deutlichen Abnahme der betrieblichen
Lehrstellen erklären. Die Zunahme der Zahl außerbetrieblicher Lehrstellen ergibt sich allein daraus, dass derartige
Stellen für Rehabilitanden erstmals mitgezählt werden.
Das niederschmetternde Fazit des Berufsbildungsjahres für den Osten lautet: 97 nicht vermittelte Bewerber auf
10 unbesetzte Ausbildungsplätze mit den Schwerpunkten
Brandenburg und Sachsen. Die sächsischen Zahlen sind
zum Teil schon genannt worden. Ich will sie für Brandenburg sagen: Auf 193 nicht vermittelte Bewerber kommen
noch heute 10 unbesetzte Ausbildungsstellen. Dazwischen klafft nun wirklich eine Lücke, die niemand bestreiten kann. Dagegen helfen weder eine bundesweit ausgeglichene Bilanz noch das Gesundbeten von Statistiken.
Hier müssen endlich Strukturentscheidungen getroffen
werden, und zwar auf der Grundlage einer soliden Ursachenanalyse. Dafür wiederum bietet der Berufsbildungsbericht wertvolle Anhaltspunkte.
Erstens. Es fällt auf, dass wir es noch immer mit einer
mangelnden Ausbildungsbereitschaft der Großbetriebe zu
tun haben, nicht etwa hinsichtlich der Beteiligung überhaupt, sondern hinsichtlich der Verteilung der Ausbildungsverträge.
Zweitens. Wir haben eine nach wie vor sinkende Ausbildungsquote, vor allem in Großbetrieben. Ich vermisse
die politischen Schlussfolgerungen aus dieser Entwicklung. Wie soll denn dem allseits beklagten Fachkräftemangel abgeholfen werden, wenn nicht durch die Ausbildung in den Betrieben?
({2})
Die Verantwortung für den Fachkräftenachwuchs liegt bei
den Arbeitgebern. Das ist völlig richtig. Wenn diese aber,
statt ihrer Ausbildungsverpflichtung nachzukommen, lieber Faulenzerdebatten lostreten, dann müssen sie durch
die Politik angehalten werden, endlich ihre Hausaufgaben
zu machen.
({3})
Das ist unsere Verantwortung und vor allem natürlich
die Verantwortung der Bundesregierung. Das ist aber
noch nicht alles. Auf die besondere Situation im Osten
habe ich wie viele andere an dieser Stelle immer wieder
hingewiesen. Die Zahlen im Bericht werden durch die eingangs beschriebene aktuelle Entwicklung bestätigt. Wo
durch Konjunktureinbrüche konkursgefährdete Kleinund Mittelbetriebe das Rückgrat des dualen Systems bilden, haben die ursprünglich als Überbrückungsmaßnahmen konzipierten Programme längst einen anderen Stellenwert. Sie haben Recht, Frau Ministerin: Das muss
verändert werden.
Im Osten sind vor allem die Zahl berufsvorbereitender
Maßnahmen und der Umfang der außerbetrieblichen
Ausbildung im Benachteiligtenprogramm angestiegen. In
meinem Heimatland Brandenburg absolviert jeder zweite
Jugendliche seine Berufsausbildung in einem Oberstufenzentrum. Das ist das Ergebnis eines Mangels an betrieblicher Ausbildung. Dadurch entsteht eine überdimensionale
Nachfrage nach Ausbildungsplätzen in Vollzeitunterricht.
Solche Entwicklungen müssen endlich auf Bundesebene
ernst genommen werden.
({4})
Immer neue oder geringfügig umgestrickte Maßnahmen und Förderprogramme als Warteschleifen zwischen
Schulabschluss, Ausbildung und Arbeitsmarkt, finanziert
aus verschiedenen Fördertöpfen mit nicht zu überblickenden Förderbedingungen und -zielen, verschleppen das
Problem notwendiger Strukturentscheidungen im Osten.
Sämtliche öffentlich finanzierten Ausbildungsprogramme
gehören auf den Prüfstand. Das ist ein Punkt, über den wir
uns wohl alle einig sind.
Das immer unübersichtlicher werdende System der
Berufs- und Weiterbildung muss neu strukturiert werden,
wenn das Gerede von gleichen Bildungschancen noch irgendeinen Sinn haben soll. Im freien Spiel der Kräfte entwickeln sich gleiche Bildungschancen ganz offensichtlich
nicht. Im Gegenteil: Die Schere zwischen den gut ausgebildeten und immer besser weitergebildeten Menschen
und den Bildungsbenachteiligten öffnet sich weiter. Aus
diesem Grund plädieren wir für ein Bundesrahmengesetz zur Weiterbildung. Weder über Aktionsprogramme
noch über Modellprojekte ist die notwendige systematische Strukturierung dieses immer wichtiger werdenden
Bildungsbereichs zu gewährleisten. Wir brauchen Strukturen, die allen Menschen eine einigermaßen planbare,
auf die eigenen Bedürfnisse und Voraussetzungen abgestimmte Lernbiografie ermöglichen.
({5})
Erst wenn die individuellen Entwicklungschancen
nicht mehr vorrangig davon abhängen, ob jemand zufällig im Osten oder im Westen dieses Landes geboren ist,
wird die Wahl des Lebensortes zu einer freien Entscheidung. Erst dann geht es um Mobilität und nicht mehr um
Abwanderung.
({6})
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Ernst Küchler.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir diskutieren heute nicht nur
den Berufsbildungsbericht, sondern auch die Anträge zu
Fragen der Weiterbildung. Ich möchte mich in meinen
Ausführungen auf diese Anträge konzentrieren. Mein
Kollege Willi Brase wird später in seinem Beitrag auf den
Berufsbildungsbericht eingehen.
Nachdem wir uns im Ausschuss bereits mit den ordnungspolitischen Fragen beschäftigt haben, ist es aus meiner Sicht angebracht, in dieser Debatte eine erste Zwischenbilanz zu ziehen und aufzuzeigen, welche Rolle die
Weiterbildung in der Politik der letzten drei Jahre gespielt
hat und vor welchen Aufgaben die Weiterbildungspolitik
in den nächsten Jahren stehen wird.
Als die Koalitionsfraktionen vor mehr als einem Jahr
mit ihrem ersten Antrag Lebensbegleitendes Lernen für
alle - Weiterbildung ausbauen und stärken die Initiative
ergriffen haben, die Weiterbildung - auch als Teil der Bildungspolitik auf Bundesebene - in den Blick zu nehmen,
haben sie eine Debatte aufgenommen, die zu jener Zeit
nicht nur unter Bildungspolitikern, sondern in vielen gesellschaftlichen Bereichen bereits begonnen hatte. Die
zahlreichen Beschlüsse, Entschließungen und Verlautbarungen von einschlägigen Verbänden, gesellschaftlichen
Organisationen und der Parteien zur Weiterbildungspolitik weisen darauf hin, dass dem Weiterbildungssektor
im Bildungssektor der Bundesrepublik Deutschland inzwischen eine große Aufmerksamkeit zukommt.
({0})
Ich will darauf verzichten, an dieser Stelle die Gründe
für die Aufwertung des Weiterbildungsbereichs zu erläutern, zumal zwischen den unterschiedlichen Verbänden
und politischen Lagern keine grundsätzlichen Differenzen
bezüglich der Bewertung und der Bedeutung der Weiterbildung für die heutige und zukünftige Bildungs- und Beschäftigungspolitik bestehen. Ich will vielmehr versuchen,
eine erste Bilanz zu ziehen, um zu verdeutlichen, welche
Initiativen und Vorhaben seitens der Bundesregierung in
den letzten drei Jahren in Gang gebracht worden sind.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Weiterbildung, insbesondere berufliche Weiterbildung, hat eine außerordentliche Bedeutung auch für die Arbeitsmarktpolitik.
Deshalb ist es zu begrüßen, dass zum Beispiel mit dem
Job-Aqtiv-Gesetz, das die Bundesregierung eingebracht
hat, der Weiterbildung und der beruflichen Qualifizierung
eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird.
({1})
Die hohen Vermittlungsquoten von Teilnehmerinnen
und Teilnehmern an Maßnahmen zur beruflichen Qualifizierung zeigen deutlich die Wirksamkeit dieser Maßnahmen
und die Notwendigkeit, durch berufliche Qualifizierung und
Weiterbildung Arbeitslosen oder von Arbeitslosigkeit Bedrohten eine Chance zu geben, wieder einen Arbeitsplatz
zu bekommen bzw. ihren Arbeitsplatz zu erhalten. Dabei
ist aus meiner Sicht besonders wichtig, Weiterbildung als
Prävention zu begreifen, um Arbeitslosigkeit erst gar
nicht entstehen zu lassen.
({2})
Mit dem Instrument der Jobrotation wird eine Chance
eröffnet, Weiterbildung mit der Vermittlung Arbeitsloser
in den Arbeitsmarkt zu verbinden. Des Weiteren haben
wir mit der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes auch
die Rechte der Arbeitnehmervertretungen gestärkt, Einfluss auf die Weiterbildung in den Betrieben zu nehmen.
({3})
Ich komme darauf noch einmal im Zusammenhang mit
den tariflichen Möglichkeiten zurück, Ansprüche auf betriebliche Weiterbildung zu begründen und durchzusetzen.
Das JUMP-Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, mit dem wir inzwischen weit über
300 000 Jugendliche erreicht haben, ist ein voller Erfolg.
Die Arbeitsämter haben in Zusammenarbeit mit den Bildungsträgern inzwischen eine Vielzahl von Qualifizierungsmaßnahmen durchgeführt und damit Jugendlichen
wieder eine Chance eröffnet, in Ausbildung und Arbeit zu
kommen.
({4})
Ich kann dies aus eigener Erfahrung und aufgrund zahlreicher Gespräche mit der Arbeitsverwaltung und den Bildungsträgern vor Ort belegen.
Wir werden auch im Zusammenhang mit der gesetzlichen Regelung der Zuwanderung über die Finanzierung
der Weiterbildungsmaßnahmen für Aussiedler und Ausländer entscheiden müssen. Wenn wir Bereitschaft zur
sprachlichen und beruflichen Weiterbildung erwarten,
müssen wir auch bereit sein, die erforderlichen Mittel
hierfür zur Verfügung zu stellen. Integration erfordert
auch erhebliche Anstrengungen im Bildungs-, Weiterbildungs- und Qualifizierungsbereich.
Nun gab es in den letzten drei Jahren nicht nur gesetzliche Initiativen im Bereich der Weiterbildung, sondern
auch zahlreiche Projekte und Modellversuche, die darauf abzielen, den Weiterbildungssektor zu stärken und
die Voraussetzungen für ein Weiterbildungssystem zu
schaffen, mit dem die vielfach beklagten und von allen
Seiten anerkannten Defizite abgebaut werden sollen. Aber
ein System erfordert Strukturen, Qualität, Transparenz,
Verlässlichkeit und Stabilität. Davon sind wir noch weit
entfernt.
Im FDP-Antrag wird zwar von einem Weiterbildungssystem gesprochen. Aber gleichzeitig spricht man sich
dafür aus, an den bestehenden diffusen Strukturen nichts
zu verändern. Im CDU/CSU-Antrag sucht man vergeblich nach einer Erläuterung dessen, was mit dem groß angekündigten und notwendigen Paradigmenwechsel wohl
gemeint sein mag.
({5})
Beide Anträge intendieren den Abbau öffentlicher Verantwortung im Weiterbildungssystem und setzen ausschließlich auf die Eigenverantwortung und den Weiterbildungsmarkt,
({6})
und zwar ausschließlich.
Mit dem Aktionsprogramm Lebensbegleitendes Lernen für alle des Bundesministeriums für Bildung und
Forschung wurden die vielfältigen Forschungs-, Entwicklungs- und Erprobungsmaßnahmen gebündelt. Innovationen und Konzepte zur Realisierung einer lernenden
Gesellschaft sollen breiter und nachhaltiger als bisher
umgesetzt werden, heißt es im Berufsbildungsbericht.
Das Aktionsprogramm enthält zahlreiche Teilprogramme,
auf die ich hier im Einzelnen nicht eingehen möchte. Sie
beziehen sich auf die Vernetzung, die Qualitätssicherung,
die Zertifizierung, die Transparenz, auf neue Lernformen
und Lernkulturen, aber auch auf die Bildungsforschung.
Ich will nur auf drei Initiativen näher eingehen. Das
Modellprogramm Lernende Regionen - Förderung von
Netzwerken, für das von 2000 bis 2004 138 Millionen DM bereitgestellt werden, hat bereits jetzt, kurz
nach der Vergabe der ersten über 50 Projekte, ein breites
Engagement in den Kommunen, in den Regionen, bei den
Weiterbildungsträgern und Einrichtungen ausgelöst.
({7})
Wer sich die eingegangenen Projektvorschläge anschaut und mit den Projektpartnern spricht, kann erkennen, dass bereits der Prozess der Projektentwicklung neue
Kooperationsbereitschaft der Akteure und vielfältige Ansätze zur Schaffung von Netzwerken ausgelöst hat. Ich
bin auch aufgrund der Kenntnis vieler Akteure vor Ort sicher, dass wir mit diesen Modellen eine neue Qualität im
Weiterbildungssystem gewinnen, dass Strukturen geschaffen werden, die als Netzwerke dauerhaft tragfähig
sein werden. Das von mir gerade erwähnte Programm ist
im Sinne unseres Antrags vorbildlich, weil es nachhaltig,
strukturbildend und integrativ angelegt ist.
({8})
Ich möchte auf zwei, drei andere Programme nur noch
stichwortartig eingehen, weil mir die Redezeit davongelaufen ist. Ich möchte besonders das Programm Neue
Medien in der Bildung herausheben. Wir erwarten, dass
im Rahmen dieses Programms, mit dem die Entwicklung
von Lernsoftware gefördert werden soll, nicht nur Mittel
im Bildungsbereich, sondern auch im Weiterbildungsbereich eingesetzt werden.
Ich erwähne die Bemühungen um die Schaffung einer
Stiftung Bildungstest, eines Bildungstestsystems, mit dem
wir den Verbraucherschutz stärken wollen. Wir begrüßen
besonders die Machbarkeitsstudie für einen regelmäßigen Weiterbildungstrendbericht und die Einrichtung einer Kommission, die sich mit Bildungsfinanzierung und
damit auch mit Weiterbildungsfinanzierung beschäftigen
wird.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es wäre noch viel
zu erwähnen, was im Zusammenhang mit dem Bündnis
für Arbeit, im Zusammenhang mit dem Forum Bildung
und im Zusammenhang mit den Aktivitäten der Konzertierten Aktion Weiterbildung in Bezug auf das lebenslange Lernen in Gang gebracht worden ist. Das ist bewundernswert und vorbildlich. Wenn man sich anschaut
- um nur ein Beispiel zu nehmen -, was aus den Ergebnissen des Bündnisses für Arbeit im Zusammenhang mit
dem Tarifvertrag in Baden-Württemberg und den Möglichkeiten, dort Lernzeitansprüche für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Betrieb zu entwickeln, geworden ist, dann sieht man, dass diese Maßnahmen und
Aktivitäten greifen.
({9})
Als Bildungspolitiker möchte ich abschließend davor
warnen, die Weiterbildungspolitik allein den Bildungspolitikern zu überlassen,
({10})
nicht deshalb, weil ich ihnen nicht traue, sondern deshalb,
weil wir eine Verschränkung der Bildungs-, Wirtschaftsund Sozialpolitik brauchen, um die Weiterbildung in allen
Lebensbereichen zu verankern.
({11})
Wenn wir es mit dem Anspruch lebensbegleitendes Lernen für alle ernst meinen, dann stehen wir erst am Anfang einer langen Wegstrecke, auf der wir die Menschen,
die Betriebe und die Bildungseinrichtungen politisch begleiten müssen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Ich erteile
nunmehr das Wort dem Kollegen Werner Lensing für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Da in dieser Debatte über Bildung und
deren Weiterbildung verhandelt wird, dürfte es sicherlich
angemessen sein, auf eine Erkenntnis zu rekurrieren, die
bereits vor 2 500 Jahren der chinesische Philosoph
Konfuzius wie folgt formulierte:
Lernen ohne zu denken ist eitel, denken ohne zu lernen gefährlich.
Ich stelle fest: Unter diesem Aspekt ist die gegenwärtige
Regierung eitel und die von ihr konzipierte Weiterbildungspolitik nicht ohne Gefahren.
({0})
Wenn man den vorliegenden Anträgen der Koalition
folgt, dann liegt die Vermutung nahe, dass in Kreisen rotgrüner Bildungspolitiker der Name Konfuzius von dem
Begriff konfus abgeleitet wird - fürwahr eine besonders
delikate Variante der Weiterbildung.
({1})
Sicherlich sind wir alle uns darüber einig, dass sich unser soziales, technisches und wirtschaftliches Lebensumfeld verändert hat und dass dies täglich in immer größerer
Geschwindigkeit geschieht. In manchen technischen
Bereichen des Alltags und der beruflichen Umgebung bedarf ein vollständiger Innovationszyklus nicht einmal des
Zeitraums eines Jahres. Die Konsequenz ist offensichtlich: Jeder, der mitreden möchte und in seinem Beruf
nicht ins Hintertreffen geraten will, hat sich fortwährend
weiterzubilden.
({2})
Angesichts dieser Faktenlage, meine Damen und Herren, erschreckt es mich, das Ergebnis zur Kenntnis nehmen zu müssen, zu dem die Wissenschaftler im Bündnis
für Arbeit - Herr Kollege Küchler, Sie haben davon
gesprochen - in ihrem aktuellen Bericht an den Bundeskanzler gekommen sind - ich zitiere -:
Unter 17 verglichenen Ländern kommt Deutschland
in Bezug auf die betriebliche Weiterbildung lediglich
auf den 14. Platz.
Da ist die rote Laterne als Schlusslicht nicht mehr fern.
({3})
- Ich verstehe ja Ihre Nervosität, aber sie irritiert mich
nicht.
Dabei hatte bereits im Oktober des Jahres 2000 Professor Heyse in einem Memorandum über lebenslanges
Lernen der Europäischen Kommission erklären müssen:
Wir sind in Deutschland heute dort, wo die EU vor
zwei Jahren war.
({4})
In dieser fatalen Situation hat jeder einzelne Mensch
umso mehr von sich aus zeitgemäße Wertvorstellungen zu
konzipieren, innovative Fähigkeiten zu fördern und neue
Lebensstrategien zu entwickeln.
({5})
Die Tatsache, dass sich diese realen Ziele nicht allein
durch Staatsdirigismus und staatlich verordnete Planung
durchsetzen lassen, hat sich - das muss ich zugestehen inzwischen sogar im rot-grünen Lager herumgesprochen.
({6})
- Herr Tauss, rufen Sie nicht so dazwischen; sonst muss
ich wieder beim Präsidenten beantragen, dass Sie gerügt
werden. Sie wissen doch, dass ich damit schon großen Erfolg hatte.
({7})
Bei uns wurde die vage Hoffnung geweckt, dass sich
selbst in Regierungskreisen der Gedanke existenziell notwendiger Weiterbildung auf der Basis freiwilliger Entscheidungen zaghaft entwickelt.
Die diesbezügliche mentale Abwesenheit der PDS mit
ihrer antiquierten Forderung nach einem Bundesrahmengesetz kann mich nicht weiter verwundern, da doch schon
die letzten elf Jahre an diesen Herrschaften erkenntnisfrei
vorbeigezogen sind.
({8})
Meine Damen und Herren von der Koalition, Ihr erster
Antrag ließ zumindest vom Titel her aufhorchen; denn
man spricht von zukunftsorientierter Weiterbildung
durch Eigenverantwortung und Selbstorganisation.
Doch traurigerweise haben Sie diesen Antrag schnellstens - ich glaube, unter dem Eindruck der CDU/CSU-Kritik; insofern verständlich - zurückgezogen.
({9})
Ihre damaligen Eingebungen, die zumindest mich persönlich erfreut haben, erwiesen sich als kurze Blitzlichter im
tiefen Dunkel Ihrer bildungspolitischen Bewegungslosigkeit.
({10})
Ihr zweiter Anlauf geht in wesentlichen Passagen an
der Realität vorbei.
({11})
Nehmen wir nur einmal den vorhin auch von Ihnen, Herr
Küchler, im Zusammenhang mit Finanzen beschworenen
integrativen Ansatz in der Bildungspolitik. Dieses von
Ihrem Wunschdenken generierte Allerlei aus allgemeiner,
beruflicher und politischer Weiterbildung verweigert sich
der gelebten Wirklichkeit. Es bietet nichts Konkretes und
nichts Handfestes. Wir haben zu begreifen und zur Kenntnis zu nehmen, dass Wissen und Praxis erst in der Addition wirklich Bildung ausmachen.
({12})
Nicht von ungefähr erklärte Frau Dr. Beate Baltes, die
Leiterin des Lehrstuhls für Erziehungswissenschaften an
der National University Los Angeles in Berlin:
Was nützt einem Lehrer das soeben in einer Weiterbildung erworbene Zertifikat für Onlineunterricht,
wenn er seinen eigenen Internetanschluss nicht konfigurieren kann, weil er das selbst noch nie gemacht
hat.
Unter anderem an diesem Punkt setzt, Herr Kollege
Küchler, unser Paradigmenwechsel an. Dass er Ihnen aufgrund des hohen intellektuellen Anspruchs der Begründung Schwierigkeiten gemacht hat, vermag ich zu verstehen. Wir befinden uns immer in der Entwicklung, in der
Weiterbildung.
Zur FDP möchte ich so viel sagen:
({13})
Frau Flach, mir erscheinen fast alle im FDP-Antrag aufgeführten Punkte akzeptabel.
({14})
Ich verstehe sie als eine Art Adaption unseres eigenen Antrages. Allerdings könnte sich die Vorstellung, Weiterbildung als eine zukünftige Domäne der Hochschulen zu sehen - Sie vermerken das im sechsten Punkt Ihres
Antrags -, fatal auswirken.
({15})
- Ich wusste es, Frau Kollegin! Denn sollten die Hochschulen noch immer nicht die Möglichkeit erhalten, aus
ihrem Elfenbeinturm hervortreten zu dürfen, um in enger
Kooperation mit Industrie und Wirtschaft praxisbezogene
Bildung zu vermitteln, wäre eine lediglich als Fortführung
der derzeitigen Wissensübermittlung verstandene Weiterbildung äußerst fruchtlos. Von daher freue ich mich selbst
über unsere Gedanken, die, in unserem Antrag dargelegt,
einen grundlegenden Wandel und eine völlige Neuorientierung in der Weiterbildung darstellen.
({16})
- Da können Sie ruhig lachen. Lachen befreit, allerdings
nicht vom Mitdenken.
Gehen wir davon aus, dass das so notwendige Kontinuum von lebenslangem Lernen
({17})
- soll ich auch das noch erklären? Ich habe leider nicht genug Redezeit - über den Prozess der Arbeit, über das soziale Umfeld, über die neuen Medien und sicherlich auch
über die traditionelle Weiterbildung erfolgt.
Wir lassen uns von fünf Grundsätzen leiten. Ich benenne diese gerne:
({18})
stärkere Öffnung der Schulen und Hochschulen für die
Weiterbildung; mehr Praxiserfahrung durch Personalaustausch beim Einsatz von Lehrkräften in Schule und Erwachsenenbildung; Schaffung von Rahmenbedingungen
für neue interaktive Lehr- und Lernformen der Weiterbildung im betrieblichen Ablauf; Förderung der dualen, das
heißt sowohl der wissenschaftlichen als auch verstärkt der
praxisorientierten Ausbildung des Führungsnachwuchses
in Unternehmen sowie Sicherung der Qualität institutioneller Weiterbildung.
({19})
Am eigenen Willen zur Weiterbildung, so möchte ich
es zusammenfassen, und an der Selbstorganisation der eigenen Laufbahn,
({20})
ja des eigenen Lebens führt eben kein Weg vorbei.
({21})
Im Übrigen ist Bildung immer das, was übrig bleibt, wenn
wir alles, was wir zuvor lernten, wieder vergessen haben.
Die Bildung lebt bekanntlich von dem Prinzip Hoffnung. Von daher bin ich voller Optimismus, meine Damen
und Herren von der Koalition, dass der CDU/CSU-Antrag
inzwischen auch bei Ihnen die Bereitschaft zum eigenen
lebenslangen Lernen und den Prozess der eigenen Weiterbildung so befördert haben dürfte, dass nunmehr die
Koalition unseren Antrag unterstützen wird.
Ich danke Ihnen.
({22})
Nun gebe
ich als letztem Redner in dieser Debatte das Wort dem
Kollegen Willi Brase für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Situation im Bereich der beruflichen
Bildung, der Erstausbildung, ist aus unserer Sicht zahlenmäßig positiv. Wir wollen aber nicht verhehlen, dass es
große regionale Unterschiede zwischen Baden-Württemberg oder Bayern und den neuen Ländern gibt. Die
Schlussfolgerung ist für uns sehr eindeutig und einfach:
Wir brauchen nach wie vor Nachvermittlungsaktionen,
wir brauchen regionale Ausbildungsplatzkonferenzen.
Wenn wir das in den Regionen vernünftig umsetzen, werden wir die Situation der jungen Menschen verbessern.
({0})
Lassen Sie mich das deutlich sagen: Gerade in den Regionen, also auch in den neuen Bundesländern, sind wir in
der Lage, die noch vorhandenen über 3 000 Plätze aus
dem Bund-Länder-Programm, die 2 500 Plätze, die jeweils auf Aktivitäten der Länder zurückgehen, und die
2 400 Plätze aus dem Jugendsofortprogramm Zug um Zug
zu besetzen. Ich sage an dieser Stelle: Lieber ein öffentlich geförderter Platz für eine dreijährige Berufsausbildung als keiner.
({1})
Ich möchte nicht in die Diskussion einsteigen und vergleichen, welche Steuerpolitik in den letzten zehn Jahren
bzw. in den letzten drei Jahren gemacht wurde. Wir aber
haben Arbeitnehmer und Unternehmen entlastet, allein in
diesem Jahr um 45 Milliarden DM. Das spricht für sich,
meine Damen und Herren. Im europäischen Vergleich
liegt die Zahl der jugendlichen Arbeitslosen in der Bundesrepublik - das kann man in allen Statistiken nachlesen - dank der Leistungen nicht nur der Politik auf Bundes- und Landesebene, sondern auch der Unternehmen
und der Gewerkschaften, also der Betriebspartner, im
guten oberen Drittel. Das belegt allein das Statistische
Jahrbuch 2001 eindeutig.
Nun erleben wir in der Diskussion über berufliche Bildung und Weiterbildung häufig, dass gesagt wird, dass das
Berufskonzept der dualen Berufsausbildung überholt
sei, weil sich die Arbeitslandschaft und damit einhergehend auch Berufsverläufe grundlegend gewandelt hätten.
Man hört in der aktuellen Diskussion häufig folgende Fragestellung: Sind die althergebrachten Ausbildungszeiten
bei Berufen des dualen Systems für die Herausforderungen der New Economy noch geeignet? Müssen wir das
Konzept der klassischen Beruflichkeit noch wie eine
Monstranz vor uns hertragen oder nicht vielmehr an die
New Economy anpassen? Soll in der New Economy Erstausbildung durch modulare Weiterbildung ersetzt werden?
Dagegen steht das, was Erwin Staudt, Geschäftsführer
von IBM Deutschland und Sprecher der Initiative D 21,
im Handelsblatt vom 30. September 2001 gesagt hat. Er
spricht vom Ende der New Economy. Die New Economy glänzt im Moment durch Massenentlastungen. Ich
kann nur sagen: Wären wir so verrückt gewesen, uns ganz
schnell für solch modische Vorstellungen im Bereich der
beruflichen Bildung einzusetzen, hätten wir die Jugendlichen fehlgeleitet und sie ständen heute auf der Straße.
({2})
Ich glaube, dass das Beispiel der neuen Ökonomie
zeigt, dass wir nicht ständig neue Spezialberufe brauchen, die gerade - das kann man besonders an Wochenenden in den Zeitungen sehr gut nachvollziehen - in
Mode sind. Die breite Grundlagenausbildung ist für den
IT-Bereich notwendig und richtig. Deshalb begrüßen wir,
dass die ständige Arbeitsgruppe im Bereich des Bündnisses für Arbeit die vielfach geforderte Auflösung der beruflichen Erstausbildung in Teilqualifikationen ablehnt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage: Dort haben Sie
Recht.
({3})
Die Manie, ständig neue Berufe zu erfinden, kann man
an einem absurden Beispiel trefflich darstellen. Die IHK
Hamburg hat vor wenigen Monaten Einsteigerberufe mit
einjähriger Ausbildung vorgestellt. Ich will Ihnen einige
vorlesen, weil das, was dahinter steht, wirklich nicht mehr
zu überbieten ist: Helfer und Helferin für Veranstaltungstechnik, Kurierfahrer oder Kurierfahrerinnen,
({4})
Lichtspielservicekraft, Pförtnerin oder Pförtner. Wenn ich
Hamburg und Pförtnerin oder Pförtner höre, dann denke
ich, dass möglicherweise Jugendliche ein Jahr in einem
Nachtclub auf der Reeperbahn ausgebildet werden sollen.
Das kann es ja wohl wirklich nicht sein.
({5})
Ich glaube, dass das, was Mario Zaleski, Ausbildungsleiter der Gesellschaft für Informationsmanagement in
Wiesbaden, deutlich gesagt hat, richtig ist. Ich zitiere die
Frankfurter Rundschau vom 15. Mai.
({6})
- Es geht hier nicht um die Zeitung, sondern um Mario
Zaleski. Es geht darum, ob man Jugendliche in eine Erstausbildung mit einjähriger Ausbildungszeit, die überhaupt keine Perspektive haben, bringt. Wenn Sie die wenigen Beispiele, die ich vorgelesen habe, zur Kenntnis
nehmen, werden Sie feststellen, dass dort billige Arbeitskräfte gesucht werden. Eine voll qualifizierte, vernünftige
Ausbildung soll nicht erfolgen.
({7})
Lassen Sie es mich deutlich sagen: Wir erleben es immer wieder - auch in der Informationstechnologie -, dass
nach Fachkräften gerufen wird, dass in der Politik natürlich nicht so schnell gehandelt werden kann und dass es
sinnvoll und richtig ist, dass - so Mario Zaleski - nicht
ständig neue Berufe erfunden werden. Sie können dies
auch auf Seite 15 des Berufsbildungsberichtes nachlesen.
Dort geht es um die Diskussion der Patchwork-Biografie.
Wir wollen, dass Jugendliche am Berufskonzept ausgebildet werden und somit auch eine Chance haben, zukünftig aufbauend auf diese Qualifizierung ihren weiteren
Lebensweg - auch im Rahmen des lebensbegleitenden
Lernens - vernünftig zu gestalten.
({8})
Lassen Sie mich noch etwas zu den Ausbildungsschwächeren sagen. Ich sehe es als richtig an, dass im
Bündnis für Ausbildung und Arbeit die Benachteiligtenförderung endlich als Daueraufgabe begriffen und
anerkannt wird. Wir sollten auch verstehen, dass diese
Daueraufgabe integraler Bestandteil der Berufsausbildung in der Zukunft ist. Darüber, wie dort Fördermöglichkeiten effektiviert werden können, ist nachzudenken.
Die Reduzierung auf Teilqualifikationen bringt uns
kein Stück weiter. Richtig ist, dass wir Jugendliche über
zwei Jahre hinweg an den Beruf heranführen und sie ein
weiteres Stück mit auf den Weg nehmen. Manchmal
absolvieren sie - die Benachteiligten und Leistungsschwächeren - zwei plus ein Jahr, manchmal aber auch
drei plus ein Jahr. Alle Pädagogen sagen uns: Wer Probleme mit dem Lernen hat, braucht nicht weniger, sondern
mehr Zeit. Wenn er dann eine voll qualifizierte Ausbildung und einen entsprechenden Abschluss hat, ist es gut,
und es bringt uns entsprechend voran.
({9})
Zum Schluss will ich sagen: Wirtschaft und Handwerk
sind nach wie vor aufgefordert, weiterhin Ausbildungsplätze in ausreichender Anzahl zur Verfügung zu stellen.
Der von der rot-grünen Bundesregierung auf den Weg gebrachte Ausbildungskonsens bedeutet, dass die Gesellschaft insgesamt dafür sorgt, dass alle Jugendlichen, die
können und wollen, einen Ausbildungsplatz erhalten. Ich
glaube, das ist die neue Qualität unserer Politik. Wir werden sie auch weiterhin erfolgreich umsetzen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Ich schließe
die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5946 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Das Haus ist damit
einverstanden? - Die Überweisung ist so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 14/7005.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrages der Fraktionen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 14/6435 mit dem Titel Weiterbildung im Bildungssystem verankern - Chancengleichheit stärken. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP
angenommen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss, den Antrag der
Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 14/3127 mit dem Titel Lebensbegleitendes
Lernen für alle - Weiterbildung ausbauen und stärken für
erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/5312 mit dem Titel Zukunftsorientierte Weiterbildung durch Eigenverantwortung und Selbstorganisation - Ein Paradigmenwechsel.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und
PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
({0})
- Ich bitte denjenigen aus der CDU/CSU-Fraktion um ein
Handzeichen, der sich enthalten möchte. - Der Kollege
Lensing.
({1})
- Es steht somit im Protokoll.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der
Fraktion der PDS auf Drucksache 14/6170 mit dem Titel
Für ein Bundesrahmengesetz zur Weiterbildung. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! Enthaltungen? ({2})
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP gegen die
Stimmen der PDS angenommen.
Zusatzpunkt 5: Interfraktionell wird die Überweisung
der Vorlage auf Drucksache 14/7075 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerda
Hasselfeldt, Eduard Oswald, Heinz Seiffert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Bessere steuerliche Rahmenbedingungen für
den Wohnungsbau
- Drucksache 14/6637 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Das Haus ist
damit einverstanden.
Dann eröffne ich die Aussprache und gebe für den
Antragsteller, die CDU/CSU-Fraktion, dem Kollegen
Dr. Michael Meister das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor welchem
Hintergrund findet die heutige Debatte statt? Die Situation der deutschen Bauwirtschaft ist, gelinde gesagt,
katastrophal. In den letzten drei Jahren sind im BauWilli Brase
hauptgewerbe 240 000 Arbeitsplätze auf der Strecke geblieben. Für dieses Jahr ist damit zu rechnen, dass in dieser Branche weitere 60 000 Arbeitsplätze verloren gehen
werden.
Meine Damen und Herren, die rot-grüne Bundesregierung schafft mit ihrer Politik mehr und mehr Arbeitsplätze
für Bauarbeitnehmer ab. Drei Viertel der arbeitslosen
Bauarbeiter gehen nach Berechnungen der deutschen
Wohnungswirtschaft auf das Konto des rückläufigen
Wohnungsbaus. Die mittelständischen Bauunternehmer
kommen in der aktuellen Regierungsarbeit kaum vor.
Bundeskanzler Schröder hat im Wahlkampf 1998 die so
genannte Neue Mitte propagiert. Ich frage mich, wo der
Mittelstand in der Bauwirtschaft bleibt. War die Neue
Mitte nur eine wahlkampfwirksame Worthülse oder was
steckt wirklich dahinter?
({0})
Die rot-grüne Wohnungsbaupolitik, meine Damen
und Herren, sofern man beim mittlerweile dritten Minister in dieser Wahlperiode davon noch sprechen kann, ist
eine traurige Aneinanderreihung sektorspezifischer Fehlentscheidungen,
({1})
die für einen dramatischen Wirtschaftsabschwung im
Baubereich gesorgt haben. Sie, meine Damen und Herren
von SPD und Grünen, haben die Rahmenbedingungen in
diesem Sektor falsch gesetzt.
({2})
Es ist Ihre Verantwortung, die dazu geführt hat.
({3})
Die rot-grüne Bilanz bei der Wohnungsbautätigkeit
weist bei den Fertigstellungszahlen in Deutschland einen Rückgang um 30 Prozent aus, wenn man das erste
Halbjahr 1998 mit dem ersten Halbjahr 2001 vergleicht.
Ein Drittel weniger Fertigstellungen im deutschen Baugewerbe innerhalb von drei Jahren - eine Leistung, die
man, glaube ich, nicht mehr kommentieren muss. Wenn
man sich die Genehmigungszahlen im Vergleich des ersten Halbjahres 1998 mit dem ersten Halbjahr 2001 ansieht
stellt man fest: ein Rückgang um 40 Prozent.
Daraus kann man schließen, dass die schmerzhafte Reduzierung um ein Drittel der Bauleistung in Deutschland,
dieses niedrige Niveau, das wir mittlerweile erreicht haben, bei weitem noch nicht das Ende bedeutet. Die Talsohle des Abschwungs der Baukonjunktur aufgrund Ihrer
politischen Leistungen ist noch nicht erreicht.
Meine Damen und Herren, Sie tragen damit die Verantwortung dafür, dass 240 000 Familien in Deutschland
ihren Ernährer aus der Bauwirtschaft in die Arbeitslosigkeit entlassen bekamen.
({4})
Alles das sind Einzelschicksale, die Sie zu verantworten
haben und die hier klar und deutlich angesprochen werden müssen.
({5})
Das sind die Folgen Ihrer investitionsfeindlichen Entscheidungen durch Eingriffe in die steuerlichen Rahmenbedingungen. Sie tragen die Verantwortung für diesen Arbeitsplatzabbau, das Sterben des Mittelstandes und die
Talfahrt beim Wohnungsbau.
Ich möchte einige ganz konkrete Beispiele nennen. Sie
haben in einer ersten Entscheidung den Vorkostenabzug
abgeschafft und Sie haben die Einkommensgrenzen bei
der Eigenheimzulage gesenkt. Sie sprechen in Ihrer Koalitionsvereinbarung und in allen Sonntagsreden davon,
Sie wollten die Bestandsförderung vorantreiben. Weshalb, haben Sie dann gerade den Vorkostenabzug, abgeschafft? Damit tun Sie genau das Gegenteil dessen, was in
Ihrer Koalitionsvereinbarung steht.
({6})
Ein Junggeselle, der heute Eigentum erwerben will, hat
mit den Einkommensgrenzen, die Sie geschaffen haben,
bei einem Nettoeinkommen in einer Größenordnung von
45 000 DM keine Chance mehr, Fördermittel zu bekommen. Wer soll denn in Deutschland bei solchen Grenzen
noch Wohneigentum schaffen? Angesichts dieses niedrigen Nettoeinkommens frage ich: Woher soll denn überhaupt noch das Einkommen, das Vermögen kommen, um
Wohneigentum bilden zu können? Meiner Meinung nach
sind Sie von der Realität vollkommen weg.
Ein weiterer Punkt. Sie haben die steuerlichen Rahmenbedingungen beim privaten Mietwohnungsbau verschlechtert.
({7})
Ich nenne hier als Stichworte Beschränkung der Verlustverrechnungen und Beseitigung der Verteilungsmöglichkeit bei größerem Erhaltungsaufwand. Beides, meine
Damen und Herren, ist bestandsschädlich, beides sind
Entscheidungen, die dafür sorgen, dass der Mietwohnungsbau nicht vorangetrieben wird, dass keine Sanierung und keine Erhaltung betrieben wird. Das ist ein weiterer Verstoß gegen Ihre Koalitionsvereinbarung, in der
Sie sich gerade an dieser Stelle für die Bestandsförderung
ausgesprochen haben.
Auch beim Neubau von Mietwohnungen die gleichen
Auswirkungen: ein Rückgang von 1998 auf 2000 von
208 000 Wohnungen auf 136 000. Auch das sind Folgen
Ihrer Politik.
Ich will ein weiteres Beispiel nennen. Es betrifft das
Stichwort Spekulationsfrist. Sie haben die Spekulationsfrist von zwei auf zehn Jahre verlängert und dies auch
rückwirkend für alle Grundstücksverkäufe nach dem
31. Dezember 1998 getan. Was Sie hier betrieben haben,
ist ein Eingriff in den Rechtsstaat. Denn zum Teil war die
Spekulationsfrist bei Immobilien ausgelaufen. Nachdem
die Spekulationsfrist ausgelaufen war, wurden Immobilien rückwirkend wieder in die Spekulationsfrist hineingenommen. Hier ist von Vertrauensschutz überhaupt nicht
mehr die Rede. Hier wurde das Vertrauen von Investoren
klar überstrapaziert. Wer soll eigentlich in eine solche Politik, in eine solche Regierung noch Vertrauen haben?
Sie zerstören die Grundlagen eines funktionierenden
Marktes, denn dieser lebt gerade vom Vertrauen der
Investoren in sichere und verlässliche Rahmenbedingungen. Dieses Vertrauen zerstören Sie mit solchen Entscheidungen. Das ist keine ruhige Hand, wie Sie immer propagieren, das ist eine unkalkulierbare, eine unberechenbare
Hand, die hier Politik macht. Dies können wir für
Deutschland, für die Mieter, für die Bauarbeitnehmer und
für die Wohnungswirtschaft nicht länger verantworten.
({8})
Ich will im Zusammenhang mit den steuerlichen Rahmenbedingungen einen weiteren Punkt ansprechen, und
zwar die Erhöhung der Erbschaft- und der Schenkungsteuer. Indem Sie eine unselige Diskussion über die
Erhöhung von Erbschaft- und Schenkungsteuer angezettelt haben, haben Sie viele Menschen in Deutschland verunsichert, die wir eigentlich aufgefordert haben, im Bereich der Immobilie für ihre Altersversorgung Vorsorge zu
treffen. Was haben Sie jetzt getan? Sie haben das Ganze
bis Mitte der nächsten Wahlperiode verschoben, um über
die Bundestagswahl hinwegzukommen und diese Diskussion aus der Bundestagswahl herauszuhalten. Sie beabsichtigen aber, in der nächsten Wahlperiode erneut das
Thema Schenkung- und Erbschaftsteuer auf die Tagesordnung zu setzen. Die Verunsicherung der Bevölkerung
muss ein Ende haben. Wir fordern Sie auf: Sagen Sie den
Menschen vor der Bundestagswahl die Wahrheit. Sagen
Sie, ob Sie die Erbschaft- und die Schenkungsteuer in der
nächsten Wahlperiode erhöhen wollen oder ob hier verlässliche Rahmenbedingungen gelten.
({9})
Das ist ein Beitrag, den Sie zu leisten haben. An dieser
Stelle haben Sie eine Bringschuld.
Der Herr Minister wird heute von Staatssekretär
Großmann vertreten. Er selbst hat sich aber zu Jahresbeginn
über die Situation der Wohnungswirtschaft in Deutschland
geäußert. Auf einer Pressekonferenz am 17. Januar hat er
prognostiziert, dass wir in diesem Jahr beim Neubau eine
Fertigstellungsrate zwischen 370 000 und 390 000 Wohnungen bekommen werden. Er hat weiterhin davon gesprochen,
dass dies eine weiche Landung der Wohnungsbaukonjunktur in Deutschland erlauben würde.
Meine Damen und Herren, schauen Sie sich die Zahlen
für das Jahr 2001 an. Beide Ziele werden Sie nicht erreichen. Minister Bodewig wird an beiden Zielen scheitern.
Er wird weder die von ihm im Januar prognostizierten
Fertigstellungszahlen erreichen, noch wird er eine weiche
Landung der Wohnungsbaukonjunktur erreichen. Wenn
man sich die Zahlen ansieht, kann man eher davon sprechen, dass das Ganze zu einer Bruchlandung auf dem harten Boden der Realität wird.
Es muss Schluss sein mit einer Politik gegen den Wohnungsbau. Es kann nicht angehen, dass die Wohnungsbaupolitik mittlerweile im Finanzministerium gemacht
wird. Herr Eichel macht die Vorgaben, was beim Wohnungsbau fachpolitisch geschehen soll;
({10})
die Wohnungsbaupolitiker, Frau Kollegin EichstädtBohlig, nicken dies ab. In der Regel haben sie in den Diskussionen keine fachpolitischen Argumente, sondern verweisen immer auf den Bundesfinanzminister.
({11})
Wir brauchen in Deutschland wieder einen Wohnungsbauminister und wir brauchen wieder Wohnungsbaupolitiker. Wir brauchen keine Wohnungsbaupolitik, die vom
Finanzminister diktiert wird.
({12})
Herr Bodewig steht jetzt am Beginn seines letzten
Amtsjahres. Er hat damit in seinen letzten elf Monaten
noch einmal die Chance, die Situation zu wenden.
({13})
- Ich sehe Ihre Verzweiflung, wenn Sie hier einen solchen
Stuss reden, anstatt in Zwischenfragen oder Kurzinterventionen mit Argumenten zu antworten. Wenn man
offensichtlich keine Argumente hat, dann muss man eben
dumme Zwischenrufe machen. Das wird mich aber nicht
aus dem Konzept bringen.
({14})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich wiederhole es: Herr Bodewig steht am Beginn seines letzten
Amtsjahres. Wir bieten ihm persönlich als Minister mit
diesem Antrag die Chance, noch einmal die Wende zu
schaffen. Herr Müntefering hat zu Beginn seiner Amtszeit
überhaupt kein Interesse an diesem Ressort gehabt. Deshalb ist im ersten Jahr seiner Amtszeit dieses Ressort absolut vernachlässigt worden. Es bestand in Deutschland
überhaupt kein Interesse daran, Wohnungsbaupolitik zu
betreiben. Beim zweiten Minister, den Sie nominiert haben und der dann auch im Amt war, bei Herrn Klimmt,
fragt man sich, mit welcher Vision er in dieses Amt hineingegangen ist. Ich habe mich manchmal gefragt, wo
seine Visionen überhaupt geblieben sind.
({15})
Auch er ist nicht mehr da. Deshalb ist in diesem Ressort
dringend ein Neustart geboten.
Wir haben hier einen Antrag vorgelegt, mit dem Sie
endlich die richtigen Weichenstellungen für die Wohnungspolitik in Deutschland vornehmen können. Wir bieten Ihnen die Chance zu einem Neustart. Nehmen Sie
diese Chance wahr. Nehmen Sie unseren Antrag positiv
auf. Stimmen Sie ihm zu und machen Sie mit uns gemeinsam endlich wieder Wohnungsbaupolitik in
Deutschland, anstatt weiterhin die Wohnungskonjunktur
an die Wand zu fahren, Bauarbeitnehmer und Investoren
zu verunsichern und dafür zu sorgen, dass in Deutschland
Arbeitsplätze verloren gehen und sich Firmenpleiten erDr. Michael Meister
eignen. Das ist der falsche Weg; Sie sind auf dem falschen
Kurs! Leider haben Sie auch keine Argumente und keine
Vorstellungen, wie Sie das korrigieren können.
Vielen Dank.
({16})
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Dieter Grasedieck. Er spricht für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ihr Antrag, Herr
Meister, zeigt: Die CDU/CSU fordert ohne Verantwortung. Die Koalition fördert mit Verantwortung.
({0})
Ich will ein paar Beispiele aufführen. Sie werden staunen,
Herr Fromme; Sie können das gleich einmal genauer betrachten. Sie wollen ja unter anderem die Steuern reduzieren. Auf allen Ebenen wollen Sie reduzieren. Zum Beispiel schlagen Sie vor, die Steuerreform vorzuziehen. Das
kostet Geld, und zwar insgesamt 50 Milliarden DM.
({1})
- Herr Meister, hat zu dem Antrag nicht gesprochen. Haben Sie sich diesen Antrag überhaupt durchgelesen?
({2})
Schauen Sie sich ihn ruhig etwas genauer an!
({3})
- Es wäre gut, wenn Sie erst einmal zuhören würden.
Dann können Sie etwas lernen. Das wäre gar nicht verkehrt, Herr Fromme.
({4})
Obwohl Sie auf der einen Seite die Steuern reduzieren
wollen, wollen Sie auf der anderen Seite breit gefächert
mehr Geld für die verschiedensten Bereiche ausgeben:
({5})
unter anderem mehr Geld für die Bundeswehr und für den
Wohnungsbau. Sie fordern ohne Verantwortung. Wir handeln, während Sie noch diskutieren. Wir sind in den unterschiedlichsten Bereichen aktiv.
Wir haben als erstes festgehalten, was sich im Wohnungsbau verändert und getan hat. Man muss in diesem
Zusammenhang feststellen, dass es Ihre Politik war, Herr
Meister, die zu den leer stehenden Wohnungen und Büros
in Ostdeutschland führte. Wir müssen jetzt entsprechend
handeln und neue Konzepte erarbeiten. Das tun wir.
({6})
Weiterhin stellten wir natürlich fest, dass die Entwicklung in vielen Bereichen der Wirtschaft, zum Beispiel im
Maschinenbau und im Elektrobereich, durch unsere Steuerreform sehr positiv verläuft.
({7})
Ehrlicherweise muss man sagen, dass wir im Baubereich
Probleme hatten.
({8})
Diese Probleme haben wir erkannt und entsprechend gehandelt. Wir haben deswegen neue Konzepte erarbeitet.
({9})
Diese Konzepte müssten Sie eigentlich kennen, wenn Sie
sich mit den Vorschlägen der Bundesregierung auseinander gesetzt hätten.
({10})
Wir können feststellen, dass die Arbeitslosigkeit insgesamt stark reduziert wurde. Sie haben uns eine Arbeitslosigkeit mit 4,4 Millionen Arbeitslosen hinterlassen.
({11})
Im Moment gibt es 3,75 Millionen Arbeitslose.
({12})
Die Zahl ist aber noch sehr hoch. Deswegen wollen wir
die Situation am Arbeitsmarkt weiter verbessern.
Wir konnten allgemein neue Arbeitsplätze schaffen.
Wir geben zu, dass wir in der Bauwirtschaft unsere
Schwierigkeiten hatten. Deshalb haben wir gehandelt und
Vorschläge erarbeitet.
({13})
Unsere Koalition hatte stets das Ziel, die Baukonjunktur
zu fördern, um Arbeitsplätze zu schaffen. Dafür haben wir
mehrere Programme erarbeitet und beschlossen. Eigentlich müssten Sie diese Programme kennen. Dazu gehört
unter anderem das Programm Stadtumbau Ost, für das
mehr als 4 Milliarden DM, über zehn Jahre gestaffelt, bereitstehen.
({14})
Dadurch wird das Wohnungseigentum gefördert.
({15})
- Sie können ja eine Zwischenfrage stellen.
({16})
Im Bereich des Mietwohnungsbaus wollen wir die
Sanierung fördern. Auch die Stadtentwicklung wird mit
den schon genannten 4 Milliarden DM, verteilt über zehn
Jahre, gefördert. Sie sollten sich mit unseren Programmen
und unseren Gesetzen beschäftigen, bevor Sie einen Antrag schreiben.
Sie fordern, die Investitionsbedingungen für Wohnungsbereiche zu verbessern, obwohl klar ist, dass seit
Januar 2000 der Wohnraum mit Darlehen in einem Gesamtvolumen von 80 Milliarden DM durch die KfW gefördert wird. Es sollen Modernisierungen durchgeführt
werden und neue Wohnungen gebaut werden. Über
100 000 neue Wohnungen sind in der Planung und
3,5 Millionen Altbauwohnungen sollen renoviert werden.
Das ist das erste Programm.
Im Rahmen des zweiten Programms stehen 10 Milliarden DM für die Sanierung und Modernisierung denkmalgeschützter Bauten und Hochhäuser zur Verfügung.
({17})
Mit diesem wichtigen Programm wollen wir die Konjunktur in der Bauwirtschaft wieder ankurbeln.
({18})
Dazu wollen wir den Einbau neuer Technologien speziell
im Wohnungsbau fördern. Unter anderem sollen Heizungen saniert und Isolierungen vorgenommen werden. Das
entsprechende Programm hat ein Volumen von 10 Milliarden DM. Wir erfüllen Ihre Forderungen, meine Damen
und Herren von der CDU/CSU, schon seit Januar 2000.
Die CDU/CSU fordert weiterhin Impulse für die Bauwirtschaft vor allem im Hinblick auf den Leerstand. So
ähnlich ist es im Antrag formuliert. Ich will Ihnen sagen:
Wir haben die Unternehmer, die davon betroffen sind, besonders gefördert. Seit einem Jahr werden die Unternehmen unterstützt, letztendlich um Arbeitsplätze abzusichern. Wir haben die Probleme erkannt und sofort
gehandelt - im Gegensatz zu Ihnen.
({19})
Weiter fordern Sie für Familien Wohnungen zu erschwinglichen Preisen. Kennen Sie eigentlich die zehnte
Wohngeldnovelle unserer Bundesregierung? Durch sie
erhalten Wohngeldempfänger in einer großen Familie
zukünftig 119 DM pro Monat mehr als bisher.
({20})
Das ist eine ganz wichtige Zulage. Das müssen Sie registrieren. Sie können darauf gleich in Ihrer Rede eingehen.
Man muss auch berücksichtigen, dass es 50 Prozent
mehr Wohngeldempfänger als bisher gibt. Wir haben das
verbessert, was Sie 16 Jahre nicht verändert haben, meine
Damen, meine Herren.
({21})
In diesem Jahr haben wir 420 000 Wohngeldempfänger
mehr. Das sind natürlich wichtige Veränderungen. Dadurch wollen wir die Baukonjunktur beleben und dadurch
haben wir sie belebt.
Wir fördern die Baukonjunktur durch unsere Gesetze.
Für unsere Koalition ist das Sozialpolitik. Für unsere Koalition ist das Familienpolitik. Das ist ein wichtiger Faktor der Familienpolitik. Natürlich war auch das Kindergeld eine wichtige Frage für uns. Wir haben es um 80 DM
erhöht. Hinzu kommt: Eine Familie mit zwei Kindern
- das haben Sie angesprochen, Herr Meister - bekommt
8 000 DM als Eigenheimzulage, wenn sie 220 000 DM
pro Jahr verdient.
In ihrem Antrag malt die CDU/CSU weiterhin das Gespenst der erhöhten Erbschaftsteuer in bunten Farben
aus. Seit Monaten erstellen Sie dieses Kunstwerk, das unvollendet bleiben wird. Denn Sie, Herr Meister, müssten
eigentlich wissen, dass der Zug schon weitergefahren ist.
Die Grünen haben ganz klar erklärt: Die Erbschaftsteuer
wird nicht erhöht. Die SPD sagte das Gleiche.
({22})
Die Bundesregierung sagte das Gleiche. Insofern waren
die Bundesregierung und die Koalition im Wort.
Aber Sie von der CDU/CSU verschwenden keine Zeit
auf Ihre eigenen Argumente. Das ist eigentlich traurig.
Denn man stellt fest, dass die von der Union regierten
Länder im Bundesrat der Verlängerung, die Sie in Ihrem
Antrag aufgeführt haben, zugestimmt haben. Das Bewertungsverfahren zur Erhebung der Erbschaftsteuer
wird um fünf Jahre verlängert. Auch wir unterstützen das
im Bundestag. Sie sollten sich einmal mit den Kollegen
von der CDU und CSU darüber unterhalten. Dann sind
Sie vielleicht etwas genauer über die Veränderungen informiert.
({23})
Meine Damen und Herren, zum Abschluss kommt der
ganz große Wurf der CDU/CSU innerhalb dieses Antrages: Die Länder sollen eigene Grundsteuergesetze erlassen. So steht es in Punkt 9 des Antrages. Die regionalen
Immobilienmärkte könnten dann viel besser gefördert
werden, heißt es; die Landesregierung könne das besser
übersehen als die Städte, als die Ratsherren und die Ratsfrauen in den Städten. So sagt es die CDU/CSU.
Eine der letzten Kommunalsteuern wollen Sie - so
Punkt 9 Ihres Antrages - abschaffen. Haben Sie mit Ihren
Ratsherren, mit Ihren Ratsfrauen eigentlich darüber gesprochen, was sie dazu meinen?
({24})
Haben Sie mit den CDU- bzw. CSU-Ratsfrauen oder
CDU- bzw. CSU-Ratsherren darüber gesprochen, ob auch
sie der Meinung sind, dass der Landtagsabgeordnete die
Situation in der Stadt eigentlich viel besser beurteilen
könne als der Ratsherr vor Ort, der in einem kleinen Bereich seine Arbeit tut? Ist das der Fall, meine sehr verehrDieter Grasedieck
ten Damen und Herren? Ich habe mit Ratsherren und
Ratsfrauen von der CDU gesprochen. Sie sind höchst erstaunt über Ihren Antrag und verstehen ihn nicht so ganz.
Sie von der CDU/CSU bestätigen durch Ihren Antrag:
({25})
Die CDU/CSU ist ein vielstimmiger Chor mit disharmonischen Stimmen.
Ihr Antrag zeigt weiterhin: Wer alles will, will eigentlich nichts erreichen. Sie versuchen, eher den Applaus
statt den Erfolg zu erreichen. Das sieht man bei der Erbschaftsteuer ganz besonders deutlich. Unsere Koalition
hingegen stellt sich der Aufgabe, Jahr für Jahr eine kontinuierliche Verbesserung der Situation im Baugewerbe zu
erreichen.
So beurteilt auch der Zentralverband des Deutschen
Baugewerbes diese Situation. Er beurteilt sie zwar kritisch - keine Frage -, aber mit positiven Tendenzen.
({26})
Der Zentralverband schreibt - das sollten Sie sich einmal
anhören -:
Die Zahl der Baugenehmigungen nimmt im 2. Quartal 2001 etwas zu. Die Auftragseingänge verzeichnen in den alten Bundesländern wieder einen Zuwachs.
Es ist doch interessant, dass es hier eine positive Tendenz gibt.
({27})
- Das sagt die Industrie. Sie sollten sich einmal das
Schreiben des Zentralverbandes im Detail ansehen. Darin
ist auch die Statistik aufgeführt.
Hier zeichnen sich natürlich die ersten Ergebnisse unserer Wohnungsbaupolitik ab.
({28})
- Ich kann auf Ihre Zurufe nicht eingehen, Frau Wülfing.
Sie müssen schon eine Zwischenfrage stellen, denn sie ist
das Einzige, was klappt. Ihre einfachen Einwürfe kann ich
manchmal nur schlecht verstehen.
({29})
Ich will wiederholen: Hier zeichnen sich die ersten positiven Ergebnisse unserer Wohnungsbaupolitik ab. SPD
und Grüne fördern unsere Bauwirtschaft, um Arbeitsplätze zu erhalten. Unsere Koalition handelt auch in Zukunft.
Glück auf!
({30})
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Hans-Michael Goldmann, FDPFraktion.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geschätzter
Kollege Grasedieck, wir sehen das, was Sie hier vorgetragen haben, ganz anders.
({0})
Wir haben uns vorhin schon darüber gestritten, ob Sie
den Antrag wirklich gelesen haben. Es geht darin um bessere steuerliche Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau.
({1})
Vielleicht können wir uns zunächst darauf verständigen,
dass Sie nach der Regierungsübernahme die steuerlichen
Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau verändert haben.
({2})
- Nein, Sie haben sie eben nicht verbessert; denn Sie müssen seit 1998 den Verlust von 240 000 Arbeitsplätzen in
diesem Bereich beklagen.
({3})
Sie müssen beklagen, dass weniger Wohnungen gebaut
werden. Sie müssen beklagen, dass in diesen Bereichen
weniger investiert wird. Das sind doch nicht unsere Erfindungen, sondern das ist die Realität, die wir ständig erleben. Ich bin sehr darüber erstaunt, dass Sie das nicht als
dringendes Problem empfinden.
({4})
Lassen Sie uns den - meiner Meinung nach - guten Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einmal inhaltlich
abklopfen.
({5})
- Ich habe doch die Ökosteuer noch gar nicht erwähnt. Sie
haben sich gerade beklagt, dass wir nicht bei der Sache
geblieben sind. Gehen Sie doch mit gutem Beispiel voran
und bleiben Sie bei der Sache!
({6})
Fragen Sie sich: War die Beschränkung der Verlustverrechnung wohl klug? War die Verkürzung der Spekulationsfrist, die gerade die mittelständische Bauwirtschaft
und das Handwerk negativ trifft, klug? War die Beseitigung der Verteilungsmöglichkeiten bei größeren Erhaltungsaufwänden im Bestand - Sie haben gerade darüber
geklagt, dass dafür so wenig getan wird - wohl klug?
({7})
War es klug, die Einkommensgrenze so zu senken, dass
Singles, Geschiedene und Witwen wesentlich größere
Schwierigkeiten haben, Eigentum zu erlangen?
War die Streichung des Vorkostenabzugs bei Wohneigentum im Bestand - ich bin wieder beim Bestand -, die
besonders die niedrig Verdienenden trifft, klug? Waren
die Dinge, die Sie im Mietrecht auf den Weg gebracht haben, klug? Führte die Diskussion über die Erbschaft- und
Schenkungsteuer nicht dazu, dass wir es heute im Bereich
der Bauwirtschaft im Grunde genommen mit sehr viel
Traurigkeit zu tun haben? Unterhalten Sie sich doch einmal mit den Unternehmern und mit den Arbeitnehmern in
den Betrieben! Sie sind entsetzt darüber, was ihnen durch
die steuerliche Verschlechterung zugemutet worden ist.
({8})
Da kommt bei Ihnen meiner Meinung nach eine Grundideologie zum Tragen: Alles, was mit Eigentum, mit Immobilien und mit Maklern zu tun hat, das ist des Teufels.
({9})
All das gehört abkassiert, eingeschränkt, benachteiligt.
Anschließend kommen Sie dann mit Ihren Segensprogrammen. Das ist genau der falsche Weg.
({10})
- Das ist Ihr altes Schema, richtig! Der Private kann es
nicht, der Staat muss es machen. Deswegen kommen Sie
mit einem Programm nach dem anderen, die Sie aber im
Grunde genommen überhaupt nicht finanzieren können.
Denn die Wirksamkeit dieser Programme, Herr Kollege,
kann nur zum Tragen kommen, wenn Sie Mitfinanziers
haben. Wenn Sie sagen, dass Sie in einer Zeitspanne von
endlosen Jahren 4 Milliarden DM oder einen anderen Betrag - gestern war im Ausschuss sogar von 12 Milliarden DM die Rede ({11})
in den Umbau Ost investieren wollen - was wir begrüßen
würden -, dann brauchen Sie dafür Mitfinanziers, Private,
die bereit sind, in Immobilien, in Wohnraum zu investieren. Dann brauchen Sie dafür Länder und Kommunen, die
die Möglichkeit der Mitfinanzierung haben. Dann macht
es einfach keinen Sinn, vorher durch jede Menge Änderungen in den steuerlichen Bereichen abzukassieren und
sich hinterher als Heilsbringer hinzustellen, die die richtigen Programme haben.
({12})
Nein, weniger Staat, mehr Eigenverantwortung, mehr
Bereitschaft zu Investitionen von Privatpersonen in Immobilien - das ist die richtige Antwort und diese Antwort
bleiben Sie in dieser hochdramatischen Situation zum tiefen Bedauern schuldig. Ich weiß, wovon ich rede. Ich
komme aus einer Region, in der sehr viele Menschen von
der Bauwirtschaft leben. Ich komme aus einer Region, in
der es Gemeinden gibt, die im Winter aufgrund der
Schlechtwettergeldregelungen über 70 Prozent Arbeitslose haben. Ich bin entsetzt und empört darüber, dass die
rot-grüne Politik diese Leute im Regen stehen lässt. Das
haben sie nicht verdient.
({13})
Für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe
den Antrag sehr genau gelesen, aber ich bin zunehmend
verwirrt; denn ich habe das Gefühl, dass der rechte Teil
des Hauses die Grundregeln der Marktwirtschaft und das
Verhältnis von Angebot und Nachfrage noch nicht begriffen hat.
({0})
In Ihrem Antrag behaupten Sie, dass der Mietwohnungsbau deswegen zurückgehe, weil die Koalition in
dieser Legislaturperiode steuerrechtliche Änderungen
vorgenommen habe.
({1})
Der Deutsche Bundestag in seiner Mehrheit stellt ganz
schlicht fest, dass die Nachfrage nach Mietwohnungsbau
angesichts der Marktsättigung - in Ostdeutschland sowieso, aber auch in vielen Teilen von Westdeutschland deutlich zurückgeht, also nicht aufgrund steuerlicher
Maßnahmen, sondern ganz schlicht, weil wir ein Riesenangebot an Mietwohnungen haben.
Wir haben Wohnungsprobleme - das haben wir hier
schon x-mal gesagt - in München, in den Regionen Stuttgart und Frankfurt. Schon in Düsseldorf, also auch in Ballungsräumen der zweiten Kategorie, haben wir einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt.
({2})
Wir haben in Ostdeutschland inzwischen einen Wohnungsleerstand von fast 15 Prozent. Da frage ich Sie, was
Sie mit Ihrer Forderung nach steuerlichen Instrumenten,
damit dort mehr Wohnungen gebaut werden, überhaupt
wollen.
({3})
Das gilt auch in Nordrhein-Westfalen und besonders dort,
wo Sie wohnen, Herr Kollege Goldmann. Ich möchte wissen, wie viel Mietwohnungen Sie neu bauen wollen, für
die wir hinterher wieder Programme entwickeln müssen,
damit andere Wohnungen abgerissen werden können.
Nun hören Sie doch endlich auf mit dieser absurden Politik!
({4})
Die Vermischung von wohnungspolitischen, steuerrechtlichen und bauwirtschaftspolitischen Instrumenten
hat im Osten dazu geführt, dass wir einen riesigen Leerstand und neue Probleme haben, die man früher nie gekannt hat. Jetzt fordern Sie ständig, dass wir das Modell,
absurde, wirtschaftlich nicht nötige Maßnahmen künstlich zu fördern, auf Westdeutschland übertragen und weiter fördern.
({5})
Das kann doch wirklich nicht das Ziel sein.
({6})
Ich nenne einen zweiten Punkt, um zu zeigen, wie absurd Ihr Antrag ist. In diesem Antrag wird behauptet, die
Wohngeldreform habe dazu geführt, dass der Immobilienerwerb und der Immobilienbesitz erschwert würden.
({7})
Ich muss Ihnen sagen: Die Eigentümer haben uns auf
Knien gebeten, endlich eine Wohngeldreform zu machen.
Damit Sie etwas davon lernen, was Immobilienerwerb erschwert oder erleichtert, sollten Sie einen Schulungskurs
belegen.
Wenn Sie mir fachliche Inkompetenz vorwerfen, Herr
Kollege Meister, dann sage ich Ihnen deutlich: Dieser Antrag ist unter Ihrem Niveau. Wir kennen aus dem Ausschuss sehr viel qualifiziertere Beiträge von Ihnen als das,
was Sie in diesem Antrag schreiben.
({8})
Ich nenne einen dritten Punkt. In Ihrem Antrag haben
Sie geschrieben: Durch die Verringerung von Wohnraum drohen Mietsteigerungen.
({9})
Zunächst einmal drohen keine Mietsteigerungen durch
Verringerung von Wohnraum. In Westdeutschland verringert überhaupt niemand Wohnraum, und in Ostdeutschland sind wir dabei, Wohnraum zu verringern, um die
Mieten überhaupt zu stabilisieren. Auch insofern habe ich
das Gefühl, dass Sie die Regeln der Wohnungswirtschaft
und von Angebot und Nachfrage überhaupt nicht begreifen.
({10})
Nächster Punkt: Eigenheimzulage. Allmählich ärgert
mich das. Ein Ehepaar mit 160 000 DM zu versteuerndem
Jahreseinkommen, ein Ehepaar mit einem Kind und
190 000 DM zu versteuerndem Jahreseinkommen, ein
Ehepaar mit zwei Kindern und 220 000 DM zu versteuerndem Jahreseinkommen bekommt Eigenheimzulage.
Wenn Leute, die ein Einkommen haben wie wir alle hier,
steuerliche Zulagen für den Erwerb von Eigentum bekommen, dann ist das in meinen Augen eher eine Überförderung als eine Unterförderung.
({11})
Angesichts der Probleme in den öffentlichen Haushalten sollten Sie nicht ständig fordern, den Leuten mehr
Geld hinterher zu schmeißen, die es nicht brauchen. Sie
sollten endlich die Politik unterstützen, die darin besteht,
dass wir unsere öffentlichen Mittel und die Steuergelder,
die unsere Bevölkerung erwirtschaftet, auf die konzentrieren, die das Geld wirklich brauchen. Das sollten Sie
endlich als Prinzip anerkennen, zumal Sie dauernd Steuersenkungen fordern. Es ist doch wohl absurd, was Sie
hier mit uns machen!
({12})
Letzter Punkt! Wir haben Probleme in der Bauwirtschaft. Aber wir sollten nicht ständig stärker schwarz malen, als in der Bauwirtschaft wirklich Probleme bestehen.
Die Zahl der Baugenehmigungen steigt nämlich beispielsweise genau im Raum München, wo auch der Bedarf an Wohnungen und an Investitionen größer ist. In anderen Regionen ist das nicht das Problem. Insofern sollten
wir bitte die bauwirtschaftlichen Probleme da lösen, wo
wir sie lösen müssen. Das heißt, im Osten kommen wir
nicht darum herum, die Bauwirtschaft, die Sie künstlich
aufgebläht haben, an einen Level anzupassen, auf dem sie
lebensfähig ist.
({13})
Das ist ein schwieriger Prozess. Sie sollten das aber
nicht denen vorwerfen, die das vollziehen müssen. Sie
sollten sich selber an die Brust klopfen; denn Sie haben
jahrelang eine falsche Politik betrieben.
({14})
- Ich war dagegen, genau! Ich habe seit 1995 gesagt, dass
das eine falsche Politik ist und dass wir nur einen Vermögenstransfer West machen. Das kann ich Ihnen beweisen.
({15})
- Nein, ich wollte die Förderung denen geben, die sie
brauchen.
({16})
Wir machen hier besser Schluss, weil die Opposition
einfach nicht begreifen will, was fachliche Kompetenz ist,
und arbeiten ruhig weiter.
({17})
Dann werden wir erfolgreiche Wohnungspolitik, Steuerpolitik und Bauwirtschaftsförderung machen.
({18})
Die Kollegin Heidemarie Ehlert spricht für die Fraktion der PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann ja noch einsehen, dass das
Steuerentlastungsgesetz vielleicht nicht der große Renner
war. Aber das hat sich doch schon vor zwei Jahren in der
Diskussion gezeigt. Jetzt liegen ja bereits Änderungsanträge dazu vor.
Die Praxis hat doch gezeigt, dass sich insbesondere auf
dem Wohnungsmarkt die Zustände zugespitzt haben aber nicht, weil Wohnungen fehlen, sondern weil allein in
Ostdeutschland mehr als 1,2 Millionen Wohnungen leer
stehen.
({0})
In den alten Bundesländern deuten sich ähnliche Entwicklungen an, bedingt durch einen stetigen Bevölkerungsrückgang.
Abgesehen davon: Glauben Sie wirklich im Ernst, dass
eine Familie mit 320 000 DM Jahreseinkommen ein Eigenheim nicht baut, weil es auf 5 000 DM Eigenheimzulage im Jahr verzichten muss?
({1})
Da kann ich mich nur totlachen. Nein, es liegt daran, dass
der Nachholbedarf zum Teil gedeckt ist. Natürlich liegt es
auch daran, dass es in den neuen Bundesländern viel mehr
Familien gibt, die weniger als 70 000 DM im Jahr verdienen, was nicht ausreicht, um Wohneigentum zu erwerben
oder auf Dauer finanzieren zu können.
({2})
Kommen wir zur Verlustverrechnung. Dank der
Sonderabschreibung AfA-Ost wurde in den neuen Bundesländern ohne Rücksicht auf Bedarf gekauft und gebaut: Wohnungen, aber in erster Linie Büros. Dank der
Verlustverrechnung störte es nur bedingt, dass die Mieter
sowohl für die Wohnungen als auch für die Büros wegblieben. Leerstand wurde schließlich über die steuerliche
Abschreibung aufgefangen.
({3})
Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU,
möchten nun nichts weiter als eine Neuauflage dieser betriebenen Politik. Hier muss es erlaubt sein, auch auf die
Kehrseiten dieser steuerlichen Förderpolitik hinzuweisen.
Hier auf den Zuschauerrängen sitzen Betroffene, die auf
ausgeklügelte, so genannte Steuersparmodelle - mit Namen wie Erwerbermodell, Bauherrenmodell oder Treuhandmodell - von Banken und Versicherungen hereingefallen sind und sich an die Öffentlichkeit gewandt haben.
Als mit den Besserverdienenden keine Geschäfte mehr
zu machen waren, wurden nun auch den kleinen Leuten die
Abschreibungsimmobilien angeboten - meist Sanierungsobjekte oder Billigwohnungen aus Konkursmassen -, jedoch zum doppelten oder dreifachen Verkehrswert. Die
Opfer hatten kaum eigenes Kapital und wurden mit der
Werbung, die Immobilie finanziere sich durch Abschreibung, Verlustverrechnung und Steuervorteile wie von
selbst, in die Steuerfalle gelockt. Der Traum von der Altersversorgung ist für viele zum Albtraum geworden.
Ein Beispiel aus Plauen: Eine sanierungsbedürftige
Wohnung mit 49 Quadratmetern wurde einem Betroffenen für 165 000 DM angeboten. Die Wohnung steht heute
noch leer, aber der Mann muss die angefallenen Zinsen
und Zinseszinsen an die Bank selbstverständlich zurückzahlen, ohne dass er jemals Mieteinnahmen erzielt hat.
Zusätzlich fordert jetzt noch das Finanzamt die in vier
Jahren gewährten Steuervorteile zurück - so steht es im
Gesetz -, weil ein Anlageobjekt, das über Jahre keinen
Gewinn abwirft, eine reine Liebhaberei ist. Das kann ja
wohl nicht wahr sein: Es gab keine Mieter, es wird behauptet, es sei ein Liebhaberobjekt, und die Leute bleiben
auf ihren Verlusten sitzen. Bei diesen Leuten handelt es
sich nicht um eine von Ihnen zu schützende Klientel.
Dieser Mann ist leider kein Einzelfall. Die Verbraucherzentralen rechnen schon heute mit circa 300 000 Betroffenen, die auf den Schulden aus diesen schönen Betreibermodellen sitzen bleiben. Auch das gehört zu den
Hinterlassenschaften Ihrer Politik.
({4})
Frau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit schon lange überschritten.
Ich komme zum Schluss.
Wenn man schon reformieren will, dann sollte man
nicht die Besserverdienenden fördern, sondern einkommensabhängig gerade jenen, die weniger Einkommen haben, stärker unter die Arme greifen. Dazu werden wir
selbstverständlich demnächst Anträge vorlegen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Ich schließe
die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/6637 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Das Haus ist damit
einverstanden. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 d
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Helmut Haussmann, Klaus Haupt, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für eine VN-Resolution zur Ächtung der Gewalt gegen Kinder auf dem Weltkindergipfel in
New York
- Drucksache 14/6324 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus
Kinkel, Günther Friedrich Nolting, Dr. Helmut
Haussmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Ächtung aller Landminen ohne Wirkzeitbegrenzung
- Drucksache 14/6328 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({1})
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Helmut Haussmann, Ina Albowitz, Ulrich
Irmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Für einen substanziellen deutschen Beitrag
zum Aidssonderfonds der Vereinten Nationen
- Drucksache 14/6623 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({2})
Auswärtiger Ausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, Birgit
Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für eine Antiterrorismuskonvention der Vereinten Nationen
- Drucksache 14/6952 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({3})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch.
Dann eröffne ich mit Zustimmung des Hauses die Aussprache. Ich gebe das Wort der Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger für die Fraktion der FDP.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Dieser Tagesordnungspunkt, dem vier Anträge der FDP
zugrunde liegen, befasst sich vorwiegend mit der wichtigen Rolle der Vereinten Nationen, mit vier Themen, die
bereits vor dem 11. September dieses Jahres sehr aktuell
gewesen sind und heute zum Teil eine noch stärkere Aktualität bekommen haben. Es geht um Gewalt gegen Kinder, um die Aidskatastrophe, um Landminen und deren
verheerende Auswirkungen sowie um Terrorbekämpfung.
Allen Anträgen ist gemeinsam, dass es immer um Millionen unschuldiger Opfer geht; denn weder Kinder noch
die durch Landminen Verletzten - in Gegenden, in denen
keine Infrastruktur mehr vorhanden ist, sei es auf dem
Balkan, in Afghanistan, Korea oder Vietnam - sind Terroristen. Wo immer Sie in den genannten Ländern hinsehen, erblicken Sie die Überreste verheerender Auseinandersetzungen. Die FDP möchte mit ihren Anträgen die
Bundesregierung auffordern, sich bei der Linderung der
Folgen weltweiter Katastrophen sehr viel energischer als
bisher zu engagieren.
({0})
Die Terroranschläge gegen die USA haben auf erschreckende Weise deutlich gemacht, dass es zu einer
engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit demokratischer Staaten bei der Verteidigung ihrer offenen Gesellschaftsordnung keine Alternative gibt. Die einzige
weltumspannende und handlungsfähige Organisation
sind die Vereinten Nationen. Deshalb bieten sie den richtigen Rahmen für einen nachhaltigen globalen Kampf
gegen Terror und gegen die Auswirkungen von Benachteiligungen von Kindern und für die Zukunft der Gesellschaften unserer Welt.
({1})
Leider musste der Weltkindergipfel der Vereinten Nationen aufgrund der Ereignisse vom 11. September verschoben werden. Ich habe es bedauert, dass sich die Koalitionsfraktionen nicht unserem Antrag angeschlossen
haben. Sie haben jetzt einen eigenen Antrag nachgeschoben, der im Wesentlichen auf unserem basiert. Ich denke,
man sollte hier das Kleinklein weglassen. Wenn wir im
Ergebnis dahin kommen, die formulierten Anliegen gemeinsam zu unterstützen, wäre das ein hervorragender Erfolg.
({2})
Die Kinderkonvention der Vereinten Nationen ist vor
über zehn Jahren in Kraft getreten. Dennoch werden Kinder und Minderjährige immer häufiger Opfer gezielter
staatlicher Gewalt. Entführung, Vergewaltigung, ZwangsVizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
arbeit und Nahrungsentzug sind nur einige Erscheinungsformen, die in vielen Ländern dieser Welt die Gewalt gegen Kinder dokumentieren.
Trotz 82 Resolutionen - auch durch die UNMenschenrechtskommission - ist es nicht gelungen, dem
gravierenden Menschenrechtsproblem der Misshandlung von Kindern gerecht zu werden. Deshalb müssen
alle Kräfte darauf konzentriert werden, diesem wichtigen
Anliegen auf dem hoffentlich bald stattfindenden Weltkindergipfel zum Erfolg zu verhelfen. Wir fordern die
Bundesregierung daher auf, mit den Partnern der Europäischen Union einen gemeinsamen Resolutionsentwurf zur
Ächtung der Folter von Kindern, des Kinderhandels und
der Zwangsrekrutierung Minderjähriger zum Militärdienst vorzulegen, der durch den so genannten Weltkindergipfel verabschiedet werden sollte.
({3})
Lassen Sie uns bei dieser wichtigen humanitären Frage innenpolitische Eifersüchteleien vergessen und, gestützt auf
unsere Initiative, einen gemeinsamen Antrag erarbeiten!
In Anbetracht meiner kurzen Redezeit möchte ich
wenigstens ein paar Worte zu einem wichtigen der vier genannten Anträge sagen, nämlich dem zum Aidssonderfonds. Aids hat sich inzwischen zu einer medizinischen,
humanitären und wirtschaftlichen Katastrophe ausgeweitet.
({4})
Die Zahl der in absoluter Armut lebenden Menschen hat
sich aufgrund der Aidsepidemie dramatisch erhöht. Der
überwiegende Teil der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung stirbt. Die durchschnittliche Lebenserwartung in
Ländern wie Botswana und Simbabwe wird in den nächsten Jahren auf unter 30 Jahre sinken. Deshalb ist es zwar
zu begrüßen, dass die Bundesregierung grundsätzlich ihre
Unterstützung für die Initiative des UN-Generalsekretariats zur Einrichtung eines internationalen Fonds für den
Kampf gegen Aids erklärt hat. Aber seit 1998 sind die
Haushaltsansätze für die Entwicklungshilfe rückläufig.
Alles das, was bisher zu diesem Punkt zu hören war, lässt
befürchten, dass der Ansatz für den Aids-Sonderfonds im
nächsten Jahr nicht erhöht werden wird. Die Erhöhung ist
eigentlich dringend notwendig.
Deshalb appellieren wir in unserem Antrag an Sie, einen Teil der zu erwartenden Steuermehreinnahmen in
Höhe von 3 Milliarden DM - möglicherweise ist es auch
sehr viel mehr - den über 23 Millionen Menschen in der
Welt zugute kommen zu lassen, die an Aids infiziert sind.
({5})
Leider ist meine Redezeit zu Ende, sodass ich zu den
anderen Anträgen nichts mehr sagen kann.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat nun die
Kollegin Karin Kortmann für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Generalsekretär
der Vereinten Nationen, Kofi Annan, hat anlässlich des
Jahrtausendwechsels das anbrechende neue Jahrhundert
als ein Jahrhundert der Prävention bezeichnet. Wie wünschenswert und unterstützenswert dieses Anliegen auch
sein mag: Die politische Realität sieht angesichts der zunehmenden Zahl von Krisenherden in der Welt leider
noch immer ganz anders aus.
Wir wissen doch selbst, wie schwierig es sich in unserem Alltagsgeschäft erweist, die zukünftige Lebenswirklichkeit in Vorbeugemaßnahmen einzufangen. Prävention ist in der Regel auf Ziele ausgerichtet, die noch nicht
genau zu erkennen sind. Deshalb wird auf allen Ebenen
der Politik - sei es national, europäisch oder international - immer wieder die gleiche Frage gestellt, wenn es um
präventive Mittel geht: Können Sie uns garantieren, dass
Ihrem präventiven Modell tatsächlich auch Erfolg beschieden ist? Nur wenn dieses Ziel bejaht wird, werden
knappe Ressourcen - Sie haben darauf hingewiesen, Frau
Leutheusser-Schnarrenberger - zur Verfügung gestellt.
Den komplexen Problemlagen dieser Welt, einerseits der
Globalisierung der Wirtschafts- und Finanzmärkte für die
Reichen und andererseits der Globalisierung der Solidarität mit den Armen sowie den damit einhergehenden sozialen Konflikten und ökologischen Krisen, können wir
auf Dauer nur präventiv entgegenwirken.
Der Vorsitzende des Heidelberger Instituts für internationale Konfliktforschung, Christoph Rohloff, weist in
seiner jüngsten Bilanzierung zu den Weltkonferenzen in
den 90er-Jahren mit Recht darauf hin, dass solche Konferenzen ungeachtet der Aktualität und der Dringlichkeit ihrer Inhalte und Forderungen auf dem Niveau unverbindlicher Absichtserklärungen bleiben, wenn nicht auch in
friedens- und sicherheitspolitischen Bereichen eine Vergemeinschaftung von staatlichen Interessenlagen im
Sinne einer normativen Integration der Staatenwelt erreicht wird.
({0})
Dazu gehört auch eine berechenbare Grundlage von Minimalstandards sowie Entscheidungsstrukturen und Entscheidungsprozessen. Der 11. September - darauf hat
schon der Bundeskanzler in seiner Rede, die er heute Morgen gehalten hat, hingewiesen - wird uns in seinem grausamen Ausmaß immer in Erinnerung bleiben, die uns
mahnt, dass sich globale Ordnungsstrukturen und innerstaatliche Demokratisierung in ihren Erfolgschancen gegenseitig bedingen.
Übrigens, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, es wäre
gut gewesen, wenn Sie Ihre Anträge früher vorgelegt hätten. Dann hätten wir auch im Sinne der FDP im Vorfeld
der Einigungsprozesse Einfluss nehmen können.
Wir reden heute über die Ächtung der Gewalt gegen
Kinder. Wir alle sind uns, glaube ich, doch in diesem Parlament einig, dass der Schutz, die Förderung und die
Entwicklung von Kindern zu den wichtigsten Prioritäten
jeder Politik gehören müssen. Setzt man hier Verbesserungen durch, dann lässt sich der von einer Generation zur
nächsten Generation weitergegebene Teufelskreis aus
Armut und Ausbeutung durchbrechen.
Diese Sichtweise kommt auch in den Prinzipien der
UN-Konvention über die Rechte des Kindes von 1989
zum Ausdruck; der Sondergipfel sollte ja sozusagen auch
der UN-Kindergipfel plus elf sein. Sie hat das weltweite
Engagement für Kinder ein wichtiges Stück vorangebracht. Mittlerweile ist die Kinderrechtskonvention - mit
Ausnahme von den USA und Somalia - von allen Staaten
ratifiziert worden. Ich darf aber auch auf das große Engagement der UN-Konferenzen verweisen, die danach stattgefunden haben und die die Kinder und ihre Entwicklungschancen immer mehr ins Zentrum internationaler
Politik rückten.
Es ist richtig zu sagen: Wir brauchen diese Einigungen
auf UN-Ebene. Ich erinnere an die Menschenrechtskonferenz 1993. Sie betonte die Notwendigkeit, Kinder in
schwierigen Lebensumständen besser zu schützen, und
richtete unter anderem eine eigene Abteilung für Kinderrechte ein. Ein Jahr später, 1994, fand die Weltbevölkerungskonferenz statt. Sie stärkte die Selbstbestimmungsrechte von Frauen im Bereich der Familienplanung.
Der Weltgipfel für soziale Entwicklung von 1995 bestätigte die Rechte der Kinder, insbesondere ihre Rechte
auf Gesundheit, auf Bildung, auf Hygiene und auf
Ernährung. Mit dem Weltkongress gegen kommerzielle
sexuelle Ausbeutung 1996 konnte erreicht werden, dass
sich 120 Regierungen verpflichteten, die sexuelle Ausbeutung von Kindern zu stoppen. Die Teilnehmer der
Weltbildungskonferenz 2000 beschlossen neue konkrete
Schritte für die Verwirklichung des Ziels Bildung für
alle.
Ich darf auch noch auf die verschiedenen ILOKonventionen, Zusatzprotokolle, Beschlüsse und Entschließungsanträge im Deutschen Bundestag oder im
Europäischen Parlament verweisen. Angesichts dessen
können wir eigentlich mit Recht sagen, dass es kaum noch
Lücken in den vielfältigen Beschlusslagen gibt, die zur
Ächtung der Gewalt gegen Kinder beitragen sollen.
Deshalb - es wird Sie nicht überraschen - lehnen wir
den FDP-Antrag betreffend Gewalt gegen Kinder ab. Er
enthält unserer Einschätzung nach eine Vielzahl von Forderungen, die erstens bereits Beschlusslagen des Deutschen Bundestages sind
({1})
- darauf komme ich noch zu sprechen -, zweitens bereits
Durchführungs- und Anwendungspraxis der angesprochenen Ministerien, insbesondere des BMZ, sind, und
drittens Punkte betreffen wie die Konditionierung der
Entwicklungshilfe, die dem entwicklungspolitischen Ansatz der Mehrheit dieses Parlaments widersprechen.
Ähnlich verhält es sich bei der Ächtung der Landminen. Die SPD hat sich über viele Jahre hinweg für eine
Ächtung der Antipersonenminen eingesetzt und mit
dazu beigetragen, dass sich die Bundesrepublik Deutschland aktiv an dem Ottawa-Prozess beteiligt hat. Das
Ottawa-Übereinkommen kann sehr wohl als ein erster
Erfolg verstanden werden,
({2})
aber als ein Erfolg - ich will das Klatschen nicht mindern -,
der nach wie vor auch gravierende Mängel aufweist. Die
größte Schwäche besteht darin, dass die wichtigsten Minenproduzenten und Minenexporteure - ich kann sie noch
einmal nennen: es sind Russland, China, Indien, Pakistan
und auch die USA - diesem Übereinkommen bisher nicht
beigetreten sind. Darum gilt es, alle Anstrengungen darauf zu richten, dass sie diesem Übereinkommen beitreten
können.
({3})
Auch hat das Abkommen in den realen Krisenregionen
dieser Welt noch keine nachhaltige Wirkung erzielen
können. Ich darf noch einmal darauf hinweisen, dass auch
in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, im ehemaligen
Jugoslawien, nach wie vor Antipersonenminen verlegt
werden und damit auch viele Kinder Opfer dieser Waffen
werden.
Es wäre deshalb gut, wenn wir Ihre Anträge ebenso wie
die Beschlüsse, die wir bereits gefasst haben, zugrunde
legen und uns dafür einsetzen, dass diese Beschlüsse umgesetzt werden; denn die derzeitigen Herausforderungen
bei der Wahrung der Kinderrechte und auch der
Menschenrechte in der internationalen Zusammenarbeit
liegen vor allem in der Umsetzung der bereits verschriftlichten Rechte und im Einklagen der bereits verbrieften
Garantien. Dazu gehört auch die Anerkennung der UNKinderrechtskonvention. Wir sollten darauf hinwirken
- so ähnlich, wie wir es in dieser Woche auch im Menschenrechtsausschuss debattiert haben -, dass wir endlich
zu einer Anerkennung kommen können. Dazu möchte ich
Sie ermutigen.
({4})
- Der Bundestag hat alles getan. Er hat in der Tat die Beschlüsse dazu gefasst. Insofern: Unterstützen Sie noch
einmal diese Beschlusslagen!
({5})
Wir setzen uns dann gemeinsam dafür ein, dass sie auch
umgesetzt werden.
({6})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Clemens Schwalbe für die CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das
21. Jahrhundert hat am 11. September ein neues Kapitel
der Weltgeschichte und der internationalen Zusammenarbeit aufgeschlagen. Waren die Konflikte des letzten
Jahrhunderts noch darauf ausgerichtet, dass sich Staaten
untereinander bekriegten, so veränderten sich die kriegerischen Auseinandersetzungen in den 60er- und 70er-Jahren zu so genannten innerstaatlichen Befreiungskriegen
durch Guerillabewegungen.
Seit einigen Jahren zeichnet sich jedoch eine Verschiebung des neuen Konfliktpotenzials hin zum primär religiös motivierten Terrorismus ab. Die neue Dimension
des Terrorismus hat die letzte noch verbleibende Weltmacht, die USA, und damit symbolhaft die ganze freie
Welt an diesem Tag bis ins Mark erschüttert. Der Kalte
Krieg galt für die meisten Menschen seit dem Fall der
Mauer als überwunden und man wähnte sich seither in einer grenzenlosen Sicherheit.
Der Schock von New York dürfte wohl alle dahin gehend wachgerüttelt haben, dass unsere Freiheit auch weiterhin bedroht ist. Der Schock ist bei den meisten umso
größer, da die Feinde der Freiheit nicht klar fixierbar
sind, sondern mitten unter uns leben, sei es in Berlin, in
Hamburg, in Bochum, in Paris oder sonst wo. Feind kann
der nette Nachbar sein, der uns jahrelang freundlich gegrüßt hat. Es ist diese Unwägbarkeit, die uns so ohnmächtig macht und viele Menschen bei uns verängstigt.
Dieser barbarische Akt der Zerstörung, des Tötens und
des Terrors einer kleinen, international zusammengesetzten Gruppe hat für unsere freiheitliche Gesellschaft auf allen Ebenen folgenreiche Konsequenzen nach sich gezogen: Zum einen demonstriert er die neue Dimension der
Täterstrukturen. Gut ausgebildete, finanziell abgesicherte und in ihr Umfeld scheinbar integrierte Personen
mit legalen Papieren, die geregelten Tätigkeiten nachgehen, fanden sich zu einem bestimmten Zeitpunkt zusammen, um diese Schreckenstat auszuführen. Keine Vorwarnung, keine Eingrenzung der Opfer und die Bereitschaft,
das eigene Leben für diese einmalige grausame Tat zu opfern, kennzeichnen diesen neuen Tätertyp. Bislang allgemein gültige Werte und Moralvorstellungen zählen für
diese Täter nicht. Dass bei diesem Kampf zwischen Gut
und Böse, wie George Bush die neue Konfrontation
nennt, wenige Täter mit relativ geringen Mitteln und ohne
große Logistik die freie Welt bis ins Mark erschüttern
konnten, das ist das Unglaubliche und Provozierende.
Die Täter wollen das System, die Wirtschaft und die
freie Welt treffen. Zu den Tausenden unschuldigen Toten
kommt die Tatsache, dass viele Menschen ihren Job und
damit ihre Existenz verlieren. Ganze Wirtschaftszweige
brechen weg, während sich die Täter selbst die freien Kapitalmärkte, die sie - das geben sie vor - bekämpfen wollen, sogar noch zunutze machen und durch Spekulationsgeschäfte mit der Angst Millionen verdienen.
Auf der anderen Seite stehen Tausende Opfer, ebenfalls
Menschen wie Sie und ich, Männer und Frauen aller Nationalitäten und Religionen, die zufällig am gleichen Tag
am gleichen Ort zusammenkamen und aufgrund dieser
Zufälligkeit grausam sterben mussten. Sie waren keine
Politiker oder Soldaten, an denen man sich rächen wollte,
sondern einfache Menschen. Damit demonstrierten die
Täter jedem Bürger der freien Welt, dass er in der gleichen
schicksalhaften Zufälligkeit des Lebens das nächste Opfer sein kann. Das ist die Angst, die die Menschen berührt.
Dieser neuen Bedrohungslage müssen wir, muss die
freie Welt begegnen. Der Generalsekretär der Vereinten
Nationen, Kofi Annan, hat schon in seinem Plädoyer zum
Milleniumsgipfel 1999 Wir, die Völker - die Rolle der
Vereinten Nationen im 21. Jahrhundert darauf aufmerksam gemacht, dass uns der internationale Terrorismus zunehmend bedrohen und seine Schatten auf labile Herrschaftsstrukturen werfen wird. Er fügte hinzu, dass unsere
vielfältigen Institutionen auf diese neuen Gegebenheiten
nicht vorbereitet sind. Nun befinden wir uns mitten in einer solchen Situation und müssen rasch handeln.
Zunächst gilt es, die Sicherheitskonzepte hierzulande
zu überdenken. Unsere Sicherheitskräfte sind in höchster
Alarmbereitschaft und jeder merkt dies, sei es vor dem
Reichstag oder an vielen vermeintlich gefährdeten Orten
in unserem Land. Ich möchte daher auch an dieser Stelle
allen Polizisten, Grenzschützern, Soldaten und allen Sicherheitskräften, die rund um die Uhr für unsere Sicherheit sorgen, unseren Dank aussprechen.
({0})
Allerdings: Den perfekten Schutz wird es niemals geben, denn politischer Terrorismus ist nach der Definition
des Politikwissenschaftlers Manfred Funke eine planmäßige Androhung oder Anwendung von plötzlicher Gewalt, die sich im Bewusstsein der Allgemeinheit wach und
gegenwärtig hält, ohne die Schätzung des Wie und Wann
seiner Wiederholbarkeit zu gestatten. Diese Möglichkeit,
nahezu an jedem Ort und zu jedem Zeitpunkt zuschlagen
zu können, schränkt die Möglichkeit der Prävention massiv ein.
Neben den nationalen Fragen und den Aufgaben zur
Bekämpfung des internationalen Terrorismus hier bei uns
in Deutschland, die bei der Regierungserklärung und bei
der Beratung des Antiterrorprogramms bereits heute
Thema in diesem Haus waren, bedarf es aber auch und vor
allem einer internationalen Allianz gegen den Terrorismus. Deshalb ist der Antrag der FDP-Fraktion Für eine
Antiterrorismuskonvention der Vereinten Nationen, den
wir heute hier mitberaten, vorbehaltlos zu begrüßen.
({1})
Dies stellt nämlich einerseits die konsequente Antwort auf
die Millenniumserklärung von Kofi Annan, andererseits
eine Notwendigkeit nach den Anschlägen auf New York
und Washington dar.
Ich denke aber auch, meine Damen und Herren, dass
der 11. September neue Maßstäbe für und eine neue Qualität der internationalen Zusammenarbeit begründet
hat. So schlimm das Ereignis auch war, es hat einen Schub
zu Solidarität und Zusammenarbeit gegeben, der davor
nicht denkbar schien. Nun haben wir über die früheren
Ost-West-Schemata hinweg ein echtes Zusammenspiel
von EU, NATO und Vereinten Nationen, wo Entscheidungen binnen Tages-, ja sogar Stundenfrist getroffen
werden können. Präsident Putin hat diese neuen Ansätze
der Zusammenarbeit hier im Hause eindrucksvoll geschildert. Die internationale Gemeinschaft hat damit den
Verbrechern demonstriert, dass sie handlungsfähig und
gewillt ist, den Terror gemeinsam zu bekämpfen. So hat
der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen schon am
12. September die Resolution 1368 verabschiedet, mit der
sich die zivilisierte Welt dazu entschließt, den internationalen Terror mit allen Mitteln zu bekämpfen.
Trotzdem bleiben noch viele Fragen, gerade im internationalen Bereich, offen. So ist trotz der UN-Resolution
2625 von 1970 und auch nach der UN-Antiterrordeklaration von 1995 das Definitionsmonopol von Terrorismus
noch nicht endgültig geklärt. So wäre eine Aufnahme des
Tatbestandes des Terrorismus in das Statut des Ständigen
Gerichtshofes denkbar und wünschenswert. Bislang kann
dieser nur bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit angerufen werden. Die europäische Antiterrorismuskonvention von 1977 könnte als Vorlage für eine entsprechende Antiterrorkonvention der UNO dienen, mit der
sich die beitretenden Staaten zur grenzüberschreitenden
Terrorismusprävention verpflichten.
Die Globalisierung der Welt impliziert auch die Globalisierung des Terrors. Viele der heutigen Terroristen haben ähnliche Biografien und Lebensstationen. Geprägt
wurden sie von einer islamistisch-fundamentalistischen
Weltanschauung, die für Nichtmuslime schwer zugänglich und verständlich ist. Wir dürfen es jedoch nicht zu einem Clash of Civilizations, also einem Krieg der Kulturen, kommen lassen. Eine solche Entwicklung wäre in
der Tat sehr gefährlich und hätte unübersehbare Folgen
für die Menschheit, doch eine solche streben die Terroristen um Bin Laden an, wenn sie zum heiligen Krieg gegen
Amerika und seine Verbündeten aufrufen. Der Theologe
Hans Küng hat sich mit dieser Gefahr in seinem Buch
Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft beschäftigt und stellt, wie ich meine, zutreffend fest: Es wird keinen Frieden zwischen den Zivilisationen geben ohne einen Frieden unter den Religionen! Und es wird keinen
Frieden zwischen den Religionen geben ohne einen Dialog zwischen den Religionen!
({2})
Meine Damen und Herren, die Vereinten Nationen haben die wichtige Aufgabe, diesen Dialog aufzunehmen,
um den Frieden voranzutreiben.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat nun die
Kollegin Rita Grießhaber.
Meine Damen und Herren, Sie dürfen gerne die Redezeit einhalten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue
mich, dass wir Gäste auf der Zuschauertribüne begrüßen
können, nämlich zwei UN-Mitarbeiter aus der UNMIKMission im Kosovo. Herzlich willkommen bei uns!
({0})
Die Vereinten Nationen stehen vor großen Herausforderungen. Sie sind gerade in der jetzigen Situation zu einem wichtigen Akteur geworden. Der VN-Sicherheitsrat
hat auf die neue Bedrohung eindeutig und prompt reagiert. Er hat am 12. September festgestellt, dass durch die
Terroranschläge der Weltfrieden und die internationale
Sicherheit bedroht sind, und er hat in der Resolution 1373
für alle Staaten verbindliche Maßnahmen zur Bekämpfung und Verhinderung von Terrorismus festgelegt. Wie
ernst es ihm damit ist, zeigt, dass er mit dieser Resolution
nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen tätig
geworden ist und damit neue Weichen für das Völkerrecht
gestellt hat.
Die Anschläge vom 11. September lassen sich nicht in
die herkömmlichen Kategorien von Krieg und Frieden
einordnen. Erhard Eppler schreibt dazu, wir hätten es mit
privatisierter Gewalt, mit einer Mischung von Fanatismus
und Kriminalität, mit fundamentalistischen Fanatikern
und ausgekochten Kriminellen zu tun. Er hat Recht.
Die neue Qualität des Terrors stellt uns verschärft vor
äußerst komplexe Probleme. Schon der Versuch, den Begriff Terrorismus zu definieren - so notwendig das ist kann in einer Zerreißprobe à la Antirassismuskonferenz in
Durban enden. Ich frage Sie in den Reihen der FDP: Wie
soll auf die Schnelle im globalen Raum der Vereinten Nationen eine klare Definition von Terrorismus gelingen,
wenn schon das Europäische Parlament diese Hürde noch
nicht nimmt? Allein der Streit darum, was Terrorismus
und was Freiheitskampf ist, wird die sorgsam geschmiedete Antiterrorkoalition gleich einer weiteren Zerreißprobe aussetzen.
Meine Damen und Herren, es ist eine Tatsache, dass die
Stärke und der Rang der Vereinten Nationen in der Weltpolitik auch von dem Verhältnis zu den USA abhängen.
Es ist gut, dass die USAin dieser Krise so eng mit den Vereinten Nationen zusammenarbeiten. Jetzt gilt es, unsere
amerikanischen Partner in aller Freundschaft auch davon
zu überzeugen, dass die rasche Einsetzung des Internationalen Strafgerichtshofs in unser aller Interesse liegt.
({1})
Ich komme zum letzten Punkt, zu Afghanistan. Dort
gilt es, die Ausweitung einer humanitären Katastrophe zu
verhindern, die schon Jahrzehnte vor dem 11. September
begonnen hat. Neu ist, dass parallel zu den militärischen
Aktionen zur Zerstörung der terroristischen Infrastruktur
alles getan wird, um dem afghanischen Volk zu helfen.
Dass die Zivilbevölkerung bei den Angriffen zu schonen
ist, ist ohnehin völkerrechtliche Pflicht. Unser Ziel muss
es sein, dieses Land wieder zu stabilisieren. Afghanistan
braucht - mit Unterstützung der Vereinten Nationen - eine
friedliche politische Perspektive. Die Bundesregierung
tut in ihrer Funktion als Vorsitzende der Afghanistan Support Group alles, was möglich ist, um dort zu helfen. Sie
hat unsere volle Unterstützung.
({2})
Meine Damen und Herren, es ist kein Zufall, dass das
Netzwerk von Bin Laden in Afghanistan agiert. Dieser
Terror braucht Länder, in denen die Staaten ihr Territorium
nicht mehr kontrollieren können oder gar im Kampf um
die Macht sich selbst der Terrorstrukturen bedienen. Für
die globalisierte Welt ist das Zerbrechen von Staaten die
große Herausforderung. Dem Terrorismus dienen regionale Konflikte als ideologisches Trampolin für seine Verbrechen. Umso notwendiger ist es, dass wir mit aller Kraft
an einer Lösung dieser Konflikte arbeiten. Das breit angelegte Bündnis vieler Staaten aller Glaubensrichtungen und
Religionen sowie das entschiedene und einmütige Vorgehen des Sicherheitsrates verdeutlichen am besten die globale Antwort auf die Anschläge vom 11. September.
Wie groß die Herausforderung ist, vor der die Völkergemeinschaft steht, hat Generalsekretär Kofi Annan so
ausgedrückt:
Wenn die Welt beweisen kann, dass sie weitermachen kann, dass sie beharrlich an der Schaffung einer
stärkeren, gerechteren, gütigeren und noch internationaleren Gemeinschaft über alle Grenzen von Religion und Rasse hinweg arbeitet, dann wird der Terrorismus sein Ziel verfehlen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Nun hat der Kollege
Carsten Hübner für die PDS-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wortlaut und Intention des FDPAntrages für eine Antiterrorismuskonvention der Vereinten Nationen treffen in meiner Fraktion durchaus auf
Zustimmung. Gerade für die strategische Diskussion darüber, wie es jetzt weitergehen soll, ist er ein ganz wichtiger Vorschlag.
({0})
Wir teilen den Ansatz, dass die UNO der Ort sein muss,
an dem ein globaler Konsens gegen den Terrorismus gefunden wird, über seine Ursachen debattiert wird und Gegenmaßnahmen verabschiedet werden. Die UNO hat hier
in den vergangenen Jahren wichtige Vorarbeiten geleistet,
andere internationale und regionale Gremien auch. Umso
wichtiger ist es jetzt, diese Ansätze nicht nur zusammenzuführen und den aktuellen Erfordernissen anzupassen,
sondern auch darauf hinzuwirken, dass die UNO mit einem in vielerlei Hinsicht schlagkräftigen Instrumentarium zur konkreten Umsetzung ausgestattet wird.
({1})
Die Praxis seit dem 11. September, liebe Kolleginnen
und Kollegen, läuft diesem Anspruch aber völlig entgegen. Die UNO darf in Resolutionen nachvollziehen, was
zuvor von den USA und der NATO beschlossen und verkündet wurde. Ihre Rolle ist auf die humanitäre Begleitung der militärischen Aktionen beschränkt; weder auf
die Logik der Militäreinsätze noch auf deren Umsetzung
hat sie irgendwelchen Einfluss. Im Gegenteil, offenbar
sind bereits erste UN-Mitarbeiter Opfer der Bombenangriffe auf Afghanistan geworden. Im Moment scheitert es
an der Zustimmung der USA, soweit ich weiß, dass humanitäre Lieferungen nach Afghanistan hineinkommen,
obwohl Lebensmittellieferungen an der Grenze bereitstehen. Wer die internationale Allianz gegen den Terrorismus
unter dem Motto Wer nicht für uns ist, ist gegen uns zusammentrommelt, der stärkt nicht, sondern negiert geradezu die Rolle und das Selbstverständnis der UNO und
setzt an ihre Stelle die Macht der letzten verbliebenen Supermacht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Antiterrorismuskonvention der Vereinten Nationen ist überfällig,
ihre Etablierung ist dringend geboten. Ihr Themenspektrum muss die gesamte Bandbreite der Fragen aufgreifen,
die das Terrorismusproblem ausmachen: Fragen globaler
Gerechtigkeit, Fragen des Dialoges zwischen Nord und
Süd auf gleicher Augenhöhe, Fragen einer internationalen
Zusammenarbeit im Bereich Krieg und Frieden, Terrorismus und Gefahrenabwehr. Der FDP-Antrag tut das durchaus.
Wir müssen aber auch erwarten, dass sich in einem solchen Prozess die Staaten des Nordens in kritischer Nachdenklichkeit und Reflexion ihres eigenen Handelns und
nicht in Selbstgerechtigkeit üben.
({2})
Wer liefert die Waffen und Minen für den Bürgerkrieg,
wessen Entwicklungshilfe sinkt Jahr für Jahr und wer benutzt extremistische Gruppen und undemokratische Regimes je nach Situation entweder als Agentur eigener Interessen oder als Projektionsfläche alles Bösen? Bin
Laden und die Taliban, liebe Kolleginnen und Kollegen,
waren schon zu der Zeit Feinde von Humanität sowie
Menschen- und Frauenrechten, als sie noch aus dem Westen protegiert wurden. Die Nordallianz hatte bereits ihre
Chance, Afghanistan zu regieren, und zwar ebenfalls mit
Unterstützung der USA. Das Ende waren eine Trümmerwüste und der Sieg der Taliban.
Das alles geschah, obwohl die UNO bereits eine große
Zahl von Konventionen verabschiedet hat, die ein solches
rein interessengeleitetes internationales Agieren von Staaten verhindern sollten und sollen.
({3})
Aber vieles davon wurde seitens der Vereinigten Staaten
einfach nicht ratifiziert, so manche Anwendung in der
Praxis scheiterte schlichtweg an der Macht der USA und
vieler Staaten des Nordens. Ein Auseinanderklaffen von
Anspruch und Wirklichkeit, liebe Genossinnen und Genossen, nein, liebe Kolleginnen und Kollegen - ({4})
- Das wäre schön, ja.
({5})
Ich komme gleich zum Schluss, Frau Präsidentin. Nach
diesem Versprecher kann mir gar nichts mehr passieren
und ich kann in aller Ruhe zu Ende sprechen.
({6})
Dies ist ein Auseinanderklaffen von Anspruch und
Wirklichkeit
({7})
- in diesem Fall von Hoffnung und Realität -, das in den
Ländern der so genannten Dritten Welt verständlicherweise schlecht ankommt und reaktionären Ideologen wie
Bin Laden den Boden bereiten hilft.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, befürwortet
meine Fraktion ausdrücklich eine Antiterrorkonvention
der UNO, die dringend erforderlich ist. Wir erwarten aber
gleichzeitig, dass sich auch die mächtigen Staaten dieser
Welt daran halten und die Führungsrolle der UNO anerkennen. Dazu gehört, die UNO mit den notwendigen
Finanzmitteln und Instrumenten zur Umsetzung auszustatten.
Vielen Dank.
({8})
Hier klang ein bisschen nach, was Parteitage so alles mit sich bringen.
Jetzt hat die Kollegin Brigitte Adler für die SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Vereinten Nationen werden
für die internationale Zusammenarbeit immer wichtiger.
Die Anträge der FDP-Fraktion weisen damit in die richtige Richtung. Ob ihre Forderungen auch übernommen
werden können, stelle ich infrage.
Schauen wir uns den Antrag zum Aids-Sonderfonds
der Vereinten Nationen an. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, hat mit seiner Initiative einen Anstoß gegeben. Mit einem Beitrag von 10 Milliarden Dollar soll den Ländern des Südens für die nächsten
zehn Jahre geholfen werden. Vor allem der afrikanische
Kontinent südlich der Sahara hat die größten Probleme.
70 Prozent der Aidsinfizierten sind Afrikaner. Aber auch
Asien steht dem nicht nach: Thailand und andere Länder
stehen vor der gleichen Herausforderung.
Welches Leid diese Krankheit für alle Betroffenen und
ihre Familien gebracht hat, kann man nur ahnen. Die
Gründe, die zur Infizierung führen, müssen bedacht und
ergründet werden, damit Hilfe gezielt und effektiv eingesetzt werden kann.
In den Industrieländern sind vor allen Dingen Drogen
und Bluttransfusionen die Übertragungswege. In den Entwicklungsländern ist es oft Armut, die zu Prostitution
führt und somit neben Drogen der Verbreitung der Seuche
den Weg ebnet. Aufklärung durch die Medien ist wichtig.
In Ländern mit hoher Analphabetenrate sind zum Beispiel
Theaterstücke hilfreich. Aber für alles benötigt man Geld,
Geld auch für die notwendige Medizin.
Aidsmedikamente, die dringend zur Verfügung gestellt
werden müssen, brauchen noch Forschung und Entwicklung. Die Kosten dafür müssen aufgebracht werden. Die
gesamte Problematik des Patentrechtes - national und international - gewinnt in diesem Zusammenhang an Bedeutung.
Die wirtschaftliche Seite, die Sie in Ihrem Antrag ansprechen, ist sicherlich ebenso bedenkenswert. Sie sprechen von negativen Standortfaktoren. Die Einbußen bei
den nationalen Einkünften sprechen Sie ebenfalls an.
Wenn nachhaltig gehandelt werden könnte, dann könnte
einiges abgewendet werden.
Was tut die Bundesregierung? Von 1992 bis 2000, also
auch unter Ihrer Koalitionszeit, wurden bereits 20,5 Millionen DM für Treuhandvorhaben zur Verfügung gestellt.
In bilateralen Projekten wurden für die HIV-/Aidsbekämpfung bis 2000 insgesamt rund 500 Millionen DM
bereitgestellt. Aber auch andere Maßnahmen wie die Entschuldungsinitiative helfen, mit nationalen Armutsstrategien Mittel freizusetzen, sodass die betroffenen Länder
selbst in die Lage versetzt werden, Mittel zur Prävention
und Fürsorge einzusetzen. Gerade das Aktionsprogramm
2015 mit seinem Anspruch zur Armutsminderung macht
deutlich, dass die Koalition die Aidshilfe und -prävention
als übergreifende Aufgabe versteht und umsetzt.
Konkrete Schritte in der Zusammenarbeit auch mit der
Pharmaindustrie konnten eingeleitet werden. Die Firma
Böhringer Ingelheim hat weltweit den Entwicklungsländern angeboten, zur Verhinderung der Mutter-Kind-Übertragung Nevaparin zur Verfügung zu stellen. Zusammen
mit der GTZ werden in Kenia, Tansania und Uganda Projekte durchgeführt. Das Tropeninstitut der Charité hier in
Berlin hat die Begleitforschung übernommen.
Die Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen vom 27. Juni dieses Jahres hat in einer Declaration of
Commitment die Selbstverpflichtung der Staaten zur
Hilfe und zur Bekämpfung des HIV/Aidsproblems beschlossen. In einem Schreiben an die G-7-Regierungschefs schlägt Kofi Annan eine Arbeitsgruppe zur Einrichtung des globalen Gesundheitsfonds vor. Der Anfang ist
gemacht, auch wenn noch Fragen offen sind, die geklärt
werden müssen - so unter anderem, dass der Fonds ausschließlich auf die Bekämpfung von Malaria, Tuberkulose und HIV/Aids ausgerichtet ist.
Eine neue, rechtlich eigenständige Institution ist nicht
beabsichtigt. Die Weltbank sollte mit ihrer bereits vorhandenen Expertise zum GEF-Prozess neben UNAIDS eine
entscheidende Rolle spielen. Die Zugangskriterien sollten
nicht nur auf die Intensität der Bedürftigkeit zugeschnitten
sein, sondern auch Anreize für eine energische Aidsbekämpfung in den Entwicklungsländern selbst enthalten.
Die Forderung, dass die Bundesregierung schnell in
den Fonds einzahlen soll, stößt auf Verständnis. Wie der
Staatssekretär diese Woche im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung jedoch bemerkte,
fehlen eben noch einige gemeinsame Vereinbarungen.
Die 140 Millionen DM, die bereits im Haushalt dieses
Jahres eingestellt worden sind, sind der FDP nicht genug.
Machen Sie Umschichtungsvorschläge, damit der entsprechende Haushaltstitel erhöht werden kann! Ihre anderen Forderungen werden bereits umgesetzt. Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen
haben das Problem nicht nur erkannt, sondern setzen Hilfe
konkret um. Ihr Antrag ist deshalb eine Unterstützung und
Bestätigung unserer Arbeit, aber bereits überholt.
Der Antrag zur Antiterrorismuskonvention der Vereinten Nationen, der ebenfalls von den Kolleginnen und Kollegen der FDP vorgelegt wird, ist mit heißer Nadel gestrickt. Sie wollten Ihre Ansichten verbreiten und die
Bundesregierung zu Handlungen auffordern. Originelles
ist nicht in Ihrer Auflistung zu finden. In einem Satz wird
dann noch das Übliche abgehandelt: zum Beispiel politische, wirtschaftliche und auch kulturpolitische Maßnahmen. Geld wird auch noch gefordert. Warum auch nicht?
Woher es kommen soll, verschweigen Sie.
({0})
Das 0,7-Prozent-Ziel wird eingefordert, die Haushaltskonsolidierung soll jedoch nicht gefährdet werden. Aber
wie? Die Kritik an der Vorgehensweise des Bundesfinanzministers lässt sich vor dem Hintergrund Ihrer Forderungen nicht verstehen. Das BMZ wird mit dem Geld,
das von den 3 Milliarden DM im Rahmen des Antiterrorpaketes zur Verfügung steht, mit dazu beitragen, dass
Hilfe gegeben wird, um Ursachen zu beheben. Der
11. September 2001 war sicherlich ein tief greifender Einschnitt. Sicherheitspolitisches Denken muss deshalb aber
nicht neu erfunden werden. Gibt es Sicherheit überhaupt?
Wie kann in unserer Demokratie das Spannungsverhältnis
zwischen innerer und äußerer Sicherheit und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung austariert werden?
Die Vorschläge für die Arbeit der Vereinten Nationen,
die Sie aufgelistet haben, sind sicherlich ein guter Ansatz.
Sie sind auch bereits national in Arbeit. Sie lagen auf der
Hand. Konferenzen werden zurzeit nicht gebraucht, sondern gesunder Menschenverstand. Die nötigen Maßnahmen werden ergriffen und sorgfältig umgesetzt. So
schlägt die Bundesregierung Maßnahmen vor, die nach
innen und außen das Risiko möglicher Anschläge so gering wie möglich halten. Es soll sichergestellt werden,
dass Terroristen Deutschland nicht benutzen, um ihre zerstörerischen Aktionen zu planen und in die Wege zu leiten.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger?
Bitte sehr.
Sehr geehrte Frau Kollegin, wie vertragen sich Ihre Ausführungen bezüglich der Nichtnotwendigkeit einer gesamtumfassenden Antiterrorismuskonvention, die Sie gerade zu diesem Punkt gemacht haben, denn mit der
entsprechenden Resolution der Vereinten Nationen? Es ist
ja gerade eine Resolution beschlossen worden, in der eine
solche umfassende Konvention gefordert wird, weil die
zwölf Einzelkonventionen, die in den letzten Jahrzehnten
zu einzelnen Aspekten beschlossen worden sind, bisher
nicht umgesetzt wurden und auch nicht zu einem Gesamthandlungskonzept geführt haben.
Frau Kollegin, ich denke, dass
die Konvention, die die Vereinten Nationen vorschlagen
haben, sicherlich überdenkenswert und auch noch zu beraten ist. Die einzelnen Punkte, die Sie in Ihrem Antrag jeweils dazu aufgeführt haben, habe ich angesprochen. Ich
meine, dass wir da noch einige Fragezeichen zu setzen haben. Einige dieser Punkte sind bereits in Arbeit oder werden schon umgesetzt. Insofern kann ich Ihre Kritik nicht
verstehen.
({0})
- So ist es. Ich mache jetzt konkrete Vorschläge, Frau Kollegin, die Ihnen zeigen, dass wir - ich bin Entwicklungspolitikerin - genau auf diesem Sektor noch einiges einbringen werden, das uns weiterbringen wird.
Dem Terrorismus kann auch durch Armutsbekämpfung
der Nährboden entzogen werden. Gerade Entwicklungspolitiker wissen um die Ursachen von Hunger und
Armut und entwickeln Lösungswege. Mehr Gerechtigkeit
statt wirtschaftlicher Abhängigkeit ist gefragt. Mehr Sicherheit ergibt sich durch wirtschaftliche Gerechtigkeit.
Wie ich bereits ausgeführt habe, verweisen Sie auf diesen
Zusammenhang ansatzweise in Ihrem Antrag.
So wird zum Beispiel der Entwicklungspolitik
200 Millionen DM zusätzlich zur Verfügung gestellt, um
mehr Gelder für Nahrungsmittel, Not- und Flüchtlingshilfe verwenden zu können. Der zivile Friedensdienst hat bereits bewiesen, wie wichtig gerade seine Aufgaben sind. Auch er wird gestärkt werden.
Die Unterstützung der Zivilgesellschaften zur Demokratisierung ihrer Länder ist ein wesentliches Element
deutscher Entwicklungszusammenarbeit. Dazu gehören
zum Beispiel Länder wie Afghanistan. Der Aufbau
rechtsstaatlicher Institutionen, denen sich gerade auch die
politischen Stiftungen widmen, gehört zu diesem Zusammenhang.
Unter anderem wird die Bundesregierung UNEntwicklungsorganisationen stärker unterstützen, so etwa
schwerpunktmäßig das Weltentwicklungsprogramm von
der UNDP. Der Governance Fund und der Crisis Prevention and Recovery Fund sind Fonds, die demokratische
Regierungs- und Verwaltungsstrukturen in Krisengebieten zum Abbau von Krisenursachen und zur Behebung
von Krisenfolgen finanzieren. Das Palästina-Hilfsprogramm von UNDP gehört ebenso dazu. Der Förderung
von Frauen wird ebenfalls große Beachtung geschenkt, da
sie und ihre Kinder oft die am schlimmsten Betroffenen
sind.
Da die Bundesregierung bereits handelt, ist der von Ihnen in diesem Zusammenhang vorgelegte Antrag als erledigt zu betrachten.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat jetzt die
Kollegin Birgit Homburger für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zu unserem
Antrag Für eine Antiterrorismuskonvention der Vereinten Nationen äußern. Die Terrorbekämpfung erfordert
ein schnelles Handeln. Deswegen hat die FDP sofort nach
den Anschlägen diesen Antrag eingebracht, der eine umfassende UN-Konvention gegen den Terrorismus fordert.
Frau Kollegin Kortmann, Sie haben vorhin kritisiert,
dass unsere Anträge zu spät auf den Tisch kamen und dass
Sie sie gerne früher gehabt hätten. Dazu kann ich nur sagen, dass ein Großteil der Anträge, über die wir heute diskutieren, schon vor der Sommerpause vorlag und dass der
Antrag hinsichtlich einer Antiterrorismuskonvention sofort nach dem Anschlag erarbeitet wurde. Man kann der
Opposition also wirklich nicht vorwerfen, dass sie nicht
sofort gehandelt und Vorschläge gemacht hätte.
({0})
Bezüglich der Antiterrorismuskonvention wurde die
Notwendigkeit des FDP-Antrags vorhin bestritten. Wir
vonseiten der FDP freuen uns, dass nunmehr auch der
UN-Sicherheitsrat den Vorschlag gemacht hat, eine solche
Konvention zu erarbeiten. Im Übrigen decken sich die Inhalte der Vorschläge des UN-Sicherheitsrates im Wesentlichen mit unseren Punkten.
Diese Initiative muss jetzt von der Generalversammlung aufgegriffen werden. Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus muss zum Hauptpunkt der diesjährigen UN-Generalversammlung werden. Deshalb ist es
besonders wichtig, dass die verschobene Generaldebatte
unter Beteiligung der Staats- und Regierungschefs nun
Anfang November stattfindet. Sie muss, wie ich finde, der
Weltöffentlichkeit demonstrieren, dass die Entschlossenheit im Kampf gegen den internationalen Terrorismus fest
und unerschütterlich ist und auch über den ersten Schock
hinaus andauert.
({1})
Wir jedenfalls haben Vorschläge bezüglich des Inhalts
dieser UN-Konvention gemacht.
Ich will an dieser Stelle darauf eingehen, dass Frau
Grießhaber die Definition des Terrorismusbegriffs kritisiert hat. Ich halte es für wichtig, dass wir zumindest den
Versuch unternehmen, innerhalb der Staatengemeinschaft zukünftig gemeinsam, schnell und entschlossen
handeln zu können. Das kann man aber nur, wenn man
sich darüber einig ist, was der Begriff Terrorismus umfasst. Es ist zwar misslich, dass sich die EU in diesem
Punkt noch nicht einigen konnte. Aber dies ist noch
lange kein Grund, das Vorhaben von vornherein aufzugeben und nicht zu versuchen, es bei der UNO durchzusetzen.
({2})
Neben dem Austausch nachrichtendienstlicher Erkenntnisse und der Verschärfung der weltweiten Maßnahmen gegen Geldwäsche muss die Konvention auch
präventive politische und wirtschaftliche Maßnahmen
vorsehen. Dazu gehören vor allen Dingen auch verstärkte
entwicklungspolitische Anstrengungen zur Überwindung
sozialer und wirtschaftlicher Missstände, die letztendlich
den Boden für Terror bieten.
Der Beschluss des UN-Sicherheitsrates ist ein ermutigendes Zeichen. Ebenso ermutigend ist die Tatsache, dass
seit neuestem auch die Vereinigten Staaten die UNO
stärker unterstützen. Jetzt weitere Initiativen zu ergreifen
ist Aufgabe der Bundesregierung. Dabei ist eine verbesserte Koordinierung der EU-Mitgliedstaaten dringend
nötig, insbesondere bei der Erarbeitung einer gemeinsamen Position für die UN-Generalversammlung. Die
EU, die neben den USA maßgeblicher Akteur der Weltpolitik ist, muss in der Generalversammlung mit einer
Stimme sprechen.
({3})
Hier sehen wir eine große Aufgabe für die Bundesregierung.
Die FDP hat schon im Sommer einen Antrag für eine
gemeinsame europäische UN-Politik vorgelegt. Ich habe
den Eindruck, dass Sie sich diesem Antrag bisher nur deswegen nicht angeschlossen haben, weil er nicht Ihre Idee
war. Vielleicht können Sie noch einmal darüber nachdenken und ihm zustimmen.
({4})
Ich freue mich auf die Beratungen im UNO-Unterausschuss.
({5})
Jetzt hat der Staatsminister Dr. Ludger Volmer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan,
hat in einer seiner Stellungnahmen zu den furchtbaren,
menschenverachtenden Terrorangriffen vom 11. September gesagt: Aus Bösem kann auch Gutes entstehen.
Dieses Gute könnte sehr wohl in einer Stärkung der
Vereinten Nationen liegen. Denn die Anschläge auf friedliche Bürger von mehr als 80 Nationen haben die gesamte
Menschheit nicht nur schmerzlich getroffen, sondern
auch wachgerüttelt. Aus der Erkenntnis der gemeinsamen
Bedrohung ist in den letzten Wochen eine längst überfällige Gemeinsamkeit im Handeln, eine globale Allianz gegen den Terrorismus geworden, in der die Vereinten Nationen die zentrale Rolle spielen müssen, die sie übrigens
schon seit mehreren Jahren spielen.
Frau Homburger, Ihr Antrag fordert eine Antiterrorismuskonvention, an der die Vereinten Nationen bereits seit
zwei Jahren intensiv arbeiten. Somit kommen Sie mit
Ihrem Antrag zwei Jahre zu spät.
Wir drücken darüber hinaus unsere Erwartung aus,
dass alle Länder, die bei der Terrorismusbekämpfung auf
die VN setzen, auch bei den anderen globalen Fragen die
zentrale Rolle der VN anerkennen.
In der aktuellen Lage allerdings ist es vordringlich, die
zwölf VN-Konventionen gegen den Terror, die schon
existieren, so rasch wie möglich zu zeichnen, zu ratifizieren und umzusetzen. Dazu fordert die Bundesregierung
alle Staaten auf.
({0})
Dies gilt insbesondere für die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung. Dazu gehört aber auch die Stärkung des
Internationalen Strafgerichtshofs.
({1})
Deutschland wird mit seinen Partnern entschlossen daran mitarbeiten, den von Indien vorgelegten Entwurf einer umfassenden VN-Konvention zur Bekämpfung des
Terrorismus, den ich gerade schon einmal angesprochen
habe, erfolgreich zu finalisieren, um damit jene Lücken zu
schließen, die heute noch bei der internationalen Zusammenarbeit zur Terrorismusbekämpfung bestehen.
Gleichzeitig fordert der in der Sicherheitsratsresolution 1373 enthaltene Maßnahmenkatalog auch von uns
die notwendigen Konsequenzen. Die beteiligten Ressorts
haben bereits große Anstrengungen in dieser Richtung
unternommen, wofür ich mich bei ihnen im Namen des
Auswärtigen Amts ausdrücklich bedanken möchte.
Meine Damen und Herren, der Generalsekretär der VN
hat zu Recht hervorgehoben, dass nur eine umfassende,
breit angelegte, nachhaltige Strategie die Gefahr des Terrorismus bannen kann. Dazu gehören die unnachsichtige
Verfolgung und Bestrafung der Täter, ihrer Hintermänner,
Anstifter und Gehilfen, die weltweite Versagung eines
sicheren Hafens für Terroristen, die internationale Zusammenarbeit der Polizeien und Nachrichtendienste,
Schutzmaßnahmen gegen weitere terroristische Akte,
aber auch der notwendigerweise langfristig angelegte Abbau der Ursachen des internationalen Terrorismus. Polizeiliche und gerichtliche Maßnahmen allein tragen der
Dimension des internationalen Terrorismus nicht hinreichend Rechnung.
Die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts nach
Art. 51 der VN-Charta lässt Maßnahmen zu, die auf die
militärische Infrastruktur der Terroristen und ihrer Beschützer zielen, nicht auf die Zivilbevölkerung. Das betonen wir, insbesondere auch bezogen auf die Angriffe, die
zurzeit afghanisches Territorium erreichen.
Wir sind der Auffassung, dass politische, ökonomische
und soziale Maßnahmen den entscheidenden Durchbruch
schaffen müssen. In diesem Rahmen sind aber einzelne
militärische Schläge unvermeidlich. Wir begrüßen, dass
die militärischen Maßnahmen von intensiven Anstrengungen der Staatengemeinschaft begleitet werden, dem
unter zwei Jahrzehnten Krieg und Bürgerkrieg leidenden
afghanischen Volk humanitäre Hilfe zu leisten. Die Bundesregierung trägt dazu durch eine beträchtliche Erhöhung ihres Haushaltsansatzes für humanitäre Hilfe bei.
Über den Vorsitz der von den VN eingesetzten Afghanistan-Support-Group haben wir eine erhöhte Verantwortung und Einflussmöglichkeit.
Mehr, meine Damen und Herren, nicht weniger internationales Engagement ist jetzt von uns allen gefordert,
nicht nur in Afghanistan. Das ist die Lektion der Anschläge von New York und Washington. Darin liegt eine
Chance für die Revitalisierung der Vereinten Nationen.
Auch wenn zurzeit eine Hauptaufgabe der Vereinten Nationen die Bekämpfung des internationalen Terrorismus
ist, dürfen die globalen Missstände nicht übersehen werden, die den Terroristen einen Resonanzboden bieten.
({2})
Die UNO ist in einzigartiger Weise dazu befähigt, wirtschaftliche und soziale Ursachen von Hass, Gewalt und
Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit zu überwinden. Dazu
gehören die entschlossene Armutsbekämpfung, der
Kampf gegen Seuchen und Infektionskrankheiten, allen
voran die Aidspandemie, die Korruptionsbekämpfung,
die Beseitigung von Gefahren durch Minen und die Förderung von good governance; um nur einige Punkte zu
nennen. Auf all diesen Gebieten ist die Bundesregierung
aktiv und hat eigene Initiativen ergriffen.
Machen wir uns aber nichts vor: So nötig Entwicklungszusammenarbeit, Armutsbekämpfung, Alphabetisierung und Frauenförderung auch sind, so greifen sie
doch im Moment zu kurz. Die Attentäter von New York
und Washington waren beileibe keine verarmten Verzweiflungstäter.
Prävention ist nötig, kann aber die Konfliktbewältigung nicht ersetzen. Es sind die schwelenden und zum
Teil jahrzehntelang - auch von uns - vernachlässigten
Konflikte, die im Gefolge von Aussichtslosigkeit, Ausgrenzung und Missachtung Hass, Gewalt und Fanatismus
gebären. Auch hier muss die internationale Gemeinschaft
gestützt auf die existierenden VN-Resolutionen ihre Lösungsbemühungen verstärken.
({3})
Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen: Die
von uns angestrebte nicht ständige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ab 2003 ist Chance
und Verpflichtung, diesen Konflikten endlich die gebotene Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Wir werden
auf ein möglichst lückenloses Ineinandergreifen von KriStaatsminister Dr. Ludger Volmer
senprävention und Konfliktbewältigung hinarbeiten, um
vernachlässigte Konflikte zu entschärfen und zerfallenden Staaten wirksam zu helfen.
Der 11. September signalisiert: Wir sind in eine neue
Ära des internationalen Engagements, in die Renaissance
der Vereinten Nationen eingetreten.
Ich danke Ihnen.
({4})
Nun hat das Wort die
Kollegin Ingrid Fischbach für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die vorliegenden Anträge der FDP gehen auf zentrale Themen ein, über
deren wichtige Bedeutung wir hier im Hause nicht streiten werden. Ich glaube, darüber sind wir uns alle einig. Da
sich mein Kollege Schwalbe bereits zur Antiterrorismuskonvention geäußert hat, werde ich auf die anderen drei
Anträge eingehen.
Ich denke, wir sind uns auch alle darüber einig, dass die
Situation von Familien und Kindern weltweit verbessert
werden muss. Die Lebensbedingungen von Familien und
damit notwendigerweise auch die der Kinder sind vielfach katastrophal. Weltweit wird die Kluft zwischen Arm
und Reich größer. Die Armut von Familien und somit der
Kampf ums Überleben nehmen zu.
Kinder sind hiervon besonders betroffen: 600 Millionen
Kinder wachsen in extremer Armut auf. 30 Millionen Kinder sind obdachlos, 100 Millionen Kinder gehören zu den
so genannten Straßenkindern und 250 Millionen Kinder
arbeiten gegen so geringe Bezahlung, dass wir von Ausbeutung sprechen müssen. 540 Millionen Kinder leiden
unter Kriegsfolgen.
Allein in den 90er-Jahren sind über 2 Millionen Kinder
umgekommen; viele sind durch Landminen verstümmelt
worden. Über 100 Millionen Landminen liegen in mehr
als 80 Ländern der Welt verstreut. Kambodscha hält hier
einen traurigen Rekord. Über 4 Millionen Minen lauern
nach UNICEF-Schätzungen allein auf Wegen, in Dörfern
und an Straßenecken. 45 000 Menschen mussten nach Minenunfällen Füße, Beine oder Arme amputiert werden. Jedes vierte Opfer ist ein Kind.
Die aktuellen Bilder und Geschehnisse in Afghanistan
zeigen das Gleiche. Minen werden auch heute noch eingesetzt. Sie sind Waffen. Das - ich denke, auch da sind wir
uns einig - dürfen wir nicht weiter dulden.
({0})
Wir sollten uns einig sein, schnellstens alle Landminen zu
ächten und alles in unserer Kraft Stehende zu tun, auf die
Länder, die das Anti-Personen-Minen-Abkommen von
Ottawa noch nicht ratifiziert haben, einzuwirken, der
Ächtung der Minen endlich zustimmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, ich habe gestern mit besonders großer Freude
zur Kenntnis genommen, dass der Etat zur Beseitigung
von Landminen im Ausschuss für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe auf unseren Antrag hin von 18,5 auf
20 Millionen DM erhöht worden ist. Das zeigt, dass Sie
unserer Argumentation gefolgt sind. Das ist gut so und das
sollten Sie vielleicht des Öfteren tun.
({1})
Auch im Gesundheitsbereich gibt es noch viel zu tun.
Rund 80 Prozent der Kinder sind heute gegen die wichtigsten Krankheiten geimpft. 1960 waren es nur 5 Prozent.
Aber immer noch sterben täglich rund 50 000 Kinder aufgrund von vermeidbaren Erkrankungen oder Unterernährung.
Ein besonders großes Problem ist Aids. Aids ist zu einer globalen Epidemie geworden: 22 Millionen Menschen sind bisher an Aids gestorben, 36 Millionen Menschen haben sich infiziert. Täglich infizieren sich
weltweit 8 500 Kinder und Jugendliche. In manchen Regionen Afrikas kommt ein Drittel der Neugeborenen bereits aidsinfiziert auf die Welt.
Eine Entwicklung bedarf unserer besonderen Aufmerksamkeit: Vor allem Mädchen und junge Frauen sind
in den Entwicklungsländern von der Aidsepidemie bedroht. Unter den jungen Menschen zwischen 15 und
24 Jahren ist der Anteil der infizierten Mädchen und
Frauen doppelt so hoch wie der ihrer männlichen Altersgenossen. Schon heute kommen im südlichen Afrika auf
10,1 Millionen HIV-positive Männer 12,2 Millionen
Frauen.
Daher ist es dringend erforderlich, Mittel aus dem neu
gegründeten Aidsfonds der Vereinten Nationen gezielt
dafür einzusetzen, Mädchen vor der Aidsgefahr zu warnen und sie zu informieren. Ursachen dieses Informationsdefizits sind die massiven Benachteiligungen der
Mädchen beim Schulbesuch und beim Zugang zu Informationen. Hier muss Entwicklungshilfe gezielt eingesetzt
werden, indem man zum einen den Projekten Vorrang einräumt, die Aidsprävention und -bekämpfung in den betroffenen Regionen Afrikas zum Ziel haben. Zum anderen
müssen aber auch die freiwilligen Beiträge zur weltweiten Aidsvorsorge und -bekämpfung deutlich erhöht werden.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie selbst haben in Ihrem Antrag vom 20. Juni 2001
gefordert, den Aidsfonds der Vereinten Nationen mit zusätzlichen Mitteln zu unterstützen. Ihr Kanzler hat Ende
Juni im Beisein von Kofi Annan werbewirksam einen
deutschen Beitrag zum Aidsfonds von 300 Millionen DM
versprochen. Jetzt stellt sich heraus, dass die entsprechende Unterstützung fehlt. Vielleicht sollte er zukünftig
nicht so schnell mit Beträgen operieren, die er später nicht
zahlen kann.
({2})
Die Kollegin Adler hat gerade zu dem Antrag der FDP
gesagt: Woher soll das Geld kommen? - Vielleicht sollte
sich auch der Herr Bundeskanzler im Vorfeld informieren,
woher er das Geld nehmen will, das er so werbewirksam
verspricht.
({3})
Zu dem Fonds selber kann man sicher kritische Äußerungen machen. Sind die Erwartungen zu hoch? Droht die
Gefahr der Bürokratisierung? Wie sind die Unterstützungskriterien? Wie sieht die Selbstverpflichtung der
Länder aus? Das sind Fragen, die man sicherlich diskutieren muss. Aber insgesamt muss man diesen Fonds als
wichtigen Appell zum Kampf gegen die Menschheitsgeißel Aids sehen. Deshalb ist er auch unterstützenswert.
Um aber in Zukunft entwicklungspolitisch handlungsfähig zu bleiben, müssen Ihre haushaltspolitischen Budgeteinschnitte korrigiert werden. Hier holen Sie, meine
Damen und Herren von der Regierungskoalition, Ihre
überdimensionalen Kürzungen aus dem Jahre 2000 in
Höhe von 8,5 Prozent ein.
Beim jetzigen Haushalt hat die Entwicklungsministerin soeben ihr Gesicht wahren können. Sie wissen: Es
sollten Kürzungen von 5,3 Prozent stattfinden; es sind
nur 2,6 Prozent geworden. Das ist aber meiner Meinung
nach der falsche Weg. Die Struktur des Entwicklungshaushalts muss grundlegend geändert werden. Wir würden Ihnen dabei gerne helfen. Fragen Sie uns, wir stehen
Ihnen zur Verfügung.
({4})
Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik ist auch
weltweite Kinderpolitik. UNICEF ruft besonders im
Jahr 2001 dazu auf, gegen die verlorenen Kindheiten,
gegen Gewalt gegen Kinder die Stimme zu erheben. Wir
müssen den Kampf gegen die weltweit zunehmende
Gewalt gegen Kinder zur obersten Priorität unserer Menschenrechtspolitik machen. Dazu gehört die Umsetzung
der UN-Kinderrechtskonvention auf der ganzen Welt.
Über 190 Staaten haben sie unterschrieben, aber Anspruch
und Wirklichkeit klaffen weit auseinander: Die Zahl der
Kinder, die Missbrauch, körperlichen Misshandlungen, sexueller wie wirtschaftlicher Ausbeutung, den schlimmsten
Formen der Kinderarbeit sowie Kinderhandel und Obdachlosigkeit ausgesetzt sind, wächst. Kinder und Minderjährige werden immer häufiger Opfer staatlicher Gewalt. Kinder werden gefoltert und menschenverachtend
behandelt: Entführung, Vergewaltigung, Zwangsarbeit,
Schläge, Nahrungsentzug, Zwangsrekrutierung zum
Kriegsdienst, Verhängung der Todesstrafe.
Gegen Kinder wird - gemäß einer Studie der Weltorganisation gegen Folter - mit der gleichen Härte vorgegangen wie gegen Erwachsene. Aber unsere Kinder sind
das schwächste Glied in der Gesellschaft; sie können sich
nicht wehren. Sie sind auf unsere Hilfe angewiesen. Wenn
wir ihnen nicht helfen, wer soll es dann tun?
Lassen Sie uns gemeinsam für unsere Kinder darum
kämpfen, alle Länder mit Nachdruck zu verpflichten, die
Rechte der Kinder zu stützen und zu fördern.
Kinderfreundlichkeit fängt im eigenen Land an, hört
aber bei uns nicht auf. Globalisierung bedeutet auch Verantwortung für Notlagen in der übrigen Welt. Nachhaltigkeit für eine Politik, in der Kinder und Familien im Mittelpunkt stehen, muss Priorität auf unserer politischen
Agenda haben.
Erkennen wir an, dass Kinder Bürger mit eigenen
Rechten sind, dass in der Investition in ihre Entwicklung
der Schlüssel zum Ausbau einer von Frieden und Wohlstand geprägten Gesellschaft liegt. Lassen Sie uns in diesem Sinne gemeinsam investieren!
({5})
Ich schließe die Aus-
sprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 14/6324, 14/6328, 14/6623 und
14/6952 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen
und Männern ({0})
- Drucksache 14/5679 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familien Senioren, Frauen und Jugend
({2})
- Drucksache 14/6898 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Christel Humme
Renate Diemers
Petra Bläss
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({3}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vierter Bericht der Bundesregierung über die
Förderung der Frauen im Bundesdienst - Berichtszeitraum 1995 bis 1998 - Drucksachen 14/5003, 14/6898
Berichterstattung:
Abgeordnete Christel Humme
Renate Diemers
Petra Bläss
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Frau Ministerin Christine Bergmann.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir heute
den Gesetzentwurf zur Durchsetzung der Gleichstellung
von Frauen und Männern im Bundesdienst beschließen,
dann ist das ein weiterer wichtiger Baustein zur Gleichstellung von Frauen und Männern in unserem Land. Ich
würde mich sehr freuen, wenn es, wie es aussieht, gelänge, das in einem breiten Konsens in diesem Parlament
zu tun.
({0})
Es geht auch bei diesem Gesetzentwurf wieder um die
zwei wichtigsten Handlungsfelder, die wir in der Gleichstellungspolitik mit vielen Initiativen bearbeiten, nämlich
zum einen um die tatsächliche Gleichstellung von Frauen
und Männern im Berufsleben und zum zweiten um die
eng damit verknüpfte Frage, wie wir es Frauen und Männern erleichtern können, Familie und Beruf besser miteinander zu vereinbaren.
Es hat sich mittlerweile herumgesprochen - bisher hat
es noch nicht zu den entsprechenden Konsequenzen geführt -, dass Frauen heute so gut qualifiziert und ausgebildet sind wie nie zuvor. Sie haben schlichtweg die Nase
vorn. Mehr als die Hälfte der Abiturienten sind junge
Frauen. Junge Frauen erreichen heute ebenso wie junge
Männer zu 90 Prozent einen qualifizierten Berufsabschluss. Bei den Universitätsabsolventen liegt der Frauenanteil bei rund 45 Prozent. Wenn man sich einmal die
Abschlüsse anschaut, so kommt hinzu, dass die jungen
Frauen einfach besser sind. Sie machen die besseren Abschlüsse.
({1})
Bei der Erwerbstätigkeit stellen wir fest, dass heute
45 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland Frauen
sind. Die Erwerbsquote ist in den vergangenen Jahren in
den alten Bundesländern kontinuierlich auf etwa 62 Prozent gestiegen. In den neuen Bundesländern hat sie sich
bei rund 73 Prozent von ehemals 90 Prozent zu DDR-Zeiten stabilisiert. Das heißt also: Junge Frauen wissen, was
sie können. Sie haben ein erfrischendes Selbstbewusstsein. Sie verfolgen ihre Lebensplanung mit der gleichen
Energie und der gleichen Ausdauer wie junge Männer.
Junge Frauen und Frauen insgesamt haben sich ein gutes
Stück Gleichberechtigung erobert. Das ist die positive
Seite, die ich berichten kann.
Nun kommt das Aber: Nach wie vor sind 70 Prozent der
Frauen davon überzeugt - so eine Allensbach-Studie -,
nicht die gleichen beruflichen Aufstiegschancen wie
Männer zu haben. Im Übrigen sind auch 50 Prozent der
Männer davon überzeugt, dass Frauen nicht die gleichen
beruflichen Aufstiegschancen haben. Also muss doch daran etwas Wahres sein.
Die Fakten geben ihnen Recht. Das gestiegene Bildungsniveau der Frauen schlägt sich nach wie vor nicht
genügend am Arbeitsmarkt nieder. Auf der einen Seite
sind gut qualifizierte Frauen, auf der anderen Seite steht
der Sachverhalt, dass die Mehrheit der Frauen weniger als
Männer verdient, dass sich Frauen häufiger in Berufen mit
einer geringeren Reputation und geringeren Zukunftsaussichten wiederfinden, Teilzeit arbeiten und nur in sehr geringer Zahl leitende Positionen innehaben.
Das, was wir mit unserer Politik über die ganze Legislaturperiode hinweg verfolgen, ist, diese Benachteiligung
abzubauen. Hierfür müssen wir an vielen Stellen ansetzen. Ich will eine Sache erwähnen, die mir gerade vorige
Woche sehr bitter aufgestoßen ist. Angesichts der Tatsache, dass sich Frauen mehr in Berufen mit geringerer
Reputation und geringeren Zukunftsaussichten wiederfinden, müssen wir versuchen, das Verhalten von Mädchen bei der Berufswahl zu verändern. Wir sagen Ihnen:
Schaut euch um. Sucht euch auch Berufe im technischen
Bereich. Was ist mit Informatik? - Wir haben in diesen
Berufen viel zu wenig Frauen, obwohl sie das können.
Vorige Woche war ich auf einer Veranstaltung bei Siemens. Es gibt dort einen sehr guten Verein, MINT. MINT
steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und
Technik. In diesem Verein geht es - wir unterstützen ihn
auch finanziell - darum, junge Frauen darüber zu informieren, was in diesen Bereichen los ist. Sie sollen motiviert
werden, ihren Berufsweg in diese Richtung einzuschlagen.
Bei dieser Veranstaltung waren 70 Schülerinnen aus ganz
Deutschland vertreten: sehr erfrischende, patente junge
Frauen, elfte bis dreizehnte Klasse. Sie wurden in diesem
Seminar mit Frauen aus den genannten Bereichen konfrontiert, damit sie mehr Informationen erhalten und ihre Berufswahl möglicherweise nicht so einseitig ausfällt.
Ich setze mich immer zu den jungen Mädchen und
frage: Wer hat Ihnen Mut gemacht? Wer hat Sie in diese
Richtung gelenkt? Ich habe von einer jungen Frau,
zwölfte Klasse, die Physik studieren will, gehört: Als sie
sich für den Leistungskurs Physik beworben hat, hat ihr
ihre Koordinatorin geraten, nicht diesen Kurs zu wählen,
weil sie ansonsten nach einem halben Jahr wieder vor ihrer Tür stände und etwas anderes machen wolle. - Über
einen solchen Rat kann man nur verzweifeln. Ich erzähle
das, weil ich es für unser aller Aufgabe halte, darauf hinzuwirken, dass nicht das, was wir politisch machen, an anderer Stelle konterkariert wird. Es sind nicht alle, aber
selbst einer ist schon zu viel. Ich jedenfalls erfahre es immer wieder.
Wenn wir uns anschauen, wo Frauen bei gleicher Qualifikation in der Betriebshierarchie angesiedelt sind, dann
stellen wir fest, dass sie deutlich niedriger als ihre männlichen Kollegen angesiedelt sind. Hier kann doch etwas
nicht stimmen. Auch die gerade von mir genannte hohe
Erwerbsquote von Frauen muss man sich genauer ansehen und fragen: Was steckt dahinter?
Wir haben zwar eine relativ gute Prozentzahl, stellen
aber fest, dass sich mehr Frauen das gleiche ArbeitsvoluBundesministerin Dr. Christine Bergmann
men teilen. Das Arbeitsvolumen für die Frauen nimmt
also nicht zu, sondern es gibt immer mehr Teilzeitstellen
mit den durchaus bekannten geringen Aufstiegschancen.
Übrigens gibt es auf diesem Feld sehr große Unterschiede
zwischen den beiden Teilen Deutschlands. In den alten
Bundesländern liegt die Teilzeitquote bei 42 Prozent,
während sie in den neuen Bundesländern nur bei 23 Prozent liegt. Das hat auch etwas mit dem Vorhandensein von
Kinderbetreuungseinrichtungen sowie der Akzeptanz von
Frauenerwerbsarbeit zu tun.
Wenn ich aus den vorhandenen Daten das Resümee
ziehe, stelle ich fest: Wir haben den Verfassungsauftrag,
die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen in allen
Bereichen der Gesellschaft zu gewährleisten, noch lange
nicht umgesetzt. Außerdem verhalten wir uns ökonomisch unsinnig. Wir haben gut qualifizierte Frauen,
aber nicht an der richtigen Stelle. Es kann mir niemand erzählen, dass das vernünftig ist.
({2})
Uns liegt ja das Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst vor. Wir können nicht behaupten, dass wir im
öffentlichen Dienst mit gutem Beispiel vorangegangen
sind. Auch im öffentlichen Dienst haben wir diese
Diskrepanzen. Nach diesem Bericht sind 45 Prozent aller
Beschäftigten des öffentlichen Dienstes des Bundes
Frauen, während der Anteil der Frauen im höheren Dienst
der obersten Bundesbehörden nur 13,5 Prozent betrug, bei
den Referatsleitungen hatten sie 1998 einen Anteil von
10,6 Prozent, bei den Unterabteilungsleitungen von
8,2 Prozent und bei den Abteilungsleitungen von 2,1 Prozent. Wir sehen daran, dass wir auch im öffentlichen
Dienst noch eine ganze Menge zu tun haben.
Allerdings erkennen wir, dass politischer Wille eine
ganze Menge ausrichtet. Wenn wir uns die Steigerungsquoten der letzten beiden Jahre hinsichtlich der Leitungspositionen ansehen, können wir feststellen, dass der Anteil von Frauen auf der Ebene der Abteilungsleitungen
von 2,1 Prozent auf 8,2 Prozent und auf der Ebene der Referatsleitungen von 10,6 Prozent auf 13,4 Prozent gestiegen ist.
({3})
Wenn wir jedes Mal in Zweijahresschritten so gut vorankämen, wäre das ein Erfolg.
({4})
- Ich habe gerade gesagt, worauf ich dieses Ergebnis
zurückführe. Es war gezielter politischer Wille. Sie wissen genau, Frau Lenke - das zeigt auch der uns vorliegende Bericht -, dass das alte Frauenfördergesetz nicht
das gebracht hat, was wir brauchen. Deswegen haben wir
einen neuen Gesetzentwurf auf dem Tisch liegen, zu dem
es eine sehr breite Zustimmung gibt.
({5})
Ich will ein paar wichtige Punkte nennen: Wir haben
mit dem Gesetzentwurf verbindliche Gleichstellungspläne als Instrument der Personalentwicklung vorgesehen. Der Entwurf ist in wesentlichen Punkten so verbessert, dass wir ein effektives Gesetz haben. Das wissen Sie
doch alle. Wir haben die Gleichstellungspläne auch so
ausgestaltet, dass nicht nur bei Schönwetter Frauen gefördert werden, das heißt bei Stellenzuwächsen, sondern
auch in Fällen des Stellenabbaus - etwa bei Fusionen Frauen nicht unter den Tisch fallen.
Wir haben - Frau Lenke, Sie müssen zugeben, dass das
eine neue Qualität des Gesetzes ist - in diesem Entwurf
eine einzelfallbezogene Quote verankert. Das heißt,
Frauen sind in allen Bereichen, in denen sie bisher
unterrepräsentiert sind, bei gleicher Qualifikation bevorzugt auszubilden, einzustellen und zu befördern. Das ist
nun wirklich eine neue Qualität der Frauenförderung.
({6})
Damit das geplante Gesetz eine möglichst breite Wirkung entfalten kann, werden über die öffentlich-rechtlichen Bundesverwaltungen hinaus auch privatrechtlich
organisierte Einrichtungen der Bundesverwaltung einbezogen. Dieses Ziel muss durch vertragliche Vereinbarungen erreicht werden.
({7})
- Es ist aus meiner Sicht in Ordnung, dass man das auf
diese Weise regelt.
({8})
Das Gleiche gilt für Leistungsempfänger des Bundes.
In Bereichen, in denen wir Geld ausgeben, können wir
auch erwarten, dass unsere politischen Vorgaben durch
entsprechende Vertragsgestaltungen umgesetzt werden.
Das ist doch wohl rechtens.
Außerdem haben wir die Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten kräftig unterstützt. Sie bekommen mehr
Rechte zugebilligt. Die Gleichstellungsbeauftragten sind
die Hüterinnen des Gesetzes. Aus diesem Grunde muss
man sie auch so ausstatten, dass sie ihre Funktion wahrnehmen können. Das haben wir nunmehr getan.
({9})
Natürlich geht es im vorliegenden Gesetz auch darum,
Frauen und Männern die Balance zwischen Familie und
Beruf zu erleichtern. Ich sage ausdrücklich: Frauen und
Männern. Wenn wir mit den jetzt getroffenen Regelungen
sogar über das hinausgehen, was wir schon mit dem
Bundeserziehungsgeldgesetz und dem Gesetz zur Regelung der Teilzeitarbeit begonnen haben, nämlich wirklich
familienfreundliche Arbeitszeiten zu ermöglichen, dann
sprechen wir nicht nur die Frauen, sondern auch ganz explizit die Männer mit Familienpflichten an. Für uns ist jedenfalls klar: Wer eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Väter und Mütter erreichen will, der
muss in der Arbeitswelt ansetzen.
({10})
- Wenn wir annähernd Parität erreicht haben, können wir
darüber auch reden. Aber im Moment sollten wir Frauen
uns das Heft noch nicht aus der Hand nehmen lassen.
({11})
Wir garantieren allen beschäftigten Männern und
Frauen mit Familienpflichten einen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung oder Beurlaubung. Wir bieten vernünftige Arbeitszeitmodelle an. Ich nenne nur die Stichwörter
Telearbeit und Arbeitszeitkonten. Die Regelungen
- das ist mir ganz wichtig - gelten ausdrücklich auch für
Leitungspositionen. Ich wünsche mir - ich werbe dafür,
wo ich gehe und stehe -, dass viele Männer und Frauen
davon Gebrauch machen, damit wir davon wegkommen,
dass reduzierte Arbeitszeit ein absoluter Karrierekiller ist.
Das sollte sie nicht sein. Deswegen gelten die Regelungen
ausdrücklich auch für Leitungspositionen.
Wir haben darüber hinaus festgelegt - damit es keine
Karrierefalle mehr ist -, dass künftig auch mittelbare Diskriminierung bei Bewerbungsgesprächen und Auswahlverfahren ausgeschlossen ist. Das heißt, dass bei vergleichender Bewertung die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit
aufgrund von Familienpflichten und die Reduzierung der
Arbeitszeit wegen Kindererziehung nicht berücksichtigt
werden dürfen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, der bisher
immer den Frauen zum Nachteil gereicht hat.
Ich denke, wir können mit dem vorliegenden Gesetz
Benachteiligungen in erheblichem Maße abbauen. Ich bedanke mich bei allen, die dazu beigetragen haben, dieses
Gesetz auf den Weg zu bringen. Wir haben von den Erfahrungen der Bundesländer und natürlich auch der Gleichstellungsbeauftragten profitiert. Ich hoffe, dass die Unterstützung für unseren Gesetzentwurf über die Abstimmung
im federführenden Ausschuss hinaus reichen wird. Aber
damit wird das Thema für uns nicht abgehakt sein. Wir haben das große Thema Gender Mainstreaming als Daueraufgabe. Das wird uns so lange beschäftigen, solange es
Diskriminierung von Frauen in allen Teilen der Gesellschaft gibt. Das vorliegende Gesetz trägt ein Stück weit
zur Modernisierung der Verwaltung bei. Ich denke, dies
wird ihr gut bekommen.
Danke.
({12})
Jetzt hat das Wort die
Kollegin Maria Eichhorn für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Neuer Aufbruch für die Frauenpolitik - mit diesem Titel ist die
Frauenpolitik der Bundesregierung im Koalitionsvertrag
überschrieben. Das Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz,
das heute in dritter Lesung verabschiedet werden soll, ist
kein Aufbruch. Es ist lediglich eine Fortschreibung der
von der Union angestoßenen Gleichstellungsgesetzgebung.
({0})
Nachdem Sie unsere Anträge doch noch akzeptiert haben,
haben wir uns nach langen Bedenken zwar entschlossen,
ihm zuzustimmen. Aber der große Wurf ist dieses Gesetz
nicht. Wir werden noch später darauf eingehen.
({1})
- Wir haben einiges getan. Wir haben die Gleichstellungsgesetzgebung in Gang gebracht. Sie gehen auf dem
Weg weiter, den wir angelegt haben. Aber, Frau RiemannHanewinckel, etwas grundlegend Neues ist Ihnen nicht
eingefallen.
Der Vierte Bericht der Bundesregierung über die Förderung der Frauen im Bundesdienst zeigt, dass noch viele
Anstrengungen erforderlich sind, um die Gleichstellung
von Frauen und Männern in der Bundesverwaltung
voranzubringen. Immerhin sind 45 Prozent aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst Frauen. Doch der Anteil der
Frauen in leitenden Positionen ist noch immer viel zu gering. So beträgt er beispielsweise bei den Beschäftigten
im höheren Dienst der obersten Bundesbehörden lediglich 14,5 Prozent.
Frau Ministerin, die von Ihnen dargestellten Steigerungen sind auf unser Gesetz zurückzuführen.
({2})
Durch unser Gesetz wurde die Grundlage dafür gelegt.
Erfolgreiche Frauenpolitik ist immer auch mit Familienpolitik verbunden. So soll im vorliegenden Gesetzentwurf die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit
verbessert werden. Die Grundlagen dazu haben wir
während unserer Regierungszeit erfolgreich gelegt,
({3})
und zwar durch die Einführung von Erziehungsgeld und
Erziehungsurlaub, die Anerkennung der Erziehungsleistungen in der Rentenversicherung und die Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz ab dem
dritten Lebensjahr. Das waren grundlegende Entscheidungen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({4})
Auch die Erweiterung des Art. 3 Grundgesetz ist in unserer Regierungszeit geschehen. Aber es ist natürlich noch
viel zu tun. Wir sehen das.
Sie haben in Ihrer Koalitionsvereinbarung vollmundig
betont, dass Sie die Gleichstellung von Mann und Frau
wieder zu einem großen gesellschaftlichen Reformprojekt
machen wollen. Von den insgesamt 44 Prozent erwerbstätigen Frauen sind lediglich 8,2 Prozent in der öffentlichen
Verwaltung beschäftigt. Das Gesetz, das heute verabschiedet werden soll, betrifft daher nur einen ganz geringen Teil der erwerbstätigen Frauen. Für die große Zahl der
Frauen in der Privatwirtschaft tun Sie nichts!
({5})
Seit Beginn dieser Legislaturperiode wollen Sie die Gleichstellung in der Wirtschaft durch ein Gesetz regeln. Liebe
Frau Gerigk, Sie haben den Mund gespitzt, aber zum Pfeifen sind Sie nicht einmal ansatzweise gekommen. Sie sind
mit Ihrem Vorhaben nicht nur in der eigenen Koalition gescheitert, Sie haben auch alle Frauenverbände enttäuscht,
denen Sie ein effektives Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft versprochen haben.
({6})
Frau Bergmann, Ihre Kabinettskollegen, allen voran der
Kanzler selbst, haben Sie an der Umsetzung eines Gesetzes gehindert. Übrig geblieben ist eine Vereinbarung zwischen Regierung und Arbeitgebern zur Gleichstellung in
der Privatwirtschaft. Dass damit ein Durchbruch für die
Chancengleichheit von Frauen in der Privatwirtschaft
erreicht wird, wie Sie, Frau Bergmann, im Juli gesagt haben, das glauben Sie wohl selber nicht.
({7})
Die Vorsitzende des Deutschen Frauenrats, Inge von
Bönninghausen - bekanntlich Ihnen sehr nahe stehend;
sie gehört politisch zu Ihnen -,
({8})
bescheinigt Ihnen Versagen auf der ganzen Linie. Ich zitiere, was sie gesagt hat:
Es ist ein Hohn, wie sich die Regierung das versprochene Gesetz hat abschwatzen lassen. Die rot-grüne
Gleichstellungspolitik wurde wie beim Sommerschlussverkauf verramscht.
({9})
Die ehemalige erste Vorsitzende des Deutschen Juristinnenbundes, Frau Professor Nelles, fragt - auch hier ein
Zitat -:
Kann eine Regierung es sich leisten, bei 15,9 Millionen erwerbstätigen Frauen den Verfassungsauftrag
zur Förderung der Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern so zu missachten?
Meine Damen und Herren, ich sage: Nein.
({10})
Gleichzeitig haben Sie auch alle Chancen verspielt, in
intensiven Gesprächen mit der Wirtschaft Maßnahmen zu
entwickeln, die die Gleichstellung in der Privatwirtschaft
voranbringen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Edith Niehuis?
Ja.
Bitte, Frau Kollegin.
Ich bedanke mich, Frau
Eichhorn. - Da Sie jetzt so leidenschaftlich für ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft reden, frage ich:
Darf ich daraus schlussfolgern, dass die CDU/CSU ein
Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft möchte?
Sehr geehrte Frau Kollegin, wir haben nie den Anspruch erhoben, den Sie zu Beginn dieser Legislaturperiode in Ihre Koalitionsvereinbarung hineingeschrieben haben. Sie müssen sich
daran messen lassen, was Sie versprochen haben.
({0})
Sie dürfen nicht etwas versprechen und nachher so tun, als
sei nichts gewesen. Wir haben im Gegensatz zu Ihnen nie
ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft versprochen.
({1})
- Ich sage Ihnen gleich, was wir Ihnen vorschlagen.
Wir müssen mehr Betriebe davon überzeugen, dass
sich ökonomischer Erfolg und sozialverträgliche betriebliche Bedingungen, zu denen auch die Chancengleichheit
von Frauen und Männern gehört, nicht ausschließen. Es
gibt viele Betriebe und Unternehmen, die beachtliche
Bemühungen auf diesem Gebiet an den Tag legen.
So hat zum Beispiel die Bayerische Staatsregierung
auch in diesem Jahr drei Firmen mit dem Bayerischen
Frauenförderpreis ausgezeichnet.
({2})
Dazu gehören große Firmen wie BMW, aber auch mittelständische Betriebe. Wichtige Gesichtspunkte waren
dabei die intensive Förderung von neuen Arbeitsformen
wie Telearbeit, Jahres- und Lebensarbeitszeitkonten, die
Chancen für Frauen in Führungspositionen, die betriebseigene Kindertagesstätte, die Hausaufgabenbetreuung,
die Berücksichtigung der unterschiedlichsten Lebenssituationen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie
unkonventionelle Ideen zur Vereinbarkeit von Familie
und Beruf. Mit diesen Erfolgen können wir werben. Ich
bin davon überzeugt: Je mehr Firmen frauen- und familienfreundliche Maßnahmen praktizieren, desto mehr werden sich diese Vorbilder und Ideen durchsetzen.
Betriebe und Unternehmen sind vielgestaltig. Die
Beschäftigungssituation für Frauen ist ebenfalls sehr unterschiedlich. Maßnahmen, die für Großunternehmen
sinnvoll sein mögen, sind für mittelständische Betriebe
oft nicht realisierbar. Es ist daher fraglich, ob insbesondere mittelständische Betriebe durch neue Regelungsmechanismen motiviert werden, die Gleichstellung von
Frauen und Männern voranzubringen. Restriktivere Regelungen kämen nicht den Frauen zugute, sondern könnMaria Eichhorn
ten als Vorwand dienen, Frauen aus der Arbeitswelt herauszusozialisieren.
Für die Umsetzung einer effektiven Gleichstellungspolitik sind neben den Arbeitgebern auch Betriebsräte und
Gewerkschaften gefragt. Es ist wichtig, dass sie neben
den Fragen von Entlohnung, Arbeits- und Urlaubszeiten
frauen- und familienfreundliche Maßnahmen verstärkt in
den Blick nehmen.
Frauenpolitik ist Querschnittspolitik. Veränderungen,
die zu einer besseren Chancengerechtigkeit für Frauen
beitragen sollen, setzen Veränderungen in allen Bereichen, in der Familienerziehung, in der Schule, im Betrieb
und in der Politik voraus. Kern einer zukunftsorientierten
Frauenpolitik muss in erster Linie die Verbesserung der
Rahmenbedingungen für Frauen und Familien sein. In
dieser Hinsicht ist der Staat gefordert.
({3})
Notwendig sind insbesondere bedarfsgerechte Kinderbetreuungsmöglichkeiten. In den von Ihnen regierten Ländern, meine Damen und Herren von der SPD, gibt
es diesbezüglich einen erheblichen Nachholbedarf. Zum
Vergleich: Im bisher SPD-regierten Hamburg gibt es je
100 Kinder 76 Kindergartenplätze, in Baden-Württemberg dagegen 125 Plätze und in Thüringen gar 153 Plätze.
Die beiden letzteren Länder sind bekanntlich unionsregiert. Nehmen Sie sich die Politik dieser Länder also zum
Vorbild!
Eine angemessene finanzielle Ausstattung von Familien ist entscheidend dafür, ob auch gut verdienende Väter bereit sind, zeitweise aus dem Beruf auszusteigen,
ohne dass für die Familie die Gefahr besteht, in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten. Sie haben mit der jüngsten Kindergelderhöhung die Forderungen des Bundesverfassungsgerichts nur minimal umgesetzt. Wir wollen mit
dem Familiengeld eine wirkliche Familienförderung
schaffen. Eine Politik für Frauen muss auch dazu beitragen, in den Köpfen ein gesellschaftliches Umdenken zu
erreichen. Die Grundlage dafür muss in der Erziehung,
also frühzeitig, geschaffen werden.
Die Gleichstellung von Frauen und Männern im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft zahlt sich
aus, da sie nicht nur für Frauen, sondern für die ganze Gesellschaft Vorteile bringt. Die Vereinbarkeit von Familie
und Erwerbstätigkeit und eine angemessene finanzielle
Ausstattung von Familien sind grundlegende Voraussetzungen dafür, die Gleichstellung von Frauen und Männern voranzubringen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Griese?
Bitte sehr.
Bitte sehr, Frau Kollegin.
Frau Eichhorn, Sie plädieren
hier stark für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Als
einen wichtigen Beitrag dazu nennen Sie besonders die
Betreuung von Kindern. Darin stimme ich Ihnen zu. Ich
muss allerdings Ihrem Vergleich der Länder widersprechen. Im Jahr 1998 gab es - das zeigen die Zahlen - auf
1 000 Kinder in Baden-Württemberg 13 Krippenplätze,
in Bayern 14, in Nordrhein-Westfalen 25 - als NordrheinWestfälin sage ich das mit einem gewissen Lob - und in
Sachsen-Anhalt 472. Meinen Sie nicht, dass diese Zahlen
eine deutliche Sprache sprechen?
({0})
Sehr geehrte Frau Kollegin, ich kann Ihnen ganz andere Zahlen entgegensetzen:
({0})
Baden-Württemberg 125 Kindergartenplätze pro 100 Kinder; Bayern 97;
({1})
Sachsen 135; Thüringen 153. Hamburg dagegen liegt mit
76 Plätzen am unteren Ende, Niedersachsen hat 90, Nordrhein-Westfalen erreicht bei den von Ihnen regierten Ländern mit 96 die höchste Zahl. Diese Werte liegen weit unter denen der unionsregierten Länder. Den Spitzenplatz,
Frau Kollegin, hält Thüringen mit 153.
Frau Kollegin, gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage?
Nein, ich könnte zwar
das Zahlenspiel noch weiter führen, aber ich denke, ich
habe ausreichend geantwortet. - Entschuldigung, Frau
Kollegin Hanewinckel, ich habe nicht gesehen, dass Sie
sich gemeldet haben. Ich dachte, die Kollegin hätte noch
eine Zusatzfrage.
Dann Frau
Hanewinckel, bitte.
Danke
schön. - Ist Ihnen bewusst, Frau Kollegin Eichhorn, dass
die Zahlen, die Sie eben genannt haben, so genannte Kindergartenplätze betreffen, im Klartext also Halbtagsplätze? Es handelt sich nicht um die Zahlen der Plätze in
Kindertagesstätten. Da sieht es ganz anders aus. Die entsprechende Statistik können Sie in einer Erhebung des
Deutschen Jugendinstituts nachlesen. Da kommen erschreckende Zahlen just für einige der Länder, die Sie
eben genannt haben, heraus.
({0})
Frau Kollegin
Hanewinckel, wir haben als Ziel die Wahlfreiheit festgeMaria Eichhorn
legt. Wir wollten niemandem vorschreiben, wie er das Leben gestalten soll.
({0})
Wir haben im Jahre 1996 einen Rechtsanspruch auf einen
Kindergartenplatz festgeschrieben. Für diese Plätze hat
der Staat in erster Linie zu sorgen; das ist Maßgabe für die
Länder.
({1})
Diese Vorgabe wurde von den unionsregierten Ländern
hervorragend erfüllt - im Gegensatz zu den von der SPD
regierten Ländern; da wurde der Rechtsanspruch nicht
umgesetzt.
({2})
Meine Damen und Herren, aktive Maßnahmen zur Förderung von Frauen sind nach wie vor notwendig. Es
genügt nicht, dass Frauen hervorragende Abiturnoten und
Abschlusszeugnisse nachweisen können. Dieses Wissen
muss sich auch in Führungspositionen niederschlagen.
Die im öffentlichen Dienst bestehenden Gleichstellungsgesetze haben bereits positive Veränderungen bewirkt.
Wir müssen aber auch weiterhin dafür eintreten, dass sich
die Chancen für Frauen in der Privatwirtschaft verbessern. Es wird daher in Zukunft darauf ankommen, Teilschritte für freiwillige Vereinbarungen und Tarifregelungen in Angriff zu nehmen. Dies ist notwendig, damit die
Gleichstellung von Männern und Frauen nicht weiter Zukunftsmusik bleibt.
({3})
Das Wort hat nun die
Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Eichhorn, ich habe gerade bewundert, wie
leidenschaftlich Sie in Ihrer Rede für ein Gleichstellungsgesetz in der Privatwirtschaft gekämpft haben und eingetreten sind, obwohl Sie es inhaltlich zutiefst ablehnen.
Das hat schon etwas.
({0})
Wir beraten heute ein Gesetz, das meines Erachtens
bisher viel zu wenig öffentliche Beachtung erfahren hat.
Dabei ist es ein wichtiges Gesetz, das die Rechte der
Frauen im öffentlichen Dienst des Bundes stärkt.
({1})
Frauen sind in Führungspositionen noch immer deutlich
unterrepräsentiert, nicht nur in denen der Wirtschaft, sondern leider auch in denen der öffentlichen Verwaltung.
Dass wir von einer wirklichen Gleichberechtigung von
Männern und Frauen im öffentlichen Dienst noch längst
nicht reden können, zeigt der Vierte Bericht der Bundesregierung über die Förderung der Frauen im Bundesdienst mehr als deutlich. Der Berichtszeitraum erstreckt
sich ja über die Jahre von 1995 bis 1998, sodass wir sehr
konkret, Frau Eichhorn, die Auswirkungen des 1994 von
der CDU/CSU - das gestehe ich Ihnen zu - verabschiedeten Frauenfördergesetzes messen können. Es war aber
vorher abzusehen, dass dieses Gesetz weitgehend folgenlos bleiben würde. Kommentiert wurde es damals von
der Presse als Papiertiger. Leider - das muss ich sagen - haben die Journalisten und Journalistinnen auch
Recht behalten;
({2})
denn es war ein Gesetz mit unverbindlichen Vorschriften.
Sanktionen waren bei Nichteinhaltung nicht vorgesehen.
Mich zumindest hat es nicht verwundert, dass über dieses
Gesetz keine wirklichen Verbesserungen erreicht worden
sind. Das lässt sich an der Beschäftigtenstruktur leicht ablesen: Während fast die Hälfte der Beschäftigten im öffentlichen Dienst der Bundesverwaltung Frauen sind,
blieb die Leitungsebene - zumindest bis 1998 - eine fast
frauenfreie Zone.
({3})
Die Ministerin hat die anderen Zahlen genannt; ich erspare mir das.
Im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen waren
überproportional viele Frauen auch in geringer bezahlten
Bereichen beschäftigt. Wenn man sich die Strukturen anschaut, erkennt man, dass nur 38 Prozent der Vollzeitbeschäftigten Frauen sind. Im Gegensatz dazu stellen sie
90 Prozent der Teilzeitbeschäftigten. Für uns war hier also
dringender Handlungsbedarf angesagt. Es ging nicht um
eine Novellierung, bei der ein paar Worte geändert werden, es war einfach ein neues Gesetz notwendig.
({4})
Ich finde, es muss dringend in der Arbeitswelt ankommen, dass die heutige Frauengeneration - die Ministerin
hat es erwähnt - über hervorragende Qualifikationen verfügt. Im Durchschnitt sind sie heute bei den jungen
Frauen besser als bei den Männern. Darum sage ich:
Frauen dürfen nicht länger als Bittstellerinnen auf dem
Arbeitsmarkt auftreten, sondern sie müssen den ihnen zustehenden Platz einnehmen. Das wollen wir mit diesem
Gesetz erreichen.
({5})
Rot-Grün macht mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
einen wichtigen Reformschritt zur tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter im öffentlichen Dienst. Wir
wollen nicht nur den Anteil von Frauen in Führungspositionen erhöhen, sondern durch die Quotierung von Ausbildungsplätzen auch Gerechtigkeit für die jüngere Generation schaffen.
Ich komme zu weiteren Verbesserungen: Zunächst
wurde der Anwendungsbereich des Gesetzes so ausgeMaria Eichhorn
dehnt, dass es künftig keine weißen Flecken mehr auf der
Gleichstellungskarte im Bundesdienst geben wird. Das
neue Gesetz gilt sowohl für die Bundesverwaltung als
auch für die Bundesgerichte - das ist ein ganz wichtiger
Punkt - und, Frau Lenke, wird auch bei künftigen Privatisierungen von Bundesunternehmen Gültigkeit haben.
({6})
Die Grundsätze des Gleichstellungsgesetzes sollen erstmalig auch in den außeruniversitären Forschungseinrichtungen den Weg zu einer gesetzlichen Verpflichtung
zur Chancengleichheit eröffnen. Das war uns besonders
wichtig, da gerade Arbeitsplätze im außeruniversitären
Forschungsbereich für Wissenschaftlerinnen von großer
Bedeutung sind.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, derzeit sind Soldatinnen und Soldaten von dem Geltungsbereich des Gesetzes noch ausgenommen. Da mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom Januar des vergangenen Jahres
nun auch Frauen Dienst an der Waffe tun können, ist es
dringend notwendig, dass wir auch für diesen speziellen
Bereich Regelungen zur Gleichstellung der Geschlechter
erarbeiten. Dazu liegt Ihnen heute ein Entschließungsantrag vor, der ein Gesetz fordert, das auf die unterschiedlichen Bedürfnisse von Soldatinnen und Soldaten eingeht.
({8})
Von diesem Gesetz - ein Gleichstellungsgesetz! - werden
auch die Soldaten profitieren, die ihre Vaterrolle ernst
nehmen. Sie haben nämlich die Chance, ihre Soldatenzeit
und die Kindererziehung besser miteinander zu vereinbaren.
({9})
Soweit zum Geltungsbereich.
Die wichtigste Neuregelung in dem vorliegenden Gesetz ist die qualifikationsbezogene Quote bei der Einstellung, beim beruflichen Aufstieg und bei der Vergabe
von Ausbildungsplätzen. Hinzu kommt ein konkretes
Benachteiligungsverbot bei mittelbaren Diskriminierungen. Jetzt gelten bei Einstellung und Aufstieg nur noch
Kriterien wie Eignung, Leistung und Befähigung. Das
sind doch Kriterien, die die FDP ohne weiteres mittragen
kann.
({10})
Wir akzeptieren aber keine Hilfskriterien - wie Lebensalter, Dienstalter und letzte Beförderung - mehr,
durch die bisher besonders Männer bevorzugt wurden.
Diese dürfen nach der europäischen Rechtsprechung
keine Anwendung mehr finden.
({11})
Mit dem vorliegenden Gesetz werden aber auch die
Rechte der Gleichstellungsbeauftragten deutlich gestärkt.
Frau Lenke, ich meine, dass die Gleichstellungsbeauftragten Frauen sein sollten; es finden sich ja auch genügend. Als Mitglied im Frauenausschuss habe ich noch
miterleben können, dass es einen frauenpolitischen Sprecher der FDP-Fraktion gab. Dieser hat gezeigt, dass es
besser ist, wenn Frauen dieses Amt noch eine Weile ausfüllen.
({12})
Zukünftig wird jede Dienststelle mit mehr als 100 Beschäftigten eine Gleichstellungsbeauftragte mit mindestens einer halben Stelle bestellen. Die Gleichstellungsbeauftragte ist weisungsfrei und hat ein Einsichtsrecht
auch in Personalakten. Ihr Geschäftsbereich umfasst die
Gleichstellung der Geschlechter, die Vereinbarkeit von
Familie und Erwerbsarbeit und den Schutz vor sexueller
Belästigung am Arbeitsplatz. Die Rechtsstärkung der
Gleichstellungsbeauftragten wird besonders durch die
Möglichkeit deutlich, dass sie bei Verstößen der Dienststelle gegen Gleichstellungsregelungen Einspruch einlegen kann. So kann bei Problemen auch direkt das Bundesministerium angesprochen werden. Im Streitfall mit
der Dienststellenleitung hat die Gleichstellungsbeauftragte sogar das Recht, auf einer außergerichtlichen
Einigung zu bestehen oder ein gerichtliches Verfahren anzustreben. Diese Rechte werden es der Gleichstellungsbeauftragten erleichtern, sich für die Frauen in den Unternehmen und Verwaltungen einzusetzen.
({13})
Ich komme zu dem neuen Gleichstellungsplan. Bereits
für die Frauenförderpläne mussten Maßnahmen entwickelt werden, um den Frauenanteil zu erhöhen. Es fehlten allerdings konkrete, verbindliche Kriterien hinsichtlich der Zielvorgaben. In den Gleichstellungsplänen ist
künftig vorzusehen, dass mindestens die Hälfte aller Personalstellen mit Frauen zu besetzen ist, wenn Frauen in
diesem Bereich unterrepräsentiert sind. Personalverantwortliche - also nicht nur die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten - haben sich laufend mit den Zielvorgaben des Gleichstellungsplanes auseinander zu setzen,
ganz im Sinne von Gender Mainstreaming.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Familienpolitik ist in
den letzten Monaten zu einem Thema mit großem Aufmerksamkeitswert geworden. Man überbot sich gegenseitig, wenn es darum ging, den Familien eine Mark mehr zu
geben. Das waren verbale Kraftakte. Wir legen Ihnen
heute Regelungen vor, die Vätern und Müttern Arbeitszeiten und Rahmenbedingungen bieten, um das Leben mit
Kindern und Erwerbsarbeit zu vereinbaren. Dies gilt auch
für Leitungspositionen, damit die Familienpflichten nicht
wieder gegen die berufliche Karriere ausgespielt werden
können.
Ich komme zum Schluss: Das neue Gesetz wird dem
Regelungsanspruch im Bereich des öffentlichen Dienstes
des Bundes gerecht. Die vorliegenden Regelungen sind
Kernstücke einer sehr modernen Verwaltung. Der öffentliche Dienst wird damit in Gleichstellungsfragen zu
einem Vorbild auch für andere Bereiche des beruflichen
Lebens. Unser gemeinsames Anliegen muss es nun sein,
auch in der Wirtschaft nach wirksamen Lösungen zu suchen, die eine Demokratie zwischen den Geschlechtern
ermöglichen.
Ich danke Ihnen.
({14})
Ich erteile nun der
Kollegin Ina Lenke für die FDP-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Die im Grundgesetz auferlegten Pflichten der
Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen
ist eine ganz besondere Aufgabe, der wir uns auch im
Bundestag widmen müssen. Die FDP-Fraktion hat gezeigt, dass sie mit parlamentarischen Initiativen ihren Beitrag dazu geleistet hat.
Heute sprechen wir über den Vierten Bericht der Bundesregierung über die Förderung von Frauen im Bundesdienst und über ein altes Gesetz in neuer Verpackung, das
rot-grüne Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz für den öffentlichen Dienst des Bundes. Meine Damen und Herren,
über viele Seiten ist das Vorgängergesetz, das Frauenfördergesetz, unverändert geblieben. Dass Sie es aktualisiert
haben, ist in Ordnung. In dem Gesetzentwurf sind sicherlich auch viele gute Vorschläge enthalten. Aber wir müssen auch das Gesetz insgesamt sehen: Manches betrachtet
die FDP kritisch, weniges ist aus ihrer Sicht positiv zu bewerten.
Zunächst komme ich auf zwei positive Punkte in dem
Gesetz zu sprechen. Die FDP hat es mit den Stimmen aller
Fraktionen in unserem Ausschuss durchgesetzt, dass den
besonderen Belangen behinderter und von Behinderung
bedrohter Frauen Rechnung getragen wird. Das ist eine
gute Sache.
({0})
Je älter ich werde, desto wichtiger ist nach meiner Ansicht eine geschlechtergerechte Sprache. Man darf es
damit nicht übertreiben, aber man darf die weiblichen
Sprachformen auch nicht vergessen.
({1})
Die Sprache prägt enorm. Wenn ich höre, wie sich Männer darüber lustig machen, dann sage ich immer: Wir können es jetzt einmal 50 Jahre lang anders herum machen;
wir haben immer unter männlichen Sprachformen leiden
müssen und können nun frauenspezifische Begriffe nehmen.
({2})
Genau da höre ich Proteste. Daran wird die Schnittstelle
erkennbar; das wollen die Männer nicht. Das war jetzt nur
ein kleiner Schlenker.
Meine Damen und Herren, wir werden diesen Gesetzentwurf ablehnen. Ich werde das noch begründen. Trotzdem brauchen wir ein Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst. Schließlich haben auch wir - mit der
CDU/CSU - das Frauenfördergesetz beschlossen. Unter
den Änderungen, die Sie gemacht haben, sind einige - ich
werde sie gleich aufzählen -, die wir nicht mittragen wollen. Ich bitte, das nicht dahin gehend misszuverstehen,
dass wir grundsätzlich gegen solche Gleichstellungsgesetze im öffentlichen Dienst sind.
Ich will nun zu dem Bericht kommen, der von der Regierung vorgelegt worden ist. Diese regelmäßige Berichterstattung soll letztendlich eine Erfolgskontrolle sein, inwiefern das Frauenfördergesetz gegriffen hat. Dabei
haben wir festgestellt, dass sich - trotz des Bundesgremienbesetzungsgesetzes, das ich so sehr liebe, alleine
schon des Namens wegen - insgesamt wenig getan hat.
Das heißt, wir konnten nicht erreichen, dass in Gremien
des Bundes mehr Frauen Eingang finden. Ich glaube, dass
solche Gesetze alleine nicht viel bewirken können. Viel
wichtiger sind die Rahmenbedingungen, die Frauen haben.
({3})
Dazu werde ich gleich kommen.
In diesem Bericht heißt es: Frauenförderpläne werden
zwar durchgängig aufgelegt, aber Führungspositionen
sind - das hat auch Frau Bergmann gesagt - dennoch nur
zu knapp 10 Prozent mit Frauen besetzt. Grund dafür,
Frau Bergmann, ist, wenn Sie es genau gelesen haben, die
Tatsache, dass sich keine oder nur sehr wenige Frauen auf
Leitungsfunktionen bewerben. Wir müssen nicht immer
denken: die armen Frauen! Frauen haben auch andere
Wünsche, andere Biographien. Lesen Sie das noch einmal
durch! Oft gab es keine Bewerbung von Frauen für Leitungsfunktionen. Darum müssen wir uns kümmern. Sie
müssen ermutigt werden.
Frau Schwaetzer hat mir gerade gesagt, dass sie damals
als Bauministerin kein Gleichstellungsgesetz brauchte.
Sie hat Frauen ganz gezielt gefördert. Machen Sie das bei
Ihren Ministerien auch! Da geht das sicher genauso.
({4})
Meine Damen und Herren, ich komme jetzt zu
den Kritikpunkten an diesem Gesetz. Wir kritisieren
die Ausweitung des Gesetzes auf die Privatwirtschaft
durch die Hintertür. Unternehmen - das hat auch schon
Frau Schewe-Gerigk sehr stolz gesagt -, die früher öffentlich-rechtlich organisiert waren und jetzt privatwirtschaftlich tätig sind oder institutionelle Zuwendungen erhalten,
müssen sich diesem Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz
für den öffentlichen Dienst unterwerfen. Die FDP hat sich
gegen ein Gleichstellungsgesetz für die Wirtschaft ausgesprochen. Und wir wollen das hier auch nicht durch die
Hintertür mitbeschließen.
({5})
Meine Damen und Herren, die Gleichstellungsbeauftragten werden ab dem nächsten Jahr ausschließlich
Frauen sein. Der Name des Gesetzes lautet doch Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz und soll für Männer und
Frauen gleichermaßen gelten. Ich finde es prima, wenn
sich Männer für mehr Gleichstellung im öffentlichen
Dienst einsetzen und auch Frauen vertreten.
({6})
Sie aber schließen Männer aus. Wenn Sie keine Gleichstellungsbeauftragte in den Dienststellen finden, wollen
Sie eine Frau sogar zwangsverpflichten. Diese Logik in
diesem Gesetz kann ich überhaupt nicht verstehen.
Ein Weiteres verstehe ich persönlich nicht: Wenn beurlaubte Mitarbeiter während der Zeit ihrer Beurlaubung an
Fortbildungsveranstaltungen teilnehmen wollen, werden
sie beim Wiedereinstieg mit Urlaub belohnt. Ich finde das
nicht in Ordnung; denn wenn eine Frau nach dem Erziehungsurlaub wieder in den Beruf einsteigen will - ich
weiß das von mir selber -, braucht sie keinen Urlaub, sondern will arbeiten. Von daher halte ich es für ganz wichtig, dass Frauen für ihre Fortbildung während der Erziehungspause selbst sorgen.
({7})
Das sollte eine Pflicht sein. Dafür muss es hinterher nicht
unbedingt Urlaub geben.
({8})
Meine Damen und Herren, ich habe im Ausschuss Änderungsvorschläge vorgelegt, die die Mehrheit von
Rot-Grün abgelehnt hat. Ich finde das sehr bedauerlich.
Daher können wir vielen der von Rot-Grün vorgeschlagenen gesetzlichen Änderungen unsere Zustimmung
nicht geben.
Noch eines - das hatte ich vergessen, das muss ich Ihnen noch einmal erzählen -: In dem Bericht, der den Berichtszeitraum 1995 bis 1998 umfasst, liest man, dass die
Ministerien zu wenig Kindergartenplätze vorhalten. Das,
Frau Schewe-Gerigk, haben Sie leider vergessen.
({9})
Das zeigt: Wie auch immer die Gesetze lauten, wir brauchen Kinderbetreuungseinrichtungen. Nur so haben Frauen
und Männer die Wahl, ob sie am beruflichen Leben teilnehmen wollen oder nicht.
Meine Damen und Herren, noch ein Letztes: Dem Antrag, ein gesondertes Gleichstellungsgesetz für die Bundeswehr zu erarbeiten - diese Aufgabe haben Sie der
Bundesregierung mit diesem Antrag ja auferlegt -, stimmen wir zu. Wir wollen sehen, was die Bundesregierung
da macht, und werden unsere eigenen Vorstellungen dann
auch vortragen.
Ich bedanke mich, dass Sie mir zugehört haben. Sie
müssen ertragen, dass es noch andere politische Vorstellungen als nur die von Rot-Grün gibt.
({10})
Das Wort hat nun die
Kollegin Petra Bläss für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Vierte Bericht der Bundesregierung über die Förderung der Frauen im Bundesdienst
zeigt sehr deutlich: Ohne konsequente und verbindliche
Maßnahmen in der Frauenförderung kommen wir bei der
Gleichstellung der Geschlechter tatsächlich nur im
Schneckentempo voran. Die PDS wird dem heute zur Abstimmung stehenden Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz
die Zustimmung geben. Dieses Gesetz ist für uns ein notwendiger erster Schritt hin zu einer umfassenden Antidiskriminierungsgesetzgebung. In der Debatte ist bereits einiges zur wirklich neuen Qualität dieses Gesetzes
gesagt worden. Ich nenne nur Stichworte: die einzelfallbezogene Quote, die stärkeren Rechte der Gleichstellungsbeauftragten, die insgesamt größeren Verbindlichkeiten.
Der öffentliche Dienst des Bundes muss zweifellos mit
gutem Beispiel vorangehen; er hat eine Vorbildfunktion.
Doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten nicht
vergessen, dass die meisten erwerbstätigen Frauen außerhalb des öffentlichen Dienstes des Bundes, aber auch der
Länder arbeiten, das heißt, unter Bedingungen tätig sind,
die bei weitem nicht dieses Gleichbehandlungsniveau
aufweisen. Umso schwerer wiegt es, dass die rot-grüne
Bundesregierung davon Abstand genommen hat, auch die
Privatwirtschaft gesetzlich zu einer aktiven Gleichstellungspolitik zu bewegen. Ich halte jedenfalls die im Juli
dieses Jahres von der Bundesregierung und den Arbeitgeberbänden unterzeichnete Vereinbarung zur Förderung
der Chancengleichheit von Frauen und Männern nicht für
ein ausreichendes Instrumentarium, um die ablehnende
Haltung von Unternehmen gegenüber gleichstellungspolitischen Maßnahmen grundlegend zu ändern.
({0})
Worum, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es denn
in all den Debatten um gleichstellungspolitische Regelungen? Um nicht mehr, aber auch nicht weniger als um
die Umsetzung eines Gleichstellungsgebotes in Art. 3 unseres Grundgesetzes und um die Durchsetzung von europäischen Standards, die zuletzt im Amsterdamer Vertrag
und in der Europäischen Grundrechte-Charta festgeschrieben worden sind. Die Zulässigkeit von Kompensationsmaßnahmen zur tatsächlichen Durchsetzung von
Chancengleichheit ist im vergangenen Jahrzehnt durch
eine Vielzahl verbindlicher, das heißt auf nationaler
Ebene durchzusetzender internationaler Dokumente und
in diversen Gerichtsurteilen bestätigt worden.
Heute wurde dem Bundestag auch der Gesetzentwurf
der Bundesregierung zur Ratifizierung des Fakultativprotokolls zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form
der Diskriminierung der Frau zur Beratung überwiesen.
Dieses Zusatzprotokoll sieht vor, dass sich Frauen und
Gruppen bei Verletzung ihrer Rechte direkt beim zuständigen Ausschuss der Vereinten Nationen beschweren können. In Art. 11 der UN-Konvention heißt es, dass die
Vertragsstaaten - ich zitiere - alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau im BeIna Lenke
rufsleben treffen. Wir werden also demnächst die Beschwerdemöglichkeiten für Frauen verbessern; ihre Diskriminierung im Bereich der Privatwirtschaft wird aber
nach wie vor nicht in angemessener Weise, das heißt vom
Gesetzgeber geregelt werden. Der politische Handlungsbedarf für eine gesetzliche Regelung bleibt nach wie vor.
Gestatten Sie mir noch eine kurze Anmerkung zum
vorliegenden Gesetzentwurf. Wir hätten uns gewünscht,
auch die institutionellen Leistungsempfänger, also zum
Beispiel die Stiftungen, würden gezwungen, das Gesetz
anzuwenden. Dazu hätte die Sollvorschrift in § 3 in eine
Mussvorschrift umgewandelt werden müssen. Mit Sollvorschriften - insbesondere im Gleichstellungsbereich haben wir ja bereits einschlägige Erfahrungen gesammelt.
Dem Entschließungsantrag der Koalition, der die Ausweitung des Geltungsbereichs des Gesetzes auf die Bundeswehr einfordert, werden wir zustimmen.
({1})
Auch wenn die Öffnung der Bundeswehr für Frauen in der
PDS nach wie vor äußerst kontrovers diskutiert wird: Diesem Anliegen können und wollen wir uns nicht verschließen.
({2})
Wenn Frauen bei der Bundeswehr arbeiten, gibt es keinen
Grund, ihnen gleichstellungspolitische Instrumentarien
vorzuenthalten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer den ersten
Schritt zur Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen
im Bereich des öffentlichen Dienstes des Bundes macht,
der sollte auch so schnell wie möglich den zweiten Schritt
gehen und eine gesetzliche Regelung zur Gleichstellung
in der Privatwirtschaft in Angriff nehmen.
({3})
Eines ist klar: Spätestens in der kommenden Legislaturperiode werden wir diese notwendige rechtspolitische
Debatte wieder auf der Tagesordnung haben.
Ich danke Ihnen.
({4})
Jetzt hat die Kollegin
Christel Humme das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Mit dem Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz, das wir heute verabschieden, machen wir Schluss mit der Benachteiligung von Frauen, die
in der Verwaltung des Bundes und in Instituten arbeiten,
die vom Bund gefördert werden.
({0})
Der Anwendungsbereich ist umfassend.
({1})
Ich wünsche allen Frauenbeauftragten des Bundes von
dieser Stelle aus viel Erfolg bei der Durchführung der unmittelbar anstehenden Wahlen, zum ersten Mal nach den
Vorgaben unseres neuen Gesetzes. Sie werden dann zu
Gleichstellungsbeauftragten; sie werden auch zahlenmäßig mehr sein,
({2})
mehr Rechte haben und in Gleichstellungsplänen durchsetzen können, dass Frauen und Männer den gleichberechtigten Zugang zu Ausbildungsplätzen und Laufbahnen haben.
({3})
Künftig gilt die einzelfallbezogene Quote. Das heißt,
Frauen werden bei gleicher Qualifikation bei Ausbildung,
Anstellung und Beförderung - unter Berücksichtigung
des jeweiligen Einzelfalls - bevorzugt. Auch die Regelungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden
durch unser Gesetz deutlich verbessert. Beschäftigte mit
Familienpflichten - Frauen und Männer - erhalten einen
Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit. Sabbatjahre und Arbeitszeitkonten werden auch in der Bundesverwaltung
Einzug halten.
Die Frauen des Deutschen Frauenrates äußern die
Sorge um die Gewichtung frauenpolitischer Ziele. Sie fragen sich, ob diese frauenpolitischen Ziele in der Politik
nicht zunehmend hinter missverstandenem Gender Mainstreaming und Familienorientierung verschwinden. Mit
unserem Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz geben wir
darauf eine eindeutige Antwort.
({4})
Das für unsere Politik durchgängige Prinzip des Gender Mainstreaming ist nun auch im Bundesdienst gesetzlich verankert. Dort machen wir zum Beispiel mit dem
bereits erwähnten Rechtsanspruch Teilzeitarbeit auch für
Männer attraktiv. Väter haben so künftig die Chance, sich
an der Erziehung ihrer Kinder zu beteiligen. Andererseits
geben wir Frauen dort den Vorzug, wo sie noch benachteiligt sind. Sie sehen, Gender Mainstreaming und Frauenpolitik sind in der Tat kein Widerspruch.
({5})
Unserem heutigen Erfolg, dem Durchbruch in Sachen
Gleichstellung in der Bundesverwaltung, mussten zwei
Schritte vorangehen - das ist in der Tat wahr, Frau
Eichhorn -: Der erste Schritt ist der hervorragende Gesetzentwurf, den die Bundesregierung in den Bundestag
eingebracht hat. Sie ist mit diesem Gesetzentwurf der nationalen verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Grundgesetzes, aber auch der Verpflichtung aus dem Europarecht nachgekommen, eine wirkungsvolle und aktive
Gleichstellungspolitik voranzutreiben. Dafür danke ich
der Ministerin Christine Bergmann ausdrücklich.
({6})
Der zweite Schritt waren die beispielhaften parlamentarischen Beratungen. Über alle Fraktionsgrenzen hinweg
haben wir um das bestmögliche Gleichstellungsgesetz für
die Bundesverwaltung gerungen.
({7})
Im April haben wir eine an der Sache orientierte Debatte
geführt. Ebenso sachlich war die Beratung im Ausschuss.
({8})
Wir haben dort den überarbeiteten Gesetzentwurf einstimmig verabschiedet. Hierfür möchte ich mich
nochmals bei der Opposition bedanken. Ich hätte mir
heute eine Fortsetzung im Plenum gewünscht, Frau
Lenke. Wir hätten eine gute Chance gehabt, in Sachen
Gleichstellung gemeinsam voranzugehen.
Wir beraten heute ebenfalls unseren Entschließungsantrag, der ein Gleichstellungsgesetz für Frauen und Männer fordert, die im Bereich der Bundeswehr Dienst tun.
Bekanntlich leisten seit dem 1. Januar Frauen freiwillig
Dienst in der Bundeswehr. Seitdem stehen ihnen auch dort
die unterschiedlichsten Laufbahnen offen. Deshalb ist es
nur konsequent, dass auch sie von einem Gleichstellungsgesetz profitieren. Ich bitte Sie, meine Herren und Damen
von der Opposition, auch diesem Antrag zuzustimmen.
Mit unserem Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz wird
der öffentliche Dienst eindeutig zum Vorreiter in Sachen
Gleichstellung. Die private Wirtschaft muss in der Tat erst
noch unter Beweis stellen, dass sie genauso auf der Höhe
der Zeit ist. Die im Juli getroffene Vereinbarung zwischen
der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit
von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft ist dafür
meiner Ansicht nach eine gute Voraussetzung. Die Handelnden in der Privatwirtschaft wissen: Es liegt in ihrem
ureigensten ökonomischen Interesse, die Begabungen
und Qualifikationen von Frauen zu nutzen.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, am heutigen Tag
setzt ausgerechnet der öffentliche Dienst einen Meilenstein in Sachen Gleichstellungspolitik - der öffentliche
Dienst, der so häufig als strukturkonservativ, kaum reformierbar und schwerfällig bezeichnet wird. Er wird jetzt
moderner und erfolgsorientierter als die private Wirtschaft. Darauf können wir mit Recht stolz sein. Ich kann
mir nicht vorstellen, dass die private Wirtschaft dies lange
auf sich sitzen lassen wird.
({9})
Ich bin sicher, unser gutes Beispiel wird Schule machen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Ich erteile nun das
Wort der Kollegin Renate Diemers, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur das Atmen ist erlaubt. Diese Zeitungsüberschrift aus der Welt beschreibt in der kürzesten denkbaren Fassung die Rolle der
Frauen im heutigen Afghanistan. Angesichts des menschenunwürdigen Verhaltens gegen Frauen in vielen Teilen der Welt und, uns aktuell bewusst, in Afghanistan
verblassen unsere Gleichberechtigungsprobleme. Die Situation der absolut rechtlosen Frauen wird zwar mit ehrlicher Betroffenheit zur Kenntnis genommen; der internationale Aufschrei fehlt jedoch.
Gesellschaftliche und religiöse Gründe seien die Ursache, heißt es. Dies wurde bisher auch so hingenommen.
Es trifft zwar zu, dass die Rolle der Frauen in Afghanistan gesellschaftlich und religiös begründbar ist. Aber
das eigentliche Problem ist - wir wollen es doch beim Namen nennen - die Macht, die Machtfrage zwischen Männern und Frauen. Alles andere klingt vorgeschoben und ist
nicht hauptursächlich. Diese Machtfrage zieht sich durch
alle Gesellschaften und ist in allen so genannten Entwicklungsstadien zu finden, leider auch noch bei uns.
Ich vergleiche damit nicht in unzulässiger Weise unsere Situation mit der Lage der Frauen in Afghanistan. Deren Elend hat eine ganz andere Dimension als unsere Probleme. Ich möchte deutlich machen, dass wir einerseits
hier in Deutschland für die Rechte der Frauen in anderen
Ländern, aber andererseits auch weiterhin für unsere eigenen Rechte kämpfen sollten und müssen.
({0})
Wir brauchen weder in den anderen Ländern noch bei
uns almosenhafte Verbesserungen. Wir brauchen und
fordern die vollständige gleichberechtigte Teilhabe der
Frauen auf allen gesellschaftlichen Ebenen, die wir, wie
gesagt, auch hier in Deutschland noch lange nicht erreicht
haben.
In der Vergangenheit hat es bei uns viele Initiativen für
Frauen gegeben. Eine der besten war die Einführung der
Frauenfördergesetze für den öffentlichen Dienst des
Bundes.
({1})
Frau Ministerin, ohne diese Frauenfördergesetze wären
wir noch viel weiter von einer wirklichen Gleichberechtigung entfernt.
({2})
Natürlich sind die Erfolge bescheiden. Die Zahlen des
Berichtes über die Frauenförderung des Bundes von
1995 bis 1998 könnten in der Tat viel besser sein. Aber wir
Frauen sollten uns die - wenn auch kleinen - Erfolge nicht
künstlich kleinreden lassen.
Wir profitieren heute von den Erfahrungen unserer ersten Fördergesetze. Aus diesem Grund unterstützen wir als
Union die notwendige Fortschreibung und Ergänzung unserer Ideen. Das heute zu verabschiedende Gesetz zur
Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen und Männern in Bundesverwaltung und Gerichten des Bundes baut
auf den Erfahrungen auf, die wir in den letzten zehn Jahren gesammelt haben. Die Frauenförderung wird mit dem
neuen Gesetz weiterentwickelt,
({3})
der Geltungsbereich des Gesetzes etwas ausgeweitet, die
Kompetenzen der Gleichstellungsbeauftragten werden
genau definiert und ausgedehnt.
Wir können heute dem Gesetz zustimmen, obwohl wir
von der CDU/CSU in einzelnen Fragen Bedenken hatten
und noch haben, uns eine weniger dirigistische Lösung
wünschten und zum Beispiel auf ein Klagerecht gerne
verzichtet hätten.
Wir stimmen heute zu, da wir in der grundsätzlichen
Frage der Frauenförderung dasselbe Ziel anstreben.
({4})
Wichtig ist für uns, dass mit der Umsetzung des Gesetzes Folgendes erreicht wird: erstens eine größere gesellschaftliche Akzeptanz von Frauen in der Arbeitswelt und
in Führungspositionen, zweitens eine wachsende Selbstverständlichkeit im Hinblick auf die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf bzw. Erwerbstätigkeit - dieser Punkt
gilt gleichermaßen für Mütter und Väter - und drittens
eine Vorbildfunktion für Unternehmen in der Privatwirtschaft.
Der öffentliche Dienst lebt seit jeher mit dem Vorurteil, nicht so flexibel zu sein wie die freie Wirtschaft; die
Strukturen seien verkrustet und allgemeine Neuerungen,
gerade im Hinblick auf moderne Arbeitsorganisation, kämen in der öffentlichen Verwaltung erst mit großer Zeitverzögerung an. Positiv kann ich heute bewerten, dass
sich die Verwaltung des Deutschen Bundestages inzwischen modern und aufgeschlossen zeigt. Vor kurzem
wurde eine Vereinbarung zur Einführung der alternierenden Telearbeit unterzeichnet und die Einführung der
Gleitzeit steht, so hoffe ich, unmittelbar bevor. Wenn wir
in der öffentlichen Verwaltung die gesteckten Ziele für die
Frauen auch nur annähernd erreichen, wird vom öffentlichen Dienst ein wichtiges Signal für die übrigen Wirtschaftsunternehmen in Deutschland ausgehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zurzeit wird einerseits in vielen Verwaltungen und Unternehmen über eine
neue Personalpolitik und Flexibilisierung von Arbeitsorganisation diskutiert. Es scheint eine nahezu unbegrenzte Kreativität ausgebrochen zu sein, um zu demonstrieren, was für Frauen alles gemacht wird. Andererseits
wird geschickt suggeriert, es gäbe nicht genügend qualifizierte Frauen. Das ist übrigens das alte Totschlagargument gegen die Quote. Aber wer, wenn nicht wir Frauen
im Bundestag, weiß, dass dieses Argument nur ein
Scheinargument ist, das zudem nicht wahrer wird, je älter
es wird und je öfter es aus der Mottenkiste hervorgeholt
wird.
({5})
Selbstverständlich sollen nur geeignete Menschen Führungspositionen einnehmen. Aber warum ist der Hinweis
auf eine notwendige Qualifizierung immer nur im Zusammenhang mit Frauen zu finden?
({6})
Es stört mich auch gewaltig, dass im Zusammenhang
mit Frauenförderung und Gleichstellung immer im selben
Atemzug neue Forderungen an den Staat gestellt werden.
Es gilt das Motto: Jeder will die Frauen fördern, aber nur
dann, wenn der Staat dieses und jenes regelt und alle Unwegsamkeiten aus dem Wege räumt.
({7})
Mit diesen Forderungen wird eines ganz deutlich: Die
Philosophie großer Teile der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung gleichermaßen basiert nicht auf Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie, sondern es
werden in erster Linie diejenigen Frauen gefördert, deren
Familie dabei nicht stört.
Die Arbeitgeber und Führungskräfte unterliegen einem
großen Irrtum, wenn sie erwarten, dass eine ausgeweitete
Kinderbetreuung und Ganztagsschulen, also öffentliche Aufgaben, so wichtig sie sind - dafür kämpfen wir
auch -, die Probleme alleine lösen könnten. Vereinbarkeit
von Beruf und Familie heißt eben nicht, dass Frauen und
Männer mit Familienaufgaben zwei vollkommen getrennte Leben führen.
Selbst wenn die außerhäusliche Versorgung des Kindes
sichergestellt ist, also ausreichende Versorgung mit Kindergartenplätzen und Ganztagsschulen vorhanden wäre,
gibt es weiterhin gewisse Unwägbarkeiten: Krankheiten,
Betriebsausflüge, Fortbildungen, Schul- und Prüfungsstress oder auch ganz alltägliche Hausaufgaben, Impftermine und kurzfristiger Schulstundenausfall lassen einen gewissenhaft geplanten Arbeitstag ganz schnell
platzen. Die Umgebung der Betroffenen - die Vorgesetzten und Arbeitskollegen und -kolleginnen - reagiert mit
Unwillen, mit Unverständnis und vor allem mit dem
Vorwurf der Überforderung.
Hier müssen wir ansetzen und weitere Maßnahmen für
eine familienfreundliche Arbeitswelt anregen. Wir müssen dafür sorgen, dass auch in den Köpfen der Menschen
eine Änderung eintritt.
({8})
Gegen Sturheit und antiquierte Ansichten über das Rollenverständnis gibt es leider kein Klagerecht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die Bundeswehr sollte von der Anwendung eines Gleichstellungsgesetzes nicht ausgenommen werden. Nach der Öffnung
der Bundeswehr für die Frauen ist es also folgerichtig,
auch hier ein entsprechendes Gleichstellungsgesetz zu
erarbeiten. Daher unterstützen wir den von der Regierungskoalition vorgelegten Entschließungsantrag und erwarten nun von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Regierungskoalition, einen vernünftigen Gesetzentwurf.
Mir ist gerade von einer Sitzung des Frauenrates berichtet worden, dass es in vielen Gremien des Bundes
keine Frauen gebe. Ich denke, Frau Ministerin, es ist möglich, dass wir recht bald einen entsprechenden Bericht
vorgelegt bekommen, in dem steht, ob es in der Tat frauenlose Bundesgremien bei uns in Deutschland gibt, sodass wir dann weiter darüber diskutieren können.
Vielen Dank.
({9})
Die letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Renate Gradistanac für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung
hat mit ihrem Programm Frau und Beruf - Aufbruch in
der Gleichstellungspolitik ein anspruchsvolles Arbeitsprogramm für diese Legislaturperiode vorgelegt. Dazu
gehört ein effektives Bundesgleichstellungsgesetz, das
wir mit dem Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz heute in
zweiter und dritter Lesung verabschieden werden.
Das bisherige Frauenfördergesetz wird aufgehoben, da
es nicht die erhoffte Wirkung erzielt hat, wie im Vierten
Bericht der Bundesregierung über die Förderung von
Frauen im Bundesdienst aufgeführt wird.
({0})
Der neue Ansatz, der durch Begriffe wie Gleichstellung, Gleichstellungsplan und Gleichstellungsbeauftragte geprägt ist, zeigt die neue Philosophie dieses
Gesetzes, nämlich die Gleichstellung von Frauen und
Männern als durchgängiges Handlungs- und Leitprinzip
zu berücksichtigen,
({1})
so genanntes Gender Mainstreaming.
({2})
- Lieber Gott, Sie sollten die Gesetze vorher durchlesen,
wenn Sie darüber sprechen! Das ist ja unglaublich.
({3})
Damit ist das Prinzip der Gleichbehandlung überholt,
das problematisch ist, weil daraus abgeleitet wird, dass
Frauen wie Männer zu behandeln sind, die Norm also der
Mann ist. Kursangebote wie zum Beispiel Wie entwickle
ich einen Killerinstinkt?,
({4})
Wie gehe ich mit dem Büro-Casanova um? oder Wie
verschaffe ich mir Gehör bei Besprechungen? zielen darauf ab, Frauen zu helfen, die so genannten besseren Männer zu werden.
Es wird von der Vorstellung ausgegangen, dass Frauen
Defizite haben. An den in erster Linie für die Benachteiligung von Frauen verantwortlichen kulturellen und organisatorischen Strukturen wurde nicht gerührt.
Wie heißt es in unserem SPD-Grundsatzprogramm so
zutreffend: Wer die menschliche Gesellschaft will, muss
die männliche Gesellschaft überwinden. Ist das nicht
herrlich?
({5})
Beim Gender Mainstreaming geht es also darum, dass
Frauen und Männer in ihrer ganzen Vielfalt ihren Platz
finden und ihr gesamtes Potenzial an Fähigkeiten entfalten können, zum Beispiel Fähigkeiten in der Kommunikation, zur Teamarbeit und Konsensbereitschaft. Das
heutige Gesetz findet seine Anwendung in der Bundesverwaltung, an den Gerichten des Bundes, in der Bundesverwaltung in Privatrechtsform und soll - das freut mich
ganz besonders - auf Soldatinnen und Soldaten erweitert
werden. Damit - das klang heute schon mehrfach an wird der Bund seiner Verantwortung und seiner Vorbildfunktion gerecht, die sich auch in gesetzlich festgeschriebener Verwendung geschlechtspezifischer Sprache in
Rechts- und Verwaltungsvorschriften ausdrückt - endlich!
Ich wünsche mir, dass dieses gute zukunftsgerichtete
Gesetz die Unterstützung in unserer Gesellschaft erhält,
die es benötigt, um durchgreifende Veränderungen zu bewirken.
Das Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz entspricht im
Übrigen dem Verfassungsauftrag unseres Grundgesetzes,
den Vorgaben des EG-Vertrages sowie völkerrechtlichen
Verpflichtungen. Ich erinnere an Art. 11 des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung
der Frau, CEDAW, von dem heute schon die Rede war.
Das Frauenrechtsübereinkommen von 1979 ist das erste
umfassende internationale Instrument zum Abbau geschlechtsspezifischer Diskriminierung. Ich erinnere an
die Ächtung der Genitalverstümmelung von Frauen. Bislang fehlten aber wirksame Kontrollmechanismen zur
Einhaltung durch die Vertragsstaaten. Ich freue mich, dass
nun die Ratifizierung des CEDAW-Zusatzprotokolls ansteht. Die Bundesregierung stärkt die nationalen Frauenrechte durch die Möglichkeit der Individualbeschwerdeund Untersuchungsverfahren vor dem UN-Frauenausschuss.
({6})
Ich freue mich darüber, weil ich meine, dass dies ein Ausdruck einer gereiften Demokratie ist.
Wünschenswert wäre die internationale Einigkeit,
dass, unabhängig von Kultur und Religion, die Missachtung der Rechte der Frauen - ich denke beispielhaft an die
afghanischen Frauen - deutlicher als Menschenrechtsverletzungen geächtet wird als bisher.
Ich danke Ihnen.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gleichstellungsdurchsetzungsgesetzes. Es handelt sich um die
Drucksachen 14/5679 und 14/6898. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 1
seiner Beschlussempfehlung, in Kenntnis der Unterrichtung durch die Bundesregierung den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen Kolleginnen
und Kollegen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist damit bei Enthaltung der
FDP-Fraktion angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/ Die
Grünen auf Drucksache 14/7074. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.
Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 14/6898, in Kenntnis der Unterrichtung
durch die Bundesregierung auf Drucksache 14/5003 eine
Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Enthaltungen? - Gegenprobe! Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung
um die Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu
einem Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines
Strafverfahrens zu erweitern und jetzt sofort als Zusatzpunkt 8 aufzurufen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Deshalb rufe ich jetzt den Zusatzpunkt 8 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu einem Antrag auf Genehmigung zur
Durchführung eines Strafverfahrens
- Drucksache 14/7115 Wir kommen sofort zur Abstimmung. Der Ausschuss
empfiehlt auf Drucksache 14/7115, die Genehmigung zu
erteilen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Bosbach, Erwin Marschewski ({0}),
Meinrad Belle, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Voraussetzungen für die Durchführung von
Onlinewahlen
- Drucksache 14/6318 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Kultur und Medien
Die Kolleginnen und Kollegen Sylvia Bonitz, Grietje
Bettin, Dr. Max Stadler, Angela Marquardt sowie der Par-
lamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper haben
ihre Reden zu Protokoll gegeben1). - Ich sehe keinen
Widerspruch im Hause.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/6318 an die an der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Offensichtlich sind
Sie alle damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 11 a bis 11 c
auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb
von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen
- Drucksachen 14/7034, 14/7090 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({2})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartmut
Schauerte, Gunnar Uldall, Wolfgang Börnsen
({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Fairer Wettbewerb und Rechtssicherheit bei
Unternehmensübernahmen in Europa
- Drucksache 14/3776 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({4})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Vizepräsidentin Petra Bläss
1) Anlage 2
2) Anlage 3
c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Rainer Brüderle, Rainer Funke, Hildebrecht Braun
({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Zur gesetzlichen Regelung von Firmenübernahmen
- Drucksachen 14/2826, 14/3895 Die Kolleginnen und Kollegen Nina Hauer, Hartmut
Schauerte, Andrea Fischer ({6}), Rainer Funke, Ursula
Lötzer sowie die Parlamentarische Staatssekretärin
Dr. Barbara Hendricks haben ihre Reden ebenfalls zu Pro-
tokoll gegeben2). - Auch hier sehe ich große Begeisterung
im Saal.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/7034, 14/7090 und 14/3776 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Einverständnis des gesamten Hauses liegt vor.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 sowie den Zusatzpunkt 6 auf:
12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung von streckenbezogenen Gebühren für
die Benutzung von Bundesautobahnen mit
schweren Nutzfahrzeugen
- Drucksachen 14/7013, 14/7087 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({7})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich ({8}), Hans-Michael Goldmann,
Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Keine Abgabenerhöheung durch LKW-Maut
- Drucksache 14/7072 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({9})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
Die Kollegen Reinhard Weis ({10}), Wilhelm Josef
Sebastian, Albert Schmidt ({11}), Horst Friedrich
({12}), Dr. Winfried Wolf sowie die Parlamentari-
sche Staatssekretärin Angelika Mertens haben ihre Reden
zu Protokoll gegeben1). - Kein Widerspruch im Hause.
Deshalb wird die Überweisung der Vorlagen auf den
Drucksachen 14/7013, 14/7087 und 14/7072 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse interfraktionell
vorgeschlagen. - Es gibt keine anderweitigen Vorschläge
dazu. Dann sind auch diese Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche
Bundesbank
- Drucksache 14/6879 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({13})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht
- Drucksachen 14/7033, 14/7088 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({14})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Wir merken erst jetzt, was wir so alles beschließen,
wenn man es auf die Schnelle macht.
Die Kolleginnen und Kollegen Jörg-Otto Spiller,
Otto Bernhardt, Christine Scheel, Gerhard Schüßler,
Dr. Barbara Höll sowie die Parlamentarische Staats-
sekretär Dr. Barbara Hendricks haben ihre Reden zu Pro-
tokoll gegeben2). - Auch hier kein Widerspruch im Hause.
Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent-
würfe auf den Drucksachen 14/6879, 14/7033 und
14/7088 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. - Auch hier gibt es keine ander-
weitigen Vorschläge. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes
- Drucksache 14/6884 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({15})
Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Evelyn Kenzler, Dr. Ruth Fuchs, Ulla Jelpke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes
- Drucksache 14/6918 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({16})
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Die Kolleginnen und Kollegen Hans-Joachim Hacker,
Andrea Voßhoff, Hans-Christian Ströbele, Rainer Funke,
Vizepräsidentin Petra Bläss
1) Anlage 4
2) Anlage 5
3) Anlage 6
Dr. Evelyn Kenzler sowie der Parlamentarische Staatsse-
kretär Dr. Eckhart Pick haben sämtlichst ihre Reden zu
Protokoll gegeben3). - Auch hier Freude im ganzen
Hause.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/6884 und 14/6918 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Es
gibt keine anderweitigen Vorschläge. Dann sind auch
diese Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt - nun wird es wirklich spannend, es wird
doch noch geredet - den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Heidemarie Ehlert, Dr. Christa
Luft, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
PDS
Wirksamer Schutz der Bürgerinnen und Bürger im Rahmen der Euroumstellung
- Drucksache 14/6895 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({17})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS
sechs Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist das so beschlossen.
Allerdings haben die Kolleginnen und Kollegen Jella
Teuchner, Norbert Schindler, Kristin Heyne und Gudrun
Kopp ihre Reden bereits zu Protokoll gegeben1).
({18})
Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile der Kollegin Dr. Barbara Höll für die PDS-Fraktion das Wort.
({19})
Nein, ich denke, die Freude
steigert sich. Sie wissen doch, dass wir aus Prinzip immer
reden möchten, wenn wir den letzten oder fast den letzten
Tagesordnungspunkt bestreiten.
Auf Wiedersehen, D-Mark! Am 1. Januar 2002 ist es so
weit. Dies kann man satirisch besingen, wie derzeit im
Mehringhof-Theater zu erleben:
Wir kennen uns seit Jahren, der Weg zu dir war weit.
Wenn wir zusammen waren, wurds eine gute Zeit.
Jetzt gibt es leider sehr viele Menschen, die befürchten,
dass mit und durch die Umstellung der D-Mark auf den
Euro diese gute Zeit getrübt und gestört wird. Ich meine,
diese Befürchtungen bestehen leider zu Recht. Es gibt
eine akute Angst vor Preiserhöhungen im Zuge der Euroumstellung.
({0})
Nach Umfragen betrifft das etwa 70 Prozent der Bevölke-
rung. Auch die Deutsche Bundesbank teilt diese Befürch-
tung.
Es gibt zwar eine Selbstverpflichtung des deutschen
Einzelhandels, in Vorbereitung der Euroumstellung im
zweiten Halbjahr keine Preiserhöhungen vorzunehmen.
Aber nach Untersuchungen von Verbraucherverbänden
steht dies leider nur auf dem Papier und nicht Realität.
Das Kölner Institut für angewandte Verbraucherfor-
schung e.V. untersuchte in diesem Sommer 1 000 Pro-
dukte und stellte eine durchschnittliche Preiserhöhung
von 4,4 Prozent fest. Dies erfolgte auf verschiedenen We-
gen, unter anderem auch durch die Veränderung der
Verpackungsgröße, obwohl das für die Herstellung relativ
aufwendig ist und dies letztendlich wieder beim Handel
ankommt. Ein spezifisch deutsches Problem sind dabei
die so genannten Signalpreise: 9,99 DM oder 8,88 DM. Es
stellt sich die Frage, wie diese Signalpreise aufrechterhal-
ten werden können, denn durch eine genaue Umrechnung
der D-Mark in den Euro lassen sich diese Signalpreise
nicht mehr erreichen. Man müsste dabei in größerem Um-
fang auf- oder abrunden. Vielleicht wäre die Euroumstel-
lung eine Gelegenheit für den Handel, seine antiquierten
Vorstellungen aufzugeben, die Menschen ließen sich
durch die Signalpreise leichter zum Kauf verführen.
Es gibt eine große Unsicherheit, ob nicht viele Pro-
dukte nach der Umstellung teurer werden. Ich habe die
Bundesregierung im Sommer gefragt, was sie zu unter-
nehmen gedenkt, um die Ängste und Befürchtungen der
Bevölkerung hinsichtlich der Euroumstellung abzubauen.
Die Bundesregierung antwortete mir am 17. September,
sie werde in enger Zusammenarbeit mit den Verbraucher-
verbänden die Umstellung für den Verbraucher so kosten-
günstig und transparent wie möglich gestalten. Die Skep-
sis in der Bevölkerung und die Furcht vor verdeckten
Preiserhöhungen und einem Wertverfall des Geldes wür-
den durch vertrauensbildende Maßnahmen abgebaut. Das
klingt fantastisch. Allerdings steht überhaupt nichts da-
hinter.
Unser Antrag zeigt Ihnen mit zwei Vorschlägen den
Weg auf, wie Sie tatsächlich vertrauensbildend tätig wer-
den können. Wir haben dabei insbesondere die Befürch-
tungen der Verbraucherverbände aufgegriffen. Ich
nehme ein Beispiel: Es ist bis heute nicht klar, bis zu wel-
cher Höhe die Bürgerinnen und Bürger bei einer Bank
oder Sparkasse kostenfrei Geld umtauschen können. Die
Commerzbank will einen handelsüblichen Betrag kosten-
frei umtauschen und stellt sich dabei eine Summe von
20 DM vor. Von anderen Banken ist überhaupt keine Zahl
zu erfahren. Für uns ist ein handelsüblicher Betrag sicher
das, was wir im Portemonnaie haben. Das ist bei uns even-
tuell etwas mehr als bei jemandem, der ein monatliches
Nettoeinkommen von 2 000 DM hat.
Es herrscht Unklarheit darüber, was mit dem weiteren
Bargeld geschieht. Wenn Sie heute bei der Sparkasse nach
einem Startpaket fragen, damit Sie die Euromünzen ken-
nen lernen können, so stellen Sie fest, dass pro Bürger nur
ein Paket ab 17. Dezember ausgegeben wird. Wenn Sie
nach zwei oder drei Paketen fragen: Fehlanzeige.
Vizepräsidentin Petra Bläss
1) Anlage 7
Ein weiteres Problem: Was ist mit den Menschen ohne
eigene Bankverbindung? Sie haben zwar Bargeld, aber
keine Bankverbindung. Nebenbei bemerkt: Diese Fälle
gibt es, obwohl seit 1995 die Selbstverpflichtung besteht,
allen Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit einer
Bankverbindung einzuräumen. Diese Selbstverpflichtung
wurde von der Kreditwirtschaft nicht eingehalten. Nach
Angaben der Bundesanstalt für Arbeit gibt es derzeit etwa
90 000 Empfänger von Arbeitslosengeld oder -hilfe und
70 000 Empfänger von Kindergeld ohne eigene Bankverbindung. Das heißt, es geht hier nicht nur um ein, zwei
oder drei Personen, sondern es geht um eine Vielzahl von
Menschen, die nicht die Möglichkeit haben, ihr Konto kostenlos umzustellen. Sie sind vielmehr auf den Umtausch
von Bargeld angewiesen. Hierzu gibt es bisher keine Aussage von der Kreditwirtschaft.
Eine andere Frage: Was ist mit den überflüssigen Geldbeständen - ein paar Franken, Lira oder Peseten -, die
man vielleicht im März, April oder Juni findet? Dieses
Geld können Sie umtauschen, aber nur bei den
Landeszentralbanken. Wenn Sie irgendwo auf dem Land
wohnen, wo der öffentliche Personennahverkehr schon
stark abgebaut worden ist, haben Sie Schwierigkeiten, zu
den Öffnungszeiten zu den Landeszentralbanken zu kommen, um Ihr Restgeld umtauschen zu können. Es ist noch
die Frage, ob der Umtausch kostenfrei geschieht oder ob
Gebühren erhoben werden.
Es ist auch nicht klar, ob ab dem 1. Januar 2002 trotz
der gemeinsamen Währung Gebühren erhoben werden,
wenn man als Ausländer in Paris oder in irgendeiner anderen Stadt im Euroraum mit der EC-Karte Geld zieht.
Es gibt also noch eine Vielzahl von Problemen. Wir
sind der Meinung, die Bundesregierung sollte von sich
aus aktiv werden und nicht nur einfach Werbekampagnen
initiieren, in denen auf freundliche Art mitgeteilt wird:
Der Euro kommt!
({1})
Wir haben Ihnen vorgeschlagen, beim Bundesfinanzministerium eine Hotline einzurichten, damit die Bürgerinnen und Bürger wenigstens eine Adresse haben, an die
sie sich wenden können, wenn ihnen Unregelmäßigkeiten
bei der Preisauszeichnung auffallen und sie das Gefühl
haben, dass in eklatanter Art und Weise gegen gesetzliche
Regelungen verstoßen wird. Dafür fehlt bisher eine Stelle.
Wir meinen, dass wir in unserem Antrag sehr konkret auf
die Befürchtungen der Bevölkerung eingegangen sind
und Ihnen aufgezeigt haben, wie Sie ohne großen Aufwand und ohne viel Geld handeln könnten. Sie müssen
einfach nur aktiv werden. In diesem Sinne werbe ich für
unseren Antrag und hoffe, dass wir ihn im Ausschuss zügig und erfolgreich behandeln werden.
Danke schön.
({2})