Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich danke Ihnen, Frau
Staatssekretärin.
Ich bitte darum, zunächst Fragen zu dem aufgeworfenen Themenkomplex zu stellen. Als erstem Fragesteller
erteile ich Herrn Kollegen Koppelin das Wort.
Frau Staatssekretärin, nachdem Sie FATF angesprochen haben, möchte ich Sie fragen:
Welche Vorstellung haben die Bundesregierung und die
G-7-Staaten hinsichtlich der Zusammenarbeit zur Bekämpfung der Geldwäsche mit bestimmten Staaten? Ich
nenne konkret Liechtenstein, weil es in diesem Zusammenhang in der Vergangenheit immer wieder Vorwürfe
und Hinweise auf Berichte - ich glaube, des Bundesnachrichtendienstes - gegeben hat. Ist eine Verbesserung der
Zusammenarbeit mit solchen Staaten vorgesehen, und
wenn ja, in welcher Form? In diesem Zusammenhang
wäre ich für konkrete Aussagen dankbar. Wie soll eine Zusammenarbeit mit Staaten, die von Geldwäsche betroffen
sind, insbesondere mit Liechtenstein, in Zukunft ablaufen?
Herr Kollege Koppelin,
Ihre Frage hat nicht unmittelbar mit der Bekämpfung terroristischer Finanzierungsstrukturen zu tun; jedenfalls
will ich einen solchen Vorwurf gegenüber Liechtenstein
nicht erheben, weil ich darüber keine speziellen Kenntnisse habe. Andererseits ist der Staat Liechtenstein durch
die FATF und die OECD als nicht kooperierender Staat
auf eine Liste gesetzt worden. Eine solche Maßnahme ist
bislang der größte Sanktionsmechanismus, den die FATF
hat. Das bedeutet natürlich, dass diejenigen Staaten, die
auf einen ordentlichen und sauberen Finanzmarkt Wert
legen, mit Staaten, die auf dieser Liste stehen, nicht kooperieren sollten.
Ich erteile Herrn Kollegen Koppelin das Wort zu einer Zusatzfrage.
Wie viele Verfahren hat es
in Deutschland gegeben, seitdem es den Tatbestand der
Geldwäsche gibt? Wie viele Verfahren davon sind inzwischen rechtskräftig abgeschlossen worden? In diesem
Zusammenhang will ich auch fragen, ob von der Bundesregierung eine Ausweitung des Vortatenkataloges, insbesondere im Hinblick auf leichtere und mittelschwere Fälle
der Steuerstrafdelikte, geplant ist.
Ich kann Ihnen leider aus
dem Kopf nicht beantworten, wie viele Verdachtsanzeigen hinsichtlich der Geldwäsche es gegeben hat. Ich will
Ihnen die Antwort zu dieser Frage ebenso wie zu dem
zweiten Teil Ihrer Frage, wie viele Verfahren abgeschlossen sind, gerne schriftlich nachreichen.
Sie wissen, dass ein Aufgriffstatbestand in der Einzahlung von mehr als 30 000 DM Bargeld liegt. Aus einem
solchen Umstand lässt sich aber natürlich nicht immer der
Vorwurf der Geldwäsche ableiten.
Die Bundesregierung beabsichtigt, die schwere - nicht
die leichte oder mittlere - Steuerhinterziehung als Verbrechen und nicht nur als Vergehen zu qualifizieren, was in
dem Strafrahmen zum Ausdruck kommt. Dies hätte damit
auch für Straftaten der Geldwäsche Auswirkungen in Bezug auf den Vortatenkatalog.
Als nächstem Fragesteller erteile ich dem Kollegen Michelbach das Wort.
Frau Staatssekretärin, es ist sicher richtig, dass die Terrorismusbekämpfung
eine neue Dimension erhalten muss. Für den Steuerzahler
in Deutschland stellt sich aber die Frage der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Wird nicht mit den Maßnahmen, die
Sie in Bezug auf das Bankgeheimnis vornehmen, gegen
den ehrlichen Steuerzahler quasi ein Generalverdacht
erhoben? Wird nicht die Vertrauensbasis zwischen dem
ehrlichen Steuerzahler und dem Staat zerstört, wenn eine
generelle Auflockerung des Bankgeheimnisses vorgenommen wird? Schon jetzt haben die Banken die Verpflichtung, verdächtige Einzahlungen zu melden. Wir haben doch bereits ein Geldwäschegesetz, das in diesen
Fällen verstärkt Anwendung finden sollte.
Herr Kollege Michelbach,
im Zusammenhang mit der Bekämpfung der finanziellen
Logistik von Terroristen ist nicht daran gedacht, das Bankgeheimnis zu lockern. Dies wird zwar in der Öffentlichkeit behauptet, ist allerdings nicht der Fall. Das heißt
nicht, dass die Bundesregierung nicht zu einem späteren
Zeitpunkt diesen Gedanken, also die Bekämpfung der
Steuerhinterziehung, möglicherweise aufgreifen wird.
Aber wenn sie es tun wird, dann wird sie es wegen der
Bekämpfung der Steuerhinterziehung und nicht wegen
der Bekämpfung des Terrorismus tun. Wir wollen diese
beiden Tatbestände nicht vermengen. Ich glaube, es liegt
auch nicht im Interesse des Steuerbürgers, in einem Atemzug mit Terroristen genannt zu werden, wie Sie es in Ihrer
Frage getan haben. Ich würde mir das als Steuerbürger
verbeten haben.
Die Bundesregierung plant also nicht, das Bankgeheimnis in diesem Zusammenhang aufzuweichen. Sie plant
allerdings - dies steht auch im Einklang mit dem Aktionsplan, der am vergangenen Wochenende von den Finanzministern der G-7-Staaten beschlossen worden ist -, eine so
genannte Kontenevidenzzentrale beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen einzurichten. Diese Kontenevidenzzentrale soll Namen und Geburtsdaten der Kontoinhaber sowie das Datum, wann ein Konto eingerichtet
worden ist, speichern. Es sollen weder Kontostände noch
Kontobewegungen erfasst werden.
Die Einrichtung einer solchen Zentrale ist deshalb notwendig, weil in der Bundesrepublik Deutschland rund
2 900 Kreditinstitute existieren. Wenn man den Verdacht
hat, dass jemand Finanzströme im terroristischen Sinne bewegt hat, dann ist es schlechterdings unmöglich, 2 900 Kreditinstitute in der Bundesrepublik Deutschland abzufragen. Das haben wir erfahren, als die Europäische Union
im vergangenen Jahr - in diesem Jahr hat sie es erneut
versucht - Implementierungen im europäischen Recht
aufgrund der von mir eben genannten Resolutionen der
Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus
vorgenommen hat. Es hat monatelang gedauert, bis die
Namen der Verdächtigen, die in den UNO-Resolutionen
aufgelistet waren, und deren Konten in der Bundesrepublik Deutschland identifiziert werden konnten. Das lag
daran, weil bisher kein automatischer Abgleich der Namen von Verdächtigen mit denen der Kontoinhaber möglich war. Es geht also nicht um Kontobewegungen und
auch nicht um die Höhe der Konten. Es geht tatsächlich
nur um eine zentrale Registrierung der Namen der Kontoinhaber.
Herr Kollege
Michelbach, bitte, eine Nachfrage.
Frau Staatssekretärin,
verstehe ich Sie richtig, dass Sie dem Herrn Bundeskanzler
widersprechen, der in seiner Regierungserklärung vor
14 Tagen deutlich gemacht hat, dass er wegen der Terrorismusbekämpfung eine Lockerung des Bankgeheimnisses als notwendig erachte? Entstehen dadurch - dazu zählen
auch die nivellierenden Maßnahmen, die Sie hier angesprochen haben - nicht der gläserne Bürger und Steuerzahler?
Herr Kollege Michelbach,
der Bundeskanzler hat sowohl im deutschen Parlament als
auch gegenüber der Öffentlichkeit erklärt, man werde im
Hinblick auf die Bekämpfung terroristischer Aktivitäten
prüfen müssen, ob das Bankgeheimnis gelockert werden
muss. Nach unserem bisherigen Stand der Überprüfung
ist es nicht wirklich notwendig, an § 30 a der Abgabenordnung, also an das so genannte Bankgeheimnis, heranzugehen, wenn es uns denn gelingt, die Maßnahmen, die
wir Ihnen im Rahmen der Erörterungen des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes vorschlagen werden, umzusetzen. Dazu gehört die von mir eben erwähnte Kontenevidenzzentrale, die, wie gesagt, nur Namen und Geburtsdaten der Kontoinhaber, nicht aber die Höhe der
Konten und Kontobewegungen erfasst. Ich glaube deswegen, dass die Behauptung, es werde hier der gläserne Bürger geschaffen, nicht korrekt ist.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass Sie den
ganz normalen Steuerzahler in einem Atemzug mit Terroristen nennen. Auch ich bin Steuerzahlerin und verwahre
mich dagegen. Ich habe allerdings nichts dagegen, dass
das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen erfährt, dass
ich Kontoinhaberin bin, was zum Beispiel viele andere
Menschen und Institutionen auch wissen können. Allein
aufgrund der Anzahl der Einzugsermächtigungen und der
Überweisungen, die man in seinem Leben tätigt, ist sehr
vielen Institutionen in der Bundesrepublik Deutschland
klar, dass ich eine Kontoinhaberin bin. So geht Ihnen das
wahrscheinlich auch. Mit der Einrichtung einer Kontenevidenzzentrale wird also nicht der gläserne Bürger geschaffen.
Das, was im Bereich der inneren Sicherheit umgesetzt
werden soll - zum Beispiel ist einvernehmlich beschlossen worden, eine Rasterfahndung nach Typologien in allen Ländern durchzuführen -, darf an den Finanzströmen
nicht Halt machen. Die G-7-Staaten haben vorgeschlagen
- diesen Vorschlag werden wir bei der Erörterung des
Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes aufgreifen -,
dass die Kreditinstitute verpflichtet werden sollen, selber
anhand von Typologien festzustellen, ob es ungewöhnliche Kontobewegungen gegeben hat und ob Verdachtsmomente vorliegen. Aber das soll in den Instituten selber geschehen. Dann erfolgt die Abgabe der Verdachtsmeldung.
Das ist letztlich nichts anderes als eine Rasterfahndung,
nämlich eine typologisierende Fahndung auf besondere
Ereignisse und besondere Bewegungen hin. Aber dies geschieht in den Bankinstituten selbst, nicht bei einer öffentlichen Stelle.
Diese Erkenntnisse sollen dann - insofern ist das eine
an sich schlüssige Konzeption - an die beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen einzurichtende zentrale
Stelle für - ich nenne es einmal so - Vorermittlungsverfahren weitergegeben werden, die im angelsächsischen
Sprachgebrauch Financial Intelligence Units heißt. Sie
soll dann den tatsächlichen Sachgehalt des Vorverdachts
prüfen und dies erst dann an die Staatsanwaltschaften
weitergeben, sodass auch erst dann ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren erfolgt. Durch die Zwischenschaltung dieser zentralen Stelle wird also letztlich ein weiterer Schutz der ehrlichen Bürger eingebaut.
Wenn nämlich mit dem interdisziplinären Sachverstand
der Zentralstelle zur Ermittlung dieser Sachverhalte festgestellt wird, dass dies ein Aufgriff war, der nicht zur Besorgnis Anlass gibt, dann wird auch kein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren in die Wege geleitet.
Jetzt ist der Kollege
Spiller mit seiner Frage an der Reihe.
Frau Staatssekretärin, sind
Sie in der Lage, uns mitzuteilen, in welcher Größenordnung etwa in den USA Guthaben auf Konten gesperrt
worden sind, die wahrscheinlich mutmaßlichen Terroristen zugeordnet werden können?
Teilen Sie meine Auffassung, dass in den USA doch offensichtlich erheblich größere Möglichkeiten für Kontrollmaßnahmen bestehen als in Deutschland oder in der
EU insgesamt, ohne dass deswegen die Attraktivität des
amerikanischen Finanzmarktes an irgendeiner Stelle infrage gestellt würde, und teilen Sie auch meine Auffassung, dass die - wie ich vermute - ganz überwiegende
Mehrheit der Bürger in Deutschland Verständnis dafür
hat, dass auch mit Mitteln des Staates die Finanzströme,
die für terroristische Zwecke genutzt werden können,
kontrolliert werden?
Herr Kollege Spiller, ich
bin der Auffassung, dass Sie mit Ihrer letztgenannten Einschätzung völlig Recht haben.
({0})
Ich glaube nämlich, dass sich die Bürger der Bundesrepublik Deutschland von den Maßnahmen, die die Bundesregierung in diesem Bereich vorsieht, nicht beschwert
fühlen, sondern dass sie sich angesichts der vorgesehenen
Maßnahmen im Sicherheitsbereich, im Bereich der inneren Sicherheit, dem Bereich der äußeren Sicherheit und
im Bereich der Sicherheit der Finanzmärkte - auch das ist
ja ein Sicherheitsaspekt -, bei der Bundesregierung gut
aufgehoben und eben nicht in ihren persönlichen Freiheitsrechten eingeschränkt fühlen. Das sollten wir uns alle
vergegenwärtigen.
({1})
Die Bundesregierung hat mitgeteilt, dass seit dem
11. September rund 100 Millionen Dollar eingefroren
worden sind. Der größte Teil ist allerdings in Großbritannien eingefroren worden, nämlich 90 Millionen Dollar. In
den USA betrug der Anteil 6 Millionen Dollar und in
Deutschland 4 Millionen Dollar - bei uns übrigens auf
214 Konten.
Ihre Einschätzung, dass dies den Finanzmarkt nicht
einschränkt, gilt natürlich für Großbritannien in gleicher
Weise. Wenn ich eine Qualifizierung der weltweiten
Finanzmärkte vornehmen wollte, dann würde ich sagen,
dass an erster Stelle sicherlich die Vereinigten Staaten stehen, an zweiter Stelle Großbritannien und an dritter Stelle
die Bundesrepublik Deutschland. Großbritannien hat es
nicht geschadet, einen doch relativ umfangreichen Anteil
von verdächtigen Geldern, wie ich es einmal untechnisch ausdrücken will, einzufrieren.
In den EU-Staaten beruht dieses Einfrieren von Geldern auf dem Vollzug der EU-Verordnungen, die ich eben
schon angesprochen hatte, die aufgrund der UN-Resolutionen des vergangenen Jahres ergangen sind. Diese Gelder werden bei uns nach dem Außenwirtschaftsgesetz von
den Landeszentralbanken sichergestellt; die Ressortzuständigkeit liegt in der Bundesregierung beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie.
Jetzt ist die Kollegin
Hasselfeldt mit ihrer Frage an der Reihe.
Frau Staatssekretärin, Sie sprachen die neu zu errichtende so genannte Kontenevidenzzentrale an. Was geschieht mit den dort gesammelten Daten? Ist geplant, dies auf eine Art elektronische
Rasterfahndung ohne Anfangsverdacht auszuweiten?
Nein, Frau Kollegin. Sie
müssen zwei Bereiche unterscheiden. Zum einen geht es
um die Erlassung des Tatbestandes, dass ein Mensch ein
Kontoinhaber ist. Dies soll bei einer öffentlichen Stelle
geschehen, nämlich bei der so genannten Kontenevidenzzentrale beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen.
Ich habe es bereits geschildert: Es geht dabei nicht um
Kontobewegungen. Das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen weiß nicht einmal, welchen Umfang das Konto
hat. Ausschließlich die Daten Name und Geburtsdatum
des Kunden sowie Datum der Einrichtung des Kontos
sollen gesammelt werden, um bei Verdachtsfällen, die
sich auf Namen beziehen, schnell ermitteln zu können, an
welchem der 2 900 Bankinstitute der Bundesrepublik
Deutschland das Konto geführt wird.
Hat man einen konkreten Anfangsverdacht, darf man
auch schon nach dem Gesetz zur Bekämpfung der Geldwäsche von 1996 sozusagen in das Konto eindringen.
Dazu muss man aber eben wissen, bei welchem Institut
das Konto geführt wird. Wie heißt dieses Sprichwort
noch? Es heißt - ich weiß nicht genau, ob ich das jetzt
richtig sage -: Die Preußen hängen niemanden, es sei
denn, sie hätten ihn. - Man muss also zunächst wissen, wo
das Konto geführt wird; erst dann kann man sich inhaltlich mit dem Konto beschäftigen. Deswegen geht es darum, ermitteln zu können, wo das Konto geführt wird.
Der zweite Teil, den wir im Vierten Finanzmarktförderungsgesetz vorgesehen haben - übrigens schon vor den
Anschlägen in den Vereinigten Staaten; diesen Punkt, haben wir unabhängig davon zur Bekämpfung der Geldwäsche für notwendig gehalten; er war schon im ersten Referentenentwurf vom Sommer dieses Jahres enthalten -,
ist sozusagen die Aufforderung an die Banken, mithilfe
EDV-gestützter Systeme Typologien von ungewöhnlichen Kontenbewegungen herauszufinden. Dies soll in den
Instituten selbst geschehen, nicht durch staatliche Aufsicht, nicht durch staatliche Eingriffsmöglichkeiten. Informationen über Kontenbewegungen mit einem gewissen Anfangsverdacht sollen dann zur Überprüfung durch
staatliche Stellen weitergegeben werden. Die Banken begrüßen das übrigens, weil sie natürlich nicht unbeabsichtigt bei der Geldwäsche mitarbeiten wollen.
Jetzt ist der Kollege
Meyer mit seiner Frage an der Reihe. - Bitte.
Frau Staatssekretärin, könnten Sie die Bedenken des Kollegen Koppelin, bei
der Geldwäsche sollten Steuerhinterziehungen geringen
und mittleren Umfangs als Vortaten angesehen werden,
dadurch zerstreuen, dass Sie etwas präzisieren, was in den
Planungen der Bundesregierung und der SPD-Fraktion
unter schwerer Steuerhinterziehung verstanden werden
soll, nämlich nicht einfach das, was in § 370 Abs. 3 der
Abgabenordnung geregelt ist, sondern das, was ein neuer
Paragraph der Abgabenordnung regelt, der die gewerbsmäßige und bandenmäßige Steuerhinterziehung betrifft,
sodass klar ist, um welche Vortaten im Bereich schwerer
Steuerhinterziehung, und zwar keineswegs geringen Gewichts, es sich handelt?
Herr Kollege Meyer, wenn
der Kollege Koppelin Ihnen zugehört hätte, dann hätten
schon Sie all seine Befürchtungen zerstreuen können.
({0})
War es das schon? Dann ist die Kollegin Gudrun Kopp mit ihrer Frage an der
Reihe.
Frau Staatssekretärin, ich registriere in der Bevölkerung eher eine große Skepsis gegenüber all dem, was jetzt geplant wird. Ich möchte diese
Skepsis aufnehmen und frage Sie: Wie sieht es bei all den
Verdachtsanzeigen, die die Banken bisher weitergegeben
haben, bei all dem, was bereits vorliegt, mit dem von mir
vermuteten Vollzugsdefizit aus? Das heißt: Wie sind die
entsprechenden Strafverfolgungsbehörden und die anderen Stellen überhaupt personell bestückt, um all diese Anzeigen bearbeiten zu können? Es geht mir darum, dass
nicht Aktionismus betrieben wird und unter dem Strich
nichts weiter herauskommt.
Frau Kollegin, diese Befürchtung kann ich durchaus teilen. Dem steuern wir jetzt
auch entgegen.
Bisher ist es so: Die Banken leiten die Verdachtsanzeigen an die Landeskriminalämter. Die Landeskriminalämter können ihre Informationen an das Bundeskriminalamt
weitergeben, sie müssen dies aber nicht tun. Zwar geschieht das bisher meist; es ist jedoch nicht geregelt.
In der Tat gibt es beim Bundeskriminalamt bis jetzt keinen ausreichenden interdisziplinären Sachverstand, um
eine entsprechende Verdachtsanzeige einer Vorprüfung zu
unterziehen. Genau dem wollen wir entgehen: Wir wollen
in Form einer Zentralstelle zur Meldung auffälliger
Finanzströme - im angelsächsischen Bereich spricht man
von Financial Intelligence Units - eine interdisziplinäre
Institution einrichten, die, einfach ausgedrückt, die Spreu
vom Weizen trennen kann und die - angereichert mit interdisziplinärem Wissen - die wahrscheinlich zur Untersuchung anstehenden Fälle an die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsbehörden weiterreicht.
Bis jetzt ist es so: Eine Vielzahl von Verdachtsanzeigen
geht bei den Polizeibehörden des Bundes und der Länder
ein. Der normale Verfahrensweg sieht die Abgabe der
Fälle an die Staatsanwaltschaften vor. Da die Staatsanwaltschaften bisher von einer Vielzahl von Verdachtsanzeigen überschüttet wurden, wurde es ihnen erschwert,
jede einzelne Verdachtsanzeige mit fundiertem Sachverstand zu überprüfen.
Diese Zentralstelle soll beim Bundesaufsichtsamt für
das Kreditwesen eingerichtet werden. Dazu sind nicht nur
Absprachen zwischen Bund und Ländern nötig, sondern
es müsste auch Änderungen der Polizeigesetze des Bundes und der Länder im Hinblick auf die Weitergabe von
Verdachtsanzeigen geben. Selbstverständlich müssen entsprechende Fälle an die Staatsanwaltschaften der Länder
zurückgegeben werden. Diese Zentralstelle soll eine Art
Filter sein, durch den der Wust von Verdachtsanzeigen
vorsortiert wird, sodass diejenigen Fälle, von denen man
annehmen kann, dass sie einer staatsanwaltschaftlichen
Ermittlung bedürfen, und bei denen, was eine Verurteilung angeht, Aussicht auf Erfolg besteht, an die Staatsanwaltschaften abgegeben werden.
Eine kurze Nachfrage
der Kollegin Kopp.
Ich habe eine Nachfrage zur
Kontenevidenzzentrale; es geht um die Skepsis der Bürger. Wie wollen Sie dem entgegenwirken, dass es einen
Bürger allein aufgrund der Tatsache, dass er ein Konto bei
einer Bank hat, in irgendeiner Weise verdächtig werden
lässt - schon die bestehenden Planungen legen diese
Sorge nahe - und dass er fürchten muss, dass nicht nur
sein Name und sein Geburtsdatum, sondern auch Kontostände und Kontobewegungen zum Informationsfluss
gehören, also weitergegeben werden? Wie wollen Sie
nach außen und natürlich auch nach innen sicherstellen,
dass eine solche Entwicklung nicht eintritt?
Dass das nicht geschieht,
werden wir im Gesetz regeln. Gegenstand der Arbeit dieser
Zentralstelle sollen nicht Kontenhöhe bzw. Kontenbewegungen sein, sondern nur der Tatbestand, dass ein Bürger
ein Konto hat. In der heutigen Zeit ist es selbstverständlich,
dass ein Bürger ein Konto hat. Da Rentenzahlungen seit
Jahren nur noch unbar erfolgen, haben eigentlich alle
Kreise der Bevölkerung - ich denke auch an die nicht
mehr aktiven Menschen - Girokonten, genauso wie jeder
einen Ausweis, also ein Identifikationsdokument, besitzt.
Wer lebt, der hat auch ein Konto.
Mir liegen noch vier
Wortmeldungen vor und wir haben noch sieben Minuten
Zeit für die Regierungsbefragung. Es wäre schön, wenn
alle Fragen noch gestellt werden könnten; deshalb bitte
ich bei Fragestellung und Antwort um Kürze.
Jetzt hat der Kollege Fromme das Wort, bitte.
Dr. Jürgen Meyer ({0})
Frau Staatssekretärin, Sie haben sich in Ihrer Antwort auf die Nachfrage
zum Bankgeheimnis sehr stark auf § 30 a der Abgabenordnung beschränkt. Planen Sie an irgendeiner anderen Stelle
indirekt eine Einschränkung des Bankgeheimnisses?
Nach meiner festen Erinnerung - ich könnte mich täuschen - ist das so genannte
Bankgeheimnis ausschließlich in § 30 a der Abgabenordnung geregelt.
({0})
- Man müsste schon sehr um die Ecke denken, wenn man
einen bestehenden Paragraphen durch einen neuen Paragraphen aufheben will. Das kann ich mir eigentlich nicht
vorstellen.
Eine Nachfrage, Herr
Kollege Fromme.
Womit begründet die Bundesregierung ihren Meinungswechsel im
Hinblick auf das in der Vergangenheit bewährte Instrument der Rasterfahndung? Bisher haben Sie das konsequent abgelehnt.
Die Bundesregierung hat
das Instrument der Rasterfahndung nicht abgelehnt. Dies
ist eine Maßnahme, die die Landespolizeien nach ihrem
Ermessen anwenden können.
({0})
Jetzt ist die Kollegin
Ulla Lötzer mit ihrer Frage an der Reihe.
Frau Staatssekretärin, ich möchte
Sie zu einem anderen Aspekt der Bekämpfung des Terrorismus fragen: Alle Fraktionen, auch die Bundesregierung,
sagen ja immer, dass dabei langfristig die Umgestaltung der
Weltwirtschaft unter Berücksichtigung der sozialen Dimension eine entscheidende Rolle spielt. Jetzt kommt den
Offshorezentren bei Steuerflucht und Steuerdumping ja
eine herausragende Rolle zu. Die OECD hat sich damit in
ihrem letzten Bericht eingehend beschäftigt. Allein den
Entwicklungsländern sollen jährlich 50 Milliarden Dollar
an Steuern durch Steuerflucht und Steuerhinterziehung entgehen. Ist jetzt geplant, in Richtung Bekämpfung von
Steuerdumping und Steuerflucht in Offshorezentren
schnell ernsthafte weitere Schritte zu unternehmen?
Ja, Frau Kollegin, das ist
auch Gegenstand der Regelungen, die die G-7-Finanzminister am vergangenen Wochenende beschlossen haben.
Die G-7-Finanzminister sind sich nämlich einig, dass
wirksame Aufsichtsstrukturen dazu beitragen, Finanzsysteme gegen die missbräuchliche Nutzung durch Terroristen oder vor Geldwäscheaktivitäten zu schützen.
Deshalb ist es von großer Bedeutung, Defizite in den Aufsichtssystemen und bei der Praxis der Zusammenarbeit
auch in Bezug auf Offshorefinanzzentren zügig zu beseitigen und die entsprechenden Empfehlungen des Forums
für Finanzstabilität umzusetzen. Um den Druck auf diese
Zentren aufrechtzuerhalten, soll der Internationale Währungsfonds mit dem Forum für Finanzstabilität in seiner
nächsten Sitzung im März 2002 darüber beraten, wie die
Umsetzung seiner Empfehlungen durch Nennung von
Offshorefinanzzentren in öffentlichen Erklärungen weiter
gefördert werden kann.
Jetzt hat der Kollege
Meyer Gelegenheit zu einer zweiten Frage, dann kommt
die Kollegin Wülfing. Damit schließe ich die Liste ab.
Frau Staatssekretärin,
ist bei der Entwicklung von Typologien für die Finanzströme des Terrorismus daran gedacht, der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Terroristen nicht selten durch organisierte Kriminalität finanziert werden, also durch
Drogenhandel, illegalen Waffenhandel oder Frauenhandel?
Ist daran gedacht, den Banken entsprechende Informationen
zur Verfügung zu stellen, damit sie wachsam sein können?
Herr Kollege, die Erarbeitung dieser Typologien wird, wie ich denke, durch den
Baseler Ausschuss für Finanzmarktaufsicht vorangetrieben werden. Dort werden auch die Erkenntnisse der Ermittlungsbehörden der jeweiligen Nationalstaaten einfließen. Es kann ja nicht sinnvoll sein, eine Typologie zur
Grundlage der Ermittlung zu machen, wenn man nicht
weiß, wonach man suchen soll. Diese Typologien müssen
auch entsprechend angepasst werden.
Die Banken können das selbstverständlich nur EDVunterstützt machen. Deswegen werden die Erkenntnisse
der Ermittlungsbehörden sicherlich in die Erstellung solcher Typologien bzw. zur Erstellung entsprechender
EDV-Programme einfließen. Damit werden diejenigen
heraussortiert, die als Verdächtige in Betracht kommen
können, selbstverständlich nicht kommen müssen. Wenn
sich die Strukturen der organisierten Kriminalität ändern,
muss natürlich auch bei solchen EDV-Programmen darauf Rücksicht genommen werden.
Im Einzelnen kann man im Vorhinein nicht sagen, welche Kriterien tatsächlich in diese Typologien Eingang finden werden, denn damit würde man diejenigen, die man
verdächtigt, dazu ermuntern, ihr Verhalten zu ändern, damit sie nicht erwischt werden.
Eine Ergänzungsfrage, die mit Ja oder Nein beantwortet werden kann: Ist
der Bundesregierung bekannt, ob das Millionenvermögen
des Bruders von Osama Bin Laden, das von der Deutschen Bank verwaltet worden sein soll, eingefroren worden ist? Ja oder Nein?
Es tut mir Leid, das kann
ich nicht beantworten, weil ich es nicht weiß. Ich weiß
auch nicht, ob ich es beantworten dürfte, wenn ich es denn
wüsste. Die Zuständigkeit liegt jedenfalls beim Bundeswirtschaftsminister, der hier im Moment leider nicht vertreten ist. Ich werde den Bundeswirtschaftsminister bitten, die Antwort auf Ihre Frage nachzureichen, sofern
dieses unter dem Gesichtspunkt der Geheimhaltung möglich ist.
Jetzt kommt die letzte
Frage. Frau Wülfing, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich
habe noch einmal eine Frage zu dem Thema Kontenscreening und Kontenbewegungen. Sie wollen also bei den
Konten Namen, Kontonummer, Einrichtungsdatum usw.
registrieren und bei der Kontenevidenzzentrale screenen.
Nein, dort nicht screenen,
sondern nur diese Daten sammeln. Sonst nichts.
Gut. - Sie haben von auffälligen Kontenbewegungen gesprochen. Sollen das die
Banken selber feststellen?
Richtig.
Wie bekommen Sie die
Banken dazu, dass sie mit Ihnen zusammenarbeiten? Wollen Sie das in Deutschland gesetzlich regeln oder hoffen
Sie auf deren Mitarbeit?
Wir wollen das gesetzlich
regeln, und zwar - ich habe vorhin schon darauf hingewiesen - im Vierten Finanzmarktförderungsgesetz.
Genau diesen Punkt hatten wir - unabhängig von den
terroristischen Anschlägen in den Vereinigten Staaten schon in unserem ersten Referentenentwurf des Finanzmarktförderungsgesetzes, den wir im Sommer
veröffentlicht haben, vorgesehen. Das Bundeskabinett
wird den Entwurf dieses Gesetzes Anfang November beschließen.
Der von Ihnen angesprochene Punkt - Kontenscreening, das Abklopfen auf Verdachtsmomente bei den Banken selbst - war schon Gegenstand unseres Entwurfs, und
zwar damals mit dem Ziel der Bekämpfung der Geldwäsche. Er bekommt jetzt eine besondere Aktualität. Wegen
der Bekämpfung der terroristischen Finanzströme werden
wir die beiden anderen Punkte, auf der einen Seite die
Kontenevidenzzentrale ohne Kontobewegung und auf der
anderen Seite die interdisziplinäre Einheit zur Vorprüfung
von Verdachtsanzeigen, in den Entwurf des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes aufnehmen. Das sind zwei
neue Maßnahmen.
Die von Ihnen angesprochene Maßnahme hatten wir
wegen der Bekämpfung der Geldwäsche ohnehin vor;
sie wird Gegenstand des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes sein, mit dem wir größere Institute - die
Abgrenzung kann ich jetzt nicht genau vornehmen - verpflichten, das umzusetzen. Ich sage noch einmal: Es gibt
bereits Banken, die das machen, weil es schon EDV-Programme gibt, mit denen man diesbezüglich arbeiten kann.
Die Banken - sie sind mit diesem Gesetzesvorschlag einverstanden - machen das bisher auf freiwilliger Basis. Sie
bekommen bei der Erarbeitung dieser EDV-Programme
Hilfestellung durch die öffentliche Hand und sie wenden
sie in eigener Verantwortung an.
Der Bundesverband deutscher Banken hat sich mit
dem Vorschlag einverstanden erklärt, weil unsere Banken
ein ordentliches und gesetzmäßiges Finanzmarktsystem
in der Bundesrepublik Deutschland natürlich, ebenso wie
wir alle, für überaus wichtig halten.
Das hat mit dem Bankgeheimnis also nichts zu tun?
Nein.
Ich beende die Regierungsbefragung. Da die Antworten sehr umfassend waren, gehe ich davon aus, dass es keine weiteren Fragen an
die Bundesregierung gibt. Die Zeit ist ohnehin vorbei.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 14/7032 Die Frage 1 der Kollegin Kopp zum Geschäftsbereich
des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gerd Andres zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Helmut
Heiderich auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, das Arbeitszeitgesetz so zu
verändern, dass den stärker werdenden Notwendigkeiten der Unternehmen nach flexibler Gestaltung des Arbeitseinsatzes infolge
der immer weiteren Ausdehnung des Just-in-time-Produktionsverfahrens der Industrie und insbesondere ihrer Zulieferbetriebe
auch an Wochenenden und Feiertagen unbürokratischer und kostengünstiger entsprochen werden kann?
Herr Abgeordneter
Heiderich, eigentlich könnte ich Ihre Frage mit einem
Dr. Jürgen Meyer ({0})
ganz schlichten Nein beantworten. Das haben Sie erwartet. Da Sie dann aber wahrscheinlich nachfragen würden,
warum, wieso und weshalb, habe ich die Antwort etwas
umfangreicher gestaltet, um es zu erläutern.
Die Antwort lautet also: Das Arbeitszeitgesetz eröffnet
für die Gestaltung der Arbeitszeit einen weiten Rahmen,
der einen flexiblen Einsatz der Arbeitnehmer in den modernen Produktionssystemen erlaubt. Nach dem Arbeitszeitgesetz ist eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von
bis zu 48 Stunden möglich, die vorübergehend bis auf
60 Stunden verlängert werden kann, wenn ein entsprechender Arbeitszeitausgleich innerhalb eines halben Jahres gewährleistet ist.
Weitere Flexibilisierungen können auf tarifvertraglicher Grundlage erfolgen. Sonn- und Feiertagsarbeit lässt
das Arbeitzeitgesetz im Ausnahmefall zu, wenn einer der
im Gesetz aufgeführten Ausnahmetatbestände vorliegt.
Über diesen Rahmen hinaus können die Aufsichtsbehörden der Länder im Einzelfall längere tägliche Arbeitzeiten
und Arbeiten an Sonn- und Feiertagen zulassen.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass mit diesem
gesetzlichen Instrumentarium die Möglichkeit besteht,
auch bei Just-in-time-Produktionsverfahren flexibel zu
handeln.
Regelungen zur Arbeit an Sonn- und Feiertagen haben
die verfassungsrechtlich geschützte Sonn- und Feiertagsruhe zu beachten, nach der diese Tage grundsätzlich der
Arbeitsruhe und seelischen Erhebung dienen. Daher muss
bei Anträgen auf Ausnahmegenehmigungen für Sonnund Feiertagsarbeit stets geprüft werden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, insbesondere ob die betreffenden Arbeiten nicht auch an Werktagen erledigt werden können.
Das von Ihnen offenbar kritisierte Verfahren dient der
Aufrechterhaltung des Schutzes der Sonn- und Feiertagsruhe. Eine Abschaffung des Verfahrens würde sich ebenso
wie eine gesetzliche Ausweitung der an Sonn- und Feiertagen ausnahmsweise zulässigen Tätigkeiten zulasten der
Sonn- und Feiertagsruhe auswirken. Beides plant die
Bundesregierung nicht: weder eine Veränderung des Verfahrens noch eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes.
Jetzt gibt es offensichtlich trotzdem eine Nachfrage. Bitte, Herr Kollege
Heiderich.
Herr Staatssekretär
Andres, nachdem Sie eine mögliche Nachfrage schon vorhergesehen und in Ihrer Antwort berücksichtigt haben,
frage ich Sie noch, ob von Verbänden oder Unternehmen
oder von anderer Seite Anträge an die Bundesregierung
gestellt wurden, das Arbeitszeitgesetz in entsprechender
Weise zu verändern.
Solche Anträge sind mir
persönlich nicht bekannt, was natürlich nicht ausschließt,
dass sie unserem Hause vorliegen. Ich werde mich danach
erkundigen und Ihnen persönlich Bescheid geben. Ich
habe das Verfahren geschildert, das vielfältige Möglichkeiten einer flexiblen Handhabung vorsieht. Wie gesagt,
ist mir über Anträge nichts bekannt; wir setzen uns aber
darüber noch einmal ins Benehmen.
Darf ich noch eine
zweite Frage stellen?
Ja, bitte.
Sie haben eben die
Ausnahmegenehmigungen angesprochen. Sieht es die
Bundesregierung als richtig an, dass die Gebühren für solche Ausnahmegenehmigungen nach dem Zeitrahmen und
der Anzahl der Beschäftigten festgesetzt werden? Das
heißt, je größer die Zahl der Beschäftigten und der beantragte Zeitrahmen sind, desto höher wird die Gebühr für
eine solche Ausnahmegenehmigung.
Wir halten das für richtig, ja.
Danke.
Auch die Frage 3 zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend wird schriftlich beantwortet. Daher rufe ich nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit auf. Zur Beantwortung steht
Frau Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun SchaichWalch zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 4 des Abgeordneten Dr. Ilja
Seifert:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die entsprechend § 20 Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ({0})
von den Krankenkassen zum 1. Januar 2001 in ihre Haushalte eingestellten Mittel für die Förderung der Selbsthilfe im Jahre 2001
({1})
vor?
Herr Kollege
Dr. Seifert, die Haushaltspläne der gesetzlichen Krankenkassen und die darin vorgesehenen Ansätze für die Förderung der Selbsthilfe liegen der Bundesregierung nicht vor.
Eine erste Nachfrage,
bitte, Herr Kollege Seifert.
Frau Staatssekretärin, es ist Ihnen so gut wie mir bekannt, dass im ersten Jahr der Gültigkeit des § 20 Abs. 4 SGB V, in dem es um die Förderung der Selbsthilfe geht, höchstens ein Fünftel der
Summe ausgegeben wurde, die gesetzlich vorgeschrieben
ist. Insofern müsste es auch im Interesse des Ministeriums
sein, zu wissen, ob und in welcher Höhe die einzelnen
Kassen - es gibt ja so viele - die entsprechenden Mittel
in ihren Haushaltsplänen vorsehen, damit sie abgerufen
und sinnvoll eingesetzt werden können. Welchen Weg
wird die Bundesregierung gehen, um zumindest einen
Überblick darüber zu erhalten, ob den gesetzlichen Vorgaben Genüge getan wird?
Die Bundesregierung hat natürlich zur Kenntnis nehmen müssen, dass das,
was in § 20 Abs. 4 vorgesehen ist, von den Krankenkassen nicht in der gewünschten Art und Weise umgesetzt
wurde. Das geht auch aus einem Bericht hervor, den wir
dem Gesundheitsausschuss vorgelegt haben. Wegen dieser Problemlage habe ich die Spitzenverbände der Krankenkassen und die Vertreter der Selbsthilfeorganisationen
am 19. Juni zu einem Gespräch über die gegenwärtig vorhandenen Förderhindernisse eingeladen. Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben zugesichert, dass sie im
Dialog mit den Verbänden, die die Selbsthilfeorganisationen vertreten, zu Problemlösungen kommen wollen. Aus
Anlass dieses Gespräches hat im Juli dieses Jahres ein
Workshop stattgefunden.
Derzeit werden neue, ergänzende Empfehlungen erarbeitet, die die Förderhindernisse besonders im Bereich
der Antragstellung beheben sollen. Weil wir mit diesen
Ergebnissen noch nicht ganz zufrieden sind, haben wir
dieses Thema auf die Tagesordnung der 59. Arbeitstagung
der Aufsichtsbehörden der Sozialversicherungsträger am
3. Mai gesetzt.
Das sind die Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen. Wir können uns aber nicht die Haushaltspläne vorlegen lassen.
Kollege Seifert hat
noch eine zweite Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, es ist mir
natürlich bewusst, dass es auch auf der Seite der Antragsteller Probleme gibt. Meine Frage zielte darauf ab, dass
zumindest begründete Vermutungen dahin gehend bestehen, dass bei etlichen Krankenkassen die entsprechenden
Mittel gar nicht eingestellt worden sind und demzufolge
auch nicht abgerufen und nicht ausgereicht werden können. Es war der Zweck meiner Frage, zu diesem Problem
etwas zu erfahren.
Sie sagen jetzt, dass die Einstellung dieser Mittel von
Ihnen nicht eruiert werden kann. Es ist doch aber Aufgabe
der Exekutive, das Gesetz durchzusetzen. Wenn das mit
freundlichen Fragen nicht erreicht werden kann, muss es
doch irgendwelche Möglichkeiten geben, zu erfahren, ob
und wie die Kassen ihrer Verpflichtung nachkommen. In
diesem Fall geht es mir um die Verpflichtung der Kassen.
Welche Wege können Sie einschlagen? Sie sprachen
vom 3. Mai. Bezog sich das auf das kommende Jahr?
Nein. Die Tagung findet
vom 3. bis 5. November im Jahr 2001 statt. Dabei treffen
sich die Aufsichtsbehörden der Sozialversicherungsträger.
Sie wissen, dass das sehr unterschiedlich geregelt ist.
Für die Allgemeinen Ortskrankenkassen gibt es eine Landesaufsicht, für die anderen Kassen gibt es eine Bundesaufsicht. Wir haben dieses Thema auf die Tagesordnung
setzen lassen. Das ist unsere einzige Möglichkeit, das
nachprüfen zu lassen. Ein zweiter Weg besteht darin, die
gemeinsame Moderation zu betreiben, um zu dem 1-DMZiel zu gelangen.
Wir kommen zur
Frage 5 des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die entsprechend § 20 Abs. 4 SGB V von den Krankenkassen im Zeitraum 1. Januar 2001 bis 30. Juni 2001 aufgewendeten Mittel für
die Förderung der Selbsthilfe ({0}) vor und welchen Handlungsbedarf
sieht sie, um gegebenenfalls Maßnahmen zu treffen, die eine Förderung der Selbsthilfe in der vom Gesetz geforderten Höhe und
Art gewährleisten?
Die gesetzlichen
Krankenkassen haben im ersten Halbjahr 2001 14,9 Millionen DM für die Förderung von Selbsthilfegruppen,
-organisationen und -kontaktstellen ausgegeben, davon
rund 12,3 Millionen DM in den alten und 2,6 Millionen DM in den neuen Ländern. Die Aufwendungen der
gesetzlichen Krankenversicherung für die Förderung der
Selbsthilfe pro Versicherten im ersten Halbjahr 2001 betragen insgesamt 0,21 DM. Das gilt sowohl für die alten
als auch für die neuen Bundesländer. Eine weitere Differenzierung auf Länderebene ist uns nicht möglich. Für die
einzelnen Bundesländer werden die Daten in der amtlichen Statistik der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung nicht ausgewiesen.
Die Aufwendungen für Selbsthilfeförderung reichen
von 0,11 DM pro Versicherten bei den landwirtschaftlichen Krankenkassen bis zu 0,33 DM pro Versicherten bei
der Seekrankenkasse und der Bundesknappschaft. Die
Allgemeinen Ortskrankenkassen liegen mit 0,25 DM pro
Versicherten etwas über dem Durchschnitt, die Ersatzkassen für Angestellte mit 0,20 DM pro Versicherten geringfügig unter dem Durchschnitt der Halbjahresergebnisse.
Aus Sicht der Bundesregierung ist dieses Förderergebnis trotz einer leichten Verbesserung gegenüber dem Vergleichszeitraum im Vorjahr - die Steigerung betrug im
ersten Halbjahr 16,7 Prozent - nicht befriedigend, zumal
bei einzelnen Kassenarten auch ein Ausgabenrückgang zu
verzeichnen ist. Deshalb haben wir dieses Thema auf die
Tagesordnung der Tagung der Prüfgremien setzen lassen.
Bitte, Herr Kollege
Seifert, Sie haben das Wort zu einer Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, vielen
Dank für die Zahlen. Damit kann man schon arbeiten.
Dennoch möchte ich fragen: Haben Sie eventuell vor, anzuregen oder vielleicht sogar darauf hinzuwirken, dass
alle Kassen ihren jeweiligen Anteil in einen gemeinsamen
Pool einzahlen, sodass eine einheitliche Antragsstellung
und einheitliche Vergabekriterien möglich sind? Das
würde bewirken, dass ein bestimmter Anteil auf Bundes-,
Landes- und auf regionaler Ebene ausgegeben werden
kann, wodurch die Verwirrung, die unter den Antragsberechtigten besteht - bei welcher Kasse kann man wie viel
und wann beantragen? -, beseitigt wird, weil dadurch
deutlich wird, wie und wofür das Geld, das für sinnvolle
Maßnahmen vorgesehen ist, ausgegeben wird.
Die Kriterien, mit
denen wir festlegen, wofür das Geld ausgegeben werden
kann, sind geschaffen worden. Das Gesetz beinhaltet den
Auftrag, eine entsprechende Vereinbarung zu treffen. Das
ist mittlerweile geschehen. Auch die Verbände der Selbsthilfeorganisationen haben mir versichert, dass sie damit
sehr zufrieden sind.
Wir haben festgestellt, dass eines der Probleme darin
besteht, dass es sehr unterschiedliche Antragsverfahren
gibt. Darüber wurde auch auf dem Workshop im Sommer
gesprochen. Dieses Problem wird auf der Tagesordnung
des Arbeitskreises 2 der gesetzlichen Krankenversicherung stehen. Dort soll überprüft werden, ob man auf
Landesebene oder sogar auch auf Bundesebene einheitliche Verfahren für die Antragstellung und für die Bewertung der Anträge finden kann. Damit würde das Antragsverfahren deutlich vereinfacht und transparenter
werden. Die Bundesregierung hat allerdings nicht die Absicht, das Geld einzusammeln, in einen Pool zu geben und
zentral verwalten zu lassen.
Noch eine letzte
Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich gehe
davon aus, dass Sie so freundlich sind, mir die Ergebnisse
dieser Tagung zukommen zu lassen.
Ich habe aber noch eine Nachfrage. Sie sprachen vorhin davon, dass das Geld an Selbsthilfegruppen, an Behindertenorganisationen und an Kontaktstellen gegeben
wurde. Es handelt sich aber nicht um die Kontaktstellen
nach SGB IX. Ich würde gerne wissen, welche Kontaktstellen Sie meinen.
Dabei handelt es
sich um die existierenden Selbsthilfekontaktstellen. Ich
werde Ihnen die entsprechenden Informationen gerne
schriftlich geben.
Danke schön.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwortung
steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Gila
Altmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Hans Michelbach
auf:
Welche Stellungnahme hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Ausweisung bayerischer FFH-Gebiete ({0}), insbesondere im
Hinblick auf das Hafenlohrtal, gegenüber dem Land Bayern abgegeben?
Herr Kollege Michelbach, Ihre Frage bezieht sich auf das
Hafenlohrtal. Darauf möchte ich Ihnen antworten: Das
Bundesumweltministerium hat sich im Rahmen der gemäß § 19 b Bundesnaturschutzgesetz vorgesehenen Benehmensbeteiligung insbesondere zur Vollständigkeit der
Meldeunterlagen geäußert. Eine Stellungnahme zur Meldewürdigkeit des Hafenlohrtals wurde nicht abgegeben.
Herr Kollege
Michelbach, Ihre erste Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, heißt das, dass die Bundesregierung zur Sicherungswürdigkeit dieses Naturschutzraums keine Meinung
geäußert hat?
Sie
hat dazu keine Stellungnahme abgegeben. Das hat
etwas mit dem bisherigen Prozedere zu tun - damit beziehe
ich mich schon auf die Antwort auf Ihre nächste Frage -;
denn nicht das Land Bayern, sondern eine andere Institution hat den entsprechenden Antrag bezüglich des Hafenlohrtals gestellt. Das Bundesumweltministerium ist aber gehalten, den Dienstweg in Richtung EU zu beachten. Dieser
wurde aber im Laufe des Verfahrens nicht eingehalten.
Eine zweite Nachfrage des Kollegen Michelbach, bitte.
Frau Staatssekretärin, heißt das, dass der Dienstweg grundsätzlich von dem
beschließenden Kreistag über das Land bis zum Bund und
dann weiter bis zur EU gehen muss und dass sich die Bundesregierung nicht äußern kann, wenn der Dienstweg
nicht eingehalten wird?
Für das BMU ist die entsprechende oberste Naturschutzbehörde in Bayern die zuständige Stelle. Das war in dem
Verfahren aber nicht der Fall. Aber auch das ist Bestandteil der Antwort auf Ihre nächste Frage.
Dann bitte ich um die
Beantwortung meiner nächsten Frage.
Wir kommen dann zur
Frage 7 des Abgeordneten Michelbach:
Wie wird vor diesem Hintergrund nach Kenntnis der Bundesregierung mit dem Antrag des Kreistages Main-Spessart weiter
verfahren werden?
Zuständig für die Auswahl der FFH-Gebiete sind verfassungsgemäß die Länder. Vor diesem Hintergrund kann das
Bundesumweltministerium die vom Kreistag des Landkreises Main-Spessart beschlossene Meldung nicht nach
Brüssel weiterleiten. In diesem Sinne wird dem Landratsamt Main-Spessart zu antworten sein.
In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen,
dass der Freistaat Bayern seine bisherigen Meldungen, die
das Hafenlohrtal nicht enthalten, für vollständig erklärt
hat.
Kollege Michelbach.
Frau Staatssekretärin, ich möchte nochmals fragen: Ist der Kreistag MainSpessart in der Lage, direkt beim Bundesumweltministerium einen Antrag zu stellen, und ist dieser wirksam, ohne
dass das Land Bayern hierzu gehört oder der Dienstweg
eingehalten wird?
Zur Meldewürdigkeit habe ich Ihnen schon gesagt, dass
es genau deshalb, weil das Land Bayern Ansprechpartner
ist, keine Stellungnahme zum Hafenlohrtal, sondern lediglich einen Briefwechsel gegeben hat, was die Vollständigkeit der vorgelegten Unterlagen angeht.
Darüber hinaus habe ich Ihnen gerade mitgeteilt, dass
die Meldung als abgeschlossen angesehen wird. Das
Ganze bezieht sich auf die erste Stufe. Die Diskussion
könnte noch einmal aktuell werden, wenn sich die EUKommission die ausgewählten Gebiete anschaut und feststellt, dass die Meldung der Bundesrepublik Deutschland
und ihrer Länder Lücken aufweist, zum Beispiel was die
Qualität und den Netzcharakter der Gebiete angeht. In einem solchen Fall wäre das Land Bayern Ansprechpartner
des Bundesumweltministeriums.
Vielen Dank.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts auf. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Dr. Christoph Zöpel zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Schüßler auf:
Teilt die Bundesregierung die auf der Festveranstaltung des
Deutschen Kulturrates am 26. September 2001 vertretene Auffassung des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Dr. Christoph
Zöpel, wonach die auswärtige Kulturpolitik in Anbetracht der Terrorakte am 11. September 2001 in den USAin Zukunft radikal verändert werden müsse?
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Herr Kollege Schüßler, ich bin Ihnen für Ihre
beiden Fragen außerordentlich dankbar. Mit Ihrer Erlaubnis würde ich auch gleich zu der Frage 9 Stellung
nehmen.
Dann rufe ich auch die
Frage 9 des Abgeordneten Schüßler auf:
Stimmt die Bundesregierung der Auffassung des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Dr. Christoph Zöpel, zu, dass vor dem
Hintergrund dieser Attentate als Erstes die Vermittlung deutscher
Kultur im Ausland generell eingestellt werden müsse?
Weder die Bundesregierung als Ganzes noch ich
persönlich sind der Auffassung, dass die Vermittlung der
deutschen Kultur im Ausland als Erstes generell eingestellt werden sollte. Allerdings bin ich der Auffassung
- diese Auffassung teilt die Bundesregierung insgesamt;
das wissen Sie, wenn Sie die Regierungserklärung des
Bundeskanzlers zu den Ereignissen in New York und
Washington gelesen haben -, dass Zeiten, die offenkundig
historische Bedeutung haben, manchmal zur Zuspitzung
von Begriffen und von Debatten führen. Ich erinnere daran, dass der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung den Begriff Kampf für die Kultur gebraucht
hat.
Damit komme ich zu dem Kontext meiner Äußerungen. Wenn auf einer spontan angesetzten Veranstaltung
des Deutschen Kulturrats unter dem Titel Kultur und Gewalt dem Vertreter des Auswärtigen Amtes, also mir, von
einem Sprecher des Kulturrats in zwar liebenswürdiger,
aber sehr platter Absicht die Frage gestellt wird, ob nun
die deutsche Kultur im Ausland stärker gefördert wird,
dann macht es Sinn, in drastischer Weise darauf hinzuweisen, was im Augenblick geboten ist, nämlich sich darüber zu verständigen, was die Grundlagen der Pluralität
deutscher Kultur sind, und für diese international zu werben. Ich habe die Kriterien genannt: der kategorische Imperativ, das Prinzip der Kritik und die Idee des ewigen
Friedens. Ich glaube, wir sind uns darin einig, dass wir
jetzt sehr radikal, das heißt von der Wurzel her, darüber
nachzudenken haben, wie in der deutschen Kulturpolitik
im Ausland um diese Prinzipien gerungen werden soll mit
dem Ziel, dadurch internationale Gewalt abzubauen. Die
Äußerung, die ich in diesem Kontext vor Kulturschaffenden gemacht habe, war meiner Ansicht nach das geeignete
Mittel.
Herr Kollege Schüßler
zu einer ersten Nachfrage, bitte.
Ich entnehme Ihren Äußerungen, Herr Staatsminister, dass Sie einräumen, dass
während der Podiumsdiskussion eine solche Äußerung
gefallen ist. Haben Sie nicht mitbekommen, dass ein
Großteil der Anwesenden bei diesen Äußerungen merklich zusammengezuckt ist und dass anschließend hitzig
darüber diskutiert worden ist? Räumen Sie ein, dass Sie
sich, wie Sie es jetzt darstellen, zumindest missverständlich ausgedrückt haben, und wären Sie bereit, uns Ihre Position zur zukünftigen Gestaltung der auswärtigen Kulturpolitik schriftlich zur Verfügung zu stellen?
Was Sie aus dieser Veranstaltung berichten, zeigt,
dass die Zuspitzung in einer solchen Situation vor dem
entsprechenden Publikum zu Diskussionen führte. Darum
ging es mir und von daher glaube ich, das war ein richtiges Mittel zur Bewusstseinsbildung - in diesem Kreis von
Kulturschaffenden; wir reden nicht von anderen Versammlungen, die einen anderen Zugang dazu hätten. Ich
halte die Äußerungen, gerade nachdem Sie sie zitiert haben, weiterhin für richtig. Ich glaube, das war ein sinnvoller Beitrag zur Diskussion der Kulturschaffenden an
diesem Tag.
Was ich dort als die notwendigen Grundlagen eines
pluralen Kulturverständnisses dargelegt habe, ist mitgeschnitten worden und kann Ihnen selbstverständlich gerne
zur Verfügung gestellt werden.
Räumen Sie zumindest
ein, dass dies einer Klarstellung bedarf? Denn es ist deutlich so verstanden worden, wie Sie es verkürzt ausgedrückt haben.
Das ist dort möglicherweise sehr unterschiedlich
verstanden worden. Ich habe mich bereits eingangs dafür
bedankt, dass Sie vor allem für diejenigen, die das missverstanden haben können, die Gelegenheit gegeben haben, es vor dem Plenum des Deutschen Bundestages klarzustellen. Dafür noch einmal herzlichen Dank.
Sind Sie nach wie vor bereit, Ihre Position schriftlich zu vermitteln?
Ich sagte eben, dass das, was ich dort geäußert habe,
mitgeschnitten worden ist. Der Deutsche Kulturrat will es
veröffentlichen. Ich habe es eben zugeleitet bekommen.
Sobald es zeitlich möglich ist - ich gehe davon aus, dass
das morgen ist -, bin ich gern bereit, Ihnen die durchgesehene Mitschrift zuzuleiten.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf.
Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Dr. Hans-Peter
Uhl auf:
In welcher Weise hat sich der Bundesminister des Innern, Otto
Schily, nachhaltig für eine Einigung der Schengen-Staaten auf die
unverzügliche Einführung eines strengeren Visa-Verfahrens eingesetzt, bei dem Fingerabdrücke genommen und Passeinträge kopiert werden, und warum konnte dies vor dem Hintergrund der
Terrorakte am 11. September 2001 und der Gefahr vor weiteren
Anschlägen nicht durchgesetzt werden?
Herr Kollege Uhl, das Bundesinnenministerium und das Auswärtige Amt bemühen sich
seit längerem um die Erhöhung der Sicherheit des Visumverfahrens. Erprobt wurde ein sicherheitstechnisches Verfahren zur Integration von Lichtbildern in die Visa. Wir
haben dieses Konzept den Mitgliedstaaten vorgestellt und
breite Zustimmung gefunden. Für die Änderung der EUVisummarkenverordnung hat die Kommission das Vorschlagsmonopol. Die Kommission hat angekündigt, in
Kürze einen derartigen Vorschlag vorzulegen.
Auf Anregung von Bundesinnenminister Otto Schily
gegenüber EU-Kommissar Vitorino hat die Kommission
eine Initiative zur Schaffung von EU-weiten Visadateien
angekündigt. Künftig muss es möglich sein, Fingerabdrücke und Passeinträge in das Visumverfahren zu integrieren und zentral zu speichern. In dem Entwurf eines
Zuwanderungsgesetzes ist bereits die Erfassung von Fingerabdrücken bei Antragstellern aus Problemstaaten vorgesehen. Dieser Punkt wird in dem Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus aufgegriffen. Deutschland setzt sich
für eine analoge Praxis in den Mitgliedstaaten ein.
Herr Kollege Uhl zu
einer ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär
Körper, gehe ich dann recht in der Annahme, dass die
Pressemeldungen von heute und den letzten Tagen unzutreffend sind, in denen verlautbart wird, dass sowohl die
Grünen wie auch Herr Bundesaußenminister Joschka
Fischer das Verfahren, bei der Visaerteilung Fingerabdrücke zu nehmen, nach wie vor ablehnen? Dies ist deswegen wichtig zu wissen, weil die Fingerabdrücke in seinem
Amtsbereich, in den deutschen Auslandsvertretungen, genommen werden müssen. Wenn er dies also ablehnt, käme
Herr Innenminister Schily nicht zu seinem Ziel.
Diese von Ihnen zitierten Pressemeldungen beziehen sich nicht auf unser Haus und auch
nicht auf den Bundesinnenminister. Insofern kann ich
nicht weiter kommentieren, inwieweit diese Pressemitteilungen den Sachverhalt korrekt wiedergeben. Tatsache
ist, dass wir uns derzeit gemeinsam eine Lösung dieser
Probleme überlegen. Ich habe in meiner Antwort bereits
die Stichworte Zuwanderungsgesetzgebung und Antiterrorpaket genannt.
Eine zweite Nachfrage. Bitte, Herr Kollege Uhl.
Weil es etwas unübersichtlich erscheint, wie sich die Koalition einigt, und
das Zuwanderungsgesetz, das Sie erwähnt haben, noch
nicht unmittelbar vor dem In-Kraft-Treten steht, frage ich:
Können Sie sich einen zeitlichen Rahmen vorstellen, innerhalb dessen es zu der Neuregelung kommt, dass vor
Erteilung eines Visums ein Fingerabdruck genommen
wird?
Ich bin kein Prophet und kann
nicht verkünden, wann dieser Zeitpunkt gekommen ist.
Aber dass Identifizierungsmaßnahmen bei der Einreise
ein ganz wichtiger Punkt sind - das ist aus Äußerungen
bekannt geworden -, dürfte auch Ihnen nicht entgangen
sein. Wir werden uns um Regelungen bemühen, die dem
gerecht werden.
Jetzt rufe ich die
Frage 11 des Kollegen Dr. Hans-Peter Uhl auf:
Wird die Bundesregierung gewaltbereite islamistische Extremisten ausweisen und dazu die entsprechenden Regelausweisungstatbestände schaffen?
Herr Kollege Uhl, nach der Zuständigkeitsverteilung des Grundgesetzes wird das Ausländerrecht von den Ländern als eigene Angelegenheit
ausgeführt. Aufenthaltsrechtliche Entscheidungen - und
damit auch die Entscheidung über die Beendigung des
rechtsmäßigen Aufenthalts in Deutschland - hat daher die
örtlich zuständige Ausländerbehörde des Landes nach der
geltenden Rechtslage zu treffen. Sie ist dabei nur an
die Weisungen ihrer übergeordneten Landesbehörden sowie an die Entscheidungen der Gerichte und - falls ein
Asylverfahren durchgeführt wurde - des Bundesamtes für
die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gebunden.
Das Bundesministerium des Innern hält eine Ergänzung der Regelausweisungsgründe des § 47 Abs. 2 des
Ausländergesetzes für überlegenswert. Es wird jedoch
darauf aufmerksam gemacht, dass die Problematik des
Aufenthaltes extremistischer Gewalttäter in der Bundesrepublik Deutschland nicht im Bereich der Ausweisungstatbestände liegt, sondern im Bereich der Abschiebung.
Diese kann oftmals nicht durchgeführt werden, da aus
rechtlichen oder tatsächlichen Gründen Abschiebungshindernisse bestehen. Das Grundgesetz auf der einen
Seite und internationale Vereinbarungen auf der anderen
Seite erlauben keine grundlegende Rechtsänderung in
diesem Bereich.
Herr Kollege Uhl,
bitte.
Herr Staatssekretär
Körper, stimmen Sie mir zu, dass islamistische Terroristen
nach geltender Rechtslage erst dann ausgewiesen werden
können, wenn sie bereits einen Terroranschlag begangen
haben, nicht aber dann, wenn sie zum Beispiel im Rahmen
der jetzt angelaufenen Rasterfahndung als Mitglied einer
extremistischen Vereinigung erfasst werden? Wenn sie
also den Terroranschlag nur planen, aber noch nicht begangen haben, dann können sie nach geltender Rechtslage
nicht ausgewiesen werden.
Sind Sie mit mir der Auffassung, dass hier im Gesetz
eine Lücke besteht und dass der Bundesgesetzgeber den
Regelungstatbestand diesbezüglich ergänzen muss, dass
also Terroristen noch vor Verübung des Terroranschlages
ausgewiesen werden können? Konkret gefragt: Hätte
nicht Herr Atta vor dem 11. September 2001 ausgewiesen
werden müssen? Ob man ihn dann abschieben kann, ist
eine andere Frage, die den Vollzug dieses Ausweisungstatbestandes betrifft. Erst einmal geht es um den Ausweisungstatbestand.
Herr Kollege Uhl, ich habe vorhin in meiner Antwort gesagt, dass die Bundesregierung
die Ergänzung des derzeit bestehenden § 47 Abs. 2 des
Ausländergesetzes, der die Regelausweisungsgründe beinhaltet, für überlegenswert erachtet. Sie haben aber zu
Recht darauf hingewiesen, dass man zwischen Ausweisungstatbeständen auf der einen Seite und Abschiebemöglichkeiten auf der anderen Seite unterscheiden muss.
Da das so ist, erweist sich auch diese Fragestellung als ein
bisschen schwieriger.
Ich sage immer wieder: Solche konstruierten Fälle setzen natürlich voraus, dass man eine gewisse Kenntnis
über Personen hat. Ansonsten machen solche Überlegungen keinen Sinn.
Herr Kollege Uhl hat
noch eine letzte Nachfrage, bitte.
Bei dem Thema,
über das wir gerade reden, ist ja Gefahr im Verzug. Wir
wissen - und alle Dienste sagen es -, dass es gewaltbereite
Terroristen im Lande gibt, dass wir nur zu wenig darüber
wissen und deswegen jetzt die Rasterfahndung angelaufen ist.
Wir hoffen aber doch, dass diese Rasterfahndung Erfolg
haben wird. Deswegen die Frage: Sind Sie bereit, schon
jetzt unverzüglich gesetzgeberische Maßnahmen anlaufen
zu lassen, damit wir für den Fall, dass wir dieser gemeingefährlichen Verbrecher habhaft werden können, diese zumindest ausweisen und in Abschiebehaft nehmen können,
wenn wir sie dann noch nicht abschieben können?
Herr Kollege Uhl, zwei Bemerkungen dazu: Wir sollten in der jetzigen Situation mit dem
Verbreiten beispielsweise von Zahlen ein bisschen vorsichtig sein.
({0})
- Nein, das weiß ich. Aber Sie haben gesagt, es sei zu
vermuten, dass zahlreiche Extremisten, die diesem Umfeld zuzurechnen sind, in Deutschland leben oder wohnen. Ich sage das deswegen, weil die Erkenntnislage nicht
so ist, dass man diesen Satz ohne weiteres unterstreichen
kann. Das ist das Erste.
Als Zweites will ich mir den Hinweis erlauben, dass
die Bundesregierung bereits in der vorletzten Kabinettssitzung ein erstes Antiterrorpaket mit drei sehr konkreten
Maßnahmen vorgelegt hat.
Was im Übrigen die Frage des Vereinsrechts und der
Streichung des Religionsprivilegs anbelangt, so ist das
eine Initiative, die der Bundesinnenminister schon am
5. September vorgelegt hat. Interessanterweise hatte am
5. September kein Mensch davon Kenntnis genommen.
Dies hat erst im Nachhinein eine gewisse Aktualität erhalten.
Die Bundesregierung bereitet derzeit ein zweites so genanntes Antiterrorpaket vor, das auch die Frage umfasst,
ob und inwieweit beispielsweise die Regelausweisungsgründe ergänzt bzw. verändert werden können. Entsprechende Überlegungen dazu müssen Gegenstand dieses
Paketes sein.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft
und Technologie auf. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Margareta Wolf zur Verfügung.
Da der Kollege Kolb momentan nicht anwesend
ist, aber angekündigt hat, dass er noch kommen wird, rufe
ich jetzt erst einmal die Frage 14 des Kollegen Klaus
Hofbauer auf:
Welche Akzente setzt die Bundesregierung, um den Wirtschaftszweig Tourismus in den Grenzregionen zu den Beitrittsländern zu stärken und für die Osterweiterung fit zu machen?
Herr Hofbauer,
wenn Sie erlauben, würde ich gern die Fragen 14 und 15
zusammen beantworten.
Dann rufe ich auch die
Frage 15 auf:
Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, warum in der
Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften
über die Auswirkungen der Erweiterung für die an Beitrittsländer
angrenzenden Regionen - Gemeinschaftsaktion für Grenzregionen vom 25. Juli 2001 der Bereich Tourismus weder bei den Förderkriterien noch bei den allgemeinen Aussagen angesprochen
wird, obwohl dieser Wirtschaftszweig in den Grenzregionen eine
wichtige Rolle spielt und sich im Rahmen der Osterweiterung auf
viele Veränderungen einzustellen hat?
Bei der Mitteilung der Kommission handelt es sich um eine Untersuchung der Grenzregionen, die unter drei Hauptaspekten
durchgeführt wurde:
Zum Ersten wurden die sozioökonomische Lage und
die voraussichtlichen Auswirkungen der Erweiterung auf
die Grenzregionen untersucht. Der zweite Punkt betrifft
die vorhandene Gemeinschaftshilfe zugunsten der Grenzregionen. Der dritte Punkt sind mögliche Maßnahmen zur
Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit in den Grenzregionen.
Die Untersuchung deckt naturgemäß das gesamte
Spektrum der Wirtschaft ab, ohne dabei auf einzelne
Branchen einzugehen. Dies entspricht, wie Sie wissen,
der Natur der Fördermaßnahmen, die nicht branchenbezogen, sondern als Querschnittsmaßnahmen erfolgen,
wie dies zum Beispiel auch bei uns in der Bundesrepublik
der Fall ist.
Die Grenzregionen zu den Beitrittsländern profitieren
im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative Interreg auch bei
Tourismusprojekten. In Sachsen beispielsweise wurden in
der Förderperiode zwischen 1994 und 1999 im Rahmen
von Interreg II A von insgesamt circa 570 Projekten
71 Projekte im Bereich des Tourismus realisiert. Damit
wurden rund 6,8 Prozent der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel der EU aus dem EFRE für Tourismusprojekte in den sächsischen Grenzregionen zu Tschechien
und Polen verwendet. In den Ländern Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg wurden 27 Projekte im Rahmen
von Interreg II A auf dem Gebiet der Kommunalgemeinschaft Pomerania im Bereich Tourismus durchgeführt. Das heißt, von insgesamt 190 Interreg-Projekten
stammen 14 Prozent aus den EFRE-Mitteln.
Auch in der neuen Förderperiode von 2000 bis 2006 ist
der Bereich Tourismus förderfähig. Die spezifischen Ziele
und Maßnahmen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Bereich Tourismus sind in den Programmen der
Gemeinschaftsinitiative für die einzelnen Grenzräume
festgelegt. Die Umsetzung der Programme erfolgt - das
wissen wir - in regionaler Zuständigkeit durch die jeweiligen Bundesländer.
Abgesehen von den angesprochenen Punkten profitiert
der Tourismus auch von der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Infrastruktur und der EUStrukturpolitik. Die Auswahl und die Gestaltung der Projekte sind dabei Angelegenheit der Länder und erfolgen
durch die Akteure vor Ort. Da der Begriff Grenzregion
nicht definiert ist, ist eine diesbezügliche konkrete Ausweisung von Tourismusprojekten sehr schwierig.
Seit 1991 sind insbesondere in den neuen Bundesländern Tourismusmaßnahmen in hohem Umfang mit GAMitteln gefördert worden. 17 Prozent der Investitionszuschüsse im Infrastrukturbereich und 7 Prozent der für
Investitionen der gewerblichen Wirtschaft aufgewandten
GA-Mittel kamen dem Tourismus zugute.
Abgesehen von diesen Maßnahmen des allgemeinen
Förderinstrumentariums fördert die Bundesregierung einzelne Projekte zugunsten des Tourismus. So unterstützt
die Bundesregierung im Rahmen eines Projektes zur Förderung des Fahrradtourismus aus dem Titel Leistungssteigerung im Tourismusgewerbe Maßnahmen zur Koordinierung und Vermarktung eines deutschlandweiten
Radfernwegenetzes und entwickelt hierzu 2001 und 2002
den Oder-Neiße-Radweg als Modellroute.
Schließlich kommen die Grenzregionen auch für das
Marketing der Deutschen Zentrale für Tourismus in Betracht. Konkrete Entscheidungen hierzu werden durch
den DZT-Auslandsmarketingausschuss für das Marketing
im Ausland und den DZT-Inlandsmarketingausschuss für
das Marketing innerhalb Deutschlands unter Beteiligung
der verschiedenen Verantwortungsträger vorgenommen.
Jetzt ist der Kollege
Hofbauer mit seinen Nachfragen an der Reihe, bitte.
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Frau Staatssekretärin! Wir alle wissen, dass dieses
Programm, das sehr groß angekündigt wurde, für die Gemeinschaftsaktion in den Grenzregionen gerade im Bereich Sektorwirtschaftsförderung minimal ausgefallen ist.
Soweit ich informiert bin und nach dem, was ich im Programm gelesen habe, sind diese Maßnahmen sehr konkret
beschrieben: 150 Millionen DM für den Straßenbau und
lediglich 10 Millionen DM für die mittelständische Förderung.
Zu diesem Programm möchte ich eine perspektivische
Frage stellen: Warum hat sich die Bundesregierung nicht
dafür verwendet, dass der Tourismus in diesem Programm
eine ganz konkrete Rolle spielt? Denn wir stimmen hoffentlich darin überein, dass der grenzüberschreitende Tourismus eine riesengroße Chance ist, die Osterweiterung
vorzubereiten bzw. uns für die Osterweiterung fit zu machen. Warum steht hierzu nichts in diesem Programm?
Hat die Bundesregierung hierzu keine Vorschläge gemacht?
Meine zweite Frage: Sind Sie, Frau Staatssekretärin, und
Ihr Haus bereit, die Zusammenarbeit in ein paar konkreten
Punkten zu verstärken und zu vertiefen, zum Beispiel beim
Austausch von Arbeitskräften? Sie wissen, dass gerade
in den Grenzregionen - ich möchte hier den bayerischtschechischen Grenzraum ansprechen - Arbeitskräfte auf
bayerischer Seite fehlen. Können Sie vielleicht prüfen, ob
man nicht diese Grenzgängerregelung, die bereits besteht
und die sich bewährt hat, im Hinblick auf die Osterweiterung weiter stärken kann?
Meine dritte Frage: Ich kann mir aus der Praxis heraus
vorstellen, im Bereich des Tourismus und der Wirtschaft
insgesamt das Thema Ausbildung in den Mittelpunkt der
Osterweiterung zu stellen. Ist es möglich, schon jetzt jungen Menschen aus den Beitrittsländern bei uns eine qualifizierte Ausbildung - sprich: die gleiche Ausbildung wie
unseren jungen Menschen - zu geben? Das wären Perspektiven für die Zukunft und Schritte, mit denen schon
jetzt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit intensiviert werden könnte.
Sehr geehrter
Herr Kollege Hofbauer, um mit dem letzten Punkt anzufangen: Auch ich halte im Hinblick auf den Tourismus und
insbesondere die Ausbildung im Tourismusbereich eine
stärkere Fokussierung der Debatte auf die EU-Osterweiterung für einen ganz zentralen Punkt. Ich glaube, dass
durch geeignete Maßnahmen auf diesem Feld Hemmschwellen und Ängste, die vor allem diesseits der Grenze
bestehen, abgebaut werden können. Was Sie in Bezug auf
die Grenzgängerregelung gefragt haben, werde ich gerne
in meinem Haus recherchieren und Ihnen eine schriftliche
Antwort zukommen lassen.
Lassen Sie mich zu Ihrer ersten Frage kommen: Sie
wissen, dass die Europäische Union die Beitrittsländer bei
ihren Reformbemühungen in dem Zeitraum von 2000 bis
2006 mit so genannten Heranführungshilfen in Höhe von
fast 22 Milliarden Euro unterstützt. Ich denke, angesichts
der Situation in den potenziellen Beitrittsländern ist es relativ klar, dass diese Investitionen zur Stärkung des Tourismus in den Grenzregionen zunächst in Infrastrukturmaßnahmen - in den Verkehrs- und Umweltbereich sowie
in die Modernisierung der Verwaltung; ich sehe auf diesem Wege große Chancen für die betroffenen Regionen geflossen sind.
Ich denke, solche Maßnahmen sind die Voraussetzung
dafür, eine moderne und leistungsfähige Tourismuswirtschaft aufzubauen, wenngleich es notwendig ist, stets die
Stärkung des Tourismus in den Mittelpunkt zu stellen. Ich
habe Ihnen in diesem Zusammenhang Projekte aus Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg vorgestellt, die wir unterstützen. In der Förderperiode von 2000
bis 2006 soll speziell die Entwicklung eines hochwertigen
und umweltfreundlichen Tourismus gefördert werden,
insbesondere durch Investitionen und Konzeptionsprojekte sowie zum Beispiel durch Kulturreisen, die ich im
Interesse der Völkerverständigung für sehr wichtig halte,
oder durch Projekte des Ökotourismus.
Wir wollen auf diese Weise die Standortattraktivität erhöhen und die Schaffung von Arbeitsplätzen - Sie haben
das Thema angesprochen - durch Förderung endogenen
Potenzials ermöglichen. Ich teile dabei die in Ihren Fragen
implizit ausgedrückte Meinung, man müsse in den drei angesprochenen Grenzregionen, vor allem in der Grenzregion Bayern/Tschechien, sehr viel mehr Aufbauarbeit leisten, um sie tatsächlich als Tourismusstandort attraktiv zu
machen, als das in anderen Regionen - ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Süderweiterung - der Fall war.
Ich kann Ihnen versichern, dass die Entwicklung des Tourismus, der ja im Ressort des Bundeswirtschaftsministeriums angesiedelt ist, auch bei den Reisen, die ich in die
Grenzregionen zu Tschechien, Ungarn oder Polen unternehme, eine zentrale Rolle spielen wird.
Herr Kollege Kolb
konnte doch nicht kommen; er hat rechtzeitig Bescheid
gesagt. Deshalb werden die Fragen 12 und 13 schriftlich
beantwortet.
Ich sehe gerade, dass der Kollege Seifert noch eine
Nachfrage zu der Frage des Kollegen Hofbauer hat.
Frau Staatssekretärin, es ist sehr
freundlich, dass Sie verschiedene Projekte wie zum Beispiel den Radweg entlang der Oder und Neiße aufgeführt
haben; mich würde interessieren, wann dieser Radweg
endlich fertig wird.
In diesem Zusammenhang möchte ich Sie fragen:
Wäre es nicht auch eine Aufgabe für das Bundesministerium für Wirtschaft, in den Regionen diesseits der Grenze
Sprachkurse zu fördern, um den Hoteliers und Betreibern
von Restaurants die Möglichkeit zu geben, die Sprachen
ihres Nachbarlandes, zum Beispiel Tschechisch oder Polnisch, zu lernen? Wenn wir in unsere Nachbarländer fahren, gehen wir ganz selbstverständlich davon aus, dass
dort Deutsch gesprochen wird und uns Speisekarten in
deutscher Sprache vorgelegt werden. Umgekehrt werden
auch Gäste aus Tschechien oder Polen in Deutschland
essen, trinken oder übernachten. Sehen Sie in diesem
Zusammenhang irgendwelche Fördermöglichkeiten bzw.
haben Sie bereits Maßnahmen eingeleitet?
Herr Kollege
Seifert, ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, mit dem Problem, dass Tschechen oder Polen nicht in der Lage sind,
deutsche Speisekarten zu lesen, sind wir noch nicht unmittelbar konfrontiert worden. Ich werde das Problem
gerne recherchieren und in den Gesprächen, die ich vor Ort
führe, ansprechen. In einem Punkt möchte ich Ihnen aber
widersprechen: Ich gehe - ebenso wie viele andere Deutsche, die im europäischen oder außereuropäischen Ausland Urlaub machen - nicht davon aus, dass Speisekarten
in deutscher Sprache vorliegen. Wenn sie auf Deutsch
wären, würde ich persönlich das Lokal nicht betreten.
Jetzt kommen wir
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Brigitte Schulte zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Hartmut Koschyk
auf:
Hat der Bundesrechnungshof bereits das Ressortkonzept der
Bundesregierung zur Feinausplanung und Stationierung der Bundeswehr auf seine Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit hin geprüft,
und falls nein, wie gelangte der Parlamentarische Staatssekretär
im Bundesministerium der Verteidigung, Walter Kolbow, zu der
Feststellung, dass die Auflösung des Luftwaffenausbildungsbataillons in Bayreuth bundesrechnungshoffest sei, so der Nordbayerische Kurier vom 4. August 2001?
Lieber Herr Kollege, die Bundesregierung hat die Entscheidung zur Stationierung vom
16. Februar 2000 auf Grundlage funktionaler, ökonomischer und sozialer Kriterien sowie wirtschafts- und strukturpolitischer Aspekte getroffen. Das galt und gilt auch für
den Standort Bayreuth. Bis zum 30. März 1993 wurde der
Standort Bayreuth vorwiegend durch das Heer genutzt.
Nach Auflösung einer Reihe von gepanzerten Verbänden
durch die damalige CDU/CSU-FDP-Bundesregierung erfolgte gegen den Willen der Luftwaffe die Verlegung des
II. Bataillons des Luftwaffenausbildungsregiments 3 nach
Bayreuth, obwohl die Zahl der Wehrpflichtigen schon im
Rahmen des Personalstrukturmodells von 495 000 auf
370 000 zurückging.
Nach Aussage der Luftwaffe war die Markgrafenkaserne in Bayreuth von Anfang an für sie und ihre
Zwecke unwirtschaftlich. Deshalb hat mein Kollege
Walter Kolbow Recht, wenn er die Auflösung des Bataillons als wirtschaftlich sinnvoll darstellt. Ich verkenne
natürlich nicht, dass die besonders bundeswehrfreundliche Stadt Bayreuth den Abzug der Luftwaffe sehr bedauert. Dies alles habe ich Ihnen allerdings bereits am
28. März und am 9. Mai mitgeteilt.
Der Bundesrechnungshof - um auch das anzumerken ist bei Planungen der Bundesregierung zwar dem Grunde
nach mitberatend tätig. Aber er hat sich zu dem vorliegenden Fall überhaupt nicht geäußert. Es gibt allerdings
den unbestrittenen Nachweis, dass die Wirtschaftlichkeit
des Standortes des Ausbildungsbataillons nie im eigentlichen Sinne gegeben war.
Herr Kollege
Koschyk, zu einer ersten Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Ich habe
Sie gefragt - weil Staatssekretär Kolbow davon gesprochen hat, dass die Entscheidung bundesrechnungshoffest sei -, ob sich der Bundesrechnungshof bislang in irgendeiner Weise mit dem Stationierungskonzept befasst
hat und, wenn ja, mit welchem Ergebnis. Diese Frage haben Sie nicht beantwortet.
Herr Kollege Koschyk, wenn
der Kollege Kolbow, der seit 1980 Mitglied des Deutschen Bundestages ist, von bundesrechnungshoffest
spricht, dann meint er sicherlich, dass man die wirtschaftlichen Bedingungen betrachten muss. Es bleibt auch in
Zukunft wahr, dass Sie eine ganze Reihe von Stationierungsmaßnahmen aus reinem politisch-taktischem Kalkül
und nicht aus Gründen sinnvoller wirtschaftlicher Gestaltung durchgeführt haben. Wenn Sie Letzteres getan hätten, dann hätte die Bundeswehr jetzt mehr Geld für andere
Dinge zur Verfügung. Deswegen konnte der Kollege
Kolbow sehr wohl - er hat es übrigens nicht so getan, wie
Sie es in Ihrer Frage darstellen; ich habe sie mir inzwischen genau durchgelesen - von bundesrechnungshoffest sprechen; denn wenn der Bundesrechnungshof dies
im Einzelnen geprüft hätte, dann hätte er schon 1993 festgestellt, dass Ihre Maßnahmen nicht sinnvoll sind. Daher
halte ich die Aussage von Walter Kolbow unter dem Gesichtspunkt dessen, was der Bundesrechnungshof tut und
prüft, für sehr wohl verantwortbar und auch für berechtigt. Die Bundesregierung als die verantwortlich Handelnde muss im Übrigen ohnehin nach Recht, Ordnung
und Wirtschaftlichkeit vorgehen.
Herr Kollege
Koschyk, bitte.
Frau Staatssekretärin, da Sie auf die Vorgeschichte der Entwicklung des
Bundeswehrstandortes in Bayreuth eingegangen sind,
möchte ich Sie fragen: Hat denn die Bundesregierung geprüft, ob die, so haben Sie es jetzt dargestellt, schlechte Betriebskostenbilanz nicht hätte verbessert und die Nutzung
des Areals der Markgrafenkaserne nicht hätte optimiert
werden können, wenn man auf dem Kasernengelände, auf
dem sich nicht nur das Luftwaffenausbildungsbataillon,
sondern auch ein Verteidigungsbezirkskommando befindet, noch weitere Bundeswehreinrichtungen untergebracht
hätte, zum Beispiel das Kreiswehrersatzamt der Stadt Bayreuth und eine Außenstelle der Standortverwaltung in
Ebern? Dies wäre meines Erachtens geboten gewesen, bevor die Entscheidung getroffen wurde, den Standort in
Bayreuth aufzulösen - die Aussichten für die Verwertung
des Areals sind sehr schlecht - und ein Luftwaffenbataillon am Standort Wittstock in Brandenburg für 214 Millionen DM neu anzusiedeln.
Das ist in meinen Augen nun
wirklich sehr gediegen, was Sie hier feststellen.
Erstens halte ich es für selbstverständlich - ich wundere mich deshalb, dass gerade Sie offenbar anderer Meinung sind -, dass wir das Aufkommen junger Wehrpflichtiger auch für die Luftwaffe mit einem Standort in den
neuen Bundesländern bedienen. Das finde ich eigentlich
selbstverständlich.
Zweitens: Herr Kollege Koschyk, ich bin ein ordentlicher Mensch. Am 9. Mai 2001 habe ich Ihnen gesagt, dass
Ihre Vorstellung, das Kreiswehrersatzamt Bayreuth in die
Markgrafenkaserne zu verlegen, das Problem nicht löst.
Denn schon jetzt ist die Bayreuther Markgrafenkaserne
mit über 1 000 Soldaten nicht ausgelastet gewesen. Wir
haben zu viele Liegenschaften, die wir unterhalten müssen, die unwirtschaftlich sind. Es handelt sich um technische Gebäude, die früher das deutsche Heer mit gepanzerten Verbänden gebraucht hat. Es lohnt sich, sich das
anzusehen.
({0})
- Das ist überhaupt kein Unsinn, weil die gepanzerten
Verbände leider aufgrund der deutschen Teilung dorthin
verlegt werden mussten. Wir finden die gleiche Situation
in Niedersachsen. Gott sei Dank brauchen wir gepanzerte
Verbände in diesem Umfange heute nicht. Das ist das Erfreuliche an dieser ganzen Geschichte.
Herr Koschyk, ich wiederhole es: Die Sympathie, die
der Bundeswehr in Bayreuth entgegenkommt, gibt es genauso - weil ich gerade den Kollegen aus Hildesheim
sehe - in Hildesheim, in Holzminden oder in einem anderen Standort.
Die Wirtschaftlichkeit der Bundeswehr war damit
nicht gegeben. Wir brauchen heute die Verbände, die wir
auch in der Zukunft benötigen. Wir bilden in der Zukunft
bei der deutschen Luftwaffe weniger junge Wehrpflichtige aus, als es in der Vergangenheit der Fall war. Übrigens
gehen auch die Jahrgangsstärken zurück.
Deswegen brauchen wir weniger Bataillone. Deswegen war es auch schon 1993 nicht nachzuvollziehen, dass
man ausgerechnet bei einem Rückgang der Zahl der
Wehrpflichtigen von 495 000 auf 370 000 - 330 000 oder
340 000 war ja die Personalkonzeption der alten Bundesregierung - ein zusätzliches Bataillon verlegt. Das war die
ganze Wahrheit.
Notwendig war es - deswegen der Hinweis auf Brandenburg -, dass in den neuen Bundesländern selbstverständlich auch ein Ausbildungsstandort für das Aufkommen der jungen Leute dort eingerichtet wurde. So ist es.
Das tut mir nun sehr Leid für Sie, Herr Koschyk, ich
verstehe das sehr gut. Gerade ein Ausbildungsbataillon ist
für einen Standort etwas Hervorragendes, aber bei der
Frage der Verlegung ging es von Anfang an mehr um eine
politische - ich sage nicht: parteipolitische - Entscheidung als darum, ob die Entscheidung wirtschaftlich sinnvoll war.
Die Fragen 17 und 18
des Kollegen Günther Friedrich Nolting werden schriftlich beantwortet.
Deswegen kommen wir jetzt schon zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Stephan Hilsberg zur Verfügung.
Die Frage 19 des Kollegen Dörflinger wurde zurückgezogen, die Frage 20 des Kollegen Hinsken wird schriftlich beantwortet.
Deswegen rufe ich jetzt die Frage 21 des Kollegen
Dr. Norbert Röttgen auf - es geht um einen Flughafen, den
wir alle noch ganz gut kennen, den Flughafen Köln/Bonn -:
Warum hat die Bundesregierung keine verbindliche Entscheidung bzw. Stellungnahme der Europäischen Kommission hinsichtlich der Umsetzung der zwei noch ausstehenden Punkte des
22-Punkte-Kataloges zur Regelung des Nachtflugs auf dem
Flughafen Köln/Bonn eingeholt ({0})?
Herr
Röttgen, die Bundesregierung sieht nach den Ausführungen der EU-Kommission, die ihre europarechtlichen Bedenken zum Ausdruck bringen, keine Veranlassung, eine
weitere Entscheidung bzw. Stellungnahme hinsichtlich
der Umsetzung der zwei noch ausstehenden Punkte des
22-Punkte-Katalogs zur Regelung des Nachtflugs auf
dem Flughafen Köln/Bonn einzuholen.
Kollege Röttgen hat
das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Finden Sie das
nicht sehr unverständlich? In diesem kurzen Schreiben
- ein anderthalbseitiges Schreiben; ich habe es hier, mit
Dear Thilo überschrieben - zu einer komplexen Rechtsfrage - auch der Sachverhalt ist kompliziert - wird in der
ersten Hälfte überhaupt nur die Normenlage referiert, es
findet also gar keine Untersuchung statt, und zum anderen legt sich dieses Schreiben - ich möchte zwei Punkte
daraus zitieren - überhaupt nicht inhaltlich fest.
Es heißt: In Ihrem Fall scheinen die Vorschriften von
Art. 9 geeigneter zu sein... Es erfolgt noch nicht einmal
eine Festlegung, welche Vorschrift überhaupt einschlägig
ist, sondern es ist eine Annahme, ein Schein. Der Schein
kann aber auch trügen.
Am Ende dieses Schreibens heißt es ausdrücklich:
Ich möchte hinzufügen, dass es sich hier um eine
vorläufige Untersuchung handelt ... unbeschadet der
Stellungnahme der Kommission, falls sie eine wirkliche Entscheidung treffen müsste.
Halten Sie es angesichts dieses kurzen Schreibens, das
aber klarlegt, dass es vorläufig und inhaltlich nicht festlegend ist, nicht für völlig ausgeschlossen, von einer verbindlichen umfassenden Stellungnahme auszugehen, die
keinen weiteren Prüfungsbedarf auslöst?
Herr
Röttgen, Sie haben völlig Recht: Es ist eine vorläufige Stellungnahme. Allerdings sind die Argumente, die sich in dieser Stellungnahme befinden - Ihnen liegt der Brief vor -,
so stichhaltig, dass wir zu der Überzeugung gekommen
sind, eine verbindliche Stellungnahme erübrige sich, weil
sie zu keinem anderen Schluss kommen würde als dem,
dass diese beiden offenen Punkte zur Regelung des Nachtflugs noch behandelt werden müssen.
Herr Kollege Röttgen,
bitte.
Können Sie verstehen, dass die vom Fluglärm betroffenen Menschen
dann, wenn gar nicht wirklich geprüft wird, die Bundesregierung aber sagt: Wir sehen dennoch überhaupt keinen Prüfungsbedarf, den Eindruck haben, dass Sie gar
nichts zur Minderung des Fluglärms tun wollen? Es gibt
keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine erschöpfende oder
auch nur ansatzweise erfolgte Untersuchung der Rechtsfrage vorliegt, und Sie verweigern die Untersuchung.
Wollen Sie also gar nicht untersuchen? Es kann gar kein
anderer Schluss übrig bleiben.
Herr
Röttgen, ich denke, dass auch die Bürger in der Nachbarschaft des Flughafens Köln/Bonn keinen Anlass haben, an
unserem Willen, zu einer weiteren Entlastung zu kommen
- wie bei allen anderen Flughäfen auch -, wie es im Flughafenkonzept festgelegt ist, zu zweifeln, weil sie eine wesentliche Voraussetzung für die weitere Expansion im
Luftverkehr darstellt.
Der Sachverhalt, der sich ergibt, ist aber etwas klarer,
als Sie ihn darstellen. Ich will das mit einem Beispiel belegen.
Bei einem der beiden offenen Punkte, die dort angesprochen worden waren und um deren Behandlung die
Europäische Kommission gebeten worden war, ging es
darum, ein Nachtflugverbot für Flugzeuge ab einem bestimmten Gewicht, ab einer bestimmten Größe festzulegen. Aus der Antwort geht sehr klar hervor, dass man eine
solch klare Grenze nicht ziehen kann, weil es keineswegs
so ist, dass Flugzeuge ab einem bestimmten Gewicht sehr
viel lauter sind als solche, die dieses Gewicht nicht haben.
Ein solches konditioniertes Verbot wäre kein Instrument
gewesen, um tatsächlich und wirksam zu einer Verbesserung der Nachtruhe beizutragen.
Ein ähnlicher Sachverhalt findet sich auch bei dem anderen Punkt.
Das ist der eigentliche Grund dafür gewesen, dass wir
gesagt haben: Wir wollen an dieser Stelle auf eine weitere
Prüfung verzichten, weil sich der Sachverhalt klar ergibt.
Wir bleiben beim
Fluglärm in Köln/Bonn. Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Norbert Röttgen auf:
Besteht aus Sicht der Bundesregierung eine mit dem EU-Recht
konforme Möglichkeit, Regelungen umzusetzen, die zu einer
nachhaltigen - insbesondere nächtlichen - Fluglärmreduzierung
am Flughafen Köln/Bonn führen, und, wenn ja, welche Vorgaben
sind dabei zu beachten?
Ja. Wir
treten auf internationaler und auch auf EU-Ebene für
die Ausschöpfung der technischen Maßnahmen zur Lärmreduzierung ein. Darüber hinaus ist eine Novellierung des
Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm in Vorbereitung,
mit der die Schutzzonen durch deutlich verschärfte
Grenzwerte insbesondere für die Nacht, die bisher nicht
durch eine eigene Schutzzone definiert wurden, neu bestimmt werden.
EU-konforme Maßnahmen gegebenenfalls zusätzlicher Art, die aufgrund der örtlichen Verhältnisse einzuführen sind, müssen nach Art. 8 und 9 der Verordnung des
Rates 2408/92 den Prinzipien der Nichtdiskriminierung
und der Verhältnismäßigkeit folgen. Bei einer Betriebsbeschränkung für große Flugzeuge wäre die Einhaltung dieser Prinzipien nicht gewährleistet, weil es Flugzeuge gibt,
die weniger Masse haben, aber beim Start und bei der
Landung lauter sind.
Herr Kollege Röttgen
zu einer ersten Nachfrage.
Ich habe nicht
nach der allgemeinen Politik gefragt, sondern danach, wie
Sie sich um diesen konkreten Fall kümmern. Sie haben
eben ausgeführt, Sie hätten europarechtliche Bedenken
gegen zwei Punkte, die der Landtag von Nordrhein-Westfalen beschlossen hat. Ich habe schon gesagt, dass dafür
keine Begründung geliefert worden ist, auch nicht von der
Europäischen Kommission. Wenn Sie der Auffassung
sind, das gehe so nicht, dann stehen die Bundesregierung
und die nordrhein-westfälische Landesregierung in der
Pflicht, Alternativen für den konkreten Fall - es geht nicht
darum, was im Allgemeinen gemacht wird - zu überlegen
und zu versuchen, sie umzusetzen.
Dahin zielte meine Frage, die ich jetzt noch einmal wie
folgt stellen möchte: Welche konkreten Initiativen hat die
Bundesregierung, wenn sie den einen Weg für nicht gangbar hält, unternommen, um auf europarechtskonforme
Weise zu dem Ziel zu gelangen, und sind Ihnen Initiativen
der betroffenen Landesregierung bekannt? Ich frage dies
auch vor dem Hintergrund der jüngsten Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der eine
staatliche Schutzpflicht für den Fall von Fluglärm - es
ging um den Flughafen Heathrow in Großbritannien - anerkannt hat.
Erstens.
Die Rechtslage in Großbritannien ist eine andere, sodass
ein Urteil wie das des Europäischen Gerichtshofs im Zusammenhang mit Heathrow bei uns so nicht möglich
wäre.
Zweitens. Es ist nicht unsere Aufgabe, selbst Initiativen zu ergreifen. Sollten an uns aber neue Vorschläge herangetragen werden, die zu einer Verbesserung der Lärmsituation vor Ort beitragen können, so werden wir
selbstverständlich in bewährter Art und Weise und in enger Abstimmung mit den zuständigen Behörden überlegen, inwiefern sie durchsetzbar und hilfreich sind.
({0})
- Mir ist eine solche Initiative vonseiten der Landesregierung bisher nicht bekannt, was nicht ausschließt, dass sie
im Haus schon vorliegt.
Ich rufe jetzt die
Frage 23 des Abgeordneten Helmut Heiderich auf:
Mit welchen Finanzierungsbeträgen wird die Bundesregierung in den kommenden fünf Jahren die grundhafte Erneuerung
mit dem Anbau eines zusätzlichen Fahrstreifens in allen Steigungsstrecken auf der Bundesautobahn A 4 zwischen dem Kirchheimer Dreieck und der Landesgrenze Hessen/Thüringen durchführen und welche Reihenfolge der Bauabschnitte ist dabei
vorgesehen?
Sehr geehrter Herr Heiderich, ich muss Ihnen jetzt zwei Seiten
vorlesen. Sie haben danach gefragt, wie der Ausbauplan
sein wird. Die Antwort ist relativ detailliert. Ich bitte Sie
also um etwas Geduld.
Solange wir nicht selber mitbauen müssen, geht das.
Das
müssen Sie nicht. Das machen selbstverständlich wir in
bewährter Weise für Sie.
Innerhalb der nächsten fünf Jahre soll der östliche Abschnitt Wommen-hessisch/thüringische Grenze mit einem Mitteleinsatz von rund 125 Millionen DM gebaut
und fertig gestellt werden. Die aus den sechs Abschnitten
Kirchheim, Bad Hersfeld/West, Anschlussstelle Bad
Hersfeld, Bad Hersfeld/Ost, Friedewald und Wildeck bestehende insgesamt rund 36 Kilometer lange und rund
410 Millionen DM teure westliche Teilstrecke soll kontinuierlich von West nach Ost ausgebaut werden.
Der als Vorabmaßnahme bereits in Bau befindliche
rund 1 Kilometer lange und rund 32 Millionen DM teure
Abschnitt Anschlussstelle Bad Hersfeld wird im Sommer
2002 fertig gestellt. Als zweite Vorabmaßnahme soll sich
ab Mitte 2002 bis Mitte 2003 der Bau des zum Abschnitt
Friedewald gehörenden bereits baureifen, rund 9 Millionen DM teuren beidseitigen neuen Parkplatzes Nadelöhr anschließen.
Mit dem Streckenausbau soll im knapp 6 Kilometer langen und rund 58 Millionen DM teuren Abschnitt Kirchheim im Jahre 2004 begonnen werden. Folgen sollen dann
die beiden zusammen rund 11 Kilometer langen und rund
125 Millionen DM teuren Abschnitte Bad Hersfeld/West
und Bad Hersfeld/Ost, für die nach Fertigstellung der Umweltverträglichkeitsstudie mit der Erarbeitung der Projektunterlagen begonnen wurde. Den Abschluss bilden die
beiden zusammen rund 18 Kilometer langen und rund
185 Millionen DM teuren Abschnitte Friedewald und Wildeck, für die derzeit die Umweltverträglichkeitsstudien erarbeitet werden.
Eine Aussage zu den Finanzierungsansätzen für den
Zeitraum der kommenden fünf Jahre ist angesichts der gegebenen Planungssituation derzeit nicht möglich. Die finanziellen Dispositionen für diese fünf Abschnitte werden zu gegebener Zeit in Abhängigkeit von der Baureife
und den zur Verfügung stehenden Finanzierungsmöglichkeiten zwischen dem Bund und der hessischen Landesregierung im Rahmen der Aufstellung der künftigen Bundesfernstraßenhaushalte bilateral abzustimmen sein.
Angestrebt wird die komplette Fertigstellung des Ausbaus
der A 4 in Hessen bis zum Ende des Jahrzehnts.
Herr Kollege
Heiderich hat das Wort zu einer Nachfrage.
Herr Staatssekretär,
zunächst herzlichen Dank für die ausführliche Antwort.
Es ist klar geworden, dass es sich um einen relativ großen
Bauabschnitt handelt, weswegen eine kurze Antwort unangemessen gewesen wäre.
Ich habe bereits im Hinblick auf den von Ihnen genannten ersten Bauabschnitt - Sie haben ihn eben mit einer Größenordnung von 32 Millionen DM beziffert - zur
Kenntnis nehmen müssen, dass es, was die Ausführung
der Bauarbeiten angeht, zu erheblichen Verzögerungen
gekommen ist. Habe ich Sie eben richtig verstanden, dass
es bei Ihnen für die Finanzplanung der nächsten Jahre
noch keine konkreten Festlegungen der Höhe der Finanzmittel gibt, sondern dass nur perspektivisch entschieden
ist, welche Bauabschnitte in den nächsten fünf Jahren geplant sind?
Wie ich
Ihnen bereits sagte, ist die Finanzierung des zurzeit im
Bau befindlichen ersten Abschnitts geklärt. Dasselbe gilt
für die Vorabmaßnahme, die ab Mitte 2002 begonnen
werden soll. Alles, was darüber hinausgeht, wird im Rahmen der Finanzierung der kommenden Haushalte zu
klären sein.
Herr Kollege
Heiderich hat das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Wir haben nun die
besondere Situation, dass sich im Raum Bad Hersfeld in
den letzten Jahren eine doch größere Zahl von Logistikunternehmen angesiedelt hat und dadurch die Verkehrsbelastung in diesem Raum erheblich angestiegen ist.
Weiterhin muss man zur Kenntnis nehmen, dass der
Bau der A 44, die von Kassel nach Eisenach führen soll,
doch nur zögerlich vorankommt, obwohl die Verkehrsbelastung in diesem Raum sehr stark zugenommen hat. Halten Sie es für in absehbarer Zeit möglich, den Ausbau des
Abschnitts Bad Hersfeld-Sorga vorzuziehen und im Rahmen dieses vorgezogenen Ausbaus dort auch eine neue
Autobahnanschlussstelle zu errichten? Das ist im Übrigen
in der hessischen Raumordnungsplanung schon seit einiger Zeit so vorgesehen.
Ich bitte
um Entschuldigung, dass ich nicht in der Lage bin, auf die
Frage nach einer neuen Anschlussstelle detailliert zu antworten, da wir an dieser Stelle sehr viele einzelne Projekte
haben. Ich würde Ihnen das aber gerne schriftlich nachreichen.
Bevor ich die nächste
Frage aufrufe, möchte ich jetzt schon bekannt geben, dass
man sich interfraktionell darauf geeinigt hat, die Aktuelle
Stunde bereits um 15.15 Uhr aufzurufen. Wir sind nämlich schon fast am Ende der Fragestunde.
Jetzt kommen wir zur Frage 24 des Abgeordneten
Hartmut Koschyk:
Wie erklärt sich die Bundesregierung die Notwendigkeit von
umfangreichen Reparaturmaßnahmen mit erheblichen negativen
Auswirkungen auf den Verkehrsfluss auf Bundesautobahnen
({0}) bereits kurze Zeit nach deren Fertigstellung, wie zum Beispiel auf der BAB A9 in Höhe Spänfleck bei Gesees, und wie hoch
beziffert die Bundesregierung, sofern sie keine Regressforderungen bei den ausführenden Unternehmen durchsetzen kann, die dadurch entstehenden Kosten?
Herr
Koschyk, auch bei dieser Antwort bitte ich um Entschuldigung, dass sie etwas länger ausfallen und von technischen Details, die allerdings notwendig sind, geprägt sein
wird.
Angesichts vorgeschriebener und praktizierter sorgfältiger Planung, Bauvorbereitung und Bauüberwachung sind
umfangreiche Reparaturmaßnahmen bereits kurze Zeit
nach Fertigstellung von Baumaßnahmen an Bundesautobahnen eine sehr seltene Ausnahme. Dies gilt auch für die
A 9, die allein in Bayern in den letzten zehn Jahren zwischen der bayerisch-thüringischen Grenze bei Hirschberg
und Nürnberg auf rund 125 Kilometer Länge sechsstreifig
ausgebaut wurde.
Die angesprochenen, auf dem seit November 2000 in
Verkehr befindlichen Abschnitt Sophienberg-Trockau in
einem Bereich von rund 700 Meter Länge bei Spänfleck
südlich von Bayreuth aufgetretenen Schäden sind die einzigen im Zuge dieses gesamten bisher erfolgten Ausbaus
der A 9. Die Schäden sind an drei verschiedenen Stellen
der östlich der ursprünglichen A 9 neu gebauten Richtungsfahrbahn Berlin auf Längen bis zu 70 Meter als
Hebungen der Fahrbahn um bis zu 20 Zentimeter Höhe
aufgetreten. Hervorgerufen werden diese Hebungen
durch das Quellen entsprechender lokal eng begrenzt vorhandener Tonmineralien bzw. durch das Entstehen von
Gips aus ebenfalls lokal eng begrenzt vorhandenem
Schwefelkies durch den Zutritt von Wasser.
Im Vorfeld der Bauausführung und der hierzu vorgenommenen Aufschlussbohrungen im dortigen bis zu
70 Meter mächtigen Opalinus-Ton waren diese lokalen
Besonderheiten nicht erkannt worden. Auch während der
Bauarbeiten zur Herstellung des Einschnitts im Bereich
von Spänfleck, bei denen unvermeidlich Veränderungen
des Schichtwasserverlaufs erfolgten, sind diese Quellungen nicht eingetreten, sondern erst nach Inbetriebnahme
des Ausbauabschnitts im Frühjahr 2001.
Nach dem Entfernen des Asphaltoberbaus an diesen
drei Stellen wurden die quellenden Bodenbestandteile
und das im Verlauf veränderte Schichtwasser in 2,5 Meter
Tiefe unter dem Planum angetroffen. Die nach Einrichtung einer Vier-plus-Null-Verkehrsführung auf der Richtungsfahrbahn Nürnberg seit Anfang September laufende
Sanierung der Richtungsfahrbahn Berlin erfolgt durch
Bodenaustausch bis zu einer Tiefe von 3 Meter unter Planum - also ein ziemlich tiefes Loch -; zusätzlich werden
Kiesschichten als Flächenfilter zur Ableitung des Wassers
eingebaut. Die Sanierungsarbeiten werden noch in diesem
Monat abgeschlossen.
Die Kosten für die Sanierung werden auf rund 1 Million DM geschätzt. Da die für die eingetretenen Schäden
ursächlichen besonderen, lokal eng begrenzten Bodenverhältnisse im Vorfeld der Bauausführung nicht bekannt
gewesen waren, sind sie auch nicht Gegenstand der Bauvertragsunterlagen. Das Grundbauinstitut des Landesgewerbeaufsichtsamtes ist beauftragt, die Hebungen zu untersuchen und deren Ursachen zu ermitteln, um unter
Verwendung dieser Ergebnisse die entsprechenden Fragen, insbesondere auch die Frage der Kostenträger, abschließend beantworten zu können.
Herr Kollege Koschyk
zu einer Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär,
kann die Bundesregierung ausschließen, dass sich solche
Dinge auf dem jetzt dann weiter zu bauenden Abschnitt bis
Bayreuth-Nord und auf dem Bauabschnitt, der jetzt vollendet worden ist, wiederholen? Was wird die Bundesregierung
tun, damit es dort nicht zu ähnlichen Vorgängen kommt?
Herr
Koschyk, solche Dinge, die, wie ich gesagt habe, sehr,
sehr selten sind, sind vom Grundsatz her leider nicht ganz
auszuschließen. Sie können das an der hiesigen Baumaßnahme auch ganz gut nachvollziehen. Im Vorfeld wurden
Bohrungen im Abstand von 100 Metern durchgeführt.
Die Hebung - wir haben es mit einem besonderen Aufkommen von Grundwasser zu tun - ist lokal sehr eng begrenzt. Die 100-Meter-Bohrungen haben dies nicht erkennen lassen. Normalerweise treffen wir 95 bis
98 Prozent aller Vorkommnisse im Vorfeld an. Wir können sie sozusagen ermitteln und uns darauf einstellen. Es
ist nicht möglich, 100 Prozent aller Zwischenfälle, die im
Verlauf eines Baues auftreten und anschließend eine
schädliche Wirkung haben können, zu erfassen. Man
muss solche Dinge, auch wenn sie ärgerlich sind, gelegentlich hinnehmen.
Es gibt eine zweite
Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär,
hätte man die Reparaturmaßnahmen nicht etwas günstiger
koordinieren können, nämlich so, dass sie nicht zum
Ferienende mit dem damit verbundenen erhöhten Verkehrsaufkommen durchgeführt worden wären? Es war
schon etwas verwunderlich, dass die zuständige Autobahndirektion erklärt hat, man müsse aufgrund des Terminplans der beauftragten Firma die Reparaturmaßnahmen am Ende der Ferien und nicht später durchführen.
Dass Firmen, die die Reparaturen durchführen, die Terminpläne vorgeben und man auf die ansteigende Verkehrsentwicklung zum Ferienende mit den sich daraus
ergebenden Staus keine Rücksicht genommen hat, ist in
der Region auf sehr großes Unverständnis gestoßen.
Herr Koschyk, ein solcher
Sachverhalt und eine solche Äußerung sind mir nicht bekannt.
Ich gehe davon aus, dass diese Baumaßnahme so früh
wie möglich, nachdem abgeschätzt werden musste, in
welchem Umfang sie nötig ist, begonnen wurde. Hebungen in einem Umfang von 20 Zentimetern führen dazu,
dass der entsprechende Autobahnabschnitt gänzlich unbenutzbar ist. Dies hat Umleitungen und entsprechende Vorkehrungen nötig gemacht. Es ist richtig, mit dem entsprechenden Bau so früh wie möglich zu beginnen. Es
müssen aber die notwendigen Vorbereitungen getroffen
werden.
Ich werde in meinem eigenen Hause nachfragen, ob
dort von dem Sachverhalt, den Sie angesprochen haben,
etwas bekannt ist, und Ihnen eine entsprechende schriftliche Antwort zukommen lassen.
Wir kommen jetzt
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Barbara Hendricks zur Verfügung.
Die Fragen 25 und 26 des Kollegen Erwin
Marschewski werden schriftlich beantwortet, sodass ich
jetzt die Frage 27 des Kollegen Dirk Niebel aufrufe:
Haben vor der Festlegung des Feinkonzeptes zur Strukturentwicklung der Bundesfinanzverwaltung und der Neustrukturierung
des Zollfahndungsdienstes Standortprüfungen stattgefunden, und
wenn nein, warum nicht?
Herr Kollege Niebel, ja.
Zur Entscheidungsfindung hinsichtlich der Auswahl und
Anzahl der Standorte der Zollfahndungsämter und deren
Außenstellen wurden folgende Standortkriterien zugrunde
gelegt: Bei der Standortprüfung war vor allem maßgeblich, wo sich die Kriminalitätsschwerpunkte für den originären Zuständigkeitsbereich des Zollfahndungsdienstes
befinden, die sich insbesondere durch die Wirtschaftsschwerpunkte, durch Verkehrs- bzw. Schmuggelrouten
zu Drittlandsgrenzen und durch eine geographische
Kriminalitätsanalyse aufgrund der Daten aus dem Informationssystem Zoll - INZOLL heißt es abgekürzt - bestimmen lassen. Ferner wurden bei der Ermittlung von
Aufgabenschwerpunkten die maßgebenden Faktoren, unter anderem die Außengrenzen der EU einschließlich der
internationalen See- und Flughäfen und Sonderprobleme,
wie regionale Besonderheiten beim Zufuhrdruck von
Betäubungsmitteln oder Zigarettenschmuggel - insbesondere aus Osteuropa -, berücksichtigt.
Herr Kollege Niebel
hat das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Nein, ich habe keine. Sie hat mit
Ja geantwortet.
Herr Kollege Niebel, glauben Sie wirklich, wir würden vorher nicht überlegen, was
wir machen? Ihre Frage lautete ja, ob wir vorher eine Analyse durchgeführt hätten, und wenn nein, warum nicht. Ich
sagte Ihnen, dass wir eine Analyse durchgeführt haben.
Das war jetzt die Umkehrung der Fragestunde. Jetzt werden die Abgeordneten
gefragt.
Ich rufe die Frage 28 des Abgeordneten Dirk Niebel
auf:
Wenn ja, welches Ergebnis gab es für Heidelberg, und in welcher Form wurde dieses Ergebnis in der Festlegung des Feinkonzeptes berücksichtigt?
Nach dem Ergebnis der
soeben erläuterten Entscheidungsfindung zur Auswahl
der künftigen Standorte des Zollfahndungsdienstes und
insbesondere nach der geographischen Kriminalitätsanalyse im Bundesland Baden-Württemberg, mit der originäre Zuständigkeitsbereiche des Zollfahndungsdienstes
beleuchtet wurden, ist im direkten Vergleich der Standort
Heidelberg aufzugeben.
Jetzt gibt es aber eine
Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, nachdem
Sie in Ihrer Antwort auf meine Frage 27 die Kriterien dargelegt haben, möchte ich von Ihnen wissen, warum unter
diesen Kriterien im Hinblick auf den Umstand, dass es
sich beim Rhein-Neckar-Dreieck um das siebtgrößte Ballungsgebiet mit dem zweitgrößten Binnenhafen der Bundesrepublik Deutschland sowie um den Schwerpunkt der
Drogenkriminalität in Baden-Württemberg handelt, ausgerechnet die Zollfahndung in Heidelberg aufgelöst wird
und stattdessen von Karlsruhe oder Freiburg aus durchgeführt werden soll.
Der Zollfahndungsstandort
Heidelberg kann nicht aufrecht erhalten werden, da er
auch nach der jüngsten Analyse der Zahlen für das Jahr
2000 und das erste Halbjahr 2001 keinen Schwerpunkt
der Kriminalität, der Zollkriminalität in Baden-Württemberg darstellt. Sie müssen immer bedenken, dass es hier
um Aufgaben des Zolls und nicht um Aufgaben der Polizei geht.
Mit den vorliegenden Vorschlägen zur Neuorganisation des Zollfahndungsdienstes im Bundesland BadenWürttemberg wird sowohl den veränderten Anforderungen an die Kriminalitätsbekämpfung als auch dem
berechtigten Anliegen einer angemessenen Präsenz von
Kräften des Zollfahndungsdienstes Rechnung getragen.
Weitere Standorte oder eine Erhöhung des Fahndungssolls für Baden-Württemberg sind nicht zu vertreten, da
sie nicht mit den Zielen der Neuorganisation vereinbar
sind und zulasten der Gesamtkonzeption gingen. Es ist
nämlich weder Aufgabe noch Ziel des Zollfahndungsdienstes, mit kleinen Arbeitseinheiten die Polizei bei der
Bekämpfung offener Rauschgiftszenen zu unterstützen.
Eine zweite Nachfrage von Herrn Niebel.
Frau Staatssekretärin, ich freue
mich natürlich über die gute Kriminalitätsbekämpfung in
Baden-Württemberg. Allerdings ist die Zollfahndungsstelle und hier insbesondere die Drogenfahndung in Heidelberg natürlich in den gesamten Rhein-Neckar-Raum
hinein sowie nach Hessen und Rheinland-Pfalz tätig, sodass hier die Drogenkriminalität grenzüberschreitend
bekämpft wird. Wie wollen Sie das im Bereich der inneren Sicherheit in diesem Falle nachweislich entstehende
Loch füllen?
Nein, Herr Kollege, es entsteht nachweislich kein Loch im Bereich der inneren Sicherheit. Zwar ist die Zollfahndung bisher Landesgrenzen
überschreitend vom Standort Heidelberg aus tätig, wird
aber natürlich auch von einem anderen Standort aus Landesgrenzen überschreitend tätig sein. Sie haben gerade
selbst darauf hingewiesen, dass die Fahnder nicht nur am
Standort Heidelberg tätig sind, sondern von dort ausschwärmen. Dann können sie selbstverständlich auch von
einem anderen Standort ausschwärmen.
({0})
- Das kommt immer darauf an, in welche Richtung man
fährt.
({1})
Ich rufe nun die
Frage 29 des Kollegen Dr. Reinhard Göhner auf:
Welche Gründe sind für die Bundesregierung maßgeblich, in
dem am 10. September 2001 vorgelegten Feinkonzept zur Neustrukturierung der Bundesfinanzverwaltung entgegen dem im Oktober 2000 veröffentlichten Grobkonzept und dem Ergänzungsband vom Dezember 2000 nunmehr die Schließung des Zollamtes
Herford vorzusehen?
Die Abstimmungsgespräche im Rahmen der Feinplanung der Zollamtsstruktur
haben gezeigt, dass die ursprüngliche Planung einer Verlagerung der zollamtlichen Tätigkeiten von Lemgo nach
Herford nicht den wirtschaftlichen Gegebenheiten der Region entspricht. Der im Feinkonzept nunmehr - entgegen
der ursprünglichen Planung - vorgesehene Erhalt des
Zollamtes Lemgo kommt den Wirtschaftsbeteiligten des
Raums östlich von Bielefeld entgegen und ist allgemein
auf Zustimmung gestoßen.
Eine erste Nachfrage
des Kollegen Göhner.
Frau Staatssekretärin, nachdem alle vorherigen Konzepte im BMF zur
Neuordnung der Zollverwaltung von einer Stärkung und
Erweiterung des Zollamtes Herford ausgingen, frage ich
Sie, welcher neue Sachverhalt oder welches neue Kriterium dazu geführt hat, dass nun eine gegenteilige Entscheidung vorgesehen ist. Dabei muss man berücksichtigen, dass die Entscheidung für das Zollamt Lemgo, die
ich nachdrücklich unterstütze, auf Sachverhalten und Argumenten beruht, die absolut identisch auch für die Erhaltung des Standortes Herford gelten. Angesichts dessen
frage ich mich, welche neuen Aspekte dem jetzigen Vorschlag zugrunde gelegt werden.
Es ist abgewogen worden,
welcher der Standorte, Herford oder Lemgo, für die Wirtschaftsbeteiligten auch unter dem Gesichtspunkt geographischer Bedingungen wichtiger und günstiger wäre.
Wenn das Zollamt Herford nicht mehr erhalten bleibt,
dann sind die übrigen Zollämter sowohl nördlich als auch
südlich des Kreises Herford, also Porta Westfalica oder
Lübbecke bzw. Bielefeld, auch von den Wirtschaftsbeteiligten des Kreises Herford leichter zu erreichen, als gäbe
es in Lemgo kein Zollamt.
Herr Kollege Göhner,
bitte zu einer zweiten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, ist der Bundesregierung nicht bekannt, dass die
demnächst zur nächsten Zollverwaltung - für den Wirtschaftsraum Herford also Bielefeld, Lübbecke oder Minden - zurückzulegende Entfernung genauso groß ist, wie
das im Kreis Lippe zu den benachbarten Zollverwaltungen der Fall gewesen wäre, falls man Lemgo geschlossen
hätte? Demzufolge hätte umgekehrt das gleiche Argument, das sei für Lippe zu weiträumig, eine zu große Entfernung, haargenau für die Wirtschaftsregion Herford gelten und zur Erhaltung auch der Zollverwaltung Herford
führen müssen. Wieso werden Lemgo und Herford hier
gegeneinander ausgespielt?
Lemgo und Herford werden nicht gegeneinander ausgespielt. Vielmehr war im
Ursprungskonzept vorgesehen, das Zollamt Herford zu
erhalten und das Zollamt Lemgo zu schließen. Es war also
in jedem Fall Gegenstand der Planung des Bundesfinanzministeriums, in diesem Raum ein kleineres, nicht leistungsfähiges Zollamt zu schließen und dasjenige, das
übrig bleibt, zu stärken. Dies ist jetzt zugunsten von
Lemgo und nicht zugunsten von Herford entschieden
worden.
Ich weiß, dass es Ihnen als Ostwestfalen natürlich
schwer fällt, für den Erhalt des Zollamtes Herford einzutreten und zu sagen: Lemgo interessiert mich nicht, aber
Sie müssen das im Zusammenhang sehen. Sie sagen
natürlich auch, Sie begrüßen den Erhalt des Standortes
Lemgo, aber Sie sollten bitte bedenken, dass wir auf die
Leistungsfähigkeit der Verwaltung insgesamt Rücksicht
nehmen müssen.
Zur Abwechslung
habe ich jetzt eine Frage. Hat sich damit die Frage 30, bei
der es um das Zollamt Herford geht, schon erledigt? - Das
ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Frage 30 des Abgeordneten
Dr. Reinhard Göhner.
Hält die Bundesregierung es für vertretbar, im gesamten Kreis
Herford kein Zollamt zu unterhalten, und wenn ja, hat die Bundesregierung bei ihrer Entscheidung den zu befürchtenden Schaden für den Wirtschaftsstandort Kreis Herford im Vergleich zu anderen Zollämtern berücksichtigt?
Die Zollverwaltung richtet
ihre Strukturplanung nicht vorrangig an kommunalen
Strukturen aus. Für die Firmen im nördlichen bzw. nordöstlichen Teil des bisherigen Zollamtsbezirks ist nach
Auflösung des Zollamtes Herford die Zuordnung zu den
Zollämtern Lübbecke bzw. Porta Westfalica vorgesehen,
sodass diese Firmen nicht mit einer Verschlechterung der
Abfertigungsbedingungen rechnen müssen. Der dauerhafte Erhalt des Zollamtes Herford ist daher aus Sicht der
Bundesfinanzverwaltung nicht erforderlich.
Begleitend werden zum Zweck der Serviceverbesserung
verlängerte Öffnungszeiten der Zollämter sowie der Einsatz mobiler Abfertigungsdienste geprüft. Auch die konsequente Ausschöpfung aller rechtlich zulässigen Abfertigungsvereinfachungen sowie die Inanspruchnahme des
IT-Verfahrens ATLAS stellen Möglichkeiten dar, die Besuche beim Zollamt erheblich einzuschränken und damit
die Folgen der Umstrukturierung für die betroffenen Firmen zu verringern. Nachteile für den Wirtschaftsstandort
Herford sind daher nicht zu befürchten.
Herr Kollege Göhner,
zu einer Nachfrage, bitte.
Frau Staatsekretärin, wie können Sie ernsthaft die Auffassung vertreten,
dass Nachteile für die Wirtschaftsregion Herford nicht zu
befürchten seien, wenn sich die Länge der Wege zur
nächsten Zollabfertigung in einer Wirtschaftsregion mit
einem hohen Anteil import- und exportabhängiger Industrie vervielfacht, mindestens verdoppelt?
({0})
Herr Kollege Göhner, ein
Zollamt in Herford ist in der Stadt Herford angesiedelt.
Der Zollamtsbezirk ist naturgemäß größer. Also haben
sich auch bisher Wirtschaftsbeteiligte auf den Weg zum
Zollamt Herford machen müssen, weil nicht alle Wirtschaftsbeteiligten in der Stadt Herford angesiedelt sind.
Diejenigen im nördlichen und nordöstlichen Teil des
Kreises Herford begeben sich nunmehr nicht mehr nach
Herford, sondern entweder nach Lübbecke oder nach Porta
Westfalica; dorthin wird noch eine Verlegung stattfinden.
Das heißt, sie machen sich in anderer Richtung auf den
Weg. Die Firmen im südlichen Teil begeben sich zukünftig nach Bielefeld und nicht mehr nach Herford. Das heißt,
auch sie machen sich in anderer Richtung auf den Weg.
({0})
Es können also ausschließlich die Wirtschaftsbeteiligten
in Herford selbst und in dessen unmittelbarer Umgebung
durch längere Wegezeiten spürbar betroffen sein. Alle anderen haben auch vorher schon Wege in Kauf nehmen
müssen.
Letzte Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, im Umkreis von Herford befinden sich wichtige Betriebe der Bekleidungsindustrie, des Maschinenbaus und
der Küchenmöbelindustrie, zum Beispiel in Enger unter
anderem der größte Hersteller von Küchenmöbeln in der
gesamten Bundesrepublik. Alle diese Firmen handeln in
hohem Maße mit Drittländern. Für diese Unternehmen ergeben sich gemäß dem vorgelegten Feinkonzept größere
Entfernungen von 20 Kilometern zur nächsten Zollabfertigung. Wollen Sie ernsthaft sagen, dass das kein Nachteil
für die betroffene Wirtschaft ist, wenn mit diesen Wegen
zusätzliche zeitliche und natürlich auch Umweltbelastungen in diesem Umfang verbunden sind?
Herr Kollege Göhner, Ihre
Schätzung, die Entfernung betrage 20 Kilometer, ist in der
Tat zutreffend. Dies ist aber, betrachtet man die Fläche der
Bundesrepublik Deutschland, kein langer Weg zum
nächsten Zollamt; das war es auch schon bisher nicht.
Die Frage 31 der Kollegin Kopp und die Fragen 32 und 33 des Kollegen Weiß
({0}) werden schriftlich beantwortet.
Die Fragestunde ist damit beendet.
Wie bereits verabredet und angekündigt, beginnen wir
um 15.15 Uhr mit der Aktuellen Stunde, die von der
CDU/CSU-Fraktion zur Arbeitsmarktpolitik beantragt
wurde.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({1})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Haltung der Bundesregierung zur weiterhin
Besorgnis erregenden Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt
Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Redner
dem Kollegen Peter Rauen für die Fraktion der CDU/CSU
das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die Zahlen aus Nürnberg werden von Monat zu Monat mehr zu einem Offenbarungseid für diese Regierung. Wir marschieren stramm
auf 4 Millionen Arbeitslose zu.
({0})
Dazu kommen 1,8 Millionen Menschen, die durch Fortund Ausbildungsmaßnahmen sowie AB-Maßnahmen verdeckt arbeitslos sind. Wir wenden für sie ausweislich der
Auskunft des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit
jährlich einen Betrag von 52 Milliarden DM auf.
Im September dieses Jahres waren 58 200 Menschen
mehr arbeitslos als im September des letzten Jahres - eine
massive Steigerung, die im August begonnen hat -, und
das, obwohl jährlich 209 000 Menschen mehr in den Ruhestand gehen als ins Erwerbsleben eintreten.
({1})
Das ist eine katastrophale Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt.
({2})
Ich habe heute gelesen, dass unser Arbeitsminister von
einer vorübergehend schwierigen Lage spricht und auf die
Schwäche der Weltkonjunktur hinweist. Herr Arbeitsminister, wir stehen am Anfang einer dramatischen Entwicklung. Das ist keine vorübergehende schwierige Lage.
({3})
Denn hinzu kommt: Die Zahl der Überstunden sinkt, die
Kurzarbeit nimmt zu, die Zahl der Insolvenzen steigt dramatisch und die Zahl der gemeldeten offenen Stellen geht
zurück. Das sind alles verheerende Indizien.
Ich habe das Pech, aus eigener Erfahrung sagen zu können, Herr Riester: Der Mittelstand hat noch gar nicht begonnen zu entlassen. Das Letzte, wozu ein Mittelständler
bereit ist, ist die Entlassung von Mitarbeitern. Er versucht
zuerst monatelang, auch zu nicht kostendeckenden Preisen, für Arbeit für seine Mitarbeiter zu sorgen. Wenn das
nicht mehr gelingt, dann werden die Überstunden und die
flexibel angesammelten Stunden abgebaut. Wenn dann
immer noch keine Arbeit da ist, bleibt nichts anderes
übrig, als zu entlassen. Das ist die Realität. Das wird global bewiesen: Es kommt zu einem Rückgang der Überstunden und zu einer Zunahme der Kurzarbeit - und das
auch in Deutschland.
Der Versuch, diese dramatische Situation auf die Entwicklung der Weltkonjunktur zurückzuführen, ist untauglich, ist schlicht und einfach falsch. Herr Riester, das
Statistische Bundesamt hat festgestellt, dass es im letzten Quartal eine deutliche Zunahme der Zahl der Aufträge im Export und eine Abnahme der Zahl der Importe
gab und dass wir in Deutschland - und das nur aus
außenwirtschaftlichen Gründen - ein Wachstum von gerade einmal 1 Prozent haben. Wenn ich jetzt die Zahl, die
Herr Welteke genannt hat, heranziehe - er geht davon
aus, dass wir nur noch ein Wachstum von 0,8 Prozent
haben ({4})
und wenn ich das Wachstum, das durch den Export bewirkt wird, abziehe, dann sieht man: In der Binnenkonjunktur in Deutschland gibt es eine Rezession.
({5})
Das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle hat festgestellt: In den neuen Bundesländern gibt es, absolut gesehen, einen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes. Das
bedeutet: Es gibt in den neuen Bundesländern eine Rezession, die eine ganz dramatische Auswirkung auf die
Zahl der Arbeitsplätze hat. Zu glauben, sich hinter der
Weltkonjunktur verstecken zu können, ist definitiv falsch.
Die schwache Konjunktur in Deutschland insgesamt wird
durch eine nach wie vor gute Exportkonjunktur überdeckt.
Noch im Februar dieses Jahres wurde damit gerechnet,
dass wir im Jahresdurchschnitt 3,66 Millionen Arbeitslose
haben werden. Jetzt wurde von Bernhard Jagoda festgestellt, dass wir bei rund 3,85 Millionen Arbeitslosen landen werden. Das hat natürlich verheerende Konsequenzen
für den Bundeshaushalt. Denn 200 000 Arbeitslose mehr,
also 200 000 Beschäftigte weniger, bedeuten - anders, als
es geplant war - rund 14 Milliarden DM weniger Einnahmen im Bereich der sozialen Sicherungssysteme und
beim Fiskus.
({6})
Bei der Steuerschätzung im Mai nächsten Jahres werden
wir eine entsprechende Überraschung erleben.
({7})
- Ja, ja. Getroffene Hunde bellen. Man kennt das: Wenn
man keine Argumente hat, dann wird entsprechend dazwischengerufen.
Ich habe bereits im April/Mai dieses Jahres darauf hingewiesen, dass wir in 1997 und 1998 bei den Erwerbstätigenstunden einen Aufwuchs hatten und seit 1999 eine
Stagnation zu verzeichnen haben. Darauf hat auch der
Sachverständigenrat immer hingewiesen. Dieses Jahr ist
in Deutschland ein dramatischer Rückgang der Erwerbstätigenstunden festzustellen. Nur aufgrund dieser Stunden
werden Beiträge und Steuern gezahlt.
({8})
Darin liegt der Grund dafür, dass bei der Krankenversicherung Beitragsanhebungen vorgenommen werden müssen und es nicht zu einer Kürzung der Rentenversicherungsbeiträge kommt, obwohl die Regierung die
Ökosteuer nochmals erhöhen will.
({9})
Sie werden an Ihren beiden großen Zielen scheitern.
Die Umsetzung der von Ihnen gemachten Vorgabe, die
Arbeitslosigkeit zu reduzieren, gelingt Ihnen nicht. Ihr
Ziel, die Lohnzusatzkosten zu senken, werden Sie ebenfalls nicht erreichen. Obwohl bei den Menschen im Rahmen der Ökosteuer 110 Milliarden DM abkassiert wurden, werden wir am Ende dieses Jahres ebenso hohe
Sozialversicherungsbeiträge haben wie 1998.
Ich komme zum Schluss. Wer so wie diese Regierung
eine Politik gegen Mittelstand und Arbeitnehmer macht
- das habe ich bereits im Rahmen der Steuerdiskussion
gesagt -, der wird auf dem Arbeitsmarkt scheitern.
({10})
Genau vor diesem Scheitern stehen Sie.
({11})
Herr Kollege Rauen, bitte kommen Sie zum Ende Ihrer Rede.
Es wird höchste Zeit, dass
Sie umkehren. Die Politik der ruhigen Hand unseres
Kanzlers hilft nicht mehr weiter. Greifen Sie auf, was die
Union bereits im Juni dieses Jahres in ihrem Zehnpunkteprogramm gefordert hat!
({0})
Steuern Sie endlich um, damit wir in Deutschland nicht
noch wesentlich mehr Arbeitslose bekommen!
Danke schön.
({1})
Für die
SPD-Fraktion spricht die Kollegin Renate Rennebach.
Herr Präsident! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe eben die Begriffe Katastrophe, Desaster und furchtbar von Ihnen gehört, Herr Rauen,
({0})
Ich muss den Eindruck gewinnen: Als SPD und Grüne
1998 die Regierung in diesem Lande übernommen haben,
ist die Höhe der Arbeitslosigkeit vom Himmel gefallen.
Wir alle haben aber gesehen, dass sie in vielen Jahren von
der CDU/CSU und der FDP produziert worden ist. Seitdem wir regieren, ist die Arbeitslosigkeit zum ersten Mal
spürbar heruntergegangen, und zwar kontinuierlich.
({1})
Seit 1998 sind eine halbe Million Menschen weniger arbeitslos.
Statt uns und die von uns geschaffenen Rahmenbedingungen zu loben
({2})
und zu sagen: Wir unterstützen für unser Land diese Regierung, machen Sie von hinten herum alles kaputt und
reden Sie alles schlecht. Das haben Sie im Übrigen schon
während Ihrer Regierungszeit mit Leidenschaft getan: den
Standort Deutschland so schlecht zu reden, dass niemand
mehr in diesem Land investieren wollte.
({3})
Noch einmal: Statt uns zu loben, empfiehlt die Opposition, Sie, meine Damen und Herren, heute noch fast die
gleichen Instrumente und hat die gleichen Argumente, die
bis 1998 zu einer Arbeitslosigkeit von mehr als 4 Millionen, genau 4,2 Millionen, Arbeitslosen geführt haben,
und zwar ohne Dunkelziffer.
Ich würde Ihnen gern anhand der Entwicklungen der
Jahre 1996 bis 1998 vorführen, wie falsch Ihre Argumente
und Ihre Instrumente waren und noch sind.
({4})
- Zu 2001 kann ich Ihnen auch etwas sagen. Aber Sie
sind, ehrlich gesagt, wirklich nicht kompetent, mir solche
Sachen zu sagen, Sie nicht, Herr Hirche!
({5})
1994: Verschärfung der Sperrzeiten, zwölf Wochen
nun auch für Arbeitslose. ABM-Beschäftigte können vom
Arbeitsamt auch in ein befristetes Arbeitsverhältnis, bisher Dauerarbeitsplatz, abberufen werden. Wer ablehnt
und später arbeitslos wird: Sperrzeit - eine Strafe.
1994 ist die Arbeitslosigkeit von 3,7 Millionen auf
4 Millionen gestiegen.
({6})
1996: Weniger Geld bei ABM, Verschlechterung des
arbeitsrechtlichen Schutzes, Streichung des Schlechtwettergeldes.
1997: Verschlechterung im Kündigungsschutz, Einschränkung der sozialen Kriterien bei betriebsbedingten
Kündigungen, mehr Ausnahmen von der Sozialauswahl,
Aushebelung des Rechts von Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern auf Abfindungen, befristete Arbeitsverträge, Verlängerung auf zwei Jahre, Einschnitte bei der
Fortzahlung von Lohn und Gehalt im Krankheitsfall,
Streichungen bei der Reha.
1998: Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes,
({7})
berufsfördernde Maßnahmen der Reha für Behinderte
werden von Muss- in Kann-Leistungen umgewandelt.
Verkürzte Bezugsdauer von Arbeitslosengeld für ältere
Arbeitslose, Anrechnung von Abfindungen auf das Arbeitsentgelt,
({8})
Verschlechterung bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen,
Verschärfung der Zumutbarkeit, Benachteiligung von
Frauen, Verschlechterung von beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen. All das von 1996 bis 1998!
Die Arbeitslosigkeit ist in dieser Zeit von 3,6 Millionen
auf 4,2 Millionen gestiegen. Erstmalig ab dem Zeitpunkt,
ab dem wir regieren, ist die Arbeitslosigkeit gesunken.
Aber die hier genannten Instrumente empfehlen Sie uns,
und Sie wagen, mit uns darüber zu reden, dass hier eine
Katastrophe ausgebrochen ist, Herr Rauen. Auf Sie
höre ich nicht!
({9})
Ich höre wirklich nicht auf Sie.
({10})
Sie haben überhaupt nicht das Recht, so etwas zu sagen.
Nach den von mir genannten Zahlen müssen Sie froh sein,
dass wir eine andere Politik begonnen und andere Rahmenbedingungen gesetzt haben.
({11})
Der große Jobschaffer IT entlässt zurzeit weltweit, allerdings weniger in Deutschland. Das ist positiv. Aber
eine Zeitung hat geschrieben: Das Wachstum entschleunigt sich.
({12})
Deswegen - um diesen Journalisten zu zitieren - entschleunigt sich auch das Sinken der Arbeitslosenzahlen.
Herr Jagoda - das trifft auch auf Sie zu, Herr Rauen,
Sie sind ja Unternehmer - hat heute an die Unternehmen
appelliert, mehr Entschlossenheit bei Investitionen und
Einstellungen zu zeigen. Daran sollten Sie sich ein Beispiel nehmen.
({13})
Ich erteile
nunmehr dem Kollegen Rainer Brüderle für die FDPFraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesen Tagen wird es immer deutlicher: Die großen Verlierer der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik von Grün-Rot sind die rund vier Millionen
Menschen ohne Arbeit.
({0})
Wir erleben im September erneut einen Zuwachs bei
der Arbeitslosigkeit. Gegenüber dem Vorjahr gibt es
60 000 Arbeitslose mehr, und zwar bei sinkender Erwerbstätigenzahl. Wir müssen leider befürchten, dass die Zahl
von vier Millionen Arbeitslosen wieder überschritten
wird.
({1})
Es ist nichts mit dem Abbau der Arbeitslosigkeit, an dem
wir die Regierung messen sollen. Es ist klar: Grün-Rot hat
beim Abbau der Arbeitslosigkeit versagt.
({2})
Die Ausrede, dies hänge mit den schrecklichen Morden
in Manhattan zusammen,
({3})
kann nicht gelten: Die schlechten Arbeitslosenzahlen hatten Sie schon vor dem 11. September dieses Jahres. Sie
sind Ausdruck einer verfehlten Wirtschaftspolitik. Es ist
nicht in Ordnung, wenn Herr Müller die Wirtschaft dafür
verantwortlich macht und sie beschimpft. Herr Riester
macht dabei teilweise noch mit. Die Wirtschaft hat sich
beim Bündnis für Arbeit gutgläubig einseifen lassen und
manche Regelung mitgemacht. Als Belohnung dafür wird
sie jetzt von Grün-Rot zum Sündenbock ihrer verfehlten
Wirtschaftspolitik gemacht.
({4})
Sie können es bei der OECD, der Bundesbank und
allen Wirtschaftsforschungsinstituten nachlesen: Der
Grund, weshalb es nicht zum Abbau der Arbeitslosigkeit kommt und die Arbeitslosigkeit in Deutschland seit
Monaten wieder steigt, sind unterlassene Reformen am
Arbeitsmarkt. Es fehlt an Flexibilität und Veränderungen.
({5})
- Sie schreien zu Recht. Es ist eine Schande, dass Sie
nichts gemacht haben. Die Arbeitslosen sind dabei die
Dummen.
Ich zitiere den EU-Kommissar Solbes - das können Sie
in allen Zeitungen nachlesen -: Deutschland ist für die
ganze Europäische Union inzwischen zum Problem geworden, weil das größte Land ein Schlafwagen und nicht
mehr die Lokomotive ist. Selbst unsere Nachbarn leiden
unter Ihrer verfehlten Politik.
({6})
Sie packen die Reformen nicht an. Die Statistiken aus
Nürnberg zeigen es jeden Monat: Sie machen nichts. Als
Marketingtrick beschließen Sie das Job-Aqtiv-Gesetz.
({7})
Mit diesem seltsamen Sammelsurium aus Selbstverständlichkeiten, unvermeidlichen Notwendigkeiten und weiteren Grausamkeiten doktern Sie an den Symptomen herum
und verschlechtern die Situation. Der Ausbau öffentlich
geförderter Beschäftigung zum Beispiel ist nicht die Lösung. Sie müssen den ersten Arbeitsmarkt fördern. Dafür
müssen Sie die Rahmenbedingungen verändern.
({8})
Ich sage es Ihnen noch einmal ganz langsam zum Mitschreiben: Ohne Reformen am Arbeitsmarkt werden Sie
die Arbeitslosigkeit nicht abbauen können. Es rächt sich
jetzt, dass Sie nicht den Mut dazu hatten.
({9})
Die Betroffenen sind diejenigen, die an Sie geglaubt haben und jetzt ihre Arbeitsplätze verlieren. Als Ergebnis Ihrer Politik steigt die Arbeitslosigkeit Monat für Monat.
Der Hinweis auf die Terroranschläge in New York hilft Ihnen nicht.
({10})
Sie müssen handeln. Das Tarifvertragswesen muss reformiert werden. Ihre Verschärfung der Mitbestimmungsrechte belastet den Mittelstand mit zusätzlich 2 bis
3 Milliarden DM.
({11})
Das schafft keine Arbeitsplätze, sondern es kostet Arbeitsplätze. Das ist ein Funktionärsförderprogramm für Gewerkschaften, aber kein Arbeitsplatzförderprogramm für
Arbeitslose in Deutschland.
({12})
Schaffen Sie die Zwangsteilzeit wieder ab! Das sind die
richtigen Schritte.
Wenn Sie überhaupt etwas für den Abbau der Arbeitslosigkeit tun wollen, dann bleibt Ihnen nichts anderes
übrig, als das zu machen, was ich seit Monaten fordere:
ein Blitzprogramm. Sie müssen die Steuerreform vorziehen und die weitere Erhöhung der Ökosteuer aussetzen.
({13})
Sie müssen die Arbeitslosenversicherungsbeiträge senken.
({14})
Was machen unsere Konkurrenten? Die Amerikaner
pumpen 170 Milliarden Dollar in die Wirtschaft, indem
sie ein Programm auflegen.
({15})
Ich fordere von Ihnen weitere steuerliche Entlastungen.
({16})
- Die Tatsache, dass Sie schreien, bestätigt nur, dass Sie
ein schlechtes Gewissen haben.
({17})
Sie haben allen Grund, ein schlechtes Gewissen zu haben,
weil Sie die Arbeitslosen um ihre Chancen betrügen.
Das weltwirtschaftlich stärkste Land, die USA, pumpt
kurzfristig 170 Milliarden Dollar in die Wirtschaft,
({18})
und zwar 40 Milliarden Dollar für eine sofortige steuerliche Entlastung durch Steuergutscheine, 75 Milliarden Dollar für Sonderprogramme, 40 Milliarden Dollar
zum Ausgleich für die Schäden von Manhattan und
15 Milliarden Dollar - alles Dollar, keine Mark oder
Lire - zusätzlich für die Luftfahrtindustrie,
({19})
während Sie in Deutschland nichts zustande bringen und
damit dafür sorgen, dass die Arbeitslosigkeit steigt. Sie
sollten sich wirklich schämen. Nutzen Sie die Zeit! Jeden
weiteren Tag, an dem Sie nicht handeln, baden die Kleinsten - die Arbeitslosen, diejenigen, die Angst um ihren Arbeitsplatz haben und ein Stück Hoffnung brauchen - aus,
und zwar nur, weil Sie untätig sind. Aus der ruhigen Hand
ist bei Ihnen eine ruhige Kugel geworden.
Ihre Politik hat dazu geführt, dass unsere Nachbarn in
Europa Sorgen und Angst haben und sich fragen: Was ist
denn in Deutschland, das früher Nummer eins war, los,
dass es seine Hausaufgaben nicht mehr macht, keine Entscheidungen trifft und seinen Arbeitsmarkt nicht flexibilisiert? Das ist exakt die Situation.
({20})
Auch wenn Sie schreien, um die Probleme herumreden
oder Kosmetik betreiben, ändert das nichts an den Fakten.
Dass Sie diese Wahrheit trifft, ist verständlich; dass Sie
nicht handeln, ist unverständlich.
({21})
Für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht die Kollegin
Dr. Thea Dückert.
In Bezug auf die Zurufe von allen Seiten habe ich die
Bitte: Nehmen Sie etwas Rücksicht auf unsere Stenographen.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Brüderle, ich glaube, Sie haben in den
letzten Jahren im Schlafwagen der gelb-schwarzen Koalition gesessen. Sie haben einiges verschlafen.
({0})
Ich erinnere mich gut an steigende Steuern, steigende
Lohnnebenkosten und steigende Arbeitslosenzahlen.
Diese Probleme haben Sie uns hinterlassen.
Heute ist in der Süddeutschen Zeitung etwas Gutes
zu lesen. Ich finde, die Aussagen dort treffen auch auf
Ihren Beitrag, Herr Brüderle, zu. Es wird dort ausgeführt,
derjenige sei ein Narr, der glaube, die weltkonjunkturelle
Entwicklung könne spurlos an der Bundesrepublik
Deutschland vorbeiziehen. Wohl wahr, Herr Brüderle!
Natürlich hat die weltkonjunkturelle Entwicklung auch
in der Bundesrepublik Deutschland eine Bremsspur hinterlassen, die sich auch auf dem Arbeitsmarkt zeigt.
({1})
Sie hat eine über 39 Monate positive Entwicklung auf
dem Arbeitsmarkt abgebremst. Das ist richtig. Wir müssen uns natürlich mit diesem Problem auseinander setzen.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass in den zurückliegenden Jahren die Beschäftigtenzahl auf der Basis dessen,
was Sie uns hinterlassen haben - um gut 1,2 Millionen
gestiegen und die Arbeitslosenzahl um etwa 460 000
zurückgegangen ist.
({2})
Auf diesen Erfolgen können wir uns aber nicht ausruhen.
Deswegen haben wir - entgegen Ihren aktuellen Unkenrufen - bereits vor einem Jahr damit begonnen, das JobAqtiv-Gesetz auf den Weg zu bringen.
Herr Brüderle, mir scheint - mit Verlaub -, Sie wissen
wirklich nicht, worüber Sie reden, wenn Sie behaupten,
diese Maßnahme sei ein Marketingtrick. Mit diesem Gesetz - übrigens ist es von Ihren Kollegen heute im Ausschuss begrüßt worden ({3})
setzen wir bei der Langzeitarbeitslosigkeit an, erreichen
wir die direkte Vermittlung in den Arbeitsmarkt und stellen wir die Integration in den ersten Arbeitsmarkt in den
Mittelpunkt. Weiterhin führen wir neue Instrumente, wie
beispielsweise die Jobrotation ein, die Sie in der Vergangenheit immer gefordert, aber nie umgesetzt haben.
Wir werden in der Arbeitsmarktpolitik neue Wege gehen. Das ist notwendig. Darüber hinaus - ich sehe das
durchaus so - haben wir weiteren Handlungsbedarf. In der
Arbeitsmarktpolitik gibt es keinen Königsweg. Auf dem
Arbeitsmarkt gibt es Gruppen - ich denke in erster Linie
an die Langzeitarbeitslosen -, die es besonders schwer
haben, den Weg zurück in den ersten Arbeitsmarkt zu finden. Ich denke, dass wir weiter darüber diskutieren müssen, wie wir die Brücken in den ersten Arbeitsmarkt für
diese Gruppen festigen können und ihnen weiter Hilfestellung leisten können.
Zu denjenigen, denen wir helfen wollen, gehören beispielsweise jene, die kleinere Beschäftigungsverhältnisse
haben und deren Einkommen zwischen 630 DM und
1 700 DM liegen. Ich weiß, das wird die große Zahl von
3,7 Millionen Arbeitslosen unter dem Strich nicht drastisch reduzieren. Aber wir haben gerade in der Arbeitsmarktpolitik die Aufgabe und die Pflicht, denjenigen, die
Schwierigkeiten haben, in den ersten Arbeitsmarkt zurückzukehren, weiter Hilfestellung zu geben. Das betrifft
zum Beispiel auch Menschen, die Sozialhilfe beziehen,
die es besonders schwer haben, in den Arbeitsmarkt
zurückzukehren, und die bisher nur relativ wenig von
dem, was sie dazuverdienen, behalten dürfen. Ich sage IhRainer Brüderle
nen: Die Modelle, die Sie vorgeschlagen haben, sind immer mit einem Kahlschlag in der Sozialhilfe und bei den
Transferleistungen an die Arbeitslosen verbunden. Das
wollen wir nicht mitmachen.
({4})
Wir wollen - darüber ist auch in der heutigen Ausschusssitzung diskutiert worden - die Zusammenarbeit
der Arbeitsämter und der Sozialämter auf kommunaler
Ebene zum Beispiel durch das Projekt Mozart, das sich
in der Erprobungsphase befindet, verbessern und voranbringen. Ich sage Ihnen: Es wird uns überhaupt nichts helfen, wenn wir hier unfundierte Schnellschüsse machen.
Wir brauchen die Modellprojekte, die im Moment in der
Bundesrepublik Deutschland laufen, um auf deren Basis
weitere Fortschritte erzielen zu können.
Ich sage Ihnen abschließend: Das Ziel dieser Projekte
ist es, den Sozialhilfeempfängern und den Arbeitslosen
den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern. Unser Ziel ist es nicht, die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu nutzen, um Sozialabbau zu betreiben. Das wollen Sie nämlich.
Schönen Dank.
({5})
Für die
Fraktion der PDS spricht der Kollege Dr. Klaus Grehn.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tage der Verkündung von Arbeitsmarktzahlen sind Tage der Wahrheit und keine Tage der
Märchen. Der heutige Tag, Frau Rennebach, gibt eigentlich keinen Anlass, ein Lob auszusprechen. Es ist leider
so. Sie selber loben sich zwar genug. Aber die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gibt, wie gesagt, keinen Anlass
dazu.
({0})
Herr Brüderle, Ihnen muss ich sagen: Es war Ihre Klientel bzw. die von Ihnen beanspruchte Klientel, die die
Einbeziehung von Arbeitszeitfragen in das Bündnis für
Arbeit verhindert hat, insbesondere die Umwidmung von
Überstunden in Arbeitsplätze. Natürlich sollten nicht alle
umgewidmet werden. Was gibt es stattdessen, Herr Kollege Brüderle? - Es gibt einen Konjunkturabschwung.
Wie sieht die Entwicklung der Überstunden aus? - Ihre
Zahl steigt trotzdem. Die Arbeitslosigkeit und die Zahl der
Überstunden steigen bei abflauender Konjunktur. Das ist
das Paradoxon, das gelöst werden muss.
({1})
Wenn es schon ein Desaster bzw. eine Rückwärtsentwicklung in der Weltwirtschaft - diese Forderung geht
natürlich an die Adresse der Regierungskoalition - gibt,
dann muss man gegensteuern. Sie müssen sich fragen lassen, ob das, was im Job-Aqtiv-Gesetz enthalten ist, ausreicht. Nach meiner Meinung reicht es nicht aus.
({2})
- Sie können sich ja melden, wenn Sie eine Zwischenfrage stellen wollen. Ich kann Ihnen hinterher auch
eine Privataudienz geben.
Ich möchte zu den schon genannten Zahlen noch zwei
Bemerkungen hinzufügen: Erstens. Seit 1996 war noch
nie ein solcher Anstieg der Arbeitslosigkeit in einem September wie im letzten Monat zu verzeichnen gewesen.
Das zeigt noch einmal, wie ernst die Situation nach den
monatelangen Entwicklungen, die bereits zu verzeichnen
sind, zu nehmen ist.
Zweitens - dies bitte ich Sie insbesondere zur Kenntnis zu nehmen -: Die Kräftenachfrage ist gesunken. Die
Bundesanstalt für Arbeit vermeldet 287 000 freie Stellen
und ich höre aus Ihrem Munde - aus dem Munde der Bundesregierung, zuletzt gestern von Frau Bulmahn auf der
Konferenz Bündnis für Arbeit -, dass es 1,5 Millionen
freie Stellen gebe. Nun sorgen Sie doch bitte dafür, dass
diese 1,5 Millionen freien Stellen zu den Arbeitsämtern
kommen und zur Vermittlung bereitstehen. Ich habe noch
nirgends exakt nachprüfen können, wo die 1,5 Millionen
freien Stellen sind, die es da geben soll. Auch dies muss
man einmal nachprüfen.
Wie sieht es denn in der Vermittlung eigentlich aus?
Wenn Sie in den neuen Bundesländern in die Arbeitsämter gehen, stellen Sie fest: Dort gibt es nichts zu vermitteln. Die Arbeitsamtsdirektoren sagen mir: Was wir zu
vermitteln haben, sind Jobs in Leiharbeit, die - für 5 DM
Stundenlohn weniger - in die alten Bundesländer vermittelt werden. Wenn Sie durch die Korridore gehen, hören
Sie, dass dort folgende Bemerkungen kursieren: Also, das
Jahr 2001 wird für uns ein mittleres Jahr; es ist besser als
das Jahr 2002, aber schlechter als das Jahr 2000.
({3})
So schätzen es die Fachleute ein. Wer sich also an den Arbeitsmarktzahlen messen lassen will, der muss es mit der
Entwicklung am Arbeitsmarkt sehr ernst nehmen.
Lassen Sie mich bei all Ihren Aussagen über den Anstieg der Beschäftigung deutlich machen, dass bei der Beschäftigung natürlich eine große Rolle spielt, dass die Anzahl der Teilzeitbeschäftigten, der Prekärbeschäftigten,
zugenommen hat. Ich habe das einmal analysieren lassen.
Es gibt zurzeit 7,7 Millionen Teilzeitbeschäftigte - 1996
hatten wir noch 4,1 Millionen Teilzeitbeschäftigte -, bei
einem sinkenden Anteil an Stunden. Sie haben in den alten Bundesländern 0,47 Beschäftigungseinheiten und in
den neuen Bundesländern 0,41. Das hat natürlich zwei
Dinge zur Folge: Erstens sinken die Arbeitslosenzahlen;
aber zweitens steigt die Zahl der Prekärbeschäftigten, der
Armen, denn von 0,41 Beschäftigungseinheiten kann niemand in den neuen Bundesländern leben. Ich glaube übrigens, dass auch viele von ihnen in den alten Ländern mit
0,47 Beschäftigungseinheiten am Rande der Armut oder
in der Armut leben.
Wenn man etwas zum Arbeitsmarkt sagen möchte, muss
man auch dies berücksichtigen, weil daraus das Programm
erwächst. Umgerechnet fehlen, wenn ich nur annehme,
dass von den 7,7 Millionen 5,5 Millionen eigentlich vollzeitbeschäftigt sein wollen, ungefähr 1,5 Millionen bis
2,5 Millionen Stellen, als Äquivalent. Richten Sie also Ihr
Programm an der Realität aus und nicht am Wunschdenken!
({4})
Ich erteile
dem Kollegen Wolfgang Weiermann das Wort; er spricht
für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon abenteuerlich, was man hier teilweise hört, insbesondere von Ihnen,
Herr Brüderle.
({0})
Ich erinnere mich noch recht gut daran - auch die gesamte
von mir aus gesehen linke Seite dieses Hauses tut das -,
dass Sie in Ihren späten Regierungsjahren ein
50-Punkte-Programm oder 51-Punkte-Programm verfolgt
haben; Frau Rennebach hat das vorgetragen. Es hat alles
nichts genützt, Zum Beispiel betrug die Arbeitslosenquote
im Jahre 1997 12,7 Prozent und im September dieses Jahres hatten wir eine Quote von 9 Prozent. Wer also in der
Bundesrepublik Deutschland noch rechnen kann, wird
nicht umhin können einzuräumen, dass die Quote im September 2001 doch erheblich niedriger war als die im Jahre
1997.
({1})
Demjenigen, der hier nur darauf aus ist, mit billiger Polemik Stimmung für sich zu machen, sage ich: Das zieht
nicht. Ich empfehle Ihnen, Herr Brüderle, einen Blick in
das Handelsblatt. Da können Sie sehen, dass die Statistik einen deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit und
einen deutlichen Anstieg bei neu geschaffenen Arbeitsplätzen ausweist. Ich will nicht näher darauf eingehen.
Sie, Herr Rauen, haben davon gesprochen, dass die
Bundesregierung eine kurzsichtige und unentschuldbare
Wirtschaftspolitik gemacht hat.
({2})
Aus Ihrem Munde hätte es eigentlich heißen müssen, dass
überhaupt keine Wirtschaftspolitik gemacht worden ist.
({3})
Der Generalsekretär der CDU hat davon gesprochen, alles sei desaströs.
({4})
Ich sage: Wenn bei einer solchen Wirtschaftspolitik als
Ergebnis herauskommt, dass wir eine weitaus geringere
Arbeitslosigkeit als in den Vorjahren haben, dann war es
eine gute Wirtschaftspolitik der neuen Regierung von
Grünen und Sozialdemokraten.
({5})
Die tieferen Ursachen liegen - Sie wissen ganz genau,
warum es gegenwärtig eine Delle in der Konjunktur gibt in einer allgemeinen Konjunkturschwäche, die die gesamte Weltwirtschaft betrifft.
({6})
Wenn Herr Meyer, Ihr Generalsekretär, sagt, diese Einsicht sei zynisch, dann hält er die Realität, die wir gegenwärtig haben, wohl ebenfalls für zynisch. An dieser Stelle
sage ich ganz deutlich: Dazu erübrigt sich eigentlich jeder
Kommentar.
({7})
Die Mordanschläge der Terroristen in Washington und
New York mit dem Verlust von 6 000 oder 7 000 Menschenleben - man weiß es noch nicht so genau - in einer
Debatte wie der heutigen in eine angeblich verfehlte
Wirtschaftspolitik oder Arbeitsmarktpolitik in der Bundesrepublik Deutschland umzumünzen, ist geradezu
schamlos.
({8})
Das ist ein Zusammenhang, den Sie möglicherweise nicht
gewollt haben; das konzediere ich Ihnen gern.
({9})
Aber vor dem Reden sollte man ein bisschen darüber
nachdenken, mit welchen Dingen man an die Öffentlichkeit tritt und mit welchen nicht.
({10})
In diesem Hohen Hause kann man eigentlich verlangen,
dass man prüft, ob das, was man sagt, auch seine Richtigkeit hat.
({11})
Sie wiederholen gebetsmühlenartig, dass die Steuerreform vorgezogen werden soll - das hieße dann, 45 Milliarden DM einfach auf Pump zu beschaffen -, ganz zu
schweigen von den vielen Vorschlägen mit zigfachen
Milliardenbeträgen, die Sie in Sachen Haushalt gemacht
haben. Sie fordern; aber Sie sagen nicht, wie es finanziert
worden werden soll,
({12})
Sie sagen logischerweise nicht, woher es kommen soll.
Das ist doch keine Politik, das ist Unsinn!
({13})
Wohin kreditfinanzierte Konjunkturprogramme führen, zeigt doch zurzeit das Beispiel Japan. Über diesen
Weg läuft nichts in Sachen Konjunkturförderung.
({14})
Wenn Sie das nicht interessiert, dann interessiert Sie
vielleicht die Meinung der Experten der führenden deutschen Banken, die nämlich derartige Konjunkturprogramme mehrheitlich ablehnen. Die Finanzminister und
Notenbankchefs der führenden sieben Industrienationen
haben sich am vergangenen Wochenende optimistisch in
Bezug auf eine baldige Erholung der Weltkonjunktur
geäußert.
({15})
Der Präsident der EZB schätzt, dass der derzeitige Abschwung nur von kurzer Dauer sein wird. Mein Gott, was
soll man denn noch alles sagen, damit die Unternehmen
in der Bundesrepublik Deutschland - Herr Rauen ich
nehme Ihnen ab, dass Sie ein guter Unternehmer sind -,
({16})
unternehmerisch tätig werden und nicht weinen, sondern
die Ärmel hochkrempeln und in der Situation etwas Gutes
machen, statt die Wirtschaft kaputtzureden.
({17})
- Sie sind ja nicht der einzige Unternehmer. Es gibt Tausende von Unternehmern in der Bundesrepublik Deutschland, die nicht jammern, sondern - das will ich an dieser
Stelle einmal deutlich machen - anpacken.
({18})
Um es deutlich zu sagen: Ich bin das Gejammere der Opposition leid.
Wir werden die Politik der ruhigen Hand natürlich weiter betreiben. Sie wissen ganz genau, dass es keine Alternative dazu gibt; deswegen sind Sie als Oppositionspolitiker heute so böse. Sie wissen, dass diese Politik in
Ordnung ist.
({19})
Herr Kollege Weiermann, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme zum
Schluss.
Meine Damen und Herren von der Opposition, insbesondere von der CDU/CSU, die Politik der ruhigen Hand
hat nichts mit Aussitzen zu tun, wie es der vorherige Bundeskanzler von Ihrer Partei seinerzeit betrieben hat. Verwechseln Sie das bitte nicht!
Herzlichen Dank.
({0})
Für die
Fraktion der CDU/CSU spricht der Kollege Johannes
Singhammer.
(Zuruf von der SPD: Jetzt erklären Sie mal die
Schulden, die Sie gemacht haben!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wenn wir es in den ersten Jahren nicht schaffen, die
Arbeitslosigkeit deutlich zu senken, dann haben wir
es nicht verdient, weiter zu regieren.
({0})
Das sagte der heutige Bundeskanzler Schröder am
26. Juli 1998. Damit haben Sie selbst das Urteil über Ihre
Politik gefällt.
({1})
Tatsächlich bleibt Rot-Grün meilenweit unter der eigenen Messlatte. Sie haben zu keiner Zeit Ihrer Regierung
das Arbeitsvolumen tatsächlich steigern können.
({2})
Der Beschäftigungsabbau galoppiert.
({3})
Das Stellenangebot sinkt. Die Kurzarbeit breitet sich aus.
Im Bereich der Großunternehmen rollt eine Entlassungswelle. Die Menschen in Deutschland sorgen sich Tag um
Tag mehr um ihre Arbeitsplätze und ein Abgrund an neuer
Arbeitslosigkeit tut sich auf,
({4})
obwohl in den letzten Jahren 600 000 Menschen mehr den
Arbeitsmarkt verlassen haben, als neu hinzugekommen
sind.
({5})
Rot-Grün und diese Bundesregierung stehen wirtschafts-, finanz- und beschäftigungspolitisch vor einem
Scherbenhaufen. All Ihre Probleme sind hausgemacht. Ihr
krampfhafter Optimismus - auch der Kollege Weiermann
hat ihn geäußert - kann natürlich überhaupt nicht darüber
hinwegtäuschen,
({6})
dass die wirklich schwierigen Zeiten leider noch vor uns
liegen.
({7})
Keiner glaubt doch, dass sich der internationale Terrorismus als Konjunkturprogramm auswirkt. Das Gegenteil
wird der Fall sein. Gerade jetzt brauchten wir eine stabile
Konjunktur, um diesen enormen Herausforderungen begegnen zu können.
({8})
Wenn Sie Ihre Politik nicht umstellen - ich sage Ihnen
gleich, was Sie tun müssen -,
({9})
dann ist zu befürchten, dass wir, was die Zahl der Arbeitslosen angeht, die 4-Millionen-Schallmauer noch in
diesem Winter erreichen werden. Davor haben viele Menschen in unserem Land zu Recht Angst.
({10})
Sie müssen Folgendes machen - aufgrund der kurzen
Zeit nenne ich Ihnen nur wenige Punkte -:
Erstens. Wir brauchen eine Generalrevision der
Arbeitsmarktordnung. Es geht um eine neue Balance zwischen sozialer Sicherung der Beschäftigten und notwendiger Anpassungsflexibilität. Ihr 630-DM-Bürokratisierungsmonster muss weg. Wir brauchen eine Neuregelung der so
genannten Scheinselbstständigkeit.
({11})
Wir brauchen eine sofortige Korrektur bei der Beschränkung von befristeten Arbeitsverhältnissen und Änderungen des Teilzeitanspruchs. Mit der Errichtung immer
neuer Einstellungshürden muss Schluss sein. All das, was
damit verbunden ist, müssen Sie tun.
({12})
Zweitens - ich bleibe Ihnen die Antwort auf die Frage,
was Sie tun müssen, nicht schuldig; Sie können meine
Forderungen ablehnen; aber Sie werden die Folgen
spüren -: Bundesweit und flächendeckend müssen parallel zu einer stärkeren Lohnspreizung finanzielle Anreize
zur Arbeitsaufnahme im Niedriglohnbereich geschaffen
werden. Das ist eine Schlüsselaufgabe.
({13})
Besonders wichtig ist es auch, dauerarbeitslosen Sozialhilfeempfängern, die eine Beschäftigung aufnehmen, für
einen gewissen Zeitraum bis zu 50 Prozent des Nettoeinkommens nicht auf die Höhe der Sozialhilfe anzurechnen. Das sollten Sie ganz konkret tun.
Ich sage Ihnen noch ein Weiteres: Der Kündigungsschutz ist immer mehr zu einem Abfindungshandel
verkommen; das wirkt sich negativ auf die Einstellungsbereitschaft aus.
({14})
Deshalb plädieren wir dafür, Arbeitnehmern und Unternehmern die Möglichkeit einzuräumen, bei Abschluss eines Arbeitsvertrages festzulegen, dass gegen Zahlung einer vorab vereinbarten Abfindung auf eine eventuelle
Kündigungsklage verzichtet wird.
({15})
Das waren drei Punkte. Ich kann Ihnen auch noch
weitere nennen: Die Summe der Lohnzusatzkosten muss
endlich unter 40 Prozent gedrückt werden. Alle Ihre
Bemühungen sind bis jetzt gescheitert. Die Rente
kommt nicht vom Fleck, das Gesundheitswesen ist in
Unordnung und die Zukunft der Arbeitslosenversicherung bleibt völlig im Unklaren, wie wir heute schon
gehört haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie
schon uns nicht glauben, dann glauben Sie doch bitte der
vom Bundeskanzler eingesetzten Benchmarking-Arbeitsgruppe.
({16})
Die hat Ihnen genau das aufgelistet, was zu tun ist. Aber
Sie wollten ja noch nicht einmal die von Ihnen selbst eingesetzte Arbeitsgruppe anhören, geschweige denn deren
Ergebnisse übernehmen.
({17})
Denken Sie wenigstens einmal darüber nach!
Ich sage Ihnen noch ein Letztes:
({18})
Ein dauerhafter Wirtschaftsaufschwung wird besser gelingen, wenn wir wieder für mehr Kinder bei uns in
Deutschland sorgen.
({19})
Wir haben in den letzten Jahren 3 Millionen Kinder weniger gehabt, als wir brauchten, um das Bevölkerungswachstum aufrechtzuerhalten.
({20})
- Sie brauchen gar nicht zu lachen, die Sache ist ernster,
als Ihr Lachen es ausdrücken kann. - Die 3 Millionen fehlen natürlich auch als Nachfrager. Das fängt bei der Pampers-Windel an und hört beim Jugendkonsum auf. Wenn
die Nachfrage in diesem Bereich immer mehr zurückgeht,
weil wir immer weniger Kinder haben, werden Sie auch
die Konjunktur nicht über die Nachfrage in Schwung
bringen.
Deshalb gilt: Immer mehr Menschen macht die ruhige
Hand des Bundeskanzlers immer unruhiger. Schluss damit! Ändern Sie Ihre Politik!
({21})
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Werner Schulz für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Wir könnten uns doch relativ schnell auf eine Aussage
einigen: dass die Bewältigung der schwierigen konjunkturellen Lage - wir brauchen nicht darüber zu streiten, ob sie schwierig ist; darüber reden wir seit Monaten - und vor allem die Bewältigung der schwierigen
Situation, wie sie nach den Terroranschlägen in New
York und Washington entstanden ist, stark davon abhängt, wie wir darauf reagieren, also welche Stimmung
wir verbreiten und wie wir psychologisch darauf Einfluss nehmen.
Ich habe den Eindruck, dass Sie sich in der Opposition
einen ganz besonders spezifischen Beitrag dafür ausgedacht haben, um die These zu widerlegen, dass sich
nach dem 11. September nicht alles geändert hat. Auf eines können wir hier nämlich wirklich bauen: Immer,
wenn die aktuellen Arbeitsmarktzahlen herauskommen,
verlangen Sie eine Aktuelle Stunde, es kann kommen, was
will.
({0})
Es ist die x-te in diesem Jahr, es kommen die gleichen
stereotypen Vorwürfe, die gleichen stereotypen Zwischenrufe von Ihnen - ich kenne das alles -, die RauenAnalysen, Herr Kollege. Es ist immer wieder das Gleiche,
was hier kommt. Sie bieten keine kreativen Ansätze.
({1})
Wir kommen nicht weiter, wenn wir permanent nur
Analysen vornehmen und uns gegenseitig in der Betroffenheit bestätigen. Natürlich nehmen wir die Situation
ernst; natürlich ist sie nicht erfreulich. Natürlich liegen die
Zahlen unter den Erwartungen, aber besorgniserregend
sind sie nicht. Das muss ich Ihnen sagen.
({2})
- Nein! Sie versuchen, die Situation zu nutzen, zu dramatisieren und im Grunde genommen die Besonnenheit, die
jetzt so wichtig ist, zu untergraben.
({3})
Diese Regierung hat - es ist einfach unverschämt, das
immer so abzutun, Kollege Brüderle - wirklich beachtliche Reformschritte in diesen drei Jahren unternommen:
Steuerreform, Rentenreform. Der Arbeitsmarkt ist wirklich das Letzte, woran Sie sich festbeißen können.
({4})
Bei Ihnen ist das Aufnahmevermögen von retardierenden
Momenten gekennzeichnet und Ihr Verständnisvermögen
hinkt ebenso, wie das bei den Wirtschaftsverbänden offensichtlich der Fall ist.
({5})
Diese mussten mit einem Schreiben von Wirtschaftsminister Müller und Arbeitsminister Riester darauf hingewiesen werden, dass mindestens elf der Maßnahmen, die
sie gefordert hatten, mittlerweile Realität geworden sind.
Die Frage lautet eher, warum sie diese nicht nutzen. Sie
haben die Möglichkeit, flexible Arbeitszeiten zu fördern,
betriebliche Bündnisse für Arbeit zu errichten, die Arbeitslosenunterstützung mit der Sozialhilfe zusammenzulegen usw. Sie haben einen großen Spielraum. Es ist das
Letzte, woran Sie sich festbeißen könnten.
Kollege Brüderle, wenn Sie über schlechtes Gewissen
reden, muss ich Sie auf Folgendes aufmerksam machen:
Problematisch war die Situation, als wir auf 5 Millionen Arbeitslose zugegangen sind. Ich fand es wirklich besorgniserregend, als Mister Wirtschaft, wie er sich in der Stadt
anpreist, für die Misswirtschaft zuständig war.
({6})
Dazu, dass Sie zur Aufhebung des Bankgeheimnisses zur
Terroristenbekämpfung momentan nur den Reflex zeigen,
dass sie befürchten, der Finanzminister könnte möglicherweise die Steuerhinterziehungen aufdecken, kann ich
nur sagen: Oh, oh.
({7})
Ist das neoliberal? Ein Brüderle stützt das andere oder was
führen Sie uns hier vor?
({8})
Ich muss Ihnen sagen: Wenn wir über Enttäuschungen
sprechen, dann sollten wir vielleicht auch über einige Verhaltensweisen unserer großen Wirtschaftsführer reden.
({9})
- Ja, Sie können sie auch Kapitäne, Global Player oder die
großen Könner nennen. ({10})
Während man in den USAmomentan die Hand patriotisch
aufs Herz legt, ist hier einigen nur der Sinn danach, ins
Kanzleramt zu laufen, die Hand aufzuhalten und nach
Konjunkturprogrammen zu rufen. Ich muss sagen: Das ist
ungeheuerlich.
({11})
- Ja, rufen Sie nur Holzmann; das ist alles nicht neu. Es ist die gleiche Denkart, die Sie hier unterstützen: Konjunkturprogramme und das Vorziehen der verbleibenden
Schritte der Steuerreform zu fordern.
({12})
Die Steuerreform haben Sie doch samt und sonders abgelehnt. Hätten Sie es verhindern können, hätten wir sie gar
nicht durch den Bundesrat bekommen. Die FDP in Rheinland-Pfalz hat sie dann mit unterstützt. Jetzt soll sie vorgezogen werden. Dass die Länder das gar nicht finanzieren können, müssten Sie in Rheinland-Pfalz eigentlich
wissen.
({13})
Ich halte es für nicht sinnvoll und kontraproduktiv, sich
momentan zu verschulden, um die Nachfrage anzukurbeln. Das würde in der jetzigen Situation, in der, wie wir
aus der Verbraucherforschung wissen, eher die Sparquote
als die Investitionsbereitschaft und das Konsumverhalten
steigt, ja passieren. Das sagt übrigens auch der DIHT-Präsident Braun, der, so glaube ich, Parteimitglied bei Ihnen
ist. Er sagt heute im Handelsblatt, wir sollten uns nicht
verrückt machen lassen. Sie sind also einer, der diese Idiotie offenbar mit verbreitet.
({14})
Er hält überhaupt nichts davon, die Steuerreform vorzuziehen. Sie ist nicht finanzierbar und wirtschaftspolitisch
kontraproduktiv.
({15})
Um es abschließend zu sagen: Wer in Zeiten, in denen
die Arbeitnehmerschaft verunsichert ist, von der Lockerung des Kündigungsschutzes spricht, handelt unverantwortlich.
({16})
Es geht im Moment darum, mit allem Grips und aller Fantasie dafür zu sorgen, dass Belegschaften gehalten werden
und die Konjunkturdelle überstanden wird. Dies können
wir erreichen, indem Überstunden abgebaut und Zeitarbeitskonten eingeführt werden
({17})
und die Instrumente genutzt werden, die wir dafür geschaffen haben. Ich denke an die Qualifizierung und dergleichen mehr.
Es ist nicht hilfreich, die Situation, wie Sie es heute getan haben, zu dramatisieren.
({18})
Der Kollege
Gerald Weiß spricht für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine
Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, Sie können reden, wie Sie wollen, die Arbeitsmarktbilanz ist ein
Desaster. Sie haben Ihr Wahlversprechen nicht erfüllt. Im
Zentrum Ihres eigenen Anspruchs haben Sie gnadenlos
versagt. Das zeigen die Zahlen, die uns vorliegen.
({0})
Der Begriff Desaster, gegen den Sie sich gewehrt haben, ist ja gar nicht von uns. Die Süddeutsche Zeitung,
die ja nicht gerade das Zentralorgan der Union ist,
({1})
titelte heute so: Schröders Desaster.
Herr Schulz, es ist eine Frechheit, dass Sie sich hier
hinstellen und sagen, die Arbeitslosenzahl sei nicht besorgniserregend. Seit sieben Monaten steigt die Arbeitslosigkeit saisonbereinigt an.
({2})
Der übliche Herbstaufschwung am Arbeitsmarkt - er ist
regelmäßig im September sichtbar - fällt aus. Saisonbereinigt haben wir 91 000 Arbeitslose mehr als zu Beginn
des Jahres und im September hatten wir 60 000 Arbeitslose mehr als im gleichen Monat des Vorjahres. Das ist ein
Skandal gegenüber denjenigen, die in Deutschland nach
Arbeit fragen.
({3})
Weil die Vergangenheit so sehr bemüht wurde, weise
ich auf Folgendes hin. Im September 1998, dem letzten
Jahr der alten Regierung
({4})
- ich habe Ihnen eben die Zahl der rot-grünen Regierung
genannt: 60 000 Arbeitslose mehr -, war die Zahl der Arbeitslosen um 343 000 gesunken. Diese Beschäftigungsdynamik hatte am Ende unserer Regierungszeit eingesetzt.
Frau Dückert, Sie können auch nicht mit der Weltkonjunktur und Ähnlichem argumentieren. Der relativ schwache Euro macht es möglich, dass die Exporte einigermaßen
stabil sind. Die Wachstumsschwäche ist hausgemacht und
betrifft nur die Binnenwirtschaft Deutschlands.
({5})
Werner Schulz ({6})
Das Wachstum des Bruttosozialprodukts ist auf sage und
schreibe 0,8 Prozent zusammengeschmolzen. Damit befinden wir uns auf dem letzten Platz in der Europäischen
Union. Die Schwelle konjunkturell bedingten Beschäftigungszuwachses liegt bei uns - auch darüber muss man
einmal nachdenken - bei erst 2,2 Prozent. Aber wir sind
im Wachstum skandalös zurückgefallen, was zulasten
der Beschäftigung in Deutschland geht. Dass Sie hier
nicht gegengesteuert haben, machen wir Ihnen zum Vorwurf.
({7})
Die Binnenkonjunktur lahmt. Deshalb brauchen wir
schnell Steuersenkungen, vor allem aber keine neuen und
höheren Steuern. Das ist das Erste und Wichtigste, was
wir zur Stabilisierung der Wirtschaft und der Beschäftigung tun müssen.
({8})
Auch müssen wir - Kollege Singhammer hat es ausgeführt - im Niedriglohnbereich über Brutto und Netto, über
Kombilöhne und die Subventionierung von Sozialversicherungsbeiträgen usw. reden.
Was den 11. September angeht, so taugt auch dieser
traurige Tag zur Bemäntelung der aktuellen Arbeitslosenzahlen nicht.
({9})
Der Negativtrend ist schon länger vorhanden; Sie haben
schon seit längerem nichts getan.
({10})
Der Terroranschlag ist dagegen erst jüngeren Datums,
wird aber die Probleme verschlimmern,
({11})
wenn jetzt nicht das Richtige geschieht.
({12})
Wir brauchen nicht mehr Bürokratie, wie Sie sie aufbauen, sondern weniger Bürokratie. Wir brauchen nicht
mehr Steuern, wie Sie sie einführen, sondern weniger
Steuern. Wir brauchen nicht höhere, sondern geringere
Sozialversicherungsbeiträge.
({13})
Das wären Mittel, um den Aufschwung von den Rahmenbedingungen her in Deutschland abzusichern und einen Beitrag zur Stabilisierung der Konjunktur in Europa
- wir sind die größte Volkswirtschaft in Europa - zu leisten.
Die Richtung ist falsch, der Kurs stimmt nicht und die
Rechnung bezahlen die kleinen Leute: die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die zu alledem noch Reallohneinbußen hinnehmen müssen, und die kleinen und mittelständischen Unternehmer, die Sie mit Ihrer Politik
geradezu bestraft haben, meine sehr verehrten Damen und
Herren.
({14})
Gesundbeterei hilft nicht weiter. Es gibt keinen anderen Weg als den der Entlastung der Einkommen unserer
Leistungsträger. Das Zusammenführen von Brutto- und
Nettoleistungsentgelten wäre die wichtigste Maßnahme
zur Stabilisierung unserer Konjunktur und damit auch der
Beschäftigungschancen.
({15})
Neben niedrigeren Steuern und entschlossenen Initiativen im Niedriglohnbereich, also neben dem Kombilohn,
brauchen wir auch den Investivlohn. Welch große
Sprüche sind am 1. Mai 2000 gemacht worden?! Nichts
ist geschehen - weder im Bündnis für Arbeit noch bei dieser Regierung -, was die Herstellung besserer Rahmenbedingungen für eine Beteiligung der Arbeitnehmer am
Produktivkapital anbelangt. Wir brauchen den Investivlohn, weil wir durch ihn eine Erfolgsbeteiligung der Arbeitnehmerschaft in unserer Volkswirtschaft sicherstellen,
dabei aber den Anstieg der direkten Arbeitskosten, die ja
Fixkosten darstellen, begrenzen können.
({16})
Wir wollen damit ermöglichen, dass die Arbeitnehmer in
einen dynamischen volkswirtschaftlichen Prozess hineinwachsen.
Sie haben gezeigt, dass Sie nichts davon begriffen haben.
({17})
Deshalb fahren Sie jetzt diese bittere Ernte ein. Betroffen
davon sind die Arbeitslosen sowie diejenigen, denen Sie
die Chancen im Berufsleben nehmen.
Danke.
({18})
Ich gebe das
Wort nunmehr dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, dem Kollegen Walter Riester.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, ich mache mir Sorgen um die Arbeitslosigkeit. Ich werde mir so lange Sorgen machen,
solange Millionen arbeitssuchender Menschen keine Arbeit bekommen. Ich bin für jeden ernst gemeinten Vorschlag dankbar, der zum Abbau der Arbeitslosigkeit beitragen kann.
({0})
Gerald Weiß ({1})
Meine Damen und Herren von der Opposition, können
Sie auch verstehen, dass ich bei den Vorschlägen, die Sie
machen, etwas zögere, nachdem Sie in 16 Jahren die Massenarbeitslosigkeit um 3 Millionen erhöht haben, in der
Spitze auf 4,8 Millionen Arbeitslose,
({2})
und dies mit Maßnahmen, die Sie uns heute wieder vorschlagen? Haben Sie doch Verständnis, dass ich da etwas
skeptisch bin.
({3})
Aber ich mache mir nicht nur Sorgen. Es gibt auch Anlass, sich zu freuen. Ein solcher Anlass ist, dass in den
letzten zwei Jahren 1 Million Jobs entstanden sind.
({4})
Es gibt Anlass, sich darüber zu freuen, dass die Zahl der
Arbeitslosen um eine halbe Million abgenommen hat.
({5})
Herr Singhammer, ich lasse mich gern von der Bevölkerung an der Aussage messen, dass wir die Arbeitslosigkeit deutlich vermindert haben, nachdem Sie in 16 Jahren
die Zahl der Arbeitslosen auf 3 Millionen anwachsen
ließen und wir in zwei Jahren die Zahl um eine halbe Million gesenkt haben.
({6})
Es gibt beispielsweise auch Grund, sich darüber zu
freuen, dass es zwischenzeitlich gelungen ist, 330 000 junge Menschen zusätzlich Chancen in Ausbildung und Arbeit zu geben. Dafür haben wir uns eingesetzt, das haben
wir erreicht.
({7})
Es gibt aber weiteren Grund, sich zu freuen. Beispielsweise können wir uns darüber freuen, dass zwischenzeitlich 24 700 schwerstbehinderte Menschen, die unter
marktwirtschaftlichen Aspekten chancenlos waren, auf
der Grundlage unseres Gesetzes und durch die breite Unterstützung von Wirtschaft, Gewerkschaften und Behindertenverbänden einen Platz im Arbeitsmarkt gefunden
haben. Darüber freue ich mich.
({8})
Es gibt weitere Punkte, über die wir uns freuen können.
Ich lese heute in der Zeitung, dass 20 000 junge Menschen
noch nicht in eine Ausbildung vermittelt worden sind. Das
erfordert kräftige Anstrengungen von uns. Ich freue mich,
dass gleichzeitig 24 000 offene Ausbildungsstellen zur
Verfügung stehen. Ich frage Sie: Wann hatten Sie jemals
eine solche Bilanz?
({9})
Nun komme ich zu einer schwierigeren Sache. Ja, wir
haben zurzeit ein abnehmendes Wirtschaftswachstum.
Das betrifft uns alle. Herr Rauen, vielleicht versuchen wir
einmal, die Gründe hierfür wirklich ernsthaft zu erörtern.
Es dürfte unbestritten sein, dass wir im Moment eine
tiefe Rezession in Asien haben.
({10})
Darüber sind wir uns wohl einig. Das Wachstum in den
USA hat dramatisch nachgelassen. Darüber sind wir uns
wahrscheinlich auch einig.
({11})
Damit sind zwei der drei großen Märkte der Welttriade im
Moment eingebrochen.
({12})
Gleichzeitig haben wir in Europa ein deutlich rückläufiges Wachstum. Eine solche Situation weltweit nachlassenden Wachstums gab es das letzte Mal 1982, vor 20 Jahren. In dieser außergewöhnlichen Situation gelingt es uns
trotzdem, diese beschäftigungspolitischen Impulse zu
setzen.
({13})
Ich möchte erreichen, dass wir uns alle anstrengen und
zu unserem Land stehen. Bei einigen Erklärungen von Ihnen, Herr Brüderle - Sie telefonieren gerade; das wird
auch notwendig sein -, habe ich das Gefühl, Ihnen gefällt
es in diesem Land überhaupt nicht. So, wie Sie unser Land
dargestellt haben, kenne ich es nicht. Ich kann Ihnen sagen, dass es mir hier gefällt.
({14})
Ich kenne viele Menschen, denen es in diesem Land ebenfalls gefällt.
Wir werden unsere Politik für die Menschen, die Beschäftigung suchen, ganz entschieden weiterführen
({15})
mit einer Reformpolitik, die eine Steuerreform hervorgebracht hat, die Sie nicht hinbekommen haben,
({16})
mit einer Rentenreform, mit der die Lohnnebenkosten
erstmals gesenkt werden konnten.
({17})
Und Sie wollen an uns appellieren, die Lohnnebenkosten
zu senken, nachdem Sie sie auf 42 Prozent hochgetrieben
haben!
({18})
Dazu gehört schon sehr viel Chuzpe. Haben Sie schon
vergessen, was Sie uns alles hinterlassen haben?
Sie sprechen davon, dass in den USA der Staat Milliardenbeträge investiert. Auch ich würde das sofort liebend
gerne machen, wenn wir nicht Schulden in Höhe von
1,5 Billionen DM übernommen hätten.
({19})
Ich und auch der Finanzminister würden sofort gerne Milliardensummen in die Wirtschaft stecken.
Herr Brüderle, eine Bemerkung von Ihnen war sehr bezeichnend. Sie sagten, dass der Wirtschaftsminister die
Wirtschaft beschimpfe und der Arbeitsminister ihn dabei
noch unterstützen würde.
({20})
Ich unterstelle, dass Sie mit dieser Äußerung auf das an
die Wirtschaft gerichtete Schreiben hinsichtlich der Flexibilisierungsmöglichkeiten, die die Gesetze zulassen, anspielen.
({21})
Wenn Sie ein solches Schreiben als Beschimpfen bezeichnen - was haben Sie für ein Verständnis von Politik? -,
({22})
dann würde das ja bedeuten, dass das Darstellen von Fakten gut gehüteten Ideologien entgegenwirken würde. Ich
habe den Eindruck, dass die Wirtschaft das anders sieht.
Wir müssen die entsprechenden Möglichkeiten aufzeichnen und in einen Dialog eintreten. In diesem Zusammenhang nehme ich jeden ernst gemeinten Vorschlag auf.
({23})
Zusammengefasst: Wir haben eine ganze Menge geleistet. Nach 16 Jahren hoch geschraubter Massenarbeitslosigkeit ist eine Reduzierung der Zahl der Arbeitslosen
um eine halbe Million in zwei Jahren ein wichtiger
Schritt. Der Aufbau von 1 Million Beschäftigungsverhältnissen - sie werden vom Statistischen Bundesamt ausgewiesen - ist eine gute Leistung.
({24})
Lassen Sie mich abschließend eine kurze Bemerkung
zu der Behauptung machen, dass der Abbau von Arbeitslosigkeit demographiebedingt ist. Seit 1991 gibt es einen
demographiebedingten Abbau der Arbeitslosigkeit. Es
gibt aber einen großen Unterschied: Bei Ihnen stieg die
Arbeitslosigkeit trotzdem, während bei uns die Zahl der
Arbeitslosen um 500 000 gesunken ist.
Danke schön.
({25})
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Dr. Hans-Peter
Friedrich.
Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Minister, Sie müssen schon sehr mit dem Rücken
zur Wand stehen, wenn Sie es nötig haben, in einer Rede
im Deutschen Bundestag so viel Polemik zu verwenden
und die Wahrheit zu verdrehen.
({0})
Lieber Herr Minister, ich will Ihnen einmal sagen, worauf es bei der Beurteilung der Wirtschaftskraft einer
Volkswirtschaft ankommt: auf die Anzahl der geleisteten
Arbeitsstunden. Diesbezüglich haben wir in den Jahren
1997 und 1998 einen wirklich massiven Aufschwung zu
verzeichnen gehabt. Aber im Jahr 1999 - also in einem
Jahr, in dem Sie regiert haben - gab es eine Stagnation. Es
besteht momentan die Gefahr, dass diese Zahl nach unten
geht.
({1})
Herr Riester, Sie sollten sich einmal die entsprechenden
Zahlen des Statistischen Bundesamtes zu Gemüte führen.
({2})
Sie haben 1998 die Regierung in Deutschland während einer Aufschwungphase übernommen. Sie haben durch eine
Vielzahl falscher Entscheidungen Deutschland in eine
Abschwungphase geführt. Das ist die Wahrheit.
({3})
Lieber Herr Minister, da Sie sich auf die Weltkonjunktur berufen, müssen Sie mir einmal erklären, warum die
Franzosen und die Briten beim Beschäftigungsaufbau offensichtlich weniger Probleme haben als die Deutschen.
Gehören diese Länder nicht zur Weltwirtschaft? Ihre Begründung scheint mir daher äußerst fraglich zu sein.
Vermisst habe ich - das hat Herr Brüderle vorhin angesprochen - Ihre Antworten auf die massive Kritik der
Experten der OECD und der Europäischen Kommission
an Ihrer Regulierungspolitik im Arbeitsmarktbereich.
Ich will Ihnen sagen, welches Ihre Sünden in der Vergangenheit waren. Sie bestanden darin, dass Sie den mittelständischen Unternehmen nicht die Luft verschafft haben, die sie brauchen, um zu investieren und sich auf neue
Situationen einzurichten.
({4})
Stattdessen haben Sie die Unternehmen mit einer Ökosteuer belastet und vor allem den Bürgerinnen und Bürgern im ländlichen Raum die Kaufkraft entzogen. Das
macht sich jetzt in allen Bereichen - bis hinein in den
Dienstleistungsbereich, der ein wichtiger Bereich für den
Beschäftigungsaufbau ist - bemerkbar.
({5})
Sie hatten die Chance,
({6})
durch eine Reform des Tarifrechts Bündnisse für Arbeit
auf betrieblicher Ebene zu ermöglichen und ein bisschen
mehr dezentrale Flexibilität zu schaffen. Stattdessen haben Sie das bewährte Betriebsverfassungsgesetz verunstaltet ({7})
zulasten des Mittelstands und zum Nachteil einer wirklichen Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Dies geschah
einzig und allein mit dem Ziel, die Macht der Gewerkschaftsfunktionäre zu stärken.
({8})
Statt das immer weitere Auseinandergehen von Bruttound Nettoeinkommen in diesem Land wieder zusammenzuführen, haben Sie durch die Abschaffung der 630Mark-Jobs die Menschen zu Zigtausenden in die
Schwarzarbeit getrieben.
({9})
Die paar Tausend, die Sie in die Sozialversicherung gezwungen haben, benutzen Sie jetzt dazu, die Statistik zu
verfälschen und zu sagen: Schaut her, was wir für tolle
neue Arbeitsplätze geschaffen haben!
Sie haben das unternehmerische Engagement der Menschen in diesem Land, das sich in den 90er-Jahren auf eine
Aufbruchsituation stützen konnte, abgewürgt. Das ging
los mit der Scheinselbstständigkeit. Wir haben - das wissen Sie - im Bereich der Existenzgründer die Situation,
dass jeder Existenzgründer im Durchschnitt zweieinhalb
Arbeitsplätze schafft. Wir sind heute bei den Existenzgründungen auf einem Tiefpunkt, weil Sie insbesondere
die jungen Menschen entmutigt haben und sie mit Bürokratie zu bremsen versuchen.
({10})
Die Leidtragenden dieser falschen Politik der Entmutigung sind die Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren
haben, und die Zigtausenden, die täglich in großer Sorge
um ihren Arbeitsplatz leben.
Herr Schulz, es ist zynisch, zu sagen, das alles sei kein
Problem. Das zeigt, wie weit die Grünen von der Bevölkerung in diesem Land entfernt sind.
({11})
Die rot-grüne Regierung steht angesichts der Arbeitsmarktzahlen vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik, und
das - Johannes Singhammer hat es angesprochen - ausgerechnet in einer Phase, in der Deutschland ökonomisch
stark sein muss, um eventuelle konjunkturelle Schwächen
der Weltwirtschaft verkraften zu können.
({12})
Eine Regierung, die die eigene Wirtschaft stranguliert
und sich darauf verlässt, dass die wirtschaftlichen Impulse
von außen kommen, trägt die Verantwortung dafür, dass
Zigtausende von Menschen in diesem Land Existenzängste haben. Ich fordere Sie deswegen auf, Ihre falsche Politik zu korrigieren.
({13})
Nehmen Sie das falsche 630-Mark-Gesetz zurück.
({14})
Nehmen Sie das Scheinselbstständigkeitsgesetz zurück.
({15})
Nehmen Sie das Zwangsteilzeitgesetz zurück! Insbesondere fordere ich Sie auf, endlich den Wert des Mittelstands
in Deutschland wieder zu erkennen und dem Mittelstand
als dem Rückgrat unserer Wirtschaft in der Politik wieder
entsprechendes Gewicht zu verschaffen.
Herr Riester, Sie haben kalt lächelnd alle Resolutionen,
die Ihnen aus dem Mittelstand zum Betriebsverfassungsgesetz zugeschickt worden sind, mit der linken Hand vom
Tisch gewischt. Sie haben den Mittelständlern noch nicht
einmal das Gehör geschenkt, das sie in dieser schwierigen
Situation, in der die Stimmung immer schlechter wird,
dringend gebraucht hätten.
Vor allem - auch das scheint mir wichtig zu sein brauchen wir keine Kürzungen bei den öffentlichen Investitionen - wie Sie es von Bundeshaushalt zu Bundeshaushalt machen - sondern wir brauchen eine Investitionsoffensive, damit auch die in der Bauwirtschaft arbeitenden
Menschen wieder eine Zukunftsperspektive haben.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Dr. Hans-Peter Friedrich ({0})
Lieber
Herr Riester - Sie haben vorhin nach Vorschlägen gefragt -,
folgen Sie deswegen unserem Vorschlag, einen Kombilohn
einzuführen und den Menschen, die heute arbeitslos sind,
eine Chance zu geben, im Niedriglohnbereich ein anständiges Einkommen zu erzielen.
({0})
Ich sage Ihnen eines: Angesichts der Massenarbeitslosigkeit in diesem Land muss die Politik der eingeschlafenen Hand des Herrn Bundeskanzlers beendet werden.
({1})
Die Kollegin Angelika Krüger-Leißner spricht für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer heute
gehofft hatte, dass wir in einer sehr schwierigen Situation
ernsthaft und sachlich über die Lage auf dem Arbeitsmarkt diskutieren, ist wieder einmal getäuscht worden.
Werner Schulz hat Recht: Es läuft alles nach einem alten
Muster ab, gekennzeichnet durch Ihre permanente Vergesslichkeit, was Ihr Tun bzw. Nicht-Tun bis 1998 betrifft.
Alles, was wir in den letzten drei Jahren an Reformpolitik
gemacht haben ({0})
neue Rahmenbedingungen für den wirtschaftlichen und
beschäftigungspolitischen Aufschwung und für die soziale Absicherung -, wird von Ihnen schlecht gemacht
oder einfach nicht erwähnt.
({1})
Ich denke, dass man diesem wichtigen Thema so nicht gerecht werden kann. Wir erwarten auch von Ihnen in der
Opposition sachliche Argumente und konkrete Vorschläge.
({2})
Ich denke, angesichts der vorliegenden Arbeitsmarktzahlen hat keiner Grund zum Jubeln, auch Sie nicht. Die
allgemeine Arbeitsmarktsituation ist schwierig und im
Osten ist sie unglaublich viel schwieriger und anhaltender. Die weltweit abgeschwächte Wirtschaftskonjunktur
zeigt sich auch auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Wir
spüren das ganz deutlich. 3,74 Millionen Menschen, die
in unserem Land keine Arbeit haben, sind einfach zu viel.
Es macht uns auch nicht froh, wenn wir anhand der Statistik sehen, dass 45 000 Menschen weniger arbeitslos
sind als im Vormonat.
({3})
In den neuen Bundesländern zeigt sich das gravierend.
Dort haben wir eine Arbeitslosigkeit von 16,9 Prozent.
Das zeigt deutlich das Ungleichgewicht in diesem Land.
Aber auch in den neuen Bundesländern ist, wie Sie sehen,
wenn Sie sich die Zahlen genau anschauen, die Arbeitslosigkeit gegenüber dem Vormonat gesunken, und zwar um
6 300. Die Zahl der gemeldeten offenen Stellen ist gestiegen und bei der Arbeitsvermittlung ist ein Plus von 5 238
zu verzeichnen. Ebenso ist die Zahl der Weiterzubildenden gestiegen.
Diese Entwicklung würde uns froh machen, wenn wir
nicht auch eine gegenläufige Entwicklung hätten. Der Zuwachs an neuen Arbeitsplätzen in den neuen Bundesländern ist einfach zu zögerlich und die konjunkturelle Delle
zeigt sich hier umso deutlicher.
({4})
Sie wissen so gut wie ich, liebe Kollegen von der Opposition, dass es grundsätzlich eine positive ostdeutsche
Wirtschaftsentwicklung gibt. Aber sie vollzieht sich in einem strukturellen Wandel. Dieser Wandel ist durch den
Abbau von Überkapazitäten in der Bauwirtschaft gekennzeichnet. Ich darf Sie kurz daran erinnern, dass Sie daran
Ihren Anteil haben, und zwar durch Ihre verfehlte Förderpolitik.
({5})
Auf der anderen Seite vollzieht sich der strukturelle
Wandel durch die Stabilisierung der ostdeutschen Industrie und durch die Entwicklung des industrienahen
Dienstleistungsgewerbes. Das sind aber noch immer gegenläufige Prozesse. Der Arbeitsmarkt in den neuen Ländern ist ein Spiegelbild dieses sehr differenzierten Prozesses.
Diese Entwicklung ist von unserer Koalition rechtzeitig erkannt worden und wir haben gegengesteuert. Die positive Entwicklung in den letzten drei Jahren unserer Regierungszeit, die unser Arbeitsminister Walter Riester
geschildert hat und die durch einen kontinuierlichen
Rückgang der Arbeitslosigkeit
({6})
und durch die Erhöhung der Erwerbstätigkeit um 1 Million gekennzeichnet ist, ist doch nicht vom Himmel gefallen!
({7})
Sie ist durch unsere veränderten Rahmenbedingungen
erst möglich geworden. Wir haben eine Strategie verfolgt,
({8})
zu der gezielte wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische
Maßnahmen gehören, und zwar nicht kurzfristig, sondern
langfristig und kontinuierlich angelegt. Genau das ist das
Richtige für die neuen Bundesländer.
Ich erinnere Sie an wichtige Entscheidungen, die wir
für die Entwicklung der Wirtschaft und der Beschäftigung
in den neuen Bundesländern getroffen haben. Ich sage
nur: verstärkte Infrastrukturförderung mit hoher Priorität
in den neuen Bundesländern, Investitionen in die Schienen, Straßen und Wasserstraßen.
({9})
Das sichert Arbeitsplätze und schafft neue.
({10})
Ich erinnere an die Ausrichtung der Förderpolitik
auf die Entwicklung innovativer Wachstumsregionen. - Ich
erinnere an die Ausrichtung auf Forschungs- und Technologiebereiche, für die pro Jahr 3 Milliarden DM
zur Verfügung stehen. Auch das bringt neue Arbeitsplätze.
({11})
Ich erinnere an die Infrastrukturschwerpunkte, die wir
jetzt im Rahmen der Stadtsanierung setzen. Stadtumbau
Ost ist ein Programm, für das 450 Millionen Euro vorgesehen sind und mit dem wir ebenso neue Arbeitsplätze
schaffen werden. Diese massiven Anstrengungen für die
Infrastrukturentwicklung in den neuen Bundesländern
sind dringend notwendig und richtig. Wir werden sie kontinuierlich fortsetzen und mit unserer Arbeitsmarktpolitik
vernetzen.
({12})
Zwei Punkte, die für die neuen Bundesländer sehr wichtig sind, möchte ich bezüglich der Arbeitsmarktpolitik ansprechen: einmal das Sofortprogramm zum Abbau der Arbeitslosigkeit junger Menschen, das wirklich erfolgreich
läuft, insbesondere in den neuen Ländern.
({13})
Die Erhöhung der für Ostdeutschland vorgesehenen Mittel auf 50 Prozent hat bewirkt, dass wir die Arbeitslosigkeit - das können Sie in der Statistik nachlesen - um
1,57 Prozent verringern konnten. Dort haben wir sogar
bessere Ergebnisse erzielt als in den alten Bundesländern.
({14})
Dieses Programm werden wir fortführen.
Der zweite Punkt ist: Wir werden das Job-Aqtiv-Gesetz gezielt dafür einsetzen, die Arbeitsmarktsituation in
den neuen Bundesländern zu verbessern. Die Verstärkung
der Vermittlungstätigkeit und der Qualifizierung wird
wichtig sein. Aber wir bringen auch eine neue Qualität in
die Arbeits- und Beschäftigungspolitik,
({15})
und zwar durch eine beschäftigungsfördernde Infrastrukturmaßnahme, mit der wir eine verstärkte Verzahnung
zwischen Infrastruktur- und Arbeitsmarktpolitik anstreben.
({16})
Ich will zum Schluss gar keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass für uns die Schaffung von Arbeitsplätzen und der Abbau der Arbeitslosigkeit weiterhin das
Hauptziel sind. Wir haben einen Weg eingeschlagen, der
in die richtige Richtung führt. Den werden wir kontinuierlich fortsetzen. Wir werden dafür alle vorhandenen
Kräfte brauchen.
Frau Kollegin, jetzt darf ich keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Einen Satz an die
Opposition möchte ich noch sagen: Für diese gemeinsame
Kraftanstrengung brauchen wir die Wirtschafts-, die Arbeitsmarkt-, die Sozial- und die Strukturpolitiker.
({0})
Über diese Verzahnung von Arbeitsmarkt- und Infrastrukturpolitik werden wir alle zusammen es schaffen, eine
Verbesserung zu erreichen. Wir brauchen auch Sie dazu.
Machen Sie mit!
({1})
Wir haben
in dieser Aktuellen Stunde noch zwei Redner. Zunächst
spricht für die CDU/CSU der Kollege Heinz Schemken.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Schulz, gehen Sie davon
aus, dass die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt von uns
immer wieder auf die Tagesordnung gebracht wird, bis sie
sich verbessert hat.
({0})
Davon lassen wir uns nicht abbringen. Denn dies war Ihr
zentrales Thema im Wahlkampf 1998.
({1})
Sie haben Versprechungen gemacht, die Sie nicht einmal
zur Hälfte einlösen können. Das zeigt sich schon jetzt.
({2})
Der Aufwuchs der Arbeitslosigkeit ist in diesem Jahr
deutlicher denn je. Die Zahlen des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, Jagoda, belegen: Saisonbereinigt
steigt die Zahl der Arbeitslosen in der letzten Zeit von MoAngelika Krüger-Leißner
nat zu Monat um 20 000 und seit Beginn des Jahres um
91 000. Kollege Peter Rauen hat soeben deutlich gemacht,
dass es, was die Frage des Aufwuchses an Arbeit angeht,
seit Ende 1998 und mit Beginn 1999 eine Stagnation gibt.
({3})
Die Erwerbsstundenzahlen gingen bis dahin steil nach
oben. Dies sind Zahlen des Statistischen Bundesamtes,
die Sie sich einmal besorgen sollten. Das sage ich, weil
Sie, Herr Staatssekretär, sicherlich gleich den Zweifel anbringen werden, dass dies nicht stimmen kann.
Nun werden Sie am Ende des Jahres feststellen - das
hat heute schon der Chef der Bundesanstalt für Arbeit
verkündet -, dass die Zahl der Arbeitslosen auf 3,8 Millionen, wenn nicht sogar auf 3,9 Millionen oder auf 4 Millionen gestiegen ist. Im Jahr 1998 lag die durchschnittliche Arbeitslosigkeit bei 4,2 Millionen! Wir müssen aber
feststellen, dass in der Zwischenzeit 600 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Rente gegangen sind. Das,
Herr Minister, war nicht immer so. Jetzt treffen uns nämlich die geburtenstarken Jahrgänge der 30er-Jahre; das
können Sie nachvollziehen.
({4})
Nun zu den Problemen, die Sie mit den 16 Jahren
haben. Es gab einen entscheidenden Abschnitt, den ich
immer noch als Wunder begreife - ich bin immer wieder
bewegt, dabei gewesen zu sein -, und das war die Wiedervereinigung. Die wird oft vergessen und unterschlagen, Herr Schulz.
({5})
Sie sollten einmal auf solche Gesichtspunkte eingehen,
wenn Sie unsere Seelenlage bewegen wollen. Darum
würde ich wirklich herzlich bitten. Wir haben in den 80erJahren dank der Steuerreform in drei Stufen - 1986, 1988,
1990 - innerhalb von vier Jahren einen Aufwuchs von
3 Millionen Arbeitsplätzen gehabt. Hören Sie gut hin: von
36 auf 39 Millionen!
({6})
Aber ich will ja nicht die Vergangenheit bewältigen; ich
wollte Sie eigentlich nur für die Zukunft gewinnen.
Lieber Wolfgang Weiermann, wir sind doch nicht böse!
Wenn, dann bin ich erschüttert oder traurig über Ihr Verhalten, darüber, dass Sie dieser Vorgang nicht mit Sorge
umtreibt. Der Minister hat ja hier noch einmal deutlich gemacht, dass das unser aller Anliegen sein sollte. Sie aber
haben dieses Anliegen schon fast vergessen und holen
sich dann noch Frau Engelen-Kefer zur Zeugin.
({7})
Frau Dr. Engelen-Kefer, die stellvertretende Vorsitzende
des DGB, hat erklärt, man solle die aktuelle Entwicklung,
die sie wahrnimmt, nicht dramatisieren. Dies könne eine
Angstspirale auslösen. - Ich glaube, sie will für das
nächste Jahr vorbeugen, damit sie mit dem Kanzler wieder in den Wahlkampf gehen kann. So verstehe ich diese
Feststellung.
({8})
Jetzt müssen wir uns einmal einigen: Halten wir es mit
den schaffenden Leuten, mit den Arbeitslosen oder mit einer verfehlten Politik? Was machen wir?
({9})
Wir müssen uns einigen. Das wäre ehrlich und wahrhaftig.
Ich komme jetzt zu Ihrem Job-Aqtiv-Programm. Ich
will hier nicht mit Zahlen operieren; aber die Situation in
den jungen Bundesländern ist besorgniserregend. Die Arbeitslosigkeit stieg dort von 1998 bis heute von 4,9 Millionen auf 5,1 Millionen. Es gab also eine ständige Erhöhung der Arbeitslosenzahlen und keinen Rückgang. Wir
wollen gar nicht die Komplementärmaßnahmen, die wir
stattfinden lassen, dagegenrechnen, weil dort die strukturellen Probleme in den Kommunen so sind, dass wir helfen müssen.
({10})
Ich stelle aber fest, dass es schon des Schweißes der
Edlen wert ist, sich mit diesen Zahlen zu beschäftigen,
weil hinter jeder Zahl das Schicksal des bzw. der einzelnen Arbeitslosen steht. Ich sage ausdrücklich, dass uns
das bewegt.
({11})
Hier müssen wir am Anfang ansetzen.
Soeben wurde gesagt - der Minister hat dies heute
Morgen auch noch einmal im Ausschuss erklärt -, dass die
Arbeit zu teuer sei, der Arbeitnehmer netto zu wenig herausbekomme und es brutto viel zu teuer sei, Arbeit so zu
verkaufen, dass sie im internationalen und auch im nationalen Wettbewerb bestehen kann. Da haben Sie total bei
denen versagt, die Arbeitsplätze schaffen. Das sind nämlich nicht die Kapitalgesellschaften, sondern das sind die
Handwerker, die Einzelhändler, die kleinen Unternehmen.
({12})
Sie behandeln diese kleinen Unternehmen in der Steuergesetzgebung anders als die Kapitalgesellschaften. Da
beißt die Maus keinen Faden ab.
({13})
Damit zerstören Sie die Basis, die uns einen Aufwuchs an
Arbeitsplätzen schafft. Hätten wir den Mittelstand nicht,
dann hätten wir in den 90er-Jahren 700 000 Arbeitsplätze
weniger gehabt. Das heißt, wir hätten eine noch höhere
Arbeitslosigkeit.
Herr Kollege, ich muss alle Redner gleich behandeln. Daher
möchte ich Sie darauf hinweisen, dass auch Ihre Redezeit
abgelaufen ist.
Herr Präsident, schönen Dank. Sie machen das immer sehr vornehm. Insofern
möchte ich vornehm enden.
Ich wünsche uns, dass wir auch beim Job-AqtivGesetz, beim Kombilohn und beim Zusammenlegen von
Sozial- und Arbeitslosenhilfe zusammenarbeiten, damit
wir endlich den Kern der Langzeitarbeitslosigkeit angehen können. Das wäre für uns alle sicherlich ein guter
Auftrag. Ich wünsche mir, dass wir dies gemeinsam tun.
Schönen Dank.
({0})
Der Kollege
Gerd Andres beschließt nunmehr für die sozialdemokratische Fraktion diese Runde.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kenne den Kollegen Heinz
Schemken über viele Jahre hinweg. Ich halte ihn für einen
sehr ehrlichen und aufrechten Kollegen.
({0})
Ich sage ihm ganz offen: Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass wir die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ändern und jeden Monat, wenn Sitzungswoche
ist und die neuen Arbeitsmarktzahlen verkündet werden,
nicht eine Aktuelle Stunde, sondern eine Aktuelle Arbeitsmarktstunde machen. Dagegen habe ich keine Einwände.
Ich mache mir über Folgendes Sorgen - das sage ich
ganz deutlich, das kann man nicht beschönigen -: Wir haben in diesem Monat gegenüber dem Vorjahresmonat eine
Steigerung der registrierten Arbeitslosigkeit von rund
58 000 Menschen. Auch im vorigen Monat hatten wir
schon eine Steigerung. Ich will aber darauf hinweisen,
dass davor 39 Monate lagen - Monat für Monat -, in denen die ganze Zeit eine geringere Arbeitslosenzahl als im
Vorjahr mitgeteilt werden konnte. Wir sind sehr stolz darauf, dass das so ist. Das kann ich Ihnen sagen.
({1})
Bei diesen monatlichen Debatten wünschte ich mir
sehr viel mehr Redlichkeit. Ich schätze Herrn Rauen aus
wirtschaftspolitischen Diskussionen. Aber wenn in einem
solchen Zusammenhang nach der Rede des Ministers der
Begriff Klugschwätzer fällt, dann verstehe ich, dass das
wehtut. Ich sage sowohl Herrn Rauen als auch Herrn
Brüderle:
({2})
Ein bisschen mehr Redlichkeit in der Debatte würde Ihnen außerordentlich gut tun.
({3})
Wir haben von Ihnen die höchste Staatsverschuldung
in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland übernommen. Da beißt die Maus keinen Faden ab.
({4})
Wir haben von Ihnen die höchste Steuerbelastung übernommen, die wir in der Geschichte der Republik hatten.
({5})
Wir haben von Ihnen die höchste Quote an Sozialabgaben
übernommen, nämlich in der Spitze 42,1 Prozent. Wir haben von Ihnen die höchste Arbeitslosigkeit in der Geschichte der Republik übernommen.
({6})
- Hören Sie auf zu schreien! Das, was ich sage, ist wahr
und überprüfbar.
({7})
Damit Sie einmal die Zahlen kennen: 1997 lag die registrierte Arbeitslosigkeit bei 4,38 Millionen Menschen
im Jahresdurchschnitt. 1998 waren es 4,28 Millionen Arbeitslose im Jahresdurchschnitt. Sie, Herr Rauen und Herr
Brüderle - ich bitte darum, dies nicht zu vergessen -, haben es von 1991 an geschafft, dass in jedem Jahr die jahresdurchschnittliche Arbeitslosigkeit angestiegen ist.
({8})
Erst wir haben diesen Trend gebrochen; damit das klar ist.
({9})
Die höchste Arbeitslosigkeit im Jahr 1998 haben Sie
dadurch erreicht - das ist der nächste Punkt, der etwas mit
Redlichkeit zu tun hat, meine Herrschaften -, dass in diesem Jahr sage und schreibe 540 000 Menschen in ABM
und SAM waren.
({10})
Gegenwärtig sind rund 232 000 Menschen in diesen Maßnahmen. Gegenüber Ihrer Spitzenleistung haben wir die
Zahl mehr als halbiert. Darauf sind wir stolz.
Wir lassen uns von Ihnen keine Diskussion darüber an
die Backe reden, dass man ABM und SAM umwandeln
oder ganz beseitigen müsse. Es sind einige Kolleginnen
und Kollegen aus den neuen Bundesländern anwesend.
Von den 155 000 AB-Maßnahmen werden knapp 50 000
in den alten Bundesländern, der Rest wird in den neuen
Bundesländern in Anspruch genommen.
({11})
Wer mit ideologischen Kampfparolen antritt, man müsse
diese Maßnahmen alle umwandeln oder abschaffen, der
muss den Menschen sagen, welche andere Perspektive sie
haben und wie dann ihre Beschäftigungssituation aussieht.
({12})
Auf diesem Feld würde ich mir viel mehr Redlichkeit
wünschen und nicht nur die monatlichen Schaugefechte,
die Sie abliefern.
Man hat inzwischen den Eindruck, in der öffentlichen
Debatte nur noch von Keynesianern umzingelt zu sein. Es
ist wirklich erstaunlich, wer alles Beschäftigungsprogramme, Konjunkturprogramme und Ähnliches fordert.
Dazu fällt einem absolut nichts mehr ein. Auch Kollege
Brüderle gehört in diese Gruppe.
Ich finde es im Übrigen völlig richtig, was mein Minister gesagt hat. Wenn wir in einer Situation wären, in der
wir nicht nur einen ausgeglichenen Haushalt hätten, sondern sogar einen Haushaltsüberschuss, könnten wir entsprechende Maßnahmen anstoßen. Da wir von Ihnen aber
völlig zerrüttete Staatsfinanzen übernommen haben, ist es
sehr schwierig, Programme zu finanzieren.
({13})
Herr Rauen - Sie suchen sich die Punkte so aus, wie
Sie sie gebrauchen können -, damit wir uns verstehen: Ich
empfehle Ihnen einen Antrag Ihrer eigenen Fraktion, in
dem verschiedene Maßnahmen, zum Beispiel Kombilöhne, vorgeschlagen werden. Ich muss Ihnen sagen: Ich
bin dafür, alles auszuprobieren, was auf Dauer zu vernünftigen Bedingungen Beschäftigung bringen kann.
({14})
Wenn wir aber durch entsprechende Maßnahmen - als
Wirtschaftspolitiker sind Sie sonst doch strikt dagegen in ein System einsteigen, indem wir flächendeckend eine
Subventionierung regulärer Arbeit vornehmen, müsste
das doch Ihrem ordnungspolitischen Grundschema, das
Sie sonst immer bemühen, widersprechen.
({15})
Wir werden eine solche Position nicht unterstützen,
aber nach Möglichkeiten suchen, wie man Menschen
aus Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe und Arbeitslosigkeit herausführen kann. Das kann man nicht durch Verstetigung
und Erhöhung von Transfereinkommen erreichen, sondern nur dadurch, dass man Möglichkeiten für die Betroffenen findet, aus dem Bezug von Transfereinkommen herauszukommen.
({16})
Sehen wir uns den Rest Ihres glorreichen Antrages an!
Er enthält den tollen Vorschlag, das Sofortprogramm zur
Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, das Langzeitarbeitslosenprogramm und Strukturanpassungsmaßnahmen
aus dem Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit herauszunehmen. Sie müssen nur noch sagen, wie dies finanziert
werden soll. Aus Gründen der Redlichkeit würde ich um
eine solche Klarstellung bitten. Wenn Sie im Ausschuss
ausführen, wie viele öffentliche Mittel für die Arbeitsmarktpolitik gebraucht werden, sich in der öffentlichen
Diskussion aber vor konkreten Aussagen drücken, so ist
das wieder ein Punkt, bei dem ich Ihnen sagen muss: Sie
sind absolut unredlich.
({17})
Ich komme zu meinem letzten Punkt: Herr Seehofer
hat sich in der Sommerpause mit der Theatertruppe
CDU/CSU öffentlich produziert. Es wird vorgeschlagen,
die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu senken.
Auch ich bin für diesen Vorschlag. Nur müssen wir dafür
die Luft haben. Wir können es nicht auf Ihre Weise machen, indem wir einfach viele Programme der Beschäftigungspolitik kürzen. Auf diese Weise würde die
Arbeitslosigkeit nämlich nicht gesenkt, sondern erhöht.
Eine solche Politik werden Sie mit uns nicht machen können. Wir werden ganz systematisch die Verstetigung der
Arbeitsmarktpolitik weiter vorantreiben. Wir werden unser Job-Aqtiv-Gesetz jetzt beraten und verabschieden und
Stück für Stück dafür sorgen, dass es in Deutschland
zukünftig wieder mehr Beschäftigung und einen Abbau
der Arbeitslosigkeit geben wird. Darauf können Sie sich
verlassen.
({18})
Die Aktuelle
Stunde ist beendet.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 11. Oktober 2001,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.